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Behagliche Kultur Der Triumph des Wohlbefindens Inga Anderson The Triumph of the Therapeutic: Uses of Faith after Freud, die bekannteste Monografie des US-amerikanischen Soziologen Philip Rieff, erschien erstmals im Jahr 1966. Mit diesem Buch unternahm Rieff den ambitionierten Versuch, den Status und Stellenwert der psychoanalytischen Therapie für seine Gegenwart kultursoziologisch zu beschreiben und ihre Auswirkungen auf Gesellschaft und Kultur des Westens zu ermessen. Mit der Freudschen Psychoanalyse sei, so lautet eine der zentralen Thesen Rieffs, nicht nur eine psychotherapeutische Technik zur Behandlung psychischer Krankheiten entwickelt worden, sondern ein Denksystem entstanden, das das westliche Selbst- und Weltverhältnis weit über ihre klinische Anwendung hinaus prägte: Das Signum unserer Zeit sei die Psychotherapie. Bis heute wird The Triumph of the Therapeutic gerne zitiert – bisweilen, weil Rieff sich darin an eine umfassende und auch für die Gegenwart anschlussfähige Zeitdiagnose wagt, oft jedoch auch lediglich deshalb, weil dieses Buch einen solch eingängigen Titel trägt. Zwar dürften die meisten Historikerinnen und Historiker der Psychoanalyse Rieffs Argumenten durchaus auch ein halbes Jahrhundert nach deren Erstveröffentlichung zustimmen, dass das Therapeutische triumphierte: »Psychoanalysis, in all its unruly complexity, became an integral part of twentieth-century social history«, so formuliert es Dagmar Herzog (Herzog, 2016, S. 1), und Eli Zaretsky begründet den kulturhistorischen Fokus seiner Geschichte der Psychoanalyse ebenfalls mit deren großer Bedeutung für die Gegenwart: »Eine Geschichte der Psychoanalyse muß vor allem erklären, warum sie eine so ungeheure Wirkung entfaltet hat« (Zaretsky, 2006, S. 14). Gleichzeitig aber weist etwa die Kultursoziologin Eva Illouz in ihrem 2008 erschienenen Buch Saving the Modern Soul. Therapy, Emotions, and the Culture of Self-Help bereits in ihrer Einführung darauf hin, dass der so wunderbar zitierfähige Titel Rieffs bisweilen einer kritischen Auseinanderset- https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 235 Inga Anderson zung mit dessen Thesen im Wege stehen kann: »If all the critics of the psychological discourse agree that it has ›triumphed‹ and if some remarkable studies now detail what in the therapeutic has ›triumphed‹, we still do not know much about how and why it has triumphed« (Illouz, 2008, S. 4). Diese Diskrepanz halte ich für bemerkens- und bedenkenswert: Die Geschichte der Psychotherapie hat in den Geistes- und Kulturwissenschaften gegenwärtig Konjunktur; Rieff war einer der ersten, die dazu beitragen wollten, und wurde als Autor auch keineswegs vergessen. Dennoch beobachte ich einen gewissen Widerwillen gegenüber der detaillierten inhaltlichen Auseinandersetzung mit seinen Schriften. Im deutschsprachigen Raum dürfte dieser Widerwille noch dadurch befördert worden sein, dass Rieffs Werke bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Vor diesem Hintergrund will ich mit diesem Aufsatz dafür plädieren, sich intensiver mit Rieffs pointierten Beobachtungen zu beschäftigen, die unkonventionellen Wendungen nachzuvollziehen, mit denen er diese ausdeutet, und seine provokanten Analysen kritisch zu diskutieren. Als Grundlage dafür macht es sich der vorliegende Text zunächst zur Aufgabe, zentrale Annahmen und Argumente von The Triumph of the Therapeutic vor ihrem historischen Hintergrund zu rekonstruieren und zu verorten. In einem zweiten Schritt wird es in engem Bezug auf Sigmund Freuds Das Unbehagen in der Kultur um Rieffs kulturtheoretischen Einsatz gehen, bevor im dritten Schritt mit dem »psychological man« ein Schlüsselkonzept von Rieffs Text identifiziert wird, anhand dessen auch seine kulturhistorische Position erläutert werden kann. In einem letzten Abschnitt schließlich wird im Vergleich mit gegenwärtigen Ansätzen der Psychotherapie-Kritik und der Kultursoziologie danach zu fragen sein, ob und inwiefern Rieffs Zeitdiagnose sich mit Blick auf die Gegenwart als stichhaltig erwiesen hat. Die 1960er Jahre: Kulturrevolution oder Kontinuität? Zentral für die Perspektive, die dieser Aufsatz einnimmt, ist Rieffs übergeordnete Überzeugung, dass die westlichen Gesellschaften zum Zeitpunkt des Erscheinens von The Triumph of the Therapeutic mitten in einem tiefgreifenden kulturellen Wandel steckten. Solche Umbruchsthesen faszinieren und faszinierten die Menschen wahrscheinlich zu jeder Zeit, schließlich versprechen sie ihnen, weltgeschichtlich Relevantes aus nächster Nähe miterleben zu dürfen. Umbruchsthesen machen aus ihren zeitgenössischen 236 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur Leserinnen und Lesern historisch privilegierte Zeuginnen und Zeugen dessen, was sich an Epochenschwellen ereignet. Dennoch gibt es wahrscheinlich historische Momente, in denen derartige Thesen von einer Kulturrevolution auf besonders fruchtbaren Boden fallen. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung von The Triumph of the Therapeutic dürfte in den USA zu diesen Momenten zählen. Schließlich waren im Jahre 1966 die Anlässe, sich Gedanken über die Zukunft der westlichen Gesellschaft zu machen, nicht nur für einen an einer Ivy-League-Universität lehrenden Professor für Kultursoziologie vielfältig, sondern drängten sich den meisten US-Amerikanerinnen und -Amerikanern geradezu auf: Krisen rückten scheinbar immer näher, Unsicherheiten breiteten sich aus. Der Kalte Krieg, das die geopolitische Nachkriegsordnung bestimmende Kräftemessen zwischen den USA und der Sowjetunion, hatte 1962 mit der Kuba-Krise einen neuen Höhepunkt erreicht, den die Geschichtswissenschaft später auch als dessen Gipfel begreifen sollte.1 1965, drei Jahre nachdem die Vereinigten Staaten sich unmittelbar vor ihrer eigenen Küste mit atomar bestückten Raketen konfrontiert gesehen hatten, begann die USamerikanische Regierung, Bodentruppen nach Südvietnam zu schicken. Im eigenen Land vermischten sich die Reaktionen auf diese militärischen Entwicklungen mit Emanzipationsbewegungen, in denen verschiedene Gruppen mehr Anerkennung und Autonomie einforderten: Neben den Studentinnen und Studenten, die gegen den Vietnam-Krieg protestieren, kämpften Frauen in der zweiten Welle des Feminismus für ihre Rechte und ihre sexuelle Selbstbestimmung, und aus der Bürgerrechtsbewegung entwickelte sich nach der Verabschiedung des Civil Rights Act im Jahre 1964 unter anderem die Black-Power-Bewegung. Das Bedürfnis nach einer synthetisierenden Beschreibung und Analyse der gesellschaftlichen Transformationsprozesse der 1960er Jahre dürfte den zeitgenössischen Leserinnen und Lesern Rieffs folglich nachvollziehbar erschienen sein; vielleicht trieb es sie sogar selbst um. Bemerkenswert 1 Die Konfrontation von Ost und West im Kalten Krieg stellt eine Art Hintergrundrauschen von Rieffs soziologischer Analyse dar. Auf die Kuba-Krise spielt er in der folgenden Passage an: »Psychological man is, of course, a myth—but not more of a myth than other model men around whom we organize our self-interpretations. This is the time to evoke this new man, tease him out as the holder of the reins, to assume command of our emotional chaos. He is the sane self in a mad world, the integrated personality in the age of nuclear fission, the quiet answer to loud explosions« (Rieff, 1966, S. 39f., Hervorh. d. A.). https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 237 Inga Anderson aus heutiger Perspektive ist jedenfalls, dass Menschen, gleich welchem politischen Lager sie angehörten und gleich welchen Überzeugungen sie anhingen, in den 1960er Jahren zu der Überzeugung gelangten, dass sich die Welt auf eine nicht umkehrbare Weise veränderte: Die Einschätzung, dass gesellschaftliche Ordnung wandelbar ist und sich der Westen in den 1960er Jahren tatsächlich in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess befand, teilten die Anhängerinnen und Anhänger der oben genannten progressiven Bewegungen mit dem Konservativen Rieff. Doch hat sich diese Einschätzung als angemessen erwiesen? Zunächst muss man heute, aus einer Distanz von mehr als fünfzig Jahren, feststellen, dass in den 1960er Jahren sicherlich viel in Bewegung geriet, jedoch kaum eines der von Pazifistinnen und Pazifisten, der Bürgerrechtsbewegung oder vom Feminismus adressierten Probleme überwunden werden konnte:2 Rassismus prägt nach wie vor das Sprechen und Handeln der meisten Institutionen und den Alltag vieler Menschen. Frauen und Männer sind nicht gleichberechtigt, weder in der Öffentlichkeit noch im Privaten. Wo Frauen und Angehörige sexueller Minderheiten nach sexueller Selbstbestimmung streben, begegnen ihnen auch heute noch immer wieder Aggressionen, nicht selten unverhohlene. Und auch auf geopolitischer Ebene, auf der zwischenzeitlich der Westen als Gewinner aus der Konfrontation mit dem Osten hervorgegangen zu sein schien, treten mittlerweile autoritärere Regierungen immer antagonistischer auf. Nun wäre es allerdings ein Missverständnis, Rieffs These von einem umfassenden Kulturwandel deswegen als verfrüht und seine Einschätzungen als überzogen zu bewerten, weil rückblickend viele der in den 1960er Jahren angestoßenen Veränderungen keine dauerhafte Wirkung entfalten konnten bzw. sich nicht gesamtgesellschaftlich durchsetzten. Rieff geht es in seiner Zeitdiagnose nämlich weniger um die augenfälligen Konflikte seiner Epoche: das Streben der Schwarzen, der Frauen und der Homosexuellen nach Gleichbehandlung und Freiheit, die Bruchlinien zwischen den Jungen und den Alten; diese versteht er eher symptomatisch als 2 Eine mögliche Weiterentwicklung dieses Aufsatzes würde darin bestehen, die hier formulierten Thesen mit der 1968-Forschung, die zuletzt anlässlich des fünfzigsten Jubiläums der Ereignisse des Jahres mit der in Europa vielleicht klingendsten Jahreszahl der Nachkriegszeit (oder, wie bei Robert Stockhammer anlässlich des Jubiläums von 1967) diskutiert, welche gesellschaftlichen Folgen und welche kulturelle Bedeutung die 1960er und 1970er Jahre hatten und haben. 238 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur ätiologisch. Auslöser der entscheidenden kulturellen Transformation ist Rieff zufolge im Kern nicht soziale Ungerechtigkeit oder Unterdrückung, auf die die Benachteiligten und Unzufriedenen – seien es Frauen, Schwarze oder eine gesamte junge Generation – mit Protest oder gar Gewalt reagieren. Ihr Auslöser ist vielmehr etwas denkbar Unscheinbares: die populäre Aneignung der Psychoanalyse als Therapie, mit der die Psychoanalyse zur »cultural force« (Rieff, 1966, S. 32) wurde. Diese These stellt folglich die Folie dar, vor der Rieff die kulturellen Implikationen der sozialen Bewegungen seiner Zeit diskutiert. Ich will dies an den wenigen expliziten Aussagen zum Feminismus und zur Bürgerrechtsbewegung verdeutlichen, die sich in The Triumph of the Therapeutic finden. Rieffs Bemerkungen zur Geschlechterfrage sind zumeist historisch, beispielsweise wenn er den »theoretischen« Feminismus von Wilhelm Reich bespricht (vgl. ebd., S. 157 und S. 163).3 Zwar erkennt er an anderer Stelle in Freuds Misogynie durchaus eine Schwäche in dessen ansonsten unnachgiebig konsequenten analytischen Verstand und stimmt auch der Kritik Adlers zu, dass Freud die soziologische Dimension der weiblichen Entwicklung vernachlässige (vgl. ebd., 1965, S. 81). Ein allzu großes gesamtkulturell transformatorisches Potenzial scheint er dem Feminismus jedoch nicht beizumessen – zu sehr deckt sich die an der Selbstbestimmung eines Individuums orientierte Antriebsstruktur des Feminismus mit der von der Psychotherapie propagierten. Damit interessiert Rieff der Feminismus al3 Diese Nachordnung überrascht, wenn man bedenkt, was für eine prägende gesellschaftliche Kraft der Feminismus in den 1960er Jahren war. Vielleicht ist das Schweigen über die Thesen und Themen des Feminismus strategisch: Hinsichtlich zeitgenössischer Artikulationen des weibliche Strebens nach sexueller Selbstbestimmung ist zu vermuten, dass Rieff diese auf ähnliche Weise abwerten würde, wie andere sexuelle Emanzipationsbewegungen in dem stellenweise irritierenden Epilog »One Step Further«, den Rieff 1978 der dritten Ausgabe seines Erstlingswerks Freud: The Mind of the Moralist hinzufügt: »That Freud appears a remissive theorist, seeing some optional yes in the most adamant no, accounts for the closeness of his otherwise distant connections with current exemplary horrors within Freud’s field of clinical interest: the erotic life of the mind. Movements such as Homosexualism, Pansexualism, Bisexualism, Transsexualism – these pilot abominations in sacred order have nothing to do with Freud« (Rieff, 1979, S. 381). Sexuelle Befreiung kann Rieff nicht anders einordnen denn als ein unzulässiges Ignorieren einer berechtigten Ordnung zugunsten von triebhaften Impulsen. Dass Selbstbestimmung für jedes Geschlecht und mit jeder sexuellen Orientierung heißen muss, sich auch gegen den Trieb entscheiden zu können (dagegen, ihm zu folgen, nicht aber gegen seine Struktur), bleibt für Rieff ein blinder Fleck. https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 239 Inga Anderson lenfalls als ein Phänomen, als eines von zahlreichen Phänomenen, in denen ein viel grundlegender Wandel zum Ausdruck kommt als die Neubestimmung der Geschlechterverhältnisse an und für sich. Die Neuaushandlung des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft im Zeichen der Psychotherapie stellt für Rieff die genuine Kulturrevolution dar. Anders als zum Feminismus verhält Rieff sich zur Bürgerrechtsbewegung, welche ihm zufolge nicht vom psychotherapeutischen Zeitgeist getragen wird. In dieser erkennt Rieff ein Residuum dessen, was mit dem Erfolg der Psychotherapie marginalisiert wird: eine symbolische Orientierung an einem gemeinschaftlichen Zweck (vgl. ebd., 1966, S. 18 und S. 23). »But what apocalypse has ever been so kindly?