Der
Macher
Ein Besuch bei Beghjet Pacolli, dem
schweizerisch-kosovarischen
Doppelbürger, der Aussenminister
Kosovos und der reichste Mann des
Landes ist. Gelingt ihm der wichtigste
Deal seines Lebens?
Von Andreas Ernst
46 | Folio 2 | 2018
V
or dem Eingang des Aussenministeriums in Pristina, einem renovierten
Hochhaus aus den 1980er Jahren,
steht ein schwerer schwarzer SUV
mit Tessiner Kennzeichen. Er
gehört Beghjet Pacolli, dem Gründer der in Lugano domizilierten
Firma Mabetex. Als Generalunternehmer für Grossbauten in aller
Welt ist Pacolli reich geworden.
Sehr reich sogar, auch wenn er mit
dem für Milliardäre typischen
Understatement zu sagen pflegt,
die vielen Freunde seien sein
Reichtum, nicht das Geld.
Derzeit kümmern sich seine
Brüder ums Geschäft, denn seit
September 2017 sitzt der kosovarisch-schweizerische Doppelbürger
als stellvertretender Ministerpräsident und Aussenminister in der
Regierung von Kosovo. Pacollis
Büro ist kleiner als erwartet. Mit
Ölgemälden, weinroter Tapete,
schweren Möbeln und knarrenden
Ledersesseln ist es im gleichen Stil
ausstaffiert wie sein Swiss Diamond Hotel um die Ecke. Dort
treffen sich in der Lounge zwischen
Plüsch und Marmor die Damen der
Oberschicht zum Kaffee.
Pacolli ist ein geschmeidiger,
ausgesucht höflicher Gastgeber.
Aber auch von überraschender
Offenheit: Die Länge unseres
Gesprächs, sagt er, hänge davon ab,
ob zwischen uns ein «intuitives
Einverständnis» aufkomme. Plaudernd prüft er den Besucher auf
seine Absichten und einen allfälligen Nutzen hin. Dann entscheidet
er kühl. Dealmaker wie Pacolli sind
Menschenkenner. Und er betont,
es seien die weichen Faktoren, die
ihn zum Erfolg gebracht hätten:
Kreativität, Liebe zum Detail und
die Pflege des Erreichten.
Als Bauunternehmer hat es
Pacolli weit gebracht. Doch was
ihm weltweit zum Erfolg verhalf,
hätte ihm in Kosovo fast das Genick gebrochen: Als er 2006, am
Vorabend von Kosovos Unabhän-
gigkeit, sagte, man hätte mit den
Serben besser direkt einen Deal
gemacht, ohne Dolmetscher und
ausländische Diplomaten, brach
ein Sturm über ihn herein: Verräter! Serbenfreund! russischer
Spion! nannte man ihn. Dass seine
zweite Frau Russin ist, galt vielen
als Beweis. «Die hätten mich am
liebsten aus dem Land geworfen»,
sagt Pacolli, blickt kurz auf das
summende Mobiltelefon auf dem
Tisch und drückt den Anruf weg.
«Heute verhandeln wir natürlich
mit Serbien, damals war das tabu.»
Von Ressentiments gegen Russland
hält er wenig. Russland sei gross,
Kosovo klein und deshalb angewiesen auf «offene Horizonte», den
freien Austausch von Ideen, Personen, Kapital und Gütern. Dass
Moskau Kosovos Staatlichkeit nicht
anerkennt, nimmt er den Russen
kaum übel. «Das ist doch nur
Politik.» Im Weltbild Pacollis
rangiert die Politik klar hinter der
Wirtschaft. Im serbisch besiedelten
Beghjet Pacolli hat
einen Wohnsitz in
der Schweiz, wo
auch seine Kinder
zur Schule gehen.
In Kosovo residiert
der Politiker und
Geschäftsmann in
einem Schloss.
Norden Kosovos, der stark von
Belgrad abhängt, möchte er eine
gemeinsame Freihandelszone
einrichten. Auch dafür bezieht er
natürlich Schelte aus patriotischen
Kreisen. «Nur wenn wir dort
Arbeitsplätze und Wohlstand
schaffen», hält er dagegen, «können
wir die Politik zurückdrängen und
die Menschen aus ihrer Umklammerung befreien.»
