Ulrich Bröckling
Projektwelten
Anatomie einer Vergesellschaftungsform
„Projekt“ kann vieles meinen. Selbst das Deutsche Institut für Normung e.V., von
Amts wegen zuständig für präzise Festlegungen, bleibt in diesem Fall recht vage: Die
DIN-Norm 69901 definiert Projekt als „Vorhaben, das im wesentlichen durch Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, wie z.B. Zielvorgabe, zeitliche, personelle oder andere Begrenzungen, Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben und eine projektspezifische Organisation“ (zit. n. Steinbuch 1998, S.
24). In der Alltagssprache verschwimmen die Konturen noch weiter: Hier bezeichnet der Begriff neben dem Vorhaben auch die Menschen, die es verfolgen, den Entwurf ebenso wie die Schritte zu seiner Umsetzung, einen Modus sozialer Kooperation, aber auch eine individuelle Zielmarke. Zum Projekt gehört die Bestimmung der
Mittel und Wege, die es zu einem erfolgreichen Abschluss führen sollen. Projekte
sind aber auch unhintergehbar behaftet mit der Möglichkeit ihres Scheiterns. Sie
sind situiert in einer Mittellage zwischen singulärer Aufgabe und dauerhafter Beschäftigung, punktueller Zusammenarbeit und komplexer Organisation, Idee und
Verwirklichung und befinden sich stets in statu nascendi: Sie drängen auf Realisierung, aber sie bleiben nur so lange Projekte, wie sie noch nicht realisiert sind.
Es sind nicht zuletzt diese Unschärfen, die es erlauben, nahezu alles in den Status
eines Projekts zu erheben – von der Liebesbeziehung bis zum Feldzug, von der Forschungsarbeit bis zur Ferienfreizeit, von der Inszenierung eines Theaterstücks bis
zum Bau eines Kraftwerks und zu den Aktivitäten der Bürgerinitiative, die eben dies
verhindern will. Projekte, wohin man schaut, auch in den Höhenlagen zeitgenössischen Denkens: Folgt man dem postmodernen Medienphilosophen Vilém Flusser
(1994), der wiederum den Spuren Heideggers folgt, so mutiert der Mensch, der seine Geworfenheit in die Welt umkehrt und sich selbst „ent-wirft“, „vom Subjekt zum
Projekt“ und wird auf diese Weise erst wahrhaft Mensch. Jürgen Habermas (1981)
wiederum attackiert die Postmodernen gerade dafür, das unvollendete Projekt der
Moderne verabschieden zu wollen. Niklas Luhmann hingegen bleibt in Sachen Projekt widersprüchlich: „Gesellschaftstheorie ist nun beim besten Willen kein Projekt“, stellte er 1990 (S. 339) etwas entnervt fest, um einige Jahre später eben diese
nicht ohne Ironie als sein eigenes zu bestimmen: „Bei meiner Aufnahme in die 1969
Projektwelten
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gegründete Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld fand ich mich konfrontiert mit der Aufforderung, Forschungsprojekte zu benennen, an denen ich arbeite.
Mein Projekt lautete damals und seitdem: Theorie der Gesellschaft“ (Luhmann
1990, S. 339; 1997, S. 11, vgl. Lehmann 2004, S. 59).
Der Wissenschaftsbetrieb liefert für das Studium der Projektwelten überhaupt
reichlich Anschauungsmaterial: Die Notwendigkeit, seine Forschungen als Projekt
auszuweisen und immer neue Projekte zu akquirieren, treibt eigene Semantiken, Sozialcharaktere und Ereignistypen hervor, die einer sozialwissenschaftlichen Beschreibung noch harren (Achtung: lohnendes Projekt!): Forschungsprojekte zeitigen hochartifizielle Textgattungen wie die „Antragsprosa“, die Kunst, gleich welche Fragestellungen auf die Passform eines DFG-Merkblatts zuzuschneiden und dabei zunächst
jene Lücken zu konstruieren, die man dann zu schließen verspricht. Sie produzieren
seltsame Gestalten wie die „Drittmittelopas“ und „-omas“, jene in Graduiertenkollegs, Sonderforschungsbereichen und Nachwuchsgruppen erprobten, sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangelnden Forschungsveteranen, ohne deren Routinen kaum
ein Projekt eine Begutachtung überstehen und einen Abschlussbericht fertig bekommen würde, auf deren prekäre Existenz aber die universitäre Planstellenaristokratie
mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung herabschaut („zur Habilitation
oder zur Berufung hat’s offensichtlich nicht gereicht...“). Forschungsprojekte tragen
schließlich die Hauptverantwortung für das grassierende akademische Tagungs(un)wesen. Weil die Budgets dafür Mittel vorsehen, weil man für den nächsten
Verlängerungsantrag auch Aktivitäten nachweisen muss und nicht zuletzt weil wissenschaftliche Communities schon um des Networking willen geradezu süchtig
nach Vergemeinschaftungsgelegenheiten sind, tourt das wissenschaftliche Personal
von Konferenz zu Workshop und Symposium und produziert dabei vor allem eines:
Redundanz. Diese wird anschließend in den Tagungsbänden eingesargt, die so
manchem Wissenschaftsverlag das Überleben sichern. Mit effizienter Forschungskommunikation, geschweige denn Erkenntnis, hat das wenig zu tun, umso mehr
aber mit den Präsentationszwängen projektförmig organisierter Wissenschaft.
Wenn fast alles zum Projekt werden kann, so doch nicht alles zugleich. Die Festlegung auf ein Projekt schließt viele andere aus, und wo verschiedene parallel laufen,
müssen sie als voneinander Unterschiedene kenntlich bleiben. Projekte zeichnen
sich über ihre Begrenzungen aus, insbesondere hinsichtlich ihrer Dauer. Sie konstituieren „zeitlimitierte Ordnungen“ (Luhmann 1990, S. 338), haben einen Anfang
und ein Ende und strukturieren individuelles Handeln wie soziale Prozesse als Abfolge in sich geschlossener Einheiten. Dazu sind sie angewiesen auf nicht projektförmige Instanzen, die ex ante die Aussichten eines Projekts und ex post seinen Erfolg
oder Misserfolg bewerten und die den Übergang von einem Projekt zum nächsten
regeln, kurz: die Kontinuität in der Diskontinuität gewährleisten. Projekte sind daher stets eingebettet in andere Ordnungen: So bleibt bei Umstellung auf Projektorganisation im Betrieb die rechtliche und ökonomische Form des Unternehmens
unangetastet; so findet Projektunterricht im Rahmen der Institution Schule statt
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und orientiert sich an einem Curriculum; und selbst das Mantra „Ich bin meine Projekte“, das Management-Guru Tom Peters (1999, S. 58) den Leserinnen und Lesern
seines Ratgebers „Machen Sie aus sich die ICH AG“ nicht müde wird vorzubeten,
kommt ohne die einheitstiftende Instanz des Ich nicht aus.
Der Name, den man einer Sache gibt, lässt diese nicht unberührt. Etwas als Projekt zu deklarieren, heißt, ihm den Charakter eines Entwurfs oder Vorhabens zuzusprechen und in der Folge so auf es einzuwirken, dass es den Kriterien der Projektförmigkeit entspricht. Dazu muss nicht zuletzt all das aussortiert werden, „was nicht
(oder nur mit Kunstgriffen) zwischen Anfang und Ende eingerichtet werden kann“
(Luhmann 1990, S. 338). „Projekt“ ist eine spezifische Form, die Wirklichkeit zu organisieren – ein Rationalitätsschema, ein Bündel von Technologien, schließlich ein
Modus des Verhältnisses zu sich selbst. Die Tatsache, dass die Rede von Projekten
ubiquitär geworden ist, gibt Aufschluss darüber, wie Menschen heute ihr Handeln
und ihre Beziehungen zu sich wie zu anderen Menschen verstehen und organisieren.
„Projekt“ erweist sich damit als ein Basiselement zeitgenössischer Gouvernementalität, Regieren als Projektmanagement im doppelten Sinn: governing projects und governing by projects zugleich.
Vom Projektemacher zum Alternativprojekt
Auch wenn längst nicht mehr nur wirtschaftliche Unternehmungen als Projekte firmieren, ist in der historischen Semantik des Begriffs der Bezug zur Ökonomie unübersehbar (Stanitzek 1987; Krajewski 2004). Spätestens seit Daniel Defoes „Essay
upon Projects“ von 1697 gilt der Projektemacher als Inbegriff des Abenteuerkapitalisten – und entsprechend als eine moralisch höchst zweifelhafte Gestalt.
