Ján Beljak/Noémi Pažinová
Die Wüste Burg bei Zvolen/Zólyom (Pustý hrad) in der mittleren Slowakei1
Abb. 1. Pustý hrad (Wüste Burg) bei Zvolen, Luftbild. Links oben die Obere
Burg, rechts unten die Untere Burg (Foto: J. Beljak).
Einleitung
Der Burgkomplex Pustý hrad (Wüste
Burg) bei Zvolen (Altsohl) erstreckt
sich auf einer 571 m ü. NN hohen
Kuppe des Höhenzugs Javorie in der
mittleren Slowakei. Der Komplex be-
steht aus der größeren Oberen (3,5 ha)
und der kleineren Unteren Burg (0,7
ha) (Abb. 1).
Erste archäologische Ausgrabungen
in der Burg fanden in den Jahren 1889
Abb. 2. Zvolen, Luftbildaufnahme der Unteren Burg von Osten (Foto: J. Beljak).
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bis 1890 unter dem Zvolener Juristen
Julius Thomka und dem Stuhlrichter in Zvolenská, Slatina Ludwig
Leustách, statt2. Eine moderne Erforschung der Anlage begann Anfang der
neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts
unter Vaclav Hanuliak, der sich vor
allem mit der Oberen Burg auseinandersetzte3. Seine langjährigen archäologischen Forschungen in den Jahren
zwischen 1992 und 2008 bewiesen
eindeutig die Existenz eines älteren
Stein-Erde-Walls aus der Bronzezeit
(Lausitzer und Kyjatice Kultur), auf
dem die mittelalterliche Burgmauer aufbaute. Die älteste, durch das
Fundmaterial belegte Besiedlung auf
der Burg gehört zur Badener Kultur
(Kupfersteinzeit, um 3500 bis 2800
v. Chr.). Eine eisenzeitliche Besiedlung belegen Fibeln und Keramik aus
der Latènezeit (5. bis 1. Jahrhundert
v. Chr.). Die frühmittelalterliche Besiedlung ist durch drei keramische
Fragmente vertreten.
Seit 2009 übernahm das Archäologische Institut der Slowakischen
Akademie der Wissenschaften in Nitra die Leitung der archäologischen
Erforschung der Burg. Diese jüngsten
Ausgrabungen konzentrieren sich vor
allem auf die Untere Burg (Abb. 2).
Die Burg in Zvolen wurde als Teil
der ungarischen königlichen Forstgespanschaft, eines königlichen Verwaltungsbezirks (Komitats), im 12.
Jahrhundert errichtet und erstmals in
einer königlichen Urkunde während
der Regierung des ungarischen Königs Andreas II. im ersten Drittel des
13. Jahrhunderts erwähnt. Die Obere
Burg scheint nach bisherigem Kenntnisstand älter zu sein als die Untere
Burg.
Das Ende der Burg wurde in der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
durch die Erbauung der moderneren
gotischen königlichen Residenz im
Stadtzentrum von Zvolen sowie durch
Thronstreitigkeiten eingeleitet.
Die Burg wird in den Quellen unter der konventionellen Bezeichnung
Zvolen (Altsohl) bzw. Zvolener Burg
genannt. Nach der Erbauung des jüngeren Schlosses wurde die Burg in den
Quellen auch als „Alte Burg“ bezeichnet. Die gegenwärtige Bezeichnung
Burgen und Schlösser 3/2012
Die Wüste Burg bei Zvolen/Zólyom (Pustý hrad) in der mittleren Slowakei
„Wüste Burg“ wird seit dem Ende des
18. Jahrhunderts verwendet.
Die Beschreibung der Burganlage
Das Areal der Oberen Burg ist durch
zwei Quermauern in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil befinden sich zwei
Wohntürme und das Eingangstor. Im
zweiten Teil, der ungefähr 1 ha groß
ist, sind Spuren von handwerklichen
Aktivitäten entdeckt worden. Zu diesem Teil gehört auch ein weiterer, an
die Ostmauer von außen angesetzter
Turm, der Mitte des 15. Jahrhunderts
von Westen durch einen eigenen Graben geschützt war. Die dichteste Bebauung weist der sogenannte gotische
Teil der Oberen Burg auf, und zwar in
der nördlichen Ecke. Hier befinden
sich auf einer Fläche von 0,5 ha der
Palas, die Zisterne und weitere Wohnund Wirtschaftsgebäude.