« Rieff versteht den Triumph des Therapeutischen als eine tiefgreifende Veränderung, die die westliche Kultur auf nie dagewesene Weise in ihren Grundfesten erschüttert. Damit betrifft sie auch den Autor selbst unmittelbar und in existenzieller Dimension. Sie soziologisch zu analysieren, ohne das Terrain der Objektivität zu verlassen, gestaltet sich dementsprechend als herausfordernd. So sehr sich Rieff um wertfreie Begriffe bemüht, um den kulturellen Wandel seiner Gegenwart zu beschreiben – »one must struggle to find neutral terms« (Rieff, 1966, S. 25) –, so wenig gelingt es ihm bisweilen. Dass er seinem eigenen Anspruch, mit soziologischer Neutralität über ein »movement of Western culture away from its former configuration« nachzudenken und dabei die von ihm empfundene Gefahr einer »dissolution of culture« (ebd.) auszublenden, kaum zu genügen vermag, ist Rieff bewusst. Diese Haltung bestimmt freilich den Fluchtpunkt seines Denkens: Wenn Rieff exploriert, welche Effekte die Ausbreitung psychoanalytischer bzw. psychotherapeutischer Denkfiguren bereits gezeigt hat und welche Folgen sie noch haben könnte, steht für ihn immer auch die Frage im Raum, ob das Schicksal der westlichen Kultur durch den Siegeszug des Therapeutischen vielleicht nicht »nur« ein weiteres Mal eine neue Wendung erfährt, sondern ob diese Revolution die Kultur des Westens nun unweigerlich und unwiederbringlich an ihr Ende führen wird: »Cultural revolutions may be viewed more as typical recurrences rather than as unique occurrences. Like a planet, a culture may move around in an ellip- 240 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur tical course, slowly changing its moral direction. In this classical view, all revolutions are repetitions; certainly, there is nothing surprising in the advent of a revolution. It is to be expected, like a change of seasons. But there is another view: that a culture may reach a definite close« (ebd., S. 244). Wo das Therapeutische triumphiert, kann Kultur kaum noch die Aufgabe erfüllen, die in Rieffs Kulturverständnis ihre vornehmste ist, nämlich das Selbst in ein vitales Verhältnis zu gemeinschaftlichen Zwecken zu setzen: »Culture is another name for a design of motives directing the self outward, toward those communal purposes in which alone the self can be realized and satisfied« (ebd., S. 4). Was er stattdessen entstehen sieht, kann Rieff vorerst nur als »new anti-culture« (ebd., S. 23) beschreiben, denn ein entscheidender Richtungswechsel hat stattgefunden. Statt seinen Blick nach außen zu richten, stellt die Psychoanalyse dem Individuum eine Technik zur Verfügung, um sich durch die Wendung nach innen gegen die Ansprüche der Außenwelt zu verteidigen. In den Tiefen seines Selbst findet der Mensch eine ungeahnte Dynamik – stark genug, um die Kraft der Kultur in neue Schranken zu weisen. Während Rieff vor diesem Horizont den kulturellen Wandel seiner Zeit deutet und daraus Schlüsse für die Zukunft zieht, bleibt er nicht durchweg auf einer deskriptiven Ebene; vielmehr kommt er sowohl implizit als auch explizit immer wieder zu äußerst pessimistischen, gar dystopischen Urteilen. In den letzten Zeilen des Einführungskapitels von The Triumph of the Therapeutic gesteht er sogar ein, dass Leserinnen und Leser seine Schilderungen für »some parodies of an apocalypse« (ebd., S. 27) halten könnten. Trotz des dreifachen rhetorischen Distanzierungsmanövers, das Rieff an dieser Stelle, vermutlich in Anrufung wissenschaftlicher Neutralität, vollzieht – man könnte seinen Text für eine Parodie einer solchen halten –, darf die Wahl des Begriffs »Apokalypse« für die Auseinandersetzung mit seinen Positionen durchaus ernst genommen werden. Denn nicht nur das sich darin artikulierende Werturteil, sondern auch die damit vorgenommene Einordnung bringen gleich mehrere Aspekte auf den Punkt, die in The Triumph of the Therapeutic immer wieder aufscheinen: Rieff versteht die Veränderungsprozesse, die er untersucht, nicht nur aus der Nahperspektive der oder des Betroffenen als sehr bedenklich, sondern auch und vor allem aus der abstrahierenden Perspektive der Sozialwissenschaftlerin oder des Sozialwissenschaftlers als in höchstem Maße historisch signifikant. Die sich mit der Diffusion der https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 241 Inga Anderson Psychoanalyse vollziehende Transformation hält er nicht für ein oberflächliches Phänomen, sondern für ein fundamentales; sie verändert die grundlegende Struktur, auf der Kultur und Gesellschaft ruhen und aufbauen. Doch so tiefgreifend sie auch sein mag: Die apokalyptische Zeitenwende, um die es hier geht, ist überraschend schwer zu erkennen. Sie fällt selbst aufmerksamen Beobachterinnen und Beobachtern nicht auf den ersten Blick ins Auge, denn es handelt sich bei dem von Rieff beschriebenen Untergang um ein sanftes Weltende – und somit um ein Weltende, das in seiner Form keine Vorgängerinnen bzw. Vorgänger und Vorbilder hat. »The end of the world as we know it«, die üblicherweise imaginierte Apokalypse, bricht grausam über die Menschen ein, es verwüstet eine Lebensform und zerstört ihre Grundlagen.4 Rieff jedoch malt zunächst keine vom Triumph des Therapeutischen eingeläuteten furchtbaren Szenarien aus, sondern stellt unmittelbar nach der Proklamation einer Apokalypse folgende überraschende Frage: »But what apocalypse has ever been so kindly?« (Rieff, 1966, S. 27). Er stellt sich eine Apokalypse vor, die sich von ihren Vorgängerinnen dadurch unterscheidet, dass sie die Menschen behutsam behandelt. Und so sanft diese Apokalypse sich ereignen könnte, so behaglich könnte die neue Welt sich anfühlen: Rieff ahnt, dass das von ihm gefürchtete Ende der westlichen Kultur in ihrer ihm vertrauten Form den Boden für eine neue und bessere Lebensweise bereiten könnte: »Civilization could be, for the first time in history, the expression of human contents rather than the consolatory control of discontents« (ebd.). Auch eine sanfte und säkulare Apokalypse, die niemals katastrophal wird, könnte somit letzten Endes doch in gewisser Hinsicht eine Zeitenwende darstellen, in der sich ein göttliches Wissen enthüllt. 4 Die biblischen Bilder und Symbole der Apokalypse verstellen bisweilen den Blick auf die tatsächlichen Bedrohungen. Es ist keineswegs unwahrscheinlich, dass eine zukünftige Apokalypse unbemerkt vonstattengeht. Sie kann unerkannt bleiben, weil wir auf die apokalyptischen Reiter warten, die durch Schwert, Krankheit und Hunger töten. Gefährlicher für die Menschheit ist heute jedoch oftmals das Gegenteil, darauf haben am Beispiel des Hunger/Übergewicht der israelische Universalhistoriker Yuval Noah Harari und im Anschluss an ihn der Philosoph und Kulturhistoriker Thomas Macho hingewiesen: »Besiegt und geschlagen wurden die apokalyptischen Reiter vergangener Jahrtausende, also Hunger, Seuchen, Gewalt und Krieg. […] Im 21. Jahrhundert sterben signifikant mehr Menschen daran, dass sie zu viel gegessen haben als an Hunger und Unterernährung« (Macho, 2017, S. 261). 242 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur Leiden lindern: Kultur, Religion, Therapie In dem obigen Zitat – »Civilization could be, for the first time in history, the expression of human contents rather than the consolatory control of discontents« – spielt Rieff selbstverständlich auf Sigmund Freuds Text Das Unbehagen in der Kultur an (Freud, 1930a [1929]). Indem er dessen englischen Titel »Civilization and its Discontents« motivisch variiert, wirft Rieff eine Frage auf, die ihn und uns direkt ins Zentrum der psychoanalytischen Kulturtheorie führt: Könnte der apokalyptische Umbruch, das Ende der uns bekannten Zivilisation, in einer neuen und neuartigen Kultur resultieren, in einer behaglichen Kultur der Zufriedenheit? Kann es eine Kultur geben, in der der Mensch nicht einem ständigen Unbehagen ausgesetzt ist? Genau diese Frage, ob Kultur nämlich das Rätsel des menschlichen Leidens wird lösen können, ob sie den Menschen von seinem Leiden wird erlösen können, treibt Freud in Das Unbehagen in der Kultur um. Er reagiert in diesem Text eingangs auf Romain Rollands Antwort auf seine Religionskritik in Die Zukunft einer Illusion (Freud, 1927c), indem er unterstreicht, dass er und sein Freund Rolland (der von Freud hier als ein selbsternannter solcher bezeichnet wird) bezüglich der Frage, wo die Quellen der Religiosität liegen, unterschiedlicher Meinung sind. Rolland vermeint diese Quelle in einem ozeanischen Gefühl der Allverbundenheit zu erkennen, wohingegen Freud den Ursprung religiöser Gefühle von der Erfahrung infantiler Hilflosigkeit herleitet. Nicht nur weist Freud darauf hin, dass er auf einer individualpsychologischen Ebene die von Rolland beschriebene Allverbundenheit aus eigener Erfahrung nicht kennt, sondern betont darüber hinaus, dass die infantile Hilflosigkeit sich im Laufe der menschlichen Entwicklung entwicklungspsychologisch vielleicht wandeln kann, der Mensch sie jedoch nicht aufzulösen vermag: »Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns, es bringt uns zuviel Schmerzen, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben« (Freud, 1930a [1929], S. 423). Hilflos bleiben wir auch als Erwachsene – nur können oder wollen wir irgendwann nicht mehr auf die Fürsorge der Eltern zählen. Warum aber will es dem Menschen – trotz seines Erfindungsgeistes und trotz seiner Kulturfähigkeit – nicht gelingen, diesem Leiden zu entgehen? Freud macht, darin liegt der maßgebliche Beitrag von Das Unbehagen in der Kultur, Kultur als eine eigenständige Quelle des menschlichen Leidens an und in der Welt aus. Menschen leiden, und zwar nicht nur am Verfall https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 243 Inga Anderson des eigenen Körpers und an der feindlichen Natur, sondern auch und gerade an der Kultur. Diese dient nämlich zwei Zwecken: »dem Schutz des Menschen gegen die Natur und die Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander« (Freud, 1930a [1929], S. 448f.). Sie schränkt zu diesen Zwecken die Freiheit des Einzelnen ein und zwingt ihn, seine Aggressionsneigung zu kontrollieren, weshalb das Individuum ihr feindlich gegenübersteht. Der Sexualität entzieht sie psychische Energie »wie ein Volksstamm oder eine Schichte der Bevölkerung, die eine andere ihrer Ausbeutung unterworfen hat« (Freud, 1930a [1929], S. 464). Nur vor diesem Hintergrund, so wird schließlich der Bogen zurück zum Ausgangsthema der Abhandlung geschlagen, der Religion, können deren ambivalente Rolle und ihre gegenläufigen Funktionen angemessen beurteilt werden: Einerseits lindert die Religion all dieses Leid an der Natur und an den Menschen. Sie tröstet die Verzweifelnden, indem sie ihnen Orientierung und einen Lebenszweck anbietet. Andererseits aber verkörpert Religion das Kultur-Über-Ich, das seine undurchführbaren Forderungen an die Menschen richtet und ihnen so erst das unauflösbare Unbehagen verursacht. Im Falle des Christentums kann dies freilich paradigmatisch greifbar gemacht werden; dort wird dieses Kultur-Über-Ich wortwörtlich von Jesus verkörpert, dessen undurchführbares Gebot lautet, nicht nur seinen Nächsten, sondern sogar den Feind zu lieben. Unfähig, dieses Gebot zu erfüllen, entwickelt der Mensch Schuldgefühle, der gewichtigste Grund für die Glückseinbußen, die gerade der Kulturfortschritt mit sich bringt. Gläubige jedoch werden Religion nicht als Wurzel, sondern als Lösung wahrnehmen: »Die Religionen wenigstens haben die Rolle des Schuldgefühls in der Kultur nie verkannt. Sie treten ja […] auch mit dem Anspruch auf, die Menschheit von diesem Schuldgefühl, das sie Sünde heißen, zu erlösen« (Freud, 1930a [1929], S. 495). Philip Rieff ist ein genauer Leser, ausgewiesener Kenner und ausgesprochener Bewunderer Freuds. Die weiter oben zitierte Anspielung auf Freuds Kulturtheorie geschieht deshalb keineswegs beiläufig, selbst wenn Das Unbehagen in der Kultur an dieser Stelle nicht explizit diskutiert wird.5 Vielmehr nimmt Rieff in The Triumph of the Therapeutic die in den vorangegan5 Eine ausführliche explizite Auseinandersetzung mit Das Unbehagen in der Kultur findet sich im achten Kapitel seines Freud-Buchs The Religion of the Fathers (Rieff, 1965, S. 257– 299, vgl. v. a. S. 266f., wo Rieff die Differenzen zwischen Freud und Rolland kommentiert, und S. 277, wo er sich mit der Funktion des Schuldgefühls beschäftigt). 