„Ein bloßer Projektenmacher ist demnach etwas Verächtliches“, schreibt Defoe. „Durch seine
verzweifelte Vermögenslage so in die Enge getrieben, daß er nur durch ein Wunder befreit werden oder umkommen muß, zermartert er sein Gehirn nach solch einem Wunder vergebens und
findet kein anderes Rettungsmittel als, indem er, einem Puppenspieler gleich, der Puppen hochtrabende Worte reden läßt, dieses oder jenes Nichts als etwas noch nie Dagewesenes hinstellt
und als neue Erfindung ausposaunt, sich ein Patent darauf verschafft, es in Aktien theilt und
diese verkauft. An Mitteln und Wegen, die neue Idee zu ungeheurer Größe anzuschwellen, fehlt
es ihm nicht; Tausende und Hunderttausende sind das Geringste, wovon er spricht; manchmal
sind es sogar Millionen, bis schließlich der Ehrgeiz eines ehrlichen Dummkopfs sich dazu verlocken läßt, sein Geld dafür hinzugeben. Und dann – nascitur ridiculus mus! Dem armen Wagehals bleibt’s überlassen, das Projekt fortzuführen, und der Projektenmacher lacht sich ins
Fäustchen“ (Defoe 1697/1975, S. 21).
Die Masse der Betrüger und Hochstapler dürfe allerdings, so der Autor des „Robinson Crusoe“ – selbst ein umtriebiger, aber wenig erfolgreicher Projektemacher – weiter, nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch rechtschaffene Exemplare dieser
Spezies gibt:
Projektwelten
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„Ein ehrenhafter Projektenmacher [...] ist der, welcher seine Idee nach klaren und deutlichen
Grundsätzen des gesunden Menschenverstandes und der Ehrlichkeit in angemessener Weise ins
Werk setzt, darthut, worauf er hinaus will, nicht Griffe in fremde Taschen macht, selbst sein
Projekt ausführt und sich mit dem wirklichen Erzeugniß als Gewinn von seiner Erfindung
begnügt“ (ebd., S. 22).
Als „eine Frühform des Entrepreneurs“ (Klopotek 2004, S. 218) vereint Defoes Projektemacher Züge des Erfinders, des Schumpeterschen Innovators, des Spekulanten
und des Management Consultant. Er verkauft Ideen, nicht fertige Produkte, bietet
seine mehr oder minder windigen Vorhaben einem Regenten oder privaten Investoren feil und „sucht seinen Vorteil darin, anderen einen Vorteil anzudienen“ (Stanitzek 1987, S. 136). Man findet ihn vor allem in Krisen- und Übergangszeiten, sein
Auftreten ist gekoppelt „an politische und ökonomische Erschütterungsmomente“;
„er ist das prototypische Symptom einer zunächst herannahenden new economy,
dann ihr Sachwalter ebenso wir ihr symbolträchtiges Aushängeschild und schließlich
auch ihr Verweser“ (Krajewski 2004, S. 19 f.). Wenn der einzelne Projektemacher
auch Gefahr läuft, wirtschaftlich Schiffbruch zu erleiden – Defoe (1697/1975, S.
15) definiert Projekt geradezu als „ein großartiges Unternehmen, das zu breit angelegt ist, als daß aus ihm etwas werden könnte“ –, so ist die Projektemacherei als ganze
doch von großem gesellschaftlichen Nutzen: Sie „befeuert die Risikofreude und Innovationsbereitschaft, verbindet Erfindung und Geschäft immer neu und immer
besser miteinander und fungiert so als Motor der Kapitalakkumulation“ (Klopotek
2004, S. 219).
Zeichnet Defoe den Projektemacher noch als einen klar konturierten Akteurstypus, dessen Modell der Autor selbst abgibt, so generalisiert Johann Heinrich Gottlob
von Justi gut sechzig Jahre später das Projektemachen zum Anthropologicum: „Alle
Menschen sind Projectmacher“, beginnt der ebenfalls zeit Lebens in zahllose Unternehmungen involvierte Policeywissenschaftler seine 1761 veröffentlichten „Gedanken von Projecten und Projectmachern“, um dann zu erläutern:
„Meines Erachtens versteht man unter einem Project, einen ausführlichen Entwurf eines gewissen Unternehmens, wodurch unsere eigene oder anderer Menschen zeitliche Glückseligkeit befördert werden soll; zu welchem Ende alle zu ergreifende Mittel und Maaßregeln, benebst den
zu befürchtenden Schwierigkeiten und Hindernissen und die Art und Weise dieselben aus dem
Wege zu räumen, in einem solchen Entwurfe deutlich vorgestellet werden“ (Justi 1761/ 1970,
S. 256 f.).
Menschen müssen, so der Ausgangspunkt seiner Überlegungen, sich um ihr Wohlergehen selbst kümmern und müssen deshalb Pläne schmieden, sich Ziele setzen und
Strategien entwickeln, wie sie diese erreichen können, mit anderen Worten: Sie müssen ihr eigenes Leben als Projekt führen.
Justi entwirft nicht weniger als das Konzept einer Life-Entrepreneurship, wie es
zwei Jahrhunderte später gleichermaßen in den nobelpreiswürdigen Höhen der
Humankapital-Theorie wie auch in den Niederungen populärer Erfolgsratgeber wie-
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Ulrich Bröckling
derkehren sollte. Im Unterschied zum unternehmerischen Selbst der Gegenwart,
dem vor allem die Fähigkeit abverlangt wird, sich flexibel in immer neuen Projekten
zu engagieren, setzt der Policeywissenschaftler allerdings noch auf langfristige
Lebensplanung:
„Besonders ist es nöthig, daß wir über die Lebensart, oder Handthierung, die wir erwählen wollen, gleich Anfangs ein ausführlich Project machen. In demselben müssen wir zuförderst unsere
Geschicklichkeiten oder bereits besitzendes Vermögen, die allemal der Grund und Anfang unsers Erwerbes und unserer grössern zeitlichen Glückseligkeit seyn müssen, in einen genauen
und richtigen Anschlag bringen, wobey wir die schmeichlerische Einbildung unserer Eigenliebe so viel möglich im Zaume zu halten haben, daß sie sich der Feder bey Entwerfung dieses Anschlages nicht bemächtiget. Aus diesem Anschlage muß nun der Endzweck und das Vorhaben
unserer künftigen Lebensart, welches zu erreichen wir uns gegründete Hoffnungen machen
können, festgesetzet werden“ (ebd., S. 258 f.).
War es Defoe darum zu tun, den Nutzen des Projektemachens (und nicht zuletzt der
eigenen Projekte) gegen Scharlatane zu verteidigen, so klingt in Justis Apologie das
Anrüchige des Gewerbes zwar noch nach, seine Überlegungen zielen jedoch darüber
hinaus ins Grundsätzliche. Nicht der Hochstapelei und dem Investitionsschwindel
einiger „Avanturiers“, sondern der Sprunghaftigkeit und Unüberlegtheit aller gilt
sein Einsatz. Für den Policeywissenschaftler ist das Projektemachen vor allem eine
Frage von Planungskompetenz und -kontinuität, und beides lassen, so Justi, die
meisten seiner Zeitgenossen vermissen:
„Allein die wenigsten Menschen machen ein solches wohl überlegtes Project ihres Lebens: und
die wenigen, so es etwas machen, erschrecken sogleich von den Schwierigkeiten, die sie auf ihrem Wege vorfinden, daß sie die betretene Bahn sofort verlaßen, und einen andern Weg
erwählen“ (ebd., S. 260).
Der Planungsappell (und der Planbarkeitsoptimismus) richtet sich freilich nicht nur
an die „Privatpersonen“, sondern auch auf die „Regierung der Staaten“. Justi parallelisiert die Selbstführung des Einzelnen mit der Lenkung des Gemeinwesens, die Vorstellung des Lebens-Unternehmers mit der des Staates als Unternehmen. Wie die Beförderung der individuellen „Glückseligkeit“, so verlangt auch die öffentliche Wohlfahrt gründlichste Überlegungen, und in „diesem Verstande sollte nicht allein der
Regent, sondern auch vornehmlich die obersten Staatsbedienten Projectmacher
seyn“ (ebd., S. 261). Das Anforderungsprofil, das Justi für diese aufstellt, spiegelt
das Selbstbild des Policeywissenschaftlers und seinen Anspruch, ein abgesichertes
Regierungswissen zu formulieren: Wer „ein nützlich Project zur Beförderung der
wahren Wohlfahrt des Staates verfertigen will“, sollte demnach „vorzügliche Eigenschaften und Fähigkeiten besitzen“: So muss er erstens „die guten Regierungsgrundsätze“, d.h. die policeywissenschaftlichen Lehren, „auf das vollkommenste innen haben“. Zweitens benötigt er praktische Erfahrungen „in den Regierungsangelegenheiten, und den dazu gehörigen Geschäften sowohl, als in den Welthändeln“ und muss
drittens über das Land, für das er seine Projekt entwirft, und „dessen Zustand und
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Beschaffenheit sowohl, als von den Gerechtsamen und Gesinnungen des Volkes eine
Kenntniß besitzen“. Wissen und Erfahrung reichen indes nicht aus, „um dienliche
Vorschläge ausfündig zu machen“; hinzukommen müssen vielmehr persönliche
Talente wie „gute Vernunft und Vorstellungskraft“ sowie eine ausgeprägte „Einbildungs- und daraus entstehende Erfindungskraft“ (ebd., S. 263 f.).
