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Anke Zechner European Media Art Festival Osnabrück 2000, 2004, 2005 Short cuts cologne n°3 (2000) Up and coming Internationales Film Festival Hannover 2003 Best Before 5 . Hildesheimer Kurzfilmfest 2001 Internationale Kurzfilmtage Oberhausen 2005, 2006 18. Stuttgarter Filmwinter 2005 Kontrast Das Bayreuther Filmfest 2003 Filmwahrnehmung mit allen Sinnen – von der Programmierung der Nahsinne im Kino. Gedanken zum Verhältnis von visuellen Programmen und Gerüchen Sixpackfilm . Verleihkatalog 2001 Mein Text beschäftigt sich mit den Nahsinnen, insbesondere dem Geruchssinn, den scheiternden Versuchen der Programmierung desselben, den Möglichkeiten der Erweckung der Nahsinne im Kino und den Potenzialen, die diese Sinne für ein anderes Verständnis der Kinoerfahrung mit sich tragen. In ihren beiden Texten The Logic of Smell und The Skin of the Film (Marks 2002, 2000) betont Laura Marks die Möglichkeit der Vermittlung des kulturellen Gedächtnisses und der Geschichte minoritärer Gruppen über diese Potenziale. Diese können durch die Zusammenstellung von Filmprogrammen geweckt oder verstärkt werden, tragen implizit aber an jeder Programmierung einen Anteil, die sich nicht als rein thematische Aneinanderreihung einzelner Filme versteht. In der abendländischen Hierarchie der Sinne werden die Nahsinne als niedere Sinne aufgefasst, vor allem der Geruchssinn wird gering geschätzt und steht an unterster Stelle. Dementsprechend spielen in der Filmtheorie die Nahsinne und vor allem der Geruchssinn kaum eine Rolle. Film wird zumeist als rein audiovisuelles Medium verstanden, das allein durch die Fernsinne, Auge und Ohr, zugänglich sei. Die Fernsinne ermöglichen eine distanzierte Wahrnehmung und stehen dadurch für einen analytischen Umgang mit dem wahrgenommenen Film. Die Annahme einer herrschaftlichen Distanz des Auges zieht sich durch die abendländische Philosophie, die Sehen und Erkenntnis gleichsetzt. Diese Annahme spiegelt sich in der Filmtheorie noch in der Konzeption eines Filmzuschauers, der über die Identifikation mit der Kamera mit einem körperlosen Blick ausgestattet wird und der einen zu entziffernden symbolischen Filmtext erfasst.¯1 Diese Vorstellung einer entkörperlichten Zuschauerhaltung wurde immer wieder angegriffen und kann im Zusammenhang mit konkreten Filmprogrammen, Kinoereignissen oder Festivals, die zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort mit einem bestimmten Publikum stattfinden, nicht aufrechterhalten werden. Ist nicht das Erleben eines Films an den Augenblick der Präsenz des Zuschauers im Kinosaal gebunden? Müssen nicht gerade Programme ihre Zeitlichkeit und ihren Ort, das Kino, und damit den Körper der Zuschauer mit allen Sinnen berücksichtigen? 260 Florian Krautkrämer Klippel_Programm_3.0.indd 260-261 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 261 28.01.2008 21:31:36 Die konkrete sinnliche Erfahrung von Programmen in ihrer Vielschichtigkeit Gerade in Bezug auf das scheinbar rein audiovisuelle Medium des Films kön- entzieht sich der fixierenden Benennung. Am unzugänglichsten für die Be- nen die sich entziehenden Nahsinne der Erkenntniskritik dienen, denn sie schreibung der konkreten Erfahrung erweist sich dabei die Geruchsempfin- überschreiten die fixierte Beziehung der Filmwahrnehmung auf einen isolier- dung. Der Geruchssinn als der ›niederste‹ Sinn ist der mimetischste unserer baren Film. Das Nichtrationale der Nahsinne wird dann zum Potenzial, den Sinne, denn er schmiegt sich an das Wahrgenommene direkt an. Geruch lässt subjektiven Charakter der Kinoerfahrung zu klären und zu verdeutlichen, wes- sich von allen Sinnesreizen am wenigsten außerhalb von mir verorten. Das, was halb sich die filmische Wirkung nicht dingfest machen lässt. Insbesondere ich rieche, muss ich in mich aufnehmen, es wird ein Teil von mir (vgl. Marks der Geruchssinn unterläuft in seinem f lüchtigen Charakter, der sich nicht re- 2002, 115). Gerüche müssen körperlich erfahren werden, dringen in mich ein, lö- produzieren und nicht mitteilen lässt und immer an das konkrete Kinoereig- sen sich aber gleichzeitig dadurch auf. Die Wahrnehmung eines Geruchs setzt nis gebunden bleibt, den Werkcharakter eines isolierbaren und reproduzier- zugleich dessen materielle Zersetzung voraus. baren Films. Filme werden immer gemeinschaftlich und in einem bestimmten Durch die Notwendigkeit der ›Vermischung‹ von innen und außen widerspricht Kontext wahrgenommen, welcher den sinnlichen Zugang zu ihnen prägt. Die- der Geruchssinn einer Logik der Repräsentation. Eine Semiotik der Gerüche ist ser Kontext ist der des Kinos, der anderen Zuschauer und der des Programms. nicht möglich, denn sie entziehen sich in ihrer Flüchtigkeit der Differenzierung Dieses Wechselverhältnis zwischen dem visuellen Medium Film und den nie- und Bezeichnung, welche grundlegend sind für die Möglichkeit der kognitiven deren Sinnen, die niemals aus einem Kontext- und Programmzusammenhang Distanz (Watson 2001, 15f). Dadurch zeigen sie die »Grenzen abstrakter Kate- zu lösen sind, soll den Gang meiner Untersuchung leiten. gorialsysteme« auf (Becker 2004, 47), erschließen uns aber gleichzeitig unser körperliches Wissen um das eigene Zur-Welt-Sein. Über die Nahsinne, insbesondere den Geruchssinn, entsteht eine Form von Berührung und Austausch Programmierung der Zuschauer durch Gerüche mit der Welt (vgl. ibid. 44). Der Geruch vermittelt uns ein »spezifisches Wechselverhältnis von Subjekt und Objekt« (ibid., 43), das sich der rationalen Herr- Es hat verschiedene Versuche gegeben, die individuelle Qualität des Geruchs schaft entzieht. Er ist Teil einer uns umgebenden Atmosphäre, deren Erfahrung für eine Potenzierung des Filmerlebens, eine Steigerung seines realistischen von unserer leiblichen Einbindung in die Welt zeugt. Effekts oder für die Gestaltung eines Gesamtkunstwerks nutzbar zu machen. Die Vermischung mit dem Wahrgenommenen im Akt des Riechens unterläuft Dabei wurde zumeist versucht, den audiovisuellen Kapazitäten des Films eine die notwendige rationale Distanz und die Vorstellung eines autonomen Sub- dritte Dimension hinzuzufügen. Betrachtet man nun die Unmöglichkeit der jekts. Es ist die Nähe, die Berührung, die in der Wahrnehmung durch die Nahsin- Distanzierung von Geruchseindrücken, kommt der Einsatz von Gerüchen dem ne stattfindet, die diese unserem rationalistischen westlichen Selbstverständ- Versuch einer manipulativen Programmierung der Zuschauer gleich. nis suspekt macht. Die Nahsinne ermöglichen eine Form von ›Erkenntnis‹, die Solche ›Programmierungen‹ reichen bis in die Frühgeschichte des Kinos zu- sich nicht aneignen lässt. Wir ›verstehen‹ Gerüche und reagieren auf sie kör- rück. In den kleinen Ladenkinos der frühen Filmära wurden generell Parfüms perlich, noch bevor wir sie bewusst wahrnehmen. Gerade die Notwendigkeit gegen den Gestank der verbrauchten Luft eingesetzt. Schon 1906 aber experi- des körperlichen Kontakts aber, die dem Geruch eigene f lüchtige Materialität, mentierte der Schausteller S. L. Rothapfel zur Unterstützung eines Films über macht nach Laura Marks auch dessen widerständiges Potenzial aus. Indem sich die Pasadena Rose Bowl-Spiele mit dem Einsatz von Rosenduft, und bei der Er- Gerüche der Symbolisierung entziehen, entgehen sie nämlich auch der Instru- öffnung des Berliner Marmorhauses diente 1913 ein spezifisches Parfüm dazu, mentalisierung (vgl. Marks 2002, 114). Das körperliche Wissen, das sich in die- die traumartige Athmosphäre des Films Das goldene Bett zu verstärken (vgl. sem Austauschverhältnis mit der wahrgenommenen Welt über den Geruchs- Paech 2004). Die Versuche, eine realistische olfaktorische Dimension zu errei- sinn erschließt, ist gebunden an das individuelle Gedächtnis. Dieses Wissen chen, führten schließlich zur Entwicklung verschiedener Formen von Geruchs- lässt sich nicht reproduzieren und ist singulär. Jeder Geruch birgt für jeden Zu- orgeln. Als erste ausgereifte Apparatur zur synchronen Begleitung des Film- schauer eine eigene Narration, ist immer schon persönliche bewegte Erinne- bildes mit Gerüchen gilt das O.T.P., das Odorated-Talking-Pictures-Verfahren rung und erzwingt die Rückkehr zum körperlichen Verstehen. des Schweizers Hans E. Laube von 1940, das 1960 zur Smell-O-Vision weiterentwickelt wurde. 