Ungefähr 100 m unterhalb erstreckt
sich die Untere Burg mit ihrer Befestigung. Der bedeutendste Bau war hier
der Wohnturm mit einer fast quadratischen Grundfläche von 19,8 x 19,9
m. Er zählte zu den größten Türmen
im ehemaligen ungarischen Königreich.
Die Doppelburg (Abb. 3, 4) in Zvolen war während ihres Bestehens eine
einzigartige Anlage, die in Bezug auf
ihre Architektur und die funktionelle
Organisation mit der königlichen
Burg in Visegrád – ebenfalls einer
Doppelburganlage – vergleichbar ist4.
Dort befindet sich auf einem kleinen
Ausläufer oberhalb der Donau ein
großer Wohnturm, und oben auf dem
Berggipfel erstreckt sich die viel größere Obere Burg. Auch hier sind die
Burgen miteinander verbunden. Eine
ähnliche Anordnung in stark vereinfachter Form wiederholt sich ebenfalls in der Burg Turiec (Zniev), einer
großen Befestigung mit zwei Wohntürmen auf erhöhten Bergkuppen5.
Die Baugeschichte der Burg
Die erste schriftliche Erwähnung der
Zvolener (Altsohler) Burg findet sich
in den Gesta Hungarorum aus dem
Anfang des 13. Jahrhunderts. Nach
dem Tatareneinfall Mitte des 13.
Jahrhunderts entstand die steinerne
Burgmauer – eine Befestigung zum
Schutz der Bewohner der Oberen und
auch der Unteren Burg. Die Bauorganisation lag bei dem Steinmetzmeister
Burgen und Schlösser 3/2012
Abb. 3. Zvolen, Lageplan des Burgkomplexes (© Archäologisches Institut der
slowakischen Akademie der Wissenschaften in Nitra).
Bertold. Im Jahre 1255 schenkte ihm
König Bela IV. für die Ausführung der
Arbeiten auf den königlichen Burgen
ein Gut, das zu der Zvolener Burg
gehörte (castro nostro de Zolum)6.
Die älteste Zvolener Burg diente im
13. Jahrhundert als Verwaltungszentrum für das umfangreiche königliche
Komitat Altsohl. Als zentrales Gebäude ist der Wohnturm (auch als Turm
I. oder Komitatsturm bezeichnet) an
der höchsten Stelle (571 m ü. NN) des
Burgbergs anzusprechen. Der Turm
war an dieser Stelle durchaus in der
Lage, den Zvolener Talkessel zu kontrollieren und den strategisch wichtigen Platz, das Flusstal des Gran/
Hron, zu überwachen. Die Datierung
des Turms auf Ende des 12. Jahrhunderts ist bisher nur eine theoretische
Annahme, da die archäologischen
Ausgrabungen bisher kein explizites
Ergebnis für sein Alter erbracht haben. Der Turm wurde bereits im Jahre 1889 ausgegraben, und die Funde
sind seitdem verschollen. V. Hanuliak führte zwar im Jahre 1994 eine
Revisionsgrabung durch, dabei wurden aber nur wenige in die Zeit Ende
des 12./ Anfang des 13. Jahrhunderts
datierbare Scherben gefunden. Rund
um den Turm kann man die Existenz
einer ehemaligen Befestigung7 und
weiterer Gebäude vermuten, die diese
Anlage als selbstständige Turmburg
auswiesen.
