Mit Hegel lässt sich Geist prägnant als diejenige Sphäre bestimmen, in der emphatisch Neues sich ereignen kann. So lesen wir in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte in Bezug auf den objektiven Geist der...
moreMit Hegel lässt sich Geist prägnant als diejenige Sphäre bestimmen, in der emphatisch Neues sich ereignen kann. So lesen wir in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte in Bezug auf den objektiven Geist der geschichtlich-sozialen Welt: «In der Natur geschieht nichts Neues unter der Sonne. ... Nur in den Veränderungen, die auf dem geistigen Boden vorgehen, kommt Neues hervor.» Seine Gegenwart – und paradigmatisch das sie als Moderne begründende Ereignis der Französischen Revolution – begreift Hegel als den konstitutiv revolutionär zu denkenden Durchbruch eines qualitativ Neuen: Der zunächst allmählich sich bildende Geist, so Hegel in der Phänomenologie des Geistes, inkorporiert im Bestehenden der alten Welt einen «Aufgang ..., der, ein Blitz, in einem Male das Gebilde der neuen Welt hinstellt.» Das vom Geist als solchem hervorgebrachte Neue bringt Hegel in der Enzyklopädie näherhin durch die paradoxe Bestimmung eines solchen performativen Selbstvollzugs zum Ausdruck, wonach der Geist nur mit dem Geist selbst beginnen könne. Die absolute Selbstbezüglichkeit des Geistes kann nicht reduktiv von einer vorgegebenen substantiellen Natur – von der Natürlichkeit eines bestehenden status quo – ausgehen, sondern setzt sich diese in ihrem Vollzug als ihre Bedingung allererst voraus. In den Übergang von der Natur zum Geist schreibt sich damit – unhintergehbar –, wie Hegel es bereits für den subjektiven Geist in Anschlag bringt, ein Sprung («saltus») ein: ein Sprung zur vermittelten Unmittelbarkeit des Geistes, die sich im Medium des Geistes als Geist erfasst. Jede «erste» Natur wird von diesem performativen Standpunkt des Geistes aus retroaktiv als die Vergangenheit bestimmbar, von der sich das Neue emanzipiert haben wird: als das Alte, das der Geist im Vollzug seines Anfangs in das Neue seiner selbst als «zweite», «vergeistigte» Natur verwandelt («idealisiert»). Die Vergangenheit einer jeden «ersten» Natur steht vor diesem Hintergrund immer schon unter dem emanzipatorischen Anspruch der von der Gegenwart des Geistes in die bestehende Welt hineingeholten Zukunft. Geist lässt sich so als die reflexive Struktur eines mit sich selbst anfangenden Anfangs beschreiben: Mit ihm vollzieht sich etwas wahrhaft Neues, das auf kein bereits Bestehendes reduzibel sein kann. Innerhalb der bestehenden Welt steht der Geist vielmehr für ein Ereignis, das in dieser Welt keinen Ort hat und in ihr eine radikale Leerstelle markiert. Insofern lässt er sich allem bloß Bestehenden gegenüber als eine utopische Kraft denken.
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, diese – in spezifischem Sinne – utopische Tragweite des Hegelschen Geistesbegriffs in einigen Aspekten zu umreißen. Zum einen soll dies dem Begriff des Geistes eine Kontur geben, wie sie in der Hegelforschung immer noch ein Desiderat darstellt. Zum andern soll damit – über Hegels historischen Systemabschluss hinaus – in systematischer Absicht ein Geistesbegriff skizziert werden, wie er für ein kritisches Verständnis unserer Gegenwart – an deren Anfang Hegels Denken steht – von bleibender Aktualität sein dürfte.