[go: up one dir, main page]

Academia.eduAcademia.edu
1 Religionsunterricht der gastfreundschaft Diskussions-Entwurf -12.2.2015 KLAUS HEIDEGGER RELIGIONSUNTERRICHT DER GASTFREUNDSCHAFT Markusevangelium 2,27 2 Für einen Religionsunterricht der Gastfreundschaft Inhaltsverzeichnis 1 Plaudern aus der aktuellen Praxis an meiner Schule ...................................................................... 3 2 Ausländerfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft, Inklusion in der Schule und im Religionsunterricht ................................................................................................................................... 4 3 4 Interreligiöse Grenzüberschreitungen oder multireligiöse Grenzziehungen im Religionsunterricht 5 3.1 Fragestellung – Separation oder Inklusion .............................................................................. 5 3.2 Beispiele aus der Praxis .......................................................................................................... 5 3.3 Kommunikative Theologie als hermeneutische Grundlage ..................................................... 7 3.4 Multireligiöse Schulwirklichkeit ................................................................................................ 8 3.5 Multireligiosität als Chance für interreligiöses Lernen ............................................................. 9 Die schleichende Verdrängung des konfessionellen Religionsunterrichtes aus dem Fächerkanon 11 4.1 Politische Bildung und Religionsunterricht ............................................................................ 11 4.2 Ethikunterricht und Religionsunterricht .................................................................................. 12 4.2.1 Alte Forderung neu belebt ................................................................................................. 12 4.2.2 Ethik oder Religion?........................................................................................................... 13 4.3 Schulorganisatorische und praktische Gründe gegen konfessionellen Unterricht ................ 17 4.4 Eingemauerte Schulbehörden und Schulämter ..................................................................... 17 5 Der klassische Konfessionsunterricht ist veraltet ........................................................................... 17 6 Konfessioneller Religionsunterricht ja, aber offen für alle .............................................................. 18 7 6.1 Erste Schritte der Öffnung ..................................................................................................... 18 6.2 Konfessionell-kooperative Unterrichtsmodelle ...................................................................... 19 6.3 Religiöse Identitätsbildung durch Begegnung und Dialog ..................................................... 20 6.4 Schüler und Schülerinnen als zu belehrende Objekte oder als lernende Subjekte .............. 20 6.5 Konfessionalitätsprinzip im RU als Schutz der kleinen Religionsgemeinschaften? .............. 21 6.6 Verwässerte Einheitsreligion? ............................................................................................... 21 6.7 Überforderte RL im interreligiösen Unterricht? ...................................................................... 22 6.8 Existenzielle Ebene des religiösen Lernens .......................................................................... 22 6.9 Kommunikativ-theologische Begründungen .......................................................................... 24 6.10 Die Heilsnotwendigkeit der Begegnung mit dem Fremden ................................................... 25 6.11 Das „geschenkte Wir“ der Schulklasse ................................................................................. 27 Drei Gedanken zum Abschluss ...................................................................................................... 28 3 1 Plaudern aus der aktuellen Praxis an meiner Schule Beginnen möchte ich mit einer jener so zahlreichen Anekdoten aus dem Religionsunterricht, die den Wert interreligiösen Lernens unterstreichen. Ich war in diesem Fall nur beobachtend dabei: Die Unterrichtspraktikantin hatte gerade eine Präsentation über Jesus von Nazareth. Zwei Schüler sitzen nebeneinander. Ihr Glaubensbekenntnis ist nicht unwichtig, doch Schüler und Schülerinnen definieren sich zunächst nicht über eine solche Zuordnung. Sie sei hier deswegen erwähnt, weil es in diesem Beitrag darum geht. Schüler X kann nicht genau lesen, was an die Wand gebeamt wird. Spontan gibt ihm Schüler Y seine Brille. Schüler X setzt sie auf. Schüler X ist katholisch, Schüler Y ist ein Muslim. Islamischer Schüler hilft katholischem Schüler beim Verständnis über den Propheten Jesus. Über deren Klasse ließe sich noch viel schreiben: Schülerin B ist Bahai. Auch in dieser Stunde war sie eine der eifrigsten bei der Mitarbeit. Die Lehrerin brachte Bilder über Jesus aus dem Johannesevangelium. Jesus – das Licht der Welt. Schülerin B erzählte von der Bedeutung der Sonne bei den Bahai. In ihrem Glauben sei es zentral, dass man sich von der Sonne – Symbol der Wahrheit – abwenden könne, oder sich ihr zuwenden. Die Lehrerin kann hier gut anknüpfen. So sei es wohl auch mit Jesus Christus. Wir können uns ihm zuwenden, oder von ihm abwenden. Er bleibe in jedem Fall das Licht – die Sonne. Einige Wochen später kommt es in dieser Klasse zum Semesterzeugnis. Schüler Y darf nicht benotet werden, darf nicht einmal im Fach Religion aufscheinen. Eine andere Schülerin, sie ist altkatholisch, dürfte auch nicht. Schülerin B solidarisiert sich mit ihnen – will nun auch nicht mehr benotet werden. Der Blick in eine andere Klasse. Schülerin S ist eine der eifrigsten beim COOLProjekt – Cooperatives-Offenes Lernen. Das Fach Religion ist wesentlicher Teil in diesem fächervernetzenden Projekt. Die Schüler und Schülerinnen bekommen zu Beginn des Tages ihre Arbeitsaufträge. Es liegt an ihnen, ob sie mit den Assignments aus Biologie, Deutsch, Mathematik, Physik, Informatik oder eben Religion beginnen. Ja, Religion ist auch dabei. Würde der Buchstaben des Gesetzes konfessionalistisch ausgelegt werden, könnte Religion gar nicht dabei sein. Da ist nämlich eine muslimische Schülerin in dieser Klasse. Sie dürfte nicht zur Mitarbeit im katholischen Religionsunterricht eingeladen werden. Ich dürfte ihr keine Leistungsbeurteilung 4 geben. Damit wäre aber das Fach Religion aus dem so wichtigen COOL-Projekt draußen. Schülerin S ist jedenfalls sichtbar dankbar, über den Glauben ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen mehr zu erfahren. Ihr Interesse an Religion ist ansteckend für die anderen, besonders für die katholischen Schüler und Schülerinnen. Interreligiöse Begegnungsqualität, die im Religionsunterricht bewusst gestaltet werden kann, gibt es auch in einer anderen Klasse. Schon zu Beginn des Schuljahres hielt Schülerin K ein Referat über ihre Religionsgemeinschaft. Sie ist Kurdin und Alevitin. Eigentlich müsste sie – laut Gesetz – den Alevitischen Religionsunterricht besuchen. Eingetragen ist sie schulrechtlich als ALEVI. Sie fühlt sich jedoch – wenn sie überhaupt eingekastelt werden kann – mehr der Föderation der Aleviten zugehörig. Mit Islam will sie nichts zu tun haben. Dabei sitzt aber ihre beste Freundin neben ihr. Sie ist Muslima. Zwei Mädchen, die sich verstehen. Zwei Mädchen, die im Religionsunterricht Gelegenheit finden, mehr über ihren Religionsgemeinschaften zu erfahren und zugleich in ihren Identitäten gestärkt zu werden. Das ist bereichernd für die ganze Klasse. Man kann sich auf jede Stunde freuen. Katholiken, Bahai, Aleviten, Muslime und ohne Religionsbekenntnis: eine Lerngemeinschaft im Religionsunterricht. Zum Schnitt kommt es beim Zeugnis. Hier wird wieder demonstriert, dass positiv gelebte Praxis nicht sein sollte. Der Vater von Schülerin K war auch bei mir im Elternsprechtag. Ihn freut die Mitarbeit seiner Tochter im katholischen Religionsunterricht. 2 Ausländerfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft, Inklusion in der Schule und im Religionsunterricht Meine Überlegungen finden in einer Zeit statt, in der in Europa allerorten Islamfeindlichkeit und Isamophobie genährt und zum Ausdruck gebracht werden. Pegida – „die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – ist ein Ausdruck dieser Stimmung und Stimmungsmache. In Österreich werden sie von politischen Kräften instrumentalisiert. Auf der anderen Seite wurde längst erkannt, dass ohne Integrationsbemühungen Gräben in der Gesellschaft aufgerissen werden und Parallelwelten entstehen, die den Frieden gefährden. 