Weshalb überhaupt macht
Pacolli Politik, statt Kosovo wirtschaftlich voranzubringen? «Hier
ist der Politiker leider noch immer
die Zentralfigur. Anders als in der
Schweiz, wo der Fortschritt aus der
Wirtschaft kommt und die Politiker im Grunde kleine Fische sind.»
Für Pacolli ist die Politik ein enges
Reich, geprägt von Ressentiments
und Aberglauben, während das
freie Gewinnstreben der Wirtschaft Grenzen überwindet und
Wohlstand schafft. Davon ist
Kosovo weit entfernt. 18 Jahre nach
dem Krieg fehlen die politischen
Rahmenbedingungen für den
wirtschaftlichen Aufschwung.
Daran will Pacolli arbeiten. «Ich
habe die besten Minister in dieser
Regierung, und sie kontrollieren
die Sektoren, die entscheidend
sind: Wirtschaft und Umwelt.»
Die Wahlen im Juni 2017 hatten
Pacolli in die Position des Königsmachers gebracht. Lange sah es
aus, als wolle er mit der linksnationalistischen Partei Vetëvendosje
(Selbstbestimmung) eine Regierung bilden. Das hätte es ermöglicht, die korrumpierten Parteien
der ehemaligen UÇK-Kommandanten von der Macht zu vertreiben und wirtschaftspolitisch einen
Neuanfang zu wagen. Nach langen
Verhandlungen entschied Pacolli
sich dagegen: «Diese Leute sind zu
radikal.» Albin Kurti, der informelle Parteiführer von Vetëvendosje, ist das exakte Gegenteil
eines Dealmakers. Seine strenge
Ideologie zieht junge Leute an, die
den prinzipienlosen Machthunger
der Parteien verabscheuen. Aber
wo es darum geht, die mit Serbien
geschlossenen Abkommen umzuFolio 2 | 2018 | 47
setzen, stellt Kurti sich quer. Er
verlangt, dass alle Verträge öffentlich diskutiert werden. Für Pacolli,
den Businessmann, ist eine solche
Verhandlungsführung ein Graus.
Er hat eine klare Vorstellung
davon, was ein guter Deal ist: einer,
der die Beziehungen zwischen Partnern langfristig regelt. «Ein Deal
darf niemals reines Machtmittel
sein. Er ist ein gemeinsames Ziel
für alle Beteiligten. Wenn ich sehe,
dass einer meiner Partner Schwierigkeiten hat, die Bedingungen zu
erfüllen, versuche ich entgegenzukommen.» Auch wenn diese Haltung Selbststilisierung ist: sie steht
in scharfem Kontrast zur Mentalität der politischen Elite Kosovos.
Die Führer der Politsekten, aus
denen die Rebellenarmee UÇK
entstand, lernten ihr Handwerk im
Untergrund, in Hinterzimmern
und konspirativen Wohnungen.
Geheimhaltung und Fraktionismus
bestimmten ihr Handeln, Misstrauen und die Furcht vor Verrätern prägten ihr Denken. Die
Angst ist noch immer da. Und
gegen sie hilft nur die blanke
Macht, mit der die Gegner oder
auch die Justiz aus dem Feld geschlagen werden. Pacolli, mit 66
Jahren, Schweizer Pass und Wohnsitz und seinem Vermögen, ist viel
entspannter. Und auch die Episode
mit der Justiz hat er hinter sich.
Sie spielte in der Schweiz. Als
26jähriger kam Pacolli ins Tessin,
nachdem er in Deutschland und
Österreich Sprachen gelernt, einen
Handelsschulabschluss gemacht
und sich in verschiedenen Firmen
emporgearbeitet hatte. Die nächste
Station war eine Ingenieursfirma
von der er sich bald trennte, um
1991 seine Firma Mabetex zu
gründen. Mittlerweile surren beide
Mobiltelefone wütend, er ignoriert
sie. Die Schweiz sei «wie ein Trampolin» gewesen, das ihm den grossen Sprung ermöglichte. Pacolli
wurde 1992 eingebürgert. Das
Prestige der Staatsbürgerschaft
habe ihm enorm geholfen. Die
Schweiz habe ihn auch zielstrebig
gemacht: «Du weichst nicht ab
48 | Folio 2 | 2018
nach links oder rechts, sondern
gehst immer vorwärts.» Und dann
die «wunderbare Logistik»: Ein
Land ohne überbordende Bürokratie und mit einer gut funktionierenden Justiz. Mit der allerdings ist
auch ein Trauma verbunden.