Neben diesem Tugendkatalog führt Justi zwei weitere Sicherheitsmechanismen
an, die ernsthafte Projektmacher von unseriösen „Staatsabentheurern“ zu unterscheiden erlauben und auf diese Weise wirtschaftlichen wie politischen Schaden abwenden sollen: das Prinzip der Schriftlichkeit – „wenn der Herr Projectmacher kein
schwärmender Narr ist, der in das Tollhaus gehöret; so muß er von seinem Projecte
wenigstens so viel schriftlich äußern können, daß man den Endzweck und den Nutzen einsehen kann“ – und das der personellen Einheit von Idee und Ausführung –
„derjenige, so eine Sache erfunden und so vielfältig darüber nachgesonnen hat, ist
am besten im Stande, Mittel und Maaßregeln, wider die sich ereignenden Schwierigkeiten an die Hand zu geben; und sein eigener Nutzen, welcher dabey vorwaltet,
wird ihn auch ungleich mehr als andere zum Fleiß und Eifer bewegen“ (ebd., S.
271 f.). Hier scheinen bereits Funktionsmechanismen auf, die Projektarbeit und -organisation bis heute kennzeichnen: Projekte brauchen zum einen Projektanträge
und -präsentationen; die Entwürfe müssen ausformuliert werden, um ihre Realitätstauglichkeit beurteilen zu können. Zum anderen ersetzen Projekte das Prinzip der
arbeitsteiligen Spezialisierung durch temporäre Teamkooperation. Projektarbeiter
sind Spezialisten für ein bestimmtes Projekt im Gegensatz zu anderen, innerhalb
ihres Projekts dagegen sind sie – zumindest bis zu einem gewissen Grade – Generalisten.
So selbstverständlich das Arbeiten in Projekten heute geworden ist, die Herren
Projektemacher sind von der Bildfläche verschwunden. Schon im 19. Jahrhundert
war an ihre Stelle eine andere Leitfigur getreten, die „für die Verschränkung von
Fortschrittsarbeit mit wissenschaftlicher Methodik, ökonomischen Interessen und
technologischer Entwicklung“ einstand: der Ingenieur (Krajewski 2004, S. 20). Mit
der Krise dieses Leitbilds um 1900 tauchte die Gestalt des Projektemachers zwar
kurzfristig wieder auf, und man mag auch den Startup-Unternehmer der new economy als einen späten Nachfahren betrachten, der Begriff „Projekt“ hat allerdings inzwischen eine andere Färbung erhalten. Im Vordergrund steht, was bereits bei Justi
anklang, der Aspekt einer zeitlich befristeten, von einem Individuum oder einer
überschaubaren Gruppe selbstverantwortlich zu bewältigenden Aufgabe. Projekte
stehen quer zu institutionellen Hierarchien und zeichnen sich aus durch hohe Kommunikationsdichte sowie ganzheitliche, d.h. den Einklang von Arbeit und Leben,
von wirtschaftlichem Erfolg und persönlicher Entwicklung verheißende Rollenangebote.
Es war die Alternativbewegung der siebziger Jahre, die diese semantische Verschiebung einleitete. Sich in Projekten zu organisieren, bedeutete für die Alternativen ein Abrücken von den etablierten Institutionen der Gesellschaft und praktische
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Ulrich Bröckling
Kritik der kapitalistischen „Megamaschine“. Die zahllosen Wohn-, Arbeits-, Kulturund Sozialprojekte verstanden sich als Gegenentwürfe zu Fabrik, Kleinfamilie oder
Universität und reagierten nicht zuletzt auf das Scheitern anderer Politikkonzepte
(„Marsch durch die Institutionen“, „bewaffneter Widerstand“, parteikommunistische Kaderorganisationen) nach dem Aufbruch von 1968. In einer Zwischenbilanz
aus dem Jahre 1978 heißt es:
„Mit dem Aufbau alternativer Projektmodelle (Buchläden, Druckereien, Werkstätten, Landkommunen etc.), der Organisierung des eigenen Lebenszusammenhangs, der Entfaltung eines
Systems von Gegenökonomie, letztendlich der ’Politik in erster Person’, stellen sich für sie die
Probleme von Widerstand, Kampf und Antizipation nicht länger mehr unter den jeweiligen Bedingungen der Klassengesellschaft, sondern vornehmlich im Medium subjektiver Erfahrung
und konkreter Alltagspraxis. Anstelle eines gezielten Angriffs auf die Strukturen des kapitalistischen Systems tritt nun mit dem Aufbau eines alternativen ökonomischen Systems die Entfaltung der Subjekte, die schon heute qualitativ anders möglich sein soll, in den Mittelpunkt der
Auseinandersetzungen. Erfolgskriterium ist nicht mehr die soziale Wirksamkeit eines Klassenkampfkonzeptes, sondern der Entwicklungsgrad positiver Lebensentwürfe und der darin
eingeschriebenen Möglichkeiten zur Selbstbefreiung“ (Kraushaar 1978, S. 12 f.).
Der Sammelbegriff Projekt betonte das experimentelle Moment der kommunitären
und genossenschaftlichen Gründungen, wobei es sich anders als bei den Unternehmungen von Defoes oder Justis Projektemachern nicht um technische, sondern um
soziale Experimente handelte, die zudem ohne die ordnende Hand eines Souveräns
oder policeywissenschaftlichen Sozialingenieurs auskamen, sondern als kollektive
Selbstversuche funktionierten. Die Alternativprojekte verstanden sich als Labors in
Sachen Selbstorganisation, was basisdemokratische, konsensorientierte Entscheidungsverfahren ebenso einschloss wie einheitliche Entlohnung, Kollektiveigentum
an den Produktionsmitteln und das Aufweichen der Trennungen zwischen Handund Kopfarbeit, Erwerbstätigkeit und Freizeit, Privatem und Politischem. Experimentierfelder waren sie nicht zuletzt in Sachen Selbstmotivierung. Weil Geld, Prestige und Befehlsgewalt als Antriebskräfte ausfielen bzw. abgelehnt wurden und kein
Vorgesetzter die Arbeitsdisziplin überwachte, mussten intrinsische Anreize an ihre
Stelle treten. Das gemeinsame Ziel, im und durch das Projekt sowohl die Gesellschaft wie sich selbst zu ändern, die Identifikation mit der Gruppe und der alternativen Gegenkultur und vor allem das Fehlen formaler Subordinationsverhältnisse sollten, so das Credo der Protagonisten, jene Mischung aus Enthusiasmus und Realitätssinn freisetzen können, auf welche die Projekte angewiesen waren. Alle müssen lernen, beschrieben zwei Mitglieder einer Landkommune die paradoxe Aufgabe,
„Motivation zur Arbeit bei sich und anderen so zu schaffen, daß jeder Verantwortung übernimmt, ohne sich von den anderen verantwortlich gemacht zu fühlen“
(Leineweber/Schibel 1978, S. 100).
Gemessen an ihren sozialrevolutionären Hoffnungen und Aussteigerutopien
sind die Alternativprojekte zweifellos gescheitert, ihre Manifeste klingen für heutige
Ohren antiquierter als Justis Traktat. Aus dem zeitlichen Abstand von einem Viertel-
Projektwelten
371
jahrhundert wird jedoch auch deutlich, dass sie in anderer Hinsicht ihrer Zeit durchaus voraus waren. Indem die alternative Kunst der Selbstregierung eine Balance zwischen individuellen Bedürfnissen, politischen Zielen und ökonomischen Notwendigkeiten postulierte und reichlich Gelegenheit bot, diese Balance stets von Neuem
auszutarieren, antizipierte sie die Autonomisierungs-, Responsibilisierungs- und
Nachhaltigkeitsprogramme, die spätestens seit den 1990er Jahren in alle Poren der
Gesellschaft vorgedrungen sind. Die erklärtermaßen antikapitalistischen Sozialexperimente erwiesen sich wider Willen als Schulen unternehmerischer Tugenden.
