1.21
Zeitschrift für
Archäologie und
Kulturgeschichte
Jerusalem
€ 12,90 (D)
MITTELMEERRAUM
UND INDIEN
Die Bedeutung
künstlicher Fußspuren
ÄGYPTEN
GRIECHENLAND
Die ältesten
Musikinstrumente aus
der Vor- und Frühzeit
Ein Blick
auf Samos unter
Polykrates
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TITELTHEMA
8
von Joe Uziel, Yuval Baruch und
Nahshon Szanton
14
von Dieter Vieweger und
Katja Soennecken
19
von Jennifer Zimni
JERUSALEM
MYSTERIUM JERUSALEM – GEHEIMNISSE DER EWIGEN STADT.
WAS WISSEN WIR WIRKLICH ÜBER DAS FRÜHE JERUSALEM?
Wie groß und bedeutend war diese Stadt, welche die Ägypter zu ihren Feinden
zählten? Ausgrabungen auf dem Südosthügel Jerusalems geben eine Vorstellung von
ihren Ausmaßen.
UNTER DER ERLÖSERKIRCHE IM HERZEN DER ALTSTADT – AUF DER
SUCHE NACH GOLGOTA UND DER NORDMAUER JERUSALEMS
Die lange Forschungsgeschichte an diesem zentralen Ort bedeutet nicht, dass nicht
immer noch wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Hierbei helfen auch die neuen
technischen Möglichkeiten, die der Archäologie zur Verfügung stehen.
«SCHÖN RAGT EMPOR DER BERG ZION, DES SICH DAS GANZE
LAND TRÖSTET» – DER ZIONSBERG IN JERUSALEM
Fragestellung der Ausgrabungen auf dem Zionsberg im letzten Jahr war der Verlauf
der eisenzeitlichen Stadtmauern Jerusalems. Doch dies ist nur eine der großen Fragen,
die zur Faszination beitragen, die dieser Ort ausübt.
25
von Katja Soennecken und
Dieter Vieweger
28
von Holger Siegel
ARCHÄOLOGISCHE PIONIERE, FORSCHUNGSREISENDE UND SCHATZGRÄBER – DIE ANFÄNGE DER AUSGRABUNGEN IN JERUSALEM
Die frühen Forschungen in und vor allem auch unter der Stadt gestalteten sich äußerst
abenteuerlich. Sehr unterschiedliche Akteure mit divergierenden Interessen machten
sich im 19. Jh. ans Werk.
DIE VIERTE DIMENSION – DIE JERUSALEM-MODELLE CONRAD SCHICKS
Conrad Schick arbeitete seit seiner Ankunft in der Heiligen Stadt im Jahr 1846 als
Handwerker, Architekt und Stadtplaner, als Kartograf, Palästinaforscher, Archäologe,
Autor – und vor allem auch als Modellbauer.
Titelbild der vorliegenden Ausgabe
Fotos: Blick vom Ölberg auf den Tempelberg mit dem Felsendom und auf die Stadt (Foto: Perekotypole).
Jerusalem auf der Mosaikkarte von Madaba. Steingetreue
rechts: Marmorne vestigia-Weihung aus Maroneia. Komotini, Archäologisches Museum Inv. ΑΓΚ 961 (Foto:
Kopie von P. M. Gisler O.S.B. (nach PP. Hugues Vincent / F.-M. Abel
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[1914–1926] Pl. XXX).
© Hellenic
Ministry of Culture and Sports).
THEMENPANORAMA
SPUREN VON GOT THEITEN, HEROEN UND ERLEUCHTETEN –
ZU BEDEUTUNG UND VIELFALT ARTIFIZIELLER FUSSSPUREN IM
ANTIKEN MIT TELMEERRAUM UND IN INDIEN
39
von Julia A. B. Hegewald und
Ralf Krumeich
Menschen, Heilige, Weise, Gottheiten und mythische Heroen haben in vielen Kulturen
wortwörtlich Fußabdrücke hinterlassen.
DIE ERSTE UNTER DEN HELLENISCHEN UND BARBARISCHEN STÄDTEN –
EIN BLICK AUF SAMOS ZUR ZEIT DES POLYKRATES
49
von Jakub Kuciak
Der berühmte Tyrann gehört zu jenen Figuren des klassischen Altertums, die sich
bis zum heutigen Tage großer Aufmerksamkeit erfreuen.