In die Zeit vor der Mitte des 13. Jahrhunderts datiert neben Turm I. auch
der älteste Teil der Unteren Burg: Der
massive Wohnturm (Abb. 5) lag auf
dem höchsten Teil der unteren Bergkuppe (477,6 m ü. NN) und damit
also fast 100 m niedriger als die Obere Burg. Die gesamte Grundrissfläche
beträgt 394 m2, die Innenmaße im Erdgeschoss betragen 13,3 x 13,3 m. Der
Turm hatte oberhalb dieses ebenerdigen Lagerraums wahrscheinlich noch
drei Wohngeschosse. Die höchsten
Teile der südöstlichen Ecke bestätigen
die Existenz eines fünften Geschosses, das eine defensive militärische
Funktion gehabt haben könnte. Die
Dicke der Wände im ersten Oberge147
Ján Beljak/Noémi Pažinová
Abb. 4. Zvolen, Burgkomplex mit Gebäuden. Oben: heutige Sicht des Burgareals. Unten: Rekonstruktionsversuch (basierend auf den Ergebnissen der
archäologischen Forschung) der Burg um die Mitte des 15. Jahrhunderts. 1
- Eingangstor der Oberen Burg, 2 - Turm I, 3 - Turm II, 4 - Turm III - Bastion,
5 - Quermauer I, 6 - Wohnturm der Unteren Burg mit Befestigung, 7 - Quermauer II, 8 - Burg von Donč (Zeichnung: M. Šimkovic, aus: Michal Šimkovic/
Jan Beljak/Pavol Maliniak, The Deserted of Zvolen (Pustý hrad Zvolen). Guide
to the castle, Zvolen 2012).
schoss beläuft sich auf 3,3 bis 3,4 m,
im fünften Obergeschoss auf 2,2 m.
Interessant ist, dass statt des für den
gesamten Turm charakteristischen
Ocker-Bindemittels mit Andesit-Kies
im obersten Geschoss Mauermörtel
mit Kieselsteinen verwendet wurde.
Aufgrund der Veränderungen in der
Dicke des Mauerwerks und des Mörtelcharakters kann vorläufig davon
ausgegangen werden, dass die oberste
Etage des Turms nachträglich hinzugefügt worden ist. Dank der archäologischen Funde und der Radiokarbondatierung verbrannter Hölzer aus
herabgefallenen Stützbalken können
wir die Errichtung des Wohnturms in
den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts annehmen. Sein Ende kam
wahrscheinlich Ende des 14. bzw. um
die Wende zum 15. Jahrhundert, denn
aus späterer Zeit gibt es keine archäologischen Funde auf dem Gebiet der
Unteren Burg.
Der nachfolgende Bauabschnitt lässt
sich in die Mitte des 13. Jahrhunderts
datieren. In dieser Zeit ist die umfangreiche Befestigungslinie der beiden
Burgen entstanden. Zuerst wurde die
Ummauerung des Plateaus der Oberen Burg mit einem Mauerwerk von
etwa 2 m Dicke und 6 m Höhe durchgeführt. Die Befestigung wurde an
vielen Stellen in den Berghang gelegt
und nahm einen großen Bereich mit
Abmessungen von 430 x 90 m ein.
Die Innenfläche der Oberen Burg
ist stark höhenstrukturiert und überwiegend geböscht, weist kaum ebene Flächen auf. Der Zugang wurde
durch den Torturm an der Südspitze
der befestigten Fläche geschützt. Das
ursprüngliche Tor war so gestaltet,
dass es nach innen zu öffnen und mindestens ein Stockwerk höher als die
angrenzende Mauer war.
Zu den charakteristischen Merkmalen
von Befestigungen gehört auch die
Tatsache, dass neben dem Eingangstor noch weitere vier, etwa 0,8 bis 1,2
m breite kleinere Durchgangs- bzw.
Abb. 5. Zvolen, massiver Wohnturm in der Unteren Burg.
Abb. 6. Zvolen, Ende der in Richtung Obere Burg vorgeschobenen Befestigungsmauer der Unteren Burg (Fotos: J. Beljak).
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Burgen und Schlösser 3/2012
Die Wüste Burg bei Zvolen/Zólyom (Pustý hrad) in der mittleren Slowakei
Ausfalltore an verschiedenen Stellen
in der Burgmauer der Oberen Burg
angelegt wurden.