262 Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 262-263 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 263 28.01.2008 21:31:36 Abb. 1: Odoramatechnik für P OLYESTER , John Waters, USA 1981 Doch alle bisher entwickelten Verfahren des Ge- Gerade in Bezug auf die virtuellen Realitäten von Computerspiel und Kino ist ruchskinos scheitern an Problemen, die mit der die Einbeziehung des Geruchssinns von entscheidender Wichtigkeit, denn erst spezifischen Materialität von Gerüchen und der der Geruchssinn könnte die virtuellen Bildlichkeiten aus ihrer Zweidimensio- Subjektivität von deren Wahrnehmung in Zu- nalität erlösen. Umgekehrt kann Geruch als Kriterium für ›Realität‹, »als Ver- sammenhang zu bringen sind. Natürliche Ge- gewisserungssinn, als Melder, ob etwas wirklich da ist«, verstanden werden rüche lassen sich in ihrem singulären Charakter (Sichtermann 2004, 137). Für die frühkindliche Entwicklung der Wahrnehmung und in ihrer Bindung an das persönliche Ge- spielt der Geruchssinn eine wichtige Rolle, denn er ist von Anfang an stark aus- dächtnis nicht repräsentieren. Die Effekte, die gebildet. Riechend vergewissert sich der Säugling der Nähe der Mutter¯5 und bestimmte Gerüche im Zuschauer auslösen, sind zeitlebens halten wir etwas erst für anwesend und real, wenn wir es riechen. nicht so weit kalkulierbar, dass sie sich wirklich Erst durch Geruch kann das Wissen um das eigene Zur-Welt-Sein körperlich in die narrative Repräsentation einspinnen lassen. Im Kino eingesetzter Ge- abgesichert werden. Als ein immer wacher Sinn, den ich nicht aktiv einsetzen ruch vermischt sich zu stark mit den vorhandenen Gerüchen oder hält sich kann, der mich aber immer begleitet, verbürgt er mir die Wirklichkeit und mei- zu lang im Raum, weshalb z.B. das mit der Klimaanlage arbeitende AromaRa- ne Gegenwart (vgl. ibid., 138f). ma (ebenfalls von 1960) scheiterte. Zumeist wird Geruch auch extradiegetisch wahrgenommen. Statt das Erleben des Films zu verstärken, trieb der Versuch der Untermalung eines Films von Marcel Pagnol (Angèle, F 1934) durch Brand- Eigenheiten des Geruchssinn geruch die Zuschauer panisch aus dem Kino. Der Erfolg der berühmten Rubbel- 264 und Riech-Karte, das Odorama von John Waters (1981), blieb ein Einzelfall und Die Möglichkeit der Bestätigung meiner Existenz durch die Wahrnehmung von funktionierte nur aufgrund des synthetischen Charakters der durch diese aus- Gerüchen bleibt individuell und ist mit persönlichen Erfahrungen verknüpft, gelösten Gerüche – synthetische Gerüche, wie Haarspray oder Benzin, lassen welche den persönlichen Kontext eines jeden Geruchs bilden. Diese individu- sich wegen ihres künstlichen Charakters leichter reproduzieren. Bei der Vor- ellen mit Gerüchen verknüpften Geschichten entziehen sich, ebenso wie die führung von Polyester (John Waters, USA 1981) wurden empfindliche Zuschau- Gerüche selbst, der Reproduktion, das heißt der Symbolisierung (Marks 2002, er allerdings abermals aus dem Kino getrieben, denn ihnen wurde aufgrund 123). Gerüche müssten, um reproduzierbar zu sein, zu wiedererkennbaren Zei- der Penetranz dieser Gerüche übel (vgl. Marks, 2000, 212). Auch die Neuauf lage chen werden – Marks spricht von einem Versuch der Digitalisierung von Gerü- dieser Geruchskarte – eine Art Geruchswalkman, der Sniffman von 2001 – wur- chen, die diese von ihrer konkreten Materialität ablöst. Diese Konventionali- de in ihren Gerüchen als zu synthetisch wahrgenommen.¯2 sierung und Uniformierung der Erfahrung schaltet wiederum das mit ihnen Trotz zahlreicher Beispiele des Scheiterns dieser Versuche wird weiter am Ein- verknüpfte körperliche Wissen um die Eigenschaften des Gerochenen aus. satz synthetischer Gerüche gearbeitet. Schließlich enthält die Möglichkeit der Die technische Reproduktion der Erfahrung von Gerüchen und deren Knüpfung Kontrollierung von Gerüchen und damit deren mögliche Globalisierung ein ans Gedächtnis ist aber gerade aufgrund ihrer Individualität und Vielschichtig- e normes Marktpotenzial. Sehr erfolgreich ist inzwischen das Prime Cinema 5D, keit kaum möglich. Gerüche sind von so vielen unterschiedlichen Zusammen- das sich seit 2006 auch in Berlin befindet, doch scheint sich dessen bisheriger hängen bestimmt, dass sie sich der Klassifizierung bzw. Digitalisierung entzie- Erfolg – ähnlich dem der I-Max Kinos – auf die Attraktion des Neuen zu be- hen müssen. Die den Gerüchen zugeschriebene mangelnde Differenzierbarkeit schränken.¯3 2000 erhielt die Computerspielefirma Digiscent einen Entwick- ist für den Neurologen Konrad J. Burdach vor allem ein Problem fehlender Be- lerpreis für die Entwicklung des i-smell, ein Versuch, Computerspiele zu odo- griffe. Es gibt »keine spezifischen Empfindungskategorien« für Duft eindrücke risieren. Aber auch dieses Projekt scheiterte schnell an der Schwierigkeit der (Burdach 1987, 30). So sind Gerüche unter anderem deswegen in der Geschich- Reproduktion der Gerüche (Marks 2002, 113). Einer nahezu Orwell´schen Vor- te der Sinne eher verdrängt worden, weil sie in keiner oder kaum einer Sprache stellung ähnelt dagegen die von Sony zum Patent angemeldete Idee, filmbe- wirklich benennbar sind. Um Gerüche überhaupt benennen zu können, leihen gleitende Sinneseindrücke durch Ultraschall zu übertragen, die Geruchswahr- wir Namen vom Visuellen und knüpfen sie an die auslösenden Gegenstände, nehmungen also direkt im Gehirn auszulösen.¯4 verbinden sie mit einer Duftquelle (vgl. ibid. 32). So ist jedem von uns der Duft Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 264-265 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 265 28.01.2008 21:31:36 von frisch gebackenem Brot oder einer angeschnittenen Tomate ein Begriff, ren (vgl. Marks 2002, 126). Auch wird sich die Vereinheitlichung zum Beispiel wir könnten diese Gerüche aber kaum ohne Objektbezug beschreiben. auf unsere Fähigkeiten auswirken, unterschiedliche Geschmäcker wahrzuneh- Neben der fehlenden Differenzierungsmöglichkeit und der nicht erreichbaren men, denn der Geruchssinn lässt sich nur schwer von anderen Sinnen tren- nötigen kognitiven Distanz durch Benennung gibt es für Gerüche auch keine nen.¯8 »If there ever comes a time when we all have the same associations akzeptierten Messwerte, aber eine riesige Anzahl von unterschiedlichen Emp- with cinnamon, then the cinnamon as a physical object will cease to exist« findungsqualitäten: »Diese können derzeit weder von der Reizseite her (als (Marks 2002, 125). Der synthetische Geruch ›grüner Apfel‹, den wir alle von di- physikalisch-chemische Merkmale von Dufstoffen) noch auf der Empfindungs- versen Shampoos, Kaugummis und sogar Apfelkuchen kennen, wird zum blo- ebene (subjektive Duftqualitäten) befriedigend qualifiziert werden« (Burdach ßen Zeichen des Apfels und steht nur noch in abstrakter Beziehung zum realen 1987, 30). Eine Zuordnung wie z.B. des Visuellen zur Wellenlänge des Lichts Apfel. Was dabei verloren geht, ist der körperlich, mimetische Bezug, denn ich ist nicht möglich. Bisher geht man von etwa 10.000 Grundduftnoten für die lese diesen Geruch direkt als Information, ohne ihn vorher gespürt zu haben, menschliche Wahrnehmung aus, die jeweils noch mischbar und abhängig von ohne ihn mit meinem Gedächtnis verbinden zu können. Geruch wird zum Si- der Reizstärke, ihrer Intensität sind, denn jeder Geruch kann unangenehm wer- mulakrum. den, wenn er zu intensiv ist. Noch dazu kann die Riechschärfe sehr unterschiedlich ausgeprägt sein oder aber auch abstumpfen und variieren, z.B. aufgrund der Beeinf lussung durch den Hormonspiegel (vgl. ibid., 38). Das heißt, eine Be- Gerüche von Programmen / Kino stimmung reproduzierbarer Qualitäten ist nicht möglich. Eigentlich könnten die Ergebnisse der empirischen Psychologie beruhigen, denn Auch ohne den Einf luss durch künstliche Gerüche gibt es kein Kino ohne Gerü- sie zeigen die Unmöglichkeit der synthetischen Reproduktion spezifischer Ge- che. Das Kino als Ort, als sozialer Raum, beschränkt sich nicht auf die Leinwand, rüche auf, aber tatsächlich bestimmt die Uniformierung synthetischer Gerü- ebenso wenig wie meine Wahrnehmung im Kino nicht auf die audiovisuellen che inzwischen unser Leben. Zu beobachten ist der zunehmende Versuch der Sinne beschränkt bleibt. Erschließung und Vermarktung von Gerüchen: Wir werden in unserer Umge- Gerüche im Kino können meine Filmwahrnehmung verändern, diese stören bung zunehmend künstlichen olfaktorischen Reizen ausgesetzt; bestimmte oder aber auch verstärken. Manche Gerüche wie den Duft von frischem Pop- Düfte in Warenhäusern versuchen, die Besucher zu konditionieren und zum corn suche ich im Kino, den Geruch der anderen Menschen meide ich vielleicht Kauf anzuregen; kaum ein Restaurant, in dem nicht versucht wird, durch syn- eher, ohne zu merken, dass oft auch diese sinnliche Information jenseits des thetische Gerüche eine bestimmte Atmosphäre zu verbreiten, die letztendlich Films mir auf körperliche Weise die Kinoerfahrung als sozialen Akt erschließt. alle diese Räume austauschbar macht.¯6 Über den Film hinaus erfahre ich im Kino über das Zusammenspiel der Sinne Diese Gerüche müssen, um vermarktbar zu werden, von individuellen oder kol- eine Art Austausch mit der Welt. »We take in many kinds of ›extradiegetic‹ sen- lektiven Erfahrungen abgetrennt werden. Eine Ablösung der Gerüche von ih- sory information, information from outside the film’s world, when we ›watch‹ rem individuellen Gehalt tilgt damit zugleich deren spezifischen Erkenntnis- a film« (Marks 2000, 211). charakter. Die Versuche des Geruchsmanagements lösen Gerüche von ihrem Die Wahrnehmung von Gerüchen verändert sich in der Zeit und ist situati- eigentlichen Potenzial des körperlichen Wissens und führen zu sinnlicher Ver- onsgebunden, auch nimmt sie mit der Gewöhnung ab. Das heißt, man riecht armung. Reproduzierte und vereinheitlichte Gerüche werden nach Marks zu eher das Ungewohnte, Unbekannte. Marks schildert sehr anschaulich die un- bloßen Effekten: terschiedlichen Gerüche, die sich im Kino ausbreiten wenn eine Familie – wie »›Olfactory managment‹ […] exploit[s] smell as a symbol, rather than an experience. They play on people’s cognitive, cultural associations with smell rather than with our rich, individual, memory-driven responses. This impoverishes the experience of smell« (Marks 2004, 114).