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Ján Beljak/Noémi Pažinová Die Wüste Burg bei Zvolen/Zólyom (Pustý hrad) in der mittleren Slowakei1 Abb. 1. Pustý hrad (Wüste Burg) bei Zvolen, Luftbild. Links oben die Obere Burg, rechts unten die Untere Burg (Foto: J. Beljak). Einleitung Der Burgkomplex Pustý hrad (Wüste Burg) bei Zvolen (Altsohl) erstreckt sich auf einer 571 m ü. NN hohen Kuppe des Höhenzugs Javorie in der mittleren Slowakei. Der Komplex be- steht aus der größeren Oberen (3,5 ha) und der kleineren Unteren Burg (0,7 ha) (Abb. 1). Erste archäologische Ausgrabungen in der Burg fanden in den Jahren 1889 Abb. 2. Zvolen, Luftbildaufnahme der Unteren Burg von Osten (Foto: J. Beljak). 146 bis 1890 unter dem Zvolener Juristen Julius Thomka und dem Stuhlrichter in Zvolenská, Slatina Ludwig Leustách, statt2. Eine moderne Erforschung der Anlage begann Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts unter Vaclav Hanuliak, der sich vor allem mit der Oberen Burg auseinandersetzte3. Seine langjährigen archäologischen Forschungen in den Jahren zwischen 1992 und 2008 bewiesen eindeutig die Existenz eines älteren Stein-Erde-Walls aus der Bronzezeit (Lausitzer und Kyjatice Kultur), auf dem die mittelalterliche Burgmauer aufbaute. Die älteste, durch das Fundmaterial belegte Besiedlung auf der Burg gehört zur Badener Kultur (Kupfersteinzeit, um 3500 bis 2800 v. Chr.). Eine eisenzeitliche Besiedlung belegen Fibeln und Keramik aus der Latènezeit (5. bis 1. Jahrhundert v. Chr.). Die frühmittelalterliche Besiedlung ist durch drei keramische Fragmente vertreten. Seit 2009 übernahm das Archäologische Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Nitra die Leitung der archäologischen Erforschung der Burg. Diese jüngsten Ausgrabungen konzentrieren sich vor allem auf die Untere Burg (Abb. 2). Die Burg in Zvolen wurde als Teil der ungarischen königlichen Forstgespanschaft, eines königlichen Verwaltungsbezirks (Komitats), im 12. Jahrhundert errichtet und erstmals in einer königlichen Urkunde während der Regierung des ungarischen Königs Andreas II. im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts erwähnt. Die Obere Burg scheint nach bisherigem Kenntnisstand älter zu sein als die Untere Burg. Das Ende der Burg wurde in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch die Erbauung der moderneren gotischen königlichen Residenz im Stadtzentrum von Zvolen sowie durch Thronstreitigkeiten eingeleitet. Die Burg wird in den Quellen unter der konventionellen Bezeichnung Zvolen (Altsohl) bzw. Zvolener Burg genannt. Nach der Erbauung des jüngeren Schlosses wurde die Burg in den Quellen auch als „Alte Burg“ bezeichnet. Die gegenwärtige Bezeichnung Burgen und Schlösser 3/2012 Die Wüste Burg bei Zvolen/Zólyom (Pustý hrad) in der mittleren Slowakei „Wüste Burg“ wird seit dem Ende des 18. Jahrhunderts verwendet. Die Beschreibung der Burganlage Das Areal der Oberen Burg ist durch zwei Quermauern in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil befinden sich zwei Wohntürme und das Eingangstor. Im zweiten Teil, der ungefähr 1 ha groß ist, sind Spuren von handwerklichen Aktivitäten entdeckt worden. Zu diesem Teil gehört auch ein weiterer, an die Ostmauer von außen angesetzter Turm, der Mitte des 15. Jahrhunderts von Westen