An die Befestigung der Oberen Burg
grenzte wahrscheinlich fast unmittelbar die Sperrmauer zur besseren Verteidigung der Unteren Burg an. Diese
Mauer hatte hier eine Dicke von 2,5
m und eine noch erhaltene Höhe von 2
bis 3 m (ursprünglich betrug die Höhe
der Mauer vermutlich bis zu 6 m). Der
befestigte Innenhof der Unteren Burg
hatte eine ovale Form mit einer 183 x
38 m großen Ausdehnung. Der früher
erbaute Wohnturm lag direkt an der
Spitze der Befestigung über dem Eingang der östlichen Zufahrtsstraße. An
der südwestlichen Turmecke beträgt
die Dicke der angrenzenden Burgmauer lediglich 1,7 m. Danach wird sie bis
zu 2 m breit und führt nach Südwesten
geradeaus weiter bis zum Bergsattel
unterhalb des Turms. Dort schnitt die
Mauer den Zufahrtsweg zum Haupteingangstor zur Unteren Burg ab; es
befand sich dort ein 2,8 m breites Tor.
An dieser Stelle ist die Existenz einer
bisher unbekannten Toranlage zu vermuten. Die Mauer lief dann auf dem
Bergrücken weiter zur Oberen Burg.
Die Absicht der Erbauer zielte offensichtlich darauf, die beiden Burgen
in eine gewaltige, miteinander verbundene Burganlage zu verwandeln.
Nach etwa 200 m hört der Mauerverlauf jedoch auf, und weitere etwa 200
m folgt nur noch der natürliche Fels.
Die archäologische Sondage hat das
ursprünglich beabsichtigte Ende der
Mauer eindeutig bewiesen. Es scheint
so, dass die ganze Befestigungslinie in
ihrer geplanten Form (von fast 1,5 km
Gesamtlänge fehlen lediglich 200 m)
nie verwirklicht wurde. Am Mauerende wurde lediglich eine Mauerzeile
freigelegt, deren Breite 1,7 m beträgt
(Abb. 6). Es wurde keine weiterlaufende hölzerne Palisade ergraben, und
in dem Fels waren keine Pfostengruben sichtbar.
Das Haupteingangstor zur Unteren
Burg (Abb. 7) befindet sich auf der
nordwestlichen Seite des Burgareals,
etwa 30 m von der dortigen Ecke des
Turms entfernt. Der Zugangsweg zur
Burg führte also auf dem längeren Abschnitt entlang der Burgbefestigung.
Das Tor ist in Nord-Süd-Richtung
orientiert (der Eingang erfolgte von
Süden und wurde von zwei parallelen
Mauern gebildet). Die Mauerenden
decken sich auf einer Länge von 3,5
m und bilden einen etwa 3,4 m breiten
Burgen und Schlösser 3/2012
Abb. 7. Zvolen, Haupteingangstor der Unteren Burg. Sicht von außen nach
innen (Foto: J. Beljak).
Korridor. Die Torgewände bestehen
aus bearbeiteten, 0,5 bis 0,56 m dicken
Blocksteinen aus Andesit. Das Portal
ist 2,88 m breit und hat bis zu 2 m tiefe
Gewände; auf der Innenseite gab es
ein zweiflügeliges Tor, das senkrechte
Drehscheiben hatte, deren Unterseite und Steinlager ineinandergriffen.
Aufgrund der breiteren Mauer auf der
Innenseite kann man davon ausgehen,
dass das Tor hinter dem Portal ein sehr
kurzes, nur 1,5 m langes Durchgangstor hatte, das eingewölbt gewesen sein
könnte. Daraus folgt wohl, dass über
dem Durchgangstor noch mindestens
ein Geschoss vorhanden war. Auf der
Außenseite des Tors endet eine hier
steingepflasterte Straße. Der Weg zur
Unteren Burg bog scharf hinter dem
Haupteingangstor auf den Innenhof
ab und führte westlich entlang der
Befestigung zum Turm.
Auf der westlichen Innenseite der Befestigung konnten in der Nähe des
Haupteingangstors die Reste eines
Lehmofens entdeckt werden. Dieser
hatte einen kreisförmigen Grundriss
mit einem Innendurchmesser von
etwa 0,8 m. An seinem östlichen
Rand war eine größere Menge ab-
Abb. 8. Zvolen, Kleines Ausfalltor auf der Unteren Burg. Sicht von innen nach
außen (Foto: J. Beljak).