DAS «ILÍOU MÉLATHRON» – HEINRICH SCHLIEMANNS HAUS IN ATHEN
55
Heinrich Schliemann erfüllte sich den Traum eines großen und schönen Hauses,
in dem er von den Symbolen umgeben war, die für seine Lebensideale repräsentativ
waren.
von Umberto Pappalardo
DIE «30 SILBERLINGE» DES JUDAS – DER MISSVERSTANDENE JÜNGER
66
Serie «Geld und Münzen im Neuen Testament»
von Kay Ehling
TEIL 3
Die Experten diskutieren, ob es sich bei den «30 Silberlingen» um römische Denare
oder Schekel der phönikischen Stadt Tyros gehandelt habe.
DIE «ARTEMIS BUFFALO» IN NEW YORK: ANTIK ODER ANTIKISCH?
ZUR SENSATIONSGESCHICHTE EINER BRONZEGRUPPE IM METROPOLITAN
MUSEUM OF ART
68
von Stefan Lehmann
Auffällige ikonographische und stilistische Abweichungen dürften ein Grund
dafür sein, dass die Artemisgruppe in der europäischen Fachdiskussion bislang kaum
vorkommt.
AM ANFANG WAR DIE RASSEL – FRÜHESTE MUSIKINSTRUMENTE
IM ALTEN ÄGYPTEN
74
von Heidi Köpp-Junk
Während die prächtigen Musikszenen aus dem Neuen Reich sehr bekannt sind,
gilt dies nicht für die ganz frühen Instrumente. Daher wird es Zeit, dass diese eine
ausführliche Würdigung erfahren.
RUBRIKEN
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DAS «ILÍOU MÉLATHRON»
Heinrich Schliemanns Haus in Athen
Schliemanns Haus in Athen befindet sich noch heute in der Panepistimiou Straße 12, fünf
Gehminuten vom Syntagma-Platz und eine halbe Stunde von der Akropolis entfernt.
Es ist eines der schönsten Gebäude in Athen. Bevor er dort lebte, war er um die ganze Welt
gereist, wobei er in Hotels oder kleinen Wohnungen wohnte, aber nach seinen Fünfzigern,
als er sehr reich wurde, wollte er endlich ein großes und schönes Haus, in dem er von den
Symbolen umgeben war, die für seine Lebensideale repräsentativ waren.
von Umberto Pappalardo
chliemann wurde 1822 in Neubukow, Mecklenburg geboren (Abb. 1).
Schon in jungen Jahren begeisterte er
sich für die alten Zivilisationen, v. a.
für die Heldentaten der Stadt Troja, da
sein Vater ihm abends die Ilias und die
Odyssee vorlas. Zu dieser Zeit wurde
jedoch angenommen, dass die Stadt
nie existiert hatte. Er verlor seine
Mutter im Alter von neun Jahren. Der
Vater lebte weiter und vergnügte sich
mit Frauen und verprasste das Geld.
Also musste der junge Heinrich sein
Studium abbrechen und arbeiten gehen. Er konnte als Autodidakt Russisch, Italienisch, Französisch und
Englisch sprechen, später auch Hebräisch, Arabisch, Spanisch und Altgriechisch. Wie hatte er das gemacht?
Sehr einfach … Schliemann lernte sie
mit Hilfe einer mehrsprachigen Ausgabe der Aventures de Telemaque und
weiteren fremdsprachigen Büchern,
die er auswendig lernte. Er verglich
auch die verschiedenen Versionen der
Bibel, die per Definition wörtlich und
treu sein mussten. Außerdem besuchte er an jedem Sonntag die englische Kirche und wiederholte den Predigttext.
Als Händler und Unternehmer sammelte er zunächst in den USA ein großes Vermögen, indem er den Gold-
S
suchern Geld lieh. Während des Krimkrieges versorgte er zudem die Soldaten des Zaren mit Kriegsmaterial
und Proviant. Nachdem er Milliardär
geworden war, zog er sich im Alter von
46 Jahren aus dem Geschäft zurück,
Abb. 1 Porträt von Heinrich Schliemann. Moskau, Puškin Museum.
