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Year: 2015
Die Entwicklung der Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Manz, Karin ; Nägeli, Amanda ; Criblez, Lucien
Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich
ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-87630
Scientific Publication in Electronic Form
Published Version
Originally published at:
Manz, Karin; Nägeli, Amanda; Criblez, Lucien (2015). Die Entwicklung der Bildungsstatistik im Kanton
Aargau. Zürich, Schriftenreihe Historische Bildungsforschung und Bildungspolitikanalyse: Institut für
Erziehungswissenschaft, Universität Zürich.
Institut für Erziehungswissenschaft
Die Entwicklung der Bildungsstatistik im
Kanton Aargau
Karin Manz, Amanda Nägeli, Lucien Criblez
unter Mitarbeit von Susann Gebauer, Nicole Merz, Christian Meyer, Thomas Ruoss
Schriftenreihe Historische Bildungsforschung und Bildungspolitikanalyse
Lucien Criblez, Lukas Lehmann und Karin Manz (Hrsg.)
Nr. 3
Zürich, März 2015
Karin Manz, Amanda Nägeli, Lucien Criblez
Die Entwicklung der Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Die Publikation hat zum Ziel, Konzepte der Bildungsstatistik im Kanton Aargau seit deren Etablierung
zu rekonstruieren. Es werden nach Parametern des Erhebungskontextes wie der Legitimation, der
Produktion und der Verwendung bildungsstatistischer Daten sowie nach deren Veränderung gefragt.
Zudem interessieren die Motive der wesentlichen Akteure und die Veränderung der Akteurkonstellation. In diesem Sinne versteht sich das Projekt als Metareflexion über die Bildungsstatistik im Kanton
Aargau und deren Veränderung.
Schlagworte: Schweiz / Schulgeschichte / Bildungsstatistik / Bildungspolitik
Karin Manz arbeitet als Oberassistentin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich.
Sie schreibt im Rahmen des SNF-Sinergia Projekts Die gesellschaftliche Konstruktion schulischen
Wissens seit 1830 an ihrer Habilitation zur Fächergenese/-entwicklung der Realienfächer in der
Schweiz.
Amanda Nägeli arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der
Universität Zürich. Sie schreibt im Rahmen des SNF-Sinergia Projekts Kantonale Volksschulreformen
und ihre Implementation in Deutschschweizer Städten an ihrer Dissertation zu Mechanismen der
Schulreform.
Lucien Criblez ist Professor am Lehrstuhl Historische Bildungsforschung und Steuerung des Bildungssystems am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich. Am Lehrstuhl werden
Forschungsprojekte durchgeführt, die bildungspolitische Prozesse in historischer wie aktueller Hinsicht analysieren und sich allgemein mit Entwicklungsdynamiken im Bildungsbereich beschäftigen.
Die vorliegende Arbeit wurde im Auftrag des Departements Bildung Kultur und Sport des Kantons
Aargau als Projekt-Schlussbericht vom 10. Oktober 2013 verfasst. Sie ist auch zugreifbar über die
Website des Kantons Aargau:
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/bks/dokumente_1/01_ueber_uns/publikationen_1/Bildungsst
atistik_KantonAG_131016.pdf (letzter Zugriff am 19.5.2015).
Die Schriftenreihe Historische Bildungsforschung und Bildungspolitikanalyse wird vom Lehrstuhl Historische
Bildungsforschung und Steuerung des Bildungssystems des Instituts für Erziehungswissenschaft der Universität
Zürich geführt (http://www.ife.uzh.ch/research/hbs.html). Sie dient der Veröffentlichung von Arbeiten wissenschaftlicher Mitarbeitenden des Lehrstuhls sowie von hervorragenden studentischen Abschlussarbeiten. Die
darin vertretenen Positionen und geäusserten Meinungen liegen jedoch in der alleinigen Verantwortung der jeweiligen Autorenschaft und gelten nicht als offizielle Standpunkte des Lehrstuhls.
Sämtliche
Beiträge
der
hbs/category/publikationen/
ISSN: 2297-3095
Schriftenreihe
HBS
sind
verfügbar
unter:
http://www.uzh.ch/blog/ife-
Inhaltsverzeichnis
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
5
1.1 Forschungsstand
7
1.2 Forschungsziele und theoretischer Hintergrund
8
1.3 Verwendete Quellen
10
1.4 Der Kanton Aargau und sein Schulsystem
12
2 Bildungsstatistik im 19. und 20. Jahrhundert
19
2.1 Eine Geschichte der öffentlichen Statistik in der Schweiz
19
2.2 Eine Geschichte der Schulstatistik in der Schweiz
21
2.3 Das „Bundesgesetz über schulstatistische Erhebungen“ vom 27. Juni 1973
25
2.4 Schulstatistische Datenerhebung im Kanton Aargau
27
3 Verwendung und Darstellung statistischer Daten in den Quellen
32
3.1 Die Darstellung statistischer Daten in den Rechenschaftsberichten
32
3.2 Überblick über die Inhalte statistischer Daten in den Rechenschaftsberichten
33
3.3 Die Darstellung statistischer Daten im kantonalen Schulblatt
36
3.4 Überblick über die Inhalte statistischer Daten im kantonalen Schulblatt
37
4 Ausgewählte Themenbereiche
39
4.1 Schulen und ihre Qualität
39
4.2 Differenzierung des Schulwesens
52
4.3 Finanzielle Mittel
62
4.4 Absenzenwesen
71
4.5 Lehrer und Lehrerinnen
75
4.6 Sozial- und heilpädagogisches Angebot
84
5 Zusammenfassende Analyse und Ausblick
91
5.1 Datenerhebung und -produktion
91
5.2 Akteure
94
5.3 Verwendungszusammenhänge und Legitimation
99
5.4 Fazit
100
6 Literatur
102
6.1 Quellen
102
6.2 Darstellungen
103
7 Abbildungsverzeichnis
109
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Inhaltsverzeichnis
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
8 Tabellenverzeichnis
110
9 Anhang
111
9.1 Beispiele Rechenschaftsberichte
111
9.2 Tabellen
113
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Einleitung
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
1 Einleitung
Das im Auftrag des Departements Bildung, Kultur und Sport des Kantons Aargau lancierte dreijährige
Projekt „Bildungsstatistik im Kanton Aargau“ hatte zum Ziel, die Entwicklung der Bildungsstatistik im
1
Kanton Aargau nachzuzeichnen. Dies bedeutet zum einen, anhand historischer Dokumente die Darstellung statistischer Daten diachron zu untersuchen sowie wo möglich Langzeitreihen zu generieren,
zum andern zu analysieren, weshalb und wozu Statistiken im Bildungsbereich verwendet worden sind.
Eine Geschichte der Bildungsstatistik über einen langen Zeitraum nachzuzeichnen, zwingt zur Beschränkung; dies insbesondere mit Blick auf die expandierende bildungsstatistische Tätigkeit in Verwaltung und Wissenschaft seit den 1990 Jahren und der dabei verwendeten offenen, stellenweise
unspezifischen Begriffsverwendung. Die Bildungsstatistik hat in der Schweiz seit den 1960er Jahren
zunächst als Instrument der Bildungsplanung, seit den 1990er Jahren auch als Grundlage von internationalen Vergleichen stark an Bedeutung gewonnen. Neue Modelle der Steuerung wie New Public
Management oder Evidence Based Policy haben die Nachfrage nach Zahlen, Daten und Fakten gefördert, mit denen insbesondere die Wirkung und Resultate von Bildungsanstrengungen dokumentiert
werden sollen (u.a. Lehmann et al., 2007; SKBF, 2010 und 2006). Bildungspolitische Entscheide
werden immer häufiger auf empirische Daten gestützt und durch sie legitimiert. Doch auch schon im
19. Jahrhundert wurden Zahlen zu Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen und Schulen erhoben,
um den Ausbau und Fortschritt der Volksschule sowohl zu dokumentieren als auch zu legitimieren.
Als wichtige Vergleichsgrössen für die Qualität der Schule dienten damals die Anzahl der Schüler pro
Klasse, aber auch die Zahl der ausgebildeten Lehrer im Vergleich zu den nicht-ausgebildeten oder
nur provisorisch installierten Lehrpersonen.
Bildungsstatistische Daten spielen im Rahmen von Diskussionen um Planung und Steuerung von
Schule seit der Etablierung der Volksschule eine wesentliche Rolle und haben unter Perspektiven der
Educational Governance weiter an Bedeutung gewonnen (vgl. Altrichter et al., 2007; Benz et al., 2007;
Kussau & Brüsemeister, 2007; Langer, 2008). Allerdings ist über die Steuerungsmechanismen des
Bildungssystems im Allgemeinen und auf der Basis von statistischen Daten im Besonderen bislang
wenig systematisch bekannt. Es ist weitgehend unklar, welche Daten vorliegen müssen, um Bildungssysteme wirkungsvoll in eine bestimmte Richtung steuern zu können. Durch die Analyse historischer Entwicklungsverläufe statistischer Daten, die Analyse der an der Datenerhebung und
-produktion beteiligten Akteure und die Analyse der Verwendungszusammenhänge bildungsstatistischer Daten kann Wissen über bildungspolitische Steuerungsprozesse durch Bildungsstatistik generiert werden.
Im Zuge des Bedürfnisses nach Bildungsplanung seitens der Politik und Verwaltung seit den späten
1960er Jahren wurde mit dem Begriff „Bildungsstatistik“ auf die Unzulänglichkeit bestehender schulstatistischer Praxis hingewiesen. Die allmähliche Loslösung vom früheren Begriff „Schulstatistik“ erfolgte auch in Abgrenzung früherer schulstatistischer Erhebungstätigkeiten. Die begriffliche Etablierung der „Bildungsstatistik“ jedoch ging erst einher mit einer methodischen und inhaltlichen Neukonzeption, die sich seit den 1990er Jahren durchgesetzt hat:
„Die Bildungsstatistik am Ende der 80er Jahre ist in Bewegung; nicht nur sind längst fällige Erweiterungen der Datengrundlage in Gang gekommen, generell haben sich auch die thematischen Schwerpunkte verschoben: das Augenmerk gilt zunehmend dem Output des Bildungssystems bzw. dessen Qualität“ (Eidgenössische Kommission für Schulstatistik, 1990, S. 5).
1
Das Projekt wurde zunächst von Christian Meyer durchgeführt (Herbst 2008 bis Sommer 2010); danach wurde es von Karin Manz
und Amanda Nägeli weitergeführt und abgeschlossen.
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Einleitung
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Die Beschreibung und Analyse von Statistik in (bildungs-)historischer Perspektive bedient sich eines
Statistikbegriffs, der Statistik als „politische Praxis“ (Behrisch, 2010, S. 931) versteht. Der Begriff der
statistischen Praxis weist eine Diskrepanz zur soziologisch-politikwissenschaftlichen Statistikforschung auf (vgl. Köhler, 2008; Vanderstraeten, 2006). Während beispielsweise das Bundesamt für
Statistik mit seinen Publikationen zur Bildungsstatistik den Anspruch erhebt „die Realität und den
Wandel des Bildungssystems beschreiben zu können und damit der Bildungspolitik zuverlässige
Grundlagen zur Steuerung des Bildungssystems zur Verfügung“ (Bundesamt für Statistik, 2010, S. 5)
zu stellen, besteht in der (historischen) Statistikforschung kein Zweifel mehr daran, dass „Statistik
nicht die gesellschaftliche Wirklichkeit abbildet, sondern nur das Bild, das sich die Verwaltung von
dieser Wirklichkeit macht“ (Desrosières, 2005, S. 285). Im Folgenden wird Statistik als „politische
Technologie, mit deren Hilfe politische Planungen und Entscheidungen ermöglicht, rationalisiert und
legitimiert werden sollen“ (Köhler, 2008, S. 75), verstanden. Auf diese Weise geraten die Konstruktion
statistischer Kategorien und damit auch die Wahrnehmung der Rezipienten von (Schul-)Statistik in
den Blick der Analysen.
Wir werden in induktiver Herangehensweise auf diejenigen Aspekte der Bildungsstatistik fokussieren,
die sich zur Etablierung des öffentlichen Schulwesens seit 1803 zurückverfolgen lassen und schulspezifische Strukturdaten, insbesondere zum Personalbestand, zur Infrastruktur und zur Finanzierung
der Institutionen bezeichnen. In diesem Sinne findet in dieser Arbeit der spezifisch historische Begriff
der Schulstatistik Anwendung. Die historischen Entwicklungen der Schulstatistik – ihre Themen, Methoden, Konzepte, Begriffe und Protagonisten – hängen genauso mit der allgemeinen Entwicklung
der öffentlichen Statistik wie mit derjenigen der Bildungspolitik der Schweiz zusammen. Insbesondere
die institutionellen Akteure bilden eine Schnittstelle im Hinblick auf die Diffusion methodischer Verfahren, thematischer Schwerpunkte, sowie der expliziten wie impliziten Verwendungsstrategien schulstatistischer Daten. Aus diesem Grund muss eine Geschichte der Schulstatistik im Kanton Aargau vor
dem Hintergrundwissen einer politischen Statistikgeschichte angesiedelt werden. Denn Bildungspolitik und Bildungsverwaltung sind doppelt im Fokus: einerseits sind sie Produzenten statistischer Daten,
andererseits auch deren Rezipienten.
Der Kanton Aargau ist insofern ein für die historische Bildungs- und Statistikforschung interessantes
Forschungsobjekt, als dass er Mitte der 1960er Jahre Gegenstand eines Pilotprojekts für einee erste
gesamtschweizerische Schulstatistik war. In diesem Projekt wurden die in Zusammenarbeit mit der
Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und dem Bundesamt für
2
Statistik schulstatistische Daten erhoben (siehe Kapitel 2.2). Der Kanton Aargau, resp. sein langjähriger Bildungsdirektor Arthur Schmid (1965–1993), war in diesen Jahren generell sehr aufgeschlossen gegenüber bildungsplanerischen und bildungswissenschaftlichen Belangen. So sollte die 1970 im
Rahmen des Projekts zur Gründung einer Hochschule für Bildungswissenschaften im Kanton Aargau
geschaffene Koordinationsstelle für Bildungsforschung in Aarau dazu beitragen, die schweizerische
Bildungsforschung auszubauen und die theoretischen und statistischen Arbeiten zu intensivieren
(Fricker, 2001). Nachdem der Aargauer Grosse Rat die Vorlage zur Gründung einer Hochschule für
Bildungswissenschaften in Aarau 1976 zurückgezogen hatte, blieb es im Bereich der Bildungsfor3
schung bei der Koordinationsstelle. In neuester Zeit zeichnet sich der Aargau durch eine stark regio-
2
Der Kanton Aargau hat 1972/73 erstmalig auch umfassende kantonale Bevölkerungsdaten erhoben: “In sämtlichen Gemeinden
wurde der Bevölkerungsbestand nach Jahrgängen, Geschlecht und Nationalität aufgenommen und auf Magnetbändern gespeichert.
Gleichzeitig begann für die Gemeinden die Meldung sämtlicher Mutationen [Geburten, Todesfälle, Zuzüge, Wegzüge und Einbürgerungen]“ (Rechenschaftsbericht 1972, S. 43).
3
Diese wurde ab 1974 von EDK und Bund gemeinsam weitergeführt und finanziert. Die Bildungsforschung in der Schweiz, obwohl
inzwischen als Forschungszweig etabliert, wurde in den siebziger Jahren verschiedentlich als unzureichend eingestuft. Kritisiert wur-
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Einleitung
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
nal ausgerichtete Schul- und Bildungspolitik zusammen mit den Kantonen Basel-Stadt, BaselLandschaft und Solothurn aus, was an Projekten wie Bildungsraum Nordwestschweiz oder einem
gemeinsamen Bildungsbericht Nordwestschweiz (Criblez, Imlig & Montanaro, 2012) sichtbar wird.
Im vorliegenden Bericht wird nach den einführenden Abschnitten zum Forschungsstand, zum Forschungsprojekt und zum Kanton Aargau die Bildungsstatistik im 19. und 20. Jahrhundert verortet
(Kapitel 2). Danach folgt ein Kapitel zu den beiden Quellengattungen, auf die sich das Projekt hauptsächlich stützt, die Rechenschaftsberichte des Regierungsrats und das kantonale Schulblatt (Kapitel 3). Die Resultate der Quellenarbeit finden sich aufgearbeitet in sieben themenspezifischen Darstellungen (Kapitel 4). Hier werden einige ausgewählte Themenbereiche (Schulen und Klassen, Differenzierung des Schulwesens, Finanzen, Absenzenwesen, Lehrerinnen und Lehrer, Leistungsmessung und Heil- und Sozialpädagogik) in Bezug auf die Erhebung und Verwendung statistischer Daten
analysiert. Die für die Grafiken dieses Kapitels verwendeten Basisdaten finden sich jeweils im Anhang in den dazugehörigen Tabellen (Kapitel 9.2). Der Bericht schliesst mit einer zusammenfassender Analyse und einem Ausblick (Kapitel 5).
1.1 Forschungsstand
Historische Analysen und Reflexionen zu schulstatistischer Praxis in der Schweiz sind rar. In Abhandlungen zur Geschichte der Statistik als Verwaltungspraxis und Wissenschaft taucht Bildung, wenn
überhaupt, als Randnotiz auf. Als Ausnahmen zu nennen sind kurze Abhandlungen in Handbüchern
(Meli, 1955a), eine bundesrätlichen Botschaft im Zusammenhang mit dem Schulstatistikgesetz von
1973 (Botschaft des Bundesrates vom 22. November 1972) sowie Festschriften der EDK (Bähler,
4
1912, 1938 und 1948) . Ebenso finden sich einige Abhandlungen bildungshistorischer Provenienz v.a.
mit Fokus auf die während des Kulturkampfes bildungspolitisch brisante Zeit des letzten Drittels des
19. Jahrhunderts (Criblez & Huber, 2008; Crotti, 2008; Lustenberger, 1999; Mattmüller, 1982). Diese
Studien fokussieren hauptsächlich den Bund und die Frage, aus welchen Gründen dieser sich in
schulpolitischen Fragen gegenüber den Kantonen nicht durchsetzen konnte. Eine vergleichende historische Betrachtung der Kantone, die bis heute die zentralen Akteure in der Erstellung schulstatistischer Daten sind, liegt bislang nicht vor.
Ein wissenschaftliches und administratives Interesse lässt sich an der historischen Rekonstruktion
5
schulspezifischer Langzeitdaten erkennen. 1990 wurde im Rahmen eines Forschungspraktikums an
der Universität Bern eine „Auswahlbibliographie zur Historischen Bildungsstatistik der Schweiz“ erstellt (Bieri et al., 1990). Auf kantonaler Ebene wurden beispielsweise im Kanton Aargau, in Zürich,
Basel oder Genf Langzeitreihen zu schulspezifischen Themen generiert (Statistisches Amt des Kantons Basel-Stadt, 2002; Bairoch, 1986; Erziehungsdirektion des Kantons Zürich, 1981–1987; Regierungsrat des Kantons Aargau, 1954). Die Historische Statistik, herausgegeben in den 1990er Jahren
von Heiner Ritzmann-Blickenstorfer und nach wie vor ein oft verwendetes Instrument für historische
de, dass Bildungsforschung in der Schweiz vor allem (sprach-)regional orientiert ohne eine übergeordnete nationale Ausrichtung sei
(Brupacher, 1973; Criblez, 2007).
4
Die Rolle der EDK in Sachen Schulstatistik seit dem frühen 20. Jahrhundert bleibt aber beispielsweise in der Festschrift zum 100jährigen Bestehen der EDK unerwähnt (Badertscher, 1997).
5
Ritzmann-Blickenstorfer nimmt hier die Unterscheidung von ‚historischer Statistik’ und ‚Historischer Statistik’ vor (RitzmannBlickenstorfer, 2010). Daran anschliessend soll erstere als historische, kontextbezogene Reflexion vergangener statistischer Tätigkeiten verstanden werden, letztere als systematische Rekonstruktion retrospektiver statistischer Daten.
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Einleitung
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
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Analysen, enthält auch einige Datenreihen zum Bildungsbereich (Ritzmann-Blickenstorfer, 1996).
Schliesslich beschäftigt sich ein Forschungsprojekt an der Universität Zürich derzeit mit der histori7
schen Erschliessung bildungsstatistischer Daten in der Schweiz. Vergleichbare Bestrebungen lassen
sich im europäischen Umfeld bereits seit den späten 1970er Jahren feststellen. 1977 wurde in der
BRD das DFG-Projekt QUAKRI lanciert (Lundgreen, 2006), in dessen Folge die Datenhandbücher zur
8
deutschen Bildungsgeschichte (Tietze, 1987) heraus gegeben wurden. Die damit verbundenen Versuche, historische Konjunkturen in Bildungssystemen nachweisen und daraus Erklärungsmuster für
künftige Entwicklungen gewinnen zu können, haben noch nichts an Aktualität verloren (Metz, 2006).
Im Sinne einer Metaanalyse wurden historische Verwendungszusammenhänge von Bildungsstatistiken insbesondere in Frankreich (Luc, 1985) und Belgien (Minten et al., 1991) kritisch reflektiert.
Die Einordnung der Auseinandersetzung mit historischer Bildungsstatistik in eine politische Statistikgeschichte der Schweiz ist auf Grund des knappen Forschungsstandes nur eingeschränkt möglich. In
der ersten Hälfte der 1990 Jahre kam es im Zusammenhang mit der umstrittenen Volkszählung von
1990, dem neuen Bundesstatistikgesetz von 1992 und durch den Einfluss neuer epistemologischer
Ansätze im Sinne einer „histoire de la raison statistique“ (Desrosières, 2005) zu einer kurzen Blüte
der historischen Beschäftigung mit Statistik (Allgemeine Geschichtsforschende Gesellschaft der
Schweiz, 1995; Busset, 1993; Jost, 1995). Neben akademischen Forschungsarbeiten sind insbesondere auch Festschriften regionaler statistischer Ämter zu nennen, die sich jeweils ihrer eigenen Geschichte annehmen. Diese Arbeiten beschränken sich jedoch auf einige wenige Institutionen, die vor
Ende der 1960er Jahre gegründet worden sind (Statistik Stadt Zürich, 2005; Statistisches Amt des
Kantons Basel-Stadt, 2002). Das Bundesamt für Statistik (BfS) hat zu seinem 150-jährigen Bestehen
9
einen digitalen Zeitstrahl veröffentlicht, der jedoch nicht auf neuen Forschungsarbeiten beruht. Für
einen bibliographischen Überblick zur Geschichte der Statistik in der Schweiz sei auf zwei Publikationen von Busset verwiesen (Busset, 1993; Busset et al., 1995).
1.2 Forschungsziele und theoretischer Hintergrund
Das Projekt „Bildungsstatistik im Kanton Aargau“ rekonstruiert die unterschiedlichen Konzepte der
Bildungsstatistik im Kanton Aargau seit der Kantonsgründung 1803. Es fragt nach Parametern des
Erhebungskontextes, der Produktion sowie nach deren Veränderung und – soweit ersichtlich und
rekonstruierbar – nach der Legitimation und der Verwendung bildungsstatistischer Daten. Zudem
interessieren die wesentlichen Akteure, die am Produktionsprozess beteiligt waren, und die Veränderung der Akteurskonstellationen. In diesem Sinne versteht sich das Projekt als Metareflexion über die
Bildungsstatistik im Kanton Aargau und deren Veränderung. Ursprünglich als Vorprojekt geplant, lässt
es sich in einem umfassenderen Forschungskontext verorten: Das vom Nationalfonds unterstützte
Projekt „Bildung in Zahlen“ an der Universität Zürich erfasst bildungsstatistische Daten unter Einbezug der ganzen Schweiz, führt diese in Zeitreihen zusammen und schafft so eine Grundlage für wei-
6
Die Zahlen sind online zugänglich und werden in unregelmässigen Abständen erweitert unter: http://www.histecon.uzh.ch/hsso.html
[Zugriff am 9.10.2013].
7
Projekt„Bildung in Zahlen“ (Lucien Criblez, Thomas Ruoss, Susann Gebauer), Institut für Erziehungswissenschaft der Universität
Zürich (2010-2013) (siehe: http://www.ife.uzh.ch/research/hbs/forschung/forschungaktuell/bildunginzahlen.html). Die aufgearbeiteten
Daten sind zugänglich unter: http://www.bildungsgeschichte.uzh.ch [Zugriff am 9.10.2013].
8
Das erste Datenhandbuch konnte jedoch aufgrund der aufwendigen Arbeiten zur Datenaufbereitung erst 1987 publiziert werden. Bis
heute ist die Reihe, mit über 10 projektierten (Teil-)Bänden, noch nicht abgeschlossen.
9
Bundesamt für Statistik. Chronostat – 150 Jahr BFS. Eine multimediale Geschichte des BFS (siehe: http://www.portalstat.admin.ch/chronostat/ [Zugriff am 9.10.2013].
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Einleitung
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
tere bildungshistorische Forschung. In einem vom Schweizerischen Nationalfonds bewilligten Anschlussprojekt, das 2014-2016 durchgeführt werden wird (Lucien Criblez, Thomas Ruoss, Christina
Rothen) sollen zum einen Legitimationszusammenhänge bildungsstatistischer Erhebungen kontextualisiert und zum andern Verwendungszusammenhänge der Statistiken untersucht werden. Damit
können die Ergebnisse der vorliegenden Fallstudie zum Kanton Aargau in naher Zukunft in einen
gesamtschweizerischen historischen und theoretischen Zusammenhang gestellt werden.
Die entsprechenden Forschungsbemühungen verlaufen parallel zur Neukonzeption der Bildungsstatistik auf gesamtschweizerischer Ebene: Die Bildungsstatistik auf der Basis von Individualdaten (operationalisiert über eine anonymisierte und über die Zeit gleich bleibende persönliche Identifikationsnummer, einen so genannten Personenidentifikator) ermöglicht in Zukunft die Verknüpfung von Lernendenstatistiken mit der Statistik der Bildungsabschlüsse und damit die Rekonstruktion individueller
Bildungsverläufe (vgl. Bundesamt für Statistik, 2010 und 2006; SKBF, 2006). Im Kanton Aargau liegen allerdings bereits seit mehr als 10 Jahren individualstatistische Daten vor, so dass Laufbahnuntersuchungen möglich sind. Inzwischen liegt eine grössere Auswertung der Daten für die Volksschule
im Sinne von Schullaufbahnanalysen vor (Tresch & Zubler, 2009).
Die historische Aufarbeitung der Schulstatistik des Kantons Aargau verfolgt wesentlich drei Zielsetzungen:
1. Erhebung und Datenproduktion: Das Projekt unternimmt eine systematische Analyse der Erhebung statistischer Daten für die Zeit der obligatorischen Schule (heute: Kindergarten bis 9. Schuljahr), zeigt ferner auf, wie sich die Datenerhebung über die Zeit veränderte, und rekonstruiert –
soweit dies sinnvoll möglich ist – Langzeitreihen einiger wichtiger Parameter für das Volksschulwesen wie beispielsweise Zahlen zu Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen und Schulen.
Damit werden frühere Analysen (Regierungsrat des Kantons Aargau, 1954) ergänzt bzw. systematisiert und erweitert.
2. Akteure: Das Projekt analysiert, welches die zentralen Akteure der Aargauer Bildungsstatistik
waren, wie sie die Etablierung und Weiterentwicklung der Bildungsstatistik unterstützt haben und
wie sich diese Akteurskonstellationen über die Zeit veränderten.
3. Verwendungszusammenhänge und Legitimation: Das Projekt geht der Frage nach, wozu bildungsstatistische Daten von unterschiedlichen Akteuren verwendet wurden. Punktuell kann der
Bericht Aufschluss darüber geben, wie bildungsstatistische Daten zur Steuerung des Bildungssystems und zu andern Zwecken (Standesinteressen; politische Vorstösse etc.) verwendet wurden.
Das dritte Forschungsziel muss als schwierigstes Ziel bezeichnet werden. Aufgrund der verwendeten
Quellen (siehe Kapitel 1.3) können nur in begrenztem Mass Aussagen über den Verwendungszusammenhang statistischer Daten gemacht werden. Das untersuchte Sample erlaubt kaum detaillierte
Aussagen darüber, wozu bildungsstatistische Daten erhoben und welche Akteure diese verwendet
haben. Gerade um solche Fragen beantworten und explizite Legitimations- oder Verwendungszusammenhänge aufzeigen zu können, müssten zusätzliche Quellen des politischen Diskurses wie
beispielsweise Motionen, Initiativen oder Parlamentsdebatten beigezogen werden. Dies war im vorliegenden Projekt jedoch nicht vorgesehen, würde damit doch ein weiteres, sehr weites – aber auch
10
interessantes – Forschungsfeld eröffnet.
10
Allgemein sind in der Erziehungswissenschaft bildungspolitische Analysen eher rar. Es sei auf zwei in Bearbeitung stehende
Projekte am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich verwiesen, die sich explizit mit der bildungspolitischen Ebene,
ihren Akteure, deren Verhandlungen und Entscheidungsprozesse beschäftigen: Das Projekt „Kantonale Volksschulreformen und ihre
Implementation in Deutschschweizer Städten“ (Lucien Criblez, Amanda Nägeli, Stephanie Appius; Laufzeit 2011-2014) untersucht die
Implementation von Schulleitungen in ausgewählten Schweizer Städten. Das Projekt „Lehrmittelpolitik als schulische Wissenspolitik“ (Lucien Criblez, Lukas Lehmann, Marcella Völgyi; Laufzeit 2012-2015) untersucht das Akteurshandeln in der staatlichen Lehrmittelpolitik.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Das Projekt konzentriert sich auf die Analyse der Volksschule, d.h. die Vorschulzeit (Kindergarten)
sowie die neun obligatorischen Schuljahre (Primarschule und Sekundarstufe I). Nicht bearbeitet werden das höhere Schulwesen (Kantonsschule), auch wenn dieser Schultyp teilweise noch ins Schulobligatorium fällt, sowie die Berufsbildung. Hingegen werden für das 19. Jahrhundert Schultypen wie
die Fortbildungsschule untersucht, die nach der Verlängerung der obligatorischen Schulzeit im
20. Jahrhundert in die nachobligatorische Ausbildung rückten. Die daraus entstehende Sekundarschule und die Bezirksschule wurden erst im Laufe des 19. Jahrhunderts als Oberstufe etabliert. Die
Lehrerinnen- und Lehrerausbildung resp. deren Absolventenzahlen sind insbesondere im
19. Jahrhundert für die Diskussion über die Qualität der Schule von grosser Bedeutung und deshalb
auch Teil der Analyse.
Forschungstheoretisch orientiert sich das Projekt am akteurzentrierten Institutionalismus (Mayntz et al.
1995; Scharpf, 2000) und davon abgeleiteten Spielarten des Neo-Institutionalismus (Koch & Schemmann, 2009; Senge & Hellmann, 2006; Walgenbach & Meyer, 2008). Diese Forschungsansätze erlauben einerseits, Konjunkturen der bildungsstatistischen Erhebungen als politische und gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu verstehen, innerhalb derer sich bestehende institutionelle Strukturen
verändern; andererseits können Akteure (hier v.a. kollektive Akteure wie Behörden oder der Lehrerverein) als politische Akteure verstanden werden, die den Institutionalisierungs- und Steuerungsprozess nach ihren je unterschiedlichen Interessenlagen zu beeinflussen versuchen (Langer, 2008; Wiesenthal, 2006). Diese Beeinflussung konstituiert sich nicht einfach als rationale Steuerung. Die Vielzahl beteiligter Akteure, die durch bestehende Politik- und Verwaltungsstrukturen im Aargauer Bildungssystem vorgegeben sind, sowie die Prozesse in anderen gesellschaftlichen Bereichen (z.B.
Wirtschaftsboom oder internationale Kriegsgefahr) bedingen komplexe Interdependenzen, die es zu
rekonstruieren gilt.
Als Methode kommt die historische Dokumentenanalyse zum Einsatz. Obwohl der 1803 neu gegründete Kanton Aargau in kurzer Zeit ein modernes Bildungssystem aufgebaut hat und die Bildungsverwaltung durch Gewaltenteilung und Öffentlichkeitsprinzip dem Souverän gegenüber bereits 1803
rechenschaftspflichtig wurde, fokussiert das Projekt hauptsächlich den Zeitraum 1835 bis Ende des
20. Jahrhunderts. Der Beginn der Untersuchungszeit in den 1830er Jahren legitimiert sich einerseits
dadurch, dass die Rechenschaftsberichte des Regierungsrates des Kantons Aargau erst seit 1837
publiziert wurden. Andererseits wurde mit dem dritten Volksschulgesetz von 1835 der Grundstein für
die moderne Volksschule gelegt. Grundsätzlich wird die kantonale Bildungsstatistik bis in die aktuelle
Zeit analysiert. Die Rechenschaftsberichte zeigen aber seit den 1960er Jahren eine stete Abnahme
bildungsstatistischer Daten. Damit ist es zunehmend schwierig, auf der Basis dieser Quelle Aussagen
zur neueren Bildungsstatistik zu machen. Dies ist jedoch nicht einem allgemeinen Rückgang in der
Produktion statistischer Daten geschuldet, sondern vielmehr der Auslagerung der Bildungsstatistik
aus den Rechenschaftsberichten der Regierung und aus dem Schulblatt in andere Publikationsorte
wie die statistischen Jahrbücher des kantonalen statistischen Amts oder die Schul- und Lehrpersonenstatistik. Diese Tatsache unterstreicht noch einmal den engen Konnex zwischen den bildungspolitischen Akteuren einerseits und der Erhebung bildungspolitischer Daten andererseits.
1.3 Verwendete Quellen
Als Basis der Untersuchung dienen die bis in die 1980er Jahre umfangreichen und später deutlich
kürzeren Rechenschaftsberichte des aargauischen Regierungsrates sowie das Schulblatt der Kantone Aargau und Solothurn (zu Beginn auch des Kantons Basel-Landschaft) als Organ des Lehrerver-
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Einleitung
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
eins. Während in den Rechenschaftsberichten durchgängig statistische Daten publiziert wurden, enthielt das Schulblatt erst in den späteren Jahren Informationen der Erziehungsdepartemente. Für aktuelle statistische Zahlen konnte auf die Schul- und Lehrerstatistiken des Departements Finanzen und
Ressourcen „Statistik Aargau“ zurückgegriffen werden.
Die Rechenschaftsberichte, die im Kanton Aargau seit 1837 publiziert vorliegen, weisen jedes Jahr
ein eigenes Kapitel zum Schul- und Bildungswesen auf und dienen der Rechenschaft der Regierung
gegenüber Parlament und Öffentlichkeit über die Staats- und Verwaltungstätigkeit sowie die Verwendung der Steuergelder. Neben den Gesetzen, welche Veränderungen im System bewirken oder legitimieren, bilden Rechenschaftsberichte die Entwicklung und Kontinuität des gesamten Bildungssystems ab. Das alljährliche Erscheinen macht diese Berichte zu einer umfangreichen und lückenlosen
Quelle für Analysen des Schul- und Bildungswesens der einzelnen Kantone. Diese Tatsache lässt die
Rechenschaftsberichte deshalb auch zur Hauptquelle des vorliegenden Projekts werden. Bei den
Rechenschaftsberichten handelt es sich um eine serielle Quelle, die ab 1837 über den gesamten
Untersuchungszeitraum vorliegt, aus forschungstechnischen Gründen jedoch in Fünf-JahresSchritten systematisch untersucht wurde. Die Darstellung alljährlich wiederkehrender Daten wie Anzahl Lehrerinnen und Lehrer, Schultypen, Anzahl Abteilungen, Anzahl Schülerinnen und Schüler,
Besoldungszahlen usw. ermöglicht das Abbilden von langen Zahlenreihen. Da über die Erfassung
und Kategorisierung der einzelnen Daten als auch über die Beweggründe, spezifische Daten zu erfassen, aus den Rechenschaftsberichten wenig zu erfahren ist, bleibt diese Beschreibung und Interpretation oftmals vage. Die Dokumentation expliziter Legitimations- oder Verwendungszusammenhänge von bildungsstatistischen Daten sind in den Rechenschaftsberichten sehr selten, solche Metainformationen können deshalb häufig nur anhand von zusätzlichen Kontextinformationen zusammengetragen werden.
Die in den Rechenschaftsberichten aufgeführten Daten stimmen mit jenen aus der Schulstatistik oftmals nicht überein. Einerseits gilt in beiden Quellen ein unterschiedlicher Erhebungszeitpunkt, andererseits weist die Schulstatistik die Zahl für das gesamte Schulwesen resp. nur für die öffentlichen
Schulen aus. Die Rechenschaftsberichte geben hingegen keine Hinweise zur Qualität und zur Art der
11
Erhebung ihrer Daten.
Das Schulblatt – als Organ des aargauischen Lehrervereins erstmals 1875 publiziert – gibt während
der untersuchten 135 Jahre aktuelle, nahe an der Praxis liegende Themen und Diskurse wieder. Systematische, über Jahre vergleichende statistische Daten hingegen finden sich hier nur selten. Nichtsdestotrotz zeigen genau diese Zahlen eindrücklich, wo von Lehrerinnen- und Lehrerseite Schwerpunkte gesetzt und wofür statistisches Material eingesetzt wurde: nämlich zur Unterstützung und
Verdeutlichung standespolitischer Interessen und Forderungen. Die Erziehungsdepartemente der
beiden Kantone Aargau und Solothurn als zusätzliche Lieferanten von Zahlen, Informationen und
Berichten traten erst in den 1970er Jahren regelmässig in Erscheinung. Ab dieser Zeit findet sich in
jedem Schulblatt eine kurze Darstellung wichtiger Informationen aus den Erziehungsdepartementen
zuhanden der Lehrpersonen. Dieser zusätzliche Einfluss sowie der Wandel im Umgang mit statistischen Daten auf kantonaler und auch nationaler Ebene schlagen sich im Schulblatt der Kantone Aargau und Solothurn nieder: Die Darstellungen von Zahlen in Tabellenform sowie von kantonalen und
interkantonalen Gegenüberstellungen anhand der über Jahre hinweg vergleichenden Zahlen nahmen
zu. Somit können basierend auf dieser Quelle sowohl Entwicklungen im Schulsystem als auch die
Schwerpunktsetzungen im pädagogischen Diskurs des Kantons Aargau rekonstruiert werden.
11
Für die einzelnen grafischen Darstellungen von Zahlen wurden grundsätzlich bis 1984 die Rechenschaftsberichte als Grundlage benutzt, danach stammen die Zahlen aus der Schulstatistik.
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Einleitung
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Die dritte Kategorie untersuchter Quellen sind die Schulstatistiken. Der Kanton Aargau veröffentlichte
bereits vier Jahre vor dem Bundesgesetz von 1973 eine kantonale Schulstatistik, herausgegeben von
der kantonalen statistischen Abteilung des Departements des Innern. Es ist die einzige der verwendeten Quellen, die auf den ersten Seiten jeweils eine Aussage über den Sinn und Zweck von Schulstatistik enthält: Die alljährlich erhobenen Daten sollten im Vergleich zu vergangenen Jahren betrachtet
werden und so einerseits strukturelle Veränderungen sichtbar machen und andererseits ein Funda12
ment bieten für eine kantonale, regionale oder kommunale Schulplanung. Neben den publizierten
Auswertungen standen für interessierte Personen noch weitere Daten und Tabellen zur Verfügung.
Bereits die ersten Ausgaben der Schulstatistik nahmen von Jahr zu Jahr an Umfang zu. Nach den
anfänglichen 59 und 48 Seiten in den Jahren 1969 und 1970 waren es 1972 bereits 72 Seiten. Die
Datenerhebung fokussierte auf Schülerbestände, die je nach Schulart, Schulort und „weiteren Merkmalen“ erfasst und statistisch ausgewertet wurden. Neben der Seitenzahl, die sich stetig erhöhte,
ergänzte man die zu untersuchenden Parameter: Neu kam neben Klasse, Geschlecht, Jahrgang,
Schulart und Schulort die Berufskategorie des Vaters hinzu. Ebenfalls wurde nach Muttersprache und
Herkunft unterschieden, zudem wurden Neuzugezogene und Repetenten erfasst. Die Unterscheidungen wurden von der Primarschule bis zur Mittelschule in der kantonalen Schulstatistik abgedruckt.
Die einzelnen Tabellen wurden jeweils kurz erläutert. Keinen Eingang in die Schulstatistik hingegen
fanden Daten über Lehrpersonen. Anhand der Schulstatistiken kann nicht aufgeschlüsselt werden,
wie viele Lehrerinnen und Lehrer an welchem Schultyp unterrichteten. Ab 1975 entspricht die alljährliche Schulstatistik des Kantons Aargau der eidgenössischen Schulstatistik und bildet einen Teilbereich des statistischen Jahrbuchs des Kantons Aargau. Im Vergleich zu den Rechenschaftsberichten
wurden die Zahlen nicht im Mai, sondern im November erhoben. Daher sind Abweichungen zwischen
13
den Zahlen in den Rechenschaftsberichten und jenen in der Schulstatistik zu erwarten.
1.4 Der Kanton Aargau und sein Schulsystem
Zum Verständnis der folgenden Analysen über die
statistische Datenerhebung und -verwendung im Kanton Aargau müssen einige Kenntnisse zur Struktur
und zur Entwicklung des aargauischen Schulsystems
vorausgesetzt werden können. Dieser Abschnitt stellt
den Kanton und seine spezifischen sozioökonomischen Rahmenbedingungen sowie die Entwicklungen
in Bezug auf das Volksschulwesen kurz vor.
Der 1803 neu gegründete Kanton Aargau hatte zur
Aufgabe, in kurzer Zeit politische Strukturen und eine
kantonale Verwaltung aufzubauen und Regionen
unterschiedlichster Kulturen zusammenzufügen (Gautschi, 1980; Seiler & Steigmeier, 1998; Tschopp,
1968). Die Gebiete des heutigen Aargaus kannten bis
Abbildung 1: Bezirke des Kantons Aargau (vgl. Statistik
Aargau, Eckdaten für die 11 Bezirke
http://www.ag.ch/staag/ [Zugriff am 5.10.2013])
12
Dabei wurde bei der Darstellung der Tabellen bis 1965 auf Zahlen aus der Probeerhebung des BfS in Zusammenarbeit mit
der EDK zurückgegriffen.
13
Aus forschungsökonomischen Gründen nicht untersucht wurden die ab 1986 herausgegebenen statistischen Jahrbücher des
Kantons Aargau. Ebenfalls nicht Eingang ins Projekt fanden die politischen Diskurse im Regierungsrat, im Parlament oder im Bildungsrat sowie die Debatten in der Tagespresse.
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Einleitung
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
dahin keine Selbstverwaltungspraxis, sondern waren ein ‚Flickenteppich‘ an Untertanengebieten. Der
Kanton Aargau ist deshalb ein ‚konstruierter‘ Kanton, ein Kanton, der während der Helvetik „auf dem
Reissbrett“ (Seiler & Steigmeier, 1998) entstanden war. „Dieser Kanton ist keine Gründung seiner
Bewohner, sondern eine der Volksmehrheit aufgezwungene Vereinigung von Gebieten, die wenig
Gemeinsamkeiten besassen, am allerwenigsten einen einheitlichen politischen Willen“ (ebd., S. 85).
Die frühere Grafschaft Baden (heutige Bezirke Baden und Zurzach), das ehemalige österreichische
Fricktal (heutige Bezirke Laufenburg und Rheinfelden; siehe Abbildung 1), der Berner Aargau (heutige Bezirke Brugg, Lenzburg, Aarau, Kulm und Zofingen) und die Freien Ämter (heutige Bezirke
Bremgarten und Muri) waren Gebiete mit unterschiedlichen Lehrbüchern und Unterrichtstraditionen.
Ramseier (1973) bemerkt auch noch für das 20. Jahrhundert, dass aufgrund der topographischen
Situation und verkehrstechnischer Anbindung „die aargauischen Bildungsinstitutionen kein geschlossenes Bildungssystem ausmachen“ (Ramseier, 1973, S. 1). Der Kanton Aargau ist bildungsmässig
auf einige wenige Kleinzentren wie Aarau oder Baden ausgerichtet, in einigen Kantonsteilen wiederum ist man stärker nach Basel oder Zürich hin orientiert. Die elf Bezirke weisen grosse wirtschaftliche und soziodemographische Differenzen auf, was sich während des ganzen 19. Jahrhunderts in
den statistischen Zahlen verschiedenster Kennziffern immer wieder zeigt. Der stark agrarisch geprägte Kanton – einst die Kornkammer der alten Eidgenossenschaft – entwickelte im Laufe des
19. Jahrhunderts mit der einsetzenden Mechanisierung vier Industrien: neben Seide, Baumwolle und
Stroh wurde auch Tabak verarbeitet. Nach 1870 kam die Schuhfabrikation und allmählich die Maschinenindustrie auf; nach der Jahrhundertwende begann sich die Metall-, Maschinen- und Apparateindustrie zu entwickeln.
Obwohl auf dem Territorium des Aargaus im 19. Jahrhundert verschiedene konfessionelle Kämpfe
tobten – Bistumsstreit, Freischarenzüge und Sonderbundskrieg, Klösteraufhebung, Abspaltung der
Christkatholischen Kirche – scheint es, dass für den Aufbau eines modernen Schulwesens die Konfession oder Religion keine wesentliche Rolle spielte. Insbesondere der Umstand, dass der Aargau
ein konfessionell paritätischer Kanton ist, hatte zur Folge, dass die Schule auf der formalorganisatorischen Ebene der Religion gegenüber relativ neutral eingestellt war. Auch muss darauf
hingewiesen werden, dass sich im Kanton Aargau – wie auch im Kanton Solothurn – ein radikalfreisinniger Katholizismus etablierte, der sich deutlich von der konservativen Ausrichtung der Zentralschweiz unterschied und die politische Kultur im Aargau mitprägte. Der Kanton umfasste neben rein
katholischen oder reformierten auch gemischte Gemeinden, 1870 kam die christkatholische Konfession hinzu; zudem befanden sich in Lengnau und Endingen die einzigen beiden jüdischen Gemeinden auf Schweizer Territorium, in denen sich im 18. und 19. Jahrhundert Juden niederlassen durften.
Das erste kantonale Schulgesetz von 1805 erklärte alle Kinder für schulpflichtig und es war selbstverständlich, dass diese gemeindeeigenen Schulen konfessionelle Schulen waren. Katholische Gemeinden besassen katholische, reformierte Gemeinden reformierte Schulen und in paritätischen Gemeinden gab es zwei Gemeindeschulen. Die Normen des Gesetzes hingegen galten für alle Gemeinden
gleich, auch für die „israelitischen“ (jüdischen), die wie andere Gemeinden auch gemeindeeigene
Schulen besassen.
Durch einen gemeinsamen Volkschulunterricht aller Kinder sollte eine gemeinsame Wissensbasis,
aber auch eine gemeinsame Haltung erreicht werden, die wesentlich drei Grundfunktionen umfassten:
1. Die Qualifizierung in allgemeiner Bildung für eine im 19. Jahrhundert stark wachsende und sich
verändernde Wirtschaft; 2. schulische Sozialisation und allgemeine Bildung als Instrument gegen die
Armut und das gesellschaftliche Phänomen des Pauperismus; 3. die Verpflichtung der nachwachsenden Generation auf den liberalen Staat und insbesondere nach 1870 auf die Nation. Diese nationale
Funktion wurde erst nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 zentral. Das Ziel einer nati-
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
onalen Gesinnungsbildung in der Schule und durch die Schule sollte durch die Einführung neuer Unterrichtsgegenstände erreicht werden (vgl. Criblez et. al., 1999; Criblez & Hofstetter, 1998).
Die Entwicklung des Schulsystems
Wie in vielen Kantonen basiert die Schulgeschichtsschreibung des Aargaus weitgehend auf verschiedenen, zu (Schul-)Jubiläen verfassten Festschriften (u.a. Byland et al., 1985; Fokus Schulgeschichte(n), 2011; Leimgruber, 2010; Regierungsrat des Kantons Aargau, 1954). Eine systematische Arbeit
zur Entwicklung des gesamten Bildungssystems des Kantons fehlt jedoch. Anhand der kantonalen
Schulgesetze, die vor allem die normativen Vorgaben zeigen, und unter Beiziehen der Schulberichterstattung in den Rechenschaftsberichten lässt sich die Schulsystementwicklung aber relativ gut rekonstruieren. Der Kanton Aargau erhielt seit der Kantonsgründung bis heute sechs Schulgesetze
(1805; 1822; 1835; 1865; 1940; 1981). Diese dienen als normative Folie für die Schulpraxis; nicht
selten dokumentieren und legitimieren sie mit einiger zeitlicher Verzögerung eine schon etablierte
Praxis. Andererseits stellt das Gesetz immer einen normativen Sollwert dar. Die Umsetzung der normativen Vorgaben in den Gesetzen erfolgte in der Regel nicht detailgetreu und manchmal nur teilweise regelkonform.
Bereits das Schulgesetz von 1805 schrieb vor, dass jede Gemeinde eine öffentliche Schule einzurichten hat, und hielt jeden Hausvater an, „seine Kinder nach ihrem zurückgelegten sechsten Jahr fleißig
zur Schule zu schicken“ (Schulgesetz 1805, § 3). Schule war in erster Linie Winterschule mit jeweils
drei Stunden Unterricht vormittags und nachmittags. Im Sommer galt es, an mindestens zwei vollen
Tagen Unterricht zu halten. Die Repetierschule wurde sowohl von Schülern besucht, die nicht in der
Sommerschule waren, als auch von Schülern, die bereits vor dem 16. Lebensjahr aus der Schule
entlassen wurden. Die Bescheinigung des Schulinspektors über die Entlassung aus der Schule dokumentierte, dass das Kind „verständlich und fertig lesen, schreiben, wo möglich rechnen [kann], und
den behörigen Schulunterricht in der Religion erhalten [habe]“ (Schulgesetz 1805, § 19). Das Schulgesetz von 1805 regelte die Klassengrösse (Obergrenze: 80 Schüler/innen) sowie die Lehrerbesoldung.
1813 beschloss der Grosse Rat per Dekret die Errichtung zweier konfessionell ausgerichteter Gymnasien in zwei Bezirken. Die übrigen neun Bezirke sollten je eine Sekundarschule erhalten, die der
späteren Bezirksschule entsprach. Diese frühe Entwicklung kann schweizweit als Pionierleistung
gewertet werden. Der Kanton Aargau weist deshalb schon relativ früh ein Schulsystem auf, dass
strukturell die drei Politikebenen Gemeinde, Kanton und Bezirk miteinschliesst.
Das Schulgesetz von 1822 sah vor, dass die gemeindeeigene Primarschule in einem öffentlichen
Gebäude untergebracht sei. Die Formulierung der Schulpflicht war immer noch eine SollFormulierung, wurde aber dadurch ergänzt, dass „die Schule regelmäßig“ besucht werden soll
(Schulgesetz 1822, § 16). Als Lehrgegenstände wurden Lesen, Schreiben, Rechnen, Religions- und
Sittenlehre sowie Gesang aufgeführt. Die ersten zwei Schulgesetze basierten auf keiner Verfassungsbestimmung, sondern wurden vom Grossen Rat kraft seiner Kompetenz erlassen. Dies änderte
sich mit der neuen demokratischen Verfassung von 1831 (vgl. Regierungsrat des Kantons Aargau,
1954, S. 251).
Das dritte Schulgesetz von 1835, das in weiten Zügen dem damaligen Seminardirektor und späteren
Erziehungsdirektor Augustin Keller (1805–1883) zu verdanken war, stellte einen Meilenstein in der
Entwicklung des aargauischen Schulwesens dar. Auf ihm beruht noch weitgehend die heutige Organisation der Volksschule. Es sah eine Vereinheitlichung der bisher heterogenen Schullandschaft vor
und regelte die neben den Gemeindeschulen neu entstandenen Schultypen: die Kleinkinderschulen,
die weiblichen Arbeitsschulen, die Fabrikschulen, die Bezirksschulen sowie das Lehrerseminar. Die
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Gemeindeschule gliederte sich in zwei Abteilungen: die Elementar- oder Alltagsschule und die Fortbildungsschule. Die Elementarschule wiederum war unterteilt in eine untere und eine obere Hauptklasse; diese galt es vom 7. bis zum 13. Lebensjahr zu besuchen. Schülerinnen und Schüler im Alter
von 14 und 15 Jahren besuchten die zum Teil geschlechtergetrennte Fortbildungsschule. Schule
wurde „gleichmässig“ (Schulgesetz 1835, § 11) sowohl im Sommer als auch im Winter gehalten und
wurde erstmals „für die Kinder aller Bürger und Einwohner des Kantons verbindlich“ (ebd., § 7) erklärt.
Zudem wurde das Absenzenwesen gesetzlich geregelt (§ 28–29). Die Bezirksschulen dienten einer
erweiterten Bildung mit dem Ziel, eine Grundlage zu schaffen für die bürgerliche Berufsbildung und
die höhere wissenschaftliche Bildung (ebd., § 104); das Aufnahmeverfahren in die Bezirksschulen
wurde speziell geregelt (ebd., § 107). Das Schulgesetz von 1835 verpflichtete Fabrikherren, die Jugendliche beschäftigten, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, zur Errichtung einer Fab14
rikschule. Die anfallenden Kosten für die Errichtung und Unterhaltung der Schule hatte der Fabrikherr zu tragen.
Die Kleinkinderschulen wurden im Schulgesetz zwar erwähnt (Schulgesetz 1835, § 76), jedoch inhaltlich nicht genauer bestimmt. Sie bestanden aus zwei Klassen und konnten nach Erreichung des fünften Lebensjahrs freiwillig besucht werden.
In den weiblichen Arbeitsschulen sollten Mädchen während des Winterhalbjahres „unentgeltlich Unterricht im Nähen, Stricken und Ausbessern der Kleidungsstücke, so wie in anderen weiblichen
Hausgeschäften“ unterrichtet werden (Schulgesetz 1835, § 181). Jedes Mädchen, das in die obere
Klasse der Alltagsschule eintrat, war zum Besuch der weiblichen Arbeitsschule verpflichtet. Die weibliche Arbeitsschule gliederte sich in drei Klassen, eine vierte war fakultativ.
Viel Raum nahmen im Schulgesetz von 1835 die Abschnitte über die Pflichten und Rechte sowie die
Besoldung der Lehrer ein (§ 40-74). Die Organisation des 1822 gegründeten Lehrerseminars (vgl.
Metz, 2001a und 2001b) und die damit institutionalisierte und verbesserte Lehrerbildung wurden
erstmals gesetzlich geregelt (§ 159-180). Diese Vorschriften trugen massgeblich zur Verberuflichung
und allmählichen Professionalisierung der Lehrer im Kanton Aargau bei. Dass erst ab 1920 der Kanton die Lehrerbesoldung übernahm, weist darauf hin, dass bis zu diesem Professionalisierungsschritt
ein sehr langer Weg zurückzulegen war. Dann erst wurden die dauernden Auseinandersetzungen
über die Lohnanteile von Gemeinde und Kanton beendet und damit kantonsweit gleiche Löhne garantiert.