5 Seit vielen Jahren schreiben Soziologen, Pädagogen und Politiker, dass die Schulen die wichtigsten Orte sind, um Integration bzw. Inklusion zu erfahren. Der Religionsunterricht wiederum kann jener Ort sein, in der sowohl die eigene Religion kritisch wahrgenommen werden kann, als auch fremde Religionen vertraut gemacht werden können. Ein multireligiöses Setting im Klassenzimmer bietet jedenfalls ideale Voraussetzungen für interreligiöses Lernen. Integrationsunwilligkeit besteht auf vielen Seiten. In so manchen gesetzlichen Vorschriften wird Integration bzw. Inklusion strukturell erschwert oder verhindert. Ein Religionsunterricht, der entlang der Konfessionsgrenzen streng trennt, bietet jedenfalls weniger Möglichkeiten für ein interreligiöses Lernen durch Begegnung. 3 Interreligiöse Grenzüberschreitungen oder multireligiöse Grenzziehungen im Religionsunterricht 3.1 Fragestellung – Separation oder Inklusion Wie kann religiöse Bildung in einer religiös zunehmend pluralen Welt, vielfacher religiöser Verwurzelungen oder der Entinstitutionalisierungen junger Menschen gelingen? Fast jeden Schultag erlebe ich das Sezieren der Klassen für den Religionsunterricht als unzeitgemäß, als pädagogisch falsch, als theologisch unlogisch und vor allem als gegen die Interessen der Schüler und Schülerinnen gerichtet. 3.2 Beispiele aus der Praxis Ich möchte dies mit einigen Beispielen zunächst untermauern. Mit einer Klasse, in der drei evangelische Schüler sind, machten wir einen fächerübergreifenden Unterricht in Deutsch und Religion zu Franz Jägerstätter und dem gleichnamigen Theaterstück von Felix Mitterer. Dieses Projekt zog sich über viele Stunden hin. Was ist mit den evangelischen Schülern in meinem „katholischen“ Unterricht? Das Schulgesetz verbietet explizit eine Teilnahme.1 Tausende Seiten von pädagogischer 1 Der entsprechende Gesetzestext lautet: „Die Teilnahme eines/er Schülers/in, der die/einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgemeinschaft angehört, am katholischen Religionsunterricht ist im Religionsunterrichtsgesetz nicht vorgesehen. Eine bloß physische Anwesenheit im katholischen Religionsunterricht ist hingegen erlaubt, wenn die Aufsichtspflicht der Schule nicht auf andere Weise erfüllt werden kann und die Eltern die Aufsicht nicht unmittelbar oder mittelbar selbst übernehmen.“BGBL, Nr. 289, vom 8.3.1971. 6 Literatur wurden geschrieben mit Hinweisen, dass fächerübergreifend, vernetzt, projektorientiert usw. usf. unterrichtet werden sollte. In meinem Unterricht versuche ich es umzusetzen, auch wenn überholt-konfessionalistische Trennungen dies erschweren. Gerade mit Blick auf die kompetenzorientierte Matura wird es zunehmend wichtig sein, sich auch im Fach Religion mit anderen Fächern zu vernetzen. Oder ein anderes, sich ständig wiederholendes Beispiel für unzeitgemäße und theologisch fragwürdige Zustände: Warum nur durfte ich einer islamischen Schülerin, die ich fünf Jahre im Religionsunterricht begleiten konnte, die zuletzt ihre Vorwissenschaftliche Arbeit bei mir geschrieben hatte und die stets mit besonderem Engagement Arbeitsaufträge in Religion gemacht hatte, keine Note in ihrem Maturazeugnis eintragen? Ein inklusiver, nicht in Religionsgemeinschaften und Konfessionen fein säuberlich getrennter Religionsunterricht bietet hingegen viele religiöse Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten, die ich zunächst mit Bildern veranschaulichen möchte. Das erste Bild zeigt, wie bei einer Einfühlungsübung im Religionsunterricht eine Schülerin einer anderen beim Slacklinen hilft. Aus der Sicht der SuS können hier tiefe Erfahrungen erspürt werden, die für den Schulalltag wichtig sind; aus der Sicht der Religionszugehörigkeit, über die sich Schüler und Schülerinnen fast nie definieren, ist die dargestellte Szene bedeutsam. Eine katholische Schülerin hilft der muslimischen Mitschülerin. Im Religionsunterricht kann diese Erfahrungsqualität thematisiert werden. Mit diesem Bild möchte ich gleich dem Einwand begegnen, dass ein interreligiös2 geprägter RU tendenziell ein Lernen über Religionen sei, ein Aufdecken der Außenperspektive von Religion, in dem die „native 2 Der englische Begriff „interfaith“, der eine tiefere Qualität als „interreligiös“ ausdrückt, indem er mehr die Innenperspektive des religiösen Erlebens ausdrückt, würde besser zum Ausdruck bringen, was ich im Folgenden unter „interreligiös“ verstehe. 7 guides“ nicht wichtig wären.3 „Native guides“ sind jedoch nicht nur die Religionslehrenden, sondern immer auch die Schüler und Schülerinnen und die Lernorte Klasse und Schule.4 Im nächsten Bild schließlich sind drei Schülerinnen involviert, die laut gesetzlichen Vorgaben gar keinen katholischen Religionsunterricht besuchen sollten. Bestenfalls ist für sie ein Ethik- bzw. Islamunterricht vorgesehen. Das Bild zeigt, wie sie bibliodramatisch die neutestamentliche Szene von Jesus und der „Sünderin“ in ihre Schulsituation übertragen. Lebenlernen und Glaubenlernen im Klassenverband gehen ineins. 3.3 Kommunikative Theologie als hermeneutische Grundlage Meine hermeneutische Herangehensweise an die Frage eines inklusiv-interreligiösen Religionsunterrichtes sind im Folgenden die kommunikative Theologie und die darin beinhaltete Themenzentrierte Interaktion (TZI).5 Ich blicke erstens auf das WIR und dabei vor allem auf die soziale Größe einer Klasse aber auch der Schulgemeinschaft. Zweiter Fokus ist das ICH – ich als Religionslehrer, mehr noch aber das ICH des einzelnen Schülers bzw. der Schülerin als religiöse Identität bzw. in religiöser Identitätssuche. Dritter Blickwinkel ist das ES – das sind konkrete Lehrplaninhalte, die ich versuche im Laufe des RU einzubringen bzw. die mir vorgegeben sind. Vierter Bezugspunkt ist schließlich als Kreis um das TZI-Dreieck der GLOBE – das sind die 3 Vgl. dazu u.a.: ENGLERT, Rudolf: Warum kein Religionsunterricht für alle? Der besondere Reiz des konfessionellen Modells, in: HERDER KORRESPONDENZ Spezial, Oktober 2013, 23-27. 4 Vgl. zum Lernort Klasse ausführlicher: HEIDEGGER, Klaus: „Ihr seid Kirche!“ Schule als Kirche erleben und begreifbar machen, in: FINDL-LUDESCHER Anna / SCHNEIDER Sebastian (Hg.): Seelsorge(t)räume. Zwischen Notverwaltung und Zukunftsgestaltung, Ostfildern: Grünewaldverlag 2011. Eine aktualisierte Kurzfassung erschien in: ÖKUM, Nr.4/2013. 5 Vgl. u.a.: HILBERATH, Bernd Jochen / SCHARER Matthias: Kommunikative Theologie. Grundlagen – Erfahrungen – Klärungen, Ostfildern: Grünewaldverlag 2012. 8 gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen mein Unterricht stattfindet und dabei insbesondere das gesetzliche Regelwerk aber auch die Tausenden Ansprüche, die von allen Beteiligten an meinen RU herangetragen werden. Die über alles hinausreichende Dimension und zugleich in allem existierende Dimension ist Gott selbst, jene Kraft, die im ICH, dem WIR, dem ES sowie dem GLOBE stets als sich offenbarender Gott erfahrbar werden kann. Tatsächlich sind diese Ansätze der Kommunikativen Theologie in vielfacher Hinsicht geeignet, um sich mit der Frage der Interreligiosität und Ökumenizität im Rahmen des RU zu beschäftigen.6 3.4 Multireligiöse Schulwirklichkeit Der Ausgangspunkt stellt sich zunächst wie folgt dar: Die soziologische Zusammensetzung der Schulkassen in Österreich und selbst in katholischen Privatschulen zeigt eine zunehmende Heterogenität und Diversität. Dabei denke ich zunächst nicht nur daran, dass katholische neben muslimischen, orthodoxe neben Schülern und Schülerinnen ohne Religionsbekenntnis sitzen, sondern gehe von einem weiten Religionsbegriff7 aus, der selbst in einem konfessionellen Unterricht seine Berechtigung hat. Demnach lässt sich die Religiosität von Schülern und Schülerinnen zunächst nicht länger über Konfessionalität bestimmen, über Zugehörigkeit zu einer bestimmten Pfarre, über die Teilnahme oder Nichtteilnahme am Sonntagsgottesdienst, ja auch gar nicht mehr über deren Getauftsein oder Nichtgetauftsein. Scharer Matthias bringt die Situation heutiger Schulklassen mit folgender Wahrnehmung auf den Punkt: „... jede Schulklasse repräsentiert eine multireligiöse Gruppe Jugendlicher, in der spezifisch christliche oder kirchliche Ausprägungen von Religiosität in der Minderheit sind, in der aber gleichzeitig etwa das Musikerleben Jugendlicher, ihr Konsumieren, ihre virtuelle Kommunikation, aber auch ihre ausdrücklichen Fragen nach Lebenssinn und Lebenspraxis religiöse Züge im engeren oder weiteren Sinn aufweisen.“8 Herausfordernd an dieser Beschreibung ist die Tatsache, dass Scharer so weit geht, dass er den Begriff „multireligiös“ nicht 6 In der Kommunikativen Theologie wird der Interreligiosität und Ökumene eine bewusste Aufmerksamkeit geschenkt: Dies wurde beispielsweise sichtbar beim 3. Kongress Kommunikativer Theologie im Frühjahr 2008 zum Thema „Heilig – tabu“, wo der christlich-islamische Dialog im Mittelpunkt stand. 7 Vgl. dazu: SCHARER, Matthias: „Erst gehen, wenn man gesandt wird?