1
Religionsunterricht der gastfreundschaft
Diskussions-Entwurf -12.2.2015
KLAUS
HEIDEGGER
RELIGIONSUNTERRICHT DER
GASTFREUNDSCHAFT
Markusevangelium 2,27
2
Für einen Religionsunterricht der
Gastfreundschaft
Inhaltsverzeichnis
1
Plaudern aus der aktuellen Praxis an meiner Schule ...................................................................... 3
2 Ausländerfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft, Inklusion in der Schule und im
Religionsunterricht ................................................................................................................................... 4
3
4
Interreligiöse Grenzüberschreitungen oder multireligiöse Grenzziehungen im Religionsunterricht 5
3.1
Fragestellung – Separation oder Inklusion .............................................................................. 5
3.2
Beispiele aus der Praxis .......................................................................................................... 5
3.3
Kommunikative Theologie als hermeneutische Grundlage ..................................................... 7
3.4
Multireligiöse Schulwirklichkeit ................................................................................................ 8
3.5
Multireligiosität als Chance für interreligiöses Lernen ............................................................. 9
Die schleichende Verdrängung des konfessionellen Religionsunterrichtes aus dem Fächerkanon
11
4.1
Politische Bildung und Religionsunterricht ............................................................................ 11
4.2
Ethikunterricht und Religionsunterricht .................................................................................. 12
4.2.1
Alte Forderung neu belebt ................................................................................................. 12
4.2.2
Ethik oder Religion?........................................................................................................... 13
4.3
Schulorganisatorische und praktische Gründe gegen konfessionellen Unterricht ................ 17
4.4
Eingemauerte Schulbehörden und Schulämter ..................................................................... 17
5
Der klassische Konfessionsunterricht ist veraltet ........................................................................... 17
6
Konfessioneller Religionsunterricht ja, aber offen für alle .............................................................. 18
7
6.1
Erste Schritte der Öffnung ..................................................................................................... 18
6.2
Konfessionell-kooperative Unterrichtsmodelle ...................................................................... 19
6.3
Religiöse Identitätsbildung durch Begegnung und Dialog ..................................................... 20
6.4
Schüler und Schülerinnen als zu belehrende Objekte oder als lernende Subjekte .............. 20
6.5
Konfessionalitätsprinzip im RU als Schutz der kleinen Religionsgemeinschaften? .............. 21
6.6
Verwässerte Einheitsreligion? ............................................................................................... 21
6.7
Überforderte RL im interreligiösen Unterricht? ...................................................................... 22
6.8
Existenzielle Ebene des religiösen Lernens .......................................................................... 22
6.9
Kommunikativ-theologische Begründungen .......................................................................... 24
6.10
Die Heilsnotwendigkeit der Begegnung mit dem Fremden ................................................... 25
6.11
Das „geschenkte Wir“ der Schulklasse ................................................................................. 27
Drei Gedanken zum Abschluss ...................................................................................................... 28
3
1 Plaudern aus der aktuellen Praxis an meiner Schule
Beginnen möchte ich mit einer jener so zahlreichen Anekdoten aus dem
Religionsunterricht, die den Wert interreligiösen Lernens unterstreichen. Ich war in
diesem Fall nur beobachtend dabei: Die Unterrichtspraktikantin hatte gerade eine
Präsentation über Jesus von Nazareth. Zwei Schüler sitzen nebeneinander. Ihr
Glaubensbekenntnis ist nicht unwichtig, doch Schüler und Schülerinnen definieren
sich zunächst nicht über eine solche Zuordnung. Sie sei hier deswegen erwähnt, weil
es in diesem Beitrag darum geht.
Schüler X kann nicht genau lesen, was an die Wand gebeamt wird. Spontan gibt ihm
Schüler Y seine Brille. Schüler X setzt sie auf. Schüler X ist katholisch, Schüler Y ist
ein Muslim. Islamischer Schüler hilft katholischem Schüler beim Verständnis über
den Propheten Jesus. Über deren Klasse ließe sich noch viel schreiben: Schülerin B
ist Bahai. Auch in dieser Stunde war sie eine der eifrigsten bei der Mitarbeit. Die
Lehrerin brachte Bilder über Jesus aus dem Johannesevangelium. Jesus – das Licht
der Welt. Schülerin B erzählte von der Bedeutung der Sonne bei den Bahai. In ihrem
Glauben sei es zentral, dass man sich von der Sonne – Symbol der Wahrheit –
abwenden könne, oder sich ihr zuwenden. Die Lehrerin kann hier gut anknüpfen. So
sei es wohl auch mit Jesus Christus. Wir können uns ihm zuwenden, oder von ihm
abwenden. Er bleibe in jedem Fall das Licht – die Sonne. Einige Wochen später
kommt es in dieser Klasse zum Semesterzeugnis. Schüler Y darf nicht benotet
werden, darf nicht einmal im Fach Religion aufscheinen. Eine andere Schülerin, sie
ist altkatholisch, dürfte auch nicht. Schülerin B solidarisiert sich mit ihnen – will nun
auch nicht mehr benotet werden.
Der Blick in eine andere Klasse. Schülerin S ist eine der eifrigsten beim COOLProjekt – Cooperatives-Offenes Lernen. Das Fach Religion ist wesentlicher Teil in
diesem fächervernetzenden Projekt. Die Schüler und Schülerinnen bekommen zu
Beginn des Tages ihre Arbeitsaufträge. Es liegt an ihnen, ob sie mit den Assignments
aus Biologie, Deutsch, Mathematik, Physik, Informatik oder eben Religion beginnen.
Ja, Religion ist auch dabei. Würde der Buchstaben des Gesetzes konfessionalistisch
ausgelegt werden, könnte Religion gar nicht dabei sein. Da ist nämlich eine
muslimische Schülerin in dieser Klasse. Sie dürfte nicht zur Mitarbeit im katholischen
Religionsunterricht eingeladen werden. Ich dürfte ihr keine Leistungsbeurteilung
4
geben. Damit wäre aber das Fach Religion aus dem so wichtigen COOL-Projekt
draußen. Schülerin S ist jedenfalls sichtbar dankbar, über den Glauben ihrer
Mitschüler und Mitschülerinnen mehr zu erfahren. Ihr Interesse an Religion ist
ansteckend für die anderen, besonders für die katholischen Schüler und
Schülerinnen.
Interreligiöse Begegnungsqualität, die im Religionsunterricht bewusst gestaltet
werden kann, gibt es auch in einer anderen Klasse. Schon zu Beginn des
Schuljahres hielt Schülerin K ein Referat über ihre Religionsgemeinschaft. Sie ist
Kurdin und Alevitin. Eigentlich müsste sie – laut Gesetz – den Alevitischen
Religionsunterricht besuchen. Eingetragen ist sie schulrechtlich als ALEVI. Sie fühlt
sich jedoch – wenn sie überhaupt eingekastelt werden kann – mehr der Föderation
der Aleviten zugehörig. Mit Islam will sie nichts zu tun haben. Dabei sitzt aber ihre
beste Freundin neben ihr. Sie ist Muslima. Zwei Mädchen, die sich verstehen. Zwei
Mädchen, die im Religionsunterricht Gelegenheit finden, mehr über ihren
Religionsgemeinschaften zu erfahren und zugleich in ihren Identitäten gestärkt zu
werden. Das ist bereichernd für die ganze Klasse. Man kann sich auf jede Stunde
freuen. Katholiken, Bahai, Aleviten, Muslime und ohne Religionsbekenntnis: eine
Lerngemeinschaft im Religionsunterricht. Zum Schnitt kommt es beim Zeugnis. Hier
wird wieder demonstriert, dass positiv gelebte Praxis nicht sein sollte. Der Vater von
Schülerin K war auch bei mir im Elternsprechtag. Ihn freut die Mitarbeit seiner
Tochter im katholischen Religionsunterricht.
2 Ausländerfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit in der
Gesellschaft, Inklusion in der Schule und im Religionsunterricht
Meine Überlegungen finden in einer Zeit statt, in der in Europa allerorten
Islamfeindlichkeit und Isamophobie genährt und zum Ausdruck gebracht werden.
Pegida – „die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – ist
ein Ausdruck dieser Stimmung und Stimmungsmache. In Österreich werden sie von
politischen Kräften instrumentalisiert. Auf der anderen Seite wurde längst erkannt,
dass ohne Integrationsbemühungen Gräben in der Gesellschaft aufgerissen werden
und Parallelwelten entstehen, die den Frieden gefährden.
5
Seit vielen Jahren schreiben Soziologen, Pädagogen und Politiker, dass die Schulen
die wichtigsten Orte sind, um Integration bzw. Inklusion zu erfahren. Der
Religionsunterricht wiederum kann jener Ort sein, in der sowohl die eigene Religion
kritisch wahrgenommen werden kann, als auch fremde Religionen vertraut gemacht
werden können. Ein multireligiöses Setting im Klassenzimmer bietet jedenfalls ideale
Voraussetzungen für interreligiöses Lernen.
Integrationsunwilligkeit besteht auf vielen Seiten. In so manchen gesetzlichen
Vorschriften wird Integration bzw. Inklusion strukturell erschwert oder verhindert. Ein
Religionsunterricht, der entlang der Konfessionsgrenzen streng trennt, bietet
jedenfalls weniger Möglichkeiten für ein interreligiöses Lernen durch Begegnung.
3 Interreligiöse Grenzüberschreitungen oder multireligiöse
Grenzziehungen im Religionsunterricht
3.1 Fragestellung – Separation oder Inklusion
Wie kann religiöse Bildung in einer religiös zunehmend pluralen Welt, vielfacher
religiöser Verwurzelungen oder der Entinstitutionalisierungen junger Menschen
gelingen? Fast jeden Schultag erlebe ich das Sezieren der Klassen für den
Religionsunterricht als unzeitgemäß, als pädagogisch falsch, als theologisch
unlogisch und vor allem als gegen die Interessen der Schüler und Schülerinnen
gerichtet.