¯7 266 beispielsweise in Indien üblich – im Kino ihr Picknick ausbreitet, oder New Yorker Angestellte nach der Arbeit ihre Lunch-Boxes mit ins Kino nehmen – Erfahrungen, die sich in Deutschland höchstens sonntag nachmittags im FamilienKino machen lassen. Wenn nun nur noch die Geruchsinformation zählt, besteht durch diese Verein- Kino, die Wahrnehmung eines Films in einem spezifischen Zuschauerumfeld, heitlichung die Gefahr, die Komplexität unseres sinnlichen Wissens zu verlie- kann in seiner Multisensorik nach Marks, die sich vor allem mit interkultu- Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 266-267 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 267 28.01.2008 21:31:36 rellem Kino beschäftigt, unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Zuschau- ren lassen sich diese Geruchsassoziationen erst in der Verknüpfung mit Bil- erschaften erfahrbar machen: »the wide range of ways spectatorship is ›em- dern in der Erinnerung. bodied‹« (Marks 2000, 211). Dieser interkulturelle Zugang entzieht sich, wie Dennoch lassen sich nach Marks vor allem drei Arten festmachen, auf welche der Geruch selbst, der symbolischen Darstellung, ist nur körperlich erfahr- Filme Geruchswahrnehmungen bzw. olfaktorische Assoziationen im Zuschau- bar (vgl. ibid.). Ohne die körperliche Erfahrung des Kontextes der Zuschauer- er auslösen können: durch die Darstellung von duftenden Gegenständen und schaft bleibt interkulturelles Kino bzw. der isolierte interkulturelle Film un- riechenden Personen, durch die synästhetische Erzeugung von Geruch mittels zugänglich. Es sind gerade die Potenziale eines an den Moment gebundenen olfaktorischer Montage oder Farben und durch haptische Visualität. Rezeptionserlebens, welche einen anderen als den einordnenden, rationalen Am geläufigsten, aber auch am problematischsten ist wohl die Erzeugung von Zugang zur Welt ermöglichen und unser leibhaftiges Verstehen derselben aus- olfaktorischen Assoziationen über die Darstellung von Akten des Riechens und machen. Schmeckens. Diese Form der Vermittlung spielt eine tragende Rolle in den im- Ebenso wie der Raum des Kinos die unterschiedlichsten Gerüche trägt, werden mer beliebter werdenden Programmen zum Thema Kochen und Essen. Proble- Festivals durch ihren Geruch bestimmt. Auch wenn wir Festivals und Filmpro- matisch ist bei dieser Form der Evokation von Gerüchen die Bindung an die Nar- gramme nicht unbedingt bewusst riechend wahrnehmen, so haben sie doch ration. Die Anregung des Geruchssinn ist dann abhängig von der subjektiven immer für uns eine gewisse Atmosphäre, deren Teil wir sind. Das Verhältnis zu Einfühlung in Charaktere und damit auf die Identifikation mit riechenden diesen Festivals, die Erinnerung an sie, ist immer wesentlich durch diese spe- Personen beschränkt. »How much smell we get out of this image is a func- zifischen Gerüche geprägt bzw. an diese gebunden. Die Duisburger Filmwoche tion of how much we are able to identify with this character« (Marks 2002, stinkt regelrecht nach dem Qualm der verrauchten Diskussionen, die Kurzfilm- 117). Auch die Repräsentation angenehm riechender Dinge, Stillleben von duf- tage Oberhausen riechen nach Frühling, die Berlinale ist kalt und feucht, riecht tendem Essen, können Filme auf diese Weise nicht einfach zum ›riechen‹ brin- höchstens nach Desinfektionsmittel, so dass man sich über eingeschmuggeltes gen. Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber (F, NL, U.K. 1989, Pe- Popcorn oder die obligatorischen Käsebrote freut. Das türkische Filmfestival in ter Greenaway) riecht trotz seiner ausgefeilten Arrangements nicht für jeden, Frankfurt riecht anders als afrika alive. Diese Gerüche prägen ganz wesentlich und zuletzt scheiterte die Hochglanzproduktion Das Parfüm (D, F, E 2006, Tom die Wahrnehmung der Filme dort, sind ein Teil des Kontextes, der die einzelnen Tykwer) trotz seiner überaus duftenden Atmosphäre an der fehlenden Identi- Filme in die Programme einbettet und sinnlich zugänglich macht. Der gleiche fikation mit dem übertriebenen Akt des Riechens von Grenouille, dem mit ei- Film, an unterschiedlichen Orten gezeigt, wirkt völlig verschieden – nicht nur ner ungewöhnlichen olfaktorischen Fähigkeit ausgestatteten Hauptdarsteller. wegen der unterschiedlichen Filme, die ihn rahmen. Während die Bilder eines feuchten, schmutzigen Fischmarktes und bis zum Horizont reichende blühende Lavendelfelder über die olfaktorische Gerüche von Filmen Abb. 2 und 3: D AS PARFÜM , Tom Tykwer, D/F/ E 2006 Imagination quasi Gerüche erzeugen, die aber diffus bleiben, ist es nur schwerlich möglich, 268 Neben den ›realen‹ Gerüchen, die sich im Kino ausbreiten, untersucht Marks sich mit dem Akt des Riechens einer in Großauf- vor allem die Vermittlung von Geruch durch Film selbst, und ich denke, dass nahme abgebildeten Nase zu identifizieren. Die sich ihre Darstellung der visuellen Evokation von Geruchsempfindungen auch starke Betonung seiner olfaktorischen Aktivität, auf die Zusammenstellung von Programmen übertragen lässt. Eine Schwierig- einer Aktivität, die sonst reguliert und verdeckt keit der Beschreibung dieser Gerüche ist natürlich, dass sie im Subjektiven ver- wird, die hyperrealistische Großaufnahmen sei- bleiben, da sie wie gesagt an die individuelle Erinnerung und an die jeweiligen ner Nase oder das Verfolgen des Wegs der Ge- Umstände des Kinoereignisses gebunden sind. Das Kinoerleben verläuft immer ruchsmoleküle durch eine ungebundene Kame- anders als geplant und ist nicht reproduzierbar. Ein Film wirkt nicht nur an- ra erzeugen hier eher Distanz. ders bei jeder Projektion, sondern löst abhängig vom Kontext, das heißt auch Diese Distanz und das Fehlen von Gerüchen in von der Programmierung, andere Geruchsassoziationen aus. Sprachlich fixie- solchen Filmen kann allerdings umgekehrt auch Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 268-269 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 269 28.01.2008 21:31:36 als notwendig angesehen werden und wird durch die Erweiterung der Ka- (J 2003, Takayuki Nakamura) von Speisen mit und ohne Glutamat oder Zucker pazitäten des Sehsinnes durch die Kamera kompensiert. Der Versuch der fil- wird allein über das taktile Bild sinnlich vermittelt. Es ist diese spezifische Äs- mischen Produktion von Gerüchen über den Sehsinn und die Identifikation thetik einer taktilen, sich für Verrichtungen Zeit nehmende Aufmerksamkeit, mit riechenden Protagonisten kann als ein Akt der Disziplinierung interpre- welche Filmwahrnehmung mit allen Sinnen möglich macht und durch die Ge- tiert werden, der in keiner Weise tatsächliche Gerüche hervorrufen soll. So ist staltung von Programmen zugänglich wird, denn gerade diese Momente einer für Vinzenz Hedinger und Alexandra Schneider die Identifikation mit dem Rie- anderen Aufmerksamkeit sind sehr labil und immer von einem aufnahmefä- chen in Filmen ein Akt der Verschiebung und Teil des Durchsetzens der Hygiene higen Umfeld abhängig. in der Moderne. Die Möglichkeit der Kompensation des Geruchssinns im Kino sei im Zusammenhang der De-Odorisation der Städte zu sehen. Sie sehen die geruchslose Darstellung von Gerüchen als »instrument for public hygiene and Synästhesie als Programm technology for the creation of controlled olfactory environments« (Hediger / 270 Schneider 2005, 246).¯9 Auch hier wird durch die Kanalisierung der Sinne der Im Zusammenhang der Programmierung durch die Zusammenstellung von Film aus dem Kontext der Kinosituation gerissen und tritt dem körperlichen Filmen kommt vor allem die zweite Möglichkeit der Auslösung von Gerüchen Ereignis der Kinoerfahrung gegenüber in den Vordergrund. zum Tragen – die Evokation von Gerüchen durch synästhetische Effekte von Die derzeitige Mode von aufwendigen Kochfilmreihen dagegen scheint das Ton und Bewegung bzw. Berührung. Filme erreichen die Evokation von Gerü- Fehlen von Gerüchen und Geschmackswahrnehmung in diesen Filmen über chen nicht nur durch die Darstellung der haptischen Zubereitung von Mahl- die Kombination mit anschließenden passenden Menüs zu kompensieren.¯10 zeiten, die unseren ganzen Körper anspricht, sondern auch durch olfaktorische Die se Programme versuchen, Gerüche zu erzeugen, indem sie den Film in ei- Montage, eine Montage, die nicht der visuellen Repräsentation, d.h. der nar- nen zusätzlichen Kontext einbetten. Dieser Kontext ist dann nicht ein anderer rativen Identifikation, sondern der sinnlichen Intensität folgt. So kombiniert Film, sondern ein real riechendes Mahl, welches dem Ereignis des Filmerlebens der überaus ›duftende‹ Film Der Duft der grünen Papaya (Tran Anh Hung, F/ im Nachhinein einen riechenden Charakter zuschreibt. Auch hier wird also die Vietnam 1994) extreme Close-Ups von Oberf lächen, die kaum noch erkennbar Assoziation von Gerüchen in der subjektiven Rezeption nicht direkt über den sind, mit verstärktem Offscreen-Ton, die gemeinsam das Potenzial der sinn- Film determiniert. lichen Vielschichtigkeit der Wahrnehmung eines Bildes erschließen (vgl. Marks Aber riechen diese Filme wirklich nicht oder nie? Wie wäre dann der Trend zu 2002, 117).¯11 Kochsendungen im Fernsehen zu erklären, die neben diesen exklusiven Rei- Ebenso wie der Tastsinn können andere Sinne durch Bilder angeregt werden, hen, in denen vorwiegend teure Produktionen mit ungewöhlichem Essen kom- denn die visuelle Wahrnehmung ist immer multisensorisch. »If vision is percei- biniert werden, einen regelrechten Boom feiern? Wie können ausgerechnet ved by a whole body, vision is inextricable from the other senses« (Marks 2000, diese sparsamen, unscheinbaren Fernsehbilder sensuelle Reize in uns auslö- 148). Ist die Wahrnehmung von Tönen generell näher an meinem Körper an- sen? Ausschlaggebend scheint nicht die fotorealistische Repräsentation rie- gesiedelt als das Visuelle, dringt der intensive Ton in diesem Film wie Geruch chender Mahlzeiten, sondern der haptische Umgang mit den Dingen zu sein. in mich ein. Nach Marks bringt uns dieser intensivierte Einsatz des Tons näher Die Zubereitung spielt eine entscheidende Rolle, der selbst eine Art taktiler an das Bild bzw. das Bild näher an unseren Körper und ist zusammen mit den Aufmerksamkeit, Geduld und vor allem Großaufnahmen zugestanden werden. Close-Ups in der Lage, Geruchsempfindungen zu erzeugen. Diese multisenso- Das mimetische Nachempfinden dieses haptischen Vorganges macht es mög- rischen Qualitäten des Visuellen werden synästhetisch wahrgenommen. lich, dass ich das zubereitete Essen körperlich und multisensuell, das heißt mit Synästhesie bedeutet, dass die Reizung eines Sinnes andere Sinne mitstimu- allen Sinnen erfahre (vgl. Sobchack 2004, 70). So können gerade dunkle grob- liert. Marks’ Auffassung von der filmischen Wahrnehmung steht damit einer pixlige Videobilder in ihrer Unscheinbarkeit dennoch Geruchsempfindungen phänomenologischen Sichtweise nahe, welche die Wahrnehmung als ganzheit- evozieren, wenn die Kamera entsprechend agiert. Das unscheinbare Zuberei- lich und an den Leib gebunden auffasst und die ›reine‹ Wahrnehmung durch ten eines Gurkensalats in Jarmark Europa (D 2004, Minze Tummescheidt) kann einzelne Sinne für eine künstliche Isolierung hält. So schreibt Maurice Mer- kühle Frische verbreiten, und die Unterscheidung der Köchin in Dream Cuisine leau-Ponty: Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 270-271 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 271 28.01.2008 21:31:36 »Meine Wahrnehmung ist […] keine Summe von visuellen, taktiven, auditiven Gegebenheiten; ich nehme vielmehr auf eine ungeteilte Weise mit meinem ganzen Sein wahr, ich erfasse eine einzigartige Struktur des Dings, eine einzigartige Weise des Existierens, die alle meine Sinne auf einmal anspricht«(Merleau-Ponty 2003, 31).