“ Gibt es ein Problem krankhafter Beschränkung des missionarischen Anspruchs in der gegenwärtigen Kirche? Religionsunterricht im Umbruch der religiösen Landschaft und die Frage nach realistischen Lernaufgaben in dieser Situation, in: www.theol.uibk.ac.at, abgerufen am 1.5.2014. 8 Ebd. 9 vorrangig versteht als Zugehörigkeit zu einer der verschiedenen Religionen. Multireligiosität, um diesen Gedanken fortzuführen, kann selbst innerhalb einer Gruppe sein, die der gleichen Konfession angehört. Ein Beispiel aus der Praxis: Aktuell hat ein Schüler eine Vorwissenschaftliche Arbeit über die Frage begonnen, was junge Menschen so faszinierend am Buddhismus finden. Er selbst ist katholisch vom Taufschein her. Von seiner Einstellung fühlt er sich aber viel mehr dem Buddhismus zugehörig. Im Religionsunterricht schließlich kann seine multiple religiöse Identität lebendig werden. 3.5 Multireligiosität als Chance für interreligiöses Lernen Während viele darüber klagen,9 dass ein Unterrichten gerade im Fach Religion zunehmend schwieriger geworden sei, sehe ich in der Multireligosität eine Chance, wenn es die notwendigen Öffnungen für ein interreligiöses Lernen gibt. Auf Seiten der Schüler und Schülerinnen ist die Bereitschaft und Offenheit gegenüber den anderen Glaubensgemeinschaften sehr hoch. Eine empirische Untersuchung an AHS im Raum Innsbruck, an dem auch Schulklassen meiner Schule beteiligt waren, kommt zum Ergebnis, dass bei einem Drittel der Befragten (36%) die Attraktivität anderer Religionen größer ist als die eigene Religion.10 Andere Studien – beispielsweise die Shell-Jugendstudie – bestätigen den Trend unter Jugendlichen, sich ihre Religiosität individuell aus einer Fülle von weltanschaulichen Elementen zusammenzusetzen. Religionspädagogisches Ziel an einer AHS – vor allem in der Oberstufe – ist es, die Pluralitätsfähigkeit der Schüler zu stärken, vor allem aber auch die Unterscheidungs- und Urteilsfähigkeit angesichts der Vielfalt religiöser Phänomene. Eine qualitativ-empirische Untersuchung über die Meinung unter den Religionslehrenden kommt zum Ergebnis, dass eine Trennung der Klassen entlang der konfessionellen Grenzziehungen tendenziell als negativ erfahren wird. 11 Die religionssoziologische Wahrnehmung der religiös vielfältigen Welt der Schüler und 9 Generell gibt es die Tendenz, Kinder aus Migrationsfamilien als Problem in den Schulen und nicht als Bereicherung zu sehen. Vgl. dazu u. a. JERUSALEM Susanne: Die Krise in der Schule, in: PRADER, Thomas (Hg.): Moderne Sklaven. Asyl- und Migrationspolitik in Österreich. Wien 1992, 131140. 10 Vgl. PREGLAU-HÄMMERLE, Susanne: Was Jugendliche über ihren Glauben sagen. Ergebnisse einer empirischen Studie an AHS im Raum Innsbruck, Innsbruck 2008, 86ff. 11 Vgl. HEIDEGGER, Klaus: Lebendiges interreligiöses und ökumenisches Lernen im Religionsunterricht. Erfahrungen, Begründungen und Rahmenbedingungen aus der Perspektive der Kommunikativen Theologie – eine Fallstudie am Beispiel des Privaten Oberstufenrealgymnasiums St. Karl Volders, unveröff. Master-Thesis und Lizenziatsarbeit, Innsbruck 2009. 10 Schülerinnen bestätigt die These, dass sich der konfessionelle Unterricht in pädagogischer, didaktischer und rechtlicher Sicht durch eine prinzipielle und strukturelle Offenheit gegenüber Andersgläubigen auszeichnen muss. Auch der Blick auf die vielfachen Globes bekräftigt die Notwendigkeit eines interreligiösen Lernens im Rahmen des konfessionellen Unterrichts. Die gesetzlichen Vorgaben sowie entsprechende Handlungsmuster sowohl von Seiten der Schulbehörden sind jedoch teils nicht hilfreich bzw. stehen den interreligiösen Ansprüchen im Wege. Das Klassenzimmer und die Schule erlebe ich durch und durch, um es in der Sprache der kommunikativen Theologie auszudrücken, als loci theologici, als Orte von göttlichem Heilsgeschehen. Unser Glaube ist der Glaube an jenen Gott, der in sich zutiefst Beziehung und Kommunikation ist und sich dem Menschen in Schöpfung und Geschichte mitteilt.12 Die Geschichte Gottes mit den Menschen beschränkt sich nicht auf Konfessionszugehörigkeit und Kirchenraum. Konkret: Das Klassenzimmer und damit wesentlich auch der RU sind heilsbedeutsame Orte. Die biblische Heilsgeschichte als Schlüssel legt nahe, dass diese Geschichte sich wesentlich durch die Begegnung mit dem Fremden auszeichnet. Jeder Schüler und jede Schülerin hat eine religiöse Grundverfasstheit, die zunächst auch unabhängig von seiner Konfessions- bzw. Religionszugehörigkeit besteht. Das Klassenzimmer bzw. die Klassengemeinschaft wird als jener Ort wahrgenommen, wo vier Dimensionen reflektiert werden können: Die Dimension der persönlichen Lebens- und Glaubenserfahrung, die Dimension der Gemeinschaftserfahrung und Kirchlichkeit, die Dimension der religiösen/biblischen Traditionen in deren Vermittlung und die Dimension der Kontextgebundenheit/Welterfahrung.13 In der Dynamik zwischen diesen Dimensionen offenbart sich Gott. Ökumenisches Lernen und interreligiöses Lernen können in einem weiteren und in einem engeren Sinn begriffen werden.14 Zum allgemeinen interreligiösen Lernen in einem weiteren Sinn zählt jedes Lernen über die Religionen, in einem engeren Sinn geht es um das Lernen in direkten Begegnungen. Leimgruber bezeichnet den 12 Vgl. SCHARER Matthias / HILBERATH Bernd Jochen: Kommunikative Theologie. Eine 2 Grundlegung, Mainz: Grünewaldverlag 2003Scharer, 76-85. 13 Als Beispiel, wie mit diesem Ansatz empirisch theologisiert werden kann, möchte ich auf die folgende Dissertation verweisen: PETER, Teresa: Von der Angst zu gehen und vom Gehen in der Angst. Angsterfahrungen als Herausforderungen an theologisches Denken, Reden und Handeln, Berlin/Wien 2006. 14 Vgl. zu dieser Unterscheidung: LEIMGRUBER Stephan: Interreligiöses Lernen, München 2007, 20. 11 interreligiösen Dialog im engeren Sinn als „Königsweg“ 15. Religionendialog in einem umfassenderen Sinn schließt freilich interreligiöses Lernen in einem engeren Sinne nicht aus, sondern zielt darauf ab. Ich könnte es vereinfacht auch im Sine von zwei konzentrischen Kreisen sehen, die offen kommunikabel zueinander sind. Der innere Kreis ist das direkte religiöse Lernen durch unvermittelte interreligiöse Konvivenz, der äußere Kreis ist das indirekte religiöse Lernen durch eine Beschäftigung mit interreligiösen Themenstellungen bzw. mit der Religion der je Andersglaubenden. 4 Die schleichende Verdrängung des konfessionellen Religionsunterrichtes aus dem Fächerkanon Noch ist Religion Pflichtgegenstand. Noch ist das Fach Religion sogar an erster Stelle im Zeugnis. Sehen wir jedoch von den katholischen Privatschulen ab, wo eine Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtend ist, so sieht die Wirklichkeit in vielen Schulen anders aus. Religionsunterricht ist a) bei weitem nicht mehr selbstverständlich und wird b) durch verschiedene Entwicklungen mehr und mehr gefährdet. In Luxemburg soll aktuell der Religions- durch einen Werteunterricht ersetzt werden. Ähnliche Vorstellungen haben in jüngster Zeit vermehrt Politiker verschiedener Parteien in Österreich geäußert. Auch in Deutschland wird über den Fortbestand des konfessionellen Religionsunterrichtes diskutiert.16 4.1 Politische Bildung und Religionsunterricht Da ist der Vorstoß von Sebastian Kurz, Politische Bildung aber der fünften Schulstufe als eigenständiges Schulfach verpflichtend einzuführen. Im Hintergrund steht nicht zuletzt das Anliegen, dass in diesem Fach die Werte der Demokratie gelernt werden könnten, um so extremistischen Entwicklungen vorzubeugen. Soll aber Politische Bildung ein eigenes Unterrichtsfach werden? Politische Bildung als Unterrichtsprinzip, wie es seit 1978 durch den entsprechenden Grundsatzerlass gilt, gibt im bestehenden Fächerkanon bereits gute Möglichkeiten, mit den Schülern und Schülerinnen in vielen Fächern Politische Bildung zu praktizieren. Dies betrifft 15 Vgl. Leimgruber, a.a.O., 21. Eine Zusammenstellung von Argumenten in: Englert Rudolf (2014): Warum konfessioneller Religionsunterricht, in: Katechetische Blätter, 5/14, 368ff. 16 12 nicht nur das Fach Geschichte und Politische Bildung, sondern auch Geographie und Wirtschaftskunde, aber auch etwa die Sprachenfächer. Vernetztes Denken ist angesagt. Das würde bedeuten: Politisches Geschehen im Rahmen der anderen Fächer einzubeziehen. So beispielsweise im Religionsunterricht, in dem immer wieder aktuelle politische Vorgänge – vor allem aus religiösen und ethischen Fragestellungen – aufgegriffen werden. Der Blick in die Religionsstunden zeigt: Hier wird über Islamophobie und Pegida, über Solidarität mit Flüchtlingen und Abrüstung und viele andere heiße Eisen der Politik diskutiert. Es wäre daher auch nicht richtig, diese Aufgaben einem Pflichtfach Ethik zuzuordnen. Ein für alle offener Religionsunterricht – wo nicht entlang der Konfessionsgrenzen und religiöser Zugehörigkeiten selektiert wird – bietet ethisch-politische Bildungsmöglichkeiten. 