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Zehn sehr böse Geschichten
Zehn sehr böse Geschichten
Zehn sehr böse Geschichten
eBook201 Seiten2 Stunden

Zehn sehr böse Geschichten

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Über dieses E-Book

Die zehn Geschichten erzählen von menschlichen Dramen, nachtschwarzen Bosheiten und sarkastischen Pointen. Und sie geben den Blick frei in die seelischen Abgründe menschlichen Daseins.
Vor dem meist rabenschwarzen Hintergrund, manchmal trivial, manchmal tragisch, stellt sich immer wieder die Frage: War da nicht so eine ähnliche Geschichte im richtigen Leben, die tatsächlich so geschehen ist? Oder ist das alles bloß der Fantasie des Autors entsprungen?
SpracheDeutsch
HerausgeberRiverfield Verlag GmbH
Erscheinungsdatum10. Aug. 2020
ISBN9783952509784
Zehn sehr böse Geschichten
Autor

Alfonso Pecorelli

Alfonso Pecorelli, der schweizerisch-italienische Autor und Verleger hat bereits mehrere Romane, Novellen und Sachbücher veröffentlicht und lebt in der Nähe von Basel (CH).

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    Buchvorschau

    Zehn sehr böse Geschichten - Alfonso Pecorelli

    Todsünde

    Der unmenschliche Schrei war längst verstummt. Nun wimmerte er wie ein kleines Kind.

    Sie stand einfach da, ohne ihn anzufassen oder etwas zu sagen, und wartete, bis er sich beruhigen würde.

    Er sackte ganz langsam, wie in Zeitlupe, auf die Knie. Und als sein Kopf nach unten hing, die Arme schlaff baumelten und sein Speichel in den Schnee tropfte, erinnerte die Szene – für einen kurzen Moment und aus der Ferne betrachtet – an einen Ausschnitt aus Michelangelos »Jüngstem Gericht«, ganz so, als wäre der alte Meister auferstanden, um diese eine Szene aus seinem Gemälde in der Sixtinischen Kapelle in die Neuzeit zu verlegen und damit am Bahndamm eines kleinen Dorfes im Schwarzwald die Frage nach Schuld und Sühne neu zu stellen – denn einer der beiden Milliardäre dort würde an diesem Morgen sterben.

    *

    Karl-Theodor Schäubele war ein fleißiger Student, der sich, anders als die Mehrzahl seiner Kommilitonen, weder für Frauen noch für andere Freizeitvergnügen interessierte. Die meiste Zeit verbrachte er entweder in seinem kleinen Zimmer auf dem Campus der Universität oder sommers im Schatten eines Baumes auf einer der Wiesen des weitläufigen Universitätsgeländes. Schäubeles rundlicher Kopf, seine schmalen Lippen, die leicht gewellten, braunen Haare, dies zusammen mit seinem mittelgroßen, kräftigen Körper machten ihn für Frauen unauffällig. Das andere Geschlecht interessierte sich nicht für ihn, und das war Schäubele auch recht so, denn er wollte sein Studium möglichst schnell hinter sich bringen, um im Betrieb seines Vaters arbeiten zu können.

    Sein Vater – ein hart arbeitender und gläubiger Mann – hatte seinen Sohn mit der Strenge eines Kleinunternehmers erzogen und ihn seit Kindesbeinen gelehrt, dass »Geduld und Genügsamkeit die wertvollsten aller Tugenden sind«.

    Obschon Schäubele eigentlich Theologie hatte studieren wollen, um »die Welt als Ganzes zu verstehen«, wie er seinem Vater oft gesagt hatte, drängte ihn dieser zum Chemiestudium, damit er in der Lage sei, »eines Tages unseren kleinen, aber feinen Arzneimittelbetrieb gebührend weiterführen zu können, mein Sohn.« Also studierte der junge Karl-Theodor Chemie. Und zwar in Heidelberg. Er schloss das Studium mit Bravour ab – summa cum laude. Danach begann er im elterlichen Betrieb als Chemiker zu arbeiten und promovierte während dieser Zeit, wiederum in Heidelberg. Mit nur sechsundzwanzig Jahren wurde er bereits Privatdozent an seiner Alma Mater. Schäubele liebte die Forschung und das akademische Leben. Jeden Monat war er ein paar Tage an der Universität als Privatdozent tätig, bewohnte in dieser Zeit ein kleines Dozentenzimmer und forschte ansonsten im Betrieb seines Vaters.