durch einen eigenen Graben geschützt war. Die dichteste Bebauung weist der sogenannte gotische Teil der Oberen Burg auf, und zwar in der nördlichen Ecke. Hier befinden sich auf einer Fläche von 0,5 ha der Palas, die Zisterne und weitere Wohnund Wirtschaftsgebäude. Ungefähr 100 m unterhalb erstreckt sich die Untere Burg mit ihrer Befestigung. Der bedeutendste Bau war hier der Wohnturm mit einer fast quadratischen Grundfläche von 19,8 x 19,9 m. Er zählte zu den größten Türmen im ehemaligen ungarischen Königreich. Die Doppelburg (Abb. 3, 4) in Zvolen war während ihres Bestehens eine einzigartige Anlage, die in Bezug auf ihre Architektur und die funktionelle Organisation mit der königlichen Burg in Visegrád – ebenfalls einer Doppelburganlage – vergleichbar ist4. Dort befindet sich auf einem kleinen Ausläufer oberhalb der Donau ein großer Wohnturm, und oben auf dem Berggipfel erstreckt sich die viel größere Obere Burg. Auch hier sind die Burgen miteinander verbunden. Eine ähnliche Anordnung in stark vereinfachter Form wiederholt sich ebenfalls in der Burg Turiec (Zniev), einer großen Befestigung mit zwei Wohntürmen auf erhöhten Bergkuppen5. Die Baugeschichte der Burg Die erste schriftliche Erwähnung der Zvolener (Altsohler) Burg findet sich in den Gesta Hungarorum aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts. Nach dem Tatareneinfall Mitte des 13. Jahrhunderts entstand die steinerne Burgmauer – eine Befestigung zum Schutz der Bewohner der Oberen und auch der Unteren Burg. Die Bauorganisation lag bei dem Steinmetzmeister Burgen und Schlösser 3/2012 Abb. 3. Zvolen, Lageplan des Burgkomplexes (© Archäologisches Institut der slowakischen Akademie der Wissenschaften in Nitra). Bertold. Im Jahre 1255 schenkte ihm König Bela IV. für die Ausführung der Arbeiten auf den königlichen Burgen ein Gut, das zu der Zvolener Burg gehörte (castro nostro de Zolum)6. Die älteste Zvolener Burg diente im 13. Jahrhundert als Verwaltungszentrum für das umfangreiche königliche Komitat Altsohl. Als zentrales Gebäude ist der Wohnturm (auch als Turm I. oder Komitatsturm bezeichnet) an der höchsten Stelle (571 m ü. NN) des Burgbergs anzusprechen. Der Turm war an dieser Stelle durchaus in der Lage, den Zvolener Talkessel zu kontrollieren und den strategisch wichtigen Platz, das Flusstal des Gran/ Hron, zu überwachen. Die Datierung des Turms auf Ende des 12. Jahrhunderts ist bisher nur eine theoretische Annahme, da die archäologischen Ausgrabungen bisher kein explizites Ergebnis für sein Alter erbracht haben. Der Turm wurde bereits im Jahre 1889 ausgegraben, und die Funde sind seitdem verschollen. V. Hanuliak führte zwar im Jahre 1994 eine Revisionsgrabung durch, dabei wurden aber nur wenige in die Zeit Ende des 12./ Anfang des 13. Jahrhunderts datierbare Scherben gefunden. Rund um den Turm kann man die Existenz einer ehemaligen Befestigung7 und weiterer Gebäude vermuten, die diese Anlage als selbstständige Turmburg auswiesen. In die Zeit vor der Mitte des 13. Jahrhunderts datiert neben Turm I. auch der älteste Teil der Unteren Burg: Der massive Wohnturm (Abb. 5) lag auf dem höchsten Teil der unteren Bergkuppe (477,6 m ü. NN) und damit also fast 100 m niedriger als die Obere Burg. Die gesamte Grundrissfläche beträgt 394 m2, die Innenmaße im Erdgeschoss