4.2 Ethikunterricht und Religionsunterricht 4.2.1 Alte Forderung neu belebt „Wir brauchen einen verpflichtenden Ethikunterricht an den Schulen …“17 So der Ruf zweier honoriger ÖVP-Politiker im Zusammenhang mit der Islamdebatte. Ich möchte Heinrich Neisser und Josef Riegler fragen: Kann nicht der Religionsunterricht jener Ort sein, wo über die Werte der Religionen und ihrem Verhältnis zu Staat und Gesellschaft geredet wird? Wer den Religionsunterreicht freilich eng konfessionalistisch denkt, wird einen Ethikunterricht fordern. Für dieses Fach sind jene Schüler und Schülerinnen vorgesehen, die keinen Religionsunterricht besuchen, während dort die konfessionelle Kerntruppe bestehen bleiben kann. Statt Inklusion, Exklusion. Die öffentlich gemachten Zustimmungen zu einem verpflichtenden Ethikunterricht waren zahlreich in der jüngsten Zeit: Sie reichten von Direktorinnen – wie Margret Fessler vom 5. Gymnasium in Innsbruck – über den grünen Kultursprecher Wolfgang Zinggl bis hinein zu einer Forderung von ÖVP-Parteichef Mitterlehner, die auch bereits vorher von seinem Parteikollegen Sebastian Kurz geäußert worden war: Beibehaltung des Religionsunterrichtes plus verpflichtender Ethikunterricht für alle, die den konfessionellen Religionsunterricht nicht besuchen. 17 In: DER STANDARD, 5.2.2015. 13 4.2.2 Ethik oder Religion? Der Vorschlag nach einem verpflichtenden Ethikunterricht für alle wurde bereits von der damaligen Bundesministerin Claudia Schmied angekündigt (25. August 2012). Wenn Schmied damals meinte, sie wolle kein „Entweder-Oder“ – entweder Ethik oder Religion als Wahlmöglichkeit für Schüler – so ist dies von der Praxis her kaum durchführbar. Soll damit Ethik als Pflichtfach für alle eingeführt werden und für andere noch zusätzlich Religionsunterricht? Dafür dürfte es in den Schulen keine zusätzlichen Werteinheiten geben. Wird also nicht doch mit dem Ethikunterricht als Pflichtfach der Religionsunterricht de facto mehr und mehr ausgehebelt? Was bedeutet es, wenn Religion oder Ethik als Entscheidungsalternative vorgelegt werden? Welches Bild von Religion und welches Bild von Ethik wird einem Schüler oder einer Schülerin vermittelt, wenn er oder sie zu Beginn eines Unterrichtsjahres vor die Wahl gestellt wird – und praktisch wird es so ablaufen – Ethik oder Religion? Eine entsprechende Schülerentscheidung muss dann sehr schnell stattfinden. Nichtkonfessionelle Schüler bzw. solche, deren konfessioneller Unterricht mangels Teilnehmerzahl nicht stattfindet, haben dann ohnehin nur mehr eine Wahlmöglichkeit, nämlich den Ethikunterricht. Auf jeden Fall wird durch die Schulanfangsfrage „Religion oder Ethik?“ implizit ein verhängnisvolles und falsches Entweder-Oder kolportiert. Dass Ethik ohne Religion nicht unproblematisch ist, wird kaum bedacht. Eine religionslose Ethik kann in gefährliche Abgründe geraten. Der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki wurde mit ethischen Argumenten legitimiert. Jeder Krieg – selbst Angriffskriege – wurde von Kriegsherren mit ethischen Hinweisen begonnen oder geführt. Es sind die Religionen, die demgegenüber einfordern: „Du sollst nicht töten!“ Die strengen Asylgesetze wurden von den österreichischen Bundesministern ethisch legitimiert. Jede Religion mahnt dagegen die besondere Sorge für Flüchtlinge ein. Politiker und Wirtschaftstreibende, die auf Wachstumsstrategien setzen, argumentieren ethisch, sie würden Arbeitsplätze sichern, sie würden Steuern bringen usw. Jede Religion hingegen baut auf der Achtsamkeit gegenüber der Schöpfung auf. Auch wenn sich ethische Forderungen mit religiösen Geboten decken, fehlt ihnen etwas Wesentliches, was die Religionen einer „reinen“ Ethik voraus haben. Religiöse Verpflichtungen binden die Menschen unbedingt. Die Bindung an Göttliches verpflichtet, wie es abstrakte 14 ethische Normen nie tun können. Mehr noch, das immer bereits vorausgehende Geschenk der Gottesbegegnung ermöglicht erst ein ungezwungenes ethisches Handeln, das auch gewaltfreie Gelassenheit zulässt. Diese Bindung der Ethik an Religion bzw. eine religiöse Ethik hat gerade in der Zeit postmoderner Beliebigkeiten jenes Potenzial, das der Verelendung, dem Hunger, der Zerstörung der Umwelt, den Kriegen und der Aufrüstung die Stirn bietet. Ein letztes Beispiel: Die chinesische Staatsführung bemüht ständig ethische Argumente, mit denen die andauernde Besatzung und Menschenrechtsverletzung gegenüber dem tibetischen Volk begründet werden, während der gewaltfreie Kampf des Dalai Lama für die Autonomie Tibets zutiefst religiös-ethisch ist. Genauso freilich wäre es fatal, wenn durch die freie Wahl „Religion oder Ethik“ zumindest indirekt der Eindruck entstünde, als könnte Religion ohne Ethik auskommen. Religiöses Handeln ist immer zugleich ethisches Handeln. Im Tun der Menschen und ihrer Organisationen offenbart sich erst die Religion. Der Glaube manifestiert sich in der Praxis. Wo versucht wird, der Religion die Ethik zu entziehen, entstehen die religiösen Fundamentalismen: ein religiöser Fanatismus ohne die aufgeklärten ethischen Postulate Kant‘scher Prägungen, wie ihn alle Religionen kennen. Ein Religionsunterricht ohne Ethik wäre das, was der Pius-Bruderschaft mit ihrer voraufklärerischen Fundamentalmoral vorschwebt. Ein Religionsunterricht ohne Ethik wäre blutentleert – genauso wie ein Ethikunterricht ohne Religion. Das spüren die Schüler und Schülerinnen intuitiv. Ich könnte sie verstehen, wenn sie sich für einen Ethikunterricht entscheiden würden, weil sie spontan ebendort Antworten für ihre praktischen Lebensfragen finden könnten. Atheistisch motivierte Befürworter eines Ethikunterrichts, deren Anliegen eine religionslose Ethik ist, treffen sich in der Frage des Ethikunterrichts mit Kräften aus dem katholischen Bereich, denen es darum geht, den Religionsunterricht wieder mehr zu einem Katechismusunterricht umzugestalten. Dadurch werden vermeintliche Klarheiten geschaffen: Religiöse Schüler in den Religionsunterricht, sogenannte nicht-religiöse Schüler in den Ethikunterricht. Ein zusätzliches Argument wird ebenfalls kaum mitbedacht. Ethische Themen sind im Schulalltag aus den anderen Fächern nicht wegzudenken. Im Gegenteil: Ob in Geographie und Wirtschaftskunde die Fragen der weltweiten Gerechtigkeit, die Ursachen des Hungers, der Klimawandel etc. erwogen werden oder in Biologie über 15 Tierschutz, Artensterben etc. diskutiert wird, immer kommt auch Ethik vor. Was wäre ein Deutsch- oder Englischunterricht ohne Ethik? Was wäre Geschichte und Politische Bildung ohne Ethik? Oder gar Philosophie und Psychologie? Manchmal argumentieren die Befürworter eines alternativen Ethikunterrichts so, als gäbe es keine Ethik an den Schulen, dabei erlebe ich unter meinen Kollegen und Kolleginnen, dass im gesamten Fächerkanon ethische Grundfragen und Themenstellungen stets eine prägende Rolle spielen. Anders ausgedrückt: Ethik ist Unterrichtsprinzip, aber nicht Unterrichtsgegenstand. Was wir allerdings brauchen würden ist eine Neudefinition von Religionsunterricht ohne die Falle „Entweder-Religion-oder-Ethik§ . In unserer multireligiösen Welt muss eine strukturelle Debatte um den Religionsunterricht stattfinden. Die Schulklassen sind konfessionell schon längst nicht mehr homogen. Aus meiner Erfahrung möchte ich für folgenden Weg plädieren: Der derzeitige konfessionell geprägte Religionsunterricht als Pflichtfach in allen Schultypen ist aus mehreren Gründen sinnvoll. Die Durchführung dieses Unterrichts – bezogen auf Lehrpläne und Bestellung der Lehrkräfte – ist nicht Sache des Staates, sondern liegt in der Kompetenz der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Aufgrund der sinnvollen Trennung von Kirche – Staat ist es ohnehin nicht möglich, dass der Staat religiösethische Inhalte vorgibt. Wohin die „Staatsbürgerkunde“ in totalitären Regimen führte, ist bekannt. Allerdings sollte es möglich sein, dass in der Schule wirklich jeder und jede auf Wunsch vollberechtigt – also auch mit Benotung – am Pflichtfach Religion einer Konfession bzw. Religionsgemeinschaft teilnehmen kann. Derzeit schließen bestimmte Gesetze und eine entsprechende Interpretation eine solche Möglichkeit aus. Es ist schmerzlich täglich mitzuerleben, dass Schüler und Schülerinnen ohne Religionsbekenntnis bzw. einer anderen Konfession, die zum Teil keinen eigenen Religionsunterricht haben oder ihn aus bestimmten Gründen nicht besuchen wollen, nicht gleichberechtigt an einem bestimmten Religionsunterricht teilnehmen dürfen. Gerade sie arbeiten meist voller Engagement im Religionsunterricht mit und bringen ihre Erfahrungen und Fragen in die Klasse ein. Zugleich jedoch sehen die Gesetze vor, dass sie im Fach Religion keine Note bekommen dürfen, in der AHS nicht das Wahlpflichtfach Religion besuchen dürfen oder auch nicht in