Das Schulgesetz von 1865, hauptsächlich das Werk des Erziehungsdirektors und späteren Bundesrats Emil Welti (1825-1899), beschrieb ein schon recht ausdifferenziertes Schulwesen: Gemeindeschulen, Arbeits-, Fortbildungs-, Fabrik-, Bezirks- und Kantonsschulen (Gymnasium und Gewerbeschule), Lehrerseminar sowie Privatlehranstalten wie beispielsweise die Höhere Töchterschule in
Aarau (Kretz, 1994). Eine der zentralen Errungenschaften dieses Schulgesetzes war die Erweiterung
der Schulpflicht auf acht Schuljahre: Insgesamt umfasste die Gemeindeschule acht Jahreskurse,
wobei von der 1. bis zur 6. Klasse eine „gründliche Bildung in den Elementen der Unterrichtsgegenstände“ (Schulgesetz 1865, § 39) vermittelt werden sollte. Die 7. und 8. Klasse galten als ein in sich
geschlossener Lehrkurs, der sich an den für Mädchen und Knaben unterschiedlichen „Bedürfnissen
des praktischen Lebens“ (ebd.) orientierte. Neue Unterrichtsgegenstände wie Realienunterricht,
Sprachunterricht, Messen und Zeichnen sowie Leibesübungen für „die männliche Jugend [als] Vorbe-
14
Erst das eidgenössische „Gesetz über die Arbeit in den Fabriken“ vom 23. März 1877 verbot u.a. die Kinderarbeit in den
Fabriken. So durften nur Kinder, die das 14. Altersjahr vollendet haben, in den Fabriken arbeiten. Für Jugendliche zwischen dem 14.
und 16. Altersjahr galt eine reduzierte Arbeitszeit von maximal acht Stunden; zusammen mit Schulunterricht durfte die Gesamtstundenzahl zehn Stunden pro Tag nicht überschreiten (BBl 1875 IV, 921-960).
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
reitung zu den Waffenübungen“ (ebd., § 37) fanden Eingang in die Volksschule. Die weiblichen Arbeitsschulen wurden neu als Teil der Gemeindeschule definiert, die von schulpflichtigen Mädchen von
Beginn der 3. Klasse an bis zur Entlassung aus der Gemeindeschule besucht wurden.
Weiterhin wurde, in Entsprechung der Oberklassen der Gemeindeschulen, eine zwei- bis dreijährige
Fortbildungsschule benannt. Dieser sich am stärksten verändernder Schultypus des 19. Jahrhunderts
– aus der Fortbildungsschule entwickelte sich die spätere Sekundarschule – orientierte sich an den
nötigen Kenntnissen für zukünftige Landwirte, Handwerker und Gewerbetreibende. Das Gesetz beschrieb die Aufgaben der Bezirksschule darin, „die in der Gemeindeschule erworbene Bildung zu
erweitern und den Grund zur bürgerlichen Berufsbildung zu legen sowie für den Eintritt in die höheren
Lehranstalten vorzubereiten“ (ebd., § 107). Der Besuch der Bezirksschule stand beiden Geschlechtern offen; den Mädchen jedoch nur in Gemeinden, „welche keine Fortbildungsschulen besitzen“;
auch sei „für sie die Zahl der Fächer mit Rücksicht auf das Bedürfnis angemessen zu beschränken“ (ebd., § 112). Die Kantonschule gliederte sich in eine gymnasiale und gewerbliche Abteilung:
das Gymnasium als allgemeinbildende Schule mit dem Ziel der Befähigung zum Hochschulstudium
und die Gewerbeschule als Vorbereitung auf den Gewerbestand, den Handel und das Studium der
technischen Fächer.
1894 wurde das aargauische Schulwesen um einen weiteren Schultyp erweitert: die Bürgerschule.
Per Gesetz wurden die Schulgemeinden verpflichtet, eine Bürgerschule zu gründen und zu unterhalten. Aufzunehmen waren für drei Winter-Halbjahrkurse „alle bildungsfähigen, der Gemeinde-Schule
entlassenen Knaben schweizerischer Nationalität, die das 16. Altersjahr zurückgelegt und das 19.
noch nicht vollendet haben“ (Gesetz betreffend die Einführung der obligatorischen Bürgerschule, S.
212). Mit dieser Schulform sollten die Ergebnisse der Aargauer Rekruten in den eidgenössischen
Rekrutenprüfungen verbessert werden.
Das Schulgesetz von 1940 – als erstes Schulgesetz des Kantons Aargau einer Volksabstimmung
unterworfen – bestätigte die Dauer der Gemeinde- bzw. Primarschule von acht Jahren, aufgeteilt in
eine fünfjährige Primarschule und eine dreijährige Primaroberstufe. Aufbauend auf den fünf Primarschuljahren und parallel zu den oberen Klassen der Gemeindeschule sah das Gesetz eine dreijährige
Sekundarschule und eine vierjährige Bezirksschule vor. In vier Jahren sollte die Bezirksschule „eine
erweiterte Volksschulbildung und die Vorbereitung für die höheren Mittelschulen“ (Schulgesetz 1940,
15
§ 24) vermitteln. Die Mädchenhandarbeit wurde mit hauswirtschaftlichem Unterricht für Mädchen als
16
obligatorisches Unterrichtsfach erweitert. In Entsprechung konnten die Gemeinden die Knabenhandarbeit fakultativ oder obligatorisch erklären. Neu wurde auch das Fach Turnen für alle eingeführt.
Der Besuch aller öffentlichen Schulen (inklusive Sekundar- und Bezirksschule) wurde unentgeltlich.
Neu besuchten nun schulentlassene Knaben und Mädchen die dreijährige obligatorische Fortbildungsschule, die sich v.a. an Jugendliche mit grundlegender Schulbildung richtete. Vom Besuch der
Fortbildungsschule dispensiert wurden die Schülerinnen und Schüler der höheren Mittelschulen sowie
„der landwirtschaftlichen, kaufmännischen, gewerblichen und hauswirtschaftlichen Schulen, sofern
deren Unterrichtszeit mindestens derjenigen der obligatorischen Fortbildungsschule entspricht“ (ebd.,
17
§ 29).
15
Der Begriff „Mittelschulen“ findet sich erstmals im Schulgesetz von 1940; darunter subsumierten sich die folgenden Schultypen: die Kantonsschule, die Töchterschule und die Lehrerbildungsanstalten (Schulgesetz 1940, § 33-35).
16
Statistisch tritt die Arbeitsschule als eigener Schultyp im Rechenschaftsbericht letztmalig 1940 in Erscheinung; fortan entsprach dieser Unterricht einem regulären Schulfach für Mädchen.
17
Dieser Paragraph stellt eine Reaktion dar auf das „Gesetz über die berufliche Ausbildung“ vom 26. Juni 1930, das erstmals
gesamtschweizerisch den obligatorischen Fachunterricht im Rahmen der Berufslehre regelte.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Mit dem Rechenschaftsbericht für 1974 wurde der Besuch der 9. Primarschulklasse erstmals dokumentiert: In den Bezirken Baden und Zofingen besuchten insgesamt 35 Schülerinnen und Schüler ein
neuntes Primarschuljahr. Dieses Schuljahr muss vorerst als freiwilliges Bildungsangebot verstanden
werden – wie das heutige 10. Schuljahr –, das die Gemeinden auf Antrag hin installieren konnten. Mit
dem Schulgesetz von 1981 wurde die obligatorische Schulzeit auf neun Jahre für alle erweitert und
damit ein Postulat des Schulkonkordats von 1970 umgesetzt, obwohl der Kanton Aargau dem Schulkonkordat erst 1989 beitrat (vgl. Manz, 2011). Die Volksschule gliederte sich in die Primarschule (fünf
Jahre) und die Oberstufe (vier Jahre), wobei die Oberstufe drei unterschiedliche Schultypen Realschule, Sekundarschule und Bezirksschule umfasste. Die Bezirksschule des Kantons Aargau hatte
seit dem 19. Jahrhundert einen progymnasialen Charakter. Was in anderen Kantonen erst in den
1970er Jahren eingeführt wurde, das so genannte Kurzzeitgymnasium im Anschluss an die Sekundarstufe I, war im Aargau schon immer Realität. Da es kein Langzeitgymnasium gab, das wie in anderen Kantonen direkt an die 5. oder 6. Klasse der Primarschule anschloss, war der gebrochene Weg
über die Bezirksschule Standard.
Eine weitere Etappe in der Schulgesetzgebung war die Einführung gemeindeeigener Sonder- oder
Kleinklassen (Sonderkindergarten, Sonderschulen, Sonderwerkstufen [Schulgesetz 1981, § 15 und
§ 28]). Bislang hatten die Gemeinden finanziell, aber nicht organisatorisch für die Sonderschulung
bildungsfähiger körperlich oder geistig behinderter Kinder aufzukommen. Diese wurden meistens in
privaten, aber vom Staat subventionierten Sonderschulen und Heimen unterrichtet. Die Errichtung
von so genannten „Hilfsschulen“ (Sonder- oder Kleinklassen) in den Gemeinden war zwar in den
Rechenschaftsberichten seit den 1950er Jahren dokumentiert; sie tauchten in der Schulstatistik der
1970er Jahre auch als eigene Kategorie auf, waren aber noch nicht gesetzlich verankert.
Mit dem Schulgesetz von 1981 wurde der Gleichstellung der Geschlechter Rechnung getragen: Knaben und Mädchen stand das gleiche Fächerangebot offen, d.h. die koedukative (textile und nichttextile) Handarbeit wurde eingeführt, – im schweizerischen Vergleich zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Der
Kindergarten war im Schulgesetz von 1835 als Kleinkinderschule erstmalig erwähnt worden (Schulgesetz 1835, § 76). Während des ganzen 19. Jahrhunderts stand dieses Bildungsangebot ausschliesslich unter Gemeindeleitung. Erst im Schulgesetz von 1940 wurden reguläre Staatsbeiträge an
die gemeindeeigenen Kindergärten vorgesehen und sie der staatlichen Kontrolle unterstellt (Schulgesetz 1940, § 39). Endgültig als eigenständiges Bildungsangebot ausgewiesen ist der Kindergarten ab
1981: „Er fördert das Kind auf spielerische Art in seiner Entwicklung und hilft ihm, schulreif und gemeinschaftsfähig zu werden. Er nimmt den Schulunterricht nicht vorweg“ (Schulgesetz 1940, § 9).
Der Besuch blieb weiterhin freiwillig.
Vor dem Hintergrund des HarmoS-Konkordats werden sich auch die Schulstrukturen im Kanton Aargau ändern: Insbesondere bei der Dauer der Schulstufen besteht im Kanton Aargau aus nationaler
Sicht Anpassungsbedarf. In der Vernehmlassung zu HarmoS 2006 äusserte sich die Kommission für
Bildung, Kultur und Sport (BKS) des Grossen Rates positiv zur Anpassung an das Modell 6/3. Auch
die Obligatorischerklärung des Kindergartens sei kein Problem, da schon 98 Prozent der Kinder dieses Bildungsangebot besuchen. Obwohl ein Beitritt zum Konkordat im Aargau nicht (mehr) zur Debatte steht, sollten trotzdem die nötigen Vorkehrungen getroffen werden, um das Schulsystem des Kantons der Struktur der andern Kantone anzupassen. Die Reform unter dem Namen „Stärkung der
18
Volksschule“ wurde am 11. März 2012 vom Stimmvolk angenommen und wird schrittweise ab
Schuljahr 2013/14 umgesetzt werden.
18
Für detaillierte Angaben vgl.
https://www.ag.ch/de/bks/kindergarten_volksschule/projekte/staerkung_der_volksschule/staerkung_volksschule.jsp [Zugriff am
8.10.2013].
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
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Bildungsstatistik im 19. und 20. Jahrhundert
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
2 Bildungsstatistik im 19. und 20. Jahrhundert
2.1 Eine Geschichte der öffentlichen Statistik in der Schweiz
Die statistische Praxis staatlicher Stellen entsprach während des 19. und bis zur Mitte des
20. Jahrhunderts weitgehend einer administrativen Tätigkeit des Sammelns und Aufzeichnens von
19
Daten (Desrosières, 2005). Dabei entwickelten sich in den verschiedenen politischen Räumen unterschiedliche statistische Praktiken, die für deren Entwicklung wiederum konstitutiv waren. Im Raum
der Schweiz verlief die Entwicklung statistischer Aktivitäten auf sämtlichen politischen Ebenen im
europäischen Vergleich verzögert und ausgeprägt vielschichtig (vgl. Busset, 1995). Es muss von
mehreren ineinander verwobenen Geschichten der Statistik ausgegangen werden.
„Car comme au XIXe siècle, il n’existe quasi aucune coordination, ni homogénéisation des travaux et des méthodes statistiques. La formation des spécialistes dans les Universités s’effectue
de manière aléatoire, alors que les offices de statistique ne disposent d’aucun centre de compétence capable d’intruire une doctrine de référence“ (Jost, 2005, S. 435).
Auf kantonaler Ebene materialisierte sich die öffentliche Statistik in Form der Rechenschaftsberichte
20
der Regierungen. Sie gliederten und beschrieben die staatlichen Tätigkeitsfelder vorerst hauptsächlich literarisch, im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zunehmend auch quantitativ und tabellarisch. Bis in
die 1860er Jahre ist die öffentliche Statistik weitgehend als departementale Verwaltungspraxis in den
Kantonen zu lokalisieren.
Auf Bundesebene wurde die Statistik unter Bundesrat Stefano Franscini 1849 dem Departement des
Innern als Geschäftszweig angeschlossen. Als langfristiger Schwerpunkt der Tätigkeit wurden seit
1850 in 10-jährigem Rhythmus die eidgenössischen Volkszählungen durchgeführt. Im Vorfeld der
21
zweiten Volkszählung wurde 1860 das Eidgenössische Statistische Bureau (ESB) gegründet. Es
wäre jedoch weit gefehlt, aus retrospektivem Blick, diesem Bureau allzu viel Gewicht beizumessen.
Sowohl die Mittel als auch die Befugnisse für die Erfüllung seines Auftrages waren bescheiden. Das
ESB war auf die Mitarbeit der Kantone angewiesen, die nicht alle an einer Kooperation interessiert
waren und erst mit einem Bundesgesetz von 1870 zur Weitergabe ihres Material verpflichtet werden
22
konnten, was in vielen Fällen von äusserst bescheidenem Umfang war (vgl. Busset, 1995). Aus
Sicht der Kantone waren statistische Verpflichtungen gegenüber dem Bund aufwändig und ein direkter Vergleich mit anderen Kantonen mit „fiskalischen oder konstitutionellen Bedenken“ (Kummer,
1885, S. 32) verbunden. Das ESB hatte mit der Schwierigkeit umzugehen, die kantonalen Daten in
einen nationalen Äquivalenzrahmen zu übertragen. Auch auf Bundesebene hatte das Eidgenössische
23
Statistische Bureau keinesfalls eine Monopolstellung statistischer Tätigkeit inne.
Die wichtigste politische Ebene zur statistischen Datenerhebung blieben die Kantone. Bis 1902 wur24
den sechs kantonale statistische Ämter eingerichtet. Danach stagnierte das Wachstum bis in die
19
Für einen bibliographischen Überblick zur Statistik mit Bezug auf die Schweiz vor 1848 vgl. Kummer (1885). Schwerpunkte
der öffentlichen Statistik waren Bevölkerungszählungen zur Erhebung ökonomischer und militärischer Stärke, der Steuerlastzuteilung
und zur politischen Gewichtung der Kantone. Zudem wurden früh umfassende Viehzählungen durchgeführt.
20
Rechenschaftsberichte wurden seit den 1830er Jahren in Kantonen mit liberalen Verfassungen, seit 1848 in den meisten
Kantonen (mit Ausnahmen: AR, UR, AI, NW, OW) jährlich publiziert.
21
Ab 1926 Eidgenössisches Statistisches Amt (ESTA) und ab 1978 Bundesamt für Statistik (BfS).
22
Das „Bundesgesetz betreffend der amtlichen statistischen Aufnahmen in der Schweiz“ vom 23. Juli 1870 war in Kraft bis
1993.
23
In Zusammenarbeit mit oder selbständig durch andere Bundesstellen wurden Waren-, Post-, Armen-, Sparkassen-, Eisenbahn-, Vieh-, und Fabrikstatistiken durchgeführt. Die Eisenbahnstatistik wurde 1874 ins Eisenbahndepartement ausgelagert, die Aussenhandelsstatistik 1885 ins Zolldepartement.
24
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Bern 1848/1856; Zürich 1868; Aargau 1886; Freiburg 1895; Genf 1896 und Basel 1902.
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Bildungsstatistik im 19. und 20. Jahrhundert
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
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Nachkriegszeit. Insgesamt lassen sich von den 1860er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg eine Expansion statistischer Tätigkeit beim Bund und in den Kantonen und daraus sich ergebende Koordinationsschwierigkeiten feststellen. Viele Protagonisten der öffentlichen Statistik waren in privaten Vereinen vernetzt. Für das 19. Jahrhundert muss hier die 1864 gegründete „Schweizerische Statistische
Gesellschaft“ (SSG) hervorgehoben werden, die personell wie finanziell in direkter Abhängigkeit des
ESB und der kantonalen Ämter stand (Jost, 1995). Die „Zeitschrift für schweizerische Statistik“ (ZfsS)
war, als deren Organ, ein frühes und einflussreiches Medium statistischer Debatten.
Als zentraler gesellschaftlicher Akteur haben die Arbeiterorganisationen seit der Jahrhundertwende
26
die Statistik als Mittel zur Argumentation entdeckt. Auf Bundesebene herrschte jedoch grösste Zurückhaltung in sozialstatistischer Richtung, insbesondere aus Furcht, die Daten könnten zur „Agitation“ (Busset, 1993, S. 49) genutzt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte sich die Statistik jedoch
als Mittel des „konsensualen Konfliktmanagements“ (Tanner, 1995, S. 107) zwischen den Parteien
etablieren und hat entscheidend zur Durchsetzung der Sozialpartnerschaft beigetragen. Die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen statistischen Ämtern haben sich ebenfalls von der Gründung
der „Vereinigung Schweizerischer Statistischer Ämter“ (VSSA) 1918 bis zum Beitritt des ESB zur
VSSA 1929 wesentlich verbessert (Jost, 1995). Die Zeit zwischen Erstem Weltkrieg und den 1930er
Jahren war geprägt von folgereichen Koordinations- und Konfliktlösungsstrategien.
Von den 1930er bis in die 1950er Jahren nahmen die statistischen Erhebungen des Bundes in ihrem
27
Umfang ab. Busset bezeichnet sie als „die mageren Jahre“ (1993, S. 49). Der Fokus der Bevölke28
rungsstatistik richtete sich im Zuge sozialdarwinistischer Strömungen der Zeit auf die Zuwanderung ,
29
die Fertilität und das Heiratsverhalten von Schweizer Frauen. Während des Zweiten Weltkrieges
haben im Zuge der weitgehenden Kontrolle des Marktes durch den Bund einzig Wirtschaftsstatistiken
zugenommen. Daraus ging die Schweiz im internationalen Vergleich mit einer methodisch wenig
ausgereiften und institutionell stark zergliederten Statistik hervor. Die Schweiz konnte durch das Fehlen statistischer Daten den Vorwurf der wirtschaftlichen Kooperation mit dem Dritten Reich nicht zahlengestützt entkräften. Gleichzeitig wurde deren kriegswirtschaftliche Stärke mit dem Verweis auf eine
mangelhafte Statistik bewusst kaschiert (Jost, 2005).
30
Die Professionalisierung der amtlichen Statistik fand verhältnismässig spät statt. Aufgrund der unkoordinierten Expansion statistischer Ämter wurde in den 1970ern gar von einer „Krise der amtlichen
Statistik“ (Busset, 1993, S. 56) gesprochen. Zwischen 1967 und 1979 wurden in nicht weniger als
sieben Kantonen neue statistische Ämter geschaffen. Die Organisation der Statistik beim Bund wurde
25
Zwar wurde in den Kantonen Tessin 1929 und Luzern 1939 je eine statistische Stelle eingerichtet. Gleichzeitig wurde jedoch
das aargauische Büro 1921 aufgelöst (und erst 1946 wieder eröffnet), sowie das freiburgische Büro 1922 verkleinert und 1934 aufgelöst. Für einen Überblick zur Entwicklung der kantonalen statistischen Ämter vgl. Meli, 1955b; Jost, 1995.
26
Unter dem Stichwort der „Sozialstatistik“ wurde im Nachklang der Volkszählung 1900 von gewerkschaftlicher Seite die Forderung nach Erhebungen zur Arbeitslosigkeit, zur Wohnsituation in den Städten, zu den Löhnen und der Preisentwicklung gefordert.
Unterstützt wurden diese Forderungen unter anderem vom kantonalen statistischen Amt Zürich, dessen ehemaliger Leiter Hermann
Greulich früher Protagonist in den Forderungen um eine staatliche Sozialstatistik war (Busset, 1993).
27
Busset benennt, zeitlich verschoben, Budgetkürzungen und Personalmangel als Faktoren für diese Entwicklung, die sich
hauptsächlich auf die Volkszählungen des Bundes bezieht und stellenweise gerade durch eine punktuelle Konzentration statistischer
Aufgaben in den Kantonen zu erklären ist.
28
Am Beispiel der Stadt Zürich unter anderem auf die Zuwanderung von Jüdinnen und Juden (König, 2005).
29
Schweizerinnen haben im Falle der Heirat mit einem ausländischen Staatsangehörigen ihre schweizerische Staatsbürgerschaft verloren. Insbesondere die sinkende Fertilität von Schweizer Frauen wurde problematisiert (Kury, 2006).
30
Die Vereinigung Schweizerischer Statistischer Ämter setzte eine Ausbildungskommission ein und veranstaltete eigene Kurse.
Eine wissenschaftlich-universitäre Ausbildung wurde für das aufrückende statistische Kader zur Bedingung (Jost, 1995).
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
mit der Neuverteilung statistischer Aufgaben in den 1980er Jahren immer unübersichtlicher (Jost,
31
1995).
„Die amtliche Statistik des Bundes steht vor neuen Herausforderungen. Das ständig wachsende Informationsbedürfnis des Staates, der Wirtschaft und der Forschung verlangt eine gezielte
und rasche Bereitstellung von Daten. Zudem fordert die Annäherung an die europäische Integrationsbewegung eine internationale Vergleichbarkeit von statistischen Informationen, die nur
mit einem Ausbau wichtiger Statistikbereiche erreicht werden kann“ (Botschaft des Bundesrates,
1991, S. 374).
Nach der Auflösung der „Vereinigung Schweizerischer Statistischer Ämter“ (VSSA) im Jahr 1998
bildeten die regionalen statistischen Ämter die „Konferenz der regionalen statistischen Ämter der
Schweiz“ (KORSTAT). Die Rollen- und Aufgabenteilung der verschiedenen statistischen Ämter in der
Schweiz wird seither sowohl zwischen Bund und Regionen, als auch zwischen den Regionen weiter
aufeinander abgestimmt. Seit dem Bundesstatistikgesetz von 1992 wurde das BfS zudem zu einem
32
statistischen Koordinationszentrum, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene.
2.2 Eine Geschichte der Schulstatistik in der Schweiz
In dieser vielschichtigen Geschichte statistischer Praxis in der Schweiz soll im Folgenden die Schulstatistik verortet werden. Dabei sind einerseits Überschneidungen zu erwarten, insbesondere in den
Bereichen von methodischen und institutionellen Konjunkturen. Andererseits werden Unterschiede
ersichtlich und die zeitlichen, geographischen und thematischen Ungleichzeitigkeiten erklärt und damit die zeitlichen Fokussierungen eines Phasenmodells schweizerischer Schulstatistik begründet
(siehe Abbildung 2). Folgt man den historischen Abhandlungen zur Schulstatistik in der Schweiz,
stehen die vier gesamtschweizerischen Statistiken, die zwischen 1873 und 1914 im Auftrag des Bundes jeweils für die Darstellung des schweizerischen Schulwesens an Welt- und Landesausstellungen
erstellt wurden (Kinkelin, 1873; Grob, 1883; Huber, 1896/97; Huber & Bay, 1914) zur Verfügung. Diese sind für eine historische Darstellung der Schulstatistik aber unzureichend. Erst der Einbezug kantonaler statistischer Arbeiten, die für die Erstellung interkantonal vergleichbarer Schulstatistiken die
entscheidende Datenbasis darstellten, vervollständigt das Bild. Die vier erwähnten Bundeserhebungen waren zwar nicht unerheblich in ihrer Bedeutung als Motor der kantonalen Statistik und einer
zunehmenden Standardisierung ihrer Taxonomien, sie dürfen in ihrer Rolle jedoch nicht überbewertet
werden.
Die Jahrzehnte nach der Einführung liberaler Kantonsverfassungen in den 1830er Jahren und der
Drucklegung der regierungsrätlichen Rechenschaftsberichte nach dem Öffentlichkeitsprinzip waren
geprägt von kantonal stark differierenden Praktiken in der Publikation schulstatistischer Daten. In
zehn Kantonen legten die Erziehungsdirektoren bereits vor der Bundesstaatsgründung öffentlich Re33
chenschaft ab. Unmittelbar nach 1848 wurden auch in den meisten anderen Kantonen regelmässig
Berichte zum Erziehungswesen publiziert. Seit den 1850er Jahren beinhalteten diese Berichte statistisches Material, zunehmend in Tabellenform. Diese divergierende Entwicklungsphase führte mitunter
dazu, dass Umfang und Qualität der Berichte grosse Varianz aufwiesen.
31
Im Verhältnis zur regionalen Statistik sind die statistischen Stellen des Bundes schneller gewachsen. Auf Ende des Jahres
2000 standen rund 250 regionalen Statistiker/innen, deren 600 beim Bund gegenüber (Paravicini & Gian, 2000).
32
Im Jahre 2007 wurde mit der Europäischen Union ein bilaterales Statistikabkommen abgeschlossen.
33
AG, BE, BL, BS, GE, SG, SH, TG, VD und ZH. Es fehlen hier die katholisch-konservativen Kantone und einzelne Landkantone.
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Die Gründung der Schweizerischen Statistischen Gesellschaft und der „Zeitschrift für schweizerische
Statistik“ hat seit Mitte der 1860er Jahre auch der Schulstatistik eine Plattform geboten. Statistische
und organisatorische Übersichtsdarstellungen kantonaler Schulsysteme nahmen von Beginn weg
ihren Platz darin ein. Schliesslich wurden erstmals 1866 „Statistische Nachrichten betreffend das
Unterrichtswesen der sämmtlichen Kantone“ vergleichend dargestellt (Schweizerische Statistische
Gesellschaft, 1866). Dieser Bericht war der erste Versuch, auf Datenbasis kantonaler Berichte eine
34
vergleichende organisatorisch-statistische Übersicht über die kantonalen Schulsysteme zu erstellen.
Die Daten der verschiedenen Berichte „nach einem einheitlichen Schema zu gruppieren“ und dabei
„die Lücken, welche hie und da in den offiziellen Berichten vorkommen“ (Schweizerische Statistische
Gesellschaft, 1866, S. 193f.) zu ergänzen, war eines der zu lösenden Probleme. In Folge wurde dieser mit dem Aufruf an die Erziehungsdirektionen begegnet, ihre Berichte einheitlicher zu gestalten
und zu vervollständigen (ebd.). Kinkelin, der seinerseits bereits 1865 für die SSG schulstatistische
Artikel veröffentlichte, rechtfertigte sein aufwendiges Zählkartenverfahren für die Unterrichtsstatistik
von 1873 mit der Unzulänglichkeit der kantonalen Berichte:
„Zudem gehen die Behörden der einzelnen Kantone bei Abfassung ihrer Berichte von so verschiedenen Gesichtspunkten aus, dass es, auch bei beschränktem Programm, unmöglich gewesen wäre, sie zu einem Gesamtbild zu vereinigen. Man musste somit von vornherein darauf
verzichten, dieselben der Darstellung des schweizerischen Schulwesens als Grundlage zu geben“ (Kinkelin, 1873, S. Vf.).
In der Zeit zwischen 1865 und 1890 war ein starker Anstieg schulstatistischer Publikationen auf allen
Ebenen zu verzeichnen, die jedoch parallel zur Entwicklung der öffentlichen Statistik nur schwach
koordiniert waren. Auf unterschiedlichen Ebenen wurde seit 1890 der Versuch unternommen, mittels
Publikation vergleichender Statistiken die kantonalen Erhebungen und damit deren Schulsysteme zu
koordinieren. Zu nennen ist hier insbesondere das „Jahrbuch des Unterrichtswesens in der
Schweiz“ (JUS) (1887–1912). Das 1887 vom Zürcher Erziehungssekretär Johann Caspar Grob gegründete und herausgegebene Jahrbuch wurde ab 1981 von seinem Nachfolger und späteren EDKKonferenzsekretär Albert Huber weiter betreut (vgl. Rohrer, 1997). Das kleine Redaktionsteam des
ASU bestand neben dem verantwortlichen Regierungsrat aus der Verfasserin Emma Lucia Bähler,
die während mehrerer Jahrzehnte als allein verantwortliche Redaktorin die vergleichenden Schulsta35
tistiken der EDK massgeblich prägte. Einerseits etablierte sich ein Topos in Bezug auf die mangelhafte Qualität kantonaler Daten. Gegenüber den Erziehungsdirektoren wurde betont, dass die Schulstatistik „in vielen kantonalen Jahresberichten noch ein besonders wunder Punkt“ sei (JUS, 1888, S.
36
7). Gleichzeitig war das Ziel einer formalen Angleichung der kantonalen Berichte omnipräsent. „Das
Ziel ist ein schönes, ein hehres: in der Ferne winkt die allgemeine schweizerische Volksschule“ (JUS,
1893, S. IV).
Diese Entwicklung ist in den Zentralisierungsbemühungen des Bundes im letzten Drittel des
19. Jahrhunderts zu verorten (Ruoss, 2013): Die formalisierte Vereinheitlichung der Schulstatistik
sollte indirekt zu einer Vereinheitlichung der kantonalen Volksschulen führen. Die Absicht des Bundes
am Ende der 1870er Jahre, einen eidgenössischen Schulsekretär zu etablieren, der die Qualität des
schweizerischen Volksschulwesens statistisch erheben sollte, wurde einerseits mit der Erfüllung des
34
Laut Mühlemann sind diese vergleichenden Darstellungen als „administrativ-statistische Zusammenstellungen“ in Abgrenzung zur amtlichen Statistik zu verstehen (Mühlemann, 1903).
35
Das dem Jahrbuch nachfolgende „Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen (ASU)“ (1915–1972) lag dann vollumfänglich in der Verantwortung der EDK.
36
Fast zeitgleich mit dem JUS publizierte das ESB 1891 erstmals das Statistische Jahrbuch der Schweiz. Die darin publizierten
Schulstatistiken sind direkt aus dem JUS übernommen worden.
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Verfassungsauftrags legitimiert. Andererseits war diese Politik auch Teil der Zentralisierungsbemühungen der im Parlament vorherrschenden Radikal-Liberalen. Nach der „Schulvogt“-Abstimmung von
1882, als die Vorlage von Bundesrat Schenk zum eidgenössischen Schulsekretär mit grossem Mehr
verworfen wurde, war eine zentralisierte Schweizer Volksschule auf Bundesebene kein Thema mehr.
Die Stossrichtung nach einer stärkeren Vereinheitlichung der Schulstatistik übernahm nach der Jahrhundertwende die noch junge Konferenz der Erziehungsdirektoren (EDK). Sie forderte eine grössere
Einheit der kantonalen Jahresberichte, klar definierte Mindestanforderungen an dieselben, sowie die
Erstellung einer neuen bundesweiten Erhebung (JUS, 1905). Daraufhin wurde ein Frageschema entwickelt, welches ab Band 20 des JUS die Daten aus den Jahresberichten ergänzte (JUS, 1909). Die
EDK subventionierte ab 1907 das JUS und wollte eine „tiefgreifende Umgestaltung des statistischen
38
Teils“ vorantreiben (JUS, 1905, S. IV.). Die Zeit zwischen den späten 1880er Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges war geprägt von einem weiteren Wachstum, neuen Akteuren und Erfolgen bei der Koordination schulstatistischer Arbeiten. Insbesondere die Arbeit der EDK hatte eine frühe interkantonale Koordination der Schulstatistik zur Folge gehabt, die in anderen Statistikbereichen
durch Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Kantonen erst später erfolgte.
Im „Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen“ (ASU) wurden ab 1916 regelmässig Schulstatis39
tiken publiziert, allerdings mit thematisch und zeitlich variierendem Gehalt. Methodisch wurden weiterhin die Daten der kantonalen Rechenschaftsberichte durch eigene Fragebögen ergänzt, die sich
ihrerseits veränderten. Die fachlichen Kompetenzen zur Erstellung interkantonal vergleichender
Schulstatistiken waren durch die Übernahme des Personals der Schulstatistik von 1914 gegeben.
Insbesondere die Volksschulstatistiken wurden kontinuierlich bis 1949 erstellt. In den 1940er Jahren
wurde die Redaktion des ASU vermehrt mit Anfragen konfrontiert, ohne ausreichende Kapazitäten
zur Wahrnehmung der Aufgaben einer Informationsstelle. Die EDK beschloss deshalb 1947 die Einrichtung einer „Zentralstelle für Dokumentation und Auskunft“, die u.a. die Erstellung der Schulstatistiken übernahm (Bähler, 1948). In den nachfolgenden Dekaden wiesen die vergleichenden Schulstatistiken zumindest auf Ebene der Volksschulen eine Konstanz in Bezug auf einen gewissen Institutionalisierungsgrad aus.
Die kantonale Statistik hingegen stagnierte während dieser Zeit. Für die schulstatistischen Darstellungen in den Rechenschaftsberichten lässt sich eine flächendeckende Abnahme in der Zwischenkriegszeit feststellen. Bis in die 1940er Jahre kann von der impliziten Durchsetzung von inhaltlichen
und formalen Mindeststandards bezüglich Publikation der grundlegenden Strukturdaten der obligatorischen Volksschule in den Rechenschaftsberichten gesprochen werden. Die Schulstatistik zeigte
demnach von 1914 bis 1950 eine beachtliche formale und inhaltliche Konstanz.
Im Jahr 1950 stellte das ASU die regelmässige Personalstatistik der Volksschulen ein. Gleichzeitig
wurden auch die Daten der kantonalen Publikationen immer uneinheitlicher. Mit der Gründung der
Zentralstelle der EDK wurde 1948 angekündigt, aus Zeitgründen ausschliesslich die „Statistik über
die öffentliche Volksschule jedes Jahr zu publizieren“ (ASU, 1948, S. 144). Damit wurde de facto nur
37
Der Schulartikel 27 BV (1874) verlangte u.a. einen „genügenden“ Primarunterricht. Der Bund erhielt verfassungsrechtlich die
Kompetenz, dies in den Kantonen zu überprüfen und gegebenenfalls gegen Kantone mit ungenügender Schulqualität Massnahmen
zu ergreifen. Als problematisch muss erachtet werden, dass zu diesem Verfassungsartikel nie ein Ausführungsgesetz erlassen wurde,
der Bund also über eine Kompetenz, aber über kein Instrument zu Handhabung derselben verfügte.
38
Die Schulstatistiken hatten zwar keine rechtliche, aber doch eine legitimatorische Funktion für die Zuteilung der Bundessubventionen. Die EDK war seit ihrer Gründung 1897 klar auf den programmatischen Schwerpunkt der Bundessubventionierung der Primarschulen ausgerichtet (Manz, 2008). Mit ihrer Umsetzung 1903 bedurfte sie neuer Programmschwerpunkte, die u.a. in den Schulstatistiken gefunden wurden.
39
Bis 1950 wurden regelmässig Statistiken zu den Personalverhältnissen der Volksschulen publiziert. Insbesondere Finanzstatistiken, Besoldungsstatistiken und Privatschulstatistiken wurden unregelmässig und in unterschiedlichem Umfang erstellt.
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eine langjährige Praxis bekräftigt. Bereits im Jahr 1950 erschien jedoch, entgegen den Ankündigungen von 1948, keine Statistik der Volksschule. Zur Begründung hiess es:
„Von der Publikation statistischer Arbeiten haben wir dieses Jahr Umgang genommen. Abgesehen davon, dass eine jährlich wiederkehrende Statistik mit den sehr kleinen Differenzen gegenüber den Ergebnissen des Vorjahres die damit verbundene Verwaltungsarbeit kaum lohnt,
wollten wir auch die sonst schon stark in Anspruch genommenen Sekretariate der Erziehungsdirektionen einmal entlasten“ (ASU, 1953, Vorwort).
Tatsächlich scheint die in dieser Zeit wieder stark variierende schulstatistische Quellenlage in den
kantonalen Berichten deren Zusammenstellung erschwert zu haben.
40
1962 erschien im ASU die letzte Statistik öffentlicher Schulen. 1963 äusserste sich Eugen Egger
kritisch zu den „Mängeln der schweizerischen Schulstatistik“ (ASU, 1963, S. 112), dies insbesondere
im Hinblick auf eine beginnende europäische Koordination und ein europäisches Informationsbedürfnis (ebd.). Ab 1965 hatte die EDK vorerst in Eigenregie den Versuch unternommen, die kantonalen
Schulstatistiken mittels einheitlichen Erhebungen zu koordinieren. Dieser Versuch war nicht von Erfolg geprägt und hatte per Gesetz die Konzentration der Schulstatistik beim Bundesamt für Statistik
zur Folge (siehe Kapitel 2.3). Eine gesamtschweizerische Schulstatistik wurde damit von 1950 bis
1976 auch nur lückenhaft betrieben, wobei auch die erste Erhebung des BfS ab 1976/77 aufgrund
des 1973 erlassenen Bundesgesetzes über die Schulstatistik (siehe Kapitel 2.3) die Strukturdaten der
Volksschule nur in Teilbereichen umfasste. Die kantonale Statistik erhielt seit Mitte der 1960er Jahre
im Rahmen der Bildungsexpansion und der entstehenden Bildungsplanungsstellen innerhalb der
Kantone wieder Aufschub, was sich auf die Erfassung von Daten im Bildungsbereich übertragen hat.
Die interkantonalen Unterschiede haben sich aber, entlang dem Institutionalisierungsgrad der kantonalen Statistik, verstärkt.
Die Schülerstatistik des BfS fokussierte, wie der Name sagt, ausschliesslich auf die Erfassung von
Schülerinnen und Schülern. Die Erfassung der Lehrkräfte war zwar bereits in der Ausführungsverordnung zum Schulstatistikgesetz 1975 vorgesehen, wurde jedoch erst ab 1993 umgesetzt. Methodisch
war die Schülerstatistik kein Meilenstein. Damit wurden jedoch die kantonalen Schulsysteme ab 1977
wieder in einem einheitlichen statistischen Klassifikationsschema, das sich an der von der UNESCO
entwickelten „International Standard Classification of Education“ (ISCED) orientierte, vergleichbar
gemacht.
Analog zur Entwicklung der Statistik als Wissenschaft und den politischen Erwartungen an dieselbe
im Rahmen neuer Verwaltungsführung, haben sich auch die Bedürfnisse an die Bildungsstatistik, im
weitesten Sinne des Wortes, verändert. Mit dem Bundesstatistikgesetz von 1992, das den Anforderungen an eine zeitgenössische Bildungsstatistik gerecht werden sollte, fand auch im Bildungsbereich
eine Kompetenzverschiebung zu Gunsten des BfS statt. Neben outputorientierten Erhebungen übernahm das BfS weiterhin die Verantwortung für die Erfassung schulischer Strukturdaten. Nach wie vor
sind die Kantone, mit altbekannten Folgen, für die Erhebung dieser Daten zuständig: „Je nach Kanton
41
werden die Daten von unterschiedlichen Quellen geliefert und sind bisweilen unvollständig.“ Seit
dem Bundesstatistikgesetz von 1992 zeigt sich daher deutlich eine Nationalisierung bei gleichzeitiger
Internationalisierung der Bildungsstatistik.
40
Gleichzeitig wurde die ‚Zentralstelle für Dokumentation und Auskunft’ aufgelöst und die neu gegründete ‚Zentrale Informationsstelle für Fragen des Schul- und Erziehungswesens’ in Genf überführt.
41
Bundesamt für Statistik. Erhebungen, Quellen – Statistik der Lehrkräfte. Steckbrief.
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/infothek/erhebungen__quellen/blank/blank/slbp/01.html [Zugriff am 5.10.2013].
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Zusammenfassend lassen sich sechs Entwicklungsphasen der Schulstatistik in der Schweiz feststellen (siehe Abbildung 2). Mit Blick auf die schulstatistischen Entwicklungen im Kanton Aargau ist damit
ein nationaler Referenzrahmen geschaffen, an welchem sich die folgende Analyse orientieren wird.
Abbildung 2: Entwicklungsphasen der Schulstatistik in der Schweiz
2.3 Das „Bundesgesetz über schulstatistische Erhebungen“ vom 27. Juni 1973
In den 1960er Jahren nahm im Kontext der Bildungsexpansion das Bedürfnis nach bildungsstatistischen Daten sowohl in den Kantonen wie auch auf der überkantonalen und der Bundesebene zu.
Gleichzeitig wurde das Fehlen „einer ausreichend ausgebauten Schulstatistik“ (Bericht Schultz, 1963,
S. 138) insbesondere auf Bundesebene von verschiedener Seite kritisiert. Der Bericht der Eidgenössischen Kommission für Nachwuchsfragen (Bericht Schultz, 1963) benannte die Problematik der fehlenden statistischen Daten im Bildungswesen aufgrund mangelnder gesetzlicher Grundlagen für die
gesamte Schweiz. Da die obligatorische Schulbildung und die gymnasiale Bildung in der Hoheit der
Kantone lag, war der Bund im Bereich der Berufsbildung als auch der höheren Bildung auf statistische Daten der vorangehenden Institutionen angewiesen. Im Bericht Schultz wurde der „Mangel an
Verständnis für den Nutzen elementarer schulstatistischer Unterlagen“ grundsätzlich als „bedauerlich,
ja gefährlich“ (ebd., S. 166) bewertet.
Die EDK nahm sich daraufhin dem Problem an und gründete 1963 einen Arbeitsausschuss mit der
Aufgabe, ein Programm für eine verbesserte Schulstatistik auszuarbeiten. Aus dieser Arbeit resultierte 1965 eine Probeerhebung im Kanton Aargau, die vom Eidgenössischen Statistischen Amt vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet wurde. Aufgrund der positiv bewerteten Ergebnisse wurde die
Diskussion über eine vereinheitlichte schweizerische Schulstatistik innerhalb der EDK weitergeführt.
Grundsätzlich waren sich die Erziehungsdirektoren einig über die Notwendigkeit einer koordinierten
Datenerhebung, doch die unterschiedlichen Auffassungen über die Ausführungsmodalitäten liessen
das Projekt einer schweizerischen Schulstatistik nur langsam Form annehmen. 1967 beschloss die
EDK, mit Unterstützung des Eidgenössischen Statistischen Amts „in allen Kantonen eine nach einheitlichem Minimalprogramm festgelegte schulstatistische Erhebung“ (Botschaft des Bundesrats 1972,
S. 1465) durchzuführen. Die Umsetzung dieser Empfehlung scheiterte, denn es beteiligten sich nur
elf Kantone an dieser ersten Erhebung. Auch in den Folgejahren blieb die Beteiligung der Kantone
gering und schwankte zwischen sieben und vierzehn Kantonen.
Aufgrund dieses Misserfolgs setzte die EDK 1969 eine Subkommission für Schulstatistik unter dem
Präsidium von Walo Hutmacher (Direktor des „Service de la recherche sociologique“ des Kantons
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Genf) ein, der Vertreter der Schweizerischen Dokumentationsstelle für Schul- und Bildungsfragen
(Genf), Vertreter der Erziehungsdepartemente der Kantone Zürich und St. Gallen und des Eidgenössischen Statistischen Amtes angehörten. Diese Subkommission legte im Oktober 1970 einen Bericht
„Einführung einer vereinheitlichten Schulstatistik in der Schweiz“ vor, der Richtlinien und Erhebungsmethoden vorstellte, aufgrund derer eine schweizerischen Schulstatistik realisiert werden könne. Die
Erziehungsdirektorenkonferenz hatte keine grundsätzlichen Einwendungen gegen das Vorhaben und
beschloss 1972 aufgrund der erarbeiteten Richtlinien, „es sei in allen Kantonen eine nach einheitlichen Grundsätzen konzipierte Schulstatistik der Schüler und Lehrer jährlich durchzuführen“ (ebd., S.
1467).
Zeitgleich wurde das Thema auf Bemühen der EDK hin im eidgenössischen Parlament lanciert und
diskutiert: Am 28. Juni 1968 reichte Nationalrat Hermann Wanner, Erziehungsdirektor des Kantons
Schaffhausen, ein Postulat ein, das die Aufnahme einer schweizerischen Schul- und Bildungsstatistik
ins Arbeitsprogramm des Eidgenössischen Statistischen Amts forderte: „Wir sind der Meinung, zu
einer vollständigen Statistik der Schweiz gehöre auch die Bildungsstatistik. […] Es ist selbstverständlich, dass sich eine solche Statistik über das ganze Bildungswesen erstrecken muss: allgemein bildende Schulen, Berufsschulen, Hochschulen, Spezialschulen, Erwachsenenbildung, Schulbau und
Bildungsfinanzierung“ (ebd., S. 1466). Das Postulat wurde in der Dezembersession 1968 vom Nationalrat gutgeheissen. Auch im Bereich Berufsbildungsstatistik wurde am 17. Dezember 1970 von Nationalrat Rohner ein Postulat eingereicht, das an den Bundesrat überwiesen wurde.
Der Bundesrat stützte sich in der Bearbeitung des Geschäfts auf die von der EDK-Subkommission
erbrachten Vorleistungen. Die Verantwortung, Organisation und technische Durchführung schulstatistischer Erhebungen sollte in Zukunft beim Eidgenössischen Statistischen Amt liegen. Das vorgesehene Erhebungsinstrument hatte folgende Ziele: Beschreibung des Ist-Zustands; Erstellen von Langzeitreihen; Beschaffung von interkantonalen Vergleichsdaten; Bereitstellung der Daten für Analysen und
Prognosen zum nationalen und internationalen Gebrauch. Die Liste der zu erhebenden Merkmale
sollte jeweils durch eine Eidgenössische Kommission für Schulstatistik vorgeschlagen werden.
Insbesondere zeigte der Bundesrat in seiner Botschaft vom 22. November 1972 auf, „dass durch die
vorgesehene Neuregelung die Souveränität der Kantone nicht unrechtmässig beschränkt wird und die
Kompetenz des Bundes zur Rechtsetzung auf dem Gebiete der Schulstatistik (explizite oder implizite)
in der Bundesverfassung enthalten ist“ (ebd., S. 1470). Er berief sich dabei auf den Schulartikel Art.
27 BV, der dem Bund mehrere Kompetenzen auf dem Gebiet des Bildungswesens explizit einräumte.
Von dieser Kompetenz könne nur Gebrauch gemacht werden, wenn auch genügend Kenntnisse über
den jeweiligen Sachverhalt vorlägen, so die Argumentation des Bundesrats: „Es dürfte aber unbestritten sein, dass der Bund heute nicht mehr in der Lage ist, seine Befugnisse auf dem Gebiete des
Schulwesens (Regelung des Berufsschulwesens, der Hochschulförderung, des Stipendienwesens
usw.) richtig und wirkungsvoll auszuüben, wenn er nicht über verlässliche zahlenmässige Unterlagen
aus allen Sparten des Unterrichtswesens verfügt“ (ebd., S. 1471). Nach Ansicht der damaligen
staatsrechtlichen Doktrin wurde die Befugnis für die Durchführung schulstatistischer Erhebungen „als
zu den stillschweigenden Verfassungskompetenzen gehörend“ (ebd.) betrachtet.
Der Ausdruck „stillschweigende Verfassungskompetenz“ verlangt einen kurzen Einschub zum Verhältnis der EDK zum Bund bzw. zu ihrer Rolle im politischen Prozess und ihrem Vorgehen auf dem
Weg zu einer eidgenössischen Schulstatistik. Aufgrund ihrer gescheiterten Initiative in den 1960er
Jahren (siehe oben) instrumentalisierte die EDK den Bund, der ja verfassungsrechtlich seit 1874 die
Kontrollkompetenz über die kantonalen Volksschulen besass, eine allgemeine eidgenössische Schulstatistik voranzutreiben. Vor dem Hintergrund einer starken Vertretung von kantonalen Erziehungsdirektoren in den eidgenössischen Räten – um 1970 hatten über die Hälfte der Erziehungsdirektoren
ein Doppelmandat inne (Manz, 2011) – veranschaulicht dieses Beispiel gut die Arbeit und die daraus
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entstehenden Rollenkonflikte der Erziehungsdirektoren in diesen Dekaden. Als Vertreter der kantonalen Exekutive und damit qua Amt dem Bildungsföderalismus verpflichtet, führte die EDK seit 1960 mit
ihren Koordinationsbestrebungen im Grunde genommen die Zentralisierungspolitik der liberalradikalen Vorväter und Schulmänner weiter. So kann eine durch den Bund verordnete und vereinheitlichte Datenerhebung auch als erster Schritt einer Zentralisierung der kantonalen Volksschulen betrachtet werden.
Der vorgesehene Erlass über die Schulstatistik wurde als Bundesgesetz formuliert. Damit wurden
dem Eidgenössischen Statistischen Amt zusätzliche Aufgaben überbunden, die einen jährlichen
Mehraufwand von rund 1.5 Millionen Franken erforderten. Dieser Betrag wurde in Relation gesetzt zu
den jährlichen Gesamtaufwendungen von über 2.5 Milliarden Franken von Bund, Kantonen und Gemeinden für das Bildungswesen: Die Beschaffung schulstatistischer Daten als Entscheidungsgrundlage für Bund, Kantone und Gemeinden machten einen Anteil von 0.6 Promille des Gesamtaufwandes aus.
Der Ständerat verabschiedete die Gesetzesvorlage am 19. März 1973 ohne vorgängige Diskussion
mit 29 Stimmen zuhanden des Nationalrats. Im Ständerat wurde in der Eintretensdebatte vom Berner
Ständerat Bernhard König eine Kosten-Nutzen-Analyse gefordert und die geplanten schulstatistischen Erhebungen als „Präzisionismus in unreflektierter Pragmatik“ (AB NR 1973, S. 534) kritisiert.
Bundesrat Tschudi verdeutlichte, dass in der Bildungspolitik gleich wie in der Wirtschaftspolitik „sachgerechte Entscheide nur möglich [sind], wenn man die Gegebenheiten kennt. Statistisches Material
bildet die unerlässliche Grundlage für Entscheidungen, und zwar richtiges Material, Tatsachen, und
nicht Spekulationen und Extrapolationen“ (ebd., S. 535). Im Plädoyer des Bundesrats wird deutlich,
dass die Initiative dieses Geschäfts von der EDK ausging: „Der Bundesrat hielt es für richtig, diesem
Antrag der Erziehungsdirektoren zu entsprechen, weil er der Auffassung ist, dass eine solche Statistik
nicht nur den Kantonen dient, sondern auch für viele Bundesaufgaben nützlich ist“ (ebd., S. 535).
Diese Vorgehensweise – eine Bundesgesetzvorlage aufgrund der Vorarbeiten und Vorschläge einer
kantonalen Direktorenkonferenz auszuarbeiten – ist ungewöhnlich, erstaunt aber nicht, wenn man
weiss, dass Ende der 60er Jahre die Hälfte der Erziehungsdirektoren ein Doppelmandat (Regierungsrat / Ständerat oder Nationalrat) innehatte. Die EDK verfügte dadurch über ein gut ausgebautes
Netzwerk, das sich von der Kantonsebene bis in die Bundesebene erstreckte, und wusste diese Kontakte für ihre Belange zu nutzen (Manz, 2011). Der Nationalrat nahm den Gesetzesentwurf über eine
eidgenössische Schulstatistik am 6. Juni 1973 mit 89 zu 9 Stimmen an. Nach der Bereinigung einiger
weniger inhaltlicher Differenzen wurde der Antrag von beiden Kammern einstimmig angenommen.
Mit dem „Bundesgesetz über schulstatistische Erhebungen“ vom 27. Juni 1973 wurden die Kantone
„sowie die Organe des Schulwesens“ (Art. 3) verpflichtet, bei schulstatistischen Erhebungen mitzuwirken und wahrheitsgetreue Angaben zu liefern. „Der Bundesrat bestimmt, welche Kategorien des
schweizerischen Schulwesens (Schultypen, Schüler, Lehrkräfte, Finanzen, Lehreinrichtungen usw.)
statistische erfasst werden sollen; ferner bestimmt er Art und Periodizität der einzelnen Erhebungen“ (Art. 2). Eine erstmalige Erhebung schulstatistischer Daten in allen Kantonen wurde 1976/77
vom BfS durchgeführt.
2.4 Schulstatistische Datenerhebung im Kanton Aargau
Während die Geschichte einer gesamtschweizerischen Statistik einigermassen gut erforscht vorliegt,
stellen Untersuchungen zur Geschichte der kantonalen Statistik ein Desiderat dar. Dies liegt unter
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Bildungsstatistik im 19. und 20. Jahrhundert
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
anderem darin begründet, dass in der Statistikgeschichte der Schweiz der eidgenössischen Statistik
42
43
ein normativer Charakter zugeschrieben wird bei gleichzeitiger Ausblendung und Degradierung
der statistischen Erhebungen der Kantone. Da die Rechenschaftsberichte der kantonalen Regierungen ein Alleinstellungsmerkmal der Schweiz darstellen, ist eine Analyse der Rechenschaftsberichte
vor allem aus historisch-statistischer Perspektive aufschlussreich. Während in anderen Ländern zu
Beginn des 19. Jahrhunderts „Statistische Bureaus“ mit der Sammlung und Herausgabe von statistischen Informationen beauftragt wurden (Weber, 2003; Bulst & Hoock, 1993; Momsen, 1974; Schaab,
1967), haben die kantonalen Regierungen in der Schweiz Statistiken in ihren Rechenschaftsberichten
veröffentlicht.
Die Geschichte bildungsstatistischer Aktivitäten im Kanton Aargau gilt es auch vor dem Hintergrund
der kantonalen Bildungsgeschichte zu reflektieren (siehe Kapitel 1.4). Mithilfe eines Zusammendenkens von Bildungsstatistik und Bildungsgeschichte können insbesondere Ausschnitte der aargauischen Statistikgeschichte erhellt werden. Obwohl 1886 ein kantonales statistisches Büro gegründet
wurde, trat dieses im Bereich der Bildungsstatistik, anders als beispielsweise in den Kantonen Bern,
Zürich oder Basel-Stadt, erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Erscheinung, sodass für
das ausgehende 19. und das frühe 20. Jahrhundert die Rechenschaftsberichte die wichtigste bil44
dungsstatistische Quelle darstellen.