3.2 Beispiele aus der Praxis
Ich möchte dies mit einigen Beispielen zunächst untermauern. Mit einer Klasse, in
der drei evangelische Schüler sind, machten wir einen fächerübergreifenden
Unterricht in Deutsch und Religion zu Franz Jägerstätter und dem gleichnamigen
Theaterstück von Felix Mitterer. Dieses Projekt zog sich über viele Stunden hin. Was
ist mit den evangelischen Schülern in meinem „katholischen“ Unterricht? Das
Schulgesetz verbietet explizit eine Teilnahme.1 Tausende Seiten von pädagogischer
1
Der entsprechende Gesetzestext lautet: „Die Teilnahme eines/er Schülers/in, der die/einer gesetzlich
anerkannten Kirche oder Religionsgemeinschaft angehört, am katholischen Religionsunterricht ist im
Religionsunterrichtsgesetz nicht vorgesehen. Eine bloß physische Anwesenheit im katholischen
Religionsunterricht ist hingegen erlaubt, wenn die Aufsichtspflicht der Schule nicht auf andere Weise
erfüllt werden kann und die Eltern die Aufsicht nicht unmittelbar oder mittelbar selbst
übernehmen.“BGBL, Nr. 289, vom 8.3.1971.
6
Literatur wurden geschrieben mit Hinweisen, dass fächerübergreifend, vernetzt,
projektorientiert usw. usf. unterrichtet werden sollte. In meinem Unterricht versuche
ich es umzusetzen, auch wenn überholt-konfessionalistische Trennungen dies
erschweren. Gerade mit Blick auf die kompetenzorientierte Matura wird es
zunehmend wichtig sein, sich auch im Fach Religion mit anderen Fächern zu
vernetzen. Oder ein anderes, sich ständig wiederholendes Beispiel für unzeitgemäße
und theologisch fragwürdige Zustände: Warum nur durfte ich einer islamischen
Schülerin, die ich fünf Jahre im Religionsunterricht begleiten konnte, die zuletzt ihre
Vorwissenschaftliche Arbeit bei mir geschrieben hatte und die stets mit besonderem
Engagement Arbeitsaufträge in Religion gemacht hatte, keine Note in ihrem
Maturazeugnis eintragen?
Ein inklusiver, nicht in
Religionsgemeinschaften und
Konfessionen fein säuberlich
getrennter Religionsunterricht
bietet hingegen viele religiöse
Erfahrungs- und
Lernmöglichkeiten, die ich
zunächst mit Bildern
veranschaulichen möchte. Das
erste Bild zeigt, wie bei einer
Einfühlungsübung im
Religionsunterricht eine Schülerin einer anderen beim Slacklinen hilft. Aus der Sicht
der SuS können hier tiefe Erfahrungen erspürt werden, die für den Schulalltag
wichtig sind; aus der Sicht der Religionszugehörigkeit, über die sich Schüler und
Schülerinnen fast nie definieren, ist die dargestellte Szene bedeutsam. Eine
katholische Schülerin hilft der muslimischen Mitschülerin. Im Religionsunterricht kann
diese Erfahrungsqualität thematisiert werden. Mit diesem Bild möchte ich gleich dem
Einwand begegnen, dass ein interreligiös2 geprägter RU tendenziell ein Lernen über
Religionen sei, ein Aufdecken der Außenperspektive von Religion, in dem die „native
2
Der englische Begriff „interfaith“, der eine tiefere Qualität als „interreligiös“ ausdrückt, indem er mehr
die Innenperspektive des religiösen Erlebens ausdrückt, würde besser zum Ausdruck bringen, was ich
im Folgenden unter „interreligiös“ verstehe.
7
guides“ nicht wichtig wären.3 „Native guides“ sind jedoch nicht nur die
Religionslehrenden, sondern immer auch die Schüler und Schülerinnen und die
Lernorte Klasse und Schule.4
Im nächsten Bild
schließlich sind drei
Schülerinnen involviert,
die laut gesetzlichen
Vorgaben gar keinen
katholischen
Religionsunterricht
besuchen sollten.
Bestenfalls ist für sie ein
Ethik- bzw.
Islamunterricht
vorgesehen. Das Bild zeigt, wie sie bibliodramatisch die neutestamentliche Szene
von Jesus und der „Sünderin“ in ihre Schulsituation übertragen. Lebenlernen und
Glaubenlernen im Klassenverband gehen ineins.
3.3 Kommunikative Theologie als hermeneutische Grundlage
Meine hermeneutische Herangehensweise an die Frage eines inklusiv-interreligiösen
Religionsunterrichtes sind im Folgenden die kommunikative Theologie und die darin
beinhaltete Themenzentrierte Interaktion (TZI).5 Ich blicke erstens auf das WIR und
dabei vor allem auf die soziale Größe einer Klasse aber auch der Schulgemeinschaft.
Zweiter Fokus ist das ICH – ich als Religionslehrer, mehr noch aber das ICH des
einzelnen Schülers bzw. der Schülerin als religiöse Identität bzw. in religiöser
Identitätssuche. Dritter Blickwinkel ist das ES – das sind konkrete Lehrplaninhalte,
die ich versuche im Laufe des RU einzubringen bzw. die mir vorgegeben sind. Vierter
Bezugspunkt ist schließlich als Kreis um das TZI-Dreieck der GLOBE – das sind die
3
Vgl. dazu u.a.: ENGLERT, Rudolf: Warum kein Religionsunterricht für alle? Der besondere Reiz des
konfessionellen Modells, in: HERDER KORRESPONDENZ Spezial, Oktober 2013, 23-27.
4
Vgl. zum Lernort Klasse ausführlicher: HEIDEGGER, Klaus: „Ihr seid Kirche!“ Schule als Kirche
erleben und begreifbar machen, in: FINDL-LUDESCHER Anna / SCHNEIDER Sebastian (Hg.):
Seelsorge(t)räume. Zwischen Notverwaltung und Zukunftsgestaltung, Ostfildern: Grünewaldverlag
2011. Eine aktualisierte Kurzfassung erschien in: ÖKUM, Nr.4/2013.
5
Vgl. u.a.: HILBERATH, Bernd Jochen / SCHARER Matthias: Kommunikative Theologie. Grundlagen
– Erfahrungen – Klärungen, Ostfildern: Grünewaldverlag 2012.
8
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen mein Unterricht stattfindet und
dabei insbesondere das gesetzliche Regelwerk aber auch die Tausenden
Ansprüche, die von allen Beteiligten an meinen RU herangetragen werden. Die über
alles hinausreichende Dimension und zugleich in allem existierende Dimension ist
Gott selbst, jene Kraft, die im ICH, dem WIR, dem ES sowie dem GLOBE stets als
sich offenbarender Gott erfahrbar werden kann. Tatsächlich sind diese Ansätze der
Kommunikativen Theologie in vielfacher Hinsicht geeignet, um sich mit der Frage der
Interreligiosität und Ökumenizität im Rahmen des RU zu beschäftigen.6
3.4 Multireligiöse Schulwirklichkeit
Der Ausgangspunkt stellt sich zunächst wie folgt dar: Die soziologische
Zusammensetzung der Schulkassen in Österreich und selbst in katholischen
Privatschulen zeigt eine zunehmende Heterogenität und Diversität. Dabei denke ich
zunächst nicht nur daran, dass katholische neben muslimischen, orthodoxe neben
Schülern und Schülerinnen ohne Religionsbekenntnis sitzen, sondern gehe von
einem weiten Religionsbegriff7 aus, der selbst in einem konfessionellen Unterricht
seine Berechtigung hat. Demnach lässt sich die Religiosität von Schülern und
Schülerinnen zunächst nicht länger über Konfessionalität bestimmen, über
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Pfarre, über die Teilnahme oder Nichtteilnahme
am Sonntagsgottesdienst, ja auch gar nicht mehr über deren Getauftsein oder
Nichtgetauftsein. Scharer Matthias bringt die Situation heutiger Schulklassen mit
folgender Wahrnehmung auf den Punkt: „... jede Schulklasse repräsentiert eine
multireligiöse Gruppe Jugendlicher, in der spezifisch christliche oder kirchliche
Ausprägungen von Religiosität in der Minderheit sind, in der aber gleichzeitig etwa
das Musikerleben Jugendlicher, ihr Konsumieren, ihre virtuelle Kommunikation, aber
auch ihre ausdrücklichen Fragen nach Lebenssinn und Lebenspraxis religiöse Züge
im engeren oder weiteren Sinn aufweisen.“8 Herausfordernd an dieser Beschreibung
ist die Tatsache, dass Scharer so weit geht, dass er den Begriff „multireligiös“ nicht
6
In der Kommunikativen Theologie wird der Interreligiosität und Ökumene eine bewusste
Aufmerksamkeit geschenkt: Dies wurde beispielsweise sichtbar beim 3. Kongress Kommunikativer
Theologie im Frühjahr 2008 zum Thema „Heilig – tabu“, wo der christlich-islamische Dialog im
Mittelpunkt stand.
7
Vgl. dazu: SCHARER, Matthias: „Erst gehen, wenn man gesandt wird?“ Gibt es ein Problem
krankhafter Beschränkung des missionarischen Anspruchs in der gegenwärtigen Kirche?
Religionsunterricht im Umbruch der religiösen Landschaft und die Frage nach realistischen
Lernaufgaben in dieser Situation, in: www.theol.uibk.ac.at, abgerufen am 1.5.2014.
8
Ebd.
9
vorrangig versteht als Zugehörigkeit zu einer der verschiedenen Religionen.
Multireligiosität, um diesen Gedanken fortzuführen, kann selbst innerhalb einer
Gruppe sein, die der gleichen Konfession angehört.
Ein Beispiel aus der Praxis: Aktuell hat ein Schüler eine Vorwissenschaftliche Arbeit
über die Frage begonnen, was junge Menschen so faszinierend am Buddhismus
finden. Er selbst ist katholisch vom Taufschein her. Von seiner Einstellung fühlt er
sich aber viel mehr dem Buddhismus zugehörig. Im Religionsunterricht schließlich
kann seine multiple religiöse Identität lebendig werden.