Religion zur Matura antreten dürfen. Der verpflichtende Ethikunterricht würde es überhaupt verhindern, dass konfessionslose oder andersgläubige Schüler am Religionsunterricht einer bestimmten Religion teilnehmen, was zu einem Erfahrungsverlust in den 16 Religionsstunden führen würde. In unserer mehr und mehr säkularisierten Welt ist der Religionsunterricht für manche Schüler der einzige Ort, wo Religion explizit begreif- und erlebbar gemacht wird und ihre (religiösen) Fragen und Anfragen einen wichtigen Platz haben können. Was muss getan werden? Der Religionsunterricht soll aus einer konfessionalistischen Engführung gebracht werden. Auf diesem Weg böte sich eine weit weniger komplizierte Variante als der Ethikunterricht an. Jeder Schüler und jede Schülerin hätte die Möglichkeit, einen Religionsunterricht zu besuchen. Das würde der Religionsfreiheit nicht widersprechen, da der Religionsunterricht keine Indoktrination in ein bestimmtes Glaubenssystem darstellt, sondern ein allgemeinbildendes Miteinanderlernen von religiös-ethisch-philosophischen Grundfragen aus einem bestimmten Blickwinkel anbietet. Der Religionsunterricht ist längst schon „keine Belangsendung“ einer bestimmten Konfession mehr, obwohl ein kleinliches Auseinanderdividieren der Schüler und Schülerinnen in r.k., evang., islam., o.B. dies manchmal suggeriert. Ich erlebe es immer wieder, dass gerade Schüler und Schülerinnen ohne Religionsbekenntnis eine besondere Bereicherung im katholischen Unterricht sind. Ihre Fragestellungen würden fehlen, würden sie zwangsweise in einen Pflicht-Ethikunterricht gesteckt, der dann eine Ansammlung von religionskritischen oder religionsfernen Schülern und Schülerinnen werden würde, in dem die religiösen Zugänge von Schülerseite minder belichtet sein würden. Hinzu kommt, dass durch die Zweiteilung Religion oder Ethik aus technischen Gründen aufgrund der Teilnehmergröße in vielen Fällen lediglich eine Einwochenstunde möglich wäre bzw. gerade für die kleinen Kirchen und Religionsgemeinschaften der Unterricht noch schwerer zustande kommen würde. Mein Plädoyer lautet: Für einen konfessionellen aber nicht-konfessionalistischen Religionsunterricht als Pflichtfach, der jedem Schüler und jeder Schülerin die Möglichkeit gibt, vollwertig einen Religionsunterricht zu besuchen. Das könnte beispielsweise bedeuten, dass ein Schüler ohne Religionsbekenntnis sich aus Interesse entscheiden könnte, einen evangelischen Religionsunterricht oder einen buddhistischen oder einen islamischen ... zu besuchen – wodurch wiederum die Chancen steigen würden, dass dieser Unterricht mehrfach aufgewertet würde. Keinesfalls würde ein Schüler o. B. aber automatisch einem Ethikunterricht zugeordnet werden, wie dies zumindest implizit die Befürworter eines alternativen Ethikunterrichts vorsehen. Für diese Variante bräuchte es keine Gesamtänderung 17 der gesetzlichen Lage, sondern lediglich die genannten geringfügigen und doch so wichtigen Korrekturen. 4.3 Schulorganisatorische und praktische Gründe gegen konfessionellen Unterricht Die steigende Pluralität konfessioneller Bindungen hat außerhalb der Privatschulen vielerorts die Schulorganisation vor Probleme bei der Durchführung gestellt. Es ist zunehmend aufwendiger geworden, Religionsunterricht, der meist außerhalb des Klassenverbandes stattfindet, im Stundenplan zu administrieren. Doppelstunden sind aufgrund der Teilnahmeziffern oft nicht möglich. Diese administrativen Schwierigkeiten sind vielfach ein weiterer Grund für Aversionen gegen das konfessionelle Modell. 4.4 Eingemauerte Schulbehörden und Schulämter Leider verfolgen die Schulämter aller Konfessionen eine gemeinsame Politik, in der es vorrangig darum geht, den konfessionellen Religionsunterricht so abzusichern, dass nur Schüler und Schülerinnen der eigenen Konfession den entsprechenden Religionsunterricht besuchen. Schüler und Schülerinnen ohne Religionsbekenntnis sollen ihren Platz in einem Ethikunterricht finden, der als verpflichtender Ersatz für den Religionsunterricht gesehen wird. 5 Der klassische Konfessionsunterricht ist veraltet Eine Schulklasse von heute spiegelt sehr oft die Multireligiosität der Gesellschaft wider. Die Jugendlichen sind großteils entkonfessionalisiert. Manche kommen aus Familien, in denen die Eltern unterschiedlichen Religionsgemeinschaften oder Kirchen angehören. Immer noch aber hängen Vertreter des Religionsunterrichtes in den Schulämtern und Kirchenleitungen bzw. Religionsgemeinschaften dem Bild einer konfessionell geprägten Wirklichkeit nach. In England gibt es im Bereich des Religionsunterrichtes einen „multi-faith-approach“. Das Fach „Religious and Moral Education“ – also eine Kombination von Religion und 18 Ethik – wird für den gesamten, meist multireligiös zusammengesetzten, Klassenverband unterrichtet. Viele Gründe würden dafür sprechen, dass der konfessionelle Religionsunterricht in Österreich in ein solches Modell einfließen könnte. Hier wäre visionäres Denken auch auf Seiten der Kirchenleitungen und Religionsvertreter notwendig. In einem Unterricht, in dem ausgehend von der religionsdidaktischen Methode der Korrelation die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler einbezogen wird, würden die verschiedenen Traditionen immer auch zur Sprache kommen und aufgearbeitet werden. Man müsste also keine Angst davor haben, dass die je eigene konfessionelle Identität nicht gefördert würde. Meine eigene Erfahrung im Unterrichten zeigt jedenfalls, dass es gelingen kann, in einem katholischen Unterricht auch die Identität der anderen Konfessionen zu stärken. Gerade in einem Religionsunterricht, der von einer interreligiösen Qualität geprägt ist, können Schülerinnen und Schüler, die meist von ihren Kirchen weit entfernt sind, Vertrauen gewinnen, weil ihr Lehrer oder ihre Lehrerin nicht als Person erscheint, die sie in eine bestimmte Kirchenbindung bringen möchte. Wenn ein Religionslehrer oder eine Religionslehrerin als kritisch-objektive Person erscheint, sie nicht als verlängerter Arm der Kirche oder einer Religionsgemeinschaft wahrgenommen wird, dann dürfte sie nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch im Konferenzzimmer mit mehr Bereitschaft angenommen werden. Trotzdem ist es vorteilhaft, wenn Religionslehrende immer zugleich konfessionell praktizierend eingebunden sind, um so von einer Innenperspektive aus auch im Raum der Schule Zeugnis geben zu können. 6 Konfessioneller Religionsunterricht ja, aber offen für alle 6.1 Erste Schritte der Öffnung In einer Übergangsphase zu einem neuen Fach „Religion und Ethik“ – das konfessionell offen und verpflichtend für alle ist – würde sich zunächst der bestehende konfessionelle Religionsunterricht öffnen müssen. Dafür sind verschiedene Übergangsmodelle – je nach Situation der Schule – zu diskutieren. Der einfachste und erste Schritt wäre ein noch konfessionell organisierter Religionsunterricht, an dem alle vollberechtigt teilnehmen können. Dazu bräuchte es 19 freilich die notwendigen gesetzlichen Ermöglichungen. Wäre es so ausgeschlossen, dass beispielsweise in einer Oberstufenklasse der evangelische Religionslehrer einen „Religions- und Ethikunterricht“ für alle anbietet, und in einer Parallelklasse dies vom katholischen Religionslehrer geschieht? Beide hätten dann den Vorteil, nicht nur ein ökumenisches Zeugnis zu leben, sondern auch mit je mehr Schülern und Schülerinnen einen Unterricht gestalten zu können. 6.2 Konfessionell-kooperative Unterrichtsmodelle Konfessionalistische Separierungen passen jedenfalls nicht zu einer pädagogisch wie theologisch geforderten inklusionsorientierten Schule. Will man den konfessionellen Religionsunterricht erhalten, muss er sich in Richtung Gastfreundschaft weiterentwickeln oder er schafft sich selbst ab. Die Praxis, die ich zur Diskussion stellen möchte, ist kirchen- und schulrechtlich im Kontext des herrschenden konfessionellen Unterrichtsprinzips umstritten, aus theologischer und religionspädagogischer Sicht jedoch höchst an der Zeit und, wie noch zu argumentieren sein wird, aus gesellschaftspolitischer Perspektive unbedingt notwendig: Es geht um die Öffnung des konfessionellen Religionsunterrichtes in einer Art und Weise, dass auch Mitglieder anderer Konfessionen bzw. Religionsgemeinschaften gleichberechtigt daran teilnehmen können, ohne dass dadurch das Prinzip der Konfessionalität aufgehoben wird. Interreligiöses Lernen im Rahmen des konfessionellen Religionsunterrichtes ist, und das ist die zu entfaltende These dieses Beitrags, der Kairos, den es zu gestalten und zu entwickeln gilt. Dadurch werden authentische Begegnungen ermöglicht, die über ein mehr oder weniger flüchtiges Kennenlernen hinausgehen.18 Schüler und Schülerinnen lernen nicht mehr über die Religion des Anderen, sondern miteinander die Religion des je Anderen kennen. Sie lernen zunächst nicht über die Vermittlung von Fachwissen durch die Lehrkraft, sondern im Dialog, in dem auch die Lehrperson zugleich lernend ist. So ist interreligiöses Lernen stets mehr als interreligiöse Erziehung, ohne diese auszuschließen, ist mehr als Vermittlung von religionskundlichen Inhalten, auch wenn diese nicht fehlen darf. 18 Vgl. dazu u.a.: RICKERS Folkert: Interreligiöses Lernen: Die religionspädagogische Herausforderung unserer Zeit, in: RICKERS Folkert u.a.: Vom religiösen zum interreligiösen Lernen. Wie Angehörige verschiedener Religionen und Konfessionen lernen. Möglichkeiten und Grenzen interreligiöser Verständigung, Neukirchen-Vluyn 1998, 119-139. 