betragen 13,3 x 13,3 m. Der Turm hatte oberhalb dieses ebenerdigen Lagerraums wahrscheinlich noch drei Wohngeschosse. Die höchsten Teile der südöstlichen Ecke bestätigen die Existenz eines fünften Geschosses, das eine defensive militärische Funktion gehabt haben könnte. Die Dicke der Wände im ersten Oberge147 Ján Beljak/Noémi Pažinová Abb. 4. Zvolen, Burgkomplex mit Gebäuden. Oben: heutige Sicht des Burgareals. Unten: Rekonstruktionsversuch (basierend auf den Ergebnissen der archäologischen Forschung) der Burg um die Mitte des 15. Jahrhunderts. 1 - Eingangstor der Oberen Burg, 2 - Turm I, 3 - Turm II, 4 - Turm III - Bastion, 5 - Quermauer I, 6 - Wohnturm der Unteren Burg mit Befestigung, 7 - Quermauer II, 8 - Burg von Donč (Zeichnung: M. Šimkovic, aus: Michal Šimkovic/ Jan Beljak/Pavol Maliniak, The Deserted of Zvolen (Pustý hrad Zvolen). Guide to the castle, Zvolen 2012). schoss beläuft sich auf 3,3 bis 3,4 m, im fünften Obergeschoss auf 2,2 m. Interessant ist, dass statt des für den gesamten Turm charakteristischen Ocker-Bindemittels mit Andesit-Kies im obersten Geschoss Mauermörtel mit Kieselsteinen verwendet wurde. Aufgrund der Veränderungen in der Dicke des Mauerwerks und des Mörtelcharakters kann vorläufig davon ausgegangen werden, dass die oberste Etage des Turms nachträglich hinzugefügt worden ist. Dank der archäologischen Funde und der Radiokarbondatierung verbrannter Hölzer aus herabgefallenen Stützbalken können wir die Errichtung des Wohnturms in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts annehmen. Sein Ende kam wahrscheinlich Ende des 14. bzw. um die Wende zum 15. Jahrhundert, denn aus späterer Zeit gibt es keine archäologischen Funde auf dem Gebiet der Unteren Burg. Der nachfolgende Bauabschnitt lässt sich in die Mitte des 13. Jahrhunderts datieren. In dieser Zeit ist die umfangreiche Befestigungslinie der beiden Burgen entstanden. Zuerst wurde die Ummauerung des Plateaus der Oberen Burg mit einem Mauerwerk von etwa 2 m Dicke und 6 m Höhe durchgeführt. Die Befestigung wurde an vielen Stellen in den Berghang gelegt und nahm einen großen Bereich mit Abmessungen von 430 x 90 m ein. Die Innenfläche der Oberen Burg ist stark höhenstrukturiert und überwiegend geböscht, weist kaum ebene Flächen auf. Der Zugang wurde durch den Torturm an der Südspitze der befestigten Fläche geschützt. Das ursprüngliche Tor war so gestaltet, dass es nach innen zu öffnen und mindestens ein Stockwerk höher als die angrenzende Mauer war. Zu den charakteristischen Merkmalen von Befestigungen gehört auch die Tatsache, dass neben dem Eingangstor noch weitere vier, etwa 0,8 bis 1,2 m breite kleinere Durchgangs- bzw. Abb. 5. Zvolen, massiver Wohnturm in der Unteren Burg. Abb. 6. Zvolen, Ende der in Richtung Obere Burg vorgeschobenen Befestigungsmauer der Unteren Burg (Fotos: J. Beljak). 