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Ján Beljak/Noémi Pažinová
Abb. 9. Zvolen, Luftbildaufnahme der „Burg von Donč“ auf der nördlichen
Seite der Oberen Burg (Foto: J. Beljak).
gefallener Mauersteine sichtbar. In
seiner Nähe wurde eine markante
Anhäufung von keramischen Fragmenten und Gegenständen aus Eisen entdeckt (z. B. Nägel, Messer,
Schnallen, Hufeisen). Es wurde sogar
ein silberner Hochzeitsdenar von Ladislaus IV. dem Kumanen und seiner
Gemahlin Isabel von Anjou aus dem
letzten Drittel des 13. Jahrhunderts
gefunden. Auf dessen Reversseite ist
ein Drache dargestellt, der in der mittelalterlichen Ikonografie Macht und
Kraft symbolisierte. Die Dendrodatierung eines verbrannten Holzbalkens
aus der unmittelbaren Nähe des Ofens
ergab das Jahr 1222. Auf der Unteren
Burg wurde neben dem Haupttor auch
ein kleines Tor entdeckt. Forschungen
konnten belegen, dass es sich um ein
kleines Tor für Personen handelt (Abb.
8), das sich in der 2,5 m dicken Burgmauer befand. Seine Breite beträgt 1,2
bis 1,25 m; außen hat sich eine etwa
0,25 x 0,26 m große Steinschwelle
erhalten. An die Gewände auf der Innenseite knüpften die Laibungen der
Öffnung senkrecht zur Mauerflucht
an. Sie haben sich bis auf eine Höhe
von 0,8 bis 0,9 m erhalten.
Durch die Errichtung der Unteren
Burg entstand eine königliche Doppelburg mit unterschiedlichen Funktionen der beiden Teile. Die Obere
Burg dürfte Sitz des Komitats gewesen sein, also Verwaltungsfunktion
150
gehabt haben; der Turm der Unteren
Burg sollte als zeitweilige königliche
Residenz während der Aufenthalte in
Zvolen (Altsohl) dienen. Wir gehen
davon aus, dass die Obere Burg der
wichtigste Siedlungsteil des Areals –
und zwar der Sitz des Zvolener königlichen Komitatsgespans – war.
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts genügten die Räume des ältesten
Turms (Turm I) wohl nicht mehr den
Bedürfnissen seiner Bewohner. Dieses Problem löste man mit der Errichtung eines weiteren Residenzbaues.
Auf einem niedrigerem Ausläufer
des oberen Bergteils entstand – dem
ältesten Wohnturm gegenüber – ein
kleinerer Wohnturm (sog. Turm II)
mit einem Prisma-förmigen Grundriss und mit Ausmaßen von 11,2 x
11 m. Ein weiterer Turm (III.) mit
unregelmäßig rechteckigem Grundriss von 11 x 7 m wurde später an die
östliche Burgmauer der Oberen Burg
angebaut, wobei man sinnvollerweise
die dominante Lage dieses Geländes,
das sich an seiner Außenkante rapide
absenkt, ausnutzte. Von hier konnte
man außerdem die inneren Wege kontrollieren sowie die Zugangsstraße zur
Unteren Burg, die ungefähr 80 m östlich davon lag.
Während der Grabungen wurden in
der sogenannten Bastion neben zahlreichen Keramik-Bruchstücken aus
dem 13. bis 15. Jahrhundert auch gefälschte Münzen – Wiener Pfennige
von Ottokar II. Přemysl (1251 bis
1276) und Albrecht I. (1282 bis 1298)
– und gleicharmige Kaufmanns-Waagen gefunden. Die Münzenfälschung,
die auch im Wohnturm Nr. II belegt
wurde (Tiegel zum Metallgießen),
ist ein Phänomen, das Ende des 13.
und Anfang des 14. Jahrhunderts als
charakteristisch für die Zeit anzusehen ist8. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die königlichen
Gespane nach dem Tod des letzten
Arpaden, Andreas III. (†1301) infolge
der Destabilisierung der Verhältnisse
die Herstellung der Falschmünzen unterstützten. Auch das Bestreben um
Rettung des lokalen Marktes vor dem
Ruin könnte eine Rolle gespielt haben,
da zur Jahrhundertwende eine feudale
Anarchie im Königreich herrschte,
die sich im wirtschaftlichen Verfall
des Landes mit unbeschränkter Macht
der Oligarchie widerspiegelte.