20 6.3 Religiöse Identitätsbildung durch Begegnung und Dialog Gegen das Anliegen eines interreligiösen Religionsunterrichtes werden verschiedene Argumente vorgebracht, die meist nicht aus der Praxis des Unterrichtes kommen. Zuerst müsste, so ein oftmals formulierter Einwand, die eigene religiöse Identität bereits bestehen und müssten die Grundkenntnisse der eigenen Religion bekannt sein und gelebt werden, um sich dann von dieser „sicheren Position“ aus dem Anderen zuzuwenden. Da aber, so geht die Argumentation weiter, diese Identität immer weniger vorausgesetzt werden dürfe, da die religiöse Bildung und noch weniger das religiöse Eingebundensein in die Kirche gegeben seien, müsste doch zuerst das eigene Profil fix sein. Ohne diese Eigenprofilierung könne kein sinnvoller Dialog stattfinden.19 Schüler und Schülerinnen wären sonst mit einem interreligiösen Ansatz überfordert. Ein komparatives Vorgehen, wie es eine interreligiöse Didaktik erfordere, sei nicht möglich, solange nicht eine Grundkenntnis der eigenen Religion vorhanden sei. Ein weiterer Einwand in dieser Richtung lautet, dass interreligiöses Lernen im Religionsunterricht die ohnehin eklektizistische oder synkretistische postmoderne Grundhaltung verstärken würde. Wie aber kann religiöse bzw. konfessionelle Identitätsbildung geschehen? Zwei Paradigmen stehen für zwei ganz unterschiedliche Richtungen: Identitätsbildung unter dem Paradigma der Abgrenzung oder dem Paradigma der Begegnung mit dem Anderen. Ersteres baut auf einen konfessionellen Unterricht mit klaren Grenzen gegenüber den Andersgläubigen, letzteres will gerade den Kontakt und die Begegnung mit den Andersgläubigen. 6.4 Schüler und Schülerinnen als zu belehrende Objekte oder als lernende Subjekte Die Einwände gegen multireligiöse Settings orientieren sich manchmal an einem „alten“ Konzept dessen, was der Religionsunterricht in der Schule zu leisten hätte.20 Soll vorrangig jene Katechese nachgeholt werden, die in der Familie und in der Pfarrgemeinde heute nicht mehr stattfindet? Soll der Religionslehrende einfach der verlängerte Arm der Kirche oder einer Glaubensgemeinschaft in der Schule sein, um die Schüler wieder oder zum ersten Mal mit der Kirche oder einer Moschee zu 19 Vgl. zu diesem Argument Leimgruber, a.a.O., 15. Immer wieder wird in der religionspädagogischen Literatur in diesem Zusammenhang auf den Beschluss der „Würzburger Synode“ (1974) verwiesen, der den Paradigmenwechsel von Katechese hin zu einem schülerbezogenen Unterricht darstellt. 20 21 verbinden? Sollen Religionslehrende missionarisch auftreten?21 Heute gilt jedoch in der Religionspädagogik als unbestritten, dass Schüler und Schülerinnen nie mehr zu Objekten des Unterrichtes degradiert werden dürfen und kein Rekrutierungspotenzial für die Kirchen oder Religionsgemeinschaften sind. 6.5 Konfessionalitätsprinzip im RU als Schutz der kleinen Religionsgemeinschaften? Ein weiterer gewichtiger Einwand lautet, dass konfessionelle Trennungen ein Schutz für die kleineren Religionsgemeinschaften und Kirchen seien. In Tirol gibt es eine dominierende Mehrheitskirche, der gegenüber die anderen Kirchen und Glaubensgemeinschaften eine Minderheitenposition einnehmen.22 Auf schulischer Ebene bringt diese Minderheitenposition Nachteile mit sich, was sich konkret so auswirkt, dass die Wochenstundenzahl meist nur einstündig ist, diese Stunden meist am Nachmittag oder gar nicht an der eigenen Schule stattfinden. Gäbe es nun die Möglichkeit, auch den Unterricht einer anderen Konfession zu besuchen, so würde dies dazu führen, dass die Schüler und Schülerinnen den entsprechenden eigenen Konfessionsunterricht nicht mehr aufsuchen oder sich davon abmelden würden. Dagegen kann jedoch leicht argumentiert werden, dass gerade ein interreligiöser Unterricht die spezifisch-konfessionelle Identität der Schüler und Schülerinnen stärken kann, weil es wohl jeder Grundlage entbehrt, ein solcher Unterricht würde in proselytischer Absicht erfolgen. Ich kann wohl von meinen alevitischen oder muslimischen Schülern und Schülerinnen behaupten, dass sie aufgrund der Teilnahme am „katholischen“ Unterricht in ihrer eigenen religiösen Identität gestärkt wurden. Umgekehrt könnte das Prinzip der Interreligiosität im konfessionellen Religionsunterricht dazu führen, dass auch Religionslehrende der kleineren Kirchen und Religionsgemeinschaften gleichberechtigt die Chance erhalten, nicht nur Einzelund Randstunden irgendwo an einer fremden Schule zu haben, sondern mit ganzen Schulklassen unterwegs zu sein. 6.6 Verwässerte Einheitsreligion? Gegen einen Unterricht, der eine multi-religiöse Gruppe beinhaltet und auf eine direkte interreligiöse Didaktik setzt, wird auch ins Spiel gebracht, dass dies zu einer 21 Vgl. zu dieser Fragestellung u.a.: WEIRER, Wolfgang: Breite Akzeptanz und neue Herausforderungen. Religionsunterricht in Österreich, in: HERDER KOREESPONDENZ Spezial, Oktober 2013, 44-48. 22 Gesamtösterreichisch sind die Zahlenverhältnisse wie folgt: 745.000 katholische SuS und 9.500 RL, 50.000 islamische SuS und 400 RL, 10.000 griechisch-orthodoxe SCH und 690 RL, 1000 jüdische SuS und 30 RL, 250 buddhistische SuS 17 RL. (Zahlen aus 2009)- 22 verwässerten Einheitsreligion führen und die Profilierung des Eigenen zu kurz kommen würde. Dagegen steht das Konzept des Dialogs im Unterricht, der darauf ausgerichtet ist, gerade auch die Unterschiede zur Geltung kommen zu lassen. Die Wahrnehmung und die Respektierung von Differenz zählen zum Markenzeichen für interreligiöse Bemühungen. Wolfram Weiße schreibt mit Blick auf das Modell des dialogischen Religionsunterrichtes in Hamburg: „Der Dialog im Klassenzimmer fördert den Respekt vor den religiösen Überzeugungen Anderer und verweist auf die Relevanz einer möglichen Vergewisserung und Ausbildung eigener Religiosität bei gleichzeitiger kritischer Infragestellung.“23 6.7 Überforderte RL im interreligiösen Unterricht? Ein Einwand lautet, dass sich Religionslehrende überfordert fühlen würden, wenn Schüler und Schülerinnen anderer Religionen oder Konfessionen in „ihrem“ „katholischen“ Unterricht sitzen. Es mangele an entsprechender Erfahrungs- und Sachkompetenz. Es bräuchte die Religionslehrenden als „native guides“, die in ihren Religionen zuhause sind. Meines Erachtens kann man jedoch von den Relgionslehrenden so viel Sachkompetenz über andere Religionen erwarten, dass damit im schulischen Unterricht genügend Auseinandersetzung möglich ist. Zum anderen bieten multireligiöse Konstellationen ja auch eine Chance für die Religionslehrenden zu einem beständigen neuen Lernen. In der religionspädagogischen Aus- und Weiterbildung wird ohnehin vermehrt auf die Vermittlung der interkulturellen und interreligiösen Kompetenz der Religionslehrenden gesetzt. 6.8 Existenzielle Ebene des religiösen Lernens Korrelationsdidaktik, Erfahrungshermeneutik und biographisches Lernen sind Vorgaben, wie heute der Religionsunterricht gestaltet werden sollte.24 Schülerorientierung und Prozessorientierung haben auch Implikationen für die multireligiöse Fragestellung. Ich möchte im Folgenden vom religionspädagogischen Ansatz von Matthias Scharer ausgehen, der formulierte: „Erst eine radikale Prozeßorientierung des Religionsunterrichtes, welche die SchülerInnen als (multi23 WEIßE Wolfram: Dialogischer Religionsunterricht in Hamburg, in: Grundschule, westermann, 36. Jg., April 2004, 14. 24 Vgl. u.a.: KALLOCH, Christina / LEIMGRUBER Stephan / SCHWAB Ulrich: Lehrbuch der Religionsdidaktik, Freiburg i. Br.: Herder, 2009. 23 )religiöse Subjekte mit ihrem unkonventionellen philosophisch-theologischen Denkund Urteilsvermögen als (Mit-)autorInnen ihrer Sinn- und Weltkonzepte ernst nimmt, ermöglicht Lernprozesse in die provozierend-konfrontierend jene Themen eingebracht werden können, die sowohl von der Fremdbestimmung durch die Verwendung vorgefertigter Unterrichtsmodelle, als auch von der Nabelschau immer wiederkehrender Modethemen erlösen.