Emanuel Swedenborg
und Jakob Lorber
Dokumente
eines Dialogs
Thomas Noack
Swedenborg Zentrum Zürich
Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber
DOKUMENTE EINES DIALOGS
Swedenborg Zentrum , Thomas Noack
Apollostraße 2, 8032 Zürich
www.swedenborg.ch, www.thomasnoack.ch
2009
Porträtfotos auf dem Umschlag von links nach rechts:
Fedor Görwitz, Friedemann Horn, Peter Keune und Thomas Noack
INHALTSVERZEICHNIS
1.
Einführung
Vorwort ..................................................................................................................................................... 7
Die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber
THOMAS NOACK – 2008 .......................................................................................................................... 9
2.
Frühe Urteile der Neuen Kirche über den Spiritismus
Brief von Dr. J. F. Immanuel Tafel an Fräulein Julie Conring vom 13. Mai 1863 .................. 27
Unmittelbare Offenbarungen einer Wiener Seherin
Frühe Konfrontation der Neuen Kirche mit dem Spiritualismus ............................................... 31
Der moderne Spiritismus betrachtet im Lichte der Neuen Kirche,
RUDOLPH LEONHARD TAFEL – 1873 ..................................................................................................... 36
3.
Neukirchliche Polemik: Fedor und Adolf Ludwig Görwitz
Aus dem Leben des Adolph Thieme, 1892 ..................................................................................... 47
Theosophische Schriften
FEDOR GÖRWITZ – 1898 ........................................................................................................................ 49
Theosophische Schriften
FEDOR GÖRWITZ – 1899 ........................................................................................................................ 53
Eine Frauen-Heilsbotschaft vom Herrn
ADALBERT JANTSCHOVITSCH – 1902-1903 ......................................................................................... 56
Pseudo-Offenbarungen
FEDOR GÖRWITZ – 1902 ........................................................................................................................ 68
Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors
– wider die christliche, neutheosophische Literatur
ADALBERT JANTSCHOVITSCH – 1903 .................................................................................................... 72
Geschichtlicher Vorbericht
CHRISTOPH FRIEDRICH LANDBECK – 1903 .......................................................................................... 89
Pseudo-Offenbarungen
FEDOR GÖRWITZ – 1903 ........................................................................................................................ 92
Brief von Fedor Görwitz an Frau Stamminger vom 9. März 1903 ............................................ 94
Brief von Adolph Roeder an Chr. Fr. Landbeck vom 17. Juli 1903 ........................................... 97
Brief von Johann Czerny an (Chr. Fr. Landbeck) vom 9. August 1903 .................................... 98
Brief von Adolph Roeder an Chr. Fr. Landbeck vom 31. August 1903 ................................. 101
Die christliche Neu-Theosophie
L. H. TAFEL – 1903-1904 ................................................................................................................. 103
Mein Pater peccavi!
ADALBERT JANTSCHOWITSCH – 1904 ................................................................................................ 114
»Lorber und Swedenborg«: Bemerkungen zu einem Vortrag
ADOLF LUDWIG GOERWITZ – 1945 .................................................................................................... 116
4.
Moderate Töne: Annäherungen an die engsten Verwandten
Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg
(HORAND GUTFELDT ) – 1965 ............................................................................................................. 123
Lorber und Swedenborg
VIKTOR MOHR – 1966 ......................................................................................................................... 136
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
FRIEDEMANN HORN – 1975-1977 .................................................................................................... 142
Neuoffenbarungen
FRIEDEMANN HORN – 1993 ............................................................................................................... 195
Grundsätzliches zum Verhältnis Swedenborg / Lorber
FRIEDEMANN HORN – 1997 ............................................................................................................... 200
5.
6.
Der Berliner Weg der unterschiedslosen Verschmelzung
Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber
PETER KEUNE – (1977) .......................................................................................................................
Stellungnahme zur »Offenbarungskritik« von Dr. Horn
PETER KEUNE – (vermutlich 1976 oder 1977) .............................................................................
Die Sache mit Luzifer
PETER KEUNE – 1998 ..........................................................................................................................
Jakob Lorber und oder Emanuel Swedenborg
JÜRGEN KRAMKE – 2001 ....................................................................................................................
Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Neukirchliche Lorberforschung
Offenbarungskritik: Ein Problem der Wahrheitserkenntnis
THOMAS NOACK – 1994 .....................................................................................................................
Eine Gegenüberstellung: Lorber und Swedenborg
ALFRED DICKER – 1998 ......................................................................................................................
Swedenborg und Lorber: Zum Verhältnis zweier Offenbarungen
THOMAS NOACK – 1998 .....................................................................................................................
Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
BERND-RÜDIGER KÖSSLER – 2008 .....................................................................................................
Perspektiven einer neukirchlichen Lorberforschung
THOMAS NOACK – 2009 .....................................................................................................................
209
226
232
256
271
280
294
303
307
7.
Neuoffenbarungsfreunde außerhalb der Neuen Kirche
Buchstabe und Geist der Neuoffenbarung
KARL DVORAK – 1978 ........................................................................................................................ 323
Swedenborg und Lorber, die Dioskuren göttlicher Neuoffenbarung
KARL DVORAK – (1985 oder 1986) ................................................................................................. 333
Lorber – Swedenborg, die zwei Zeugen der Endzeit (Joh. Offb. 11/3,4)
JOHANN GOTTFRIED DITTRICH – 1987 ............................................................................................... 344
8.
Wahrnehmungen von evangelischer Seite
Briefe von Kurt Hutten aus den Jahren 1975 und 1977 .......................................................... 351
Offenbarungen? Oder was sonst?
KURT HUTTEN – 1989 ........................................................................................................................ 354
Die Offenbarung ist noch nicht zu Ende
ALBRECHT STREBEL – 1994 ................................................................................................................ 366
9.
Anhang
Literaturverzeichnis .......................................................................................................................... 375
EINFÜHRUNG
VORWORT
Eine Besonderheit der Geschichte der deutschsprachigen Neuen Kirche besteht darin, dass sie
sich mit den Schriften und den Anhängern der Neuoffenbarung durch Jakob Lorber auseinandersetzen musste. Das vorliegende Buch enthält Dokumente dieser Auseinandersetzung von
den Anfängen bis heute. Sie decken einen Zeitraum von 150 Jahren ab.
Zum weitaus überwiegenden Teil stammen sie von Swedenborgianern. Denn es geht mir –
wie gesagt – im wesentlichen um die Dokumentation des Umgangs der Neuen Kirche mit dem
sie herausfordernden Phänomen dieser zweiten, neuen Offenbarung nach derjenigen Swedenborgs. Ich habe allerdings auch Stimmen aus der Lorberbewegung aufgenommen. Dabei handelt es sich jedoch hauptsächlich um solche, die Reaktionen auf Äußerungen von Swedenborgianern darstellen oder von Lorberfreunden stammen, die Mitglieder der Neuen Kirche sind
oder Swedenborg anerkennen.
Meine eigenen Aufsätze hauptsächlich aus den 1990er Jahren veröffentlichte ich schon vor
einigen Jahren (2004) in dem Buch »Der Seher und der Schreibknecht Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber im Vergleich«. In die vorliegende Dokumentensammlung nahm ich
deswegen nur einige besonders relevante Arbeiten aus dieser Schaffensperiode auf. Dagegen
sind hier erstmals zwei neue Beiträge von mir mit neuen Fragestellungen und Sichtweisen zu
finden. Ging es mir in der Vergangenheit vorrangig um die Gemeinsamkeiten zwischen Swedenborg und Lorber, so interessiert mich nun besonders das je eigene Profil der beiden Offenbarungen.
Ich dokumentiere den Dialog also im wesentlichen aus der Perspektive der Neuen Kirche. Aus
den Dokumenten ist ersichtlich, wie führende Vertreter dieser Kirche mit der Herausforderung
einer weiteren Neuoffenbarung umgingen. Obwohl auf diese Weise die Anhängerperspektive
dominiert, lasse ich am Ende des Buches auch einige außenstehende, evangelische Beobachter zu Wort kommen.
Aus dem beschriebenen Anliegen wird die Gliederung verständlich. Ich ordne die Dokumente
zunächst bestimmten Sachgruppen zu, und erst innerhalb derselben ordne ich das Material
chronologisch. Auf diese Weise treten die führenden Vertreter der Neuen Kirche – Fedor Görwitz, Friedemann Horn, Peter Keune und Thomas Noack – deutlich als prägende Gestalten
hervor. Natürlich hat dieses Verfahren auch seine Nachteile. So werden beispielsweise die
unmittelbaren Reaktionen auf die Offenbarungskritik von Friedemann Horn auseinandergerissen, und außerdem ist die Zuordnung bestimmter Personen zu den Sachgruppen nicht über
jeden Zweifel erhaben. Der große Vorteil der gewählten Gliederung besteht aber darin, dass die
durch die genannten Personen repräsentierten, zentralen Thesen und Anliegen so ihr volles
Gewicht erhalten.
Nach einem einführenden Beitrag über »die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber«
beginne ich daher mit »frühen Urteilen der Neuen Kirche über den Spiritismus«. In diesem
Kapitel geht es noch nicht um Jakob Lorber, aber hier werden die Weichen für seine spätere
Einordnung gestellt. Danach wende ich mich der Ära der beiden Görwitze zu. Ihre Polemik
erschwert die sachliche Auseinandersetzung teilweise bis heute. Es folgen die Stellungnahmen der Neuen Kirche unter der Führung von Friedemann Horn in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts. Besondere Aufmerksamkeit und somit ein eigenes Kapitel verdient in dieser
Zeit »der Berliner Weg« unter der Leitung von Peter Keune. Es ist dies der Weg einer unterschiedslosen Verschmelzung der beiden Offenbarungen und ihrer Anhängergruppen. Schließlich wende ich mich meinem Programm einer »neukirchlichen Lorberforschung« zu. Mir geht
es um einen inhaltlichen Vergleich, der die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede wahrnimmt und die Neuoffenbarung durch Lorber unter einem swedenborgschen Vorzeichen thema-
tisiert. Der geschichtliche Überblick zeigte mir nämlich, dass es wohl eine Swedenborgrezeption unter einem lorberschen Vorzeichen gibt, aber es fehlt eine spezifisch swedenborgsche
und zugleich theologische Auseinandersetzung mit Lorber. Sie scheint mir das Gebot der Stunde zu sein. Die beiden abschließenden Kapitel sind »Neuoffenbarungsfreunden außerhalb der
Neuen Kirche« und einigen »Wahrnehmungen von evangelischer Seite« gewidmet.
Der geschichtliche Überblick möge zum Verständnis der gegenwärtigen Situation und zur
Erkenntnis der anstehenden Aufgaben beitragen. Ich fasse meinen schon angedeuteten
Schluss aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit noch einmal mit den folgenden Worten
zusammen: Die Neue Kirche hat meines Erachtens die rechte Mitte im Umgang mit der Offenbarung durch Jakob Lorber bisher noch nicht finden können. Anfangs wurden sie in einem
sehr polemischen Tonfall rundum abgelehnt, ohne dass dieser plumpen Zurückweisung eine
inhaltliche Auseinandersetzung vorausgegangen wäre. Auch Friedemann Horn trieb die theologische Diskussion nicht wesentlich voran. Zwar ersetzte er den polemischen Ton der Anfangszeit durch einen moderaten, aber die theologischen Lehrinhalte der Offenbarung durch
Lorber klammerte er in seiner Offenbarungskritik ausdrücklich aus. Nachhaltig prägend wurde stattdessen der Berliner Weg der unterschiedslosen Verschmelzung sowohl der Inhalte als
auch der Gruppen. Im Bezug auf die Gegenwart muss man sagen: Die Neue Kirche hat Lorber
so sehr angenommen, dass sie mehr eine Lorber- als eine Swedenborggemeinschaft ist. Diese
totale Übernahme ist jedoch ebenfalls problematisch, weil sie den Unterschieden in den beiden
Offenbarungen ausweicht und nicht von einer spezifisch swedenborgschen Theorie der Offenbarung getragen wird. Somit ist der unsachlichen Ablehnung in den Gründerjahren eine unkritische und undifferenzierte Annahme in der Gegenwart gefolgt. Die rechte Mitte scheint
mir somit noch nicht gefunden zu sein. In einer Organisation in der Tradition Swedenborgs,
sollten die Lehren der Neuoffenbarung durch Lorber von swedenborgschen Voraussetzungen
ausgehend rezipiert werden. Tatsächlich aber gibt Lorber den Ton an. Die Neue Kirche sucht
also noch ein offenes Verhältnis zu der ihr verwandten Offenbarung durch den »Schreibknecht
Gottes«, das aber gleichwohl nicht auf Kosten ihrer Identität als einer Swedenborgorganisation
geht.
Zürich im Juni 2009 | Thomas Noack
DIE NEUE KIRCHE UND DAS PHÄNOMEN JAKOB LORBER
Thomas Noack – 2008
Ein geschichtlicher Überblick mit einer persönlichen Stellungnahme
Die Neue Kirche kam schon sehr früh mit dem Phänomen Jakob Lorber in Berührung. Ich
gebe hier einen Überblick über die Geschichte der Auseinandersetzungen der Swedenborgianer mit dieser damals neuen Erscheinung am Offenbarungshimmel. Schon oft verglich ich in
der Vergangenheit die Lehren Swedenborgs und Lorbers. Doch neben dieser inhaltlichen oder
theologischen Dimension gibt es noch eine weitere, nämlich die institutionelle oder kirchenpolitische. Ich rekonstruiere die Geschichte der spannungsreichen Begegnung der Neuen
Kirche mit den Anhängern der Offenbarungen durch Jakob Lorber nicht als Historiker, sondern
als derzeitiger Pfarrer der Neuen Kirche. Daher werde ich nicht nur Episoden aus der Vergangenheit dem Vergessen entreißen, sondern am Ende auch sehr deutlich meinen eigenen
Standpunkt darstellen.
Jakob Lorber, eine weitere Offenbarung taucht auf
68 Jahre nach dem Tod Emanuel Swedenborgs (1688 -1772), am 15. März 1840, hörte Jakob
Lorber (1800 -1864) »links in seiner Brust, an der Stelle des Herzens« eine Stimme, die ihm
zurief: »Steh' auf, nimm deinen Griffel und schreibe!«1 Er gehorchte dieser Stimme und so
entstanden bis zu seinem Tod die Manuskripte einer weiteren Offenbarung neben der bereits
bekannten durch Emanuel Swedenborg.
Ob schon diese Manuskripte oder Abschriften davon Swedenborgianern zur Kenntnis kamen,
ist unbekannt. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, dass erst die frühen Drucke einiger
Werke Lorbers die Voraussetzung dafür schufen, dass diese Kundgaben Neukirchenleuten
bekannt werden konnten. Betrachten wir die Geschichte dieser frühen Drucke in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts ! 2 Der schwäbische Arzt und Dichter Justinus Kerner (1786-1862),
der berühmte Verfasser des Buches über die Seherin von Prevorst (1829), erhielt als Herausgeber der »Blätter aus Prevorst« (1831-1839) und des »Magikon« (1840-1853) Kenntnis von
allerlei merkwürdigen Erscheinungen auf dem Gebiet der Geisterkunde und so auch von Jakob
Lorbers Schreibtätigkeit.3 1851 ließ er daraufhin zwei kleine Schriften Lorbers drucken, den
»Briefwechsel zwischen unserm Herrn Jesu Christo und Abgarus, König von Edessa« und den
»Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Laodicea«. Justinus Kerner war es auch , der
den heute als Begründer der modernen Spagyrik bekannten Carl-Friedrich Zimpel (18011879) auf Lorber aufmerksam machte, woraufhin Zimpel diesen in Graz besuchte. 1852 gab
er drei Schriften Lorbers heraus, und zwar »Naturgemäße und spirituelle Verhältnisse des
Mondes mit einem Nachtrage über das magnetische Fluidum, und einem Vorworte über den
eigentlichen Sinn von St. Matth. XXIV, 30 und den geistigen Frühling«, den ersten Teil der
1
2
3
Karl Gottfried Ritter von Leitner, Jakob Lorber, ein Lebensbild nach langjährigem persönlichem Umgang , Bietigheim, 4. Auflage 1969, Seite 18.
Ich stütze mich auf die folgenden Publikationen des Lorber Verlags: 125 Jahre Lorber Verlag. 100
Jahre in Bietigheim, Bietigheim 1979. Begegnung mit dem prophetischen Werk Jakob Lorbers: Gedenkschrift des Lorber-Verlags zum 150. Jahr der Berufung Jakob Lorbers zum »Schreibknecht Gottes«, Bietigheim 1990.
Christoph Friedrich Landbeck schrieb: »Durch seine zentrale Stellung als Leiter dieser Blätter [Blätter
aus Prevorst und Magikon] bekam er [Justinus Kerner] Kenntnis aller s. Z. auftauchenden Erscheinungen auf geistigem Gebiete«. ( Die Haushaltung Gottes, Band 1, Bietigheim 1904, Seite XX). Es gab auch
einen Briefwechsel zwischen Justinus Kerner und dem Grazer Freundeskreis, von dem aber nichts erhalten geblieben ist (Begegnung mit dem prophetischen Werk Jakob Lorbers …, Bietigheim 1990, Seite
63).
10
Thomas Noack
»Geschichte der Urschöpfung der Geister - und Sinnen-Welt, und im Verfolge die Geschichte
der Urpatriarchen, von Adam bis Abraham, oder Haushaltung Gottes«4 und »die JugendGeschichte unseres Herrn Jesu Christi«. 1869 gab Karl August Schöbel, ein Tierarzt in Söbringen bei Pillnitz, eine zweite Auflage der »Jugend Jesu« heraus. Als erster Verleger in größerem
Umfang trat der Zeughausverwalter Johannes Busch (1793-1879)5 in Dresden in Erscheinung.
Zwischen 1855 und 1876 erschienen der Saturn (1855), die Erde (1856), die Dreitagesszene
(1861), die natürliche Sonne (1864), die geistige Sonne (1870) und das Große Evangelium
Johannes (1871-1876).6 Die Nachfolge von Johannes Busch trat Christoph Friedrich Landbeck
(1840-1921) an. Er gründete 1879 den Verlag in Bietigheim, der damals »Neutheosophischer
Verlag« hieß und ab 1907 »Neu-Salems-Verlag«7. Landbecks umfangreiche verlegerische Tätigkeit kann ich hier nicht nachzeichnen. Wir halten aber fest: Bereits ab den 1850er Jahren
waren einige Werke Lorbers auf dem Markt und konnten somit in die Hände von Swedenborgianern gelangen.
Swedenborgianer bekommen Kenntnis von den Schriften Lorbers
Da einzelne Werke Lorbers schon vor seinem Tod gedruckt und verbreitet wurden, ist nicht
auszuschließen, dass einzelne Swedenborgianer schon zu Lebzeiten Lorbers mit dessen
Schriften in Berührung kamen. Und tatsächlich ist ein derartiger Fall bezeugt. Der Neukirchenpfarrer Fedor Görwitz schrieb: »Von großem Interesse war es für mich, von Frau [Elisabeth] Sigel zu erfahren, daß der Dahingeschiedene [August Schmidt], der schon seit 1848 mit
den himmlischen Lehren [Swedenborgs] bekannt war, an Jakob Lorber in Graz Werke Swedenborgs geschickt hat, daß somit Lorber mit Swedenborgs Schriften bekannt war, was von sei-
4
5
6
7
Der von Zimpel herausgegebene erste Teil endet mit dem 243. Kapitel des heutigen 2. Bandes der
Haushaltung Gottes. Der zweite Teil erschien erst 1882 im Neuen Theosophischen Verlag von Christoph Friedrich Landbeck.
Das Geburtsjahr habe ich aus der Bemerkung erschlossen »als der fast 84jährige Busch im März
1877« (Begegnung mit dem prophetischen Werk Jakob Lorbers, Bietigheim 1990, Seite 65). Im 1864
von erschienenen Werk über die natürliche Sonne schrieb Johannes Busch: »Nie hätte ich mir zu meinem nun bereits 71sten Lebensjahre je träumen lassen, ein so außerordentliches Werk … zur Herausgabe zu bekommen.« Auch diese Bemerkung führt in das Geburtsjahr 1793.
Die Titel sind in Kurzform angegeben. Die ursprünglichen Titel lauten: »Außerordentliche Eröffnungen
über die natürliche und geistige Beschaffenheit des Planeten Saturnus nebst dessen 3-geteiltem Ring'
und 7 Monden, so wie über die Beschaffenheit, das Grundsein und Leben der darauf befindlichen Wesen
…«, Meißen 1855. »Außerordentliche Eröffnungen über die natürliche und methaphysische oder geistige Beschaffenheit der Erde und ihres Mittelpunctes, mit besonderem Bezug auf das Grundsein, so wie
auf Bestimmung, Leben und Ziel der in, auf und — in den Luft- und Aether-Regionen — über ihr befindlichen Wesen …«, Meißen 1856. »Die Dreitagsscene Jesu im Tempel, als Er zwölf Jahr alt war. Niedergeschrieben von einem Gottbegeisterten, und mit einem Anhange höchst merkwürdigen Inhalts, in Kraft
der Erkenntniß des Geist's im Wort aus der Höhe herausgegeben von Johannes Busch«, Dresden 1861.
»Außerordentliche Kundgebungen und Eröffnungen über die naturmäßige und geistige Beschaffenheit
und Wesenhaftigkeit der Sonne und deren correspondirende Seins- und EigenschaftlichkeitsBeziehungen zu und auf den sieben Haupt-Planeten …, Dresden 1864. »Außerordentliche Kundgebungen, Eröffnungen und Belehrungen über die naturgemäße und geistige Beschaffenheit und Wesenheit
der Sonne … Zweite und dritte Abtheilung: Die geistige Sonne, nebst Nacherinnerungen und außerordentlichem Nachtrag dazu«, Dresden 1870. »Das aus der ›großen Zeit der Zeiten‹ verheißenermaßen
völlig kundgegebene und im inneren Sinne enthüllt'st erklärte Evangelium St. Johanni's, wie Solches
vom Herrn Selbst Seinem Ihm über Alles getreuest liebenden Erwählten in der Zeit vom 2. August 1851
bis nahe zu Dessen am 24. August 1864 erfolgten Leibestode gottmensch-geistig entsprechendst in die
Feder dictirt worden ist …«, Dresden, 7 Bände von 1871 bis 1876.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Verlag noch einmal umbenannt und heißt seitdem LorberVerlag.
Die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber
11
nen Anhängern bestritten wird.«8 August Schmidt (1812-1903) war ein kirchlich ausgerichteter Swedenborgianer. 1848 lernte er die Schriften Swedenborgs kennen. »Er war einer der
sieben Unterzeichner der ›Einladung zur Subskription auf neukirchliche Werke‹, die im Jahre
1864 nach Immanuel Tafels Tode an alle Freunde der neukirchlichen Sache geschickt wurde,
um die weitere Herausgabe der Schriften in deutscher Übersetzung zu ermöglichen.«9 Außerdem förderte er die Neue Kirche finanziell: »Als vor ca. 10 Jahren [ca. 1893] seine Frau und
bald darauf sein einziger Sohn starb, entschloß sich der Dahingeschiedene, den größeren Teil
seines Vermögens für die Kirche zu sichern; zunächst machte er Schenkungen von je 1000
Mark an verschiedene neukirchliche Gemeinden, so in Wien und Budapest, in Stockholm und
Kopenhagen, an den Schweizer-Verein der N. K. und an die deutsche Kirche in Amerika, und
von 3000 Mark an den deutschen Swedenborg-Verein in Stuttgart, von letzterem Betrage waren ihm, so lange er lebte, noch die Zinsen zu übermitteln. Zu Gunsten einer dereinst in Berlin
erstehenden neukirchlichen Gemeinde stiftete er sodann noch einen Fonds von 24000 Mark,
welchen Betrag er der Generalkonferenz der N. K. in England übermachte, mit der Bestimmung, daß die Zinsen ihm bei Lebzeiten zufließen, nach seinem Tode jedoch zum Besten der
hoffentlich erstehenden neuk. Gemeinde in Berlin verwendet werden sollten. Das Kapital soll
nicht angegriffen, sondern nur zum Bau einer Kirche verwendet werden. Der Dahingeschiedene hatte vor einigen Jahren die große Freude, die Gründung einer neukirchlichen Gemeinde in
Berlin noch zu erleben, und als erstes Mitglied derselben die Statuten zu unterzeichnen.«10
August Schmidt machte also Lorber auf Swedenborg aufmerksam. Zeitlich muss dieser Vorgang zwischen 1851 11 und 1864 angesetzt werden. Wahrscheinlich kam Schmidt durch die
ersten Drucke in den 1850er Jahren mit den Schriften Lorbers in Berührung und wollte das
Grazer Schreibmedium im Sinne Swedenborgs missionieren. Diesem August Schmidt verdankt die Berliner Gemeinde der Neuen Kirche, die wie keine zweite heute für die unterschiedslose Verschmelzung von Swedenborg und Lorber steht, ihr Haus in der Fontanestraße
17A.12
Ein weiteres frühes Beispiel der Begegnung eines Swedenborgianers mit den Schriften Jakob
Lorbers ist Adolph Thieme (1816 -1892). Er wurde in Chemnitz geboren und war als Musiker
in Russland tätig. »Sein Lieblingsinstrument war die Flöte, doch war er auch ein tüchtiger
Violinist und Klavierspieler.«13 »Im Jahre 1847 wurde er als erster Flötist an dem kaiserlichen
Theater in Petersburg und zugleich als Musiklehrer an der Theaterschule und am Blindeninstitut mit Pensionsberechtigung fest angestellt«14. In der Hauptstadt des Russischen Reiches
lernte er durch seinen Freund und Kollegen Karl Dietrich Engel (1824 -1913), der einer oldenburgischen Musikerfamilie entstammte und seit 1846 Konzertmeister im Orchester des russischen Staatstheaters war, die Schriften Swedenborgs kennen und wurde ein eifriger Leser
derselben. 1864 musste er aus gesundheitlichen Gründen seine Stelle in Petersburg niederlegen. Er zog nach Dresden, der Wirkungsstätte von Johannes Busch, wo er als »ein großer Bücherfreund«15 nun auch auf die Schriften Lorbers stieß. Das Weitere gebe ich mit den Worten
des Neukirchenpfarrers Fedor Görwitz wieder. Nachdem er sich in Dresden verhältnismäßig
8
9
10
11
12
13
14
15
Monatblätter für die Neue Kirche (= MNK), September 1903, Seite 142.
MNK September 1903, Seite 144.
MNK September 1903, Seite 144.
Ich gehe hierbei davon aus, dass August Schmidt nicht schon Manuskripte Lorbers zu Gesicht bekam.
Eine Notiz zur Verwendung des Schmidt-Fond findet man in: Die Neue Kirche: Monatblätter für fortschrittliches religiöses Denken und Leben (= NKM), Januar/März 1956, Seite 27.
MNK November 1982, Seite 172.
MNK November 1982, Seite 172.
MNK November 1982, Seite 172.
12
Thomas Noack
rasch körperlich erholt hatte, »trat eine schwere Anfechtung anderer Art an ihn heran, eine
Anfechtung von Seiten des bösen Dämons des Spiritismus. Die Lorber'schen Schriften, Erzeugnisse des Spiritismus - herausgegeben von Johannes Busch in Dresden, jetzt in dem sogenannten theosophischen Verlage von Landbeck in Bietigheim - geriethen in seine Hände,
und er ließ sich, getäuscht durch ihre vorgebliche göttliche Inspiration, eine Zeit lang von
ihnen umgarnen; auch ließ er sich verleiten, an spiritistischen Sitzungen theil zu nehmen.
Spiritistischen Einflüsterungen, daß er zu ›Höherem‹ berufen sei, gehorchend, gab er seine 24
Klavierschüler und damit eine Einnahme von mehreren Tausend Mark auf. Er gerieth in eine
bedenkliche, phantastische Gemüthsverfassung, und fand erst wieder Frieden, nachdem er die
Lorber'schen Schriften, für die er über 40 Thaler ausgegeben hatte, sämmtlich verbrannt hatte.«16 Dieser Adolph Thieme begegnet uns nach seinem Tod noch einmal in der durch Leopold
Engel (1858-1931) empfangenen Kundgabe »Im Jenseits« (1921). Darin schildert sein Vater,
der schon erwähnte Konzertmeister und Faustforscher Karl Dietrich Engel seine Erfahrungen
im Jenseits. Er trifft dort auf seinen Freund Adolph Thieme, der ihm als geistiger Führer dient.
Wichtig war dann aber vor allem das Wirken von Christoph Friedrich Landbeck (1840-1921).
In demselben Jahr, in dem Lorber erstmals die innere Stimme hörte, erblickte Landbeck am 9.
Januar in Bietigheim das Licht der Welt. Er besuchte drei Jahre die Volksschule, drei Jahre die
Lateinschule und drei Jahre die Realschule. Danach kam er in die Lehre zu dem damals wohl
berühmtesten Dekorationsmaler in Stuttgart, Christian Kämmerer, und vervollkommnete anschließend seine beruflichen Kenntnisse durch ein dreijähriges Studium auf der Baugewerkschule. Die Wanderjahre führten den jungen Maler nach Bonn und Köln, wo er auch mit den
verschiedenen Methoden der Volksmedizin wie Naturheilkunde, Magnetismus und Vegetarismus in Berührung kam. Sein ausgeprägtes Interesse an der mystischen Seite des Lebens
trieb ihn schließlich in den Süden, zunächst in die Schweiz, wo er den französischen Spiritismus nach Allan Kardec (1804-1869) und Adelma Vay (1840-1925) kennenlernte, dann
nach Oberitalien und zuletzt nach Triest. Dort lernte er 1870 Gottfried Mayerhofer (18071877) kennen, denn er arbeitete als Schildermacher in der Werkstätte, in der der Landschaftsmaler Mayerhofer seine Ölbilder rahmen ließ. Durch ihn wurde Landbeck mit den
Schriften Lorbers bekannt gemacht. Auch Mayerhofer empfing seit 1870 Niederschriften nach
dem inneren Wort. Als er 1877 starb, hinterließ er Landbeck seinen geistigen Nachlass. Dieser trat nach Mayerhofers Tod als Gehilfe von Gustav Werner, der ein Verehrer Swedenborgs
war, ins Reutlinger Bruderhaus ein und arbeitete dort im Zeichenbüro. Als jedoch 1879 auch
Johannes Busch starb, wurde Landbeck gedrängt den Verlag zu übernehmen. Er tat es und
begann seine Verlagstätigkeit im elterlichen Gartenhaus des Gasthauses zum Lamm in Bietigheim. So wurde er zum Gründer des Neutheosophischen Verlags.17
16
17
MNK November 1982, Seite 173. An diese Schilderung schloss Fedor Görwitz den Aufruf zur Bücherverbrennung an: »Die Schilderung der höchst traurigen Erfahrungen Thieme's mit diesen Schriften hat
uns tief erschüttert. Die Lorber'schen und ähnliche spiritistische Schriften sind besonders gefährlich
für vereinzelte Leser der Schriften Swedenborgs, die des Schutzes der kirchlichen Gemeinschaft entbehren, und sich durch eine scheinbare Verwandtschaft mit den gottgegebenen Schriften der Neuen Kirche
täuschen lassen. Es ist die Pflicht der Vertreter der Neuen Kirche und insbesondere des kirchlichen
Lehramtes, vor diesen Schriften zu warnen. Wir möchten allen Freunden, die sich etwa im Besitz solcher Schriften befinden mögen, den Rath geben: Folgt dem Beispiele Thieme's, und verbrennt sie; sie
sind unlautern Ursprungs. Die Schriften Swedenborgs sind heilige Wahrheit, die spiritistischen Schriften sind Trug. In den Schriften des gottgesandten Swedenborg umweht uns erquickende reine Himmelsluft, in den spiritistischen Schriften eine unreine, betäubende, phantastische Sphäre.« (aaO., Seite
173).
Der biographischen Übersicht liegen die folgenden Veröffentlichungen zu Grunde: Michael Junge,
Dokumentation um Jakob Lorber, Düsseldorf 2004. Begegnung mit dem prophetischen Werk Jakob
Lorbers: Gedenkschrift des Lorber-Verlags zum 150. Jahr der Berufung Jakob Lorbers zum »Schreib-
Die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber
13
Landbeck machte Neukirchenleute in großem Umfang mit den Schriften Lorbers bekannt. Das
frühste diesbezügliche Zeugnis weist uns auf die zweite Hälfte der 1870er Jahre. Landbeck
schrieb rückblickend im Jahr 1903 das Folgende: »Als der Unterzeichnete [= Landbeck] vor
mehr als einem Viertel-Jahrhundert noch im Geistesfrühling des Neuen Lichtes stand, kam
derselbe mit F. G. [= Fedor Görwitz], unserem dermaligen Angreifer, und einigen seiner AmtsGenossen in Berührung. Diese als Anhänger Swedenborgs anerkannten ›Neue Offenbarungen‹;
daher benützte er die Gelegenheit, diese Vertreter der Neuen Kirche auf das weiterentwickelte
Neu-Offenbarungs-Werk des Herrn durch Lorber u. A. aufmerksam zu machen; aber all das
war vergebliche Liebesmüh, wie eine Mohrenwäsche.«18 Aus diesem Bericht geht auch schon
hervor, dass diese Begegnung nicht im Sinne Landbecks verlaufen war. Aus den Jahren 1890
und '91 sind weitere Belege erhalten, die zeigen, dass Landbeck in diesen Jahren zahlreiche
Schriften an den »Bote[n] der Neuen Kirche« schickte, dessen Redakteur damals Adolph Roeder war.19
Fedor Görwitz, der Weichensteller
Fedor Görwitz (1835-1908) wurde 1835 im thüringischen Apolda als letzter Sohn des Superintendenten Dr. Friedrich Görwitz geboren, nach dem dort heute noch eine Straße benannt ist.
Nach dem Tod seines Vaters 1846 zog die Familie nach Jena um. Dort verbrachte er die Gymnasialzeit am Zenkerschen Institut, einer damals in hohem Ansehen stehenden Privatschule
für Jungen und höhere Töchter. Dem Wunsche seines Vaters folgend wandte er sich danach
dem kaufmännischen Berufe zu. 1859 wanderte er nach Nordamerika aus, wo er sich nach
18
19
knecht Gottes«, Bietigheim 1990. Neue Prophetie, Bietigheim 1960. 125 Jahre Lorber Verlag. 100 Jahre
in Bietigheim, Bietigheim 1979.
Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche NeuTheosophie. Allen Wahrheitsfreunden besonders denen der neuen Kirche dargereicht von Adalbert
Jantschowitsch, hrsg. von Christoph Friedrich Landbeck, Bietigheim 1903, S. XVI.
Im Boten der Neuen Kirche sind die Landbeck'schen Sendungen vermerkt: »›Der große Advent‹ ist der
Titel der neuesten Publikation aus dem Verlage von Joh. Busch, Nachf. in Bietigheim, Württemberg,
Deutschland. Es ist dies eine Sammlung von Blättern, zum Verständnis der Wiederkunft Jesu Christi,
mit einem Anhang über den Antichrist und das tausendjährige Reich. — Aus demselben Verlage ging
uns zu: ›Das Evangelium des Jakobus, enthaltend die Jugendgeschichte unsers Heilandes Jesu Christi‹,
sowie auch ›Jesu Briefwechsel mit Abgarus, König von Edessa‹, beides Werke, in welchen das Lehrsystem der neutheosophischen Richtung entwickelt wird.« (Bote der Neuen Kirche 1.5.1890, Seite 135).
»Aus dem Verlage von C. F. Landbeck in Bietigheim (Wtbg.) gingen uns verschiedene Werke zu. Zwei
derselben sind hübsch in Leinwand gebunden, die andern in Pamphletform. Das erste Werk umfaßt
224 Seiten und behandelt ›Schöpfungsgeheimnisse‹, und werden darin die Naturkräfte, wie Licht, Luft,
Wasser u. s. f. in ihren Beziehungen zu geistigen Dingen erforscht. Das Kapitel über die ›Pyramiden‹
und das über das ›Kreuz‹ in der Schöpfung haben uns sehr gut gefallen, obgleich wir vielleicht nicht
mit allen darin gezogenen Schlüssen übereinstimmen können. Das zweite Werk umfaßt 252 Seiten und
trägt den Titel ›Vaterbriefe‹. Dasselbe bietet keine zentrale Ideen, sondern schließt viele Ermahnungen
und Rathschläge an die Menschheit ein. Das eine Pamphlet (32 Seiten) heißt ›Winke über die Unsterblichkeit der Menschenseele und vom Wiedersehen jenseits‹, während das Andere die Menschwerdung
des Herrn auf Erden als Mittelpunkt hat, und derselben und dem Erdenleben des Herrn die vollgültige
historische Wichtigkeit und Richtigkeit beweist.« (Bote 15.10.1890, Seite 32). »Aus dem Verlag von C.
F. Landbeck, Bietigheim a. E., Württemberg, Deutschland gingen uns einige Traktate zu, darunter ein
›Verloren gegangener Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Laodicea‹. Derselbe ist in ähnlichem Style geschrieben, wie die andern; es ist aber unter diesem Titel nicht ein archäologischer Fund
zu suchen, sondern eine ›Wiedergabe‹ durch Jakob Lorber.« (Bote 15.2.1891; Seite 95). »Aus dem Verlag von C. F. Landbeck ging uns zu ›das innere, lebendige Wort Gottes‹, eine Abhandlung, in welcher
zusammengestellt wird, was viele religiöse Schreiber über den innern Geist der Schrift geschrieben
und geredet haben. Darunter Augustinus, Athanasius, Luther, A. Kempis, Egardus, Joh. Tauler, Arndt
und Andere. Swedenborg, obgleich er viele Bände über den wirklichen innern Sinn des heiligen Wortes
geschrieben, wird nicht erwähnt.« (Bote 1.10.1891, Seite 23).
14
Thomas Noack
kurzem Aufenthalt in New York in Philadelphia niederließ. Dort machte er im Haus von Francis Edmund Boericke (1826-1901) die Bekanntschaft mit den Lehren der Neuen Kirche. 1870
heiratete er Minna Tafel (1847-1912), die Tochter von Leonhard Tafel (1800-1880), der uns
heute vor allem als Übersetzer einer neukirchlichen Bibel bekannt ist. 1879 wurde er auf
Beschluss der General Convention für das Pfarramt der Neuen Kirche ordiniert und kehrte im
selben Jahr auf Veranlassung von Johann Gottlieb Mittnacht (1831-1892) nach Deutschland
(Stuttgart) zurück. Sein Wirkungskreis weitete sich schnell aus. Als 1880 Prediger Hermann
Peisker in Wien starb, begann er, die dortige Gemeinde einmal jährlich zu besuchen. Nach
dem Tod von Prediger Salomon Baumann (1838-1882) vom Schweizerischen Verein der Neuen Kirche fuhr er zur Beerdigung erstmals nach Zürich. 1883 siedelte er in die freiere
Schweiz über und wohnte im Vereinshaus »Zum Frieden« (Sonneggstraße 10). 1893 wurde er
von der General Convention zum Oberpfarrer eingesetzt.20
Fedor Görwitz muss schon unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Amerika (1879) mit den
Schriften Lorbers bzw. des neutheosophischen Verlags in Berührung gekommen sein.21 Damals begann Landbeck seine Verlags- und Missionstätigkeit in Bietigheim. Die erste erhaltene
Äußerung von Görwitz zum Phänomen Lorber stammt aus dem Jahr 1892 und findet sich in
dem Nachruf über Adolph Thieme (siehe oben). Von Anfang an warnt Görwitz eindringlich vor
diesen Schriften: »Es ist Pflicht der Vertreter der Neuen Kirche und insbesondere des kirchlichen Lehramtes, vor diesen Schriften zu warnen. Wir möchten allen Freunden, die sich etwa
im Besitz solcher Schriften befinden mögen, den Rath geben: Folgt dem Beispiele Thieme's,
und verbrennt sie; sie sind unlautern Ursprungs.«22 Die Sorge um die Kirche und die »Reinhaltung« 23 der Lehre war auch der Anlass für die zweite Äußerung, sie stammt aus dem Jahr
1898: Die theosophischen Schriften (aus dem Verlag von Chr. Fr. Landbeck) sind »hie und da
mit den Schriften der Neuen Kirche in Verbindung gebracht worden … Auch manche unserer
Leser mögen von denselben schon gehört haben; eine kurze Besprechung der Sache in unserm Blatte [= Monatblätter für die Neue Kirche] dürfte daher wohl angebracht und von Nutzen
sein.«24 Diese Besprechung mündet dann in dem folgenden Urteil: Die Schriften Lorbers »erweisen sich als eine abscheuliche Verfälschung und Entweihung des Wortes Gottes … Sie
treten auf als ein ›neues Wort‹, als eine unmittelbare Offenbarung des Herrn, der in ihnen als
›Ich‹ in erster Person spricht. Dieses ›neue Wort‹ aber ist nichts anderes als eine Profanation,
ein Zerrbild des Wortes alten und neuen Testaments.«25
Den Höhepunkt erreichte das Vorgehen des Oberpfarrers in der Auseinandersetzung mit
Adalbert Jantschowitsch (1833-1912). Dieser wurde 1833 in Ofen (Buda), der damals mit Pest
noch nicht vereinigten Hauptstadt Ungarns, geboren. Durch das mystische Buch von Honoré
de Balzac wurde er auf Swedenborgs Schriften hingewiesen. 1877 zog er mit seiner Familie
zu seinem Schwiegersohn Hermann Peisker, dem Prediger des Vereins der Neuen Kirche in
Wien. Nach dessen Tod im Jahr 1880 siedelte er in die Schweiz über, wo er zunächst in De20
21
22
23
24
25
Siehe: Pfarrer Fedor Goerwitz, in: MNK Januar 1908, S. 7-13. Zum 100. Geburtstag von Pfarrer Fedor
Goerwitz, in: NKM März 1935, S. 37-41.
Das ergibt sich aus der obigen Äußerung von Chr. Fr. Landbeck (siehe: Abwehr …, Bietigheim 1903, S.
XVI).
MNK November 1892, Seite 173.
Adolf Ludwig Goerwitz schrieb zum 100. Geburtstag seines Vaters und Amtsvorgängers Fedor Görwitz: »Sein Glaube an die in den Schriften Swedenborgs verkündeten Lehren als göttliche Offenbarungen des Herrn aus dem Worte war echt und tiefbegründet. Darin wurzelte sein ehrfürchtiges Wachen
über ihre Reinhaltung.« (NKM März 1935, Seite 39).
MNK Dezember 1898, Seite 183.
MNK Dezember 1898, Seite 186.
Die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber
15
gersheim und dann in St. Gallen wohnte. Während dieser Zeit versah er neben seiner beruflichen Tätigkeit als Vertreter des Konsuls in St. Gallen für zwei Jahre auch das Predigeramt des
Neukirchenvereins in Herisau. 1888 kehrte er in seine Geburtsstadt Budapest zurück. Auch
im dortigen neukirchlichen Verein war er als Prediger tätig. 1905 siedelte er nach Berlin über,
wo er 1912 starb.26 Zwischen 1902 und 1904 trat Jantschowitsch innerhalb der Neuen Kirche
für die Schriften Lorbers ein27 und zog sich damit den Unmut seines Oberpfarrers zu. Görwitz
schrieb: »Das umfangreiche Lorber'sche ›Evangelium St. Johannis‹ … ist … nichts anderes als
eine Entweihung des heil. Gotteswortes durch läppische Zusätze, von denen sich der im Lichte der Neuen Kirche Stehende mit Grauen abwenden muß.«28 Zunächst hielt Jantschowitsch
noch dagegen und schrieb seinerseits eine »Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche Neu-Theosophie«; sie erschien 1903 im Verlag
von Chr. Fr. Landbeck. Doch bereits im Oktober 1904 bekannte Jantschowitsch »Mein Pater
peccavi!« (Mein Vater, ich habe gesündigt). In dem so betitelten, öffentlichen Eingeständnis
seines Irrtums schrieb das reumütige Schaf nun: »Die Lehren der ›christlichen Theosophie‹ …
erkläre ich hierdurch … für … Unverstand und Irrtum, ja für nichts als Lug und Trug, und höllischen Unsinn phantastischer, schwärmerischer, in Größenwahnsinn bereits vollständig
verfallener Teufelsgeister, die sich nicht scheuen hiezu sogar des allerheiligsten Namens des
Herrn sich zu bedienen, und so diesen usurpierend und lästernd zu entweihen.«29 Die Position
von Görwitz hatte sich wie schon im Fall Adolph Thieme durchgesetzt. Durch Görwitz wurde
die Dämonisierung und Tabuisierung der Schriften Lorbers innerhalb der Neuen Kirche zur
allgemeinen Praxis.
Es gab zwar innerhalb der Neuen Kirche jenseits des Atlantiks auch liberale Stimmen, doch
die vorherrschende Tendenz strebte die Ausbildung einer orthodoxen Konfessionskirche nach
altkirchlichem Vorbild an. Johann Czerny war ein solcher Vertreter einer liberalen Position. In
einem Brief vom 9. August 1903 an Chr. Fr. Landbeck schrieb er: Fedor Görwitz und ich, wir
»sind sogar etwas verwandt, und es tut mir sehr leid, daß ich mit ihm nicht in einer zutraulichen Freundschaft stehen kann; er scheint auf das äußere Wesen sehr beschränkt zu sein,
und die babylonische Autorität fest zu halten. Mir werden so viele Zeitungen und Zeitschriften
zugeschickt, daß ich nur wenige davon lesen kann; aber Ihre Schriften habe ich alle durchgelesen, und soweit mein schwacher Verstand reicht, finde ich die Neutheosophischen Schriften
wesentlich mit dem Worte Gottes und mit den Schriften Swedenborgs übereinstimmend, und
ich danke Ihnen, daß Sie meiner gedachten.«30 Bemerkenswert sind auch die Äußerungen von
Adolph Roeder, der der Präsident der Synode der Neuen Kirche in Amerika war. In einem Brief
vom 17. Juli 1903 an Chr. Fr. Landbeck lesen wir: »Ich glaube natürlich, daß Jantschowitsch
Recht hat, und daß Görwitz eine Richtung der N. K. vertritt, die uns Allen sehr leid thut.« 31
Adolph Roeder trat dafür ein, dass man der Glaubenssprache des anderen mit Achtung begegnen sollte. In einem Brief vom 31. August 1903 an Chr. Fr. Landbeck schrieb er: »Wenn ich
26
27
28
29
30
31
Zur Biografie siehe: Schriftsteller Adalbert Jantschowitsch, in: Bote der Neuen Kirche, 1. Februar 1902,
S. 1; Nachruf in MNK Oktober 1912, S. 185f.
Mir sind die folgenden zwei Publikationen von Adalbert Jantschowitsch bekannt: »Eine FrauenHeilsbotschaft vom Herrn« (Bote 1.10.1902, Seite 15; 1.11.1902, Seite 30; 1.12.1902, Seite 47-48;
1.2.1903, Seite 71-72). »Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen General-Pastors gegen
die christliche Neu-Theosophie«, Budapest, Januar 1903.
MNK Dezember 1902, Seite 197f.
MNK Dezember 1904, Seite 194.
Mir liegt dieser Brief in einer Fotokopie ohne Quellenangabe vor.
Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche NeuTheosofie, hrsg. von Christoph Friedrich Landbeck, Bietigheim 1903, Seite 98.
16
Thomas Noack
als Deutscher geboren bin, und die deutsche Sprache mir lieb und lieber ist als alle anderen
Sprachen, so bin ich eben dadurch gezwungen auch meinem englischen Nachbarn dasselbe
Recht einzuräumen; dem muß sein Englisch ebenso lieb sein, wie mir mein Deutsch. Wie
kann es denn anders sein? Und so ist es auch mit unserer geistigen Sprache. Ich spreche
›neukirchlich‹; ein anderer spricht ›neutheosophisch‹, und Jeder hat seine eigene geistige
Sprache am liebsten; aber wie ich als Deutscher englisch lernen kann, so daß ich es ziemlich
gut schreiben kann, und dennoch mein eigenes Deutsch sehr lieb habe, so kann ich als Neukirchlicher oder als Neutheosoph die geistige Sprache meines Nebenmenschen lernen, ja
sogar gut lernen, daß ich sie beinahe reden kann; mit anderen Worten, daß ich ganz in seine
Denkweise mich versenken und dennoch immer meinem eigenen Ideal einer Theosophie oder
Philosophie treu sein kann, ohne mir selbst oder meinem Nebenmenschen gehässig zu werden, oder Schaden zuzufügen.«32
Pseudo-Offenbarungen des Spiritismus
Für Fedor Görwitz waren die »Lorber'schen
Schriften« »Pseudo-Offenbarungen des
Spiritismus«33. »Wir haben es« hier, so schrieb er, »mit
einem der frühesten Erzeugnisse des modernen
Spiritismus zu thun.«34 Meines Erachtens hat es
sich Fedor Görwitz mit dieser Klassifizierung zwar
etwas zu einfach gemacht, aber zum Verständnis
seines Standpunktes muss man dennoch sagen,
dass sich Christoph Friedrich Landbeck in keiner
Weise vom Spiritismus seiner Zeit abgegrenzt hatte.
Im Gegenteil, er gab beispielsweise die Schrift
»Frohe Botschaft vom Morgenroth des Neuen
Geistestags«35 (siehe nebenstehende Abbildung)
heraus, in der zahlreiche spiritistische »Mittheilungen von seligen Freunden«, unter anderem von
»Imanuel Swedenborg«, gesammelt waren. So passte
die frühe Lorberbewegung bestens in das Erscheinungsbild des modernen Spiritismus, den man 1848
mit dem Klopfgeist von Hydesville beginnen lässt.36
32
33
34
35
36
Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche NeuTheosofie, hrsg. von Christoph Friedrich Landbeck, Bietigheim 1903, Seite 102. Für den Vergleich der
Lehrsysteme mit Sprachen kann man sich beispielsweise auf Swedenborgs Auslegung der Erzählung
von Turmbau zu Babel berufen (HG 1284). Man darf in diesem Zusammenhang auch an oft zitierte
»ökumenische« Worte Swedenborg denken (siehe HG 1799, 1834).
MNK Dezember 1902, Seite 199.
MNK Dezember 1898, Seite 185.
Mir liegt die dritte erweiterte Auflage Bietigheim 1913 vor.
Damals »vernahmen« »Leah (10) und Kate (12)« »im Haus ihres Vaters, des Farmers John Fox, in Hydesville bei Rochester (USA) merkwürdige Klopflaute und andere Geräusche. Eine Untersuchungskommission aus den ›gebildetsten Bewohnern‹ Rochesters … konnte die Klopftöne nicht natürlich
erklären. Als ein pfiffiger Nachbar, Isaak Port, ein Klopf-ABC erfunden hatte, wurde ein Gespräch mit
dem Geist möglich. Er erzählte, er habe als Kaufmann in dem Haus Fox gelebt und sei ermordet im
Keller verscharrt worden. Man grub nach und fand ein Skelett.« (Kurt Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten: Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen, Stuttgart 1989, Seite
722).
Die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber
17
Mit der Einordnung der »Lorber'schen Schriften« in den Spiritismus verband sich ein Urteil,
denn in der Neuen Kirche hatte sich schon vor Görwitz eine bestimmte Bewertung des Verkehrs mit der Geisterwelt herausgebildet. Bereits Swedenborg hatte vor einem solchen Verkehr gewarnt. In seinem geistigen Tagebuch notierte er: »Wenn Geister mit dem Menschen zu
reden anfangen, so soll er sich hüten, ihnen das Mindeste zu glauben; denn beinahe alles, was
sie sagen, ist von ihnen erdichtet, und sie lügen … Aus diesem Grunde ist der Zustand des
Redens mit Geistern auf dieser Erde das Allergefährlichste37 für den, der nicht im echten
Glauben ist. Sie flößen eine so starke Überredung ein, es sei der Herr selbst, der spricht und
befiehlt, dass der Mensch nicht anders als glauben und gehorchen kann.« (GT 1622).38 Und
auch der allseits verehrte Immanuel Tafel sprach sich gegen den Verkehr mit der Geisterwelt
und gegen unmittelbare Offenbarungen aus. Einem Brief vom 13. Mai 1863 an Julie Conring
entnehme ich den folgenden längeren Abschnitt: »Es wird Ihnen aber bekannt sein, daß Swedenborg diesen Verkehr [der Geister mit Menschen] nicht nur für seelengefährlich, sondern
auch als leicht in's Irrenhaus führend bezeichnet hat, was leider auch durch neue Erfahrungen im Gebiete des Spiritualismus, die mich ziemlich nahe angiengen, bestätigt worden ist.