    Sein Leben schien einen vorbestimmten, gemächlichen Gang zu nehmen – und dies war ganz im Sinne des jungen Karl-Theodor Schäubele.

    Dann jedoch, es war ein sonniger Frühsommertag, sah er sie das erste Mal in Heidelberg: Sie hieß Susanne Stegelmann, kam aus Hamburg und studierte Medizin. Nie im Leben hätte Schäubele es gewagt, sie anzusprechen, denn sie hatte die Statur eines Fotomodells: über eins achtzig, schlank und sportlich, ein fast übergroßer, aber fester Busen und ein wohlgeformter Hintern. Das lockige, blonde Haar, ein Gesicht wie aus Porzellan und die azurblauen Augen vervollständigten dieses Bild von perfekter Schönheit, wie Schäubele schon beim ersten Anblick aus den Augenwinkeln konstatierte.

    Er saß, wie immer bei warmem Wetter, unter seinem Lieblingsbaum unweit der Dozentenunterkünfte und studierte seine Unterlagen. Sie setzte sich neben ihn unter den Baum, nickte ihm kurz zu und vertiefte sich in ihre Medizinalbücher.

    So ging es während des ganzen Sommers. Sie sprachen kein einziges Mal miteinander.

    Es war gegen Ende August, das Gewitter zog praktisch ohne Vorwarnung auf und wenige Minuten später regnete es in Strömen. Die Blitze erhellten den Himmel stroboskopartig, als wäre das Universitätsgelände plötzlich in eine gigantische Diskothek verwandelt, und das Krachen der Donnerschläge schien den nahenden Weltuntergang anzukündigen.

    Beide rannten völlig durchnässt über die Wiese zum nächstgelegenen Gebäude – dem Dozentenwohnheim. Susannes Kleider klebten wie eine zweite Haut an ihrem perfekten Körper, als sie nebeneinander im Korridor standen. Schäubele wagte kaum sie anzuschauen, schielte verlegen zu Boden und sagte: »Du kannst dich auf meinem Zimmer trocknen.« Er hielt ihr den Schlüssel hin. »Zimmer Nummer neun, erster Stock, gleich links.« Seine Stimme klang schüchtern wie die eines kleinen Jungen, als er anfügte: »Ich warte solange hier.«

    Sie trafen sich von da an fast jedes Wochenende. Er drängte sich nie auf. Sie diskutierten über Gott und die Welt – stundenlang.

    Sie waren füreinander bestimmt.

    *

    Zwei Jahre später heirateten sie. Als Schäubeles Vater kurz darauf und unerwartet starb, übernahm Karl-Theodor den Familienbetrieb.

    Nach einem Jahr kam ihr Sohn Matthias zur Welt. Der kleine Matthias, eine Frühgeburt, entwickelte sich zunächst sehr zögerlich, begann erst spät mit dem Gehen und kränkelte oft. Doch er war ein blonder Engel. Susanne Schäubele blieb zu Hause und kümmerte sich nur noch um den Jungen. Karl-Theodor hätte gerne noch weitere Kinder gehabt, doch er fand sich mit der Tatsache ab, ein Einzelkind zu haben. Hauptsache, es gab mit Matthias nun einen Nachfolger für seine Firma, wie er oft dachte.

    Die Jahre vergingen wie im Flug. Schäubele kümmerte sich weiterhin um das Unternehmen und Susanne um den Jungen. Der kleine Matthias entwickelte sich prächtig, schlank und groß wie seine Mutter, intelligent und robust wie sein Vater.