“25 Im religiösen Lernen geht es wesentlich darum, von den Erfahrungen auszugehen.26 Die biografisch geprägten Erfahrungen bilden eine wichtige Quelle für religiöses Verstehen. Sie sind selbst Glaubensbotschaft und werden in Beziehung gesetzt zur tradierten Botschaft des Glaubens. Ottmar Fuchs formulierte einmal den Grundsatz: „Wo die Kirche Gott hinbringt, darf und muß sie immer erst einmal davon ausgehen, dass Gott schon in (ihr bislang unbekannten) Verwirklichungen und Lebensformen dort vorhanden ist.“27 Auf den Religionsunterricht umgelegt bedeutet dies: Wo ich als Religionslehrer über Gott und den Glauben rede, kann ich immer schon an den Gottes- und Glaubenserfahrungen der Schüler und Schülerinnen anknüpfen, an den Erfahrungen freilich, die sich immer weniger auf konfessionelle oder kirchliche Erfahrungsebenen beschränken lassen. Existenzielle Erfahrungen können und sollen im Religionsunterricht geschehen und reflektiert werden. Reine Stoffvermittlung wird nicht als Ziel gesehen. Erlebnisse und Erfahrungen, Begegnungen und Gespräche sollten den Unterricht prägen, wobei religiöses Orientierungswissen nicht zu kurz kommen sollte. Die lebensweltlicherfahrungsorientierte Dimension wird in Beziehung gesetzt mit religiösen Themen, die so nicht mehr abgehobene Stoffgebiete sind. Wenn es gelingt, die religiösen Erfahrungen im Religionsunterricht zur Sprache zu bringen, dann gibt es einen Einblick in die Religionen von innen, dann können die Außenperspektiven, die Vermittlung von Inhalten von außen her gelingen. Diese generellen religionspädagogischen Grundsätze unterstreichen die Bedeutsamkeit eines 25 SCHARER Matthias: „Erst gehen, wenn man gesandt wird?“ Gibt es ein Problem krankhafter Beschränkung des missionarischen Anspruchs in der gegenwärtigen Kirche? Religionsunterricht im Umbruch der religiösen Landschaft und die Frage nach realistischen Lernaufgaben in dieser Situation, in: www.theol.uibk.ac.at, abgerufen am 1.5.2014. 26 Der Ansatz bei der Erfahrung ist so gut wie unbestritten. Christoph Schönborn etwa formulierte: „Das Christentum ist zuerst eine Erfahrung, bevor es eine Lehre ist.“ Schönborn Christoph: Reinkarnation und christlicher Glaube, in: Bischofberger Otto u. a. (Hg.): Reinkarnation – Wiedergeburt – aus christlicher Sicht, Freiburg 1988, 128. 27 Fuchs Ottmar: Die Öffnung zum Fremden. Bedingung christlichen Glaubens und Handelns, in: Bocklet Paul: Zu viele Fremde im Land?, Düsseldorf 1990, 146. 24 interreligiösen Lernens, widerlegen auch das Argument, ein interreligiöser Unterricht wäre eine unparteiische Religionenkunde ohne Verankerung in den Konfessionen und Religionsgemeinschaften. 6.9 Kommunikativ-theologische Begründungen Der theologische und religionspädagogische Hintergrund für interreligiöse Praxis in der Schule, im Klassenzimmer und im Religionsunterricht ist wohl unbestritten. Im Religionsunterricht geht es primär um die explizite Suche nach dem Göttlichen und insofern ist die Anwesenheit von nichtkatholischen Schülern und Schülerinnen geradezu ein besonderes Geschenk. Die Selbstmitteilung Gottes lässt sich nicht auf das Label „katholisch“ reduzieren. Die Theologie setzt die Maßstäbe, demnach religiöse Glaubensvermittlung als kommunikativer Vorgang interpretiert wird, „bei dem nicht bloß abstrakte Wahrheiten, sondern Leben mitgeteilt wird. Deshalb schließt die so verstandene Offenbarung das ganze Leben der sie hörenden und aufnehmenden Menschen ein“28. Tatsächlich zählt es zu den Sternstunden des Religionsunterrichtes, wenn muslimische und katholische Schüler und Schülerinnen im Unterricht entdecken, dass letztlich ihr Gott der gleiche ist, der sie anspricht und dem sie sich zugehörig fühlen. Der neue Lehrplan in Religion für die AHS und BHS/BMHS sieht ausdrücklich vor, nicht so sehr von Metaebenen auszugehen und davon deduktiv Erkenntnisse „für“ die Schüler abzuleiten, sondern erfahrungsbezogen mit ihnen zu religiösen Erkenntnissen zu kommen und diese dann mit Metaebenen in Beziehung zu setzen und dabei auch durchaus den Mut zu haben, bestehende dogmatisierte Wahrheiten in Frage stellen zu können. Neben dieser personal-existenziellen Ebene ist die kognitive Ebene gleichfalls bereichert durch Interreligiosität. Auf jeden Fall sollte gerade der Religionsunterricht wesentlich ein komplexer Kommunikationsprozess sein. Je mehr Interreligiosität und Interkulturalität hier vorhanden ist, desto besser. Die theologische Begründung für die Offenheit des konfessionellen Religionsunterrichts für Andersgläubige liegt in der religiösen Grundkonstitution jedes Menschen.29 Als Anwalt für diesen Ansatz kann durchaus auch auf Karl Rahner 28 SCHWAGER Raymund, zit. in: Forschungskreis Kommunikative Theologie: Kommunikative Theologie. Selbstvergewisserung unserer Kultur des Theologietreibens, Wien 2006. 29 Habringer-Hableitner hat auf dieser theologischen Basis in ihrer Habilitation eine Konzeption für eine religiöse Erziehung im Kindergartenalter entwickelt. Sie greift dabei u. a. auf die Unterscheidung des Religionsphilosophen Georg Simmel zurück, der zum einen von einer apriorischen Form von Religiosität spricht zum anderen von Religion als überliefertes, objektives Kulturgebilde. Dabei gelte es in der religiösen Erziehung zunächst von Religion als „innerster Lebenswirklichkeit“ auszugehen, 25 verwiesen werden. Seine Theologie baute er auf dem Grundsatz auf, dass der Mensch ein Wesen der Offenheit auf das unbegreifliche Geheimnis Gottes hin sei. Rahner postulierte stets „die unmittelbare Selbstmitteilung des absoluten Gottes an die sich selbst immer notwendig geschichtlich ermittelnde Transzendentalität des Menschen“30. In dieser Linie sehe ich durchaus das Bemühen der Kommunikativen Theologie. Gott ist ein „kommunikatives Wesen“31, insofern Gott auf den Menschen hin orientiert ist und mit jedem einzelnen von ihnen in Kommunikation stehen möchte. Im Kontext des Religionsunterrichtes bedeutet dies: Es sind die Schüler und Schülerinnen, mit denen der kommunikative Gott seine Beziehung hat und Gemeinschaft haben will. Die Vertiefung dieses Beziehungs-Gottes, der immer nur als sich offenbarender Gott erfahren und benannt werden kann, nie aber sich darin erschöpft, den wir in der christlichen Theologie als trinitarischen Gott benennen, insofern als Gott, der auch in sich selbst Beziehung ist. Als Religionslehrer muss ich vom Grundansatz ausgehen, dass sich dieser Gott stets auch als der ganz Andere, der Fremde, manchmal auch der Schweigende in der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen artikulieren will. Es geht darum, wie es Bonhoeffer meinte, „Gott in der Mitte des Lebens, in der Mitte des Alltags anzusiedeln und ihn gerade dort erfahrbar zu machen“32. Im Religionsunterricht heißt dies: Gott in der Mitte einer multi-religiösen Klasse erfahrbar werden zu lassen als Einheit von Lebenlernen und Glaubenlernen.33 6.10 Die Heilsnotwendigkeit der Begegnung mit dem Fremden Wie ein roter Faden durchzieht die Bibel die besondere Liebe und Fürsorge Gottes den „Fremden“ und „Ausländern“ gegenüber. Mehr noch: Der Fremde bzw. das die dann ein Erlernen von Religion in ihrem kulturellen Habitus ermöglichen kann. Vgl. HABRINGERHAGLEITNER, Silvia: Zusammenleben im Kindergarten. Modelle religionspädagogischer Praxis, Stuttgart 2006, 268. Eine theologische Begründung findet sie bei Paul Tillich, dessen Position sie wie folgt wiedergibt: „Er bezeichnet den Menschen als ‚unheilbar religiös’, womit er meint, wir Menschen seien wesenhaft Glaubende, denn ohne ein letztes Anliegen können wir nicht leben. Den Glauben wiederum bestimmt er als Zustand des Ergriffenseins. Religiös sein, heißt ergriffen sein von dem, was uns unbedingt angeht. Immer dann, wenn wir in unserer Existenz berührt, betroffen, beglückt oder herausgefordert sind, kann Göttliches erfahrbar werden, immer dann zeigt sich der inkarnierte Jesus Christus. Anders ausgedrückt heißt das, immer dort, wo die beteiligten Kinder und KindergartenpädagogInnen durch ihr Zusammenleben in ihrem Innersten berührt, betroffen, beglückt oder verunsichert sind, sind sie verbunden mit dem im Christentum bezeugten leidenschaftlichen Gott des Lebens, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat.“ Ebd. 271. 30 KRAUSS Meinold: Anmerkungen zu Karl Rahners Theologie, in: Rahner Karl: Erinnerungen. Im Gespräch mit Meinold Krauss, Innsbruck 2001. 31 Vgl. dazu ausführlich: Kommunikative Theologie, a.a.O., 76-95. 32 Zit.in: HABRINGER-HAGLEITNER, a.a.O. 268. 33 Vgl. dazu ebd., 270f. 26 Fremde kann Ort der Gottesbegegnung sein.34 Wenn im Rahmen des Unterrichts auf die biblisch und trinitarisch begründete Gastfreundschaft eine besondere Aufmerksamkeit gelegt wird, dann können die Schüler und Schülerinnen daraus praktisch wie theoretisch wichtige ethische Aspekte zum „Umgang mit dem Fremden lernen inmitten eines Globe, in dem oftmals xenophobe und ausländerfeindliche Stimmungen den Ton angeben. Die Annahme des fremden Anderen kann jedoch nicht einfach verordnet werden. Sie wird misslingen, wenn dies mit Angst und Abwehr verbunden ist. Umso wichtiger sind, so wie Ottmar Fuchs schreibt, „auf der direkten Begegnungsebene persönliche Beziehungsfelder ..., in denen sich Einheimische und Fremde kennen- und schätzen lernen.