An einem Januarmorgen 1998
stand Bundesanwältin Carla Del
Ponte in seinem Büro. Sie beschuldigte ihn, höchste russische Regierungsleute bestochen zu haben, um
zu Bauaufträgen – darunter die
Renovation des Kremls – zu kommen. «Es war ein Schock. Alles,
was ich mit grösster Mühe erarbeitet hatte, während ich jahrelang
meine Familie vernachlässigte, war
bedroht. Ich spürte genau, was
diese Frau dachte: So einer aus
Kosovo, der kann das nicht ehrlich
erarbeitet haben.» Doch del Ponte
zog schliesslich den Kürzeren.
Pacolli konnte nichts strafrechtlich
Relevantes nachgewiesen werden,
das Verfahren wurde eingestellt.
Als mit dem Aufstieg Putins die
Goldgräberstimmung der Ära
Jelzin zu Ende ging, verlegte Mabetex ihre Geschäfte nach Kasachstan. Pacollis Firma baute die neue
Hauptstadt Astana und wurde mit
Petrodollars von Präsident Nursultan Nazarbayev fürstlich entlöhnt.
Laut Bloomberg soll Pacollis Jahresrechnung jeweils eine Milliarde
Dollar betragen haben.
Während er sein Imperium
aufbaute, zerfiel Jugoslawien, und
als letzter Puzzlestein löste sich
Kosovo in einem blutigen Krieg von
Serbien. Pacolli spendete Geld,
organisierte humanitäre Aktionen,
aber zum engen Kreis der Befreier
gehörte er nicht. Das werfen ihm
seine Gegner bis heute vor. Ihm
fehlt der Stallgeruch, der die ehemaligen Widerstandskämpfer
verbindet. Erst 2006, sieben Jahre
nach dem Krieg, stieg Pacolli in die
Politik ein. 2011 war er für ein paar
Monate Präsident des Landes, doch
die Wahl wurde für ungültig erklärt. Äusserlich trug er die
Schmach gelassen, aber es ist kein
Geheimnis, dass er das höchste
Amt weiterhin im Visier hat.
Worauf gründet das politische
Kapital Pacollis? Eine Hausmacht
hat er nicht. Viele seien von seinem
Reichtum fasziniert, sagt der
Politologe Bashkim Iseni. Von der
Geschichte des armen Kosovaren,
der auszog wie viele – und als
reichster Mann des Landes zurückkehrte. Anders als die etablierten
Parteien hat Pacollis «Allianz
Zukunft Kosovo» kein Klientelsystem, um Wähler zu binden. Und
im Unterschied zu Vetëvendosje
fehlt ihr das klare ideologische
Profil. So hat es die Partei nur
einmal, 2007, geschafft, die 10
Prozentmarke zu überschreiten. Es
fehle Pacolli an Beratern, die die
Verhältnisse in Kosovo wirklich
kennten, glaubt Iseni.
Mit dem grossen scharzen SUV
fahren wir in ein nahes Restaurant
zum Mittagessen. Parlamentspräsident Kadri Veseli kommt an den
Tisch und Pacolli entschuldigt sich
kurz. Kaum ist er zurück, betritt
Minister Enver Hoxhaj das Lokal
und Pacolli setzt sich zu ihm.
Zugleich gibt er zwei Beratern
Anweisungen, unterschreibt ein
Dokument und telefoniert – der
Dealmaker ist in seinem Element.
Pacolli hat eine Theorie über das
Geheimnis seines Erfolgs. Zentral
sei das Gespür für den richtigen
Zeitpunkt: «Die Idee ist stark,
wenn die Zeit reif ist.» Reicht seine
Macht, um den grossen Deal zu
machen, der jetzt ansteht? Den
Vertrag mit Serbien, das Kosovos
Unabhängigkeit nicht juristisch,
aber doch faktisch anerkennt?
Serbien braucht diesen Deal, um
sich in die EU zu integrieren.
Kosovo braucht ihn, um seine
Staatlichkeit zu stärken. Belgrad ist
bereit. Doch Pacollis Koalitionspartner verzetteln sich in Prestigeund Grabenkämpfen. Und
Vetëvendosje macht stur auf Fundamentalopposition. Sehnt Beghjet
Pacolli sich vielleicht schon zurück
nach dem CEO-Sessel in Lugano?
Andreas Ernst ist NZZ-Korrespondent in Belgrad.
Fotos: Maria Sturm, Berlin.