Seit 1875 führte die Schweiz auf Bundesebene so genannte pädagogische Rekrutenprüfungen durch,
die über die bisher üblichen medizinischen Prüfungen hinausgingen (Lustenberger, 1996). Dabei
wurde die Schulbildung der Rekruten in den Fächern Lesen, Schreiben, Rechnen und „Vaterlandskunde“ im jährlichen Turnus durch eine einheitliche Prüfung vergleichend beurteilt. Im Kontext einer
zunehmenden Historisierung von Schulsystemvergleichen und Schulreformprozessen sind die päda45
gogischen Rekrutenprüfungen in den Fokus bildungshistorischer Untersuchungen gelangt. Während
in der Zeitschrift „Pädagogische Prüfung bei der Rekrutierung für das Jahr ...“ die Ergebnisse der
Rekrutenprüfungen ohne Platzierung der Kantone veröffentlicht wurden, wurden die Ergebnisse in
den kantonalen Rechenschafsberichten stets unter Berücksichtigung der Ergebnisse anderer Kantone präsentiert. Über die Jahre hinweg rangierte der Kanton Aargau im unteren Drittel. Das „schlechte“ Abschneiden des Kantons Aargau wurde im historischen Diskurs oftmals auf das Fehlen von Fortbildungsschulen, d.h. von nachobligatorischen Schultypen, zurückgeführt.
Bis zum Erscheinungszeitpunkt der kantonalen Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Kantons
Aargau „150 Jahre Kanton Aargau im Lichte der Zahlen 1803-1953“ fehlten datengestützte Darstellungen der Entwicklung des Kantons Aargau. 1954 wird das Schulwesen des Kantons auf 15 Seiten
42
Dies wird darin deutlich, dass Statistikgeschichte in der Schweiz als Geschichte der Statistik auf Bundesebene konzipiert ist
(Jost, 1995; Tanner, 1995).
43
Reichesberg beschreibt die kantonalen Statistik als „von geringem wissenschaftlichen Wert, weil sie […] nur selten die Anforderungen eines richtigen statistischen Verfahrens beobachtet […], [so] dass die wenigsten sich über das Niveau der sogenannten
notizartigen Zahlenorientierung erheben“ (Reichesberg, 1911, S. 1622). Weiter schreibt Reichesberg, „dass die kantonale Statistik in
ihrem gegenwärtigen Zustande nicht nur für die Eidgenossenschaft keinen grossen Wert hat, sondern auch vom Standpunkt der kantonalen Interessen selbst als durchaus mangelhaft erachtet werden muss“ (Reichesberg, 1908, S. 94).
44
Johann Jakob Spühler leitete von 1886 bis 1887 das Statistische Büro. Abgelöst wurde dieser von Emil Näf, der das Amt bis
1910 führte. Bis zur Auflösung des Statistischen Büros 1921 stand Paul Gross dem Amt vor. 1946 wurde das Statistische Amt als
Abteilung des Departements des Innern neu gegründet. Die Leitung übernahm bis 1973 Adolf Frey. Dieser wurde von Christian Lerch
abgelöst, der dem Amt bis 1987 vorstand. Im Rahmen einer Verwaltungsreform wurde das Statistische Amt 1973 der Staatskanzlei
unterstellt. Seit 1987 wird das Amt von Fritz Fasler geleitet. Allein über Emil Näf (1851-1910) können biographische Angaben gemacht werden. Als Sohn eines Tierarztes studierte Näf an der Tierarzneischule in Bern. In jungen Jahren bereiste er Amerika, 1882
wurde er als Sekretär der Direktion des Innern gewählt. U.a. im Zofinger Tagesblatt veröffentlichte Näf journalistische Beiträge. Näf
war v.a. im Bereich Wirtschaft und Versicherungswesen versiert; auch war er an der Einrichtung der aargauischen Lehrerversicherungskasse beteiligt.
45
Dies führt allerdings dazu, dass die Rekrutenprüfungen des 19. Jahrhunderts vorschnell als „PISA im 19. Jahrhundert“ (vgl.
Crotti & Kellerhals, 2007) bezeichnet und gedeutet worden sind, ohne zu bedenken, dass die Interpretation historischer Prozesse auf
der Grundlage des gegenwärtigen Statistik-Begriffs problematisch sein kann.
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Bildungsstatistik im 19. und 20. Jahrhundert
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
ausführlich beschrieben und erstmals mit statistischem Zahlenmaterial über 100 Jahren unterlegt.
Neben Langzeitreihen zur Volksschule mit Anzahl Schulabteilungen, Schülerzahlen und Lehrkräften
wurden auch Tabellen mit den Ausgaben des Kantons für das Volksschulwesen sowie Zahlen über
das Berufsschulwesen, die Kantonsschule, die Fortbildungsschule, Staatsstipendien oder die Ausgaben für die Lehrerseminare ausgewiesen.
Das Jahr 1969 kann im Aargau als Wendepunkt der Schulstatistik bezeichnet werden, der zu einer
Professionalisierung führte. Während die aargauische Schulstatistik für das Jahr 1969 noch von der
Erziehungsdirektion des Kantons Aargau herausgegeben wurde, trat ab 1970 das Statistische Amt
des Kantons Aargau als Herausgeber der jährlichen Schulstatistiken in Erscheinung. Die Erstellung
und Veröffentlichung von Schulstatistiken seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann nicht nur
in der Schweiz und im Kanton Aargau, sondern auch in zahlreichen anderen Ländern beobachtet
werden (u.a. in Österreich, Frankreich, Deutschland, Grossbritannien). Die Schulstatistiken erschienen zusätzlich zu den statistischen Informationen, die in den aargauischen Rechenschaftsberichten
veröffentlicht werden.
Sowohl hinsichtlich ihrer statistischen Kategorien, der inhaltlichen Schwerpunkte sowie des Entstehungskontextes unterscheiden sich die Schulstatistiken von den statistischen Informationen der kantonalen Rechenschaftsberichte. In den Rechenschaftsberichten ab 1969 wurden in erster Linie statistische Daten zur Anzahl der Schülerinnen und Schüler, Anzahl der Schülerschaft pro Klasse sowie
Anzahl der Lehrerinnen und Lehrer veröffentlicht. Neben der Berufsbildung wurden in den Rechenschaftsberichten vor allem die Primar-, Sekundar- und Bezirksschulen statistisch beschrieben. Die
statistischen Kategorien der Schulstatistiken gingen weit über das statistische Programm der Rechenschaftsberichte hinaus. Waren die statistischen Kategorien in der Schulstatistik 1969 recht ambitioniert, so stand in den folgenden Schulstatistiken zunehmend die Auswertung und Interpretation der
statistischen Daten im Vordergrund. In der Schulstatistik für das Jahr 1969 wurden erfasst:
• Schüler nach Schulstufen bzw. Schulungstypen und Schulorten (Volksschule)
• Schüler von Heim- und Sonderschulen; Schüler nach Schulstufen bzw. Schulungstypen
und Schulorten (Mittelschule)
• Schüler nach Muttersprache, Heimat und Schulorten
• Schüler nach Schulstufen bzw. Schulungstypen, Klassen und Geburtsjahren (Volksschule)
• Schüler nach Schulstufen bzw. Schulungstypen, Klassen und Geburtsjahren (Mittelschule)
• Sekundarschüler nach Schulort, Geschlecht, Wohnort der Eltern
• Bezirksschüler nach Schulort, Geschlecht, Wohnort der Eltern
• Schulabteilungen nach Schulstufen bzw. Schulungstypen und Schulorten (Volksschule).
In der Schulstatistik von 1969 ist bereits ein wichtiges Charakteristikum der Schulstatistiken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts enthalten, nämlich die diachron vergleichende Darstellung der Daten.
So werden die in der Probeerhebung für eine schweizerische Schulstatistik 1965 erhobenen schulstatistischen Daten für den Kanton Aargau mit den Daten von 1969 verglichen.
Als eine der Hauptaufgaben von Schulstatistik wurde zu Beginn der 1970er Jahre das Sichtbarmachen struktureller Veränderungen durch systematische Auswertung von Zeitreihen bezeichnet (vgl.
Schulstatistik 1970, S. 4). Ebenso wurde seit Beginn der 1970er Jahre die Erstellung von Schulstatistiken explizit in einen bildungsplanerischen Zusammenhang gestellt. „Neben vielen andern Grundlagen, welche dafür benötigt werden, sind diese [vergleichenden, d.V.] Daten unerlässlich. Und gerade
für diese Planungsaufgabe ist es von Bedeutung, die Entwicklung der Schulen in die Vergangenheit
zurückverfolgen zu können“ (ebd.). In dieser bildungsplanerischen Funktionszuschreibung unterscheiden sich die Schulstatistiken von den statistischen Informationen der kantonalen Rechenschaftsberichte. Die Engführung von Schulstatistik und Bildungsplanung unterliegt in den folgenden
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Bildungsstatistik im 19. und 20. Jahrhundert
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Jahren kaum Veränderungen, sondern wird immer wieder bestätigt, indem jeder Statistik der nahezu
identische Einführungstext vorangestellt wird.
„Wir haben gerade in den letzten Jahren erkennen müssen, dass nur durch eine systematische
Erfassung und Darstellung der wichtigsten quantitativen Eigenschaften des Schulsystems und
seiner von aussen gegebenen Bestimmungsgrössen es möglich ist, Veränderungen zu erkennen und die notwendigen Massnahmen zu treffen. Gewiss, nicht alles kann damit mit der erwünschten Präzision vorausgesagt werden. Dennoch dürfte die Schulstatistik Hinweise und
Grundlagen für die im Bereich des Bildungswesens tätigen Entscheidungsinstanzen in einer
breiten Fülle abgeben. Eine optimale Ausnützung all der Informationen ist mit der Schulstatistik
allein jedoch keineswegs gesichert“ (Schulstatistik 1976, S. 3).
Legitimiert wurde die Notwendigkeit von Bildungsplanung, indem der „momentane Zustand“ des aargauischen Bildungswesens als „verbesserungsfähig“ (Schulstatistik 1970, S. 4) bewertet wurde. Empirisch erhobene Daten dienten in der Zeit der Bildungsexpansion verstärkt als Grundlage für bil46
dungspolitische Steuerungsentscheide. Vor diesem Hintergrund leisteten die Schulstatistiken auch
einen Beitrag zur Konstruktion von Veränderungen im Bildungssystem, da mit bestimmten statistischen Kategorien nach spezifischen Phänomenen gefragt wurde.
Indem die Daten des Bestands der Schülerschaft von 1965 mit 100 Prozent gleichgesetzt und die
Wachstumsraten der Schülerschaft vergleichend betrachtet wurden, konnte das Phänomen Bildungswachstum sowohl quantitativ sichtbar gemacht als auch gleichzeitig konstruiert werden. Mit der
statistischen Erfassung der Nationalität (operationalisiert als „Heimatland“) der Schülerschaft im Kanton Aargau wurden auch Migrationsphänomene beschrieben und konstruiert. Bereits in den frühen
47
Schulstatistiken nach der Zugehörigkeit der Schüler zu Berufsschichten der Eltern gefragt, findet
das Phänomen der „sozialen Herkunft“ der Schülerschaft ebenso Eingang in den bildungspolitischen
Diskurs der Zeit als auch das Phänomen der interkantonalen Mobilität (operationalisiert als „Neuzugezogene aus anderen aargauischen Gemeinden, aus anderen Kantonen oder aus dem Ausland“).
Bereits ab 1970 wurde den Schulstatistiken ein Kapitel „Spezielle Auswertungen“ beigefügt, das sowohl als Analyse verstanden werden konnte als auch zugleich Lösungsansätze aufzeigte.
Durch die Einführung einer gesamtschweizerischen, einheitlichen Schulstatistik im Jahre 1976 erfuhr
die Schulstatistik des Kantons Aargau einige Veränderungen. Die Erfassung des Bildungssystems
wurde um den Bereich der Berufsschule erweitert und ab 1976 lagen für alle Schularten und Klassen
Daten zur altersmässigen Gliederung der Schülerschaft vor. Formal unterschieden sich die Schulstatistiken vorerst jedoch nicht. Neu war, dass das aargauische Schulsystem in einem Diagramm dargestellt und die der Statistik zugrunde liegenden Begrifflichkeiten bezogen auf das aargauische Bildungssystem (Schultypen und Schulstufen) erläutert wurden.
Ab den 1980er Jahren wurden vermehrt schulstatistische Daten in unterschiedlichen Publikationsorganen veröffentlicht: Ab 1986 gibt das Statistische Amt des Kantons Aargau das „Statistische Jahrbuch des Kantons Aargau“ heraus. In diesem werden ebenfalls vergleichende Zeitreihen zum Bildungswesen publiziert. 2002 und 2004 wurden zusätzlich zu den Schulstatistiken die „Bildungsstatistischen Informationen“ herausgegeben, die ebenso vergleichende Zeitreihen zum aargauischen Bildungssystem vorlegen.
46
In vielen Kantonen wurden spezielle Pädagogische Abteilungen, Pädagogische Arbeitsstellen oder Bildungsplanungsstellen
mit neu geschaffenen Stellen eingerichtet, um den konkreten Wachstumsproblemen planerisch begegnen zu können (Kussau & Oertel, 2001). Diese Abteilungen hatten in erster Linie einen Dokumentationsauftrag, der je nach Kanton in einen mehr oder weniger ausformulierten politischen Planungs- oder Forschungsauftrag mündete.
47
Diese Kategorie wird ab der Schulstatistik für das Jahr 1971 erfasst. Den Statistiken ist eine Definition der Schichten (1.
Ungelernte, Angelernte; 2. Gelernte (manuell); 3. Gelernte (kaufm.); 4. Selbständig Erwerbende; 5. Höhere Angestellte und Beamte;
6. Akademiker, Techniker; 7. Landwirte; 8. Hausfrauen; 9. Übrige) beigefügt.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Aus dieser Darstellung über die verschiedenen Schulstatistiken werden zweierlei Aspekte deutlich:
Zum einen, dass Schulstatistiken ein wichtiger Träger des bildungspolitischen Diskurses ihrer Zeit
sind (Criblez, 2007 und 2003), und zum anderen, dass die verwendeten statistischen Kategorien
vielmehr als Produkte ihrer Zeit verstanden werden müssen denn als „Beschreibung der Realität und
des Wandels des Bildungssystems“ (Bundesamt für Statistik, 2010, S. 5). Darüber hinaus ist deutlich
geworden, dass die Schulstatistiken nicht nur statistische Daten liefern, sondern diese Daten zugleich
auch interpretieren. Als wichtigstes Fazit muss der Funktionswechsel statistischer Datenerhebung
von der Rechenschaftslegung und Legitimierung hin zur prospektiven Bildungsplanung genannt werden. Schulstatistik stellt damit je länger je mehr ein Element einer „aktiven und rationalen Bildungspolitik“ (Widmaier/Bahr 1966; Widmaier 1967) dar.
Am Beispiel des Kantons Aargau lässt sich zeigen, dass Schulstatistik im Laufe der Zeit an unterschiedlichen Publikationsorten, in verschiedenen Textsorten und von unterschiedlichen Akteuren
publiziert wurden. Trat 1954 der Kanton im Auftrag des Regierungsrats erstmals als Produzent statistischer Langzeitreihen in Erscheinung, führte auf Initiative der EDK das Statistische Amt die vergleichende Statistik weiter. Seit 1973 ist der Bund resp. das BfS der zentrale Akteur und Träger der
Schul- und Bildungsstatistik.
Im Kontext der Institutionalisierung einer schweizerischen Schulstatistik wurden nicht nur gesamtschweizerische statistische Standards geschaffen, sondern mehr und mehr werden auch die schulstatistischen Erhebungen von so genannten „Bildungsräumen“ harmonisiert. Die anhaltenden Modernisierungsbestrebungen des Bundesamts für Statistik im Bereich der schulstatistischen Erhebungen
zur Verbesserung der Datenqualität und der Vergleichbarkeit der kantonalen Bildungssysteme wirken
sich daher auch auf den Bildungsraum Nordwestschweiz aus, der im Kern die Kantone Aargau, Solothurn und die beiden Basel umfasst.
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Verwendung und Darstellung statistischer Daten in den
Quellen
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
3 Verwendung und Darstellung statistischer Daten in den
Quellen
3.1 Die Darstellung statistischer Daten in den Rechenschaftsberichten
Die jährlichen Rechenschaftsberichte des Regierungsrats des Kantons Aargau dienen – wie es der
Name sagt – der Rechenschaft der Regierung gegenüber dem Parlament und den Steuerzahlern über
die Verwendung der Steuergelder: Die ausgeführten Kennziffern werden zum Zwecke der Rechtfertigung vor der Legislative (dem Grossen Rat) aufgeführt. Obwohl diverse Daten in den Rechenschaftsberichten zu finden sind, handelt es sich dabei nie um eigentliche statistische Erhebungen, die
über ein buchhalterisches Ausweisen von durch die Staatstätigkeit und Verwaltung anfallenden Zahlen hinausgehen. Der Erhebungskontext ist in allen Fällen ein staatlich-administrativer und im Rahmen der politischen Arbeit der Exekutivbehörden zu verorten.
Als Datengrundlage der Rechenschaftsberichte dienen die regelmässigen, meist jährlich verfassten
Berichte der Bezirksschulräte (Inspektoren). Diese Aufsichtspflicht wurde im Schulgesetz von 1835
sehr detailliert geregelt und ist bis in die heutige Zeit aufrecht erhalten worden.48 Der Bezirksschulrat
„führt die Aufsicht über alle Unterrichtsanstalten des Bezirks […], beaufsichtigt die Verwaltung des
Schulfonds und sorgt für die Vollziehung der den Unterricht und das Schulwesen betreffenden Gesetze und Verordnungen und vollzieht die Aufträge des Kantonsschulrathes“ (Schulgesetz 1835,
§ 199). Die Inspektoren des Bezirksschulrats besuchen jede Schule zweimal im Halbjahr und erhalten
so einen vertieften Einblick über die Tätigkeiten und die Pflichterfüllung der Lehrkräfte und Schulpflegen; sie geben davon Bericht in den regelmässig stattfindenden Sitzungen des Bezirkschulrats
(ebd., § 200). Die Gemeindeschulpflegen wiederum sind dem Inspektor als Vertreter der übergeordneten Aufsichtsbehörde rechenschaftspflichtig (ebd. § 101). Dass mit der Etablierung und dem Ausbau der Volksschule im 19. Jahrhundert auch der administrative Aufwand für die Behörden stetig
zunahm, lässt sich anhand einer Vorbemerkung des Rechenschaftsberichts aus dem Jahr 1860 illustrieren:
„Während der nachstehende Bericht über das höhere Schulwesen (Bezirksschulen, Kantonsschule, Lehrerseminar, landwirtschaftliche Schule) und über die besonderen Schul- und Erziehungsanstalten bereits das letzte Schuljahr vom 1. Mai 1860 bis zum 1. Mai 1861 umfasst, kann
in Betreff des Gemeindeschulwesens erst über das vorletzte Schuljahr 1859/60 berichtet werden,
indem die Generalberichte der Bezirksschulräthe sammt den nahe an 1200 Unterberichten der
Instruktoren, Schulpflegen, Pfarrämter, Lehrer und Lehrerinnen über das letzte Schuljahr noch
nicht zur Hälfte eingegangen sind“ (Rechenschaftsbericht 1860, S. 76).
In unseren Darstellungen beziehen wir uns auf das Jahr der Rechenschaftslegung durch den jeweiligen Rechenschaftsbericht, wohlwissend, dass sich dieses in den wenigstens Fällen mit dem Jahr der
tatsächlichen Datenerhebung deckt. Da das Schuljahr im Frühling beginnt, stammen die meisten Daten zur Volksschule aus dem Vorjahr; dies ist aus den Quellen jedoch nicht immer deutlich erkennbar. Wo nicht explizit vermerkt, stellt das Jahr des Rechenschaftsberichts – was wiederum auch nicht
zwingend dem Publikationsjahr gleichkommen muss – die Referenzgrösse für den vorliegenden Projektbericht dar. Der diachrone Vergleich auf der Grundlage von Langzeitreihen, wie sie zum Beispiel
in der Publikation „150 Jahre Kanton Aargau im Lichte der Zahlen 1803-1953“ (Regierungsrat des
Kantons Aargau, 1954) vorzufinden sind, wird dadurch etwas erschwert, da in den meisten Publikationen genau solche quellenkritischen Detailangaben fehlen.
48
Schulgesetz 1981, § 51: „Die Inspektoren über die pädagogische und fachliche Aufsicht über Aufgaben den Unterricht an
den öffentlichen und privaten Schulen aus; sie beraten die Lehrer. Sie stehen den Schulbehörden als Berater zur Verfügung.“
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Verwendung und Darstellung statistischer Daten in den
Quellen
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Bei den Rechenschaftsberichten handelt es sich um eine serielle Quelle, die abgesehen von den ersten
zwei Jahren über den gesamten Untersuchungszeitraum vorliegt. Sowohl Produzent (Regierungsrat)
als auch der primäre Rezipient (Grosser Rat) sowie der primäre Zweck des Textes (Rechenschaftslegung) bleiben sich über all die Jahre gleich. Was sich hingegen verändert, ist die Art und Weise, wie
Schule und das Bildungswesen generell betrachtet und wie darüber berichtet wird. Daraus können
im Verlaufe der Zeit neben der Rechenschaftslegung auch neue Funktionen abgeleitet werden. Diese
Veränderungen sollen im Weiteren dargestellt und diskutiert werden. Nicht nur inhaltlich sind Veränderungen wahrnehmbar, sondern auch in der Art der Darstellung: Erfolgte in den Anfängen der
regierungsrätlichen Berichterstattung die Beschreibung der Bildungsaufgaben des zurückliegenden
Jahres vorwiegend in literarischer Form, hielten ab 1878 Tabellen systematisch die schulstatistischen
Informationen fest. Dass sich auf der Höhe des Kulturkampfes die Debatten über die Volksschule
und damit auch die Art ihrer Rechenschaftslegung veränderten, kann damit gezeigt werden. Die
statistische Darstellung schulrelevanter Daten im Vorfeld der nationalen „Schulvogt“-Abstimmung
(1882) weist auch darauf hin, welches Gewicht damals der Statistik und der Tabelle als visualisierte
Aussage in der politischen Debatte zugemessen wurde. Konkrete Zahlen, Reihen und Tabellen dienten als politisches Instrument und stellten den Versuch dar, aufgrund empirischer Fakten die Notwendigkeit einer Zentralisierung der Schweizer Volksschule zu begründen.
Auch wenn bei Datenmaterial, das in der allgemeinen Verwaltungstätigkeit anfällt, nicht von explizit
bildungsstatistischen Daten gesprochen werden kann, sind diese Daten für das vorliegende Projekt
äusserst relevant. Es ist weniger die Dokumentation expliziter Legitimations- oder Verwendungszusammenhänge von bildungsstatistischen Daten, die tatsächlich nur an wenigen Stellen verschriftlicht
worden sind, als vielmehr die Veränderung der Darstellung und Präsentation der Daten innerhalb
der Quelle selbst, die diese Berichte zur Hauptquelle für das vorliegende Projekt werden lassen. Die
Rechenschaftsberichte stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Durchsetzung, dem Ausbau
und der Differenzierung der öffentlichen Volksschule des Kantons Aargau, so dass anhand der in den
Rechenschaftsberichten aufgeführten Daten problemlos eine Geschichte des öffentlichen Schulwesens
nachgezeichnet werden kann. Obgleich die Datenerfassung bis in die 1970er Jahre relativ unsystematisch geschah, deckt die Quelle die verschiedenen Schultypen der öffentlichen Schule inklusive des
sonder- und heilpädagogischen Bereichs, sofern diese Einrichtungen von staatlichen Subventionen
profitieren, gut ab. Nicht erfasst ist jedoch der gesamte Privatschulbereich.
3.2 Überblick über die Inhalte statistischer Daten in den Rechenschaftsberichten
Die seit 1837 publizierten Rechenschaftsberichte weisen jedes Jahr ein eigenes Kapitel zum Schul- und
Bildungswesen auf. Im 19. Jahrhundert waren diese Abschnitte überschrieben mit „Schul- und Erziehungswesen“, „Unterrichtswesen“ oder „Erziehungsdirektion“, im 20. Jahrhundert gab es nur noch
die Überschrift „Erziehungsdirektion“ und damit die Benennung des für die Berichterstattung verantwortlichen Departements. Der Umfang des Kapitels variiert von anfänglich sechs bis über vierzig
Seiten (um 1900) und nimmt im Verlauf des 20. Jahrhunderts wieder ab. Die Organisation der Berichterstattung war bis Ende der 1870er Jahre an den unterschiedlichen Schulstufen und -typen orientiert:
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Verwendung und Darstellung statistischer Daten in den
Quellen
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
A) Gemeindeschulwesen
B) Bezirksschulen
C) Kantonsschulen
D) Schullehrerseminarium
E) Höhere Privatlehranstalten
daran schliessen die Finanzen und die Behörden an:
F) Schulgut und Schulkasse des Kantons
G) Allgemeine Aufsichtsbehörde
H) Kantonsschulrath49
I) Kantonsbibliothek (vgl. Rechenschaftsbericht 1837)
Ab 1866 wurde dem Bericht eine kurze Zusammenfassung der Tätigkeit des Erziehungsrats vorangestellt mit einer Auflistung der wichtigsten Verordnungen und Erlasse. Von 1880 an wurden die Behörden an den Anfang gestellt – „Erziehungsrath und Kommissionen“ resp. „Aufsichtsbehörden“ –,
ab 1919 folgte als erstes ein Abschnitt zur Schulgesetzgebung: „Gesetzgebung“ oder „Gesetze und
Vollzugserlasse“. Die innere Strukturierung der einzelnen Unterkapitel war relativ detailliert, dies
lässt sich für die gesamte Untersuchungsperiode feststellen. Zur Veranschaulichung sind im Anhang
zwei Beispiele für die inhaltliche Strukturierung aus den Jahren 1840 und 1955 angefügt (siehe Anhang 9.1). Auffallend ist beim Beispiel aus den 1950er Jahren, dass sowohl Bildungspolitik als auch
Bildungsverwaltung inkl. Behörden viel Raum einnehmen. Die rein deskriptive Ebene über die verschiedenen Schultypen und -stufen, wie sie am Beispiel aus dem 19. Jahrhundert ersichtlich ist, erweiterte sich damit um eine Diskursebene: um diejenige der Bildungspolitik. Neben dem Schulwesen
wurde auch das Kirchenwesen, die kantonalen Sammlungen, Kantonsbibliothek, Kantonsarchäologie
und Denkmalpflege der Erziehungsdirektion untergeordnet.
Es kann davon ausgegangen werden, dass je nachdem, wer für den Rechenschaftsbericht zuständig
war und welche bildungspolitischen Veränderungen – wie die Einführung eines neuen Schulgesetzes
oder neuer Lehrmittel, der Ausbau der Lehrerausbildung, ein neues Lehrerbesoldungsgesetz etc. –
die Entwicklung des aargauischen Schulwesens bestimmt haben, sich Darstellung und Fokus der
Rechenschaftsberichte laufend änderten. So wurden beispielsweise 1857 neue Lehrmittel vorgestellt
und 1860 nahm die Beschreibung der einzelnen Unterrichtsfächer und -gegenstände viel Raum ein. In
der Annahme, dass als erwähnenswert (nach aussen) gilt, was (im System) neu erreicht worden war,
wird damit immer wieder aufgezeigt, auf welchem Ausbaustand sich das aargauische Gemeindeschulwesen befindet. Daraus lässt sich schliessen, dass die Rechenschaftsberichte gerade durch ihre
unsystematische Darstellung einen guten Einblick zu geben vermögen, welche Themen die Zeitgenossen jeweils beschäftigt haben. Sie sind deshalb eine sozialhistorische Quelle erster Güte, um den
Diskurs über die Entwicklung der Volksschule aus der Sicht der Behörden und politischen Vertreter
darzustellen. Von 1885 bis 1895 ergänzten diverse Beilagen den Rechenschaftsbericht des Regierungsrats. Es handelte sich um ergänzendes Datenmaterial und Tabellen, die zunächst im Lauftext fehlten,
ab 1900 aber wieder Eingang fanden in den Bericht, diesen aber auch im Umfang massiv erweiterten.
Nach 1900 umfassten die Rechenschaftsberichte stets 40 bis 50 Seiten.
Nach den ausführlich dokumentierten ersten 40 Jahren des 20. Jahrhunderts, in denen kaum Veränderungen in der Berichterstattung vorangetrieben wurden, zeichnete sich in den 1940er Jahren ein
zunehmender Trend von ausführlichen Berichten über das Bildungswesen hin zur Darstellung statistischer Daten ab. Die Texte wurden kürzer, dafür die Tabellen umfangreicher – Zahlen dominierten das
49
Bei der Kantonsgründung wurde der Kantonsschulrat als oberste Behörde für das Schulwesen eingesetzt. 1865 wurde dieser
in Erziehungsrat umbenannt.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Erscheinungsbild der Rechenschaftsberichte. 1965 war dem Bericht des Erziehungsrates zu entnehmen, dass dem Eidgenössischen Statistischen Amt der Auftrag gegeben wurde, eine schulstatistische Erhebung im ganzen Kanton durchzuführen. Welche Daten darin erhoben und zu welchem
Zweck diese gesammelt wurden, war aus dem Rechenschaftsbericht hingegen nicht ersichtlich. Ab
1969 erschien dann ausserhalb der Rechenschaftsberichte neu eine jährliche Schulstatistik der Statistischen Abteilung des Departements des Innern, die auf Zahlen bis 1965 zurückgriff (siehe Kapitel
2.4). Bis zum Entscheid des Erziehungsdepartements 1985 – auf Anregung der Geschäftsprüfungskommission –, einen Teil der bisherigen Statistiken aus den Rechenschaftsberichten wegzulassen
und ins statistische Jahrbuch zu überführen, hielt der Trend an, kaum Text, sondern vorwiegend Zahlen in den Rechenschaftsberichten abzubilden. Neu wurde in kurzen Texten – unterlegt mit ganz wenigen Zahlen – über die Schwerpunkte in der Volksschule berichtet. Von 15 Seiten (1950) reduzierte
sich die Anzahl Seiten der Abteilung Volksschule allmählich auf fünf Seiten (1990) und auf zwei bis
drei Seiten bis 2000.
Es finden sich in den Rechenschaftsberichten keine bildungsstatistischen Erhebungen im eigentlichen
Sinne und mit dem Zweck einer statistischen Darstellung mehr, jedoch von den Behörden ausgewiesene bildungsstatistische Daten. Für das gesamte 19. Jahrhundert kann festgestellt werden, dass die
Rechenschaftsberichte statistische Daten relativ unsystematisch wiedergeben. Sowohl die Art der
Daten als auch die Dichte der Information in der Darstellung variieren beträchtlich von Jahr zu Jahr.
Die Kennziffern, die regelmässig in jedem Bericht erscheinen, lassen sich auf einige wenige reduzieren. Systematisiert über den gesamten Untersuchungszeitraum sind folgende Daten ausgewiesen:50
Schülerinnen und Schüler
-
Schülerzahlen der jeweiligen Schulstufen und -typen
-
Absenzen
-
Anzahl Seminaristen und Seminaristinnen
Lehrerinnen und Lehrer
-
Stand des Lehrerpersonals an den öffentlichen Gemeindeschulen
-
Stand des Lehrerpersonals an den Bezirks- und Kantonsschulen
-
Studierenden- und Abschlusszahlen der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung
-
Resultate der allgemeinen Wahlfähigkeitsprüfung für Lehrerinnen und Lehrer
Schulen
-
Anzahl und Art der Schulen (Fabrikschulen, Bürgerschule für Knaben [1894–1941], Fortbildungsschulen, Schulen für Mädchenhandarbeit und hauswirtschaftlichen Unterricht, Spezialschulen)
-
Anzahl Schulorte im Kanton
-
Anzahl Schulhäuser und Neubauten
-
Klassengrössen
Finanzen
50
-
Gesamtausgaben für das Schulwesen (Übersicht über die Schulgüter [Kapitalvermögen, Stiftungen, Fonds] und Schulkasse des Kantons)
-
Staatsbeiträge an neue Schulhäuser
-
Staatsbeiträge an die Besoldung der Lehrer/innen und Arbeitslehrerinnen
Die Angaben sind stets im Bezug auf die Erkenntnisinteressen des vorliegenden Projekts zu verstehen und geben nicht die
gesamten Daten, die in den Rechenschaftsberichten enthalten sind, wieder.
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Quellen
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
-
Staatsbeiträge an die Bezirksschulen und die Kantonsschule
-
Aufwendungen für das Lehrerinnen- und Lehrer-Seminar
-
Staatsstipendien an Absolventen und Absolventinnen höherer Bildung (im vorliegenden Fall:
für Studierende am Lehrerseminar oder an der Höheren Töchterschule)
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Gesamtausgaben für die Kantonsbibliothek und durch die Kantonsbibliothek angeschaffte
Bücher
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Zahlen des staatlichen Lehrmittelverlags in Aarau
Die zunehmende Differenzierung des Schulsystems in den 1960er Jahren bildete sich auch in den
Rechenschaftsberichten ab. Neben der Erhebung der Kindergarten-Zahlen fanden Daten zu den
Hilfsschulen ebenso Eingang wie Zahlen über die Berufswahlschulen (10. Schuljahr). Auch das sich
differenzierende Angebot im Bereich der Sonderschulen wird durch die Darstellung im Rechenschaftsbericht deutlich. Nach 1985 wurden auf Entscheid des Regierungsrates jedoch die meisten
statistischen Tabellen aus dem Bericht des Regierungsrats entfernt und stattdessen auf das Statistische Jahrbuch des Kantons Aargau verwiesen, das seither fast alle Themen (ausgenommen Lehrerinnen- und Lehrerstatistik) aufnimmt.
3.3 Die Darstellung statistischer Daten im kantonalen Schulblatt
Das Schulblatt, als Organ des Aargauischen freien Schulvereins, erschien 1875 zum ersten Mal und
51
wurde 14-täglich an alle Mitglieder versandt. Der freie Schulverein verfolgte nach seiner Gründung
folgende Ziele: Vereinfachung des Lehrplans (Reduktion der überspannten Forderungen auf mehr
den Verhältnissen entsprechende Normen); Errichtung einer obligatorischen Fortbildungsschule (beruhend auf pädagogisch richtigen Grundsätzen); möglichst einheitliche Inspektion durch Fachmänner;
freiere, der Zeit entsprechende höhere Lehrerbildung und damit verbunden eine bessere ökonomische Stellung der Lehrer zum Zwecke einer unbedingten Hingabe an die Schule (Aargauer Schulblatt,
1877). Anfangs gliederte sich die Zeitschrift in ein bis zwei Artikel mit Überschriften, die Rubrik ‚Verschiedenes’, die Rubrik ‚Büchertisch’ und in verschiedene Inserate. Insgesamt umfasste eine Ausgabe etwa vier Seiten. Auf dem Weg des freien Schulvereins, oben genannte Ziele uns spätere auch
weitere Ziele zu erreichen, wurden auch immer wieder Zahlen und Fakten aus dem Schulleben veröffentlicht.
Ab 1882 nannte sich die die Zeitschrift „Aargauer Schulblatt und Organ der Lehrerschaft der Kantone
Baselland und Solothurn“. Zudem galt diese Jahreszahl als offizielles Gründungsdatums des Schulblattes für die Kantone Aargau und Solothurn. Mit der Zeit wuchs der Umfang der Zeitschrift deutlich
über die vier Seiten der Gründungsjahre hinaus an. Ende 1919 stieg der Kanton Basel-Landschaft
aus dieser Kooperation aus. Nun ist das Aargauer Schulblatt nur noch das Organ für die Lehrerschaft
der Kantone Aargau und Solothurn. Aus dem Jahresbericht der Erziehungsdirektion wurden jeweils
nur die wichtigsten Informationen übernommen, da der Jahresbericht allen Lehrpersonen und Schulpflegen zugestellt wurde. 1925 fand ein Namenswechsel der Zeitschrift statt. Das Aargauer Schulblatt
nannte sich neu „Schulblatt für Aargau und Solothurn“. Ab Anfang 1970er Jahren veröffentlichte das
51
Laut Medienmitteilung vom 30. August 2007 des Schulblattes anlässlich des Jubiläums des 125-jährigen Bestehens der
Zeitschrift erschien das erste Schulblatt 1882. Der Bestand der Bibliothek für Historische Bildungsforschung, Zürich, beginnt jedoch
schon 1877; dieses Jahr bezeichnet sogar den dritten Jahrgang. Das erste Aargauer Schulblatt (ohne Partnerkantone) wurde 1875
publiziert wurde.
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Verwendung und Darstellung statistischer Daten in den
Quellen
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Erziehungsdepartement vermehrt statistische Daten und erhielt so über die Jahre hinweg zunehmend
mehr Raum.
Im Schulblatt lassen sich über die 135 Jahre hinweg kaum systematische Darstellungen statistischer
Daten nachweisen. Anhand der publizierten Daten lassen sich daher vorwiegend Themenkonjunkturen zeigen. Dabei erheben die Autoren des Schulblattes – abgesehen von wenigen Ausnahmen – die
Daten nicht selbst. Sporadisch werden die Daten zu politischen Zwecken im Schulblatt abgedruckt,
vor allem bei politisch brisanten Debatten wie der Umgang mit den Daten aus den Rekrutenprüfungen,
der Lehrerbesoldung, den Klassengrössen, den Lehrerzahlen bei Lehrermangel und Lehrerüberfluss
und der Reform der Oberstufe. Ansonsten scheint der Zweck der Veröffentlichung statistischer Daten
vorwiegend in der Information der Lehrerschaft zu liegen und indirekt lässt sich wohl auch ein Mobilisierungsgedanke des Lehrervereins gegenüber der „nicht organisierten“ Lehrerschaft daraus ableiten.
Der Vergleich mit anderen Kantonen spielte in der Darstellung statistischer Daten von Anfang an eine
zentrale Rolle. Zahlen über die Kantonsgrenze hinweg zu vergleichen, war schon immer ein Mittel,
nicht nur um auf die Politik, sondern auch auf die eigene Lehrerschaft Druck auszuüben.
3.4 Überblick über die Inhalte statistischer Daten im kantonalen Schulblatt
Die Darstellung statistischer Daten im Schulblatt der Kantone Aargau und Solothurn ist unsystematisch und zeigt konjunkturelle Zyklen hinsichtlich Themen und Zahlen. Es waren immer aber wieder
amtliche Zahlen (z.B. Lehrerbesoldung) zu finden. Auch wurde öfters auf die Eidgenössischen Rekrutenprüfungen Bezug genommen. Insbesondere deren Ergebnisse wurden bekannt gegeben und
kommentiert. In den Anfängen des Schulblattes lag der Fokus auf den Rekrutenprüfungen, auf den
Schülerstatistiken der Seminare Wettingen und Aarau sowie der Besoldungsfrage. Kantonale Erhebungen, die über staatlich-buchhalterisches Dokumentieren hinausgingen, fanden sich in diesen alten
Ausgaben des Schulblattes aber keine. Wurden statistische Daten vergleichend im Schulblatt abgedruckt, verglich man diese meist auf Bezirksebene. Ausserdem wurden meist die Zahlen mehrerer
Jahre dargestellt. Ab den 1970er Jahren werden die Resultate der Abschlussprüfung der Bezirksschulen durch das kantonale Erziehungsdepartement veröffentlicht. Die Klassengrösse entwickelte
sich ab 1900 zu einem Diskussionsgegenstand, der über viele Jahre hinweg immer wieder mit Zahlen
unterlegt wurde. Ein weiteres über die Zeit relativ konstantes Thema stellt die Lehrerstatistik dar. Daneben gibt es noch wenige kleinere Themen wie das Absenzenwesen, der Knabenhandarbeitsunterricht, Remotionen von Schülerinnen und Schülern, diverse Umfragedaten und in den letzten Jahren
des Untersuchungszeitraums die Diskussion um Leistungsmessung. Im Verlauf des gesamten Untersuchungszeitraums folgende statistische Daten publiziert:
Schülerinnen und Schüler
-
Schülerzahlen der jeweiligen Schulstufen und -typen
-
Zöglings- und Abschlusszahlen des Schullehrer-Seminars
-
Ergebnisse der Bezirksschulprüfungen
-
Absenzen
Lehrerinnen und Lehrer
-
Lehrerbesoldungsstatistik
-
Stellenlose Lehrpersonen, errechneter Lehrerbedarf
-
Zahlen männlicher und weiblicher Lehrkräfte
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Verwendung und Darstellung statistischer Daten in den
Quellen
-
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Durchschnittsalter Lehrerinnen und Lehrer versch. Stufen
Schulen
-
Klassengrössen
-
Knabenhandarbeitsunterricht
-
Durchlässigkeit zwischen Schultypen
-
Übertrittsquoten Bezirksschulen
-
Anschlusslösungen für Schülerinnen und Schüler nach obligatorischer Schulzeit
-
Oberstufenreform
Leistungsmessung
-
Rekrutenprüfung
-
Check 5
Veröffentlichung Umfragedaten
-
Sommerschulbeginn
-
Lehrermobilität in andere Berufe
-
Austrittsmotivation Lehrberuf
-
Geleitete Schulen, Schulleitungen
-
Strukturreform
-
Arbeitsbedingungen
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
4 Ausgewählte Themenbereiche
Im Folgenden werden sechs Themenfelder diskutiert: 4.1 die Einzelschule als statistische Grösse und
damit verbunden Aspekte wie Schulorte und -bauten, Klassengrösse, Schultypen und die Qualität
dieser Schulen sowie die Qualitätssicherung der Volksschule und die verschiedenen Instrumente zur
Leistungsmessung im 19. und 20. Jahrhundert; 4.2 das sich im Laufe der Zeit ausdifferenzierende
Schulsystem des Kantons und seine entsprechenden Schultypen; 4.3 der ganze Bereich der finanziellen Aufwendungen für die Volksschule, insbesondere die Diskussion der Lehrerlöhne sowie der
52
infrastrukturellen Entwicklung und die Folgen der Primarschulsubvention von 1903 ; 4.4 das Absenzenwesen, das im gesamten 19. Jahrhundert und bis zum 2. Weltkrieg ein oft diskutiertes Thema
war; 4.5 das pädagogische Personal, seine Aus- und Weiterbildung sowie genderspezifische Entwicklungen; 4.6 das heil- und sozialpädagogische Angebot, das immer stärker in das öffentliche Schulwesen eingegliedert wurde. Es sind diese sechs Themenbereiche, die uns in den untersuchten Quellen
über den gesamten Untersuchungszeitraum immer wieder begegneten und deshalb eine gewissen
Repräsentativität aufweisen. Die ausgewählten Themenbereiche dieses Kapitels bilden gleichsam die
im Diskurs über das aargauische Bildungswesen vorherrschenden Themen der letzten 200 Jahre ab.
Ein Themenbereich, der umfangmässig im Laufe der Zeit stetig mehr Platz beanspruchte in den Rechenschaftsberichten, ist die Behördenarbeit bzw. der bildungspolitische Diskurs. Da sich diese Inhalte jedoch nie in Form statistischer Daten in den Quellen niederschlagen, wurden diese Inhalte im
vorliegenden Projekt nicht untersucht. Aussagen, wie sie zum Beispiel im Rechenschaftsbericht von
1870 zu lesen sind über die mangelnde Schulaufsicht durch die weltlichen Mitglieder der Schulpflegen im Bezirk Kulm und über die Schwierigkeiten mit den Pfarrern generell, sind für eine diskurstheoretische Analyse von grossem Interesse. In einer historischen Metaanalyse statistischen Daten hingegen finden solche qualitative Daten keine direkte Verwendung in der Untersuchung.
Dieses vierte Kapitel fasst die Ergebnisse der empirischen Analyse zusammen und nimmt die Erhebung und Darstellung statistischer Daten in ihren Veränderungen über den gesamten Untersuchungszeitraum von 1803 bis heute verdichtet in den Blick. Dabei werden einzelne Schwerpunkte
gesetzt. Eine Metaanalyse, wie die vorliegende, kann anhand der untersuchten Daten grundsätzlich
die Entwicklung der Volksschule, die Verlängerung Schulzeit und die Differenzierung Schulsystem
abbilden. Jedoch ist eine systematische Darstellung aller Themenbereiche über 200 Jahre in Bezug
auf die Erhebung, Darstellung und Verwendung statistischer Daten in den wenigsten Fällen möglich.
Dies ist in der Art des Untersuchungsgegenstandes begründet: der je unterschiedlichen Erhebung
statistischer Daten, was eine systematische diachrone Analyse nur in wenigen Fällen ermöglicht.
4.1 Schulen und ihre Qualität
Ein Schwerpunkt in den untersuchten Quellen und folglich auch dieses Unterkapitels liegt im zyklischen Wachstum der Schülerinnen- und Schülerzahlen, in den zunehmenden Klassenneugründun-
52
Das „Bundesgesetz betreffend die Unterstützung der öffentlichen Primarschule“ vom 25. Juni 1903 sprach erstmals Bundesgelder im Umfang von 2 Millionen Franken zugunsten der kantonalen Primarschulen aus. Diese Mittel wurden pro Kopf ausgerichtet,
waren zweckgebunden und konnten von den Kantonen für Folgendes verwendet werden: Einrichtung neuer Lehrerstellen; Bau und
Umbau von Schulhäusern; Errichtung von Turnhallen und Anschaffung von Turngeräten; Ausbildung von Lehrkräften; Lehrerbesoldungen; Anschaffung von Schulmobiliar und Lehrmittel; Abgabe von Schulmaterialien an Schulkinder; Unterstützung von Ernährung
und Bekleidung von Schulkindern; Erziehung schwachsinniger Kinder. Bei einem Gesamtaufwand der Kantone von 134 Millionen
Franken [1906] nahm sich jedoch der Anteil des Bundes von 2 Millionen gering aus. Diese bis 1985 geleistete Bundessubvention
wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts deshalb sehr bald als subsidiäre Leistung des Bundes zugunsten sprachlicher Minderheiten
und der Bergkantone verstanden (vgl. Manz, 2008).
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
gen sowie in der zunehmenden Differenzierung des Schulsystems durch die Einführung neuer Abteilungen und Schulen. Dabei ist die Problematik der Schul- oder Klassenneueröffnung eng verknüpft
mit der allgemeinen Überprüfung der Schulqualität. Die Qualität der Schule wurde insbesondere im
19. Jahrhundert durch zwei statistische Kennziffern ausgewiesen: durch die Schülerzahl und die Ausbildung der Lehrer.
Konfessionelle Schulen waren im paritätischen Kanton Aargau auf gesetzlicher Ebene kein zentrales
Thema; auch die Unterscheidung in separate Mädchen- und Knabenklassen fand keinen Eingang in
die Schulgesetze. Statistisch hingegen wurden die Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern, reformierten, katholischen und israelitischen Schulen sowohl in den Rechenschaftsberichten als
auch im Schulblatt bis zu deren Aufhebung Ende des 19. Jahrhunderts festgehalten. „In der überwiegenden Mehrzahl aller Gemeindeschulen werden Knaben und Mädchen gemeinschaftlich unterrichtet
und zwar ohne Nachtheil für beide Geschlechter“ (Rechenschaftsbericht 1870, S. 111). Den Gemeinden war es erlaubt, nach Geschlechtern getrennte Schulen im Dorf zu führen, wenn Grösse und Lage
des Dorfes dies zuliessen und mehrere Schulen im Dorf vorhanden waren.
Es werden nachfolgend die Entwicklung der Schülerzahlen und Schulabteilungen über den gesamten
Untersuchungszeitraum skizziert und diskutiert. Insbesondere die Daten zum 19. Jahrhundert werden
in Verbindung gebracht mit der Diskussion über die Qualität der Schulen, wie sie bis etwa 1915 geführt wurde.
Die Entwicklung der Schülerzahlen
Die Abbildung von Schülerzahlen nimmt sowohl im Schulblatt als auch in den Rechenschaftsberichten einen hohen Stellenwert ein. Stellte in der Anfangsphase der Rechenschaftslegung der Regierung
die Anzahl Klassen die relevante Vergleichsgrösse dar, änderte sich das um die Mitte des Jahrhunderts. Die Zahlen der Schülerinnen und Schüler verteilt auf die verschiedenen Schultypen wurden in
den Rechenschaftsberichten ab 1844, im Schulblatt von 1901 bis 1939 regelmässig publiziert. Die
Daten zu den Gemeinde-, Bürger- und Arbeitsschulen wurden jeweils auf Ebene der Bezirke erhoben,
diejenigen der Fortbildungsschulen ebenso wie die Bezirksschulen auf Ebene der Schulorte.
Erste numerische Angaben finden sich in den Rechenschaftsberichten von 1844 (32'700) und 1845
(34'386); die Zahlen verweisen auf die Anzahl Kinder an den Primarschulen. In den 1840er bis
1860er Jahren dominierte jedoch die Erfassung der Schulabteilungen (Klassen): „[…] in 283 Schulor53
ten [bestanden] 152 Gesammt- und 145 Successivschulen , mit zusammen 487 Klassen unter eigenen Lehrern“ (Rechenschaftsbericht 1850, S. 26). Die genaue Anzahl Primarschulkinder wurde nur
als Total erfasst. Hingegen wurden ab 1854 die Bezirksschüler nach Bezirken in einer Tabelle ausgewiesen. Dargestellt wurden neben der Ausrichtung (Real- und Lateinschüler) die kantonale oder
ausserkantonale Herkunft sowie die Konfession (katholisch, reformiert, israelitisch). Seit dem Aufkommen der Arbeitsschulen für Mädchen wurden auch diese Klassen erfasst. 1870 findet sich eine
interessante Bemerkung zu den an Bezirksschulen unterrichteten Mädchen, die über eine rein statistische Erhebung hinausgeht:
„In 11 Schulen nahmen auch Mädchen am Unterricht Theil; die geringste Zahl hatten Frick und
Kaiserstuhl mit je 3, die grösste Wettingen mit 15 Schülerinnen. Da die Mädchen in allen diesen
Bezirksschulen fast durchwegs zum bessern Theile der Schülerschaft gehören und da ihre Anwesenheit weder auf den Gang des Unterrichts noch auf die Handhabung der Disziplin störend
einwirkt, so wird die erst durch das gegenwärtige Schulgesetz gestattete Aufnahme derselben
53
Als Sukzessivschule wurden diejenigen Schulen bezeichnet, die eine Aufteilung der sechs Primarschuljahre in eine untere
und eine obere Klasse aufwiesen. Die kleinen Dorfschulen wurden in der Regel jedoch als einklassige Gesamtschulen geführt. In
Städten und grösseren Gemeinden wurden mit der Zeit Schulen eingerichtet, die einzelne Klassenzüge führten (Jahrgangsklassen).
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
von den Bezirksschulinspektoren allgemein als ein zeitgemässer Fortschritt betrachtet und dabei der Wunsch ausgesprochen, dass auch in andern Bezirksschulen mit nur geringer Schülerzahl, wie z.B. in Sins, künftig auch Mädchen aufgenommen werden möchten. Ebenso könnte in
Seengen die bisherige Mädchenfortbildungsschule, die bis jetzt schon in einzelnen Fächern
gemeinschaftlich mit Bezirksschülern unterrichtet wurde, künftig ganz mit der Bezirksschule
verschmolzen werden, was auch in ökonomischer Beziehung zu empfehlen wäre“ (Rechenschaftsbericht 1879, S. 123f.).
Gerade solche positiven Berichte haben mit dazu beigetragen, die höhere Schulbildung der Mädchen
zu etablieren. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass Mädchen bis anhin zum Unterricht
an höheren Schulen nur gelassen wurden, wenn freie Kapazitäten an Schulen vorhanden waren.
1875 wurde die Situation der Gemeindeschulen erstmals in Tabellenform dargestellt; es kamen folgende Kategorien zur Anwendung: Schulorte und Schulkreise, Gesamt-, Unter-, Mittel-, Ober- und
Fortbildungsschulen sowie überfüllte Schulen. Der Rechenschaftsbericht von 1880 beginnt den Abschnitt zu den Gemeindeschulen mit der Bemerkung, dass der Bericht aufgrund der „Beschränkung
des Stoffes“ Kürzungen erforderlich macht (vgl. Rechenschaftsbericht 1880, S. 55). Nach knapp drei
Seiten Text folgen vier ganzseitige Tabellen zu den Gemeinde-, Fortbildungs- und Arbeitsschulen und
den Lehrern an den Gemeindeschulen. Auch die anderen Abschnitte dieses Berichts weisen eine
ähnliche Kompaktheit auf. Ab 1885 bis 1899 wurden diese Tabellen in einem Anhang angefügt; damit
reduzierten sich die Seitenzahlen der Rechenschaftsberichte dieser Dekaden auf weniger als zehn
Seiten. Um 1900 wurden die Tabellen zu den Klassen und Schülerzahlen wieder in den Text integriert
und der Umfang nahm auf 27 Seiten (1900), zuweilen sogar auf 47 Seiten (1910) zu.
Der Rechenschaftsbericht 1879 wurde im Schulblatt von 1880 erstmalig in zusammengefasster Form
abgedruckt. Dabei wurden die Zahlen zu den Klassen und Schulabteilungen detailliert übernommen,
insbesondere die Anzahl überfüllter Schulen: „Unter diesen Schulen figuriren immer noch 40 überfüllte, d.h. solche, die über 80 Schüler haben“ (Schulblatt 1880, o.A. [Hervorhebung im Original]). Das
Problem der überfüllten Klassen war im Diskurs der Lehrerschaft während längerer Zeit ein Thema.
1914 wurde das Referat „Die Schülerzahl an den aarg. Schulabteilungen und ihre Bedeutung für den
Unterrichtserfolg“ von Tr. Siegrist abgedruckt, der die Zahlen (Primarschulen, ohne Fortbildungsschulen) ebenfalls den Jahresberichten der Erziehungsdirektion entnommen hatte. Er verfolgte mit der
Darlegung dieser Zahlen, einen Vergleich zu ziehen mit anderen Kantonen und wies darauf hin, dass
der Kanton Aargau im Verhältnis zu den gestiegenen Schülerzahlen zu wenige Lehrpersonen in Anstellung habe. Er kritisierte, dass die Schulen im Kanton Aargau überlastet, wenn nicht gar überfüllt
seien: „All diese Tatsachen, sie beweisen, dass im Aargau in den letzten zehn Jahren Stillstand und
Rückschritt herrschte, während andere Kantone marschieren und uns überholen oder schon lange
überholt haben“ (Schulblatt 1914, S. 94). Seiner Meinung nach könne ein Kanton, welcher die Lehrpersonen mit stetig zunehmender Überfüllung überbürde, nicht erwarten, dass die Aargauer Schule
mit anderen mithalten könne. Auch die schlechten Ergebnisse der Rekrutenprüfungen 1910/11 seien
angesichts dieser Tatsache nicht verwunderlich. Den Grund für diese Missstände sah der Referent im
veralteten Schulgesetz „oder, noch besser gesagt, darin, dass das neue Schulgesetz mit seinen Fortschritten immer noch im Entwurfe [sei]“ (ebd.).