Für besonders gefährlich halte ich die Mittheilungen von Geistern über Religionslehren, und
besonders die sogenannten unmittelbaren Offenbarungen, für die nur wir die sichern Kriterien
haben, und die, wie Swedenborg zeigt, gar nicht mehr möglich sind, weil sie gegen die unwandelbaren Gesetze der göttlichen Vorsehung verstoßen. Einst wurde der Freund einer angeblichen Seherin in Wien in unsere Versammlung in Stuttgart eingeführt, und bat nach meinem
Vortrag um das Wort, worauf er unter anderem sagte, es gebe gegenwärtig nur Ein Mitglied der
Neuen Kirche, eine Seherin in Wien, die vom Herrn täglich unmittelbar belehrt werde. Ich
bemerkte darauf, Swedenborg habe auf den Grund von Dan. 9,26. und Luc. 16., bewiesen (in
dem Werke von der Vorsehung § 134-36) daß der Herr nicht mehr unmittelbar lehre, sondern
blos mittelbar durch das Wort, auch nicht durch Geister und Engel, er selbst ›habe nun schon
so lange Umgang gehabt mit Geistern und Engeln, aber kein Geist habe gewagt, und kein Engel gewünscht, ihm Belehrungen zu geben über das Wort oder über eine Lehre aus dem Wort,
sondern es habe ihn der Herr selbst gelehrt, aber mittelbar durch das Wort in der Erleuchtung.‹
… Jenes Prinzip, daß die heilige Schrift … alleinige Erkenntnißquelle der Religion sei, ist
höchst wichtig, und erleichtert gar sehr die Anknüpfung bei den Protestanten, während es
zugleich allen Fanatismus der sich einander widersprechenden angeblichen Offenbarungen
37
38
Die Gefährlichkeit des Redens mit Geistern geht auch aus einem Schreiben Swedenborgs an Ludwig IX,
den Landgrafen von Hessen-Darmstadt, hervor: »Es wird zwar wohl bisweilen gestattet, dass ein Geist
bei einem Menschen eingehe, und ihm irgendeine Wahrheit kundtue oder mitteile, aber es wird diesem
Menschen nicht gestattet, von Mund zu Mund mit dem Geiste zu reden. Es ist dies auch eine sehr gefährliche Sache, besonders wenn der Geist in die Neigung der Eigenliebe eingeht, welche Neigung sich nicht
verträgt mit der himmlischen Liebe.« (Leben und Lehre, 1. Teil, Seite 63).
In OT 1 (1989) 26 schreibt F. Horn: »Man findet bei ihm [Swedenborg] zahlreiche Warnungen vor dem
Spiritismus … Den Landgrafen von Hessen … warnt er ungeniert, wer versuche, von sich aus in die geistige Welt einzudringen, begebe sich des unerläßlichen Schutzes des Herrn; es sei dies ›der kürzeste
Weg ins Irrenhaus‹.« Hier liegen zwei Irrtümer vor. Erstens ist dieses Wort nicht im Briefwechsel
Swedenborgs mit den Landgrafen enthalten, sondern in Robsahm's Memoiren. Dort lautet es: »In einer
Unterredung mit ihm fragte ich ihn einmal, ob es möglich sei, daß jemand zu derselben geistigen Stufe
gelange, auf welcher er sich befinde? Er erwiderte: ›Nehmen Sie sich in Acht davor; dies ist ein Weg,
der gerade zum Irrenhause führt; denn der Mensch weiß in solchem Zustande, wenn er über geistige
und geheimnisvolle Dinge grübelt, sich nicht zu behüten vor den Betrügereien der Hölle, welche eben
dann Gelegenheit bekommen, ihn anzufechten, wenn er als bloß natürlicher Mensch durch eigenes Spekulieren die himmlischen Dinge, welche seinen Begriff übersteigen, erforschen will‹.« (Leben und Lehre, 1. Teil, Seite 12). Aus diesem Zitat geht auch der zweite Irrtum hervor. Die Aussage Swedenborgs
steht nicht im Zusammenhang des Spiritismus, sondern des Grübelns über geistige (= metaphysische)
Dinge.
18
Thomas Noack
mit der Wurzel ausrottet. Jene Seherin und ihr Freund nahmen einen sehr traurigen Ausgang.
Für viele Menschen ist jedoch der kritisch beleuchtete Spiritualismus eine Brücke zum Glauben, deren wir jedoch nicht bedürfen, zumal wir auf diesem Wege nichts wesentlich Neues
lernen können.« 39
Die Zuordnung der Schriften Lorbers zu denjenigen des Spiritismus war nicht das Ergebnis
einer gründlichen Untersuchung, sondern diente der schnellen Abwehr des aufdringlichen
Verwandten. Ohne die Zuordnungsfrage aus einer swedenborgschen Sicht hier beantworten
zu können, möchte ich auf zwei Dinge kurz hinweisen. Erstens: Swedenborg unterscheidet
zwei Arten von Offenbarungen: »Jede Offenbarung stammt entweder aus der Rede mit Engeln
(ex loquela cum angelis), durch die der Herr redet, oder aus dem Innewerden (ex perceptione)«
(HG 5121). Für Lorber kommt nach diesem Klassifizierungssystem die erste Variante in Betracht, zumal diese Form der Offenbarung »durch das lebendige in ihnen (den Offenbarungsempfängern) gehörte Wort (per vivam vocem auditam in illis)« (HG 5121) geschieht. In diesem
Zusammenhang ist eine Bemerkung aus dem durch Lorber empfangenen Werk »Robert Blum«
interessant. In Bezug auf den Schreibknecht Gottes sagt der jenseitige Robert Blum: »Das ist so
ein schwaches irdisches Knechtlein von Dir und schreibt, was Du ihm durch irgendeinen
Engel in Deinem Namen in die Feder diktierst.« (RBl 2,261,5). Das ist die einzige mir bekannte
Stelle in den Schriften Lorbers, die zwischen dem Herrn und seinem Schreibknecht eine
Vermittlungsschicht nennt. Vielleicht lassen sich die Ähnlichkeiten zwischen den Lehren
Swedenborgs und Lorbers auch dadurch erklären, dass der göttliche Offenbarungsimpuls
durch swedenborgsche Engelvereine hindurchging, bevor er Lorber erreichte. Doch das ist nur
eine Vermutung. Zweitens möchte ich Äußerungen Swedenborgs ins Gespräch bringen, die
sich als Ankündigung Lorbers interpretieren lassen. In den Himmlischen Geheimnissen heißt
es: »In der ältesten Kirche, mit welcher der Herr von Angesicht zu Angesicht sprach, erschien
er wie ein Mensch, wovon vieles berichtet werden kann, aber es ist noch nicht an der Zeit (sed
nondum est tempus).« (HG 49). Da sich diese Andeutung am Anfang des ersten Offenbarungswerkes Swedenborgs befindet, bezieht man sie wohl am einfachsten auf Swedenborg
und sagt, er glaubte, ein solches Werk selbst schreiben zu können. Andererseits kann man die
Erfüllung dieser Ankündigung aber auch in der durch Lorber geoffenbarten Haushaltung Gottes erblicken. Noch interessanter ist ein Hinweis Swedenborgs in einem Brief vom 11. November 1766 an Oetinger, darin heißt es: »Bei einigen wird auch eine redende Erleuchtung
(illustratio loquens) gegeben werden, und diese ist mehr als ein Zeichen.« Die redende Erleuchtung oder Illustration (der allgemeinen Prinzipien Swedenborgs) kann sich auf das innere Wort Lorbers beziehen.40
Friedemann Horn, die Forderung nach Offenbarungskritik
Friedemann Horn (1921-1999) wurde im Zweiten Weltkrieg zu einem Swedenborgianer.
Weihnachten 1939 erhielt er von Frau Kammersänger Else Schmidt, seiner Zimmerwirtin in
39
40
Briefe von Dr. J. F. Immanuel Tafel an Fräulein Julie Conring … Herausgegeben und Freunden gewidmet von J. G. Mittnacht, Frankfurt am Main 1881, S. 13f. Vgl. auch Leben und Wirken von Dr. Joh. Fr.
Immanuel Tafel …, Herausgegeben und bevorwortet von Christian Düberg, Wismar 1864, S. 65-71.
Zum Umfeld der Wiener Seherin gehören nach Düberg Dr. M. und Dr. K. In einem geschichtlichen Kalender der Neuen Kirche in Wien findet sich neben der Jahreszahl 1855 die Notiz: »Dr. Johannes Koch
und Karl Markl führen die Neukirchenbekenner durch ihre falsche Auffassung der Lehren auf Irrwege.«
Auf Fedor Görwitz folgte Adolf Ludwig Görwitz (1885-1956), auf den ich jedoch nicht eingehe, weil er
die Linie seines Vaters nur fortsetzte, indem er »in den Lorber'schen Schriften keine Diktate des Herrn
Jesus Christus erblicken« (NKM Januar /Februar 1945, Seite 17) konnte, sondern sie auf einen »Truggeist« (NKM Januar /Februar 1945, Seite 15) zurückführte.
Die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber
19
Jena, das Buch »Was lehrt die Neue Kirche?« von Adolf Ludwig Görwitz, mit dem er aber zunächst nichts anfangen konnte. Doch 1942, als er als Soldat in Messina war und das Buch in
dieser »himmlischen« Umgebung noch einmal las, war er offen für die darin enthaltenen
Ideen, so dass er, der vor dem Krieg Theaterwissenschaft studiert hatte, nach dem großen
Gemetzel das Studium der Theologie aufnahm. 1951 promovierte Horn bei Ernst Benz (19071978) mit einer Arbeit über »Schelling und Swedenborg« (abgeschlossen 1950). Seit 1950
hielt er sich durch Vermittlung von Max Adam in der Schweiz auf, zuerst in Basel, dann in
Zürich , wo er 1952 ordiniert (und 1977 zum Oberpfarrer eingesetzt) wurde. Nach dem Tod
seines Vorgängers Adolf Ludwig Görwitz am 25. November 1956 wurde er zur bestimmenden
Gestalt des deutschsprachigen Swedenborgianismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dieses Urteil beruht vor allem auf seiner literarische Tätigkeit. 1957 rief er die Zeitschrift »Offene Tore« ins Leben. Außerdem erhielt der Swedenborg Verlag durch seine
unermüdliche Wirksamkeit wichtige Impulse, was nicht zuletzt durch die 1961 gegründete
Hausdruckerei ermöglicht wurde. Neben zahlreichen Nachdrucken vergriffener Bücher, revidierte und übersetzte er mehrere Werke Swedenborgs und erweiterte das Verlagsprogramm
um viele wertvolle Titel der Sekundärliteratur. Aus der sich seit 1960 abzeichnenden Krise
der Volkskirche konnte Horn allerdings auch die Neue Kirche nicht heraushalten. Mehr oder
weniger hilflos musste er das Aussterben fast aller neukirchlichen Gemeinden und Pfarrer
mit ansehen . Auch Horns lebenslanges Anliegen »die Stimme Swedenborgs im Chor der
christlichen Kirchen zu Gehör« zu bringen (so die Worte von Benz an den Doktoranden Horn),
zeitige keine dauerhaften Erfolge.
Friedemann Horn kam schon 1944 oder '45 auch mit den Schriften Jakob Lorbers in Berührung. Diese Erstbegegnung beschrieb er annähernd ein halbes Jahrhundert später mit den
folgenden Worten: »Noch sehr genau erinnere ich mich der Argumentation einer von mir sehr
verehrten uralten baltischen Dame - sie war Inspectrice des kaiserlichen Erziehungswesens
im zaristischen Rußland gewesen und inzwischen an die 90 Jahre alt -, die mir in meinen
jungen Jahren beizubringen suchte, Swedenborg sei so etwas wie ein Grundschullehrer, aber
Lorber sei der Hochschullehrer, der weit über das von Swedenborg vermittelte Wissen hinausgehe. Sie schrieb mir sogar ganze Hefte aus Lorber heraus, weil damals (1944 /45) die Schriften Lorbers ebenso wie die Swedenborgs verboten waren, und von denen ich aus Pietät noch
heute einige verwahre. Ich ließ mich freilich nicht überreden, und als ich später Einblick in
die Originalwerke Lorbers nahm, sah ich auch die Gründe.«41 In den darauffolgenden Jahren
und Jahrzehnten kam Horn immer wieder mit Lorberfreunden in Berührung und wirkte auch
gestaltend auf das Verhältnis ein, beispielsweise indem er in den 1960er Jahren die deutsche
Auslieferung des Swedenborg Verlags der Verlagsgemeinschaft Zluhan übertrug.42
Obwohl Horn stets in intellektueller Distanz zu den Offenbarungen durch Jakob Lorber verharrte, verfiel er doch nie dem polemischen Tonfall der Ära der beiden Görwitze, ja er schämte
sich sogar für »die oft allzu pauschalen, wenig sachlichen Urteile von Neukirchenpfarrern
41
42
OT 5 (1993) 217. Siehe auch die folgende Beschreibung desselben Vorgangs: »Ich habe das [die Behauptung der größeren Vollkommenheit Lorbers gegenüber Swedenborgs] vor mehr als einem halben
Jahrhundert in der Form erfahren müssen, daß mir eine sehr verehrungswürdige, über 80-jährige Lorber-Anhängerin einzureden suchte, Swedenborg sei ja ganz gut und schön, aber er sei eben nur der
›Grundschullehrer‹, Lorber hingegen der ›Hochschullehrer‹ — eine Wertung, die mir angesichts dessen,
was sie mir von Lorber zu lesen gab, nicht einleuchten wollte. Mir schien es eher umgekehrt zu sein.«
(OT 5 (1997) 187).
Einen Überblick der Stationen seiner Begegnung mit Lorberfreunden bietet Horn in OT 5 (1997) 187189. Ihm wurde außerdem die Ehre zuteil, in der »Gedenkschrift des Lorber-Verlags zum 150. Jahr der
Berufung Jakob Lorbers zum ›Schreibknecht Gottes‹« (1990) mit einem Beitrag über »Gedanken zum
Gottesbild bei Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber« aufgenommen zu werden.
20
Thomas Noack
über Lorber«, von denen er »aus den ›Monatblättern‹ wußte«43. Der Wechsel der verbalen Umgangsform und die für einen Swedenborgianer doch sehr weitgehende Anerkennung der Lorberianer als unsere »engsten Verwandten« waren Signale des guten Willens. Bei alledem
wollte Horn aber selbstverständlich von neukirchlichen Voraussetzungen ausgehen, zu denen
nicht zuletzt das berühmte Wort gehört: Nun ist es erlaubt (nunc licet), mit Verstand in die
Geheimnisse des Glaubens einzutreten (WCR 508). Swedenborgianer wollen sich nicht einen
blinden Glauben überstülpen lassen; sie wollen auch in Offenbarungsfragen den Verstand
einschalten, was viele Lorberianer nicht nachvollziehen können. Deswegen entwickelte Horn
in den 1970er Jahren das Programm der Offenbarungskritik. Er nannte zwei Kriterien. Erstens: Das mit den Mitteln des Verstandes Nachprüfbare müsse auf diese Weise überprüft
werden. Das gilt für die historischen und wissenschaftlichen Angaben in den Werken Jakob
Lorbers. Selbstverständlich kann in einzelnen Fälle der Irrtum auch auf Seiten der Wissenschaften liegen, die ja oftmals auch nicht ganz frei von ideologischen Einflüssen sind. Aber es
ist jedenfalls kein Zeichen einer offenen und vorurteilsfreien Auseinandersetzung mit ihnen,
wenn man diese immer nur dann heranzieht, wenn sie wieder einmal etwas aus dem Lorberwerk zu bestätigen scheinen und sie andererseits wie die Pest meidet oder beschimpft, wenn
sie dem im Herzen Geheiligten widerspricht. Wer die Wahrheit sucht, der sucht sie überall.
Daran entscheidet sich, ob man nur ein »Lorberianer« ist oder ein echter Wahrheitssucher, nur
er ist immer wieder offen für die schmerzhafte Geburt neuer Einsichten . Das zweite Kriterium
ist die Übereinstimmung der neuen Offenbarungen mit den alten. Auch dieses Kriterium ist
nicht immer leicht zu handhaben. Ich veranschauliche das gerne mit dem Verhältnis des
Neuen Testaments zum Alten. Auf der einen Seite beteuert Jesus, dass er das Gesetz keineswegs auflösen will (Mt 5,17), auf der anderen Seite schafft sein Gesandter Paulus es im Namen der neuen Möglichkeit des Glaubens ab (Röm 10,4). Stimmt das Neue Testament nun
widerspruchsfrei mit dem Alten überein? An dieser Frage scheiden sich die Gemüter, und an
der Bruchstelle entstand einst die neue Religion des Christentums. Die Forderung der Übereinstimmung der Offenbarungen kann man also zwar erheben und muss man wohl auch erheben, aber was ist damit gewonnen? Am Ende entscheidet der Glaube, ob die Offenbarungen der
neuen Stufe mit denen der alten übereinstimmen.44
Friedemann Horn konnte mit seiner Offenbarungskritik keine Seite zufrieden stellen. Die
Swedenborgianer meinten, er sei den Lorberfreunden zu weit entgegen gekommen. Und den
Lorberianern erschien seine »intellektuelle« Kritik als ein Herumstochern in Äußerlichkeiten.
Meines Erachtens erklärt sich die Unzufriedenheit der Swedenborgianer daher, dass Horn aus
der eigentlich kirchenpolitischen Problematik eine theologische gemacht hatte. Denn der eigentliche Anlass des Unbehagens war ja die Befürchtung der Umwandlung der Berliner Gemeinde der Neuen Kirche in einen Lorberverein durch die Wirksamkeit von Peter Keune. Das
Problem hätte also nicht so ausschließlich auf die theologische Ebene verlagert werden dürfen.
Und die Lorberfreunde kann man mit »Verstandeskritik« sowieso nicht gewinnen. »Verstandesdenken« gilt in Lorberkreisen geradezu als Schimpfwort. Dennoch scheint auch mir die
Reinigung des Urgestein der neuen Wortoffenbarung immer notwendiger zu werden. Aller43
44
OT 5 (1997) 188.
Wenigstens in der Fußnote möchte ich Friedemann Horn selbst zu Wort kommen lassen: »Welche
Möglichkeit gibt es denn aber, den Anspruch der Lorberschen Diktate, unmittelbar vom Herrn selbst
zu stammen, zu überprüfen? Sie ergibt sich aus der Anwendung zweier Forderungen, die grundsätzlich
an jede göttliche Offenbarung gestellt werden müssen: a) Gott kann sich nicht irren, und b) Gott kann
sich im Kern nicht widersprechen (was Widersprüche im Buchstaben, die mit der ungeheuren Spannung der zu offenbarenden Wahrheit und der menschlichen Beschaffenheit des jeweiligen Offenbarungswerkzeugs zusammenhängen, nicht ausschließt).« (Friedemann Horn, Zum Problem der
Offenbarungskritik: Am Beispiel von Swedenborg und Lorber, 1984, 24).
Die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber
21
dings sollte diese Reinigung von innen heraus erfolgen, das heißt aus dem Glauben an die
Göttlichkeit dieser Neuoffenbarung. Die Lorberbewegung müsste innerhalb ihrer eigenen
Glaubensüberzeugungen einen Ansatz für den schöpferischen Umgang mit »ihrer« Offenbarung finden, andernfalls erstarrt sie in Lorberorthodoxie mit allen damit verbundenen merkwürdigen Auswüchsen.
Peter Keune, der Lorberianer unter den Swedenborgianern
Peter Keune (geb. 1932) trat 1955 mit der Berliner Gemeinde der Neuen Kirche in Kontakt,
indem er Pfarrer Erich Reissner (1892-1964) aufsuchte. 1956 wurde er Mitglied der Gemeinde, deren Geschicke er in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend prägen sollte.
Praktisch zeitgleich mit seinem Auftauchen kamen die 1953 begonnenen Bemühungen dieser
Gemeinde um den Erwerb eines Hauses zum Abschluss, denn 1956 kaufte sie die Villa in der
Fontanestraße 17A. Irgendwann zwischen 1955 und 1960 besuchte Peter Keune zudem
erstmals die Berliner Lorbergruppe um Karl Friedrich Schulze-Angern , der Vorträge in der
Buchhandlung für Religions- und Geisteswissenschaften (Damaschkestraße 4) anbot. 1964
starben sowohl Pfr. Reissner als auch Schulze-Angern. Dadurch fiel Peter Keune die Aufgabe
der geistigen Leitung der beiden Gruppen zu. Als 1970 der damalige 1. Vorsitzende der Neuen
Kirche, Alfred Stieger, starb, übernahm er auch dieses Amt, das er bis 2004 innehatte.
Peter Keune, der »Lorberianer unter den Swedenborgianern«45, steht in der Geschichte der
deutschsprachigen Neuen Kirche für die unterschiedslose Verschmelzung dieser Kirche mit
den Lorberfreunden. Diese Entwicklung wurde von den klassischen Swedenborgianern mit
Besorgnis zur Kenntnis genommen. Es ist wohl kein Zufall, dass schon 1965 (ein Jahr nach
der faktischen Übernahme beider Gruppen durch Peter Keune) in der 16. Sitzung des Rates
der neukirchlichen Geistlichen auf dem europäischen Festland (vom 30.8. bis 1.9.1965 in
Zürich) das Verhältnis Lorber und Swedenborg ausführlich besprochen wurde.46 Die Lage
spitzte sich in den 1970er Jahren zu, so dass sich Friedemann Horn genötigt sah, zwischen
1975 und 1977 eine Offenbarungskritik zu veröffentlichen. Als Hedi Schulz, die Leiterin der
Buchhandlung für Religions- und Geisteswissenschaften, 1980 starb, kamen die dortigen Lorbervorträge ins Haus der Neuen Kirche. Die Verschmelzung des Berliner Lorberkreises mit der
Neuen Kirche schritt auch deswegen immer weiter voran, weil das der einzige Weg war, dem
Aussterben und damit dem Schicksal so vieler anderer neukirchlicher Gemeinden zu entgehen. Peter Keune handelte bei alledem aus innerster Glaubensüberzeugung. Er war zutiefst
davon überzeugt, dass der geistige Gehalt der beiden Offenbarungen durch Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber vollständig übereinstimmt. In einem Brief an Horand Gutfeldt vom 17.
Januar 1978 schrieb er: »Ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß beide [Swedenborg und
Lorber] aus derselben Quelle schöpften, und daß scheinbare Widersprüche sich bei rechter
Betrachtungsweise auflösen - bei mir jedenfalls.«
Thomas Noack oder der eigene Standpunkt
Ich (geb. 1959) stieß 1977 auf die Werke Emanuel Swedenborgs und Jakob Lorbers. In dem
Buch »Zeugen für das Jenseits« von Aglaja Heintschel-Heinegg begegnete ich erstmals diesen
beiden »Zeugen«. Das Buch war eine Gemeinschaftsproduktion des Swedenborg und des Lorber Verlags. Nicht selten ist im Anfang alles Weitere schon enthalten. Die gemeinsame Erst45
46
OT 1 (1977) 28.
Pfr. Werner Schmidt (gest. 1975, Neukirchenblatt) trug eine »Analyse der Schriften Lorbers« vor, Pfr.
Horand Gutfeld (1922-1997, Neukirchenblatt 1998) machte auf »Widersprüche bei Lorber und zwischen Lorber und Swedenborg« aufmerksam und Pfr. Friedemann Horn umriss »Unsere Beziehungen
zu den Lorberianern«.
22
Thomas Noack
wahrnehmung Swedenborgs und Lorbers in einer Gemeinschaftsproduktion der beiden Verlage
enthielt die Konstellation meines weiteren Weges. 1979 kontaktierte ich Peter Keune, den
Leiter des Berliner Lorberkreises und der Neuen Kirche. Wiederum begegneten mir Emanuel
Swedenborg und Jakob Lorber als Geschwisterpaar. Von dem gerade abgeflauten Streit in der
Berliner Gemeinde über das Problem der Einbeziehung Lorbers in das Gemeindeleben wußte
ich damals nichts, nur einige merkwürdige Empfindlichkeiten nahm ich hier und da beiläufig
zur Kenntnis. 1982 hielt ich meinen ersten Vortrag im Haus der Neuen Kirche. Dort durfte
seit 1981 die Buchhandlung für Religions- und Geisteswissenschaften ihre Vorträge anbieten.
Dem neukirchlichen Vereinswesen stand ich distanziert gegenüber, so dass ich erst 1985
Mitglied der Neuen Kirche wurde. Pfr. Friedemann Horn gab mir schon 1984 bei einem denkwürdigen Spaziergang um den Grunewaldsee die Anregung, Theologie zu studieren. Doch erst
1987 konnte ich mich endgültig dazu entschließen, diesen Weg auch tatsächlich zu gehen. An
der Kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf begann ich das Studium der evangelischen
Theologie als Gasthörer. 1993 siedelte ich nach Zürich über. 1994 ordinierte mich Friedemann Horn zum Pfarrer der Neuen Kirche. 2004 gab ich das Buch »Der Seher und der
Schreibknecht Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber im Vergleich« heraus. Die darin
gesammelten Aufsätze sind allerdings sehr von dem Wunsch nach einer Harmonisierung der
beiden Lehrsysteme geprägt. In einem neuen Anlauf müsste das je eigene Profil der beiden
deutlicher herausgearbeitet werden. 2005 schloss ich das Studium der evangelischen Theologie ab und kann mich seitdem uneingeschränkt der Neuen Kirche widmen.
Aus dem geschichtlichen Überblick und meinen persönlichen Erfahrungen leite ich die folgenden Überzeugungen und programmatischen Überlegungen ab. Zwei Ebenen sind zu unterscheiden: die institutionelle und die inhaltliche (oder theologische).
Auf der institutionellen Ebene geht es um das Problem der Verschmelzung der Neuen Kirche
mit der Lorberbewegung bzw. den Lorbergruppen. Dieses Problem kann man meines Erachtens nur dann lösen, wenn man zwischen der neuen Kirche Swedenborgs und der Neuen
Kirche seiner Anhänger unterscheidet. Zur »nova ecclesia« Swedenborgs, die weniger eine
Körperschaft als vielmehr ein neues Zeitalter ist, gehören neben vielen anderen Gruppen
auch die Lorberianer. Die Neue Kirche der Anhänger Swedenborgs dagegen ist aufgrund ihres
geschichtlichen Ursprungs und ihrer Tradition eine Swedenborgkirche. Daher habe ich zuweilen für eine Umbenennung der Neuen Kirche in Swedenborgkirche plädiert. Auf diese Weise
könnte man der leidigen Verwechslung der neuen Kirche mit der Neuen Kirche einen Riegel
vorschieben. Wenn man sich dieser Unterscheidung anschließt, dann kann man sagen: Sowohl die Swedenborgkirchen als auch die Lorbergruppen (und viele andere Gemeinschaften)
sind ein Teil der neuen Kirche.
Auf der Grundlage dieser Unterscheidung kann man auch erkennen, dass die Auffüllung der
an personeller Auszehrung leidenden Neuen Kirche mit Lorberfreunden einen Irrweg darstellt,
zumindest dann, wenn damit die allmähliche Umwandlung der Swedenborgkirche in eine
Lorbergemeinschaft verbunden ist. Die Neue Kirche sollte eine Swedenborgkirche bleiben.
Wenn dann aber die Abgrenzung und Eigenständigkeit der beiden Gruppen klar ist, dann lassen sich viele Formen einer gedeihlichen Zusammenarbeit denken und praktizieren. Nirgends
ist die Verschmelzung der Swedenborgkirche mit den Lorberfreunden so sehr vollzogen worden wie in Berlin. Man muss es dieser wackeren Gemeinde allerdings zugute halten, dass sie
in einer Zeit des Aussterbens der Neuen Kirche auf diese Weise wenigstens ihre Existenz
retten konnte. Gleichwohl zeigen sich mit der fortschreitenden Verwirklichung des Berliner
Models auch seine problematischen Seiten. Denn erstens bleibt unter der behaupteten vollständigen Übereinstimmung der Lehrsysteme Swedenborgs und Lorbers Swedenborg auf der
Strecke. Und zweitens bleibt die Metamorphose des Vereins unvollständig, denn aus irgendei-
Die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber
23
nem Grund schreckt man in Berlin davor zurück, die Satzung und die äußere Erscheinung
dem inneren Gestaltwandel anzugleichen.
Zur vollständigen Betrachtung des Problems gehört auch, dass man es auch aus der Sicht des
Einzelnen behandelt. Es gibt eine beachtliche Anzahl von Personen, die beide Offenbarungen
annehmen können. Es gibt also nicht nur Swedenborgianer und Lorberianer, sondern gleichsam dazwischen stehend noch eine dritte Gruppe. Meist handelt es sich dabei eher um Lorberfreunde, denen Swedenborg aber sehr viel bedeutet. Gegen diese Verbindung von Lorber und
Swedenborg im Gemüt gläubiger Menschen ist an sich nichts einzuwenden. Denn mit einem
Wort Swedenborgs kann man dazu sagen: Wenn die Christen »die Liebe zum Herrn und die
Nächstenliebe zur Hauptsache des Glaubens machten, dann wären die unterschiedlichen
Lehren nur verschiedene Meinungen über die Geheimnisse des Glaubens, welche die wahren
Christen dem Gewissen eines jeden überließen.« (HG 1799). Überlassen wir also die Verquickung der beiden Lehrsysteme dem Gewissen eines jeden Einzelnen! Wie soll man dann aber
damit umgehen, wenn Mitglieder dieser dritten Gruppe in die Swedenborgkirche eintreten
wollen? Die Mitgliedschaft sollte ihnen nicht verwehrt werden, wenn klar ist, dass sie dem
statuarischen Zweck der Swedenborgkirche dienen wollen. Ich will zur Verdeutlichung ein
Bild gebrauchen: Selbstverständlich können Hundezüchter, die zugleich auch echte Katzenliebhaber sind, in einem Katzenclub Mitglied werden. Sie sollten dort aber nicht Hunde züchten wollen.
Das swedenborgsche Profil der Neuen Kirche muss wieder gestärkt werden. Allerdings kann
das nicht eine Rückkehr zur alten Swedenborgorthodoxie bedeuten. Die Theologie der Neuen
Kirche muss weiterentwickelt werden. Die Neue Kirche hat viel zu lange im Gefühl theologischer Überlegenheit swedenborgsche Lehrsätze repetiert. Dabei ist sie zum Denkmalpfleger
geworden. Lorber ist nicht wirklich die Lösung dieser neukirchlichen Erstarrung. Die Lösung
liegt vielmehr darin, dass das Denkmal »Swedenborg mit Perücke« lebendig wird, vom Sockel
steigt und den langen Weg vom 18. Jahrhundert bis heute zurücklegt. Das ist eine Bewusstseinsentwicklung. Aus Anhängern müssen schöpferische Geister werden. Das ist in meinen
Augen die wirkliche Belebung der Neuen Kirche. Die Lorberinfusion hingegen stellt nur die
künstliche Belebung eines nach wie vor kranken Patienten dar.
Auf der inhaltlichen oder theologischen Ebene geht es um den Vergleich der Lehrsysteme
Swedenborgs und Lorbers. Ich kann mich zu diesem notwendigen Vergleich hier allerdings
nur als Pfarrer der Swedenborgkirche äußern. Der institutionelle Gesichtspunkt ist also nicht
völlig ausgeblendet. Gleichwohl stehen die Aufgaben des theologischen Vergleichs im Vordergrund. Meines Erachtens sollte die Swedenborgkirche ausgehend von ihren eigenen Voraussetzungen die Schriften Jakob Lorbers als eines ihrer Forschungsgebiete betrachten. Sie
können beispielsweise als ein sehr außergewöhnlicher Fall der Rezeptionsgeschichte Swedenborgs angesehen werden. Mir erschien es schon immer sonderbar, dass die Swedenborgianer die Wirkungsgeschichte ihres Meisters oft und gerne untersucht, Lorber aber
ausgeklammert hatten. Die Geschichte des Umgangs der Neuen Kirche mit dem Neuoffenbarer
aus Graz hat mir diese Merkwürdigkeit zwar verständlich gemacht, zugleich aber auch zu der
Einsicht geführt, dass die unsachliche Ausgrenzung der Lorberschriften, ihre Tabuisierung
innerhalb der Neuen Kirche, geschichtlich betrachtet genau zum Gegenteil des Beabsichtigten
geführt hat, nämlich zu einer ebenso unangemessenen Überschwemmung der Swedenborgkirche durch lorbersches Gedankengut. So rächen sich Verdrängungen!
Die Neue Kirche muss in die sachliche und inhaltliche Auseinandersetzung mit den theologischen Inhalten der Neuoffenbarung durch Jakob Lorber eintreten. Friedemann Horn hatte sich
seinerzeit auf historische und wissenschaftliche Angaben im Lorberwerk beschränkt. Das war
aber noch keine theologische Auseinandersetzung. Ich schrieb zwischen 1990 und 2002
zahlreiche Aufsätze, in denen ich auf inhaltliche Parallelen zwischen Swedenborg und Lorber
24
Thomas Noack
hinwies. Diese Aufsätze veröffentlichte ich 2004 in dem Sammelband »Der Seher und der
Schreibknecht Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber im Vergleich«. Aus heutiger
Sicht muss ich allerdings sagen, dass es mir in den 1990er Jahren im wesentlichen um den
Nachweis der vollständigen Übereinstimmung der beiden Lehrsysteme ging. Mindestens ebenso interessant dürfte aber auch die Herausarbeitung des je eigenen Profils der beiden Offenbarungen sein. Darauf ist in künftigen Untersuchungen vermehrt zu achten. Außerdem kann die
Neue Kirche bei ihrer Erforschung der Werke Jakob Lorbers zum einen auf die darin enthaltenen zeitgenössischen Vorstellungen, das heißt auf die historischen Bedingtheiten achten, zum
anderen aber auch die Aufmerksamkeit auf den geistigen Sinn lenken. Vielleicht setzt das
Lorberwerk, das ja nach Swedenborgs Wiederentdeckung der Entsprechungswissenschaft
niedergeschrieben wurde, diese königliche Wissenschaft als den hermeneutischen Schlüssel
zur Schatzkammer des Geistes voraus. Mögen alle Beteiligten nach dem Besten ihrer Erkenntnis am Projekt einer neuen Kirche weiterarbeiten, dann wird unser gemeinsamer Herr
das Bemühen aller segnen.
FRÜHE URTEILE DER NEUEN KIRCHE ÜBER DEN SPIRITISMUS
BRIEF VON IMMANUEL TAFEL AN FRÄULEIN JULIE CONRING
Tübingen, den 13. Mai 1863
Sehr theure Freundin,
Ihr heut erhaltenes liebes Schreiben vom 9. hat mich recht innig gefreut, und ich kann den
heutigen Tag nicht ganz vorübergehen lassen, ohne Ihnen gleich meinen herzlichen Dank
dafür zu sagen, und vor allem bei der Aussicht anzuknüpfen, die Sie mir eröffnen, Sie persönlich kennen zu lernen, und einstweilen mir Ihre
Photographie zu senden, worin Sie einem Wunsch
entgegenkommen, den ich im Stillen gehegt. Nach
Schweden zu kommen, sehe ich, so wie die Sachen
im Augenblick liegen, keine Möglichkeit, und auch
Berlin stand mir nicht in Aussicht, allein dies wäre
vielleicht leichter auszuführen, so viele Schwierigkeiten auch im Wege stehen, da ich über diese denke
wie Sie. Die Hoffnung, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, wäre mir Grund genug, eine Reise
dorthin zu unternehmen, wenn es des Herrn Wille
ist, von dem ja wir Beide uns führen lassen wollen.
Für den Fall nun, dass Er es so fügte, möchte ich
gleich der Sache etwas näher treten in Rücksicht der
Zeit und des Ortes. Sie scheinen Ferien zu haben im
Sommer, und die meinigen, von welchen ich einen
Theil zu einer Reise benützen dürfte, beginnen mit
Immanuel Tafel
dem 1. September, ich könnte aber vor dem 6. nicht
1796 – 1863
abreisen, weil am 6. unsere Versammlung in Stuttgart ist, in der ich eine Rede zu halten habe. Würde
ich also am 6. Nachmittags noch von Stuttgart abreisen, so könnte ich wohl am 7. oder 8. in Berlin eintreffen, und würde dann in demselben Gasthof
absteigen, den Sie mir als den Ihrigen bezeichnen
wollten. Was ich fürchte, ist, dass Ihre Ferien sich
nicht so weit in den September hinein erstrecken
würden, und dass auf meiner Seite eine Collision mit
meinem jüngeren Collegen einträte, da wir uns nicht
Beide zu gleicher Zeit von der Bibliothek entfernen
dürften; weshalb er schon mehrmals wider Willen
sich nach mir richtete. In Berlin würden Sie an Fräulein Eleonore Hirchert eine Glaubensgenossin finden,
die uns auch das Neue Museum zeigen könnte, in
dem Sie sehr bewandert ist. Für den Sonntag würden
wir dann vielleicht, wie früher, auch die andern zusammenbringen, um uns mit ihnen zu erbauen. Für
Julie Conring
den Fall nun, dass der Plan ausgeführt werden könn1827 - 1876
te, wünsche ich gleich zu wissen, wie viele Tage Sie
in Berlin verweilen, und ob Sie es nicht so einrichten könnten, mit mir eine Reise von da in
die Schweiz zu den dortigen Glaubensgenossen und wieder zurück, etwa bis ins Badische oder
Württembergische zu machen. In der Schweiz würden wir in Zürich Fräulein Philippine von
Struve und deren Schwester, Frau Majorin von Manuel und Töchter, in Bern die 3 Fräulein
28
Immanuel Tafel
Durheim, Frau Professor Hamberger und Frau Frank besuchen, und von da etwa auch, wenn
Sie es wünschten, einen Ausflug in’s Berner Oberland machen, und zurück über Herisau, St.
Gallen (wo Frau Pfarrer Specker ist) und dem dortigen Häuflein reisen. Würden Sie sich zur
Schweizerreise entschließen, so würden Sie an Zeit gewinnen, wenn der Aufenthalt in Berlin
wegfiele, und Sie erst am 5. September in Stuttgart mit mir zusammenträfen, von wo aus wir
dann noch am 6. nach der Generalversammlung der Neuen Kirche bis Ulm oder Friedrichshafen reisen könnten, da wir Eisenbahn und Dampfschiff von Stuttgart bis Zürich und Bern haben. Eine Schweizerreise liegt doch vielleicht an sich im Bereich Ihrer Wünsche, und ich
glaube, die Bekanntschaft der dortigen Freunde würde Sie nicht reuen. Vielleicht könnten Sie
auf dem Wege einen Besuch in Wismar bei Düberg machen, der auch eine Tochter hat, die in
der Lehre ist.47 Wir können freilich auf einer Reise uns viel besser aussprechen, als während
eines doch nur kurzen Aufenthaltes in Berlin, und von Berlin könnten Sie auf der Eisenbahn
ganz schnell in Stuttgart sein. Reisen Sie morgens um 7 Uhr in Berlin ab, so werden Sie
Abends 10.40 in Frankfurt, und von da am andern Tag in 5 bis 6 Stunden in Stuttgart sein. Ich
kann mich nicht recht mit dem Gedanken befreunden, daß Sie meinetwegen, den Sie noch so
wenig kennen, sollten das Opfer einer Reise bis Berlin bringen. Würden Sie sich aber zu einer
Schweizerreise entschließen, so stünden Ihnen, abgesehen von den Naturschönheiten und
dem wohlthätigen Einfluß auf Ihre Gesundheit ganz andere Genüsse in Aussicht in der Bekanntschaft mit den vielen Lieben in der Schweiz. Ich stelle mir vor, dass die Zeit Ihrer Ferien
von Ihnen abhängt, und dass es daher wohl nicht unmöglich wäre, sie bis in den September
hinein zu verlängern, zumal doch Schweizerreisen nicht so selten vorkommen werden. Eine
Reise nach Berlin dürfte auf viele Schwierigkeiten bei mir stoßen, während eine solche in die
Schweiz fast gar keine hat, obwohl ich auch hiezu Urlaub vom König haben muß, welche aber
auf wenige Wochen in den Ferien keine Schwierigkeiten hat. Doch es ist schon 11 Uhr
Nachts.
Den 15. Ich wollte gestern fortfahren, wurde aber durch Besuche verhindert. Wenn Sie sich zu
einer Schweizerreise entschließen könnten, so wäre dies sehr schön. Einmal in ihrem Leben
werden Sie dies doch vielleicht wünschen, und sehr freuen würde mich, wenn es geschehen
könnte, so lang ich noch hienieden bin, und mit mir, der ich, als schon am 17. Febr. 1796
geboren, vielleicht älter als Ihr Herr Vater bin. Auch ich würde Ihnen vieles zu sagen haben,
was sich nicht brieflich thun läßt. Was mein Leben betrifft, so kann ich mich auf den kurzen
Abriß desselben beziehen, der in der Schrift: »Zur Geschichte der Neuen Kirche« enthalten ist,
die Sie wohl mit den anderen von Dr. K. erhalten haben werden? Sie wollen mir Ihr Bild senden, wenn Sie wieder nach Kopenhagen kommen; wann wird dies wohl geschehen? Ich freue
mich sehr darauf. Ich bin zwar in mancher Beziehung Kosmopolit, weiß aber doch, dass das
engere Vaterland auch seine Ansprüche hat, und trage gerne den Nationalvorurtheilen einige
Rechnung, dennoch aber freut mich’s, daß Sie über Politik denken wie ich. So weit ich den
Rechtsstreit zwischen Dänemark und Deutschland kenne, würde ich wohl darüber ebenso
denken, wenn ich ein Däne wäre. Jedes Volk hat seine Rechte, und darf nicht wie eine Waare
behandelt werden. Die Polen z. B. sind bei der Theilung Polens gar nicht gefragt, sondern eben
nach dynastischen Interessen vertheilt worden. Ganz anders verhält es sich in den Vereinigten Staaten. Dort beruht die Vereinigung des Südens mit dem Norden auf einem Grundvertrag,
der nicht einseitig und gewaltthätig gelöst werden kann. So sehr aber die Nationalitäten berechtigt sind, so lässt sich die Sache doch nicht auf die Spitze treiben, und darum darf
Deutschland nicht wegen des Elsaßes und Lothringen einen Krieg mit Frankreich anfangen.
So sehr aber die allgemeine Ansicht bei uns empört ist gegen die preußische Regierung und
47
Soeben sagt mir aber der junge Düberg, der hier jura studirt, es sei keine direkte Verbindung mehr mit
Wismar: Sie müßten also wohl über Lübeck oder Stettin nach Berlin reisen.
Brief von Immanuel Tafel an Fräulein Julie Conring
29
die dort dominirende Junkerparthei, so wären doch die deutschen Völker verpflichtet zu Preußen zu stehen und allen häuslichen Hader zu vergessen, wenn Frankreich bis zum Rhein
vordringen wollte. Die Verpflichtung hätten wir aber nicht, wenn Polen Posen und Galizien
zurückforderte. – Hier haben Sie ein Stück meiner politischen Ansicht, die vor allem darauf
geht, dass, wo man dafür empfänglich geworden ist, der Rechtsstaat sich bilde, somit die persönliche Freiheit, Gleichheit und Sicherheit nicht weiter von Staatswegen beschränkt werde
als die Gleichheit, Freiheit und Sicherheit Aller nothwendig macht. Der Absolutismus, wie ihn
z. B. die preußische Regierung trotz der Verfassung noch festhalten will, muß verschwinden.
Dafür wird die fünfte Großmacht, die Macht der öffentlichen Meinung, schon sorgen. Es reift
alles seiner Entwicklung entgegen, sei es zum Guten oder zum Bösen. Die N. K. kann nur auf
dem Boden der Religionsfreiheit recht gedeihen, und wenn allenthalber der Rechtsstaat wäre,
so wäre der Krieg abgeschnitten durch Schiedsgerichte. Aber die beste Verfassung nützt
nichts, wenn wir die Menschen nicht dazu haben, und diese bekommen wir nur durch die
wahre Religion. Darauf also muß unser Augenmerk vor allem gehen, indem wir Jeder mit uns
selbst anfangen: werden wir erst besser, so wird alles besser! Jeder hat, wenn auch unbewußt,
Einfluß auf das Ganze, schon weil von Jedem eine Sphäre ausströmt, die sich mittheilt. Nur in
so fern kann es eine Actio in distans geben, Attraktion und Expansion also nicht als eine der
Materie inhärirende Kraft gefasst, sondern nur durch Einströmung und Anstoß von außen
erklärt werden. Damit hängt auch das Wissen der Geister um unser Inneres zusammen, obwohl es Vermittelung durch andere Geister nicht ausschließt, vielmehr in der Regel fordert.
Was Sie mir in dieser Beziehung mitgetheilt haben, halte ich demnach nicht für unmöglich;
erkläre mir es aber im vorliegenden Falle durch Mittheilung des einen Geistes an die andern,
also von Seiten der Geister, die in Ihrer Nähe waren, an jene alte Frau. In dem Verkehr dieser
letztern mit Ihrem Freunde finde ich auch nichts Außerordentliches, da ein solcher Verkehr
durch eine Menge von Thatsachen als möglich constatirt ist. Es wird Ihnen aber bekannt sein,
dass Swedenborg diesen Verkehr nicht nur für seelengefährlich, sondern auch als leicht in’s
Irrenhaus führend bezeichnet hat, was leider auch durch neue Erfahrungen im Gebiete des
Spiritualismus, die mich ziemlich nahe angiengen, bestätigt worden ist. Für besonders gefährlich halte ich die Mittheilungen von Geistern über Religionslehren, und besonders die sogenannten unmittelbaren Offenbarungen, für die nur wir die sichern Kriterien haben, und die,
wie Swedenborg zeigt, gar nicht mehr möglich sind, weil sie gegen die unwandelbaren Gesetze
der göttlichen Vorsehung verstoßen. Einst wurde der Freund einer angeblichen Seherin in
Wien in unsere Versammlung in Stuttgart eingeführt, und bat nach meinem Vortrag um das
Wort, worauf er unter anderem sagte, es gebe gegenwärtig nur ein Mitglied der Neuen Kirche,
eine Seherin in Wien, die vom Herrn täglich unmittelbar belehrt werde. Ich bemerkte darauf,
Swedenborg habe auf den Grund von Dan. 9, 26 und Luc. 16, bewiesen (in dem Werke von der
Vorsehung § 134 – 36) dass der Herr nicht mehr unmittelbar lehre, sondern blos mittelbar
durch das Wort, auch nicht durch Geister und Engel, er selbst »habe nun schon so lange Umgang gehabt mit Geisern und Engeln, aber kein Geist habe gewagt, und kein Engel gewünscht,
ihm Belehrungen zu geben über das Wort oder über eine Lehre aus dem Wort, sondern es habe
ihn der Herr selbst gelehrt, aber mittelbar durch das Wort in der Erleuchtung.« Die Resultate
seiner Beobachtungen, die er im Jenseits gemacht, sind sonach nicht eine neue Erkenntisquelle der Religion, sondern kommen nur, als eine bis in’s Jenseits erweitere Erfahrung, gleich den
Vernunftgründen, in erläuternder und bestätigender Weise hinzu, damit Wege gehen von Israel
nach Aschur und Aegypten, und Israel in Landes Mitte sei, wie verheißen ist, somit die drei
Gebiete (Offenbarung, Vernunft und Erfahrung) nur ein harmonisches Ganze ausmachen, und
was wir als wahr festhalten sollen, Jeder mit s. eigenen Augen sehen muß. Jenes Princip, dass
die heilige Schrift, also diejenigen Theile der Bibel, welche einen innern Sinn haben, alleinige
Erkenntnisquelle der Religion sei, ist höchst wichtig, und erleichtert gar sehr die Anknüpfung
30
Immanuel Tafel
bei den Protestanten, während es zugleich allen Fanatismus der sich einander widersprechenden angeblichen Offenbarungen mit der Wurzel ausrottet. Jene Seherin und ihr Freund
nahmen einen sehr traurigen Ausgang. Für viele Menschen ist jedoch der kritisch beleuchtete
Spiritualismus eine Brücke zum Glauben, deren wir jedoch nicht bedürfen, zumal wir auf
diesem Wege nichts wesentlich Neues lernen können. Es freut mich sehr, dass Sie über allen
Kleinigkeitsgeist, überhaupt über alles Niedrige erhaben sind, und die Personen nicht den
Sachen, sondern die Sachen den Personen unterwerfen wollen.
Ich bin nun sehr begierig zu erfahren, wie Sie über die Reise in die Schweiz denken, und ob
Sie Ihre Ferien so verlängern könnten, daß wir auch eine erkleckliche Zeit beisammen sein
könnten. In Frankfurt wäre ein guter Gasthof zum Uebernachten in der Nähe des Bahnhofs.
Ebenso in Stuttgart, wo ich meinerseits vielleicht bei meinem Bruder wohnen würde, nämlich
von 5. auf den 6. Sept. Bis dahin hoffe ich eine weitere Lieferung der Himmlischen Geheimnisse und einen Theil des Neuen Testaments übersetzt zu haben.
In der angenehmen Hoffnung, recht bald wieder mit lieben Zeilen von Ihnen erfreut zu werden,
bin ich in aufrichtiger Bruderliebe
Ihr Immanuel Tafel.
Quelle: Briefe von Dr. I. F. Immanuel
Tafel an Fräulein Julie Conring.
Nebst einem Auszug aus den Aufzeichnungen der sel. Julie Conring,
über ihr Bekanntwerden mit Swedenborgs Schriften, und über die
letzten Tage von Dr. Im. Tafel. Herausgegeben und Freunden gewidmet von J. G. Mittnacht, Frankfurt
am Main, 1881, Seite 9-15.
UNMITTELBARE OFFENBARUNGEN EINER WIENER SEHERIN
Frühe Konfrontation der Neuen Kirche mit dem Spiritualismus
Vorbemerkung von Thomas Noack: Der folgende Text ist aus Christian Düberg, Leben und Wirken
von Dr. Joh. Fr. Immanuel Tafel, Wismar: Verlag von C. F. C. Wischmann, 1864, S. 65-71 entnommen. Wir erhalten Einblick in eine sehr frühe Konfrontation der Neuen Kirche mit dem Phänomen
unmittelbarer Offenbarungen.
Das Leuchten durch Werke war Noth und zwar um so mehr, als die Feinde der Neuen Kirche
nicht nur außerhalb ihrer waren, sondern leider auch in solchen enthüllt wurden, die sich
ihren Namen angemaßt hatten,
ohne ihren Geist zu besitzen, ja
ohne den ersten ihrer Grundsätze
zu erfüllen: die Gebote des Herrn zu
halten. Die Lehre der Neuen Kirche
hebt vorzüglich hervor, daß nicht
der Glaube allein selig mache, sondern die Wiedergeburt des Herzens
und der aus ihr entspringende
Wandel zur Seligkeit befähige, nicht
ein Wandel äußerer scheinender
Werke, sondern ein Wandeln vor
Gott in dem Ablegen und Fliehen
alles Bösen, nach der Ermahnung
des Apostels: »Es trete ab von der
Ungerechtigkeit, wer den Namen
Christi nennt.« Ihre beiden Grundsteine sind das Wahre und das
Gute, sie lehrt, daß das bloße Erkennen der Wahrheit ohne Anwendung auf das Leben den Menschen
nicht läutert, und deshalb für das
Diesseits und Jenseits ohne Nutzen
ist, daß aber die Erkenntniß der
Wahrheit vorangehen und den Boden bilden müsse, in dem das Gute
sich gestalten könne, denn nur im
Wahren wird das Gute rein, deshalb
Gutes und Wahres in dem Menschen eine Ehe bilden müsse und
eben diese Ehe sei die Wiedergeburt. Um aber zum Guten zu kommen, ist ein Abstehen vom Bösen der erste und unumgänglich nothwendige Schritt, weshalb
auch Professor Tafel den traurigen Erfahrungen gegenüber, die er machen musste, immer
wieder auf die beiden Hauptlehren: die Verehrung des Herrn und das Halten der Gebote, hinweist, zuvörderst aber auf das Nichtthun des in ihnen Verbotenen, worüber er am 3. Mai 1863
schreibt:
»Wie Paulus Röm. 19, 20 sagt; wonach auch die Heiden, wenn sie nachdachten, eine Vernunftanschauung vom Dasein Gottes haben konnten, und ebenso sein Gesetz, nämlich das der
zehn Gebote, ihnen ins Herz geschrieben war (Röm. 2, 14, 15), wonach er also Röm. 3, 28 und
32
Christian Düberg
29 nur das der jüdischen Kirche gegebene Ceremonialgesetz meinen konnte, weil nur in
Rücksicht dieses Gesetzes den Juden die Heiden entgegengesetzt werden konnten. Sehr schön
erklärte er auch, daß vor Christo nur der durch die Liebe thätige Glaube gelte, und definirt Röm.