244 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur genen Absätzen kurz skizzierten Themen und Thesen aus Freuds Essay auf und arbeitet sich argumentativ an ihnen ab, um eine eigene Kulturtheorie zu entwickeln. An deren Horizont erscheint mit der Vorstellung einer Kultur, die kein Unbehagen verursacht, genaugenommen eine Möglichkeit, mit der Rieff über »seinen« Freud hinausgeht, dessen beste aller möglichen Welten er als eine sich in einem Equilibrium des Unbehagens befindende beschreibt: »We are not unhappy because we are frustrated, Freud implies; we are frustrated because we are, first of all, unhappy combinations of conflicting desires. Civilization can, at best, reach a balance of discontents« (Rieff, 1965, S. 343). Zunächst stellt Rieff in seinen kulturtheoretischen Überlegungen ein in menschlichem Leiden gründendes, enges Verhältnis von Religion und Kultur heraus. Rieff übernimmt damit den zentralen Ausgangspunkt Freuds: Er stimmt mit dem bewunderten Denker hinsichtlich der grundlegenden Ansicht überein, dass der Religion die entscheidende Aufgabe zukommt, das Individuum und seine Kultur miteinander ins Verhältnis zu setzen. Menschen brauchen religiösen Trost und die Hoffnung auf jenseitige Erlösung, weil sie leiden – und zwar auch und vor allem an den jede intersubjektive Beziehung bestimmenden Ansprüchen von Kultur. Seine Argumentation ist jedoch nicht entwicklungspsychologisch perspektiviert, sondern kultursoziologisch. Rieffs Interesse gilt somit weniger der Frage, wie sich die Struktur von Kultur aus der Struktur der individuellen Psyche und ihrer Entwicklung ableiten lässt, sondern er interessiert sich vor allem dafür, wie die Struktur einer bestimmten Kultur Persönlichkeit auf eine spezifische Weise organisiert. Das Zitat am Ende des vorherigen Abschnitts bedenkend ließe sich hier also spezifizieren, dass Rieff die Möglichkeit einer Kultur, in der der Mensch nicht ein fundamentales Unbehagen empfinden muss, nicht kategorisch ausschließt. Er lässt das Bestehen einer Kultur ohne ein dieser originär innewohnendes Leiden also zumindest spekulativ zu, selbst wenn die Kulturgeschichte bislang keine so geartete Kultur kennt. In ihrer existenziellen Verzweiflung verlangen Menschen eine Antwort auf die – wie Rieff sie bezeichnet – religiöse Frage: »How are we to be consoled for the misery of living?« (Rieff, 1966, S. 29). Jede Antwort auf diese Frage ist Ausdruck eines Glaubens. Damit ist diese Frage strukturell religiös, auch wenn sie freilich nicht allein innerhalb institutionalisierter Religionsgemeinschaften formuliert wurde und genauso wenig allein von Kirchen beantwortet wurde. Ein Glaube, wie er in einer überzeugenden https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 245 Inga Anderson und befriedigenden, Ruhe vom Leiden verschaffenden Antwort zum Ausdruck kommen muss, richtet sich für Rieff stets auf etwas, das jenseits der leidvollen Faktizität der Existenz liegt. »The individual must be compensated by pleasures at once higher and more realizable than the pleasure of instinctual gratification« (ebd., S. 10). Auf diese Weise kann Religion Hoffnung nähren und Trost spenden. Sie lindert dann Leiden, wie Freud es betonte, oder, so könnte man es auch formulieren: Sie wirkt therapeutisch.6 Wo die religiöse Frage gestellt und beantwortet wird, findet immer auch eine gewisse Form von Therapie statt, denn wenn die Antwort einer Religion überzeugen kann, muss der gläubige Mensch nicht verzweifeln, sondern kann auf Trost hoffen. Es wird ihm folglich etwas leichter fallen, sich und die Welt zu ertragen. Diese Schnittmenge zwischen der Religion und der Psychotherapie will Rieff hervorheben. Dass jede Religion therapeutisch wirkt, heißt umgekehrt allerdings nicht, dass Therapie Religion zu werden versuchen sollte. Rieff richtet sich nachdrücklich gegen die Vorstellung, dass moderne und säkularisierte Therapien, so erfolgreich sie auch dazu beitragen mögen, das menschliche Leiden an Kultur zu lindern, Religion ersetzen könnten.7 Besonders geht es ihm dabei natürlich um auf die Psyche wirkende, analytische Therapien, untern denen die Freuds die maßgebliche ist (vgl. Rieff, 1966, S. 73). Um zu verstehen, warum die für die Glücksversprechen der säkularisierten Gesellschaften der Moderne so verführerische Umkehrung »Religion ist therapeutisch, darum kann eine moderne Therapie an die Stelle von Religion treten« für Rieff einen Fehlschluss darstellt, müssen erstens die unterschiedlichen therapeutischen Wirkweisen der Religion und der Psychotherapie und zweitens eine Art »Nebenwirkung« der in einem religiösen Rahmen stattfindenden Therapie in Betracht gezogen werden. Damit ist 6 Auf die Analogien zwischen Religion und (Psycho-)Therapie ist immer wieder und mit wechselndem Fokus hingewiesen worden. Mal richtete sich der Blick auf die Autorität der Therapeutinnen und Therapeuten, in der etwas von der Autorität der Priester fortwirkt, mal auf die Gemeinsamkeiten zwischen der Beichte und der psychoanalytischen Behandlungssituation: Ohne das Gegenüber erblicken zu können, erforschen Gläubige sowie Patientinnen und Patienten sprechend ihr Inneres. Gerade dasjenige soll ausgesprochen werden, was die geltenden Gebote eigentlich untersagen. 7 Genau das wirft Rieff in der zweiten Hälfte von The Triumph of the Therapeutic Freuds »succesor-critics« (Rieff, 1966, S. 2) Carl Gustav Jung, Wilhelm Reich und D. H. Lawrence vor: dass sie in der Psychoanalyse eine eschatologische Antwort auf die religiöse Frage finden wollten. 246 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur freilich eine genuin religiöse Therapie gemeint, nicht die Anreicherung psychotherapeutischer Operationen mit seelsorgerischem Vokabular. Während die Religion auf die heilende Wirkung der Bindung und der Hingabe setzt, basiert die analytische Therapie auf rationaler, distanzierender Beobachtung: »Commitment therapies […] operate by returning the individual to the cosset of his natal community or by retraining him for membership in a new community, with a more effective pattern of symbolic integration […]. Analytic therapies, on the other hand, are uniquely modern and depend largely upon Freudian presuppositions. The therapeutic effort is not primarily transformative but informative« (ebd., S. 76). Wo sich die therapeutische Wirkung der Religion auf diese Weise realisiert, zeitigt sie einen gemeinschaftsstiftenden Nebeneffekt: Die therapeutische Wirkung der Religion, ihr Versprechen einer individuellen Erlösung, ist nämlich stets mit der Integration in eine positive Gemeinschaft mit einem geteilten Sinnhorizont verbunden. Diese definiert Rieff wie folgt: »[P]ositive communities are characterized by their guarantee of some kind of salvation of self; and by salvation is meant an experience which transforms all personal relations by subordinating them to agreed communal purposes« (ebd., S. 73). Säkulare analytische Therapien hingegen können und wollen keine heilenden Gemeinschaften hervorbringen, allenfalls negative Gemeinschaften vermögen sie zu bilden: »The analytic therapy developed precisely in response to the need of the Western individual […] for a therapy that would not depend for its effect on a symbolic return to a positive community; at best, analytic therapy creates negative communities« (ebd.). Im Übrigen funktioniert Rieff zufolge der Marxismus genauso wie die Religion als eine »commitment therapy«, die den Einzelnen mit den Vielen in Einklang bringt, indem sie das Individuum auf die Gemeinschaft hin ausrichtet, die es braucht, um zu heilen. Deshalb hält er auch die Psychoanalyse, nicht den Marxismus, für das eigentlich revolutionäre Projekt des 20. Jahrhunderts. Der Marxismus bleibt schließlich in der klassischen therapeutischen Wirkungslogik verhaftet, wie sie die Religionen prägten: »The function of the classical therapist is to commit the patient to the symbol system of the community, as best as he can and by whatever techniques are sanctioned« (ebd., S. 68). Es wird deutlich, dass Rieff auch darin mit Freud übereinstimmt, dass es zwar die augenfälligere Funktion von Religion ist, dem Individuum Trost https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 247 Inga Anderson zu spenden, nicht aber die primäre: Diese liegt vielmehr darin, die Ansprüche einer Kultur, die Ansprüche und Regeln des Zusammenlebens in Gemeinschaft an das Individuum heranzutragen und bei diesem das Bedürfnis zu erzeugen, diesen gerecht zu werden – diejenige Funktion von Religion, die Freud als »Kultur-Über-Ich« bezeichnet. Wo Religion therapiert, zumindest wenn sie die Religion einer Gemeinde oder gar einer Institution ist und nicht Askese, verteidigt und konsolidiert sie herrschende moralische Vorstellungen und geltende Regeln: »Therapeutic elites before our own were predominately supportive rather than critical of culture as a moral demand system« (ebd., S. 15). Die zeitgenössische therapeutische Elite jedoch, von denen Rieff hier als der »unsrigen« spricht, erfüllt diese Aufgabe weniger und weniger. Sie versteht sich keineswegs als tragende Säule einer kulturellen wie therapeutischen Ordnung, die in einen »consensus of ›shalt nots‹« (ebd.) eingebettet ist. Vielmehr steht die den moralischen Ansprüchen, den Geboten und Verboten einer Kultur kritisch gegenüber; sie strebt nicht nach Impulskontrolle, sondern nach Impulsabfuhr. Es mag irritieren, dass Rieff mit der Rede von den therapeutischen Eliten so freimütig heterogene psychotherapeutische Ansätze zusammenfasst. Denn auch wenn der »Psychoboom«, mit dem die Zahl der Psychotherapien in den 1970er Jahren noch einmal schlagartig anstieg und psychotherapeutisches Denken durch Selbsthilfe-Gruppen, durch Coaching und Beratung zu immer mehr Lebensfragen in Anschlag gebracht wird, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gerade erst einsetzt, hatten sich schließlich in den späten 1960er Jahren bereits mannigfaltige psychotherapeutische Schulen entwickelt. Meinungsverschiedenheiten innerhalb der psychoanalytischen Bewegung führten immer wieder zu Schismen und zur Herausbildung neuer psychotherapeutischer Schulen, welche sich zum Teil erheblich in ihren Theorien und Techniken unterscheiden. Diese Unterschiede aber zu durchdringen fällt nicht in das Erkenntnisinteresse Rieffs: Wer feststellt, dass die Obsternte reichlich ausgefallen ist, hat damit nicht Äpfel und Birnen zu Objekten eines illegitimen Vergleiches gemacht. Schwerer als alle ihre Differenzen wiegt für Rieff eine Gemeinsamkeit der analytischen Therapien, die sich ihm in deren kultursoziologischer Analyse offenbart: Analytische Psychotherapien erodieren das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft und zersetzen Kultur. Statt danach zu streben, in einer positiven Gemeinschaft aufzugehen, schließen Individuen sich allenfalls in negativen Gemeinschaften zusammen, statt sich an einem höheren oder größeren Außen zu orientieren, wenden sich 248 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur Menschen nach innen. Damit aber schwindet für Rieff die Kulturfähigkeit des Menschen. Freuds analytische Haltung An dieser Stelle ist ein caveat angebracht: Obwohl Freuds Psychoanalyse all den unterschiedlichen analytischen Therapien der Spätmoderne den Boden bereitet, denen Rieff die gewichtige Gemeinsamkeit zuschreibt, dass sie Kultur zersetzen, ist Freud für Rieff keine Negativfigur, sondern geradezu ein Genie. Dass Rieff tief von Freud fasziniert ist, lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass er dessen Leben und Werk zwei seiner vier Monografien widmet: Neben dem hier im Zentrum stehenden Werk The Triumph of the Therapeutic setzt sich dessen Vorgängerschrift, das erstmals 1959 erschienene Buch Freud: The Mind of the Moralist, ebenfalls mit der Psychoanalyse Freuds auseinander.8 Ein kurzer Blick auf einige relevante Passagen aus Rieffs Erstlingswerk soll an dieser Stelle dazu beitragen, dessen intellektuelles Anliegen besser zu verstehen und ein genaueres Gespür für die Differenzierungen und Nuancen zu entwickeln, die seine Argumentation durchaus an vielen Stellen auszeichnen – gerade angesichts der kulturpessimistischen Thesen, die Rieff in The Triumph of the Therapeutic mit großen rhetorischen Gesten vorträgt. Auch in seinen Freud-Lektüren widmet Rieff sich intensiv der Vermittlung zwischen Individuum, Gesellschaft und Kultur, welche das zentrale Element seiner Kulturtheorie darstellt. Bei Freud findet er nicht nur eine bedenkenswerte Erklärung