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DAS «ILÍOU MÉLATHRON» – Heinrich Schliemanns Haus in Athen
um sich ausschließlich den Reisen und
der Archäologie zu widmen. Als unermüdlicher Reisender ging er bis nach
China und Japan. Er heiratete 1869 in
zweiter Ehe Sophia Engastroménou
und ließ sich in Athen nieder.
Er unternahm berühmte archäologische Expeditionen in die Türkei
(Troja) und nach Griechenland (Mykene, Tiryns und Orchomenos). Gerade in der Türkei, auf dem Hügel
von Hissarlik, entdeckte er die Stadt
Troja, wo er 1873 eine außergewöhnliche Entdeckung machte: den «Schatz
des Priamos»: etwa 9000 Objekte, die
nach seiner Deutung vor der Zerstörung
der Stadt verborgen wurden. Schliemann exportierte diese heimlich nach
Griechenland, wurde jedoch von der
türkischen Regierung des illegalen Exports beschuldigt und zu einer hohen
Geldstrafe verurteilt. Er beschloss jedoch, das Dreifache der Strafe zu bezahlen, um der alleinige Besitzer dieses Schatzes zu werden, den er dann
1881 an das Völkerkundemuseum in
Berlin spendete. Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Schatz von
den Sowjets geraubt und nach Moskau gebracht, wo er noch heute im
Puschkin-Museum aufbewahrt wird.
Während er auf die Genehmigung
für die weiteren Ausgrabungen in
Troja wartete, grub er in Griechenland
und in Italien (Albano und Mozia) aus.
In Mykene machte er wieder unglaubliche Entdeckungen: die Gräber der
mykenischen Herrscher mit Werkzeugen, Waffen, Juwelen, Brustpanzern
und goldenen Grabmasken, darunter
die berühmte «Goldmaske des Agamemnon». Er starb am 26. Dezember
1890 in Neapel im Alter von 68 Jahren
an einer schlecht behandelten Otitis,
die zu Meningitis degenerierte.
Schliemann und Ziller
Bei dem Projekt seines athenischen
Hauses wurde Schliemann von seinem
Freund Ernst Ziller unterstützt, einem
neoklassizistischen Architekt, der zu
dieser Zeit in Athen sehr aktiv war.
Ziller (1837–1923) war Schüler und
dann Assistent von Theodor Hansen
in Wien und dann Professor für Architektur an der Akademie der bildenden
Künste in Athen, wo er die griechische
Staatsbürgerschaft annahm. Er war
der Erste, der die antike Polychromie der griechischen Architektur und
Marmorskulpturen erkannte. In Athen
entwarf er teilweise selbst weit über
900 Gebäude. Er grub das Theater des
Dionysos und 1895 das Panathenaische Stadion aus und baute es wieder auf. Er starb arm, obwohl er sehr
lang Architekt oder Designer wunderschöner neoklassizistischer Gebäude
in ganz Griechenland war. So entwarf
er u. a. das Gebäude auf dem OmoniaPlatz, das des Deutschen Archäologischen Instituts, das Zappion (ehemaliger Hauptsitz des Internationalen
Olympischen Komitees; Abb. 2), das
Archäologische Nationalmuseum, die
Akademie, die Nationalbibliothek, das
Haus der Reeder Stathatos (heute Museum für die kykladische Kunst), das
Haus der Melas, das Nationaltheater,
die Nationalbank, den neuen Königspalast (heute die Residenz des Präsidenten), die Zentralpost und, außerhalb von Athen, den Stadtmarkt von
Eghion (heute Archäologisches Museum), das Apollon-Theater von Patras, das Archäologische Museum von
Olympia und viele weitere mehr.
In dem Ernennungsschreiben schrieb
ihm Schliemann: «Da ich mein ganzes
Leben in kleinen Häusern gelebt habe,
möchte ich meine letzten Jahre in einem grossen Gebäude verbringen.
Ich möchte grosse Räume und nichts
mehr. Sie können den Stil wählen, den
Sie bevorzugen, meine einzige Anfrage ist eine Marmortreppe vom Erdgeschoss bis zum ersten Stockwerk
und eine Terrasse ganz oben».