Der regierungsrätliche Rechenschaftsbericht aus dem Jahr 1928 – zusammenfassend dargestellt im
Schulblatt von 1929 – nahm das Thema der Klassengrössen erneut auf. Zwischen 1920 und 1927
waren die Schülerzahlen zurückgegangen; da kaum Lehrerstellen gestrichen wurden, verkleinerte
sich die durchschnittliche Schülerzahl pro Lehrperson. Das bereits 1914 von Siegrist geforderte neue
Schulgesetz war auch 14 Jahre später noch nicht Realität. Der Verfasser A.L. rief im Schulblatt 1929
die Behörden dazu auf, sich nicht an den veralteten Gesetzesparagraphen [max. 80 Schüler/innen
pro Klasse, d.V.], sondern an den Lebensbedürfnissen der gegenwärtigen Schulen zu orientieren und
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
die Errichtung neuer Lehrerstellen zu bewilligen: „Bei den heutigen Unterrichtsmethoden sollte ohnehin keine Abteilung über 50 Schüler zählen; 50 sind schon mehr als genug“ (Schulblatt 1929, S. 170).
Anhand der Schülerzahlen aus den Rechenschaftsberichten wagte ein Verfasser 1931 sowohl einen
zeitlichen Vergleich als auch den Vergleich mit anderen Kantonen: Nur vier (Halb-)Kantone wiesen
grössere Schülerbestände als der Aargau auf.
„Mit einer durchschnittlichen Besetzung von 41.8 Schülern an der Gemeindeschule steht der
Kanton Aargau gegenüber der Zeit vor der Übernahme der Lehrerbesoldung durch den Staat
[1919, d.V.] sehr günstig, gegenüber dem Schülerdurchschnitt in der Schweiz, der kaum 35 beträgt, aber recht ungünstig da“ (Schulblatt 1931, S. 156).
Im Jahresbericht des Aargauischen Lehrervereins von 1936 wurde vorwiegend die StellenlosenFrage diskutiert und Möglichkeiten gesucht, die Zahl der stellenlosen Lehrpersonen nicht zu erhöhen.
Auch wenn die Schülerbestände der Klassen unter die vom Schulgesetz geforderte Minimalgrösse
fallen, sollten die Lehrerstellen nicht gekürzt werden, denn im Vergleich mit anderen Kantonen habe
der Kanton Aargau verhältnismässig immer noch grosse Klassenbestände. Zwei Jahre später wurden
die Zahlen verschiedener Kantone wiederum mit dem Aargau verglichen, der sich ungefähr im Mittelfeld bewegte: „Überall im Schweizerlande hat die Zeit eine starke Senkung der Schülerbestände und
eine Vermehrung der Lehrstellen gebracht. Dafür sind aber die Anforderungen an die Schulen gestiegen“ (Schulblatt 1939, S. 22).
Schülerzahlen
50000
45000
40000
35000
30000
25000
20000
15000
10000
5000
0
1845
1850
1860
1870
1880
1890
1900
Primar
1910
1920
Sekundar
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Bezirk
Abbildung 3: Schülerzahlen nach Schultyp54
In den 1920er Jahren war die Reduktion der Schülerinnen- und Schülerzahlen auch im Rechenschaftsbericht ein Thema. Das Erziehungsdepartement forderte die Gemeinden auf, vor allem Ar-
54
Die Zahlen von 1845 bis 1980 stammen aus den regierungsrätlichen Rechenschaftsberichten; vor 1845 wurden gar keine
Schülerzahlen publiziert; von 1990 und 2000 stammen sie aus der Schülerstatistik des Kantons Aargau
(https://www.ag.ch/de/dfr/statistik/bestellen/statistikthemen/bildung___wissenschaft_2/bildung___wissenschaft.jsp# [Zugriff am
8.10.2013].
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
beitsschulen zu schliessen, da die Schülerinnenzahlen verbreitet unter 15 pro Klasse lagen. In den
Gemeindeschulen hingegen waren Schliessungen kaum ein Thema. Der anhaltende Schülerrückgang wurde durch eine schrittweise Herabsetzung der Schülerzahlen pro Abteilung ausgeglichen
oder durch die Nicht-Wiederbesetzung bei Abgang einer Lehrperson kompensiert. Auch wenn die
Schülerzahl unter das gesetzliche Minimum fiel (welches in der Praxis sowieso unterschritten wurde),
wollte man die „Härte der Entlassung eines Lehrers vermeiden“ (Rechenschaftsbericht 1935, S. 289).
Der starke Rückgang der Schülerzahlen in den Gemeindeschulen flachte zwar in den 1930er Jahren
ab, hielt aber bis in die 1950er Jahre an (siehe Abbildung 3). Die Problematik wurde weiterhin auf
dieselbe Art und Weise gelöst: Die Auflösung von Gemeindeschulen wurde durch Reduktion der
Klassengrösse aufgefangen, die Abteilungen der Arbeitsschulen wurden geschlossen. Die durchschnittliche Schülerzahl pro Abteilung war bei Kriegsende bis auf 34.65 Schüler gesunken (1930:
41.8), bevor sie in den 1950er Jahren wieder auf 38.28 Schülerinnen und Schüler pro Abteilung anstieg. Die Neueröffnung von zusätzlichen Abteilungen kam jedoch nur schleppend voran, da die Babyboomer-Phase dieser Jahre einherging mit einem anhaltenden Lehrermangel, der knapp 20 Jahre
andauerte (vgl. Hodel, 2005).
Im Schulblatt von 1948 wurde berichtet, dass die Bauverwaltung der Stadt Aarau im Auftrag des Gemeinderates eine statistische Erhebung angestellt habe, um die voraussichtlichen Schülerzahlen der
nächsten zwölf Jahre zu ermitteln. Man erwartete eine Verdoppelung der Schülerzahlen innerhalb der
kommenden zehn Jahre. Es wurde darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung nicht nur die Stadt
Aarau betreffe, sondern den ganzen Kanton Aargau und es folglich zu einem Mehrbedarf an Klassenzimmern und einem Mehrbedarf an Lehrpersonen kommen werde.
Erst 1993 folgte in der Lehrerpresse eine neue Diskussion über Minimal- und Maximalzahlen der
Klassenbestände. Diesmal nicht mehr mit Hinweis auf die vielen stellenlosen Lehrpersonen oder um
Druck auf ein neues Schulgesetz zu machen, sondern weil der Kanton vor allem in der Erhöhung der
Minimalgrösse von Klassenbeständen eine Möglichkeit sah, Lehrstellen und somit Kosten einzusparen (Schulblatt 1993, S. 17). Seither findet man keine Darstellungen mehr von Klassengrössen und
Schülerzahlen in vergleichbarer Art und vergleichbarem Umfang im kantonalen Schulblatt.
Während in den Rechenschaftsberichten von 1950 bis 1984 die Schülerzahlen der einzelnen Schultypen alljährlich erschienen (aufgegliedert nach Geschlecht auf Ebene der elf Bezirke), wurden im
Schulblatt zwischen den 1950er und 1990er Jahren vermehrt Berichte über die Oberstufen sowie die
Anschlussmöglichkeiten für deren Abgängerinnen und Abgänger mit statistischem Zahlenmaterial
unterlegt und abgedruckt. Neben der Auflistung der Schülerzahlen pro Schultyp, kamen zusätzlich
neue Schülerstatistiken auf: die Zusammensetzungen der einzelnen Schultypen (1950er Jahre), die
Übertrittsquote in die Bezirksschulen (1956; 1977-1992; 2002) oder auch Remotionen über die Oberstufenschultypen hinweg (1964; 1972; 1976; 1979; 1980; 1983; 1989; 1992). Leistungsdifferenzierung
und Durchlässigkeit waren in diesen Artikeln ein grosses Thema; Argumente wurden zusätzlich mit
schlagkräftigen Zahlen unterlegt. Anfangs war die Diskussion im Schulblatt geprägt von der Gesamtschuldebatte, ab den 1980er Jahren stand die Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die einzelnen Oberstufentypen im Fokus. Im Rechenschaftsbericht von 1982 wurde in der Tabelle der Pri55
marschule zusätzlich die Realschule als Schultypus ausgewiesen. Neu gab es nicht mehr die Primarschulstufen 1-9, sondern die Primarschulstufen 1-5 und die Realschulstufen 1-4. Zweimal – 1984
und 1991 – waren auch Ausländerzahlen an der Volksschule ein Thema im Schulblatt. Wurden im
Schulblatt die Zahlen zur Untermauerung politischer Argumente eingesetzt, blieben die Tabellen in
den Rechenschaftsberichten meist unkommentiert. Erwähnt wurden lediglich, in welchen Gemeinden
55
Die Zahlen zur Realschule werden in Abbildung 3 nicht separat ausgewiesen, da entsprechend nur Zahlenmaterial der Jahre
1990 und 2000 zur Verfügung steht, welches als solches auch in der Schulstatistik oder im Anhang (Tabelle 15) einsehbar ist.
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
neue Abteilungen eröffnet und neue Lehrerstellen resp. Vikariate bewilligt wurden. Wie alle Zahlen
des öffentlichen Schulwesens verschwanden auch die Statistiken über die Schülerzahlen der Primar-,
Real-, Sekundar- und Bezirksschulen nach 1984 aus den Rechenschaftsberichten. Von nun an wurden sie in einer separaten Schulstatistik ausgewiesen sowie differenzierter dargestellt. Es wurde nicht
mehr nur das Geschlecht ausgewiesen, sondern ebenso die Muttersprache, die Heimat, der Schulort,
die Anzahl Repetenten und Zugezogene (Schulstatistik 1973, S. 1). Werden die Schülerzahlen (ohne
Kindergarten) mit den Entwicklungszahlen der Gesamtbevölkerung resp. der 0-19 Jährigen verglichen, zeigt sich folgendes Bild: Sowohl die Gesamtbevölkerungszahl als auch die Zahl der 0-19 Jährigen sanken 1890 auf den Tiefstpunkt, die Schülerzahl sanken hingegen erst 1900 auf den Stand
von 1880 (siehe Abbildung 4). Die Entwicklungen fanden versetzt zueinander statt. Anschliessend
wuchsen die Bevölkerung, der Anteil 0-19 Jähriger und die Schülerzahl bis 1920 kontinuierlich an.
Der Rückgang der Kindersterblichkeit durch verbesserte Hygienemassnahmen kann eine mögliche
Erklärung dafür sein. Vermutlich durch die Weltwirtschaftskrise sowie den darauffolgenden 2. Weltkrieg – Krisenzeiten, die mit einem allgemeinen Geburtenrückgang verbunden waren – gingen der
Anteil 0-19 Jähriger und die Schülerzahlen zurück, wohingegen die Gesamtbevölkerung aufgrund von
Zuwanderungen, steigender Lebenserwartung usw. kontinuierlich stieg.
Bevölkerungsentwicklung Kanton Aargau
700000
600000
500000
400000
300000
200000
100000
0
1880
1890
1900
1910
1920
1930
Schülerzahl
1941
0 - 19
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
Gesamtbevölkerung
Abbildung 4: Bevölkerungsentwicklung 0 – 19 Jährige im Kanton Aargau56
Die Babyboomer-Phase fällt mit einem starken Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit zusammen,
was sich nicht nur in der wachsenden Gesamtbevölkerung, sondern auch in der Anzahl 0-19 Jähriger
und somit auch in den Schülerzahlen niederschlug. Während die Schülerzahlen und die Anzahl 0-19
Jähriger in den 1980er und 1990er Jahren zwischenzeitlich leicht zurückgingen, stieg die Gesamtbevölkerung stetig an. Der Anteil schulpflichtiger Kinder und Jugendlicher wurde im Verhältnis zur Gesamtbevölkerungszahl zunehmend kleiner.
56
Die Daten der Gesamtbevölkerung sowie der 0-19 Jährigen von 1880 bis 1960 stammen aus der Eidgenössischen Volkszählung vom 1. Dezember 1960. Von 1970 bis 2010 sind sie der jeweiligen Volkszählung zu entnehmen. Die Schülerzahlen entsprechen
denjenigen aus Abbildung 3.
Seite 44
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Klassenneugründungen
Überfüllte Klassen und die damit verbundene Notwendigkeit von Klassenneueröffnungen bzw. Schulhausneubauten wurden während des ganzen 19. Jahrhunderts regelmässig diskutiert. Mit der Dokumentation der realen Verhältnisse des öffentlichen Schulwesens in den Rechenschaftsberichten seit
1837 wurde durch die Darstellung effektiver Schülerzahlen die Neuschaffungen von Klassen legitimiert.
„Die Zahl der schulpflichtigen Kinder betrug ungefähr 1/6 der Gesamtbevölkerung, und mag
sich gegen 34'000 belaufen, nämlich in den Elementarschulen 32'700 Kinder (16‘218 Knaben
und 16‘482 Mädchen), in den Bezirks- und Privatschulen 1‘000-1‘300 Kinder. Freiwillige besuchten die Elementarschulen 1‘521 nichtpflichtige Kinder unter 7 Jahren, welche mit den
pflichtigen zusammen eine Frequenz der öffentlichen Elementarschulen von 34'221 Kinder oder
durchschnittlich per Klasse 71 Schüler ausmachen. In der Wirklichkeit betrug das Minimum einer Klasse 11, das Maximum 171 Kinder“ (Rechenschaftsbericht 1844, S. 34).
Auch 1850 wurde bei mehr als einem Fünftel der Schulen Ausbaubedarf moniert: „Bei 60 Schulen
leiden – theils aus ökonomischen Gründen, die der nöthigen Vermehrung der Schulen in manchen
Gemeinden im Wege sind, theils aus Mangel an Lehrern – fortwährend an Überbevölkerung“ (Rechenschaftsbericht 1850, S. 26). Doch der Mangel an finanziellen Ressourcen wie auch an geeigneten Lehrern liess die Realität auch noch fünfzehn Jahre später nicht mit den im revidierten Schulgesetz vorgesehenen Normen übereinstimmen:
„Der Kanton zählte nun im Schuljahre 1864/65 55 Schulen mit mehr als 80 Kindern; die Trennung aber aller dieser Schulen und die Errichtung neuer Schulen war, abgesehen von den finanziellen Schwierigkeiten, schon aus Mangel an verfügbaren Lehrern bis anhin noch nicht
möglich. […] Dagegen erscheint es als dringend nothwendig, dass folgende 17 Schulen, welche bisher alle über 100 Kinder zählten, sobald nur immer thunlich, getrennt werden, nämlich
[…]“ (Rechenschaftsbericht 1865, S. 131).
Das Schulgesetz von 1822 definierte die Schulpflicht noch als Soll-Formulierung: „Jedes Kind, welches das siebente Jahr angetreten hat, soll die Schule regelmässig besuchen, und zwar so lange, bis
es nach ausgestandener Endprüfung aus derselben entlassen seyn wird“ (Schulgesetz 1822, § 16).
Erst das darauf folgende Gesetz sprach deutlich ein allgemeines Schulobligatorium aus: „Der Besuch
der Gemeindschule ist für die Kinder aller Bürger und Einwohner des Kantons verbindlich“ (Schulgesetz 1835, § 7). Die Schulpflicht konnte nur
Tabelle 1: Regelung des Schülermaximums in einer Klasse in den
jeweiligen Schulgesetzen (k.A.: keine Angaben)
langsam und allmählich durchgesetzt werden.
Zum einen waren die Akzeptanz und Einsicht
Schulgesetz Paragraph Schülermaximum/Schülerminimum
in die Nützlichkeit der allgemeinen Beschulung nicht in allen Bevölkerungskreisen vorhan1805
§2
80
den; zum andern wurde von Behördeseite der
obligatorische Schulbesuch auch nicht immer
1822
§2
k.A. konsequent eingefordert.
„Neue Schulen und neue Schulhäuser wären
wohl so viele nöthig, wenn nur an den einten
1835
§ 12/13
100/50
Orten die Geldkräfte, an andern Einsicht und guter
Willen und noch an andern beides vereint in
1865
§ 25-28
80/40 hinreichendem Masse vorhanden wären. Die Bevölkerung
wächst alljährlich und die genauere gesetzli55
che Kontrolle über den Schulbesuch bevöl1941
§ 16
45 (Gesamt- & Oberschule)
kert ihrerseits die Schulen andauernd und
25 (Mädchen Handarbeit)
macht das Bedürfnis nicht nur erweiterter
1981
Seite 45
§ 14
28
25 (Oberstufe)
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Schulstuben, sondern neu zu errichtender Schulen und Schulhäuser da und dort immer fühlbarer“ (Rechenschaftsbericht 1840, S. 116).
Damit reagierte die Regierung nicht nur auf das reale Bevölkerungswachstum während des
19. Jahrhunderts, sondern auch auf die Normen, die das kantonale Schulgesetz vorgab. Fünf von
sechs Schulgesetzen des Kantons Aargau beinhalteten Richtwerte zur Klassengrösse (Ober- bzw.
Untergrenze).
Hier muss quellenkritisch angemerkt werden, dass Gesetze als normative Quellen nicht einen realen
Tatbestand wiedergeben, sondern immer nur einen normativen Soll-Wert, den es im Idealfall anzustreben gilt. Dass die höchsten Normwerte im Schulgesetz von 1835 erscheinen, muss vor dem Hintergrund zweier Faktoren interpretiert werden. Einerseits nahmen die Bevölkerungszahl bis in die
1850er Jahre und damit die Anzahl Kinder und Jugendliche kontinuierlich zu. Erst der Rechenschaftsbericht von 1860 verzeichnet erstmalig einen Schülerrückgang. Andererseits reagierte dieses
Schulgesetz auf die zunehmend flächendeckende Beschulung und Alphabetisierungsintentionen des
noch jungen Kantons. Demgegenüber zeigen die Rechenschaftsberichte auf, dass diese Vorgaben
bis in die 1920er Jahre in vielen Gemeinden nicht umgesetzt werden konnten. Waren 1870 noch
11.2% aller Klassen überfüllt, sank diese Zahl kontinuierlich bis auf 2.3% um 1900. Diese Abteilungen
waren z.T. massiv überfüllt, denn einige Klassen zählten statt des Maximums von 80 über 100 Schülerinnen und Schüler. Nach einem kurzen Anstieg 1910 auf 4.6% überfüllte Klassen, fiel die Zahl zehn
Jahre später auf 1.7% (12 von 699 Schulen), bevor in den 1920er Jahren die Schülerzahlen im Allgemeinen stark zurückgingen (siehe Abbildung 3). Letztmals wurde im Rechenschaftsbericht von
1924 eine überfüllte Klasse ausgewiesen; nach 1926 fehlte diese Kategorie in den Tabellen zu den
Gemeindeschulen.
Klagen über zu hohe Schülerzahlen und fehlende Klassen stellen im 19. Jahrhundert eine Konstante
dar, deren Ursache in einer inkongruenten Entwicklung von Schülerzahlen auf der einen und Finanzierung des öffentlichen Schulwesens auf der andern Seite gesucht werden muss (siehe Kapitel 4.3).
Im Rechenschaftsbericht von 1870 wurde ein Zusammenhang zwischen der Besoldungspolitik des
Kantons und der Möglichkeit, Lehrpersonen zu rekrutieren und durch Neueröffnung von Schulen
übergrosse Klassen teilen zu können beschrieben: „Wiewohl die Erziehungsdirektion mit Hinweisung
auf die offenbaren Nachtheile einer übergrossen Schülerzahl die betreffenden Gemeinden schon
wiederholt zur Beobachtung der diesfälligen Gesetzesvorschrift aufgefordert hat, so hält es doch ungemein schwer, dieselben zur Errichtung neuer Schulen zu bewegen, besonders seitdem die Staatsbeiträge an die Lehrerbesoldungen vermindert worden sind“ (Rechenschaftsbericht 1870, S. 111)
(siehe Kapitel 4.3 Lehrerlöhne).
Klassenneugründungen waren nur möglich, wenn genügend Lehrpersonen zur Besetzung der Lehrerstellen zur Verfügung standen oder gar Lehrerüberfluss herrschte. Hingegen wurden zu Zeiten des
Lehrermangels die Klassen tendenziell wieder grösser. 1920, auf einem zwischenzeitlichen Höhepunkt der Schülerinnen- und Schülerzahlen entstand in Folge „der Vermehrung der Lehrstellen“ (Rechenschaftsbericht 1920, S. 55) ein Lehrermangel, der durch Zuzug auswärts ausgebildeter Lehrer
abgewendet werden sollte. Auch während der Jahre, in denen die Schülerzahlen kontinuierlich zurückgingen (1920–1950), wurden neue Abteilungen eröffnet. Das heisst, es wurden keine unterbesetzten Klassen geschlossen und sogar zusätzlich neue Abteilungen eröffnet – dies obwohl in den
Rechenschaftsberichten von zu knappem Lehrernachwuchs die Rede war.
Überfüllte Schulen waren in den Jahren der Wirtschafskrise kein Thema mehr, sie verschwanden
gänzlich aus den statistischen Tabellen der Rechenschaftsberichte. Erst mit dem Einbruch der Schülerzahlen in den 1980er Jahren („Pillenknick“) wurden, ebenso wie nach dem Jahr 2000, Klassen
reduziert. Wie aus Abbildung 3 und Abbildung 5 ersichtlich ist, reagierte die Politik jeweils verspätet
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
auf sinkende oder steigende Schülerzahlen mit der Eröffnung neuer resp. der Schliessung überzähliger Abteilungen.
Abteilungen (Klassen)
1800
1600
1400
1200
1000
800
600
400
200
0
1845
1850
1860
1870
1880
1890
Primarschulen
1900
1910
Realschule
1920
1930
1940
Sekundarschulen
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2005
Bezirksschulen
Abbildung 5: Abteilungen (Klassen) der einzelnen Schultypen
Die Realschule wurde erstmals in den Rechenschaftsberichten von 1982 als eigenständiger Schultyp
ausgewiesen. Sie entstand aus dem 6. bis 9. Schuljahr der Primaroberschule (vgl. Schulgesetz 1981).
Unter anderem mit der Institutionalisierung dieses neuen Schultyps, lässt sich der Einbruch der Schülerzahlen zwischen 1980 und 1990 bei den konkurrierenden Schultypen Primar(ober-)schule und der
Sekundarschule erklären. Die Sekundarschulen (die früheren Fortbildungsschulen) waren nicht der
gleichen Regulierung unterworfen wie die Gemeinde- resp. die Primarschulen. Ab 1870 wurde in den
Rechenschaftsberichten unterschieden zwischen Gemeinde- und Fortbildungsschulen. Bis dahin
wurden die beiden Schultypen nicht getrennt geführt. Die Anzahl Abteilungen der Sekundarschule
blieb bis in die 1950er Jahre im Vergleich mit dem Angebot auf Primarschulstufe verschwindend klein.
Mit dem Schulgesetz von 1981 wurde die Erhöhung der obligatorischen Schulzeit von acht auf neun
Jahre – das 9. Schuljahr wurde bis anhin von den Schulen fakultativ angeboten – rechtlich legitimiert.
Auf die Schülerzahlen hatte diese gesetzliche Regelung kaum Einfluss, da der grösste Teil der Schülerinnen und Schüler bis zu diesem Zeitpunkt bereits neun Schuljahre besuchte. Die Anzahl Abteilungen an den Bezirksschulen verzeichneten erst seit 1980 einen markanten Zuwachs, der aber nach
einer Dekade stark abflachte. Die Erklärung dafür muss einerseits im Schulgesetz von 1981 gesucht
werden, das die Klassengrösse auf 25 Schüler/innen reduzierte. Andererseits spielte auch die Dezentralisierung der Bezirksschule durch die Neugründung von Klassen in zusätzlichen Gemeinden
eine Rolle für diese Erhöhung (vgl. Lehrerschaft der Bezirksschule Wettingen, 2006).
Qualität der Schulen
Bemerkungen zur Schulqualität gehören seit dem ersten Rechenschaftsbericht der Kantonsregierung
zu dieser Textsorte. Zwei Aspekte sind dabei besonders interessant: erstens die Kausalzusammenhänge und die Begründungen, mit denen Qualitätsunterschiede erklärt wurden, und zweitens die
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Tatsache, dass dieser erste Qualitätsdiskurs zur Volksschule zu Beginn des 20. Jahrhunderts abbricht und so in den Rechenschaftsberichten nicht wieder aufgenommen wurde.
„Die Schulen der Stadtgemeinden leisten in der Regel mehr als die Schulen der Landsgemeinden, aus dem einfachen Grunde, weil den ersteren grössere Hülfsmittel zu Gebote stehen. Bei
grösserer Stunden- und geringerer Schülerzahl erfreuen sie sich des Besitzes genügender
Lehrmittel. Diese Schulen besitzen fast überall auch die tüchtigsten Lehrer, weil die sorgenfreie
Existenz, die sie darbieten, auch eine bessere Auswahl gewährt“ (Rechenschaftsbericht 1837,
S. 71).
Von 1856 bis 1864 findet sich in den Rechenschaftsberichten eine tabellarische Aufstellung, in der
die Schulen nach einem vierstufigen Qualitätsraster eingeteilt wurden, was gewissermassen eine
frühe Form der Schulbeurteilung durch die Inspektoren darstellte. Keine Aussagen werden jedoch
über die Kriterien gemacht, aufgrund derer die Einteilung vorgenommen worden war. Als Gründe für
eine Verbesserung der Leistungen der einzelnen Schulen wurden seit den 1830er Jahren immer etwa
die gleichen Argumente vorgebracht: „[…] welches erfreuliche Resultat wir dem bessern Schulbesuche, der Ersetzung mancher unfähigen Provisoristen durch definitiv wahlfähige Lehrer, und vor allem
dem durch die Besoldungserhöhung neu belebten Eifer und Fleisse, der erhöhten Berufsfreudigkeit
und Thätigkeit der gesammten Lehrerschaft zu verdanken haben“ (Rechenschaftsbericht 1856, S. 47).
Tabelle 2: Qualität der Schulen nach Bezirken des Kantons Aargau (Rechenschaftsbericht 1856, S. 47)
Bezirk.
Sehr gute.
Gute.
Mittelm.
Schwache.
Total.
Aarau
14
14
15
3
46
Baden
14
28
14
-
56
Bremgarten
17
9
16
3
45
Brugg
11
27
19
3
60
Kulm
7
21
11
5
44
Laufenburg
16
17
3
2
38
Lenzburg
10
17
16
2
45
Muri
7
23
3
1
34
Rheinfelden
13
13
-
-
26
Zofingen
17
24
13
7
61
Zurzach
11
22
10
-
43
137
215
120
26
498
Summa
1860 wurde die Qualitätssteigerung des Unterrichts explizit mit dem neuen didaktischen Ansatz des
Anschauungsunterrichts in Verbindung gebracht, der mehrheitlich von jüngeren, d.h. nach der neuen
seminaristischen Ausbildung geschulten Lehrkräften angewendet wurde:
„Bei dieser günstigen Beurtheilung des Standes der Schulen hat indessen eine billige Berücksichtigung der mancherlei Schwierigkeiten, mit denen die Gemeindeschulen und ihre Lehrer,
namentlich auf dem Lande, jetzt noch vielfach zu kämpfen haben, unstreitig mitgewirkt. […]
Nach einer vergleichbaren Zusammenstellung der Inspektorenberichte zeigen sich nämlich in
den verschiedenen Lehrgegenständen der Gemeindeschule im Allgemeinen folgende Resultate:
Der Anschauungsunterricht wird meistens nur von jüngern Lehrern betrieben. Der Erfolg desselben ist da, wo er in zweckmässiger Verbindung mit Sprach- und Schreibübungen behandelt
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
wird, nicht nur für die Übung der Sinne und für Gewinnung realer Kenntnisse, sondern namentlich auch für die sprachliche Ausbildung, für Richtigkeit und Fertigkeit im mündlichen und
schriftlichen Gedankenausdruck ein sehr günstiger und für die gesammte Geistesentwicklung
der Kinder ein unverkennbar wohltätiger“ (Rechenschaftsbericht 1860, S. 78f.).
Auch nach 1864 war die Qualität der Schule stets ein Thema, das häufig unter den Stichworten Leistungen im Unterricht und Pflichterfüllung abgehandelt wurde. Die Bewertung der einzelnen Schulen
wurde zum Teil nicht mehr so systematisch vorgenommen wie in den Jahren zuvor. Hingegen wurden
einzelne Punkte referiert, wie ein Beispiel zur Pünktlichkeit zeigt:
„[…] dass eine ziemliche Anzahl von Lehrern den Unterricht, namentlich im Winterhalbjahr,
nicht pünktlich zur festgesetzten Stunde beginnen und schliessen. Schon in dieser Beziehung
wie zur genauen Einhaltung des Stundenplans und zur richtigen Vertheilung der Zeit auf die
einzelnen Klassen und Lehrfächer wäre es sehr wünschbar, wenn die Vorschrift der Schulordnung überall befolgt würde, wonach jede Schule mit einer Wanduhr versehen sein soll, für deren Regulirung der Lehrer zu sorgen hat“ (Rechenschaftsbericht 1870, S. 112f.).
1875 wurden explizit die Leistungen der Lehrer bewertet, nämlich 119 mit ‚sehr gut’, 287 mit ‚gut’, 113
mit ‚genügend’ und 1 mit ‚ungenügend’. Der Rechenschaftsbericht vermerkte dazu kritisch: „Selbstverständlich kann eine solche Taxation nur approximativ richtig sein, da abgesehen vom verschiedenen Massstabe der Inspektoren, eine derartige Classifikation auf erhebliche Schwierigkeiten stösst
und zwischen den einzelnen Rubriken ein ziemlich grosser Zwischenraum liegt“ (Rechenschaftsbericht 1875, S. 78).
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde regelmässig über den Stand der Schulen informiert. 1890
vermerkt der Rechenschaftsbericht, dass sich „die Zahl der ‚sehr guten‘ Schulen von 91 auf
108“ erhöht habe. Mittelmässige Schulen wiesen nach wie vor die Bezirke Aarau, Kulm und Zofingen
mit je einer und der Bezirk Brugg mit vier Schulen auf (Rechenschaftsbericht 1890, S. 89). Um 1900
wurden 195 Schulen mit ‚sehr gut‘ taxiert, 347 mit ‚gut‘, 52 Schulen wurden als ‚genügend‘ und 2 als
‚mittelmässig‘ eingestuft (Rechenschaftsbericht 1900, S. 137). Die Qualität der Schulen wurde nach
1915 in den regierungsrätlichen Berichten nicht mehr speziell erwähnt und fand auch keine statistische Ausweisung in Tabellenform mehr. Das Ende einer solchen Kennziffer, wie sie das gesamte
19. Jahrhundert hindurch mit der Qualität der Gemeindeschulen aufgeführt war, kann dahingehend
gedeutet werden, dass von Akteursseite – wobei hier nicht unterschieden werden muss zwischen
Produzenten oder Rezipienten statistischer Daten – kein Interesse an diesen Daten mehr vorhanden
ist. Die Diskussion über die Qualität der Volksschule ist, wie schon erwähnt, mit der Etablierung des
öffentlichen Volksschulwesens verbunden. Die Tatsache, dass die Regierung nach 1910 darüber
nichts mehr berichtet, kann deshalb so verstanden werden, dass das staatliche Angebot „öffentliche
Bildung“ in der Bevölkerung akzeptiert, aber auch in einem ausreichenden Mass durch staatliche
Mittel alimentiert wurde. Von Qualitätssicherung ist im Rechenschaftsbericht erst knapp 90 Jahre
später wieder die Rede. Verschiedene Instrumente der Qualitätssicherung wurden durch das Departement Bildung, Kultur und Sport überprüft: Leistungstests, Lehrplan/Lehrmittel, Übertrittsprüfungen,
geleitete Schule (Rechenschaftsbericht 2003, S. 63). In den zwei darauf folgenden Jahren findet man
unter dem Kapitel „Entwicklung und Qualitätssicherung“ kurze Informationen zu externer Schulevaluation und Leistungstests (z.B. Check 5).
Leistungsmessung als Qualitätssicherung der Volksschule
Stand am Anfang des modernen Volksschulwesens v.a. die Qualität der Einzelschule im Vordergrund,
richtete sich der Fokus je länger je mehr auf die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler. Zu
Beginn war das jährliche Examen am Ende des Schuljahres die relevante Leistungsmessung (vgl.
Schulgesetz 1836, § 27); relevant war dies im Grunde genommen aber nur für diejenigen Schülerin-
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
nen und Schüler, die aus der Schule entlassen werden sollten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden Notensysteme eingeführt und damit ein Instrument zur individuellen Leistungsmessung, das auch
während des Schuljahres angewendet werden konnte. Mit einem Kreisschreiben der Erziehungsdirektion vom 16. April 1889 wurde in der Volksschule eine einheitliche Notengebung mit einer Skala
von 1 bis 5 eingeführt, wobei 1 die beste Note darstellte. Da diese Notengebung nicht mit derjenigen
der höheren Lehranstalten übereinstimmte, die eine Skala von 6 bis 1 (mit 6 als bester Note) kannten,
wurde im Jahr 1900 von einer Schulpflege der Antrag gestellt, die beiden Benotungssysteme im ganzen Kanton zu vereinheitlichen. Dem Gesuch wurde keine Folge geleistet (vgl. Rechenschaftsbericht
1900, S. 129).
Mit den kantonalen und eidgenössischen Rekrutenprüfungen konnten die Leistungen der Volksschule
landesweit und kantonsvergleichend dargestellt werden. Der Kanton Aargau nutzte dieses Instrument
zeitweilig auch als Prüfinstrument bis auf die Gemeindeebene hinunter, indem aufgrund individueller
Ergebnisse Rückschlüsse auf die Schule der Heimatgemeinde gezogen wurden. Eine modernere
Form dieser eidgenössischen Leistungsmessung stellen Tests zur Leistungsmessung wie „Check
5“ dar, mit denen Schulleistungen von Aargauer Schülerinnen und Schülern statistisch erfasst werden.
Ergebnisse aus den Rekrutenprüfungen
Von 1860 bis 1873 wurden die kantonalen Rekrutenprüfungen im Rechenschaftsbericht erwähnt und
mit statistischen Daten dargestellt. Nach 1875 wurden die Rekrutenprüfungen eidgenössisch angeordnet und verloren für den regierungsrätlichen Rechenschaftsbericht an Relevanz. 1864 diskutierte
man den Zusammenhang von Schulabsentismus und den Ergebnissen der jährlichen Rekrutenprüfungen: „[…] indem diejenigen Rekruten, welche sich in den ersten Elementarkenntnissen äusserst
schwach oder auch derselben ganz unkundig zeigen, fast immer die Schule höchst unfleissig und
unregelmässig besucht haben“ (Rechenschaftsbericht 1864, S. 197). Rekruten mit ungenügender
57
Schulbildung wurden zum Besuch der „Strafschule“ abkommandiert, wie der Bericht von 1865 zeigte: „Von 654 eingetheilten Infanterie-Rekruten wurden 73 oder 11,61% zum Besuch der Strafschule
verhalten“ (Rechenschaftsbericht 1865, S. 133). Die Bezirke Kulm (27%), Bremgarten (22%), Zurzach
(11%) und Laufenburg (10%) wiesen die höchsten Anteile an Rekruten mit ungenügenden Elementarkenntnissen auf. Diesem Thema wurde bisweilen viel Raum eingeräumt im Rechenschaftsbericht.
Interessant waren die Gründe, welche die Rekruten für ihre schlechten Leistungen angaben: Es fanden sich sowohl strukturelle als auch persönliche Gründe: Schulversäumnisse oder kein Schulbesuch
(33), sehr schwer gelernt (22), das in der Schule Gelernte nicht mehr geübt und deshalb vergessen
(10), häufiger Lehrerwechsel (2), nicht fleissig gewesen (1) (ebd., S. 134).
Als Lösung dieses Problems wurde die „obligatorische Einführung von Fortbildungsschulen für die
schulentlassene Jugend“ (Rechenschaftsbericht 1870, S. 120) diskutiert, da mit dem Prinzip der
Freiwilligkeit, so der Bericht, nicht die angestrebten Erfolge erzielt wurden, da auch bei grossem
Wohlwollen der Fortbildungsschule gegenüber kein regelmässiger Schulbesuch erreicht werden könne. Besonders von der Landwirtschaftlichen Gesellschaft wurde eine obligatorische Fortbildungsschule gefordert.
Allfällige Rückschlüsse der schlechten Ergebnisse auf die Schule liessen nicht lange auf sich warten.
So findet man im Schulblatt von 1895 neben der Darstellung der Ergebnisse der Rekrutenprüfungen
auch folgende Aussage: „Indem nun aber die Ergebnisse der Rekrutenprüfungen in nackten Zahlen,
bis auf die zweite Dezimalstelle nur sagen, was die Jünglinge nach meistens mehrjähriger Unterbrechung jeder geistigen Arbeit noch wissen und können, und nicht, wie sie die Schule verlassen haben,
57
Der Kanton Aargau führte ab 1859 Rekrutenprüfungen durch und nannte die Kasernenschule für Rekruten mit ungenügenden Leistungen „Strafschule“ (vgl. Lustenberger, 1996).
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
58
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1876
1877
1878
1879
1880
1880
1879
1878
1877
1876
beweist diese Statistik absolut nichts“ (Schulblatt 1895, S. 99). Fünf Jahre später wurde von Seiten
der Lehrerschaft die Diskussion um die Durchführung der Rekrutenprüfungen weiter geführt. Die Lehrerschaft forderte, dass den von weither angereisten Rekruten vor den Prüfungen eine Verpflegung
angeboten werden sollte sowie diese darin zu hindern seien, vor dem Leistungstest im örtlichen Restaurant dem Alkoholkonsum nachzugehen. Zudem wurde ein Ersuchen um Dispensation solcher
Rekruten gestellt, die als „schwachsinnig“ galten und nur ungenügend die Bürgerschule besucht hatten, denn diese Prüfungsergebnisse fielen „schwer“ in die Waagschale (Schulblatt 1900, S. 188).
Im selben Jahr, 1900, informierte der Erziehungsrat im Rechenschaftsbericht über zwei Anfragen, die
vom eidgenössischen Militärdepartement zur Vernehmlassung an die Kantone gelangten. Der Kanton
Appenzell-Innerrhoden forderte eine Leistungsübersicht der Ergebnisse der Rekrutenprüfungen, die
ausschliesslich auf die Leistungen der Primar- oder Volksschule Bezug nehmen, damit die Vergleichbarkeit der Kantone nicht durch Absolventen höherer Bildungsstufen verfälscht würden. Eine solche
Forderung lehnte der Kanton Aargau ab. Die zweite, von Bern gestellte Frage betraf ein Abschlusszeugnis der zuletzt besuchten Schule als amtlicher Ausweis zur Rekrutenaushebung. In dieser Frage
sah der Aargau das Primarschulzeugnis „als genügender Ausweis für den Access zur Rekrutenprüfung“ (Rechenschaftsbericht 1900, S. 127).
Nicht selten wurde von den Lehrpersonen auch nach weiteren Erklärungen gesucht, warum die Resultate in gewissen Bezirken (1905: Freiamt, Bremgarten) so schlecht ausfielen. Im Freiamt und
Bremgarten, so der Tenor, herrsche ein Mangel an Schulfreundlichkeit, eine fehlende innige Beziehung zwischen Schule und Elternhaus, die Schule werde als vom Staat aufgehalste Anstalt wahrgenommen, die Bevölkerung sei widerwillig gegenüber Neuerungen, die Landwirtschaft und StrohinTabelle 3: Kantonaler Vergleich der Rekrutenprüfungsresultate (Schulblatt 1880, o.A.)
dustrie sei im Gegensatz zur
Schule viel wichtiger. Zudem
K a n ton e.
R an g.
N ote.
glaubten die Leute, dass der
Lehrer zu viel Lohn erhalte, und
2
1
1
3
1
Basel
7,3
7,3
6,8
6,8
7,3
5
4
3
4
2
Zürich
7,8
7,3
7,2
8,1
8,1
sie zeigten sich gleichgültig und
3
2
2
1
3
Genf
7,9
6,9
7,2
7,4
8,0
undankbar gegenüber dem
1
3
5
8
4
Thurgau
8,0
8,1
8,1
7,9
7,0
6
6
4
2
5
S chaffhausen
8,0
7,1
7,5
8,2
8,4
Lehrer. Durch die Darstellung
22
20
18
17
6
Glarus
8,9
9,1
9,6
9,6
10,4
der schlechten Ergebnisse in
15
17
13
16
7
Graub ünden
9,3
8,9
9,0
9,3
9,2
9,7
8,5
9,5
9,0
8,6
A ar gau
9
14
17
10
8
den Rekrutenprüfungen wurde
11
9
16
18
9
S t. Gallen
9,7
9,2
9,4
8,5
8,8
versucht, auf gesellschaftliche
16
11
9
6
10 O b walden
9,7
7,9
8,5
8,8
9,2
4
5
6
5
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9,8
7,3
8,2
8,2
8,0
und soziale Missstände im Kan10
13
14
11
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9,8
8,6
9,2
9,0
8,7
ton aufmerksam zu machen.
12
8
8
7
13 Zug
10,0
8,1
8,4
8,4
8,9
14
12
20
22
14 Appenzell A. Rh.
10,1
10,2
10 ,0
8,9
9,2
Der Kanton hingegen reagierte
7
7
7
12
15 S olothurn
10,3
8,7
8,3
8,4
8,4
damit, dass bei schlechten Ge13
16
10
14
16 Baselland
10,3
8,7
8,5
9,1
9,0
21
18
15
15
17 Bern
10,9
8,7
9,3
9,4
10,2
meinden
eine
„Spezial8
10
12
9
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17
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21
20
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20
19
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10,1
(Schulblatt 1905, S. 135). 1905
18
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22
24
21 Freib urg
12,0
10,9
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9,9
figurierten im Kanton Aargau
23
15
19
13
22 Nidwalden
12,2
8,7
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9,0
10,7
25
25
24
23
23 W allis
12,4
10,5
11 ,5
12,6
12,5
immer noch 5 Prozent der Rek19
24
23
21
24 U ri
13,4
10,1
11 ,5
12,5
10,0
ruten in der Kategorie „sehr
24
23
25
25
25 Appenzell I. Rh.
13,7
11,7
11 ,8
11,7
12,4
S chweiz
10,0
8,6
8,9
9,0
9,0
schlechte Gesamtleistungen“.
83 Rekruten erreichten in den Prüfungen in einem oder mehreren Fächern nur die ungenügenden
58
Noten 4 oder 5.
Die Erziehungsdirektion verlangte von den Inspektoren aufgrund der persönlichen Daten der Rekruten, dass
1 = beste Note; 6 = schlechteste Note.
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
sie sich „bei den jeweiligen Gemeinden anlässlich von Schulbesuchen […] nach den Ursachen erkundigen, welche zu den schwachen Prüfungsleistungen beigetragen haben“ (Rechenschaftsbericht
1905, S. 406).
Im Schulblatt wurde die Diskussion um die Weiterführung dieser Rekrutenprüfungen respektive um
die Art und Weise, wie die Ergebnisse veröffentlich werden sollten, weitergeführt, und es wurde kritisiert, dass die Ergebnisse der Rekrutenprüfungen als Gradmesser für die Leistung der Volksschule
interpretiert würden. Vermehrt stand die Aussagekraft solcher Leistungsvergleiche im Fokus der Autoren des Schulblattes. Aufgrund der Kriegsmobilmachung im August 1914 sowie aufgrund vielseitiger Kritik nicht nur aus den Kreisen der Pädagogik und der Erziehungsdirektorenkonferenz sondern
auch von Seiten des Militärs wurden die Rekrutenprüfungen abrupt ausgesetzt. Nach dem Ersten
Weltkrieg wurde die Wiederaufnahme der Rekrutenprüfung diskutiert. Die Lehrerschaft war sich einig,
dass diese Prüfungen nur unter bestimmten Bedingungen wieder eingeführt werden können: „Die
Prüfung habe sich dem Bildungsstand anzupassen, den ein ordentlich begabter Mann durch den
Besuch der Primarschule und der Fortbildungsschule, sowie auch durch das praktische Leben und
eigene Strebsamkeit erreichen kann. […] Bei der Durchführung der Rekrutenprüfung ist alles zu vermeiden, was die freie Entwicklung der Primar- und Fortbildungsschulen in den Kantonen irgendwie
hemmen oder ihre geistige Eigenart und die Berücksichtigung der besonderen kantonalen Bedürfnisse beeinträchtigen könnte“ (Schulblatt 1924, S. 171). 1940 hatte sich das Blatt gewendet, und die
Lehrerschaft war zur Überzeugung gelangt, dass eine definitive Einführung der Rekrutenprüfungen
sinnvoll sei. Vier Jahre später wurde in einem Bericht dargelegt, dass sich das Militär immer noch
erhoffte, dass die pädagogischen Rekrutenprüfungen Rückwirkungen auf die vorangehenden Schulen hatten. Nach 1955 verschwand das Thema aus dem Schulblatt der Kantone Aargau und Solothurn.
Leistungsmessung „Check 5“
2004 wurde im Schulblatt das erste Mal ein Artikel veröffentlich zum Leistungsmessungstest „Check
5“. Das Departement Bildung, Kultur und Sport berichtete darüber, dass der Test freiwillig sei und zu
Anfang der 5. Klasse von den Lehrpersonen mit ihren Klasse durchgeführt werden soll. Es folgten
über das Jahr verteilt Informationen über den „Check 5“, über die Anmeldung sowie über die Ergebnisse des Leistungstests. Ein Jahr später, 2005, wurde berichtet, dass es nun nicht mehr nur einer
Auswahl von Klassen möglich ist, am „Check 5“ teilzunehmen, sondern, dass nun alle fünften Klassen des Kantons Aargau die Möglichkeit hätten, ihre schulischen Leistungen zu messen. Zudem folgten die ausführlichen Ergebnisse der ersten Erhebung in der 14. Ausgabe des Schulblattes 2005.
Auch in den darauf folgenden Jahren wurde mindestens ein Artikel pro Jahr „Check 5“ gewidmet,
immer vom Departement für Bildung, Kultur und Sport des Kantons Aargau verfasst. Unter dem Titel
Entwicklung und Qualitätssicherung erschien der Leistungstest „Check 5“ erstmals auch im Rechenschaftsbericht von 2004 und letztmals ein Jahr später. Entsprechende Statistiken wurden jedoch nicht
59
abgebildet, sondern separat veröffentlicht.
4.2 Differenzierung des Schulwesens
Im Gesetz über die Entwicklung des gesamten Schulwesens im Kanton Aargau von 1835 wurden
folgende fünf Schultypen angeordnet: Gemeindeschulen, Bezirksschulen, eine Kantonsschule, ein
59
https://www.ag.ch/de/bks/kindergarten_volksschule/leistungsbeurteilung_uebertritte/leistungstests/leistungstests.jsp [Zugriff
am 5.10.2013].
Seite 52
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Schullehrerseminar und besondere Unterrichtsanstalten für die weibliche Jugend. Diese Strukturen
finden sich auch in den regierungsrätlichen Rechenschaftsberichten wieder. Über die Jahre erlebte
das Schulsystem eine zunehmende Differenzierung, die sich sowohl in den Gesetzen als auch in den
Rechenschaftsberichten niederschlägt.
Im Folgenden werden die Einrichtung neuer Schultypen sowie deren Abbildung mittels statistischer
Daten dargestellt. Neben der für den Aargau speziellen Situation der konfessionellen Parität geht es
hier auch um die Verlängerung der obligatorischen Schulzeit und um die Herausbildung einer leistungsdifferenzierten Oberstufe (Fabrikschulen, Bezirksschulen, Fortbildungsschulen, Sekundarschulen). Daneben wird die Einführung zusätzlicher geschlechter- oder altersspezifischer Bildungsangebote wie die Mädchenhandarbeit, der hauswirtschaftliche Unterricht oder die Knabenhandarbeit, die
Bürgerliche Fortbildungsschule für junge Männer, die Hilfsklassen und die vorschulische Erziehung
(Kleinkinderschulen/Kindergarten) rekonstruiert.
Konfessionelle Schulen / Jüdische Schulen
Im Rechenschaftsbericht von 1875 ist zu lesen, dass „die Zahl der confessionell getrennten Schulen
sich im Berichtsjahr nicht vermindert [hat]; die längst angestrebte Verschmelzung muss sehr vorsichtig behandelt werden, ist aber jetzt in einem Stadium angelangt, in welchem die Frage ihrer endlichen
Erledigung entgegengeht“ (Rechenschaftsbericht 1875, S. 75). 1895 vermerkt der Rechenschaftsbericht die Zusammenlegung von konfessionellen Schulen, nicht nur von christlich und israelitischen,
sondern auch von katholischen und reformierten Schulen. Schwierigkeiten seien wenige aufgetreten,
nur in Endigen und Würenlos waren noch Lohn- oder Baufragen hängig und damit die Zusammenlegung verzögert. „Nach Erledigung dieser einzig noch hängigen Fragen sind dann alle konfessionell
getrennte in simultane Primarschulen verschmolzen, und ist damit eine seit Jahrzehnten anhängige
Streitfrage im Schulwesen beseitigt“ (Rechenschaftsbericht 1895, S. 88). Der vom Verfasser verwendete Begriff „Streitfrage“ für die Thematik der konfessionellen Schulen resp. deren Aufhebung erscheint nach der Analyse der Rechenschaftsberichte ein zu starker Begriff zu sein. Nie wurden in
diesen Berichten irgendwelche grösseren Probleme in Bezug auf die konfessionellen Schulen thematisiert. Dass per 1895 die konfessionellen Schulen im Kanton Aargau aufgehoben wurden, kann als
deutliches Zeichen gewertet werden, dass die Kulturkampf-Debatte an Relevanz verloren hatte.
Gleichzeitig bedeutet diese Entwicklung auch eine deutliche Stärkung des Staates – war doch die
säkulare allgemeine Volksschule ein wichtiges Aushängeschild für die Staatsmacht des
19. Jahrhunderts.
Noch im frühen 19. Jahrhundert verzeichnete der Kanton Aargau – als einziger Kanton der Schweiz –
auf seinem Kantonsgebiet in den Dörfern Endingen und Lengnau zwei jüdische Gemeinden, die auch
eigene („israelitische“) Volksschulen unterhielten. Diese Schulen waren verpflichtet, wie alle anderen
auch, sich an den kantonalen Gesetzen, Vorgaben, Lehrplänen und Lehrmitteln zu orientieren (vgl.
Schulgesetz 1835, § 77). Laut den Rechenschaftsberichten gab es dabei keine grösseren Probleme:
„Die beiden israelitischen Schulen sind, weil nach den allgemeinen Vorschriften eingerichtet, schon
unter den öffentlichen Schulen mitgerechnet, und haben ihren alten Ruhm bewahrt. Die Erscheinung
einer besonderen Privat-Talmudschule dürfte wohl nur vorübergehend seyn“ (Rechenschaftsbericht
1844, S. 36). Auch diese Mitteilung aus dem Rechenschaftsbericht soll den aufgeschlossenen Umgang der Volksschule mit religiösen Bedürfnissen illustrieren:
„Ein von den israelischen Kirchenpflegen durch’s Rabbinat eingereichtes Gesuch betreffend
Dispensirung der israelitischen Schüler von Zeichnen und Schreiben am Sabbath wurde, um
ängstliche Eltern von einem Gewissenszwange zu befreien und im Hinblick auf die daherige
Praxis in den fortgeschrittensten deutschen Staaten mit blühenden Schulwesen, wonach ‚gegen den Willen ihrer Eltern oder Fürsorger kein Schüler zum Schreiben, Zeichnen oder zur Fer-
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
tigung von Handarbeiten an Sabbathen und andern Festen verhalten werden darf’, in entgegenkommendem Sinne erledigt“ (Rechenschaftsbericht 1886, S. 69).
Fabrikschulen
Hingegen generell als problematisch wurden die Fabrikschulen eingeschätzt, die eigentlich als Fortbildungsschulen für schulentlassene Jugendliche gedacht waren. Ihre Leistungen wurden in der Regel als mässig bis ungenügend bewertet. Da aber vor der Einführung des Eidgenössischen Fabrikgesetzes von 1877 immer wieder auch jüngere Kinder in den Fabriken beschäftigt wurden, kam als weiteres Problem die Beschulung von so genannten Alltagsschülern hinzu, d.h. von Kindern, die eigentlich noch die öffentliche Alltagsschule besuchen müssten (Brian Scherer, 2001). Die Kinderarbeit als
Teil der sozialen Frage tauchte im Zusammenhang mit dem Schulwesen deshalb auch in den Rechenschaftsberichten des Regierungsrats auf: „Dem unerlaubten Fabrikbesuch von Alltagsschülern
wird wohl nur durch das Gesetz nachhaltig gesteuert werden können“ (Rechenschaftsbericht 1844, S.
36). Das Problem der Fabrikschulen löste sich mit der Zeit von selbst, da sich die Zahl dieser Schulen
stetig verringerte, 1850 wurden nur noch drei Fabrikschulen erwähnt. Nichtsdestotrotz wurde „ein
Fabrikpolizeigesetz […] nicht allein der Schulbeziehungen wegen als ein fortwährendes Bedürfnis
bezeichnet“ (Rechenschaftsbericht 1850, S. 27). Nach 1854 fanden die Fabrikschulen keinen Eingang mehr in die Rechenschaftsberichte.
Fortbildungsschulen, Bezirksschulen, Sekundarschulen, Realschulen
Die Erweiterung der obligatorischen Schulpflicht und damit verbunden die Ausbildung einer leistungsdifferenzierten Oberstufe waren zentrale Errungenschaften der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Mit dem Schulgesetz von 1865 wurde der obligatorische Besuch der Primaroberstufe (7. und
8. Klasse) eingeführt. Die Primaroberstufe stellte so eine Alternative dar zur schon bestehenden Bezirksschule. Gleichwohl muss angenommen werden, dass diese beiden Schultypen bis weit ins 20.
Jahrhundert stark schichtspezifisch ausgerichtet blieben – was die Schüler- und Klassenzahlen auch
illustrieren (siehe Abbildung 3 und Abbildung 5). Diente die Primaroberstufe weitgehend der Repetition des Primarschulstoffes, so war die mit dem Schulgesetz von 1835 installierte Bezirksschule auf
den späteren Besuch des Gymnasiums oder der Gewerbeschule ausgerichtet. Die Bezirksschulen
wurden seit den 1840er Jahren in den Rechenschaftsberichten relativ detailliert statistisch erfasst
(siehe Kapitel 4.1). Sie erscheinen als unproblematischen Schultypus mit einem klaren Bildungsauftrag, der im untersuchten Zeitraum nicht in Frage gestellt wurde.
Die Rechenschaftsberichte erfassten seit dem Amtsjahr 1878 die Fortbildungsschulen statistisch.