3.5 Multireligiosität als Chance für interreligiöses Lernen
Während viele darüber klagen,9 dass ein Unterrichten gerade im Fach Religion
zunehmend schwieriger geworden sei, sehe ich in der Multireligosität eine Chance,
wenn es die notwendigen Öffnungen für ein interreligiöses Lernen gibt. Auf Seiten
der Schüler und Schülerinnen ist die Bereitschaft und Offenheit gegenüber den
anderen Glaubensgemeinschaften sehr hoch. Eine empirische Untersuchung an
AHS im Raum Innsbruck, an dem auch Schulklassen meiner Schule beteiligt waren,
kommt zum Ergebnis, dass bei einem Drittel der Befragten (36%) die Attraktivität
anderer Religionen größer ist als die eigene Religion.10 Andere Studien –
beispielsweise die Shell-Jugendstudie – bestätigen den Trend unter Jugendlichen,
sich ihre Religiosität individuell aus einer Fülle von weltanschaulichen Elementen
zusammenzusetzen. Religionspädagogisches Ziel an einer AHS – vor allem in der
Oberstufe – ist es, die Pluralitätsfähigkeit der Schüler zu stärken, vor allem aber auch
die Unterscheidungs- und Urteilsfähigkeit angesichts der Vielfalt religiöser
Phänomene. Eine qualitativ-empirische Untersuchung über die Meinung unter den
Religionslehrenden kommt zum Ergebnis, dass eine Trennung der Klassen entlang
der konfessionellen Grenzziehungen tendenziell als negativ erfahren wird. 11 Die
religionssoziologische Wahrnehmung der religiös vielfältigen Welt der Schüler und
9
Generell gibt es die Tendenz, Kinder aus Migrationsfamilien als Problem in den Schulen und nicht
als Bereicherung zu sehen. Vgl. dazu u. a. JERUSALEM Susanne: Die Krise in der Schule, in:
PRADER, Thomas (Hg.): Moderne Sklaven. Asyl- und Migrationspolitik in Österreich. Wien 1992, 131140.
10
Vgl. PREGLAU-HÄMMERLE, Susanne: Was Jugendliche über ihren Glauben sagen. Ergebnisse
einer empirischen Studie an AHS im Raum Innsbruck, Innsbruck 2008, 86ff.
11
Vgl. HEIDEGGER, Klaus: Lebendiges interreligiöses und ökumenisches Lernen im
Religionsunterricht. Erfahrungen, Begründungen und Rahmenbedingungen aus der Perspektive der
Kommunikativen Theologie – eine Fallstudie am Beispiel des Privaten Oberstufenrealgymnasiums St.
Karl Volders, unveröff. Master-Thesis und Lizenziatsarbeit, Innsbruck 2009.
10
Schülerinnen bestätigt die These, dass sich der konfessionelle Unterricht in
pädagogischer, didaktischer und rechtlicher Sicht durch eine prinzipielle und
strukturelle Offenheit gegenüber Andersgläubigen auszeichnen muss. Auch der Blick
auf die vielfachen Globes bekräftigt die Notwendigkeit eines interreligiösen Lernens
im Rahmen des konfessionellen Unterrichts. Die gesetzlichen Vorgaben sowie
entsprechende Handlungsmuster sowohl von Seiten der Schulbehörden sind jedoch
teils nicht hilfreich bzw. stehen den interreligiösen Ansprüchen im Wege.
Das Klassenzimmer und die Schule erlebe ich durch und durch, um es in der
Sprache der kommunikativen Theologie auszudrücken, als loci theologici, als Orte
von göttlichem Heilsgeschehen. Unser Glaube ist der Glaube an jenen Gott, der in
sich zutiefst Beziehung und Kommunikation ist und sich dem Menschen in
Schöpfung und Geschichte mitteilt.12 Die Geschichte Gottes mit den Menschen
beschränkt sich nicht auf Konfessionszugehörigkeit und Kirchenraum. Konkret: Das
Klassenzimmer und damit wesentlich auch der RU sind heilsbedeutsame Orte. Die
biblische Heilsgeschichte als Schlüssel legt nahe, dass diese Geschichte sich
wesentlich durch die Begegnung mit dem Fremden auszeichnet.
Jeder Schüler und jede Schülerin hat eine religiöse Grundverfasstheit, die zunächst
auch unabhängig von seiner Konfessions- bzw. Religionszugehörigkeit besteht. Das
Klassenzimmer bzw. die Klassengemeinschaft wird als jener Ort wahrgenommen, wo
vier Dimensionen reflektiert werden können: Die Dimension der persönlichen
Lebens- und Glaubenserfahrung, die Dimension der Gemeinschaftserfahrung und
Kirchlichkeit, die Dimension der religiösen/biblischen Traditionen in deren Vermittlung
und die Dimension der Kontextgebundenheit/Welterfahrung.13 In der Dynamik
zwischen diesen Dimensionen offenbart sich Gott.
Ökumenisches Lernen und interreligiöses Lernen können in einem weiteren und in
einem engeren Sinn begriffen werden.14 Zum allgemeinen interreligiösen Lernen in
einem weiteren Sinn zählt jedes Lernen über die Religionen, in einem engeren Sinn
geht es um das Lernen in direkten Begegnungen. Leimgruber bezeichnet den
12
Vgl. SCHARER Matthias / HILBERATH Bernd Jochen: Kommunikative Theologie. Eine
2
Grundlegung, Mainz: Grünewaldverlag 2003Scharer, 76-85.
13
Als Beispiel, wie mit diesem Ansatz empirisch theologisiert werden kann, möchte ich auf die
folgende Dissertation verweisen: PETER, Teresa: Von der Angst zu gehen und vom Gehen in der
Angst. Angsterfahrungen als Herausforderungen an theologisches Denken, Reden und Handeln,
Berlin/Wien 2006.
14
Vgl. zu dieser Unterscheidung: LEIMGRUBER Stephan: Interreligiöses Lernen, München 2007, 20.
11
interreligiösen Dialog im engeren Sinn als „Königsweg“ 15. Religionendialog in einem
umfassenderen Sinn schließt freilich interreligiöses Lernen in einem engeren Sinne
nicht aus, sondern zielt darauf ab. Ich könnte es vereinfacht auch im Sine von zwei
konzentrischen Kreisen sehen, die offen kommunikabel zueinander sind. Der innere
Kreis ist das direkte religiöse Lernen durch unvermittelte interreligiöse Konvivenz, der
äußere Kreis ist das indirekte religiöse Lernen durch eine Beschäftigung mit
interreligiösen Themenstellungen bzw. mit der Religion der je Andersglaubenden.
4 Die schleichende Verdrängung des konfessionellen
Religionsunterrichtes aus dem Fächerkanon
Noch ist Religion Pflichtgegenstand. Noch ist das Fach Religion sogar an erster
Stelle im Zeugnis. Sehen wir jedoch von den katholischen Privatschulen ab, wo eine
Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtend ist, so sieht die Wirklichkeit in vielen
Schulen anders aus. Religionsunterricht ist a) bei weitem nicht mehr
selbstverständlich und wird b) durch verschiedene Entwicklungen mehr und mehr
gefährdet. In Luxemburg soll aktuell der Religions- durch einen Werteunterricht
ersetzt werden. Ähnliche Vorstellungen haben in jüngster Zeit vermehrt Politiker
verschiedener Parteien in Österreich geäußert. Auch in Deutschland wird über den
Fortbestand des konfessionellen Religionsunterrichtes diskutiert.16
4.1 Politische Bildung und Religionsunterricht
Da ist der Vorstoß von Sebastian Kurz, Politische Bildung aber der fünften Schulstufe
als eigenständiges Schulfach verpflichtend einzuführen. Im Hintergrund steht nicht
zuletzt das Anliegen, dass in diesem Fach die Werte der Demokratie gelernt werden
könnten, um so extremistischen Entwicklungen vorzubeugen.
Soll aber Politische Bildung ein eigenes Unterrichtsfach werden? Politische Bildung
als Unterrichtsprinzip, wie es seit 1978 durch den entsprechenden Grundsatzerlass
gilt, gibt im bestehenden Fächerkanon bereits gute Möglichkeiten, mit den Schülern
und Schülerinnen in vielen Fächern Politische Bildung zu praktizieren. Dies betrifft
15
Vgl. Leimgruber, a.a.O., 21.
Eine Zusammenstellung von Argumenten in: Englert Rudolf (2014): Warum konfessioneller
Religionsunterricht, in: Katechetische Blätter, 5/14, 368ff.
16
12
nicht nur das Fach Geschichte und Politische Bildung, sondern auch Geographie und
Wirtschaftskunde, aber auch etwa die Sprachenfächer. Vernetztes Denken ist
angesagt. Das würde bedeuten: Politisches Geschehen im Rahmen der anderen
Fächer einzubeziehen. So beispielsweise im Religionsunterricht, in dem immer
wieder aktuelle politische Vorgänge – vor allem aus religiösen und ethischen
Fragestellungen – aufgegriffen werden. Der Blick in die Religionsstunden zeigt: Hier
wird über Islamophobie und Pegida, über Solidarität mit Flüchtlingen und Abrüstung
und viele andere heiße Eisen der Politik diskutiert. Es wäre daher auch nicht richtig,
diese Aufgaben einem Pflichtfach Ethik zuzuordnen. Ein für alle offener
Religionsunterricht – wo nicht entlang der Konfessionsgrenzen und religiöser
Zugehörigkeiten selektiert wird – bietet ethisch-politische Bildungsmöglichkeiten.
4.2 Ethikunterricht und Religionsunterricht
4.2.1
Alte Forderung neu belebt
„Wir brauchen einen verpflichtenden Ethikunterricht an den Schulen …“17 So der Ruf
zweier honoriger ÖVP-Politiker im Zusammenhang mit der Islamdebatte. Ich möchte
Heinrich Neisser und Josef Riegler fragen: Kann nicht der Religionsunterricht jener
Ort sein, wo über die Werte der Religionen und ihrem Verhältnis zu Staat und
Gesellschaft geredet wird? Wer den Religionsunterreicht freilich eng
konfessionalistisch denkt, wird einen Ethikunterricht fordern. Für dieses Fach sind
jene Schüler und Schülerinnen vorgesehen, die keinen Religionsunterricht besuchen,
während dort die konfessionelle Kerntruppe bestehen bleiben kann. Statt Inklusion,
Exklusion. Die öffentlich gemachten Zustimmungen zu einem verpflichtenden
Ethikunterricht waren zahlreich in der jüngsten Zeit: Sie reichten von Direktorinnen –
wie Margret Fessler vom 5. Gymnasium in Innsbruck – über den grünen
Kultursprecher Wolfgang Zinggl bis hinein zu einer Forderung von ÖVP-Parteichef
Mitterlehner, die auch bereits vorher von seinem Parteikollegen Sebastian Kurz
geäußert worden war: Beibehaltung des Religionsunterrichtes plus verpflichtender
Ethikunterricht für alle, die den konfessionellen Religionsunterricht nicht besuchen.