dafür, warum Kultur, indem sie menschliches Leiden lindert eben jenes erzeugt, sondern auch ihn überzeugende Ansätze einer nicht-religiösen, therapeutischen Vermittlung zwischen Individuum, 8 Nach den beiden Freud-Büchern erschienen zu Rieffs Lebzeiten noch zwei weitere Monografien: Fellow Teachers im Jahr 1973 und erst 2005, ein Jahr vor seinem Tod, My Life Among the Deathworks: Illustrations of the Aesthetics of Authority, welches den ersten Band einer Reihe von Publikationen darstellen sollte. In den dazwischen liegenden Jahren hatte Rieff nur einige Aufsätze veröffentlicht und sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen: »A famously prickly man, he spent his last years at home in his Philadelphia townhouse, venturing out rarely, seeing few visitors, fiddling with his unfinished manuscripts. He was one of those whose obituary prompts one to exclaim: Was he still alive? Yes, he was. And his withdrawal from public life was pregnant with meaning. […] [D]ropping out was Rieff’s counter-countercultural strategy« (Beer, 2006, S. 247). https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 249 Inga Anderson Gesellschaft und Kultur. Wovon bislang unter dem weiten Begriff des Leidens die Rede war, spielt dabei als medizinisch beobachtbare Pathologie eine Rolle: Freud versteht die moralischen Regeln, die durch die Einhegung triebhafter Impulse das Zusammenleben in einer Kultur regulieren, als Auslöser für Neurosen. Diese Ansicht würde freilich niemand aus den von Rieff für den Kulturzerfall verantwortlich gemachten »therapeutischen Eliten« bestreiten – im Gegenteil, liefert sie ihnen doch bei der Verteidigung des Inneren gegen die Ansprüche der Kultur die wichtigste Waffe. Es gebe jedoch, so macht Rieff auf einen Aspekt der Freudschen Psychoanalyse aufmerksam, der im Zuge ihrer Popularisierung häufig weniger beachtet wird, keine Hinweise darauf, dass Freud aus seiner Kulturkritik den Schluss ziehe, kulturelle Gebote und Verbote seien zu ignorieren oder abzuschaffen. Einen Beleg dafür findet er nicht zuletzt in Freuds praktischer ärztlicher Herangehensweise: Die Konfrontation mit Patientinnen und Patienten, die unter den Regeln der Monogamie leiden, bewegte Freud schließlich ebenso wenig dazu, für die Abschaffung der bürgerlichen Ehe zu plädieren, wie die Analyse des Inzesttabus ihn dazu führt, dessen Durchbrechen zu fordern. »To detach the individual from the most powerful lures in life, while teaching him how to pursue others less powerful and less damaging to the pursuer—these aims appear high enough in an age rightly suspicious of salvations. Freud had the tired wisdom of a universal healer for whom no disease can be wholly cured. Freud never wanders beyond analysis into prophecy. He leaves us with the anxiety of analysis—the anxiety proper to psychological man. Fidelity may frequently be neurotic, but Freud scarcely authorizes adultery. While explaining the incest taboo as a residue of historic repressions, of course he does not sanction the cohabiting of brother and sister, mother and son« (Rieff, 1965, S. 327f.). Rieff erkennt in Freuds Denken ebenso wie in seiner Behandlungstechnik eine unerbittliche analytische Haltung, die die Ursachen für neurotisches Leiden durchdringen will – nicht jedoch, um diese Ursachen aufzulösen, davor schützt Freud sein Realitätssinn, sondern lediglich um sie als erkannte und verstandene etwas besser aushalten zu können. Erfolgreich Analysierte haben sich nicht von den Auslösern ihrer Neurosen befreit, sie können sich aber nun, da sie sie kennen, zu ihnen verhalten, sie moderieren: »the successful patient has learned to withdraw from the painful tension 250 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur of assent and dissent in his relation to society by relating himself more affirmatively to his depths« (ebd., S. 330). Heilung muss auf Heil verzichten, Lösungen können nicht erlösen. Diese analytische Haltung bildet für Rieff den Kern der Psychoanalyse. Hinter sie kann, wie er unermüdlich darlegt, psychoanalytisches Denken nicht zurückfallen, ohne die Psychoanalyse dessen zu berauben, was ihr größtes Verdienst darstellt. An Freuds analytischer Haltung misst Rieff folglich auch alle Transformationen, die die Psychoanalyse sowohl in den Schriften von Freuds Nachfolgerinnen und Nachfolgern durchläuft und die in ihrer impliziten, alltags- und massenkulturellen Aneignung widerfährt: »For humanists in science, and for scientists of the human, Freud should be the model of a concern with the distinctively human that is truly scientific« (ebd., S. 27). Das Urteil, zu dem Rieff kommt, wenn er Freuds analytische Haltung als Messlatte an die spätere Psychotherapie anlegt, dürfte nicht überraschen: Ihrem Vorbild wurden die therapeutischen Eliten nach Freud kaum je gerecht, weil diejenigen, die Freud nachzueifern meinten, allzu oft dessen dem Menschen zugewandtes, aber dennoch im entscheidenden Moment kühles wissenschaftliches Auge vermissen lassen. Ein solcher Blick auf den Menschen ist aber unabdingbar, um akzeptieren zu können, dass letztlich auch die Psychoanalyse das Unbehagen in der Kultur nicht wird überkommen können. Sowohl die Regeln der Kultur als auch die Triebkräfte des Inneren sind vor allem anderen auf die Sexualität bezogen. Rieff plädiert nachdrücklich dafür, den Stellenwert der Sexualität in der psychoanalytischen Theorie nicht zu historisieren, sondern ihn anthropologisch zu begreifen: Freuds Fokus auf die psychosexuelle Entwicklung des Subjekts sei nicht der ihn umgebenden Prüderie des viktorianischen Zeitalters geschuldet und nur in Bezug auf diese angemessen zu verstehen, sondern eine historisch übertragbare Einsicht in die Konstitution des Selbst. Historisch übertragbar ist darum auch die Einsicht in die Konstitution von Kultur, die Rieff aus seiner analytischen Haltung ableitet – um Kultur sein zu können, muss diese die Sexualität des Menschen domestizieren und diesen Verzicht lehren. Vielleicht mag die Analyse die Psyche von der Vorstellung befreien, Seele werden zu wollen, um in etwas Höherem aufgehen zu können, doch sollte sie nicht danach streben, die Regeln der Kultur nach den Triebkräften des Inneren modellieren zu wollen. Gleichzeitig muss Rieff allerdings zugestehen, dass selbst die am nachdrücklichsten für sexuelle Freiheit plädierenden Abwandlungen, selbst die https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 251 Inga Anderson ausschweifendsten Aneignungen der zurückhaltenden Freudschen Psychoanalyse, die keine Notwendigkeit zum Triebverzicht anerkennen wollen, durchaus bereits in dieser angelegt sind: »Yet if moral rules come only from cultures which legislate deviously for their own advantage, against the freedom of the individual, how can any part of conduct be taken for granted? If every limit can be seen as a limitation of personality, the question with which we may confront every opportunity is: after all, why not? While Freud never committed himself, the antinomian implications are there. And those who have interpreted Freud as advocating, for reasons of health, sexual freedom—promiscuity rather than the strain of fidelity, adultery rather than neuroses—have caught the hint, if not the intent, of his psychoanalysis. Freud intimates that we are ready for a new beginning; he does not actually suggest one« (Rieff, 1965, S. 328). »We are ready for a new beginning.« Hier findet sich bereits das Motiv eines radikalen Neubeginns, das in The Triumph of the Therapeutic im Bild der Apokalypse wieder auftaucht. Freuds analytische Haltung verbat es ihm, einen Entwurf einer kulturellen Revolution zu wagen, auf den er sich affirmativ beziehen könnte. Auch Rieffs Vorstellungskraft reicht nicht aus, eine utopische neue Ordnung zu imaginieren, wenn er sie auch prinzipiell für möglich hält. Die tatsächlichen Vorboten einer neuen Zeit jedoch, die er um sich herum beobachtet, stimmen ihn bedenklich. Der Auftritt eines neuen charakterlichen Ideals Durch Freuds Lehren wurden Spannungen zwischen dem inneren und dem äußeren Leben auf eine neue Weise thematisiert. Nicht nur drängten sich diese Spannungen den Initiierten in einer vorher nicht dagewesenen Deutlichkeit auf, vielmehr erschloss sich ihnen auch ein neuer Weg, um mit ihnen umzugehen: nicht, indem das innere Leben nach ihm äußerlichen Gesetzen gestaltet wurde, sondern durch den Versuch, dem inneren Leben zu seinem eigenen Recht zu verhelfen. Oft gerieten mit dem Fokus auf die Gesetze des Psychischen aber die Errungenschaften und auch das Eigenrecht der Kultur aus dem Sichtfeld. Zwar vermochte Freud selbst als großer Realist die Spannungen zwischen Innen und Außen auszuhalten, ohne an Schärfe oder Weitsicht einzubüßen, das heißt ohne die Notwendigkeit von 252 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur den Trieb domestizierenden Ge- und Verboten prinzipiell infrage zu stellen; den allermeisten derer, die sich für seine Ideen interessierten und sich von ihnen begeistern ließen, gelang es jedoch nicht, Freuds Beispiel folgend Innen und Außen gleichermaßen im Blick zu behalten: »Such careful and detailed concentration on the self as Freud encourages may more often produce pedants of the inner life than virtuosi of the outer one« (Rieff, 1965, S. 329). Rieff betrachtet Freud als eine Schwellenfigur, die mit ihren Einsichten einerseits dringend benötigte Lösungen für Neurosen anbot, aber andererseits auch neue Herausforderung erschuf: Seine Psychoanalyse zeigt neue Lösungen, doch verweigert sie letzten Endes doch die Erlösung – was wenigen zu einer Art demütigen Weisheit verhilft, die meisten aber zu Pedantinnen und Pedanten der Innerlichkeit macht. Gerade diese Dynamik aber, die Rieff kultursoziologisch so emphatisch kritisiert, bildet den Grundstein für die Popularität der Psychoanalyse: Mit der intensiven Konzentration auf das Selbst hat Freud solch eine überzeugende und attraktive Alternative zu einem vom Leiden befreienden therapeutischen Aufgehen in der Gruppe formuliert, dass aus immer mehr Unerlösten Kranke wurden. Nicht nur brauchten diese die Gruppe nicht mehr, um zum Heil zu gelangen, sondern sie konnten auf dem Weg zur Heilung sogar lernen, sich mit psychotherapeutischen Argumenten gegen die Regeln und Ansprüche der Kultur zu verteidigen. Wie in den vorherigen Abschnitten herausgearbeitet wurde, kann Rieff sich nicht zu einem eindeutigen Urteil durchringen, ob der Erfolg der Psychoanalyse eine kulturelle Revolution im Sinne einer apokalyptischen Zeitenwende einläutete, die langfristig die Zivilisation, aus der sie entsprang, an ihr Ende führen wird, oder ob aus ihr letzten Endes eine Kultur des Behagens entspringen wird. Sicherlich aber war und ist der Erfolg der Freudschen Lehren vor allen Dingen in den USA9 groß genug, um Rieffs These, dass mit Freud ein neues Kapitel in der Geschichte des Westens anbrach, zu stützen. Rieff illustriert seine These durch eine historiografische Narration, in der jedes menschheitsgeschichtliche Kapitel durch eine eigene Hauptfigur geprägt ist. Auch das Kapitel über den Erfolg der Psychoanalyse wird er9 Zu den Wurzeln des Erfolgs der Psychoanalyse in den USA vgl. das Kapitel »Freud: A Cultural Innovator« in Illouz, 2008, S. 22–56, zu einem Vergleich zwischen den unterschiedlichen Voraussetzungen für die Entwicklung der Psychoanalyse in Europa und den USA Zaretsky, 2006, S. 100–103, oder mit einem historischen Fokus auf die Nachkriegszeit Herzog, 2016. https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 253 Inga Anderson zählt, indem die Entwicklung einer neuen Hauptfigur verfolgt wird. Diese Hauptfigur wird erstmals bereits im letzten Teil von Freud: The Mind of the Moralist vorgestellt, der mit »The Emergence of Psychological Man« überschrieben. Dieser psychologische Mensch stellt den Nachfolger des politischen, des religiösen und schließlich des ökonomischen Menschen dar: »Three character ideals have successively dominated Western civilization: first, the ideal of the political man, formed and handed down to us from classical antiquity; second, the ideal of the religious man, formed and handed down to us from Judaism through Christianity, and dominant in the civilization of authority that preceded the Enlightenment; third, the ideal of the economic man, the very model of our liberal civilization, formed and handed down to us in the Enlightenment. This last has turned out to be a transitional type, with the shortest life expectancy of all; out of his tenure has emerged the psychological man of the twentieth century, a child not of nature but of technology« (Rieff, 1965, S. 356). Die Kulturgeschichte des Westens wird hier in nur einem Satz als Geschichte einander ablösender charakterlicher Ideale erzählt, die das jeweilige Selbstbild der Menschen bestimmen, ihren Symbolwelten zugrunde liegen, ihren Anstrengungen, Ordnung und Form in die Welt zu bringen, Struktur geben – »model men around whom we organize our