13, 8-10 die Liebe als das Halten des Gesetzes, nämlich vor Allem der ersten Tafel der zehn
Gebote, in welchen es heißt: ›Du sollst nicht!‹, wobei Swedenborg ebenso schön zeigt, daß
gerade in soweit, als der Mensch diese seine Tafel hält, der Herr die andere in ihm halten
kann, in der es heißt: ›Du sollst!‹, wie er denn auch Alles kurz zusammenfassend sagt: ›Fliehe
das Böse als Sünde und glaube an den Herrn, so wirst Du leben!‹. Diese Seine Gesetze sind
Naturgesetze, die sich von selbst ergeben, weil in der Natur der Sache liegende Bedingungen
der Seligkeit, über deren Natur, wie Sie sehr richtig andeuten, noch kindische Vorstellungen
im Schwange gehen, weshalb schon deshalb Swedenborg’s Werk vom Himmel hochwichtig
ist, weil so das Verkehrte durch Erfahrungen beseitigt, und zugleich eine Anschauung des
Rechten gegeben wird.«
Je deutlicher und dringender diese Lehre der Neuen Kirche ist, um so unbegreiflicher –
schmerzlicher war die Erfahrung, daß sie mit den Füßen getreten und auf das gröbste verletzt
wurde von solchen, die sich nicht scheuten, mit dem Munde sich zu ihr zu bekennen, während sie doch statt des Wahren und Guten nur Böses und Falsches in sich aufgenommen
hatten, nämlich das Falsche vorgeblicher unmittelbarer Offenbarungen (durch eine angebliche
Seherin), deren nach der heiligen Schrift und nach Swedenborg keine mehr geschehen; und
das Böse des Wandelns gegen die Gebote Gottes; und dabei trieben sie es so arg, daß sie sich
das Einmischen der Polizei in Wien und gefängliche Haft daselbst zuzogen. So gerecht dieses
Verfahren gegen die betreffenden Personen auch erscheinen musste, welche mit der N. Kirche
nichts gemein hatten als Kenntnisse, die nicht bei ihnen zur Wahrheit geworden, und den
Namen, welchen sie sich unrichtigerweise anmaßten, so konnte es doch nicht umhin, andere
Neukirchliche, welche ihren Namen mit Ehren trugen, schmerzlich zu berühren, weil bei den
nicht von der Sache genau Unterrichteten auch die Unschuldigen ungerechter Weise dadurch
verdächtig werden konnten. In Österreich aber gab es in verschiedenen Theilen des Landes
echte und würdige Glieder der Neuen Kirche.
Professor Tafel schreibt in Bezug auf jenen Unfug am 4. December 1853: »Ein solcher Wolf
wollte in unserer Versammlung vom 14. dies. Jahres die Heerde sprengen, und hat auch wirklich, obwohl er entlarvt wurde, einige verführt in den Irrthum, und begab sich dann in die
Schweiz. Allein im Ganzen ist ihm sein Vorhaben nicht gelungen, und sein eigener Freund
hat ihn als Schwärmer, ja als … bezeichnet … und Niemand mehr vor der Geisterwelt und vor
jenem Vorgeben warnen kann, als Swedenborg, besonders in seinem Tagebuch. Auf der andern Seite kann Jedes von uns das Kommen des Herrn im Worte mit Kraft und Herrlichkeit in
sich selbst, in seinem Herzen erfahren, und in gewissen Stunden die damit verbundene himmlische Wonne empfinden. … Es hat mich oft reuen wollen, daß ich einen der Aufgetretenen
einst um das Jahr 1826 mit der Lehre bekannt gemacht hatte. Allein, was konnte ich auf die
Frage: was muß ich thun, um glauben zu können? Anders sagen, als: Sie müssen die heilige
Schrift lesen, wie wenn Sie dieselbe noch nie gelesen hätten, und als er dies gethan, ohne
zum Glauben gekommen zu sein, auf seine wiederholte Frage: Sie müssen Swedenborg lesen.
Die Bekehrung erfolgte nun allzu schnell und ohne vorbehaltlose Übergabe an den Herrn,
wodurch der N. Kirche unendlich geschadet wurde. Bei seiner Richtung aufs Äußerliche wurde er ein Verführter und ein Verführer, und kam vor seinem Ende von Sinnen. Jener Wolf und
seine Sippschaft stammen auch aus dieser Schule.«
Und 1854: »Er hatte sich durch die angeblichen Offenbarungen jener Wiener Seherin und
ihres Freundes und Herolds Dr. M. (die sich zusammen Mama und Papa von ihren Anhängern
nennen ließen) irre führen und bestimmen lassen, ihre angeblichen Offenbarungen, sowie
diejenigen Tenhardt’s (im Namen der Neuen Kirche), herauszugeben. Vor einigen Tagen
Unmittelbare Offenbarungen einer Wiener Seherin
33
schrieb mir ein, der gesunden Lehre Treugebliebener in Wien, der Papa beschuldigte jetzt die
Mama – und jene befinde sich in Württemberg zu Merklingen, ebenfalls bei einem Verführten.
Dahin folgte ihr Dr. K., weil aber ihre Papiere nicht in Ordnung waren, wurden sie ausgewiesen, ebenso in Korschach und St. Gallen. Dr. K. wanderte nun nach New-York aus und die
Seherin war genöthigt, nach Wien zurückzukehren, wo sie jetzt wieder bei Dr. M. lebt. Diese
Irrlehre scheint also mit einem Communismus der schlimmsten Art zusammenzuhängen und
es vereinigt sich auf ihrem Grunde das Geistig-Unreine mit dem Natürlich-Unreinen nach dem
Gesetze der Entsprechung.«
In einem Lande, wo noch keine freie Verkündigung des Wortes stattfindet, waren solche Verfälschungen und Verkehrungen der Lehre um so gefährlicher; nur die rechte und klare Erkenntniß der reinen Lehre konnte vor ihrem Gifte schützen, jedes Hinüberschweifen aber auf
das Gebiet des Geisterverkehrs verderblich werden. Deshalb warnte auch Tafel stets vor dem
Sicheinlassen mit Geistern.
Er schreibt am 13. Mai 1863: »Es wird Ihnen bekannt sein, daß Swedenborg den Verkehr mit
Geistern nicht nur als seelengefährlich, sondern auch als leicht ins Irrenhaus führend bezeichnet hat, was leider auch durch neue Erfahrungen auf dem Gebiete des Spiritualismus
bestätigt worden ist. Für besonders gefährlich halte ich die Mittheilung von Geistern über
Religionslehren, und besonders die sogenannten unmittelbaren Offenbarungen, für die nur wir
die sichern Kriterien haben, und die, wie Swedenborg zeigt, gar nicht mehr möglich sind, weil
sie gegen die unwandelbaren Gesetze der göttlichen Ordnung verstoßen. Einst wurde der
Freund einer angeblichen Seherin in Wien in unsere Versammlung in Stuttgart eingeführt,
und bat nach meinem Vortrag um das Wort, worauf er unter Anderm sagte: es gebe gegenwärtig nur Ein Mitglied der Neuen Kirche, eine Seherin in Wien, die vom Herrn täglich unmittelbar belehrt werde. Ich bemerkte darauf, Swedenborg habe auf den Grund von Daniel 9, 26 und
Lucas 16 bewiesen (in dem Werk von der Vorsehung § 134-36); daß der Herr nicht mehr
unmittelbar lehre, sondern bloß mittelbar durch das Wort, auch nicht durch Geister und Engel;
er selbst habe nun schon so lange Umgang gehabt mit Geistern und Engeln, aber kein Geist
habe gewagt und kein Engel gewünscht, ihm Belehrungen zu geben über das Wort, oder über
eine Lehre aus dem Worte, sondern es habe ihn der Herr selbst gelehrt, aber mittelbar durch
das Wort in der Erleuchtung. – Die Resultate seiner Beobachtungen, die er im Jenseits gemacht, sind sonach nicht eine neue Erkenntnißquelle der Religion, sondern kommen nur, als
eine bis ins Jenseits erweiterte Erfahrung, gleich den Vernunftgründen in erläuternder und
bestätigender Weise hinzu, damit Wege gehen von Israel nach Aschur, und Ägypten und Israel
in des Landes Mitte sei, wie verheißen ist, somit die drei Gebiete (Offenbarung, Vernunft und
Erfahrung) nur Ein harmonisches Ganzes ausmachen, und was wir als wahr festhalten sollen,
Jeder mit seinen eigenen Augen sehen muß. Jenes Princip, daß die heilige Schrift, also diejenigen Theile der Bibel, welche einen innern Sinn haben, alleinige Erkenntnißquelle der Religion sei, ist höchst wichtig, und erleichtert gar sehr die Anknüpfung bei den Protestanten,
während es zugleich allen Fanatismus der sich einander widerstehenden angeblichen Offenbarungen mit der Wurzel ausrottet. Jene Seherin und ihr Freund nahmen einen sehr traurigen
Ausgang. Für viele Menschen ist jedoch der kritisch beleuchtete Spiritualismus eine Brücke
zum Glauben, deren wir jedoch nicht bedürfen, zumal wir auf diesem Wege nichts wesentlich
Neues lernen können.«
Daß dem Spiritualismus keine größern Rechte eingeräumt werden dürften, als die, eine Brücke zu bilden, darin waren die Neukirchlichen Englands und Frankreichs mit unserm Professor Tafel vollkommen einig und wurde dieser Grundsatz eifrig verfochten von dem berühmten
Le Boys des Guays, Übersetzer der Werke Swedenborg’s ins Französische. Einen harten
Kampf aber hatte in England die Swedenborg Society zu bestehen, um dies Princip aufrecht zu
erhalten, indem die Schriften des Geistersehers Harris Eingang gefunden hatten und von ei-
34
Christian Düberg
nem sonst geachteten Mitgliede verkauft wurden. Die Spiritualisten legten es darauf an, durch
eine künstlich erworbene Pluralität die Gesellschaft zu sprengen, welches indeß verhindert
wurde durch festes Zusammenhalten und durch Unterstützung auswärtiger, auch deutscher,
Brüder und Schwestern. So gelang es der Swedenborg Society die Gefahr zu besiegen, alle
spiritualistischen Bücher und fremdartigen, hineingebrachten Elemente auszuscheiden, wonach sie einen noch blühenderen Zustand erreichte, als zuvor.
Johann Christian Adam Peter Düberg (1806 – 1873)
Unmittelbare Offenbarungen einer Wiener Seherin
35
Nachtrag von Thomas Noack
Im Text werden eine »Wiener Seherin«, die ich nicht identifizieren konnte, und »Dr. M.« und
»Dr. K.« genannt. Zur Identifizierung der beiden Doktoren diente mir ein »Geschichtlicher Kalender der Neuen Kirche in Wien (1829-1933)« (siehe Abbildung). Darin heißt es: »1855: In
diesem Jahre treten die Herren Friedrich Stamminger und Karl Stamminger d. Ä. der Neuen
Kirche bei. Beide gehören zu den Gründern der Gemeinde der Neuen Kirche in Wien im Jahre
1888. Dr. Johannes Koch und Karl Markl [die der Gruppe der damaligen Neukirchenfreunde
angehören] führen die Neukirchenbekenner durch ihre falsche Auffassung der Lehren auf
Irrwege.«
Aus einem »Rückblick auf die Entwicklung der Neuen Kirche in Wien« von Friedrich Stamminger (Monatblätter für die Neue Kirche, Juli 1898, 108-112) entnehme ich, dass Karl Markl
(im »Rückblick« fälschlich »Makel« geschrieben, siehe Monatblätter, November 1898, 174)
»Landhausbeamter« und Dr. Johannes Koch »Magnetiseur« war (siehe Abbildung):
DER MODERNE SPIRITISMUS
BETRACHTET IM LICHTE DER NEUEN KIRCHE
Rudolph Leonhard Tafel – 1873
Der moderne Spiritismus betrachtet im Lichte der Neuen Kirche
37
Die Anhänger des Spiritismus sind in der Jetztzeit nicht nur nach
Tausenden und Zehntausenden, sondern nach Hunderttausenden
zu zählen, und es geziemt uns daher wohl, vom Lichte der
erleuchteten Vernunft aus sorgfältig zu erforschen und zu prüfen,
inwiefern er gerechtfertigt ist, wenn er darauf Anspruch macht,
zum Wohl und der Besserung des menschlichen Geschlechts
beizutragen.
Die Thatsachen, auf welche der Spiritismus seine Theorien und
Beweise stützt, erscheinen nach gewöhnlichen Begriffen so
außerordentlich, und sie stehen so sehr im Widerspruch mit den
festgestellten Thatsachen und Gesetzen der Naturwissenschaft,
sowie mit der gewöhnlichen Annahme über das Fortbestehen des
Menschen nach dem Tode, daß nicht nur die Naturforscher,
Rudolph Tafel
sondern auch die Philosophen und Theologen jeder Richtung
1831 - 1893
darüber verblüfft dastehen und ihnen der Verstand stille steht,
wenn sie es versuchen wollen, dieselben zu erklären.
Denn das Geisterklopfen und Tischrücken ohne eine entsprechende natürliche Ursache, sowie verschiedene andere wohlbelegte Thatsachen, welche bei berühmten sogenannten Mediums stattfinden, sind mit den festgestellten Gesetz der Schwerkraft in geradem Widerspruch;
und die Antworten der unsichtbaren Wesen, welche sich entweder durch Klopfen an den
Tisch oder durch die Hände der schreibenden Mediums kund geben, und die Thatsache, daß
diese Wesen sich als die Geister verstorbener Menschen ausgeben, welche jetzt in der geistigen Welt leben, ist hinreichend, um das Gemüth derjenigen zu verwirren, welche glauben, daß
der Mensch am jüngsten Tag mit dem gleichen natürlichen Körper, der in’s Grab gelegt wurde, wieder aufstehen werde, und daß er in der Zwischenzeit sich irgendwo entweder oben,
über den Sternen, oder unten im Innern der Erde befinde.
Die Naturalisten, welche nur an das Bestehen des Natürlichen, und nicht an die Existenz von
Geistigem glauben, und welche keine andern als natürliche Ursachen anerkennen, leugnen
entweder die Thatsachen des Spiritismus geradezu ganz, und verschließen auf diese Weise
vorsätzlich ihre Augen, oder sie geben einige dieser Thatsachen zu, halten sie aber als außer
dem Bereich der natürlichen Wissenschaften liegend, so lange sie nicht durch natürliche Ursachen erklärt werden können; unterdessen glauben sie und bestehen fest darauf, daß später
einmal, wenn die Wissenschaft weiter vorgeschritten sein wird, sie auch im Stande sein wird,
alle Erscheinungen des Spiritismus auf natürlichem Wege zu erklären. – Während die Naturalisten aber auf diese Weise ihre Ohren verstopfen und sich die Augen zuhalten gegen die thatsächlichen Erscheinungen und Beweise des Spiritismus, verbreitet sich letzterer nicht nur
allerwärts ungestört durch den Widerspruch der wissenschaftlichen Männer, sondern durch
seine thatsächlichen Beweise zieht er sogar einen Theil der Männer der Wissenschaft hinüber.
Die Theologen der alten Schule sind ebenfalls machtlos in ihrem Streben, der Zunahme des
Spiritismus Einhalt zu thun. Sie wenden sich an die Bibel, das Wort Gottes, und beweisen aus
dem Buchstaben desselben, daß es unrecht ist, Wahrsager und Zauberer und Zeichendeuter
und solche zu befragen, welche mit Abgeschiedenen verkehren. Weil sie aber den Erfindungen
eines Kirchenconcils und menschlichen Satzungen in Lehr- und Glaubenssachen mehr Glauben beimessen, als dem Wort Gottes, und Lehren aufstellen, welche mit dem Inhalt der heiligen Schrift in geradem Widerspruch stehen, wie z. B. die Auferstehung des Körpers, welche
Lehre beides, den Beweisen der Vernunft und dem gesunden Menschenverstande widerspricht; und weil die Autorität der heiligen Schrift und besonders des alten Testaments auf
diese Weise durch sie untergraben wurde, können sie nicht erwarten, dass die Menschen
38
Rudolph Leonhard Tafel
ihnen viel Gehör schenken und ihre Warnungen beachten werden, wenn sie auf den Buchstaben des alten Testaments verweisen, um die Menschen vor den Gefahren des Spiritismus zu
bewahren.
Die Naturalisten sowie die Theologen der alten Schule sind beide in gleichem Grade machtlos
in ihren Versuchen, der Verbreitung des Spiritismus, der zu einer gewissen Zeit in alle Klassen der Gesellschaft einzureißen drohte, Einhalt zu thun. In neuerer Zeit haben die Gefahren
des Spiritismus aber etwas abgenommen; denn der praktische gesunde Menschenverstand
richtet den Spiritismus nach seinen Früchten; und da diese Früchte in vielen Fällen nichts
weniger als befriedigend waren, und der Spiritismus bei seinen Anhängern oft traurige Folgen
hinsichtlich ihres geistigen und körperlichen Gesundheitszustandes hatte, so hielten Leute
von gesundem Sinn und Verstand es für gerathener sich nicht damit einzulassen.
Dennoch aber scheint eine vernünftige Erklärung der Erscheinungen des Spiritismus und
eine vernünftige Darstellung seiner Gefahren ein großes Bedürfnis unserer Zeit zu sein; und
da das Wesen des Spiritismus in seiner ganzen Ausdehnung und folglich das Verhältnis der
geistigen zur natürlichen Welt und der abgeschiedenen Seelen zu den Menschen auf der Erde
deutlich in den Lehren der Neuen Kirche, welche durch Em. Swedenborg von Gott aus dem
Himmel geoffenbart wurde, gelehrt wird, so ist es eine heilige Pflicht der Neuen Kirche, welche auf diese Lehren gegründet ist, eine vernünftige und vollständige Erklärung über diesen
Gegenstand zu geben, und zugleich auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welchen diejenigen ausgesetzt sind, die sich damit befassen.
Die Schriften Swedenborgs, worin alle Wahrheiten, die zu einer vernünftigen Erkenntnis des
Spiritismus von Nöthen sind, gelehrt werden, wurden von ihm zwischen den Jahren 1747 und
1772 geschrieben, also gerade einhundert Jahre, ehe der Spiritismus seinen Anfang nahm.
Es muß als eine weise Anordnung der göttlichen Vorsehung anerkannt werden, wonach nicht
zugelassen wurde, daß der Spiritismus eher in’s Leben trat, als diejenigen Wahrheiten geoffenbart waren, durch welche allein die Erscheinungen desselben erklärt werden können. –
Laßt uns jetzt versuchen, die Lehren der Neuen Kirche in Bezug auf den Spiritismus in gemeinfaßlicher Weise darzustellen.
Einer der Hauptgrundsätze der Philosophie der Neuen Kirche ist der, daß jede natürliche Wirkung oder jede Erscheinung in der natürlichen Welt von einer geistigen Ursache herrührt,
welche in der geistigen Welt in Wirklichkeit existirt, und daß jede Ursache, in der geistigen
Welt von einer ersten Ursache oder einem ersten Zweck, welcher in Gott seinen Ursprung hat,
hervorgebracht wird. Die Neue Kirche unterscheidet daher zwischen Gott, der geistigen Welt
und der natürlichen Welt; und sie lehrt, daß ebenso wie der Endzweck in der Ursache geborgen liegt und dieselbe hervorbringt, so auch Gott in der geistigen Welt waltet, und dieselbe
schafft und formt; und daß ebenso wie der Endzweck durch die Ursache die Wirkung hervorbringt und belebt, so auch Gott vermittelst der geistigen Welt die natürliche Welt schafft und
belebt.
Ferner lehrt die Neue Kirche, daß ebenso wie die Welt oder die Schöpfung im Allgemeinen,
also auch die Welt im Einzelnen beschaffen ist, daß folglich sowie die natürliche Welt im Allgemeinen von der geistigen Welt im Allgemeinen als von ihrer Ursache hervorgebracht und
belebt wird, also auch ein jeder einzelne Theil, aus welchem die natürliche Welt zusammengesetzt ist, und folglich jeder Gegenstand der drei Reiche der Natur von einem entsprechenden
Gegenstand der geistigen Welt, welcher seine Ursache ist, hervorgebracht und belebt wird; daß
daher jede Pflanze von einer Pflanzenseele, jedes Thier von einer Thierseele und jeder
Mensch von einer menschlichen Seele hervorgebracht und belebt wird; und daß dieses Verhältnis zwischen Seele und Körper, oder Geist und Materie, sich auch auf jeden Gegenstand
des Mineralreiches erstreckt, sowie auf alle Gase und Substanzen, welche in ihrer Zusam-
Der moderne Spiritismus betrachtet im Lichte der Neuen Kirche
39
mensetzung das Wasser und die verschiedenen atmosphärischen Vermittler bilden; so daß in
der ganzen natürlichen Welt durchaus gar nichts existirt, das nicht einem gewissen Gegenstand in der geistigen Welt entspricht, durch welchen es hervorgebracht wurde und in Ordnung erhalten wird.
Die Philosophie der Neuen Kirche lehrt auch, daß der Endzweck sein Bild und Ebenbild der
Ursache und die Ursache ihr Bild und Ebenbild der Wirkung aufdrückt, und daß, weil der unendliche und ewige Schöpfer des Weltalls in der menschlichen Form ist, deshalb auch die
gesammte geistige Welt – im Allgemeinen sowohl wie im Einzelnen und Allereinzelnsten in
die menschliche Form geschaffen ist, und daß von der geistigen Welt aus Allem in der Natur
das Streben innewohnt, die menschliche Form zu erzeugen; daß daher in dem ganzen Thierund Pflanzenreich ein Streben sichtbar ist, sich der menschlichen Form anzunähern, während
das Mineralreich und die Atmosphären Mittel find, um die höhern Reiche der Natur hervorzubringen und sich so indirekt durch diese Reiche auf den Menschen zurückbeziehen.
Aus diesem Grundsatz folgt auch, daß die Seele des Menschen die menschliche Form hat, und
daß die Seelen der Thiere die Form der Thiere, und die Seelen der Pflanzen die Form und Gestalt der Pflanzen haben; sowie daß das geistige Prinzip, welches die Minerale hervorbringt
und erhält, in der Form von Mineralen ist, daß das natürliche Wasser durch geistiges Wasser
produzirt wird, und die natürlichen Atmosphären mittelst geistiger Atmosphären entstehen;
und aus demselben Grundsatze folgt auch, daß die natürliche Sonne von einer geistigen Sonne
belebt und erhalten sein muß, welche die Quelle aller geistigen Ursachen ist, und welche
ihrerseits alles Leben und allen Unterhalt von dem unendlichen und ewigen Schöpfer des
Weltalls bezieht – der in derselben wohnt und sie belebt, sowie der Endzweck in der Ursache
wohnt und diese belebt.
Die Philosophie der Neuen Kirche lehrt folglich, daß die gesammte geistige Welt, im Inwendigen der natürlichen Welt geborgen ist, und daß es keinen einzigen Gegenstand in der gesammten Natur gibt, der nicht von einem geistigen Prinzip belebt und in Ordnung gehalten wird, das
durch einen Einfluß aus der geistigen Welt und zuletzt durch den Einfluß von Leben, welches
von dem unendlichen Schöpfer des Weltalls in die geistige Welt einströmt, erhalten wird.
Weil daher die Neue Kirche glaubt, daß die gesammte natürliche Welt, sowohl im Allgemeinen
wie im Einzelnen, von der geistigen Welt durchdrungen ist, und daß jede Wirkung in der Natur
durch eine geistige Ursache hervorgebracht wurde, erklärt sie die Erscheinungen des Spiritismus durchaus nicht von vornherein für falsch und unmöglich, sondern sie ist bereit, diese
Erscheinungen mit vorurtheilsfreiem Gemüth zu untersuchen.
Die Neue Kirche ist außerdem völlig von dem Glauben an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele durchdrungen, und sie glaubt, daß wenn der Körper stirbt, die Seele den Körper
verläßt, und in die geistige Welt eintritt, und da die geistige Welt, wo die Seelen der Abgeschiedenen wohnen, in und um die natürliche Welt herum existirt, so glaubt die Neue Kirche auch
an die Möglichkeit, daß Menschen dieser Welt Verkehr mit den Geistern der Verstorbenen
haben können; wie sonderbar und unglaublich dieses auch denjenigen vorkommen mag, welche keine Kenntnisse von der geistigen Welt besitzen und ihre Existenz leugnen.
Die Neue Kirche lehrt jedoch, daß es unmöglich ist, die geistige Welt mit den natürlichen Augen des Körpers zu sehen, und daß nur Diejenigen die Geister der Verstorbenen sehen und
mit ihnen reden können, deren geistige Augen vom Herrn geöffnet wurden, und welche auf
dieser Welt vom Herrn selbst in die geistige Welt eingeführt wurden. Und die Neue Kirche
erklärt ferner, daß der Herr auf diese Weise die Augen Emanuel Swedenborgs geöffnet und ihn
in die geistige Welt eingeführt hat, und daß der Herr selbst ihn in den Geheimnissen des
Himmels und der Hölle unterrichtete, und ihm den Auftrag gegeben hat, die Resultate seiner
Beobachtung zum Behufe der Menschen dieser Erde niederzuschreiben; die Neue Kirche er-
40
Rudolph Leonhard Tafel
klärt ferner, daß Swedenborg 27 Jahre lang in diesem Zustande war, und daß er während dieser Zeit nicht nur die Geheimnisse über den Himmel und die Hölle enthüllte, sondern auch
eine Erklärung des innern Sinnes der heiligen Schrift, welche die wahre Lehre der christlichen Religion enthält, durch die Presse veröffentlichte.
Swedenborg lehrt, daß es zwei Arten von Einflüssen aus der geistigen in die natürliche Welt
gibt, nämlich einen allgemeinen und einen besonderen. Der allgemeine Einfluß, sagt er, kann
mit dem Einfluß der Sonnenstrahlen in die verschiedenen Gegenstände der Natur verglichen
werden, welcher aber nach der Form der Gegenstände, in welche er einfließt, verschiedenartig
aufgenommen wird; wenn er in den Samen eines Fruchtbaums einfließt, sagt Swedenborg,
entwickelt er diesen Samen in der Form eines Fruchtbaums; wenn aber in den Samen einer
Giftpflanze, so wird der Einfluß der Sonne in Gift verwandelt. Das Gleiche, sagt er, ist der Fall
bei dem Einfluß der geistigen Sonne in die Seelen der Menschen und in die Seelen der Gegenstände der drei Naturreiche.
Der Einfluß der geistigen Sonne besteht aus geistiger Wärme und geistigem Licht, oder aus
Gutem und Wahrem, welches vom Herrn, der in der Mitte der geistigen Sonne ist, in die Herzen allen Menschen einfließt. Je nach der Beschaffenheit der Samen oder der Aufnahmsgefäße, welche von den Eltern und Voreltern von Geburt her in der Seele eines jeden Menschen
liegen, behält das Leben oder das Gute und Wahre, welches vom Herrn in die Menschen einfließt, entweder seine ursprüngliche Eigenschaft bei, oder es wird in das entgegengesetzte
Böse und Falsche verkehrt. Die geistige Natur eines Jeden ist aber seit uralten Zeiten ganz und
gar verdorben, und anstatt daß der Mensch in die Liebe zum Herrn und zum Nächsten geboren
wird, erhält er von Geburt aus einen Hang zur Selbst- und Weltliebe. Wenn daher der allgemeine Einfluß oder das Leben vom Herrn unmittelbar in die anererbten Gefäße oder Samen in
der Seele des Menschen einfließen dürfte, so würde dieses Leben oder das Gute und Wahre,
aus welchem es besteht, geradezu in das Entgegengesetzte verkehrt werden; und die Menschen würden schon von Kindheit an schlimmer als die wildesten Thiere sein. Es wurde daher vom Herrn vorgesehen, daß der allgemeine Einfluß des Lebens vom Herrn nicht in die
anererbten Gefäße der Seele des Menschen einfließen, sondern dass anstatt dieses allgemeinen Einflusses ein besonderer Einfluß in die Seelen der Menschen stattfinden sollte.
Dieser besondere Einfluß findet nicht in die angeborene Natur des Menschen, sondern in die
Gewohnheitsnatur, welche er sich durch seine eigenen Worte und Handlungen angeeignet hat,
statt. Alles, was der Mensch sieht und hört, und Alles, was er spricht und thut, bleibt in seinem Gedächtnisse bis in alle Ewigkeit. Der besondere Einfluß findet daher in das Gedächtnis
des Menschen, der allgemeine Einfluß dagegen in die angeborene Natur des Menschen statt.
Damit der Mensch dem besonderen Einflusse aus der geistigen Welt und nicht dem allgemeinen unterworfen würde, und damit verhütet werde, daß der allgemeine Einfluß in die angeborene Natur des Menschen stattfindet, werden vom Herrn einem jeden Menschen Geister und
Engel zugesellt, und diese Geister und Engel sind die Vermittler, durch welche der Mensch
Leben vom Herrn durch die geistige Welt erhält. Diese Geister und diese Engel ergreifen von
Allem, was in dem Gedächtnis des Menschen enthalten ist, Besitz, indem die Geister sich
alles Böse und Falsche in des Menschen Gedächtnis, und die Engel sich alles sein Gutes und
Wahres aneignen. Einem jeden Menschen werden vom Herrn solche Geister und Engel beigesellt, welche am meisten mit seiner Gemüthsart und seinen Anlagen übereinstimmen; die
Geister erfreuen sich ihres eigenen Willens, d. h. ihrer eigenen Lüste und Begierden, das Gedächtnis aber, welches sie aus der natürlichen Welt in die geistige Welt hinübernahmen, befindet sich bei ihnen gleichsam in einem schlafenden Zustande, und an die Stelle ihres
eigenen Gedächtnisses tritt bei ihnen das Gedächtnis des Menschen, welchem sie vom Herrn
zugesellt wurden. Die bösen Geister, welche beim Menschen sind, besitzen deshalb eine vollständige Kenntnis alles Bösen und Falschen, das sich im Menschen vorfindet, während die
Der moderne Spiritismus betrachtet im Lichte der Neuen Kirche
41
Engel eine Kenntnis von allem Guten und Wahren bei ihm haben. Die Engel flößen wahre
Gedanken und gute Neigungen in die Seelen der Menschen ein, während die bösen Geister
ihnen falsche Gedanken und böse Neigungen aufdrängen; die Engel bestreben sich daher immer, den Vorrath von Gutem und Wahrem im Menschen zu vermehren, und ebenso suchen
die bösen Geister das angehäufte Böse und Falsche zu vermehren. Zwischen diesen zwei
inneren Mächten, von welchen die eine den Menschen nach oben, die andere nach unten
ziehen will, befindet sich der Mensch in einem Zustande des Gleichgewichts, und der Herr
erhält in ihm die Freiheit der eigenen Wahl, so daß er entweder den Engeln oder den bösen
Geistern gehorchen kann. Der Kampf zwischen den guten und bösen Geistern in seiner Seele
ist, was man Versuchung nennt; und wenn der Mensch den bösen Geistern gehorcht, sagt
man, er gäbe nach oder er falle in der Versuchung, und wenn er den Engeln gehorcht, er
überwinde sein Böses.
Der besondere Einfluß besteht darin, daß die Engel und Geister von dem Gedächtnis des Menschen Besitz nehmen, und den allgemeinen Einfluß des Lebens vom Herrn in das Gedächtnis
des Menschen leiten, und nicht zulassen, daß derselbe in die angeborenen Gefäße seiner Seele
stattfindet. Dieser besondere Einfluß geht aber nur in die Neigungen und Gedanken des Menschen, und es ist keinem Engel und keinem Geist gestattet, in den Körper eines Menschen
einzufließen; es ist ihm also nicht erlaubt, die Worte und Handlungen des Menschen zu beherrschen. Der Einfluß aus dem Gedanken des Menschen in seine Sprache und von seinem
Willen in seine Handlungen findet deshalb dem allgemeinen und nicht dem besonderen Einfluß gemäß statt; denn wenn es den Geistern gestattet wäre, nicht nur in die Neigungen und
Gedanken des Menschen, sondern auch in seine Sprache und in seine Handlungen einzufließen, so würden sie Besitz von seinem Körper ergreifen und seine Freiheit und Vernunft hätten ihr Ende erreicht. Dieses ist die Gefahr, der die sogenannten spiritistischen Mediums
ausgesetzt sind; und die Wirkung des Spiritismus besteht darin, daß durch denselben die Geister, welche in den Neigungen und Gedanken des Menschen in seinem Gedächtnisse ihren
Wohnsitz aufgeschlagen haben, bis in sein Reden und Handeln und somit in seinen Körper
herabgezogen werden und denselben erfüllen, und dadurch den Menschen seiner Freiheit und
Vernunft berauben, welche das eigentlich Menschliche bei ihm ausmachen.
Während daher der Herr alle Mittel ergreift, um die Freiheit und Vernunft beim Menschen zu
erhalten, wenden die Spiritisten alle nur möglichen Mittel an, um diese zwei Eigenschaften
des Menschen zu verkehren und ihn zu einem Sklaven der bösen Geister zu machen.
Die Mittel, durch welche Geister aus den Neigungen und Gedanken der Menschen in ihre
Körper herabgezogen werden, sind die körperlichen, symbolischen Handlungen, welche die
Spiritisten in ihren Versammlungen begehen, und welche in der Anwendung von Entsprechungen bestehen, wodurch der Einfluß aus der geistigen Welt in die natürliche Welt geleitet
wird. Solche Entsprechungen sind die Tische, um welche sie sitzen, und die Handkette, welche
sie auf dem Tische bilden. Nachdem die Geister einmal aus der geistigen in die natürliche
Welt herabgezogen worden sind, dadurch, daß ihr Einfluß direkt in natürliche Dinge geleitet
wird, bringen sie die außerordentlichen Wirkungen hervor, durch welche sie die Menschen
dieser Welt bestechen und an sich fesseln.
Wie unzuverlässig aber die Mittheilungen sind, welche die Geister den Menschen machen,
wenn sie mit ihnen reden, erhellt aus folgenden Worten Swedenborgs:
»Manche glauben, der Mensch könnte vom Herrn unterrichtet werden, dadurch, daß Geister
mit ihm sprechen; Diejenigen aber, welche dieses glauben und wünschen, wissen nicht, dass
es mit der größten Gefahr für ihr Seelenheil verbunden ist. So lang der Mensch in der Welt
lebt, ist sein Geist mitten in der Gesellschaft von Geistern; und doch wissen die Geister nicht,
daß sie bei Menschen sind; der Grund ist, weil sie mit dem Menschen unmittelbar den Nei-
42
Rudolph Leonhard Tafel
gungen seines Willens nach, aber nur mittelbar den Gedanken seines Verstandes nach verbunden sind; denn der Mensch denkt natürlich, die Geister aber geistig; und natürliche und
geistige Gedanken machen nur durch Entsprechung Eins aus, und wenn zwei durch Entsprechung Eins ausmachen, weiß das Eine nichts von dem Andern. Sobald aber die Geister anfangen, mit dem Menschen zu sprechen, kommen sie aus ihrem geistigen Zustand in den
natürlichen Zustand des Menschen; und sie wissen dann, dass sie beim Menschen sind; und
sie verbinden sich dann mit den Gedanken seiner Neigungen und sprechen mit ihm aus diesen, sie können in nichts Anderes bei ihm einfließen, denn gleichartige Neigungen und Gedanken verursachen eine Verbindung, ungleichartige aber bewirken eine Trennung. Daher
kommt es, dass wenn ein Geist mit einem Menschen spricht, er in den gleichen Ansichten
wie der Mensch begründet ist, ob sie nun wahr oder falsch sind; ferner, daß er dieselben aufregt und dadurch, dass er seine eigenen Neigungen mit denjenigen des Menschen verbindet, er
dieselben außerordentlich verstärkt. Aus diesem Grunde sprechen keine andern Geister mit
dem Menschen oder wirken in bemerkbarer Weise auf ihn ein, außer solchen, die ihm ähnlich
sind; denn ein bemerkbares Einwirken in den Menschen und ein Reden mit ihm ist ein und
dasselbe. Daher kommt es auch, daß nur schwärmerische Geister mit Schwärmern sprechen;
und daß nur quäkerische Geister auf Quäker wirken und herrnhuterische auf Herrnhuter; das
Gleiche wäre der Fall bei Arianern, Socinianern und andern Ketzern. Keine anderen Geister
sprechen mit dem Menschen außer solchen, welche Menschen auf dieser Welt gewesen sind;
und was eigenthümlich ist, wenn ein Mensch glaubt, der heilige Geist spräche mit ihm oder
wirke auf ihn ein, so glaubt der Geist (der bei ihm ist), auch er sei der heilige Geist – dieses ist
gewöhnlich der Fall bei Schwärmern. Hieraus lässt sich die große Gefahr erkennen, in welcher der Mensch schwebt, wenn er mit Geistern spricht oder ihre Einwirkung in bemerkbarer
Weise fühlt. Der Mensch kennt seine Neigung nicht, ob sie gut oder böse sei, noch weiß er,
mit welcherlei anderen Wesen dieselbe verbunden ist; wenn er daher stolz auf seine eigene
Einsicht ist, so begünstigt der Geist, (der bei ihm ist) immer jeden Gedanken, der daraus fließt;
ebenso wenn Jemand von Eifer für gewisse Ansichten entflammt ist, wie es bei denen der Fall
ist, welche nicht aus reiner Neigung in Wahrheiten sind. Wenn ein Geist, der von der gleichen
Neigung beseelt ist, dieselben Gedanken und Ansichten begünstigt, dann leitet Einer den Andern, wie wenn ein Blinder einen andern Blinden leitet, wo dann beide in eine Grube fallen. Im
Alterthume waren Diejenigen, welche (unter den Juden) Wahrsagegeister hatten von der Art,
ebenso die Magier in Egypten und Babel, welche wegen ihrer Rede mit Geistern und wegen
des Einwirkens der Geister auf sie in einer bemerkbaren Art Weise genannt wurden. Aber der
Gottesdienst wurde auf diese Weise in Teufelsdienst verkehrt und die Kirche ging zu Grunde.
Daher war ein solcher Verkehr den Juden bei Todesstrafe verboten.« Erklärte Offenbarung
1182.
Folgende Stelle aus Swedenborgs »Memorabilien«, auch Geistiges Tagebuch genannt, zeigt
ferner, wie unzuverlässig die Berichte sind, welche von geistigen Mediums gegeben werden.
»Wenn Geister anfangen, mit den Menschen zu reden, muß man ihnen nicht glauben; denn
beinahe alles, was sie sagen, ist von ihnen selbst erfunden, und sie lügen. Wenn ihnen erlaubt
wäre, die Beschaffenheit des Himmels zu beschreiben, und zu erklären, wie die Dinge im
Himmel beschaffen sind, würden sie so viele Lügen aussagen, daß der Mensch ganz von Sinnen kommen würde; und sie würden diese Dinge mit der größten Kaltblütigkeit erzählen und
deren Wahrheit bekräftigen. Weshalb, wenn Geister (zu mir) sprachen, es mir nicht erlaubt
war, ihren Worten Glauben zu schenken.«
»Die Geister erzählen überaus gerne Lügen; und wenn irgend ein Gegenstand bei der Unterhaltung auftaucht, so bilden sie sich ein, alles darüber zu wissen; und Einer nach dem Andern
gibt eine verschiedene Meinung darüber kund, als ob ihnen der Gegenstand ganz bekannt
wäre; und wenn der Mensch auf sie hört, und ihnen glaubt, betrügen und verführen sie ihn auf
Der moderne Spiritismus betrachtet im Lichte der Neuen Kirche
43
verschiedenerlei Art: Darum mögen die Menschen auf der Hut sein, und ihnen keinen Glauben schenken; aus diesem Grund auch ist es höchst gefahrvoll für Menschen in dieser Welt
mit Geistern zu reden, wenn sie nicht im wahren Glauben sind. Die Geister flößen dem Menschen eine solche unwiderstehliche Ueberzeugung ein, daß er sich fest einbildet, es sei der
Herr, welcher spricht und befiehlt, so daß der Mensch nicht anders kann, als den Geistern zu
glauben und zu gehorchen.« (Swedenb. Memorabilia. 1622.)
Und ferner:
»Nichts ist bei den Geistern gewöhnlicher, als im Gespräch, zu sagen, eine Sache sei so oder
so; denn sie bilden sich ein, alles genau zu wissen; und sie behaupten, eine Sache sei so,
wenn sie sich doch ganz anders verhält … sobald sie etwas bemerken, wovon sie keine
Kenntnis haben, sagen sie gleich, es verhält sich so.« (Swedenb. Memorabilia. 1902.)
»Manchmal wurde mir durch Erfahrungen gezeigt, daß Geister sich dem Glauben hingaben,
sie wären Personen, über deren Leben und Treiben ich einige Kenntnis hatte, und aus dieser
Kenntnis in meinem Gemüth überredeten sie Andere zu dem Glauben, sie wären diese Personen selbst, sie sprachen in ähnlicher Weise, hatten die gleichen Geberden und viele andere
Dinge. Sie versuchten sogar, mich zu überzeugen, sie wären diese Personen; weil ich aber
wusste, daß andere Personen auf diese Weise von den Geistern so täuschend nachgeahmt
werden können, konnten sie mich nicht überreden.
Darum mögen Diejenigen, welchen es verliehen ist, mit Geistern zu reden, sich wohl in Acht
nehmen, und nicht glauben, die Geister wären diejenigen Personen, für welche sie sich ausgeben; denn sie können irgend Jemand personifiziren, und sich so darstellen, wie der Mensch,
bei welchem sie sind, von diesen eine Vorstellung hat. Daß dem so ist, kann auch aus dem
Umstand erhellen, daß solche Geister den Menschen zugesellt werden, welche so beschaffen
sind, wie sie selbst; und wenn sie beim Menschen sind, so wissen sie nicht anders, als daß
sie diese Menschen selbst sind.« (Swedenb. Memorabilia 2686, 2687.)
Diese Erklärungen von dem Wesen des Spiritismus und von den Gefahren, welchen Diejenigen ausgesetzt sind, die mit Geistern verkehren, sind gewiß sehr merkwürdig, wenn wir in
Betracht ziehen, daß sie schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts geschrieben wurden, und
daß zu jener Zeit Swedenborg keine Idee davon hatte, wie sehr das Reden und der Verkehr mit
Geistern in dieser Welt in Schwung kommen würde. Der einzige wahre Weg, von der Wahrheit
unterrichtet zu werden, ist das geschriebene Wort Gottes. Swedenborg sagt darüber Folgendes:
»Ganz anders ist es mit Denen, welche vom Herrn geleitet werden; und er leitet die, welche die
Wahrheit lieben, und sie von ihm zu wissen begehren. Diese werden erleuchtet, während sie
das Wort lesen; denn der Herr ist in demselben und spricht mit Jedem nach seinen Begriffen;
wenn Solche Geister sprechen hören, was manchmal geschieht, werden sie nicht belehrt,
sondern geleitet und dieses so sorgfältig, daß dem Menschen doch seine Freiheit bewahrt wird.
Denn jeder Mensch wird vom Herrn durch seine Neigungen geleitet und denkt aus diesen in
Freiheit, wie von sich selbst; wenn dem nicht so wäre, könnte er weder gebessert noch erleuchtet werden. Die Menschen werden aber auf verschiedene Weise erleuchtet, jeder nach
seiner Neigung und der Einsicht daraus, diejenigen, welche in der Neigung zu geistiger Wahrheit sind, werden vom Herrn in das Licht des Himmels erhoben, so daß sie die Erleuchtung
sogar wahrnehmen können.«
Wir sehen daher, daß das Wort der einzig wahre Weg ist, auf welchem der Mensch über Gott
und die geistige Welt unterrichtet werden kann, und daß jeder andere Weg falsch und verkehrt
ist, und daß diejenige, welche zu den Geistern anstatt zum Herrn gehen, um über diese Punkte
erleuchtet zu werden, über kurz oder lang die Folgen ihres Unrechts werden zu büßen haben.
Da die Spiritisten die Geister und nicht den Herrn um Auskunft über die andere Welt angehen,
so ist es nicht zu verwundern, daß man unter ihnen so wenig Achtung für den Herrn und sein
44
Rudolph Leonhard Tafel
Wort findet. Und deshalb trifft man auch unter ihnen so Viele, welche den Herrn Jesus Christus nicht als Gott, sondern als einen bloßen Menschen anerkennen.
In Wirklichkeit setzen die Spiritisten die Eingebungen der Geister an die Stelle des Wortes,
und anstatt den Herrn um Hilfe anzuflehen, wenden sie sich an Geister. Ferner, da sich die
Geister auf einem mehr innerlichen Gebiet bewegen, als die Menschen, und zu allen Gedanken und Neigungen des Menschen Zutritt haben und ihn daher führen können, wohin sie
wollen, so ist es zum Wenigsten sehr unvorsichtig für einen Menschen, sich ganz und gar in
die Arme eines unbekannten Fremden zu werfen, und ohne im Stande zu sein, diesen im
Geringsten zu beherrschen, sich zu einem bloßen Werkzeug in seiner Hand herzugeben. Und
dennoch ist dieses der bedauernswürdige Zustand, in welchen die Opfer des Spiritismus am
Ende hineingerathen; sie werden ihrer Freiheit und Vernunft beraubt, und werden bloße Sklaven und reine Werkzeuge in der Hand der Geister.
Das Verhältnis des Spiritismus und der Neuen Kirche ist daher kurz folgendes: Beide geben
die Existenz der geistigen Welt zu, und sie glauben, daß die geistige Welt innerhalb der natürlichen Welt und um dieselbe herum ist, und daß der Mensch unmittelbar nach seinem Tode in
die geistige Welt eingeht und dort fortlebt. Während aber die Spiritisten die widersprechenden
und unzuverlässigen Offenbarungen der Geister für entscheidende Wahrheit halten, erkennt
die Neue Kirche nur eine Richtschnur für die Wahrheit an, und diese ist das Wort Gottes,
durch welches, wenn der Mensch dasselbe im Aufblick auf den Herrn liest und darüber nachdenkt, und wenn er die Lehren desselben auf sein Leben anwendet, er in einen Zustand der
Erleuchtung vom Herrn kommt, wodurch er befähigt wird, die ewige Wahrheit Gottes, welche
immer zuverlässig und übereinstimmend und niemals widersprechend ist, und welche die
Menschen sicher aus diesem Leben in die Ewigkeit einführt, zu erkennen und zu verstehen.
Die Neue Kirche lehrt ferner, daß der Herr stets für seine Kinder hier auf dieser Welt Sorge
trägt und ihnen zur rechten Zeit Speise gibt; und daß, wenn für die Errettung der Menschen
aus den Banden der Sünde eine neue Offenbarung der Wahrheit vonnöthen ist, Er sich selbst
ein Werkzeug auserwählt und die Zeit festsetzt, wenn diese Offenbarung gemacht werden soll;
und daß er dieses wichtige Werk nicht den niedern und unwissenden Geistern überlässt, welche beim Menschen in seinem niedern sündhaften Zustande sind.
Eine solche neue Offenbarung, erklärt die Neue Kirche, hat der Herr in diesen letzten Tagen
uns durch Emanuel Swedenborg gegeben, dessen Gemüth Er von seiner frühesten Jugend an
so vorbereitete, daß er die Wunder des Himmels und der Hölle vernunftgemäß ansehen und
verstehen, und so den Menschen mittheilen konnte; und sie erklärt ferner, dass dieser Mann
während des Lesens der Heiligen Schrift von dem Herrn so erleuchtet wurde, daß er den inneren Sinn der Heil. Schrift, in welchem die wahren Lehren der christlichen Kirche enthalten
sind und gelehrt werden, einsehen und verstehen konnte.
Diese Offenbarung der göttlichen Wahrheit durch Emanuel Swedenborg geschah in Uebereinstimmung mit den Gesetzen der göttlichen Ordnung, und durch sie wird der Mensch keineswegs in dem Gebrauch seiner Freiheit und Vernunft beeinträchtigt; im Gegentheil, in einem
besonderen Werk Swedenborgs über die göttliche Vorsehung wird auf’s Nachdrücklichste
erklärt, dass die Freiheit und Vernunft des Menschen das eigentlich Menschliche bei ihm
ausmacht, und daß er sich durch diese beiden Vermögen vom Thiere unterscheidet.
Möge daher Jeder diese nachdrückliche Lehre der Neuen Kirche beachten und jede Autorität in
geistigen Dingen fliehen und verabscheuen, welche ihre Hand gegen die Freiheit und Vernunft
des Menschen erhebt und ihn zu einem Sklaven von Menschen oder Geistern herabwürdigen
will!
Quelle: Wochenschrift für die Neue Kirche. Zweiter Jahrgang. Stuttgart, Mittwoch den 30. Juli
1873. No. 31.
NEUKIRCHLICHE POLEMIK
FEDOR UND ADOLF LUDWIG GÖRWITZ
Das umfangreiche Lorber’sche »Evangelium St. Johannis« … ist
im Lichte der himmlischen Lehren nichts anderes als eine Entweihung des heil. Gotteswortes durch läppische Zusätze, von denen sich der im Lichte der Neuen Kirche Stehende mit Grauen
abwenden muß.
FEDOR GÖRWITZ
AUS DEM LEBEN …
… des im April d. J. in Trachenberge b. Dresden verstorbenen Herrn Adolph Thieme (Siehe Augustnummer der Monatblätter) sind uns von seiner Gattin einige sehr interessante Einzelheiten
freundlichst mitgetheilt worden, welche auch für viele unserer Leser von Interesse sein dürften.
Thieme, im Jahre 1816 in Chemnitz, Sachsen, geboren, zeigte frühzeitig Talent und Liebe zur
Musik, und bildete sich zu einem tüchtigen Musiker aus. Sein Lieblingsinstrument war die
Flöte, doch war er auch ein tüchtiger Violinist und Klavierspieler. Im Jahre 1837 oder 1838
folgte er einer Einladung zum Eintritt in die Kapelle des Musikdirektors Hermann in Warschau,
und begleitete diesen dann nach Petersburg und Moskau. Hermann war der erste, der mit einer
deutschen Musikkapelle nach Rußland kam, und wurde sehr freundlich aufgenommen. »Der
gute Ruf ging ihnen voraus«, schreibt Frau Thieme, »kein Wunder, daß sie auf ihrer Reise öfters
angehalten und aufgefordert wurden, einige Konzerte zu geben; die höchsten Damen boten sich
an, mitzuwirken, und aus Dorpat kamen ihnen die Studenten meilenweit entgegen. In Petersburg feierten sie einen förmlichen Triumphzug, bis in die kaiserliche Familie.« So wurde Thieme bald heimisch in Rußland. Im Jahre 1847 wurde er als erster Flötist an dem kaiserlichen
Theater in Petersburg und zugleich als Musiklehrer an der Theaterschule und am Blindeninstitut mit Pensionsberechtigung fest angestellt, und erlangte somit eine gesicherte Lebensstellung.
Bald darauf sollte er in eigenthümlicher Weise mit den Schriften Swedenborgs bekannt werden.
Thieme war ein großer Bücherfreund, und widmete seine freien Stunden hauptsächlich dem
Lesen guter Bücher, besonders auch philosophischer Werke, in denen er manches Schöne fand,
ohne jedoch recht befriedigt zu werden.
Diese Neigung theilte er mit einem Kollegen, einem gebildeten Oldenburger, mit dem er zusammen bei einer Familie wohnte. Die beiden Freunde wanderten öfters über einen Trödelmarkt, wo
sich auch einige Altbücherläden befanden, und von wo sie sich, wie Frau Thieme schreibt,
»manchen Gelehrten mit nach Hause getragen haben.« Kurz vor Weihnachten 1849 äußerte
Thieme zu seinem Freunde, daß er sich zu Weihnachten ein Geschenk machen möchte, irgend
ein Werk, er wisse nur nicht welches. Einige Tage darauf reichte ihm sein Freund ein kleines
Büchlein mit den Worten: »Hier hast du dein Weichnachtsgeschenk« – es war das Tübinger
Verzeichnis der Schriften Swedenborgs. Thieme rief aus, als er die Titel gelesen hatte: »Das habe
ich ja so lange gesucht«, und eilte sofort zu einem befreundeten Buch- und Musikalienhändler,
um die Bücher zu kaufen. Dieser sagte ihm aber lächelnd, weder bei ihm noch bei irgend einem
andern Buchhändler könne er diese Bücher bekommen, die seien in Russland streng verboten.
Als Thieme jedoch nicht aufhörte, ihn mit Bitten zu bestürmen, versprach er, etwas für ihn zu
wagen; er wolle die Schriften kommen lassen als Packpapier zum Einwickeln anderer Bücher
und zum Auslegen von Kisten verwendet. Der Buchhändler hielt Wort, und auf diese Weise gelangte Thieme nach und nach in den Besitz sämmtlicher von Immanuel Tafel herausgegebenen
Schriften. Die ersten dieser Schriften, die Lehre vom Herrn und die Lehre von der heiligen
Schrift, trafen im Frühjahr oder Sommer 1850 ein, und Frau Thieme schreibt, sie erinnere sich
noch lebhaft, mit welcher Freude Thieme damals (drei Jahre vor ihrer Verheirathung) zu ihrem
Vater, dem in Petersburg wohnenden deutschen Ingenieur Höhlenberg, gekommen sei, um ihm
diese Schriften zu zeigen; als er dann erzählte, es werde darin begründet, daß der Herr Jesus
Christus Gott selbst sei, so ist der Vater leichenblaß geworden und hat gesagt: »Und die ganze
Menschheit lässt Ihm nur eine getheilte Liebe und Verehrung zu Theil werden!« Thieme ging
mit diesen beiden Schriften auch zu Pastor Frommann aus Jena, der an einer evangelischen
Gemeinde in Petersburg angestellt und als bedeutender Kanzelredner berühmt war. Dieser
herrschte ihn an mit den Worten: »Wer sind Sie denn eigentlich, daß Sie sich um solche Sachen
kümmern?« Auf die Antwort Thieme’s, er halte es als Mensch für seine Pflicht, sich darum zu
kümmern, bemerkte Frommann dann, bei Hofe wären viele Große, die sich für die Lehren Swe-
48
Fedor Görwitz
denborgs interessirten. Bei seinen Kollegen versuchte Thieme vergeblich, für die Lehren Interesse zu erwecken; sie antworteten ihm, wenn er ihnen Bücher gab, daß sie kein Wort davon verstünden. Nur einer, ein Kollege aus Lübeck, der ihn selbst aufsuchte mit dem Geständniß, daß er
nichts glaube und trotz der Ermahnungen seiner Frau nicht überzeugt werden könne, machte
eine Ausnahme; er nahm die Lehren an, und kehrte, gläubig geworden, in die Heimath zurück.