Mit diesen einfachen Angaben begann Ziller «für das Haus von Doktor Heinrich Schliemann an der Universitätsstrasse» zu entwerfen. Die
Originalentwürfe befinden sich noch
heute in der Nationalen Kunstgalerie
von Athen (Abb. 3). Nach Abschluss
der Architekturprojekte trafen sich
die beiden Herren jeden Donnerstag,
um über die Innenausstattung zu entscheiden und die Themen auszuwählen, die den Künstlern in Auftrag gegeben werden sollen. Schliemann wollte
das neue Haus «Ilíou Mélathron» nennen, was auf Griechisch «Palast von
Ilios» bedeutet, der der mythische
Gründer von Troja war.
Die architektonische Struktur
des Gebäudes
Das Gebäude, das an drei Seiten von einem großen Garten umgeben ist, besteht
aus vier Ebenen: einem Erdgeschoss,
zwei darauffolgenden Stockwerken und
einer von einer Mauerwerksbalustrade
gesäumten Dachterrasse. Draußen markieren isodomische gebosselte Blöcke
das schwere Volumen des Erdgeschosses, aber der Blick des Betrachters
wird sofort von den beiden eleganten Logen mit Arkaden angezogen, die
von schlanken ionischen Säulen getragen werden und dem «Palast» den
angenehmen Charakter einer «städtischen Villa» verleihen.
Das Erdgeschoss war für Dienstleistungen vorgesehen. Auf der Ebene
des Gartens befanden sich hier die
Dienstbotenunterkünfte, der Keller,
die Küche und das Bad. Der Keller und
die Küche konnten auch von innen
oder vom Keller des ersten Stocks aus
betreten werden, wo eine Inschrift an
der Tür eymaría oder «Wohlstand»
ankündigt, eine Anspielung auf das
körperliche Wohlbefinden und die
Freuden des Lebens.
Das Erdgeschoss hatte auch die
Funktion vom caveau bzw. «Museum»,
wo sich die Schätze aus Troja und Mykene befanden (Abb. 4). Schliemann
wollte hier das breite Netz der kommerziellen Kontakte zwischen den
Gebieten rund um die Ägäis zeigen
(Abb. 5). Leider ist diese Etage nicht
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THEMENPANORAMA
Abb. 2 Ernst Ziller, das Zappeion in Athen.
Abb. 3 Ziller, Originalzeichnungen für das Ilίou Mélathron, Parterre.
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DAS «ILÍOU MÉLATHRON» – Heinrich Schliemanns Haus in Athen
mehr zugänglich, da sie von der Direktion des Numismatischen Museums besetzt wird. Es ist jedoch naheliegend, sich vorzustellen, dass die
Schätze von Priamos und Agamemnon
hier ausgestellt wurden.
Der erste Stock war für repräsentative Funktionen vorgesehen. Der
Zugang erfolgte durch einen eleganten weißen Eingangsvorraum, der von
zwei schlanken ionischen Säulen unterbrochen wurde. Hier gab es einen
kleinen Raum, der wahrscheinlich für
den Portier vorgesehen war, eine Re-
zeption und einen bedachten Flur, eine
große Empfangshalle, die sog. Halle
der Hesperiden, verschiedene Gästezimmer und einen Speisesaal.
Der zweite Stock hatte eine private
Funktion. Es gab einen Flur, das Büro
und das Arbeitszimmer, eine Bibliothek und private Unterkünfte. Es ist
derzeit wegen eines Brandes im Februar 2019 geschlossen.
Das gesamte Gebäude wurde von
der von Schliemann gewünschten eleganten weißen Treppe durchquert, die
vom ersten Stock zur großen Terrasse
Abb. 4 Museumseingang mit der Kopie der hellenistischen Helios-Metope aus Troja.
führte, von der aus man den Blick auf
Athen vom Lykabettus zur Akropolis
und zum Piräus bewundern konnte.
Bis in die 1920er Jahre standen zwölf
Terrakotta-Kopien berühmter überlebensgroßer Skulpturengruppen auf
den Säulen der Balustrade, die Schliemann in Wien bestellte. Andere Tonkopien berühmter Marmorskulpturen
wurden in den Garten gestellt. Heute
befinden sich sechs davon immer noch
im Garten: die Amazone Mattei, zwei
Meleager, ein Anadoumenos vom Typ
Farnese, der Satyr des Praxiteles und
die sog. Große Herkulanerin (Typ Dresden).