Was in den endlosen Selbstverständigungsdebatten, den Versuchen mit rotierender Aufgabenverteilung und beim Dauerlavieren hart an der Konkursgrenze gelernt
werden konnte, stellt alle Existenzgründerseminare in den Schatten. Angesichts der
prekären, von Unterkapitalisierung und Selbstausbeutung geprägten ökonomischen
Situation hatten die alternativen Projekte nur die Wahl, sich zu professionalisieren,
sich auf eine marginale Nischenexistenz zurückzuziehen oder aufzugeben. Nicht wenige selbstverwaltete Betriebe mauserten sich in der Folge zu innovativen Unternehmen, und dieser Schritt gelang ihnen umso leichter, je mehr sie die Gemeinschaftsenergien, Kommunikationskompetenzen und Self-Commitment-Strategien ihrer
Projektvergangenheit nutzbar machen konnten. Joseph Huber, einer der Theoretiker der Alternativökonomie, brachte das Kunststück fertig, noch diese Anpassungsleistung mit dem politischen Anspruch auf Widerständigkeit zu versöhnen. Was er
1980 den Projekten ins Stammbuch schrieb, nahm den neoliberalen Imperativ
verallgemeinerter Intrapreneurship vorweg:
„Selbstverwaltung heißt u.a. auch Aufhebung des Widerspruchs von Unternehmer (Kapital)
und Belegschaft (Arbeit). Ein selbstverwaltetes Kollektiv, dessen Mitglieder bloß ein Lohnarbeitsverhältnis haben, ist zum Scheitern verurteilt. Alle müssen, in kollektiver Weise zwar, aber
eben doch auch unternehmerisch denken und handeln lernen. Unter vielem anderem bedeutet
dies auch, daß Prinzipien eines kollektiven Managements bejaht werden, was eben mit förmlichen Regelungen zusammenhängt. [...] Jede Stelle im Betrieb ist gewissermaßen eine eigene
und eigenverantwortliche Plan-, Kosten- und Kalkulationsstelle im Gesamtrahmen des Betriebs“ (Huber 1980, S. 127 f.).
Die alternative Aufhebung des Kapitalismus mündete in die Forderung, jeder einzelne und die Projektgruppen als Ganze müssten sich als Kapitalisten in eigener Sache
verhalten. Wie bei Max Webers protestantischen Sekten verblassten die alternativen
Ideale und Ideologien, während das alternative Arbeitsethos und die daraus abgeleiteten Organisationsmodelle fortwirkten und einen „neuen Geist des Kapitalismus“
hervortrieben.
Die „projektbasierte Polis“ und „der neue Geist des Kapitalismus“
Luc Boltanski und Ève Chiapello (2003) haben in ihrer Studie über eben diesen
„neuen Geist“ all dem eine Schlüsselstellung zugewiesen, was sie „die projektbasierte
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Ulrich Bröckling
Polis“ nennen. Deren Architektur lässt erkennen, in welchem Maße die Menschen
heute sich selbst, ihre sozialen Beziehungen und die Welt, in der sie leben, im Modus
des Projektemachens begreifen. Der Kapitalismus benötigt, so Boltanskis und Chiapellos These, in all seinen historischen Ausprägungen starke Ideologien, die das Engagement für ihn rechtfertigen und die Kritik an ihm neutralisieren. Diese Legitimationsmuster beziehen sich auf allgemeine Vorstellungen von Gerechtigkeit und Allgemeinwohl und definieren Wertigkeitsordnungen sowie übergeordnete Äquivalenzprinzipien, auf deren Grundlage Handlungen, Gegenstände und Personen beurteilt werden können. Mit dem Begriff „Polis“ bezeichnen die beiden diese sich wandelnden Rechtfertigungsordnungen, die sich aus Ressourcen speisen, die der Kapitalismus selbst nicht erzeugen kann: „aus den Glaubenssätzen, die zu einem gegebenen
Zeitpunkt eine hohe Überzeugungskraft besitzen, und aus den prägenden, ja sogar
aus kapitalismuskritischen Ideologien, die Teil seines kulturellen Kontextes sind“
(ebd., S. 58 f.).
Während in der „marktwirtschaftlichen Polis“ derjenige als „groß“ gilt, der auf
einem Wettbewerbsmarkt begehrte Güter anbietet und sich als Kaufmann bewährt,
und in der „industriellen Polis“ die Wertigkeit der Menschen auf ihrer Effizienz
gründet, fungiert in der „projektbasierten Polis“, deren Konturen Boltanski und
Chiapello aus einem Vergleich der Managementliteratur der 1960er und 1990er Jahre erschließen, die Aktivität als generelles Äquivalenzmaß.1 Im Gegensatz zur industriellen Polis, in der Aktivität gleichbedeutend mit Erwerbsarbeit war, bezieht sie
sich in der projektbasierten Polis auf ein Portfolio von Tätigkeiten, das die Differenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Erwerbstätigkeit, Hausarbeit und ehrenamtlichem Engagement verschwimmen lässt. Aktiv zu sein, bedeutet demnach,
„Projekte ins Leben zu rufen oder sich den von anderen initiierten Projekten anzuschließen.“ Um welche Art von Unternehmungen es sich dabei im Einzelnen handelt, ist zweitrangig, entscheidend ist die Tatsache, „niemals um ein Projekt oder
eine Idee verlegen zu sein, unablässig Pläne zu schmieden, gemeinsam mit anderen
an einem Projekt zu sitzen“ (Boltanski/Chiapello 2003, S. 156). Je höher der Aktivitätspegel und je zahlreicher die Projekte, in die man eingebunden ist, desto höher die
Stellung in der gesellschaftlichen Rangordnung. Bildet das einzelne Projekt die Basiseinheit der nach ihm benannten Polis, so ergeben die wechselnden Projektkonfigurationen insgesamt ein sich fortwährend neu konstellierendes und erweiterndes
Netzwerk. In einem Netz gibt es keine über- und untergeordneten Positionen, son1
Neben diesen unterscheiden Boltanski und Chiapello noch vier weitere Poleis: die erleuchtete Polis, in der sich Größe nach dem Grad der Inspiriertheit misst und der erleuchtete
Heilige oder der kreative Künstler als Modell dienen; die familienweltliche Polis, in der die
Wertigkeit von der Position in einer Kette persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse abhängt; die Reputationspolis, in der sie von der Zahl der Menschen abhängt, die ihnen
Glauben und Wertschätzung entgegenbringen; und die bürgerweltliche Polis, wo derjenige
als „groß“ gilt, der den Allgemeinwillen zum Ausdruck bringt (ebd., S. 63). Ausführlich
entwickelt wird das Polis-Konzept in Boltanski/Thévenot (1991).
Projektwelten
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dern lediglich Knotenpunkte mit unterschiedlich vielen Verbindungen. Deren Zahl
und Qualität zu steigern, ist daher die wichtigste Aufgabe, Networking die „Außenpolitik“ der Projektarbeit.
Grundlegend anders als die der industriellen ist auch die Zeitstruktur der projektbasierten Polis. An die Stelle eines auf biografischer Kontinuität beruhenden
Karrieremodells treten hier die diskontinuierlichen Rhythmen von Projektplanung,
-durchführung, -abschluss und der Suche nach dem Anschlussprojekt. Um eine Formulierung von Gilles Deleuze (1993, S. 256 f.) zu variieren: In der industriellen Polis wurde man nie mit etwas fertig, in der projektbasierten hört man nicht auf anzufangen. Das Leben erscheint als eine Abfolge befristeter Engagements. Der Freiwilligkeit des Einsatzes für dieses oder jenes Projekt steht die Notwendigkeit entgegen,
immer neue Projekte finden zu müssen und auf keinen Fall ohne eines dastehen zu
dürfen, weil das einen Mangel an Aktivität anzeigen und längerfristig den sozialen
Tod bedeuten würde.
Der „Wertigkeitsträger der projektbasierten Polis“ und damit zugleich das dominante gesellschaftliche Leitbild ist ein Balancekünstler und Virtuose der Flexibilität.