self-interpretations« (Rieff, 1966, S. 40). Die Figur des politischen Menschen verbindet Rieff mit der klassischen Antike; die Wurzeln des religiösen Menschen liegen im Judentum, mit dem Christentum wuchs dieser weiter. Im Vergleich zu diesen beiden Idealtypen erscheint die Lebensdauer des ökonomischen Menschen kurz: Mit der Aufklärung tritt er ins Licht der Geschichte, doch schon mit dem 20. Jahrhundert überlässt er seinem Nachfolger das Feld. Bei diesem Nachfolger handelt es sich um den »psychological man«, einen Charaktertyp, dessen Denken und Handeln den Gesetzen der Psychologie folgt. Erneut wird hier deutlich, für wie kulturhistorisch gewichtig Rieff die symbolische Ordnung der Psychoanalyse hält: Schließlich vergleicht er ihren Einfluss mit dem der politischen Philosophie der Antike, dem des Juden- und Christentums sowie mit dem der Aufklärung. Allen vier Charakteridealen ist gemeinsam, dass sie gleichsam historisch bedingt und Motor historischer Entwicklung sind. Als neues charakterliches Ideal ist der »psychological man« somit nicht nur ein Ergebnis, sondern ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Psychoanalyse. Was also 254 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur zeichnet den psychologischen Menschen aus, was macht ihn besonders? Zunächst ist er, so endet die oben zitierte Ein-Satz-Genealogie, kein Kind der Natur, sondern der Technologie. Diese Formulierung kann im Sinne einer technikgeschichtlichen These im engeren Sinne verstanden werden: Erst die technischen Innovationen und ingenieurswissenschaftlichen Erkenntnisse der zweiten industriellen Revolution schafften die sozioökonomischen Voraussetzungen, unter denen das Charakterideal des psychologischen Menschen sich ausbilden und an Bedeutung gewinnen konnte. Eli Zaretsky hat in seiner Geschichte der Psychoanalyse darauf hingewiesen, wie die Psychoanalyse in der sich herausbildenden Konsumgesellschaft den Nährboden fand, auf dem sie wachsen und sich ausbreiten konnte: »Die Anfänge der zweiten industriellen Revolution lagen in den 1860er, 1870er Jahren – in der Zeit von Freuds Kindheit und Jugend. In diesen Jahrzehnten entstanden die für die Epoche charakteristischen Wissenschaften, Technologien (Dynamo, Stahl und Chemie) und wirtschaftlichen Organisationsformen (Großbanken, Konzerne, Welthandel). […] Bildung, Schulwesen und Forschungseinrichtungen, vor allem die Universitäten, machten gewaltige Fortschritte und trugen zur Beschleunigung der Produktion bei – der Voraussetzung der zur Zeit des Fin de siècle einsetzenden Ära des Massenkonsums« (Zaretsky, 2006, S. 38). Mit dem Massenkonsum stieg auch der »Druck auf die Geschlechterordnung« (ebd., S. 66), deren Regeln für den Ausdruck und das Ausleben von Sexualität vorher nur selten angetastet wurden. Diese Regeln gerieten vor allen Dingen deshalb auf den Prüfstand, weil die Bedeutung der Familie sich unter den neuen ökonomischen Bedingungen veränderte: Schon lange bildete die Familie nicht mehr eine vorindustrielle, wirtschaftliche Produktionseinheit, stattdessen wurde sie zum Herzen einer neu gewonnenen Privatsphäre. Diese unterschied sich von der Sphäre des öffentlichen Lebens vor allem darin, dass es sich um jene »Sphäre der Gesellschaft [handelte], in der man erwarten konnte, ›um seiner selbst willen‹ verstanden und gewürdigt zu werden« (ebd., S. 204). Es entstand ein Ort, an dem es nicht um Disziplin und um Selbstbeherrschung geht, sondern um Pflege des Selbst, vielleicht sogar um dessen Befreiung. Als Kind der Technologie kann der »psychological man« aber auch in einem weiteren Sinne verstanden werden, denn die Psychoanalyse stellt ihm eine psychotherapeutische Technik für eben diese Pflege und Befreiung des Selbst https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 255 Inga Anderson zur Verfügung. Wo der ökonomische Mensch Technik nutze, um mit den aggressiv-expansiven Bewegungen des Kapitalismus die abgelegensten Winkel der Welt zu erkunden und verfügbar zu machen, richtet der psychologische Mensch seine Blickrichtung nach innen, um dort mit der Hilfe neuer Techniken der Psychoanalyse die unbekannten Kontinente der Psyche zu entdecken. Die flache Welt des psychologischen Menschen Mit dem Abschlusskapitel »The Emergence of Psychological Man« eröffnet Rieff nach einer rund 400-seitigen, mikroskopischen Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk Freuds eine Perspektive der longue durée. Die Frage, was der Erfolg der Psychoanalyse für die Geschichte des Westens bedeutet, erscheint als argumentativer Horizont des Erstlingswerks Rieffs, wobei es nicht überraschen dürfte, dass die Prognose düster ist: Die Rekonfiguration des Politischen und der Moral, die mit dem Erfolg der Psychoanalyse einhergeht, ebnet den Weg für eine »tyranny of psychology, legitimating self-concern as the highest science« (Rieff, 1965, S. 355). Die hier zum Ausdruck kommende Sorge wird Rieff zu seinem zweiten Buch führen. Und bereits im Vorwort zu The Triumph of the Therapeutic verweist Rieff erneut auf den psychologischen Menschen: »I have thought it important to amplify the concept of psychological man for a reason stated most succinctly by two historians in their appraisal of my work and its implications: If the dominant character type of the twentieth century is really what Rieff calls ›psychological man‹, the consequences for western society are quite incalculable« (ebd., 1966, S. vii). Beim Versuch, sich dieser Herausforderung zu stellen und den Einfluss der Psychoanalyse auf die Geschichte des Westens zu ermessen, zeichnet Rieff das Bild des neuen Charaktertyps »psychological man« von Beginn an mit harschen Pinselstrichen und bezeichnet ihn in den eröffnenden Abschnitten seines Buches warnend als »the latest, and perhaps the supreme, individualist« (ebd., S. 10), der eine tiefe und vor allen Dingen gefährliche Aversion gegen Kultur in sich trägt. Während Rieff im weiteren Verlaufe sein wenig schmeichelhaftes Portrait des »psychological man« detaillierter entwirft, gilt sein Interesse besonders den Implikationen von dessen 256 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur Charakterstruktur für die Politik und für die Moral – für zwei Systeme also, die das Zusammenleben in einer Kultur regeln. Politisch ist der neue Menschentyp, der mit der Psychoanalyse entsteht, bis in sein Herz demokratisch. Dennoch brennt dort kein Feuer für die Demokratie; der psychologische Mensch ist kein glühender Verfechter demokratischer Ideen, denn er hat gelernt, alle politischen Überzeugungen vor allen Dingen symptomatisch zu deuten. Demokratisch ist eine vom »psychological man« dominierte Gesellschaft eher deshalb, weil es sich bei diesem um eine zutiefst anti-heroische Figur handelt. Die moderne Demokratie, die ausgehend von der Aufklärung entsteht, kann (ihrer Idee nach und unabhängig von ihren mangelhaften, Ungleichheit zulassenden historischen Manifestationen) beschrieben werden als Herrschaft eines Volkes, das aus gleichwertigen Individuen besteht. Zwar kennt eine solche politische Ordnung der Gleichheit keinen Ort für das Exzeptionelle, für Heldinnen und Helden, denen besondere Autorität zukäme, weil sie außergewöhnlich sind.10 Gleichzeitig aber braucht eine egalitäre Demokratie selbstbewusste Individuen, um vital zu bleiben: Sie braucht Individuen, die ohne den Zuspruch einer übergeordneten Autorität in sich selbst das Vertrauen finden können, besonders zu sein und deshalb zu zählen. In sich selbst finden sie die politische Antriebskraft, mit der sie ihre sich aus ihrer individuellen Geschichte ergebenden Ansprüche gegen unzulässige Übergriffe der zahlreichen anderen Gleichwertigen verteidigen. Rieff bringt dies gewitzt auf den Punkt, wenn er lakonisch bemerkt, dass in der Welt des psychologischen Menschen aus dem Ödipus Rex der Ödipuskomplex wird (vgl. Rieff, 1966, S. 66). Auch wenn Rieff sich dagegen verwehrt, aus Freuds Modell des Subjekts eine Theorie der Befreiung des Selbst abzuleiten, erkennt er also in der Psychoanalyse durchaus eine politische Theorie. Patientinnen 10 Eine ähnliche Argumentationslinie verfolgt die in New York City praktizierende, belgische Psychotherapeutin Esther Perel, wenn sie demokratische Gesellschafts- und Beziehungsideale als einen Faktor identifiziert, der dazu beiträgt, dass aus langfristigen Beziehungen häufig zuerst die Erotik, dann das Begehren und schließlich die gesamte Sexualität verschwindet: »Some of America’s best features – the belief in democracy, equality, consensus-buildung, compromise, fairness, and mutual tolerance – can, when carried too punctiliciously into the bedroom, result in very boring sex. Sexual desire and good citizenship don’t play by the same rules. And while enlightened egalitarianism represents one of the greatest advances of modern society, it can exact a toll in the erotic realm« (Perel, 2007, S. 55f.). https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 257 Inga Anderson und Patienten lernen mithilfe der Psychoanalyse, Facetten ihrer Sexualität zu artikulieren, von denen sie vorher nicht sprechen konnten. Nachdem die Sexualität im Behandlungszimmer sprechen gelernt hat, kann sie auch zu einer politischen Stimme werden: »Perhaps it might be more accurate to see depth psychology not as an emancipation of sex but as an enfranchisement. Freud recognized that in fact the silent vote of the psychic world never had been silent. He is the Bentham of the unenfranchised unconscious; what he brought into the realm of legitimacy, he also brought to responsibility« (ebd., 1965, S. 345). Diese Dynamik betrifft nicht nur individuelle, innerpsychische Kräfteund Machtverhältnisse, innerhalb derer einerseits das Ich dem Trieb seine Regeln aufzuerlegen versucht, was ihm umso besser, d. h. auf umso gesündere Weise gelingt, desto besser es mittels der Psychoanalyse die Aspekte seiner Sexualität verstehen lernt, die es ansonsten nur verdrängen könnte. Sie betrifft ebenfalls das demokratische politische Ich, dem gerade von seiner triebhaften Anthropologie politische Handlungsfähigkeit und Stimme verliehen werden. Autorität wirkt in der Welt des psychologischen Menschen nicht mehr von oben nach unten, Macht verteilt sich breit, politische Hierarchien werden flach. Parallel zu dieser Verflachung im politisch-gesellschaftlichen Koordinatensystem ändern sich auch die Bezugspunkte moralischer Urteile. Mit der Psychoanalyse wird das Pathologische der Regelfall – das Normale ist nicht das Gegebene, sondern das zu Erstrebende (vgl. Rieff, 1966, S. 51, aber auch Illouz, 2008). Um ein gutes Leben zu finden, muss der Mensch sich nicht überschreiten, sondern zu sich selbst finden, sein Selbst erkunden und so dazu beitragen, es gesünder zu machen. Ein gelungenes Leben richtet sich nicht länger an überlieferter Autorität aus oder sucht mit zum Himmel gerichteten Blick nach dem rechten Weg zur Gerechtigkeit; vielmehr lautet das moralische Gebot, forschend den Blick auf sich selbst zu lenken: »While older character types were concentrating on the life task of trying to order the warring parts of the personality into a hierarchy, modern pedagogies, reflecting the changing self-conception of this culture, are far more egalitarian: it is the task of psychological man to develop an informed (i. e., healthy) respect for the sovereign and unresolvable basic con- 258 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur tradictions that make him the singularly complicated human being he is« (Rieff, 1966, S. 55). Wichtiger als »might« oder »right« ist für den psychologischen Menschen »insight« in das eigene Selbst (ebd., 1965, S. 356): Einsicht wiegt schwerer als politische Macht oder das moralisch Gute, die Orientierungspunkte im Leben des politischen und religiösen Menschen. Das Selbst ist der Ort, an dem der psychologische Mensch, Bewohner einer flachen Welt, noch Tiefe erfahren kann. Weil er die Dimension der Tiefe verinnerlicht hat, muss er äußerlich nicht mehr nach einem Ziel suchen oder gar nach Höherem streben, sondern ist tagein, tagaus lediglich damit beschäftigt, sein Gleichgewicht zu finden und zu halten: »Balance is the delicate ethic Freud proposes, balance on the edge that separates futility and ultimate purposelessness from immediate effectiveness and purpose. Psychological man may be going nowhere, but he aims to achieve a certain speed and certainty in going« (ebd., 1966, S. 40f.). Mit sich selbst im Reinen und ausbalanciert, erübrigen sich für den psychologischen Menschen Fragen nach großen Idealen. Er schützt seinen Blick vor dem zu gleißenden Licht der höchsten Zwecke, doch blickt er auch nicht in das Dunkel eines chaotischen Leidens, das der menschliche Verstand nicht durchdringen kann. Wenn es um die Gemeinsamkeiten zwischen dem psychologischen Menschen und den anderen Idealtypen menschlichen Charakters geht, betont Rieff einerseits die Nähe zwischen dem psychologischen Menschen und dem ökonomischen