Eine doppelte elegante Marmortreppe führte direkt zum Eingang des
Hauses, während draußen eine bescheidenere Gusseisentreppe den direkten Abstieg vom Haus zum Garten
ermöglichte.
Künstler und Handwerker bei
der Arbeit
Auf Empfehlung von Theophil von
Hansen und Christian Griepenkerl
wurde die Ausführung der Bilder Jurij
Šubic anvertraut, einem in Wien ausgebildeten slowenischen Maler, der für
ein ganzes Jahr lang für einen Lohn
von 8500 Drachmen arbeitete. Die
vorbereitenden Zeichnungen werden
noch heute im Nationalmuseum von
Ljubljana aufbewahrt. Für die Fußbodenmosaike wurden Handwerker
aus Livorno engagiert. Die Gitter am
Eingang und die Eisen- und Gusseisengeländer der Treppen und Balkone wurden von Werkstätten in Piräus hergestellt.
Schliemann unternahm eine besondere Reise nach Wien, London und in
andere europäische Städte, um Möbel
für sein Studio und seine Empfangsbereiche zu kaufen. Siebzehn der Möbelstücke, die sich in der Bibliothek
und im Arbeitszimmer befanden, sind
heute in der Sammlung Giorgios Katsigras in der Stadtgalerie in Larisa
ausgestellt. Der Schreibtisch weist
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THEMENPANORAMA
Holzfüße mit geflügelten Löwen auf −
ähnlich denen aus Marmor an den
Seiten der Kamine. Die gusseisernen
Verzierungen der Stühle, die von denselben Schmieden realisiert wurden,
die am Eingangsgitter tätig waren,
zeigen die Eule, ein Symbol der Stadt
Athen, mit Akanthuszweigen.
Die Zimmer wurden mit prächtigen
Marmorkaminen beheizt. Auch die technologischen Innovationen fehlten nicht,
wie z. B. eine Gasheizung, die in Rohren
verlief, die von den eleganten Lochrahmen zwischen Wänden und Decken in
allen Räumen verdeckt wurde.
Die Gesamtkosten von «Ilíou Mélathron» betrugen 439 650 Drachmen.
Das dekorative Projekt der
Wandmalereien
Bereits im Eingangsvorraum fällt die
raffinierte Eleganz des gesamten Gebäudes auf. In Weiß gestrichen und
mit ionischen Säulen ausgestattet, zeigt
es im abgesenkten Gewölbe ein Gemälde von Eos, das Šubic nach der
berühmten «Aurora» von Guido Reni
(1613−1614) malte.
Die luxuriösesten und schönsten
Zimmer befinden sich im ersten Stock
und sind um einen Raum in der Achse
des Eingangs angeordnet, der als Flur
diente. Das gelb gestrichene Zimmer
ist mit einer Apsis ausgestattet, die zu
den Gästezimmern führt. Hier an der
Wand steht das in griechischen Buchstaben geschriebene Monogramm «ES»
von Schliemann.
Von hier aus betritt man den Speisesaal auf der linken Seite. Dieser ist
in hellblau gehalten. In der Mitte der
Paneele schweben in der Luft weibliche Figuren nach pompejanischer
Art. Die Dekorationen an der Decke
der Apsis zeigen Stillleben mit Vögeln, Früchten, Fischen und Hummern
und spielen auf die Funktion des Raumes an. An den Seiten des Eingangs
sind Textstellen des Symposion zu Ehren von Odysseus (Ilias, Buch IX) am
Hofe von Alkinoos, König der Phäa-
Abb. 5 Raum 15, das Museum.
ken, transkribiert. Als der Held während des Banketts einen Dichter über
die Ereignisse des trojanischen Krieges singen hörte, war er gerührt und
enthüllte unter Tränen seine Identität
und begann, seine Missgeschicke zu erzählen.