    Schäubeles Unternehmen wuchs langsam, aber stetig. Nie überhastete er eine Entscheidung. Geduld und Genügsamkeit, die ihm sein Vater eingetrichtert hatten, waren zu seinem Credo geworden, er hatte sie weiter kultiviert und daraus gleichsam seinen Leitspruch entwickelt: »Timing ist alles im Leben. Wer nicht den richtigen Zeitpunkt abwarten kann, der hat schon verloren, bevor das Spiel beginnt«, pflegte er bei fast jeder Gelegenheit im Privaten wie im Geschäftlichen zu sagen. Dies prägte sein unternehmerisches Denken und Handeln.

    Er borgte sich immer nur genau so viel Geld von den Banken, wie er in angemessener Zeit zurückzahlen konnte. Schäubele, ein Schwabe durch und durch: blitzgescheit, sparsam (um nicht zu sagen geizig), mäßigend und hart zu sich selbst und noch härter zu seinem Sohn. Verschwendung hasste er. Luxus hielt er für eine schlechte Eigenschaft. Geldverdienen jedoch nicht. Der einzige Luxus, den er sich leistete, war ein Porsche Turbo. Ein Geschoss auf vier Rädern. Ein Wunder schwäbischer Autobaukunst schlechthin, die Krönung deutscher Tugenden auf vier Rädern, die selbst eine Janis Joplin veranlasst hatte, ein solches Auto zu kaufen.

    Schäubele entwickelte sich zum Unternehmer par excellence. Aber das Leben als Geschäftsmann begann auch, seinen Charakter zu verändern. Unmerklich zunächst, aber stetig – das Virus der Macht hatte von ihm Besitz ergriffen.

    Er liebte seine Frau über alles. Seine einzige Sorge war, sie könne ihren Sohn zu sehr verweichlichen und »zum Muttersöhnchen« machen, wie er es zu nennen pflegte. »Ein guter Mensch und Unternehmer soll er werden«, sagte er, sooft sie allein waren. »An meinem fünfundsechzigsten Geburtstag soll der Junge die Firma übernehmen.« Und Susanne Schäubele kannte ihren Mann gut genug, um zu wissen, dass er dies auch so meinte.

    Kein Luxus, keine Vorzugsbehandlung – schon gar nicht für seinen eigenen Sohn. Schäubele erzog den jungen Matthias mit harter Hand. Schon als Sechsjähriger musste der Knabe Medikamente an alte Menschen in der Umgebung austragen und bekam vom Vater einen »Lohn«. Er solle lernen, was es heißt, Geld zu verdienen – ein weiterer Spruch, den Schäubele gern und oft verwendete.

    An manchen Tagen regte sich Susanne Schäubele über dieses Verhalten ihres Mannes auf, doch meist schwieg sie und akzeptierte es, denn auch sie glaubte, es sei wichtig und richtig, dass ihr Sohn dereinst gut gerüstet ins richtige Leben einsteigen könne und nicht den Verführungen ererbten Geldes erliege. Zudem liebte sie ihren Mann auf eine ganz spezielle Weise, die sich nur aus ihrem kühlen nordischen Charakter ableiten ließ und den meisten Menschen verborgen blieb.

    *

    Matthias Schäubele war ein Mustersohn, wohlerzogen, freundlich, weltoffen und charmant. Aus dem blonden, kleinen Engel war ein hochgeschossener, aber keineswegs schlaksiger junger Mann geworden.

    Dann und wann begehrte der Junge, wie alle jungen Menschen in seinem Alter, gegen die Strenge des Vaters auf, doch letztlich fügte er sich immer. Wie sein Vater war auch Matthias wissbegierig und zudem ein sehr guter Schüler. Seine Mutter liebte er abgöttisch, seinen Vater achtete er für dessen Intellekt und das unternehmerische Gespür.

    Der einzige und sehnlichste Wunsch, den der junge Matthias hegte, war ein Automobil zu seinem achtzehnten Geburtstag, doch Karl-Theodor Schäubele blieb hart.

    »Ich hatte in deinem Alter noch nicht einmal ein Fahrrad, Junge!«

    Allein schon, dass Matthias ein Moped besaß, störte Schäubele Senior, und wäre es nicht seine Frau gewesen, die vehement dafür votiert hatte, ihrem Sohn zu seinem sechzehnten Geburtstag das Moped zu schenken, wäre dieser immer noch mit dem alten Fahrrad seines Vaters zur Schule geradelt.