Menschen: Ersterer geht aus letzterem hervor, beide positionieren sich kritisch gegenüber überlieferten Autoritäten und suchen die Gründe für ihre Entscheidungen lieber in sich selbst, sei es in der ihnen innewohnenden Vernunft, sei es in ihrem Unbewussten. In Abgrenzung zu dem autoritätshörigen religiösen Menschen versteht Rieff den ökonomischen Menschen deshalb als Modellcharakter für die liberale Zivilisation, der er sich zugehörig fühlt. Andererseits gibt es aber durchaus auch Ähnlichkeiten zwischen dem religiösen Menschen und dem psychologischen Menschen, die sich nicht zuletzt in der Rolle äußern, die den Vertreterinnen und Vertretern der jeweiligen Leitprofession und den paradigmatischen Orten ihrer Aktivität zukommt: Ohne die Verkündigung durch den Priester würde die religiöse Sensibilität des religiösen Menschen vertrocknen, ohne die Kirche hätte sie keinen Ort. Gleichermaßen braucht der psychologische Mensch die professionellen Psychotherapeutinnen und -therapeuten, von deren Behandlungszimmern aus psychotherapeutische https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 259 Inga Anderson Denkfiguren und Handlungsmuster ihren Siegeszug antraten. Deshalb bezeichnet Rieff Psychotherapeutinnen und -therapeuten in einem Vergleich zwischen dem religiösen und dem psychologischen Menschen als »secular spiritual guide« (Rieff, 1966, S. 24f.) des letzteren. Diese Ähnlichkeit überrascht nicht, wenn man sich die von Rieff formulierte und früher in diesem Text diskutierte These ins Gedächtnis ruft, dass Religion und Psychotherapie gleichermaßen sowohl entwicklungspsychologisch als auch kulturtheoretisch als Versuche gedeutet werden können, die Frage zu beantworten, was es bedeutet, dass Menschen leiden. Das Durchlaufen einer Psychotherapie erscheint dann in dem Sinne als eine Konversionserfahrung, als dass in ihrem Verlauf ein Mensch in eine neue Wahrheit tritt, welche ihn vom Leiden erlöst. Und weil Konvertiten bekanntermaßen häufig die eifrigsten Gläubigen sind, dürften sie ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass therapeutische Denk- und Handlungsmuster von den Behandlungszimmern ihren Weg in die Arbeitswelt, die Schulen und die Wohnzimmer auch derjenigen fand, denen selbst nichts fernerläge, als sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben: »As the ideal type of psychological man there is the therapeutic« (ebd., 1966, S. 200). Dieser Idealtyp des psychologischen Menschen, der therapeutische Mensch, hat gelernt, dass er Probleme durch die Exploration seines Inneren lösen kann, und überträgt dieses Wissen auf die Organisation von Wirtschaft, Bildungssystem und Familie. Psychotherapeutische Behandlungsstrategien finden Anwendung in Fällen, in denen es nicht um die Linderung neurotischen Leidens geht. Dass Rieff diese Ähnlichkeiten zwischen dem religiösen und dem psychologischen Menschen betont, heißt übrigens nicht, dass er sich für psychotherapiehistorische Positionen vereinnahmen ließe, die von einer Psychotherapie avant là lettre ausgehen. Diese Geschichten der Psychotherapie argumentieren, dass es psychotherapeutische Behandlungen schon lange vor der Psychoanalyse, der Hypnose oder gar dem Mesmerismus gegeben habe, diese nur anders bezeichnet worden seien, Seelsorge oder Beichte etwa (vgl. zu einer solchen Herangehensweise z. B. Schmidbauer, 2012, oder zur historiografischen Kritik an dieser Position Marks, 2017). Rieffs Argumente bestätigen diese These nicht, denn er betont auch solche Unterschiede zwischen dem religiösen und dem psychologischen Menschen, die sich nicht im Sinne einer kontinuierlichen Entwicklung fassen lassen, sondern die eine wesenhafte Verschiedenheit bedeuten: »Religious man was born to be saved; psychological man is born to be pleased« 260 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur (Rieff, 1966, S. 24). Für den religiösen Menschen war ein besseres Leben nicht selten ein entbehrungsreicheres, ein Leben mit mehr Versagungen. Um ein besserer Mensch zu werden, musste er ein schwereres Leben führen. Solche Überlegungen sind für den psychologischen Menschen nicht mehr verständlich; für ihn kann ein besseres Leben nur das angenehmere Leben sein. Die Ähnlichkeiten zwischen Rieffs religiösem und seinem psychologischen Menschen resultieren folglich nicht aus einer evolutionären Aktualisierung. Vielmehr müssen die Charakterzüge des religiösen Menschen, die im psychologischen Menschen fortbestehen – d. h. die Sehnsucht nach Heil bzw. Heilung und die Orientierung an denen, die berufen sind, den Weg zum Heil zu verkünden bzw. die Heilung beruflich anbieten – in einer sich säkularisierenden Umwelt als eine Art Atavismus des Seelenlebens verstanden werden: ein verkümmerter Rest, der keine vitale Funktion mehr erfüllt, ein Überbleibsel, das für das Fortbestehen und Wohlbefinden des psychischen Lebens des psychologischen Menschen keine entscheidende Rolle mehr spielt. Darum geht Rieff in letzter Konsequenz sogar davon aus, dass das psychohistorische Erbe des religiösen Menschen über kurz oder lang gänzlich verschwinden wird: »Now the psychological man of this post-religious century is struggling to make his deeper and more subjective processes clearer as neuroses, rather than as gods, as his ancestors had done. Later, probably, the therapeutic will have externalized his emotional life successfully, and psychology will then cease to be a postreligious discipline; rather, it will probably supply the language of cultural controls by which the new man will organize his social relations and self-conceptions« (Rieff, 1966, S. 200). Erneut wagt sich Rieff hier an einen vorsichtigen Blick in die Zukunft und prognostiziert, dass die Psychologie, sobald es ihr gelungen sein wird, alle Prozesse des psychischen Lebens zu Objekten wissenschaftlicher Beobachtung und Bearbeitung zu machen, als effizient funktionierendes Mittel sozialer Kontrolle genutzt werden kann. Für mein Anliegen, im letzten Abschnitt dieses Textes Rieffs Kritik an der Lebensform des psychologischen Menschen und seine Sorge um einem Triumph einer therapeutischen Anti-Kultur mit exemplarischen Positionen der gegenwärtigen Kritik an der Psychotherapie sowie der Kultursoziologie zu vergleichen, stellt diese Prognose einen hervorragenden Anschlusspunkt dar. https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 261 Inga Anderson Der Triumph des Therapeutischen als neue Form sozialer Kontrolle? Rieff ist keineswegs der erste, der mit dem Gedanken spielt, dass die Mittel der Psychologie und Methoden der Psychotherapie im Sinne einer »therapeutic re-education« (Rieff, 1966, S. 55) äußerst effektive Medien sozialer Organisation und Kontrolle darstellen könnten. Diese Form der sozialen Kontrolle kann dann funktionieren, wenn es ihr gelingt, individuelle Bedürfnisse mit denen der Gesellschaft deckungsgleich übereinzubringen. Das unheimliche Portrait einer solchen Gesellschaft, die die Gesetze der Psychologie erfolgreich nutzt, um das Glück für ihre Mitglieder zu maximieren, entwirft beispielsweise im Jahr 1948 der utopische Roman Walden Two. Sein Verfasser ist B. F. Skinner, eine der wichtigsten Figuren für die Psychologie des Behaviorismus. Aus dem Behaviorismus aber entwickelte sich freilich die Verhaltenstherapie, die neben den aus der Psychoanalyse abgeleiteten Ansätzen einflussreichste psychotherapeutische Technik. In Walden Two führt Skinner Leserinnen und Leser an der Seite des College-Professors Burris zu einer utopischen Gemeinschaft, in der Architektur, Kleidung, Freizeitaktivitäten oder Kindererziehung allesamt entsprechend objektivistisch-naturwissenschaftlicher Erkenntnisse optimiert wurden. Gewünschtes Verhalten wird durch positive Verstärkung erzeugt. Doch obwohl Skinners Roman verdeutlicht, dass die psychologische Kontrolle menschlichen Verhaltens im Behaviorismus eine besonders ergiebige Quelle finden kann, setzt sich Rieff mit dieser psychologischen Schule nicht vertieft auseinander. Explizit erwähnt wird der Behaviorismus in The Triumph of the Therapeutic überhaupt nicht, sondern nur über das Motiv der Taube als Versuchstier (Skinner war nicht zuletzt durch seine Experimente mit Tauben berühmt geworden) assoziativ evoziert und sodann eilig abgekanzelt: »Much of what is still taught in our schools as psychology revolves around problems other than those of moral conduct; lobotomists of pigeons, e. g., are entirely within their rights in calling themselves psychologists – insofar as their observations of the learning behavior of pigeons might be used to form hypotheses about the learning behavior of men. But Freud’s is a psychology that matters culturally« (Rieff, 1966, S. 39). Freuds Psychologie ist für Rieff deshalb von kultureller Relevanz, weil sie die Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft nicht aufzulösen 262 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur trachtet – weder, indem sie das Individuum darauf ausrichtet, vollkommen in der Gemeinschaft aufzugehen, und ihm vor Augen führt, dass das Glück aller auch sein Glück sein wird, noch indem sie auf eine Gesellschaft hofft, deren höchstes Ziel und strukturgebendes Prinzip es ist, die Wünsche des Individuums zu erfüllen. Während die Psychoanalyse oft in letztere Richtung ausgelegt wurde und mit ihr dafür plädiert wurde, dass nur eine Befreiung des Triebs zur Befreiung des Subjekts führen könnte, stellt Rieff mehr Weitblick unter Beweis, wenn er darauf hinweist, dass auch die psychoanalytische Erkundung der geheimsten Wünsche zu einem Mechanismus werden kann, mittels dessen soziale Kontrolle ausgeübt werden kann: »Self-knowledge again made social is the principle of control upon which the emergent culture may yet be able to make itself stable« (ebd., S. 22). Rieffs weiter oben diskutierte Sorge, dass mit dem Aufstieg des psychologischen Menschen das Ende jeder Kultur begonnen habe, dürfte durch diese Aussicht auf soziale Kontrolle und Stabilität übrigens kaum gemildert werden. Denn der Mensch wäre, nachdem die moralischen Ansprüche von Kultur erfolgreich delegitimiert wurden, nicht mehr als ein Rädchen in einem bürokratischen Getriebe, in dessen inneren und äußeren Leben nichts über sich selbst hinausweist. Die Befürchtung, dass die Psychotherapie zwar am und mit dem Individuum arbeitet, letzten Endes aber nicht im Dienste des Individuums, sondern im Dienste einer dieses ausbeutenden Gesellschaft steht, ist heute ein wichtiges Motiv in der Kritik der Psychotherapie. Die machtanalytischen Arbeiten Michel Foucaults stellen die wahrscheinlich wichtigste Referenz derartiger sozial- und kulturwissenschaftlicher Diskussionen der Psychotherapie dar; verbunden werden sie mit aktuellen kapitalismuskritischen Positionen, die in dessen neoliberalen Spielarten eine vollständige Vereinnahmung der menschlichen Existenz durch die Ökonomie erkennen: Weil Psychotherapie selbst in die Funktionsmechanismen des Neoliberalismus eingebunden sei, könne sie sich nicht daran orientieren, was für das leidende Individuum das Beste ist, sondern müsse dieses funktions- und gesellschaftsfähig halten (vgl. ausführlich für eine an Foucaults Machtanalytik orientierte Kritik an der Psychotherapie Grubner, 2017).11 11 In meiner Dissertation (Anderson, 2018) habe ich den psychiatrischen und psychotherapeutischen Umgang mit Trauernden daraufhin untersucht, ob, wo und welche Tendenzen eines biopolitischen Regierungs(denk)stils im Sinne von Stephan Lessenich darin zum Ausdruck kommen. https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 263 Inga Anderson In diesem Lichte erscheint Psychotherapie als Komplizin eines unterwerfenden Systems; ihr emanzipatorischer Anspruch wird zum Feigenblatt, dass das Wirken der Biomacht verdeckt. Dass es Psychotherapie oftmals gelingt, individuelles Leiden zu lindern, d. h. dass die individuelle Partizipation am herrschenden System mit dem Versprechen von individuellem Glück verknüpft wird, erscheint wiederum als besonders perfides Manöver für die Herstellung dessen, was Foucault Gouvernementalität nennt: die Bereitschaft, sich selbst und seine Affekte, Triebe und Impulse zu beherrschen, um sich leichter beherrschen zu lassen – und damit auch das Herrschen leichter zu machen. »Denn wenn die Lösung in jeder Person selbst zu finden sei, bräuchte es keine wohlfahrtsstaatlichen Sicherungssysteme mehr, weil jede dann, so sie bereit ist, an sich zu arbeiten, alles erreichen kann« (Grubner, 2017, S. 336). Der Vorwurf, die Psychotherapie individualisiere politisch zu begreifendes Leiden, ist wohl schon deutlich älter als die Theorie und Begriffe Foucaults; er lässt sich aber hervorragend mit diesem Vokabular formulieren. Dass der moderne Staat ein Interesse an einer körperlich ebenso wie psychisch gesunden, und somit an einer leistungs- und arbeitsfähigen Gesellschaft hat, impliziert, dass die staatliche Gesundheitsversorgung nicht nur Mittel der Daseinsfürsorge ist. Deshalb widmen sich