In die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts lassen sich auch die Ummantelung und wahrscheinlich die Erhöhung des ältesten Turms (I.) auf der
Oberen Burg datieren. Im 14. Jahrhundert verzichteten die Burgbesitzer
völlig auf eine Erweiterung der älteren
Gebäude und errichteten stattdessen
auf der freien Fläche im niedrigsten
Teil der Oberen Burg eine neue Anlage, die den gewachsenen Ansprüchen
an Wohnen und Repräsentation entsprach. Diese Bautätigkeit hängt mit
den Gespanen Demeter und Donch
zusammen. Daher hat dieser Abschnitt der Burg den Arbeitsnamen
„Burg von Magister Donč“ erhalten.
Die neue Burgeinheit sollte vor allem
dem bequemen Wohnen dienen; der
Befestigungscharakter des Bauwerks
verlor allmählich an Bedeutung. Davon zeugen auch die nicht so günstige Lage des Baukomplexes – am
Ende des Hangs – und auch der relativ flache Burggraben vor der neuen
Burgmauer (Abb. 9).
Zentrales Bauwerk dieses neuen
Burgteils war ein umfangreicher,
drei- bis vierstöckiger Palas, der in
der Nordost-Ecke der früheren Befestigung errichtet wurde. Das Erdgeschoss mit einem Innenraum von 20 x
8 m diente als Lager. Der Palas wurde
durch kleinere Wirtschaftsbauten auf
einem terrassenförmig angelegten
Burghof ergänzt. Die wachsenden
Ansprüche an die Ausstattung der
Burgen und Schlösser 3/2012
Die Wüste Burg bei Zvolen/Zólyom (Pustý hrad) in der mittleren Slowakei
Burg erforderten im Laufe der zweiten Hälfte des 14. und zu Anfang des
15. Jahrhunderts den Bau einer großen
Zisterne. An der Westseite des Palas
entstand daher auch ein kleines Bauwerk mit einem Filterbehälter, der zur
Reinigung des gesammelten Wassers
diente. Gleichzeitig wurde auch ein
neuer Wohnflügel errichtet. Auf diese
Weise strebte man danach, einen regelmäßigen Grundriss gotischer Residenzen nachzuahmen.
Die meisten Wirtschaftsgebäude und
Werkstätten wurden vor allem im
nördlichsten Teil der Oberen Burg und
in der Vorburg lokalisiert9. Alle Wirtschaftsbauten hatten eine Holzkonstruktion bzw. ein Steinfundament mit
einer Blockkonstruktion der Wände
und wurden auf künstlich gebildeten
Terrassen errichtet, weil das ursprüngliche Terrain sehr uneben und schwer
zu bebauen war. Die archäologischen
Funde belegen Metallbearbeitung sowie die Herstellung von Gegenständen aus Holz, Knochen und Geweih10.
Im Laufe des 14. Jahrhunderts konzentrierte sich die Aufmerksamkeit
vor allem auf die Anpassung der
Wohnräume. Die einzige nachweisbare Verstärkung der Befestigung,
darunter des Haupteingangs der Oberen Burg, war der Aufbau eines massiven Torturms mit einem Portal, das
mit einem Fallgitter geschützt wurde
(Abb. 10).
Das 15. Jahrhundert stand im Zeichen des Verfalls der Burg. Ihre Lage
auf unzugänglichem Gelände, „archaisch“ große innere Flächen und
eine unmoderne Befestigung entsprachen nicht mehr der damaligen militärischen Technik. Archäologische
Funde belegen, dass die Untere Burg
am Ende des 14. bzw. am Anfang des
15. Jahrhunderts nicht mehr
genutzt wurde. Hinzu kam vor
allem auch die Erbauung des
moderneren Zvolener Schlos-
Abb. 10. Zvolen, Torturm der Oberen Burg (Foto: J. Beljak).
ses in Stadtmitte im letzten Viertel
des 14. Jahrhunderts. Dieses wurde
zu einer der neueren Residenzen der
ungarischen Könige.