Seiner angegriffenen Gesundheit wegen musste Thieme im Jahre 1864 seine Stelle in Petersburg niederlegen. Er zog nach Dresden und erholte sich hier, nachdem er das seiner Gesundheit
unzuträgliche Flötenspiel ganz aufgegeben hatte, verhältnißmäßig rasch. Dagegen trat eine
schwere Anfechtung anderer Art an ihn heran, eine Anfechtung von Seiten des bösen Dämons
des Spiritismus. Die Lorber’schen Schriften, Erzeugnisse des Spiritismus – herausgegeben von
Johannes Busch in Dresden, jetzt in dem sogenannten theosophischen Verlage von Landbeck in
Bietigheim – geriethen in seine Hände, und er ließ sich, getäuscht durch ihre vorgebliche göttliche Inspiration, eine Zeit lang von ihnen umgarnen; auch ließ er sich verleiten, an spiritistischen Sitzungen theil zu nehmen. Spiritischen Einflüsterungen, daß er zu »Höherem« berufen
sei, gehorchend, gab er seine 24 Klavierschüler und damit eine Einnahme von mehreren Tausend Mark auf. Er gerieth in eine bedenkliche phantastische Gemüthsverfassung, und fand erst
wieder Frieden, nachdem er die Lorber’schen Schriften, für die er über 40 Thaler ausgegeben
hatte, sämmtlich verbrannt hatte. Die Schilderung der höchst traurigen Erfahrungen Thieme’s
mit diesen Schriften hat uns tief erschüttert. Die Lorber’schen und ähnliche spiritistische Schriften sind besonders gefährlich für vereinzelte Leser der Schriften Swedenborgs, die des Schutzes
der kirchlichen Gemeinschaft entbehren, und sich durch eine scheinbare Verwandtschaft mit
den gottgegebenen Schriften der Neuen Kirche täuschen lassen. Es ist Pflicht der Vertreter der
Neuen Kirche und insbesondere des kirchlichen Lehramts, vor diesen Schriften zu warnen. Wir
möchten allen Freunden, die sich etwa im Besitz solcher Schriften befinden mögen, den Rath
geben: Folgt dem Beispiele Thieme’s, und verbrennt sie; sie sind unlautern Ursprungs. Die
Schriften Swedenborgs sind heilige Wahrheit, die spiritistischen Schriften sind Trug. In den
Schriften des gottgesandten Swedenborg umweht uns erquickende reine Himmelsluft, in den
spiritistischen Schriften eine unreine, betäubende, phantastische Sphäre.
Im Jahre 1873 erhielt Thieme von einem Freunde eine Nummer der »Wochenschrift für die
Neue Kirche« zugeschickt; es war die Nummer vom 23. Juli mit einer Predigt von Giles: »Wie
bauen wir unser geistiges Haus.« Thieme war hocherfreut, abonnirte auf 3 Exemplare des Blatts,
und bemühte sich eifrigst, Abonnenten dafür zu gewinnen – was ihm jedoch nicht gelang. Da er
sich nach Verkehr mit Gesinnungsgenossen sehnte, so ließ er in die »Dresdener Nachrichten«
ein Inserat einrücken: »N. K. Freunde werden gesucht.« Daraufhin meldete sich ein damals in
Dresden wohnender Engländer, Herr W. Preston, »ein fester Bekenner der Neuen Kirche« mit
welchem Thieme in der Folge viele gesegnete Stunden verbrachte; derselbe brachte bei seinen
Besuchen auch englische neukirchliche Schriften mit, die er alsbald übersetzte. Herr Preston
wohnt jetzt in Indien, in Birma.
28 Jahre lebte Thieme in Dresden und in dem benachbarten Trachenberge. Er war – diesen Eindruck gewinnen wir aus den Mittheilungen, denen wir das Vorstehende entnehmen – ein aufrichtiger, kindlicher, wohlwollender Charakter. Wir haben ihn persönlich nicht kennen gelernt,
und wissen nicht, was ihn abgehalten hat, sich einer neukirchlichen Organisation, z. B. der
deutschen Nk. Gesellschaft, anzuschließen, sind jedoch überzeugt, daß er, wenn eine neukirchliche Gemeinde an seinem Wohnorte bestanden hätte, ein treues und eifriges Mitglied derselben
geworden wäre.
Quelle: Fedor Görwitz, Aus dem Leben (des Adolph Thieme) , in: Monatblätter für die Neue Kirche,
Zürich, November 1892, Seiten 172-174.
Fedor Görwitz (1835 - 1908)
THEOSOPHISCHE SCHRIFTEN
Fedor Görwitz – 1898
Vor einiger Zeit ist uns aus dem »Neutheosoph. Verlag (C. F. Landbeck & Gen.) Bietigheim,
Württemberg« ein »Allgemeiner Prospekt« zugegangen, welcher sich über die »Sammlung
neuer theosophischer Schriften« verbreitet, deren Herausgabe der genannte Verlag sich zur
Aufgabe stellt. Dem Prospekte sind einige Auszüge aus diesen Schriften beigelegt, von denen
einer sich u. A. auch mit der Frage befasst, ob den »Büchern Emanuel Swedenborg’s« voller
Glaube zu schenken sei; ferner ein »Lebensbild des Jakob Lorber«, des Verfassers, oder vielmehr, da es sich um spiritistische Eingebungen handelt, des Schreibers des größten Theils
dieser »theosophischen Schriften«. Die uns zugegangenen Blätter bieten einen Einblick in die
Geschichte dieser Schriften, die hie und da mit den Schriften der Neuen Kirche in Verbindung
gebracht worden sind. Auch manche unserer Leser mögen von denselben schon gehört haben;
eine kurze Besprechung der Sache in unserm Blatte dürfte daher wohl angebracht und von
Nutzen sein.
In dem Prospekte werden diese Schriften als »neue Kundgaben von oben« bezeichnet, welche
dazu dienen sollen, »von Neuem den hohen Daseinszweck und das eigentliche Wesen des
Menschen, der Schöpfung, sowie auch des Schöpfers selbst in zeitgemäßer und umfassender
Weise zu enthüllen, wie nie zuvor.« Zu diesem Behufe seien seit 1840 wiederum verschiedene Menschen befähigt worden, wie die Propheten das Wort des Herrn klarer zu vernehmen,
als es sonst gewöhnlich in unserm Innern der Fall sei, »und zwar in längeren Abhandlungen,
welche als ›Worte aus Gott‹ in Diktaten niederzuschreiben sie veranlaßt wurden« – wie übrigens auch schon früher fast in jedem Jahrhunderte solche Auffrischungen für nach reinerem
Lichte Dürstende, »wie z. B. durch Swedenborg, Böhme, Petersen u. s. w.« gegeben worden
seien, doch nie so klar und umfassend wie nun. Diese neuen Kundgebungen von oben seien
seit 1850 da und dort zerstreut theilweise gedruckt worden, wodurch auch dem jetzigen Ver-
50
Fedor Görwitz
leger Gelegenheit gegeben worden sei, sie kennen und schätzen zu lernen. Durch besondere
Fügung, ohne eigenes Zuthun sei die Weiterführung der Herausgabe dieser Werke in seine
Hände gekommen, und nicht besondere Befähigung, welche ihm mangle, sondern pietätvolle
Dankbarkeit und Liebe zum Lichte und zur Menschheit haben ihn ermuthigt, sich dieser vom
weltlich-geschäftlichen Standpunkte aus undankbaren Arbeit zu unterziehen, wobei wohlwollende Gesinnungsgenossen die Hand reichten, sodaß auch die Vereinigung sämtlicher bis jetzt
gedruckten Theile dieser Sammlung ermöglicht worden sei.
Die Lebensbeschreibung Lorber’s, von dem, wie schon erwähnt, der größte Theil dieser Schriften stammt, ist im Jahre 1885 von einem seiner Freunde geschrieben, der ihn »eines der frühesten und originellsten Medien der neueren Zeit« nennt, welcher 5 Jahre früher als der
amerikanische »Seher« Andrew Jackson Davis das erste große Werk medianim niederzuschreiben begann – wozu der Herausgeber die Anmerkung macht, daß »Annchen Linnweg«
schon im Jahre 1833, also noch früher, ein vortreffliches »Trancemedium« gewesen sei.
Wir entnehmen dieser Skizze, daß Lorber im Jahre 1800 in Steiermark als Sohn eines Musikers geboren wurde und im Jahr 1864 in Graz verstarb. Im Alter von 17 Jahren besuchte er
einen Lehrerkurs in Marburg, diente dann kurze Zeit als Hauslehrer, kehrte aber bald nach
Marburg zurück, um sich am Gymnasium den Studien und danach dem katholischen Priesterstande zu widmen, wozu er von einem Kaplan angeregt worden war. Zur Vollendung seiner Studien ging er sodann nach Graz, änderte aber hier aus Mangel an Mitteln seinen
Lebensplan, und verlegte sich gänzlich auf die Musik, in der er von Jugend auf schon Unterricht genossen hatte. Er fand als Musiklehrer ein bescheidenes Auskommen. Weiter heißt es
dann:
So ernst es aber Lorber mit seinem Kunstbestreben war, so fühlte er sich doch auch nach anderen
Richtungen hin angezogen. Ein mächtiges Verlangen nach tieferem Eindringen in die Geheimnisse
der Schöpfung trieb ihn unter Anderem an, wiewohl ihm zum wissenschaftlichen Studium der
Astronomie die gründliche Kenntniß der Mathematik fehlte, den gestirnten Himmel wenigstens
mit dem Fernrohr zu durchforschen. Vor Allem aber machte sich in seinem Wesen eine gewisse
Innerlichkeit bemerkbar; er las daher mit Vorliebe auch ältere und neuere Autoren, die in ihren
Werken transcendentale Gegenstände behandeln, ohne daß er daraus jedoch ein eigentliches Studium machte, was überhaupt seine Sache nicht war. Allmälig stellten sich bei ihm dann bedeutungsvolle Träume ein, und manche derselben machten auf ihn einen so tiefen Eindruck, daß er sie
der Aufzeichnung werth hielt, so war Lorber bereits in das vierzigste Lebensjahr vorgerückt, ohne
eigentlich eine feste Stellung erreicht zu haben. Jetzt endlich bot sich ihm eine solche dar. Unerwartet erhielt er eine Einladung aus Triest, an einem dortigen Theater die zweite Kapellmeisterstelle zu übernehmen. Er ging darauf ein und machte sich reisefertig; aber sein Leben nahm nun
unvorhersehbar eine ganz andere Wendung. Am 15. März 1840, um 6 Uhr Morgens – so erzählte
er später – als er nach seinem Morgengebete eben im Begriffe war, das Bett zu verlassen, um den
Reisewagen zu besteigen, vernahm er in der linken Seite seiner Brust, wie im Herzen, eine Stimme, die ihm deutlich zurief: »Steh auf, nimm deinen Griffel und schreibe.« Er säumte nicht, diesem
geheimnißvollen Auftrage Folge zu leisten, kleidete sich eilig an und griff zu Feder. Und von dieser Stunde angefangen, diente er, die ihm angebotene Dienststelle sogleich wieder abweisend, dieser inneren Stimme, die er fernerhin »das lebendige Wort« nannte, durch mehr als
vierundzwanzig Jahre und bis an seinen Tod in Demuth und Dürftigkeit, mit aufopferungsvoller
Willfähigkeit und Treue als emsiger Geheimschreiber des Herrn. Seine nächsten Freunde, denen
er dieses außerordentliche Ereigniß sogleich anvertraute, waren darüber im höchsten Grade erstaunt, ja im ersten Augenblicke um den Geisteszustand des von ihnen werthgehaltenen Mannes
ernstlich besorgt. Oft wohnte nun Einer oder der Andere der Eingeweihten, die durch die Weisheit
des von Lorber Niedergeschriebenen bald eines Besseren belehrt waren, seiner mysteriösen
Schreibthätigkeit als Zeugen bei. Er saß dabei ruhig an seinem Tischchen, hatte weder ein Buch,
noch irgend ein anderes Hülfsmittel an seiner Seite, und führte, ganz in sich gekehrt, mäßig
schnell, aber ohne eine Pause des Nachdenkens zu machen, oder am Geschriebenen etwas zu verbessern, mechanisch die Feder, vollkommen wie Jemand, dem von einem Andern etwas diktirt
wird. Während dessen schien das, was er niederschrieb, seine Theilnahme wenig zu erregen; wenn
er aber die Feder weggelegt hatte und das Geschriebene den etwa anwesenden Vertrauten vorlas,
Theosophische Schriften
51
so brach er manchmal, die Liebe Gottes preisend, in Thränen aus. Nach seiner Aussage theilte er
das innerlich Vernommene noch leichter mit, es einem Andern diktirend, und so sagte er einigen
Freunden ganze Werke in die Feder. Dabei saß er neben dem Schreibenden, ruhig vor sich hinschauend und nie in seinem gleichmäßigen Redeflusse stockend oder irgend eine Satzfügung oder
auch nur einen einzelnen Ausdruck abändernd, und wenn sein Diktiren durch Zufall auf kurz oder
lange, sei’s für Tage oder Wochen, unterbrochen wurde, so vermochte er, ohne das bereits Geschriebene näher nachzulesen, sogleich wieder beim letzten früheren Worte beginnend, im richtigen Zusammenhange gleichsam mechanisch fortzusetzen.
Wir geben diesen Auszug hier wörtlich wieder, weil darin die Entstehungsgeschichte der Lorber’schen Schriften von einem seiner Freunde und Verehrer anschaulich geschildert wird.
Wir haben es also nach dieser Schilderung mit einem der frühesten Erzeugnisse des modernen Spiritismus zu thun. Auch von seinen Freunden wird Lorber als »Medium« angesehen, und
zwar als eines der »originellsten Medien«; denn er unterscheidet sich von den heutzutage zu
Tausenden auftretenden sogenannten »Schreibmedien« dadurch, daß er auf Diktat einer nur
ihm vernehmbaren Stimme niederschrieb, und, ohne selbst zu schreiben auch Anderen diktiren konnte. Im Wesentlichen kommt das aber auf dasselbe heraus; er schrieb mechanisch und
diktirte ohne Nachdenken, ohne Anwendung von Vernunft und Freiheit, ebenso wie die
»Schreibmedien«. Es geht dies aus der obigen Schilderung deutlich hervor. Beim Lesen erst
kam das von ihm mechanisch Niedergeschriebene zu seinem Bewußtsein.
Daß diese »medialen« Kundgebungen aus der geistigen Welt stammen, auf Einflüsse aus der
geistigen Welt zurückzuführen sind, ist nicht zu bezweifeln, ist von uns um so weniger zu
bezweifeln, da wir wissen, daß der Mensch ohne Einfluß aus der geistigen Welt überhaupt
nicht leben, nicht wollen und denken könnte. Wir wissen aber auch ferner, daß Gott dem
Menschen Vernunft und Freiheit verliehen hat, daß er in Freiheit wie aus sich selbst nach der
Vernunft handeln kann und soll, und daß er ohne diese edlen Gaben nicht Mensch wäre. Die
Erzeugnisse des Spiritismus nun entstehen ohne Anwendung dieser Gaben; das spiritistische
Medium weiß nicht, was es spricht oder schreibt. Es ist von einer fremden Macht in Besitz
genommen – besessen. Solche abnormalen Zustände können, wie uns die Erfahrung zeigt,
eintreten ohne alles Zuthun der Menschen, bei Somnambulen z. B., und dann werden sie als
krankhafte erkannt, sind auch meistens mit körperlich krankhaften Zuständen verbunden. Sie
können aber auch mit Absicht angestrebt und erreicht werden, wie uns der heutzutage so weit
verbreitete Spiritismus mit seiner Anzahl von »Medien« zeigt. Es wird in diesen Kreisen seltsamerweise gleichsam als ein Verdienst, als eine besondere der Eitelkeit schmeichelnde Gabe
angesehen, in einen solchen abnormalen Zustand versetzt und dadurch Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit zu werden. Auch Lorber betrachtete diesen Zustand augenscheinlich als
eine besondere Gnade. Er verzichtete auf eine Stellung, in welcher er in Freiheit und mit Vernunft eine seiner Ausbildung entsprechende nützliche Thätigkeit hätte entwickeln können,
und überließ sich blindlings einem mechanischen Dienste, von welchem diese beiden Vermögen ausgeschlossen waren. Armer betrogener Mann!
Wie haben wir uns dem Spiritismus gegenüber zu verhalten? »An ihren Früchten sollt ihr sie
erkennen«, spricht der Herr. Die Erzeugnisse, die Früchte des Spiritismus erweisen sich ausnahmslos als Trug. Durch den Spiritismus ist noch keine einzige Wahrheit in die Welt gekommen. Was die spiritistischen Kundgebungen Wahres enthalten, das war schon in der Welt,
das war schon bekannt; was sie Neues, bisher Unbekanntes bieten, das erweist sich ausnahmslos als Trug.
Die Schriften Lorber’s bilden hievon keine Ausnahme. Sie erweisen sich als eine abscheuliche Verfälschung und Entweihung des Wortes Gottes, die sich in das Gewand einer göttlichen
Offenbarung kleidet und dadurch Manche täuschen mag, die ihre Vernunft davon gefangen
nehmen lassen. Sie treten auf als ein »neues Wort«, als eine unmittelbare Offenbarung des
Herrn der in ihnen als »Ich« in erster Person spricht. Dieses »neue Wort« aber ist nichts ande-
52
Fedor Görwitz
res als eine Profanation, ein Zerrbild des Wortes alten und neuen Testaments. Ein Band der
Lorber’schen Schriften, betitelt »das Evangelium St. Johannis« liegt uns vor. Das Evangelium
wird darin profanirt. Die heiligen Worte des Herrn werden darin verbunden und untermischt
mit Phantasiegebilden eines Truggeistes, mit läppischen Erzählungen in roher an’s Vulgäre
streifender Sprache, und werden dadurch entheiligt und herabgewürdigt. An die Stelle des
Herrn, dessen lichtumflossene Gestalt aus diesem Evangelium in so wunderbarer Milde und
Schönheit hervorleuchtet, tritt ein Zerrbild. Wir können nicht daraus citiren, weil die unheiligen Worte als aus dem Munde des Herrn selbst kommend hingestellt werden. Jeder Satz ist
Entweihung, ist Lästerung. Einige der Erklärungen haben Anklänge an die Lehren der Neuen
Kirche; aus der oben erwähnten, von dem Medium gestellten Frage über Swedenborg geht ja
hervor, daß man sich in jenem Kreise mit den Schriften Swedenborgs beschäftigt hat. Wie das
Wort Gottes selbst, so wird aber auch die gottgegebene Lehre aus dem Worte durch ihre Verbindung und Vermischung mit Truggebilden verfälscht und entweiht. Die auf jene Frage gegebene Antwort ging dahin: Was Swedenborg sage, sei gut und wahr, er sei erweckt und von
Engeln geführt worden in alle ihre Weisheit je nach den Graden ihrer Liebe. Das jetzt gegebene
lebendige Wort aber stehe höher, denn alle Propheten und alle Weisheit der Engel. – So naht
der Spiritismus auch hier der Neuen Kirche des Herrn unter der Maske eines wohlwollenden
Freundes um seine Herrschaft zu begründen.
Wie es möglich ist, daß intelligente Männer, wie die Verfasser des »Prospekts« und des »Lebensbildes«, sich täuschen lassen können, durch ein so grobes Truggebilde des Spiritismus,
dem der Trug so deutlich auf der Stirne geschrieben steht, wie es ihnen entgehen kann, daß
dadurch das Heiligthum der Welt, das heilige Wort Gottes entweiht und in den Staub gezogen
wird, ist schwer verständlich. Daß es aber der Fall ist, das zeigt uns, welch eine dichte Finsterniß noch herrscht in der heutigen Welt, welche Hindernisse dem Lichte der göttlichen
Wahrheit, dem Erstehen und dem Wachsthum der Neuen Kirche des Herrn auf Erden noch
entgegen stehen.
Doch, die Wahrheit wird siegen; sie wird über alle ihre Feinde triumphiren. Gerade die weite
Verbreitung des Spiritismus in unsern Tagen, die scheinbare Zunahme seiner Herrschaft, sie
wird dazu dienen, ihn mehr und mehr in seiner wahren Gestalt erkennen zu lassen: als Trug
und Erzeuger von Truggebilden. Die Neue Kirche des Herrn aber, deren Lehre uns den Geist
und das Leben des heiligen Gottesworts erschließt, sie hat die Macht der Wahrheit, und die
Wahrheit wird frei machen von allem Trug. Durch sie wird der Herr Sein Reich errichten,
»Seine Herrschaft, die nicht vorübergehen und Sein Reich, das nicht vergehen wird.«
Quelle: Monatblätter für die Neue Kirche, 15. Jahrgang, Dezember 1898, No. 12, S. 183-187.
THEOSOPHISCHE SCHRIFTEN
Fedor Görwitz – 1899
Auf die unter dieser Ueberschrift in letzter Dezember-Nummer erschienene Anhandlung hin
haben wir von verschiedenen Seiten Zuschriften erhalten, in denen uns herzlich dafür gedankt wird, daß wir den Gegensatz, in dem die betreffenden Erzeugnisse des Spiritismus zu
den Lehren der Neuen Kirche stehen, in’s Licht gestellt haben. Anderseits empfingen wir aber
auch eine Zuschrift von einem Leser, der diesen Gegensatz bestreitet und der die betreffenden
»Theosophischen Schriften« thatsächlich als neue göttliche Offenbarungen anzunehmen
scheint. Er schreibt:
»Wenn der liebe Vater, der im Himmel thront, noch weitere Offenbarungen in unserer argen Welt
gibt, so wollen wir stille sein und uns nicht dagegen auflehnen. Swedenborg sagt in seinen Schriften, er hätte können noch vieles offenbaren, aber es sei ihm nicht erlaubt geworden; es war eben
noch nicht an der Zeit, die Menschen hätten es dazumal noch nicht begriffen, folglich sind noch
viele Offenbarungen zurück, die der Vater zu seiner Zeit offenbaren wird, wenn es die Menschen
fassen und verstehen, und wie, durch welche Formen der vater es offenbart, darüber wollen wir
nicht grübeln und streiten und dem Vater entgegentreten und es aufzuhalten suchen; wir können
nur prüfen nach dem Maßstabe des Wortes Jesu, daß er der alleinige Gott des Himmels und der
Erde ist, Jesu Jehovah in Seinem Menschlichen, das ist unsere Parole … Wo Jesus Jehovah und die
Liebe zu ihm und zum Nächsten ist, mit dem Worte Jesu übereinstimmt, da möchte ich nicht richten. Swedenborg sagt, ein Geist, der im Falschen und Bösen ist, könne den Namen Jesu nicht aussprechen; deshalb wollen wir den Spiritismus nicht über einen Kamm scheeren. Spiritismus und
Offenbarung ist zweierlei; denn das ganze Wort, Psalmen und Propheten des alten Testaments, ist
durch höhere Offenbarung vom Herrn Jehovah gegeben; so könnten wir auch von Swedenborg
sagen, es sei Spiritismus, wie die Welt und die Priester der alten Kirche sagen.«
Hier tritt sogleich das Falsche zu Tage, das der Verirrung zu Grunde liegt. Die himmlischen
Lehren der Neuen Kirche, die Schriften, durch welche der Herr Seine zweite Ankunft wirkt,
sie werden als ungenügend hingestellt. Viele Offenbarungen, die »dazumal«, das heißt wohl zu
Swedenborgs Zeiten, noch nicht begriffen worden wären, seien noch zurück! Das ist eine
Argumentation, die allerdings in spiritistischen Schriften, die Swedenborg mit einem gewissen
herablassenden Wohlwollen behandeln, häufig zu finden ist, und deren Anwendung zur
Vertheidigung der aus gleichem Ursprung hervorgegangenen »Theosophischen Schriften«
bezeichnend ist.
Unser Korrespondent beruft sich für dieses Argument auf Swedenborg selbst, der ja in seinen
Schriften sage, er hätte noch Vieles offenbaren können, aber es sei ihm nicht erlaubt worden.
Wohl sagt Swedenborg an einigen Stellen mit Bezug auf bestimmte Punkte, daß er nicht alles
offenbaren dürfe, was ihm darüber gezeigt oder zu wissen gegeben worden sei. So lesen wir G.
V. 212, wo von »Glück« (im Spiel z. B.) gehandelt wird: »Ueber dieses Glück, welches, wie
gesagt, die göttliche Vorsehung im Aeußersten ist, wurde mir vieles zu wissen gegeben, was
ich nicht offenbaren darf.« Gründe werden nicht angegeben; jedoch liegt die Vermuthung nahe,
daß ein Mißbrauch solchen Wissens verhütet werden sollte. Es genügte, daß Swedenborg
selbst die Gewissheit gewann, daß es »eine göttliche Vorsehung im Einzelnsten so unbedeutender und geringfügiger Dinge gibt, wie viel mehr im Einzelnsten der nicht unbedeutenden
und geringfügigen Dinge.« An anderer Stelle, H. G. 2122, sagt Swedenborg über eine gewisse
Vorbildung in der geistigen Welt: »Was man da sah, darf ich nicht erwähnen.« Wie könnte aber
aus solchen Stellen der Schluß gezogen werden: Folglich sind noch viele Offenbarungen zurück!
Im heiligen Gottesworte, in dessen tieferes, in dessen geistiges Verständnis wir durch die
Schriften der Neuen Kirche eingeführt werden, da sind freilich Geheimnisse enthalten, welche
dem menschlichen Verständniß unerfaßlich sind. Von diesen sagt aber Swedenborg, nicht daß
er sie nicht offenbaren dürfe, sondern daß sie in menschlicher Sprache überhaupt nicht ge-
54
Fedor Görwitz
kleidet werden, in menschliche Vorstellungen überhaupt nicht fallen können, nicht nur damals nicht, sondern überhaupt nicht. Das Wort in seinem innersten Heiligthum ist aber unerfaßlich auch für die Engel des Himmels, denn es birgt in sich die unendliche Weisheit des
Herrn, die endlichen, geschaffenen Wesen unerfaßlich ist. Das Wort ist »die Quelle aller Weisheit für Engel und Menschen«, nach dem Glaubensbekenntniß der Neuen Kirche. Auch die
Engel des Himmels schöpfen ihre Weisheit aus dem Worte, aus demselben Worte, das wir auf
Erden haben. »Niemand kann, wenn er nicht weiß, wie das Wort beschaffen ist, durch irgend
eine Vorstellung erkennen, daß in den einzelnen Theilen desselben eine Unendlichkeit ist,
das heißt, daß es Unzähliges enthält, daas selbst die Engel nicht erschöpfen können …
Daß eine solche Unendlichkeit von geistigen Samen oder Wahrheiten im Wort ist, kann man
an der Engelweisheit ersehen, die ganz aus dem Worte stammt; diese wächst bei denselben in
Ewigkeit fort, und je weiser sie werden, desto deutlicher sehen sie, daß die Weisheit keine
Grenze hat, und werden inne, daß sie selbst bloß im Vorhof derselben sind, und nicht dem
kleinsten Theile nach die göttliche Weisheit des Herrn, die sie einen Abgrund nennen, erreichen können. Da nun das Wort Gottes aus diesem Abgrund, weil aus dem Herrn, stammt, so
ist offenbar, daß in allen Theilen desselben eine gewisse Unendlichkeit ist.« So ist das Wort
beschaffen im Lichte der himmlischen Lehren der Neuen Kirche; sie zeigen uns, daß das Wort
so beschaffen ist; sie überführen den, der das Wort in ihrem Lichte erforscht, daß es so beschaffen ist. Das Wort selbst beginnt dann von innen her zu leuchten, die Heiligkeit, die Göttlichkeit des Wortes kommt ihm zur Erkenntniß, zum Bewußtsein; immer von Neuem dankbar
wird er sein für die unerschöpflichen Schätze der Erkenntniß, die ihm in den von Gott aus
dem Himmel kommenden Lehren der Neuen Kirche erschlossen werden, und angesichts der
Fülle des daraus hervorfluthenden Lichtes wird ihm nichts ferner liegen als das Verlangen
nach neuen »Offenbarungen«.
In den sogenannten »Theosophischen Schriften« nun wird uns ein Erzeugnis des Spiritismus
vorgelegt, das nichts mehr und nichts weniger beansprucht, als ein neues Wort zu sein, eine
neue unmittelbare göttliche Offenbarung, die alle bisherigen Offenbarungen überrage, die höher stehe als »alle Propheten und alle Weisheit der Engel«. Dazu können wir nicht »stille
sein«; da ist es unsere Pflicht, ernst und eindringlich zu warnen. Diese Schriften, wie alle
spiritistischen Schriften, sind ungesunde, schädliche Lektüre; sie lenken ab von der lauteren
Wahrheitsquelle und erfüllen das Gemüth mit falschen Vorstellungen, insonderheit mit falschen Vorstellungen vom Herrn. Jesus Jehovah! Daß diese heiligen Namen (die übrigens in
dieser Zusammenstellung weder im Worte Gottes, noch in den Schriften Swedenborgs vorkommen) in den Lorber’schen Schriften genannt werden, das schein unserm Korrespondenten
ein Beweis dafür zu sein, daß diese angeblichen Offenbarungen nicht aus unreiner Quelle
stammen können, weil ein Geist, der im Bösen und Falschen ist, diese heiligen Namen nicht
aussprechen könne. Er möge aber bedenken, daß diese heiligen Namen im Gedächtniß des
Mediums vorhanden waren, und daß Lorber und seine Freunde einige Kenntniß der Schriften
Swedenborgs hatten, was die Anklänge an die Lehren der Neuen Kirche, die in den vermeintlichen Offenbarungen hie und da zu finden sind, genügend erklärt. Aus der Lebensbeschreibung
Lorbers ist ersichtlich, daß er sich gern mit Astronomie beschäftigt hat; es erklärt dies, daß
eine Lorber’sche Schrift, betitelt »Die Sonne«, sich auf diesem Gebiete bewegt. Das Wesen des
Spiritismus ist ja keineswegs so weit ergründet, daß behauptet werden könnte: die medialen
Kundgebungen werden von Geistern aus und mit ihrem Bewußtsein diktirt. Die Sache dürfte
sich ganz anders verhalten. Die abnormale Einwirkung aus der geistigen Welt braucht sich
nur auf das im Gedächtniß des Mediums befindliche Material zu erstrecken, und dasselbe zu
Phantasiegebilden zu verweben, die nicht unmittelbar zum Bewußtsein des Mediums gelangen, sondern erst in den mechanisch wiedergegebenen medialen Kundgebungen zu Tage treten. Bedenken wir doch, daß in diesen Kundgebungen noch nie eine Wahrheit ausgesprochen
Theosophische Schriften
55
worden ist, die nicht schon in der natürlichen Welt bekannt gewesen wäre; alles Uebrige sind
Gebilde der Phantasie, die mit einer solchen schon bekannten Wahrheit verflochten werden
und diese verfälschen. Die Lorber’schen Schriften sind hiefür lediglich eine Bestätigung.
Auf die Vergleichung dieser Schriften mit dem heiligen Worte Gottes können wir nicht eintreten; sie richtet sich selbst. Ganz unzulässig ist aber auch eine Vergleichung derselben mit den
Schriften Swedenborgs, weil diese mit solchen mechanisch niedergeschriebenen Kundgebungen keinerlei Verwandtschaft haben. Ihm, Swedenborg, ward gegeben, die Lehren der Neuen
Kirche »mit dem Verstande zu erfassen und durch den Druck bekannt zu machen«. (W. C. R.
779.)
Quelle: Monatblätter für die Neue Kirche, 16. Jahrgang, Mai 1899, No. 5, S. 76-79.
EINE FRAUEN-HEILSBOTSCHAFT VOM HERRN
Mitgetheilt von Adalb. Jantschovitsch – 1902 / 03
Vorbemerkung von Thomas Noack: Der Beitrag von Adalbert Jantschovitsch erschien in vier Teilen in Bote der Neuen Kirche, Jahrgang 48, St. Louis, Mo., den 1. Oktober 1902 Nr. 2, S. 15; Bote der
Neuen Kirche, Jahrgang 48, St. Louis, Mo., den 1. November 1902, Nr. 3, S. 30; Bote der Neuen Kirche, Jahrgang 48, St. Louis, Mo., den 1. Dezember 1902, Nr.4, S. 47-48; Bote der Neuen Kirche, Jahrgang 48, St. Louis, Mo., den 1. Februar 1903, Nr. 6, S. 71-72. Das Ende der einzelnen Teile ist in der
hier vorliegenden Veröffentlichung mit einem schwarzen Kreis (•) gekennzeichnet.
(Nothwendige Einleitung.)
Schon mit der deutschen theologischen Schule am Rhein fing, zu Anfang und um die Mitte
des 14. Jahrhundert, die geheimnißvolle, sinnbildliche Auslegung der Bibel an, einen festen,
evangelischen Boden zu gewinnen. Sie zog
sich zurück auf Gott den Ewigen, der in der
Person Jesus Christus schaubarer Mensch
geworden ist. Die große Mehrheit der Bibelauslegungen Johann Taulers, der ein Zeitgenosse des tiefsten Spekulativen Mystikers,
Meister Eckhart zu Straßburg und zugleich
des »Gottesfreund« genannten Nikolaus von
Basel war, in dessen Predigten und Betrachtungen, Manches auch in Heinrich Susos,
Prediger in Ulm, »Büchlein von der ewigen
Weisheit« (1365) zeigte schon die reinste
evangelische Mystik, welche je im Druck
erschien. Auch des Thomas a Kempis »Vier
Bücher von der Nachfolge Christi« darf man
nicht verschweigen, um das Beste zu nennen, was katholischerseits die Mystik der
späteren Jahrhunderte bis auf die, so gut wie
unbekannt gebliebenen evangelischen Prediger, die Verfasser der Berleburger Bibel
um 1726-1739 waren, darbot.
Der bei weitem größte aller christlichen
Mystiker, Jakob Böhme, der der wirkliche
Vorläufer Immanuel Swedenborgs auf dem
Gebiete rationeller Göttlicher Veroffenbarungen war, bewies hingegen in seiner Bibelauslegung, so weit man es versteht von der
sprachlichen Unbeholfenheit und Ungelehrtheit des ehrsamen SchuhmacherMeisters, das Phrasen-Dunkel seines physisch-chemischen Mystizismus abzustreifen, schon den läuternden Einfluß der
Reformation auf dieses Element. Je mehr
dieser, in seiner Art nicht minder, als Swedenborg, einzig dastehende deutsche Theosoph, auf das innere sittliche Leben der
Seele zurückgeht, welches das wahre Hei-
Eine Frauen-Heilsbotschaft vom Herrn
57
ligthum der Mystik ist auch auf dem Gebiete der Bibel-Auslegungen, desto gediegener und
reiner erscheint sie.
Allerdings ist es unbestreitbare Wahrheit: daß die
vollkommen in ein zusammenhängendes System
gebrachten himmlischen Lehrwahrheiten der »Neuen
Kirche«, uns vom Herrn nur durch Immanuel
Swedenborg vermittelt worden sind; entschieden
unwahr ist es jedoch, wenn von gewisser Seite
behauptet wird, daß der Herr nicht auch durch andere,
mehr und minder taugliche Werkzeuge Seiner
Göttlichen Barmherzigkeit, weit früher schon und
auch später noch, Spezial-Offenbarungen über Seine
Personen-Einheit mit dem Vater, über Wesen und
Natur der geistigen Welt und die Schicksale einzelner
Menschen im Jenseits, wie auch über einschneidende
andere hochwichtige, religiös-ethische Zeitfragen, in
reicher Fülle der Christenheit zukommen ließ.
Vielmehr ist es unleugbar geschichtliche Thatsache:
daß der Herr, Seiner bei Matth. 28,20 gegebenen
Göttlichen Verheißung gemäß, sich im Verlaufe der
verflossenen Jahrhunderte, durch die allverschiedenAdalbert Jantschovitsch
sten, nach Raum und Zeit oft weit von einander
1833 - 1912
getrennten, von Ihm selbst hiezu eigens erwählten
und gehörig, durch Versuchungen und Prüfungen nicht selten der härtesten und bittersten Art
zubereiteten Werkzeuge Seiner gottmenschlichen Einwirkungen, der Christenheit, Seine
wahrhaft unerschöpfliche Barmherzigkeit, Geduld und Herablassung und mit ihr, Seine stets
göttlich-väterliche, allerliebreichste Sorgfalt um uns Menschenkinder bezeugt hat.
So, unter vielen andern Zeugen, offenbarte sich der Herr, und zwar immer über das, was gerade
zur Zeit der Christenheit am meisten Noth that, in gewohnter, oft der kindlichsten Anschauung
anbequemter, eingefleischter konfessionelle Vorurtheile indeß stets schonendster Weise, sobald dieselben nicht aus offenbar bösem Grunde, sondern mehr aus kindlicher Einfalt und
nicht von der Gläubigen selbstverschuldeter Unwissenheit stammten, wie dem Schreiber dieses aus Quellen genau bekannt ist, hinsichtlich deren Echtheit kein Zweifel obwalten kann;
beispielsweise im Jahre 1308 durch den Franzosen Dr. Sigier, einem Zeitgenossen Dante
Alighieris, der damals Professor der mystischen Theologie an der Universität Paris war und in
der Straße Fouorre, in der damals in ganz Europa hochberühmt gewesenen Schule der »Vier
Nationen« mit hinreißender Beredsamkeit, seine von den ausgezeichnetsten Personen der
Geistlichkeit, des Hofes und Gerichtsstandes, von gelehrten Ausländern, Kriegsleuten und
reichen Bürgern, außer den regelmäßigen Studenten, stark frequentirten Vorträge hielt. Ferners später, durch Louis Claude, Marquis des Saint-Martin, den man den französischen Jakob
Böhme zubenannte; durch Frau von Guyon, Antoinette Bourgnon; den Portugiesen: Martinez
Pasqualis; die Livländerin: Julianne Freifrau von Krüdener; den Spanier: Michael Molinos; die
Engländer: Bischof Edmund von Canterbury und John Bunyan; den Holländer: Hemme Haven;
die Italienerin: Katharina von Pozzi; die Deutschen: Kaspar Schwenkfeld, Valentin Weigel,
Johann Arndt, und außer diesen noch durch eine ganze Reihe anderer, minder berühmt gewesener, gottbegeisteter Personen, wie beispielsweise die Gottesmänner: Gregorius von NeuCäsarea, Johannes von Alverno, Armelle Niclas, Hans Engelbrecht, Christoph Kotter, Nikolaus
Drabitz, Thomas Bromley, John Pordage, Johannes Tennhardt, Wilhelm Degger, Kaspar Lineweg. Die durch Letzteren vom Herrn gegebenen Offenbarungen wurden seiner Zeit aufge-
58
Adalbert Jantschovitsch
zeichnet von Gustav Werner, der in ganz Europa bekannt gewesene Begründer des Reutlinger
Bruderhauses in Würtemberg. Endlich noch durch die Gottesfrauen: Hildegard von Böckelheim,
Angela von Faligno, Agnes Blaubeck, Mechtilde und Gertrude von Hackeborn, Birgit Herzogin
von Rericke, Therese de la Cepede, Maria von Escobar, Christina Poniatovszky, Johanna Leade,
Frau von Ratzenrieb, Augusta Schneider, Christiana Köpplinger von Weinsberg, die Wittwe
Petersen in Arrdeskjöping in Norwegen und schließlich die durch die Aufzeichnungen Justinus Kerner’s berühmt gewordene Seherin von Prevorst.
Die »Neue Kirche« begeht, unserem Dafürhalten
nach, ein schweres Unrecht, wenn sie die mitunter köstlichen, unschätzbaren Perlen der überaus reichhaltigen Offenbarungs-Litteratur der
Zeiten vor und nach Swedenborg, welche uns
Menschen der Kirche durch die obengenannten
Personen ganz zweifellos vom Herrn Selbst als
Spezial-Offenbarungen über seine dreieinige
Gottheit, über Seine Menschwerdung und Personen-Einheit mit dem Vater, und viele Geheimnisse eines gottseligen Lebenswandels im Diesund Jenseits zu Theil geworden sind, nur so obenhin geringschätzend ignorirt und nunmehr
für überflüssig erachtet. Die einzelnen Commentare über die erhabendste Sittenlehre Seines
göttlichen Bibelwortes, welche der Herr Selbst durch oben benannte Lieblinge Seines göttlichen Wohlgefallens der Christenheit gab, sind fürwahr von ewig bleibendem Werthe, weil sie
von einer Reinheit und Lauterkeit sind, die, abgesehen von ganz unwesentlichen Zugeständnissen, die der Herr in Seiner wunderbaren Herablassung zu dem Grade der Befähigung der
von Ihm inspirirten noch stets an ihre von Kind auf eingesogenen, nicht bösen konfessionellen Vorurtheile machen musste, um sie nicht vollends abzuschrecken, Ihm als Werkzeuge
Seines göttlichen Erbarmens mit uns Menschenkindern zu dienen, - weder beim Geist noch
dem recht verstandenen Buchstabensinne Seines göttlichen Bibelwortes, noch auch nur im
geringsten den daraus geschöpften himmlischen Lehren der »Neuen Kirche« widersprechen,
vielmehr damit in harmonischer Uebereinstimmung stehen, daher zu den Zwecken der Belehrung sinnlich natürlicher Menschen, aus welchen in unsern Tagen die weitaus überwiegende
Mehrheit derselben faktisch besteht, praktisch gar sehr geeignet sind, wohlthunende Abwechslung zu bringen in das sehr ermüdende der Erörterung doktrineller, übersinnlicher Prinzipien,
auf dem Wege von in’s Auge fallenden Gegenständen abgezogener Vernunft-Erkenntniß, zumal diese kirchlichen Perlen der Offenbarungs-Litteratur vergangener Jahrhunderte bis auf die
neueste Zeit, die in gemeinverständliche Wörtersprache abgefassten, erquicklichsten Illustrationen sind, zu den theoretischen, aber in der Regel viel zu abstrakt für das jetzt lebende sinnlich-natürliche Menschengeschlecht paraphrasirten Doktrinen der »Neuen Kirche«.
Wenn wir die 47 Jahrgänge des »Bote« durchmustern, so werden wir finden, daß es die bisher
gewesenen drei liberalen Redakteure desselben glücklicherweise auch stets verstanden haben,
das Blatt immer frisch und lebensvoll, abwechslungsreich und in jeder Beziehung interessant
und anziehend zu gestalten, eben dadurch, daß sie in getreuer Befolgung des bei Matth. 13,52
ausgesprochenen göttlichen Grundsatzes, niemals Anstand nahmen, aus dem Schatze ihrer
geistigen Erkenntnisse Neues und Altes hervorzubringen, um das Blatt vor geisttötender Monotonie zu wahren; im Gegensatze zu den gewissen Todtengräbern der Neukirchensache, die
durch ihr starres »Non possumus«, welches sie dem römischen Pontifex abgeguckt haben,
über die Lebensregsamkeit der »Neuen Kirche« die Todtenstarre zu bringen sich erkühnen.
»In Meiner Schöpfung giebt es keinen Stillstand. Die von Mir in Meinen Worten niedergelegten
Prinzipien sind einer ewigen Entwicklung fähig und können ins Unendliche entfaltet werden«,
Eine Frauen-Heilsbotschaft vom Herrn
59
spricht der Herr in einer Seinen Spezial-Offenbarungen. Wer ist vermessen genug, die Göttliche Wahrheit derselben zu verneinen? Die behäbige geistige Trägheit nur, die an üppiger
Pfründe sich mästend, es liebt, auch in geistigen Dingen conservativ zu sein, um des süßen
»So wenig als möglich Thuns« pflegen zu können. •
Bei allen Spezial-Offenbarungen des Herrn kann es nie darauf ankommen, durch wen und
wie, sondern nur, was vom Herrn gesagt wird. Denn der Herr sagt selbst, daß »Er Sich dabei
meist solcher Menschen bediene, die an und für sich nicht viel Nennenswerthes besitzen,
weder in geistiger, noch in leiblicher Hinsicht, und gerade darum von der Welt unbeachtet
bleiben, ein stilles und zurückgezogenes Leben führen und in keinerlei Abhängigkeit von der
Welt stehen, also auch Herr ihrer Zeit sind«. An solchen Menschen beginnt der Herr Sein
Werk, sie zuerst für ihr künftiges Wirken vorbereitend, sie läuternd und stärkend; sie müssen
sich erst allen möglichen Proben unterziehen, die zur Stärkung ihres Glaubens nothwendig
sind und dazu dienen, ihre noch unreine Seele zu reinigen und sie mit Seinem Gottes-Geiste
durch Erweckung in Verbindung zu setzen. Die eigentliche Bürgschaft für die durchgängige
Göttlichkeit dieser Sonderoffenbarungen liegt in der Uebereinstimmung ihres Zweckes der
Seligmachung des Menschengeschlechts, somit des Guten der reinsten Gottesliebe, welcher
allen zu Grunde liegt. Es ist unstreitig der heilige Geist des Herrn, der in harmonischer Weise
mit Seinen prinzipiellen Hauptoffenbarungen im Worte denselben den unverkennbaren Stempel Seiner ureigenen Göttlichkeit aufdrückt und ihn durchfühlen läßt.
Hier vorerst eine kleine Probe davon aus dem Jahre 1265 für die »armen Reichen« vom »immerwährenden Weh der Hölle«, welche auf’s Allervollkommenste in Uebereinstimmung steht
mit dem, was die »Neue Kirche« darüber, und zu § 239 H. L., § 967, 2874 und 7541 H. G., §
544 H. H., § 637 E. O., dann gedrängte Erklärung des innern Sinns von Jesajas, Kap. 34,9-15,
lehrt, jedoch nicht in so kernhaft beredter und tief ergreifender Weise ausspricht, wie folgt:
Der Hero: »Nun siehe, Meine Auserwählte, von allem Grund deines Herzens den kläglichen
Jammer! Wo sind nun alle die, die sich mit so großer Ruhe und Lust niederließen in ihrer Zeit,
mit Zärtlichkeit und gemächlicher Leibesbehaglichkeit? Die so viel sich gütlich thaten von
ihren, nicht nach Meinen Absichten, treulos verwalteten Reichthümern? Ei, was hilft ihnen
jetzt all’ die Freude, die sie in der Zeit so reichlich genossen haben und die doch so bald verfahren ward, als ob sie nie gewesen wäre? Wie ist ihre Liebe so bald dahin, für welche jetzt das
Leid immer und ewig währen muß! O ihr dummen Thoren, wo ist nun, was ihr oft so fröhlich
sprachet: ›Hierher, ihr lustigen Kinder, laßt Traurigkeit dahin fahren und uns hoher Freude
pflegen!‹ – Was hilft euch nun alle Freude, die ihr gewannet? Jetzt mögt ihr wohl mit jämmerlicher Stimme rufen: Wehe, weh, immer weh, daß wir je geboren wurden! Wie hat uns die
kurze Erdenzeit betrogen; wie hat uns so mit Einemmal der Tod beschlichen! O, ist Jemand auf
dem ganzen Erdenrund, der noch mehr betrogen werden möchte, als diese armen Elenden sich
selbst betrogen haben? Oder ist jemand, der durch fremden Schaden klug werden wollte? –
Hätte ein Mensch aller Menschen Leiden tausend Jahre, das wäre gegen die Pein, die sie jetzt
leiden, nur als ein einziger Augenblick. O, wie ist der so selig, der nie eine Freude wider Gott
suchte, der mit Vernachlässigung Seiner nie sich einen guten Tag gemacht! Die Unsinnigen
wähnten, die scheinbaren Stiefkinder des Erdenglücks, wären die von Gott Verlassenen und
Vergessenen. Ei, nun können sie sich überzeugen, wie er im Gegentheil sie so treulich in
Seiner Ewigkeit umfangen hat und in so großen Ehren vor allem himmlischen Heer! – Was
kann ihnen nun schaden alles Leiden und die Schmach, die ihnen jetzt zu so großen Freuden
gerathen sind! Wie ist hingegen all der Reichen Lieb so ganz und gar verschwunden! Ach,
Jammer und Noth, die nun ewig muß währen! O, immer und immer, welch’ trostloser Gedanke bist du! O End’ ohn’ alles Ende. – Sterben über allem Sterben, - alle Stunde sterben und
doch ewig nicht ersterben können! Doch höre nur, du Tochter mein, der nunmehr Verdammten herzzerreißend Jammergesang weiters heulen. Wie sie klagen: ›O Vater und Mutter, ihr
60
Adalbert Jantschovitsch
Brüder und Schwestern, und alle Lieben miteinander, Gott sei euch gnädig allerwegen, denn
wir sehen euch zu keiner Liebe nimmermehr! Wir müssen nun immer von euch geschieden
sein! O Scheiden, o Scheiden auf immer, - wie thust du so schneidend weh! O Händeringen, o
griesgrämiges Seufzen und Weinen, o immer Heulen und Schreien, und doch nimmer erhört
werden! Unsere rothgeweinten Augen können nie mehr Anderes sehen denn Noth und Angst,
unsere Ohren nichts Anderes hören denn Ach und Weh! Laßt euch doch, all ihr Herzen, das
klägliche jammern und jammern um eurer selbst willen erschüttern; lasst euch das jämmerliche Immer doch zu Herzen gehen! O Berge und Thäler, was wartet ihr, was haltet ihr uns so
lange auf, warum stürzet ihr euch nicht über uns und begrabet uns unter euren Trümmern
vor dem grausigen Anblick? O Leiden jener, o Leiden dieser Welt, wie seid ihr so ungleich! Für
eine schwache Minute Freud eine ganze Ewigkeit Leid! O Gegenwart, wie blendest, wie trügst
du, daß wir dies in unserer blühenden Jugend, in unsern schönen Tagen nicht vorsahen! Die
wir so üppiglich in grenzenlosem Leichtsinn verzehrten, und die nun nimmer und nimmer
wiederkommen! Ach und Weh, hätten wir nur ein einzig Stündlein noch all der langen vergangen Jahre zu Reu und Umkehr, die uns von Gottes Gerechtigkeit nunmehr versagt ist, und
immer ohne alle Hoffnung für ewig versagt sein muß! O ewiges Herzeleid und Noth, o
wahnsinnig machender Jammer in diesem von Gott vergessenen, finsteren Lande, da unsere
Augen nichts als Noth und Mist erschauen und wir von aller Lieb ohne allen Trost und Hoffnung für immer müssen geschieden sein! – Wir begehren doch nicht mehr, denn nur, daß ein
Mühlstein wäre, so breit als alles Erdreich und um sich so groß, daß er den Himmel allenthalben berührte, und es käme ein kleines Vögelein je über hunderttausend Jahr nur einmal und
bisse von dem Stein ab nur so viel als der zehnte Theil ist eines Hirsekörnleins, und über
hunderttausend Jahre ebenso viel – also daß es in zehnmal hunderttausend Jahren so viel von
dem Stein nur ablösete, als ein Hirsekörnlein groß ist: wir Unseligen begehrten nichts Anderes, denn wenn so des Steins doch einmal ein Ende wäre, daß auch dann wenigstens unsere
Marter auch ein Ende hätte; aber selbst das kann nicht sein!‹
Siehe Menschenkind und höre! Das ist der ewig fortdauernde Jammergesang, der da gewisslich nachfolgt den mit Außerachtlassung der darbenden Geschwister genossenen Freuden
dieser Welt.«
Es folgt nun die Heilsbotschaft des Herrn an’s ganze weibliche Geschlecht, geoffenbart im 19.