    So fuhr er einmal im Monat am Samstag mit dem Moped in die Disco in der Stadt, öfter erlaubte es der Vater nicht.

    »Du musst lernen, wenn du mal mein Unternehmen führen willst«, pflegte er zu sagen und natürlich: »Timing ist alles, Junge …«

    *

    Karl-Theodor Schäubele war ein Durchbruch gelungen: Er hatte einen Wirkstoff gegen Depressionen synthetisiert. Das neue Mittel war absolut bahnbrechend, da praktisch nebenwirkungsfrei, wie die klinischen Tests bestätigten. Linderung, ja in vielen Fällen gar eine vollständige Heilung dieser sich rasant entwickelnden und um sich greifenden Zivilisationskrankheit war möglich geworden. Schäubele flog persönlich in die USA, um bei der letzten Phase der Zulassung seines neuen Medikamentes durch die US-Gesundheitsbehörden vor Ort zu sein.

    Er ahnte, welch ein Erfolg sich für seine Firma anbahnte.

    Schäubele wollte zum achtzehnten Geburtstag seines Sohnes wieder zu Hause sein und hatte seine Reise dementsprechend geplant, doch die Zulassung des Medikamentes verzögerte sich um ein paar Tage, weshalb er just an Matthias’ Geburtstag zurückflog und erst gegen 22 Uhr landen würde. So kam es, dass Matthias an seinem achtzehnten Geburtstag – es war ein Samstag und ein lauer Sommerabend – mit seinem Moped in die Disco fuhr, um mit Freunden zu feiern, während sein Vater hoch über dem Atlantik auf die Zulassung seines neuen Medikamentes anstieß und gegen seine Gewohnheit ein paar Gläser Champagner zu viel trank.

    *

    Es gibt Augenblicke im Leben eines Menschen, in denen man Dinge tut, die man im Nachhinein nicht mehr nachvollziehen kann, und sich ein Leben lang fragt, was in solch einem Moment in einen gefahren sei.

    Karl-Theodor Schäubele hatte an besagtem Abend solch einen Augenblick, denn nachdem sein Flugzeug planmäßig kurz nach zehn Uhr abends gelandet war, ging er nicht nach Hause, sondern in ein kleines, sehr exklusives Bordell. Die Adresse hatte er schon vor langer Zeit von einem Geschäftspartner erhalten. Ob es der Erfolg war, der ungewohnte Alkoholkonsum, beides gar? Schäubele selbst hätte es nicht zu sagen vermocht. Vielleicht auch die Tatsache, dass – obwohl er seine Frau immer noch umwerfend schön fand – sie schon geraume Zeit keinen Sex mehr zusammen gehabt hatten?

    Knapp vier Stunden später, er hatte mit einer jungen Polin geschlafen, die gut und gerne seine Tochter hätte sein können, übermannte ihn das schlechte Gewissen. Wie konnte er sich nur von seinen niedersten Instinkten so überwältigen lassen? Er, Karl-Theodor Schäubele, der noch nie in seinem Leben fremdgegangen war – bis zu diesem Abend! Er, der fromme, fleißige Forscher und Unternehmer, der sich selbst, seiner Familie und seinen Mitarbeitern höchste ethische und moralische Standards abverlangte!

    Leicht wankend, er hatte auch im Bordell getrunken, stieg er gegen zwei Uhr morgens in seinen Porsche und raste los. Die Autobahn war fast leer, der Porsche huschte wie ein schwarzes Gespenst über den nächtlichen Asphalt. Die letzten zwanzig Kilometer führten über eine an manchen Stellen leicht gewundene, dann und wann sanft ansteigende und wieder abfallende Landstraße, die sich mitten durch den Schwarzwald zog. Schäubele wollte nur noch so schnell wie möglich nach Hause, sich hinlegen und ausschlafen, das Ganze als einmaligen Fehltritt vergessen. Er schwor sich, dass er gleich anderntags den Wunsch seines Jungen erfüllen würde – er würde ihm das ersehnte Auto kaufen. Ja, genau, das würde er machen. Der Junge und auch Susanne würden sich riesig freuen.

    Die

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