Letzte Veränderungen auf der Oberen Burg hängen mit dem Aufenthalt
des Heeres von Johann Giskra von
Brandeis11 in Zvolen zusammen. Giskras Heere rechneten nicht mehr mit
der Verteidigung der gesamten umfangreichen Befestigung, die damals
wahrscheinlich schon zum Teil ruinös war. Deshalb bauten sie Gräben
und Wälle um die Türme der Oberen
Burg, und dadurch wurden diese zu
selbstständigen Bauten. Die Kriegsereignisse und die anspruchsvolle Instandhaltung trugen wahrscheinlich
zur Verödung der alten Zvolener Burg
bei. Eine vorübergehende Wiederbelebung einer ursprünglichen Funktion
der Burg kam in der Zeit der osma-
nischen Bedrohung: Die Burg diente
zur Beobachtung der Umgebung und
zur Sendung von Warnsignalen vor
den Bewegungen des feindlichen
Heeres. Ein neu aufgebauter Wachtturm (Wachtposten) ist im Jahre 1564
belegt. Im 17. Jahrhundert – nach den
osmanischen Angriffen – verlor die
Burg endgültig ihre strategische Bedeutung und fiel wüst.
Fundbearbeitung
In vorliegenden Beitrag wurden die
Funde absichtlich nicht näher erläutert, da sie noch nicht vollständig ausgewertet worden sind. Aus dem reichen Fundmaterial sind bisher meist
nur Einzel- und Prachtstücke publiziert worden. Zahlreiche Fragmente
von Keramik, Metallen, Knochenund Geweihgegenständen sowie an-
Abb. 11. u. 12. Zvolen, Fundstücke: Buchbeschlag, gefunden auf der Oberen Burg
sowie Zierbeschlag aus der
Unteren Burg (Fotos: J. Beljak).
Burgen und Schlösser 3/2012
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Ján Beljak/Noémi Pažinová
dere Fundgattungen aus der Oberen
und der Unteren Burg müssen noch
ausgewertet werden. Mit der Bearbeitung wurde bereits begonnen. In Kürze sind erste Resultate zu erwarten, die
weitere Erkenntnisse zur Datierung,
Chronologie und auch zum Alltagsleben auf der Burg beitragen werden.
Ausblick
Die archäologische Forschung auf der
Wüsten Burg in Zvolen wird auch
in den nächsten Jahren fortgeführt12.
„Hauptsponsor“ der Erforschung ist
die Stadt Zvolen, die als Besitzerin
der Burg schon mehr als 20 Jahre Forschungen aktiv unterstützt. Der Plan
sieht vor, im Besonderen den Wohnturm auf der Unteren Burg und deren Hinterland zu untersuchen. Eine
Herausforderung für die Archäologen
auf der Oberen Burg bedeuten die Erforschung der Zisterne und eine systematische Flächengrabung des
Burghofs.
Miroslav Plaček/Martin Bóna, Encyklopédia slovenských hradov, Bratislava
2007, S. 30–31.
Richard Marsina, Codex diplomaticus et
epistolaris Slovaciae II, Bratislava 1987.
Auf der Skizze der Grabung aus dem Jahr
1889 ist ein doppelter Graben erkennbar.
Vgl. Beljak/Maliniak/Pažinová 2011 (wie
Anm. 2), Abb. 5.
Václav Hanuliak/Ján Hunka, Poklad
mincí z Pustého hradu pri Zvolene (Der
Münzschatz aus „Pustý hrad“ [Wüste
Burg] bei Zvolen. In: Archaeologia historica 25, 2000, S. 359–367.
Václav Hanuliak/Michal Šimkovic,
Dončov hrad a vrcholne stredoveké refúgium nad Zvolenom (Die Burg von Donč
und das hochmittelalterliche Refugium
über Zvolen). In: Archaeologia historica
22, 1997, S. 161–168.
Václav Hanuliak, Materiálne doklady remeselníckych dielní na Pustom hrade (Realkundliche Belege der handwerklichen
Werkstätte in der „Pustý hrad“ – Wüsten Burg). In: Archaeologia historica 26,
2001, S. 185–191; Václav Hanuliak/Peter
Cengel/Alois Holly, Príspevok ku spracovaniu kovov na lokalite Zvolen-Pustý
hrad (Beitrag zur Metallverarbeitung auf
der Fundstelle Zvolen – Wüstete Burg).