Jahrhundert, zur Darnachachtung für die Kinder dieser Zeit. Dieselbe kann als würdiges Pendant zu Swedenborg »Wonnen der Weisheit betreffend die eheliche Liebe« angereiht werden,
und lautet wie folgt. •
»Und Gott schuf den Menschen in Sein Bild; in das Bild Gottes schuf Er ihn; Mann und Weib schuf
Er sie und sprach zu ihnen: Befruchtet und mehret euch und erfüllet die Erde!« 1. Mose 1, 27.28
Spricht der Jünger: »O Herr! Siehe, ich weiß, daß den Menschen der urältesten Kirche, welche
eine himmlische war, ihre höchsten Seligkeiten und Freuden die Ehen waren. Mir war es
jedoch bis jetzt noch nicht gegeben, mich zu nahen einem weiblichen Geschöpf. Wenn ich mir
deren welche, anmuthige und reizend mir vorkommende Gestalten ansah, da kamen mir die
meisten Frauenspersonen sehr sanft, zartfühlend und somit auch überaus anlockend vor. Ich
bekam dann auch allezeit eine große Sehnsucht nach einer Ehegattin. So oft ich mich aber,
von solch’ innerer Sehnsucht erfüllt, einer oder der andern Jungfrau näherte, um mit ihr aus
der Tiefe meines Herzens die sanftesten Worte süßer Liebeslust auszutauschen, da entsetzte
ich mich bis jetzt noch stets über die vom Weltsinn tief angekränkelte Herzenskälte, welche ich
durchgehend bei ihnen antraf, und überhaupt darüber, daß ich bei Keiner fand, was ich zu
finden hoffte, nämlich: ein wirklich sinniges, seelen- und gemüthvolles, völlig eigennutzfreies
Liebewesen! Dabei dachte ich mir oftmals: Aber wie ist doch solch ein Widerspruch in diesen
zarten, feinfühligen Geschöpfen denkbar? Aeußerlich furchet und wallet ein leiser Abendhauch schon über ihrem empfindsamen Körper, huscht oft ein feiner Strahl der lieblichsten
Eine Frauen-Heilsbotschaft vom Herrn
61
Purpurröthe über ihr holdes Antlitz dahin und verklärt sie, wie mit rosigem Schimmer und
mildem Glanze, zu wundersam anziehendster Schönheit, während ihr Inneres doch so völlig
unempfänglich in träger Ruhe verharrt vor einem Sturm von Geist sogar! Ja, selbst Orkane von
männlicher Weisheit vermögen ihre Herzen weder zu entzünden, noch zu begeistern, wohl
aber bringen sentimentales Geschwätz, fade, alberne Schmeicheleien und Lobhudeleien, höfisches, mit Weiberschwächen um die Wette ringendes unmännliches Betragen, verbunden mit
vielverheißender sinnlicher Befriedigung, bei einer förmlichen Anbetung ihres Fleisches und
damit verknüpfter nutzloser Tändeleien in den meisten Fällen die nachhaltigsten Eindrücke
auf sie hervor und helfen den Jünglingen die Herzen der Schönen zu gewinnen. Siehe, Herr,
bei solchen Erfahrungen habe ich fast einen Widerwillen gegen das ganze weibliche Geschlecht bekommen und eine so große Abneigung gegen dasselbe gefaßt, daß ich mit ernsten
Absichten kaum mehr irgend einer Jungfrau zu nahen wage! – O Herr, ist das aber auch recht
von mir, versündige ich mich nicht dadurch vor Dir? Was ist denn eigentlich die Ursache
solch abstoßender Wirkung auf mich? Was ist im Allgemeinen das zarte Geschlecht, dieses
von Außen doch so lebendig scheinende, durch seine Grazie anziehende, von innen aber, wie
mir scheint, fast geistig todte Wesenheit?«
Darauf erwiederte der Herr, durch innere Einsprache wörtlich klar, laut und bestimmt im
Herzen hörbar und dem Grade des Auffassungs-Vermögens des Jünglings sich anpassend, wie
folgt: »Höre, mein Sohn! Deine Wahrnehmung ist gewichtiger, als du glaubst. Der erste Grund
davon liegt darin, daß Du von Innen die Liebe zum Weisesein bist, das Weib aber die blos von
Außen her von der Liebe umhüllte Neigung zur Verstandes-Weisheit in einem Manne ist. Du
bist erfüllt mit dem, was des lebendigen Liebesgeistes aus Mir ist, das Weib aber ist erfüllt mit
dem, was da ist des Geistes der Welt und sie herabzieht in’s Irdische, Äußerliche; weshalb
auch jedes Weib das Hauptgewicht legt auf ihre bestechliche, äußere Erscheinung, und weit
weniger auf ihre innere Schönheit der Seele. Darum auch bist du schön, weich und zart von
innen, das Weib aber ist es zumeist nur von außen, um eben einem Manne zu gefallen und
nicht von ihm verschmäht zu werden. Du bist ein Grundgeschöpf aus dem Wollen der Tiefe
Meiner göttlichen Liebe, das Weib dagegen nur ein Nachgeschöpf aus dem von dieser Liebe
Abgeleiteten, genau so, wie es sinnbildlich in Meinem Gottes-Worte: 1. Mos. 2,18.21-24, beschrieben ist. Ja, liest du nicht, daß ich auch der Chavah in ihre Nase den Odem der Leben
einhauchte, obschon Ich auch in sie von Meinem unsterblichen Geiste die beständige Aufnahmsfähigkeit gelegt hatte, sondern sie ging, sinnbildlich gesprochen, ganz und gar mitsammt Leib und Seele aus dem Voll-Menschen (Adam) hervor in der Weise, daß aus einem
vollkommenen Menschen und aus einer vollkommenen Seele desselben durch Abtrennung
gewisser, integrirender Wesenstheile zwei wurden, die dennoch, ihrem Ursprung nach, nur
ein Fleisch und eine Seele waren. Diese uranfängliche Zweitheilung der Seelen nun ist es
eben, welche die fast unwiderstehliche Sehnsucht nach Wiedervereinigung in den Geschlechtern bewirkt und der ehelichen Liebe als der Fundamentalliebe einer jeden guten Liebe ihr
Entstehen und Bestehen giebt. (Vergleiche das damit, nur mit andern, mehr lehrhaften Worten,
doch im Wesentlichen übereinstimmend Gesagte in Swedenborgs Werk von der Ehel. Liebe.
No. 56 und 88.)
Eine solche Seelentheilung respektive Ableitung kann ein Jeder auch an den Kindern der
Eltern erkennen; denn daß die Seelen der Kinder auch zum Theil aus den Seelen der Eltern
genommen sind, beweiset zweifellos die physiognomische Aehnlichkeit der Kinder mit den
Eltern. Was darin fremdartig ist, das kommt auf Rechnung der psychologischen Unähnlichkeit
der beiderseitigen Erzeuger; was aus Letzteren gemeinsam ist, das spricht sich ebenbildlich
durch das Ebenbildliche mit den Erzeugern sympathisch aus, und die Eltern erkennen daran
ihre Kinder. Aus diesem angeführten Beispiele läßt sich denn auch die Theilbarkeit, eigentlich
Ableitungsfähigkeit der Seelen begreifen.
62
Adalbert Jantschovitsch
Gerade aber wegen dieser sozusagen den Gegenpol zum männlichen bildenden Wesensbeschaffenheit des weiblichen Geschlechts, wobei Alles und Jedes zur wechselseitig ergänzenden und vervollkommnenden Vereinigung und Wiedereinswerdung sich eignet, habe Ich
dasselbe ebenfalls zum Meinen, mit dem männlichen Geschlechte vollkommen gleichwerthigen
Kindern angenommen.
Sie haben in der Maria, der mit dem Liebreiz und der Anmuth aller weiblichen Tugenden,
namentlich der Sanftmuth, Demuth, Willigkeit und aufopfernder Hingebungsfähigkeit geschmückten Gebärerin Meines Menschlichen, das leuchtendste Vorbild. Laß sie auch auf
ihre mahnende Stimme hören. Das ganze weibliche Geschlecht soll ihr nacheifern in der
Selbstverleugnung und im Gehorsam, aus Liebe zu Mir durch’s Halten Meiner Gebote!
Wenn und soweit das weibliche Geschlecht der Maria gleichzuwerden bestrebt ist, trägt es
gleichfalls Mein Bild in sich; und so du dich einer so beschaffenen Frauensperson nahen
wirst, in der vollen Lauterkeit deines Herzens, da wirst du gewiß keinen Stein des Anstoßes
an ihr mehr finden.
Deine Vorfahren hatten, zu ihrer großen Herzensehre, ihre Ehegattinnen überaus lieb und
hielten sie für die größten Geschenke aus den Himmeln, ja gar viele von ihnen hielten ihre
guten und braven Ehefrauen auch höher und Mir um Bedeutendes nähergestellt als sich
selbst, und das zwar aus dem Grunde, weil damals die Jungfrauen, wie die Ehefrauen, gar
züchtig, sanft, duldsam, ergeben, gehorsam, friedlich, häuslich, dabei aber auch urständlich
von weit größerer weiblichen Anmuth und Schönheit waren, als in dieser jetzigen, gänzlich
geistig wie leiblich verderbten Zeit (1842). Nächst Meiner Gottperson waren ihnen ihre Ehegattinnen ihr allergrößtes Gut, wofür sie Mir ewig nie genug zu danken vermögen!
Wenn du, mein Sohn, in deiner noch ungeklärten Weisheit, das andere Geschlecht aber bisher
noch nicht hast gebührend schätzen gelernt, so erleidet dabei die uralte, herrliche gute Ordnung, aus Mir in eure Herzen gelegt, doch sicher noch keinen Stoß; im Gegentheil stellt sich
dadurch eben der echt weibliche Sinn in den Frauenspersonen nur um so vortheilhafter und
lobenswürdiger in den Gesichtskreis, als eben durch solch ein festes Halten derselben an ihre
Tugenden der Mann zuvor gedehmüthigt, von seinem stolzen Dünkel auf eigene Einsicht
herabgebracht werden muß, bevor er einer solchen Gnadengabe, wie es eine jede gute und
ehrbare Jungfrau ist, von Mir als würdig befunden wird.
Wenn ein Mann in seiner Ehegattin eine Härte findet, so ist das in der Regel nur die seinige;
hat er diese jedoch in sich bezwungen und gesänftigt, so wird er sicher nur das herrlichste
Gegentheil im Weibe finden.
Sage Mir, was wohl lobenswerther ist: die leuchtende Sonne selbst oder ihr ausgehendes
Licht? Du sagst in dir: O Herr! Da ist ja das Eine so nothwendig und gut wie das Andere! Gut!
So also die Sonne an und für sich keinen höheren Werth haben kann, denn ihr ausgehendes
Licht, in dem doch die Sonne ohne dem ausgehenden Lichte so gut wie gar keine Sonne wäre
und auch gar keinen Werth hätte, so wird das ja dem Weibe doch sicher auch nichts schaden
und ihren Werth nicht im Geringsten beeinträchtigen, wenn sie, gegenüber dem Manne, den
nothwendigen Gegenpol an Eigenschaften ausmacht, ohne den weder der Mann für sich, noch
das Weib für sich in fruchtbringender Weise bestehen kann. Ja, ich sage: Wenn das Weib ist,
wie sie sein soll, so hat sie vor Mir ganz den gleichen Werth des gerechten Mannes und ist
ebenso gut ein liebes Kindlein von Mir als der Mann. Verirret sich aber das Weib, so werde Ich
es so gut zu finden wissen wie den Mann. Ein arges Weib aber ist ebenso arg, als wie arg da
ist der Mann, denn der Strahl aus der Sonne ist wie die Sonne selbst. Es wird aber eine Zeit
kommen, da Ich die Strahlen sammeln werde im Weibe, um die im Lauf der Zeiten stark erloschene Sonne im Manne wieder zu erleuchten. Verstehet solches wohl, ihr Männer, und liebet
eure Gattinnen gerecht, aber machet aus ihnen nicht mehr, doch auch nicht weniger, als sie
Eine Frauen-Heilsbotschaft vom Herrn
63
von Mir aus sind, indem ihr sie euch völlig gleich haltet! Alles, was darüber oder darunter ist
– ist vom Uebel und ist Sünde. Im Allgemeinen soll aber das Weib stets williger sein, als da ist
ein jeglicher Mann, sonst komme Ich auch viel eher mit einer rechten Strafe über sie, denn
über den Mann.
Wie aber das fromme, willige Weib, so wie es da vorbildlich war Maria, sein kann ein Grund
alles Segens leibhaftig, also kann auch das unfolgsame Weib sein ein Grund alles Verderbens;
daher also ist auch für’s Weib Meine Geduldlinie um ein Bedeutendes kürzer, denn beim
Manne! Solches beachtet Alle wohl, denn nur so werdet ihr gesund sein und bleiben geistig
und leiblich allezeit!
Meine Göttliche Ordnung zum Zwecke eurer höchsten Vollendung aber verlangt es, daß ihr in
der Folge nicht außer, sondern in der Ehe der Himmel leben und wirken sollt. Daher soll auch
ein Jeder von euch, um vollkommen zu werden in Allem, eine Gattin haben, auf daß er durch
sie befestige seine Weisheit und aufnehme das Licht, welches der Flamme der Liebe im eigenen Herzen entströmt. Denn eine Gattin ist ein Gefäß, aber ein geistig alabastern Gefäß, zur
Aufnahme und Bewahrung des der Flamme der Liebe im eigenen Herzen entströmenden Lichtes
und ist zugleich auch eine Magd in der Lebensküche des Herzens, weil sie es ist, die da unterhält das heilige Lebensfeuer auf dem Herde, welchen Ich selbst in euren Herzen erbaut habe.
Deßhalb soll nun auch Jeder von euch sich ein Weib nehmen und mit demselben vollends für
ewig Eins zu werden bestrebt sein.« (Vergleiche die Nummern 156, 230 und 457 von Swedenborgs Werk über die Ehel. Liebe.)
Das Corollarium und der Prüfstein für die Echtheit der voranstehenden sowie der noch folgenden göttlichen Offenbarungen kann einzig und allein nur der innere Sinn des Göttlichen Wortes sein. Für Zweifelsüchtige sei jedoch hier bemerkt, daß, da der Herr im Allerinnersten eines
jeden Menschen, sogar auch Solcher, die sich nichts um Ihn bekümmern und nur selten,
wenn überhaupt je an Ihn denken, wohnt und in lebendig thätiger, die Freiheit jedes Einzelnen
niemals beeinträchtigender Weise wirksam ist, so kann auch ein jeder Mensch die Stimme
des Herrn wörtlich in sich reden hören, der im Stande ist, seinen Geist von seinem selbstischen Eigenen, nämlich dem beständigen Dichten und Trachten ums eigene Ich, durch tägliches Versenken all seines Strebens in den Willen des Herrn, so weit loszulösen, daß er in
Liebe und großer Sehnsucht nach dem Herrn sich durch mindestens sieben Viertelstunden
lang anhaltend und ununterbrochen Tag für Tag von der Welt und allem geschäftlichen Treiben in ihr zurückziehen kann, so daß er während dieser sieben Viertelstunden in völliger
Ruhe verharrend, bloß nur sich in seinem Innersten, im wahren Glauben, daß der Herr in ihm
ist, in Gedanken mit dem Herrn allein beschäftigend, d. h. Seiner Stimme in sich lauschend, in
der Stille der Einsamkeit, bei verschlossenen Thüren und Fenstern, weder betend noch etwas
lesend, sich nur ganz allein in einem innern Verkehr mit dem Herrn versenkt. Dieses Versenken muß jedoch in einer Art rechtem Gebete ohne Worte, ohne Ausdruck selbsteigener
Gefühle, ohne Wünsche oder Bitten dem Herrn vorzutragen, ja selbst ohne Eigenes zu denken
bestehen, soweit das nur immer einer regsamen Seele möglich ist, kurz es muß ein völliges
Ueberlassen seiner selbst an den Herrn durch täglich sieben Viertelstunden sein, konsequent
fortgesetzt und beharrlich geübt.
Der Herr selbst überließ Sich so behufs Seiner Einswerdung mit dem Vater durch tagtäglich
drei volle Stunden der Einwirkung des göttlichen Geistes desselben.
Swedenborg sagt an irgend einer Stelle seiner zahlreichen theologischen Werke ganz etwas
Aehnliches, und zwar, wenn sich der Schreiber dieses recht erinnert, in seinem »Diarium
Spirituale« oder anderswo, nämlich: daß der Mensch unter gewissen Bedingungen unmittelbare
Antworten vom Herrn erlangen könne, wenn die Fragen nur himmlische und geistige Dinge von
gemeinnütziger Bedeutung sind, worüber um Auskunft demütigst gebeten wird. Schreiber
64
Adalbert Jantschovitsch
dieses weiß sich ganz bestimmt auf eine solche Stelle aus Swedenborg zu erinnern, kann
dieselbe jetzt jedoch trotz alles sorgfältigen Nachschlagens nicht mehr finden. Vielleicht ist
einer oder der andere Leser dieser »Heilbotschaft« glücklicher.
So viel ist indeß ganz gewiß, daß der Herr zu dem Auffassungs-Vermögen eines jeden, wenn
noch so ungelehrten aber kindlichen (nicht kindischen) Menschen sich herablässt, um ihm in
Fragen von obenerwähnter Richtung, wenn diesen nur nicht müssige Neugierde zu Grunde
liegt, Auskunft zu ertheilen, denn die Menschen sind Träger des Geistes Gottes ihren Seelen
nach.
Die im ersten Theil dieses Artikels namhaft gemachten Gottes-Männer und Gottes-Frauen
empfingen ihre Spezial-Offenbarungen vom Herrn beinahe Alle in oben angegebener Weise.
Deren volle Uebereinstimmung und in mancher Hinsicht empfindliche Lücken ausfüllende
Beschaffenheit mit dem, was später durch den Apostel der »Neuen Kirche« systemmäßig geoffenbart ist, kann unstreitig nicht geleugnet werden, da keinerlei Widersprüche darin enthalten
sind, sondern so manche ewige Wahrheiten in einer zwar weniger, als bei Swedenborg, doktrinellen, dafür aber populären Art vom Herrn geoffenbart sind, wofür für Solche, die geneigt
sind, nicht Alles ungeprüft schon im Voraus zu verwerfen, was nicht die monopolisirende
Signatur Swedenborgs an sich trägt, sowohl in Vorausgelassenen, als auch im noch Nochfolgenden der Beweis geliefert wird.
Der unbußfertige Sünder, oder der im Bösen befindliche Mensch vermag jedoch diese geistlichen Exercitien nicht auszuführen; versucht er es dennoch, so wird er von den bei ihm befindlichen bösen Geistern nur irregeführt und um seiner Seele ewiges Heil betrogen; denn vom
Bösen aus ist es ganz und gar unmöglich, Böses zu sehen und Falsches wahrzunehmen, sondern Böses und Falsches kann man nur vom Guten der Gottes- und Nächstenliebe aus verlässlich unterscheiden und wahrnehmen, niemals aber während man sich selbst noch im
Bösen und im Falschen von daher befindet. Nur werkthätige Bußübungen vermögen in dieser
Hinsicht unsere geistige Sehkraft mit himmlischem Lichte auszustatten.
Die Ursache davon ist, weil der in Bösem der Selbst- und Weltliebe noch befindliche Mensch
seinem Geiste nach einem in ein stockfinsteres Grab-, Kerker- oder Kellergewölbe fest eingeschlossenen Gefangenen gleicht, der nicht einmal die ihm zu allernächst liegenden Gegenstände deutlich zu sehen, daher auch den rings um ihn aufgehäuften geistigen Schmutz und
Unrath, welches eben seine Sünden sind, dann die hässlichen, vielen Mulche, Würmer und
giftigen Insekten, die kriechend den Boden und die von unreiner Feuchtigkeit triefenden Wände seines Aufenthaltsortes bedecken und seinen boshaften, sündigen Neigungen entsprechen,
sowie auch die scheußlichen Auswüchse, Geschwülste, Eiterbeulen und brandigen Pusteln,
welche infolge derselben seinen ganzen eigenen geistigen Körper wie mit einer Kruste von
stinkenden, ekelhaften Aussatz bedecken und ihn geistig zu einem Scheusal ausgestalten, gar
nicht im Geringsten wahrzunehmen vermag; denn in der stockfinsteren Nacht, in der sich so
ein Mensch seinem Geiste nach, seiner entschiedenen Unbußfertigkeit wegen, thatsächlich,
kraft seines bösen, unwiedergeborenen Willens befindet, kann er seinen geistig schwer kranken Zustand ganz und gar nicht erkennen.
Es thue daher ja ein Jeder noch bei Zeiten werkthätige Buße und trete in eine gründliche, totale Sinnesänderung, und sohin Besserung seines Lebenswandels ein, bevor es für ihn zu spät
ist und er niemals mehr von seinem himmlischen »Jesus«-Vater eine Antwort auf die bange
Herzensfrage wird erlangen können: Was nun?
Schreiber dieses kann die freundlichen Leser versichern, daß in der Folge sogar Jedermann in
Verwirklichung der göttlichen Verheißungen bei Joh. 6,45, Jes. 54,13 und Jerem. 31,34 unmittelbar vom Herrn selbst wird belehrt werden müssen, der in das lichtvollste Reich der göttlichen Wahrheit wird eingehen wollen. Ja, worin ein Jeder künftighin irgend einen begründeten
Eine Frauen-Heilsbotschaft vom Herrn
65
Zweifel haben wird, der sich aus den vom Herrn durch Swedenborg und Andern beglaubigte
Vermittler gegebenen göttlichen Spezial-Offenbarungen nicht zerstreuen lässt, darüber wird er
sich sogar direkt aus den Himmeln der Engel des klarsten Rathes erholen können.
Demungeachtet aber wird es stets schwer sein, allein der reinsten, nackten Wahrheit zu huldigen; denn der Weltverstand der Menschen, der verschiedenen Orts bereits zu einer großen,
obschon nur auf sehr lebhaften Sinnestäuschungen basirten Schärfe gekommen ist, wird es
kaum je einsehen wollen, daß der Gott-Mensch Jesus Christus eben derselbe sein kann dem
Geiste nach, der einst auf Sinai dem Moses unter Blitzen und Donnern die zehn Gebote gab
und ihm die fünf Bücher Mosis diktirte, und der mit Seiner Weisheit, Macht und Stärke das
gesammte Weltall erhält und regiert. Das leuchtet sogar vielen Neukirchengliedern, die es nur
äußerlich sind, noch nicht völlig klar ein, daß der Herr ganz und gar Eins der Person und dem
Wesen nach mit dem Vater in den Himmeln ist; was werden erst die großen Weltweisen dazu
sagen, wenn diese göttliche Wahrheit einmal aus dem Munde vieler Hunderttausende bezeugt
werden wird? Sie werden es trotzdem immerfort bezweifeln, weil der natürliche Mensch, abgezogen von Zeit und Raum, nicht zu denken vermag, ihm daher alles rein Geistige ewig unbegreiflich bleiben muß, zumal der natürliche Mensch eben deßhalb nicht annimmt, was vom
Geiste Gottes ist; denn es ist ihm eine Thorheit, und er kann es nicht erkennen, weil es eben
geistig muß aufgefasst werden. (1. Cor. 2,14.) Daß aber der Herr sogar zur Einfalt des kindlichen Menschen sich herablässt, nie jedoch zur Weisheit des Menschen dieser Welt, ist ihm
noch mehr Thorheit, - denn er will es nicht wissen, daß »Alles, was hoch ist unter den Menschen, vor Gott ein Greuel ist.« (Luk. 16,15.) •
In der gedrängten Erklärung des inneren Sinnes der prophetischen Bücher des alten Testamentes und der Psalmen, bedient sich unter Anderem, bei Erklärungen des 37. Kapitels des
Propheten Jesaias, Swedenborg ausdrücklich der Worte: daß die Menschen der damals bestandenen Kirche, die sich bei der Lehre aus dem Worte Raths erholten, Buße thaten und um Hülfe
zum Herrn beteten, in ihrem Herzen Antwort erhielten. Wir wiederholen es hier: daß auch alle,
die in der Einleitung zu diesem Artikel namhaft gemachten Gottesmänner und Gottesfrauen,
unter ähnlichen Umständen und in ganz ähnlichen Versuchungszuständen, Antworten vom
Herrn unmittelbar in ihren Herzen, wie es ihnen schien, doch für sie allein laut im Ohr hörbar
auf innerem Wege empfingen; folglich nicht auf mittelbaren spiritistischen Wege durch experimentale Manipulationen gleichsam bei den Haaren herbeigezogener Geistermanifestationen,
- wie von gewisser kritischer Seite, ganz ohne jeden vernünftigen Grund, behauptet worden
ist, - sondern auf echt prophetischem, also Gottes ewiger Ordnung völlig gemäßem, gutem,
sündlosem Wege.
Swedenborg sagt auch in der Nummer 4622 der H. G.: daß sogar das Verstandesvermögen des
Menschen nichts ist, als ein feiner Sinn für innere Dinge. Er gab auch Arwed Ferelius, dem
schwedischen Geistlichen, der ihm, kurz vor seinem Abscheiden aus dieser Welt, noch das
Sakrament des heiligen Abendmahls reichte, auf dessen Frage, warum Niemand außer ihm,
solche Offenbarungen und Umgang mit Engeln und Geister, wie er sie habe, erlange, zur Antwort: Daß ein jeder Mensch sie eben so gut wie er, haben könnte, wenn die Menschen nur
nicht so sinnlich wären. Die übergroße körperliche Sinnlichkeit sei das einzig wahre Hinderniß. (Siehe Leben und Lehre Swedenborgs 1. Theil, Seite 88.)
Dem Schreiber dieses passirte es vor einiger Zeit, daß er vor seinem an eine dicke Zimmerwand fest angelehnten Schreibtische sitzend, während eines tiefen Nachdenkens über eine
Göttliche Lehrwahrheit, mit einem Male die knapp vor seinen Augen, in einer Entfernung von
etwa 50 Centimetern befindliche Wand, scheinbar völlig geräuschlos sich öffnen sah und ihm
in eine wundervolle Prachtlandschaft von schier unbesehbarer Fernsicht, welche im intensivsten schneeweißen Sonnenglanze von unbeschreiblichster Schönheit ihm vor Augen lag, auf
circa zwei bis drei Minuten der Einblick gestattet worden ist. Ein andermal sah derselbe wie-
66
Adalbert Jantschovitsch
der während des Betens auf den Knieen, scheinbar die Zimmerdecke sich öffnen, und aus
azurblauem Himmelsgewölbe einen röthlichfeurigen Flammenbüschel von der Größe und
Breite eines kurzen Römerschwertes sich langsam auf sein Haupt herabsenken, worauf derselbe gleich darauf einen heftigen Schauer des Entzückens empfand. Fix-Sterne von blendend
schneeweißem Glanze sieht derselbe fast alltäglich bei seinen Studien. Eine Ehefrau des Budapester Neukirchen-Vereines behauptete sogar kürzlich, ihn während des Predigens über
Matth. 18,7-9, in einen flammigen Lichtkreis gehüllt, gesehen zu haben.
In der enthüllten Offenbarung erklärt außerdem Swedenborg die Verse 18 und 19 des 22. Kap.
unter den Nummern 957 und 958, geistig dahin: daß die Menschen, die ungeachtet der nunmehr vom Herrn Selbst aufgeschlossenen Apocalypse, durch Zusätze oder Wegnehmen, es
versuchen werden, die Lehre derselben zu zerstören, indem sie einen andern Gott als Ihn
allein, und einen andern Glauben, als den an Ihn allein anerkennen werden, nothwendig durch
das in derselben näher bezeichnete Böse und Falsche zu Grunde gehen müssen und keine
Weisheit aus dem Worte werden schöpfen, noch sich aneignen, noch aufgenommen werden
können in das Neue Jerusalem, noch werden Theil haben können mit denen, die im Reiche
Gottes sind. Schreiber dieses kann nun dem gegenüber in Wahrheit bezeugen und versichern:
daß in den sämmtlichen, von ihm hier ins Auge gefassten Spezial-Offenbarungen, durchaus
weder ein anderer Gott, als der Herr, Jesus Christus ganz allein, noch ein anderer Glaube, als
der an Ihn ganz allein anerkannt, gelehrt und verkündigt, folglich nur nicht Gutes und Wahres
im Letzten des natürlichen Buchstabensinnes vom Herrn Selbst, durch von Ihm inspirirte
Engel des Himmels, die, so lange die Inspiration andauert, nicht anders wissen, als daß sie der
Herr sind, der Menschheit jetzt geoffenbart wird. (Vergleiche Adveraria 7167 und 6597 H. G.)
So gewiß darum und wahrhaftig der Herr, vermittelst der durch Emanuel Swedenborg geoffenbarten himmlischen Lehrwahrheiten Seiner »Neuen Heiligen Kirche«, thatwirklich Seine zweite bei Matth. 26,64; Mark. 14,62; Luk. 21,27; Joh. 14,3 und 16,25; Offenb. 22,20. (960 im
geistigen Sinn) und Apostelg. 1,11 vorausgefolgte Ankunft auf dieser Erde bewirkte; so gewiß
und wahrhaftig kommen nunmehr auch gem. Off. 21,10 aus dem »Neuen christlichen Himmel«
für die Neue Kirche auf Erden, die spezifischen Einzelheiten zur praktischen in’s Lebensetzung dieser himmlischen Lehren, auf volksthümlicherer Grundlage herab auf diese Erde,
durch die im letztabgelaufenen 19. Jahrhunderte bis in die Gegenwart hinein, fortgesetzt vom
Herrn der Menschheit gegebenen und von den Theosophisten durch den Druck veröffentlichten Spezial-Offenbarungen, mit allen ihren unermesslichen Schätzen geistiger Erkenntnisse
über das Leben nach dem Tode. Dieselben sind in Wahrheit nur sinnlichen, kindlichen und
einfältigeren Gemüthern angepasste Erläuterungen und praktische Fingerzeige für die Ausführung der himmlischen Lehrwahrheiten der »Neuen Kirche«.
Was demnach Swedenborgs theo-philosophische Werke für den glanzvollen Auf- und Ausbau
der »Neuen Kirche« in Anlehnung ihrer himmlischen Lehren theoretisch sind, das sind nunmehr die in den letzten 62 Jahren im Verlage von Christian Friedrich Landbeck in Bietigheim
an der Enz in Würtemberg, Deutschland, in Druck erschienenen, zahlreichen Werke der Theosophisten, für die Populärwerdung und Verwerthung derselben im gemeinen Leben praktisch.
Es hat jedoch mit denselben die ganz gleiche Bewandtniß, wie im Allgemeinen mit den Göttlich geoffenbarten Werken Swedenborgs. So weit sie unter den Menschen nur bloß flüchtige
und oberflächliche Leser, entschieden aber keine Thäter ihrer von Gott gegebenen Wahrheiten
finden, erlahmt und stirbt ab in den Menschen deren Gotteskraft, und macht diese zu noch
größeren Thoren, als sie es von Natur und Geburt her ohnehin sind.
Wie Swedenborgs Werke ihre Todfeinde und Lästerer fanden unter allen Dümmlingen und blos
irdisch gesinnten Weltmenschen, die dieselben gar nie in ihrem Zusammenhange, sondern
nur bruchstückweise, zerstreut und oberflächlich gelesen haben, und nie Willens waren, deren
Eine Frauen-Heilsbotschaft vom Herrn
67
Lehren auf ihr Alltagsleben in der Gegenwart auch in wirkliche Anwendung zu bringen; und
wie zur »Neuen Kirche« in unseren Tagen sich äußerlich sogar Menschen bekennen, die nicht
einmal an die, doch über jeden Zweifel erhabene, geschichtliche Thatsache der Menschwerdung
Gottes in der Person Jesu Christi glauben, sondern denen der Name: Jesus, nur der unpersönliche, abstrakte Begriff alles Guten ist, und der Name: Christus, der alles Wahren, die so keinen
festen Boden unter ihren Glaubensfüßen haben, sondern thatsächlich, mit ihren Wahnideen
von einem schaubaren Gott, in der Luft zappeln; und wie ferner es Menschen giebt, die mit
dem Munde sich zur »Neuen Kirche« bekennen und äußerlich auch zu ihr halten, die kaum
die Titeln der Werke Swedenborgs alle kennen, geschweige denn je ein Buch von ihm vollständig im Zusammenhange mit den darin berufenen Andern, gelesen haben, und die in Folge
dessen kaum einen klaren Begriff davon haben, wodurch sich die Lehren der »Neuen Kirche«
wesentlich von denen aller andern Religionsbekenntnisse unterscheiden; gerade so und vielleicht noch um Vieles schlimmer ist das auch mit den diversen Büchern der Theosophisten
der Fall.
Auch unter den Theosophischen giebt es Unsinnige, die alles Kirchliche verwerfen, die Unerlässlichkeit der Göttlichen Institution der »Wahren christlichen Kirche« aus selbstverschuldeter Unwissenheit leugnen, und so als Viertel-, Halb- und Nichtwisser ihrer eigenen
Offenbarungen das Bad zugleich mit dem Kinde ausschütten; obschon gerade sie der Herr in
einem ihrer eigenen »Arkana oder Seelenheils-Winke« betitelten Werke auf’s Animöseste
zurechtweiset, und zwar in dem kernigen Abschnitte: »Vom Wege zur Wiedergeburt«.
Schreiber dieses kennt Mehrere aus ihnen persönlich. Lauter Leute von achtbarster Weltbildung. Unter Andern: einen Grafen, einen Schriftsteller, einen Richter des obersten Gerichtshofes, einen höheren Postbeamten, eine Oberstlieutenants-Wittwe, ein adeliges Gutsbesitzers
Fräulein u. s. w. – Gerade aber diese sind die oberflächlichsten und lesen die ihnen am meisten zuträglichen Abschnitte ihrer eigenen Bücher fast gar nicht, sonder übergehen sie, als
ihnen unangenehme.
Im Allgemeinen also finden auch die Spezial-Offenbarungen des Herrn zwar viele, aber nicht
minder, nur oberflächliche, zerstreute und neubegierige Leser, fast durchgehends jedoch keine
Thäter ihrer herrlichen, göttlich geoffenbarten und mit dem himmlischen Lehren der »Neuen
Kirche« in der Hauptsache völlig identischen, wenngleich volksthümlicher und drastischer
formulirten Grundsätze.
PSEUDO-OFFENBARUNGEN
Fedor Görwitz – 1902
»Warum schließt die Neue Kirche den Nachfolger [Swedenborgs] Lorber aus?«
Diese Frage wird in aller Aufrichtigkeit an uns gerichtet von einer Dame, einer Verehrerin der
Lorber’schen Schriften, welche kürzlich mit den himmlischen Lehren der N. K. bekannt geworden ist.
Sie schreibt:
Seit 10 Jahren bin ich nur, durch den Knecht des Herrn Lorber belehrt, in Jesu Erlösungswerk so
eingeweiht, daß ich, als ich das erste mal Swedenborg zu Gesicht bekam, das Gefühl hatte, ein weiser Dolmetsch des göttlichen Autors in den Lorber’schen Schriften, habe, in kaltem Gelehrten-Styl,
die hinreißende Liebe für überflüssig nehmend, den Himmelstheorien den charme genommen,
wenn auch die gleiche Wahrheit verkündet. Swedenborg braucht Ausleger, Ausschmücker der
trockenen Lehre, Lorber keine, denn man fühlt den Odem des Schöpfers und Erlösers zugleich, die
Allmacht mit der Barmherzigkeit vereinigt.
Aber bitte meine Aeußerung nicht so zu nehmen, als würde ich den Seher Swedenborg nicht ebenso als Werkzeug des Herrn auffassen, als Lorber, aber ich erlaube mir nur die Frage: Warum
schließt die Neue Kirche den Nachfolger Lorber aus?
Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es zunächst einer kurzen Erörterung der Frage: Was ist
die Neue Kirche? Und hierauf lautet die Antwort: Die Neue Kirche ist die durch neues Licht zu
neuem Leben erweckte christliche Kirche, und dieses Licht wird der Welt gegeben in den Lehren der Neuen Kirche durch einen Menschen, Emanuel Swedenborg, »der die Lehren dieser
Kirche nicht nur mit dem Verstand auffassen, sondern sie auch durch den Druck bekannt
machen konnte.« (W.C.R. 779) Er sollte sie nach dem göttlichen Rathschluss mit dem Verstande auffassen, um sie zum menschlichen Verständniß herabbringen zu können. Zu dieser
erhabenen Aufgabe wurde Swedenborg unter Leitung der göttlichen Vorsehung sorgfältig vorbereitet; sein ganzes, seiner Berufung vorhergehendes Leben war, wie er selbst erst später
erkannte, eine Vorbereitung für diese Aufgabe.
Er musste vorerst in die Naturwissenschaften eingeführt werden, er musste das Buch der
Natur (auch ein göttliches Buch) lesen lernen, weil die natürlichen Wahrheiten die Grundlage
bilden für die geistigen Wahrheiten, die er mit dem Verstande auffassen und durch den Druck
bekannt machen sollte; und als Naturforscher, namentlich als Erforscher des menschlichen
Körpers als Wohnung der Seele, hat Swedenborg thatsächlich eine Höhe erklommen, welche
jetzt, nach 160 Jahren, aus ihrer Verborgenheit zu Tage zu treten beginnt und in der gelehrten
Welt bewunderndes Staunen hervorruft. Und dabei bewahrte er sich ein frommes, kindliches,
demüthiges Gemüth!
Und worin besteht dieses neue, die Kirche zu neuem Leben erweckende Licht, das uns in den
Lehren der N. K. durch Swedenborg gegeben wird?
Es besteht im Wesentlichen in der Erschließung des bisher verborgenen innern oder geistigen
Sinnes der heil. Schrift. Aus dem heiligen Worte Gottes selbst strahlt dieses Licht hervor; aber
ohne die Lehren der N. K. können wir nicht zu ihm gelangen; sie erschließen uns das Verständniß des geistigen Sinnes, in welches Swedenborg vom Herrn Selbst eingeführt wurde,
indem Er ihn »mit Seinem Geiste erfüllte, die Lehren der N. K. durch das Wort aus Ihm zu
lehren.« W. C. R. 779. Diese Erschließung des geistigen Sinnes der heil. Schrift ist die größte
Segnung der gottgegebenen Lehren der N. K. Durch sie wird die Heiligkeit und Göttlichkeit der
heil. Schrift offenbar für Jeden, der sich überzeugen lassen will, und dadurch wird offenbar die
Heiligkeit und Göttlichkeit, von dem sie zeugt. Durch diese Erschließung wird die jetzt wankende und in vielen Gemüthern schon zerstörte Grundlage der Kirche – das Wort Gottes – für
alle Ewigkeit auf Erden sicher gestellt. Auf daß Swedenborg in das Verständniß des geistigen
Pseudo-Offenbarungen
69
Sinnes der heil. Schrift eingeführt werden könne, war nothwendig, daß ihm das geistige Gesicht erschlossen, daß er in die geistige Welt eingeführt werde; denn die Verbindung der natürlichen mit der geistigen Welt ist die gleiche wie die Verbindung des buchstäblichen Sinnes der
heil. Schrift mit ihrem geistigen Sinne; es ist eine Verbindung durch Entsprechung oder Correspondenz. Er durfte mit erschlossenem geistigem Auge die geistige Sonne, die Sonne des
Engelshimmels erschauen, welche unsern Herrn Gott Heiland umgibt, die Sonne Seiner göttlichen Liebe und Weisheit, welche mit geistiger Wärme und geistigem Licht die ganze geistige
Welt belebt. Dadurch wurde ihm, und uns durch ihn, die Wirklichkeit der geistigen Welt zur
Anschauung gebracht. Es wird dieß vielfach als das Wesentliche und Wunderbarste der durch
Swedenborg gegebenen Offenbarungen angesehen, und höchst wichtig, eine der größten Segnungen der himmlischen Lehren sind sie ja gewiß; eine wirkliche Segnung sind sie aber doch
nur in Verbindung mit der Erschließung des geistigen Sinnes des Worts, von der sie gar nicht
getrennt werden können; denn durch das Wort, durch die heilige Schrift, offenbart sich der
Herr unser Gott in Seinem heiligen Wesen, durch das Wort nur können wir Ihn kennen und
lieben und verehren lernen, durch das Wort nur kann die Verbindung des Menschen mit dem
Herrn bewirkt werden, welche der Endzweck der Schöpfung ist.
Die Neue Kirche ist, wie Swedenborg darlegt, das Neue Jerusalem, welches im 21. und 22.
Kapitel der Offenbarung des Johannes beschrieben wird, und dieß erkennen wir an dankbaren
und freudigen Herzens; wir sehen im Lichte des uns nun erschlossenen geistigen Sinnes, daß
die von Gott aus dem Himmel kommende Lehre der Neuen Kirche in Wahrheit die heilige
Stadt ist, welche von Gott aus dem Himmel herabsteigt, und wir hören in dieser Lehre die
große Stimme aus dem Himmel sprechen: »Siehe, die Hütte Gottes unter den Menschen. Und
Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein, und Er, Gott, wird bei ihnen sein,
ihr Gott.« Offb. 21,3.
Wir können nun zur Beantwortung der Frage schreiten: »Warum schließt die Neue Kirche den
Nachfolger (Swedenborgs) Lober aus?«
Zunächst ist hervorzuheben, daß der Mensch Swedenborg und der Mensch Lorber keinerlei
Verwandtschaft oder Aehnlichkeit mit einander haben. Bei Lorber ist keine Rede von einer
»Auffassung mit dem Verstande« dessen, was er niederschrieb. Er schrieb mechanisch, wie
eine Schreibmaschine; er war ein spiritistisches Medium, das sich von den zahllosen modernen »Schreibmedien« des Spiritismus nur dadurch unterscheidet, daß die Lorber’schen Schriften als unmittelbare Diktate des Herrn auftreten, der in ihnen in erster Person spricht.
Ist nun in diesen Schriften die »gleiche Wahrheit« enthalten wie in den Schriften Swedenborgs, wie unsere Correspondentin vermeint? Strahlt aus ihnen der Geist und das Leben der
heil. Schrift hervor, durch welche das Wort Gottes heilig und göttlich ist? Nein, nicht im entferntesten! Das umfangreiche Lorber’sche »Evangelium St. Johannis« z. B., auf welches die
Anhänger Lorber’s besondern Werth legen, ist im Lichte der himmlischen Lehren nichts anderes als eine Entweihung des heil. Gotteswortes durch läppische Zusätze, von denen sich der
im Lichte der Neuen Kirche Stehende mit Grauen abwenden muß. Als drastisches Beispiel
hierfür verweisen wir unsere Correspondentin auf Seite 31-33 des genannten Buchs, wo die
Tempelreinigung (Joh. 2,13-16) mit so abscheulichen Zusätzen geschildert wird, daß es uns
unmöglich ist, eine solche Entweihung der heil. Schrift in unserem Blatte wiederzugeben.
Dieser grobsinnlichen »Ausschmückung« des heil. Textes wird dann noch ein sogenannter
»geistiger Sinn« zugefügt mit den Worten:
»Verkäufer und Käufer sind die niedern unreinen Leidenschaften im Menschen, das zum Verkauf
gebotene Vieh stellt die unterste Stufe thierischer Sinnlichkeit dar, und zugleich auch die dadurch
erzeugte große Dummheit und Blindheit der Seele, deren Liebe gleich der eines Ochsen ist, dem
sogar die sinnliche Zeugungs- und Geschlechtsliebe mangelt, und ihn allein noch die allergröbste
70
Fedor Görwitz
polypenartige Fressliebe belebt, - und deren Erkenntniß gleich ist dem bekannten Erkenntnißvermögen der – Schafe.«
Als geistige Bedeutung der »Schafe« wird hier einfach die Bedeutung genommen, in welcher
»Schaf« im Deutschen als Schimpfwort gebraucht wird, und dieß soll von unserm Herrn und
Heiland kommen, der da spricht: »Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie, und
sie folgen mir und ich gebe ihnen ewiges Leben.« Joh. 10, 27. 28. (Vgl. Auch Joh. 24, 16. 17.
Ps. 100,3.) Dieß allein sollte schon hinreichen, jeden nur einigermaßen Bibelkundigen von der
Verkehrtheit solcher Bibelauslegung zu überzeugen.
S. 30 des Lorber’schen Buches heißt es von Kapernaum:
»In Capernaum hielt ich mich daher nur kurze Zeit auf, indem allda nahe kein Glaube und noch
weniger Liebe daheim war; denn diese Stadt war ein Ort des Handels und des Krämerthums, wo aber
Handel und Krämerei getrieben wird, da haben Glaube und Liebe den Abschied im Vollmaße erhalten. Wo aber diese beiden verabschiedet sind, da giebt es für mich wenig oder nichts zu thun.«
Dieses Wort legt der Lorber’sche Truggeist unserm Herrn und Heiland in den Mund, »der Zöllner und Sünder Freund«, der gekommen ist »die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten«! Auch die wegwerfende Verurtheilung des Handels ist in Widerspruch mit den
Worten des Herrn: »Das Reich der Himmel ist gleich einem Handelsmann, der schöne Perlen
sucht.« Matth. 13, 45. Nach den Lehren der N. K. sind die Handelsleute nothwendig zur Erhaltung des Staats und für das Gemeinwohl (Lehre von der Liebth. VI) und sie werden zu Formen
der Nächstenliebe, wenn sie »zum Herrn aufblicken, das Böse als Sünde fliehen und ihr Geschäft aufrichtig, gerecht und treu betreiben.« (Liebth. VII.) In jedem Berufe kann der Mensch
den Weg zum Himmel finden. Auf die Frage der Zöllner: »Was sollen wir thun?« antwortete
Johannes der Täufer: »Fordert nicht mehr, denn euch gesetzt ist«; und den Kriegsknechten
antwortete er: »Thut Niemand Gewalt an, gebt Niemand fälschlich an, und lasset euch mit
eurem Solde genügen.« Es ist das Charakteristische der Pseudo-Offenbarungen des Spiritismus, daß sie sehr viel von Liebe sprechen, ohne eine richtige Definition derselben, eine Lehre
von der Liebthätigkeit damit zu verbinden. Dadurch wird dieses wichtigste Gesetz der Religion
zu einem schattenhaften Phantom, zur selbstliebigen Gefühlsschwärmerei, welche der wahren Liebe nicht förderlich, sondern hinderlich ist. Swedenborg fasste die Lehre von der Liebthätigkeit kurz und klar zusammen in einem Satze: »Die wirkliche Liebthätigkeit ist, gerecht und
treu handeln in dem Amt, Geschäft und Beruf, in dem Jeglicher ist, und mit denen, mit welchen er in irgend einem Verkehr steht.« Das klingt so nüchtern, so ganz anders, als die »medialen Kundgebungen«, ist aber Wahrheit. Das ist der Weg zum Himmel. Pflichterfüllung aus
Religion, Pflichttreue im Amt, Geschäft und Beruf, in allen Lebensbeziehungen, somit vor Allem auch in Familie und Haus, Pflichttreue gegen Weib und Kind – das ist das Mittel, die bösen Begierden, die aus dem verderbten Herzen kommen, (Matth. 15, 19.) im Zaume zu halten,
und sie allmälig mit dem gnädigen Beistande des Herrn zu unterjochen. »Nur durch ein bürgerlich und sittlich gutes Leben in der Welt kann der Mensch das geistige Leben aufnehmen«
(H. H. 538); wo anders kann er denn das Böse als Sünde fliehen, als in den Beziehungen des
irdischen Lebens?
Unsere Correspondentin beklagt, daß Swedenborg den Himmelstheorien den charme (Zauber)
genommen habe. Ja, worin besteht denn dieser Zauber der Lorber’schen Schriften? In nichts
anderem, als daß sie blindgläubig als Diktate des Herrn angenommen werden. Damit »bezaubert« der Lorber’sche Truggeist die ihm Vertrauenden, dadurch hält er sie in seinen Banden –
und dadurch wird es erklärlich, daß auch intelligente und aufrichtige Leute ihrem Verstand
davon gefangen nehmen lassen können. Man nehme diesen trügerischen Zauber hinweg und
prüfe mit den Gottesgaben der Vernunft und Freiheit, und man wird im Lichte der Wahrheit
diese Schriften erkennen als das was sie sind: als Truggebilde.
Pseudo-Offenbarungen
71
Von Anhängern der Lorber’schen Schriften, welche dieselben mit Swedenborg in Verbindung
bringen wollen, ist schon gesagt worden, daß in ihnen ja die Hauptwahrheit der N. K. enthalten
sei, daß nämlich der Herr Jehovah selbst sei. Ja, aber eben diese Wahrheit wird von dem Lorber’schen Truggeiste verfälscht und geschändet, indem er sich selbst für den Herrn ausgibt,
sich selbst an die Stelle des Herrn stellt. Der Leser dieser Schriften wird nicht zur Anbetung
des Herrn geführt, welcher sich im Worte Gottes offenbart, sondern zur Anbetung des Truggebildes, das durch Verfälschung des Wortes, durch abscheuliche Zusätze zum heiligen Evangelium entstanden ist.
Vor solcher Entweihung des Heiligen muß die Neue Kirche auf das Nachdrücklichste warnen.
Quelle: Monatblätter für die Neue Kirche, 19. Jahrgang, Dezember 1902, No. 12, S. 195-200.
Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors …
73
Liebe Freunde und Geistesgeschwister
der ganzen Welt, in
Jesus Kristus !
Dem allein wahren Gott Himmels und der Erden!
»Während sie sagten, sie wären weise, wurden sie Thoren.« Röm. 1,22.
ZUR ABWEHR
des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen
Generalpastors – wider die christliche, neutheosophische Literatur,
haben wir Euch, im sachlichen Interesse der ewigen Wahrheit, eine Anklage öffentlich vorzutragen, und sind nothgedrungen, im Allgemeinen die Schriften der Neu-Theosophischen Literatur überhaupt, insbesonders aber »das große Evangelium Johannes«, welches die gesammten
Lehren und Thaten unseres Herrn und Heilandes, Jesus Kristus, während seiner drei Lehramtsjahre enthält, zu vertheidigen, wegen einer nun schon zum dritten Male, vor dem Forum
der Öffentlichkeit, ohne jeden vernünftigen Grund und ohne je dazu eine herausfordernde Ver-
74
Adalbert Jantschovitsch
anlassung gegeben zu haben, dieser Literatur zugefügten beschimpfenden, aus einem Gewebe
von Unwahrheiten, Verdrehung von Thatsachen und falschen Auslegungen zusammengeschweißten Verdächtigung, Seitens eines Mannes, der sich für einen Diener des Göttlichen
Wortes ausgiebt, eben diesem Gottesworte aber vermessen in’s Angesicht speit dadurch: daß
er das oberste Grundgesetz der Göttlichen Gerechtigkeit, welches da bei Matth. 7,12 lautet:
»Alles nun, das ihr wollet, daß euch die Menschen thun sollen, das thuet auch ihr ihnen; denn
das ist das Gesetz und die Profeten«, mit Füßen trat.
Der Herr »Jesus Kristus« legt durch Swedenborg in der Nummer 9049 der »himmlischen Geheimniße« dieses Göttliche, ewige Ordnungsgesetz dahin aus: »Du sollst dem Nächsten thun,
wie du willst, daß er dir thue, folglich: es soll dir geschehen, wie du dem Andern thust und
gethan hast!« Der Herr nennt durch Swedenborg in obberufener Nummer, dieses Göttliche
Ordnungsgesetz auch das des Vergeltungsrechtes, welches im andern Leben unnachsichtlich
zu Recht bestehet, und jewedem Bösen sogleich seine verdiente Strafe, wie dem Guten die
angemessene Belohnung zuziehet.
Nun ist es gewiß: daß gedachter Mann, der sich den Titel eines Predigers des schweizerischen
Vereins der »Neuen Kirche« beilegt, und sogar ordinierender Geistlicher (General-Pastor) dieser Kirche sein will, es entschieden für seine Kirchengenossenschaft nicht wollte, daß der von
ihm vertretenen neukirchlichen Literatur eine ähnliche, ihm gefährlich scheinende Andere,
wenn gleich die erstere nach des Herrn Willen ergänzende und also ebensobedeutsame Schriften-Autorität erwachse, und beeiferte sich deshalb vor dem Sichselbstüberzeugen von deren
Bedeutung durch selbsteigenes Lesen und Forschen, seine Genossen zu warnen, durch zum
Voraus schon davon abhaltende öffentliche Beschimpfung, wie er solches in seinem »Monatblätter für die Neue Kirche« betitelten Fachblatte, dreist nun schon zum dritten Male sich erlaubt hat, und zwar in den Nummern 12 vom Dezember 1898, 5 vom Mai 1899 und 12 vom
Dezember 1902, so nebenbei aber auch in der Nummer 10 vom Oktober 1902, unter den
Überschriften: »Theosophische Schriften« und »Pseudo-Offenbarungen.«
Die christlich-theosophische Literatur hat dem freiest beliebigen Treiben des Angreifers ihrer
Schriften, der sich Fedor Görvitz nennt und in Zürich, in der Schweiz, wohnhaft ist, nie auch
nur das Allergeringste in den Weg gelegt, sondern sprach sich stets voll der wärmsten Anerkennung über Swedenborg’s Werte aus, hält diese sogar in ihrem theosophischen Verlage auf Lager,
und gibt sie ab, ohne Voreingenommenheit dagegen, wo sie kann und so oft nur eine Nachfrage
darnach ist. Es kam ihr gar nie in den Sinn, auch nur irgend Jemand je von dem Lesen und
Forschen in denselben, durch davor warnende Verdächtigungen abzuhalten. Trotzdem greift F.