Boltanski und Chiapello destillieren aus den Verhaltensregeln der Managementratgeber einen Tugendkatalog, der gegensätzliche Schlüsselqualifikationen vereint: Gefordert sind Enthusiasmus und rückhaltloser Einsatz bis zum Limit, zugleich aber
die Fähigkeit, seine Begeisterung umzupolen und auf immer neue Objekte zu richten. Nichts darf die Mobilität dieses Nomaden einschränken, der sich zwar überall
zuhause fühlt, aber auch lokal-verbindlich auftreten kann (Boltanski/Chiapello
2003, S. 169). In Leitungsfunktionen tritt er nicht als Vorgesetzter auf, sondern als
„Impulsgeber, Lebens-, Sinn- und Autonomiestifter, jemand, der anderen die Arbeit
erleichtert und die Energien bündelt“ (ebd., S. 158 ff.). Der ideale Projektleiter ist
Coach, Vermittler, Intuitivmanager und Experte zugleich. Dazu bedarf er vor allem
kommunikativer Kompetenzen: Projektleiterqualitäten besitzt und damit hohe Wertigkeit genießt, wer anderen Vertrauen einflößen und entgegenbringen, wer begeistern und sich begeistern lassen kann, wer Gegensätze ausgleicht und unterschiedliche Menschen zusammenbringt, schließlich wer ergiebige von unergiebigen Informationsquellen zu unterscheiden vermag, seine Umgebung unentwegt nach innovativen Signalen abtastet. Sozial- und Informationskapital korrelieren: Nur wer viele
Kontakte hat und stets bemüht ist, neue zu schließen, kann auch das erforderliche,
d.h. permanent zu aktualisierende Wissen akkumulieren – und umgekehrt.
Gemeinsam ist den role models der projektbasierten Polis, dass sie die Menschen
dazu anhalten, „Verbindungen aufzubauen, die größtmögliche Opportunitäten in
sich bergen, das Netz am effizientesten ausdehnen und sich im Wesentlichen durch
die überbrückte Distanz definieren lassen“ (ebd., S. 163). Dem korrespondieren als
Negativbestimmungen Verschlossenheit, Intoleranz, autoritäres Auftreten, mangelnde Initiative und vor allem Immobilität, kurzum alles, was die Kontaktmöglichkeiten beschneidet. Als inkompetent gilt, „wer sich nicht engagieren kann, wer in einem Projekt nicht einsetzbar oder zu einem Projekt-Wechsel unfähig ist“ (ebd.,
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Ulrich Bröckling
S. 166). Das Leben im Rhythmus der Projektzyklen verlangt und befördert einen
Persönlichkeitstypus, der sich unabhängig macht von langfristigen Bindungen an
andere. Einzig in sich selbst – „der einzigen Instanz, die in einer komplexen, unsicheren und veränderbaren Welt über eine gewisse Dauerhaftigkeit verfügt“ – kann
der ungebundene Mensch noch Wurzeln schlagen.
„Allerdings ist ihm die Selbstbezüglichkeit, die er sich zugesteht, weder als etwas Präexistierendes mitgegeben noch ist sie eine Folge eines Lebenswegs oder einer Lebenserfahrung. Sie ergibt
sich vielmehr aus der Konstellation der hergestellten Verbindungen. Jeder ist nur deswegen er
selbst, weil er das Beziehungsgeflecht bündelt, das ihn darstellt“ (ebd., S. 172).
Obwohl sie die projektbasierte Polis als zeitgenössische Rechtfertigungsordnung des
Kapitalismus analysieren, zeigen sich Boltanski und Chiapello skeptisch gegenüber
Interpretationen, welche die gegenwärtigen gesellschaftlichen Transformationen
ausschließlich als Expansion marktwirtschaftlicher Mechanismen beschreiben. Projekte und ihre Verknüpfung zu Netzwerken sollen zwar jene Form sozialer Kooperation darstellen, die heute am ehesten geeignet ist, das Bestehen auf den Märkten zu
gewährleisten, in einigen Punkten widerspricht die Projektwelt aber auch dem Idealbild einer reinen Wettbewerbsordnung. So erfolgt der Theorie nach die marktwirtschaftliche Transaktion punktuell und berücksichtigt den Aspekt der Zeit nicht weiter, während Projektorganisation auf, wenn auch begrenzter Zeitbindung beruht.
Die klassische ökonomische Lehre unterstellt dem Markt ferner Transparenz bei der
Preisbildung, die Regulierung erfolgt, so die axiomatische Unterstellung, durch das
Prinzip allgemeiner Äquivalenz. Projekte sind dagegen immer lokaler Natur. Drittens spielen persönliche Bindungen in Marktbeziehungen idealiter keine Rolle, während Projektorganisation gerade die Kohäsionskräfte von Primärgruppenbeziehungen nutzbar zu machen verspricht. Weil schließlich viertens in der projektbasierten
Polis Informationen und Kontakte das wichtigste Kapital darstellen, sind die getauschten Produkte nicht mehr eindeutig von den Tauschenden zu trennen. Das gilt
insbesondere für die Arbeit, die sich unter Projektbedingungen nicht länger als eine
von der Erwerbsperson losgelöste Ware betrachten und in genormten Berufsqualifikationen und Arbeitsplatzbeschreibungen vorab fassen lässt. Der „neue Kapitalismus“, so ließe sich Boltanskis und Chiapellos Diagnose zusammenfassen, mag zwar
die Marktkonkurrenz entfesseln, aber er stärkt auch Formen der Zusammenarbeit
und des Austauschs, die zwar die Wettbewerbsposition der Beteiligten verbessern
sollen, selbst aber nicht der Logik des Marktes folgen. Kooperation und Kompetition schließen in der projektbasierten Polis einander nicht aus, sondern verhalten
sich komplementär zueinander. Wer in dieser Welt erfolgreich sein will, muss vor
allem das jeweils richtige Mischungsverhältnis finden.
Boltanski und Chiapello konzentrieren sich – geschult an Albert O. Hirschman
und Max Weber – darauf, den neuen „Geist“ des Kapitalismus herauszupräparieren,
sie interessieren sich aber nicht für jene Strategien und Taktiken, die diesem zu praktischer Geltung verhelfen sollen. Luzide zeichnen sie die Ratio der projektbasierten
Projektwelten
375
Polis nach, verzichten jedoch darauf, auch die Sozial- und Selbsttechnologien zu
analysieren, in denen diese Ratio ihren Niederschlag findet und deren Effekt sie ist.
Wie die Praxis der Projektarbeit und -existenz das Aktivitätsethos der Projektwelt
hervortreibt und wie umgekehrt dieses Ethos in konkrete Handlungsanweisungen
übersetzt wird, das entzieht sich dem Blick der Legitimationstheoretiker. Dabei liefert nicht zuletzt der Literaturkorpus, auf den sie ihre Untersuchung stützen, neben
ideologischen Rechtfertigungen der Projektwelt einen reichen Fundus an Werkzeugen für ein effizientes Projektmanagement. Der Kapitalismus braucht in all seinen
Ausprägungen nicht nur Ideologien, die das Engagement für ihn rechtfertigen, sondern auch Mechanismen der Zurichtung und Selbstzurichtung, die dafür sorgen,
dass die Menschen sich in ausreichendem Maße und angemessener Form tatsächlich
engagieren. Ohne ein projektbasiertes Regime der Subjektivierung und sozialen Kooperation hätte die projektbasierte Polis keinen Bestand. Als legitim erfahren wird
eine Ordnung nur dann, wenn sie sowohl überzeugende Maßstäbe des Guten und
Richtigen aufstellt, als auch zeigt und einübt, wie man sein Handeln an diesen
ausrichten kann.
Projektmanagement
Ein Projekt zu verfolgen, verlangt planvolles Vorgehen: Ziele sind zu definieren und
die Schritte festzulegen, um es zu erreichen, der Zeitrahmen ist zu bestimmen, die
Kosten sind zu kalkulieren und die erforderlichen Mittel bereitzustellen, die am Projekt Beteiligten müssen ausgewählt, motiviert und ihr Zusammenwirken organisiert
werden, gegebenenfalls müssen unvorhergesehene Hindernisse aus dem Weg geräumt oder Projektziele und -ablauf modifiziert werden, am Ende sind die Ergebnisse zu kontrollieren usw. Bei all dem kann man sich auf Intuition oder Erfahrung verlassen, und wo immer Menschen Projekte verfolgt haben, haben sie das mehr oder
minder geschickt getan. Projektmanagement ist nichts anderes als der Versuch, dieses Intuitions- und Erfahrungswissen zu systematisieren, aus der Vielfalt der Projektverläufe allgemeine Prinzipien abzuleiten, grundlegende Erfolgsfaktoren und Problemmuster zu identifizieren und geeignete Instrumente zu entwickeln, um Projekte
unterschiedlichen Umfangs und Typs möglichst effizient zu steuern. Dazu greift es
auf Forschungsergebnisse insbesondere der Kybernetik und Systemtheorie, der Mikroökonomie, der Gruppenpsychologie und Organisationssoziologie zurück, lässt
seine Konzepte in Begleit- und Evaluationsstudien empirisch überprüfen und
verfügt neben einem ausdifferenzierten Methodenkanon über eigene Experten, Ausbildungsgänge und professionelle Standards.