Auf der anderen Seite befand sich
der «Salon der Hesperiden», der für
Empfänge und Tanzabende genutzt
wurde (Abb. 6). Tatsächlich war es
zur Gewohnheit geworden, das Haus
jeden Donnerstag für die athenische
High Society zu öffnen. Hier ist die
suggestivste figurative Dekoration erhalten. In den langen Friesen oben
sind Eroten abgebildet, die auf die typische Arbeit der Archäologen ausge59
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richtet sind: Lesen, Graben, Zeichnen,
Interpretation von Inschriften, Transport von Gegenständen (Abb. 7). Der
Fries auf der der Straße zugewandten Seite spielt auf die Ausgrabung
von Troja an, während der innere auf
Mykene anspielt, wie die «Maske von
Agamemnon», die von einem Eros getragen wird, verrät.
Ebenfalls im ersten Stock, rechts
vom Vorraum, betritt man zwei kleinere Räume. Der erste Raum, klein
und in pompejanischem Rot gestrichen, zeigt einen einfachen Boden mit
Mäander und eine elegante Decke, die
als weiße Leinwand mit geometrischen linearen Motiven und Girlanden
gestaltet ist.
DAS «ILÍOU MÉLATHRON» – HEINRIcH ScHLIEMANNS HAUS IN ATHEN
Abb. 6 Salon der Hesperiden.
Abb. 7 Salon der Hesperiden, Eroten als Archäologen.
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THEMENPANORAMA
Der zweite Raum mit hellblauem
Hintergrund mit goldenen in der Luft
schwebenden Figuren und Schwänen
zeigt am Fußboden eine geflochtene
Umrahmung mit anatolischen Vasen.
Auch hier ist die Decke als weißes
Spanntuch konzipiert, das mit geometrischen linearen Motiven verziert ist. Im
Raum befindet sich ein Foto von Schliemann und der Marmorbüste von Sofia.
Durch die «Halle der Hesperiden»
gelangt man in andere prächtige Räume.
Das Zimmer Nummer 6 ist in pompejanischem Rot gemalt und der Fußboden
ist mit Swastiken dekoriert. Interessant
an einer Eckwand: die Nachahmung einer Übermalung, wie sie in Pompeji oft
zu sehen sind. Die weiße Decke ist mit
Vierecken mit Eroten verziert, wie sie
bereits im 18. Jh. aus der Villa der Ariadne in Stabiae bekannt waren. Raum 5
ist einer der schönsten und reichsten,
selbst wenn der Boden mit Sternmotiven einfach wirkt. Es ist in gelbem
Ocker mit architektonischen Ädikulen bemalt, die in der Mitte die sitzenden Gottheiten Dionysos und Demeter umrahmen. Besonders raffiniert ist
die Dekoration der Decke mit weißem
Hintergrund. Raum 4 mit einem gelbockerfarbenen Hintergrund zeigt ebenfalls ein ziemlich einfaches Mosaik mit
Blumen, Sternen und trojanischen Vasen. Hingegen besonders raffiniert ist
die Dekoration der Decke mit weißem
Hintergrund mit eleganten blauen Quadraten, Palmetten, Schwänen, Tritonen
und Greifen.
Im zweiten Stock befanden sich
Schliemanns Arbeitsräume und Familienwohnungen. Hier gab es eine Bibliothek für sein Studium, aber auch einen Raum mit großen Pulten, um die
wichtigsten Tageszeitungen auszubreiten und die internationalen Finanzen und den Fortschritt seiner Aktionen auf der ganzen Welt zu verfolgen.
Ein amerikanischer Journalist, der
zu einem Interview bei dem berühmten Archäologen zu Besuch war, beschreibt die Bibliothek wie folgt:
«… drei Regale voller Bücher liefen durch den
Raum … auf dem Kamin waren Bilder,
archaischer Marmor und Vasen an beiden
Seiten einer Uhr mit dem Porträt von
Homer, auf dem eine Olivenkrone angebracht war. Über dem Kamin ein Foto
von Frau Schliemann in einem griechischen
Anzug mit einem goldenen Diadem,
von denen, die er in Troja entdeckt hatte …».