148 Burgen und Schlösser 3/2012 Die Wüste Burg bei Zvolen/Zólyom (Pustý hrad) in der mittleren Slowakei Ausfalltore an verschiedenen Stellen in der Burgmauer der Oberen Burg angelegt wurden. An die Befestigung der Oberen Burg grenzte wahrscheinlich fast unmittelbar die Sperrmauer zur besseren Verteidigung der Unteren Burg an. Diese Mauer hatte hier eine Dicke von 2,5 m und eine noch erhaltene Höhe von 2 bis 3 m (ursprünglich betrug die Höhe der Mauer vermutlich bis zu 6 m). Der befestigte Innenhof der Unteren Burg hatte eine ovale Form mit einer 183 x 38 m großen Ausdehnung. Der früher erbaute Wohnturm lag direkt an der Spitze der Befestigung über dem Eingang der östlichen Zufahrtsstraße. An der südwestlichen Turmecke beträgt die Dicke der angrenzenden Burgmauer lediglich 1,7 m. Danach wird sie bis zu 2 m breit und führt nach Südwesten geradeaus weiter bis zum Bergsattel unterhalb des Turms. Dort schnitt die Mauer den Zufahrtsweg zum Haupteingangstor zur Unteren Burg ab; es befand sich dort ein 2,8 m breites Tor. An dieser Stelle ist die Existenz einer bisher unbekannten Toranlage zu vermuten. Die Mauer lief dann auf dem Bergrücken weiter zur Oberen Burg. Die Absicht der Erbauer zielte offensichtlich darauf, die beiden Burgen in eine gewaltige, miteinander verbundene Burganlage zu verwandeln. Nach etwa 200 m hört der Mauerverlauf jedoch auf, und weitere etwa 200 m folgt nur noch der natürliche Fels. Die archäologische Sondage hat das ursprünglich beabsichtigte Ende der Mauer eindeutig bewiesen. Es scheint so, dass die ganze Befestigungslinie in ihrer geplanten Form (von fast 1,5 km Gesamtlänge fehlen lediglich 200 m) nie verwirklicht wurde. Am Mauerende wurde lediglich eine Mauerzeile freigelegt, deren Breite 1,7 m beträgt (Abb. 6). Es wurde keine weiterlaufende hölzerne Palisade ergraben, und in dem Fels waren keine Pfostengruben sichtbar. Das Haupteingangstor zur Unteren Burg (Abb. 7) befindet sich auf der nordwestlichen Seite des Burgareals, etwa 30 m von der dortigen Ecke des Turms entfernt. Der Zugangsweg zur Burg führte also auf dem längeren Abschnitt entlang der Burgbefestigung. Das Tor ist in Nord-Süd-Richtung orientiert (der Eingang erfolgte von Süden und wurde von zwei parallelen Mauern gebildet). Die Mauerenden decken sich auf einer Länge von 3,5 m und bilden einen etwa 3,4 m breiten Burgen und Schlösser 3/2012 Abb. 7. Zvolen, Haupteingangstor der Unteren Burg. Sicht von außen nach innen (Foto: J. Beljak). Korridor. Die Torgewände bestehen aus bearbeiteten, 0,5 bis 0,56 m dicken Blocksteinen aus Andesit. Das Portal ist 2,88 m breit und hat bis zu 2 m tiefe Gewände; auf der Innenseite gab es ein zweiflügeliges Tor, das senkrechte Drehscheiben hatte, deren Unterseite und Steinlager ineinandergriffen. Aufgrund der breiteren Mauer auf der Innenseite kann man davon ausgehen, dass das Tor hinter dem Portal ein sehr kurzes, nur 1,5 m langes Durchgangstor hatte, das eingewölbt gewesen sein könnte. Daraus folgt wohl, dass über dem Durchgangstor noch mindestens ein Geschoss vorhanden war. Auf der Außenseite des Tors endet eine hier steingepflasterte Straße. Der Weg zur Unteren Burg bog scharf hinter dem Haupteingangstor auf den Innenhof ab und führte westlich entlang der Befestigung zum Turm. Auf der westlichen Innenseite der Befestigung konnten in der Nähe des Haupteingangstors die Reste eines Lehmofens entdeckt werden. Dieser hatte einen kreisförmigen Grundriss mit einem Innendurchmesser von etwa 0,8 m. An seinem östlichen Rand war eine größere Menge ab- Abb. 8. Zvolen, Kleines Ausfalltor auf der Unteren Burg. Sicht von innen nach außen (Foto: J. Beljak). 