Als Startpunkt des Projektmanagements gilt gemeinhin ein militär-technisches
Vorhaben, das die Annihilation der Gattung Mensch zu einem technisch realisierbaren Projekt machen sollte: das Manhattan Engineering District Project von 1941, das
die erste Atombombe entwickelte. Einen weiteren Meilenstein bildete zwanzig Jahre
376
Ulrich Bröckling
später das Apollo-Programm, das die NASA 1961 mit dem Ziel bemannter Mondlandungen startete. Aufgrund des enormen Zeitdrucks, der wissenschaftlichen Herausforderungen und der Vielzahl der beteiligten Institutionen, Forscher und Ingenieure waren diese Unternehmungen mit den herkömmlichen Organisationsstrukturen nicht zu bewältigen. Die hier erprobten Kooperationsformen, Planungs- und
Controllingverfahren wurden in der Folge von Privatunternehmen übernommen
und weiterentwickelt, die vor allem ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen
auf Projektorganisation umstellten. Die einseitige Ausrichtung auf extrem komplexe
Vorhaben führte dazu, dass die Methoden zunächst ausgesprochen technisch orientiert waren. Erst seit den 1980er Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass nicht
nur wissenschaftlich-technische Großprojekte, sondern auch kleinere Vorhaben von
einem systematischen Projektmanagement profitieren können. In der Folge weiteten
sich die Anwendungsbereiche aus: Neben Unternehmen installieren inzwischen
auch öffentliche Verwaltungen, Bildungseinrichtungen und Non Governmental Organizations Projektteams und adaptieren die entsprechenden Instrumente. Projektmanagement soll nicht nur die vielbeschworene Krise autoritärer Führungsmodelle
überwinden und so die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivieren, sondern gilt
generell als Königsweg zu mehr Innovationsfähigkeit und Flexibilität.
Parallel zu dieser Expansion der Projektarbeit ist die Bedeutung sozialer Kompetenzen gewachsen. Zu den Schlüsselqualifikationen eines Projektmanagers gehören
heute nicht mehr nur der versierte Umgang mit Strukturplänen, Kostenrechnungsverfahren und Dokumentationssystemen, sondern auch partnerschaftliche Gesprächsführung, Konfliktmediation und die Fähigkeit, ein Projekt überzeugend zu
präsentieren. Die einschlägigen Lehrbücher vermitteln neben Netzplantechnik und
Budgetierungsprogrammen auch Kreativitätsübungen und die Grundlagen „themenzentrierter Interaktion“. Gemeinsam ist sowohl den auf hard wie den auf soft
skills abzielenden Verfahren das Prinzip der indirekten Steuerung: Sie geben nicht
vor, was im Einzelnen zu tun ist, um eine bestimmtes Projekt zum Erfolg zu führen,
sondern zeigen auf, welche Faktoren dafür förderlich und welche hinderlich sind.
Statt Handlungsanweisungen liefern sie Strukturierungs- und Motivierungshilfen,
mit denen Projektteams ihre Aufgaben präziser bestimmen, sie operationalisieren
und im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen eigenständig lösen können und die
Beteiligten dabei obendrein ihre Zusammenarbeit als befriedigend und fruchtbar
erleben. Projekte zu managen, heißt Selbstorganisationsprozesse anzuregen und anzuleiten.
Dazu bedarf es zunächst einer Abstraktionsleistung: Obwohl kein Projekt hinsichtlich Art, Umfang, Verlauf und Dauer dem anderen gleicht, stellen die Projektmanagementprogramme Phasenmodelle, Ablaufschemata, Moderationstechniken
und gruppenpsychologische Typologien bereit, die sich auf (nahezu) alle anwenden
lassen sollen. So werden Projekte grundsätzlich als „eine auf ’Lernen’ ausgerichtete
sequentielle Entscheidungsprozedur“ bzw. als „Problemlösungszyklus“ aufgefasst,
bei dem Situationsanalyse, Zieldefinition, Lösungssuche, Lösungsbewertung, Reali-
Projektwelten
377
sierung und Ergebniskontrolle aufeinander folgen, oder man unterscheidet verschiedene „Lebensphasen“ (Projektdefinition, -planung, -durchführung, -evaluation), die
jedes Projekt zu durchlaufen hat (vgl. Litke 2004, S. 26 ff.; Burghardt 1995,
S. 11 ff.; Steinbuch 1998, S. 28 ff.). Management heißt zunächst strukturieren, und
das „bedeutet bekanntlich, ein System in seine Elemente zu zerlegen und die Beziehungen zwischen den Elementen festzuhalten“ (Litke 2004, S. 90). So ist die diffuse
Einheit „Projekt“ funktional in Aufgaben und temporal in Sequenzen zu gliedern,
für deren produktive Kopplung und korrekte Abfolge zu sorgen, und es sind Feedbackschleifen zu installieren, um so die einzelnen Prozesselemente zu einem
Regelkreis zu verbinden. „Meilensteine“ markieren den Abschluss der einzelnen
Abschnitte und eignen sich besonders „zur Standortbestimmung und eventuellen
Kurskorrektur“ (Birker 1999, S. 36).
Das Prinzip des Zerlegens und Neuzusammensetzens wiederholt sich auf einer
zweiten und möglicherweise auch auf einer dritten, vierten usw. Planungsebene.
Entsprechend der Regel „vom Groben zum Detail“ gelangt man so Schritt für
Schritt zu einer immer feineren Projektsteuerung. Am Ende steht ein Projektstrukturplan, der „dem Projektmanager bereits im frühen Stadium einen Überblick über
das ’Skelett’ des Projekts [gibt], das dann in späteren Planungsschritten vervollständigt, sozusagen ’mit Fleisch versehen’ werden kann“ (Litke 2004, S. 43).
Mit Hilfe der Netzplantechnik (vgl. Altrogge 1994) lassen sich die im Projektstrukturplan aufgeschlüsselten Beziehungen formalisieren und in eine logisch-zeitliche Abfolge bringen. Dieses auf der mathematischen Graphentheorie aufbauende
Verfahren wurde in den 1950er Jahren unter anderem im Rahmen des Polaris-Programms der US-Navy entwickelt. Ein Netzplan zerlegt ein Projekt in drei Bestandteile: in Vorgänge, d.h. zeiterfordernde Geschehen, Ereignisse, d.h. das Eintreten definierter Zustände, und Anordnungsbeziehungen, d.h. die personellen, fachlichen und
terminlichen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Vorgängen. Dargestellt werden diese drei Elemente in Form von Knoten und Pfeilen. Ein Netzplan dient nicht
nur der detaillierten Terminplanung und -kontrolle, sondern macht auch Entscheidungsweichen für alternative Abläufe sowie Schleifenbildung von Vorgängen
sichtbar und erlaubt es, Wahrscheinlichkeitswerte und Zufallsvariablen im Ablauf zu
berücksichtigen.
Vorgehensmodelle, von denen die Netzplantechnik nur eines der am weitesten
verbreiteten darstellt, standardisieren die Ablauforganisation, indem sie ein allgemeines Raster unterlegen, in das dann die Spezifika des jeweiligen Projekts eingetragen werden können. Anders gesagt, sie schreiben keinen Weg vor, sondern kartografieren das Terrain. Aber wie eine Landkarte die Wahrnehmung des geografischen
Raums präformiert, so präformieren Projektstruktur- und Netzpläne auch die Vorstellungen davon, was ein Projekt ausmacht. Ein Projekt ist das, so ließe sich sagen,
was sich mithilfe der Methoden des Projektmanagements lenken lässt. Und wenn die
Steuerungsinstrumente auch ihre Herkunft aus technologischen Großprojekten
nicht verleugnen und oftmals nur von Spezialisten angewendet werden können, so
378
Ulrich Bröckling
lassen sie sich doch problemlos auf kleinere Vorhaben herunterbrechen. Wie simpel
ein Projekt auch sein mag, jedes erfordert planvolles Vorgehen und in diesem Sinne
ein zumindest rudimentäres Management.