17
In: DER STANDARD, 5.2.2015.
13
4.2.2
Ethik oder Religion?
Der Vorschlag nach einem verpflichtenden Ethikunterricht für alle wurde bereits von
der damaligen Bundesministerin Claudia Schmied angekündigt (25. August 2012).
Wenn Schmied damals meinte, sie wolle kein „Entweder-Oder“ – entweder Ethik oder
Religion als Wahlmöglichkeit für Schüler – so ist dies von der Praxis her kaum
durchführbar. Soll damit Ethik als Pflichtfach für alle eingeführt werden und für
andere noch zusätzlich Religionsunterricht? Dafür dürfte es in den Schulen keine
zusätzlichen Werteinheiten geben. Wird also nicht doch mit dem Ethikunterricht als
Pflichtfach der Religionsunterricht de facto mehr und mehr ausgehebelt? Was
bedeutet es, wenn Religion oder Ethik als Entscheidungsalternative vorgelegt
werden?
Welches Bild von Religion und welches Bild von Ethik wird einem Schüler oder einer
Schülerin vermittelt, wenn er oder sie zu Beginn eines Unterrichtsjahres vor die Wahl
gestellt wird – und praktisch wird es so ablaufen – Ethik oder Religion? Eine
entsprechende Schülerentscheidung muss dann sehr schnell stattfinden.
Nichtkonfessionelle Schüler bzw. solche, deren konfessioneller Unterricht mangels
Teilnehmerzahl nicht stattfindet, haben dann ohnehin nur mehr eine Wahlmöglichkeit,
nämlich den Ethikunterricht. Auf jeden Fall wird durch die Schulanfangsfrage
„Religion oder Ethik?“ implizit ein verhängnisvolles und falsches Entweder-Oder
kolportiert.
Dass Ethik ohne Religion nicht unproblematisch ist, wird kaum bedacht. Eine
religionslose Ethik kann in gefährliche Abgründe geraten. Der Abwurf der
Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki wurde mit ethischen Argumenten
legitimiert. Jeder Krieg – selbst Angriffskriege – wurde von Kriegsherren mit
ethischen Hinweisen begonnen oder geführt. Es sind die Religionen, die
demgegenüber einfordern: „Du sollst nicht töten!“ Die strengen Asylgesetze wurden
von den österreichischen Bundesministern ethisch legitimiert. Jede Religion mahnt
dagegen die besondere Sorge für Flüchtlinge ein. Politiker und Wirtschaftstreibende,
die auf Wachstumsstrategien setzen, argumentieren ethisch, sie würden
Arbeitsplätze sichern, sie würden Steuern bringen usw. Jede Religion hingegen baut
auf der Achtsamkeit gegenüber der Schöpfung auf. Auch wenn sich ethische
Forderungen mit religiösen Geboten decken, fehlt ihnen etwas Wesentliches, was die
Religionen einer „reinen“ Ethik voraus haben. Religiöse Verpflichtungen binden die
Menschen unbedingt. Die Bindung an Göttliches verpflichtet, wie es abstrakte
14
ethische Normen nie tun können. Mehr noch, das immer bereits vorausgehende
Geschenk der Gottesbegegnung ermöglicht erst ein ungezwungenes ethisches
Handeln, das auch gewaltfreie Gelassenheit zulässt. Diese Bindung der Ethik an
Religion bzw. eine religiöse Ethik hat gerade in der Zeit postmoderner Beliebigkeiten
jenes Potenzial, das der Verelendung, dem Hunger, der Zerstörung der Umwelt, den
Kriegen und der Aufrüstung die Stirn bietet. Ein letztes Beispiel: Die chinesische
Staatsführung bemüht ständig ethische Argumente, mit denen die andauernde
Besatzung und Menschenrechtsverletzung gegenüber dem tibetischen Volk
begründet werden, während der gewaltfreie Kampf des Dalai Lama für die Autonomie
Tibets zutiefst religiös-ethisch ist.
Genauso freilich wäre es fatal, wenn durch die freie Wahl „Religion oder Ethik“
zumindest indirekt der Eindruck entstünde, als könnte Religion ohne Ethik
auskommen. Religiöses Handeln ist immer zugleich ethisches Handeln. Im Tun der
Menschen und ihrer Organisationen offenbart sich erst die Religion. Der Glaube
manifestiert sich in der Praxis. Wo versucht wird, der Religion die Ethik zu entziehen,
entstehen die religiösen Fundamentalismen: ein religiöser Fanatismus ohne die
aufgeklärten ethischen Postulate Kant‘scher Prägungen, wie ihn alle Religionen
kennen. Ein Religionsunterricht ohne Ethik wäre das, was der Pius-Bruderschaft mit
ihrer voraufklärerischen Fundamentalmoral vorschwebt. Ein Religionsunterricht ohne
Ethik wäre blutentleert – genauso wie ein Ethikunterricht ohne Religion. Das spüren
die Schüler und Schülerinnen intuitiv. Ich könnte sie verstehen, wenn sie sich für
einen Ethikunterricht entscheiden würden, weil sie spontan ebendort Antworten für
ihre praktischen Lebensfragen finden könnten. Atheistisch motivierte Befürworter
eines Ethikunterrichts, deren Anliegen eine religionslose Ethik ist, treffen sich in der
Frage des Ethikunterrichts mit Kräften aus dem katholischen Bereich, denen es
darum geht, den Religionsunterricht wieder mehr zu einem Katechismusunterricht
umzugestalten. Dadurch werden vermeintliche Klarheiten geschaffen: Religiöse
Schüler in den Religionsunterricht, sogenannte nicht-religiöse Schüler in den
Ethikunterricht.
Ein zusätzliches Argument wird ebenfalls kaum mitbedacht. Ethische Themen sind
im Schulalltag aus den anderen Fächern nicht wegzudenken. Im Gegenteil: Ob in
Geographie und Wirtschaftskunde die Fragen der weltweiten Gerechtigkeit, die
Ursachen des Hungers, der Klimawandel etc. erwogen werden oder in Biologie über
15
Tierschutz, Artensterben etc. diskutiert wird, immer kommt auch Ethik vor. Was wäre
ein Deutsch- oder Englischunterricht ohne Ethik? Was wäre Geschichte und
Politische Bildung ohne Ethik? Oder gar Philosophie und Psychologie? Manchmal
argumentieren die Befürworter eines alternativen Ethikunterrichts so, als gäbe es
keine Ethik an den Schulen, dabei erlebe ich unter meinen Kollegen und Kolleginnen,
dass im gesamten Fächerkanon ethische Grundfragen und Themenstellungen stets
eine prägende Rolle spielen. Anders ausgedrückt: Ethik ist Unterrichtsprinzip, aber
nicht Unterrichtsgegenstand.
Was wir allerdings brauchen würden ist eine Neudefinition von Religionsunterricht
ohne die Falle „Entweder-Religion-oder-Ethik§ . In unserer multireligiösen Welt muss
eine strukturelle Debatte um den Religionsunterricht stattfinden. Die Schulklassen
sind konfessionell schon längst nicht mehr homogen. Aus meiner Erfahrung möchte
ich für folgenden Weg plädieren: Der derzeitige konfessionell geprägte
Religionsunterricht als Pflichtfach in allen Schultypen ist aus mehreren Gründen
sinnvoll. Die Durchführung dieses Unterrichts – bezogen auf Lehrpläne und
Bestellung der Lehrkräfte – ist nicht Sache des Staates, sondern liegt in der
Kompetenz der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Aufgrund der sinnvollen
Trennung von Kirche – Staat ist es ohnehin nicht möglich, dass der Staat religiösethische Inhalte vorgibt. Wohin die „Staatsbürgerkunde“ in totalitären Regimen führte,
ist bekannt. Allerdings sollte es möglich sein, dass in der Schule wirklich jeder und
jede auf Wunsch vollberechtigt – also auch mit Benotung – am Pflichtfach Religion
einer Konfession bzw. Religionsgemeinschaft teilnehmen kann. Derzeit schließen
bestimmte Gesetze und eine entsprechende Interpretation eine solche Möglichkeit
aus. Es ist schmerzlich täglich mitzuerleben, dass Schüler und Schülerinnen ohne
Religionsbekenntnis bzw. einer anderen Konfession, die zum Teil keinen eigenen
Religionsunterricht haben oder ihn aus bestimmten Gründen nicht besuchen wollen,
nicht gleichberechtigt an einem bestimmten Religionsunterricht teilnehmen dürfen.
Gerade sie arbeiten meist voller Engagement im Religionsunterricht mit und bringen
ihre Erfahrungen und Fragen in die Klasse ein. Zugleich jedoch sehen die Gesetze
vor, dass sie im Fach Religion keine Note bekommen dürfen, in der AHS nicht das
Wahlpflichtfach Religion besuchen dürfen oder auch nicht in Religion zur Matura
antreten dürfen. Der verpflichtende Ethikunterricht würde es überhaupt verhindern,
dass konfessionslose oder andersgläubige Schüler am Religionsunterricht einer
bestimmten Religion teilnehmen, was zu einem Erfahrungsverlust in den
16
Religionsstunden führen würde. In unserer mehr und mehr säkularisierten Welt ist
der Religionsunterricht für manche Schüler der einzige Ort, wo Religion explizit
begreif- und erlebbar gemacht wird und ihre (religiösen) Fragen und Anfragen einen
wichtigen Platz haben können.