149 Ján Beljak/Noémi Pažinová Abb. 9. Zvolen, Luftbildaufnahme der „Burg von Donč“ auf der nördlichen Seite der Oberen Burg (Foto: J. Beljak). gefallener Mauersteine sichtbar. In seiner Nähe wurde eine markante Anhäufung von keramischen Fragmenten und Gegenständen aus Eisen entdeckt (z. B. Nägel, Messer, Schnallen, Hufeisen). Es wurde sogar ein silberner Hochzeitsdenar von Ladislaus IV. dem Kumanen und seiner Gemahlin Isabel von Anjou aus dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts gefunden. Auf dessen Reversseite ist ein Drache dargestellt, der in der mittelalterlichen Ikonografie Macht und Kraft symbolisierte. Die Dendrodatierung eines verbrannten Holzbalkens aus der unmittelbaren Nähe des Ofens ergab das Jahr 1222. Auf der Unteren Burg wurde neben dem Haupttor auch ein kleines Tor entdeckt. Forschungen konnten belegen, dass es sich um ein kleines Tor für Personen handelt (Abb. 8), das sich in der 2,5 m dicken Burgmauer befand. Seine Breite beträgt 1,2 bis 1,25 m; außen hat sich eine etwa 0,25 x 0,26 m große Steinschwelle erhalten. An die Gewände auf der Innenseite knüpften die Laibungen der Öffnung senkrecht zur Mauerflucht an. Sie haben sich bis auf eine Höhe von 0,8 bis 0,9 m erhalten. Durch die Errichtung der Unteren Burg entstand eine königliche Doppelburg mit unterschiedlichen Funktionen der beiden Teile. Die Obere Burg dürfte Sitz des Komitats gewesen sein, also Verwaltungsfunktion 150 gehabt haben; der Turm der Unteren Burg sollte als zeitweilige königliche Residenz während der Aufenthalte in Zvolen (Altsohl) dienen. Wir gehen davon aus, dass die Obere Burg der wichtigste Siedlungsteil des Areals – und zwar der Sitz des Zvolener königlichen Komitatsgespans – war. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts genügten die Räume des ältesten Turms (Turm I) wohl nicht mehr den Bedürfnissen seiner Bewohner. Dieses Problem löste man mit der Errichtung eines weiteren Residenzbaues. Auf einem niedrigerem Ausläufer des oberen Bergteils entstand – dem ältesten Wohnturm gegenüber – ein kleinerer Wohnturm (sog. Turm II) mit einem Prisma-förmigen Grundriss und mit Ausmaßen von 11,2 x 11 m. Ein weiterer Turm (III.) mit unregelmäßig rechteckigem Grundriss von 11 x 7 m wurde später an die östliche Burgmauer der Oberen Burg angebaut, wobei man sinnvollerweise die dominante Lage dieses Geländes, das sich an seiner Außenkante rapide absenkt, ausnutzte. Von hier konnte man außerdem die inneren Wege kontrollieren sowie die Zugangsstraße zur Unteren Burg, die ungefähr 80 m östlich davon lag. Während der Grabungen wurden in der sogenannten Bastion neben zahlreichen Keramik-Bruchstücken aus dem 13. bis 15. Jahrhundert auch gefälschte Münzen – Wiener Pfennige von Ottokar II. Přemysl (1251 bis 1276) und Albrecht I. (1282 bis 1298) – und gleicharmige Kaufmanns-Waagen gefunden. Die Münzenfälschung, die auch im Wohnturm Nr. II belegt wurde (Tiegel zum Metallgießen), ist ein Phänomen, das Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts als charakteristisch für die Zeit anzusehen ist8. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die königlichen Gespane nach dem Tod des letzten Arpaden, Andreas III. (†1301) infolge der Destabilisierung der Verhältnisse die Herstellung der Falschmünzen unterstützten. Auch das Bestreben um Rettung des lokalen Marktes vor dem Ruin könnte eine Rolle gespielt haben, da zur Jahrhundertwende eine feudale Anarchie im Königreich herrschte, die sich im wirtschaftlichen Verfall des Landes mit unbeschränkter Macht der Oligarchie widerspiegelte. In die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts lassen sich auch die Ummantelung und wahrscheinlich die Erhöhung des ältesten Turms (I.) auf der Oberen Burg datieren. Im 14. Jahrhundert verzichteten die Burgbesitzer völlig auf eine Erweiterung der älteren Gebäude und errichteten stattdessen auf der freien Fläche im niedrigsten Teil der Oberen Burg eine neue Anlage, die den gewachsenen Ansprüchen an Wohnen und Repräsentation entsprach. Diese Bautätigkeit hängt mit den Gespanen Demeter und Donch zusammen. Daher hat dieser Abschnitt der Burg den Arbeitsnamen „Burg von Magister Donč“ erhalten. Die neue Burgeinheit sollte vor allem dem bequemen Wohnen dienen; der Befestigungscharakter des Bauwerks verlor allmählich an Bedeutung. Davon zeugen auch die nicht so günstige Lage des Baukomplexes – am Ende des Hangs – und auch der relativ flache Burggraben vor der neuen Burgmauer (Abb. 9). Zentrales Bauwerk dieses neuen Burgteils war ein umfangreicher, drei- bis vierstöckiger Palas, der in der Nordost-Ecke der früheren Befestigung errichtet wurde. Das Erdgeschoss mit einem Innenraum von 20 x 8 m diente als Lager. Der Palas wurde durch kleinere Wirtschaftsbauten auf einem terrassenförmig angelegten Burghof ergänzt. Die wachsenden Ansprüche an die Ausstattung der Burgen und Schlösser 3/2012 Die Wüste Burg bei Zvolen/Zólyom (Pustý hrad) in der mittleren Slowakei Burg erforderten im Laufe der zweiten Hälfte des 14. und zu Anfang des 15. Jahrhunderts den Bau einer großen Zisterne. An der Westseite des Palas entstand daher auch ein kleines Bauwerk mit einem Filterbehälter, der zur Reinigung des gesammelten Wassers diente. Gleichzeitig wurde auch ein neuer Wohnflügel errichtet. Auf diese Weise strebte man danach, einen regelmäßigen Grundriss gotischer Residenzen nachzuahmen. Die meisten Wirtschaftsgebäude und Werkstätten wurden vor allem im nördlichsten Teil der Oberen Burg und in der Vorburg lokalisiert9. Alle Wirtschaftsbauten hatten eine Holzkonstruktion bzw. ein Steinfundament mit einer Blockkonstruktion der Wände und wurden auf künstlich gebildeten Terrassen errichtet, weil das ursprüngliche Terrain sehr uneben und schwer zu bebauen war. Die archäologischen Funde belegen Metallbearbeitung sowie die Herstellung von Gegenständen aus Holz, Knochen und Geweih10. Im Laufe des 14. Jahrhunderts konzentrierte sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Anpassung der Wohnräume. Die einzige nachweisbare Verstärkung der Befestigung, darunter des Haupteingangs der Oberen Burg, war der Aufbau eines massiven Torturms mit einem Portal, das mit einem Fallgitter geschützt wurde (Abb. 10). Das 15. Jahrhundert stand im Zeichen des Verfalls der Burg. Ihre Lage auf unzugänglichem Gelände, „archaisch“ große innere Flächen und eine unmoderne Befestigung entsprachen nicht mehr der damaligen militärischen Technik. Archäologische Funde belegen, dass die Untere Burg am Ende des 14. bzw. am Anfang des 15. Jahrhunderts nicht mehr genutzt wurde. Hinzu kam vor allem auch die Erbauung des moderneren Zvolener Schlos- Abb. 10. Zvolen, Torturm der Oberen Burg (Foto: J. Beljak). ses in Stadtmitte