Diese wurden ab 1929 als Fortbildungs-(Sekundar)Schulen und ab 1933 nur noch als Sekundarschulen bezeichnet. Während dieser Jahrzehnte mutierte ein in seinen Ausprägungen ziemlich heterogener Schultypus (Fortbildungsschule) zu einem intermediären Leitungszug der Oberstufe (Sekundarschule), eingegliedert zwischen Primaroberstufe und Bezirksschule. Mit dem Schulgesetz von 1940
wurde die dreijährige Sekundarschule eingeführt und damit die Fortbildungsschule ersetzt (Schulgesetz 1940, § 22). Das Schulgesetz normierte in diesem Fall eine Praxis, die sich über eine Dekade
früher schon etabliert hatte. Dass der Auftrag der Fortbildungsschule nicht immer eindeutig war und
dieser Schultyp deshalb auch als problematisch bewertet wurde, mögen zwei Auszüge verdeutlichen:
„Im Allgemeinen erfüllen die Fortbildungsschulen den ihnen vom Schulgesetzte bestimmten
Zweck darin, dass sie eine höhere Volksschulbildung auch in solchen Gemeinden fördern, welche für die Errichtung von Bezirksschulen nicht die erforderlichen Geldmittel besitzen“ (Rechenschaftsbericht 1870, S. 116).
1905 thematisierte der Rechenschaftsbericht den geringen Besuch der dreiklassigen Fortbildungsschulen:
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
„[…] daraus muss geschlossen werden, dass von denjenigen Schülern, welche erst nach Absolvierung der VI. Gemeindschulklasse in die Fortbildungsschule eintreten, nach Beendigung
ihrer Schulpflichtigkeit nur wenige die III. Klasse der Fortbildungsschule besuchen. Aus der geringen Frequenz dieser Klasse ergibt sich des fernern, dass der Eintritt in die Fortbildungsschule nicht überall gemäss § 54a des Gesetzes nach bestandener Aufnahmeprüfung aus der absolvierten V. Gemeindeschulklasse erfolgt“ (Rechenschaftsbericht 1905, S. 435).
Dieses Zitat macht deutlich, dass sich der Charakter dieses Schultyps dahingehend veränderte, dass
die Aufnahme mit einer Selektion verbunden war und nicht mehr wie früher allen Jugendlichen offenstand. Mit dem Schulgesetz von 1981 wurde aus der Primaroberstufe (6.-9. Schuljahr) die Realschule.
Gemäss § 25 vermittelt die Realschule „eine breite Grundausbildung und schafft durch ein differenzierendes Unterrichtsangebot die Voraussetzungen für eine berufliche Ausbildung“ (Schulgesetz
1981).
Bürgerliche Fortbildungsschulen / Bürgerschulen
Die Bürgerschulen für die männliche Jugend entstanden als geschlechtspezifisches Bildungsangebot
mit dem Ziel, den zukünftigen Rekruten genügende Kenntnisse in den primären Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen sowie in Vaterlandskunde zu vermitteln. Der Unterricht hatte weiter eine
identitätsbildende Absicht und umfasste Schweizer- und Kantonsgeschichte, Geographie, Staats- und
Verfassungskunde. In den 1880er Jahren stieg die Anzahl der bürgerlichen Fortbildungsschulen,
nachdem die Verfassung 1885 den Gemeinden die obligatorische Einführung gestattete, so beispielsweise 1886 um 81 neue Schulen auf eine Gesamtzahl von 130 Fortbildungsschulen im Kanton.
1886 kam erstmals ein neu erlassener Lehrplan zum Einsatz. Unterrichtsfächer waren Lesen, Aufsatz,
Rechnen, Vaterlands- und Verfassungskunde. Auch diese Schulen wurden bewertet: „Der Stand der
Schulen variiert punkto Gesammtleistungen in den Noten von ungenügend bis sehr gut, als befriedigend wird die Mehrzahl der Schulen taxiert“ (Rechenschaftsbericht 1886, S. 87). 1894 wurden die
bürgerlichen Fortbildungsschulen obligatorisch eingeführt (Bürgerschulgesetz vom 28. November
1894). Der Rechenschaftsbericht enthält 1895 eine ausführliche Darstellung zu dieser Schulform,
nennt aber auch hier gewisse unterschiedliche Ausführungen als problematisch. So waren weder die
Aufteilung „in 3 Fähigkeitsklassen“ noch eine „Unterrichtszersplitterung an verschiedene Lehrkräfte“ im Sinne der Regierung; als Kuriosum erwähnt wurde der stets wechselnde Schulort einer Bürgerschule für vier Gemeinden. „Wenn irgendwo Unterrichtskonzentration und einheitliche Leitung angezeigt ist, so ist das bei einer Schule der Fall, an der wöchentlich nur 4 Unterrichtsstunden erteil werden müssen“ (Rechenschaftsbericht 1895, S. 98). Die bürgerliche Fortbildungsschule bzw. die Bürgerschule verschwand nach 1941 aus der Berichterstattung der kantonalen Rechenschaftsberichte.
Hilfsschulen und Kleinklassen
Bereits während der Kriegsjahre 1914/15 bemerkte der Kanton Aargau, dass sich im Vergleich mit
andern Kantonen die Spezialklassen für Schwachbegabte noch nicht durchsetzen konnten. Als erstes
wurde der Schulpflege Baden der Betrieb einer solchen Klasse genehmigt. Die Grundsätze und Wegleitungen hatten vorerst nur provisorischen Charakter, sollten aber später als Norm für andere Klassen angenommen werden (Rechenschaftsbericht 1915, S. 253). Wurden diese Klassen anfangs als
Spezialklassen bezeichnet, wechselte der Name später über Förderklasse zu Hilfsklasse und in den
1980er Jahren zu Kleinklasse. Bis zum Rechenschaftsbericht von 1966 wurden die Hilfsschulabteilungen resp. die Förderschulen innerhalb der Primarschulstatistik geführt, jedoch seit 1950 zusätzlich
ausgewiesen. Ab 1967 wurden die statistischen Daten der Hilfsschulen in einer separaten Tabelle
abgebildet.
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Der Erziehungsrat gab 1959 Richtlinien zur Führung von Hilfsschulen heraus. Auffällig war, dass der
durchschnittliche Schülerbestand pro Abteilung der Hilfsschulen durchgehend unter der durchschnittlichen Klassengrösse von Primarschulen lag, so waren es 1965 in den Hilfsschulen durchschnittlich
15.8 Schülerinnen und Schüler, in den Primarschulen 35.6, 2008 waren es 8.6 Schülerinnen und
Schüler in der Kleinklasse und 19.5 in der Primarschule. Das Angebot an Hilfsschulen in den einzelnen Gemeinden variierte stark nach Bezirken. Wie aus einer Abbildung aus dem Rechenschaftsbericht 1967 hervorgeht, führte Baden nicht weniger als 22 Hilfsklassen, der Bezirk Muri beispielsweise
aber nur deren vier. 18 Jahre lange wurde die Statistik auf Ebene der einzelnen Bezirke geführt. Im
Schulgesetz von 1981 fanden die Hilfs- resp. Kleinklassen eine rechtliche Legitimation: „Für Schüler,
die infolge von Lernbehinderungen, Sprachschwierigkeiten oder mangelnder Schulreife dem Unterricht nicht zu folgen vermögen, sind Kleinklassen zu bilden“ (§ 15).
Kleinklassen werden von der 1. bis 9. Klasse der Volksschule angeboten und sind explizit von den in
§ 28 geregelten Sonderschulen abzugrenzen (siehe Kapitel 5.7). In den Rechenschaftsberichten findet man die Daten über Anzahl Gemeinden, Anzahl Abteilungen, Anzahl Schülerinnen und Anzahl
Schüler bis und mit 1983 unter dem Begriff Hilfsschulen, anschliessend unter Kleinklassen. Seit 1984
werden die Zahlen nicht mehr in den Rechenschaftsberichten, sondern in der kantonalen Schulstatis60
tik weitergeführt. Die maximale Zahl an Schülerinnen und Schüler, welche in Hilfs- resp. Kleinklassen unterrichtet wurden, wurde 1975 mit 2307 Schülerinnen und Schüler erreicht (siehe Abbildung 6:
Anzahl Hilfsschüler des Kantons Aargau).
Hilfsschüler
2500
2000
1500
1000
500
0
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
Hilfsschüler
Abbildung 6: Anzahl Hilfsschüler des Kantons Aargau61
Seit den Anfängen der Erhebung 1950 sind Knaben gegenüber Mädchen in den Hilfsschulen resp.
Kleinklassen immer in der Überzahl. Waren 1950 noch 1.5 Mal mehr Knaben in den Hilfsklassen,
60
Da der Erhebungszeitpunkt in den Rechenschaftsberichten Mai, in der Schulstatistik November war, sind die Zahlen nicht
identisch. Am Beispiel der Schülerzahlen der Kleinklassen unterscheiden sie sich 1985 beispielsweise um vier Schülerinnen und
Schüler.
61
Zahlen von 1950 bis 1985 stammen aus den Rechenschaftsberichten, nach 1985 aus der Schulstatistik Aargau 2008
https://www.ag.ch/de/dfr/statistik/bestellen/statistikthemen/bildung___wissenschaft_2/bildung___wissenschaft.jsp# [Zugriff am
8.10.2013].
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
waren es 1970 knapp 1.4 Mal und 2008 2.2 Mal mehr. Wurden in den ersten Erhebungen die Daten
auf Bezirksebene dargestellt, sind aus den neuen Schulstatistiken sogar die Informationen auf Gemeindeebene zugänglich. Die Schwankungen der Schülerzahlen lassen sich sicherlich zum einen auf
die stetige Erhöhung der allgemeinen Schülerzahlen zwischen 1950 und 1970 resp. auf einen Rückgang nach 1975 zurückführen. Zum anderen lässt der Anstieg in den 1990er Jahren vermuten, dass
während der Migrationswelle aus Ex-Jugoslawien viele Knaben in Kleinklassen separiert wurden und
die Zahlen vorwiegend deswegen, und nicht primär aufgrund der zunehmenden Schülerzahlen, stiegen (vgl. Abbildung 3). Dies bestätigt die prozentuale Verteilung auf die einzelnen Schultypen (2008:
63.8% Ausländer in den Kleinklassen).
Weibliche Arbeitsschulen / Handarbeitsunterricht für Mädchen
Der Handarbeitsunterricht für Mädchen sollte die Mädchen schon im Primarschulalter in Nähen, Stricken und Ausbessern von Kleidungsstücken, aber auch in allgemeine weibliche Hausarbeiten einführen. Damit wurde nicht nur ein Beitrag geleistet, Mädchen auf ihren zukünftigen (dreifachen) Beruf als
Ehefrau, Hausfrau und Mutter vorzubereiten. Ziel dieses Unterrichts war auch, konkretes Wissen und
Fertigkeiten zu vermitteln, damit junge Frauen später einen eigenen Hausstand führen können. Damit
sollte auch dem Pauperismus entgegengewirkt werden. Der Unterricht wurde mit dem Schulgesetz
von 1835 eingeführt und fand jeweils während des Winterhalbjahrs (§ 181–186) statt. In mittelfristiger
Zukunft wurde die Möglichkeit eines „besonderen Seminars zur Bildung von Lehrerinnen“ in Betracht
gezogen, „sobald die Kräfte des Staates es gestatten, und es das öffentliche Bedürfnis der Schulen
erheischt“ (§ 184).
„Die Leistungen der Arbeitsschulen sind der Art, dass sie immer mehr befriedigen. Allerwärts
vernimmt man, dass dieselben von Jahr zu Jahr mehr Billigung, Theilnahme, Lob und Unterstützung finden, dass frühere Abneigung und späteres Widerstreben sich in Wohlwollen und
Zuneigung umgewandelt haben. Zur Einführung derselben, auch da, wo lange gezögert wurde,
sind – mit Ausnahme eines einzigen Gemeinderaths (von Effingen), der die Arbeitsschule eigenmächtig geschlossen hatte, und nur auf exekutorischem Wege zu ihrer Wiedereröffnung
verhalten werden konnte – keine Gewaltsmittel angewendet worden“ (Rechenschaftsbericht
1840, S. 112f.).
Im Bericht von 1860 findet sich über gut zwei Seiten eine detaillierte Aufstellung über die Situation
dieses Unterrichts, was erklärt werden kann durch die Gründung eines Instituts für BezirksOberlehrerinnen und Oberaufseherinnen für weibliche Handarbeiten. Es ist zu lesen, dass das Angebot an Unterricht in weiblichen Handarbeiten auf grosse Zustimmung und grosses Interesse stosse,
wie neu eröffnete Klassen oder die Ausdehnung des Unterrichts auch auf das Sommerhalbjahr zeigen. Das Fach kämpfte aber zum einen mit pädagogisch, methodisch und didaktisch ungenügend
ausgebildetem Personal: „Sehr vielen Lehrerinnen fehlt es nicht an der nöthigen Fertigkeit in den
weiblichen Handarbeiten, wohl aber an der rechten Lehrweise, an Mittheilungsgabe, an pädagogischer oder allgemeiner Schulbildung.“ Zum andern fehlte diesem Fach eine gewisse Systematisierung und ein sachlogischer Aufbau: „Der Mangel an einem vom Leichteren zum Schwereren methodisch fortschreitenden Unterrichtsgange. Die Kinder bringen aus dem Elternhause mit, was gerade
der Ausbesserung oder Anfertigung bedarf, und die Lehrerinnen nehmen solche Arbeiten an, ohne
darauf zu sehen, ob sie auch den Kräften der Kinder entsprechen.“ Als dritte Erschwernis wurde häufig auch der Mangel an Unterrichtsmaterialien (Stoff, Wolle) und -geräten geschildert (zum Beispiel:
Rechenschaftsbericht 1860, S. 83ff.).
Dreissig Jahre nach der gesetzlichen Institutionalisierung der Arbeitsschule hatte sich dieser Mädchenhandarbeitsunterricht etabliert. Im Rechenschaftsbericht anfänglich noch unter „Besondere
Schulen“ aufgeführt, wurde den „Arbeitsschulen“ seit den 1850er Jahren ein eigener Abschnitt einge-
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
richtet. Es finden sich detaillierte Daten zu den Schülerinnenzahlen sowie zum Zuwachs gegenüber
dem Vorjahr. Diese statistischen Angaben wurden ergänzt durch eine minutiöse Auflistungen, welche
und wie viele Arbeiten pro Kind angefertigt worden waren:
„Von denselben wurden im Ganzen 148‘407 verschiedene Arbeiten angefertigt, nämlich 23‘079
neue und 29‘601 angestrickte Strümpfe, 13‘249 neue und 19‘319 geflickte Hemden, 29‘849 gesäumte Stücke und 33‘310 andere Arbeiten. Durchschnittlich fallen auf ein Kind, wie in früheren
Jahren, 12 bis 13 Arbeiten“ (Rechenschaftsbericht, 1870, S. 117).
Auch diese Klassen wurden – wie die GeTabelle 4: Anzahl Schülerinnen, Abteilungen und Lehrerinnen der
meindeschulen – nach ihrer Qualität beweiblichen Arbeitsschulen (Mädchen Handarbeitsunterricht)
notet und einer vierstufigen Bewertung
unterzogen. Mit Zufriedenheit wurde verJahr
Schülerinnen
Abteilungen
Lehrerinnen
meldet, dass sechs Siebtel dieser Klassen
1855
9792
272
272
als sehr gut bis gut eingestuft wurden,
1865
10907
542
284
was man der inzwischen installierten Aus1875
12944
590
289
und Weiterbildung der Lehrerinnen am
1885
12515
600
296
„Institut für Oberlehrerinnen“ (Aarau) zu1895
12225
637
279
schrieb. Seit 1880 wurden an der Höheren
1905
12854
668
271
1915
15446
772
272
Töchterschule in Aarau Kurse in weibli1925
15113
789
277
chen Handarbeiten angeboten; die Grün1935
15077
812
263
dung eines eigenen Handarbeitslehrerin1945
13748
793
245
nen-Seminars jedoch scheiterte wegen
1955
16391
863
284
grundlegender Differenzen bezüglich der
1965
18738
1107
314
(gemeinsamen) Ausbildung von zukünfti1975
24186
1564
388
gen Lehrern und Lehrerinnen gemäss
1980
22917
1580
402
dem Wettinger Modell (vgl. Kretz, 1994). Die statistischen Daten dieser Jahrzehnte geben sehr detailliert Auskunft über den Zivilstand der Lehrerinnen (unverheiratet, verheiratet, verwitwet) und über den
Ausbildungsstand. Es wird vermutet, dass provisorisch angestellte Lehrerinnen nicht über die nötigen
Kurse verfügten. Die Arbeitsschullokale wurden vielfach als ungenügend und in „höchst mangelhaftem Zustande“ taxiert (Rechenschaftsbericht 1875, S. 80f.). Die Qualität der Schulen stieg aber zunehmend. Dies sei das Resultat „einer ausgeprägten methodischen Fachbildung durch die Bildungskurse, die Weiterbildungskurse und die Bezirkskonferenzen“ so im Rechenschaftsbericht von 1915 (S.
264). Nur zwei Schulen wurden mit genügend beurteilt, die anderen als gut oder sehr gut bezeichnet.
Die stetig wachsenden Zahlen bezeugen den Erfolgskurs der Mädchenhandarbeitsschulen bis in die
1920er Jahre (siehe Tabelle 4: Anzahl Schülerinnen, Abteilungen und Lehrerinnen der
weiblichen Arbeitsschulen (Mädchen Handarbeitsunterricht)
Dennoch kam vermehrt die Forderung auf, mit der Reduktion von Arbeitsschulabteilungen Kosten zu
sparen, da in vielen Abteilungen die Mindestschülerinnenzahl deutlich unterschritten wurden (siehe
Kapitel 4.1). Offensichtlich blieb es nicht nur bei der Forderung: Zwischenzeitlich wurden knapp 500
Abteilungen gestrichen wie die Zahlen der Jahre 1920 und 1925 belegen (1920: 913 Abteilungen,
15'608 Schülerinnen; 1925: 789 Abteilungen, 15'113 Schülerinnen). In einem weiteren Schritt wollte
man die Zahl der Arbeitslehrerinnen reduzieren, indem die Schulen vermehrt die Möglichkeit schaffen
sollten, den Lehrerinnen ein Vollpensum zu ermöglichen und dadurch alle Klassen in einer Schule
unterrichten und nicht wie bis anhin – aus organisatorischen Gründen (Stundenplan) – nur eine Abteilung. Die separierte Arbeitsschule für Mädchen wurde zunehmend ins Unterrichtssystem der jeweiligen Stufe integriert. Das Schulgesetz von 1940 hielt diese Entwicklung rechtlich fest (§ 49–53). In
den Rechenschaftsberichten wurde die Statistik über Anzahl Abteilungen, Schülerinnen und Lehre-
Seite 58
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
rinnen weiterhin geführt, ihre Bedeutung nahm aber ab. Parallel dazu kam der Hauswirtschaftsunterricht für Mädchen auf und wurde ebenso wie der Arbeitsschulunterricht tabellarisch ausgewiesen.
Hauswirtschaftsunterricht
Seit 1902 wurden in Aarau weibliche Fortbildungskurse eingeführt, aus denen das Hauswirtschafts62
lehrerinnen-Seminar entstand. Hauswirtschaftliche Bildungskurse für Volksschullehrerinnen wurden
in den Rechenschaftsberichten ab 1908 erwähnt. 1906 stellte der Erziehungsrat Reglement und
Lehrplan auf für diese 20 Wochen
Tabelle 5: Anzahl Schülerinnen, Abteilungen und Lehrerinnen des Hauswirtschaftsunterrichts
dauernden Fortbildungskurse. Hauswirtschaftsunterricht
konnte von den
Jahr
Schülerinnen
Abteilungen
Lehrerinnen
Gemeinden für die Mädchen obli1945
2668
242
69 (84)
gatorisch oder freiwillig angeboten
1950
2812
252
74 (92)
werden. Seit 1919 wurden Staatssub1955
3407
290
71 (102)
ventionen ebenfalls für den Hauswirt1960
4433
358
74 (119)
1965
4656
383
68 (105)
schaftsunterricht
gesprochen.
Im
1970
5017
424
84 (108)
Schulgesetz von 1940 wurde der
1975
7367
636
117 (158)
hauswirtschaftliche Unterricht für Mäd1980
8689
757
151 (169)
Mädchen erstmals als obligatorisches
Unterrichtsfach erwähnt (§ 25). Er gehörte an Gemeinde-, Sekundar- und Bezirksschulen zu den
Pflichtfächern für Mädchen. Ab 1945 wurden in den Rechenschaftsberichten folgende Kennzahlen
tabellarisch ausgewiesen – gemeinsam mit der Arbeitsschule und der Fortbildungsschule für Mädchen: Anzahl Schülerinnen, Anzahl Abteilungen (freiwilliger oder obligatorischer Unterricht), Lehrerin63
nen (Lehrerinnenstellen) und ab 1945 die Patentierungen (Wahlfähigkeit) der Hauswirtschaftslehrerinnen. Bis 1979 wurden Daten zum hauswirtschaftlichen Unterricht an der Volksschule und zur Fortbildungsschule für Mädchen erhoben (siehe Seit 1902 wurden in Aarau weibliche Fortbildungskurse
eingeführt, aus denen das Hauswirtschaftslehrerinnen-Seminar entstand. Hauswirtschaftliche Bildungskurse für Volksschullehrerinnen wurden in den Rechenschaftsberichten ab 1908 erwähnt. 1906
stellte der Erziehungsrat Reglement und Lehrplan auf für diese 20 Wochen dauernden Fortbildungskurse. Hauswirtschaftsunterricht konnte von den Gemeinden für die Mädchen obligatorisch oder freiwillig angeboten werden. Seit 1919 wurden Staatssubventionen ebenfalls für den Hauswirtschaftsunterricht gesprochen. Im Schulgesetz von 1940 wurde der hauswirtschaftliche Unterricht für Mädchen
erstmals als obligatorisches Unterrichtsfach erwähnt (§ 25). Er gehörte an Gemeinde-, Sekundar- und
Bezirksschulen zu den Pflichtfächern für Mädchen.
Knabenhandarbeitsunterricht
Der in der Anfangsphase nur im Winterhalbjahr stattfindende, aber obligatorische Handarbeitsunterricht innerhalb der Gemeindeschule stand lange nur den Mädchen offen. Der fehlende handwerkliche
Unterricht für die männliche Jugend wurde in verchiedenen Kantonen in der Folge der Weltwirtschaftskrise um 1880 zu einem Politikum und führte letztlich zum Angebot eines Knabenhandarbeitsunterrichts. Die Arbeitsschule für Mädchen galt den Verfechtern des Knabenhandarbeitsunterrichts
als Vorbild bei dessen schrittweisen Einführung.
62
Zu Beginn der 1960er Jahre übersiedelte das Seminar nach Brugg an die kantonale Frauenschule. 1944 erliess der Erziehungsrat ein Reglement über die Wahlfähigkeit der Hauswirtschaftslehrerinnen an der Volksschule (siehe Tabelle 13).
63
In Klammern sind jeweils die Anzahl Lehrerinnenstellen für den Hauswirtschaftsunterricht angegeben. Durch eine Lehrerin
kann mehr als eine Stelle besetzt sein. Die Zahlen zu Schülerinnen, Anzahl Abteilungen sowie zu den Lehrerinnen sind den Rechenschaftsberichten der Jahren 1945 bis 1980 entnommen.
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
In der erstmaligen Erwähnung des Handfertigkeitsunterrichts für Knaben im Schulblatt 1908 wurde
der vom Autor gewünschte, nationale Aufschwung dieses Unterrichts mit einer kantonsvergleichenden Tabelle dargestellt. Der Autor verwies zudem auf einen Artikel in der Schweizerischen Lehrerzeitung über die Situation in England. Zusätzlich forderte er mehr Aufmerksamkeit auf kantonaler Ebene,
denn „wenn das Ausland für den Unterricht in Handfertigkeit so viel leistet, sollten wir in der Schweiz,
und speziell im Aargau, denn immer noch zurückbleiben und in der hintersten Reihe marschieren?“ (Schulblatt 1908, S. 154). Vor allem der verbindende Wert von geistiger und körperlicher Arbeit,
auch für geistig minderbegabte Kinder, wurde hervorgehoben. Die Jahresberichte des 1920 gegründeten Vereins für Handarbeitsunterricht gaben im Schulblatt Jahr für Jahr Einblick in die Entwicklung
der Abteilungen (Kartonage, Hobelbank, Gartenbau) sowie die Handarbeitsklassen in den einzelnen
Gemeinden des Kantons Aargau. Der Schweiz weite Vergleich des Angebots an Handarbeitsklassen
war den Verfassern der Artikel im Schulblatt wichtig wie die Tabellen a, b und c aus dem Jahr
1926/27 zeigten.
Im Schulgesetz von 1940 wurde festgehalten, dass die „Kurse zur Ausbildung der Handfertigkeit für
Knaben“ von den Schulgemeinden fakultativ oder obligatorisch eingeführt werden können (§ 19). Die
Zahlen nach Kriegsende belegen, dass der Knabenhandarbeitsunterricht nicht nur im Kanton Aargau,
sondern in der ganzen Schweiz grosser Beliebtheit entsprach und die Angebote stetig ausgebaut
wurden. Innerhalb von 20 Jahren verdoppelte sich die Zahl der angebotenen Abteilungen im Kanton
Aargau von 109 auf 221, das Angebot wurde zusehends differenziert. „Für das Leben müssen wir
erziehen. Jede Erziehung ist unvollständig, wenn in der Schule die Lust am Schaffen mit der Hand
nicht genährt und nicht ausgebildet wird, […]“ (Schulblatt 1953). Mit solchen Worten plädierte der
Verein, einhergehend mit der geforderten Erhöhung der Schulpflicht auf neun Jahre, für obligatorischen Knabenhandarbeitsunterricht auf der Oberstufe.
Tabelle 6: Schülerzahlen des Knabenhandarbeitsunterrichts nach Fächern und Kanton (Schulblatt 1929, S. 47)
Tabelle a.
-
-
195
14
119
181
35
437
81
272
251
154
345
4250
31
51
179
25
249
30
92
122
17
120
1288
922
2713
741
1104
452
3291
929
1521
2090
1277
3217
1212
36001
67
128
58
64
35
269
81
109
175
71
194
20
2310
Zahl der
Abteilungen
12
8
13
12
156
50
128
48
103
36
834
95
761
1064
834
1412
4250
-
6529
11061
20163
24643
36001
?
557
1037
1693
2310
20
128
20
251
92
76
141
482
1521
3
7
36
109
Total
-
26
55
122
23
160
207
1306
Andere Fächer
-
50
43
189
304
272
169
33
1546
Gartenbau
5
305
1061
74
232
207
1033
333
379
768
417
951
1005
###
582
321
71
51
-
Modellieren
51
379
1313
251
398
164
1155
244
671
806
235
2077
15021
9518
5412
914
503
-
Metallarbeiten
129
50
215
83
24
-
Schnitzen
3
11
3
20
18
6
33
22
24
51
17
10
1
322
1167
1150
46
12
-
Hobelbank
119
50
98
-
Kartonnage
700
13
-
Schule
282
135
31
33
-
Zahl der
Abteilungen
2514
1856
394
176
-
Total
4686
2043
310
160
-
Andere Fächer
Modellieren
52
37
6
8
-
Gartenbau
Metallarbeiten
Solothurn
Baselstadt
Baselland
Schaffhausen
Appenzell A.-Rh.
Appenzell I.-Rh.
St. Gallen
Graubünden
Aargau
Thurgau
Tessin
Waadt
Wallis
Neuenburg
Genf
Schweiz
Schnitzen
Freiburg
Hobelbank
Zürich
Bern
Luzern
Uri
Schwyz
Unterwalden
Glarus
Zug
Schule
Kantone
Kartonnage
Zusammenstellung 1926/27.
Tabelle b.
Schweiz:
1892/93
1896/97
1905/06
1912/13
1926/27
84
95
183
304
322
7007
10239
11842
15021
2550
3729
6424
11756
312
993
1613
1546
20
304
691
1306
Tabelle c.
Aargau:
1892/93
1905/06
1912/13
1926/27
1
4
15
24
50
98
308
671
26
43
99
379
-
-
Die steigenden Zahlen des über die Jahrzehnte zu einem wesentlichen Bestandteil des Schulwesens
gewordenen Knabenhandarbeitsunterrichts beweisen den Erfolg des aargauischen Vereins für Handarbeit und Schulreform. Der zunehmenden Ausrichtung des Vereins auf Schulreformen trug die Namensänderung von 1954 Rechnung. In den Rechenschaftsberichten fand der Knabenhandarbeitsun-
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
terricht zunehmend Erwähnung (vgl. Rechenschaftsbericht 1920, S. 56); jedoch wurden kaum statistische Daten zu diesem Bildungsangebot veröffentlicht. Die Vermutung liegt nahe, dass das fakultative Fach Knabenhandarbeit v.a. auch ein gemeindespezifisches Angebot und ein Bedürfnis der Lehrer
war, das diese in den politischen Diskurs einbrachten (Rechenschaftsbericht 1950, S. 161). Anders
als die Arbeitsschule der Mädchen wurde der Handarbeitsunterricht für die Knaben nie als separater
Schultypus geführt, sondern immer innerhalb der Fächerpalette der Gemeindeschulen angeboten.
Das Verschwinden der Thematik aus dem Schulblatt belegt, dass sich der Knabenhandarbeitsunterricht spätestens ab den frühen 1960er Jahren im Unterrichtssystem etabliert hatte. 1959 forderte man
das gleiche Anrecht auf Ausbildung in Handarbeit (Werkunterricht, textile Handarbeit) für die Knaben
wie für die Mädchen. Doch erst seit 1981 besuchen Mädchen und Knaben den gleichen Unterricht mit
gleicher Stundenzahl (Schulgesetz 1981, § 3 und § 13).
Kleinkinderschulen, Kindergarten
Kleinkinderschulen wurden im Schulgesetz von 1835 erstmals erwähnt (§76). Die Zahlen in den Rechenschaftsberichten wiesen auch eine Nutzung dieses Angebots aus; für das Jahr 1850 waren zum
Beispiel 20 Kleinkinderschulen belegt (Rechenschaftsbericht 1850, S. 31). Das Folgegesetz 1865
erwähnte die Möglichkeit, dass auch diese unter Gemeindeleitung stehenden Schulen vom Kanton
unterstützt werden können, falls die Gemeinde ihre Bedürftigkeit ausweisen könne (§66). Die folgende Neuauflage des Schulgesetzes 1940 hielt fest, dass die Gemeinden staatliche Unterstützung zur
Einrichtung und zum Betrieb von Kindergärten erhalten, sofern diese den erlassenen Vorschriften
entsprächen (§39). Anfänglich wurden die Kleinkinderschulen in den Rechenschaftsberichten unter
„Besondere Schulen“ aufgeführt. Nach 1850 fehlen jegliche Zahlen zu Kleinkinderschulen unter dieser Rubrik.
Kindergartenkinder
16000
14000
12000
10000
8000
6000
4000
2000
0
1947
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2008
Kindergartenkinder
Abbildung 7: Entwicklung der Anzahl Kindergartenkinder im Kanton Aargau64
64
Die Zahlen bis 1947 bis 1982 wurden den Rechenschaftsberichten entnommen, 1985 bis 2008 der Schulstatistik 2008/09
https://www.ag.ch/de/dfr/statistik/bestellen/statistikthemen/bildung___wissenschaft_2/bildung___wissenschaft.jsp# [Zugriff am
8.10.2013].
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Erst 1947 erschien der Kindergarten wieder, diesmal neu als selbständige Schulabteilung in den regierungsrätlichen Rechenschaftsberichten. Erwähnt wurden 49 Gemeinden, in denen 3576 Kinder
den Kindergarten besuchen (siehe Abbildung 7).
Obwohl die Volksabstimmung vom Oktober 1950 über die Gewährung von Staatsbeiträgen für die
Volks- und Fortbildungsschulen und die Kindergärten knapp verworfen wurde, stieg die Anzahl Gemeinden, welche Kindergärten zur Verfügung stellten, sowie die Kinderzahl über die Jahre hinweg
kontinuierlich bis 1996 an. Eine Ausnahme bildeten die Jahre 1975 bis 1984 in denen ein stetiges Auf
und Ab ersichtlich war. Es folgte ein Rückgang, der erst 2008 gebremst wurde resp. in einen Anstieg
der Kinderzahlen überging. Der auffallende Anstieg an 5- bis 9-jährigen Kindern in den 1990er Jahren im Kanton Aargau zeigt sich nicht vergleichbar in der Entwicklung der Anzahl Kindergartenkinder.
Die Abbildung 9 zeigt für den Kindergarten ein kontinuierliches Wachstum und kein sprunghaftes
Ansteigen. Endgültig in die Verfassung übernommen und ins Schulgesetz eingegangen war der Kindergarten 1981 – unter Trägerschaft von Gemeinden und Privaten, jedoch unter Aufsicht des Staates.
Der Besuch ist weiterhin freiwillig; der Kindergarten kann während einem oder zweier Jahre besucht
werden (§ 9). Ende der 1970er Jahre, aber auch nach der gesetzlichen Regelung von 1981 zeigte
vorwiegend die Verbreitung von Kindergärten im Kanton Aargau – neben der Maturaquote und der
Ausbreitung von Hilfs- und Sonderschulen – das Lern- und Entwicklungsgefälle zwischen den Regio65
nen und Gemeinden zu Ungunsten der ländlichen Gegenden auf.
4.3 Finanzielle Mittel
Dass die statistische Darstellung der finanziellen Aufwendungen jedes Jahr eine feste Grösse im
Rechenschaftsbericht der Regierung war, leuchtet unmittelbar ein – geht es doch primär um die
Rechtfertigung der ausgegebenen Steuergelder. Gleichzeitig stellt die Auflistung dieser Zahlen auch
eine Legitimierung dar für den stetigen Ausbau des Schulwesens. In diesem Unterkapitel werden
zuerst anhand der Erhebungen über die Lehrerlöhne verschiedene Entwicklungsschritte gezeigt: Die
Lehrerlöhne dokumentieren zum einen die Verberuflichung und Professionalisierung dieses Berufsstandes, zum anderen lässt sich zeigen, welche politischen Ebenen Einfluss auf die Volksschule haben, drittens bildet ihre Darstellung auch standespolitische Forderungen ab. Weiter kommen dann der
Ausbau der Schulinfrastruktur – Schulhausbauten und Turnplätze – sowie die Einführung neuer
Lehrmittel in einer seit 1874 unentgeltlich erklärten Schule zur Sprache.
Mit Artikel 27 BV (1874) wurde der Schulbesuch in der ganzen Schweiz obligatorisch und an öffentlichen Schulen unentgeltlich erklärt. Bis diese Verfassungsänderung jedoch im Kanton Aargau implementiert worden war, dauerte es mehrere Jahrzehnte. So findet sich noch 1890 im Rechenschaftsbericht ein Absatz über Schulgemeinden, die immer noch Schulgeld einforderten. Die Passage endet
mit dem Aufruf, „dass von den, aus was für Gründen im Kanton niedergelassenen gemeindeschulpflichtigen Kindern kein Schulgeld mehr abverlangt werden darf“ (Rechenschaftsbericht 1890, S. 82).
Neben der Unentgeltlichkeit des Schulbesuchs wurde auch die Unentgeltlichkeit der Lehrmittel diskutiert. Dem Rechenschaftsbericht von 1900 ist zu entnehmen, dass in 45 Schulorten eine ganze, in
156 eine teilweise und in 46 noch keinerlei Lehrmittelunentgeltlichkeit eingeführt worden sei (Rechenschaftsbericht 1900, S. 137). Auch 1905 wiederholen sich solche Aussagen im Rechenschaftsbericht:
65
Wie die meisten statistischen Zahlen aus den Rechenschaftsberichten wurden auch die Zahlen zu den Kindergartenkindern
1986 in die schulstatistischen Berichte übernommen. Die Zahlen aus den Rechenschaftsberichten stimmen jedoch nicht exakt mit
jenen der Schulstatistik überein. Einerseits ist der Erhebungszeitpunkt ein anderer (Mai resp. November), andererseits wird in der
Schulstatistik unterschieden zwischen allen Kindergärten resp. öffentlichen und privaten.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
„Die Bezirke Baden, Brugg, Laufenburg, Rheinfelden und Zofingen weisen die meisten Schulen mit,
die Bezirke Bremgarten und Muri ohne Unentgeltlichkeit auf. […] Zum kleinen Fortschritt in der Unentgeltlichkeit mag wiederum die Unterstützung derselben durch eine Quote (Fr. 12'294.40) aus der
Bundessubvention beigetragen haben“ (Rechenschaftsbericht 1905, S. 427).
Die Bestimmung in der Bundesverfassung meinte zunächst nur die Unentgeltlichkeit der Primarschule;
diejenige der Primaroberstufe muss nicht zwingend darin impliziert sein. In den Kantonen war genau
diese Frage bis weit ins 20. Jahrhundert ein lange dauernder Streit. Da die Rechenschaftsberichte
des Kantons Aargau keine genauere Auskunft geben, auf welche Schulstufe – Primarschule oder
Primaroberstufe – sich die Bemerkungen zu Schulgeld und Lehrmittelunentgeltlichkeit beziehen,
müssen diese Anmerkungen für die Gemeindeschulen insgesamt gelesen werden. Für den Aargau
kann jedoch festgehalten werden, dass der Verfassungsartikel von 1874 bis in die 1890er Jahre nicht
vollumfänglich durchgesetzt war.
Die 1902 beschlossene Bundessubvention für Primarschulen ermöglichte es den Kantonen, gewisse
zusätzliche Ausgaben zu tätigen (vgl. Manz, 2008). Das „Bundesgesetz betreffend die Unterstützung
der öffentlichen Primarschule“ vom 25. Juni 1903 sah eine zweckbestimmte Verwendung der finanziellen Mittel in neun Bereichen vor:
1. Errichtung neuer Lehrstellen
2. Bau und wesentlicher Umbau von Schulhäusern
3. Errichtung von Turnhallen, Anlage von Turnplätzen und Anschaffung von Turngeräten
4. Ausbildung von Lehrkräften; Bau von Lehrerseminaren
5. Aufbesserung von Lehrerbesoldungen, sowie Aussetzung und Erhöhung von Ruhegehalten
6. Beschaffung von Schulmobiliar und allgemeinen Lehrmitteln
7. Abgabe von Schulmaterialien und obligatorischen Lehrmitteln an die Schulkinder, unentgeltlich oder zu ermässigten Preisen
8. Nachhilfe bei Ernährung und Bekleidung armer Schulkinder
9. Erziehung schwachsinniger Kinder in den Jahren der Schulpflicht (BBl 1903, III 751-753).
Aus den Rechenschaftsberichten ist ersichtlich, dass im Kanton Aargau die Bundessubvention für die
Primarschule ab 1903 auch für Lehrmittel eingesetzt wurde. Wie massgeblich sich diese zusätzlichen
Finanzmittel auf die Unentgeltlichkeit der Volksschule auswirkten, kann aufgrund der Quellen jedoch
nicht beurteilt werden. Die Schulsubvention war auch im Schulblatt Thema; 1907 wurde zum Beispiel
folgende detaillierte Rechnung aufgestellt:
„Vergleicht man die Subvention mit den Leistungen der Kantone, so ergibt sich z.B. beim Aargau folgendes Bild: Die Gesamtausgaben nach Geschäftsbericht pro 1905 im Jahre 1904 Fr.
1‘970‘000, des Staates Fr. 984‘000.- Alle Jahre steigt die Ausgabe und sie beträgt im laufenden
Jahre sicherlich mehr als 3 Millionen oder Fr. 15 auf den Kopf der Bevölkerung. Die Bundessubvention beträgt auf den Kopf 60 Rappen, also Fr. 123‘000 oder kaum 4% der Ausgaben
des Kantons für das Schulwesen, in andern Kantonen dürfte das Verhältnis ein ähnliches
sein“ (Schulblatt 1907, S. 113).
Über die konkrete Verwendung dieser Mittel wurde in der Lehrerpresse hingegen nicht viel diskutiert.
Mit Missfallen wurde 1911 aber dokumentiert, dass der Aargau nur gerade 22 Prozent der Bundessubvention zu Gunsten der Lehrerschaft ausschüttete: „Der Aargau steht ja in der Tabelle erst an
drittletzter Stell und verwendet aus der Bundessubvention zur finanziellen Besserstellung der Lehrer
nicht die Hälfte dessen, was die Schweiz hierfür im Durchschnitt verausgabt“ (Schulblatt 1911, S.
222). Damit, so der Verfasser, sei „viele[n] Mitglieder[n] der Behörde kein gerade schmeichelhaftes
Zeugnis ausgestellt“ (ebd.). Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass im Schulblatt als Organ des Aargauer Lehrervereins (ALV) v.a. standespolitische Themen zur Sprache kamen.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Lehrerlöhne
Anhand der Lohnentwicklung im Kanton Aargau lassen sich vielseitige Veränderungen des Lehrerberufs und seines Status über die Zeit nachzeichnen. In den Schulgesetzen von 1822, 1835 und 1865
66
finden sich je Paragraphen zur Lehrerbesoldung, in denen auch konkrete Zahlen genannt werden.
Wurde 1822 der Lohn eines Gemeindeschullehrers mit jährlich 160 Franken (nebst freier Wohnung)
(§ 11) angegeben, so stieg der Lohn 1835 auf 250 bzw. 300 Franken (bei Klassen über 50 Kindern
oder bei Gesamtschulen) (§ 60). Im Jahr 1865 betrug die jährliche Mindestbesoldung 800 bzw. 900
Franken (§ 81). Das Schulgesetz von 1835, das gegenüber demjenigen von 1822 eine Besoldungserhöhung von 90 bis 140 Franken (je nach Klassengrösse) vorsah, wurde als Ursache für eine Konsolidierung des Berufsstandes gewertet: „[…] so sind die nun – an manchen Orten selbst die provisorischen Lehrer, die gar keine Wahlfähigkeit besitzen – ökonomisch besser gestellt und im Stande,
sich ihren Beruf mehr zur Hauptsache zu machen als früher, wo er so Vielen Nebensache war, um
demselben Zeit und Mühe zu widmen“ (Rechenschaftsbericht 1837, S. 78).
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verzichtete man darauf, konkrete Besoldungszahlen im Schulgesetz festzuschreiben, stattdessen wurden in den 1870er Jahren Lehrerbesoldungsgesetze formuliert,
die jedoch 1874 und 1875 verworfen wurden. Auf Initiative des neu gegründeten Lehrervereins sorgte
dann das Besoldungsgesetz vom 23. November 1898 für eine Besserstellung der Lehrpersonen (vgl.
Regierungsrat des Kantons Aargau, 1954).
Dem Rechenschaftsbericht von 1837 ist zu entnehmen, dass Gemeinden, die es versäumten, ihre
Lehrer rechtzeitig zu entlöhnen, aufgefordert wurden, „über die Dürftigkeit der Gemeinden und daherige Berechtigung auf Staatsbeiträge“ (Rechenschaftsbericht 1837, S. 79) Rechenschaft zu geben,
indem sie Einnahmen und Ausgaben sowie den Besitz an Gemeindegütern nachweisen. In diesem
Zusammenhang wurde gleichzeitig auf die allgemeine Notwendigkeit einer Entwicklung der Gemeindeverwaltung hingewiesen. 1850 wurden die geringen Lehrerlöhne als Hauptgrund für die Not an
qualifiziertem Personal bezeichnet. Interessant ist hierbei die Verknüpfung ökonomischer Fragen mit
Fragen der persönlichen Lebensführung, die einmal mehr die öffentliche Rolle des Lehrers in der
Gesellschaft des 19. Jahrhunderts aufzeigen:
„Als Hauptgrund dieses oft drückenden Mangels an Lehrern wird fortwährend ihre zu geringe
Besoldung angegeben, die zur Ergreifung des Lehrfaches nicht ermuntere, wohl aber zum
Übertritt in andere Berufs- und Erwerbsweisen, und zum Aufsuchen jeglichen Nebenverdienstes zum Nachtheil eigener Fortbildung veranlasse und der Grund des ökonomischen und nicht
selten auch des sittlichen Zerfalls manches sonst tüchtigen Lehrers sei. Dass hierbei oft Mangel
an Einfachheit und Genügsamkeit mitwirken, und dass namentlich auch die unmittelbare Betheiligung an den politischen Tagesfragen und Bewegungen ihre dem Leben in und für die
Schule keineswegs förderlichen Seiten habe, ist wohl nicht zu verkennen. Indessen muss es
doch nächste Sorge des Gesetzgebers sein, dem so allgemein und Jahre lang sich erneuernden Rufe nach ökonomischer Besserstellung der Lehrerschaft, welche für die Förderung der öffentlichen Wohlfahrt eine so wichtige Stelle einnimmt, nach aller Möglichkeit Rechnung zu tragen“ (Rechenschaftsbericht 1850, S. 27).
Dass gerade in Notzeiten, wie sie zu Beginn der 1850er Jahre herrschten, die Lehrerlöhne nur knapp
das Existenzminimum deckten, zeigte eine Bemerkung im Bericht von 1855:
66
Diese Zahlen werden hier 1:1 wiedergegeben, entsprechen also je der Kaufkraft der Zeit und sind nicht damit nur bedingt
vergleichbar. Zudem entspricht der reine Geldwert meistens nur einem Teil des Lehrerlohns. In der Regel kamen eine freie oder vergünstigte Wohnung, Land zum Bepflanzen für den Eigenbedarf sowie Naturalien wie Holz, Getreide, Wein etc. hinzu und ergaben so
die Besoldung der Lehrperson.
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„Erst mit dem Ende des Berichtjahres [1854/55] heiterte sich der düstere Horizont, der unsere
Volksschulen beengte, allmählig wieder auf, indem einerseits der Segen einer ziemlich ergiebigen Erndte die allgemeine Noth zu lindern begann, und andererseits die durch das Gesetz vom
15. Wintermonat 1855 den Lehrern zugesicherte Besoldungszulage dieselben der drückendsten Nahrungssorgen enthob“ (Rechenschaftsbericht 1855, S. 49).
Ersichtlich ist aus dieser Aussage auch, wie eng der Lehrberuf bzw. die Entlöhnungsfrage von Lehrpersonen mit dem landwirtschaftlichen Erwerbssektor verbunden war. Da während des gesamten
19. Jahrhunderts Teile der Entlöhnung in Naturalien ausgerichtet wurden (Brotgetreide, Korn, Gemüse, Brennholz u.a.), war gerade dieser, von der Gemeinde finanzierte Bestandteil, stark von den allgemeinen Anbaubedingungen und den erwirtschafteten landwirtschaftlichen Erträgen abhängig. Aber
auch die Nebenbeschäftigungen der Lehrpersonen, die damit ihren Lohn aufbessern versuchten,
fanden Eingang in die Rechenschaftsberichte:
„Als Nebenbeschäftigung ausser der Schule betreiben die meisten Lehrer etwas Landwirtschaft.
Andere beschäftigen sich mit Privatunterricht, Schreibereien oder Feldmessen; wiederum Andere sind Organisten, Siegristen, Hülfsleher an Bezirksschulen u.s.w.“ (Rechenschaftsbericht
1870, S. 114).
Die alte Vorstellung des Lehrberufs – wie sie insbesondere Gründer und Direktor des Seminars Wettingen, Augustin Keller, aber auch anderen Seminarleitern vorschwebte, nämlich einer engen Verbindung von schulischer und landwirtschaftlicher Ausbildung der Volksschullehrer findet immer wieder
Ausdruck in den Rechenschaftsberichten. Realisiert wurden diese Ideen in Modellen im Sinne von
landwirtschaftlichen Konviktschulen. Dass der Landschullehrer glaubwürdiger dem Bauernstand gegenüber auftreten kann, wenn er auch etwas von Landwirtschaft versteht und diese selber betreibt,
war sicherlich ein Argument für die Implementation der obligatorischen Beschulung in den Anfängen
der modernen Volksschule. Zudem war es von hohem Interesse, die Schülerinnen und Schüler in
Landwirtschaft zu unterrichten, sah man dies als wichtiges Mittel gegen die Armut. Wichtiger erscheint hingegen die ökonomische Notwendigkeit zur (teilweisen) Selbstversorgung der Lehrperson
aufgrund der tiefen Lehrerbesoldung während des ganzen 19. Jahrhunderts.
Neben rein ökonomisch motivierten Nebenbeschäftigungen finden wir in den Rechenschaftsberichten
auch Bemerkungen zur Vereinstätigkeit von Lehrpersonen. Lehrkräfte leiteten fast alle Gesangsvereine des Kantons und engagieren sich in landwirtschaftlichen oder gemeinnützigen Vereinen.
1870 wurde vermeldet, dass sich die Ausgaben für das Gemeindeschulwesen gegenüber dem Jahr
1854 fast verdoppelt hätten. Der Staat trug damals knapp zwei Drittel zur Besoldungssumme der
Lehrerinnen und Lehrer bei (vgl. Rechenschaftsbericht 1870, S. 123). Bereits im ersten Jahrgang des
Schulblattes 1877 findet sich eine Auflistung der Besoldung der Gemeindeschullehrer aller Gemeinden des Bezirks Brugg. Die Interpretation dieser Lohntabelle wurde der Lehrerschaft mit folgenden
Worten überlassen: „Wir geben diese Zusammenstellung ohne weitere Reflexionen, zu welchen sie
unwillkürlich anregen muss, dieselben dem geneigten Leser überlassend“ (Schulblatt 1877, o.S.).
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Total Lohnverminderung
Pensionskasse
Lehrerinnen
Total Lohnverminderung
(Einzahlungen)
Pensionskasse
Lehrer
Dienstjahr
Altes Gesetz
(Lehrer und
Lehrerinnen)
Offene Lehrerstellen, die aufgrund von prekären Gemeindefinanzen nicht oder nur schwerlich besetzt
werden konnten, waren noch am Ende des 19. Jahrhunderts ein Thema. Dass Lehrerinnen eigentlich
zu günstigeren Bedingungen eingestellt werden könnten, wurde in solcher Deutlichkeit im Rechenschaftsbericht selten diskutiert. Aufgrund der speziell den Lehrern zugeschriebenen Aufgaben in einer
Gemeinde wurden diese Stellen eher mit schlechter ausgebildeten Männern als mit Frauen besetzt:
„Die im letzten Drittel des Jahres [1895] nur mit dem Besoldungsminimum von Fr. 1200 ausgeschriebenen Lehrstellen konnten infolge von Lehrermangel, und insofern es sich um die Anstellung von
Tabelle 7: Vorlage des Regierungsrates über die Vorgaben der
Lehrern handelte, selten regelrecht besetzt werLehrerlöhne in der Gemeindeschule (Schulblatt 1922, S. 184)
den. Die Erteilung des Bürgerschul- und des
Turnunterrichts, sowie die Leitung des KirchenGemeindeschule.
gesanges etc. erfordern an manch einem Orte
Vorlage
die Anstellung einer männlichen Lehrkraft, wo
man sonst beim Wegfall dieser Anforderungen
eine weibliche anstellen könnte“ (Rechenschaftsbericht 1895, S. 94).
Eigentliche „Generationenwechsel“ bei Lehrpersonen wirkten sich auf die Staatsfinanzen aus,
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
Fr.
da die nachkommenden jüngeren Lehrpersonen
1.
4000
3600
144.444.- 3400 136.- 736.2.
4000
3800
162.262.- 36?0 154.- 454.meist besser ausgebildet waren, einen Semi3.
4150
3920
168.8
29?.80 3?20 160.8 490.8
narabschluss vorweisen konnten und damit
4.
4300
4040
179.6
339.6 3840 171.6 531.6
auch besser entlöhnt wurden. „Im Berichtsjahre
5.
4450
4160
190.4
380.4 3960 182.4 572.4
machte sich wieder ein häufiger Lehrerwechsel
6.
4600
4280
201.2
421.2 4080 193.2 613.2
geltend infolge Rücktritts von älteren Lehrern
7.
4750
4400
206.456.- 4200 198.- 648.8.
4900
4520
210.8
490.?0 4320 202.8 682.8
und der Vertauschung von innegehabten Lehr9.
5050
4640
215.6
252.6 4560 207.6 717.6
stellen mit besser honorierten“ (Rechenschafts10.
5200
4760
220.4
560.4 4560 212.4 752.4
bericht 1905, S. 427).
11.
5350
4880
225.2
595.2 46?0 217.2 787.2
1907 wird durch den Schulblatt-Leser S.H. an12.
5500
5000
230.630.- 4800 222.- 822.gestossen, dass man einmal eine Lohnstatistik
13.
5650
5120
234.8
664.8 4920 226.8 856.8
14.
5800
5240
239.6
699.6 5040 231.6 891.6
über die grösseren Gemeinden des Kantons
15.
5800
5360
244.4
584.4 5160 236.4 776.4
Aargau aufnehmen und sie im Schulblatt veröf16.
5800
5480
249.2
469.2 5280 241.2 661.2
fentlichen müsste. „Es stünde nichts im Wege,
17.
5800
5600
254.354.- 5400 24?.- 546.alle zwei Jahre diese Statistik zu wiederho18.
5800
5600
224.324.- 5400 216.- 516.len“ (Schulblatt 1907, S. 113). Infolgedessen
und folgende.
? = im Original nicht lesbar
wurden in den Jahren 1908 bis 1942 regelmässig Besoldungsdaten im Schulblatt veröffentlicht
sowie parallel dazu eine Debatte um das kantonale Besoldungsgesetz geführt. 1913 wurde in einer
Rede dafür plädiert, dass der Staat die gesetzliche Lehrerbesoldung zu übernehmen habe. Im selben
Jahr folgte der Aufruf an alle Lehrerbewerber, sich nicht unter 2‘000 Fr. Jahresbesoldung anstellen zu
lassen. Auch hoben immer mehr Gemeinden das Besoldungsminimum auf die geforderten 2‘000 Fr.
an. Später wurden ausführliche Tabellen zum Besoldungsstand an den Gemeinde- und Fortbildungsschulen abgedruckt. Bereits 1917 wurden die Zürcher Lehrerlöhne zum Vergleich beigezogen, und es
wurde auf die grosse Differenz zugunsten des östlichen Nachbarn hingewiesen.
Aber erst die Verfassungsänderung vom 21. Dezember 1919 brachte eine wesentliche Besserung in
der Besoldung: Neu wurden die Lehrerlöhne vom Staat übernommen. „Damit wurden die langwierigen Kämpfe um Lohnerhöhungen in den Gemeinden beseitigt, und der Finanzausgleich ermöglichte
eine gleichmässige Lohngestaltung im ganzen Kanton“ (Rechenschaftsbericht 1954, S. 256).