Was muss getan werden? Der Religionsunterricht soll aus einer
konfessionalistischen Engführung gebracht werden. Auf diesem Weg böte sich eine
weit weniger komplizierte Variante als der Ethikunterricht an. Jeder Schüler und jede
Schülerin hätte die Möglichkeit, einen Religionsunterricht zu besuchen. Das würde
der Religionsfreiheit nicht widersprechen, da der Religionsunterricht keine
Indoktrination in ein bestimmtes Glaubenssystem darstellt, sondern ein
allgemeinbildendes Miteinanderlernen von religiös-ethisch-philosophischen
Grundfragen aus einem bestimmten Blickwinkel anbietet. Der Religionsunterricht ist
längst schon „keine Belangsendung“ einer bestimmten Konfession mehr, obwohl ein
kleinliches Auseinanderdividieren der Schüler und Schülerinnen in r.k., evang.,
islam., o.B. dies manchmal suggeriert. Ich erlebe es immer wieder, dass gerade
Schüler und Schülerinnen ohne Religionsbekenntnis eine besondere Bereicherung
im katholischen Unterricht sind. Ihre Fragestellungen würden fehlen, würden sie
zwangsweise in einen Pflicht-Ethikunterricht gesteckt, der dann eine Ansammlung
von religionskritischen oder religionsfernen Schülern und Schülerinnen werden
würde, in dem die religiösen Zugänge von Schülerseite minder belichtet sein würden.
Hinzu kommt, dass durch die Zweiteilung Religion oder Ethik aus technischen
Gründen aufgrund der Teilnehmergröße in vielen Fällen lediglich eine
Einwochenstunde möglich wäre bzw. gerade für die kleinen Kirchen und
Religionsgemeinschaften der Unterricht noch schwerer zustande kommen würde.
Mein Plädoyer lautet: Für einen konfessionellen aber nicht-konfessionalistischen
Religionsunterricht als Pflichtfach, der jedem Schüler und jeder Schülerin die
Möglichkeit gibt, vollwertig einen Religionsunterricht zu besuchen. Das könnte
beispielsweise bedeuten, dass ein Schüler ohne Religionsbekenntnis sich aus
Interesse entscheiden könnte, einen evangelischen Religionsunterricht oder einen
buddhistischen oder einen islamischen ... zu besuchen – wodurch wiederum die
Chancen steigen würden, dass dieser Unterricht mehrfach aufgewertet würde.
Keinesfalls würde ein Schüler o. B. aber automatisch einem Ethikunterricht
zugeordnet werden, wie dies zumindest implizit die Befürworter eines alternativen
Ethikunterrichts vorsehen. Für diese Variante bräuchte es keine Gesamtänderung
17
der gesetzlichen Lage, sondern lediglich die genannten geringfügigen und doch so
wichtigen Korrekturen.
4.3 Schulorganisatorische und praktische Gründe gegen
konfessionellen Unterricht
Die steigende Pluralität konfessioneller Bindungen hat außerhalb der Privatschulen
vielerorts die Schulorganisation vor Probleme bei der Durchführung gestellt. Es ist
zunehmend aufwendiger geworden, Religionsunterricht, der meist außerhalb des
Klassenverbandes stattfindet, im Stundenplan zu administrieren. Doppelstunden sind
aufgrund der Teilnahmeziffern oft nicht möglich. Diese administrativen
Schwierigkeiten sind vielfach ein weiterer Grund für Aversionen gegen das
konfessionelle Modell.
4.4 Eingemauerte Schulbehörden und Schulämter
Leider verfolgen die Schulämter aller Konfessionen eine gemeinsame Politik, in der
es vorrangig darum geht, den konfessionellen Religionsunterricht so abzusichern,
dass nur Schüler und Schülerinnen der eigenen Konfession den entsprechenden
Religionsunterricht besuchen. Schüler und Schülerinnen ohne Religionsbekenntnis
sollen ihren Platz in einem Ethikunterricht finden, der als verpflichtender Ersatz für
den Religionsunterricht gesehen wird.
5 Der klassische Konfessionsunterricht ist veraltet
Eine Schulklasse von heute spiegelt sehr oft die Multireligiosität der Gesellschaft
wider. Die Jugendlichen sind großteils entkonfessionalisiert. Manche kommen aus
Familien, in denen die Eltern unterschiedlichen Religionsgemeinschaften oder
Kirchen angehören. Immer noch aber hängen Vertreter des Religionsunterrichtes in
den Schulämtern und Kirchenleitungen bzw. Religionsgemeinschaften dem Bild einer
konfessionell geprägten Wirklichkeit nach.
In England gibt es im Bereich des Religionsunterrichtes einen „multi-faith-approach“.
Das Fach „Religious and Moral Education“ – also eine Kombination von Religion und
18
Ethik – wird für den gesamten, meist multireligiös zusammengesetzten,
Klassenverband unterrichtet. Viele Gründe würden dafür sprechen, dass der
konfessionelle Religionsunterricht in Österreich in ein solches Modell einfließen
könnte. Hier wäre visionäres Denken auch auf Seiten der Kirchenleitungen und
Religionsvertreter notwendig.
In einem Unterricht, in dem ausgehend von der religionsdidaktischen Methode der
Korrelation die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler einbezogen wird, würden
die verschiedenen Traditionen immer auch zur Sprache kommen und aufgearbeitet
werden. Man müsste also keine Angst davor haben, dass die je eigene
konfessionelle Identität nicht gefördert würde. Meine eigene Erfahrung im
Unterrichten zeigt jedenfalls, dass es gelingen kann, in einem katholischen Unterricht
auch die Identität der anderen Konfessionen zu stärken. Gerade in einem
Religionsunterricht, der von einer interreligiösen Qualität geprägt ist, können
Schülerinnen und Schüler, die meist von ihren Kirchen weit entfernt sind, Vertrauen
gewinnen, weil ihr Lehrer oder ihre Lehrerin nicht als Person erscheint, die sie in eine
bestimmte Kirchenbindung bringen möchte. Wenn ein Religionslehrer oder eine
Religionslehrerin als kritisch-objektive Person erscheint, sie nicht als verlängerter
Arm der Kirche oder einer Religionsgemeinschaft wahrgenommen wird, dann dürfte
sie nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch im Konferenzzimmer mit mehr
Bereitschaft angenommen werden. Trotzdem ist es vorteilhaft, wenn
Religionslehrende immer zugleich konfessionell praktizierend eingebunden sind, um
so von einer Innenperspektive aus auch im Raum der Schule Zeugnis geben zu
können.
6 Konfessioneller Religionsunterricht ja, aber offen für alle
6.1 Erste Schritte der Öffnung
In einer Übergangsphase zu einem neuen Fach „Religion und Ethik“ – das
konfessionell offen und verpflichtend für alle ist – würde sich zunächst der
bestehende konfessionelle Religionsunterricht öffnen müssen. Dafür sind
verschiedene Übergangsmodelle – je nach Situation der Schule – zu diskutieren.
Der einfachste und erste Schritt wäre ein noch konfessionell organisierter
Religionsunterricht, an dem alle vollberechtigt teilnehmen können. Dazu bräuchte es
19
freilich die notwendigen gesetzlichen Ermöglichungen. Wäre es so ausgeschlossen,
dass beispielsweise in einer Oberstufenklasse der evangelische Religionslehrer
einen „Religions- und Ethikunterricht“ für alle anbietet, und in einer Parallelklasse
dies vom katholischen Religionslehrer geschieht? Beide hätten dann den Vorteil,
nicht nur ein ökumenisches Zeugnis zu leben, sondern auch mit je mehr Schülern
und Schülerinnen einen Unterricht gestalten zu können.
6.2 Konfessionell-kooperative Unterrichtsmodelle
Konfessionalistische Separierungen passen jedenfalls nicht zu einer pädagogisch
wie theologisch geforderten inklusionsorientierten Schule. Will man den
konfessionellen Religionsunterricht erhalten, muss er sich in Richtung
Gastfreundschaft weiterentwickeln oder er schafft sich selbst ab.
Die Praxis, die ich zur Diskussion stellen möchte, ist kirchen- und schulrechtlich im
Kontext des herrschenden konfessionellen Unterrichtsprinzips umstritten, aus
theologischer und religionspädagogischer Sicht jedoch höchst an der Zeit und, wie
noch zu argumentieren sein wird, aus gesellschaftspolitischer Perspektive unbedingt
notwendig: Es geht um die Öffnung des konfessionellen Religionsunterrichtes in
einer Art und Weise, dass auch Mitglieder anderer Konfessionen bzw.
Religionsgemeinschaften gleichberechtigt daran teilnehmen können, ohne dass
dadurch das Prinzip der Konfessionalität aufgehoben wird.
Interreligiöses Lernen im Rahmen des konfessionellen Religionsunterrichtes ist, und
das ist die zu entfaltende These dieses Beitrags, der Kairos, den es zu gestalten und
zu entwickeln gilt. Dadurch werden authentische Begegnungen ermöglicht, die über
ein mehr oder weniger flüchtiges Kennenlernen hinausgehen.18 Schüler und
Schülerinnen lernen nicht mehr über die Religion des Anderen, sondern miteinander
die Religion des je Anderen kennen. Sie lernen zunächst nicht über die Vermittlung
von Fachwissen durch die Lehrkraft, sondern im Dialog, in dem auch die Lehrperson
zugleich lernend ist. So ist interreligiöses Lernen stets mehr als interreligiöse
Erziehung, ohne diese auszuschließen, ist mehr als Vermittlung von
religionskundlichen Inhalten, auch wenn diese nicht fehlen darf.
18
Vgl. dazu u.a.: RICKERS Folkert: Interreligiöses Lernen: Die religionspädagogische
Herausforderung unserer Zeit, in: RICKERS Folkert u.a.: Vom religiösen zum interreligiösen Lernen.
Wie Angehörige verschiedener Religionen und Konfessionen lernen. Möglichkeiten und Grenzen
interreligiöser Verständigung, Neukirchen-Vluyn 1998, 119-139.
20
6.3 Religiöse Identitätsbildung durch Begegnung und Dialog
Gegen das Anliegen eines interreligiösen Religionsunterrichtes werden verschiedene
Argumente vorgebracht, die meist nicht aus der Praxis des Unterrichtes kommen.