“35 Das Klassenzimmer und die Schule sind prädestinierte Orte, wo diese direkten Beziehungsfelder zwischen kulturell und religiös verschiedenen Menschen entstehen können. Solches wird sich auch positiv auf die Gesamtgesellschaft auswirken.36 Ein katholischer Religionsunterricht hat als Modell stets das Vorbild des Jesus von Nazareth, dessen Charakteristikum seine Grenzüberschreitungen waren, seine Mahlgemeinschaft mit denen, die ausgegrenzt wurden. Die junge Kirche nach der Auferstehung Jesu Christi war eine Gemeinschaft, in der Juden und Heiden, Sklaven und Freie, Frauen und Männer aufgrund ihrer gleichen Gotteskindschaft miteinander zu einer neuen Einheit fanden, sich gegenseitig bereicherten und miteinander feierten. Die Schule und der Religionsunterricht können Orte sein, wo die Botschaft von der Gastfreundschaft nicht nur gelehrt wird, die Ethik der Fremdenliebe und Toleranz nicht nur gepredigt wird, sondern praktisch gelebt wird. Die Verkündigung des Evangeliums, so zeigt uns die frühe Kirche, geht Hand in Hand mit der Praxis der 34 Biblisch gesehen begegnet uns Gott im Fremden, im kulturell Anderen, auch in den anderen Religionen. Diese Erfahrung machte Abraham, der die drei Fremden bewirtete, die sich als Engel Gottes erwiesen. (Gen 18,1ff) Indem ihnen Abraham Gastfreundschaft erweist, erhält Abraham die Verheißung. Gott selbst ist es, der an die Tür anklopft. (Offb. 3,20) Das Gastrecht, Asylrecht und die Gastfreundschaft werden so theologisch begründet, weil die Begegnung mit Fremden Orte der Gottesbegegnung sind. Gott „liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung – auch ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde in Ägypten gewesen“, heißt es im Begründungszusammenhang des Alten Bundes. (Dtn 10,18f) Die Kindheitsgeschichte des Lukas kennt die Geschichte von der Herbergssuche von Maria und Josef. (Lk2). Der Fremde lässt sich in Emmaus von den Jüngern einladen und offenbart sich dabei selbst als der Auferstandene. (Lk 24,1335) Schließlich erleidet Jesus selbst das Schicksal des Fremden, der nicht aufgenommen wird, wie es im Prolog des Johannesevangeliums heißt: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ (Joh 1,10ff). Im Endgericht schließlich wird sich in der Frage der Gastfreundschaft erweisen, wer aufgenommen wird oder nicht. (Mt 25,35) 35 FUCHS Ottmar: Die Öffnung zum Fremden. Bedingung christlichen Glaubens und Handelns, in: BOCKLET Paul: Zu viele Fremde im Land?, Düsseldorf 1990, 136. 36 „Wenn an der Basis christlicher Gemeinden der Umgang der Christen mit den Fremden vor ihrer eigenen Haustüre und in ihrem eigenen Land derart aufgebaut und kultiviert wird, dann wächst die kommunikative Kraft des ganzen Christenvolkes zum diakonalen und respektvollen Umgang mit konkreten Fremden im sozialen und politischen Alltag.“ FUCHS Ottmar ebd. 27 Gastfreundschaft, ja wäre ohne diese gar nicht ermöglicht worden.37 Dies gilt auch für den Religionsunterricht heute, in dem Verkündigung durch die Gastfreundschaft realisiert werden kann. Dies wird dann insbesondere bedeutsam, wenn in der Klasse Rituale gefeiert werden, wenn Trauerarbeit über den Verlust eines lieben Menschen geschieht usw. Gott ist ein „Fremder in unserem Haus“, so der Titel eines Buches.38 Es würde jedoch auch wieder eine negative Dynamik entstehen, wenn ich den Anderen und Fremden nur oder vorrangig deswegen schätzen würde, weil ich von ihm lernen kann, weil mir in ihm Gott begegnet, weil ich ihm helfen kann. Dann würde der Andere wieder zum Objekt werden und nicht als Subjekt seiner selbst geschätzt. Die Grundhaltung muss lautet: „Der Andere ist nach alledem immer bereits schon deshalb wert geachtet, gerecht behandelt und geliebt zu werden, weil er ein Mensch ist, und nicht erst dann, wenn er ganz bestimmte Bedingungen erfüllt.“ 39 Der Andere wird in diese Haltung schon gar nicht als Bedrohung und Infragestellung der eigenen Position betrachtet. Pointiert stellt Christoph Gellner dazu fest: „Diejenigen, die von ihrem Glauben überzeugt sind, fühlen sich vom anderen Glauben nicht bedroht, sondern bereichert.“40 Von dieser theologischen Fundierung aus gesehen können wir mit HabringerHagleitner festhalten, dass „Pluralität als Strukturprinzip religionspädagogischen Handelns“41 ernst zu nehmen ist. In der Praktischen Theologie und Religionspädagogik wird immer wieder auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht zu lernen, mit anderen religiösen Traditionen umzugehen, „fremde religiöse Traditionen als Impuls für die eigene religiöse Bildung zu begreifen“ und „in den Anders-Gläubigen die Anders-Gläubigen zu entdecken.“42 6.11 Das „geschenkte Wir“ der Schulklasse In der Kommunikativen Theologie wird gerne vom „geschenkten Wir“ gesprochen, von der gnadenhaften Erfahrung, die mit Gemeinschaft verbunden ist. 43 Die 37 KOCH, a.a.O., 201. HÜNERMANN Peter (Hg.): Gott – ein Fremder in unserem Haus? Die Zukunft des Glaubens in Europa, Freiburg i. Br. 1997. 39 FUCHS Otmar, a.a.O. 142. 40 GELLNER, Christoph: Der Glaube der Anderen. Christsein inmitten der Weltreligionen, Düsseldorf 2008, 197. 41 HABRINGER-HAGLEITNER, a.a.O,15. 42 Zitate in: PETER, a.a.O, 43. 38 43 Vgl. SCHARER / HILBERATH, 96-122. 28 Klassengemeinschaft kann so eine Erfahrung des „geschenkten Wir“ sein. Sowohl für die Schüler und Schülerinnen als auch für mich als Lehrer wird es immer wieder als negativ erfahren, wenn gerade in der explizit religiösen Auseinandersetzung und Feier dieses Wir der Klassengemeinschaft entlang von Konfessions- und Glaubensgrenzen beschnitten wird. Aus meiner Erfahrung ist tatsächlich in den meisten Fällen der Religionsunterrricht der einzige Ort an der Schule und im Leben der Schüler und Schülerinnen, in dem die religiöse Zugehörigkeit und Beheimatung zum Thema gemacht wird, wobei es freilich in jedem Fach und mit jeder Lehrkraft geschehen könnte. Gerade in einer Zeit, in der die reine Wissensbeschaffung durch die modernen Kommunikationstechnologien vielfach personenunabhängig geworden ist, ist das Miteinanderlernen in den Klassen umso bedeutsamer geworden. Der Lerngewinn ist größer, wenn ich vom Anderen, auch vom dem mir Fremden lernen kann. Dies betrifft auch die religiöse Erfahrungswelt. Scharer und Hilberath sprechen in diesem Zusammenhang von der „Begegnung an der Grenze“44. Wer bin ich als Christin oder Katholikin, dies wird begreifbar „nicht mehr bloß ad intra im Rahmen eines konfessionellen Milieus“, „sondern vermehrt ad extra im Kontext einer pluralen Gesellschaft mit Bezug zu anderen Religionen und Weltanschauungen“45. Diesen Rahmen und diese Räume sollte der Religionsunterricht der Zukunft bieten. Gesetze und Verordnungen sind zu ändern, wo sie dem interreligiösen Lernen im Wege stehen. 7 Vorschläge zum Weiterdenken (1) Als katholischer Religionslehrer kann ich zunächst freilich nur von meiner katholischen Tradition ausgehend schreiben und Vorschläge entwickeln. Mein Wunsch richtet sich daher an meine Kirchenleitung und deren Schulämter, für ein solches Konzept der Gastfreundschaft offen zu sein und Erprobungen zuzulassen. Signale in diese Richtung gibt es. (2) Laut Bundesrecht fällt die Gestaltung des Religionsunterrichtes den gesetzlich anerkannten Kirchen oder Religionsgemeinschaften zu.46 Sie sind daher zum Agieren herausgefordert, das mehr als ein Reagieren ist. (3) In besonderer Weise könnten katholische Privatschulen bzw. Ordensschulen zu Orten werden, wo interreligiöse Gastfreundschaft gelebt wird. Der große 44 SCHARER / HILBERATH, a.a.O. 46. LEIMGRUBER, a.a.O., 28. 46 Vgl. §2,Absatz 1, in: Gesamte Rechtsvorschrift für Religionsunterrichtsgesetz vom 6.2.2015, in: www.ris.bka.fvg.at, abgerufen am 12.2.2015. 45 29 Vorteil in solchen Schulen besteht darin, dass die Teilnahme an einem Religionsunterricht verpflichtend ist. (4) In solchen Schulen könnte es ermöglicht werden, dass ein Schüler oder eine Schülerin beispielsweise im Fach Religion katholisch teilnimmt, weil dies aus Majoritätsgründen im Klassenverband geschieht, darüber hinaus aber auch den Religionsunterricht der eigenen Konfession besucht wird, wie dies vom Gesetz her auch vorgesehen ist. In diesem Fall würde es zwei Noten im Zeugnis geben: Pflichtfach Religion(Konfession) und Freigegenstand Religion. (5) Zu den ersten Schritten könnte ein christlicher Religionsunterricht exemplarisch ausprobiert werden, der von den christlichen Konfessionen gemeinsam verantwortet wird und bewusst auch interreligiös offen ist, jedoch zentral von christlichen Glaubensvorstellungen ausgeht.47 47 Vgl. dazu u.a.: Link-Wiecorek Ulrike (2014): Überlegungen zum Religionsunterricht der Zukunft, in: Katechetische Blätter, Nr. 5/14, 376-379.