G., der neukirchliche Prediger seines Herrn und Gottes, dessen Diener er zu sein vorgiebt,
oberstes Göttliches Ordnungsgesetz verläugnend, bei jeder sich ihm nur darbietenden, bei den
Haaren so zu sagen herbeigezogenen Gelegenheit, die theosophische Literatur in seinem
obenbezeichneten Blatte, in herabsetzender, verleumderischer Weise an, und versetzt ihr moralische Fußtritte in der Absicht, dadurch seine dünkelhafte, pfäffische Autorität in den Augen
seiner, eines selbständigen Forschens und Urtheilens geistig abholden Anhänger und Leser
seines Fachblattes – zu heben. Die Zahl dieser Anhänger ist zwar eine kaum zählenswerte,
allein es fällt uns nicht ein, die Qualität einer Sache nach der Quantität ihrer Anhänger schätzen zu wollen. Wir sind davon weit entfernt!
Der Herr bezeugt indeß durch Swedenborg, in der Nummer 1683 der himmlischen Geheimniße, daß gute Menschen niemals angreifen, sondern nur sich vertheidigen, die Bösen hingegen
in ihrem eigentlichen Lebenselemente sind, wenn sie angreifen können, weil sie beständig zu
verderben suchen. Der genannte neukirchliche Prediger ist also seiner Beschaffenheit nach,
durch seinen eigenen kirchlichen Autoritäts-Götzen Swedenborg, auf den allein er schwört,
schon gerichtet.
Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors …
75
Um jedoch seinem Prestige, welches genannter Neukirchenprediger zu seinen persönlichen
Gunsten bei seinen Glaubensgenossen ausbeutet, das absolut nöthigste Gegengewicht zu bieten, sind wir, zu unserem Bedauern gezwungen, zunächst hervorzuheben: daß der unterzeichnete Verfasser dieser Wehrschrift ein Greis von 70 Jahren ist, den keine Menschenfurcht
beeinflußt, noch die Sorge, eine fette Pfründe, von der sich’s behaglich leben läßt, eventuell zu
verlieren, oder sonst wie allenfalls eine Einbuße an seinen materiellen Einkünften erleiden zu
können; ferner daß derselbe schon über ein halbes Jahrhundert der »Neuen Kirche« mit Überzeugung anhängt, die sämmtlichen Werke Swedenborgs, einschließlich der darauf sich beziehenden polemischen Werke, Dr. Immanuel Tafels, gründlich studiert; aber auch die
theosophische Literatur einer eingehenden, gewissenhaften Prüfung, vorurtheilsfrei unterzogen
hat.48
Eben derselbe im praktischen Leben wohlerfahrene Greis, zeigt hierdurch den neukirchlichen
Prediger Fedor Görvitz in Zürich öffentlich, so wie er seinerseits die christlich-theosophischen
Schriften, ohne stichhaltige Gründe, öffentlich angegriffen hat, des falschen Zeugnißes vor Gott
und der Welt; erklärt: daß an dessen verdächtigenden Schmähungen dieser Schriften im Ganzen nicht ein wahres Wort, sondern nur des Pamphletschreibers subjektive Anschauung,
welche nicht auf Wahrheit beruht, enthalten ist, und motivirt diese seine Gegenbehauptung
nachstehend wie folgt:
Es ist nicht wahr, daß Jakob Lorber ein spiritistisches Medium war und nur allein mechanisch,
wie eine Schreibmaschine, das innerlich von ihm Vernommene niederschrieb! Die erstere
Behauptung ist vielmehr eine willkürliche Erfindung des Predigers F. G., die letztere Annahme
hingegen haben dem Lorber nur einige seiner, ohne Verständniß von der Sache urtheilenden
eigenen ersten Anhänger in die Schuhe geschoben. Lorber schrieb in Wahrheit das innerlich
von ihm, durch eine lebendige, in ihm gehörte Stimme, also wohl durch Engel vom Herrn Vernommene 49 genau so nieder, wie solche Offenbarungen Swedenborg in der Nummer 5121 der
himmlischen Geheimniße in äußere und innere unterscheidet, aber ausdrücklich bei ihm als
durch Engel vom Herrn kommend bezeichnet. Lorber’s Offenbarungen waren äußere, die Swedenborgs dagegen inwendige. Durch Lorber spricht der Herr in erzählender Art, darum auch als
Letzter, (Apocalypse 1,11), im untersten Höhegrade, in natürlich göttlicher Weise, der Fassungskraft natürlicher Menschen angepaßt. Durch Swedenborg hingegen im mittleren Höhengrade, der Fassungskraft geistig natürlicher, gelehrter Verstandes-Menschen angepaßt, aber
vermittelt des Abstraktionsvermögens derselben doktrinär. Nichtsdestoweniger sind beide
Gattungen von Offenbarungen, wie Swedenborg versichert, göttlich, weil durch Engel vom
Herrn gegeben, und entsprechen auch allervollkommenst der Göttlichen Verheißung, welche
der Herr im Capitel 33 des Propheten Jeremias, im geistigen Sinn desselben, von der »Neuen
Kirche« voraussagte, nämlich: »daß sie gegründet werden soll, wann die alte gänzlich zerstört
48
49
Verfasser dieses hat, als gewesener k. und k. Consulstellvertreter der oesterr. ungar. Monarchie in der
Schweiz, jahrelang Gelegenheit gehabt, das geistliche Wirken des Angreifers ganz in der Nähe zu beobachten, und auch Einblicke in dessen Privatleben zu thun; ferner war derselbe, laut konsularbehördlich beglaubigtem Zeugniße des Präsidenten und Schriftführers des vormals bestandenen Vereins der
»Neuen Kirche« in Herisau, Canton Appenzell, vom 30. Januar 1888, frei gewählter ständiger Prediger
dieses staatsbehördlich registrirt und anerkannt gewesenen Vereines und empfing als solcher die
schriftliche Bestätigung: daß er sich im kirchlichen Lehramte, als gewandter, mit den Lehren der
»Neuen Kirche« wohlvertrauter Redner bekundete; und endlich, durfte sich derselbe auch als Chefredacteur großer, politischer, schöngeistiger und literaturwissenschaftlicher Fachblätter in Wien, Jahre
hindurch eines künstlerischen und schriftstellerischen Rufes von großer Wahrheitsliebe erfreuen,
worüber derselbe sich urkundlich ausweisen kann; aus der Zusammenfassung des Gesagten, geht hervor, daß auch sein Prestige dem des geistlichen Angreifers gegenüber in keiner Hinsicht nachsteht.
Warum nicht vom Herrn Selbst direkt? Näheres hierüber siehe im »Nachwort«. D. Hsg.
76
Adalbert Jantschovitsch
ist, und zu ihr hernach herbeigerufen werden sollen Alle, die vom Falschen abgeführt werden
können, und aus Liebe zum Wahren und Guten den Herrn, Jesus Kristus, allein verehren werden, wodurch sie dann in Wahrheiten jeder Art sein werden. Dies werde geschehen, sobald der
Herr zum zweitenmale kommen und Seine Kirche neu gründen werde. Alsdann wird das Wahre
und Gute in allem Überfluße vorhanden sein, und werden das Geistige und Natürliche völlig
zusammenstimmen; denn wäre kein zusammenstimmendes, geistig und natürlich Wahres
und Gutes da, so wäre auch keine Kirche da.«
Diese Vorhersagung ist nun in unseren Tagen vollständig erfüllt. Wir haben die geistig Göttlichen Wahrheiten, in den durch Swedenborg uns vom Herrn gegebenen Göttlichen Offenbarungen systematisch geordnet, zu einem himmlisch herrlichen Lehrgebäude, – und die natürlich
Göttlichen Wahrheiten, in den uns vom Herrn durch Jakob Lorber und die andern, von uns im
»Bote für die Neue Kirche« vom 1. Oktober 1902 namentlich angeführten Gottesmänner und
Gottesfrauen, zu welchen noch Gottfried Mayerhofer und Johanne Ladner zu zählen sind, thatwirklich gegebenen Göttlichen Offenbarungen, nunmehr in allem Überfluße, und stimmen
diese auch thatsächlich in allem Wesentlichen des Wahren und Guten völlig zusammen.
Die letzteren, nämlich die das natürliche Göttliche Wahre speziell enthaltenden Offenbarungen, sind insbesonders jene, von welchen der Herr durch Johanne Ladner in Seinen unvergleichlich erhabenen »Vaterbriefen« unter Nummer 140 sagte: »Jetzt muß Ich, um die Liebe
wieder mehr in die Herzen der Menschen zu pflanzen, zu außerordentlichen Mitteln greifen,
und Vielen unter den Suchenden Meinen Willen, und den klaren Begriff von Mir und Meinem
Wesen, in die Feder diktiren, u. z. in ganz einfacher, Mich zu allertiefst herablassender Weise,
nehmlich natürlich menschlich muß Ich reden und mit ihnen verkehren«; obgleich auch diese
Art Offenbarung Vielen, namentlich, wie der Herr durch Lorber auch im großen Johannes
Evangelium gleich am Anfange desselben versichert, den Geistlichen, die Ihn zumeist verkündigen sollten, wieder nur ein Stein des Anstoßes, der bloßen Form wegen sein wird, in welcher
es jetzt dem Herrn beliebte, wie ein Dieb, das heißt so: wie Er es Apocalypse 16,15 voraussagte – zu den Menschen zu kommen. Wie ein Dieb kommen, heißt, wie der Herr durch Swedenborg uns unter Nummer 9125 der himmlischen Geheimniße offenbaret, unerkannt und
unerwartet kommen.
Daß auch dem Geistlichen: Fedor Görvitz, die letztere Gattung natürlich Göttlicher Offenbarungen thatsächlich zu einem schier mächtigsten Stein des Anstoßes geworden sind, hat den
Grund, weil er zu Jenen gehört, die der Herr in der Nummer 5432 der himmlischen Geheimniße auf’s Allertreffendste kennzeichnet, allwo Er unter Anderm offenbaret: daß solche Geistliche bei denjenigen, die in den Wahrheiten aus dem Guten sind, nichts anderes als Fehler
suchen, um anklagen und verdammen zu können. Sie verdammen aber durch diese ihre, auf
Gewinn und Einkommen ausgehende Beschaffenheit, nur sich selbst.
Swedenborg hat in seinem an den Prälaten Oetinger gerichteten Schreiben vom 11. November
1766 (Siehe Lehre und Leben Immanuel Swedenborg’s I. Theil S. 60), eine solche redende
Erleuchtung, wie Jakob Lorber sie gehabt, ganz bestimmt vorausgesagt, und sie für mehr als
ein Zeichen deklariert. Er sagt darüber Adversaria iii. 6966: »obgleich die Stimme bei solch
redender Erleuchtung so klar und laut erschallt, daß sie sogar, wenn Andere sprechen, gehört
werden kann, weil sie eben ganz laut in’s Ohr tönt, so dringt sie dessen ungeachtet nicht von
außen in das Ohr des auf solche Art Inspirirten ein, sondern kommt nur von Innen her in’s
Gehör desselben, weshalb sie von andern Personen, die zugegen sind, doch nicht gehört werden kann, sondern nur vom so redend Inspirirten ganz allein. Ganz dasselbe sagt Swedenborg
auch in der Nummer 248 des Göttlich geoffenbarten Werkes vom Himmel und der Hölle, von
der Rede eines Engels mit dem Menschen.
Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors …
77
Swedenborg bezeugt auch Adversaria iii, 7167 daß er, obschon er in der Regel nur mit momentanem Innewerden ihrer Bedeutung verknüpfte Offenbarung gehabt, doch auch solche
ohne Innewerden hatte, so daß er den Zusammenhang nicht vor, sondern erst nach dem Niederschreiben wußte, also genau so, wie dies bei Lorber in der Regel der Fall war. Daraus aber folgt
keineswegs, daß letztere Offenbarungen für die Menschheit von geringerem, oder weniger
unschätzbarem Werthe sind, als solche mit momentanem Innewerden verknüpfte, denn die
einen sind so nothwendig und nützlich wie die andern, weil der Mensch im Allgemeinen zu
einem Aufnahmsgefäße aller drei von einander nur durch Umhüllungen gesonderte Höhegrade
des Lebens vom Herrn geschaffen ist, nämlich natürlich, geistig und himmlisch sein und werden kann, wenn er es nur will.
So lange der Herr mit Menschen durch Engel spricht, nehmlich zu dem Endzwecke die letzteren durch Seinen Anblick mit dem Göttlichen erfüllt, wissen die betreffenden Engel nicht
anders, als daß sie selbst der Herr seien, weil ihnen dadurch und auf so lange alles eigene
Leben vollständig entzogen wird. Dies ist eine in den Himmeln allgemein bekannte Erfahrung.
Von daher kommt es: daß in allen durch Lorber und Andere vermittelten Offenbarungen der
Herr immer von Sich in erster Person spricht.50 Das geschah übrigens auch bei allen, durch
andere gottbegnadete Männer und Frauen vermittelten Offenbarungen, wie beispielsweise bei
Heinrich Suso, d’Hemme Hayen, Johann Tennhardt, Thomas von Kempis, Virgit, Herzogin von
Nerike, u. s. w. u. s. w. Daraus den Schluß zu ziehen, daß solche Offenbarungen nur von Truggeistern herbeigeführte Truggebilde seien, ist für einen »Geistlichen« der »Neuen Kirche«, der
es doch wissen müßte aus Swedenborg, wie sich die Sache in dieser Hinsicht verhält, geradezu eine Gotteslästerung, und beweiset, Angesichts der klaren Stellen des Göttlichen Bibelwortes bei Luk. 9,49-50. Mark. 9,39-40. Paulus I Corinth. 12,3 I. Joh. 4,1-3.15. Dann. 5,1. II. Joh.
1,9, welche lehren, welche Geister als Feinde des Reiches Gottes zu erkennen seien eine
unerhörte Unwissenheit, oder geflissentliche Bosheit, zumal doch nicht geleugnet werden kann,
daß die Anhänger der Neutheosophischen Schule, nach Swedenborgs Wahrer christlichen
Religion, Nummer 380, alle wesentlichen Stücke des ächten Glaubens und das hochzeitliche
Kleid anhaben, weil sie an den Herrn, Jesus Kristus, als Sohn Gottes, als Gott Himmels und
der Erden, und als Eins mit dem Vater glauben, und sich wenigstens nicht in geringerem Maße als die Neukirchenchristen bestreben, nach Seinen Geboten zu leben.
Adversaria iii, 6965-6966 bezeugt ferners Swedenborg: daß wenn ein Engel einem Menschen,
durch welchen Worte der Inspiration ausgesprochen oder niedergeschrieben werden sollen,
Worte des Herrn einhaucht, so daß er zugleich auf dessen Gemüth einwirkt, so regt er bei
demselben ein Denken an, welches in gewöhnlicher Weise in menschliche Ausdrücke fällt.
Diese Ausdrücke sind solcher Art, wie sie eben bei dem Menschen vorhanden sind, der beeinflußt wird, und sind stets seiner speziellen Auffassung und seiner besonderen Lebensform
gemäß. Dies nun ist die Ursache, warum der Styl und die Worte auch bei Jakob Lorber immer
der analytischen Form seines Denkens und seines individuell persönlichen Wesens gemäß
war, das er schon vor seiner Beeinflussung sich in seinem gewöhnlichen Erfahrungsleben
angeeignet hatte. Durch seinen intellektuellen Karakter wurden demnach die vom Herrn
durch Engel ihm auf innerem Wege eingehauchten Worte immer individuell ein wenig verändert. Diese unumstößlich gewiße Thatsache ist denn auch die Ursache der hie und da in den
durch ihn vermittelten Offenbarungen vorkommenden vulgären, ja zuweilen trivialen und
banalen Ausdrücke, sowie auch der, bei natürlichen Sachen vorkommenden, offenbar starken
Übertreibungen. Lorber mochte vielleicht von Jugend auf ein Mensch gewesen sein, der sich
50
Siehe im Nachwort weiteres hierüber. Der Hsg.
78
Adalbert Jantschovitsch
gerne in Extremen bewegte, sich in Superlativen gefiel.51 Darauf deuten die manchmal allzu
voll genommenen, überschwänglichen Redewendungen hin. Das hindert aber einen gutgewillten Menschen gewiß nicht, das, was der Herr durch ihn natürlich Gutes und Wahres uns geschenkt hat, und das so vortrefflich, so erhaben, so der anbetungswürdigsten Liebe und
Barmherzigkeit, wie der Göttlichen Majestät und Herrlichkeit des Herrn voll ist, daß eine wissentliche Leugnung und Mißachtung desselben einer Versündigung wider den heiligen Willen
Gottes gleichkäme – in allertiefster Ehrfurcht gebührend zu Herzen zu nehmen! Lorber war
eben kein hochgelehrter und feingebildeter Mann von aristokratischen Umgangsformen wie
Swedenborg, aber dafür nur ein um so demütigerer, äußerst bescheidener Mann, von tiefster
Frömmigkeit und Wahrheits- und Menschenliebe. Die durch ihn vermittelten Offenbarungen
bezeugen sich gerade so durch sich selbst, wie jene des hochgelehrten Swedenborg. Wer es nicht
glaubt, den laden wir freundlichst ein, indem wir ihm, wie einst Philippus dem Nathanael, auf
dessen unvernünftige Frage: »Was kann aus Nazareth Gutes kommen«? (Joh. 1,47) antwortete:
»Komm und siehe!« gleichfalls antworten: Komm und lies selbst, und lasse Dich nicht wie ein
unmündiges Kind am Gängelbande von einem Priester »anführen.«
Der anmaßenden Behauptung des Görvitz gegenüber, wornach zwischen dem Menschen Swedenborg und dem Menschen Lorber keinerlei Verwandtschaft oder Ähnlichkeit bestehen soll,
weil bei Lorber keine Rede sein könne von einer »Auffassung mit dem Verstande« dessen was
er niederschrieb, behaupten wir unsererseits das gerade Gegenteil. Es gilt von dem großen
Evangelium Johannes, um das es sich speziell in der Meinung des genannten Kritikers besonders handelt, genau dasselbe, was weiland Graf Höpken, der schwedische Staatsminister in
den 70er Jahren des 18ten Jahrhunderts dem ihm persönlich befreundet gewesenen Swedenborg über seine Schriften sagte, als er ihm seine vielen, auf Schwärmerei deutenden Denkwürdigkeiten zum Vorwurfe machte, und dieser ihm darauf erwiederte: daß keine
Einbildungskraft in ihm diese Offenbarungen hervorgebracht habe, sondern er sie eigens auf
Befehl des Herrn niederschreiben und veröffentlichen mußte. Auch in Lorber’s großem Werke
finden wir allerdings viel Ungewöhnliches, Extravagantes, und stoßen auf so Manches, das
einen ungeordneten Verstand anzeigen möchte, allein wir fragen hier, machten um eben solcher Ursachen willen denn nicht auch Männer, wie Kant, Wieland, Herder, Klopstock, Ekendahl, Jung-Stilling, Atterbom, Görres, Professor Scherer und viele andere Berühmtheiten der
Literatur des 18ten und 19ten Jahrhunderts, besonders weil sie sich Swedenborgs Memorabilien durchaus nicht zu erklären vermochten, und in diesen hauptsächlich den ihnen unentwirrbar scheinenden Knoten fanden worüber sie sich in ihren Urtheilen über ihn nicht zu
einigen vermochten, in grundlosester Weise Vorwürfe, wie die: eines Geistersehers, Schwärmers, Verrückten, Erzphantasten, Träumers wilder Chimären, unaussprechlich alberner Gestalten, abenteuerlichster und seltsamster Einbildungen, wilder Hirngespinste, kindischer
Vorstellungen, Mißgeburten und Mondkälber u. s. w.? – Wohin sind denn nun alle diese Berühmtheiten mit ihren verschrobenen Urtheilen, vermittelt welcher sie so arg gegen Swedenborg’s Schriften gleich anfänglich wütheten, gekommen? Erwiesen sich ihre Angriffe gegen
Swedenborg nicht hintendrein eben so falsch und verleumderisch, wie jetzt diejenigen des
Geistes-Pygmäen F. Görvitz gegen Lorber? Ist wirklich keinerlei Verwandtschaft oder Ähnlichkeit zwischen Lorber und Swedenborg, wenn Letzterer unter Nummer 150 und 6597 seiner
Himmelsgeheimnisse, dann Adversaria Band II, Zahl 1654, und Apocalypsis revelata Nummer
953 ausdrücklich bezeugt: »daß er bei den ihm vom Herrn zu Theil gewordenen Offenbarungen gar nichts aus sich selbst dachte; daß ihm gegeben wurde deutlich inne zu werden daß jede
51
Dieß soll aus unbewußten Reminiszenzen aus seinem Vorleben aus einer Riesensonnenwelt zumal in
halb geistigem Zustande eingeflossen sein; dies bezieht sich aber nicht auf geistige, sondern nur auf
natürliche (wertlose) Dinge. D. Hsg.
Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors …
79
Denkvorstellung in ihn einfloß; daß ihm der innere Sinn des Göttlichen Wortes aus dem Himmel diktirt (dictatus) worden ist; daß der Herr, der als Jesus in der Welt war, ganz allein die
Apocalypse enthüllt habe; daß Er allein durch Engel, Geister und selbst auf Erden lebende
Menschen spreche, weil außer Ihm Niemand lebe, und Alle nur werkzeugliche Ursachen seien,
weßhalb auch kein Wort das er, Swedenborg, vorbringe oder schreibe, sein sei, was er heilig
betheuern könne, so daß, wenn irgend Jemand nur ein Jota von seinen Schriften, welche
Wahrheiten sind, ihm zuschreibe, dem Herrn dadurch solches Unrecht zufüge, daß es von
Niemandem, als nur von Ihm Selbst verziehen werden könne.«
Ist nun unter thatsächlich so bewandten Umständen der Unterschied zwischen Swedenborg
und Lorber nicht eben nur der, welchen wir voranstehend bereits angedeutet haben, nehmlich:
daß Swedenborg mehr geistig, die durch ihn vom Herrn allein gegebenen Offenbarungen, daher
innerlicher, aber in doktrinärer Form, Lorber dagegen mehr natürlich, daher auch äußerlicher,
in erzählender, gerade darum aber dem heute lebenden, fast ganz naturmäßig gewordenen
Menschengeschlechte zusagenderer Form niederschrieb?
Die rein aus der Luft gegriffene, weil mit nichts motivirte Behauptung des F. Görvitz: daß der
Mensch Swedenborg und der Mensch Lorber, in welche beiden doch ein und derselbe Gottesgeist des Herrn Jesus Kristus einfloß, und sich durch sie bethätigte, obschon in jedem der
Verschiedenheit seiner Lebens-Aufnahmsform angemessen, keinerlei Verwandtschaft oder
Ähnlichkeit mit einander haben, erweiset sich daher ebenfalls nicht nur als entschieden unwahr, sondern es beging F. Görvitz dadurch, daß er sich vermaß, ein vom Herrn ganz zweifellos eingegebenes, großartiges Offenbarungswerk, welches gar keinen andern Nutzzweck haben
kann als die Macht der Hölle, der geistigen Finsterniß auf Erden, einzudämmen, und in Millionen Herzen sogar für immer zu brechen, weil es gerade so, nur noch ausführlicher, als Swedenborg’s Enthüllte Offenbarung und Wahre Christen-Religion, alle Krebsschäden
schonungslos aufdeckt, an welchen die Menschheit nun schon seit mehr als Zweijahrtausenden laborirt und dahinsiecht, solch erlösendes Licht positiv als das Truggebilde eines Truggeistes zu erklären, die Sünde gegen den heiligen Geist, die laut Matth. 12,31-32, weder in dieser,
noch in jeder Welt vergeben werden kann. Denn bei klarer gesunder Vernunft läßt es sich
entschieden nicht annehmen: daß die Hölle selbst ihr Reich auf Erden durch ihre eigenen
Werkzeuge zerstöre! ––
Aber der neukirchliche Oberpastor F. G., scheint uns, unserer subjektiven Überzeugung nach,
ein (Schwarz-) Künstler zu sein, wie solcher Swedenborg in seiner Denkwürdigkeit Nummer
388 der W. Chr. R. gedenkt, die aus schwarz weiß, und uns weiß schwarz machen können,
indem sie jeden Gegenstand mit einer Schminke überziehen, die Sachvorstellungen in Wortvorstellungen verwandeln, und die Wahrheit selbst so unter Formeln verbergen; die also nicht
eigentlich durch das was sie lehren und predigen, sondern was sie arglistig dabei verschweigen, das sie aber in Gemäßheit des innern geistigen Sinnes des 33. Capitels Ezechiel
Vers 6 und 7 aber als Kirchenvorsteher niemals verschweigen dürften, sich aus selbstsüchtigem Interesse, Indolenz und Geistesträgheit zu Todtengräbern der Göttlichen Sache des Herrn
zu machen.
Auf die, wieder mit nichts begründete, von F. Görvitz jedoch mit dünkelhaftem geistlichem
Unfehlbarkeits-Spleen gleich von vornherein auf’s allerentschiedenste verneinte Frage: »ist
nun in diesen Schriften (Lorber’s nämlich) die gleiche Wahrheit enthalten, wie in den Schriften Swedenborg’s? Strahlt aus ihnen der Geist und das Leben der heiligen Schrift hervor? wodurch das Wort Gottes heilig und göttlich ist?« antworten wir aufs ebenso allerentschiedenste
mit: ja, ja! zwar nicht der Form, aber dem Wesen nach, in den Hauptsachen die ganz gleiche
Wahrheit, aus Liebe zum ewig Guten, Schönen und Heilbringenden! Denn das durch Lorber
vom Herrn geoffenbarte große Evangelium Johannes, ist in Wahrheit ein ganz außerordentlich
80
Adalbert Jantschovitsch
lehrreiches, fast möchten wir sagen erschöpfendes Erläuterungswerk des kleinen, in den Kanon
des Göttlichen Bibelwortes aufgenommenen Evangeliums Johannes.
Nach Swedenborg § 9192 der himmlischen Geheimnisse werden alle Menschen verdammt,
die zwar in den ächten Wahrheiten der Lehre, aber nicht zugleich im Guten des Lebens, aus
gegen Jedermann wohlwollender Liebe sind.
Nach § 3993-94 der himmlischen Geheimnisse Swedenborg’s giebt es auch unschädliches
Böses, mit welchem Gutes, und eben so aus harmloser Unwissenheit, die nicht selbstverschuldet ist, stammendes Falsches, mit welchem Wahres, ohne Gefahr der Entweihung vermischt werden kann, weil, wenn dies nicht der Fall wäre, gar nie irgend ein Mensch selig
werden könnte.
Fedor Görvitz ruchlose Behauptung aber, daß »das umfangreiche Lorber’sche ›Evangelium
Johannes‹ im Lichte der himmlischen Lehren nichts anderes sei, als eine Entweihung des
heiligen Gotteswortes durch läppische Zusätze, von denen sich der im Lichte der Neuen Kirche Stehende mit Grauen abwenden müße«, sind wir gezwungen, als eine seinerseits auf
totaler, aber selbstverschuldeter Unwissenheit und Unkenntniß dieses höchst erhabenen Göttlich
geoffenbarten Werkes beruhende Schändung und böswillige Fälschung der Wahrheit zu bezeichnen. Die von Fedor Görvitz, als angeblich »drastisches Beispiel« für seine Waghalsigkeit
angeführten Seiten enthalten durchaus nichts von solchen Zusätzen; dessen Behauptung: daß
diese so abscheulich wären, daß es ihm (F. Görvitz) unmöglich sei, eine solche Entweihung
der heiligen Schrift in seinem Fachblatte wiederzugeben, ist nur ein heuchlerischer Vorwand,
dahinter sich seine Absicht zu Schaden gleißnerisch verbirgt. Von einer Entweihung kann nach
den Nummern: 2051, 10287 der »himmlischen Geheimnisse« und 226-230 des Werkes von
der »Göttlichen Vorsehung«, gar keine Rede sein, weil grundsätzlich Heiliges nur diejenigen
entweihen können, die innerhalb der Wahren christlichen Kirche sind, nicht aber die außerhalb stehen, wie dies thatsächlich mit Lorber der Fall war. Siehe 6959 und 3757 der himmlischen Geheimnisse! Wohl aber entweihte thatsächlich, im Sinne der Nummern 10652 und
4601 der himmlischen Geheimnisse der übelwollende Angreifer! Auch dessen bloßem Beredungsglauben, wohnt im Sinne des § 8148 der himmlischen Geheimnisse Entweihung inne!
Was hingegen die zum Beweise der von Görvitz behaupteten, angeblich »großsinnlichen Ausschmückung des heil. Textes,« aus einem Werke von 10 dicken groß Octav-Bänden angeführten ganzen zwölf Zeilen anbelangt, so hat damit der Genannte nur seine eines Obergeistlichen
der Neuen Kirche völlig unwürdige Arglist entlarvt, indem er durch Verdrehung der Wahrheit,
diesen Zeilen gewaltthätig einen falschen Sinn unterschob, welchen sie in der Wirklichkeit
nicht haben. Dieses arglistige Kunststück gelang ihm dem Scheine nach dadurch, daß er gewohnheitsmäßig die Thatsache verschwieg, daß der Herr durch Swedenborg ausdrücklich
lehret: daß alle Ausdrücke des Göttlichen Wortes nicht nur eine doppelsinnige, sondern laut §
4816 der himmlischen Geheimniße auch in der Regel eine ganz entgegengesetzte Bedeutung
haben, je nach der Stellungnahme der Worte zu dem Gegenstande, von welchem die Rede ist,
nämlich bald eine im bösen bald wieder eine im guten Sinne des Wortes gemeinte, wie beispielsweise aus den Nummern 2336, 3901, 9065, und 9090 der himmlischen Geheimniße
ganz klar erhellt. In den von Görvitz als »geistiger Sinn« zitirten wenigen Zeilen, ist – wie doch
klar auf der Hand liegt, die geistige Bedeutung der »Schafe« im üblen Sinne gemeint. Denn
Schafe sind erfahrungsgemäß wirklich stupide Thiere, und können füglich auch als Sinnbild
der Dummheit angenommen werden. Das deutsche Schimpfwort »Schafskopf« hat von dieser
unleugbaren Natur dieser Thiere her die volle Anwendbarkeit erhalten, weil Schafe im allgemeinen, wie die Erfahrung es lehrt, so stupid sind, daß sie z. B. bei hereinbrechenden Gefahren, namentlich beim Ausbruch von Feuersbrünsten, in ihren Ställen, sich dicht
aneinanderpressend und die Köpfe zusammensteckend, lieber im Qualm des Rauches ersticken und nachher verbrennen, als daß sie, selbst bei sperrangelweit ihnen geöffneten Thüren
Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors …
81
sich durch die Flucht retteten. Bei so erfahrungsgemäßer Natur, dieser Thiere können daher
dieselben vollkommen richtig auch als Sinnbilder der Dummheit und der Stumpfsinnigkeit,
ebenso wie der Ochse gelten, und werden auch in diesem üblen Sinne bei Jesajah 53,6; 66,3.
Psalm 49,15; 44,12; 119,176. namentlich aber bei Jeremias 12,3 dann Ezechiel 34,21 und
anderwärts, als Sinnbilder der Einfältigkeit oder Geistesbeschränktheit im Worte Gottes gebraucht. Die gleißnerische Heuchelei des leichtfertigen Kritikasters, mit seiner Bemerkung:
»Dieß allein sollte schon hinreichen, jeden nur einigermaßen Bibelkundigen von der Verkehrtheit solcher Bibelauslegung zu überzeugen,« liegt hier also ganz offen zu Tage, und sollte
Jeden wirklich überzeugen von der künstelei Verdrehungskunst desselben.
Dergleichen Verdrehungskunst bediente sich Görvitz auch bei den Ausdrücken: »Handel und
Krämerthum.« Daß dieselben in den zitirten Zeilen, nur im bösen Sinne gemeint sein können,
liegt doch offenkundig aus dem Sachzusammenhange auf der Hand! Die Habsucht gewinnsüchtiger Kaufleute, die nach Art der geldgierigen Pharisäer damals den ganzen Handel in
Capernaum in Händen hatten, hatte in dieser Stelle der Herr im Auge. Das liegt so sonnenklar
vor, daß man billig nur sich wundern kann, wie böser Wille unter allen Umständen etwas
Tadelnswerthes finden zu wollen, so sehr verblendet, daß derselbe nur Falsches statt der
Wahrheit sehen kann. Was verdammte denn der Herr stets mit der allergrößten Entschiedenheit mehr, als die Laster des Geizes, der Habsucht und Gewinnsucht, der bloßen Geldgier um
des Zusammenscharrens von Reichthümern willen? Namentlich verabscheute der Herr geldsüchtige, genußsüchtige Geistliche, wie beispielsweise die habgierigen Pharisäer und Schriftgelehrten es waren, denen Er die Hölle zuerkannte! Wir erinnern nur an Mathäus 23,25, wo der
Herr die Habgier der Pharisäer wegen ihrer Genußsüchtigkeit so scharf an den Pranger stellt,
daß er sie inwendig voll der Raublust nennt; dann an die Nummern 5432, 5433, 9265, 9267
der »himmlischen Geheimnisse«, wo der Herr das Laster der Habgier auf’s Allerschärfste verdammt, mit der so triftigen Motivirung bei Lukas 9,25. Endlich an die Nummern 5432-33,
6914, 8148 und 10309 der »himmlischen Geheimnisse«, wo der Herr die Teufelsbeschaffenheit gewinnsüchtiger Priester und Prediger in’s rechte Licht stellt, und sie »Entweiher« auch
nennt. Überdies lehrt der Herr durch Swedenborg in den Nummern 4612 und 5433 der himmlischen Geheimniße, daß gewinnsüchtige Menschen überhaupt keine Neigung zum Göttlichen
Wahren um ihres Lebens Willen haben, weil die Neigung zum Gewinn eine irdische Neigung
ist, die Neigung zum Wahren um des Lebens willen, aber eine geistige Neigung ist, sohin die
eine die andere ausschließt. Die Anwendung des Ausdrucks »Handel und Krämerthum« im
üblen Sinn des Wortes wurde also in der berührten Stelle geistig vollkommen richtig erklärt
und gebraucht.
Wie entsetzlich heuchlerisch und arglistig verdreht dagegen Görvitz diese Ausdrücke in seinem Fachblatte, als ob sie nur einen Sinn für’s Gute allein hätten, und fügt ihnen, in wahrhaft
pharisäischer Weise, eine Moralpredigt an, um dahinter seine böse Absicht zu verbergen, der
neu-theosophischen Literatur den Garaus zu machen; kann aber doch nicht umhin, diese zu
verrathen, indem er aus seiner eigenen falschen Auslegung den Schluß zog, dessen wir voranstehend schon bei der Verdrehung des Sinnes des Wortes: »Schafe« gedachten. F. Görvitz
warnt nehmlich seine Leser vor einer Verkehrtheit in dem Augenblick, wo eben er selbst sich
einer solchen Verkehrtheit thatsächlich schuldig macht, indem er den fraglichen Ausdrücken
ganz ungenirt einen falschen Sinn unterschiebt, welchen sie nach der Satzstellung gar nicht
haben können. Wem da nicht die Augen aufgehen darüber, wie wenig gewissenhaft unser
Angreifer es mit der Wahrheit nimmt, dem kann wohl schwerlich geholfen werden! Es ist
sonnenklar ersichtlich, daß F. Görvitz in diesem Falles es genau so machte, wie die ungerechten Richter, derer Swedenborg in seiner Denkwürdigkeit Nummer 332 der Wahren KristenReligion gedachte, und von denen der Herr zeigt: wie verschmitzt und gewandt sie, aus Rücksicht auf eigenen Vortheil, die Sache zu wenden und zu drehen verstehen, um ihr den Schein
82
Adalbert Jantschovitsch
der Gerechtigkeit zu geben, während sie doch selbst gar nichts, was gerecht und billig ist zu
sehen vermögen, aus dem Grunde, weil alle ihre Urtheile nur Vorurtheile sind, und dieses
Vorurtheil der Sache von Anfang bis zu Ende folgt; daher sie nichts Anderes sehen, als was in
ihrem eigenen Interesse ist; bei Allem was gegen dasselbe ist, verdrehen sie die Augen und
umspinnen die Sache mit Vernünfteleien, wie die Spinne ihren Fang mit Fäden, um sie hinterdrein zu zerreißen. Daher kommt, daß wenn so beschaffene Kritikaster nicht das Gewebe
ihrer persönlichen Vorurtheile verfolgen, sie gar nichts vom Rechten oder von der wirklichen
Wahrheit sehen können; denn sie sind, wie Engel dies bezeugten in gedachter Denkwürdigkeit,
nur Zerrbilder von Menschen. Ihr Loos im andern Leben ist ein grauenvolles und wird in
dieser Denkwürdigkeit beschrieben.
Die von G. ferner aufgestellte völlig unwahre Behauptung: daß die Göttliche Wahrheit: daß der
Herr, Jesus Kristus, Jehovah Selbst sei, von dem angeblich Lorber’schen Truggeiste verfälscht
und geschändet wird, indem er sich selbst für den Herrn ausgiebt und sich selbst an die Stelle
des Herrn stellt, ist durch Joh. 17,3; Mark. 9,39-40; I. Corinth. 12,3; I. Joh. 2,22; 4,1-3; 15; dann
II. Joh. 7,9; also von einer um unendlich Vieles höheren Weisheit, als die After-Weisheit Fedor
Görvitz ist, auf’s klarste widerlegt. Denn eine Wunderthat ist das große Evangelium Johannes
wirklich. Kann wohl ein solches Riesenwerk, welches die ganze dreijährige Lehrtätigkeit des
Herrn bis in seine kleinsten Einzelheiten schildert, und mit vollständigem Personen-, Ortsund Alphabetischem Sach-Register, nebst Inhaltsverzeichnissen versehen in allem Wesentlichen mit Gottes Wort und den himmlischen Lehren der Neuen Kirche in harmonischester Übereinstimmung stehet, und in welchem klar denkende hervorragende Männer den wahren und
ächten Kern der Lehre des Gottmenschen Jesus gefunden und unerschütterlich zur Richtschnur
ihres Lebens genommen haben, frage: kann solch Herrliches anderswoher als aus reiner
himmlischer Quelle, nehmlich aus dem inneren Gedächtnisse eines Augen- und Ohrenzeugen
nach dem Muster: I. Joh. 1,1-3, also des nunmehrigen Engelgeistes des Apostels Johannes
selbst kommen52, der ja laut Swedenborg’s untrüglichem Zeugnisse in Nummer 791 der Wahren Kristen-Religion, mit den andern elf Jüngern des Herrn, von Ihm, u. z. am 19. Juni des
Jahres 1770 in die ganze geistige Welt ausgesandt worden ist, um die Heilsbotschaft: daß der
Herr Gott Jesus Kristus das ganze Weltall regiere, von Neuem zu verkündigen!? Aus dem inneren Gedächtnisse dieses apostolischen Engelsgeistes sagen wir, und bemerken: daß uns über
die wundervolle Beschaffenheit des inneren Gedächtnisses eines jeden Engelmenschen, Swedenborg in den Nummern 2469 bis 2494, dann 4018 und 1197 der himmlischen Geheimnisse, die höchst erstaunlichen Aufschlüße giebt.
Wir wiederholen darum, daß ein solches Gotteswort, welches genau mit den in den Evangelien berichteten Thatsachen übereinstimmt und diese nur umständlicher, erschöpfender, in
natürlicher Sprache, in welcher nach den Zeugnissen Swedenborg’s u. z. in dessen Werken:
Eheliche Liebe 326, Wahre Kristen-Religion 280, Geistliches Tagebuch 2137 und 2309, dann
auch in Himmel und Hölle 246, alle Engelsgeister mit Menschen sprechen, erzählend erläutert; welches außerdem in ausgezeichneter Weise die erhabene Majestät und Göttliche Würde
des Herrn in’s glänzendste Licht stellt, und, unseres Dafürhaltens, ganz zweifellos nur vom
Apostel Johannes 53 dem Jakob Lorber diktirt, d. h. vom Herrn selbst, durch den nunmehrigen
Engel Johannes, dem Lorber aus dem Himmel vorgesagt worden ist, und bei dessen Lesen
natürliche Menschen, wie es auch General Tuxen in Helsingör im Jahre 1790 beim Lesen der
Swedenborg’schen Denkwürdigkeiten gethan hat, sich alles Urtheilens über Dinge, welche sie
nicht sofort verstehen können, zu enthalten haben, bis sie besser unterrichtet sind, mehr und
gründlicher dieselben erforscht haben; ein solches Gotteswerk sagen wir, ohne Weiters, nach
52
53
Siehe näheres hierüber im »Nachwort« und Anhang. D. Hsg.
Siehe Nachwort.
Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors …
83
bloß flüchtigem Durchblättern einiger Seiten – denn über die 34. Seite ist Görvitz, aus lauter
Grauen und Abscheu, wie er in seinem Schmähartikel es selbst eingesteht, nicht hinausgekommen – gleich als Truggebilde eines Truggeistes öffentlich zu brandmarken, ist – weil aus
Indolenz und Geistesträgheit, in der Absicht begangen, die neu-theosophische Literatur im
allgemeinen bei den Zeitgenossen in Mißkredit zu bringen – eine arge Versündigung wieder
den heiligen Geist Gottes.
Was erkühnt sich denn so ein Ober-Bonze der »Neuen Kirche« gar so sehr, daran Anstoß zu
nehmen: daß in unseren Tagen, wo doch das heilige Jerusalem, laut Apocalypse 21,10 erst
herabsteigt aus dem zu Swedenborgs Zeiten noch in der Gründung und Bildung begriffen gewesenen Neuen christlichen Himmel, auf diese in Allem allmälig Neu werdende Erde, thatsächlich solch‘ ergänzende und vervollständigende Offenbarungen stattfanden, deren Kommen
ja Swedenborg selbst vorausgesagt hat, u. z. wie wir voranstehend schon gesagt haben, in seinem eigenhändigen Schreiben an den Prälaten Oettinger vom 11. November 1766 mit den
Worten: »Einigen wird auch noch eine redende Erleuchtung gegeben werden, die mehr als ein
Zeichen sein wird«. Nun, eine solch redende Erleuchtung, d. h. Vorsagung längst entschwundener, aber nunmehr zum Ausbau der ewigen Neu Jerusalems-Kirche unumgänglich nöthiger,
heiliger Ereignisse der Geschichte der Menschwerdung Gottes auf dieser Erde, ist eben dem
außerordentlich demütigen und frommen, menschenfreundlichen Manne, Jakob Lorber vom
Jahre 1840 an durch 24 Jahre fortgesetzt zu Theil geworden.
Die Ausführungen der Ergebnisse dieser redend empfangenen Erleuchtung als eine »Entweihung des heiligen Gotteswortes durch läppische, abscheuliche, grobsinnliche Zusätze« zu
deklarieren, blos deshalb, weil es dem für sein geistliches, angemaßtes Monopol blind eifernden Görvitz beliebte, sie so für sich aufzufassen, ist eine That, die derselbe noch schwer zu
verantworten haben dürfte!
Daß es dem Herrn gefallen hat, jetzt die längst in Vergessenheit gerathene, ganz ausführliche
Geschichte Seiner Menschwerdung von Neuem, in wunderbar getreuer, interessanter erzählender Form, in natürlicher Sprache der Menschheit wieder zugeben, ist ein Ausfluß Seiner
unendlich liebreichen Fürsorge für dieselbe, wofür kein Mensch je genug dankbar sein
kann!!! ––
Ein Truggeist jedoch, wie ihn sich die wirklich läppische Einbildungskraft des Fedor Görvitz
denkt, würde es gewiß in Ewigkeit niemals wagen, sich so umständlich und erschöpfend, bis
in die allergeringsten Details der Gottpersönlichen Erfahrungen, Erlebnisse und Gespräche
des Herrn, im Namen und in der Person desselben zu manifestiren, denn Paulus sagt I. Corinth. 12,3: »daß Niemand Jesus einen Herrn heißen kann, er rede denn durch den Heiligen
Geist«; und Johannes sagt I. 4,2: »Jeder Geist der da bekennet, daß Jesus Kristus ist in das Fleisch
gekommen, der ist von Gott,« und sagt weiters: II. 7. »Die Jesus Kristus nicht bekennen als in’s
Fleisch gekommen, die sind die Verführer und Widerchristen«; und Swedenborg sagt: Nummer
297 der W. Chr. R., daß dieser heilige Name, vor welchem sich beugen alle Knie in den Himmeln wie auf Erden, böse Geister nicht einmal aussprechen können, und sagt unter Nummer
2321 der himmlischen Geheimniße, daß alle Bösen eine solche Furcht und Grauen haben vor
dem Heiligen des Herrn, daß sie demselben gar nicht einmal nahen können, sondern weit davon
hinwegfliehen. Ja alle bösen Geister, (Satane und Teufel) gerathen schon bei der bloßen Nennung des Namens des Herrn in eine unsinnige Tollwuth; infolge dessen sie auch sogleich in
ihre Höllen hinabsinken. Sie haben einen solchen Haß gegen den Herrn, daß sie Ihn am liebsten ermorden würden, wenn sie es vermöchten, denn sie schreiben Ihm alle ihre Qualen und
Martern zu, welche sie im andern Leben, wegen der unerläßlich nothwendigen, gewaltsamen
Zurückdrängung ihrer Luftreize zum Übelthun, erleiden müssen, während sie doch nur selbst
daran die Schuld sind; wie der Verbrecher auch schon in dieser Welt, nur selbst daran Schuld
ist, wenn er in den Kerkern Hartes erleidet. Überdies aber muß man es wissen, daß, wie der
84
Adalbert Jantschovitsch
Herr in der Nummer 10808 der himmlischen Geheimnisse durch Swedenborg, zum unaussprechlichen Troste aller guten Menschen lehret: das Böse immerdar, obgleich in aller Freiheit befindlich, doch vom Guten des Herrn auf so unaussprechliche Weise gebunden ist, daß
das Gute stets das Böse führt, und es im Zaume hält, damit es nicht nach Belieben handeln
kann, und das Gute auf diese Weise doch das Böse lenket, wohin es will, ohne daß das Böse es
weiß; das wenige Irrthümliche aber, welches doch bisweilen, bei dergleichen außerordentlichen Göttlichen Offenbarungen sich einschleicht, trotz aller Behutsamkeit und Vorsicht Seitens des Herrn, wegen der unabwendbaren Schwächen der Werkzeuge, derer sich der Herr
hierbei zu bedienen genöthigt ist, wenn es nur nicht Böses entschuldigt, oder gar damit verknüpft ist, sondern nur aus Unwissenheit und Einfalt stammt, und wider das Gute des Lebens
der Gottes- und Nächstenliebe nicht streitet, die Beschaffenheit des bösen, im Sinne der Nummern 8311 und 10648 der himmlischen Geheimnisse fast ablegt und nicht verdammt, weil
und so weit Unschuld darinnen ist.
Was hätte denn die geradezu unsinnige Annahme F. Görvitz für einen Zweck? Es kann doch
vernünftiger Weise unmöglich angenommen werden, daß, wie wir voranstehend schon bemerkt haben, die Hölle selbst ihr Reich auf Erden durch ihre eigenen Organe zerstören werde?
Durch das große Evangelium Johannes aber, wenn einmal von den Menschen als Gemeingut
zur Richtschnur des Handelns gemacht, würde sie es doch sicherlich stark geschädigt, ja
nahezu ganz zerstört, entschieden jedoch in keiner Hinsicht gefördert haben.
Wenn die geschichtliche Heilsperson Jesus Kristus, der wirkliche und wahrhaftige, allmächtige Gott Selbst war, was eben durch diese große Heilsbotschaft des Neu-theosophischen Lichtes
in’s Einzelnste gehend, noch mehr als es schon ist, bewiesen wird, so müssen solche Dinge,
wie in Lorber‘s Johannes-Evangelium geschildert werden, Ihm auch möglich gewesen sein,
denn bei Gott sind alle Dinge möglich, mit einziger Ausnahme des Handelns gegen Seine
Weisheit und Seine von Ewigkeit her in die Schöpfung eingeführte göttliche Ordnung, als
Ausfluß Seiner Weisheit. Die erzählenden Schilderungen enthalten durchaus nichts Seltsameres und Ungewöhnlicheres, als auch in Swedenborg’s Memorabilien zu finden ist. Swedenborg
hat übrigens ausdrücklich betheuert, daß er noch gar Vieles hätte sagen können, es wurde
ihm aber dazumals, wo die Geisterwelt von der immensesten Zahl verführerischer Geister der
Höllen noch nicht so gesäubert war, wie es jetzt der Fall ist, vom Herrn vorsichtshalber nicht
gestattet. Swedenborg enthielt sich auch, wie er unter Nummer 224 der W. Chr. R. versichert:
der Anführung vieler Erfahrungsbeweise aus der geistigen Welt, weil solche, seiner subjektiven Meinung nach, allen Glauben der Menschen (seiner Zeit nämlich) überstiegen hätten, ja
als völlig unglaublich erschienen wären. In Lorber’s Johannes-Evangelium finden sich nun
solche Erfahrungsbeweise in Menge, und doch steht es dem kurzsichtigen MenschenVerstande nicht zu, daran zu zweifeln, bloß weil seine subjektive Geistesbeschränktheit diese
nicht zu begreifen vermag. Es wäre dies nur eine sehr schwere Versündigung am Herrn, der
eine kindliche Gläubigkeit bei Matth. 18,3, seinen Kindern zur grundlegenden Bedingung
macht, behufs Erlangung des ewig glückseligen Lebens.
In vollkommen ähnlicher Weise, wie schon seit Jahren der ofterwähnte Neukirchen-Geistliche,
seine Person mit der Neuen Kirche identifizierend, es für seine angebliche Pflicht hielt, Andere vor den Gefahren des Lesens der Bücher der Neu-theosophischen Literatur zu warnen, und
sie davor, durch Geltendmachung hierarchischen Autoritätsschwindels abzuhalten, hielten es
auch weit über ein Jahrhundert lang die einflußreichsten Mitglieder der katholischen und
protestantischen Hierarchie für geboten, ihre Schäflein vor dem Lesen der angeblich verderblichen, ketzerischen Bücher Swedenborg’s zu warnen, und sie mit allen nur ersinnlichen Praktiken davon abzuhalten. Dadurch aber bewies Görvitz: daß er durch 66 Jahre nichts gelernt,
weil er um nichts klüger und um nichts besser geworden ist, als seine ehemaligen Feinde auf
kirchlichem Gebiete.
Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors …
85
Was haben nicht schon fanatische Selbstflüchtlinge für ihre heilige Pflicht angesehen? Welche
Ströme von Blut sind nicht schon gefloßen unter diesem bequem zu handhabenden Vorwande? Katharina von Medici hielt es auch vor Zeiten für ihre Pflicht, um der Befriedigung ihres
persönlichen Ehrgeizes willen die fluchwürdige Bartholomäusnacht zu veranstalten. Hält der
Schmähschriftenschreiber vielleicht es auch für seine Pflicht, nach ähnlichem Ruhme zu
streben? Warum hält es derselbe nicht vielmehr für seine heilige Pflicht, nach dem apostolischen Grundsatze: I. Thessa. 5,21: »Prüfet Alles, und das Gute behaltet«! – der Göttlichen Regel
gemäß zu verfahren, welche Paulus so unnachahmlich geistvoll in die Worte zusammenfaßte:
»Lasset Alles in Liebe geschehen! (I. Corinth 16,14) Denn die Liebe thut dem Nächsten nichts
Böses; darum auch die Liebe des Gesetzes Erfüllung ist!?« Nun – die Antwort auf diese Frage
ergibt sich wohl, mit Rücksicht auf die voranstehend erbrachten Beweise – ganz von selbst.
Es soll indeß hier noch festgestellt werden: daß F. Görvitz, laut seinem eigenen Geständniße,
das Substrat seiner wiederholten Schmähartikel gar niemals gelesen, sondern nur im ersten
Bande von zehnen flüchtig herumgestöbert hat. Er hat also thatsächlich, wie ein Blinder über
Farbenpracht geurtheilt. Wer aber zum Richter über eine Sache sich aufwirft, der muß diese
vor Allem gründlich kennen, die Verhandlungsakten darüber erschöpfend studiert haben,
widrigenfalls sein Urtheil nur ein ungerechtes, ein falsches sein kann. Da Görvitz dieser Mühe
sich entschlug, so ist sein Richterspruch nicht nur inkompetent, sondern auf Selbstbetrug
basirt, und darum entschieden falsch.