Das einzigartigste Element der Architektur sind zweifellos die florentinischen Logen im ersten und zweiten
Stock des Gebäudes auf der Straßenseite. Sie sind in pompejanischem Rot
dekoriert und zeigen acht Kassetten
im Gewölbe mit einem weißen Hintergrund, in den die Musen gemalt
sind. Im ersten Stock sind Urania,
Erato, Terpsichore und Polyhymnia
und im zweiten Thalia, Klio, Euterpe
und Melpomene zu erkennen (Abb. 8.
9).
Die dekorativen Prinzipien des
Gebäudes
Da sowohl Schliemann als auch Ziller
Anhänger des Neoklassizismus waren, folgten sie Goethes Aufforderung,
aus dem Reichtum pompejanischer
Gemälde zu schöpfen. Daher verwendeten sie als Vorbild für die Dekoration die drei Bände von Wilhelm Zahn,
Die schönsten Ornamente und merkwürdigsten Gemälde aus Pompeji, Herculanum und Stabiae (1829−1852).
Zu dem neoklassizistischen Stil, der
damals an Popularität verlor, fügte
Ziller Elemente des aufsteigenden
Historismus hinzu und wählte den
toskanischen Renaissance-Stil für
den architektonischen Umriss. Das
architektonische Modell war Gottfried Sempers Villa Rosa in Dresden,
die Schliemann 1866 besucht hatte,
wie er in einem Reisebericht erinnert.
Die Wände des Hauses waren oft
mit modifizierten Repliken pompejanischer Gemälde geschmückt, die aus
Zahn kopiert und von Šubic ausge61
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führt wurden. Es überrascht im Haus
die große Vielfalt an Dekorationen
und das hohe Niveau des Kunsthandwerks. Oft spielen die gemalten Motive und die Inschriften an den Wänden auf die Funktion der Räume an,
wie im Fall des Esszimmers.
Große Aufmerksamkeit wurde auch
auf die Mosaikfußböden gelegt, wo
viele Objekte aus Troja und Mykene dargestellt wurden. Besonders reich sind
die Mosaiken des «Museums» im Erdgeschoss, wo 36 reichverzierte Webgewichte dargestellt sind (Abb. 10).
In der «Halle der Hesperiden», im
ersten Stock, wurden 74 Medaillons
mit Vasen und Goldschmuck aus den
Ausgrabungen von Troja und Mykene
reproduziert.
In seinem Büro im zweiten Stock
erscheinen die Reproduktionen der
Golddiademe von Mykene und schließlich in den beiden Logen andere berühmte Funde aus Troja und Mykene.
An vielen Wänden sind zahlreiche Inschriften mit den Maximen der sieben Weisen und mit den Versen von
Homer, Hesiod, Pindar und Lukian
in Malerei reproduziert. Berühmt ist
derjenige, der ursprünglich im Tempel des Apollo in Delphi eingeschrieben war: «Kenn dich selbst».
Ebenso elegant waren die Zimmer
der Familienmitglieder.
«… Die zahlreichen Fresken, Statuen und Inschriften verliehen den Räumen einen
pompejanischen charakter. Von den Logen
aus konnte man die Akropolis sehen …
überall spielten Bilder und Ornamente auf
das dramatische und ereignisreiche Leben
des Hausherrn an: Gemälde mit Blick auf Indianapolis und New York … Eroten mit
den Merkmalen von Schliemann und seinen
Söhnen … Das Haus zog einen regelrechten Strom ausländischer Besucher an, die
von zwei Bediensteten empfangen wurden.
Wenn der Gastgeber nicht mit den Gästen
in ihrer Muttersprache sprechen konnte,
hatte er sie im klassischen Griechisch oder
besser gesagt in jener Version der ‹Sprache
der Götter› begrüsst, die er selbst im Laufe
der Jahre geschaffen hatte».
DAS «ILÍOU MÉLATHRON» – Heinrich Schliemanns Haus in Athen
Abb. 8 Die Logen mit den Musen am 1. Obergeschoss.
Das Leben im Palazzo
Abb. 9
Die Muse Erato in
der Loge im 1. Obergeschoss.
Das «llíou Mélathron» wurde am
30. Januar 1881 mit einem fabelhaften Empfang eingeweiht. In dieser
philhellenischen, nachdrücklich mythischen Aura wuchsen ebenfalls die
beiden Kinder, die nicht durch Zufall
Andromache und Agamemnon getauft
wurden, auf. Sogar die Diener wurden
mit homerischen Namen bedacht, wie
z. B. Pelops, und es wird überliefert,
dass ein Diener homerische Passagen
im Original bei den Mahlzeiten lesen
sollte, als wären sie Hintergrundmusik.