Zuerst müsste, so ein oftmals formulierter Einwand, die eigene religiöse Identität
bereits bestehen und müssten die Grundkenntnisse der eigenen Religion bekannt
sein und gelebt werden, um sich dann von dieser „sicheren Position“ aus dem
Anderen zuzuwenden. Da aber, so geht die Argumentation weiter, diese Identität
immer weniger vorausgesetzt werden dürfe, da die religiöse Bildung und noch
weniger das religiöse Eingebundensein in die Kirche gegeben seien, müsste doch
zuerst das eigene Profil fix sein. Ohne diese Eigenprofilierung könne kein sinnvoller
Dialog stattfinden.19 Schüler und Schülerinnen wären sonst mit einem interreligiösen
Ansatz überfordert. Ein komparatives Vorgehen, wie es eine interreligiöse Didaktik
erfordere, sei nicht möglich, solange nicht eine Grundkenntnis der eigenen Religion
vorhanden sei. Ein weiterer Einwand in dieser Richtung lautet, dass interreligiöses
Lernen im Religionsunterricht die ohnehin eklektizistische oder synkretistische
postmoderne Grundhaltung verstärken würde.
Wie aber kann religiöse bzw. konfessionelle Identitätsbildung geschehen? Zwei
Paradigmen stehen für zwei ganz unterschiedliche Richtungen: Identitätsbildung
unter dem Paradigma der Abgrenzung oder dem Paradigma der Begegnung mit dem
Anderen. Ersteres baut auf einen konfessionellen Unterricht mit klaren Grenzen
gegenüber den Andersgläubigen, letzteres will gerade den Kontakt und die
Begegnung mit den Andersgläubigen.
6.4 Schüler und Schülerinnen als zu belehrende Objekte oder als
lernende Subjekte
Die Einwände gegen multireligiöse Settings orientieren sich manchmal an einem
„alten“ Konzept dessen, was der Religionsunterricht in der Schule zu leisten hätte.20
Soll vorrangig jene Katechese nachgeholt werden, die in der Familie und in der
Pfarrgemeinde heute nicht mehr stattfindet? Soll der Religionslehrende einfach der
verlängerte Arm der Kirche oder einer Glaubensgemeinschaft in der Schule sein, um
die Schüler wieder oder zum ersten Mal mit der Kirche oder einer Moschee zu
19
Vgl. zu diesem Argument Leimgruber, a.a.O., 15.
Immer wieder wird in der religionspädagogischen Literatur in diesem Zusammenhang auf den
Beschluss der „Würzburger Synode“ (1974) verwiesen, der den Paradigmenwechsel von Katechese
hin zu einem schülerbezogenen Unterricht darstellt.
20
21
verbinden? Sollen Religionslehrende missionarisch auftreten?21 Heute gilt jedoch in
der Religionspädagogik als unbestritten, dass Schüler und Schülerinnen nie mehr zu
Objekten des Unterrichtes degradiert werden dürfen und kein Rekrutierungspotenzial
für die Kirchen oder Religionsgemeinschaften sind.
6.5 Konfessionalitätsprinzip im RU als Schutz der kleinen
Religionsgemeinschaften?
Ein weiterer gewichtiger Einwand lautet, dass konfessionelle Trennungen ein Schutz
für die kleineren Religionsgemeinschaften und Kirchen seien. In Tirol gibt es eine
dominierende Mehrheitskirche, der gegenüber die anderen Kirchen und
Glaubensgemeinschaften eine Minderheitenposition einnehmen.22 Auf schulischer
Ebene bringt diese Minderheitenposition Nachteile mit sich, was sich konkret so
auswirkt, dass die Wochenstundenzahl meist nur einstündig ist, diese Stunden meist
am Nachmittag oder gar nicht an der eigenen Schule stattfinden. Gäbe es nun die
Möglichkeit, auch den Unterricht einer anderen Konfession zu besuchen, so würde
dies dazu führen, dass die Schüler und Schülerinnen den entsprechenden eigenen
Konfessionsunterricht nicht mehr aufsuchen oder sich davon abmelden würden.
Dagegen kann jedoch leicht argumentiert werden, dass gerade ein interreligiöser
Unterricht die spezifisch-konfessionelle Identität der Schüler und Schülerinnen
stärken kann, weil es wohl jeder Grundlage entbehrt, ein solcher Unterricht würde in
proselytischer Absicht erfolgen. Ich kann wohl von meinen alevitischen oder
muslimischen Schülern und Schülerinnen behaupten, dass sie aufgrund der
Teilnahme am „katholischen“ Unterricht in ihrer eigenen religiösen Identität gestärkt
wurden. Umgekehrt könnte das Prinzip der Interreligiosität im konfessionellen
Religionsunterricht dazu führen, dass auch Religionslehrende der kleineren Kirchen
und Religionsgemeinschaften gleichberechtigt die Chance erhalten, nicht nur Einzelund Randstunden irgendwo an einer fremden Schule zu haben, sondern mit ganzen
Schulklassen unterwegs zu sein.
6.6 Verwässerte Einheitsreligion?
Gegen einen Unterricht, der eine multi-religiöse Gruppe beinhaltet und auf eine
direkte interreligiöse Didaktik setzt, wird auch ins Spiel gebracht, dass dies zu einer
21
Vgl. zu dieser Fragestellung u.a.: WEIRER, Wolfgang: Breite Akzeptanz und neue
Herausforderungen. Religionsunterricht in Österreich, in: HERDER KOREESPONDENZ Spezial,
Oktober 2013, 44-48.
22
Gesamtösterreichisch sind die Zahlenverhältnisse wie folgt: 745.000 katholische SuS und 9.500 RL,
50.000 islamische SuS und 400 RL, 10.000 griechisch-orthodoxe SCH und 690 RL, 1000 jüdische
SuS und 30 RL, 250 buddhistische SuS 17 RL. (Zahlen aus 2009)-
22
verwässerten Einheitsreligion führen und die Profilierung des Eigenen zu kurz
kommen würde.
Dagegen steht das Konzept des Dialogs im Unterricht, der darauf ausgerichtet ist,
gerade auch die Unterschiede zur Geltung kommen zu lassen. Die Wahrnehmung
und die Respektierung von Differenz zählen zum Markenzeichen für interreligiöse
Bemühungen. Wolfram Weiße schreibt mit Blick auf das Modell des dialogischen
Religionsunterrichtes in Hamburg: „Der Dialog im Klassenzimmer fördert den
Respekt vor den religiösen Überzeugungen Anderer und verweist auf die Relevanz
einer möglichen Vergewisserung und Ausbildung eigener Religiosität bei
gleichzeitiger kritischer Infragestellung.“23
6.7 Überforderte RL im interreligiösen Unterricht?
Ein Einwand lautet, dass sich Religionslehrende überfordert fühlen würden, wenn
Schüler und Schülerinnen anderer Religionen oder Konfessionen in „ihrem“
„katholischen“ Unterricht sitzen. Es mangele an entsprechender Erfahrungs- und
Sachkompetenz. Es bräuchte die Religionslehrenden als „native guides“, die in ihren
Religionen zuhause sind.
Meines Erachtens kann man jedoch von den Relgionslehrenden so viel
Sachkompetenz über andere Religionen erwarten, dass damit im schulischen
Unterricht genügend Auseinandersetzung möglich ist. Zum anderen bieten
multireligiöse Konstellationen ja auch eine Chance für die Religionslehrenden zu
einem beständigen neuen Lernen. In der religionspädagogischen Aus- und
Weiterbildung wird ohnehin vermehrt auf die Vermittlung der interkulturellen und
interreligiösen Kompetenz der Religionslehrenden gesetzt.
6.8 Existenzielle Ebene des religiösen Lernens
Korrelationsdidaktik, Erfahrungshermeneutik und biographisches Lernen sind
Vorgaben, wie heute der Religionsunterricht gestaltet werden sollte.24
Schülerorientierung und Prozessorientierung haben auch Implikationen für die
multireligiöse Fragestellung. Ich möchte im Folgenden vom religionspädagogischen
Ansatz von Matthias Scharer ausgehen, der formulierte: „Erst eine radikale
Prozeßorientierung des Religionsunterrichtes, welche die SchülerInnen als (multi23
WEIßE Wolfram: Dialogischer Religionsunterricht in Hamburg, in: Grundschule, westermann, 36.
Jg., April 2004, 14.
24
Vgl. u.a.: KALLOCH, Christina / LEIMGRUBER Stephan / SCHWAB Ulrich: Lehrbuch der
Religionsdidaktik, Freiburg i. Br.: Herder, 2009.
23
)religiöse Subjekte mit ihrem unkonventionellen philosophisch-theologischen Denkund Urteilsvermögen als (Mit-)autorInnen ihrer Sinn- und Weltkonzepte ernst nimmt,
ermöglicht Lernprozesse in die provozierend-konfrontierend jene Themen
eingebracht werden können, die sowohl von der Fremdbestimmung durch die
Verwendung vorgefertigter Unterrichtsmodelle, als auch von der Nabelschau immer
wiederkehrender Modethemen erlösen.“25 Im religiösen Lernen geht es wesentlich
darum, von den Erfahrungen auszugehen.26 Die biografisch geprägten Erfahrungen
bilden eine wichtige Quelle für religiöses Verstehen. Sie sind selbst
Glaubensbotschaft und werden in Beziehung gesetzt zur tradierten Botschaft des
Glaubens. Ottmar Fuchs formulierte einmal den Grundsatz: „Wo die Kirche Gott
hinbringt, darf und muß sie immer erst einmal davon ausgehen, dass Gott schon in
(ihr bislang unbekannten) Verwirklichungen und Lebensformen dort vorhanden ist.“27
Auf den Religionsunterricht umgelegt bedeutet dies: Wo ich als Religionslehrer über
Gott und den Glauben rede, kann ich immer schon an den Gottes- und
Glaubenserfahrungen der Schüler und Schülerinnen anknüpfen, an den Erfahrungen
freilich, die sich immer weniger auf konfessionelle oder kirchliche Erfahrungsebenen
beschränken lassen.