¯12 272 Ansicht zu bestätigen, denn das Sehen von Farben ist auch neurophysiologisch nicht wirklich von olfaktorischen Empfindungen zu trennen. Im Film wirken Farben synästhetisch über einen zeichenhaften Charakter der Bilder hinaus, sprechen jenseits der Narration direkt die körperliche Wahrnehmung an. Vor allem in der Farbwahrnehmung verdeutlicht sich die ›cinesthe- Für Merleau-Ponty ist Synästhesie eine grundlegende Fähigkeit, die wir in un- tische‹ Struktur der Filmwahrnehmung. Auch wenn man der Farbe im Film kei- serer analytischen wissenschaftlichen Welt leugnen und verlernen. Im Unter- ne grundsätzliche synästhetische Wirkungsweise zuschreiben möchte, wirken schied zur klinischen Diagnose der genuinen Synästhesie, in der die Reizung Farben im Film doch über ihre Bedeutung hin- eines Sinnes unwillkürlich andere Sinne mitbeeinf lusst, die identitätsstiftend aus direkt auf unseren Körper. Ganz deutlich ha- ist, unter Umständen aber auch zur Belastung werden kann, geht Merlau-Pon- ben einige Filme über ihren spezifischen Um- ty von einer grundlegenden Zusammenarbeit der Sinne aus. Er spricht von ei- gang mit Farbe einen synästhetischen Effekt ner leibhaftigen Urschicht der Sinne, »die der Teilung der Sinne vorgängig ist« – wenn sich die Farbe so über das repräsentierte und die die unterschiedlichen Welten der einzelnen Sinne miteinander verbin- Bild legt, dass es zum Affektbild wird. So sind es det (Merleau-Ponty 1966, 266). Wir nehmen vermittelt über unseren Leib im- die satten Farben, die gemeinsam mit der olfak- mer mit allen Sinnen gleichzeitig wahr, ein reines Sehen oder Hören ist ein torischen Montage – den extremen Nahaufnah- künstlich erzeugter Zustand und entspricht nicht der natürlichen Wahrneh- men von Oberf lächen und dem verstärkten Ton mung. – Gerüche und Tastempfindungen in Nénette et Merleau-Ponty geht so weit, die synästhetische Wahrnehmung auf die Wahr- Boni (F 1996, Claire Denis) evozieren. Die Kadrie- nehmung im allgemeinen auszuweiten und damit auch auf die Filmwahrneh- rung ist durchgehend angeschnitten, jegliche mung. Für Vivian Sobchack beschreibt diese leibhaftige, ganzheitliche Grund- zur Orientierung verhelfende Einstellungen feh- struktur der Wahrnehmung sogar vor allem die Filmwahrnehmung, die sie als len. Es gibt im gesamten Film keine Totalen, die cinesthetic bezeichnet. In der Teilnahme des Zuschauers an der verkörperten Überblick verschaffen würden. Die Bilder sind Wahrnehmung des Films ist immer sein ganzer Körper mit allen Sinnen einge- fast grundsätzlich in der Halbnahen bis hin zur bunden. »We are, in fact, all synaesthetes – and thus seeing a movie can also Großaufnahme gehalten. Das Bild wird fast un- be an experience of touching, tasting, and smelling it« (Sobchack 2004, 70). scharf und quillt über vor lauter Sinnlichkeit. Besonders deutlich wird dieses ganzheitliche, leibhaftige Empfinden in Bezug Nahezu obszön wirken diese Bilder allein durch auf die Farbwahrnehmung. Auch wenn wir nicht alle bestimmte Klänge be- die Nähe der Kamera und die extreme Farblich- stimmten Farben und umgekehrt zuordnen wie die genuinen Synästhetiker keit. So können eine Kaffeemaschine, ein Stück (z.B. Kandinsky), so erfahren wir bestimmte Farben als kalt oder warm, wer- Stoff, ein Brioche und ein Hausschuh zu ero- den wir durch einen bestimmten, verstärkenden Umgang mit Farben befähigt tischen Objekten werden, die ich riechen und er- zur Fähigkeit der Synästhesie.¯13 Die ›leibhaftige‹ Malerei Cézannes, die uns tasten kann. Die Dinge erreichen in Nénette et durch ihre vibrierene Skalierung der Farben die Qualitäten der Dinge mit dem Boni eine Präsenz, die ich mit allen Sinnen er- Blick ertasten lässt, kann uns diese auch riechen lassen. Ein bestimmter Um- fahre. Gleichzeitig ist die taktile Nähe zu diesen gang mit Farbe lässt uns, Cézannes eigener Aussage zufolge, auch den »Duft Dingen nur Ersatz für die fehlende menschliche der Dinge« sehen (vgl. Merleau-Ponty 2003, 31f). Die Farbwahrnehmung zeigt Nähe und vermittelt dem Zuschauer in ihrer für Marks die generelle synästhetische Struktur unserer Wahrnehmung auf: Sinnlichkeit auch den Schmerz der beiden allein »Color is but one example of the ways our experience is always synesthetic, al- gelassenen Protagonisten. ways a mingling of our senses with one another and of our selves in the world« Gerade diese synästhetischen Qualitäten, die (Marks 2000, 213f).¯14 Die Neurophysiologie scheint diese phänomenologische ein Film auslösen kann, sind abhängig von Ki- Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 272-273 Abb. 4-7: Nénette et Boni, Claire Denis, F 1996 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 273 28.01.2008 21:31:37 noereignis – vom subjektiven Augenblick der Empfindung, die sich nicht pla- auf Oberf lächen von Dingen konzentrieren, Dinge, die durch diesen tastenden nen lässt und immer kontextgebunden bleibt. Die synästhetische Erfahrung Blick neben Tastempfindungen Gerüche und Geschmack vermitteln. ›Haptisch‹ von Nénette et Boni in einem bestimmten Augenblick lässt sich nicht repro- bedeutet für Marks aber auch eine Eigenschaft des Mediums selbst, das in sei- duzieren, ist nicht wiederholbar. Die filmische Wirkung lässt sich nicht ding- ner Materialität Spuren des Gebrauchs trägt oder dessen Material in seiner fest machen und ist immer abhängig von der individuellen, körperlichen Anwe- Qualität die Maßstäbe transparenter Reproduktion nicht erfüllt, das heißt, senheit im Kino. Die spezifische Ästhetik, der Stil von Claire Denis, ist nur ein Leerstellen lässt, Lücken, zum Beispiel durch die Grobpixeligkeit elektronischer möglicher Auslöser solcher Empfindungen, kann und will diese aber nicht de- Bilder. Video und Film werden damit haptischer mit ihrem Verfall. Auf jeden terminieren. So bleibt Nénette et Boni, am heimischen Fernseher rezipiert, ein Fall lassen sich die erblickten Dinge nicht sofort identifizieren, müssen lang- unübersichtlicher, bunter Film. sam ertastet werden. »Haptic images can give the impression of seeing for the first time, gradually discovering what is in the image rather than coming to the image already knowing what it is« (Ibid. 178). Es sind Bilder mit Lücken, Bilder, Haptische Visualität und kulturelles Gedächtnis die dem Auge nicht genügend Informationen geben, um sie sofort identifizieren und einordnen zu können. Das Verständnis dieser Bilder ist abhängig von Die dritte, ebenfalls synästhetisch wirkende Möglichkeit der Auslösung von Ge- 274 allen Sinnen.¯15 ruchsempfindungen, welche auch in Nénette et Boni eine große Rolle spielt, ist Das Wechselverhältnis mit dem Gesehenen und Erfühlten in der haptischen Vi- die der haptischer Visualität – wenn der Blick durch den Entzug von Sichtbar- sualität kann nicht als ein herrschaftliches Subjekt/Objektverhältnis gesehen keit und ein f lächiges Bild ohne Tiefenschärfe haptische Funktionen bekommt. werden, sondern auch als grenzüberschreitende Wechselbeziehung oder Ver- Versteht man unter haptischer Wahrnehmung eine Kombination aus taktilen, mischung ähnlich der Wahrnehmung durch die Nahsinne. Die Wahrnehmung kinästhetischen und propriozeptiven Funktionen, wird das Auge durch solche schmiegt sich dem wahrgenommenen Objekt an, ohne es sich zu unterwerfen. Bilder selbst zum Tastorgan. Tastempfindungen vermischen wie Gerüche die (vgl. Marks 1998, 338, 347; vgl. auch Becker 2004, 54f; Sobchack 1998, 11ff). Wäh- Grenzen von innen und außen, denn sie können nicht nur dem ertasteten Ge- rend die optische Sicht einer Form von visueller Herrschaft gleicht, welche sich genstand zugeschrieben werden, sondern sind immer auch Teil des tastenden das Wahrgenommene und den isolierten Film identifizierend aneignet und der Körpers. gesellschaftlichen Herrschaft in ihren repäsentativen Formen entspricht, ent- Die Hierarchie der Sinne wird auch in der Tastempfindung und ebenso in der kommt das haptische Sehen diesem herrschaftlichen Charakter: »[…] a vision haptischen Visualität aufgehoben (vgl. Marks 1998, 332). Es ist vor allem die that is not merely cognitive but acknowledges its location in the body, seems to haptische Visualität, durch welche die visuelle Ordnung der Darstellung inner- escape the attribution of mastery« (Marks 2000, 132). Indem das haptische Seh- halb des visuellen Mediums Film unterlaufen werden kann und durch welche en mit seinem Objekt verschmilzt, sich die Subjekt/Objektrelation umdreht, die Nahsinne über das Visuelle angesprochen werden. Durch die in der visu- wird eine rationale Ein- und Unterordnung des