im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts. Dieses wurde zu einer der neueren Residenzen der ungarischen Könige. Letzte Veränderungen auf der Oberen Burg hängen mit dem Aufenthalt des Heeres von Johann Giskra von Brandeis11 in Zvolen zusammen. Giskras Heere rechneten nicht mehr mit der Verteidigung der gesamten umfangreichen Befestigung, die damals wahrscheinlich schon zum Teil ruinös war. Deshalb bauten sie Gräben und Wälle um die Türme der Oberen Burg, und dadurch wurden diese zu selbstständigen Bauten. Die Kriegsereignisse und die anspruchsvolle Instandhaltung trugen wahrscheinlich zur Verödung der alten Zvolener Burg bei. Eine vorübergehende Wiederbelebung einer ursprünglichen Funktion der Burg kam in der Zeit der osma- nischen Bedrohung: Die Burg diente zur Beobachtung der Umgebung und zur Sendung von Warnsignalen vor den Bewegungen des feindlichen Heeres. Ein neu aufgebauter Wachtturm (Wachtposten) ist im Jahre 1564 belegt. Im 17. Jahrhundert – nach den osmanischen Angriffen – verlor die Burg endgültig ihre strategische Bedeutung und fiel wüst. Fundbearbeitung In vorliegenden Beitrag wurden die Funde absichtlich nicht näher erläutert, da sie noch nicht vollständig ausgewertet worden sind. Aus dem reichen Fundmaterial sind bisher meist nur Einzel- und Prachtstücke publiziert worden. Zahlreiche Fragmente von Keramik, Metallen, Knochenund Geweihgegenständen sowie an- Abb. 11. u. 12. Zvolen, Fundstücke: Buchbeschlag, gefunden auf der Oberen Burg sowie Zierbeschlag aus der Unteren Burg (Fotos: J. Beljak). Burgen und Schlösser 3/2012 151 Ján Beljak/Noémi Pažinová dere Fundgattungen aus der Oberen und der Unteren Burg müssen noch ausgewertet werden. Mit der Bearbeitung wurde bereits begonnen. In Kürze sind erste Resultate zu erwarten, die weitere Erkenntnisse zur Datierung, Chronologie und auch zum Alltagsleben auf der Burg beitragen werden. Ausblick Die archäologische Forschung auf der Wüsten Burg in Zvolen wird auch in den nächsten Jahren fortgeführt12. „Hauptsponsor“ der Erforschung ist die Stadt Zvolen, die als Besitzerin der Burg schon mehr als 20 Jahre Forschungen aktiv unterstützt. Der Plan sieht vor, im Besonderen den Wohnturm auf der Unteren Burg und deren Hinterland zu untersuchen. Eine Herausforderung für die Archäologen auf der Oberen Burg bedeuten die Erforschung der Zisterne und eine systematische Flächengrabung des Burghofs. Miroslav Plaček/Martin Bóna, Encyklopédia slovenských hradov, Bratislava 2007, S. 30–31. Richard Marsina, Codex diplomaticus et epistolaris Slovaciae II, Bratislava 1987. Auf der Skizze der Grabung aus dem Jahr 1889 ist ein doppelter Graben erkennbar. Vgl. Beljak/Maliniak/Pažinová 2011 (wie Anm. 2), Abb. 5. Václav Hanuliak/Ján Hunka, Poklad mincí z Pustého hradu pri Zvolene (Der Münzschatz aus „Pustý hrad“ [Wüste Burg] bei Zvolen. In: Archaeologia historica 25, 2000, S. 359–367. Václav Hanuliak/Michal Šimkovic, Dončov hrad a vrcholne stredoveké refúgium nad Zvolenom (Die Burg von Donč und das hochmittelalterliche Refugium über Zvolen). In: Archaeologia historica 22, 1997, S. 161–168. Václav Hanuliak, Materiálne doklady remeselníckych dielní na Pustom hrade (Realkundliche Belege der handwerklichen Werkstätte in der „Pustý hrad“ – Wüsten Burg). In: Archaeologia historica 26, 2001, S. 185–191; Václav Hanuliak/Peter