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Die Debatte rund um die Besoldungsfrage war aber dadurch noch keineswegs vom Tisch. Bereits
1922 fordert der Regierungsrat eine Änderung des Lehrerbesoldungsgesetzes mit deutlichen Einbussen auf Seiten der Lehrerschaft (siehe Tabelle 7: Vorlage des Regierungsrates über die Vorgaben
der Lehrerlöhne in der Gemeindeschule (Schulblatt 1922, S. 184)). Eine ausführliche Tabelle erläuterte für die Lehrerschaft die Folgen der Weltwirtschaftskrise auf ihre Besoldung. Der Aargauer Lehrerverein setzte sich auf politischer Ebene dafür ein, den geforderten Besoldungsabbau zu reduzieren.
1942 ging es wiederum um ein neues Besoldungsgesetz. Im Schulblatt wurden die Gesetzesänderungen sowie die Besoldungszahlen der Lehrerschaft – mit Vergleichszahlen der Jahre 1919 und
1923 – abgebildet. Zu Beginn der 1970er Jahren stand eine erneute Besoldungsrevision an. Der akute Lehrermangel brachte die Lehrerschaft in eine starke Verhandlungsposition. Der Verfasser Alfred
Regez schrieb, dass es sich „um eine grosszügige Besoldungsrevision handelt. Kaum jemals vorher
machten Staatspersonal und Lehrerschaft einen derartigen Sprung nach vorn respektive nach
oben“ (Schulblatt, 1971, S. 452). Bis das nächste Mal eine Lohntabelle im Schulblatt erschien,
vergingen 28 Jahre. Anhand von Tabellen und Zahlen legte der ALV-Sekretär dar, dass die Lehrpersonen in den letzten sechs Jahren einen Reallohnabbau infolge von Sparmassnahmen hinnehmen
mussten. Auf politischem Parket machte man sich stark gegen das „Finanzpaket 98“, das die Besoldungslage der Lehrpersonen weiter schwächen würde. 2004 folgt eine Lohnstatistik, ein Jahr später
die Information über die Online-Erhebung der Löhne durch den LCH (Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer).
Schulhausbauten
Sowohl das Schulgesetz von 1835 als auch das Folgegesetz enthielten einen Paragraphen, wonach
bedürftige Gemeinden auf Gesuch hin mit einem Staatsbeitrag für den Umbau oder Neubau von
Schulhäusern unterstützt werden können (Schulgesetz 1835, § 18: max. 400 Franken; Schulgesetz
1865, § 35: max. 2500 Franken). Auch für die Neugründung einer für die Gemeinden vorerst noch
freiwilligen Fortbildungsschule erwähnte das Schulgesetz von 1865 einen einmaligen Staatsbeitrag
von 1000 Franken (§ 55). „In jeder Gemeinde oder Ortschaft, welche mehr als eine halbe Stunde von
der nächstgelegen Schule entfernt ist, und vierzig Schulpflichtige Kinder zählt, soll eine Gemeindeschule bestehen“ (Schulgesetz 1865, § 25). Die Distanzangabe von einer halben Stunde wurde erstmalig eingeführt und implizierte, dass der Weg, den eine erwachsene Person in einer halben Stunde
zurücklegt, als angemessener Schulweg verstanden wurde. Das bedeutet, dass einem Schulkind
damals zugemutet wurde, einen täglichen Schulweg (hin und zurück) von bis zu zwei Stunden auf
sich zu nehmen.
1837 wurden 36 Gemeinden angehalten, neue Schulen zu gründen. Das entsprach in der damaligen
Gemeindelandschaft einem Anteil von ca. 15 Prozent aller Gemeinden. 1844 wurden zehn neue
Schulhäuser gebaut und grösstenteils mit Staatsgeldern unterstützt. Schulhausneubauten ermöglichten es, die bisherigen gemeinschaftlichen Schulen nach Konfessionen zu trennen (Beispiel Gebenstorf; vgl. Rechenschaftsbericht 1844, S. 37). Der Bau eines neuen Schulhauses war insbesondere für
kleine und finanzschwächere Gemeinden eine Herausforderung, die nicht immer konfliktfrei gemeistert werden konnte. „An einigen Orten entstand Streit über Bauplatz und Projekte, der besonders da,
wo […] den Aufsichtsbehörden Kompetenzkonflikte erwuchsen, nicht ohne Mühe zu schlichten
war“ (Rechenschaftsbericht 1844, S. 37). Diese bauliche Expansion im Schulwesen führte dazu, dass
der Kantonsschulrat in den vierziger Jahren ein eigenes Reglement zum Schulhausbau verfasste. Zu
Kritik an der Einrichtung von Schulen Anlass gaben in diesen Dekaden insbesondere auch die
„zweckmässige Betischung und Bestuhlung“ (Rechenschaftsbericht 1870, S. 115) der Schulzimmer
sowie die sanitarischen Verhältnisse der Abtritte (vgl. ebd. und Rechenschaftsbericht 1875, S. 79).
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
1840 wurden 2‘600 Franken aufgewendet für den Bau neuer Schulhäuser bzw. die Erweiterung eines
bestehenden Schulhauses (Rechenschaftsbericht 1840, S. 117). Generell lässt sich sagen, dass der
Neubau von Schulhäusern äusserst langsam vor sich ging: „Jahrelang wissen sich die zum Neubau
verpflichteten Gemeinden zu drehen und zu winden, bis endliche die Baupläne genehmigt sind und
mit dem Bau begonnen werden kann“ (Rechenschaftsbericht 1875, S. 79). Im Jahr 1870 wurden
Staatsbeiträge im Gesamtbetrag von 8‘000 Franken für den Bau von fünf neuen Schulhäusern aufgewendet (siehe Tabelle 17 im Anhang). Allfällige bauliche Reparaturen wurden von den Behörden
angemahnt, und wenn dies keine Auftragserfüllung nach sich zog, wurde eine „gesetzliche Sistierung
des Staatsbeitrages an das Schulwesen der betreffenden Gemeinden“ (Rechenschaftsbericht 1870,
S. 115) angedroht. In den 1880er Jahren wurde von dieser Massnahme Gebrauch gemacht und verschiedenen Gemeinden der Staatsbeitrag entzogen, weil die Gemeinde nicht bereit war, neue Klassen zu gründen bzw. ein neues Schulhaus zu bauen:
„Der Gemeinde Rietheim konnte seit Jahren wegen Zögerung in der Ausführung der schon
längst geforderten Schulhausbauten, so auch pro 1886, kein Staatsbeitrag ausgerichtet werden.
Andere Gemeinden sind aus gleichem Grunde, oder wegen Nichtabhülfe in der Schulübervölkerung mit dem Entzug des Staatsbeitrags bedroht“ (Rechenschaftsbericht 1886, S. 70).
1890 sprach der Kanton 10‘000 Franken für neue Schulhausbauten. Zehn Jahre später hat sich dieser Betrag verdoppelt auf 21‘500 Franken. Nach 1900 nahm die Bautätigkeit rasant zu; der Kanton
unterstützte die Gemeinden 1905 mit Staatsbeiträgen von beinahe 75'000 Franken, fünf Jahre später
waren es 81'000 Franken. Die Vermutung liegt nahe und konnte in der Quelle der Rechenschaftsberichte auch nachgewiesen werden, dass dies eine Folge der Primarschulsubvention war, die nach
1903 vom Bund an die Kantone floss. Der Kanton Aargau alimentierte im Jahr 1910 mit gut 61'000
Franken aus der Bundessubvention rund drei Viertel seiner Ausgaben für Schulhausbauten, Turnhallen und Turnplätze (Rechenschaftsbericht 1910, S. 371).
Der Kanton drängte weiterhin „auf die succzessive Behebung bestehender Mängel an Bau und Einrichtung der Schulhäuser“ (Rechenschaftsbericht 1915, S. 259). Reparaturen im Bereich des Gebäudeunterhalts wurden vom Staat nicht mehr subventioniert, was immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Gemeinden führte. Das hohe Niveau der umfangreichen Bautätigkeit von Schulhäusern
in den Jahren 1900 bis 1910 wurde bis Ende der 1940er Jahren nicht mehr erreicht und als solches in
den Rechenschaftsberichten auch nicht mehr ausgewiesen. Die ausgiebige Bautätigkeit liess einerseits aufgrund der beiden Weltkriege nach, andererseits war das Bedürfnis nach mehr Schulraum
mehrheitlich gestillt, obwohl die Qualität der einzelnen Schulgebäude gemäss Rechenschaftsberichten in einigen Gemeinden zu wünschen übrig liesse.
Erst im Rechenschaftsbericht von 1950 liest man bezüglich Schulhausbauten einen einzigen Satz:
„Die starke Schulhausbautätigkeit hält an“ (S. 173). 1955 erwartete der Kanton Aargau bereits das
Überschreiten der erwarteten Schülerhöchststände und rechnete mit einer Sättigung des baulichen
Nachholbedarfs. Tabellarisch wurden 19 Gemeinden, ihre Bauobjekte, die subventionsberechtige
Bausumme sowie die Staatsbeiträge aufgeführt. Zwischen 10 und 25 Prozent der subventionsberechtigen Bausumme wurde vom Staat übernommen, was einem Betrag von 1’917'596.- entsprach. Die
rege Bautätigkeit hielt aber weiter an. 1960 wurde 21 Gemeinden eine Bausumme von 1’714'223.vom Staat ausbezahlt, 1965 wurden über 40 Gemeinden mit 4’854'223.- unterstützt (nur Projekte mit
Bausumme über 25'000 aufgelistet), 1970 waren es 37 Gemeinden, an die eine Bausumme von 8.5
Mio. Fr. zugesichert wurde. Erstmals im Rechenschaftsbericht von 1975 wurde über den Einbruch der
Bautätigkeit von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr berichtet. Die finanzielle Unterstützung der Gemeinden durch den Kanton blieb aber mit 8.7 Millionen Franken weiter hoch, pendelte sich aber bis
1995 bei Summen zwischen 5 und 7 Millionen ein. In den neueren Rechenschaftsberichten fanden
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
sich keine Hinweise mehr zu Schulhausbauten und deren Subventionsbeiträgen auf Ebene der
Volksschule.
Turnplätze
Ab 1895 finden sich in den Rechenschaftsberichten Auflistungen oder Tabellen, die die Situation des
Turnunterrichts sowie die Ausrüstung der jeweiligen Bezirke dokumentieren (siehe Tabelle 8: Übersicht über Stand des Turnunterrichts an den Gemeinde- und Bezirksschulen 1897/98). Die Erziehungsdirektion war jeweils gegenüber dem Eidgenössischen Militärdepartement über den Stand des
Turnunterrichts rechenschaftspflichtig.
„Dem Turnen ist nun endlich die Thüre in unserer Volksschule geöffnet. Mit immer wenigern
Ausnahmen sind in sämmtlichen Gemeinden Turnplätze erstellt und wenn die Gräthe auf denselben meistens nur sehr sporadisch erscheinen, so findet man doch überall Springel und Barren und für den Anfang darf man sich hiemit befriedigt erklären. Da die Zeit zum Schulturnen
immerhin eine beschränkte bleibt, so hat der Lehrer mit den Freiübungen genug zu thun, und
wenn dieselben richtig und präcis ausgeführt werden, so ist damit das für einmal gesteckte Ziel
erreicht“ (Rechenschaftsbericht 1875, S. 78f.).
Die eingesetzten Turnexperten berichteten immer wieder über Mängel Turnplätzen und Turngeräten.
Die Plätze waren oftmals zu klein, falsch dimensioniert und von misslicher Bodenbeschaffenheit. Zusätzlich waren während der Zeit des Ersten Weltkrieges Turnhallen durch das Militär belegt.
Tabelle 8: Übersicht über Stand des Turnunterrichts an den Gemeinde- und Bezirksschulen 1897/98
Total 247
27
2
206
70
-
25
18 233
Nicht befähigt
13
34
26
34
15
22
17
22
12
16
22
befähigt
1
1
5
1
2
2
3
3
keinen
2
2
2
1
3
1
2
1
2
7
2
teilweise
-
Das ganze Jahr
keines
2
10
16
17
4
3
7
7
4
noch nicht
ungenügend
14
27
12
35
6
20
18
16
9
26
23
11
5
5
7
9
4
16
2
9
21
8
29
50
37
46
38
36
27
31
20
40
33
-
15
14
10
51
8
23
12
8
10
20
6
25
41
32
2
39
17
31
25
19
41
35
356
186
183
205
206
81
176
95
243
595
75
685
953
565
667
802
565
647
480
413
869
668
8
3
1
2
2
7
-
40
55
42
53
47
40
43
33
29
61
41
-
Total 97
387
-
177
307
2401 7314
23
484
-
Bezirke
Bezirksschulen 24
1
-
23
2
-
13
8
Total 271
Im Vorjahre 262
28
40
2
3
229
231
72
74
-
38
44
26 237
26 235
4
Lehrer
zum
Unterricht
Die
vorgeschriebene
keine
genügend
2
-
Schüler
mit
Turnunterricht
keinen
teilweise
3
1
2
5
2
3
2
3
1
2
3
Aarau
Baden
Bremgarten
Brugg
Kulm
Laufenburg
Lenzburg
Muri
Rheinfelden
Zofingen
Zurzach
Stundenzahl
teilweise
vollständig
13
36
26
30
19
21
19
20
15
24
24
Bezirke
Schulen
mit
Turnunterricht
Das ganze Jahr
keinen
Gemeinden
mit
Turnlokalenn
ungenügend
Gemeinden
mit
Turngeräten
genügend
Gemeinden
mit
Turnplätzen
Aarau
Baden
Bremgarten
Brugg
Kulm
Laufenburg
Lenzburg
Muri
Rheinfelden
Zofingen
Zurzach
Bezirksschulen 23
2
Total 120 389
Im Vorjahre 142 370
-
21
4
-
198
194
311
318
143
1
25
-
3725 7457
4123 6964
1324
24
41
509
512
-
Al-
les in allem konnte erst Anfang des 20. Jahrhunderts von einem zufrieden stellenden Schulturnen
berichtet werden. Baden und Schwimmunterricht galt im Sommer als Alternativmöglichkeit zum
Schulturnen, denn dadurch „werde die Körperentwicklung nicht weniger gefördert, als durch das Turnen“ (Rechenschaftsbericht 1920, S. 23). Aus diesem Grund beschloss der Erziehungsrat, mit der
Erhebung über das Schulturnen im Folgejahr auch danach zu fragen, wie viele Schüler und Schülerinnen schwimmen können und ob Schwimmgelegenheiten bestehen. Hinzu kam, dass Dispensati-
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
onsgesuche vom Schulsportunterricht noch nicht vorschriftsgemäss behandelt resp. zu grosszügig
gewährleistet wurden.
Neben einem Hinweis zum Lehrplan und zur Einführung des neuen Fachs Mädchenturnen an Gemeinde- und Fortbildungsschulen (vgl. Rechenschaftsbericht 1925, S. 41) fand der Turnunterricht
während der Kriegs- und Krisenjahre 1925 bis 1950 keine Erwähnung mehr in den Rechenschaftsberichten. Erst mit dem Hinweis, dass aus dem Sport-Toto-Fonds erhebliche Beiträge an die Gemeinden zur Finanzierung von Turn- und Sportanlagen ausbezahlt werden könnten, kehrte der Turnunterricht zurück in die Berichterstattung. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich dieses Unterrichtsfach ins Schulsystem eingegliedert hatte, und ab und an wurde in einzelnen Gemeinden der
Bau neuer Anlagen durch den Staat subventioniert. Wies die neue „Sektion Sport“ resp. später die
„Abteilung Sport“ auf eine Umstrukturierung innerhalb des Departements hin, zeigten die Berichte vor
allem die Rolle der Bundessubvention für den freiwilligen Schulsport auf. Der Stellenwert des Sportes
sollte anhand einer 1985 durchgeführten repräsentativen Umfrage bei 14-Jährigen (7‘000 verteilte
Fragebögen) erfragt werden.
Neue Lehrmittel
1837 wies der Rechenschaftsbericht eine Summe von 402.96 Franken als Aufwand für neue Lehrmittel aus. Im Vergleich zur Gesamtaufwendung von 28'925 Franken für die Gemeindeschulen entsprach die Summe, die für Lehrmittel ausgegeben wurde, nur gerade 1.4 Prozent. In keinem nachfolgenden Bericht während des 19. Jahrhunderts wurden mehr explizite Zahlen für Lehrmittel erwähnt;
bis in die 1870er Jahre finden sich nur noch vereinzelt qualitative Aussagen.
„Allein der Hindernisse sind so viele und mitunter so schwer zu beseitigende, dass die Einführung neuer Lehrmittel zum schwierigsten Gegenstande des neuen Schulgesetzes [1835] wird.
Die Lehrmittel anderer Kantone oder benachbarter Staaten sind für unsere Schulen grösstenteils nicht berechnet, daher wenig geeignet, und insofern sie dieses sind, gibt es sodann mit
den Buchhändlern, welche den Verlage des Werkes übernommen, tausend Umstände, welche
unbeseitigt zu lassen die hierseitigen Interessen verbieten“ (Rechenschaftsbericht 1837, S. 73).
Die Anschaffung genügender Unterrichtsmittel, aber auch die Herstellung geeigneter Schulbücher
war für die noch junge Volksschule ein Problem. Augustin Keller, Seminardirektor und Kantonsschulrat, war massgeblich daran beteiligt, dass 1837 erstmals ein obligatorisches Lesebuch eingeführt
wurde. Dieses wurde von Keller selber verfasst und eigens für den Kanton Aargau geschaffen. Kellers Lesebücher waren eng mit der seminaristischen Lehrerausbildung verknüpft, während rund 30
Jahren in Gebrauch und damit prägend für die aargauische Schule des 19. Jahrhunderts (vgl. Fuchs,
2001). Um 1870 meldete die Erziehungsdirektion, dass die obligatorisch eingeführten Lese- und
Lehrbücher in den Schulen nun genügend vorhanden seien. Doch mangle es immer noch an geeigneten Lehrmitteln und Anschauungsmaterial für den geografischen, geometrischen und naturkundlichen Unterricht (vgl. Rechenschaftsbericht 1870, S. 115).
Am 3. November 1905 wurde die Einführung eines staatlichen Lehrmittelverlags für den Kanton Aargau beschlossen. Anlässlich des ersten Betriebsjahres – so der Rechenschaftsbericht von 1909 –
„sei bemerkt, dass der Verlauf des ersten Geschäftsjahres als ein ganz normaler bezeichnet werden
darf“ (S. 245). In den folgenden Dekaden wurden in der Rubrik Lehrmittelverlag als statistische Daten
hauptsächlich Auflagezahlen vermeldet.
Seite 70
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
„Im Jahr 1910 haben die Gemeinden Fr. 92'974.98 für die
Unentgeltlichkeit der LehrmitJahr
Bucheinbände Broschüren Exemplare
Umsatz*/Gewinn
tel verausgabt und hieran
1925
16'000
Frkn. 10'089.90 aus der Bun1930
20'500
dessubvention erhalten“ (Re1935
19'200
chenschaftsbericht 1910, S.
1945
17'600
18'000
369). Die 1903 beschlossene
1950
22'900
17'000
Bundessubvention für Primar1955
28'000
29'550
schulen sah u.a. vor, dass
1960
42'400
15'400
400'000*
1965
29'100
51'000
140'800
diese Finanzmittel auch für
1970
20'600
194'800
865'100*
Schulbücher verwendet wer1975
2'021'860*
den durften. Es blieb aber bei
1980
2'550'753.75
dieser einmaligen Nennung
1985
3'058'635.73
konkreter Ausgaben für Lehr1990
5'5241'35.57
mittel, die weiteren Rechen1995
6'462'361.01
schaftsberichte geben keine
2000
6'539'988.45
weiteren Zahlen bekannt. Durch die
1919 gesetzlich festgelegten Staatsbeiträge an die Schulen, konnten immer mehr Lehrmittel unentgeltlich abgegeben werden. Der Regierungsrat wertete dies im Jahresbericht von 1925 als grossen
Erfolg (Rechenschaftsbericht 1925, S. 11), wies aber bereits 1930 darauf hin, dass „die Unentgeltlichkeit der Lehrmittel […] nur auf die für den lehrplanmässigen Unterrichtsbetrieb notwendigen obligatorischen oder von den Erziehungsbehörden zur Benützung ausdrücklich zugelassenen Lehrmittel“ gelte (Rechenschaftsbericht 1930, S. 253). Während der Kriegsjahre 1939–1945 kämpfte der
Lehrmittelverlag mit Absatzproblemen. Vor allem wegen der grossen Nachfrage nach Lehrmitteln aus
England (Wert von 10‘000 Franken), konnten diese schlechten Jahre mit einer 90-protzentigen Umsatzsteigerung unmittelbar nach Kriegsende wieder wettgemacht werden (Rechenschaftsbericht 1945,
S. 188). Von 1925 bis 1965 wurden die Aufträge an die Buchbinder (Bucheinbände und Broschüren)
in den Rechenschaftsberichten statistisch ausgewiesen (siehe Tabelle 9). Später wurden die gedruckten Exemplare resp. der Umsatz oder Gewinn dokumentiert. Systematiken in der Erhebung der
Zahlen lassen sich kaum und wenn, dann nur für kurze Zeit feststellen. Nach 1996 wurden die Berichte des Lehrmittelverlags zunehmend kürzer, zudem fielen die Zahlen zu Umsatz resp. Gewinn weg.
Tabelle 9: Zahlen zu Bucheinbänden, Broschüren, Anzahl Exemplare und zu Umsatz resp.
Gewinn des Lehrmittelverlags
4.4 Absenzenwesen
Die im Schulgesetz formulierten Abschnitte zum geregelten Schulbesuch nahmen im Laufe des
19. Jahrhunderts stets an Umfang zu. Die immer detaillierteren Bestimmungen zu den Sanktionen bei
wiederholtem Schulversäumnis sind Zeichen dafür, dass der Schulabsentismus von den Verantwortlichen als schwerwiegendes Problem wahrgenommen wurde. Die Lösung des Problems wurde zum
einen mit einer verstärkten Kontrolle, Bussen und Strafen angegangen; zum andern versprach man
sich aber auch eine verbesserte Schule, d.h. durch eine qualitativ bessere und längere Lehrerausbildung und eine zunehmende Verberuflichung eine stärkere Akzeptanz der Volksschule insbesondere
unter der Landbevölkerung. In den 1940er Jahren verlor sich die Rubrik Absenzen in den untersuchten Quellen, was dahingehend gedeutet werden kann, dass sich der regelmässige Volksschulunterricht für alle in der Bevölkerung durchgesetzt hat. Mit dem hier angesprochenen Thema kann bei-
Seite 71
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
spielhaft gezeigt werden, wo die Grenzen des Systems lagen bei der Behebung von offensichtlich
festgestellten – und statistisch festgehaltenen – Mängeln.
Auszüge aus den ersten beiden Schulgesetzen des Kantons Aargau sollen dies verdeutlichen. 1805
hiess es:
„Jeder Hausvater ist verpflichtet, seine Kinder fleissig zur Schule zu halten, die Unfleissigen sollen dem Sittengerichte angezeigt werden, um solch Nachlässigkeit von sich aus zu ahnden,
oder dem Schul-Inspektor zu Handen des Schulraths zu verzeigen, damit sie zur gebührenden
Verantwortung und Strafe gezogen werden können; armen Hausvätern, die dieses unterlassen,
ist solches bei Verlust ihrer beziehenden Unterstützung anzubefehlen“ (§ 8).
Das Schulgesetz von 1822 regelte den Schulbesuch und die Konsequenzen beim Fernbleiben schon
in vier Paragraphen: Der Schullehrer war dazu angehalten, ein Verzeichnis über die Abwesenheit der
Schulkinder sowie über die Gründe des Ausbleibens zu führen. Konnte diese Abwesenheit nicht
durch einen Notfall begründet werden, hatte der Vater oder Vormund des Kindes eine Busse von bis
zu zwanzig Batzen zu zahlen oder einen Tag im Gefängnis zu verbringen. Doch geben Gesetzestexte
stets eine Verhaltensnorm und nie die Realität wieder. Wie die Abbildungen 13 und 14 zeigen, stellte
das Absenzenwesen immer eine grosse Herausforderung dar. Der erste Rechenschaftsbericht beklagte denn besonders das Fernbleiben von Kindern und Jugendlichen, die als Arbeitskräfte in Haus
und auf dem Hof gebraucht wurden.
„Als das grösste Hindernis, besonders auf dem Lande, werden uns die häufigen Absenzen der
grössern und ältern Schüler bezeichnet, welche zu Feld- und Hausarbeiten verwendet werden;
an manchen Orten, wird geklagt, werden die Schulversäumnisse durch die Fahrlässigkeit und
pflichtwidrige Nachsicht der obgesetzten Behörden nicht nur nicht gemindert, sondern fast gemehrt“ (Rechenschaftsbericht 1837, S. 68).
Das Problem der Absenzen wurde von Behördenseite als Appell gewertet, der pflegerischen Seite
dieser Aufgabe mehr Gewicht zu verleihen und sich von Staates wegen um die Volksschule zu kümmern. Erklärungen wurden in der allgemeinen sozioökonomischen Situation der Bevölkerung gesucht,
denn die Durchsetzung der Schulpflicht ging einher mit der Verringerung der allgemeinen Armut. Als
dritter Grund wurde aber auch die v.a. in den ländlichen Gemeinden schlechte Ausstattung und damit
schlechte Unterrichtsqualität vorgebracht.
„Solchen Übelständen, die ihren Ursprung theils in der grossen Noth der vielen Armen im Lande, theils in der Unruhe und Unbeständigkeit unserer Zeitläufe finden, kann nur allmälig durch
besonnene, geregelte und feste Ausdauer der beaufsichtigenden Behörden abgeholfen werden“ (Rechenschaftsbericht 1840, S. 110).
Seit den 1840er Jahren wurden die Absenzen auch numerisch in den Rechenschaftsberichten festgehalten. Der Verfasser von 1844 berechnete die durchschnittlichen Schulversäumnisse durchs Jahr,
nämlich „nicht ganz 25 per Kind“, und machte in erster Linie die Eltern, aber auch Lehrer und Behörde für diese Situation verantwortlich. Die Abwesenheit von Schulkindern wurde als eigennütziger
Missbrauch und Gleichgültigkeit gegenüber der Schule vonseiten der Eltern beschrieben. Auch die
Lehrer und Schulpflegen, so das Urteil im Rechenschaftsbericht, nahmen sich dieser Problematik zu
wenig an (vgl. Rechenschaftsbericht 1844, S. 35).
In den 1860er Jahren wurden die Absenzen immer systematischer dargestellt und über mehrere Seiten hinweg ausgewertet und diskutiert. Es wurden Rankings aufgestellt mit den Gemeinden mit den
höchsten Durchschnittswerten; insbesondere Gemeinden mit vielen unentschuldigten und damit straffälligen Absenzen wurden gesondert erwähnt. Dass mit einer solchen Offenlegung eine bewusste
Blossstellung der Gemeindeverantwortlichen bis zu einem gewissen Grad auch provoziert wurde, ist
anzunehmen. 1865 liest man, dass „der Schulbesuch schlechter [steht] als im letzten Jahre, indem
die Gesamtzahl der Absenzen um fast 40'000 gewachsen ist. Die unentschuldigten Versäumnisse
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
haben sich zwar um ca. 15'000 vermindert, dagegen sind die entschuldigten um fast 55'000 gestiegen“ (Rechenschaftsbericht 1865, S. 132). Als mögliche Gründe werden grassierende Kinderkrankheiten erwähnt, aber auch die Vermutung, „dass manche Lehrer auch straffällige Versäumnisse als
entschuldigte verzeichnen, nur um bessere Zahlen zu erwirken, oder um sich mit den betreffenden
Eltern nicht zu verfeinden“ (ebd.). Ein Durchschnittswert von 13 Absenzen pro Schüler erschien den
Verantwortlichen immer noch zu hoch und führte zu einer weiteren Mahnung nach strengerer Kontrolle durch die Schulpflegen und Inspektoren. Noch im Jahr 1895 wies der Rechenschaftsbericht eine
durchschnittliche Absenzenzahl von 9.6 pro Schüler aus. Zehn Jahre später wurden häufig aufgetretene Kinderkrankheiten wie Scharlach, Diphtherie, Pocken, Keuchhusten und Influenza als Gründe
für die vielen Absenzen (immer noch 8 pro Schüler) erwähnt (Rechenschaftsbericht 1905, S. 425). In
den 1870er Jahren finden sich in den Tabellen zu den Schulversäumnissen zusätzlich auch Daten zu
Bestrafungen, Bussen und Anzahl Gefängnisstunden aufgrund von unentschuldigten Schulversäumnissen (siehe Tabelle 10: Zahl der Schüler, Schulversäumnisse und Bestrafungen (Rechenschaftsbericht 1875, S. 77).
Tabelle 10: Zahl der Schüler, Schulversäumnisse und Bestrafungen (Rechenschaftsbericht 1875, S. 77)
2. Zahl der Schüler, Schulversäumnisse und Bestrafungen.
Zahl der
Bezirke.
Schüler.
Aarau
2736
Baden
3607
Bremgarten
2660
Brugg
2819
Kulm
3487
Laufenburg
2397
Lenzburg
2947
Muri
1947
Rheinfelden 1538
Zofingen
4892
Zurzach
2142
Summa 31172
Gesammt-
Unentschuldigte
Schulversäum-
Schul-
nisse
versäumnisse
29696
43925
29906
26818
46342
29399
27637
19458
15089
57487
25933
351690
7657
9005
7017
3168
9258
6238
6698
4784
2236
17225
4585
77871
Bestrafungen.
1091
989
1164
722
892
887
702
1000
1637
2329
409
11822
Bußen.
Fr.
228
240
220
102
155
214
115
204
185
377
126
2171
Rp.
90
50
55
05
10
70
30
35
90
70
50
55
Stunden
Gefängniß.
12
23
277
28
159
71
128
136
212
*) 76
51
*) 1137
* nebst 7 1/2 Tag Waldarbeit.
In engem Zusammenhang mit dem Schulabsentismus diskutierte der Rechenschaftsbericht 1886 die
Zahl der „Sitzenbleiber“, die in der obligatorischen Schulzeit nur schwerlich in die oberen Klassen
aufrückten. Als Hauptgrund wurden die unverhältnismässig vielen Absenzen genannt, aber auch individuelle Disposition oder die familiäre Situation der Schulkinder. In jenem Jahr betrug die Zahl der
Sitzenbleiber im Kanton Aargau 1344 Schülerinnen und Schüler (Rechenschaftsbericht 1886, S. 72f.).
Das entsprach bei einer Gesamtzahl von 30‘290 Kindern knapp 4.5 Prozent Repetenten. 1890 findet
sich eine Bemerkung im Rechenschaftsbericht, dass 1520 Schüler – 108 mehr als im Vorjahr – „al-
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
tershalber und vor Absolvierung der 8. Schulklasse“ aus der Schule entlassen worden seien (Rechenschaftsbericht 1890, S. 89).
Im Aargauer Schulblatt wurde die Problematik der hohen Schülerabsenzen erstmals 1908 erwähnt.
Es wurde eine „strenge Bestrafung für jede unentschuldigte oder ungenügend entschuldigte Absenz
mit mehr als 20 Cts.“ dringend gefordert, und „jeder Schüler hat einen Grund anzugeben, warum er
der Schule ferngeblieben ist“ (Schulblatt 1908, S. 19). Zusätzlich wurde ein Schema empfohlen, wie
die Lehrpersonen die Absenzen aufzuführen hätten. Die Absenzenregelungen nehmen jedoch im
Schulblatt nur einen kleinen Raum ein; pro Dekade finden sich ein bis zwei Meldungen. 1915 ersuchte der Bezirksschulrat die Erziehungsdirektion, dass diese auf den Übelstand öffentlich hinzuweisen
hätte, obwohl die Durchschnittszahl der Absenzen pro Schüler auf 6.72 im Vergleich zum Vorjahr
7.16 (1914) gefallen waren. Doch seien viele Eltern fälschlicherweise der Auffassung, jeder Schüler
habe das Recht, „per Monat eine unentschuldigte Absenz zu machen“ (Rechenschaftsbericht 1915, S.
252). Dieses Missverständnis, so der Verfasser, basiere auf einer Verfügung des Erziehungsrates
gegenüber den Schulpflegen, „monatlich eine Absenz als straflos zu erklären“(ebd.).
Absenzen pro Schüler und Schülerin
16
14
12
10
8
6
4
2
0
1865
1870
1875
1880
1890
1895
1900
1905
Absenzen pro Schüler
1910
1915
1920
1925
1930
1935
1940
davon unentschuldigt
67
Abbildung 8: Absenzen pro Schülerin / Schüler in der Gemeindeschule
Ein nächstes Mal wurden die Lehrpersonen im Schulblatt erst wieder im März 1923 ersucht, die Begründungen für entschuldigte Versäumnisse zu notieren. In der 12. Nummer des Schulblattes – ein
Jahr später – behandelte der damalige Gerichtsschreiber von Baden den juristischen Standpunkt der
Schulpflicht über fünf Seiten hinweg. Die durchschnittlichen Absenzen pro Schüler verringerten sich
gemäss Rechenschaftsberichten kontinuierlich. Der Druck von Seiten des Kantons auf die einzelnen
Schulgemeinden schien gross zu sein, denn die Schulpflegen verlangten nach alternativen Möglichkeiten bei der Absenzenregelung. Lange Versäumnisse zum Beispiel wegen Spital- oder Erholungsheimaufenthalt sollten als Krankheit eingetragen werden können und nicht als Absenzen gelten.
67
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Die Zahlen über die Absenzen stammen aus den Rechenschaftsberichten der Jahre 1865 bis 1940.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Die Abbildung der statistischen Zahlen in der Schulblattausgabe von 1931 zeigte den Lehrerinnen
und Lehrern Aufschlussreiches über das Absenzenwesen. Aus Sicht der Erziehungsdirektion waren
die unentschuldigten Versäumnisse an der Bürgerschule immer noch zu zahlreich. An den Gemeindeschulen hingegen gingen die Zahlen stetig zurück. Dennoch war vor allem in industriellen und in
landwirtschaftlichen Gebieten die Zahl der Versäumnisse immer noch zu hoch. Mit verschärften Bussen – so der Vorschlag einiger Bezirke – sollte gegen die zu hohe Zahl der Absenzen vorgegangen
werden. Dass sich die Anwendungspraxis der Absenzenregelung von Bezirk zu Bezirk unterschied,
widersprach aus Sicht der Erziehungsdirektion der Forderung nach Gerechtigkeit. „Als Mittel zur Gewöhnung der Eltern und Kinder an einen gewissenhaften Schulbesuch ist die Abwandlungspraxis
sehr wichtig“ (Rechenschaftsbericht 1930, S. 277). 1935 stieg die Durchschnittszahl der Absenzen
wiederum vom 6.73 auf 8.17 an (siehe Abbildung 8 und Tabelle 20 im Anhang). Während und nach
dem Zweiten Weltkrieg verlor die Protokollierung der Absenzen für den Kanton scheinbar an Dringlichkeit. Das Absenzenwesen verschwand aus den Rechenschaftsberichten, was ein Hinweis darauf
ist, dass der in der Bundesverfassung von 1874 festgesetzte obligatorische Primarschulunterricht sich
68
sowohl in der Stadt als auch auf dem Land mehrheitlich durchgesetzt hatte.
4.5 Lehrer und Lehrerinnen
Dieses Unterkapitel stellt die Lehrerinnen und Lehrer ins Zentrum und zeigt auf, anhand welcher statistischen Kennziffern sie im Diskurs auftauchen. Es wurden insbesondere die allgemeinen Lehrkräftezahlen analysiert und in Beziehung gesetzt zur Lehrer- und Lehrerinnenausbildung bzw. den Wahlfähigkeitsprüfungen und Patentierungen. Wie schon erwähnt, stellen die Zahlen zum pädagogischen
Personal und dessen Qualität qua Ausbildung eine der wichtigsten Kategorien für die allgemeine
Qualität der Volksschule dar. Anhand der geschlechterspezifischen Untersuchung wird aufgezeigt,
wie und wann der Lehrberuf auf der Volksschulstufe sich von einem typischen Männerberuf mit Aufstiegscharakter und steigendem Prestige zu einem typischen Frauenberuf mit den aktuell diskutierten
Folgen wandelte. Spezifisch für die Lehrerinnen- und Lehrerpresse zeigt sich im Schulblatt, wie seit
den 1970er Jahren das Instrument der Umfrage unter den Lehrpersonen eingesetzt wurde, um konkrete standespolitische Anliegen zu dokumentieren und zu untermauern.
Lehrerinnen und Lehrer waren – und sind immer noch – öffentliche Personen, die in der Gesellschaft
eine bestimmte Rolle zu erfüllen haben. Das kam insbesondere in den Rechenschaftsberichten zum
Ausdruck, wenn über sittliches Verhalten und Pflichterfüllung der Lehrpersonen Bericht gegeben wurde. Noch im Rechenschaftsbericht von 1870 nahmen Bemerkungen dazu zwei Abschnitte ein. Von
den damals 531 angestellten Lehrerinnen und Lehrern gaben zwei Prozent zu Klagen, Verweisen
oder sogar zur Kündigung Anlass. Als sittlich anstössig wurden Trunksucht, sittliche Fehler, ein unordentlicher Haushalt und mangelnder Umgang mit Geld erwähnt. Rund acht Prozent der Lehrpersonen
wurden wegen mangelnder Pflichterfüllung gerügt, so vor allem in Bezug auf ihre Pünktlichkeit und
der genauen Einhaltung des Stundenplans und der Lehrfächer. 1875 dokumentierten die Inspektoren
die „Leistungen der Lehrer“ von sehr gut bis ungenügend – ob sich diese Bewertung jedoch auf die
Unterrichtsführung oder auf das „sittliche Verhalten“ der Lehrpersonen bezog, kann dem Bericht nicht
entnommen werden (vgl. Rechenschaftsbericht 1875, S. 78).
68
Art. 27: Die Kantone sorgen für genügenden Primarunterricht, welcher ausschließlich unter staatlicher Leitung stehen soll.
Derselbe ist obligatorisch und in den öffentlichen Schulen unentgeltlich (Bundesverfassung 1874).
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Tabelle 11: Lehrerzahlen für die Primar-, Sekundar- und Bezirksschule.
k.A.: keine Angaben; die Zahlen 1850 – 1980 stammen aus den Rechenschaftsberichten, die Zahlen von 2000 und 2005 aus der Lehrpersonenstatistik
Jahr
PrimarschulenSekundarschulen Bezirksschulen
1850
487
43
1855
491
46
1860
501
51
1865
507
65
1870
531
68
1875
541
81
1880
554
75
1885
560
77
1890
580
82
1895
583
1900
560
36
1905
577
43
95
1910
615
40
108
1915
670
43
115
1920
699
47
131
1925
759
51
142
1930
776
57
143
1935
810
68
149
1940
822
75
151
1945
836
92
154
1950
854
102
191
1953
921
112
192
1955
950
128
217
1960
1053
165
245
1965
1200
190
285
1970
1357
243
327
1975
1608
348
393
1980
1630
547
426
1985
k.A.
k.A.
k.A.
1990
k.A.
k.A.
k.A.
1995
k.A.
k.A.
k.A.
2000
2004
704
841
2005
2004
878
909
86
89
Nach den 1870er Jahren wurde diese
Rubrik nicht mehr weitergeführt. Von
1875 bis 1984 konnte man den regierungsrätlichen Rechenschaftsberichten
zu Beginn unregelmässig, dann jährlich
eine grafische Darstellung entnehmen.
Die ersten Tabellen im 19. Jahrhundert
wiesen zuerst die Anzahl Lehrer und
Lehrerinnen sowie ihre Besoldung (Minimum; Maximum; Summa) und den
Status ihrer Anstellung (definitiv; provisorisch) auf. Nach 1910 wurden diese
detaillierten Tabellen nicht mehr weitergeführt, es fanden sich bis 1984 lediglich die Anzahl Lehrerinnen und Lehrer.
Mit dem neuen Schulgesetz von 1981
wurde mit der Realschule ein neuer
Schultypus institutionalisiert und somit
auch ein neuer Lehrertypus geschaffen.
Nach 1984 fiel die Lehrkräftestatistik auf
Anregung der Geschäftsprüfungskommission aus den Rechenschaftsberichten (Rechenschaftsbericht 1985, S. 88).
Neu sollten diese Daten im Statistischen Jahrbuch abgebildet werden.
Dort wurde die Lehrkräftestatistik jedoch nie aufgenommen. Erst 1994 wurde sie neben der Schulstatistik zusätzlich herausgegeben.
Lehrerausbildung
Die Lehrerausbildung kann im Kanton Aargau auf eine lange Tradition zurückblicken. Schon 1802
wurden 20 Landschullehrer zu einem vierwöchigen Fortbildungskurs zusammengezogen. Kurse dieser Art wurden in den kommenden Jahren immer wieder durchgeführt. Zwanzig Jahre später konnte
in Aarau das erste staatliche Lehrerseminar der Schweiz eröffnet werden. An dieser neu gegründeten
Institution wurden sowohl zweijährige Ausbildungs- als auch kürzere Weiterbildungskurse angeboten.
Die erste Übersiedlung des Lehrerseminars fand 1834 nach Lenzburg statt, die zweite erfolgte 1846
ins ehemalige Kloster Wettingen. Das Lehrerseminar sollte dort als Konvikt „abseits von den verführerischen Städten“ (Lattmann, 1976, S. 53) geführt werden. Die streng geführte Ausbildung – angelehnt
an das Leben der Mönche – wurde auf drei Jahre verlängert. Als Zweigstelle des Töchterinstituts der
Stadt Aarau wurde 1873 das Lehrerinnenseminar gegründet, das erst seit 1911 eine staatlich geführte Anstalt war (Kretz, 1994). Das Seminar Wettingen war eine Ausbildungsstätte für Männer; es wurden nur zwischen 1905 und 1927 vereinzelt Mädchen aufgenommen.
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Der Rechenschaftsbericht von 1840 bezeichnete die „neue“ Lehrerausbildung als wirkungsvoll und
angemessen: „Die geprüften und nach den Bestimmungen des neuen Schulgesetzes wahlfähig erklärten Lehrer zeigen sich fast durchweg wirklich fähig für ihre Stellen“ (Rechenschaftsbericht 1840,
S. 102). Hingegen wurde die Qualität der provisorisch eingestellten Lehrpersonen nach wie vor als
problematisch eingeschätzt, jedoch als Notwendigkeit für die damalige Situation akzeptiert. Es wurde
von „ältern, abgemüdeten Lehrern, die nicht mehr Geistesbeweglichkeit genug besitzen, um sich in
das Vielerlei und in die Methodik des neuen Schulwesens hineinzufinden und hineinzuarbeiten“ (Rechenschaftsbericht 1837, S. 98) geschrieben. Auch mussten immer wieder Lehrerstellen an „Provisoristen“ vergeben werden.
Die „theoretische Bildung“ des Lehrerstands war nach Einführung des Schulgesetzes von 1835 eine
wiederkehrende Passage in den Rechenschaftsberichten. Der Rechenschaftsbericht von 1855 gab
erstmals eine Aufstellung über die Altersstruktur als auch das Dienstalter von Lehrerinnen und Lehrern wieder. Von den damals angestellten 466 Lehrern und 25 Lehrerinnen befanden sich immerhin
zwölf schon im „Pensionsalter“: zehn Personen waren älter als 65, zwei Personen waren sogar zwischen 75 und 80 Jahre alt. Rund ein Neuntel (54 Personen) hatten noch keine spezielle Vorbildung
für den Lehrberuf. Bezüglich der methodischen und didaktischen Kenntnisse des pädagogischen
Personals kann man eine klare Rangierung nachlesen:
„In Bezug auf theoretische Kenntnisse, auf Methodik und Didaktik stehen begreiflicherweise die
ältesten Lehrer und die Provisoristen, welche noch gar keine Seminarbildung empfangen haben,
am weitesten zurück. Dann folgen im Allgemeinen diejenigen, welche das Seminar in Aarau
besuchten. Die tüchtigsten Lehrer sind im Durchschnitt die Zöglinge von Lenzburg und Wettingen. Auch unter den auf fremden Seminarien Gebildeten zeichnen sich Mehrere durch Kenntnisse und Leistungen aus. Diejenigen endlich, welche höhere Lehranstalten, Gymnasien, Lyceen und Hochschulen besuchten, stehen natürlich den übrigen in wissenschaftlicher Bildung voran“ (Rechenschaftsbericht 1855, S. 54).
Der Rechenschaftsbericht dokumentierte jedoch nicht, nach welchen Kriterien eine solche Bewertung
zustande gekommen war bzw. aufgrund welcher Beobachtungen die Inspektoren zu ihren Urteilen
gekommen waren. Was zum damaligen State of the art der Lehrkunst gehörte, müsste am ehesten
durch die in den als hervorragend beurteilten Lehrerseminaren verwendeten Lehrbüchern und Unterrichtsdemonstrationen erschlossen werden. 1870 findet sich eine Bemerkung, „dass insbesondere die
älteren Lehrer Mühe haben, sich schriftdeutsch auszudrücken“ (Rechenschaftsbericht 1870, S. 113).
Dieser Umstand sei aber nicht nur einem tieferen Bildungsstand der älteren Generation von Lehrern
zuzuschreiben, sondern auch den „Authoritäten von zweifelhaften Werthe, welche vermeinen oder
vorgeben, es geschehe damit ein Hochverrath an der Majestät des Schweizerdeutschen Dialektes“ (ebd.). Zur Sprachgewandtheit der Lehrpersonen wurde 1875 ein Inspektor zitiert: „Das Schriftdeutsche, das in den Schulen gesprochen wird, thut meist in den Ohren weh!“ (Rechenschaftsbericht
1875, S. 78).
Im 19. Jahrhundert war die Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern noch nicht institutionalisiert.
Die Einrichtung von Lehrerbibliotheken und allgemeinen Lesevereinen, die zum Teil durch Staatsbeiträge und private Zuschüsse alimentiert wurden, stellten eine Möglichkeit zur persönlichen Weiterbildung von Lehrpersonen dar (vgl. Rechenschaftsbericht 1837, S. 81). An den Lehrerkonferenzen wurde mit Diskussionen, Probelektionen und schriftlichen Arbeiten die Unterrichtskompetenz der Lehrerinnen und Lehrer gepflegt und erweitert: „Überall wirkten die Konferenzen wohlthätig und erfrischend
auf das geistige Leben und die Fortbildung der Lehrer ein“ (Rechenschaftsbericht 1862, S. 133).
Dass diese Versammlungen als der erste und zentrale Ort für die Lehrerweiterbildung im 19. Jahrhundert bezeichnet werden kann, demonstriert auch eine Aussage aus einer wirtschaftlichen Krisenzeit: „Die so wünschenswerthe Fortbildung der Lehrer hat unter dem Drucke schwerer Nahrungssor-
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
gen im Allgemeinen ziemlich gelitten, doch wurden wenigstens die Konferenzen in allen Bezirken
regelmässig abgehalten und fleissig besucht“ (Rechenschaftsbericht 1855, S. 55). Lehrerweiterbildung war in erster Linie eine persönliche Angelegenheit der einzelnen Lehrperson.
Seit den 1880er Jahren wurde im Abschnitt zu den Lehrerbildungsanstalten in den Rechenschaftsberichten hauptsächlich die Anzahl Studierende der einzelnen Klassen abgebildet, die Abschlusszahlen
sowie ein kurzgehaltener Jahresrückblick mit den wichtigsten Ereignissen (siehe Tabelle 13). Aufgrund der hohen Stellenlosigkeit diskutierte man 1915 im Erziehungsrat über eine festzulegende Maximalschülerzahl an den Lehrerbildungsanstalten. Die Seminarkommissionen wurden eingeladen, zu
prüfen und Bericht zu erstatten: „1. Ob und wie eine Beschränkung der Schüleraufnahmen und die
Lehrerbildungsanstalten stattzufinden habe, und 2. Ob die Zulassung von Schülerinnen in das Seminar Wettingen auch fernerhin zu gestatten sei“ (Rechenschaftsbericht 1915, S. 243). Dies führte in
kurzer Zeit zu einem „verminderten Besuch“ des Lehrerseminars, aber auch – gekoppelt mit der Vermehrung der Lehrstellen – relativ rasch zu einem ungewollten Lehrermangel (Rechenschaftsbericht
1920, S. 55). Begannen 1915 89 Schüler die Lehrerausbildung in Wettingen und 103 Schülerinnen in
Aarau (Lehrerinnenseminar und Töchterinstitut), waren es 1920 noch 49 in Wettingen und 68 in Aarau. In nur fünf Jahren sank die Anzahl Schüler und Schülerinnen fast um die Hälfte. Die beiden Seminardirektionen informierten in den kurzen Jahresberichten jeweils über die Anstellung neuer Lehrpersonen sowie über alters- oder krankheitsbedingte Rücktritte. Darüber hinaus wurden die Schülerzahlen dargestellt, es wurde erwähnt, ob die Zöglinge im Konvikt, extern oder bei ihren Eltern wohnten, und die Höhe der Stipendiengelder wurde bekannt gegeben. Bei den Frauen wurde zudem noch
die Konfession erhoben: Der grösste Teil war protestantischer Herkunft. Ab 1935 wiesen die Rechenschaftsberichte die Zahl der Schülerinnen des Lehrerinnenseminars gesondert von derjenigen des
Töchterinstituts entnommen aus.
Teilweise wurde auch über aussergewöhnliche Vorfälle informiert. So führte ein Selbstmordversuch
eines Zöglings in Wettingen zu einer Untersuchung des Vorfalles durch die Seminarkommission; wobei festgestellt wurde, „dass der Vorfall in der Individualität des Zöglings begründet“ sei und dass
weder die Seminardirektion, noch die Lehrerschaft oder der Unterricht verantwortlich gemacht werden
könne (Rechenschaftsbericht 1915, S. 290). Oder dass unter den Schülerinnen ernsthafte Krankheitsfälle vorkamen und somit die Aufsichtsbehörde eine alljährliche ärztliche Untersuchung veranlasste (Rechenschaftsbericht 1925, S. 60). 1935 beschloss der Regierungsrat, dass auch Maturitätszeugnisse für die Patentierung angerechnet werden können unter Auflage, dass gewisse Fächer (Pädagogik, Lehrübung, Musik, Turnen, Schreiben, Volkswirtschaftslehre, Handarbeit, Hygiene, Zeichnen und evtl. Deutsch) in einem Jahreskurs nachgeholt wurden. Diese Regelung galt sowohl für die
Gemeinde- als auch für die Sekundarschulen.
Waren vorerst in den regierungsrätlichen Rechenschaftsberichten die Jahresberichte der beiden kantonalen Lehrerseminaren Wettingen und Aarau verkürzt abgedruckt, wurden die Informationen zusehends spärlicher – der Regierungsrat verwies ab 1940 nur noch auf die ausgehändigten Jahresberichte der jeweiligen Anstalten, druckte diese jedoch nicht mehr ab. Die Patentierungen der jungen
Lehrkräfte wurde jedes Jahr einzeln nach Schultypen bis 1967 ausgewiesen (siehe Abschnitt Wahlfähigkeitsprüfung/Patentierungen). Nach über zwanzigjährigem Unterbruch erschienen 1965, 1966 und
1967 in den Rechenschaftsberichten Tabellen mit der Auflistung der Studierendenzahlen pro Jahrgangsklasse der Lehrerseminarien. Dies ist jedoch die letzte statistische Darstellung von Absolventenzahlen der einzelnen Lehrerseminarien. Die Rechenschaftsberichte von 1973 bis 1984 führten
zwischenzeitlich die Gründe für Austritte der Lehrkräfte aus dem Schuldienst auf. Folgende Kategorien wurden erhoben: Pensionierung, Weiterstudium, Verheiratung, ausserkantonaler Schuldienst,
andere Berufe, Auslandaufenthalt, Wahl an höhere Stufe, Rücktritt von verheirateten Lehrerinnen,
unbekannter Grund oder andere Gründe (siehe Tabelle 12).
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Tabelle 12: Lehrerbefragung zu ihren Kündigungsgründen (Rechenschaftsberichte 1973-1983)
Primarschule
Sekundarschule
Bezirksschule
1973
1975
1977
1979
1981
1983
1973
1975
1977
1979
1981
1983
1973
Pensionierung
23
15
15
24
1
14
5
3
3
5
6
2
6
Weiterstudium (-bildung)
50
67
31
54
36
24
7
4
2
7
9
4
12
1
2
3
1
5
10
Verheiratung
27
19
15
16
15
7
Ausserkant. Schuldienst
15
9
5
11
5
12
4
Andere Berufe
10
6
3
6
15
4
3
Auslandaufenthalt
42
31
11
27
15
4
Wahl an höhere Stufe
33
23
5
13
5
5
4
2
Rücktritt von verheirateten Lehrerinnen
65
59
35
85
33
17
1
3
2
4
9
88
39
6
24
19
17
74
115
54
57
Unbekannter Grund oder andere Gründe
29
31
32
37
196
123
Total
294
260
152
273
321
210
1
3
1975
1977
1979
5
4
1981
1983
5
4
2
1
7
1
5
1
1
1
1
6
5
43
8
3
5
2
2
42
57
47
61
2
24
45
156
35
Diese statistische Erhebung der Austritte und deren Gründe wurden nicht weitergeführt und fielen ab
1984 wieder aus den Rechenschaftsberichten. Jedoch beinhaltet der Rechenschaftsbericht von 1995
einen Hinweis auf das Forschungsprojekt „Kündigungsgründe“. Die 170 Aargauer Lehrpersonen,
welche auf Ende Schuljahr 1994 gekündigt haben, wurden nach deren Grund befragt.
69
Wahlfähigkeitsprüfungen / Patentierungen
Die Abschlusszahlen des Seminars Wettingen bzw. der Lehrerinnenausbildung an der Höheren Töchterschule Aarau sowie in den ersten Dekaden auch die Ergebnisse der Wahfähigkeits- und Wiederholungsprüfungen älterer Lehrer wurden von Anfang an in den Rechenschaftsberichten rapportiert. Bis
1965 waren diese Zahlen Bestandteil des jährlichen Rechenschaftsberichts.
„Von den 20 Kandidaten, welche im April vorigen Jahres die Patentprüfung machten, erhielten
9 das Zeugnis definitiver Wahlfähigkeit für Gemeindeschulen; worunter 3 für Fortbildungsschulen und 10 eine provisorische Wahlfähigkeit auf 6 Jahre, einer konnte nicht patentiert werden.
Von den 19 Kandidaten traten 16 in den Schuldienst des Kantons, 2 sind auf höhere Schulen
abgegangen“ (Rechenschaftsbericht 1881, S. 70).
Diese Kennziffer wurde anfänglich auch als wichtiges Merkmal für die allgemeine Qualitätssteigerung
der öffentlichen Volksschule diskutiert (siehe Tabelle 13).
„Die gesetzlichen Wahlfähigkeitsprüfungen haben bei dem grössten Theil der Lehrer als treffliches Fortbildungsmittel gewirkt, und den Zweck fortdauernder geistiger Anregung wirklich auf
eine erfreulich Weise erreicht, um so schroffer hingegen aber die Thatsache hervorgehoben,
dass andere – freilich nur sehr wenige – auf ihrer Bildungsstufe durchaus stehen blieben und
sich so wenig um die gesteigerten Forderungen ihres Berufes kümmerten, dass sie sich hie und
da nicht einmal mit den seit Jahren eingeführten obligatorischen Lehrmitteln vertraut gemacht
hatten“ (Rechenschaftsbericht 1840, S. 103).