herrschaftskritische Auseinandersetzungen mit der Psychotherapie häufig der Rolle der Krankenversicherungen, in deren gesetzlich geregelten Leistungen sich die Sorge um die Bürgerinnen und Bürger eines Staates mit der Sorge um deren Fähigkeit, einen Beitrag zum Gemeinwesen zu leisten, verwebt. An welche Voraussetzungen die Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung geknüpft wird, gibt wichtige Hinweise darauf, welche Ansprüche ein Regierungssystem an Psychotherapie stellt und welche Erfolge es erwartet. Während Patientinnen und Patienten im Zuge einer Psychotherapie an ihrem Selbst arbeiten, um dieses ein bisschen besser und ihr Leben ein bisschen leichter zu machen, sind die Umstände ihrer Behandlung in ökonomische, bürokratische und legale Systeme eingebunden, welche ebenfalls danach streben, ihre eigene Effizienz zu optimieren. In diesem Spannungsfeld aber schreiben die Psychotherapie-Kritik und die Kultursoziologie oft gerade der Psychoanalyse eine Sonderrolle zu, weil diese sich den Rationalisierungszwängen moderner Gesellschaften nicht vollständig unterwerfen kann. So schreibt etwa Hartmut Rosa über den »in den Logiken des Wachstums, der Beschleunigung und der Innovationsverdichtung angelegte[n] Zwang zur stetigen Steigerung« (Rosa, 2018, S. 100): 264 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur »Keine Krankenkasse kann sich auf eine Behandlungsmethode einlassen, deren Dauer und Erfolg zweifelhaft ist – psychoanalytisch arbeitende Therapeuten wissen ein Lied davon zu singen […]. Der Output muss stimmen, und er muss zeitlich und inhaltlich berechenbar und beherrschbar sein, das verlangt die institutionelle Logik dynamischer Stabilisierung« (ebd., S. 101). Psychotherapie und Psychoanalyse stehen nicht im Zentrum von Rosas Argumenten; an der eben zitierten Stelle wird nur deshalb auf die psychoanalytische Therapie verwiesen, um zu illustrieren, was er mit gesellschaftlichem Optimierungszwang meint. Dennoch sind Rosas Überlegungen zur Unverfügbarkeit, so der Titel des Buches, aus dem das Zitat stammt, in Bezug auf Rieffs The Triumph of the Therapeutic interessant. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, die eigene Reichweite und Kontrollfähigkeit zu vergrößern und dem Verlangen, mit dem Unverfügbaren in eine Resonanzbeziehung zu treten, verfängt sich die Moderne, so Rosas These, in einem fundamentalen Paradox: Eine moderne Gesellschaft muss danach streben, sich das Unverfügbare anzueignen, um die Welt immer besser zu verstehen, sie zu kontrollieren und nutzen zu können. Doch gleichzeitig braucht der Mensch die Begegnung mit der nicht-verfügbaren Welt, denn aus dieser Begegnung entspringen Sinn und Vitalität. Auch Rieff fürchtet den Verlust von Sinn und Erfüllung, sollte der psychologische Mensch triumphieren. Bei dem, was bei Rosa als »Unverfügbarkeit« firmiert, handelt es sich somit in gewisser Hinsicht um eine Facette dessen, was Rieff als »Kultur« bezeichnet, indem nämlich sowohl die Idee einer »nicht verfügbaren Welt« als auch die von »Kultur« auf etwas verweisen, das außerhalb des Menschen liegt, das diesen übersteigt, auf das er aber fundamental angewiesen ist. Denn indem der Mensch sich zu eben diesem in Beziehung setzt, das über ihn hinausgeht, während er sich ihm anverwandelt, nährt er diejenige Dimension menschlichen Lebens, die nicht in den technischen, ökonomischen und bürokratischen Apparaten moderner Gesellschaften aufgehen kann. Dennoch unterscheiden sich Rieffs Kulturtheorie und Rosas Theorie des Unverfügbaren an einer wichtigen Stelle: Anders als bei Rieffs Fokus auf die Kulturfähigkeit des Menschen geht es bei Rosas Versuch darum, die Relevanz des sich Entziehenden herauszuarbeiten, nicht um etwas gemeinsam Hervorgebrachtes, auf einer geteilten Symbolik Beruhendes. Rosa beschreibt vor allen Dingen individuelle Erfahrungen, nicht kulturelle Erfahrungen. Wenn er einen Musiker zitiert, der in der Mondscheinsonate https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 265 Inga Anderson immer wieder auf etwas Unbekanntes trifft, dann wird diese Begegnung durch individuelle Meisterschaft ermöglicht und realisiert sich als individuelle ästhetische Erfahrung. Deshalb tauchen in Rosas Auseinandersetzung mit dem Unverfügbaren moralische Fragen auch vor allem dann auf, wenn er sich mit der Unverfügbarkeit des Begehrens beschäftigt: Wen und was wir begehren, können wir nicht kontrollieren, wohl aber darauf reagieren, indem wir uns an erfahrungsbasierten Werten orientieren (vgl. Rosa, 2018, S. 118). Hier besteht also ein deutlicher Gegensatz zu Rieff, für den Einzelnen übersteigende Kultur, d. h. dasjenige, was den Menschen vor dem Individualismus und dem Verschwinden in den Apparaten der Moderne bewahren kann, die Trägerin eben dieser Werte ist. Eine Kritik an der Psychotherapie, die diese als Komplizin neoliberaler Regierungs- und gouvernementaler Kontrolltechniken begreift, kann insofern an Rieff anknüpfen, als dass Psychotherapie hier wie dort als ein Mittel verstanden wird, mit dem der Mensch sich selbst erforscht, um sich gesellschaftsfähiger zu machen (wobei für Rieff »gesellschaftsfähig« freilich etwas ganz anderes als »kulturfähig« bedeutet). Ebenso äußert sich Psychotherapiekritik hier wie dort als eine Kritik am Individualismus. Diese wird allerdings auf sehr unterschiedliche Weise artikuliert: Argumentationen wie die Grubners bemängeln, dass Psychotherapie Probleme individualisiere, die erstens nur gesellschaftlich zu verstehen und zweitens nur politisch zu lösen sind (vgl. dazu auch Gießelmann, 2016). Rieff hingegen wirft dem psychologischen Menschen vor, dass dieser sein persönliches Wohlbefinden – kurzsichtig verstanden als Ausleben aller Triebe und Realisierung aller Wünsche – zum Maßstab erhebt, nach dem die gesamte ihn umgebende Welt zu gestalten sei. Der psychologische Mensch fordert, so könnte man es in Umkehrung des Diktums der Individualisierung politischer Probleme formulieren, dass seine individuellen Probleme gesellschaftlich und politisch zu lösen seien. Doch auch dieser Aspekt von Rieffs Kritik des Selbst- und Weltverständnisses des psychologischen Menschen findet sich bei vereinzelten konservativen Autorinnen und Autoren bis heute wieder. Exemplarisch sei hier eine Passage aus Mona Charens Sex Matters: How Modern Feminism Lost Touch with Science, Love, and Common Sense zitiert, in der sie auf Rieffs titelgebende Formulierung anspielt und diese leicht abwandelt: Sie spricht von einem »triumph of the therapeutic mindset«, einer mit psychologischen Argumentationsmustern vertrauten Denkweise, die diese auch außerhalb psychotherapeutischer Settings strategisch für sich einzusetzen weiß. In der 266 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur Passage, in der Charen mit diesem Ausdruck auf Rieff anspielt, setzt sie sich mit einem Brief auseinander, mit dem sich Studierende der Columbia University »Multicultural Affairs Advisory Council« wandten. Gegenstand des Briefes war ein Fall, der mittlerweile viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und exemplarisch für einen insbesondere an US-amerikanischen Universitäten immer häufiger zwischen Studierenden und Universitätsleitungen ausgefochtenen Konflikt steht (vgl. Gumbrecht, 2016). Eine Studentin, die sexuelle Gewalt erlitten hatte, wies nach einer Seminarsitzung über Ovids Metamorphosen darauf hin, dass sie an einer Diskussion, die sich auf die ästhetische Qualität der Sprache von Ovids Metamorphosen konzentrierte und die gewaltvollen Inhalte ignorierte, nicht teilnehmen konnte und wollte. Vertreterinnen und Vertreter der Studierendenschaft nahmen dies zum Anlass, eine Revision der Literaturlisten zu fordern, der einige kanonische Werke der westlichen Literarturgeschichte zum Opfer fallen sollten. »But allowing the intensity of feeling, the hegemony of subjective pain, to govern will mean we have abandoned reason and descended into a world that cannot support academic freedom. […] [T]he current enthusiasm to silence intellectual inquiries altogether in the name of feelings is antithetical not just to the First Amendment and the academic enterprise but also to the whole Enlightenment. […] If we shun literature that is disturbing or that churns up painful experiences, what will remain? And whose sensitivities are to govern? If one student in class is a rape survivor, will her feelings exclude the Bible, Plutarch, and To Kill a Mockingbird? If another student is the descendant of slaves, will Narrative of the Life of Frederick Douglass and Uncle Tom’s Cabin be off-limits? What if some members of the class have relatives who were murdered in the Holocaust? Will the works of Elie Wiesel be banned? This represents a triumph of the therapeutic mindset, in which feelings reign« (Charen, 2018, o. S.). In Forderungen nach Triggerwarnungen oder gar der vorsorglichen Vermeidung bestimmter Texte und Themen verdichtet sich für Charen therapeutisches Denken zu einer veritablen Gefahr für die Errungenschaften der Aufklärung. Die Intention der konservativen Charen – Politik vor den Bedürfnissen von Individuen zu schützen – dürfte damit der Intention Rieffs wesentlich näher sein als die Intention der zumeist an Foucault orientierten, im linken politischen und intellektuellen Spektrum zu verortenden https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 267 Inga Anderson Autorinnen und Autoren: Jene warnen vor der politischen Indienstnahme der Psychotherapie, die doch eigentlich im Dienste des Individuums stehen sollte. Als anschlussfähig erweist sich Rieffs These von einem Triumph des Therapeutischen aber hier wie dort; überall findet in gewisser Weise eine ähnliche Zuspitzung statt: Für Rieff galt es, wie ich dargestellt habe, angesichts des Bedeutungsgewinns psychotherapeutischer Denk-, Argumentations- und Handlungsweisen vor allem moralische, kulturtheoretische und kulturhistorische Fragestellungen kritisch zu analysieren. Die gegenwärtige Psychotherapie-Kritik wendet sich politischen Fragen zu und hinterfragt den Einfluss psychotherapeutischen Denkens auf die Legitimation und Ausübung von Macht und Herrschaft. Gerade weil sich The Triumph of the Therapeutic für so gegensätzliche Positionen als anschlussfähig erwiesen hat, möchte ich abschließend noch einmal auf Illouz’ eingangs schon zitierten Einwand hinweisen: So einfach es ist, sich darauf zu einigen, dass die Psychotherapie triumphiert hat, so selten wurde im Detail untersucht, wie sich dieser Prozess vollzogen hat. Illouz’ Perspektive unterscheidet sich meines Erachtens vor allem dadurch von den anderen bislang in diesem Artikel diskutierten Positionen, dass sie Menschen als Akteure, nicht als Subjekte begreifen will. Sie interessiert nicht allein, wie eine Kultur des Therapeutischen einen bestimmten Typ Mensch hervorbringt, sondern vor allem, wie Menschen eine bestimmte Kultur des Therapeutischen herstellen: »How does the [therapeutic] cultural structure translate into ›micropractices‹ of giving accounts, telling one’s life story, and explaining others’ behavior?