Daß auch die Schlußfolgerung desselben, wornach angeblich, der Leser dieser theosophischen
Schriften nicht zur Anbetung des Herrn geführt wird, der sich im Worte Gottes offenbart, sondern nur zur Anbetung des (in Görvitz Einbildung nämlich vorhandenen) Truggebildes, das
durch die von ihm in’s Blaue hinein kecklich nur behauptete, aber mit gar nichts bewiesene
Fälschung des Wortes, durch, nach F. Görvitz subjektivem Geschmacke, angeblich abscheulich seiende Zusätze zum heiligen Evangelium entstanden sein soll?, eine mit gar nichts erwiesene, grundfalsche Behauptung ist, beweiset eben die edle Dame, die durch ihre bescheidene
Anfrage, dem Schmähartikelschreiber den ihm hochwillkommenen Anlaß bot, der christlichen
Neu-Theosophie zum dritten Male wieder einen derben Fußtritt versetzen zu können. Gedachte
edle Dame, die vor nun bald 10 Jahren Gottes heiliges Bibelwort kaum kannte, es aber trotzdem ungläubig, laut eigenem Eingeständnisse, scharf verurtheilt hatte, ist nun (eben so, wie
schon viele tüchtige Männer und Frauen), nur durch das vorurtheilslose Lesen der vom Herrn
durch Lorber u. A. vermittelten Göttlichen Offenbarungen, als verirrtes Lämlein reuig wieder in
die Arme des einzig guten Hirten, der Sein Leben für Seine Schafe lässet, zurückgekehrt!
Wenn aber bereits thatsächlich so viele der intelligentesten Männer und Frauen aus allen
Gesellschaftskreisen, gerade durch das Lesen der Schriften Lorber’s zur Wiederanbetung des
Herrn Jesus Kristus zurückgeführt wurden, beweiset dies nicht unwiderleglich, daß F. Görvitz
rein wieder nur aus der Luft gegriffene Behauptung auch in dieser Hinsicht eine grundfalsche
ist?54
54
Wie wenig genau Fedor Görvitz übrigens auch sonst mit der Wahrheit umzuspringen pflegt, bewies er
durch seine übelwollende Kritik über das neukirchliche Schauspiel »Athenais«, (Budapest, bei Ldg.
Toldi, 50 Pfg.). Der hochgelehrte und wohlehrwürdige Pfarrer Charles Byie, der Berühmte Verfasser
des klassischen Buches: »Le Prophète du Nord«, in Paris bei Fischbacher erschienen, nannte es, in einem aus Lausanne den 15. Dezember 1901 datirten, aus eigenster Initiative an den ihm gänzlich unbekannten Schreiber dieser Zeilen gerichteten Briefe: »Ein schönes und erhabenes Werk, welches ein
großes Talent beweist, und einen wohlthätigen Einfluß ausüben wird, indem es, als eine ausgezeichnete
Arbeit, zeigt, wie man das Theater für höchst moralische und sogar religiöse Zwecke gebrauchen sollte«. Die gesammten Tages- und Wochenblätter, die das Werkchen rezensirten, machten einstimmig
demselben nur zum Vorwurf: »Daß es viel zu sehr für die ›Neue Kirche‹ Propaganda mache«, während
Fedor Görvitz, in seinem Blatte gerade diese Thatsache rein ableugnete und dem Schauspiel jeden
86
Adalbert Jantschovitsch
Warum aber weder der Engelgeist Johannes, sich als Einhaucher des großen JohannesEvangeliums, noch der Engelgeist Jakobus, sich als Einhaucher des Jakobs-Evangeliums, betreffend die Jugendgeschichte des Herrn auf dieser Erde, eigens deklarirte, obschon sie es, mit
Rücksicht auf das im Vorausgelassenen über die Aussendung der zwölf Apostel des Herrn in
die Geisterwelt bereits Angedeutete, ganz ohne Zweifel waren, weil nur aus dem inneren Gedächtnisse des ursprünglichen Verfassers solche Reproduktionen möglich sind, geschah aus
dem Grunde, weil diese Thatsache bei vielen Einfältigen aus der Kristenheit in soferne Zwang
auf die Freiheit und Vernunft derselben ausüben würde, als dieselben leicht auf die Meinung
verfallen könnten, sie müßten nun Alles blind glauben, während der Herr doch nur will, daß
ein jeder Mensch nur das glaube, dessen Richtigkeit er auch einsehen könne.
Entschieden falsch ist schließlich auch die Behauptung des Görvitz über die »Neue Kirche«,
wenn er sagt: die »Neue Kirche« ist die durch neues Licht zu neuem Leben erweckte christliche Kirche. Er kann darunter nur die jetzt noch dem Namen nach scheinbar fortbestehende,
christliche Kirche gemeint haben, weil eine andere christliche Kirche, die noch nicht geistig
ganz todt ist, unmöglich zu neuem Leben erweckt, sondern nur reformirt werden kann. Diese
Anschauung war jedoch nur, zu Beginn der Einführung Swedenborgs in die geistige Welt, eine
kurze Weile die Vermuthung der Engel, von welcher sie jedoch nachgehends, wie deren im
Werkchen vom jüngsten Gerichte veröffentliche Äußerung unter Nummer 74 klar beweiset,
vollständig abgegangen sind, indem sie ausdrücklich erklärten: daß sie nur wenig von den
Menschen der christlichen Kirche, viel hingegen von einem Volke hoffen, das von der christlichen Welt entlegen, und entfernt von den von dorther stets drohenden Feinden, so beschaffen
sei, daß es das geistige keineswegs neue sondern uralte Licht, aus der Sonne des Engelshimmels in deren Mitte der Herr und das seinem Wesen nach Göttliche Weisheit ist, nicht nur
werde aufnehmen, sondern auch mit Hilfe desselben, sich zu himmlisch geistigen Menschen
werde umgestalten können. Sie sagten auch, daß bei eben diesem gewissen Volksstamme,
gegenwärtig (nämlich schon im Jahre 1758) das innere Göttliche Wahre geoffenbart, und auch
mit geistigem Glauben, das ist, im Leben und mit dem Herzen faktisch seither aufgenommen
werde, und sie in Folge dessen, den Herrn, Jesus Kristus ganz allein anbeten. Das stimmt auch
ganz genau mit dem, was Swedenborg unter den Nummern 2986, 4747 und 9256 der himmlischen Geheimnisse, über die Ursachen erklärt, warum jede Neue Kirche immer nur bei den
Völkerschaften errichtet wird, welche außerhalb der Kirche sind, zumal die in sie einführenden Erkenntniße, stets nur, u. z. nach § 765 der Enthüllten Apocalypse, für eine ganz bestimmte Gattung von Menschen sind; was auch völlig stimmt mit dem, was Swedenborg,
eigentlich der Herr durch Swedenborg, unter Nummer 1850 der himmlischen Geheimnisse
offenbarte: daß nämlich, wenn eine Neue Kirche, in irgend einem Gebiete der Erde erweckt
wird, die alte Kirche immer in ihrem äußeren Gottesdienste verbleibt, in welchem nichts mehr
von Liebethätigkeit und Glauben vorhanden ist, wie beispielsweise ja auch die Juden, in ihrer
Religonsart bis zum heutigen Tage verbleiben. Der Herr sagte auch durch Swedenborg, unter
Nummer 3898 der himmlischen Geheimnisse voraus: welche Menschen, von Ihm »Auserwählte« genannt, Seiner wahren Neuen und ewigen Kirche wirklich angehören werden; insbesondere aber unter Nummer 9256 der himmlischen Geheimnisse ganz positiv: daß die Neue
Kirche von der Kristenheit zu den Heiden verpflanzt werden wird, wie dies seinerzeit auch mit
der von Ihm Selbst gestifteten ersten christlichen Kirche geschah, die ebenfalls vom Judenthum zu den Heidenvölkern übertragen worden ist. Ja der Herr lehrt auch durch Swedenborg unter Nummer 9407 der himmlischen Geheimnisse: daß unter dem Neuen Jerusalem, das
vom Himmel herabkommt, eine Neue Kirche bei den Heidenvölkern verstanden wird, nachdem
Werth und Nutzzweck in gewohnter Lieblosigkeit absprach. Wir denken: auch dieses Verfahren charakterisirt den Mann zur Genüge, als Alles eher denn einen wahren Jünger Jesu!
Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors …
87
die heutige, in der europäischen Welt bestandene verwüstet worden ist. Was auch mit der bei
Jesaja 43,18-21 und 35,1-10, vom Herrn gegebenen gedrängten Erklärung des geistigen Sinns
dieser Verse des Wortes Gottes, völlig im Einklange stehet.55
Bei den sehr Wenigen aus der Kristenheit, denen diese himmlischen Lehren bekannt sind,
obschon sie von ihnen größtentheils nicht befolgt werden, haben dieselben nur den Zweck:
daß wenigstens Einige von ihnen wo möglich gerettet werden möchten; wie dies auch zur Zeit
der Entstehung des Kristenthums bei dem Judenvolke geschah, von welchem auch bei Dreitausend die allerersten Anfänge des Kristenthums bildeten, aber bald nachher die Kirche zu
den Heidenvölkern ringsumher verpflanzt worden ist. –
In dieser Hinsicht wiegt sich daher Fedor Görvitz nur in eine für ihn freilich angenehme, weil
mit viel freier Zeit zum behaglichen Genießen des irdischen Lebens und wenig Arbeit verknüpfte Illusion ein, welche sich niemals verwirklichen wird, denn wenn schon zu Beginn
dieser »Neuen Kirche« unter ihren Obergeistlichen solche anzutreffen sind, die den vormaligen
Pharisäern und Schriftgelehrten in so Manchem auf’s Haar gleichen, kann die geringe Hoffnung, welche die Engel auf die Menschen der christlichen Kirche punkto gedeihlichen Wiederaufblühens dieser Kirche setzten, nur vollkommen gerechtfertigt erscheinen, und muß der
»Neuen Kirche« innerhalb der Kristenheit ein Absterben schon im allerersten Säuglingsalter
prognostiziert werden; zumal der Herr in der Nummer 1834 der himmlischen Geheimnisse
durch Swedenborg es lehret: daß wenn eine Kirche von ihm erweckt wird, sie mit der Unschuld beginnen muß, so daß Einer den Andern, als einen Bruder oder eine Schwester liebt,
wie dies auch bekannt ist von der ursprünglichen christlichen Kirche, nach der ersten Ankunft des Herrn; alle Anhänger der Kirche lebten damals unter sich wie Brüder und Schwestern, und nannten sich auch Geschwister, so daß die Heiden rings um sieh her, wie wir
Apostelgeschichte 2,44-47 lesen können, auf sie hinzuweisen vermochten, mit den staunend
bewundernden Worten: Seht nur, sehet hin, wie sie sich untereinander lieben!! Sobald aber
diese gegenseitige Liebethätigkeit abnahm und verschwand, da trat auch sofort das Böse an
deren Stelle, und mit dem Bösen schlich sich auch das Falsche der Mißgunst ein, woraus
dann Spaltungen und Irrlehren entstanden, welche nie hätten entstehen können, wenn die
Liebethätigkeit herrschend geblieben wäre, und Einer des Andern Freiheit wohlwollend
respektirt hätte in allem Nebensächlichem. Aldann würde man eine Spaltung, nicht einmal
Spaltung, noch eine Irrlehre Irrlehre, sondern nur eine Lehrverschiedenheit je nach Eines
Meinung genannt haben, die man in Liebe dem Gewissen eines jeden Einzelnen ruhig, ohne
Zanksucht überlassen hätte, wenn er nur nicht die Grundlehren, das ist den Herrn, das ewige
Leben, und das Wort Gottes geläugnet, und nur nicht gegen die Göttliche Ordnung, das ist, gegen die Vorschriften der zehn Gebote gehandelt hätte. Das thun aber auch die Anhänger der
neutheosophischen Schule ganz entschieden nicht! Darin sind sie mit uns Neukirchlern oder
Swedenborgianern ganz einig, folglich müßten sie auch, da die Liebethätigkeit bei ihnen und
unter ihnen allermindestens nicht in geringerem Maße herrschet als bei uns Neukirchlern,
wo nur zu häufig gar keine anzutreffen ist wie der vorliegende Fall wiederholter, ganz
schmählicher, grundloser Angriffe auf dieselben, Seitens eines Obergeistlichen der »Neuen
Kirche« sonnenklar es beweiset, – auch unweigerlich als unsere Geschwister in der »Neuen
Kirch« anerkannt und geliebt werden!
55
Durch Engelsmund ist auch kund gethan, daß das Heidenvolk, bei dem dies schon über ein Jahrhundert
effektive vor sich gehet, ein im innersten, bisher noch gänzlich unerforschten Theile Afrikas, welchen
noch kein Fuß eines Reisenden der Kulturländer der Welt betreten hat, befindlicher hochbegabter
Volksstamm ist, unter welchem die himmlischen Lehren des Neuen Jerusalems, unmittelbar durch Engel aus den Himmeln, den Bewohnern mündlich verkündigt und von ihnen mit großer Begeisterung
aufgenommen werden. A. J.
88
Adalbert Jantschovitsch
Ihre Sondermeinungen in Lehrverschiedenheiten müßte die »Neue Kirche« unbedingt der unantastbaren Freiheit ihrer Gewissen überlassen. Also ist es der positive hochheilige Wille
des Herrn, unseres gemeinsamen himmlischen Vaters, Jesu Kristus!!! Amen.
Budapest, im Jänner 1903
Adalbert Jantschovitsch
vormals ständiger, freigewählter Prediger der »Neuen Kirche« in Herisau,
pensionirter königl. ungar. Staatsbeamter und Schriftsteller.
II. Bez. Türkengasse 2.
Quelle: Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche Neu-Theosofie. Allen Wahrheitsfreunden besonders denen der neuen Kirche dargereicht von
Adalbert Jantschowitsch, ehmaliger Prediger der Neuen Kirche. Herausgegeben von Christoph
Friedrich Landbeck, Bietigheim 1903, Seiten 1-26.
Nachbemerkung zur Quellenangabe von Thomas Noack: Der neukirchliche General-Pastor ist Fedor Görwitz. Er wurde 1893 von der amerikanischen Generalkonvention zum Oberpfarrer der
Neuen Kirche eingesetzt, das heißt zur odinierenden Instanz dieser Kirche auf dem europäischen
Kontinent. Deswegen heißt er im Titel der Quelle General-Pastor.
GESCHICHTLICHER VORBERICHT
Christoph Friedrich Landbeck – 1903
Christoph Friedrich Landbeck
1840 - 1921
Im vorliegenden Falle handelt es sich um Verkennung und Schmähung einer (uns und Vielen)
heiligen Sache, und infolgedessen auch aller Freunde und zunächst des Verwalters derselben.
Als der Unterzeichnete vor mehr als einem ViertelJahrhundert noch im Geistesfrühling des Neuen
Lichtes stand, kam derselbe mit F. G., unserem dermaligen Angreifer, und einigen seiner Amts-Genossen in Berührung. Diese als Anhänger Swedenborgs anerkannten »Neue Offenbarungen«; daher
benützte er die Gelegenheit, diese Vertreter der Neuen Kirche auf das weiterentwickelte Neue-Offenbarungs-Werk des Herrn durch Lorber u. A. aufmerksam zu machen; aber all das war vergebliche
Liebesmüh, wie eine Mohrenwäsche. Vielen der
neukirchlichen Brüder dürfte Luk. 24, 16 gelten,
aber in diesem Falle kaum, das Warum zeigt die Rede unseres Vertheidigers. Hier sei nur das bemerkt:
Wie die christliche Aera mit Johannes d. T. beginnt,
ähnlich so beginnt die Neue (Millenniums-)Aera56
einleitende Fase mit Swedenborg. Warum hat Johannes d. T. an Jesu Mission gezweifelt? (Matth. 11, 3).
- Warum folgte er nicht samt
seinen Jüngern Jesu nach? Sondern
seiner
eigenen
beharrte
in
Vorbereitungsschule! Eben ähnlich
so verhalten sich auch die
Neukirchlichen, sie zweifeln – ob
im Neuen Lichte wirklich der Herr
sei? – und was speziell F. G.
betrifft, so möge hier eine weitere Frage folgen: Warum – wollte Herodes das Christkindlein
absolut töten? - - - Und siehe, es lebt noch. Herodes, der schlaue Weltverstandes-Mensch, ist
dahin; er war geldgierig, aber noch mehr herrschsüchtig, - darum sprach der Herr also (in Nr. 9,
Kp. 59, 21): »Herodes, ich habe keinen Fluch für dich! Aber eine Krone sollst du tragen, zu
großer Qual, und schmerzlicher denn die Buße an Gold, die du nach Rom zahlen musstest« (er
starb an Läusesucht), und dann in Kp. 95, 24: »Vergib auch du ihm (dem Herodes), wie Ich
ihm vergab, denn auch er ist ein blinder Erdensohn!« - Dergleichen mißliche Erfahrungen haben sich gar manchmal wiederholt, von verschiedenen
Seiten her. Diese Widersacher hatten keinen Segen davon; aber jeder solche Versuch ward der
verfolgten Sache förderlich. Über solches Gebahren der Berufenen tröstete uns der Herr mit
dem Hinweis auf die ganz ähnlichen Zustände zur Zeit seines Erdenwandels, wo auch die
Geistlichen und Lehrer des Volkes, tot im Gesetz und im Buchstaben, Ihn, den Sohn im
56
Der Begriff des »Millenniums« oder der Zustände des »Tausendjährigen« Reiches der Wiederkunft
Christi – möge, als von der gewöhnlichen (irrigen) Auffassung wesentlich abweichend, in den Neutheosophischen Schriften selbst nachgesehen werden (Sach. 14,8.9.) D. Hsg.
90
Christoph Friedrich Landbeck
Fleisch, als das lebendige Wort, ebenfalls nicht aufnahmen, sondern ihn für einen Apostel des
Teufels erklärten; so gelte auch für uns: Matth. 10, 25. –
Indessen wurde der Zeuge dieses (vor 24 Jahren) zum Verwalter der GSpeisekammer genöthigt. Als solcher ward ihm durch dergleiche Misshandlungen wohl ein schwerstes Unrecht
angethan.57 Diese Verleumdungen: er hege und verbreite höllische Lügen für göttliche
Wahrheiten! sind ein moralischer Totschlag. - - Aber was will ein Schüler Jesu machen einem
Blinden gegenüber, als ihm zuzurufen: - »Bruder, du hast zwar schwer gefehlt; aber ich vergebe
dir, denn du bist blind; darum bitte ich den Herrn, Er möge dir gnädig sein, wie einst dem
Saulus auf dem Wege nach Damaskus!« Ja, er dankt ihm für diese Zulassung, (Matth. 5, 11),
und hegt nur Mitleid mit ihm, der also das barmliebevollste Gnadenwirken des Herrn verkennen mag. Doch sehen wir nun, wie dieß Zeugniß für die verkannte heilige Sache veranlasst
wurde. Das kam so:
Der wiederholte Angriff auf das Neue Licht, von Seiten des irrenden Blinden, veranlasste einige
unserer Freunde, eine ernste sachgemäße Entgegnung darauf von uns zu verlangen; und
gleichzeitig kam auch das Anerbieten des Verfassers der folgenden Ausführungen, als Anwalt
für die geschmähte, weil verkannte GSache in diesem Falle auftreten zu dürfen, um das Wesen
des Neuen Wortes, soweit er es kennt und erfasst hat, ins geeignete, d. h. ins Licht der so naheverwandten Swedenborg’schen Sfäre den Freunden der Wahrheit und besonders seinen Genossen vor Augen zu rücken, von wo ja der Angriff abermals ausging. Dieß erachteten wir als
einen Wink von Oben, dass es der Wille des Herrn sei, nun mit dieser Erklärung an die Öffentlichkeit zu treten. Bei dergleichen Vorkommnissen, welchen eigentlich nur Mißverständnisse
zu Grunde liegen, ist es gut, um letztere gründlich zu vermeiden, sie aus derselben Sfäre zu
widerlegen, und deshalb ist auch diese, (uns allerdings viel zu schneidige) »Abwehr« von einem Ältesten und langjährigen Prediger der Neuen Kirche verfasst, und zumeist mit Zitaten
aus Swedenborg belegt, damit es den Bessergesinnten der zunächst Betheiligten um so leichter
zugänglich sein möge. Blinde, sagt der Herr (in Predigt 12, Nr. 30) gibt es zweierlei, nehmlich
Solche, die sich selbst blind gemacht und blind sein wollen, diese Art ist unheilbar; ferner
Solche, die unfreiwillig durch die Umstände blind geworden sind, und sich nach Licht sehnen,
und eben Solcher wegen kam der Heiland in Seiner Barmliebe hernieder in die Welt, und sendet deretwegen auch nun wieder Sein Licht-Wort zu ihrer Stärkung und ewigem Heil. Und
denen soll hier Gelegenheit geboten werden, gerecht prüfen zu können, nach dem alten, guten
Rath:
Willst fällen du ein rechts Urtheil,
So hör zuvor fein beide Theil.
Hier mag auch noch ein anderes Vorkommniß aus jüngster Zeit erwähnt werden. Unser
Vertheidiger, der noch lange nicht die ganze Neutheosophische Literatur kennt, aber weil vor–
urtheilsfreier, doch schon von dem wenigen ihm bekannt Gewordenen dankbar und freudig
angeregt ist berichtete seinen Genossen in seiner Art darüber, wählte aber dazu einen zur
57
Man denke, ein Mensch, der sein halbes Leben opferte zum Suchen nach dem geahnten, zeitnöthigen
Wahrheitslichte, und als er’s gefunden, gerne seine bequeme Berufsstellung aufgab, welche ihn längst
unabhängig gestellt hatte, um dann in misslicher Lage der heiligen Sache des nun erkannten Herrn zu
dienen. – derselbe wird nach 33jähriger Arbeit für die Mission des Neuen Liebelichtes in verschiedener
Weise verdächtigt. Es genüge hier die Notiz, dass das grundlegende Werk Nr. 1 (3 Bde.) im Jahre 51 im
Buchhandel in kleiner Auflage erschienen, nach 30 Jahren in Restauflage vom Herausgeber zum Vollpreis übernommen, nun nach 50 Jahren eines Neudrucks bedarf. Dann bei dem Hauptwerk, 10 Bände
in 500 Exemplaren, erhält eigentlich jeder zahlende Besteller mit dem Bande ca. 2 Mk. Geschenk; d. h.
uns kostet der Band rd. 2 Mk. über den Verkaufspreis. Daraus erhellt, dass diese Sache kein Geschäft,
sondern nur eine opferheischende Missionsarbeit, dabei für den Verwalter lediglich nichts zu erwerben
ist.
Geschichtlicher Vorbericht
91
Einführung wenig geeigneten, wenn auch ihm besonders interessanten Stoff (im Boten der N.
K., Ende 1902, nehmlich – was der Herr sagt »über das Grundwesen von Mann und Weib« u. s.
w.). Dieser wohlgemeinte, aber für Anfänger ungeeignete Versuch dürfte zumal gerade jetzt,
unter dem Eindruck der jüngsten Verleumdungen in einem Fachblatte, als misslungen zu
betrachten sein.
Darum sei hier ein kleiner Ausgleichs-Versuch gestattet, indem zunächst auf eine neueste
Kundgabe des Herrn aufmerksam gemacht wird, welches schon dem Titel nach den neukirchlichen Freunden sympathischer sein dürfte:
»Die heiligen 10 Gebote,« ein kleines Lebens-Evangelium der Ewigen Liebe, als deren heilige
Willensordnung, ein Stärkungsmittel für Kinder Gottes! Bei Johs. Busch Nachf., Bietigheim
1903.
Auch in unserer Nr. 3, »Die geistige Sonne«, in der dort gezeigten himmlichen Kinder-Sfäre,
bilden die 10 Gebote Gottes das eigentliche Lehrmaterial, - und in demselben Werke findet sich
als einer der bedeutendsten Theile – die himmlische Sfäre Swedenborgs enthüllt, und in dem
schon oben zitirten Werke Nr. 9: Kap. 103, 12, sagt der Herr:
»Darum aber kam Ich in die Welt, auf dass durch Mich alle »die toten Werke und Gesetze des
Todes vernichtet werden, und an »ihre Stelle treten müssen – die alten Gesetze des Lebens!« (In und durch die Liebe, sanktionirt durch Sein Blut.)
Was nun den Punkt betrifft, der die Neukirchlichen Freunde am meisten zu stören scheint,
darin auch Bruder A. J. noch befangen, aber doch schon auf bestem Wege ist, in dieses zentrale
Lebens-Geheimniß einzudringen, nämlich, daß hier in der Sfäre des Neuen Lichtes, der h.
Vater selbst direkte spricht, so verweise ich aufs Nachwort und den Anhang, hier nur kurz
bemerkend, daß doch der Zweck der Menschwerdung des Herrn in Jesu eben auch dieser war,
alle Hindernisse zwischen dem himml. Vater und Seinen Kindern zu beseitigen; das Erlösungswerk ist vollbracht, und der Vorhang im Tempel zerrissen, d. h. der Eingang ist frei ins
Allerheiligste des Vaterherzens, für Seine wahren, in der Liebesfäre stehenden Kinder, durch
den lebendigen Glauben, (Joh. 14, 21-23), so daß Er nun unmittelbar mit denselben verkehren
kann, und sie mit Ihm, durch Seinen heiligen Geist; (aber frei ist Jeder auch darin – im gewohnten Vorhofe der bloßen Wissenschafts-Sfäre zu beharren). –
Das Neue Licht ist (voran Swedenborg) Einleitung zur Wiederkunft Christi, und daher dürfte
der Text auch hier passen:
»Ehre sei Gott in der Höhe« und Frieden auf Erden! Und den Menschen ein Wohlgefallen! die
eines guten Willens sind! –«
Der Sinn dieses himmlischen Chores möge sich lebendig erweisen an allen echten Wahrheitsfreunden! Dann wird der Geist in ihnen jubeln: Hosiannah Dem, Der da kommt – in den Wolken des Himmels! - So segne der himmlische Vater beides: dieses Zeugniß für Seine heilige Sache, sowie die Herzen der gutgewillten Leser und Hörer, zum Heile Aller, und zur Ehre Seines heiligen Namens.
Dies wünscht im Sinne der ewigen Liebe –
der Herausgeber
Bietigheim, im März 1903.
C. F. Landbeck.
Quelle: Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche Neu-Theosofie. Allen Wahrheitsfreunden besonders denen der neuen Kirche dargereicht von
Adalbert Jantschowitsch, ehmaliger Prediger der Neuen Kirche. Herausgegeben von Christoph
Friedrich Landbeck, Bietigheim 1903, Seiten XVI – XX
PSEUDO-OFFENBARUNGEN
Fedor Görwitz – 1903
Aus Dresden wird uns berichtet, daß die »Artikel im ›Boten der N. K.‹ betitelt ›Frauenheilsbotschaft‹ von A. Jantschowitsch in dortigen theosophischen Kreisen missliebig vermerkt worden
sind, man bezichtigt den Verfasser sogar des geistigen Diebstahls, weil er die Quelle, aus der
er geschöpft (nämlich Lorber) nicht angegeben hat, und sprach sich dahin aus, ihn deshalb zur
Rede stellen zu wollen.«
Wir können die Entrüstung der »Theosophen« nicht verstehen; der ganze, durch mehrere
Nummern laufende Artikel ist ja eine Verherrlichung der Theosophie; die »von den Theosophisten durch den Druck veröffentlichten »Spezial-Offenbarungen« werden darin als »unermessliche Schätze geistiger Erkenntnisse« gepriesen. Der Vorwurf geistigen Diebstahls kann
dem Verfasser nicht gemacht werden; denn er gibt seine »Heilsbotschaft« als eine dieser vielen
»Spezial-Offenbarungen.« Daß der Name Lorbers nicht genannt wird, ist doch ganz nebensächlich, zumal am Schlusse auf den Bietigheimer Verlag verwiesen wird, wo diese Offenbarungen
zu haben seien.
Dagegen können wir unsererseits nicht umhin, unserm Bedauern darüber Ausdruck zu geben,
dass dieser Artikel im »Boten« erscheinen konnte, ohne ein Wort des Widerspruchs, weder von
Seiten der Redaktion, welche in erster Linie dazu verpflichtet gewesen wäre, noch von den
Beamten der »deutschen Synode«, welche das Blatt herausgibt.
Diesem Stillschweigen gegenüber erachten wir es für unsere Pflicht, auf’s eindringlichste zu
warnen vor der abscheulichen Vermischung von Heiligem mit Unheiligem, der in diesem
Artikel das Wort geredet wird, d. h. vor der Vermengung der himmlischen Lehren der Neuen
Kirche mit den Pseudo-Offenbarungen des Spiritismus und der modernen Theosophie. Diese
sind gefährliche Feinde der Kirche, um so gefährlicher, weil sie sich ihr unter der Maske der
Freundschaft und des Wohlwollens nahen. Jawohl, sagen sie, Swedenborg war ein Werkzeug
des Herrn für eine göttliche Offenbarung – wie viele andere; aber, wie es in dem Botenartikel
heißt, »die Doktrinen der Neuen Kirche sind zu abstrakt für das jetzt lebende sinnlich natürliche Menschengeschlecht,« während »die kirchlichen Perlen der Offenbarungsliteratur vergangener Jahrhunderte bis auf die neueste Zeit (gemeint sind damit besagte »SpezialOffenbarungen«) die in gemein verständlicher Wörtersprache abgefassten erquicklichsten
Illustrationen dazu sind.« Noch deutlicher sprechen sich die Lorber’schen Schriften selbst
darüber aus. Auf die an Lorber gerechtete Frage, »ob den Büchern Emanuel Swedenborgs voller
Glaube zu schenken sei,« empfing er von seinem Truggeiste die Antwort: »Was Swedenborg
sage, sei gut und wahr; er sei erweckt und von Engeln geführt worden in alle Weisheit je nach
den Graden ihrer Liebe. Das jetzt (durch Lober) gegebene lebendige Wort aber stehe höher denn
alle Propheten und alle Weisheit der Engel!« In beiden Fällen werden die himmlischen Lehren
in den Hintergrund gestellt: in den Lorber’schen Schriften als minderwertig, in dem Botenartikel als zu abstrakt für die gegenwärtige Zeit.
In dem Werke über die »Göttliche Vorsehung« (Nr. 154) lesen wir: »Es ist Gesetz der göttlichen
Vorsehung, daß der Mensch vom Herrn vom Himmel aus geführt und belehrt werde vermittelst des Wortes, der Lehre und der Predigt aus demselben, und zwar dem vollen Anscheine
nach wie von sich selbst.« Hier werden uns klar und deutlich die Mittel genannt, durch welche
der Herr nach Seinen göttlichen Ordnungsgesetzen den Menschen belehrt: das Wort, die Lehre
und die Predigt aus demselben. Das Wort liegt vor uns ein Wort Gottes alten und neuen Testaments; die wahre Lehre aus dem Worte ist uns vom Herrn bei Seiner zweiten Ankunft gegeben
»durch einen Menschen (Swedenborg), vor dem er sich in Person geoffenbart, und den Er mit
Seinem Geiste erfüllt hat, die Lehren der Neuen Kirche durch das Wort aus Ihm zu lehren.«
Pseudo-Offenbarungen
93
(W.C.R. 779). Die Predigt aber soll dazu dienen, diese Lehren aus dem Worte in gemeinverständlicher Sprache zum Verständnis der Zuhörer herabzubringen, zur praktischen Anwendung auf das tägliche Leben. Wir bedürfen dazu keiner »Spezial-Offenbarungen«. Der Prediger
soll aus der reinen Quelle der himmlischen Lehren aus dem Worte schöpfen; dann steht er auf
dem Felsen des Wortes, auf dem die Kirche gesichert ist vor allen höllischen Anfechtungen.
Der Lorber’sche Truggeist räumt mit alle dem auf; seine »Spezial-Offenbarung« stellt er über
das Wort und über die Lehre, von der Predigt gar nicht zu sprechen. Wird damit die Kirche
nicht vollständig verwüstet, die göttliche Ordnung zerstört?
Von Lorber also ist die im »Boten« veröffentlichte »Frauenheilsbotschaft«, wie wir nun aus
Dresden erfahren. Die Lorberschen Schriften haben wir in unserer Dezember-Nummer letzten
Jahrgangs einer Besprechung unterzogen, der wir nichts hinzuzufügen haben.
Wie Jemand, der die Lehren der Neuen Kirche kennt, diese Schriften als göttliche Offenbarung
annehmen kann, ist schwer verständlich. Es scheint, daß durch das ordnungswidrige Verlangen nach außerordentlichen, den göttlichen Ordnungsgesetzen widerstreitenden »Offenbarungen«, die Gottesgabe der Vernunft, das Vermögen zwischen Wahrem und Falschem zu
unterscheiden (G. L. und W. 26), verdunkelt und betäubt wird. Warum aber solches Gift ohne
Warnung dem unbefangenen Leser in einem Blatte vorlegen, in welchem er die Lehren der
Neuen Kirche zu finden vermeint?
Werfen wir doch solch törichtes, sündhaftes Verlangen weit von uns, als Sünde wider unsern
Herrn Gott Heiland bei Seiner zweiten Ankunft in den himmlischen Lehren Seines Neuen
Jerusalem. Denn Sünde ist es für den Bekenner dieser himmlischen Lehren, Mangel an Vertrauen auf den Herrn, auf Seine göttliche Liebe und Weisheit, diese Lehren angesichts ihrer
Herrlichkeit in irgend einer Weise für ungenügend zu erklären für unsere Zeit, als ob wir den
Zustand der heutigen Menschheit besser kennen könnten als der Herr. Durch solches Murren
wieder den Herrn, durch solche, dem hochmütigen Eigenen entstammende Zweifel an der
Vollkommenheit Seiner neuen Gnadenspende öffnen wir dem Hereinbrechen des Falschen
und Bösen Tür und Tor, und die Kirche wird verwüstet – durch unsere Schuld. Nein, seien wir
dankbar, in tiefster Seele dankbar für das Himmelslicht, das uns durch diese Lehren zuteil
wird, und bleiben wir im Schutze der großen und hohen Mauer der heiligen Stadt, in welche
»nicht eingehen wird etwas Unreines oder das da Gräuel tut und Lüge.« Offb. 21, 29.
Quelle: Monatblätter für die Neue Kirche, 20. Jahrgang, März 1903, S. 41-43.
BRIEF VON FEDOR GÖRWITZ AN FRAU STAMMINGER
Brief von Fedor Görwitz an Frau Stamminger vom 29. März 1903
95
Zürich, den 29. März 1903
Liebe Frau Stamminger, meine treue Korrespondentin!
Ich richte diesen Brief an Sie, deren liebe Handschrift ich vor Augen habe, zugleich aber auch
an Ihren lieben Mann, in dessen Auftrage Sie mir geschrieben haben, und an die Gemeinde,
der Sie jetzt als korrespondirender Schriftführer dienen.
Herzlichen Dank Ihnen allen für Ihre liebevolle Teilnahmsbezeugung an dem schmerzlichen
Verluste, der mich und die Meinen betroffen hat durch das frühe Abscheiden meines hoffnungsvollen Sohnes Emanuel!
Dank auch für die Glückwünsche zu meinem Geburtstage, welche Sie jetzt die Freundlichkeit
hatten, an mich zu richten, einem Geburtstage, an welchem die Erinnerung an unsern schweren Verlust über mir und den Meinen freilich noch wie ein tiefer Schatten lag. Wir müssen
uns ja in die Fügungen der göttlichen Vorsehung unseres allliebenden und allweisen Herrn
mit kindlichem Vertrauen ergeben; denn »seine Wege sind nicht unsere Wege«; unserem natürlichen Menschen fällt dies aber doch recht schwer. Ich leide in Folge dessen jetzt an großer
Müdigkeit und halte es für besser, meine österreichisch-ungarische Reise dieses Jahr auf den
Herbst aufzuschieben und dafür im Frühjahr die Gemeinde in Berlin zu besuchen, was weniger anstrengend ist. Ich sage, die österreichisch-ungarische Reise. Wien allein würde ich nicht
schauen; nach Ungarn aber könnte ich jetzt nicht gehen, um das Abendmahl zu verteilen, weil
die Verhältnisse dort jetzt ganz zerrüttet sind. Bis zum Herbst kann sich ja manches darin
ändern; deshalb ist es besser, ich schiebe meine Reise auf. Ob ich im Herbst nach Budapest
gehen kann, läßt sich jetzt noch nicht mit Bestimmtheit sagen; nach Wien aber komme ich
gewiß, wenn mir Gott das Leben schenkt. Zu Ihrer Gemeinde halte ich treu, so lange sie zu
mir oder vielmehr zu den von mir vertretenen Grundsätzen hält. Diese Grundsätze, in denen,
glaube ich, die Gemeinde mit mir übereinstimmt, gehen dahin, daß wir in erster Linie auf die
Kirche, auf die Lauterkeit und Reinheit der Lehre, welche die Kirche gründet, (W. C. R. 245)
unser Streben zu richten haben, und nicht auf Äußerlichkeiten, welche in zweiter Linie stehen und nebensächlich sind. Ich glaube, daß es im Wesentlichen dieser Punkt ist, der unsere
Gemeinde von dem dortigen Vereine unterscheidet, zu dem es auch Herrn Schaffer, der auf
Äußerlichkeiten, Vereinsrecht, größeres Lokal, Geldmittel etc. Wert legt, hingezogen hat. Herr
Schaffer meint, wie Sie berichten, daß Herr Röder die neue Kirche populär machen werde in
Österreich. Nein, die Neue Kirche kann überhaupt nicht populär gemacht werden in unserer
Zeit; dazu ist sie viel zu heilig, dazu geht ihre Lehre viel zu tief. Um sie populär zu machen,
müßte die Heiligkeit, die Reinheit ihrer Lehre aufgegeben werden; und was dann populär ist, ist
nicht mehr die Neue Kirche des Herrn. Herr Jantschowitsch hat es ja in seinem Botenartikel
ausgesprochen, die Lehre der N. K. sei zu abstrakt, wir brauchen noch Theosophie, SpezialOffenbarungen etc. für unsere Zeit.
Herr Röder wird also nach Wien kommen. Es ist ja ganz in Ordnung, daß er den dortigen Verein,
der zu seiner »Synode« gehört, einmal besucht und er wird auch für den Verein besser passen als
ich; denn ein Vertreter der reinen Lehre der N. K. ist Herr Röder nicht, sonst hätte er nie und
nimmermehr für Artopé 58 eintreten können, wie dies s. Z. von ihm geschehen. Über Herrn Röder
58
Der Swedenborgianer Prof. Wilhelm Pfirsch (1803-1891) schrieb: Albert Artopé »leugnet nämlich
geradezu alle historischen Thatsachen der evangelischen Geschichte; die Geburt, das Leben, die wundervollen Thaten, die Auferstehung und Verherrlichung unseres Herrn und Heilandes sind für ihn ›nur
geistige Bilder aus alten indisch-persischen Religionsschriften entnommen‹, ja noch mehr, selbst ›die
geschichtliche Christusidee‹ und sogar ›die Evangelien sind (seiner Meinung nach) nur weitere Zeugnisse einer schon viele Jahrhunderte früher bestandenen geistigen Christusidee‹, wie denn überhaupt,
›die Buddha-Lehre der Indier in der Hauptsache dieselbe Geschichte enthält, wie wir sie in den Evangelien lesen‹.« (Monatblätter für die Neue Kirche, Dezember 1888, 189). Artopé ertrank am 25. März
96
Fedor Görwitz
schrieb man mir kürzlich aus Amerika: »Er war früher, wie ich hier (in Baltimore) höre, wo er ja
längere Zeit Pastor war, ein Trance-Medium, und ließ niederschreiben, was er in dieser Weise
aus der Hölle bezog«.59 Durch diese Mitteilung wird mir manches klar, was mir bisher von
einem neuk. Geistlichen unerklärlich war. Er wird ja wohl auch mit Herrn Jantschowitsch
sympathisieren, der zu den Theosophen übergegangen ist. Er soll übrigens ein gewandter
Redner sein, wie ja Artopé auch war, und mag im Vereine wohl Erfolg haben. Wie gut, daß aus
der Vereinigung von Gemeinde und Verein in Wien nichts geworden ist.
Für Ihre Gemeinde ist mir nicht bange, sie wird der reinen Lehre treu bleiben. Für Budapest
bin ich schon eher besorgt. Bruder Albrecht, ein prächtiger Mensch übrigens, legt auch zuviel
Wert auf Äußerlichkeiten, auf Popularität, und wird sich von Röder schon leichter einnehmen
lassen, als die Leute, die leitenden Mitglieder Ihrer Gemeinde. Nun, ich muß den Dingen ihren
Lauf lassen, werde ja sehen, wie sich bis Herbst die Lage gestaltet. In Rastenfeld wird wieder
ein Täufling für mich erwartet, - im Früjahr schon, wie Herr Maurer schrieb. Die jungen Frauen verrechnen sich aber mitunter. Vor zwei Jahren war es ganz zweifelhaft, ob ich noch nach
Rastenfeld gehen könnte vor meiner Heimkehr, weil der Täufling auf sich warten ließ. Da ist
der Herbst auch sicherer.
Was macht denn Bruder Sedlaczek? Ich glaube gehört zu haben, daß er mit dem Vereine gebrochen habe. Ist er wieder ganz bei der Gemeinde?
Nun »Dominus providebit«. Der Herr wird’s vorsehen. Wir dürfen sicher darauf vertrauen, daß
der Herr seine Kirche schützen wird vor allen höllischen Anfechtungen, wenn wir in dem
Schutze verbleiben, den Er Selbst Seiner Kirche gegeben hat, im Schutze der großen und hohen Mauer des Neuen Jerusalems.
Mit herzlichem Gruß an Sie und die lieben Ihrigen und an die ganze Gemeinde
Ihr Freund und Pastor F. Görwitz
60
Den 31. März
Gestern Abends 7 Uhr ist unsere liebe Frau Baumann, Witwe von Prediger Baumann sel., im
66. Lebensjahr dahin geschieden – an Herzlähmung. Ihr lieber Mann hat, glaube ich, die Dahingeschiedene noch persönlich kennen gelernt. Wir alle verlieren viel an ihr; namentlich
auch Frl. von Stuve, für die Frau Baumann, die ihr das Zimmer und das Essen besorgte, immer so liebevoll bemüht war.
59
60
1891 »bei einer Kahnfahrt auf dem Vierwaldstättersee« (Monatblätter für die Neue Kirche, April 1891,
65).
Die Kursivschrift markiert den eingangs wiedergegebenen handschriftlichen Teil des Briefes. TN
Diese Zeichen konnte ich nicht deuten. TN
BRIEF VON ADOLPH ROEDER AN CHR. FR. LANDBECK
Orange N. J. (U. S. Amerika), 17. Juli 1903.
Lieber Bruder Landbeck!
Es hat mich recht gefreut, wieder von Ihnen zu
hören; obgleich ich nicht dasselbe über die
Streitfrage zwischen Bruder Jantschowitsch und
Görwitz sagen kann; denn diese Dinge, über die
man streiten muß, thun mir immer im Herzen
weh.
Ich glaube natürlich, daß Jantschowitsch Recht
hat, und daß Görwitz eine Richtung der N. K.
vertritt, die uns Allen sehr leid thut.
Man kann natürlich in jeder Religionsbewegung
engherzig, man kann aber auch das Gegenteil
sein; und so muß es wohl recht sein, daß wir
uns etwas streiten über gewisse Dinge; und ich
will meinen Teil dazuthun, daß jeder, der
überhaupt etwas von dieser Sache wissen
sollte, in Amerika ein Exemplar von Ihrer Nr.
32 bekommt.
Daß Jantschowitsch dem Görwitz geantwortet
Adolph Roeder
hat, thut mir eigentlich nicht sehr leid; im
1857 - 1931
Gegenteil es macht mir Freude, daß die Leute
einmal sehen, daß es auch andere Ansichten giebt, als diese puppenhafte, pompöse kirchliche, und sonstige Art und Weise, eine Kirche zu bauen.
Man kann auch in das Herz der Menschheit Kirchen bauen, ohne Steine und ohne Litanei, und
das sind bei weitem bessere Kirchen als die anderen. Damit will ich natürlich nicht sagen, daß
wir keine äußeren Gottesdienstformen brauchen; aber, du lieber Himmel, irgend ein Prediger,
der ein bischen Verstand hat, kann sich ja in 5 Minuten eine Gottesdienstform ausarbeiten,
die für die Zustände seiner Gemeinde passend ist, das ist etwas sehr Leichtes. Solches ist
leicht ein und ausgeführt; denn man braucht keinen Pomp für eine Handvoll Leute. – Mir that
es leid, daß wir unsere briefliche Unterhaltung vor über 10 Jahren nicht weiter fortsetzen
konnten; aber es mangelt in Amerika an Zeit, um irgend etwas zu thun, außer das absolut
Dringendste; sogar meine Sommerferien muß ich dieses Jahr ganz und gar aufgeben, weil die
Arbeit allzu sehr drängt. Also schicken Sie mir von der Schrift zu irgend einer Zeit, soviel Sie
entbehren können, und ich werde sie in Amerika verbreiten.
In der Liebe des Herrn zeichnet ergebenst
Ihr Bruder
Adolph Roeder
(Präsident der Synode der Neuen Kirche in Amerika.)
BRIEF VON JOHANN CZERNY AN (CHR. FR. LANDBECK)
Brooklyn N.Y., Aug. 9. 1903.
Lieber Freund und Bruder!
Ich war für etliche Wochen auf einer Insel Bermuda, ein englisches Besitztum, wegen einer
Seereise zur Erholung, und als ich nach Hause kam, fand ich ein Pamphlet(heft), mit welchen
Neutheosophischen Schriften von Ihnen als »Abwehr des falschen Zeugnisses« gegen einen
Oberpastor F. G., mit dem ich selbst viele Jahre Umgang hatte, und auch manchen brieflichen
und mündlichen Wortwechsel.
Wir sind sogar etwas verwandt, und es tut mir sehr leid, daß ich mit ihm nicht in einer zutraulichen Freundschaft stehen kann; er scheint auf das äußere Wesen sehr beschränkt zu sein,
und die babylonische Autorität fest zu halten.
Mir werden so viele Zeitungen und Zeitschriften zugeschickt, daß ich nur wenige davon lesen
kann; aber Ihre Schriften habe ich alle durchgelesen, und so weit mein schwacher Verstand
reicht, finde ich die Neutheosophischen Schriften wesentlich mit dem Worte Gottes und mit
den Schriften Swedenborgs übereinstimmend, und ich danke Ihnen, daß Sie meiner gedachten.
Ich selbst musste manche Erfahrungen durchmachen, die notwendig waren, um meine Augen
öffnen zu können, und ich muß gestehen, daß ich mich jetzt von dem äußeren, scheinbaren
und falschen Kirchenwesen und dem professionierten Priestertum gänzlich frei gemacht
habe.
Wir leben wirklich im Beginne eines neuen Zeitalters, die Verheißung des Herrn: »Siehe, Ich
mache alles neu«, geht mit Riesenschritten in Erfüllung. Bisher hat noch nie eine wahre
christliche Kirche bestanden, die wahre und wesentliche Kirche wird nach und nach erst
entstehen; sie wird aber keine äußere, sektische, formelle, tote sein; sondern eine innere, lebendige, alles umfassende; sie wird das Neue Jerusalem sein, welches Johannes sah vom
Himmel herabsteigen, von welcher er sagt: »Und einen Tempel sah ich nicht in ihr, denn der
Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel und das Lamm.« (Offenb. 21, 22.)
Daß die wahre und zukünftige Kirche nur eine innere sein wird, ist ersichtlich an dem Gespräche des Herrn mit der Samariterin an der Quelle Jakobs, wo sie sagt: »Unsere Väter haben
auf diesem Berge angebetet; ihr aber saget, Jerusalem sei der Ort, da man anbeten soll.« Der
Herr sagte zu ihr: »Weib, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf dem Berge da,
noch in Jerusalem, den Vater anbeten werdet.
Es kommt die Stunde und ist schon da, daß die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der
Wahrheit anbeten werden. Gott ist ein Geist, und die Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in
der Wahrheit anbeten.« (Johs. 4, 20-24.)
Die Urmenschen, solange sie durch einen inneren Einfluß vom Herrn im Guten und Wahren
gehalten werden konnten, hatten keine äußeren Kirchen noch Priester nötig, bis sie ganz
äußerlich und sinnlich geworden sind; dann erst mussten sie etwas Aeußerliches bekommen,
an dem sie sich halten konnten: das ganze äußere Wesen der Kirche samt dem Priestertum ist
vergleichsweise wie eine Schale zu dem Kern. Der Herr Jesus Christus, als Er im Fleische
wanderte, hat keine Pastoren, noch weniger Oberpastoren, Bischöfe oder Päpste eingeführt: im
Gegenteil Er warnte Seine Jünger, sie sollen sich keiner Vater, Meister oder Lehrer nennen;
denn nur Einer ist euer Meister – Christus – und ihr alle seid Brüder (s. N. Th. S. 20 B).
Er lehrte die Menschen die einfache Wahrheit, wie sie leben und handeln sollen: »Was ihr
wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen zuerst, und was ihr nicht wollt, das tut
ihr ihnen auch nicht!«
Brief von Johann Czerny an (Chr. Fr. Landbeck)
99
»Wollt ihr zum Leben eingehen, so haltet die Gebote: Liebet Gott über alles und den Nächsten
wie euch selbst!« (und »ohne Mich könnet ihr nichts tun!« Johs. 15, 5.)
Der Herr konnte auch damals weder die Gesetzlehrer noch die Priester zu Seinen Aposteln
gebrauchen; denn sie waren es, die Ihn verworfen und gekreuzigt haben, und es würde Ihm
heute unter den christlichen Priestern nicht besser ergehen, wenn sie die Macht noch hätten,
und Er als Mensch wieder erscheinen sollte.
Die Neu-Jerusalem-Kirche soll die Krone aller Kirchen werden, folglich muß sie in einen höheren Zustand kommen, als alle schon bestehenden Kirchen. Wie soll sie aber in einen solchen Zustand kommen, und alle umschließen? Als eine äußere Organisation, als eine Neue
Sekte? Wie solche unsere Priester aus der himmlischen Offenbarung schon gemacht haben,
und sich bestreben, der alten babylonischen Kirche alles nachzumachen. Gewiß nicht! –
Der Herr hat noch nie einen Priester zur Offenbarung Seiner Ordnung und Seiner Gesetze
gewählt. Moses, durch den die Israelische Kirche gegründet wurde, war ein Hirte, die Apostel
waren Fischer und Arbeiter. Swedenborg war ein gelehrter Laie, aber nicht Priester, er wurde
vom Herrn erleuchtet, als er das Wort las. Einst wurde er befragt: warum hat der Herr die lange
Reihe von Geheimnissen durch ihn offenbart, da er doch nur ein Laie ist, und nicht durch
einen Priester? Er antwortete: das war das Wohlgefallen des Herrn, Welcher ihn von seiner
Jugend an dazu vorbereitet hat. Aber lassen Sie mich nun auch eine Frage an Sie stellen:
»Warum hat der Herr Fischer zu Seinen Aposteln gewählt und nicht die Schriftgelehrten, Priester und Rabbiner? Denken Sie darüber nach, und Sie werden die Ursache ausfinden!« (Compendium by Sbg. Warren Biographical introduction page 54.)
Die Priester von jeher waren bestrebt und haben es verstanden, aus Religion ein bequemes
Leben zu machen, und das Geld dazu aus den ärmsten Leuten sogar zusammenzutreiben; sie
verstunden ein System aufzustellen, um die Gesamt-Menschheit von ihnen abhängig und
untertänig zu machen. Betrachten wir das ganze Kirchensystem, was gewöhnlich »Gottesdienst« genannt wird: der Name an sich ist schon unwahr. 1. Gott braucht keinen Dienst von
uns. 2. In der Kirche sitzen, Predigt anhören, beten und singen ist gar kein Dienst. Wir dienen,
wenn wir einen Nutzen unsern Nebenmenschen leisten, wenn wir treu unserem Berufe obliegen, was nicht nur an Sonntagen, sondern alle Tage geschieht. Der Herr sagt: »Was ihr Meinen
geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr Mir getan.« »Dem Herrn nachfolgen« kann nur
heißen, das zu tun, was Er gelehrt hat, und nicht das Gegenteil. Das ganze äußere Kirchenwesen ist falsch und gehört dem Christlichen Heidentum zu, nicht der wahren Neuen zukünftigen Kirche. Der Herr wandelte unter den Menschen und lehrte sie, wie sie leben und handeln
sollen; Er befragte sie, und gab ihnen Antworten. Als die Jünger Ihn ersuchten, sie beten zu
lehren, warnte er sie, nicht den Heuchlern und Heiden zu folgen, die da in den Synagogen und
an den Ecken der Straßen stehen, damit sie gesehen werden, und die da glauben, sie werden
erhört, wenn sie viele Worte machen, und sagte: »Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein
und verschließe deine Türe, und bete zu deinem Vater im Verborgenen, und dein Vater, der in
das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten öffentlich.« Tun unsere Priester Ihm darin folgen?