Der Palast wurde auch zu einem
Zentrum des kulturellen Lebens der
Hauptstadt, da sich dort jeden Donnerstag die edelste und raffinierteste
athenische Gesellschaft traf. In diesem
Palast, der in Übermaß von der homerischer Kultur durchdrungen war,
62
ANTIKE WELT 1/21
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THEMENPANORAMA
Abb. 10
Raum 15 im Erdgeschoss, Fußboden
im 2. Museumsraum.
hatte Schliemann nur noch acht Jahre
verbracht, da er 1890 in Neapel an einer schlecht behandelten Otitis starb.
1890 vermachte Schliemann das
Gebäude durch testamentarische Disposition seiner Frau Sophia, die später auch einige Änderungen vornahm.
Sophia verkaufte es 1926 an den griechischen Staat. Dieser Verkauf wurde
zum Teil durch die Schulden ihres
Sohnes Agamemnon und zum Teil
durch die Tatsache verursacht, dass
Andromache vorzeitig mit drei Kindern verwitwet war. 1950 wurde das
Gebäude von der Regierung als «historisches Denkmal» anerkannt und beherbergt heute das Nationale Numismatische Museum.
Zivilisation entdeckt und die Schätze
von Troja und Mykene wiedergefunden
zu haben, sondern er hinterließ uns
auch einen der schönsten Paläste von
Athen. Es wäre daher richtig, wenn ein
«Memorial» hier mit allen Dokumenten und Objekten – in Originalform, in
Kopie oder digital − entstehen würde,
laut einem Appell, den einer der führenden Schliemann-Spezialisten, der
griechische Archäologe Giorgios Korres, vor einigen Jahren gestartet hat.
Ein «Memorial» für Schliemann
Adresse des Autors
Zusammenfassend hatte Heinrich
Schliemann nicht nur den Verdienst,
die ältesten Phasen der griechischen
Bildnachweis
Abb. 1: akg-images; 2: H. H. RUSSAcK, Deutsche bauen
in Athen, Berlin 1942, S. 151; 3. 5. 7−10: Foto H.S. Ges.
Ankershagen e.V.; 4. 6: Photo: U. Pappalardo.
Literatur
L. DEUEL, Heinrich Schliemann. Eine Biographie mit
Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (1981).
G. S. KORRES, Heinrich Schliemanns Iliou Mélathron in
Athen», in: ANTIKE WELT 19, 3 (1988) 62−64.
G. S. KORRES / N. KARADIMAS / G. FLOUDA (Hrsg.),
Archaeology and Heinrich Schliemann. A century after
his Death. Assessments and Prospects. Myth, History,
Science, in: Α. ΠΟΡΤΕΛΑΝΟΣ, «Ιλίου Μέλαθρον. Η οικία
του Ερρίκου Σλήμαν, ένα έργο του Ερνέστου Τσίλλερ»
(2012) 445−464.
NATIONALE KUNSTGALERIE ATHEN, Ziller-Archiv:
http://www.nationalgallery.gr/en/painting-permanentexhibition/painter/ziller-ernst.html.
Für Hinweise und Anregungen bin ich Frau Sybille Galka
von der Heinrich-Schliemann-Gesellschaft Ankershagen
zum Dank verpflichtet.
U. PAPPALARDO, Heinrich Schliemann auf Motya
(Sizilien), in: Mitteilungen der Heinrich SchliemannGesellschaft Ankershagen 29 (2018) 47−54.
DERS. (Hrsg.), Heinrich Schliemann a Napoli (2020,
im Druck).
Prof. Dr. Umberto Pappalardo
Direttore del centro Internazionale
Studi Pompeiani – Pompei
Rathaus
I-80045 Pompei
umbpappa@gmail.com
63
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ANTIKE WELT 1/21
DERS., Heinrich Schliemann in Ägypten und im
Nahen Osten. Biographie, Tagebücher und Briefe (2020,
im Druck).
H. H. RUSSAcK, Deutsche bauen in Athen (1942).
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