Gesehenen unmöglich. ellen Darstellung erreichte Nähe reagiert der Zuschauer auf das Bild körper- Die Lücken im Sichtbaren werden synästhetisch durch sinnliches Wissen, durch lich, statt aus der visuellen Distanz heraus das Dargestellte (und sich mit dem individuelle körperliche, aber auch durch kulturelle Erfahrung ergänzt. Die- Dargestellten) zu identifizieren. »… haptic images encourage the ›viewer‹ to se lassen den wahrgenommenen Film in einen jeweils spezifischen Rezepti- get close to the image and explore it through all of the senses, including touch, onskontext treten. Gerade in der Lückenhaftigkeit der haptischen Bilder sieht smell, and taste« (Marks 2002, 118). Marks die Möglichkeit, im visuellen Medium Film Erfahrungen auszudrücken, Marks sieht in der haptischen Visualität eine Möglichkeit, Gerüche zu evozie- die in der herrschenden visuellen Ordnung nicht darstellbar sind. Film als Trä- ren, ohne deren Partikularität aufzugeben: Indem haptische Visualität die Dis- ger auch der niederen Sinne kann durch deren Eigenständigkeit zum Träger tanz zwischen Sehen und Gesehenem auf hebt, kann das Sehen nicht mehr von anderer Sinnlichkeit, anderer Geschichte werden, die sich der offiziellen Kul- den anderen Sinnen getrennt werden, der ganze Körper wird im visuellen Me- tur entzieht bzw. in deren Sprache nicht darstellbar ist. Für Marks, die sich vor dium Film angesprochen und nimmt mit allen Sinnen wahr, also auch mit dem allem mit interkultureller, experimenteller Filmkunst beschäftigt, bewahrt die- Geruchssinn. Diese Wahrnehmung zeigt sie einerseits an Filmen auf, die sich se Form von Visualität eine andere Sinnlichkeit. Migrantengruppen aus kul- Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 274-275 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 275 28.01.2008 21:31:37 turellen Gemeinschaften, in denen das Taktile eine größere Rolle spielt und nale der Gerüche wird hier zum Erkenntnispotenzial, denn es sind diese ko- die Nahsinne wichtiger sind, nutzen im filmischen Bild die haptische Visua- gnitiv eher unzugänglichen, nur unwillkürlich zu erweckenden Erinnerungen, lität. Sie umgehen damit die Einschränkungen der offiziellen Symbolisierung die uns prägen.¯17 Zwar sind Gerüche kaum als isolierte erinnerbar, aber kon- und der Darstellbarkeit bzw. die Herrschaft des Visuellen und nutzen das sinn- krete Erinnerungen sind über Gerüche weckbar bzw. an spezifische Gerüche liche Potenzial der Bildern, um ihre eigene partikuläre Geschichte darstellen gebunden.¯18 Wegen dieser Bindung an das individuelle sowie das kulturelle zu können. Gerade wenn die eigene minoritäre Geschichte in der offiziellen Gedächtnis entziehen sich Gerüche der Versprachlichung/Symbolisierung und Sprache nicht repräsentierbar ist und in der Geschichtsschreibung ausgelas- Nutzbarmachung. Ein und derselbe Geruch bedeutet für jeden Menschen et- sen wird, können die ›niederen‹ Sinne helfen, das eigene kulturelle Gedächt- was völlig Verschiedenes. Spezifische Gerüche können aber, obwohl die Erin- nis zu vermitteln, indem die Limitationen des audiovisuellen Bildes umgangen nerungen, die an sie geknüpft sind, individuell bleiben, Erinnerungsgemein- werden (vgl. Marks 2000, 243). So kann olfaktorische Montage statt zeichen- schaften bilden (vgl. Marks 2002, 121). In ihrem individuellen Charakter sind hafter audiovisueller Montage, die auf sofortige Erkennbarkeit, auf repräsen- Geruchsempfindungen zwar nicht mitteilbar, über visuelle Evozierung werden tative Gestalten abzielt, um eine allgemein gültige Geschichte zu transportie- sie jedoch kommunizierbar (vgl. ibid., 119). Es gibt bestimmte Gerüche, die ganz ren, individuelle Geschichten vermitteln. Gerüche als nicht kommunizierbare direkt verbunden mit dem kollektivem Gedächtnis gemeinsamer Geschichte, individuelle Geschichte werden in diesen Bildern durch die visuelle Evokation gemeinsamer Kultur oder gemeinsamer Traumata wie z.B. Kriegen sind (vgl. kommunizierbar (vgl. Marks 2002, 119). Kommunizierbar werden damit Erin- ibid. 123; vgl. auch Sichtermann, 130f). Gerüche als Träger dieses kollektiven Ge- nerungen, die keine Sprache haben.¯16 Das Nichtrationale der niederen Sinne dächtnisses tragen einerseits ein Wissen um das Verstehen von Welt und Ge- wird hier zum Potenzial der Erkenntnis bzw. der Darstellbarkeit der eigenen schichte mit sich, andererseits sind sie, gerade weil sie nicht reproduzierbar Geschichte. Die Verstärkung dieses Potenzials, die Schaffung eines Kontextes, sind, auch nicht willkürlich erinnerbar und nicht mitteilbar. Eine bildliche Vor- welcher diese Form von Erkenntnis zugänglich macht, ist die Aufgabe von Pro- stellung von Gerüchen ist nicht möglich, und diese sind nicht direkt an das fil- grammen, denn es ist abhängig vom spezifischen Aufführungscharakter des mische Bild zu knüpfen. Filmtheorie, die versucht, die Gerüche des Films und Kinoereignisses. des Kinos stark zu machen, setzt sich dem Verdacht der Irrationalität aus, denn sie muss gerade die subjektive, nicht (mit)teilbare Kinoerfahrung und damit den Kontext des Films wie auch die subjektive Projektion mit einbeziehen. (Nicht) programmierbare Gerüche: Körpergedächtnis und Ereignischarakter von Programmen Andererseits lösen Bilder im Kino nicht nur multisensorische Empfindungen, sondern Erinnerungen aus, die körperlich sind. Unsere Wahrnehmung von Bildern ist durch ihr Verhältnis zum Gedächtnis im Kern immer schon multisen- Gerüche als Erinnerungsspeicher garantieren uns nicht nur die körperliche Eingewobenheit in die Welt, sondern auch die »Wirklichkeit der Vergangenheit« (vgl. Sichtermann 2004, 138f). »[…] smell has a privileged connection to emotion and memory that the other senses do not have« (Marks 2002, 120). Spätestens mit Proust ist dieser besondere Zugang zum Gedächtnis fast zum Allgemeinplatz geworden, kann inzwischen aber auch hirnphysiologisch nach- suell.¯19 »These memories are embodied and multisensory, so that watching a movie can awaken memories of touch, smell, taste and other ›close‹ senses that cannot be reproduced as sound and visual images can. Because movies engage with our embodied memories, each of us experiences a movie in an absolute singular way« (Marks 2002, 122). gewiesen werden, denn der Geruchssinn ist anders neuronal verschaltet als Ein Bild spricht vor allem über das Gedächtnis alle Sinne an, es wird in unserer die anderen Sinne, hat im Gehirn direkten Kontakt zum limbischen System und Wahrnehmung, also über unser Gedächtnis, dem Kreisen in den verschiedenen ›unmittelbaren‹ Zugang zum Gedächtnis. Ebenen des Gedächtnisses, mit allen Sinnen wahrgenommen. (Marks 2000, Kognitiv nimmt man, wie gesagt, Gerüche oft erst wahr, wenn man emotional 212f) Synästhetische Wahrnehmung ist immer auch mit dem Gedächtnis ver- schon reagiert hat, nachdem man also die Situation körperlich schon verstan- bunden, und es ist das Körpergedächtnis, das die visuelle Wahrnehmung durch den hat. Dieses körperliche Verstehen umgeht die Register der Sprache und Empfindungen anderer Sinne erweitert. kann sich an Dinge erinnern, für die es keine Sprache gibt. Das Nichtratio- 276 Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 276-277 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 277 28.01.2008 21:31:37 »›image‹ is not simply the visual image, but the complex of all sense impressions that a perceived object conveys to a perceiver at a given moment. Thus images are always both multisensory and embodied. Pure memory does not exist in the body, but it is in the body that memory is activated, calling up sensations associated with the remembered event« (Marks 2000, 73). Ein visuelles Bild regt über das Gedächtnis vor allem dann alle Sinne an, wenn Kapazität der Nahsinne in den visuellen Medien ermöglicht über eine Zusammenstellung sinnlicher Programme auch bei Zuschauern anderer Kulturen bestimmte körperliche Erfahrungen. Selbst wenn der körperliche Zugang zu den Erinnerungen anderer Kulturen nicht möglich ist, weil Bilder bei jedem andere Erinnerungen auslösen, so können die Potenziale der Nahsinne für die Gestal- es nicht leicht einzuordnen, d.h. nicht direkt als Klischee lesbar ist. Das körper- tung von Filmprogrammen fruchtbar gemacht werden. Filmprogramme kön- liche Verhältnis zum Bild generiert über das Gedächtnis dessen individuellen nen einen anderen Umgang mit den Sinnen erfahrbar machen und lehren oder Sinn, der über das kognitive Verstehen von Ton und Bild hinausgeht, denn das zumindest die Wahrnehmung sensibilisieren. Filme, besonders aber Filmpro- Körpergedächtnis ergänzt die Leerstellen in der visuellen Repräsentation. Film- gramme erweitern die eigenen sinnlichen Fähigkeiten und ermöglichen nach wahrnehmung als Kommunikation von Körpern erzeugt singulären, individu- Marks das Erstellen von sinnlichen Geographien (vgl. ibid., 246). ellen Sinn, der nicht in den von Ton und Bild vermittelten Informationen aufgeht und abhängig vom gegenwärtigen Moment des Rezeptionserlebens ist. Andererseits ist dieses körperliche Erleben nicht unmittelbar, sondern folgt einer kulturellen Codierung, die bis in das Somatische hineinreicht. Es ist nicht nur das individuelle, sondern auch das intersubjektive kulturelle Gedächtnis, welches im haptischen Sehen das Visuelle über das Fehlen im Optischen ergänzt (vgl. auch Robnik 2002, 259f). Der Sehsinn wird hier nicht über hyperre- 278 selben durch den Programmkontext und die Gemeinschaft der Zuschauer. Die »Although cinema is an audiovisual medium, synaesthesia, as well as haptic audiovisuality, enables the viewer to experience cinema as multisensory. These sensory experiences are, of course, differentially available to viewers depending on their own sensoria, but […] sense experience can be learned und cultivated […] the meeting of cultures in the metropoli is generating new forms of sense experience and new ways of embodying our relation to the world« (ibid., 23). alistische Bilder um die synästhetische Fähigkeit des Riechens erweitert, son- Diese Erweiterung der eigenen sinnlichen Fähigkeiten beschränkt sich nicht dern der Verlust der visuellen Fähigkeiten ruft die Erinnerung der Nahsinne auf das interkulturelle Kino. Nahsinne spielen eine Rolle in allen ästhetischen auf. Auch wenn es eher um eine Abwesenheit im Bild und um Verlust statt um Programmen, die sich um körperliche Filmwahrnehmung bemühen. Diese ver- Fülle geht, zeigt sich, dass sinnliche Fähigkeiten in der Reduktion nicht verloren suchen, sich der herrschenden visuellen Wahrnehmung zu entziehen, für an- gehen. Das Ausgesparte wird über das Gedächtnis sinnlich wahrgenommen, dere Arten des Sehens zu sensibilisieren und mit befremdenden Bildern die die haptische Oberf läche an körperliche Erinnerung gekoppelt, wenn die will- Grenzen der dominanten visuellen Kultur aufzuzeigen. kürliche Erinnerung nicht aufruf bar ist. Nicht einbindbare Erinnerungsbilder Bilder ermöglichen in ihrer Vielschichtigkeit verschiedene Zugänge. Synäs- werden gerade für andere Kulturen zu ›radioaktiven‹ Bildern.