Dieses erschöpft sich indes keineswegs in den Tätigkeiten des Strukturierens,
Kalkulierens und Kontrollierens. Um zum Ziel zu gelangen, brauchen Projekte nicht
nur eine Form, sondern auch Energie. Es reicht nicht, die zu bewältigenden Aufgaben in eine sinnvolle Ordnung zu bringen und aufeinander abzustimmen, vielmehr
müssen auch jene, die sie erledigen sollen, angespornt und Reibungsverluste bei ihrer Zusammenarbeit vermindert werden. Mobilisierung ohne Strukturierung lässt
ein Projekt ins Leere laufen, Strukturierung ohne Mobilisierung lässt es erstarren.
Die in hohem Maße formalisierten Techniken der Planung und operativen Steuerung werden deshalb flankiert von eher „weichen“ Methoden der Personalführung
und Gruppenarbeit. Im Zentrum steht dabei das Projektteam, jener soziale Nukleus,
auf den die Projektorganisation aufbaut.
Projektteams radikalisieren das Konzept teilautonomer Gruppenarbeit, das Industrieunternehmen seit den 1970er Jahren eingeführt hatten. Während die Gruppenfertigung etwa von Automobilen jedoch zumindest mittelbar an den Takt des
Fließbands gekoppelt blieb und die Arbeitsgruppen vor allem nicht nur für eine Aufgabe von begrenzter Laufzeit zusammengestellt wurden, bilden Projektteams so etwas wie „Unternehmen auf Zeit“. Sie organisieren ihre Arbeitsabläufe eigenverantwortlich, bilden in wirtschaftlicher Hinsicht Profit-Center und fungieren so als
Schulen „zur Förderung des unternehmerischen Denkens“ (Patzeck/Rattay 1995,
S. 470). Seine raison d’être findet ein Projektteam allein im gemeinsam erstellten und
verantworteten Produkt. Die Projektarbeit endet, anders als die Gruppenfertigung,
denn auch nicht bei Schichtwechsel, sondern erst, wenn das Projektziel erreicht ist.
Mit ihrer Selbständigkeit wächst allerdings auch der Druck auf die Teammitglieder,
die ihren Alltag – weit über Regelarbeitszeiten hinaus – im Rhythmus der Antrags-,
Präsentations- und Abschlusstermine takten müssen und zumindest für die Laufzeit
eines Projekts auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet sind.
Weil Projektarbeit dem Einzelnen nicht nur Ordnung, Fleiß und Sauberkeit im
Allgemeinen und korrekte Erfüllung der aufgetragenen Pflichten im Besonderen abverlangt, reicht es nicht aus, ihn in ein System disziplinärer Kontrolle einzufügen
und im Übrigen mittels Geld und Aufstiegsmöglichkeiten bei der Stange zu halten.
Wenn der ganze Mensch gefordert ist, wenn er sich für die Sache begeistern, eigenverantwortlich handeln und kreative Problemlösungen erbringen soll, dann muss
sich auch seine (Selbst-)Zurichtung auf die gesamte Persönlichkeit erstrecken. Damit trotz Dauerstress das positive Wir-Gefühl überwiegt und ein Team weder ausbrennt, noch sich ausbremst, bedarf es daher sorgfältiger Vorkehrungen bei der Mitgliederauswahl, der Projektleitung und der Moderation von Gruppenprozessen.
Während die ausgefeilten Planungs- und Controllingverfahren Berechenbarkeit suggerieren und Rechenhaftigkeit fordern, proklamieren die einschlägigen Projektmanagement-Lehrbücher hier vor allem ein Ethos partnerschaftlicher Kooperation.
Projektwelten
379
Auffällig ist dabei die Dominanz von Balance-Modellen: So sollten Teams „die richtige Mischung aus fachlicher oder funktionaler Sachkenntnis, problemlösenden und
entscheidungsfindenden Fähigkeiten und zwischenmenschlichen Fähigkeiten ihrer
Mitglieder besitzen“. Bei der Auswahl sollte zudem „nicht nur auf die Fähigkeiten,
sondern, sofern die Situation es ermöglicht, auch auf die persönlichen Eigenheiten
der Mitarbeiter geachtet“ werden (Litke 2004, S. 182).
Ein Balancemodell liegt auch jenem Konzept zugrunde, das zahlreiche Projektmanagement-Lehrbücher als besonders hilfreich für eine konstruktive Teamkooperation empfehlen: der themenzentrierten Interaktion (TZI). Diese von der US-amerikanischen Psychotherapeutin Ruth C. Cohn in der 1960er und 70er Jahren entwickelte Methode „lebendigen Lernens“ (Cohn 1975) geht davon aus, dass jede Gruppeninteraktion drei Faktoren enthält, „die man sich bildlich als Eckpunkte eines
Dreiecks vorstellen könnte: 1. das Ich, die Persönlichkeit; 2. das Wir, die Gruppe; 3.
das Es, das Thema. Dieses Dreieck ist eingebettet in eine Kugel, die die Umgebung
darstellt“ (ebd., S. 113). Eine Gruppe wird dann fruchtbar und befriedigend zusammenarbeiten, so die Basisannahme der TZI, wenn zwischen Ich-, Wir- und Sachebene „eine relative, dynamische Ausgeglichenheit“ besteht. Das erfordert ein permanentes Austarieren, und genau darin sieht Cohn die Aufgabe der Gruppenleitung.
Der Balance im Dreieck von Individuum, Gruppe und Thema dienen auch die beiden Grundpostulate („Sei Dein eigener Chairman“; „Störungen haben Vorrang“) sowie die daraus abgeleiteten Kommunikationsregeln der TZI (ebd., S. 120 ff.). Leitsätze wie „Sprich nicht per ’man’ oder ’wir’, sondern per ’ich’“, „Wenn du eine Frage
stellst, sage, warum du fragst und was deine Frage für dich bedeutet“ oder „Sei zurückhaltend mit Verallgemeinerungen“ sollen einem Projektteam (wie jeder Arbeitsgruppe) ermöglichen, sich auf die gemeinsame Aufgabe zu konzentrieren und dabei
Kohäsionskräfte wie Perspektivenvielfalt der Gruppe zu nutzen, ohne die Wünsche
und Befindlichkeiten der beteiligten Individuen aus den Augen zu verlieren.
Die Affinität des Projektmanagements zur TZI rührt nicht zuletzt daher, dass die
von Cohn propagierte, dem personal-growth-Gedanken der humanistischen Psychologie verpflichtete Grundhaltung und ihre ebenso einfach zu begreifenden wie zu
handhabenden Regeln Selbstorganisation und Sachorientierung aneinander koppeln. Um der gemeinsamen Sache willen wird der einzelnen Person wie den gruppendynamischen Prozessen ein solches Gewicht beigemessen; umgekehrt sollen individuelles Wachstum und produktives Miteinander erst dann möglich sein, wenn
die Gruppe ein gemeinsames Interesse verfolgt. Funktioniert die Kopplung, so das
Versprechen der TZI wie des Projektmanagements, entstehen Synergieeffekte.
Klemmt es auf einer der drei Ebenen, nehmen auch die beiden anderen Schaden.
So gegensätzlich die Ablaufschemata und Kostenkurven auf der einen und die
ethischen Postulate der humanistischen Psychologie auf der anderen Seite sich zunächst ausnehmen, nicht anders als die Netzplantechnik und vergleichbare Verfahren folgen auch die „weichen“ Methoden der Gruppenmoderation letztlich einem
kybernetischen Modell: Der Projektleiter oder das Team als Ganzes fungieren als
380
Ulrich Bröckling
Homöostase-Regler, welche die geforderte „relative, dynamische Ausgeglichenheit“
von Ich, Wir und Thema herstellen. Die Gesprächsregeln wiederum sorgen für regelmäßige Feedbacks, die der Gruppe frühzeitig Störungen signalisieren. Diese „haben Vorrang“, um sie ausräumen oder fruchtbar machen zu können, bevor sie den
Fortgang der Arbeit ernstlich behindern. In beiden Bereichen des Projektmanagements geht es darum, die Dinge in Bewegung zu halten, Stockungen ebenso wie
Leerlauf oder Überhitzung zu vermeiden und so die Produktivität eines Teams zu
steigern.