Existenzielle Erfahrungen können und sollen im Religionsunterricht geschehen und
reflektiert werden. Reine Stoffvermittlung wird nicht als Ziel gesehen. Erlebnisse und
Erfahrungen, Begegnungen und Gespräche sollten den Unterricht prägen, wobei
religiöses Orientierungswissen nicht zu kurz kommen sollte. Die lebensweltlicherfahrungsorientierte Dimension wird in Beziehung gesetzt mit religiösen Themen,
die so nicht mehr abgehobene Stoffgebiete sind. Wenn es gelingt, die religiösen
Erfahrungen im Religionsunterricht zur Sprache zu bringen, dann gibt es einen
Einblick in die Religionen von innen, dann können die Außenperspektiven, die
Vermittlung von Inhalten von außen her gelingen. Diese generellen
religionspädagogischen Grundsätze unterstreichen die Bedeutsamkeit eines
25
SCHARER Matthias: „Erst gehen, wenn man gesandt wird?“ Gibt es ein Problem krankhafter
Beschränkung des missionarischen Anspruchs in der gegenwärtigen Kirche? Religionsunterricht im
Umbruch der religiösen Landschaft und die Frage nach realistischen Lernaufgaben in dieser Situation,
in: www.theol.uibk.ac.at, abgerufen am 1.5.2014.
26
Der Ansatz bei der Erfahrung ist so gut wie unbestritten. Christoph Schönborn etwa formulierte:
„Das Christentum ist zuerst eine Erfahrung, bevor es eine Lehre ist.“ Schönborn Christoph:
Reinkarnation und christlicher Glaube, in: Bischofberger Otto u. a. (Hg.): Reinkarnation –
Wiedergeburt – aus christlicher Sicht, Freiburg 1988, 128.
27
Fuchs Ottmar: Die Öffnung zum Fremden. Bedingung christlichen Glaubens und Handelns, in:
Bocklet Paul: Zu viele Fremde im Land?, Düsseldorf 1990, 146.
24
interreligiösen Lernens, widerlegen auch das Argument, ein interreligiöser Unterricht
wäre eine unparteiische Religionenkunde ohne Verankerung in den Konfessionen
und Religionsgemeinschaften.
6.9 Kommunikativ-theologische Begründungen
Der theologische und religionspädagogische Hintergrund für interreligiöse Praxis in
der Schule, im Klassenzimmer und im Religionsunterricht ist wohl unbestritten. Im
Religionsunterricht geht es primär um die explizite Suche nach dem Göttlichen und
insofern ist die Anwesenheit von nichtkatholischen Schülern und Schülerinnen
geradezu ein besonderes Geschenk. Die Selbstmitteilung Gottes lässt sich nicht auf
das Label „katholisch“ reduzieren. Die Theologie setzt die Maßstäbe, demnach
religiöse Glaubensvermittlung als kommunikativer Vorgang interpretiert wird, „bei
dem nicht bloß abstrakte Wahrheiten, sondern Leben mitgeteilt wird. Deshalb
schließt die so verstandene Offenbarung das ganze Leben der sie hörenden und
aufnehmenden Menschen ein“28. Tatsächlich zählt es zu den Sternstunden des
Religionsunterrichtes, wenn muslimische und katholische Schüler und Schülerinnen
im Unterricht entdecken, dass letztlich ihr Gott der gleiche ist, der sie anspricht und
dem sie sich zugehörig fühlen. Der neue Lehrplan in Religion für die AHS und
BHS/BMHS sieht ausdrücklich vor, nicht so sehr von Metaebenen auszugehen und
davon deduktiv Erkenntnisse „für“ die Schüler abzuleiten, sondern
erfahrungsbezogen mit ihnen zu religiösen Erkenntnissen zu kommen und diese
dann mit Metaebenen in Beziehung zu setzen und dabei auch durchaus den Mut zu
haben, bestehende dogmatisierte Wahrheiten in Frage stellen zu können. Neben
dieser personal-existenziellen Ebene ist die kognitive Ebene gleichfalls bereichert
durch Interreligiosität. Auf jeden Fall sollte gerade der Religionsunterricht wesentlich
ein komplexer Kommunikationsprozess sein. Je mehr Interreligiosität und
Interkulturalität hier vorhanden ist, desto besser.
Die theologische Begründung für die Offenheit des konfessionellen
Religionsunterrichts für Andersgläubige liegt in der religiösen Grundkonstitution jedes
Menschen.29 Als Anwalt für diesen Ansatz kann durchaus auch auf Karl Rahner
28
SCHWAGER Raymund, zit. in: Forschungskreis Kommunikative Theologie: Kommunikative
Theologie. Selbstvergewisserung unserer Kultur des Theologietreibens, Wien 2006.
29
Habringer-Hableitner hat auf dieser theologischen Basis in ihrer Habilitation eine Konzeption für
eine religiöse Erziehung im Kindergartenalter entwickelt. Sie greift dabei u. a. auf die Unterscheidung
des Religionsphilosophen Georg Simmel zurück, der zum einen von einer apriorischen Form von
Religiosität spricht zum anderen von Religion als überliefertes, objektives Kulturgebilde. Dabei gelte
es in der religiösen Erziehung zunächst von Religion als „innerster Lebenswirklichkeit“ auszugehen,
25
verwiesen werden. Seine Theologie baute er auf dem Grundsatz auf, dass der
Mensch ein Wesen der Offenheit auf das unbegreifliche Geheimnis Gottes hin sei.
Rahner postulierte stets „die unmittelbare Selbstmitteilung des absoluten Gottes an
die sich selbst immer notwendig geschichtlich ermittelnde Transzendentalität des
Menschen“30.
In dieser Linie sehe ich durchaus das Bemühen der Kommunikativen Theologie. Gott
ist ein „kommunikatives Wesen“31, insofern Gott auf den Menschen hin orientiert ist
und mit jedem einzelnen von ihnen in Kommunikation stehen möchte. Im Kontext des
Religionsunterrichtes bedeutet dies: Es sind die Schüler und Schülerinnen, mit denen
der kommunikative Gott seine Beziehung hat und Gemeinschaft haben will. Die
Vertiefung dieses Beziehungs-Gottes, der immer nur als sich offenbarender Gott
erfahren und benannt werden kann, nie aber sich darin erschöpft, den wir in der
christlichen Theologie als trinitarischen Gott benennen, insofern als Gott, der auch in
sich selbst Beziehung ist. Als Religionslehrer muss ich vom Grundansatz ausgehen,
dass sich dieser Gott stets auch als der ganz Andere, der Fremde, manchmal auch
der Schweigende in der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen artikulieren will.
Es geht darum, wie es Bonhoeffer meinte, „Gott in der Mitte des Lebens, in der Mitte
des Alltags anzusiedeln und ihn gerade dort erfahrbar zu machen“32. Im
Religionsunterricht heißt dies: Gott in der Mitte einer multi-religiösen Klasse erfahrbar
werden zu lassen als Einheit von Lebenlernen und Glaubenlernen.33
6.10 Die Heilsnotwendigkeit der Begegnung mit dem Fremden
Wie ein roter Faden durchzieht die Bibel die besondere Liebe und Fürsorge Gottes
den „Fremden“ und „Ausländern“ gegenüber. Mehr noch: Der Fremde bzw. das
die dann ein Erlernen von Religion in ihrem kulturellen Habitus ermöglichen kann. Vgl. HABRINGERHAGLEITNER, Silvia: Zusammenleben im Kindergarten. Modelle religionspädagogischer Praxis,
Stuttgart 2006, 268. Eine theologische Begründung findet sie bei Paul Tillich, dessen Position sie wie
folgt wiedergibt: „Er bezeichnet den Menschen als ‚unheilbar religiös’, womit er meint, wir Menschen
seien wesenhaft Glaubende, denn ohne ein letztes Anliegen können wir nicht leben. Den Glauben
wiederum bestimmt er als Zustand des Ergriffenseins. Religiös sein, heißt ergriffen sein von dem, was
uns unbedingt angeht. Immer dann, wenn wir in unserer Existenz berührt, betroffen, beglückt oder
herausgefordert sind, kann Göttliches erfahrbar werden, immer dann zeigt sich der inkarnierte Jesus
Christus. Anders ausgedrückt heißt das, immer dort, wo die beteiligten Kinder und
KindergartenpädagogInnen durch ihr Zusammenleben in ihrem Innersten berührt, betroffen, beglückt
oder verunsichert sind, sind sie verbunden mit dem im Christentum bezeugten leidenschaftlichen Gott
des Lebens, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat.“ Ebd. 271.
30
KRAUSS Meinold: Anmerkungen zu Karl Rahners Theologie, in: Rahner Karl: Erinnerungen. Im
Gespräch mit Meinold Krauss, Innsbruck 2001.
31
Vgl. dazu ausführlich: Kommunikative Theologie, a.a.O., 76-95.
32
Zit.in: HABRINGER-HAGLEITNER, a.a.O. 268.
33
Vgl. dazu ebd., 270f.