¯20 Sie starren thetische Wahrnehmung und Körpergedächtnis spielen indirekt bei Filmpro- uns an (Marks 2000, 51), sind wie Prousts ›mémoire involontaire‹ nicht kontrol- grammen immer eine Rolle. Diese Ebenen der Filmwahrnehmung bewusst lierbar und schockieren durch eine andere Geschichte, eine andere Sinnlichkeit wahrzunehmen und bei der Zusammenstellung von Filmprogrammen zu be- (vgl. ibid., 91). Diese cinematographischen Bilder entfremden die eigene Wahr- rücksichtigen, kann die Wahrnehmung sensibilisieren und neue Zugänge zu nehmung in der Konfrontation mit der anderen Kultur, zeigen uns die Grenzen Filmen eröffnen. Haptische Wahrnehmung, das Ertasten von Oberf lächen mit unserer eigenen Wahrnehmung auf (vgl. ibid., 124). dem Blick, ist nicht jedem auf gleiche Weise zugänglich und wird mitbestimmt Die Möglichkeit einer solchen Konfrontation ist vom körperlichen Erleben des durch kulturelle Praktiken. Der Zuschauer kann auf haptische Reize reagieren Zuschauers, seiner Präsenz im Kino in einer Gemeinschaft mit anderen ab- oder auch nicht, kann sich auf eine tastende Verschmelzung einlassen oder lie- hängig. So hängt die sinnliche Wahrnehmung von Filmen, z.B. Geruchsasso- ber in identifizierender Distanz verweilen (vgl. ibid., 170). Durch ästhetische ziationen, von der Gegenwart des Zuschauers und der ihn umgebenden An- Mittel kann diese Art der Wahrnehmung ganz bewusst als Gegenposition zur deren, vom Augenblick des subjektiven Kinoerlebens, vom Kontext des Films Herrschaft des Visuellen und des Rationalen gesucht werden. Die Verminde- sowie von dessen kultureller Einbettung ab. Sinnliches Filmerleben ist unwie- rung der Sichtbarkeit, Flächigkeit, Lücken im Sichtbaren, die das Auge zum tas- derbringlich – nicht willkürlich herstellbar durch Darstellung z.B. von Gerü- tenden Organ werden lassen, ist so häufig zum Beispiel eine Taktik in Experi- chen in einem isolierten Film, sondern nur anregbar durch die Evokation der- mentalfilmen von Frauen, die sich der haptischen Visualität bedienen, um sich Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 278-279 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 279 28.01.2008 21:31:37 der offiziellen herrschaftlichen Repräsentation kann nicht durch die filmische Darstellung von Gerüchen gesteuert bzw. her- zu entziehen (vgl. Brinckmann 1989, 187ff). vorgerufen werden, schon gar nicht durch deren künstliche Programmierung. Vor allem Filmprogramme, die sich bewusst ge- Die subjektive Rezeption des Kinoereignisses ist nicht programmierbar – zu- gen die Einschränkungen der visuellen narra- mindest bisher nicht. tiven Kultur wenden, nutzen die angesprochenen Kapazitäten der Nahsinne, um eine andere Form der Wahrnehmung zugänglich zu machen und das Bewusstsein für die Einschränkungen der Anmerkungen Wahrnehmung durch die offizielle visuelle Kultur zu wecken. Die Programme der ›Filmsamstage‹ in Berlin sind ein Beispiel für eine solche bewusste Programmierung nach sinnlichen Strukturen wir Rhythmus oder Farbe. Atmosphäre eines Films zu unterstreichen, wie zum Beispiel 1989 bei der Projektion von L E G R AND B LEU von Luc Besson durch latenten Meeresgeruch geschehen (vgl. Paech 2005). Experimentalfilmen von Frauen aus der Samm- kleinen, mobilen Größe. 04˘ Issue 2494 of New Scientist magazine, 07 April 2005, 10. te ich die Erfahrung machen, dass auch Studie- 05˘ Ich danke Serjoscha Wiemer für diesen Hinweis. rende, die sich sonst abwehrend gegenüber Ex- 06˘ Die Gefahr der tatsächlichen Konditionierung durch Gerüchen ist wegen der individuellen perimentalfilmen verhalten, fähig sind, sich auf Verknüpfung der Geruchserfahrungen mit dem Gedächtnis nicht sehr groß. Umgekehrt deren Sinnlichkeit körperlich einzulassen, wenn können aber Gerüche mit bestimmten Erfahrungen so verknüpft werden, dass die Gerüche die einzelnen Filme in ein Programm eingebet- die Erfahrung wieder aufrufen und das Verhalten beeinflussen. So wurde für eine Studie tet sind. Die Taktilität von Requiem für Requi- der Brown University ein Computerspiel mit einem bestimmten Geruch unterlegt und da- siten (Rosi S.M., D 1993), der in sehr großer Nähe durch die persönliche Erfahrung dieses Geruchs mit einem frustrierenden Erlebnis konditi- die an einer Wand aufgehängten Objekte mit ei- oniert – das mit dem Geruch unterlegte Computerspiel war nicht zu gewinnen. Kamen die ner Super 8 Kamera langsam abtastet, verband Protagonisten im Anschluss in einen Raum, der mit diesem Geruch unterlegt war, beeinflusste dessen Einsatz ihre Leistungsfähigkeit (vgl. Sichtermann, 130). den spröden Bildern der Teig knetenden Mutter 07˘ Die zunehmend beliebte Aromatherapie kann nie über die einzelnen Gerüche für sich in Familiengruft – Liebesgedicht an meine Mut- funktionieren, sondern immer über die individuelle Verknüpfung dieser Gerüche mit dem ter (Maria Lang, D 1982). Die körperliche Ergrif- Gedächtnis. Diese Verknüpfung ist nicht herstellbar, sondern muss schon vorhanden sein fenheit durch diese Filme wurde hier verstärkt oder möglich durch deren Einbettung in ein Programm. Die körperliche Wahrnehmung eines Films bis hin zur emotionalen Wahr- 280 03˘ Hinzu kommt die leichte Vermarktbarkeit des Prime Cinema 5D aufgrund seiner relativ auf haptische Visualität konzentrierte, konn- sich nun für die Studierenden körperlich mit M UT TER , Maria Lang, BRD 1982 Filmtheorie der sechziger Jahre und das Bemühen um eine Semiotik des Films. 02˘ Weniger problematisch scheint der Einsatz thematischer Gerüche, um die allgemeine Anhand eines eigenen, kleinen Programms mit lung der Universität Paderborn, das sich ganz Abb.8- 10: FAMILIENGRUFT – L IEBESGEDICHT AN MEINE 01˘ Charakteristisch für diese Theoriepositition sind die Debatten der französischen (vgl. Marks 2002, 125). 08˘ Während die Reaktion auf eindeutig negative Gerüche, wie Brandgerüche oder Fäulnis angeboren zu sein scheint und eine Warnfunktion hat (Burdach 1987, 125), entwickelt sich die hedonistische Differenzierung der mittleren Gerüche und damit der Geschmack erst nehmung ist abhängig von deren Kontext. Geruchsassoziationen und taktile ab dem fünften Lebensjahr (ibid., 43); d.h., eine Wertung dieser Gerüche ist nicht angebo- Wahrnehmungen hängen vom jeweiligen Moment der Rezeption, von der Pro- ren und wird unter anderem kulturell bzw. durch Erziehung vermittelt. Gerüche haben ei- grammierung und vom jeweiligen Gedächtnis der Zuschauer ab. Diese lassen nen sehr starken Einfluss auch auf das Schmecken, denn die Zunge schmeckt nur süß, sal- sich durch Programme beeinf lussen, aber nicht kalkulieren oder determinie- zig, sauer, bitter. Alle anderen Geschmacksdaten werden über die Aromawahrnehmung der ren. Die Gegenwart des Filmerlebens der Zuschauer ist unwiederbringlich und Nase erstellt, über die »retronasale Stimulation« (ibid, 17). Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 280-281 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 281 28.01.2008 21:31:37 09˘ Im Gegensatz zur synästhetischen Transgression in den Bildern, die Marks untersucht, in denen das Riechen durch die Einengung des Sehsinns ermöglicht wird, wird hier die Unterordnung des Riechens unter den Sehsinn in der Repräsentation des Riechens im Kino wiederholt. Der Geruch wird zur lesbaren Geste, bei gleichzeitger Geruchlosigkeit des Kinos: »Rather than catalysts of transgression, ›ordinary‹ images that represent smell are instruments of discipline, and in particular of the discipline of the body. Instead of inviting sensory perception to spill over from vision to other senses, they subordinate the other senses to the sense of vision (and of hearing) and channel perception into the audiovisual mode« (Hedinger/Scheider 2005, 248). 10˘ Zuletzt fand sich ein groß angelegtes Kochfilmprogramm im Sonderprogramm der Berlinale 2007: Kulinarisches Kino: Eat, Drink, See Movies. In Zusammenarbeit mit slow food und Spitzenköchen wurde hier ein Zusammenhang zwischen dem Kochen und der Zusammenstellung von Programmen hergestellt, der in der Selbstdarstellung des Berlinalechefs Kosslick als Koch gipfelte. 11˘»It is indeed a fragrant film, less because we identify with characters who taste and smell than because it makes sound and vision synesthetic« (Marks 2000, 222). 