Um Beweglichkeit geht es auch einer ganz anderen Form des Projektmanagements, die quer steht zu den Konzepten rationaler Planung und den Gleichgewichts-Modellen der Gruppenpsychologen. Am prominentesten vertritt sie der Bestseller-Autor Tom Peters. Seine (Des-)Organisationslehre zielt nicht auf Balance, sondern auf Irritation; er vermittelt keine Methoden, sondern mobilisiert Leidenschaften. Auf die Frage, wie ein Projekt zum Erfolg geführt werden kann, weiß er nur eine
Antwort: durch Begeisterung. „Seien Sie virtuos!“, fordert er sein Publikum auf: „Ist
ein Tag in Ihrem Projekt [...] eine wirkliche Darbietung? Wenn nicht, gibt es etwas,
das Sie tun können, j-e-t-z-t, um die Spannung/den darstellenden Effekt des aktuellen Projekts zu erhöhen, [...] um es zu etwas zu machen, das Ihren uneingeschränkten Einsatz verdient?“ (Peters 1999, S. 139).
Ordnung muss nicht geschaffen werden, so Peters’ Grundüberzeugung, sie entsteht und verfestigt sich von allein, und zwar in weit höherem Maße, als es Unternehmen in einer chaotischen Umwelt gut tut. Nicht sie zu erhalten und zu optimieren, tut deshalb Not. Wer erfolgreich sein will, muss die Ordnung immer wieder zerschlagen und den kreativen Kräften der Unordnung Raum schaffen. Auf den höchst
fluiden Märkten können nur jene Unternehmen überleben, verkündet Peters mit
drohendem Unterton, die ihre internen Abläufe ebenso radikal verflüssigen. Projektteams und ihre rhizomatische Verknüpfung zu Netzwerken sollen jene Diskontinuierungs- und Beschleunigungseffekte produzieren, auf die Unternehmen angewiesen
sind, um die diskontinuierlichen und immer schnelleren Marktturbulenzen bewältigen zu können. Vor der Gefahr, in Kooperationsroutinen zu erstarren und dem Tempo des Wandels nicht gewachsen zu sein, sind aber auch Projektgruppen nicht gefeit.
Dagegen helfen soll nur ihre radikale temporäre Begrenzung. So prophezeit Peters:
„Dynamische, kurzlebige Projektkonfigurationen werden an der Tagesordnung sein.
Es wird nicht außergewöhnlich sein, im Laufe eines Jahres in vier oder fünf Projektteams oder in mehreren Teams gleichzeitig mitzuwirken – aber man wird niemals in
genau derselben Kollegengruppe ein zweites Mal tätig sein, nicht einmal in einer
zwanzigjährigen ’Karriere’“ (Peters 1993, S. 224).
Projektwelten
381
Projekt Ich
Um den ständigen Wechsel der Aufgaben und sozialen Beziehungen auszuhalten,
benötigen nicht nur Projektteams, sondern auch die Individuen ein Höchstmaß an
Selbstrationalisierung, Gleichgewichtssinn und Irritationsbereitschaft. Und wenn
als ausgemacht gilt, dass Projektorganisation der Königsweg zu mehr Flexibilität und
Selbstverantwortung ist, dann liegt es nahe, auch die Verwaltung des eigenen Lebens
auf Projektmanagement umzustellen. Da dieses Projekt-Ich sich selbst wiederum aus
vielfältigen Arbeits-, Beziehungs-, Freizeit-, Gesundheitsprojekten usw. zusammensetzt, avanciert seine Selbstführung zum Management des individuellen „Projektportfolios“. Bei so viel Improvisation und Selbstschöpfung nimmt es nicht Wunder,
dass als Modell des Projekt-Ichs die zum Kreativ-Heroen aufgeladene Gestalt des
Künstlers dient: „Projekte sind Heimstätten der Kunst“, heißt es in einem Selbstmanagement-Bestseller: „Man betritt sie und wird von ihnen vereinnahmt. Man wird
experimentierfreudig, chaotisch. Man beginnt, ohne genau zu wissen, wonach man
sucht, nur im Bewusstsein der Chance, Großes zu leisten. [...] ’Warum soll sich ein
Maler an die Arbeit machen, wenn er nicht durch seine Arbeit verändert wird?’,
lautete die Frage des französischen Philosophen Michel Foucault. So ergeht es uns
allen, die wir in unseren Projekten aufgehen“ (Rubin 2001, S. 123 ff.).
Die Technologien, mithilfe derer sich die Individuen für solche Herausforderungen rüsten sollen, gleichen jenen, die in Unternehmen für effiziente Abwicklung
und befriedigendes Teamwork sorgen sollen: Erstens konsequente Planung und kontinuierliches Controlling, zweitens Moderation der disparaten Wünsche und Bedürfnisse, drittens (Selbst-)Enthusiasmierung. Auch das eigene Leben lässt sich als
Problemlösungszyklus mit festgelegten Schritten begreifen und mit Checklisten,
Selbstverpflichtungen und persönlichen „Jahres-Klausuren“ in den Griff bekommen. Für die charismatische Variante des Projektmanagements der eigenen Person
steht einmal mehr Tom Peters. Der Erweckungsprediger des unternehmerischen
Selbst setzt vor allem auf die suggestive Macht des Glaubens an sich selbst (und des
Glaubens an seine Parolen). „Die Währung – die einzige Währung – meines
Universums sind Projekte“, psalmodiert er und fordert „vollen Einsatz für das
Projekt ’Leben’“ (Peters 1999, S. 57 f.).
Im beschwörenden Stakkato seiner Parolen deutet sich etwas an, von dem weder
Peters noch andere Ratgeber-Autoren offen sprechen – die Angst vor dem Scheitern.
Sie ist dem Projektmanagement-Lehren gleich welcher Provenienz eingeschrieben
wie allen Wegweisern zu Glück und Erfolg. Welches Vorhaben auch immer der Einzelne in sein „Projektportfolio“ aufnimmt, wie besonnen und leidenschaftlich auch
immer er es verfolgt, das Gelingen bleibt kontingent und hängt nicht zuletzt an den
Anstrengungen der Konkurrenz. Und die nutzt dieselben Programme und Tools.
(Weil auch der Einsatz von Sozial- und Selbsttechnologien zum tendenziellen Fall
der Profitrate führt, muss man sich immer mehr anstrengen, um immer geringere
382
Ulrich Bröckling
Wettbewerbsvorteile zu erzielen.) Es wäre kein Projekt und brauchte kein Management, wäre von Beginn an klar, was am Ende herauskommen wird. Man kann versuchen, die Risiken zu kalkulieren, völlig ausräumen kann man sie nicht. Alles Planen
und Kontrollieren, Ausbalancieren und Sich-Begeistern bewahrt deshalb auch das
Projekt Ich nicht vor der Gefahr zu enden wie weiland Defoes Projektemacher: als
„Bankerottirer“.
Der Logik des Projektemachens entgeht der Einzelne freilich selbst damit nicht:
Die – finanzielle und psychosoziale – Bewältigung einer Pleite ist eine Herausforderung, die zu meistern allemal Projektleiterqualitäten verlangt. Schuldnerberater, Familientherapeuten und Arbeitsvermittler stehen bereit, um dem Gescheiterten wieder auf die Sprünge zu helfen, und dienen ihm zu diesem Zweck nichts anderes an
als die Tugenden und Techniken professionellen Projektmanagements. Dass diese
ihm beim letzten Mal nicht vor dem Fehlschlag bewahrt haben, spricht nicht gegen
sie, sondern nur für ihre noch konsequentere Anwendung – more of the same. Vielleicht zeigt sich darin am deutlichsten die Macht dieses Rationalitätsschemas: Die
Form „Projekt“ ist das „historische Apriori“ unseres Selbstverhältnisses, die Folie,
auf der wir – im Guten wie im Schlechten – uns selbst begreifen und modellieren.
Die Rede von der „Lebensdauer“ eines Projekts erhält so einen geradezu existentialistischen Beiklang. Das definitive Projektende kommt irgendwann für alle, das
„Projekt ’Leben’“, das Tom Peters so pathetisch beschwört, endet in jedem Fall letal.
(Ob im Jenseits eine Evaluationsinstanz die Ergebnisse bewertet, ist mehr als fraglich, aber wenn es Erlösung gäbe, wäre sie auch eine vom Projektdasein. – Was auch
immer Ewigkeit sein könnte, Projekte lassen sich jedenfalls darin nicht unterbringen.) Vorher kann es ein endgültiges Misslingen so wenig geben wie einen endgültigen Triumph. Auf jeden Erfolg wie auf jedes Scheitern folgt nur das nächste Projekt.
So ungleich die Chancen dabei verteilt sind, die Maximen sind für alle gleich: Sei aktiv! Nimm Dein Leben in die Hand! Be your own chairman!
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