Cengel/Alois Holly, Príspevok ku spracovaniu kovov na lokalite Zvolen-Pustý hrad (Beitrag zur Metallverarbeitung auf der Fundstelle Zvolen – Wüstete Burg). In: Jozef Labuda/Adriana FančovičováMatejková (Hrsg.), História hutníctva v stredoslovenskej banskej oblasti, Banská Štiavnica 2003, S. 9–13. Nach dem Tod von Sigismund rief die für den minderjährigen König Ladislav Postumus regierende ungarische Köni- ginwitwe Elizabeth von Luxemburg ein Söldnerheer unter Johann Giskra zur Unterstützung gegen den rivalisierenden, ebenfalls zum König gekrönten aus Polen stammenden Wladyslaw. Diese Söldner setzten sich im ungarischen Oberland fest, und Giskra erhielt die Einnahmen aus den Bergwerken, zog die Steuern ein, legte eine Besatzung in die königlichen Burgen des Gebiets und eroberte Burgen der Anhänger seines Rivalen Wladyslaw. Mit fünftausend Mann besetzte er die Mittelslowakei und einen Teil der Ostslowakei. Damit unterbrach er den direkten Weg zwischen Ungarn und Polen. … Wladyslaw hatte zu der Zeit keine Möglichkeit, Giskra gefährlich zu werden, da die meisten seiner Heere gegen die Türkeninvasion kämpfen mussten, sodass er mit ihm ein Stillhalteabkommen abschloss, welches er immer verlängerte. Nachdem Wladyslaw nach der Schlacht um Warna verschollen blieb und dessen Armeen vernichtend geschlagen wurden, ernannte man Giskra zu einem der sieben Kapitäne, die Ungarn verwalteten. Im Grunde bezog sich seine Herrschaft auf die Slowakei, wobei er seinen Sitz auf der Burg Pustý hrad bei Altsohl und in Kaschau eingerichtet haben soll (http:// de.wikipedia.org/wiki/Johann_Giskra). Vgl. auch František Oslanský, The role of John Jiskra in the History of Slovakia. In: Human Affairs 6, Bratislava 1996, S. 19–33. Die neuesten Forschungsergebnisse finden sich nach jeder Sommersaison aktualisiert auf: www.pustyhrad.com. Anmerkungen 1 2 3 4 Der Artikel entstand im Rahmen des Projektes UGA I/23/2012 „Fortifikácie na sútoku Hrona a Slatiny“ (Fortifikationen am Zusammenfluss von Gran und Slatina). Ján Beljak/Pavol Maliniak/Noémi Pažinová, Zvolenský Pustý hrad vo svetle archeologického bádania (od amatérskych výkopov až po začiatok systematického výskumu) (Die Zvolener Burg Pustý hrad im Lichte der archäologischen Forschung [seit den Amateurgrabungen bis zu den Anfängen systematischer Grabungen]. In: Archaeologia historica 36, 2011, S. 265–278. Václav Hanuliak, Archeologický výskum zvolenského komitátneho hradu: výsledky po druhej výskumnej sezóne (Archäologische Erforschung der Zvolener Komitatsburg: Ergebnisse der zweiten Forschungskampagne). In: Archaeologia historica 19, 1994, S. 207–2013; ders., Doklady hmotnej kultúry Starého Zvolena (Pustého hradu) od 12. do 17. Storočia (Materielle Kultur aus Alt-Zvolen [Pustý hrad, dt.: „Wüste Burg“] im 12.-17. Jahrhundert). In: Archaeologia historica 24, 1999, S. 351–361; ders., Pustý hrad nad Zvolenom (Die Wüste Burg bei Zvolen). In: Pamiatky a múzeá 1, 1998, S. 14–18. Mátyás Szőke/Gergely Buzás, A visegrádi Alsóvár a XIII. században. In: Várak a 13. Században (Burgen im 13. Jahrhundert). Castrum Bene 1989, Gyöngyös 1990, S. 121–134; József Laszlovszky (Hrsg.), Medieval Visegrád (Royal Castle, Palace, Town and Franciscan Friary), Budapest 1995, S. 1–172. 152 5 6 7 8 9 10 11 12 Burgen und Schlösser 3/2012