« (Illouz, 2008, S. 156). Methodisch stellt sie deshalb ihrer detaillierten und informierten Diskussion der hegemonialen (wissenschaftlichen) Texte und (gesundheitspolitischen) Strukturen Erkenntnisse gegenüber, die sie aus narrativen Interviews und aus teilnehmenden Beobachtungen gewinnt. Dabei wird ersichtlich, dass die psychotherapeutischen Theorien und Argumente, die von Expertinnen und Experten formuliert werden und die sich in Staat und Markt widerspiegeln, keineswegs automatisch, reibungslos oder störungsfrei die mentalen und emotionalen Denkmuster von Einzelnen übernehmen und diese überformen, sondern dass ein Übersetzungsprozess stattfindet, mittels dessen sich Akteure zu herrschenden Systemen und bestehenden Strukturen in ein Verhältnis setzen. Das bedeutet, dass Menschen nie in den Theorien, Gesetzen und Geboten aufgehen, die der kulturellen und gesellschaftlichen Ordnung unterliegen. Der Mensch in der Epoche des »psychological man«, um noch 268 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur einmal einen Bogen zurück zu Rieff zu schlagen, lässt sich mit psychologischen Theorien niemals vollständig beschreiben und mittels dieser kontrollieren, genauso wenig wie der »economical man«, der »religious man« oder der »political man« von den Gesetzen der Ökonomie, Religion oder Politik vollständig bestimmt werden können. Charakterideale determinieren den Menschen nicht, auch wenn ihnen ein bestimmtes Kontrollprinzip eingeschrieben ist. Besonders deutlich zeigt sich diese Diskrepanz zwischen solch einer Figur im Sinne einer analytischen Kategorie und der gelebten Realität an den Vorgängerinnen der »psychological woman«: Frauen konnten in der Welt des »political man« nicht an politischen Entscheidungen teilhaben; in der Welt des »religious man« blieben ihnen religiöse Ämter und sakrale Räume verschlossen, weil das weibliche Geschlecht als sündhaft und schuldig betrachtet wurde; der »economic man« war, um den Ansprüchen des arbeitsteiligen Kapitalismus und seiner Produktionslogik gerecht zu werden, darauf angewiesen, dass in der bürgerlichen Ehe den Frauen allein reproduktive Aufgaben zufallen und sie sich nicht an der Mehrwertgewinnung beteiligten konnten. Frauen konnten den menschheitsgeschichtlichen Charakteridealen vor dem »psychological man« also niemals vollkommen gerecht werden. Weil sie systematisch von einer vollen und erfüllenden Teilhabe an der jeweiligen Lebensform ausgeschlossen waren, konnten sich die Idealtypen in ihren Leben nicht manifestieren. Für den »psychological man« und die »psychological woman« kann die Parallelisierung zwischen der Geschlechterdifferenz und der Unterscheidung zwischen denen, die das Charakterideal in jedem Aspekt ihres Lebens verkörpern können, und denen, für die diese Möglichkeit nicht offensteht, nicht in analoger Form fortgeführt werden. Im Gegenteil finden sich gute Argumente für die These, dass der Erfolg der Psychotherapie eng mit Fortschritten bei der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen verbunden ist. Auch Illouz macht darauf aufmerksam, dass sich mit der Therapeutisierung der Gesellschaft die Funktion der Geschlechterdifferenz wandelte: Einerseits betont Illouz nämlich, dass gerade die erfolgreiche politisch-strategische Indienstnahme psychoanalytischer Konzepte durch den Feminismus zum gesellschaftlichen Erfolg der Psychoanalyse beigetragen hat. Die Psychotherapie stellte eine Sprache bereit, mit der Frauen ihre politische Stimme finden und ihre politischen Ansprüche artikulieren konnten. Zweitens weist Illouz darauf hin, https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 269 Inga Anderson dass durch psychoanalytisch geprägte Argumentationsmuster ehemals von als männlich konnotierten Idealen geprägte Bereiche (wie die unternehmerische Personalführung) feminisiert wurden. Insgesamt wirke die Psychoanalyse deshalb gesellschaftlich als ein Geschlechterdifferenzen nivellierender Faktor. Meine Argumentation könnte nun im Lichte dieser These in eine Richtung weitergeführt werden, die Rieffs düstere Prophezeiung, dass der Triumph des Therapeutischen eine nie dagewesene und fatale Kulturrevolution darstellt, unterstützen würde. Was vor dem Triumph des Therapeutischen für Männer galt, galt nicht in identischer Weise für Frauen. Das heißt einerseits, dass sie von einer gleichberechtigten und vollen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen waren. Andererseits aber kann es auch bedeuten, dass bestimmte gesellschaftliche Kontrollmechanismen sich in ihren Leben anders realisieren müssen. Die Nivellierung der Geschlechterdifferenz würde, wollte man diese argumentative Linie ideologiekritisch zuspitzen, als eine Entwicklung erscheinen, die die reibungslose Übersetzung eines Charakterideals in gelebte Realität begünstig. Mit der Angleichung von Männern und Frauen fällt in dieser Lesart eine Hürde, die die psychoanalytisch inspirierte Ideologie des Individualismus sonst hätte nehmen müssen, während sie den Menschen zu vereinnahmen trachtet. (Ähnlich ließe sich übrigens auch mit Blick auf die Verwischung der Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem argumentieren, auf deren Beitrag zum Erfolg der Psychoanalyse Zaretsky hinweist.) Ich möchte am Ende dieses Textes einen anderen argumentativen Weg einschlagen. Drei Überlegungen sind dafür richtungsgebend. Zuerst: Auch wenn es herrschaftstheoretisch nachvollziehbar und plausibel ist, dass die Gleichförmigkeit von Regierten deren Kontrolle leichter macht, würde es mir zynisch erscheinen, sich mit dieser Einsicht zufriedenzugeben. Zu einfach wäre es, so Ausschlussmechanismen und die damit einhergehende Machtlosigkeit zu beschönigen oder gar zu glorifizieren, zu leicht, diese zu einem Residuum der Freiheit zu verklären: Glücklich wäre dann die Frau, die kein Bankkonto eröffnen darf, weil sie sich weniger nach den Gesetzen des Kapitalismus zu richten hätte. Zweitens übernehmen in der Welt des »psychological man« andere Differenzkategorien und Ausschlussmechanismen die Funktion, die die Geschlechterdifferenz für die gesellschaftliche Ordnung und für die soziale Kontrolle (in jeweils spezifischer Form) in der Welt des politischen, des 270 https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Behagliche Kultur ökonomischen und des religiösen Menschen hatte. Schon zu Zeiten Freuds wurde darauf hingewiesen, dass die psychoanalytische Selbsterforschung nur den bürgerlichen Eliten, und nicht der breiten Bevölkerung offen stünde. Diese soziale und materielle Stratifikation lässt sich bis heute beobachten, und zwar nicht nur was die Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung im engen Sinne betrifft, sondern auch was die alltägliche Notwendigkeit sowie die soziokulturell unterschiedlich verteilte Bereitschaft betrifft, die eigenen Rolle in der Familie, im Beruf etc. in psychologischen Konzepten zu begreifen und mit psychologischen Begriffen zu reflektieren. In der demokratischen Welt des psychologischen Menschen funktionieren Ein- und Ausschlussmechanismen vielleicht verdeckter und subtiler, aber egalitär ist diese Welt nicht. Doch nicht allein um darauf hinzuweisen habe ich die Figuren »political woman«, »religious woman«, »economic woman« und »psychological woman« eingeführt. Worauf ich mit ihrer Hilfe abschließend hindeuten will, ist, dass die Rolle von Rieffs menschheitsgeschichtlichen Charakteridealen genauer beschrieben werden muss, als dieser es in The Triumph of the Therapeutic leistet. Charakterideale werden gestützt und verbreitet von Autoritäten, die denjenigen, die dem Ideal zu folgen versuchen, verschiedenartige Werte und Versprechungen in Aussicht stellen, sodass Menschen sich nach diesen Idealen richten wollen. Gleichzeitig strukturieren dominante Charakterideale gesellschaftliche Institutionen, sodass Menschen sich nach diesen Idealen richten müssen. Während ich Rieff darin folgen kann, dass sich wohl keine und keiner den jeweils vorherrschenden Charakteridealen vollkommen entziehen kann, will ich dennoch darauf hinweisen, dass das nicht bedeutet, dass Menschen diesen Charakteridealen blind folgen. Sie entwickeln ein Verhältnis zu ihnen, das sie durchdenken und modellieren können. Diejenigen, die von einer dem Charakterideal vollkommen entsprechenden Lebensführung systematisch ausgeschlossen sind, verfügen über diese Fähigkeit in besonderem Maße. Darum möchte ich zum Abschluss dafür plädieren, die Erfahrung, an einem dominanten Modell nicht partizipieren zu können – ohne dies hinnehmen zu wollen – als etwas zu begreifen, woran der Widerstand gegen eine herrschende Ordnung geschult werden kann. Solange ein Charakterideal und die gesellschaftliche Ordnung, die es verkörpert, vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen zumindest ein stückweit äußerlich bleiben müssen, dann dürfen diejenigen, die eine sanfte Apokalypse fürchten, für einen Moment aufatmen. https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 271 Inga Anderson Literatur Anderson, I. (2018). Bilder guter Trauer. Neue Sichtbarkeiten der Trauer in der Psychologie, Philosophie und Fotografie. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag. Beer, J. (2006). Philip Rieff and the Piety of Silences. In P. Rieff, The Triumph of the Therapeutic. Uses of Faith after Freud (40th anniversary edition) (S. 249–256). Wilmington, Delaware: ISI Books. Charen, M. (2018). Sex Matters. How Modern Feminism Lost Touch with Science, Love, and Common Sense. New York: Crown Forum. Freud, S. (1927c). Die Zukunft einer Illusion. GW XIV, 325–382. Freud, S. (1930a [1929]). Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV, 419–505. Gießelmann, K. (2016). Psychotherapie und Gesellschaft: Hilfe für das erschöpfte Selbst. Deutsches Ärzteblatt, 15(11), 505. Grubner, A. (2017). Die Macht der Psychotherapie im Neoliberalismus. Eine Streitschrift. Wien: mandelbaum Verlag. Gumbrecht, H. U. (2016). Die Dialektik der Mikro-Aggression. Politische Korrektheit als neues 1968. Hat die neue Jugendbewegung Zukunft? 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Behagliche Kultur In ihrer Promotion Bilder guter Trauer, die sie im Frühjahr 2016 verteidigte und die im Wilhelm Fink Verlag veröffentlicht wurde, beschäftigte Inga Anderson sich mit neuen Sichtbarkeiten der Trauer in der Psychologie, Philosophie und Fotografie. https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 273 Psychosozial-Verlag Christine Kirchhoff, Thomas Kühn, Phil C. Langer, Susanne Lanwerd, Frank Schumann Psychoanalytisch denken Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven 2019 · 160 Seiten · Broschur ISBN 978-3-8379-2935-5 Die AutorInnen entfalten interdisziplinäre Perspektiven einer universitären Psychoanalyse. Sie zeigen so das besondere Analyse-, Verstehens- und Erkenntnispotenzial einer nicht-klinisch ausgerichteten Psychoanalyse und weisen auf Anschlussmöglichkeiten zu zahlreichen sozial- und kulturwissenschaftlichen Debatten hin. Christine Kirchhoff fragt nach Motiv, Funktion und der Bedeutung von (psychoanalytischen) Zeitdiagnosen, die zumeist Verfallsdiagnosen sind. Eine kulturwissenschaftliche Perspektive entfaltet Susanne Lanwerd zur Evidenz von Kultur und Religion und nimmt Bilder – Kunstwerke und Fotos – mit ihrem gesellschaftlichen Kontext in den Blick. In einem kritischen Rückblick auf die Theoriegeschichte der Frankfurter Schule nähert sich Frank Schumann der Frage, wie der Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und dem Leiden der Menschen zu konzipieren ist. Phil C. Langer untersucht die Sozial- als Friedenspsychologie und entwirft den Grundriss eines interdisziplinären Forschungsprogramms, das theoretische Überlegungen zu Verwundbarkeit, Mitgefühl und Solidarität in empirisch-qualitative Forschungsperspektiven überführt. Thomas Kühn widmet sich dem analytisch-sozialpsychologischen Ansatz von Erich Fromm und skizziert dessen Potenzial zum Verständnis zeitgenössischer gesellschaftlicher Herausforderungen. Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax 0641-969978-19 bestellung@psychosozial-verlag.de · www.psychosozial-verlag.de https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Psychosozial-Verlag Alina Brehm, Jakob Kuhlmann (Hg.) Reflexivität und Erkenntnis Facetten kritisch-reflexiver Wissensproduktion Das Verhältnis von Reflexivität und Erkenntnis – verstanden als das Verhältnis der Subjektivität des Forschenden zur Erkenntnisproduktion – steht im Zentrum des Bandes. Die Autorinnen und Autoren diskutieren aus der Perspektive der Sozialpsychologie, der Soziologie, der Psychoanalyse, der Philosophie, der Pädagogik und der Sozialen Arbeit die Frage nach dem Erkenntnisvermögen einer forschenden Subjektivität, die sich vom Objekt anrühren lässt, um mittels (Selbst-)Reflexion zu Erkenntnis zu gelangen. In den Fokus genommen werden dazu nicht nur theoretische, sondern auch methodische, methodologische und berufspraktische Ebenen. 2018 · 296 Seiten · Broschur ISBN 978-3-8379-2590-6 Mit Beiträgen von Dominic Angeloch, Karola Brede, Alina Brehm, Sebastian Carls, Manfred Gerspach, Rolf Haubl, Daniel Keil, Jakob Kuhlmann, Angela Kühner, Phil C. Langer, David PavónCuéllar, Felix Roßmeißl, Tamara Schwertel, Christian Sperneac-Wolfer und Hauke Witzel Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax 0641-969978-19 bestellung@psychosozial-verlag.de · www.psychosozial-verlag.de https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Psychosozial-Verlag Ralf Zwiebel Die innere Couch Psychoanalytisches Denken in Klinik und Kultur Ob mit oder ohne Couch – es lohnt sich, das Potenzial psychoanalytischen Denkens zu entdecken! 2019 · 401 Seiten · Broschur ISBN 978-3-8379-2895-2 Ralf Zwiebel erläutert zentrale Grundannahmen psychoanalytischen Denkens und Handelns und legt dar, wie diese diesseits und jenseits des klinischen Feldes angewendet werden können. Dort, wo Zwiebel die analytische Behandlung verlässt, nimmt er die Couch als inneres Bild mit. Die psychoanalytische Herangehensweise entfaltet so über die engen Grenzen der Therapiesituation hinaus eine enorme Reichweite. Der Autor ergründet die Beziehung von Psychoanalyse und Buddhismus etwa am Beispiel der Achtsamkeit oder der Bedeutung von Vergänglichkeit. Er interpretiert Filme wie Pleasantville (1998) oder Wie im Himmel (2004) anhand seines psychoanalytischen Modells, hinterfragt das Selbstverständnis von PsychoanalytikerInnen und zeigt klinische und didaktische Aspekte der Psychoanalyse auf. Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax 0641-969978-19 bestellung@psychosozial-verlag.de · www.psychosozial-verlag.de https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. https://doi.org/10.30820/9783837974874-235 Generiert durch IP '207.241.231.108', am 02.02.2022, 08:10:28. 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