In: Jozef Labuda/Adriana FančovičováMatejková (Hrsg.), História hutníctva v
stredoslovenskej banskej oblasti, Banská
Štiavnica 2003, S. 9–13.
Nach dem Tod von Sigismund rief die
für den minderjährigen König Ladislav
Postumus regierende ungarische Köni-
ginwitwe Elizabeth von Luxemburg ein
Söldnerheer unter Johann Giskra zur
Unterstützung gegen den rivalisierenden,
ebenfalls zum König gekrönten aus Polen
stammenden Wladyslaw. Diese Söldner
setzten sich im ungarischen Oberland
fest, und Giskra erhielt die Einnahmen
aus den Bergwerken, zog die Steuern ein,
legte eine Besatzung in die königlichen
Burgen des Gebiets und eroberte Burgen
der Anhänger seines Rivalen Wladyslaw.
Mit fünftausend Mann besetzte er die
Mittelslowakei und einen Teil der Ostslowakei. Damit unterbrach er den direkten
Weg zwischen Ungarn und Polen. …
Wladyslaw hatte zu der Zeit keine Möglichkeit, Giskra gefährlich zu werden,
da die meisten seiner Heere gegen die
Türkeninvasion kämpfen mussten, sodass
er mit ihm ein Stillhalteabkommen abschloss, welches er immer verlängerte.
Nachdem Wladyslaw nach der Schlacht
um Warna verschollen blieb und dessen
Armeen vernichtend geschlagen wurden,
ernannte man Giskra zu einem der sieben Kapitäne, die Ungarn verwalteten.
Im Grunde bezog sich seine Herrschaft
auf die Slowakei, wobei er seinen Sitz auf
der Burg Pustý hrad bei Altsohl und in
Kaschau eingerichtet haben soll (http://
de.wikipedia.org/wiki/Johann_Giskra).
Vgl. auch František Oslanský, The role
of John Jiskra in the History of Slovakia.
In: Human Affairs 6, Bratislava 1996, S.
19–33.
Die neuesten Forschungsergebnisse finden sich nach jeder Sommersaison aktualisiert auf: www.pustyhrad.com.
Anmerkungen
1
2
3
4
Der Artikel entstand im Rahmen des Projektes UGA I/23/2012 „Fortifikácie na
sútoku Hrona a Slatiny“ (Fortifikationen
am Zusammenfluss von Gran und Slatina).
Ján
Beljak/Pavol
Maliniak/Noémi
Pažinová, Zvolenský Pustý hrad vo
svetle archeologického bádania (od amatérskych výkopov až po začiatok systematického výskumu) (Die Zvolener Burg
Pustý hrad im Lichte der archäologischen
Forschung [seit den Amateurgrabungen
bis zu den Anfängen systematischer Grabungen]. In: Archaeologia historica 36,
2011, S. 265–278.
Václav Hanuliak, Archeologický výskum
zvolenského komitátneho hradu: výsledky po druhej výskumnej sezóne (Archäologische Erforschung der Zvolener
Komitatsburg: Ergebnisse der zweiten
Forschungskampagne). In: Archaeologia
historica 19, 1994, S. 207–2013; ders.,
Doklady hmotnej kultúry Starého Zvolena (Pustého hradu) od 12. do 17. Storočia
(Materielle Kultur aus Alt-Zvolen [Pustý
hrad, dt.: „Wüste Burg“] im 12.-17. Jahrhundert). In: Archaeologia historica 24,
1999, S. 351–361; ders., Pustý hrad nad
Zvolenom (Die Wüste Burg bei Zvolen).
In: Pamiatky a múzeá 1, 1998, S. 14–18.
Mátyás Szőke/Gergely Buzás, A visegrádi
Alsóvár a XIII. században. In: Várak a 13.
Században (Burgen im 13. Jahrhundert).
Castrum Bene 1989, Gyöngyös 1990,
S. 121–134; József Laszlovszky (Hrsg.),
Medieval Visegrád (Royal Castle, Palace,
Town and Franciscan Friary), Budapest
1995, S. 1–172.
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8
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