In den Anfängen der staatlichen Lehrerbildung reagieren die Behörden bei den Wahlfähigkeitsprüfungen auf die qualitativ unterschiedliche Vorbildung: „Wie billig, wurde fortwährend bei ältern Lehrern
mehr auf ihre praktischen Leistungen, als auf die blos theoretische Prüfung in Kenntnissen, die ihrem
frühern Bildungsgange fremd geblieben waren, Rücksicht genommen, die jüngern dagegen mussten
geziemendermassen dem Gesetz den vollen Tribut leisten“ (Rechenschaftsbericht 1840, S. 103).
Diese Praxis weist darauf hin, dass der Bedarf an staatlich geprüften Lehrern in dieser Zeit so gross
69
Die Abschlussprüfung des Seminars wurde Patentierung genannt und galt bis zur „Interkantonalen Vereinbarung über die
Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen“ vom 18. Februar 1993 [http://www.edk.ch/dyn/14311.php; Zugriff am 5.9.2013] als Arbeitsbefähigung für den Unterricht im Kanton Aargau. Nachfolgend wurden die patentierten Lehrpersonen, die für fähig und tüchtig
befunden wurden, von den Behörden für die Wählbarkeit vorgeschlagen und erhielten ein Wählbarkeitszeugnis. Damit konnten sie
auf zeitlich unbefristete Stellen eingestellt werden. Ausserkantonale Lehrpersonen mussten eine Wählbarkeitsprüfung absolvieren,
damit sie die kantonale Wahlfähigkeit erhielten und den Lehrpersonen mit einem kantonalen Diplom gleichgestellt wurden.
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
war, dass man immerhin während einer Übergangsfrist, bis nur noch Lehrer aus dem kantonalen
Seminar zur Prüfung antraten, die Qualitätsanforderungen für den Lehrberuf flexibel auszulegen bereit war. Dem Rechenschaftsbericht von 1860 ist zu entnehmen, dass Lehrer zum Wiederholungskurs
aufgeboten wurden mit dem Ziel, diesen mit der Prüfung zur Wahlfähigkeit abzuschliessen. „Die Ergebnisse des Kurses waren im Allgemeinen befriedigend, doch hätte mehr geleistet werden können,
wenn bei den Repetenten ein regerer Eifer für ihre Fortbildung geherrscht hätte. Viele besuchten aber
den Kurs sehr ungern und nur, weil sie mussten, was sich auch bei Einzelnen in einem nicht ganz
befriedigenden Benehmen zeigte“ (Rechenschaftsbericht 1860. S. 92). Von den damals 21 aufgebotenen Lehrern bestanden trotzdem alle die Prüfung und erhielten die Wählbarkeit, zum Teil jedoch mit
Einschränkung auf eine bestimmte Stufe (nur untere und mittlere Klasse) oder nur für eine begrenzte
Zeit (zwei bis sechs Jahre). Dies entsprach quasi einer provisorischen Wählbarkeit für eine gewisse
Zeit, nach deren Ablauf die Lehrperson in einem nächsten Wiederholungskurs ihre Kompetenz erneut
unter Beweis stellen musste.
Tabelle 13: Wahlfähigkeitsprüfung und Patentierungen von Lehrpersonen im Kanton Aargau (Rechenschaftsberichte 1837-1965)70
Jahr
Lehrer
Lehrerinnen Arbeitslehrerinnen Hauswirtschaftslp. Sekundarlehrer Sonderkurs
1837
75
18
1840
46
5
1844
19
1875
18
1880
kA.
kA.
kA.
1886
14
15
41
1890
18
14
12
1895
13
9
41
1900
17
15
22
1905
20
16
35
1910
25
30
32
1916
25 (2)
25
29
1920
8 (10)
16 (1)
55
1925
23 (2)
28*
29 (2)
1930
24 (4)
22 (5)
19
2
1935
24 (3)
21 (3)
22
5
1940
25 (2)
25 (9)
20
1945
24 (1)
24 (2)
13 (2)
1950
kA.
kA.
1955
45
49 (5)
1960
45
51 (2)
1965
64
81
2
14
5
kA.
3
kA.
18 (4)
12
12
(1)
(1)
13
22
20
15
11
19
Wer diese Massnahme getroffen hatte und weshalb der Wiederholungskurs verpflichtend wurde, war
dem Bericht nicht zu entnehmen. Das Schulgesetz von 1835 (§ 42) jedoch besagte, dass die Wähl-
70
Die Angaben in den Klammern () entsprechen der Anzahl zusätzlich ausserkantonal ausgebildeter Lehrerinnen und Lehrer,
welche ebenfalls die Wahlfähigkeit erhalten haben. Die Zahl, welche mit Sternchen * versehen ist, bedeutet, dass fünf von 28 Lehrerinnen in Wettingen und nicht wie üblich in Aarau patentiert wurden.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
barkeit nach sechs Jahren wieder erneuert werden musste. Dies geschah durch ein Gutachten des
Inspektors, wenn ein Stelleninhaber am Ort blieb oder durch eine Prüfung, wenn ein Lehrer sich auf
eine andere Stelle bewerben wollte. Bei Lehrern, die seit zwölf Jahren im Amt waren, bedurfte es
keiner Erneuerung der Wahlfähigkeit mehr. Ob das Instrument des Wiederholungskurses auch eingesetzt wurde, um negativ beurteilte Lehrer zu relegieren, liess sich weder dem Gesetz noch den Rechenschaftsberichten entnehmen. Da es dem Staat sehr daran gelegen war, provisorisch besetzte
Stellen mit wahlfähigen Lehrern zu besetzen, ist hingegen anzunehmen, dass solche Lehrpersonen
ermuntert wurden, sich freiwillig weiter zu qualifizieren und sich in Kursen auf die Wahlfähigkeitsprüfung vorzubereiten. Es wurden in den Rechenschaftsberichten immer wieder Abiturienten (vorwiegend Männer) erwähnt, welche die Lehrbefähigung nur für ein resp. zwei Jahre erhielten.
1924 wurden erstmals und allem Anschein nach 1926 letztmals Frauen im Lehrerseminar Wettingen
zu Lehrerinnen ausgebildet. Ansonsten blieb die Lehrerbildung im Kanton Aargau bis 1965 nach Geschlechtern getrennt. Neben den eigenen Abiturientinnen und Abiturienten erteilte man auch auswärtig ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern die Wahlfähigkeit, zu Lehrermangelzeiten auch Personen
aus dem Ausland. Zudem reagierte man Ende der 1950er Jahre (1956/57) mit der Durchführung von
Sonderkursen auf die anhaltend hohe Nachfrage nach Lehrpersonen. Bis 1993 galten die Lehrpatente in der Schweiz nur auf kantonaler Ebene und mussten durch den Kanton, welcher die ausserkantonalen Lehrpersonen anstellte, anerkannt werden. Neben den Absolventinnen und Absolventen aus
anderen Kantonen gab es auch Argauerinnen und Aargauer, welche ein Seminar ausserhalb des
Herkunftskantons besuchten (z.B. in den katholischen Kongregationsseminaren der Zentralschweiz).
Im Rechenschaftsbericht von 1929 wurden erstmals Absolventen der Fortbildungs- (Sekundar)schule
erwähnt; die Ausbildung der Lehrpersonen wurde demzufolge weiter differenziert. Wollten Gemeindeschullehrer als Fortbildungslehrer oder später als Sekundarlehrer eingesetzt werden, mussten sie
zunächst eine Ergänzungsprüfung in Französisch ablegen. In den 1970er Jahren erschienen in wenigen Jahren hintereinander wiederum die Zahlen zu den Patentierungen sowie die jeweiligen Eintritte
in Lehrerstellen. Diese Statistik wurde jedoch nur ganz kurz abgebildet. Den Frauen standen neben
dem Lehrerinnenseminar in Aarau ab 1949 das kantonale Arbeitslehrerinnenseminar, welches von
einem Jahreskurs auf zwei Jahre Dauer verlängert wurde, das Hauswirtschaftslehrerinnenseminar
(ab Frühjahr 1961 verstaatlicht) und ab Frühjahr 1960 das kantonale Kindergärtnerinnenseminar als
Ausbildungsstätte im pädagogischen Bereich zur Verfügung. War das Hauswirtschaftslehrerinnenseminar vorerst in Aarau, übersiedelte es später ebenfalls wie die zwei anderen Institutionen an die
Frauenfachschule nach Brugg. Für diese drei Institutionen wurden, anders als für die Lehrerseminarien, die Jahresberichte weiterhin bis 1975 in den Rechenschaftsberichten abgedruckt. Dabei beinhalteten sie Informationen über Anzahl Schülerinnen, Anzahl Absolventinnen, zur Lehrerschaft und über
Exkursionen.
Lehrerinnen / Handarbeitslehrerinnen
Im Schulgesetz von 1835 heisst es: „Nur einem Manne von zureichender Bildung und sittlichem
Wandel […], kann eine Lehrerstelle übertragen werden“ (§ 40). Primarlehrerinnen waren bis ins letzte
Drittel des 19. Jahrhunderts eigentlich kein Thema im Rechenschaftsbericht. Wurden zu Beginn noch
die Stipendien für Schülerinnen an der Höheren Töchterschule, die sich zur Lehrerin ausbildeten,
erwähnt, blieben diese Angaben ab den 1860er Jahren aus (siehe Abbildung 9). Erst 1870 vermerkte
der Rechenschaftsbericht, dass zwei Lehrerinnen …
„[…] an gemischten Unterschulen, in denen Knaben und Mädchen gemeinschaftlich unterrichtet
werden, angestellt [seien]. Die Anstellung der beiden letzteren war der erste Versuch in unserm
Kantone, auch Lehrerinnen für den Unterricht beider Geschlechter zu verwenden. Derselbe ist
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
sowohl in Beziehung auf den Unterricht wie auf die Handhabung der Disziplin zur vollen Zufriedenheit der Aufsichtsbehörden ausgefallen“ (Rechenschaftsbericht 1870, S. 112).
Dieses Zitat erwähnt die erstmalige Anstellung von Lehrerinnen an einer gemischten unteren Primarklasse. In den Rechenschaftsberichten des Aargaus ist nirgends explizit erwähnt, ob es früher schon
reine Mädchenprimarklassen gab, die von Primarlehrerinnen unterrichtet wurden. Den Zahlen zu den
Lehrerinnen in den Rechenschaftsberichten ist für die Zeit den 19. Jahrhunderts meistens nicht deutlich zu entnehmen, in welcher Funktion Frauen als Lehrerinnen eingestellt wurden, ob als Handarbeitslehrerin oder als Primarlehrerin. Hingegen nahm die Darstellung über die Arbeitsschule für Mädchen ab Mitte der 1850er Jahre zu. 1865 wirkten bereits 30 Lehrerinnen von insgesamt 477 Lehrpersonen an Gemeindeschulen (Rechenschaftsbericht 1865, S. 134). Auch war das Fach Weibliche
Handarbeiten eine Möglichkeit für Frauen zu unterrichten, ungeachtet ihres Zivilstands: „An denselben [weiblichen Arbeitsschulen, d.V.] wirkten 284 Lehrerinnen, von denen 120 verheirathete Frauen
oder Wittwen und 164 ledigen Standes waren“ (Rechenschaftsbericht 1865, S. 136). Den Rechenschaftsberichten ist jedoch nicht immer deutlich zu entnehmen, in welcher Funktion Frauen als Lehrerinnen eingestellt wurden, ob als Handarbeitslehrerin oder als Primarlehrerin.
Lehrerinnen und Lehrer der Primar(Gemeinde-)schule
1800
1600
1400
1200
1000
800
600
400
200
0
1865
1875
1885
1895
1905
1915
1925
Lehrerinnen
1935
1945
1955
1965
1975
1984
2000
Lehrer
Abbildung 9: Entwicklung der Lehrerinnen- und Lehrerzahlen an der Primar- resp. Gemeindeschule des Kantons Aargau71
1913 wurde im Schulblatt erstmals das stete Vorrücken der Lehrerinnen im Lehrberuf thematisiert.
Der Bericht beinhaltete eine Tabelle mit der Entwicklung der Lehrerinnen- und Lehrerzahlen im Kan-
71
Die Zahlen von 1865 bis 1910 stammen aus einer Tabelle des Schulblattes (1913, S. 4), stimmen jedoch mit denjenigen der Rechenschaftsberichte überein. Von 1915 bis 1984 stammen die Zahlen aus den jeweiligen Rechenschaftsberichten, anschliessend aus der
Lehrerstatistik [http://www.ag.ch/staag/; Zugriff am 5.10.2013]. Bei den neuen Zahlen handelt es sich um die absolute Anzahl Lehrer
und Lehrerinnen auf der Primarstufe (inkl. Grund- und Basisstufe, exkl. Einschulungsklasse). Die früheren Zahlen sind nicht belegt, es
wird jedoch angenommen, dass es sich um die absolute Anzahl Lehrpersonen handelt und nicht um Vollzeitäquivalente. Wobei gesagt
werden muss, dass bis in die 1980er Jahre kaum resp. keine Teilzeitstellen existierten.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
ton Aargau seit 1865. Die Zahlen wurden von einem Mitarbeiter des Schulblattes anhand der regierungsrätlichen Rechenschaftsberichte für die Bezirkskonferenz zusammengestellt, da man dort die
zunehmende Zahl der weiblichen Mitglieder wahrnahm. Innerhalb von 24 Jahren hatte sich die Anzahl der Lehrerinnen von 94 (1887) auf 188 (1911) verdoppelt. Die Zahl der Lehrer hingegen wuchs
in derselben Zeit nur um 17 Personen von 468 auf 485 an. Prozentual nahmen die Frauen 1911 bereits 28% der Lehrerstellen ein (siehe Abbildung 9).
1964 zeigte ein Artikel im Schulblatt mit dem Titel „Stirbt der Lehrer aus?“ die Entwicklung der Lehrerinnen- und Lehrerzahlen auf der Primarstufe seit 1900 im Rhythmus von zehn Jahren auf. Über diese 60 Jahre hinweg nahm der Anteil Lehrerinnen gegenüber den Lehrern stetig, von 23 auf 43 Prozent zu. Dieser Entwicklungsprozess wurde mit folgenden Worten beschrieben: „Wenn nun aber die
Entwicklung des Lehrerstandes in dem Masse weiter geht, wie es seit der Jahrhundertwende der Fall
ist, so wird ums Jahr 2000 endlich der Lehrer aufgewertet sein: er wird Seltenheitswert bekommen!“ (Schulblatt 1964, S. 16). Dass der Verfasser dieses Artikels aus den 1960er Jahren mit seiner
Prognose nicht ganz Unrecht hatte, zeigten die nationalen Daten des Bundesamtes für Statistik, die
im Jahr 2001 im Schulblatt abgedruckt wurden. Die fortschreitende Feminisierung an den Primarschulen wurde dabei als ein Hauptproblem beschrieben. Bis zum Schuljahr 1998/99 betrug der Frauenanteil im Kanton Aargau auf der Primarstufe ca. 75 Prozent. Die Zahlen verdeutlichen, dass der
Lehrerinnenanteil in 133 Jahren von 6 Prozent (1865) auf 75 Prozent (1998) angestiegen ist.
In den regierungsrätlichen Rechenschaftsberichten wurden bis in die 1980er Jahre die Zahlen der
unterrichtenden Lehrpersonen nach Geschlechtern getrennt ausgewiesen. Die Tabellen beinhalteten
jeweils die Daten des aktuellen Jahres sowie des Vorjahres. Daraus ist jedoch nicht ersichtlich, ob es
sich dabei um entsprechend berechnete Vollzeitstellen handelte oder um die absolute Anzahl Personen im Schuldienst – wobei eher letzteres angenommen wird. Nach einem auffälligen Rückgang der
Lehrerinnenzahlen innerhalb eines Jahres von 618 auf 563 (1965) im Vergleich zur Steigerung der
Lehrerzahlen im selben Zeitraum von 532 auf 637, stiegen 1970 die Lehrerinnenzahlen (697) erstmals über diejenigen der Männer (660). Die Diskussion, dass im Unterricht vermehrt Frauen als
Lehrpersonen eingesetzt werden, fand in den Rechenschaftsberichten weder bei Lehrerknappheit
noch bei Lehrerüberfluss statt.
Umfragen bei Lehrpersonen
1970 trat im Schulblatt für die Kantone Aargau und Solothurn ein fast gänzlich neues Phänomen auf:
Es wurden Resultate von Umfragen unter den Lehrerinnen und Lehrern veröffentlicht. Eine einzige
Ausnahme bildete die Umfrage bei den Absolventen der Handelsschule über ihre Anschlussmöglichkeiten, die bereits 1905 den Weg ins Schulblatt fand. Waren diese Abdrucke von Umfragen anfangs
noch auf die Initiative des Lehrervereins zurückzuführen, trat ab Mitte der 1990er Jahre zunehmend
das Erziehungsdepartement als Verantwortliche dieser Veröffentlichungen auf. Dabei waren die
Themen äusserst vielseitig: Es fing an mit einer Umfrage zum Sommerschulbeginn 1970, als weitere
folgten beispielsweise die Umfrage zur Mobilität der Lehrpersonen (1974), die Umfrage zur Austrittsmotivation aus dem Lehrberuf (1974), die Umfrage der Lehrpersonen über den Lehrplan (1996), eine
Umfrage bei den Schulleitungen über Befindlichkeit, Motivation, Belastung und Fortbildung (1999),
eine Umfrage zu den Arbeitsbedingung und Teilzeit (2005) oder zum Primarschulfranzösisch (2008).
Die Tatsache, dass das Erheben statistischer Daten nun nicht mehr primär der Verwaltung und ihrer
Zulieferern – den Inspektoren und Institutionen – zukam, sondern auch vom Aargauer Lehrerverein
als probates Mittel entdeckt wurde, um standes- und bildungspolitische Forderungen zu stützen und
zu untermauern, verweist auf die Akzeptanz der Bildungsstatistik im Allgemeinen.
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4.6 Sozial- und heilpädagogisches Angebot
Das sozial- und heilpädagogische Angebot (Heime für Kinder mit Behinderungen, Erziehungsheime,
Sonderschulen usw.) wurde in den Rechenschaftsberichten während des gesamten Untersuchungszeitraums in einem eigenen Kapitel ausgewiesen. Im Schulgesetz von 1865 wurde erstmals thematisiert, wer vom obligatorischen Schulbesuch ausgenommen war: „Von der Verpflichtung zum Besuche
der öffentlichen Gemeindeschule sind ausgenommen: die Kinder, welche entweder nicht bildungsfähig, oder nicht vollsinnig sind […]“ (Schulgesetz 1865, § 41). Ansonsten bestanden für heil- und sozialpädagogische Erziehungseinrichtungen keine weiteren Vorgaben. Erst 1941 wurden die Sonderschulung „für verwahrloste und anormale Kinder“ (Schulgesetz 1940, § 37) erwähnt und weitere Reglementierungen für besondere Erziehungsanstalten erlassen. 1981 wurden die gesetzlichen Grundlagen dahingehend angepasst, dass für behinderte Kinder und Jugendliche, sowohl im Vorschul-,
Schul- und Nachschulalter, von den Gemeinden geführte heilpädagogische Angebote bestehen müssen. Der Umfang der Sonderschulung wurde vom Grossen Rat geregelt, der Regierungsrat war zuständig für den Inhalt, die Leitung und den Betrieb der Einrichtungen (Schulgesetz 1981, § 29). Da
sich in der Analyse dieses Themas unterschiedliche Darstellungsformen zeigen, werden die Erhebung und der Umgang statistischer Daten im Bereich der Sozialpädagogik und der Heilpädagogik in
zwei voneinander getrennten Zeiträumen diskutiert. Zur besseren Übersicht werden die verschiedenen Anstalten im Folgenden in heilpädagogische und sozialpädagogische Institutionen unterteilt.
Heilpädagogisches Angebot 1837-1967
Im Rechenschaftsbericht von 1837 wurden bereits zwei heilpädagogische Anstalten aufgeführt, die
Taubstummen-Anstalt in Aargau und diejenige in Zofingen. Zwischenzeitlich erhöhte sich die Zahl der
im Rechenschaftsbericht dargestellten heilpädagogischen Institutionen auf sechs, sank anschliessend aber wieder. 1915 erfährt man, dass sich die Errichtung von Spezialklassen für Schwachbegabte im Kanton Aargau noch nicht durchgesetzt hätte, und im Rechenschaftsbericht von 1925 beklagten
sich die Schulpflegen und Inspektoren darüber, dass gesetzliche Bestimmungen fehlten, mit denen
man die Gemeinden, falls nötig, dazu zwingen könnte, Spezialanstalten für Schwachbegabte zu errichten. Auch 40 Jahre später sind immer noch nur fünf heilpädagogische Anstalten aufgeführt.
Die Aussagekraft der Rechenschaftsberichte bezüglich der Anzahl bestehender heilpädagogischer
Anstalten muss aber kritisch beurteilt werden. Inwieweit sich das tatsächliche Angebot mit dem in den
Rechenschaftsberichten erwähnten Institutionen deckt, kann den Berichten nicht entnommen werden.
Die Möglichkeit, dass in diesem Zeitraum weitere private heilpädagogische Anstalten bestanden,
welche in den Rechenschaftsberichten keine Erwähnung finden, kann nicht ausgeschlossen werden.
Vier der insgesamt sechs Anstalten hatten über Jahre Bestand. Im Zeitraum ihres Bestehens veränderten sich in der Regel die Namen der Institutionen und teilweise auch ihre Standorte. Diese Veränderungen lassen sich gut am Beispiel der Taubstummen-Anstalt in Aarau aufzeigen. Von 1837 bis
1905 wurde die Institution unter dem Namen „Taubstummen-Anstalt Aarau“ aufgeführt. Im Rechenschaftsbericht 1910 änderte sich der Name zu „Taubstummenanstalt Landenhof bei Aarau“. Dies
blieb, bis 1940 wiederum eine Namensänderung erfolgte: Die Anstalt nahm neu auch Schüler aus
anderen Kantonen auf und nannte sich daher „Schweizerische Schwerhörigenschule Landenhof“.
Auffällig ist auch die begriffliche Veränderung von „taubstumm“ zu „schwerhörig“. Gerade die heilpädagogischen Institutionen passten ihre Namen regelmässig den in der Fachsprache jeweils gebräuchlichen Begrifflichkeiten an. Von 1950 an nannte sich die Institution „Schweizerische Schwerhörigen Schule Landenhof, Unterentfelden“, was darauf schliessen lässt, dass die Schule ihren Standort
verlegte.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Da den Rechenschaftsberichten die Jahresberichte der einzelnen Institutionen zugrunde liegen, enthalten die Rechenschaftsberichte für die unterschiedlichen Anstalten meist uneinheitliche Informationen, beispielsweise zur Klassengrösse, zur Anschlusstätigkeit oder zum Gesundheitszustand der
Schülerschaft. Nur eine Kennzahl wurde über den ganzen Zeitraum und von allen Institutionen erhoben: die Schülerzahlen (siehe Abbildung 10). Einheitliche Informationen sind zwischen 1915 und
1940 für die drei grossen Anstalten (die Taubstummen-Anstalt Aargau, die Anstalt für Schwachsinnige Kinder auf Schloss Biberstein und die Anstalt für schwachsinnige Kinder in Bremgarten) vorhanden. In diesem Zeitraum wurden Kennzahlen zu den „vom Staat subventioniert(n) gemeinnützige(n)
Schul- und Erziehungsanstalten“ in Tabellenform dargestellt: Angaben zur Aufnahmekapazität der
Anstalten, zu den Schülerzahlen und besonders ausführliche Informationen zu den Finanzen der
Institutionen.
Die Schülerzahlen zeigen von 1837 (17 Kinder) einen stetigen Ausbau des heilpädagogischen Angebotes. Abgesehen von einem Einbruch in den Jahren 1915 bis 1925 stieg die Zahl der in heilpädagogischen Institutionen betreuten Kinder relativ kontinuierlich an und erreichte 1955 mit 532 Kindern
den Höchststand. Ab 1955 sank die Anzahl betreuter Kinder wiederum (siehe Abbildung 10). Zwischen 1890 und 1920 dokumentierten die Rechenschaftsberichte relativ einheitlich für alle heilpädagogischen Institutionen geschlechterspezifische Schülerzahlen. In den darauf folgenden Jahren fehlten entsprechende Angaben, und erst ab 1950 führten die Berichte die Schülerzahlen nach Geschlecht wieder auf. Die Schülerzahlen verteilten sich bei den heilpädagogischen Anstalten praktisch
ausgeglichen auf beide Geschlechter, wobei Knaben durchschnittlich leicht in der Überzahl waren.
Nebst den Schülerzahlen erschienen weitere zwei Kennzahlen mit einer gewissen Regelmässigkeit in
den Rechenschaftsberichten: die Herkunft und die Ein- bzw. Austritte der Schüler und Schülerinnen.
Von den drei genannten Kennzahlen war die Information zur Herkunft der Schülerschaft am besten
dokumentiert, sowohl die Taubstummen-Anstalt Aarau, die Anstalt für Schwachsinnige in Bremgarten
als auch die Anstalt für Schwachsinnige auf Schloss Biberstein führten Zahlen dazu auf. Bei der Herkunft wurde zwischen Aargauer Kindern, Kindern aus anderen Kantonen und Ausländern unterschieden. Häufig gaben die Anstalten für die Aargauer Schülerschaft auch an, wie sie sich auf die einzelnen Bezirke verteilten. Bei der Schweizer Schülerschaft wurde oftmals der Herkunftskanton und bei
den Ausländern und Ausländerinnen ihr Herkunftsland aufgeführt, wie das Beispiel für die Taubstummenanstalten Aarau, Baden und Zofingen zeigt: „Nach den Bezirken verteilen sich die 51 Aargauer Zöglinge folgendermassen: Aarau 5, Baden 3, Bremgarten 7, Brugg 1, Kulm 9, Laufenburg 4,
Lenzburg 4, Muri 6, Rheinfelden 0, Zofingen 10, Zurzach 2. Die kantonsfremden Zöglinge entfallen
auf: Appenzell 7, Basel 1, Bern 4 […] Ausland (Tirol) 1“ (Rechenschaftsbericht 1905, S. 455).
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Anzahl Schülerinnen und Schüler in heil- und sozialpädagogischen
Institutionen
1200
1000
800
600
400
200
0
1845 1850 1855 1860 1865 1870 1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1944 1950 1955 1960 1965 1967
Heilpädagogische Institutionen
Sozialpädagogische Institutionen
Alle Institutionen
Abbildung 10: Anzahl Schülerinnen und Schüler in heil- und sozialpädagogischen Institutionen im Kanton Aargau72
Informationen zu den Ein- und Austritten der Schüler und Schülerinnen während des Schuljahres sind
nur für die beiden Anstalten in Bremgarten und auf Schloss Biberstein verfügbar; hier sind sie aber
gut dokumentiert. Teilweise reicherte man diese nüchternen Informationen auch noch mit normativen
Urteilen oder Begründungen an, wie zum Beispiel für die Anstalt auf Schloss Biberstein: „Von den
Ausgetretenen wurden 9 gebessert, 1 ungebessert entlassen, 1 ist gestorben“ (Rechenschaftsbericht
1900, S. 156). Nebst den genannten Kennzahlen wurden sporadisch oder ausschliesslich für einzelne
Anstalten eine Vielzahl weiterer Informationen abgebildet (z.B. Schultypen, Vorbildung, Alter der
Schülerschaft, Verpflegungsgelder usw.). Über folgende Themen sind nur spärliche Informationen
vorhanden: Lehr- und Betreuungspersonen, Gründe für die Einweisung und Betreuung sowie Alter
der Schülerschaft.
Angaben zu den Lehrpersonen gab es zwar, in den meisten Fällen aber in rein qualitativer Form.
Vollständige Angaben zur Anzahl der bei den jeweiligen Institutionen beschäftigten Lehrpersonen
fehlen; der Ausbildungsstand der Lehrer und Lehrerinnen an den heilpädagogischen Institutionen
wurde erstmals in den 1950er Jahren festgehalten, war aber oftmals unspezifisch: „Zwecks Weiterbildung besuchten mehrere Lehrerinnen verschiedene Kurse und Tagungen. Eine Schwester bildete
sich als Sprachheillehrerin aus“ (Rechenschaftsbericht 1955, S. 174).
Sozialpädagogisches Angebot 1837-1967
Das sozialpädagogische Angebot des Kantons Aargau war im Vergleich zum heilpädagogischen Angebot sehr viel differenzierter. Während des Zeitraums von 1837 bis 1967 wurden insgesamt siebzehn sozialpädagogische Institutionen in den Rechenschaftsberichten dokumentiert. Die erste Erwähnung finden wir 1845 mit der landwirtschaftlichen Armenschule der schweizerischen Pestaloz-
72
Im Rechenschaftsbericht von 1945 wurde nur die Erziehungsanstalt Olsberg erwähnt. Aus diesem Grund wurden die Schülerzahlen von 1944 ins Diagramm aufgenommen.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
zistiftung. Diese Anstalt wird einige Jahre später Rettungsanstalt für Knaben auf dem Olsberg genannt. Obschon das Schulgesetz von 1940 dem Kanton die Befugnis zur Errichtung Heil- und sonderpädagogischen Anstalten erteilte, wurde ausschliesslich die Rettungsanstalt Olsberg als kantonale
Anstalt erwähnt, die der Kanton Aargau seit 1865 führte. Seit 1900 nahm die Anzahl sozialpädagogischer Anstalten kontinuierlich zu, 1910 wurde mit zehn Anstalten der Höchststand erreicht. 1967 führte der Rechenschaftsbericht noch acht sozialpädagogische Institutionen auf (siehe Abbildung 11).
Über sechs dieser sozialpädagogischen Institutionen wurde während eines sehr langen Zeitraums
berichtet: über die Rettungsanstalt Olsberg (1845-1955 und 1957-1967), die Erziehungsanstalt für
Mädchen auf Friedberg (1855-1967), die Armenerziehungsanstalt in Kasteln (1860-1967), die Meiersche Erziehungsanstalt (1870-1967), die Erziehungsanstalt Maria zur Krönung (1875-1966) und die
Armenerziehungsanstalt St. Johann in Klingnau (1895-1967). Wie die heilpädagogischen veränderten
auch die sozialpädagogischen Institutionen im Verlaufe der Zeit Namen und Standort. Auch für die
sozialpädagogischen Institutionen erhob man zahlreiche Kennzahlen, die aber in der Regel nicht für
73
alle Anstalten und Jahre dokumentiert sind. Die Schülerzahl ist auch bei den sozialpädagogischen
Anstalten die am besten dokumentierte statistische Angabe. Der Rechenschaftsbericht von 1850
enthielt erstmals Schülerzahlen für die einzige damals aufgeführte Institution, die landwirtschaftliche
Armenerziehungsanstalt der Pestalozzistiftung (35 Kinder). Die Schülerzahlen stiegen kontinuierlich
an und erreichten bereits 1920 ihren Höhepunkt mit 527 betreuten Kindern und Jugendlichen. Nach
einem Rückgang stiegen sie erst wieder 1955 auf ein ähnliches Niveau. Bis 1967 sank die Schülerzahl wieder.
Angaben zum Geschlecht sind bei den sozialpädagogischen Institutionen umfassender dokumentiert,
was teilweise daran liegt, dass es geschlechtergetrennte Institutionen gab. Doch auch diese Daten
sind nur für einzelne Institutionen vorhanden. Das vorhandene Material reicht jedoch zur Feststellung
aus, dass die Anzahl betreuter Knaben deutlich höher war als die der Mädchen. Nebst den Schülerzahlen wurden qualitative Informationen zur Schülerbeurteilung und Kennzahlen zu den Ein- und
Austritten während des Schuljahres für alle sechs grossen Institutionen gut dokumentiert. Die Schülerbeurteilungen umfassten die Leistung, das Verhalten und der Gesundheitszustand der Schüler und
Schülerinnen; Kommentare zum Betragen und zu den Leistungen der Schülerinnen und Schüler waren seltener. Die Beurteilungen entsprachen dem Zeitgeist und wurden in der Regel nicht genauer
erläutert, wie ein Kommentar zu den schulischen Fähigkeiten der Schüler in der Meier’ischen Rettungsanstalt illustriert: „Die meisten Kinder sind mittelmässig, einige schwach und gar keine vorzüglich begabt“ (Rechenschaftsbericht 1875, S. 82). Interessanterweise führte man die Beurteilungen der
Schüler teilweise noch über deren Aufenthalt in der Anstalt hinaus weiter, indem die Lehrmeister der
Schüler entsprechende Auskünfte an die Anstalt weitergaben, wie der Auszug der Erziehungsanstalt
Olsberg zeigt: „Über Ausgetretene, meist über die im letzten Jahre Entlassenen, liegen eine Anzahl
Patronatsberichte vor, welche meist befriedigend und gut lauten, so dass also Hoffnung vorhanden ist,
sie werden ihre Lehrzeit richtig durchmachen und brauchbare Leute geben“ (Rechenschaftsbericht
1905, S. 447).
73
Die Zahlen beziehen sich entweder auf das Kalenderjahr der Rechenschaftslegung (z.B. bei den Finanzen) oder aber auf
das Schuljahr (z.B. bei Schülerzahlen)
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Anzahl Sozialpädagogischer Anstalten
12
10
8
6
4
2
0
1845 1850 1855 1860 1865 1870 1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1944 1950 1955 1960 1965 1967
Abbildung 11: Anzahl Sozialpädagogische Anstalten 1845 bis 1967
Zwei weitere Angaben scheinen für die sozialpädagogischen Anstalten von Bedeutung gewesen zu
sein: jene zur Herkunft der Schülerschaft und jene zu den Lehrpersonen. Die Herkunftsdaten unterscheiden sich formal nicht von den heilpädagogischen Institutionen. Die kantonale Erziehungsanstalt
in Olsberg erhob als einzige der sechs grossen Anstalten nebst der Herkunft auch die Konfessionszugehörigkeit ihrer Bewohner- bzw. Schülerschaft. Die kantonale Institution Olsberg war im Gegensatz zu den anderen Anstalten konfessionell paritätisch.
Zu den Lehr- und Betreuungspersonen sind für die sozialpädagogischen Institutionen deutlich öfter
Informationen vorhanden als für die heilpädagogischen. Die Qualität der Informationen ist aber ähnlich: Angaben zur Ausbildung fehlen grösstenteils, ebenso wie vollständige Daten zur Anzahl der
beschäftigten Personen. Der Ausbildungsstand wurde erst in den 1960er Jahren thematisiert: „Es ist
schwierig, geschultes Erzieherpersonal zu finden. Es stellt sich die Frage, ob im Aargau nicht auch,
wie z.B. in Basel und Bern, Ausbildungskurse für Erzieher und Erzieherinnen durchgeführt werden
sollten“ (Rechenschaftsbericht 1965, S. 172). Oft bleibt aber unklar, ob die Institutionen über eine
eigene Schule verfügten oder ob die Kinder die Gemeindeschule besuchten.
Bei einigen sozialpädagogischen Institutionen sind dem Rechenschaftsbericht Informationen zur Anschlusstätigkeit, zur persönlichen Entwicklung der Zöglinge oder Begründungen für den Austritt aus
der Anstalt zu entnehmen. Am beständigsten wurden diese Angaben für die kantonale Anstalt in Olsberg dokumentiert: „Von den 8 Ausgetretenen […]. Einer von ihnen musste nach Aarburg versetzt
werden, da er entwich und längere Zeit nicht auffindbar war. Ein besonders lieber Knabe erkrankte an
Knochenmarktyphus, wurde von den Eltern heimgeholt, später in Basel operiert und starb unerwartet
rasch im Alter von 14 Jahren an Herzlähmung. Zwei kehrten ins Elternhaus zurück, 3 traten als Konditor, Bäcker und Schlosser in die Lehre und einer kam zu einem Landwirt als Knecht“ (Rechenschaftsbericht 1910, S. 386).
Die Anzahl regelmässig dokumentierter Kategorien ist für die sozialpädagogischen Institutionen grösser als für die heilpädagogischen. Am meisten erstaunt, dass aus den Rechenschaftsberichten nicht
hervorgeht, warum die Kinder und Jugendlicher einer institutionellen Fremdbetreuung bedurften. Bei
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
den heilpädagogischen Anstalten ist dies einleuchtender, da die Kinder alle eingeschränkt waren in
ihren Möglichkeiten, an der Gemeindeschule teilzunehmen oder ihren Alltag zu bewältigen. Im Rechenschaftsbericht von 1925 findet sich eine kurze Notiz zur staatlichen Einweisung in Erziehungsanstalten: „Nach dem zitierten § 51 ist die Schule an die Vormundschaftsbehörde anzeigepflichtig, wenn
für ein Kind die Versorgungsbedürftigkeit festgestellt ist. Das gleiche Verfahren ist sinngemäss verwahrlosten und sittlich gefährdeten Kindern gegenüber anzuwenden, dagegen ist es unzulässig,
Schüler wegen moralischer Verfehlungen einfach aus der Gemeindeschule auszuschliessen“ (Rechenschaftsbericht 1925, S. 37). Einzig im Rechenschaftsbericht von 1960 zur staatlichen Pestalozzistiftung Olsberg findet man eine Begründung für die Betreuung: „[…] beherbergten wir 44 Zöglinge.
Diese stammten aus folgenden häuslichen Verhältnissen: Normale Familienverhältnisse 8, Waisen,
Halbwaisen 2, ausserehelich geboren 8, aus geschiedener Ehe 15, aus zerrütteten Familien 11“ (Rechenschaftsbericht 1965, S. 169).
Die Entwicklung nach 1975
Ab 1975 veränderten sich die Rechenschaftsberichte in ihrem Aufbau stark; anders als zuvor, wurde
nicht mehr jede Anstalt einzeln und ausführlich abgehandelt. Die neueren Rechenschaftsberichte
behandeln die sozial- und heilpädagogischen Institutionen im Kapitel „Heime und Sonderschulen“,
wodurch diesen Berichten nicht mehr zu entnehmen ist, ob es sich um sozial- oder heilpädagogische
Institutionen handelt. Bis und mit 1985 wurden pro einzelne Institution nur noch die Schülerzahlen,
die Schülerzahlen nach Geschlecht und manchmal die Aufnahmefähigkeit der Institutionen aufgeführt
(siehe Abbildung 12). Im Rechenschaftsbericht von 1975 wurde erstmals die Aargauische Fachschule
für Heimerziehung (Brugg) erwähnt, aus welcher 58 Absolventen und Absolventinnen hervorgingen.
Ab 1990 fehlen statistische Informationen vollständig, da diese von da an ins Statistische Jahrbuch
der Schweiz mit einflossen. Ab 1980 ergänzte man die Schülerzahlen mit denjenigen für die neu gegründeten Sprachheilkindergärten, die Werkstufen und die Frühberatungsstellen; 1985 wurde das
gesamte Sprachheilwesen in die Rechenschaftsberichte aufgenommen.
Einige der aufgelisteten Institutionen bestanden bereits seit dem 19. Jahrhundert, viele kamen neu
hinzu. Die Anzahl aufgeführter Heime stieg zwischen 1975 und 1985 an und auch die Sprachheilkindergärten und die Werkstätten vermehrten sich leicht, die Anzahl Sonderschulen hingegen sank.
Diese Zahlen sind erstaunlich, da die Schülerzahlen eine andere Entwicklung vermuten lassen. Diese
zeigen für diese zweite Periode eine rückläufige Entwicklung auf, sowohl bei den Heimen und Sonderschulen als auch bei den Werkstufen. Eine Ausnahme bilden die Sprachheilkindergärten, welche
eine leichte Zunahme aufwiesen. In den 1970er Jahren hatten besonders nicht spezialisierte Heime
Probleme, ihre Institution mit ausreichend Kindern und Jugendlichen zu besetzen: „Die Tatsache,
dass 12 heilpädagogische Tagesschulen bestehen, hat entsprechenden Heimen grosse Schwierigkeiten in der Auffüllung ihrer Bestände bereitet. Eine Umstrukturierung ist hier unumgänglich“ (Rechenschaftsbericht 1975, S. 123). Die sinkenden Schülerzahlen in den Heimen lassen sich mit der
Konkurrenz durch Tagesschulen erklären und möglicherweise auch mit den damals aufkommenden
Angeboten für Eltern an professioneller, unterstützender Hilfe für zuhause. Parallel zu den rückläufigen Schülerzahlen im gesamten Schulwesen gingen auch die Schülerzahlen im sozial- und sonderpädagogischen Bereich zurück.
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Ausgewählte Themenbereiche
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Anzahl Schülerinnen und Schüler pro Sektor
1347
1685
395
1985
36
299
987
0
223
1980
43
320
1080
0
0
1975
0
342
1128
0
200
Legasthenie
400
Logopädie
600
Frühberatungsstellen
800
1000
Werkstufen
1200
Sprachheilkindergärten
1400
Sonderschulen
1600
1800
Heime
Abbildung 12: Anzahl Schülerinnen und Schüler pro Sektor
Die Rechenschaftsberichte enthalten ab 1990 keine statistischen Informationen mehr. Einzig kurze
Anmerkungen über Neuerungen oder Problematiken der Heime, Sonderschulen und des Sprachheilwesens werden noch vermerkt, beispielsweise die 1996 neu gegründete Höhere Fachschule Sozialpädagogik Aargau (HFS), das Grundlagenpapier „Der soziale Auftrag des Kantons Aargau in den
Bereichen Sonderschulung und Heime, Werkstätten und Wohnheime und Institutionen der Suchthilfe“,
ein neues Betreuungsgesetz. 2005 erhielten drei Anstalten erstmals seit 1965 wieder einen eigenen
Abschnitt im Rechenschaftsbericht. Kennzahlen liegen keine mehr vor, dafür werden qualitative Informationen über Schülereintritte, Mitarbeitende, Aufnahmekapazität usw. gegeben. Daraus wird ersichtlich, dass die Rechenschaftsberichte ab 1990 an Bedeutung verloren und noch unsystematischer
als zuvor Informationen über das heil- und sozialpädagogische Erziehungswesen festhielten.
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Zusammenfassende Analyse und Ausblick
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
5 Zusammenfassende Analyse und Ausblick
Wie die Analyse der Schulstatistik des Kantons Aargau zeigt, werden statistische Daten seit 1837 zur
Beschreibung einer von der Verwaltung wahrgenommenen „Wirklichkeit“ eingesetzt. Jahresberichte
verschiedener Instanzen werden durch statistische Zahlen untermalt – Zahlen gelten als exakt und
leicht verständlich. Statistik, wie wir sie in diesem Projekt untersucht haben, wird in erster Linie als
Instrument zur Dokumentation eines spezifischen Ist-Zustandes verwendet. Daraus folgend werden
statistische Daten und Vergleiche zur politischen Entscheidungsfindung, zur Planung und Steuerung,
als Instrument der Qualitätssicherung sowie der Legitimierung des jeweiligen politischen Handelns
eingesetzt. Mit statistischen Daten kann die Verbesserungsfähigkeit des eigenen Schulsystems aufgedeckt werden; auch können statistische Daten als Argument zur Untermauerung der Forderung
nach mehr unterstützende Ressourcen eingesetzt werden. Zusätzlich dienen Zahlen als Druckmittel
sowohl gegenüber dem Kanton (z.B. von Seiten der Lehrpersonen) als auch umgekehrt gegenüber
der Lehrerschaft und den Schulgemeinden (z.B. von Seiten der kantonalen Bildungspolitik und vor
allem von Seiten der Verwaltung).
Die vorliegende Analyse zeigt, dass nur wenige Daten systematisch und über eine längere Zeitperiode hinweg erhoben wurden und dokumentiert sind. Aus der diachronen Analyse lässt sich schliessen,
dass gerade die dargestellte unterschiedliche Nutzung von statistischem Zahlenmaterial ein Charakteristikum historischer Schulstatistik ist. Die Art der Daten, die erhobenen Kategorien und die Darstellungsweise verändern sich stetig. Quellenkritisch bleibt anzumerken, dass in der Regel metatheoretische Beschreibungen zur Art der Datenerhebung wie auch der Nachweis, aus welchen Quellen die
Zahlen stammen, fehlen. Der historischen Bildungsforschung ermöglicht aber genau diese fehlende
Systematik einen Einblick in die thematische Schwerpunktsetzung der Bildungspolitik und liefert sozialwissenschaftlich äusserst wertvolle Informationen über Schule, Bildung und Gesellschaft im Kanton
Aargau der letzten 200 Jahre.
In diesem letzten Kapitel nehmen wir nochmals Bezug auf die drei Forschungsfragen und Zielsetzungen des Projekts: auf die Datenerhebung und -produktion, die beteiligten Akteure sowie die Verwendungszusammenhänge und die Legitimation von bildungsstatistischen Daten. Nach der deskriptiv
gehaltenen Darstellung einzelner Themenbereiche (siehe Kapitel 4) werden hier in verdichteter Form
die Ergebnisse dieser Studie präsentiert.
5.1 Datenerhebung und -produktion
Ausgehend von den untersuchten Quellengattungen und ihrem Umgang mit statistischen Daten interessiert als erstes, auf welcher Ebene Daten erhoben resp. zusammenfassend dargestellt werden.
Für die Arbeit der Bildungsverwaltung, deren Ergebnisse teilweise in den Rechenschaftsberichten
und in den Schulstatistiken publiziert werden, ist der Bezirk die zentrale Ebene, auf der statistische
Daten vergleichend dargestellt werden. Die elf Bezirke (siehe Abbildung 1) stellen seit der Kantonsgründung 1803 bis heute als Explanandum von Bildungsstatistiken eine unveränderte Grösse dar.
Erst mit der Textsorte „Schulstatistik“ des Statistischen Amts des Kantons Aargau beginnt man nach
1969, für die einzelnen Schultypen (Primar-, Sekundar-, Bezirks- und Mittelschule) auch die Schulorte,
d.h. die Gemeinden aufzuführen. Dies ermöglicht für einige Kategorien erstmals eine detailliertere
Darstellung auf der untersten Politikebene.
Auffallend für das 19. Jahrhundert ist, dass die beiden Bezirke Muri und Kulm im Hinblick auf verschiedene Themen stets als sich langsam entwickelnd, rückständig oder wegen fehlender Ressourcen besonders erwähnt wurden. Dabei ist anzunehmen, dass letzteres sowie die sozioökonomische
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Zusammenfassende Analyse und Ausblick
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Struktur und die relative Nähe zur (katholischen) Zentralschweiz die Hauptfaktoren für eine langsamere Schulentwicklung dieser beiden Bezirke darstellten. Geringe Finanzen waren während des ganzen 19. Jahrhunderts die wichtigsten Gründe für die Verzögerung von Klassenneugründungen. Damit
verbunden waren Probleme bei der Rekrutierung von qualitativ gut ausgebildetem Lehrpersonal,
denn gut ausgebildetes Personal, d.h. am Lehrerseminar geschulte Lehrer, erhielten einen höheren
Lohn als die so genannt provisorisch angestellten Lehrer. Da jedoch für diese Studie nur kantonale
Quellen (Rechenschaftsberichte, Schulstatistiken und Schulblatt), nicht aber zusätzlich auch gemeindeeigene Quellen beigezogen worden sind, lassen sich keine wirklich aussagekräftigen Ergebnisse
präsentieren, die zusätzliche Informationen liefern könnten, um die Situation der beiden Bezirke Muri
und Kulm zu erhellen. Für den gesamten Untersuchungszeitraum konnte festgestellt werden, dass
die Gemeinden höchst selten in bildungsstatistischen Analysen fokussiert wurden. Ebenso fehlen
Vergleiche zwischen den Kantonen; Ausnahmen bilden ausgewählte Themenbereiche, etwa die Ergebnisse der Rekrutenprüfungen oder Vergleiche von Lehrerbesoldungen in der Lehrerpresse.
Am Beispiel der Datenerhebung zu den Schülerzahlen und der Anzahl Klassen kann zweitens gezeigt
werden, wie eine bildungsstatistische Kennziffer, die eigentlich während des gesamten Untersuchungszeitraumes von 1800 bis heute erhoben wurde, erfasst wurde. Im Schulblatt wird die Darstellung von Schülerzahlen resp. Klassenbeständen nicht systematisch abgebildet. Zum einen finden
diese Zahlen nur von 1901 bis 1938 mehr oder weniger regelmässig Eingang ins Schulblatt; zum
andern sind die Zahlen nicht durchgehend vergleichbar, da sie nicht dasselbe abbilden: Meist werden
nur die Gemeindeschülerzahlen abgebildet, manchmal aber wird nicht unterschieden zwischen Gemeinde- und Fortbildungsschulen, was einen direkten Vergleich innerhalb von Langzeitreihen schwierig bis unmöglich macht. In den Rechenschaftsberichten hingegen sind die Schülerzahlen eine der
wichtigsten statistischen Grössen, die jährlich abgebildet wird. Während des ganzen 19. Jahrhunderts
ist die Klasse resp. die Abteilung die Referenzgrösse, die im statistischen Vergleich wiedergegeben
wird. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler wird für die Gemeindeschulen jeweils nur als Total angegeben; so kann auch hier nicht unterschieden werden zwischen Primar- und Oberstufe. Erst in den
1880er Jahren finden sich in dieser Quelle detailliertere Angaben, meist in Tabellenform, über die
Schülerinnen und Schüler der Gemeindeschulen. Für die Bezirksschulen hingegen werden genauere
Schülerstatistiken schon seit 1854 publiziert, was damit zusammenhängen könnte, dass über die
obligatorische Volksschulbildung hinausgehende Bildungsangebote sich gegenüber der Öffentlichkeit
stärker legitimieren mussten und deshalb detaillierter beschrieben wurden. Ein Boom erleben die
statistischen Zahlen zu den Bezirksschulen vor allem Ende der 1970er Jahre, als die Prüfungsresultate beinahe jährlich im Schulblatt abgebildet werden. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die Lehrerschaft im Schulblatt vorwiegend Interesse am Verhältnis von Schülerzahl und Abteilung zeigt. Für
sie ist die durchschnittliche Klassengrösse die für die Unterrichtsqualität relevante statistische Grösse.
Im Laufe der Zeit wurde in den Rechenschaftsberichten nur noch auf die Jahresberichte einzelner
Institutionen verwiesen, so zum Beispiel bei den Lehrerbildungsanstalten. Diese Jahresberichte stellen eine andere Art der Präsentation nach aussen dar und können auch auf eine andere Datengrundlage zurückgreifen als die Bildungsverwaltung. Diese Quellenart konnte aus forschungspragmatischen Gründen in der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt werden.
Anhand der Statistiken zu den Schüler- und Lehrerzahlen können auch Entwicklungen über die Zeit
aufgezeigt werden: Wurden in den Anfängen die Schülerinnen und Schüler nur mit den Kategorien
Geschlecht und Schultypus erfasst, bilden die Schulstatistiken seit den 1960er Jahren eine Reihe von
weiteren Indikatoren ab. Herkunft (Land/Kanton/Bezirk) der Schülerschaft, ihre Muttersprache sowie
die Schichtzugehörigkeit der Eltern sind zunehmend von Interesse. Spielt in den Anfängen des öffentlichen Schulwesens im Kanton Aargau die Konfessionszugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler
eine wichtige Rolle, verschiebt sich das Interesse vermehrt in Richtung Herkunft und vor allem Mut-
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Zusammenfassende Analyse und Ausblick
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
tersprache der Schülerschaft. In den 1990er Jahren sind die Ausländerzahlen an den Schulen ein viel
diskutiertes Thema.
Bei den Schülerdaten kann deshalb von einer starken Erweiterung und Differenzierung der erhobenen Daten gesprochen werden. Ganz anders sieht das im Falle der Lehrerinnen- und Lehrerstatistik
aus; hier werden im 19. Jahrhundert weit mehr Daten publiziert als im Jahrhundert danach. So stellen
neben dem Geschlecht, dem Zivilstand, der Konfession, dem Status ihrer Anstellung (definitiv; provisorisch) insbesondere der Ausbildungsstand (mit oder ohne seminaristische Ausbildung) und daraus
abgeleitet ihre Besoldung (Minimum; Maximum; Summa) wichtige präsentierte Kategorien dar. Zwischenzeitlich – von 1973 bis 1984 – wird den Austritten der Lehrpersonen aus dem Schuldienst grosse Aufmerksamkeit geschenkt (siehe Tabelle 12) und die verschiedenen Gründe werden tabellarisch
aufgelistet. Von 1875 bis 1984 kann man den regierungsrätlichen Rechenschaftsberichten zu Beginn
unregelmässig, dann jährlich eine Lehrkräftestatistik entnehmen (siehe Abbildung 9). Nach 1910 werden diese detaillierten Tabellen nicht mehr weitergeführt, es findet sich bis 1984 nur noch die Anzahl
im Schuldienst tätiger Lehrerinnen und Lehrer. Danach fällt die Lehrkräftestatistik in den Rechenschaftsberichten ganz weg. Erst 1994 wird sie wieder zusätzlich neben der Schulstatistik herausgegeben, da die Verordnung über die Organisation der Bundesstatistik vom 30. Juni 1993 vorgibt, dass
die kantonalen statistischen Ämter auch eine Erhebung der Lehrkräfte herausgeben müssen. Aufgrund dieses Auftrags von aussen gibt es seit 1994 eine jährlich erscheinende, detaillierte Übersicht
der Aargauer Lehrkräfte aller Schulstufen und -typen. Die Lehrkräftestatistik publiziert einerseits Daten zu Vollzeitäquivalenten und Teilzeitpensen auf Kantonsebene sowie zu den einzelnen Schulstufen und -typen, andererseits werden die Lehrkräfte auch nach Alter, Geschlecht und Herkunft
(Schweiz – Ausland) aufgeteilt ausgewiesen. Im statistischen Jahrbuch wurden jedoch nie Lehrpersonenstatistiken publiziert.