12˘ Raymond Bellour überträgt die dieser Vorstellung einer Urschicht sehr ähnliche Annahme einer amodalen Wahrnehmung, die durch den Säuglingsforschers Daniel Stern vertreten wird, auf das Kino. In der frühkindlichen amodalen Wahrnehmung lassen sich in der Art der Synästhesie alle Sinne ineinander übersetzen. Die Faszination des Kinos liege ganz ähnlich darin begründet, so Bellour, dass es im Ansprechen der Distanzsinne Sehen und Hören durch seinen gleichzeitigen mimetischen Zugang zur Welt alle anderen voraussetze (vgl. Bellour 2005, 78). 13˘ In der Psychologie wird die unwillkürliche, genuine oder starke Synästhesie von der willkürlichen, metaphorischen oder schwachen Synästhesie unterschieden. Diese ist auch erlernbar und wird kulturell beeinflusst (vgl. Cytowic 2002, 7). Ob es sich um eine Dichotomie oder ein Kontinuum handelt, ist bisher nicht eindeutig geklärt. 14˘ Gleichzeitig betont Marks anhand der synästhetischen Kapazitäten der Wahrnehmung von Farben auch ein kulturelles Moment der metaphorischen Synästhesie, denn jede Farbe löst in jeder Kultur andere Empfindungen aus, ist mit anderen Erinnerungen verknüpft. Dadurch wird Farbe wie Geruch zum Träger minoritärer Geschichten. Die Synästhesie ist hier eine kulturelle Leistung, die auf der angeborenen Vielschichtigkeit der Wahrnehmung aufbaut, aber vom Symptom der unwillkürlichen Synästhesie sehr stark abweicht. 15˘ Im Unterschied zu Sobchack und Hediger/Schneider wird demzufolge bei Marks der Sehsinn durch Synästhesie nicht erweitert und damit potenziert. Im Gegenteil wird dessen image asks memory to draw on other associations by refusing the visual plenitude of the optical image« (Marks 2002, 133). 17˘»Dufteindrücke [bleiben] im Gedächtnis besonders gut haften […], insbesondere dann, wenn sie mit emotionsträchtigen Erinnerungen gekoppelt sind« (Burdach 1987, 123f). Es besteht ein Wechselverhältnis von Übung und Gedächtnis, das sowohl für die Entwicklung unserer sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit als auch für unser Gedächtnis ausschlaggebend ist (vgl. ibid 122ff). 18˘ Anne Paech hat Erinnerungen von Schriftstellern an das Kino zusammengetragen, die sämtlich von spezifischen Gerüchen bestimmt werden. Ganz wesentlich für die Erinnerung an das ganz frühe Kino scheint dabei immer die dort herrschende schlechte Luft zu sein (vgl. Paech, 2006). 19˘ Marks’ Lesart von Bergson wertet die Trennung von Körpergedächtnis und virtuellem Gedächtnis in ihrer Gewichtung etwas um, indem sie das Verhältnis der Nahsinne zum Gedächtnis betont. Bei Bergson führen die Nahsinne in der Einheit von Sensation und Perzeption zu direktem Kontakt und damit zu unmittelbarer Reaktion, während der Sehsinn durch den größeren Abstand eine Zone der Indeterminiertheit und damit möglichen Zugang zum virtuellen Gedächtnis schaffe. »… these distinctions are quantitative, not qualitative. All sense perceptions allow for and indeed require, the mediation of memory. Consequently, even the ›mere contact‹ sensations engage with embodied memory. Memory teaches us to ignore an odor that constantly pervades our environment, for example. Culture teaches us which odors are to be avoided […] However, as the œuvre of Proust, who read Matter and Memory, demonstrates, any sense perception can call up seemingly infinite, widening circles of memory like concentric ripples on a pond« (Marks 2000, 147). Als Addition von Bedürfnissen trägt unsere Wahrnehmung eines Gegenstandes, das Wahrnehmungsbild, das ganze körperliche Wissen um den wahrgenommenen Gegenstand in sich. 20˘ Marks verbindet in ihrer Beschreibung von Bildern als radioaktive Fossilien das benjaminsche dialektische Bild und dessen Begriff vom Fetisch mit dem Fossil bei Deleuze. Das Fossil oder der Fetisch, beide für sie in bestimmten Erinnerungsbildern vereint, springen den Betrachter an, denn die Vergangenheit ist in ihnen noch lebendig. »Benjamin’s fetish and Deleuze’s fossil have in common a disturbing light, an eerily beckoning luminosity. In the fetish it is called aura, in the fossil it is called radioactivity. Aura it what makes the fetish volatile, because it incites us to memory without ever bringing memory back completely. Similarly, when a fossil is »radioactive« that is because it hints the past it represents is not over, it beckons the viewer to excavate the past, even at his or her peril« (Marks 200, 81). Transgression erst durch die Reduktion des Sehsinnes möglich. 16˘ An anderer Stelle schränkt Marks klärend ein: »Film cannot stimulate the precise memories associated with a smell: only the presence of the smell can call them up. Yet a haptic 282 Anke Zechner Klippel_Programm_3.0.indd 282-283 Filmwahrnehmung mit allen sinnen 283 28.01.2008 21:31:38 Literatur Sichtermann, Barbara (2004): Riechen – Schmecken – Sehen: Der Mensch, das intelligente Schnüffeltier. In: Filk/Lommel/Sandbothe 2004, S. 123-139. Becker, Barbara (2004) Atmosphäre. Über den Hintergrund unserer Wahrnehmung und Sobchack, Vivian (1992) The Address of the Eye: A Phenomenology of Film Experience. seine mediale Substitution. In: Media Synaesthetics. Konturen einer physiologischen Medien- Princeton, NJ: Princeton University Press. ästhetik. Hrsg. von Christian Filk, Michael Lommel, Mike Sandbothe. Köln: Halem, S. 43-58. Sobchack, Vivian (2004) What my Fingers Knew. The Cinesthetic Subject, or Vision in the Bellour, Raymond (2005) Das Entfalten der Emotionen. In: Kinogefühle. Emotionalität Flesh. In: Dies.: Carnal Thoughts. Embodiment and Moving Image Culture. Berkeley u.a.: Uni- und Film. Hrsg. von M. Brütsch, V. Hedinger, U. v. Keitz, A. 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Ein Blick in die Frauen- und Fanzeitschriften der 1910er Jahre . In: Sprache der Liebe. Asta Nielsen, ihre Filme, ihr Kino. Herausgegeben von Karola Gramann, Eric de Kuyper, Sabine Nessel, Heide Schlüpmann, Michael Wedel. Filmarchiv Austria. Erscheint Anfang 2008. Kirstin Bergmann studierte Medienwissenschaften und Amerikanistik an der Hochschule für Bildende Künste und der Technischen Universität Braunschweig. Zurzeit absolviert sie ein Birgit Hein , 1966-1988 Experimentalfilme, Performances und Installationen mit Wilhelm Volontariat in der Dokumentarfilmredaktion von Context TV in Berlin. Letzte Arbeit, unveröf- Hein. Mitbegründerin von XSCREEN in Köln 1968. Eigene Filme seit 1991. Seit 1971 zahlreiche fentlicht: Film als Dokument im Fake-Dokumentarfilm . Veröffentlichungen zum Experimentalfilm, u.a. Film im Underground , Berlin 1971 und Film als Film, Stuttgart 1977. Teilnahme an der Documenta 5 1972 und Documenta 6 1977. Cineprobe im Museum of Modern Art New York 1996. Tourneen durch USA und Kanada sowie nach Pakistan, Björn Bischof studierte bis 2007 Medienwissenschaften an der Hochschule für Bildende Indien und China für das Goethe-Institut. Filme in internationalen Sammlungen, u.a. im Mu- Künste und der TU Braunschweig mit dem Schwerpunkt Multimediaproduktion. Sein wissen- sée d‘Art Moderne Paris (Centre Pompidou) . Retrospektiven der Filme, u.a. in Berlin, New York, schaftliches Interesse gilt unter anderem der Wirkungsweise und Bedeutung von Sound, be- Montreal, Madrid und Rotterdam. Preis der deutschen Filmkritik 1992. Kunstpreis des Landes sonders im Kontext des Films und des Computerspiels. Von 2004 bis 2006 arbeitete er am Niedersachsen 1998. Seit 1990 Professorin für Film- und Video an der Hochschule für Bilden- Institut für Medienforschung in Braunschweig in Kooperation mit der Firma Sennheiser an de Künste Braunschweig. dem Forschungsprojekt AudioCave – eine interaktive Hörspielinstallation , das für den Digital Sparks Award 2006 nominiert wurde. Er ist langjähriges Mitglied des Studios für Filmkunst e.V. in Braunschweig und hat in diesem Rahmen mehrere Kurzfilmprogramme mitgestaltet. Seine Christian Hüls studierte Medienwissenschaften an der Universität Paderborn und beschäf- Abschlussarbeit schrieb Björn Bischof 2006 in Kooperation mit der Konzernforschung Volkswa- tigte sich in seiner Diplomarbeit mit Formen der Programmgestaltung im Kino und in kurato- gen zum Thema Joy-of-Use in Computerspielen als Potential für das HMI des Automobils . Der- rischen Kontexten. Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er arbeitet/forscht zu Ge- zeit arbeitet er als freier Konzeptentwickler in Berlin. sang und Film. Karola Gramann ist freie Kuratorin und Künstlerische Leiterin der Kinothek Asta Nielsen. Karl Kels arbeitet als freischaffender Künstler in den Bereichen Film, Fotografie und Installa- Sie studierte Literatur- und Filmwissenschaft in Frankfurt am Main und London. Von 1983-86 tion. Er studierte von 1980-1987 Film an der Städelschule in Frankfurt und an der Cooper Union war sie Mitherausgeberin der Zeitschrift Frauen und Film , von 1985-89 Leiterin der Internati- in New York, bei Peter Kubelka und Robert Breer. Seit 1991 lehrte er in diversen Lehraufträgen onalen Kurzfilmtage Oberhausen; von 1994-2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut und Gastprofessuren in Deutschland und den USA. Seine Werke sind u.a. vom Anthology Film für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der J.W. Goethe Universität Frankfurt a.M. Sie re- Archives, New York, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt, Filminstitut, Düsseldorf, Österrei- alisierte zahlreiche Filmreihen und Retrospektiven für Kinos und Festivals in der BRD und im chisches Filmmuseum, Wien, Centre Pompidou, Paris, und dem Musée d‘Art Moderne, Stras- internationalen Rahmen, darunter die erste umfassende Retrospektive der Filme der franzö- bourg, angekauft worden. sischen Avantgardistin Germaine Dulac und die Retrospektive Sprache der Liebe. Asta Nielsen, ihre Filme, ihr Kino 1910 -1933 . Heike Klippel , Professorin für Filmwissenschaft an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Mitherausgeberin von Frauen und Film . Veröffentlichungen zu Themen feministischer Filmtheorie, Zeit, Film und