26
Fremde kann Ort der Gottesbegegnung sein.34 Wenn im Rahmen des Unterrichts auf
die biblisch und trinitarisch begründete Gastfreundschaft eine besondere
Aufmerksamkeit gelegt wird, dann können die Schüler und Schülerinnen daraus
praktisch wie theoretisch wichtige ethische Aspekte zum „Umgang mit dem Fremden
lernen inmitten eines Globe, in dem oftmals xenophobe und ausländerfeindliche
Stimmungen den Ton angeben. Die Annahme des fremden Anderen kann jedoch
nicht einfach verordnet werden. Sie wird misslingen, wenn dies mit Angst und
Abwehr verbunden ist. Umso wichtiger sind, so wie Ottmar Fuchs schreibt, „auf der
direkten Begegnungsebene persönliche Beziehungsfelder ..., in denen sich
Einheimische und Fremde kennen- und schätzen lernen.“35 Das Klassenzimmer und
die Schule sind prädestinierte Orte, wo diese direkten Beziehungsfelder zwischen
kulturell und religiös verschiedenen Menschen entstehen können. Solches wird sich
auch positiv auf die Gesamtgesellschaft auswirken.36 Ein katholischer
Religionsunterricht hat als Modell stets das Vorbild des Jesus von Nazareth, dessen
Charakteristikum seine Grenzüberschreitungen waren, seine Mahlgemeinschaft mit
denen, die ausgegrenzt wurden. Die junge Kirche nach der Auferstehung Jesu
Christi war eine Gemeinschaft, in der Juden und Heiden, Sklaven und Freie, Frauen
und Männer aufgrund ihrer gleichen Gotteskindschaft miteinander zu einer neuen
Einheit fanden, sich gegenseitig bereicherten und miteinander feierten. Die Schule
und der Religionsunterricht können Orte sein, wo die Botschaft von der
Gastfreundschaft nicht nur gelehrt wird, die Ethik der Fremdenliebe und Toleranz
nicht nur gepredigt wird, sondern praktisch gelebt wird. Die Verkündigung des
Evangeliums, so zeigt uns die frühe Kirche, geht Hand in Hand mit der Praxis der
34
Biblisch gesehen begegnet uns Gott im Fremden, im kulturell Anderen, auch in den anderen
Religionen. Diese Erfahrung machte Abraham, der die drei Fremden bewirtete, die sich als Engel
Gottes erwiesen. (Gen 18,1ff) Indem ihnen Abraham Gastfreundschaft erweist, erhält Abraham die
Verheißung. Gott selbst ist es, der an die Tür anklopft. (Offb. 3,20) Das Gastrecht, Asylrecht und die
Gastfreundschaft werden so theologisch begründet, weil die Begegnung mit Fremden Orte der
Gottesbegegnung sind. Gott „liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung – auch ihr sollt
die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde in Ägypten gewesen“, heißt es im
Begründungszusammenhang des Alten Bundes. (Dtn 10,18f) Die Kindheitsgeschichte des Lukas
kennt die Geschichte von der Herbergssuche von Maria und Josef. (Lk2). Der Fremde lässt sich in
Emmaus von den Jüngern einladen und offenbart sich dabei selbst als der Auferstandene. (Lk 24,1335) Schließlich erleidet Jesus selbst das Schicksal des Fremden, der nicht aufgenommen wird, wie es
im Prolog des Johannesevangeliums heißt: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn
nicht auf.“ (Joh 1,10ff). Im Endgericht schließlich wird sich in der Frage der Gastfreundschaft
erweisen, wer aufgenommen wird oder nicht. (Mt 25,35)
35
FUCHS Ottmar: Die Öffnung zum Fremden. Bedingung christlichen Glaubens und Handelns, in:
BOCKLET Paul: Zu viele Fremde im Land?, Düsseldorf 1990, 136.
36
„Wenn an der Basis christlicher Gemeinden der Umgang der Christen mit den Fremden vor ihrer
eigenen Haustüre und in ihrem eigenen Land derart aufgebaut und kultiviert wird, dann wächst die
kommunikative Kraft des ganzen Christenvolkes zum diakonalen und respektvollen Umgang mit
konkreten Fremden im sozialen und politischen Alltag.“ FUCHS Ottmar ebd.
27
Gastfreundschaft, ja wäre ohne diese gar nicht ermöglicht worden.37 Dies gilt auch
für den Religionsunterricht heute, in dem Verkündigung durch die Gastfreundschaft
realisiert werden kann. Dies wird dann insbesondere bedeutsam, wenn in der Klasse
Rituale gefeiert werden, wenn Trauerarbeit über den Verlust eines lieben Menschen
geschieht usw.
Gott ist ein „Fremder in unserem Haus“, so der Titel eines Buches.38 Es würde
jedoch auch wieder eine negative Dynamik entstehen, wenn ich den Anderen und
Fremden nur oder vorrangig deswegen schätzen würde, weil ich von ihm lernen
kann, weil mir in ihm Gott begegnet, weil ich ihm helfen kann. Dann würde der
Andere wieder zum Objekt werden und nicht als Subjekt seiner selbst geschätzt. Die
Grundhaltung muss lautet: „Der Andere ist nach alledem immer bereits schon
deshalb wert geachtet, gerecht behandelt und geliebt zu werden, weil er ein Mensch
ist, und nicht erst dann, wenn er ganz bestimmte Bedingungen erfüllt.“ 39 Der Andere
wird in diese Haltung schon gar nicht als Bedrohung und Infragestellung der eigenen
Position betrachtet. Pointiert stellt Christoph Gellner dazu fest: „Diejenigen, die von
ihrem Glauben überzeugt sind, fühlen sich vom anderen Glauben nicht bedroht,
sondern bereichert.“40
Von dieser theologischen Fundierung aus gesehen können wir mit HabringerHagleitner festhalten, dass „Pluralität als Strukturprinzip religionspädagogischen
Handelns“41 ernst zu nehmen ist. In der Praktischen Theologie und
Religionspädagogik wird immer wieder auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht
zu lernen, mit anderen religiösen Traditionen umzugehen, „fremde religiöse
Traditionen als Impuls für die eigene religiöse Bildung zu begreifen“ und „in den
Anders-Gläubigen die Anders-Gläubigen zu entdecken.“42
6.11 Das „geschenkte Wir“ der Schulklasse
In der Kommunikativen Theologie wird gerne vom „geschenkten Wir“ gesprochen,
von der gnadenhaften Erfahrung, die mit Gemeinschaft verbunden ist. 43 Die
37
KOCH, a.a.O., 201.
HÜNERMANN Peter (Hg.): Gott – ein Fremder in unserem Haus? Die Zukunft des Glaubens in
Europa, Freiburg i. Br. 1997.
39
FUCHS Otmar, a.a.O. 142.
40
GELLNER, Christoph: Der Glaube der Anderen. Christsein inmitten der Weltreligionen, Düsseldorf
2008, 197.
41
HABRINGER-HAGLEITNER, a.a.O,15.
42
Zitate in: PETER, a.a.O, 43.
38
43
Vgl. SCHARER / HILBERATH, 96-122.
28
Klassengemeinschaft kann so eine Erfahrung des „geschenkten Wir“ sein. Sowohl für
die Schüler und Schülerinnen als auch für mich als Lehrer wird es immer wieder als
negativ erfahren, wenn gerade in der explizit religiösen Auseinandersetzung und
Feier dieses Wir der Klassengemeinschaft entlang von Konfessions- und
Glaubensgrenzen beschnitten wird. Aus meiner Erfahrung ist tatsächlich in den
meisten Fällen der Religionsunterrricht der einzige Ort an der Schule und im Leben
der Schüler und Schülerinnen, in dem die religiöse Zugehörigkeit und Beheimatung
zum Thema gemacht wird, wobei es freilich in jedem Fach und mit jeder Lehrkraft
geschehen könnte. Gerade in einer Zeit, in der die reine Wissensbeschaffung durch
die modernen Kommunikationstechnologien vielfach personenunabhängig geworden
ist, ist das Miteinanderlernen in den Klassen umso bedeutsamer geworden. Der
Lerngewinn ist größer, wenn ich vom Anderen, auch vom dem mir Fremden lernen
kann. Dies betrifft auch die religiöse Erfahrungswelt. Scharer und Hilberath sprechen
in diesem Zusammenhang von der „Begegnung an der Grenze“44. Wer bin ich als
Christin oder Katholikin, dies wird begreifbar „nicht mehr bloß ad intra im Rahmen
eines konfessionellen Milieus“, „sondern vermehrt ad extra im Kontext einer pluralen
Gesellschaft mit Bezug zu anderen Religionen und Weltanschauungen“45. Diesen
Rahmen und diese Räume sollte der Religionsunterricht der Zukunft bieten. Gesetze
und Verordnungen sind zu ändern, wo sie dem interreligiösen Lernen im Wege
stehen.
7 Vorschläge zum Weiterdenken
(1) Als katholischer Religionslehrer kann ich zunächst freilich nur von meiner
katholischen Tradition ausgehend schreiben und Vorschläge entwickeln. Mein
Wunsch richtet sich daher an meine Kirchenleitung und deren Schulämter, für
ein solches Konzept der Gastfreundschaft offen zu sein und Erprobungen
zuzulassen. Signale in diese Richtung gibt es.
(2) Laut Bundesrecht fällt die Gestaltung des Religionsunterrichtes den gesetzlich
anerkannten Kirchen oder Religionsgemeinschaften zu.46 Sie sind daher zum
Agieren herausgefordert, das mehr als ein Reagieren ist.
(3) In besonderer Weise könnten katholische Privatschulen bzw. Ordensschulen
zu Orten werden, wo interreligiöse Gastfreundschaft gelebt wird. Der große
44
SCHARER / HILBERATH, a.a.O. 46.
LEIMGRUBER, a.a.O., 28.
46
Vgl. §2,Absatz 1, in: Gesamte Rechtsvorschrift für Religionsunterrichtsgesetz vom 6.2.2015, in:
www.ris.bka.fvg.at, abgerufen am 12.2.2015.
45
29
Vorteil in solchen Schulen besteht darin, dass die Teilnahme an einem
Religionsunterricht verpflichtend ist.
(4) In solchen Schulen könnte es ermöglicht werden, dass ein Schüler oder eine
Schülerin beispielsweise im Fach Religion katholisch teilnimmt, weil dies aus
Majoritätsgründen im Klassenverband geschieht, darüber hinaus aber auch
den Religionsunterricht der eigenen Konfession besucht wird, wie dies vom
Gesetz her auch vorgesehen ist. In diesem Fall würde es zwei Noten im
Zeugnis geben: Pflichtfach Religion(Konfession) und Freigegenstand Religion.
(5) Zu den ersten Schritten könnte ein christlicher Religionsunterricht
exemplarisch ausprobiert werden, der von den christlichen Konfessionen
gemeinsam verantwortet wird und bewusst auch interreligiös offen ist, jedoch
zentral von christlichen Glaubensvorstellungen ausgeht.47
47
Vgl. dazu u.a.: Link-Wiecorek Ulrike (2014): Überlegungen zum Religionsunterricht der Zukunft, in:
Katechetische Blätter, Nr. 5/14, 376-379.