Drittens möchten wir aufzeigen, wie das Vorliegen statistischer Daten zu Vergleichen animiert. Aus
der historischen Analyse kann geschlossen werden, dass, sobald Daten erhoben worden sind, diese
auch zu Vergleichszwecken verwendet werden. Als Beispiel sind die frühen Tabellen zur Qualität der
Schulen oder zu den Absenzen (siehe Kapitel 4.1, Abbildung 8Abbildung 8) auf Bezirksebene anzuführen. Allerdings präsentieren die von der Bildungsverwaltung herausgegebenen Rechenschaftsberichte selten direkte Vergleiche, die dann auch vergleichend analysiert und diskutiert werden. In der
Regel werden lediglich die einzelnen Daten dargestellt, meist auf der Ebene der Bezirke. Die weitere
Interpretation wird dem Leser überlassen. Dies entspricht dem Verständnis der amtlichen Statistik,
deren Produktion von aussen gefordert und legitimiert wird, aber in der Verwaltung und nach deren
Logik erfolgt. Dem steht die eindeutig politische Verwendung von Statistik in Kreisen der Lehrerschaft
gegenüber. Die Leistung des Vergleichens und Interpretierens statistischer Daten stellt die Regel dar
im kantonalen Schulblatt des Lehrervereins: Tabellen und Statistiken werden nur abgedruckt, wenn
sie auch interpretierend kommentiert werden, wie das Beispiel zum Knabenhandarbeitsunterricht in
den 1920er Jahren zeigt (siehe Kapitel 4.2). Die ab 1969 erscheinenden Schulstatistiken zeigen mit
verschiedenen Darstellungen eine zeitliche Entwicklung auf (diachroner Vergleich), indem sie die
Vergleichszahlen der vergangenen drei oder vier Jahre präsentieren und so eine Entwicklung dokumentieren. Diese Entwicklung wird jedoch nicht ausführlich beschrieben und analysiert, auch hier
sollen die Zahlen für sich sprechen. Die Quelle „Schulstatistik“ ist in dieser Hinsicht der Quelle „Rechenschaftsberichte“ ähnlich.
In Bezug auf die Datenerhebung und die Produktion von Schulstatistiken lässt sich aus der historischen Analyse das Fazit ziehen, dass diejenigen Dokumente, die genuin der Rechenschaftslegung
gegenüber der Öffentlichkeit dienen – die Rechenschaftsberichte des Regierungsrates und die vom
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Zusammenfassende Analyse und Ausblick
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
statistischen Amt publizierten Bildungsstatistiken – vorwiegend Daten präsentieren, ohne sie jedoch
zu interpretieren. Hingegen gibt in diesen Quellen gerade die Auswahl der erhobenen Daten und die
Tatsache, zu welchem Zeitpunkt welche Daten neu oder nicht mehr oder ständig erhoben werden,
Aufschluss über die Relevanz bildungspolitischer Themen im Verlaufe der Zeit. Die amtliche Statistik
erhebt nur Daten, die der Verwaltung und ihrem öffentlichen Auftrag in Bezug auf die Steuerung und
Qualitätssicherung der Schule dienen.
Was im Schulblatt zyklisch immer wieder auftaucht und mit statistischem Zahlenmaterial untermalt
wird, ist das stetige Voranschreiten der Frauen im Lehrberuf (1913, 1950, 1964, 2001). Ein weiteres
Thema, das im Schulblatt immer wieder dargelegt wird, ist die Besoldungsfrage (1877, 1880, 1907/08,
1911-1922 regelmässig, 1926, 1932, 1941, 1942, 1971, 1998, 2004/05). Die Lehrpersonen fordern
mit dieser Darstellung mehr und vor allem gerechten Lohn. Geht es in einem ersten Schritt darum, die
Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden aufzuheben und für ein neues Besoldungsgesetz
(1919, 1971) zu kämpfen, soll später vor allem der Reallohnabbau gestoppt oder zumindest gebremst
werden (1932, 1998).
Vergleicht man die Stellung des Absenzenwesen in den Rechenschaftsberichten mit jener im Schulblatt zeigen sich Unterschiede: Im Aargauer Schulblatt wird das Problem der hohen Schülerabsenzen
erstmals 1908 erwähnt (Abdruck aus dem Rechenschaftsbericht des Regierungsrates). In den Rechenschaftsberichten hingegen ist das Thema schon während des ganzen 19. Jahrhunderts dokumentiert. Die Lehrpersonen scheinen nicht dasselbe Interesse an der Durchsetzung der Schulpflicht
gehabt zu haben wie der Staat.
Weitaus direkter präsentiert sich der Zusammenhang von Rezeption (später auch eigener Produktion)
statistischer Daten und einem unmittelbaren Verwendungszweck im Diskurs der Lehrerorganisation.
Waren die Lehrerinnen und Lehrer anfänglich ausschliessliche Rezipienten statistischer Daten, so
zeigt sich seit den 1970er Jahren, als die Erziehungsdirektion die Lehrerschaft regelmässig mit statistischen Daten zu beliefern beginnt und der Lehrerverein aus eigener Initiative qua Umfragen Daten
generiert, dass auch die Lehrpersonen zu datenproduzierenden Akteuren werden. Dass diese Datenproduktion unmittelbar der Durchsetzung standesorganisatorischer Interessen dient, wird in Kapitel
5.3 dargelegt.
5.2 Akteure
Der akteurszentrierte Institutionalismus nach Mayntz & Scharpf (vgl. Scharpf, 2000; Mayntz et al.,
1995) unterscheidet zwei primäre Akteurstypen, die im Policy-Prozess eine Rolle spielen können und
je über eine eigene Machtbasis verfügen: individuelle und komplexe Akteure, wobei letztere nochmals
74
unterschieden werden können in kooperative und kollektive Akteure.
In der vorliegenden Untersuchung finden sich keine abgrenzbaren, individuellen Akteure (Einzelpersonen) auf den verschiedenen Ebenen des Politiksystems, obwohl selbstverständlich Einzelpersonen
für die Herstellung bzw. Auswertung und Darstellung statistischer Daten verantwortlich waren und
sind. Individuelle Akteure agieren immer im Rahmen ihrer Institution oder Organisation; ihre Handlungsoptionen sind demnach an Werte- und Normensysteme der vertretenen Institution gebunden.
Jedoch weisen weder die Rechenschaftsberichte noch das Schulblatt namentlich individuelle Akteure
im Zusammenhang mit schulstatistischen Angaben nach. Hierin ist ein deutlicher Unterschied zu se-
74
Zur Akteursdefinition siehe auch: Schneider, 2003; Schimank, 2002a und 2002b. Schimank rekurriert auf Colemans Modell
der „von unten“ oder „von oben“ konstruierten korporativen Akteure. Diese Differenzierung entspricht etwa Scharpfs Einteilung in kollektive und korporative Akteure (Scharpf, 2000).
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Zusammenfassende Analyse und Ausblick
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
hen zwischen der Arbeit der Bildungsverwaltung, aber auch des Lehrervereins auf der einen Seite
und der Arbeit des der EDK nahestehenden „Jahrbuchs des Unterrichtswesens in der Schweiz
(JUS)“ (1887-1912) resp. des nachfolgenden „Archivs für das schweizerische Unterrichtswesen
(ASU)“ (1915-1972) auf der anderen Seite: Das Jahrbuch betrieb als erster Akteur vergleichende
Schulstatistik (siehe Kapitel 2.2). Das Jahrbuch und die damit verbundenen Anstrengungen, die kantonalen Erhebungen – und indirekt die kantonalen Schulsysteme – mittels vergleichender Statistik zu
koordinieren, war jeweils das Werk von Einzelpersonen.
Die Verwaltungstätigkeit der Erziehungsdirektion des Kantons Aargau hingegen lässt sich nicht durch
individuellen Akteure abbilden. Wir gehen davon aus, dass Wechsel in der Verantwortlichkeit, wie sie
zum Beispiel 1970 nachgewiesen werden können, als die aargauische Schulstatistik von der Erziehungsdirektion ins Statistische Amt des Kantons Aargau wechselte, auch Spuren individueller Akteure hinterlässt. Darunter sind z.B. neue Titel oder Strukturen in den Rechenschaftsberichten zu verstehen oder die Entscheidung, in welcher Form Zahlenmaterial präsentiert wird, ob in Tabellenform oder
in einem durchlaufenden Text. In den bearbeiteten Quellen hingegen wurden solche Phänomene
nicht dokumentiert; sie können deshalb auch nicht analysiert werden. Es ist anzunehmen, dass Veränderungen in der Erhebung und Darstellung statistischer Daten individuellen Akteuren, nämlich den
jeweiligen Verfassern, zugeschrieben werden können, diese erscheinen jedoch nicht als Einzelpersonen und mit namentlicher Erwähnung. Dies entspricht gängiger Verwaltungspraxis. So identifiziert
Max Weber (1922/1999-2010) die Entpersonalisierung, d.h. die explizite Trennung von Amt und Person, sowie das Einhalten unpersönlicher Regeln als typische Formen von Verwaltungshandeln. Die
rationale Ordnung, wie sie im funktional ausgerichteten und damit unpersönlichen Verwaltungshandeln zum Ausdruck kommt, stellt für Weber den Idealtypus der Bürokratie dar. Die hier bearbeiteten
Quellen, insbesondere die Rechenschaftsberichte und die statistischen Jahrbücher widerspiegeln
diese rationale Ordnung, die gleichzeitig geprägt ist von einer zunehmenden Verwissenschaftlichung
75
und Arbeitsteilung (siehe Kapitel 2.1 und 2.2).
Auch komplexe Akteure lassen sich nicht identifizieren. Korporative Akteure sind nach Scharpf „‚topdown’-Organisationen, die von einem ‚Eigentümer’ oder, an dessen Stelle, von einer hierarchischen
Führung kontrolliert werden, die Eigentümer oder Nutzniesser vertritt“ (Scharpf, 2000, S. 105); Beispiele dafür sind Unternehmerverbände, Gewerkschaften oder Aktiengesellschaften. Strategieentscheidungen sind in diesem Fall von den Präferenzen der Mitglieder abgekoppelt. Korporative Akteure besitzen als Organisationen eine Mehrebenenstruktur, die eine Differenzierung von Identifikationsebenen für deren Mitglieder eröffnet.
So bleibt die Kategorie der kollektiven Akteure: Der kollektive Akteur als aggregierte Kategorie – eine
Einheit, die mehrere oder viele Menschen umfasst – setzt voraus, „dass die beteiligten Individuen die
Absicht haben, ein gemeinsames Produkt zu schaffen oder ein gemeinsames Ziel zu
chen“ (Scharpf 2000, S. 101). Um mit Scharpf zu sprechen, können „kollektive Akteure, anders als
individuelle oder korporative Akteure, nicht autonom über ihre handlungsleitenden Präferenzen entscheiden […], sondern [sind] von den Präferenzen ihrer Mitglieder abhängig“ (ebd.). Scharpf fasst
unter diese Typologie Organisationen, soziale Bewegungen, aber auch Lehrerverbände, ein Publikumsorgan wie beispielsweise das Schulblatt, eine politische Partei oder die Wählerschaft des Kantons Aargau als basisdemokratische Einheit (vgl. ebd., S. 101ff.). Durch den organisatorischen Zusammenschluss werden individuelle Einflussfaktoren wie Macht, Geld oder Wissen gebündelt und
können effektiver für die Durchsetzung gemeinsamer Interessen eingesetzt werden; dies wird insbesondere in der Quelle des Schulblatts sichtbar. Die Unterscheidung zwischen kollektiven und korpora-
75
Zur Geschichte der kantonalen Verwaltungen vgl. exemplarisch die Geschichte der Zürcher Kantonsverwaltung von 1803 bis
1998: Illi, 2008.
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Zusammenfassende Analyse und Ausblick
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
tiven Akteuren kann im Analyseprozess nicht immer eindeutig vorgenommen werden; häufig sind
beide Formen ineinander verschachtelt (Schneider, 2003).
Im durchgeführten Projekt können im Bereich der Volksschule folgende kollektive Akteure identifiziert
werden (siehe Abbildung 13): 1) das Departement Bildung, Kultur und Sport (die frühere Erziehungsoder Bildungsdirektion) als Verfasser des entsprechenden Kapitels der Rechenschaftsberichte des
Regierungsrates; 2) die Inspektoren auf Bezirksebene sowie 3) die Schulpflegen auf Gemeindeebene
als primäre Datenproduzenten und -lieferanten zuhanden des Bildungsdepartements; 4) die Lehrerund Lehrerinnenseminare sowie 5) die heil- und sozialpädagogischen Anstalten, die mit ihren Jahresberichten ebenfalls statistische Daten an das Erziehungsdepartement liefern; 6) das kantonale statistische Amt, das im Aargau seit 1965 resp. 1969 als eigenständiger Datenproduzent auftritt; 7) das
Bundesamt für Statistik, das formal seit dem Schulstatistikgesetz von 1973 die direkt übergeordnete
Fachstelle des kantonalen statistischen Amtes darstellt; 8) das Militärdepartement, das die Ergebnisse aus den eidgenössischen Rekrutenprüfungen den Kantonen zurückmeldet; 9) der kantonale Lehrerverein, der primär bildungsstatistische Daten rezipiert und erst spät auch selber Daten erhebt und
im Schulblatt publiziert. Daneben lassen sich 10) die Lehrerinnen und Lehrer als Subgruppe einer
umfassenden Öffentlichkeit der stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger (11) auch als kollektive
Akteure, im Parlament aber auch als individuelle Akteure einordnen.
Bundesamt für
Statistik
Militärdepartement
Bildungsdirektion
Lehrer- und
Lehrerinnenbildung
Heil- und sozialpädagogische
Anstalten
Kantonales statistisches
Amt
Kantonaler
Lehrerverein
Lehrerschaft
Inspektoren
Gemeindeschulpflege
„Öffentlichkeit“: Stimmberechtigte Bürgerinnen und Bürger des Kantons Aargau
Abbildung 13: Akteure der Volksschule als Produzenten resp. Rezipienten von Statistiken
Welche Akteurskonstellationen lassen sich nun zwischen diesen vielen, aber doch unterschiedlichen
kollektiven Akteuren beschreiben?
Es gibt zwei Akteure, die innerhalb dieses Gefüges keinem anderen Akteur direkt rechenschaftspflichtig sind: das Militärdepartement und der kantonale Lehrerverein. Der Lehrerverein als Herausgeber des kantonalen Schulblatts steht als klassische Standesorganisation ausserhalb der öffentli76
chen Verwaltungslogik und kann dementsprechend als „privater“ Akteur frei im Feld agieren. Er ist
direkter Rezipient der Informationen, welche die Bildungsdirektion den Lehrerinnen und Lehrern zu-
76
Der Lehrerverein ist deshalb auch nicht der gesamten Lehrerschaft des Kantons gegenüber verpflichtet und damit rechenschaftspflichtig, sondern nur denjenigen, die Mitglied im Lehrerverein sind.
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
kommen lässt. Anhand von kantonalen Vergleichen, aber seit den 1970er Jahren vermehrt auch
durch eigene Datenerhebungen mittels Umfragen unter der Lehrerschaft, gestaltet der kantonale
Lehrerverein eine fachspezifische Diskursebene, die primär von den Interessen der Lehrerinnen und
Lehrer geprägt ist. Dies zeigt sich etwa in der Anregung eines Schulblatt-Lesers, der 1907 eine regelmässige Lehrerlohn-Statistik im Schulblatt wünschte, was dazu führte, dass die Redaktion in den
Jahren 1908 bis 1942 die Besoldungsdaten regelmässig veröffentlichte. Die Abbildung solcher Daten
führte wie selbstverständlich auch zu weiteren Diskussionen über die Lehrerlöhne in Diskussionsrubriken des kantonalen Schulblatts. Lehrpersonen sind im Parlament jedoch auch als individuelle
Akteure vertreten, die nicht nur, aber oft schulpolitische Themen in den politischen Diskurs einfliessen
lassen. Dies zeigt sich zum Beispiel, wenn Themen wie der Knabenhandarbeitsunterricht zuerst im
Schulblatt und später aufgrund eines Vorstosses im Parlament diskutiert werden und so Eingang in
die Rechenschaftsberichte finden.
Das Eidgenössische Militärdepartement wiederum, das ab 1875 die gesamtschweizerischen Rekrutenprüfungen durchführte, ist verwaltungstechnisch nicht direkt mit den kantonalen Erziehungsdepartementen verknüpft. Gleichwohl wurden die Ergebnisse der jährlichen Rekrutenprüfungen an die Kantone weitergeleitet, was insbesondere den Kanton Aargau, der lange im untersten Drittel der Kantone
rangierte, dazu brachte, Erklärungen für diesen Zustand von den Bezirksen und Gemeinden einzufordern. Besagte das erste Regulativ von 1875 nur, dass das Militärdepartement die pädagogischen
77
Experten zur pädagogischen Prüfung bezeichne , so wurde im zweiten Regulativ von 1879 explizit
festgehalten, dass kein Experte fortan in dem Kanton prüfen dürfe, dem er selber angehöre (vgl. Lustenberger, 1996, S. 58). Man reagierte damit auf die heterogene Durchführung und Bewertung der
Prüfungen in den verschiedenen Kantonen. In den Folgejahren wurden mit Expertenkonferenzen und
Wegleitungen zuhanden der Experten versucht, diese Missstände auszugleichen, um den Stand des
Volksschulunterrichts in den einzelnen Kantonen systematisch ermitteln zu können. Da die Rekrutenprüfungen das einzige Instrument war, mithilfe dessen der Bund den Bildungsartikel 27 (1874 BV)
und die darin enthaltene Forderung nach „genügendem Primarunterricht“ überprüfen konnte (Criblez
& Huber, 2008), waren die beiden Akteure Militärdepartement und kantonale Bildungsdirektion dennoch implizit miteinander verknüpft.
Eine grosse Zahl der untersuchten Akteure aber sind dem Departement Bildung, Kultur und Sport des
Kantons Aargau rechenschaftspflichtig; sie liefern jährlich statistisches Datenmaterial, das wiederum
für die Rechenschaftslegung der Regierung verwendet wird. Als wichtigster Akteur ist sicherlich das
Inspektorat zu bezeichnen, das auf Bezirksebene organisiert ist: Die Schulinspektoren besuchen
regelmässig die einzelnen Klassen und verfassen die jährlichen Inspektoratsberichte. Die Informationen dazu erhalten sie von den Gemeindeschulpflegen, die in direktem Kontakt mit den Lehrpersonen
stehen und diese in erster Instanz kontrollieren und betreuen („pflegen“). Wie eine Bemerkung im
Rechenschaftsbericht von 1860 zeigt, verzögert sich dieser Datenfluss mitunter und führt im Hinblick
auf eine kontinuierliche, auf empirischen Daten basierende Rechenschaftslegung gelegentlich zu
Problemen (siehe Kapitel 3.1). Je nachdem, wie die Vertreter dieser Laienaufsicht ihre Verantwortung
und Aufgaben wahrnehmen, erfolgt der Datenfluss besser oder schlechter. Es kann deshalb – insbesondere in der Frühphase des Verwaltungsaufbaus – auch von einer gewissen Abhängigkeit der
obersten Verwaltungsebene, dem Erziehungsdepartement, von den unteren Verwaltungsebenen, der
Bezirks- und Gemeindeverwaltung, gesprochen werden.
77
„Beim Beginn eines Rekrutenkurses ist der Bildungsstand sämmtlicher zu demselben einberufenen und erschienen Rekruten
durch pädagogische Experten, welche von dem Militärdepartement bezeichnet werden, zu konstatiren“ („Regulativ für die Rekrutenprüfungen und die Nachschulen“ vom 13. April 1875, zit. nach Lustenberger, 1996, S. 43).
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Ebenfalls jährlich erhielt die Erziehungsdirektion von den beiden Lehrerbildungsanstalten (Seminar
Wettingen und Höhere Töchterschule Aarau, später Lehrerinnenseminar Aarau) und den verschiedenen privaten Bildungsanstalten im heil- und sozialpädagogischen Bereich statistisches Datenmaterial
durch die Jahresberichte dieser Institutionen. Seit der Einführung der kantonalen Schulstatistik 1969
ist es die Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer, die Individualdaten ihrer Klasse mittels Fragebogenerhebung direkt ans Erziehungsdepartement zu übermitteln. Die Darstellung und Wiedergabe dieser
erhobenen Daten wiesen im untersuchten Zeitraum einige Veränderungen auf. Wenn z.B. um 1880 in
der Darstellung eine „möglichste Beschränkung des Stoffes“ (Rechenschaftsbericht 1880, S. 55) gefordert wurde, dann hatte dies Konsequenzen in der (visualisierten) Darstellung der Schulstatistiken,
und die Tabellen „erhielten […] etwelche Kürzungen“ (ebd.). Wie in Kapitel 2 dargestellt können solche Entwicklungen indirekt der Veränderung der wissenschaftlichen Statistik aber auch der allgemeinen Entwicklung der Verwaltungspraxis zugeschrieben werden. Ab 1985 fiel, „der Anregung der Geschäftsprüfungskommission folgend“ (Rechenschaftsbericht 1985, S. 88), ein Teil der bisherigen Statistiken in den Rechenschaftsberichten weg; diese wurden ins Statistische Jahrbuch überführt. Auch
solche Entscheidungen sind hauptsächlich einer verwaltungstechnischen Logik verpflichtet und nicht
sachlogisch zu erklären.
So steht eigentlich das heutige Departement Bildung, Kultur und Sport als zentraler Akteur im Zentrum, um den sich sechs weitere Akteure in direkter Abhängigkeit gruppieren. Diese Akteurskonstellation verweist deutlich auf die Dominanz der staatlichen Organisation der öffentlichen Volksschule der
Schweiz. Für die Organisation Schule kommt deshalb der Pflicht der Rechenschaftslegung besondere Bedeutung zu. Ihr wird oft mit dem Offenlegen einiger basaler Kennziffern nachgekommen. Gleichzeitig war die Dokumentation der Ist-Situation stets auch der Qualitätssicherung verpflichtet, deren
Referenzgrössen sich jedoch im Verlauf der Zeit veränderten: Waren Klassengrössen, Schulhausbauten und der Ausbildungsstand der Lehrerschaft im 19. Jahrhundert die diskutierten Parameter, so
wurden diese im folgenden Jahrhundert abgelöst von den Parametern Lehrerbesoldung und Unterricht (wiederum operationalisiert an der Kennziffer Schülerzahl). Wurde die Idee der Planung und
Steuerung in den 1960er und 1970er Jahren durch die verschiedenen Bildungsplanungsstellen in den
Kantonen offensichtlich auch institutionell verankert (vgl. Bain et al., 2001), so zeigt doch die historische Analyse, dass die Bildungsverwaltung seit je statistisches Datenmaterial dafür verwendete, die
sie umgebende Realität „handhabbar zu machen“. Es entspricht verwaltungstechnischer Logik, Daten
zu erheben und zu verwenden, um die Aufgabe der Organisation und Verwaltung, d.h. Steuerungsund Planungsaufgaben wahrnehmen zu können.
Neben der Erziehungsdirektion sind auch die beiden spezialisierten „statistikproduzierenden“ Akteure
dieser Untersuchung, das kantonale statistische Amt und das Bundesamt für Statistik, Verwaltungseinheiten par exellence. Das BfS trat im schulischen Kontext 1965 erstmals im Kanton Aargau in Erscheinung, als in Zusammenarbeit mit der EDK die erste kantonale Probeerhebung für eine zukünftige eidgenössische Schulstatistik durchgeführt wurde. Doch erst nach der gesetzlichen Verankerung
einer eidgenössischen Schulstatistik 1973 wurde das BfS zu einem etablierten Akteur innerhalb des
Feldes Bildung und Schule. Das BfS ist quasi der Abnehmer der je kantonal erhobenen Daten, definiert aber zunehmend die Erhebungsparameter und -normen. Für den Kanton weitaus wichtiger war
und ist jedoch das kantonale statistische Amt, das im Aargau aber erst seit 1969 regelmässig eine
Schulstatistik erstellte. Es muss von einem intensiven Austausch zwischen Bildungsverwaltung und
statistischem Amt ausgegangen werden. Seit den 1970er Jahren hat das statistische Amt Schritt für
Schritt Aufgaben übernommen, die zunächst das Erziehungsdepartement selber ausgeführt hatte.
Wie steht es mit dem letzten der oben definierten Akteure, der allgemeinen Öffentlichkeit? Sie ist im
Grunde genommen ausschliesslich Rezipient von Bildungsstatistiken oder vergleichender Darstellung
statistischen Datenmaterials. Zum einen haben Steuerzahler Anrecht auf einen Nachweis, was mit
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
den dem Staat, und damit der Gesellschaft, zur Verfügung gestellten Finanzmitteln geschieht, zum
andern dienen statistische Nachweise stets auch dazu, einen spezifischen Diskurs mit empirischem
Material zu untermauern. Diese zweite Funktion statischer Datenverwendung wurde in der Vergangenheit und wird aktuell zuweilen sogar exzessiv innerhalb der (Bildungs-)Politik von allen politischen
Akteuren genutzt. Im nächsten Abschnitt werden deshalb Überlegungen zur Funktion von Statistik
und zum Verwendungszusammenhang von bildungsstatistischen Daten präsentiert.
5.3 Verwendungszusammenhänge und Legitimation
Als drittes Ziel wird in dieser Studie untersucht, zu welchem Zweck bildungsstatistische Daten erhoben und mit welcher Absicht sie verwendet werden. Wir fragen also nach der Funktion von Schulstatistik. Wir können zeigen, dass seit den 1830er Jahren empirische Daten zum Schulwesen grundsätzlich zur Entwicklung und Steuerung des Bildungswesens verwendet werden.
Eine der frühesten Kennziffern ist sicherlich die Klassengrösse: Anhand der Anzahl Schulkinder in
einer Gemeindeschule oder pro Abteilung wurden von Behördenseite Rückschlüsse gezogen auf die
Qualität der Schule und des Unterrichts, aber auch auf die finanziellen Möglichkeiten einer Gemeinde,
geeignetes oder zusätzliches Personal anzustellen. Da die Verantwortung für die Volksschule gerade
in finanziellen Angelegenheit zum grösseren Teil bei den Gemeinden lag, konnte der Kanton im
19. Jahrhundert häufig nur auf die Notwendigkeit des Ausbaus der Gemeindeschule hinweisen. Häufig waren finanzschwache Gemeinden trotz zusätzlicher kantonaler Beiträge z.B. beim Schulhausbau
überfordert und kamen dem ‚Auftrag‘ der Regierung nicht nach. Wie ein Beispiel aus dem Jahr 1886
zeigt, wurde der Entzug des Staatsbeitrags – der in der Regel für die Besoldung der Lehrer vorgesehen war – als ultima ratio eingesetzt, um säumige Gemeinden zu Klassenneugründungen zu zwingen
(siehe Kapitel 4.3, Abschnitt Schulhausbauten). Die Basis für eine solche Politik lieferten die Zahlen
der Inspektoren über überfüllte Schulen und Klassen – die daher ein frühes Instrument zur Schulplanung, aber indirekt auch zur Qualitätssicherung waren.
Wie das Thema der Klassengrösse in späterer Zeit auch von der Lehrerschaft eingesetzt und in einen
Zusammenhang zu ihrer Unterrichtstätigkeit gesetzt worden ist, ist im Kapitel 6.1 nachzulesen. Bereits von Anfang an wurden im Schulblatt die Schülerzahlen dazu benutzt, um den Kanton Aargau mit
anderen Kantonen zu vergleichen. In den 1920er Jahren wollte man damit erreichen, dass ein neues,
zeitgemässes Schulgesetz eingeführt wird. Eine Dekade später ging es vor allem darum, so wenige
Klassen wie möglich aufgrund „kleiner“ Bestände zu schliessen, um nicht noch mehr stellenlose
Lehrpersonen zu haben. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wagte man sich auch im Schulblatt an
Prognosen für die Entwicklung der Schülerzahlen. Bis dahin wurden die Schülerzahlen vorwiegend
rückblickend und zur Untermauerung bestimmter politischer Forderungen eingesetzt.
Am Beispiel der Rekrutenprüfungen lassen sich die verschiedenen – auch heute noch aktuellen –
Möglichkeiten, wie auf bestimmte statistische Daten reagiert wurde, darstellen. Zahlen lassen sich
vielseitig interpretieren und von unterschiedlichen Akteuren auch unterschiedlich nutzen. Die Veröffentlichung von Daten auf Kantons- und Bezirksebene lud geradezu zu synchronen Vergleichen ein,
innerhalb des Kantons und über die Kantonsgrenzen hinweg: Man versuchte, die Ergebnisse zu deuten und suchte nach Argumenten und Erklärungen. Im Fall der Rekrutenprüfungen fürchtete sich die
Lehrerschaft vor allem vor den möglichen Rückschlüssen auf den eigene Unterricht und sah sich ihrer
Meinung nach zu Unrecht für die schlechten Ergebnisse verantwortlich gemacht. Durch den möglichen Vergleich zwischen den Kantonen sowie zwischen den Bezirken konnte einerseits von Seiten
der Politik und der Verwaltung Druck auf die Schulen ausgeübt werden, andererseits bediente sich
auch die Lehrerschaft dieser statistischen Zahlen, um auf gesellschaftliche oder bildungspolitische
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Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Missstände aufmerksam zu machen. Teilweise wurden die Kantone untereinander verglichen, dann
wurden wieder die Bezirke aneinander gemessen; zudem wurden nicht selten widersprüchliche Daten
veröffentlicht. Die vielseitigen Möglichkeiten, diese Daten für (standes-)politische Interessen zu nutzen, erklären wahrscheinlich die lang andauernde und stete Präsenz der Rekrutenprüfungen im
Schulblatt. Die Darstellung dieser Zahlen in den Rechenschaftsberichten wiederum lassen kaum auf
konkrete politische Forderungen schliessen.
Im Vergleich zu den Rekrutenprüfungen wird über das neuste Qualitätssicherungsinstrument „Check
5“ kaum eine öffentliche Diskussion geführt. Im Schulblatt wird über diesen Leistungsmessungstest
informiert und die entsprechenden Resultate werden dokumentiert. Dies entspricht der offiziellen Berichterstattung vonseiten der Bildungsdirektion, wie sie seit den 1970er Jahren im Schulblatt eingeführt worden ist. Die Ergebnisse des „Check 5“ sollen – mit Zustimmung der Lehrerschaft – als Förderinstrument eingesetzt werden und nicht für Vergleichszwecke zwischen Schülerinnen und Schülern, Klassen oder Schulen dienen. Dennoch enthält der Schlussbericht an das Departement Langzeitreihen und macht dadurch eine Entwicklung sichtbar. Das heisst, ein diachroner Vergleich über
die Zeit findet statt. Was hingegen bis jetzt nicht gefördert wurde, ist ein synchroner Vergleich der
durchschnittlichen Leistung von Schülerinnen und Schülern zwischen Klassen, Schulen, Gemeinden
oder Bezirken.
Auch die Darstellung der Besoldungszahlen im Schulblatt zeigen, wie statistische Daten politisch
eingesetzt werden können. Auf Vorschlag eines Lesers wurden ab 1907 regelmässig Lohnstatistiken
veröffentlicht und inhaltlich thematisiert. Mit der regelmässigen Erhebung dieser Lohndaten wurde
zuerst auf die Gemeindeschulbehörden erheblich Druck ausgeübt, allen Lehrpersonen den Minimallohn zu bezahlen. Als nächsten Schritt strebte der Aargauer Lehrer-Verein ein kantonales Besoldungsgesetz an, das die örtlichen Unterschiede der Löhne ausgleichen sollte. In diesem Zusammenhang wurden sowohl Daten durch den ALV neu erhoben als auch Zahlen aus den Rechenschaftsberichten der Regierung im Schulblatt abgedruckt und mit den Besoldungszahlen des Nachbarkantons
Zürich verglichen. Es ist anzunehmen, dass eine solche Politik vonseiten der Lehrerschaft massgeblich mit dazu beigetragen hat, dass ab 1919 resp. 1929 die Lehrerlöhne im Kanton Aargau gänzlich
vom Kanton getragen und so vereinheitlicht wurden. Dieses Beispiel macht deutlich, welchen Einfluss
die Lehrerschaft auf die Lohnpolitik des Kantons hat. Umgekehrt zeigt sich selbstverständlich auch
die Macht des Kantons durch finanzielle Unterstützungsleistungen an Gemeinden, etwa bei den
Schulhausbauten. So ist finanzielle Unterstützung meist an Vorgaben gebunden – mit Geld (aber
nicht nur) wird gesteuert.
5.4 Fazit
Statistische Daten werden seit der Implementation der modernen Volksschule zur Planung und Steuerung eingesetzt. Vor allem finanzielle Unterstützungsleistungen sind seit je her an klare, durch Zahlen ausgewiesene Vorgaben gebunden. Nicht nur standespolitische Interessen lassen sich aus strategischer Sicht gut mit Fakten und Zahlenmaterial untermauern. Politische Forderungen und Strategien lassen sich prospektiv, abgeschlossene Projekte rückwirkend durch Zahlenmaterial einfacher
legitimieren – oder aber auch widerlegen. Dieser Umgang mit empirischen Daten ist keine Erfindung
des 20. Jahrhunderts. Gelten die ersten Schulstatistiken vorwiegend als Instrument einer tendenziell
unkoordinierten kantonalen Verwaltungspraxis, um gegenüber der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen, orientiert sich die neuste Bildungsstatistik vor allem an interregionalen, nationalen und internationalen Vorgaben und Vergleichswerten (vgl. zum Beispiel das Klassifikationsschema ISCHED). Die
gesetzliche Legitimation des Bundes gegenüber den Kantonen, bildungsstatistisches Zahlenmaterial
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einzufordern, beschleunigte die Vereinheitlichung der kantonalen Bildungsstatistiken. Die ursprüngliche Form der Daten – als Teil der regierungsrätlichen Rechenschaftsberichte – konnte mit den zunehmend geforderten standardisierten Vorgaben nicht beibehalten werden.
Erst durch die zunehmende Systematik der Darstellung schulstatistischer Daten in eigenen Dokumentationen wird eine Vergleichsbasis über die Kantons- und Landesgrenze hinweg geschaffen.
Vergleiche mit statistischem Zahlenmaterial sind seit dem 19. Jahrhundert vorgenommen worde.
Gleichzeitig wurden die Vergleichbarkeit und Aussagekraft von Daten durch die Rezipienten immer
auch in Frage gestellt. Zahlen haben, so liesse sich zusammenfassend festhalten, nie für sich selbst
gesprochen. Ihre Interpretation blieb immer strittig. Denn Zahlen ohne Kontextinformationen bleiben
nackte Zahlen, die unterschiedliche Interpretationen zulassen. Obwohl gerade die Abbildung der
Ausgaben im Bildungsbereich eine wichtige und über all die Jahre hinweg konstante Grösse in den
Rechenschaftsberichten darstellt, gewinnen diese Zahlen erst an Aussagekraft, wenn Vergleichswerte wie Gesamtausgaben des Kantons oder die Geldwertentwicklung hinzugezogen werden. In den
Rechenschaftsberichten fehlen diese Vergleichswerte über die ganze Untersuchungsdauer hinweg.
Der Lehrerverein als Herausgeber des Schulblattes und Rezipient bildungsstatistischer Daten suchte
hingegen bewusst solche Vergleichszahlen. Es wurden Langzeitreihen abgebildet (zum Beispiel die
Entwicklung der Anzahl Lehrerinnen und Lehrer), die kantonseigenen Besoldungszahlen mit anderen
Kantonen verglichen und die Schülerzahlen in ein Verhältnis mit der Anzahl Klassen gesetzt, um die
durchschnittliche Klassengrösse zu berechnen. Dennoch lassen sich wegen der fehlenden Systematik nur wenig Langzeitreihen über 200 Jahre Volksschule im Kanton Aargau darstellen. Ist dies aber
dennoch möglich, zeigen diese Langzeitreihen eine eindrückliche Entwicklung der Volksschule im
Aargau. Einflüsse wie die beiden Weltkriege, neue Gesetze auf Kantons- oder Bundesebene zu statistischen Erhebungen, gesellschaftliche Veränderungen, Umstrukturierungen des Erziehungsdepartements, aber auch die Ideen einzelner Akteure führten zu Veränderungen in der Erhebung, Auswertung und Darstellung des Zahlenmaterials. Es wurden und werden nie „irgendwelche“ Daten erhoben,
sondern solche, die für die entsprechende Zeit als wichtig und informativ galten und mit denen eine
bestimmte Politik verfolgt und entsprechend legitimiert werden konnte. Zusammenfassend lässt sich
sagen, dass diese fehlende Langfristigkeit in der Erhebung und Darstellung bildungsstatistischen
Materials zwar für die historische Rekonstruktion und Analyse beträchtliche methodische Probleme
verursacht, aber auch einen wertvollen Einblick in die Schwerpunktsetzung früherer Bildungspolitik
ermöglicht und zeigt, welche Themen die Gesellschaft bewegten.
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Literatur
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
6 Literatur
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Abbildungsverzeichnis
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
7 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bezirke des Kantons Aargau (vgl. Statistik Aargau, Eckdaten für die 11 Bezirke
12
Abbildung 2: Entwicklungsphasen der Schulstatistik in der Schweiz
25
Abbildung 3: Schülerzahlen nach Schultyp
42
Abbildung 4: Bevölkerungsentwicklung 0 – 19 Jährige im Kanton Aargau
44
Abbildung 5: Abteilungen (Klassen) der einzelnen Schultypen
47
Abbildung 6: Anzahl Hilfsschüler des Kantons Aargau
56
Abbildung 7: Entwicklung der Anzahl Kindergartenkinder im Kanton Aargau
61
Abbildung 8: Absenzen pro Schülerin / Schüler in der Gemeindeschule
74
Abbildung 9: Entwicklung der Lehrerinnen- und Lehrerzahlen an der Primarresp. Gemeindeschule des Kantons Aargau
82
Abbildung 10: Anzahl Schülerinnen und Schüler in heil- und sozialpädagogischen
Institutionen im Kanton Aargau
86
Abbildung 11: Anzahl Sozialpädagogische Anstalten 1845 bis 1967
88
Abbildung 12: Anzahl Schülerinnen und Schüler pro Sektor
90
Abbildung 13: Akteure der Volksschule als Produzenten resp. Rezipienten von Statistiken
96
Seite 109
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Tabellenverzeichnis
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
8 Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Regelung des Schülermaximums in einer Klasse in den jeweiligen Schulgesetzen
45
Tabelle 2: Qualität der Schulen nach Bezirken des Kantons Aargau
48
Tabelle 3: Kantonaler Vergleich der Rekrutenprüfungsresultate
51
Tabelle 4: Anzahl Schülerinnen, Abteilungen und Lehrerinnen der weiblichen Arbeitsschulen
(Mädchen Handarbeitsunterricht)
58
Tabelle 5: Anzahl Schülerinnen, Abteilungen und Lehrerinnen des Hauswirtschaftsunterrichts
59
Tabelle 6: Schülerzahlen des Knabenhandarbeitsunterrichts nach Fächern und Kanton
60
Tabelle 7: Vorlage des Regierungsrates über die Vorgaben der Lehrerlöhne in der
Gemeindeschule
66
Tabelle 8: Übersicht über Stand des Turnunterrichts an den Gemeinde- und
Bezirksschulen 1897/98
69
Tabelle 9: Zahlen zu Bucheinbänden, Broschüren, Anzahl Exemplare und zu
Umsatz resp. Gewinn des Lehrmittelverlags
71
Tabelle 10: Zahl der Schüler, Schulversäumnisse und Bestrafungen
73
Tabelle 11: Lehrerzahlen für die Primar-, Sekundar- und Bezirksschule.
76
Tabelle 12: Lehrerbefragung zu ihren Kündigungsgründen
79
Tabelle 13: Wahlfähigkeitsprüfung und Patentierungen von Lehrpersonen im Kanton Aargau
80
Tabelle 14: Anzahl Schulen/Schulabteilungen, Schülerinnen und Schüler und
Lehrkräfte 1850-2005
113
Tabelle 15: Schülerzahlen der Volksschule 1845-2000
113
Tabelle 16: Abteilungen/Klassen der Volksschule
114
Tabelle 17: Staatsausgaben für das Bildungswesen 1805-2000
114
Tabelle 18: Anzahl Schülerinnen und Schüler von Förderschulen/Hilfsschulen/
Kleinklassen 1950-2005
115
Tabelle 19: Anzahl Kinderkinder, Abteilungen, Gemeinden 1947-2008
115
Tabelle 20: Absenzen und Geldbussen der Schüler in der Gemeindeschule
115
Tabelle 21: Anzahl Lehrerinnen und Lehrer im Primar(Gemeinde-)schuldienst
des Kantons Aargau 1865-2005
116
Tabelle 22: Entwicklung Schülerzahlen der Volksschule im Vergleich zur
Bevölkerungsentwicklung im Kanton Aargau
Seite 110
116
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Anhang
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
9 Anhang
9.1 Beispiele Rechenschaftsberichte
Rechenschaftsbericht 1840
Schul- und Erziehungswesen
a) Gemeindeschulen
1. Lehrer
2. Schulen
3. Besondere Schulen
4. Schulhäuser
5. Schulgüter und Schulklassen
6. Schulbehörden
b) Bezirksschulen
c) Kantonsschule
I. Gymnasium
II. Gewerbeschule
d) Schullehrer-Seminar
I. Die Zöglinge
II. Die Lehrer
III. Die Lehrmittel
IV. Die Staatsunterstützungen
V. Der Seminardirektor
VI. Die Seminarkommission
e) Höhere Privat-Lehranstalten
f) Kantonal-Stipendien
g) Schulgut und Schulklasse des Kantons
h) Aufsichtsbehörden
i) Kantons-Bibliothek
Rechenschaftsbericht 1955
Erziehungsdirektion
A. GESETZGEBUNG UND ALLGEMEINES
1. Gesetze und Vollzugserlasse
2. Motionen und Postulate
3. Allgemeines
B. KANTONALE SCHULBEHÖRDEN
I. Erziehungsrat
I. Allgemeines
II. Patentierung von Lehrern
III. Maturitäts- und Diplomprüfungen
IV. Lehrmittelverlag
II. Bezirksschulräte
III. Aufsichtskommissionen und Inspektorate
IV. Kantonale Lehrerkonferenz
V. Kantonalkonferenz der Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen
C. SCHULEN
I. Volks- und Fortbildungsschulen
Seite 111
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Anhang
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
1.
2.
3.
4.
5.
Allgemeines
Kindergärten
Gemeinde- und Sekundarschulen
Bezirksschulen
Mädchenhandarbeitsunterricht und hauswirtschaftlicher Unterricht an der Volks- und Fortbildungsschule
6. Fortbildungsschule für die männliche Jugend
7. Erziehungsanstalten
II. Kantonale Lehranstalten
1. Kantonsschule, Seminarien, Töchterschule und kantonales Gewerbemuseum
2. Kantonales Arbeitslehrerinnenseminar
3. Hauswirtschaftslehrerinnenseminar Aarau
D. KIRCHENWESEN
E. SAMMLUNGEN
I. Staatsarchiv und Kantonsbibliothek
a. Allgemeines
b. Staatsarchiv
II. Kantonale Historische Sammlung
III. Schutz der Altertümer und Baudenkmäler
a. Altertümerverzeichnis
b. Ausgrabungen, archäologische Forschungen und Funde
c. Denkmalpflege
d. Verschiedenes
IV. Kantonale Denkmalpflege
V. Inventarisation der aargauischen Kunstdenkmäler
VI. Kantonale Kunstsammlung
VII. Aargauisches Museum für Natur- und Heimatkunde
F. BERUFLICHE AUSBILDUNG
I. Allgemeines
II. Behörden
III. Berufslehre
IV. Berufsschulen
1. Gewerbliche Berufsschulen
2. Kaufmännische Berufsschulen
V. Berufliche Weiterbildung
VI. Lehrabschlussprüfungen
VII. Berufsberatung
Seite 112
Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Anhang
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
9.2 Tabellen
Tabelle 14: Anzahl Schulen/Schulabteilungen, Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte 1850-200578
Jahr
1850
1855
1860
1865
1870
1875
1880
1885
1890
1895
1900
1905
1910
1915
1920
1925
1930
1935
1940
1945
1950
1953
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
Schulen, Schulabteilungen
Primar
Sekundar
Bezirk
14
487
15
497
16
501
491
16
22
503
26
23
519
23
27
529
24
26
535
25
26
554
26
28
552
31
29
560
36
30
577
43
32
615
40
33
670
43
34
699
47
37
759
51
35
776
57
36
810
68
31
822
75
32
836
92
32
854
102
32
921
112
32
951
128
32
1044
165
35
1200
190
35
1357
243
39
1590
348
42
1606
457
45
1324
476
404
1511
443
429
1577
491
470
1616
554
484
1501
590
504
Schüler
Primar
Sekundar
33 500
30 012
29 997
30 148
29 551
30 251
921
29 683
1041
30 290
1099
30 669
1107
28 184
1335
28 661
1442
30 920
1712
34 834
1740
37 261
1886
36 447
1884
33 560
1878
32 441
1886
32 627
2334
31 144
2435
28 968
2893
30 083
2880
34 049
3232
36400
4035
38 015
4965
41 096
5504
43 573
6518
45 682
8965
38 590
10 681
27 426
8889
31 347
7964
33 041
9735
33 346
10 245
31 002
10 925
Bezirk
817
931
1060
1344
1416
1930
1796
1820
2253
2369
2466
2983
3463
3820
4129
4661
4367
5253
5262
5267
5091
5188
6063
7156
7411
8837
10 317
11 400
9193
8848
10 086
10 217
10 537
Lehrkräfte
Sekundar
Primar
560
577
615
670
699
759
776
810
822
836
854
921
950
1053
1200
1357
1608
1630
36
43
40
43
47
51
57
68
75
92
102
112
128
165
190
243
348
547
Bezirk
43
46
51
65
68
81
75
77
82
86
89
95
108
115
131
142
143
149
151
154
191
192
217
245
285
327
393
426
2004
2004
704
878
841
909
487
491
501
507
531
541
554
560
580
583
Tabelle 15: Schülerzahlen der Volksschule 1845-200079
Jahr
Primar
1845
1850
1860
1870
1880
1890
1900
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
34386
33500
29997
29551
29683
30669
28661
34834
36447
32441
31144
30083
38015
43573
38590
31347
33346
Realschule
5300
6472
Sekundar
Bezirk
Gesamt
1041
1107
1442
1740
1884
1886
2435
2880
4965
6518
10681
7964
10245
817
1060
1416
1796
2253
2466
3463
4129
4367
5262
5091
7156
8837
11400
8848
10217
34386
34317
31057
30967
32520
34029
32569
40037
42460
38694
38841
38054
50136
58928
60671
53459
60280
78
Die Zahlen von 1955 bis 1980 stammen aus den Rechenschaftsberichten des Kantons Aargau der jeweiligen Jahre. Die
Angaben über Schulabteilungen und Schülerzahlen ab 1985 stammen aus der Schulstatistik des Kantons Aargau, diejenigen zu den
Lehrerzahlen aus der Lehrkräftestatistik des Kantons Aargau
(https://www.ag.ch/de/dfr/statistik/bestellen/statistikthemen/bildung___wissenschaft_2/bildung___wissenschaft.jsp [Zugriff am
8.10.2013]).
79
Zahlen von 1845 bis 1980 stammen aus den Rechenschaftsberichten, von 1990 und 2000 aus der Schülerstatistik des
Kantons Aargau(https://www.ag.ch/de/dfr/statistik/bestellen/statistikthemen/bildung___wissenschaft_2/bildung___wissenschaft.jsp
[Zugriff am 8.10.2013]). Die Realschule wird ab 1982 in den Rechenschaftsberichten als eigener Schultyp ausgewiesen.
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Universität Zürich, Schriftenreihe HBB Nr. 3
Anhang
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Tabelle 16: Abteilungen/Klassen der Volksschule
Jahr
Primar
1845
1850
1860
1870
1880
1890
1900
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2005
296
487
501
503
529
554
560
615
699
776
822
854
1044
1357
1606
1511
1616
1501
Real
311
396
431
Sekundar
Bezirk
26
24
26
36
40
47
57
75
102
165
243
457
443
554
590
14
16
23
26
28
30
33
37
36
32
32
35
39
45
429
484
504
Tabelle 17: Staatsausgaben für das Bildungswesen 1805-2000 (Rechenschaftsberichte 1805-2000)
Jahr
1805
1810
1815
1820
1825
1830
1835
1840
1845
1850
1855
1860
1865
1870
1875
1880
1885
1890
1895
1900
1905
1910
1915
1920
1925
1930
1935
1940
1945
1950
1953
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Seite 114
Gesamtausgaben Lehrerbesoldung Schulbauten
2346
7232
6713
15 093
19 216
17 842
32 634
83 394
95 536
101 596
138 633
163 488
242 693
320 700
395 575
255 786
292 086
449 087
484 339
675 552
724 224
742 765
962 289
6 601 311
6 718 429
7 314 657
7 732 828
8 085 447
11 160 388
19 945 723
22 904 052
422
740
692
552
552
639
12 809
37 407
49 632
52 620
77 844
99 453
148 125
280 536
328 430
210 305
238 105
389 826
405 245
581 947
612 747
612 839
658 680
6 022 627
5 617 796
5 917 051
6 282 555
6 472 940
9 170 752
16 356 676
18 627 654
Mobiliar
200
128
1903
2300
950
4500
2300
476
2600
2650
2850
1995
2280
2740
8000
4040
2500
10 000
8000
21 506
20 023
19 669
20 000
20 534
108 360
139 009
99 982
212 509
150 076
400 006
603 146
1 849 498
1 518 019
4 412 248
4 845 622
6 521 574
3 410 137
6 176 810
5 399 090
5 693 725
6 513 381
Lehrmittel Rücktrittsgehälter
87
30
113
500
500
6183
8713
15 758
40 461
20 268
25 489
83 633
124 302
239 917
1500
1500
1500
1500
1500
12 000
106 475
170 450
181 249
182 876
180 498
311 172
365 099
498 454
149
57
73
200
500
685
605
830
1564
1057
5120
9716
18 066
13 247
20 414
25 950
26 196
31 748
44 940
50 955
58 413
214 096
579 144
731 336
821 603
953 262
1 022 550
1 831 138
2 122 405
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Anhang
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Tabelle 18: Anzahl Schülerinnen und Schüler von Förderschulen/Hilfsschulen/Kleinklassen 1950-200580
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
Anzahl Schüler
456
584
824
1255
1944
2307
1727
1409
1436
1953
2196
2132
Abteilungen
…
33
46
79
134
175
161
149
169
199
242
245
davon Knaben
273
341
458
738
1133
1329
993
Tabelle 19: Anzahl Kinderkinder, Abteilungen, Gemeinden 1947-200881
Jahr
1947
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2008
Anzahl Kinder Abteilungen Gemeinden
3576
4037
4780
5088
5918
7934
9716
9915
10454
12883
13559
12725
11800
11700
83
92
114
129
167
265
416
455
481
612
667
666
661
668
56
56
61
65
73
100
180
200
Tabelle 20: Absenzen und Geldbussen der Schüler in der Gemeindeschule82
Jahr
1865
1870
1875
1880
1885
1890
1895
1900
1905
1910
1915
1920
1925
1930
1935
1940
Total Absenzen davon unentschuldigt pro Schüler davon unentschuldigt Bussgelder in Sfr.
381816
421662
351690
384596
k.A.
374671
283460
244037
266928
259949
250386
398447
253692
229385
273032
281128
120929
56698
77871
74310
k.A.
59672
40322
29662
23933
27151
19076
13647
8.873
4650
3624
3213
8.6
14.27
11.28
12.52
k.A.
11.79
9.6
8.13
8.18
7.11
6.72
10.78
7.58
7.09
8.17
9.03
4
1.91
2.5
2.42
k.A.
1.37
0.68
0.99
0.73
0.74
0.51
0.38
0.26
0.14
0.1
0.1
k.A.
1194.48
2171.55
2076.85
k.A.
k.A.
k.A.
1410.95
1191.85
1490.65
1350.95
1860.9
1407.05
938.8
435
505.8
80
Als Spezialklassen erwähnt, ab 1955 als Förderschulen ausgewiesen, 1965 wird von Hilfsschulen geschrieben Es ist davon
auszugehen, dass nicht unterschieden wurde zwischen öffentlichen und privaten Schulangeboten. Zahlen ab 1985 stammen aus der
Schulstatistik 2008/2009
(https://www.ag.ch/de/dfr/statistik/bestellen/statistikthemen/bildung___wissenschaft_2/bildung___wissenschaft.jsp [Zugriff am
8.10.2013]). In der Schulstatistik wird das Werkjahr separat von der Kleinklasse ausgewiesen. Aufgrund der Zahlen (Unterschied 1
Klasse) kann darauf geschlossen werden, dass in den Rechenschaftsberichten die Zahlen inkl. Werkjahr abgebildet wurde.
81
Die Zahlen von 1947 bis 1980 stammen aus den regierungsrätlichen Rechenschaftsberichten, die Zahlen danach stammen
aus der Schülerstatistik des Kantons Aargau
(https://www.ag.ch/de/dfr/statistik/bestellen/statistikthemen/bildung___wissenschaft_2/bildung___wissenschaft.jsp [Zugriff am
8.10.2013]).
82
Die Daten stammen aus den Rechenschaftsberichten der Jahr 1865-1940. Anschliessend findet man die Absenzenzahlen
nicht mehr im Rechenschaftsbericht.
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Anhang
Die Bildungsstatistik im Kanton Aargau
Tabelle 21: Anzahl Lehrerinnen und Lehrer im Primar(Gemeinde-)schuldienst des Kantons Aargau 1865-200583
Jahr
Lehrerinnen
Lehrer
1865
1870
1875
1880
1885
1890
1895
1900
1905
1910
1915
1920
1925
1930
1935
1940
1945
1950
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1984
1996
2000
2005
30
34
37
72
87
95
117
136
149
181
220
246
291
303
317
318
329
351
400
455
637
697
914
941
850
1357
1513
1595
477
497
504
482
473
479
466
460
471
474
450
453
468
473
493
504
507
503
550
598
563
660
694
689
470
539
491
409
Tabelle 22: Entwicklung Schülerzahlen der Volksschule im Vergleich zur Bevölkerungsentwicklung im Kanton Aargau84
Jahr
Schülerzahl
0 - 19 Jährige
Gesamtbevölkerung
1880
1890
1900
1910
1920
1930
1941
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
32520
34029
32569
40037
42460
38694
38841
38054
50136
58928
60671
53459
60280
82311
79622
85426
99455
98508
95778
91072
101178
124013
145840
132930
125471
133025
129307
198357
193580
206498
230634
240776
259644
270463
300782
360940
433284
452786
504597
547462
612611
83
Die Zahlen von 1865 bis 1910 stammen aus einer Tabelle des Schulblattes (1913, S. 4), stimmen jedoch mit denjenigen der Rechenschaftsberichte überein. Von 1915 bis 1984 stammen die Zahlen aus den jeweiligen Rechenschaftsberichten, anschliessend aus der
Lehrerstatistik (https://www.ag.ch/de/dfr/statistik/bestellen/statistikthemen/bildung___wissenschaft_2/bildung___wissenschaft.jsp [Zugriff am 8.10.2013]). Bei den neuen Zahlen handelt es sich um die absolute Anzahl Lehrer und Lehrerinnen auf der Primarstufe (inkl.
Grund- und Basisstufe, exkl. Einschulungsklasse). Die früheren Zahlen sind nicht belegt, es wird jedoch angenommen, dass es sich
um die absolute Anzahl Lehrpersonen handelt und nicht um Vollzeitäquivalente.
84
Die Daten der Gesamtbevölkerung sowie der 0-19 Jährigen von 1880 bis 1960 stammen aus den Eidgenössischen Volkszählungen.
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