Alltag, u.a. Gedächtnis und Kino (Frankfurt a.M. 1997), 286 Autorenangaben Klippel_Programm_3.0.indd 286-287 Autorenangaben 287 28.01.2008 21:31:38 Play Time – ein Film und 8 Perspektiven (Hg. zus. mit Michael Glasmeier, Münster 2005); Zeit ohne Ende. Essays über Zeit, Frauen und Kino erscheint 2008. Heide Schlüpmann , Professorin für Filmwissenschaft an der J.W. Goethe-Universität Frankfurt a.M. seit 1991. Publikationen zum Film seit 1979, seit 1983 Mitherausgeberin der Zeitschrift Frauen und Film . Schwerpunkte der Lehre und Forschung: Frühes Kino, feministische Filmkritik, Filmtheorie, Philosophie und Kino. Publikationen (u.a.): Ungeheure Einbildungskraft. Die dun- Florian Krautkrämer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Filmwissenschaft/Medienwissenschaften der HBK Braunschweig. Thema seiner Dissertation ist Schrift im Film ; die letzte Publikation zu diesem Thema: Schrift als Schrift im Film in: Kodikas/Code Ars Semeiotica, An International Journal of Semiotics. Vol. 29, No 1/3, Jan./Sept. 2006. Erfahrungen zur Pro- kle Moralität des Kinos . Frankfurt a.M. 2007; Öffentliche Intimität. Die Theorie im Kino , Frankfurt a.M. 2002; Abendröthe der Subjektphilosophie. Eine Ästhetik des Kinos , Frankfurt a.M. 1998; Ein Detektiv des Kinos. Zu Siegfried Kracauers Filmtheorie , Frankfurt a.M. 1998; Unheim- lichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos , Frankfurt a.M. 1990. blematik des Filmprogrammierens sammelte er auf beiden Seiten: als langjähriger Mitarbeiter verschiedener Filmfestivals und des Kommunalen Kinos Freiburg sowie als Regisseur langer und kurzer Experimentalfilme; zahlreiche Aufführungen im In- und Ausland, auf Festivals und in Ausstellungen. Bernhard Schreiner studierte von 1991 bis 1998 an der Städelschule Film bei Peter Kubelka, Ken Jacobs, Ernie Gehr und Robert Breer. Er arbeitet mit Film und Video. Bis 1999 produzierte Bernhard Schreiner vor allem experimentelle Super-8- und 16mm-Filme. Im Jahr 2001 erhielt er ein einjähriges Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung und bereiste Italien, Portu- Rolf F. Nohr ist Juniorprofessor für Medienkultur an der HBK Braunschweig. Seine medienwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte sind Evidenztheorie und game studies. Er arbeitet ferner zu Fernsehtheorie, Fotofixautomaten und Tierfilmen. Letzte Veröffentlichungen als Herausgeber: Evidenz – »... das sieht man doch!« (Münster, 2004), mit Meike Kröncke und Bar- gal und Gibraltar. Derzeit beschäftigt er sich mit Sound, Ton, Komposition, Fotografie und anderen Medien. Zusammen mit Günter Zehetner und Thomas Draschan kuratierte er Filmprogramme in Deutschland, Österreich und Neapel. Bernhard Schreiner lebt und arbeitet in Frankfurt a.M. bara Lauterbach Polaroid als Geste – Gebrauchsweisen einer fotografischen Praxis (Stuttgart 2005), mit Britta Neitzel: Das Spiel mit dem Medium – Immersion, Interaktivität, Interface. Zur Teilhabe an den Medien von Kunst bis Computerspiel (Marburg: 2006). www.nuetzliche-bilder.de Stefanie Schulte Strathaus , Vorstandsmitglied der Freunde der Deutschen Kinemathek e.V. und künstlerische Leitung des Kino Arsenal (mit Milena Gregor und Birgit Kohler), Mitglied im Auswahlkomitee des Forums (unter der Leitung von Christoph Terhechte) und Ko-Kuratorin von Forum expanded (mit Anselm Franke) im Rahmen der Internationalen Filmfestspie- Philipp Preuß studiert Medienwissenschaften und Technik der Medien mit dem Schwerpunkt Multimediaproduktion an der Hochschule für Bildende Künste und der TU Braunschweig. Seit 2005 ist er für die Betreuung des Tonstudios und die praktische Unterstützung der Lehre im Bereich digitale Audiobearbeitung an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig verantwortlich. Praktische Erfahrung sammelte er in den Bereichen Midi- und Harddiskrecording, Musikproduktion sowie Ton- und Sounddesign für Film. Sein wissenschaftliches Interesse gilt der Theorie und Kultur der elektronischen Medien sowie der Wirkungsforschung der Musik und des Klangs. Kristina Rottig ist gelernte Fotografin und studiert Medienwissenschaften, Kunstwissenschaft und Technik der Medien an der Hochschule für Bildende Künste und der Technischen Universität Braunschweig. Seit September 2007 ist sie in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Technischen Universität Braunschweig beschäftigt. 288 Autorenangaben Klippel_Programm_3.0.indd 288-289 le Berlin, Gründungsleiterin von arsenal experimental, einer Plattform für Experimentalfilm, Videokunst und Installationen. Lehraufträge und Vorträge im Bereich des Experimentalfilms und zum Verhältnis von Kunst und Kino. Veröffentlichungen, u.a. in Frauen und Film, The Mo- ving Image, Texte zur Kunst, Ästhetik & Kommunikation, Schriftenreihe Kinemathek sowie in zahlreichen Festival- und Ausstellungskatalogen. Hrsg.: L‘Invitation au Voyage. Germaine Du- lac , Kinemathek, Nr. 93, Oktober 2002 (zusammen mit Sabine Nessel und Heide Schlüpmann); The Memo Book. Filme, Videos und Installationen von Matthias Müller, Berlin/London/Toronto, 2005. Christin Wähner studiert an der Hochschule für Bildenden Künste und der Technischen Universität Braunschweig Kunst-, Medien- und Literaturwissenschaften. 2006 arbeitete sie beim 20. Internationalen Filmfest Braunschweig im Bereich Presse und Öffentlichkeit. Von 2004 bis 2006 gehörte sie als Jurybeauftragte und als Mitglied des Presseteams zum Organisations- Autorenangaben 289 28.01.2008 21:31:38 team des selbst.film.fest durchgedreht24 in Braunschweig. Ihr wissenschaftliches Interesse Bildnachweis gilt der Verschränkung von Film und Kunst in künstlerischen Positionen. Florian Wüst ist freischaffender Künstler und Kurator von Filmprogrammen. Letzte Veröffentlichungen: Truth is a thing of this world: J. Robert Oppenheimer and the atomic bomb project . In: We all laughed at Christopher Columbus. Hrsg. v. Krist Gruijthuijsen & November Paynter, Frankfurt am Main, 2007; Aesthetics Against Repression. On the Documentary Drama. The Investigation by Peter Weiss (1965) . In: Experience, Memory, Re-enactment. Hrsg. v. Anke Bangma, Steve Rushton, Florian Wüst. Rotterdam, Frankfurt a. M. 2005. Titelbild: Sammlung Birgit Hein Andrea Haller: Abb. 1: Sammlung Martin Loiperdinger, Trier / Abb. 2, 3, 7, 9, 10: Sammlung Brigitte Braun, Trier / Abb. 5, 6, 8: Sammlung Andrea Haller, Trier / Abb.4: Staatliche Bildstelle Hamburg Anke Zechner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaften an der Universität Paderborn; promoviert in Frankfurt bei Heide Schlüpmann über Momente des Stillstands – die andere Zeit im Kino. Filmwahrnehmung jenseits von Repräsentation und Identifikation. 2001-2004 Promotions-Stipendiatin des Frankfurter Graduiertenkollegs Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung , schreibt für nach dem film und Frauen und Film . Arbeitsschwerpunkte: Filmwahrnehmung und Filmphilosophie. Letzte Veröffentlichungen: Un- menschliche Landschaften . In: moving landscapes. Landschaft und Film. Hrsg. von Barbara Pichler, Andrea Pollach. Wien: SYNEMA Publikationen, 2006. Das Affektbild als Stillstand der Narration: Überlegungen zur Schlussszene von Vive l´amour – Es lebe die Liebe . In: Affekte: Produktion, Rezeption, Medium. Hrsg. von Antje Krause-Wahl, Heike Oehlschlägel, Serjoscha Wiemer. Bielefeld: Transcript, 2006. Stefanie Schulte Strathaus: Abb. 1, 2,4: Foto von Marian Stefanowski / Abb. 3: © arsenal experimental, Berlin Christin Wähner / Birgit Hein: Abb. 1-5: Sammlung Birgit Hein Kirstin Bergmann / Florian Wüst: Abb. 1: Deutsches Filminstitut - DIF, Wiesbaden. / Abb. 2: Library of Congress, Washington D.C. / Abb. 3: Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam / Abb. 4: Montevideo, Amsterdam./ Abb. 5, 6: Freunde der Deutschen Kinemathek e.V., Berlin. / Abb. 7: Denis Beaubois. / Abb. 8: Deutsche Wochenschau Filmarchiv, Hamburg Heide Schlüpmann / Karola Gramann : Abb. 1: © Mo Beyerle. / Abb. 2: © Sabine Hartung / Abb. 3: Sammlung Kinothek Asta Nielsen e.V. Florian Krautkrämer /Karl Kels: Abb. 1-4: Sammlung Karl Kels Kirstin Bergmann: Abb. 1: © Jonathan Hey / Abb. 2: Foto von Bryan Kennedy / Abb. 3: Design und Text: Santa Cruz Guerilla Drive-In Björn Bischof, Philipp Preuß:Abb.1: British Phonographic Industry / Abb.2: Sammlung Björn Günter Zehetner Günter Zehetner, Künstler, studierte bis 1993 Publizistik und Theaterwissenschaften in Wien. Danach studierte er Film als eigene Kunstgattung bei Peter Kubelka an der Hochschule für Bildende Künste, Städelschule in Frankfurt a.M. und absolvierte 1998 seinen Meisterschüler. Günter Zehetner lebt und arbeitet in Frankfurt a.M. Arbeiten: 1993-1998 S8-Tonfilm-Selbst-Porträts u.a. A BLEDE S AU ... 1994; D IE Z EIT HEILT ALLE WUNDER 1997; 16mm- Film M EINE VEREHRUNG 2001; Videoarbeiten, u.a. S OMETIMES 2005; Projekt G EFUNDENE F ILME seit 1995; Nichtfilmische Arbeiten, u.a. 84-teilige Kollagenserie mit dem Titel Ich bin in London Bischof / Abb.3: Sammlung Philipp Preuß / Abb.4: © World of Drum and Bass England / Abb.4. © Jessica Manstetten Rolf F. Nohr: Abb.1: Cover ####/ Abb. 2: Screenshot des elektronsichen Programmführers des TIVO-Systems (Stand 2004) / Abb. 3: Leserbrief aus TV S PIELFILM Nr. 21/ 2000, S. 284 Florian Krautkrämer: Abb. 1: © sixpack film / Abb. 1-3: © Tele5 / Abb. 4: © rtl 2 Anke Zechner: Abb. 1: entnommen aus www.kulture-void.com / Abb. 2, 3: © Constantin Film / Abb. 4-7: © Canal +/La Sept/Dacia Films / Abb. 8-10: © Maria Lang 2001; Installationen: u.a. You and Me mit Michael S. Riedel 2006. Zurzeit arbeitet er mit Fotografie, Arbeitstitel Thats why they have to exist und an digitalen Videos mit dem Arbeitstitel Simplexität . 290 Autorenangaben Klippel_Programm_3.0.indd 290-291 Bildnachweis 291 28.01.2008 21:31:38