Was ist ein öffentliches Gebet anders als ein mechanisches Lippengebet; das wahre Herzensgebet kann Niemand nach Belieben eines anderen Menschen verrichten. Der Herr sagte auch:
»Dieses Geschlecht ehret Mich mit den Lippen; aber ihr Herz ist weit entfernt von Mir!«
Swedenborg, der durch Lesen in dem Worte erleuchtet wurde, rät seinen Lesern in vielen Stellen, sich nicht auf die Priester (Concilien) zu verlassen, und sagte: »Wende dich aber, mein
Freund, vielmehr an den Gott des Wortes, und so an das Wort, und gehe auf diese Weise durch
die Türe ein in den Schafstall, das ist: in die Kirche, so wirst du erleuchtet werden, und dann
wie von einem Berge herab selbst nicht nur viele andere, sondern auch deine eigenen früheren Schritte und Irrgänge im dunklen Walde unterhalb des Berges sehen. (W. Ch. N. 177.)
100
Johann Czerny
Ich danke noch einmal für die Schriften, und hoffe, noch weiter von Ihnen zu hören, und mit
einem herzlichen Gruße zeichne mich brüderlich in der Neuen Kirche des Herrn:
Johann Czerny,
Gründer der Deutschen Gemeinde der »Neuen Kirche« in New York.
146 South 4 th. St. Brooklyn N. Y.
BRIEF VON ADOLPH ROEDER AN CHR. FR. LANDBECK
Orange, 31. Aug. 1903.
Lieber Bruder L.!
In Bezug auf meinen letzten Brief und dessen Erscheinen im Druck in Ihren Schriften möchte
ich bitten, daß derselbe nicht erscheine, sondern lieber der jetzige, weil ich mich nicht genau
entsinnen kann, was ich damals geschrieben habe und ob es als für den Druck bereit angesehen werden darf, da ich diese Wendung nicht im Sinne hatte. Nun möchte ich aber Folgendes
direkt an Sie richten, und Ihnen hiermit Genehmigung geben, daß Sie es gebrauchen je nach
Wunsch:
»Wir in Amerika sind in gewissen Sachen bevorzugt; wir haben eine größere Freiheit des
Denkens und des Redens, und da hat sich denn in unserem Lande ein gewisser Geist der
Freiheit entwickelt, welcher Großes mit sich bringt. In den ersten Tagen der Neuen Kirche, als
die Anfangsgründe gelegt wurden, da war es sehr natürlich und eine sehr logische Folge, daß
unsere Freunde sich von der alten Kirche sehr unterschieden fühlen mußten, denn zwischen
der ganz alten Theosophie und der neuen Theologie ist ein sehr großer Unterschied, und dieser Unterschied fiel zuerst schwer ins Gewicht. Seit jener Zeit aber hat sich sehr vieles geändert. Wir leben in einer neuen Welt und in dieser neuen Welt entstehen sehr viele neue
Gedanken und neue Denkrichtungen; und von diesen Denkrichtungen entwickelte sich eine
sozusagen neue Lebenslage: in diese neue Lebenslage fügten wir uns langsam hinein. So ist
es in Amerika möglich, daß Körperschaften bestehen, welche Anhänger von allen Denominationen zu ihrer Mitgliedschaft rechnen. Wir haben z. B. Jünglingsvereine, christliche Vereine u.
s. w., in welchen alle Denominations-Unterschiede nach und nach verschwinden. Deshalb ist
es uns auch in der »Neuen Kirche« möglich, in solchen Sachen freier zu denken, und obwohl
wir wissen und fühlen, daß unser System der Philosophie und Theologie sich scharf von anderen unterscheidet, so wissen und fühlen wir doch auch, daß wir im großen Ganzen Menschen sind, und als Menschen die Menschlichkeit im Nächsten zuerst sehen müssen, ehe wir
an unseren Glaubensunterschied gehen. - So kommt es in Amerika vor, daß wir auf einer
Kanzel – neukirchliche Prediger, Methodisten, die sonst sehr strenggehaltenen Baptisten,
katholische Priester, zugleich versammelt sehen, und diese über dasselbe Thema reden hören,
jeder von seiner Seite und nach seiner Ansicht. Vor etwa 1 Monate war ich selbst Einer der
Redner in der Stadt Providence, wo wir vor einer neukirchlichen Genossenschaft Ansprache
hielten, und auf dem Programm stand neben meinem Namen als neukirchlicher Prediger, der
Name eines katholischen Priesters, der Name eines Methodisten-Predigers, und der Name
eines Congregationalisten, und wir haben uns ganz gut vertragen, und sind alle 4 noch am
Leben.
Es ist Zeit, dass nicht nur die »Neue Kirche«, sondern auch Anhänger aller Kirchensysteme
sich mit diesem Gedanken vertraut machen, daß wir durch unsere Meinungsverschiedenheiten und die manchmal unnötige Emphase (Nachdruck), welche wir diesen Meinungsverschiedenheiten geben, nur äußerst wenig gewinnen, ja daß wir tatsächlich einander sehr wehe tun,
und das hat gar keinen Zweck. –
Wenn ich als Deutscher geboren bin, und die deutsche Sprache mir lieb und lieber ist als alle
anderen Sprachen, so bin ich eben dadurch gezwungen, auch meinem englischen Nachbarn
dasselbe Recht einzuräumen; dem muß sein Englisch ebenso lieb sein, wie mir mein Deutsch.
Wie kann es denn anders sein? Und so ist es auch mit unserer geistigen Sprache. Ich spreche
»neukirchlich«; ein anderer spricht »neutheosophisch«, und Jeder hat seine eigene geistige
Sprache am liebsten; aber wie ich als Deutscher englisch lernen kann, so daß ich es ziemlich
gut schreiben kann, und dennoch mein eigenes Deutsch sehr lieb habe, so kann ich als Neu-
102
Adolph Roeder
kirchlicher oder als Neutheosoph die geistige Sprache meines Nebenmenschen lernen, ja
sogar gut lernen, daß ich sie beinahe reden kann; mit anderen Worten, daß ich ganz in seine
Denkweise mich versenken und dennoch immer meinem eigenen Ideal einer Theosophie oder
Philosophie treu sein kann, ohne mir selbst oder meinem Nebenmenschen gehässig zu werden, oder Schaden zuzufügen.
Lasset uns unter einander soviel Meinungsverschiedenheiten haben, wie notwendig aus den
verschiedenen Gemütsanlagen hervorgehen müssen; aber dennoch unter einander Brüder
sein, die sich im Großen – Ganzen vertragen und friedlich mit einander leben können; denn in
den großen Zügen sind wir uns ja Alle gleich.
Was will die »Neue Kirche« anders, als daß Menschen »Menschen« sein sollen, daß sie ihren
Schöpfer lieben sollen, daß sie ihrem Nächsten dienen sollen, daß sie nützliche Mitglieder der
menschlichen Gesellschaft seien, daß sie vernünftig denken über das geistige Leben, über das
Wesen des Geistes, über ihre eigene Idee der Gottheit, des Großmenschen, der Offenbarung
dieser Gottheit und der Mittel, wodurch diese Offenbarung vor sich geht.
Und was will die »Neu-Theosophie« anderes, als dieses! Und was will die katholische Kirche
anderes, als dieses! Und was will überhaupt ein System der Religion oder der Theologie oder
Philosophie anderes, als dieses: daß der Mensch ehrlich und rechtschaffen, kurz daß er ein
Mensch sei, und daß er sich zu seinem Schöpfer und seinem Nebenmenschen in ein vernünftiges Verhältnis hineinlebe und hineindenke.
In diesem Geiste können wir irgendwelche Meinungsverschiedenheiten unter einander vergleichen, besprechen und berichtigen, ohne daß daraus irgendwelche Unannehmlichkeiten
erwachsen.« –
Soweit wäre es vielleicht von Nutzen, den Brief erscheinen zu lassen. Ich werde wohl im anderen Briefe ganz ähnliches gesagt haben, denn ich bin gewöhnt, gerade so vom Herzen heraus zu reden, zu Jedem und zu Allem.
Es grüßt in Liebe und Hochachtung!
Adolph Roeder
DIE CHRISTLICHE NEU-THEOSOPHIE
[L. H. Tafel] – 1903 / 04
Vorbemerkung von Thomas Noack: Der Beitrag von L. H. Tafel erschien in drei Teilen in Neukirchenblatt, Redakteur: Pastor L. H. Tafel, Jahrgang 17, Lancaster, Pa., 1. September 1903, Nr. 6, S.
45-46; Neukirchenblatt, Redakteur: Pastor L. H. Tafel, Jahrgang 17, Lancaster, Pa., 1. Oktober
1903, Nr. 7, S. 52-54; Neukirchenblatt, Redakteur: Pastor L. H. Tafel, Jahrgang 17, Lancaster, Pa., 1.
Januar 1904, Nr. 10, S. 76-78. Das Ende der einzelnen Teile ist in der hier vorliegenden Veröffentlichung mit einem schwarzen Kreis (•) gekennzeichnet
Aus der Officin dieser Kirchengemeinschaft erhalten wir
einige Pamphlete und Traktate, auch einen Angriff auf die
Neue Kirche »Abwehr« genannt, von A. Jantschowitsch,
welche in ziemlich genügender Weise das Wesen und
Treiben dieser neuen Secte darstellen. Aus diesen liegt klar
vor Augen, daß diese neue Secte einen großen Theil der
Lehren des Neuen Jerusalems aufgenommen hat, und diese
in einer ihr eigenen Weise der Welt mittheilt. Wie manche
andern Leute sind sie gerne willens die göttliche Wahrheit zu
bekennen, wenn sie sich selber die Entdeckung zuschreiben
können. Um dieß zu thun, geben sie denn vor, daß diese
Wahrheiten ihnen von Gott neu geoffenbart seien, ja sie
geben sie in der Form von neuen von Gott durch sie
gesprochenen Offenbarungen kund.
Dem ersten Anschein nach hätte dieß wenig auf sich. Man
Ludwig Hermann Tafel
könnte wohl sagen, daß es nicht ganz aufrichtig sei und an
1840 - 1909
Verstellung gränze. Aber das ist nicht das Einzige. Die Form
in der diese Offenbarungen (?!) von Jakob Lorber, G. Mayerhofer und Johanna Ladner und Anderen gegeben werden, hat das Schlimme mit sich, daß solche Propheten (?) in die stetige Versuchung kommen ihrer Einbildungskraft freie Zügel schießen zu lassen, und mit dem Göttlich
Wahren der himmlischen Lehren allerlei Falsches zu vermischen und so dasselbe zu verkehren und zu entstellen. So finden wir neben einer ziemlich correcten neukirchlichen Darstellung der Menschwerdung Gottes, allerlei falschen Anhängsel:
Die, welche mit der Geschichte der Neuen Kirche hier zu Lande und in England vertraut sind,
wissen daß es schon mehrere neukirchliche Irrlehrer gegeben hat, die dann mehr oder weniger Nachbeter fanden aber bald wieder verschwanden. So Tulk in England, der die Geburt des
Herrn Jesus Christus auf Erden läugnete, und dem in neuerer Zeit Artope in Berlin nachbetete.
Dann kam T. L. Harris, der zuerst am Erie See und dann in Californien neukirchliche Colonien
gründete, und den himmlischen Sinn des Wortes enthüllen wollte, u. s. w. Dieser gab auch ein
Buch von Gedichten heraus: »The Republic of the Sun« Es ist etwas unerwartet ein etwa gleich
großes Buch von Lorber zu sehen, in dem er in ähnlicher Weise von Bewohnern der Sonne
faselt und in großer Länge eine Beschreibung dieser Bewohner gibt. Es ist wohl vom Herrn
zugelassen, daß sich diese zwei Irrlehrer in ähnlicher Weise den Stempel der Unwahrheit und
Schwärmerei aufdrücken; denn dem Neukirchenmann ist nichts klarer und gewisser, als die
Göttliche Wahrheit, daß die Sonne reines Feuer ist; daß solche Phantasiegebilde daher der
pure Irrwahn sind.
Daß ein Artopeaner, wie Meuschner, der nicht an die Menschwerdung Christi glaubt, nachher
auch noch Theosophismus treiben sollte, war vielleicht nicht so unerwartet; daß aber auch ein
alter Mann wie Jantschowitsch noch einen Purzelbaum in diesen Irrwahn machen sollte,
schien weniger natürlich. Und doch zeigte sich das, als wir seinen Artikel im »Boten der Neu-
104
L. H. Tafel
en Kirche« erblickten. Um seine Verirrung noch weiter zu documentiren, hat derselbe nun
einen Angriff auf General-Pastor Görwitz drucken lassen und sendet ihn an Neukirchenleute
aus. Es scheint, daß er es Herrn Görwitz übel nimmt, daß derselbe den neuen Theosophismus,
wie es ja auch seine Pflicht ist, entlarvt und darstellt, so wie er eben ist. So lange dieser
Kampf sich auf Deutschland beschränkte, schien er uns kaum wichtig genug um in unserem
Blatte darauf einzugehen, aber da derselbe nun durch Jantschowitschens Artikel und Pamphletsendung sich auch auf Amerika ausdehnt, so schien es uns doch passend, auch einige
Worte darüber zu sagen.
Wer etwas über die Lehre der Offenbarung weiß, der weiß, daß die unendliche Weisheit Gottes
nicht anders unmittelbar mit dem natürlichen Menschen verkehren kann, als durch Gleichnisse und Entsprechungen. So lesen wir auch vom Herrn als Er auf Erden war: »Dieß alles
redete Jesus in Gleichnissen mit dem Volke, und ohne Gleichniß redete Er nicht mit ihnen.«
Matth. 13; 34. Die Neu-Theosophisten behaupten aber daß ihre Offenbarungen (!) direct aus
dem Munde Jesu kommen. Dieß erhellt ganz deutlich aus allen ihren Schriften, in denen
überall der »Jesusvater« als in der ersten Person redend eingeführt wird. So in der »Abwehr«
welche wir gerade vor uns haben: »das sage Ich, die ewige Liebe und Weisheit. Amen! Amen!
(S. 70.) »Dieses ist es, was Ich als Vater dir wünsche … Amen!« (S. 74). »Euer treuer Vater« (S.
80). »Amen. Euer Vater Jesus« (S. 82). »Nun sei gesegnet von deinem Vater Jesus. Amen!« (S.
85). »Das sagt dir Dein dich unaussprechlicher liebender Vater Jesus. Amen.« (S. 87). »Das
sage ich Dein Jesusvater. Amen.« (S. 91). So auch in den Tractaten »Schwerpunkt unserer
Mission.« »Tendenz dieser Offenbarung.« So schließt »Glaubet ihr an Gott etc.« mit den Worten
»Euer Jesus.« Der ganze Styl ist durchweg so nüchtern und trocken als nur irgend ein Schulmeister zu seinen kleinen Schülern. Daß die Neu-Theosophisten mit so etwas zufrieden sind,
ist wohl eben weil sie es nicht besser verstehen. Aber daß ein etwas gebildeter, früherer Neukirchenmann sich von so etwas übertölpeln lässt, zeigt eben, daß er schon in seinem 70sten
Jahre kindisch geworden ist. In den »Himmlischen Geheimnissen«, mit denen derselbe mehr
oder minder bekannt war, lesen wir:
»Das Wahre, das unmittelbar vom Göttlichen ausgeht, kann von Niemand, selbst nicht von
irgend einem Engel gehört werden; denn, wenn das Göttliche gehört werden soll, so muß es
vorher menschlich werden, und menschlich wird es, wenn es durch die Himmel hindurch
geht; dann erst stellt es sich in menschlicher Form dar und wird zur Rede; diese Rede wird
durch Geister ausgesprochen, welche wenn sie in jenem Zustande sind, der Heilige Geist
genannt werden. Von diesem wird gesagt, daß er vom Göttlichen ausgehe, weil der Heilige
Geist oder das heilige Wahre, das der Geist dann spricht, vom Herrn ausgeht. Aus diesem
kann erhellen, daß das Wahre, das unmittelbar vom Göttlichen ausgeht, für Niemand als Sprache oder Rede dargestellt werden kann, es sei denn durch den Heiligen Geist.« H. G. 6982.
Was in solcher Weise vom Herrn kommt, ist göttlich und hat neben dem Buchstaben einen
innern geistigen und himmlischen und zuletzt einen unendlichen göttlichen Sinn, somit sind
es keine Worte des unendlichen Jesusvaters, das heißt Gottes. Jantschowitsch weiß das Alles,
oder wusste es wenigstens früher. Dennoch entblödet er sich nicht in seiner »Abwehr« (S. 4)
zu sagen: »Durch Lorber spricht der Herr in erzählender Art, darum auch als Letzter (Apocalypse 1, 11) im untersten Höhengrade, in natürlich göttlicher Weise, der Fassungskraft natürlicher Menschen angepasst.« Von einem innern oder gar göttlichen Sinne darin maßt sich
selbst Jantschowitsch nicht an dabei etwas zu sagen, meint aber dennoch, das sei eine Rede
Gottes! Wie albern! Als ob irgend ein Wort Gottes des Unendlichen entbehren könnte! Wir
haben den ganzen Haufen von sogenannten Offenbarungen sorgfältig durchgesehen, und nirgends eine Spur von einer Wahrheit gesehen, die einem Menschen, der die Bücher der Neuen
Kirche besitzt, neu sein könnte, absolut keine. Was wahr ist, ist nicht neu, was aber neu ist,
ist nicht wahr. Auf Letzteres kommen wir in Bälde zurück. Die curiose Idee von Sonnenbe-
Die christliche Neu-Theosophie
105
wohnern haben wir schon erwähnt. Wenn Jantschowitsch glauben kann, daß das Geschreibsel
Lorber’s Worte Jesus sind, so zeigt es eben, daß er eine bloß menschliche Ansicht von Jesus
hat, und nichts von seiner Gottheit weiß. Irgend ein Engel des Himmels, ja irgend ein gebildeter, wohl unterrichteter Neukirchenmann, wüsste schon aus seiner ihm angeeigneten Weisheit Weiseres und Besseres zu geben. •
Schon von den Engeln sagt Swedenborg in den »Himmlischen Geheimnissen«:
»Der Mensch kann nicht einmal die Geister hören, die bei ihm sind, wenn diese unter sich
reden, und wenn er sie hörte, könnte er sie nicht verstehen, weil die Rede der Geister ohne
menschliche Worte ist, und die universale Sprache Aller ist; weiter können die Geister die
Engel nicht hören, und könnten sie dieselben hören, so könnten sie dieselbe nicht wahrnehmen, denn die Engelssprache ist noch universeller. Noch weniger können die Engel des innersten Himmels gehört und wahrgenommen werden, weil ihre Rede nicht aus Vorstellungen
besteht, sondern aus Gefühlen, welche der himmlischen Liebe angehören. Wenn diese Reden
dem Menschen so fern stehen, daß sie von ihm gar nicht gehört und wahrgenommen werden
können, wie wäre es dann mit der Göttlichen Rede, (wenn man sie so nennen will), welche
noch unendlich über den Redeweisen der Himmel ist!« (H. G. 6996).
Alles das weiß, oder wusste Jantschowitsch und dennoch gibt er vor, daß das alltägliche Gerede Lorber’s Worte Jesu seien! Ist das nicht ein unumstößlicher Beweis, daß er non compos
mentis ist?
So mit dem vorgeblichen Lorberschen »Evangelium Johannis«, dieß ist eine ganz alltägliche
Darstellung von dem was Lorber muthmaßt, daß der Apostel Johannis noch gehört und gesehen haben könnte, außer dem was er in seinem wirklichen Evangelium gibt. Hätte Lorber es
ehrlicher Weise als seine Erdichtung dargestellt, so wäre es nicht viel schlimmer denn andere
apokryphische Evangelien auch, läppisch und geringfügig wie es nothwendig sein muß, wenn
irgend ein Mensch dem Unendlichen sein eigenes Machwerk als göttliche Rede aufbürden
würde, aber es wäre dann wenigstens keine Fälschung und Unterschiebung. Daß aber ein
früherer Neukirchenmann solch ein Gemachsel nicht von der göttlichen Rede des Wortes, wie
wir sie in den wahren Evangelien finden, unterscheiden kann, ist ein jämmerliches Armuthszeugniß!
Diese kindische Einfalt lallt nämlich wie folgt:
»Kann wohl ein solches Riesenwerk, welches die ganze dreijährige Lehrthätigkeit des Herrn
bis in seine kleinsten Einzelheiten schildert, … in allem Wesentlichen mit Gottes Wort und
den himmlischen Lehren der Neuen Kirche in harmonischer Uebereinstimmung steht, … kann
solch Herrliches anderswo als aus reiner himmlischen Quelle kommen? … unseres Dafürhaltens ist es ganz zweifellos nur vom Apostel Johannes dem Jakob Lorber diktirt, d. h. vom Herrn
selbst, durch den nunmehrigen Engel Johannes.« (Abwehr S. 16, 17).
»Daß es dem Herrn gefallen hat, jetzt (warum nicht früher?) die längst in Vergessenheit gerathene, ganz ausführliche Geschichte Seiner Menschwerdung von Neuem, in wunderbar
getreuer interessanter erzählender Form in natürlicher Sprache der Menschheit wiederzugeben, ist ein Ausfluß Seiner unendlich liebreichen Fürsorge für dieselbe, wofür kein
Mensch je genug dankbar sein kann!!!« Dann heißt er dieses Unterschiebsel noch »Gotteswort« und »Gotteswerk.« (Abwehr S. 17.)
Nach all diesen kindischen Lobhudeleien, gelüstet es Einen beinahe dieses hohe Wunderwerk
(!) in Ansicht zu nehmen, und wirklich findet sich auch eine Seite (wohl die unverfänglichste)
aus diesem hochgelobten Buch auf Seite 83 der »Abwehr«. Besten Dank dem Herausgeber, der
so nicht nur die Neugierde reizt, sondern sie auch bis zum Uebermaß befriedigt.
»Aus Kapitel 120-121 von Lorbers Johannes-Werk.«
106
L. H. Tafel
»Und so da Jemand jedes Wort buchstäblich inne hätte, genau so wie Ich es ausgesprochen, hätte
aber den Geist dazu nicht empfangen, um durch ihn dann erst in die Tiefe zu dringen, allwo in
Meinen Worten Licht, Kraft und Leben walten, so nützeten ihm Meine Worte ebenso wenig, als
Jemand die langen Gebete der Farisäer etwas nützen.
Hat aber jemand den Geist Meiner Worte in sich, so benöthigt er den Buchstaben nimmer (!?).
Wer aber den Geist hat, der hat auch die Lehre rein. Ich aber werde im Geiste verbleiben bei meinen stets nur wenigen (?) wahren Bekennern, bis ans Ende der Zeiten dieser Erde! –
Was dem äußern Menschen vorerst nöthig zu wissen und zu glauben, das wird von Meinen zwei
Schreibern (Matthäus und Johannes, ersterer hauptsächlich für den Thatsachenteil und letzterer
für den geistigen Lehrteil bestimmt) aufgezeichnet.
Wer das annehmen und darnach thun wird, der wird auch zum Empfange Meines Geistes vordringen. Hat er den, so braucht er fürs weitere nichts mehr.
Bleibt er aber bei dem von Mir gesprochenen lau und träge, das zu thun, so wird er wohl den
Buchstaben haben, aber zum Geiste, der tief innerhalb des Buchstabens ruht, nimmer vordringen.
Es wird niemand nützen, gläubig zu rufen: Herr, Herr! Denn solche Nichtbefolger Meiner Lehre
kennen Mich nicht, daher sie auch von Mir nicht erkannt werden!
Ich sage euch als göttliche Wahrheit:
Wer nicht vollkommen ein Thäter Meiner Lehre wird, sondern bloß nur ein Hörer, wenn auch
zeitweiliger Bewunderer und Lobpreiser derselben verbleibt, der bekommt Meinen Geist nicht,
und Meine ganze Lehre (und Erlösung) nützt ihm also im Grunde wenig oder nichts! Da er im Jenseits nackt und arm ankommen wird, u. s. w.« [GEJ 5,120,8-121,4]
Das also ist, buchstäblich wiedergegeben eine Musterseite des Lorberschen Evangelium Johannis! Und dieses nüchterne Machwerk, das keine einzige neue Wahrheit enthält, soll »eine
neue Offenbarung Gottes« »ein Gotteswerk«, »ein Gotteswort«, »ein Wunderwerk« sein. Der
Leser wird zugeben, daß der alte Horaz die Sache am bündigsten und treffendsten beschreibt:
»Parturiunt montes, nascitur, ridiculus mus!« (Die Berge kreisen !! geboren wird – ein lächerlich Mäuslein!)
Ein gebildeter Neukirchenmann, der, auch ohne »neue göttliche Offenbarung« nicht eben so
gut, ja weit besser den Vorgang der Verherrlichung des Herrn aus den Evangelien und den
Lehren beschreiben könnte, wäre wirklich zu bedauern. Ein Neukirchenmann aber, der mit
allem dem, was der Herr ihm in den Schriften geoffenbart hat, so etwas aufnehmen, anstaunen
und als göttlich anerkennen kann, ist eben wie die Israeliten, die eben den Herrn Gott auf dem
Sinai mit Posaunenton das lebendige Gotteswort hatten verkündigen hören, aber dennoch,
noch im selben Jahre sich ein goldenes Kalb machten, es umtanzten und als ihren Gott anbeteten.
Der Herausgeber dieses »Wunderwerkes« scheint weniger von dessen Autenticität überzeugt
als Jantschowitsch. Er sagt in seiner Ankündigung: »eine Art neu geoffenbartes autobiographisches Tagebuch etc. über die Zeit der Lehramtsjahre Jesu, enthält es in erzählender Form den
reichsten Schatz enthüllter Lebensräthsel etc.« Wer da ein wenig zwischen den Zeilen lesen
kann, der sieht, daß es also nur »eine Art von Tagebuch« ist; das enthüllte Lebensräthsel« mitheilen soll. Ein hübsches Geschichtlein, das um der Belehrung willen erdichtet ist. Vielleicht
hat der Verfasser nicht im Sinne gehabt, den Leser an der Nase zu führen, sondern wollte nur
in interessanter Weise seine Belehrung geben, der arme Jantschowitsch aber nahm alles das
als baare Münze für »Gottes Wort«, für eine neue Offenbarung an. Da ist er wohl zu bedauern!
Das neukirchliche Publicum hat noch nie Grund gehabt, viel Vertrauen auf Jantschowitsch’s
Einsicht oder Geschmack zu setzen. Alle unsere Leser aber kennen Herrn Pastor Fedor Görwitz und haben volles Vertrauen auf seine Einsicht und sein Urtheil. Derselbe hat wirklich 40
Seiten des »Wunderwerks« gelesen! Wir drücken ihm unser Beileid aus. Wir haben bis jetzt
160 Seiten Theosophie gelesen aus dieser neuen Sendung und etwas mehr vorher, und wissen, was es heißt da durchzuwaten. Die Ansicht Görwitzen’s daß das ganze »Wunderwerk« (?)
Die christliche Neu-Theosophie
107
Lorber’s »nichts sei als eine Entweihung des heiligen Gotteswortes durch läppische Zusätze,
von denen sich der im Lichte der neuen Kirche Stehende mit Grauen abwenden muß«, stimmt
ganz genau mit dem Resultate überein, zu dem wir nach Prüfung des Theosophismus so weit
gelangt sind.
Jantschowitsch meint zwar (S. 18) daß »ein Truggeist es nicht wagen könnte, sich so umständlich und erschöpfend bis in die allergeringsten Details der Gottpersönlichen Erfahrungen,
Erlebnisse und Gespräche des Herrn, im Namen und in der Person desselben zu manifestiren«, weil Paulus sagt, daß Niemand Jesus einen Herrn heißen kann, er rede denn durch den
heiligen Geist etc. Jantschowitsch würde scheint es irgend einer Dichtung Glauben schenken,
welche vorgäbe, die Ergebnisse und Reden Jesu eingehend zu beschreiben. Er weiß scheint es
nicht, daß es Dutzende von apokryphischen Evangelien gibt und noch mehr gegeben hat. Wir
wollen ihm nur einige nennen: Das Evangelium der Hebräer, das Evangelium des Barnabas,
des Marcion, des Nikodemus, der Valentianer, des Basilides, das Protevangelium des Jakobus,
das Evangelium des Petrus, des Thomas, der Araber etc.; ja er kann sogar einige nicht evangelische Anekdoten über das Leben und die Geburt Christi in dem Koran von Mahomed finden;
und alle dieser alten Pseudo-evangelien enthalten wenigstens Sagen und Ueberlieferungen.
Lorber’s Evangelium aber ist wohl funkelnagel-neue Dichtung auf dem alten Felde; aber er
hatte den Vortheil mit einigen Schriften Swedenborgs bekannt zu sein, so daß er sie seiner
Dichtung hier und dort einverleiben konnte, so standen ihm auch alle diese Apokryphen zu
Gebot.
Daß Herr Jantschowitsch so enthusiastisch über diese neue Dichtung ist, erregt bei Allen, die
ihn kennen, wenig Erstaunen. Man ist es bei ihm gewohnt, daß er sich an irgend etwas Neues
schwärmerisch und enthusiastisch hingibt, ohne es vernünftig und kritisch im Himmelslicht
des Göttlichen Wahren zu prüfen.
Das Wesen dieser sogenannten neuen Theosophie ist ganz ähnlich wie das des alten Spiritismus. In so weit als diese sogenannten Offenbarungen nicht aus bloßen Muthmaßungen und
Vernünfteleien bestehen, sondern wirklich eingegeben sind, so ist es, wie bei dem Spiritismus, immer ein höllischer Geist, der einfließt und den Menschen in Besitz nimmt. Dieß kann
nicht anders sein, denn Verkehr mit Geistern ist in dem Worte Gottes verboten, und Engel und
gute Geister wollen nicht, und daher können sie nicht, dem Willen des Herrn zuwider handeln.
Die ganze Sphäre des Himmels fließt gemäß der göttlichen Ordnung, und die dort sind, werden
davon getragen, so daß sie nicht anders können, als der göttlichen Ordnung folgen. Alle
Mittheilungen aus der andern Welt, die gemäß des Menschen eigenem Verlangen und auf
eigene Veranlassung stammen, kommen daher, ähnlich wie der vermeintliche heilige Geist
der Quäker aus der Hölle. Die bösen Geister, die sich als den Heiligen Geist bei Quäkern ausgeben, sind aus der tiefsten, schmutzigsten Hölle (s. G. Tageb. 3772), weil sie mehr als andere
in der Selbstliebe sind.
Wie die Quäker anfänglich nicht so schlimm waren, aber mit jedem Jahre, wie sie sich diesen
bösen Geistern hingaben, immer schlimmer wurden, so daß sie sich in allerlei (geheim gehaltene) Gräuel stürzen, so ist es mit allen, die von solch bösen Geistern besessen werden und
vorgeben aus dem Herrn zu reden. Das Schlimme bei Solchen ist, daß solche Enthusiasten,
ähnlich wie die Geister, die sie in Besitz nehmen, äußerst hochmüthig sind, und sich weder in
dieser Welt noch in der andern mehr von denen, die in der Wahrheit sind, belehren lassen,
sondern ewiglich verloren gehen (s. G. T. 3775.)
Ob man sich nun Spiritist nennt, oder Quäker, oder Theosophist, so wird ein solcher doch
stets von einem höllischen Geist aus der unteren Hölle geführt und mit fortgezogen. Solche
Geister, während sie bei dem Menschen sind, ziehen wohl des Menschen Gedächtniß an und
halten es für das Ihre, und reden daher gemäß des Menschen Lehren und Ansichten, methodi-
108
L. H. Tafel
stisch, katholisch oder auch neukirchlich, aber sie bringen den Menschen mit ihren Höllen in
Verbindung und flößen allmählig allerlei Böses und Falsches von daher ein.
Ein besonderer Charakterzug der neuen Theosophisten ist die alleinige Liebe. Der Protestantismus hat den Glauben allein und der ist kalt; der Katholizismus und mit ihm der neue Theosophismus hat die Liebe allein und die ist thierisch finster, ja, blind. Überall im
Theosophismus ist von der Liebe Jesu die Rede, wenig aber vom Wahren. Die klaren Unterschiede und Scheidungslinien, welche die Wahrheit uns machen lehrt, sind dort verworren
und verwischt, und nur die eine Saite klingt fort: Liebe, Liebe, Liebe! Das macht den neuen
Theosophismus, wie die christliche Wissenschaft für den oberflächlichen Beschauer sehr
liebevoll und himmlisch. Aber der einsichtsvolle weiß, daß Liebe ohne Weisheit nur ein thierischer Trieb ist, der sich leicht nach allen Seiten hin verleiten lässt zu allerlei Unreinem und
Schlechtem. Es ist nur wie Liebe und Weisheit mit einander verbunden werden, daß das
wahrhaft Menschliche, das wahrhaft Himmlische, ja, das Göttliche Selbst entstehen. Diese Ehe
des Wahren und Guten, oder der Liebe und der Weisheit ist das Wesen Gottes, das Wesen des
Himmels und das Wesen des Neuen Jerusalems. Wer die lichte Wärme des Neuen Jerusalems
verlässt um der bloßen Liebe nachzuhaschen, der verläuft sich ins Dunkle und verliert seinen
Weg. Auch in der Hölle gibt es Liebe, aber nur selbstische, unreine und höllische.
Der neue Theosophismus mit seiner Vernachlässigung des Wahren hat keine klare Kenntniß
des Guten und Bösen, oder des Wahren und Falschen, und kann deßhalb auch nicht vor dem
Bösen beschützen. Wir sehen das an ihrer Behandlung des Spiritismus. Die Neue Kirche zeigt
uns deutlich, daß es gegen die göttlichen Gebote, die göttliche Ordnung ist und warnt und
schützt so davor. Der Theosophismus aber sagt über den Spiritismus: »Ich lasse die Geister
und Menschen machen, was sie wollen … Alles dieses sind Vorbereitungsschulen« (Abwehr S.
78.) und so kommen sie unter die Macht der Höllengeister und gehen verloren. Noch deutlicher tritt dieß hervor in den Worten:
»Um diesen für euch Menschen so wichtigen Glauben (an Christus) wieder mehr zu verbreiten, lasse Ich den Verkehr zwischen der Geisterwelt und den Menschen nun immer mehr und
stets deutlicher zu.« (Abwehr S. 82.)
Die Neue Kirche weiß, daß nur böse und ungläubige Geister mit den Menschen so verkehren,
weil es gegen die göttlichen Gebote ist; so verbietet er den Spiritismus ganz und gar. Der
Theosophismus begünstigt ihn und bringt daher seine Nachfolger zum Verderben.
Es beliebt dem neuen Theosophisten Alle, welche ihre Lehren kritisiren und deren Gefahren
aufdecken, »Schmäher« zu tituliren, aber man muß es ihnen lassen, daß sie ebenso wie die
Anhänger der »Christlichen Wissenschaft« ihre Gegner gewöhnlich anständig behandeln. Um
so mehr ist es befremdend, daß sie ihren neuen Convertiten Jantschowitsch nicht besser gezogen haben. Statt seinem Gegner, Oberpastor Görwitz (nicht Görvitz) anständig und würdevoll
zu begegnen und zu versuchen ihn in christlicher Weise eines Bessern zu belehren, verliert
er sich in allerlei persönlichen und in allen Fällen ganz und gar unpassenden bissigen Angriffen. Herr Jantschowitsch bleibt eben immer noch derselbe »Schmäher«, den wir seit dreißig
und mehr Jahren an ihm kennen.
Etwas erstaunlich war es wohl seinen Bekannten, daß er sich als einen »neukirchlichen Prediger« ausgibt, wohl um seinem boshaften Angriff auf Pastor Görwitz das demselben fehlende
Gewicht zu geben?! Daß er einige Zeit in Herisau und später auch in Budapest neukirchliche
Vorträge gehalten, macht ihn noch lange nicht zum neukirchlichen Prediger, in dem Sinne
eines ordinirten Geistlichen, denn das haben vor ihm schon viele Laien gethan. Von einer
Ordination ins geistige Amt hätten wir noch nie etwas gehört.
Was die neukirchlichen Brüder in Budapest, die ihn aus nächster Nähe kennen, von ihm halten, erhellt aus folgender kürzlich erhaltender Zuschrift:
Die christliche Neu-Theosophie
109
Budapest den 13ten August 1903.
Sehr geehrter Herr Pastor :
Wir ersuchen um gütige Aufnahme folgender Zeilen für das nächste Neukirchenblatt:
Herr Adalbert Jantschowitsch in Budapest, Ungarn, hat mit seiner vor kurzem erschienenen
Schmähschrift gegen Generalpastor F. Görwitz sämmtliche neukirchlichen Kreise in die tiefste
Entrüstung versetzt. – Um Missverständnissen vorzubeugen, erklären wir, daß Herr A. Jantschowitsch schon seit geraumer Zeit nicht mehr zu unsrer Gemeinde gehört, und wir mit dem Genannten in keinerlei Verbindung stehen.
Die Budapester Neukirchengemeinde.
Im Auftrag der Gemeinde.
A. Mousson, Schriftführer.
Von der Wiener-Gemeinde erhielten wir ein Schreiben desselben Inhalts, woraus hervorgeht,
daß Herr Jantschowitsch allein steht in seiner Abirrung.
Das Sonderbarste bei der ganzen Sache ist noch, daß Jatschowitsch, der in der »Abwehr« sowohl als im »Boten der Neuen Kirche« in seiner »Frauenheilbotschaft vom Herrn« ganz deutlich die neuen theosophischen Mittheilungen als göttliche Offenbarungen vom Herrn
anerkennt, dennoch im letzten Boten haben will, er sei kein Theosophist sondern Neukirchenmann. Das bleibt ihm natürlich unverwehrt; aber als »Leiter« in der Neuen Kirche ist
seine Uhr offenbar abgelaufen.
Wie es »der Bote der Neuen Kirche« vor der Kirche und vor dem Herrn verantworten kann, die
Falschheiten und Verkehrtheiten in der »Frauenheilbotschaft vom Herrn« ohne Warnung seinen Lesern vorzuführen, und so Gift und Wahrheit mit einander zu vermischen, ist uns unbegreiflich. Es scheint, daß derselbe nun die Verkehrtheiten des Artopeismus, für die des neuen
Theosophismus umtauscht, oder sollen wir glauben, daß ihm Alles Eins ist, und er nicht fähig
ist, das Falsche vom Wahren und das Böse und Höllische vom Guten und Himmlischen zu
unterscheiden? •
Wir hatten gehofft mit unsrer Darlegung der sogenannten »christlichen Theosophie« in unsern
Nummern für September und Oktober letzten Jahres die Sache, was uns betrifft, abgeschlossen zu haben. In Folge der falschen Haltung des »Botens der Neuen Kirche« und der leitenden
Glieder der Synode finden wir uns aber wider Willen gezwungen weiter auf die Sache einzugehen, um die Kirche vor Schaden zu bewahren.
Wir hatten gehofft, der Druck der Einsendung von Jatschowitsch, worin derselbe die Wahrheit
der sogenannten Offenbarungen Lorber’s anerkennt, sei ein Versehen gewesen, und daß die
Leiter des Blattes und der Synode keinen weiteren Antheil an dieser Abirrung hätten. Dieß ist
aber, wie es sich herausstellt leider nicht der Fall, und der kalte Brand des Theosophismus
greift um sich, wo immer der Einfluß des Botens und der Synode sich erstreckt.
Daß dieselben aber soweit gehen würden mit den Gegnern und Feinden der himmlischen
Lehren zu unterhandeln um sie in ihrem Irrwahne zu bestärken, hätten wir nicht geglaubt,
wenn nicht der Beweis davon gedruckt vor uns läge. Während Pastor Görwitz mit Anstand und
Würde dem gehässigen Angriff Jantschowitsch widerstand, und versucht die Neue Kirche in
Deutschland und der Schweiz zu beschützen, machte der Bote und die Synode wie in der Artope-Irrlehre, gemeine Sache mit dem Feinde, und fielen den Vertheidiger der heiligen Sache
meuchlings im Rücken an. Dieß erhellt aus einem von Landbeck in Bietigheim herausgegebenen Anhang zur »Abwehr«, die in den Pamphleten, die allgemein in Deutschland und Amerika
vertheilt wurden, ausgemerzt wurde. Dieser Anhang liegt uns nun in gedruckter Form vor.
Dieser Theil ist betitelt
Schluß (Einkleben in No. 52) der »Abwehr«
In diesem Schlusse jubilirt Herr Landbeck, daß:
110
L. H. Tafel
»Einige leitende Persönlichkeiten, denen an der Förderung der Eintracht, wenigstens unter den
freieren positiv-christl. Richtungen ebenviel gelegen ist, als uns, … hatten die Güte, ihre Ansichten
in der fragl. Streitsache in zwei an uns gerichteten Briefen kund zu geben.«
Diese zwei leitenden Persönlichkeiten sind natürlich keine andern als die Pastoren Röder und
Nussbaum, Präsident der Synode und Redakteur des Boten.
Pastor Röder’s Brief lautet nun folgender Maßen (S. 98.)
Orange, N. Y., (U. S. A.)
Den 17ten Juli 1903.
Lieber Bruder Landbeck!
Es hat mich recht gefreut, wieder von Ihnen zu hören, obgleich ich nicht dasselbe über die Streitfrage zwischen Bruder Jantschowitsch und Görwitz sagen kann, denn diese Dinge über die man
streiten muß, thun mir immer im Herzen weh.
Ich glaube natürlich, daß Jantschowitsch Recht hat, und daß Görwitz eine Richtung der N. K. vertritt, die uns Allen sehr leid thut.
Man kann natürlich in jeder Religionsbewegung engherzig man kann aber auch das Gegentheil
sein; und so muß es wohl recht sein, daß wir uns etwas streiten über gewisse Dinge; und ich will
meinen Theil dazuthun, daß jeder, der überhaupt etwas von dieser Sache wissen sollte, in Amerika ein Exemplar von ihrer No. 52 bekommt. Daß Jantschowitsch dem Görwitz geantwortet hat,
thut mir eigentlich nicht sehr leid; im Gegentheil es macht mir Freude, daß die Leute einmal sehen, daß es auch andere Ansichten giebt, als diese puppenhafte, pompöse kirchliche, und sonstige
Art und Weise, eine Kirche zu bauen. Man kann auch in das Herz der Menschen Kirchen bauen,
ohne Steine und ohne Litanei, und das sind weit bessere Kirchen als die andern. Damit will ich natürlich nicht sagen, daß wir keine äußeren Gottesdienstformen brauchen; aber du lieber Himmel
irgend ein Prediger, der ein bischen Verstand hat, kann sich ja in 5 Minuten eine Gottesdienstform
ausarbeiten, die für die Zustände seiner Gemeinde passend ist, das ist etwas sehr Leichtes. Solches
ist leicht ein- und ausgeführt, denn man braucht keinen Pomp für eine Handvoll Leute.
Darauf folgen noch einige persönliche Nachrichten. Betrachten wir dieses Schriftstück etwas
kritisch so sehen wir: 1. daß Röder dem Jantschowitsch der die sogenannte chr. Theosophie
als eine von Gott gegebene Offenbarung anerkennt, Recht gibt 2. daß er Görwitz, der die Lehren
der Neuen Kirche gegenüber dieser Theosophie vertritt und vertheidigt, Unrecht gibt. 3. der
einzige Grund, den er für seinen Glauben an die Theosophie angibt, ist: »Ich glaube natürlich,
daß« etc. 4. daß Röder erklärt »daß Görwitz eine Richtung der N. K. vertritt, die uns Allen sehr
leid thut.
5. daß er erklärt man könne in jeder Religionsbewegung engherzig sein oder das Gegentheil.
6. daß Röder die Theosophie dadurch unterstützt, daß er für die Verbreitung ihrer Literatur (No.
52) sorgt.
7. daß es ihm Freude macht, daß die Leute einmal sehen, daß es auch andere Ansichten gibt,
als diese puppenhafte, pompöse Art und Weise, eine Kirche zu bauen!
Wir nehmen diese einzelnen Punkte für einen Augenblick auf:
1.) Was den ersten Punkt betrifft, so müsste Herr Röder in einer Kirche, wo Disciplin da ist,
sich wohl dafür verantworten müssen, daß er eine Offenbarung als göttlich anerkennt, welche
mit der in seiner Kirche anerkannten göttlichen Offenbarung im Wiederspruche steht. Wenn
die Synode ein Körper des Neuen Jerusalems ist, wie sie zu sein vorgibt, so kann sie jedenfalls
nichts Schleunigeres thun, als ihren Präsidenten, der sie so mißrepräsentirt, bei Seite setzen.
Es sollte sich in Bälde zeigen, ob sie ein Theil der neuen Kirche ist, oder aus Nachbetern eines
Röders besteht, und sich irre führen läßt.
2.) Herr Röder zeigt nicht, daß Oberpastor Görwitz in irgend einem Punkte die Lehre der Kirche unrichtig darstellte, und so weit wir gesehen haben, kann er auch nicht zeigen, daß er
irgend einen Lehrpunkt entstellt oder verändert hätte. In allen Punkten stimmt er genau mit
der General-Convention ein, die ihn einstimmig nach Jahre langer würdiger Amtsführung in
Die christliche Neu-Theosophie
111
sein ehrenvolles Amt als General-Pastor eingesetzt und zu ihrem Repräsentanten auf dem
Festland gemacht hat.
3.) Der Grund den Röder für seine Stellungsnahme gibt wird wohl Niemanden imponiren als
einem Rödianer, wenn es solche Menschen gibt. »ich glaube natürlich etc« ist für andere Neukirchenleute kein Argument, und für die, welche Herrn Röder und seine vielen Abirrungen
von den himmlischen Lehren kennen, sogar ein starkes Argument, das Gegentheil zu glauben.
Im Ganzen genommen, wird ein Soldat, der während eines Treffens (auch Landbeck nennt es
eine Streitsache) seiner Fahne untreu wird und zum Feinde übergeht, als ehrlos desavonirt,
und wir zweifeln nicht, daß die Neue Kirche diesen Verrath ebenso kennzeichnen und als
ehrlos brandmarken wird.
4.) Röder erklärt, »daß Görwitz eine Richtung der N. K. vertritt, die uns Allen sehr leid thut.«
Die einzige Richtung die Pastor Görwitz vertritt ist die der General-Convention, deren verantwortlicher Beamten er ist. Daß diese Richtung dem Präsidenten der Synode »sehr leid thut,«
läßt sich nur dadurch erklären, daß die Synode von Anfang an der Convention schroff entgegen[ge]treten ist und sie geschmähet hat, und erst ganz kürzlich ihr unordentliches Verfahren
und ihre Opposition gegen die Convention aufgegeben und sich derselben unterworfen hat.
»Die uns Allen sehr leid thut«, kann sich wohl nur auf diese unordentlichen Elemente der
Synode beziehen; denn in der Convention selbst wird jeder geehrt, der wider das Falsche streitet und die Kirche davor warnt. Auch in der Synode gibt es genug ordnungsliebende Elemente,
die sobald sie in die Freiheit kommen, daß sie wagen sich auszusprechen, das Gebahren ihres
Präsidenten wohl in unzweideutiger Weise rügen werden. Manche ließen sich wohl früher
von demselben Geistlichen in den Artopeismus verführen, aber wir glauben doch nicht, daß
sie gesonnen sind, sich von ihm blindlings in allerlei Irrlehren verführen zu lassen. Das wird
sich wohl bald zeigen.
5.) Daß Röder erklärt man könne in jeder Religionsbewegung engherzig sein oder das Gegentheil hat mit der ganzen Sache nichts zu thun; außer man wendet es an, wie Röder es
andeutet, ohne es auszusprechen. Er meint wohl, er und die Synode seien weitherzig. Pastor
Görwitz aber engherzig. Solch eine Anwendung seiner unbestimmten Redweise gibt derselben
wenigstens einigen Sinn und Bedeutung. Betrachten wir nun, worin die Weitherzigkeit Röders
besteht. In diesem Falle scheint sie darin zu bestehen, daß er anerkennt, daß die »Theosophen« Jantschowitsch und Landbeck Recht haben, wenn sie erklären, daß die Theosophie eine
von Gott gegebene Offenbarung sei, die wir anerkennen sollen, und daß Pastor Görwitz Unrecht hat, wenn er behauptet, daß der Herr in den himmlischen Lehren des Neuen Jerusalems
seine Zweite Ankunft gemacht und wir keiner weiteren Offenbarung bedürfen. Das ist, scheint
es, die Weitherzigkeit Röders und die Engherzigkeit von Pastor Görwitz. Neukirchenleute werden allgemein die wahre Lehre, wie sie Pastor Görwitz vertritt vorziehen. Dieselbe Weitherzigkeit Röders, die ihn die Theosophie der himmlischen Lehre gleichstellen oder vorziehen läßt,
könnte ihn auch bewegen die alte katholische Kirche derselben gleichzustellen. So finden wir
auch auf Seite 102 des Anhangs zur »Abwehr« einen zweiten Brief Röders in dem er in allgemeiner Weise den Nutzen der Neuen Kirche schildert, dann fährt er weiter:
»Und was will die ›Neue Theosophie‹ anderes als dieses! Und was will die katholische Kirche
anderes als dieses! Und was will überhaupt ein System der Religion oder der Theologie oder
der Philosophie anderes, als dieses; daß der Mensch ehrlich und rechtschaffen, kurz daß er
ein Mensch sei etc. etc.« Wenn man Röder so in den Tag hinein schwatzen hört, so scheint es,
als ob es ganz und gar eins sei, ob man Neukirchenmann oder Theosophist, Protestant oder
Katholik, Mahumedaner oder Götzendiener sei, es ist ja doch Alles Eins, meint er. Wo sich ein
solcher Mischmasch im Gehirn vorfindet, da muß man zuletzt schließen, daß es doch recht
unnöthig – wie das fünfte Rad am Wagen gewesen sei, - daß der Herr Seiner Neuen Kirche das
112
L. H. Tafel
große System der göttlichen Wahrheit des Neuen Jerusalems geoffenbart habe. Zu solcher
Albernheit führt das »Es ist Alles Eins!« unseres gelehrt sein wollenden Röders.
6.) Sehen wir, daß Röder die Theosophie im Gegensatz zur Neuen Kirche unterstützt und verbreitet, wie er es Jahre lang mit dem Artopeismus gethan, bis er es zuletzt fallen ließ, aber
nicht weil er die Falschheit des Artopeismus einsah, denn als er dem Redakteure kund that,
daß er die Sache fallen lasse, setzte er hinzu »nicht daß ich glaube, daß es einen Unterschied
macht, ob wir glauben, daß der Herr auf dieser Erde geboren wurde oder nicht« sondern nur
»weil es den Subscribenten (des Botens der N. K.) nicht mehr zusagt. So schien es, eine Umschwenkung, nicht irgend eines Principes wegen zu sein, sondern nur um die Populärität bei
seinen Lesern sich zu erhalten.
Herr Röder schämt sich offenbar vor seinen deutschen Mitbrüdern nicht, und es macht ihm,
scheint es nichts aus, ob er sie in Irrlehren verführe, aber als der deutsche Missions-Verein es
damals vor die General-Convention und vor die englisch redenden Glieder der Kirche brachte,
die er nicht so leicht irre führen konnte als die Synode, da ließ er es fallen. So dürfte es auch
wohl kommen, wenn dieses Verhalten der Synode zur Theosophie vor die nächste Convention
kommt, und der Missions-Verein dagegen Beschwerde erhebt, daß die Synode und der Bote die
Theosophie wieder fallen lassen; nicht aus Grundsatz, sondern weil es ihrem Ansehen und
ihrem Einkommen schadet.
7.) Herr Röder hat ein höchst weichfühlendes Herz, wenigstens sag[t] er: »Es macht mir Freude, daß die Leute einmal sehen, daß es auch andere Ansichten gibt, als diese puppenhafte,
pompöse kirchliche und sonstige Art und Weise eine Kirche zu bauen.« Herr Röders Art und
Weise die Kirche zu bauen scheint die zu sein, daß man die falschen Propheten, die sich mit
fremden Federn schmücken (a la Artope und Lorber) als Boten Gottes anerkennt, aber die
Vertheidiger der Wahrheit Gottes (wie Pastor Faber und Görwitz) verräth und im Rücken anfällt. Wir sagen »im Rücken,« denn unverfroren wie Herr Röder ist, hat er doch so weit wir
gesehen, in seinem Blatte noch nicht direkt bekannt, daß die Theosophie wahr, die neue Kirche aber falsch ist. Es ist nur in einem Briefe an den Feind, daß er mit seinem Verrathe an der
heiligen Sache so plan hervortritt und sagt: »Ich glaube natürlich daß Jantschowitsch Recht hat
und daß Görwitz eine Richtung in der Kirche vertritt, die uns Allen sehr leid thut.« Röder selbst
sieht, daß er seine Ansicht hier zu deutlich ausgedrückt hat, und läßt Landbeck den ersten
Brief ausstreichen, und substituirt einen zweiten Brief, der mit nichtssagenden Allgemeinheiten strotzt, aber doch damit endet, daß die Neue Kirche, die Theosophie, die katholische Kirche
und alle Religionen alle nach demselben streben und deshalb auch Eins sind. Röder kennt
keinen Unterschied zwischen Wahrheit und Falschheit, zwischen Himmel und Hölle; Wahres
und Falsches sind eben Meinungsverschiedenheiten die weiter nichts ausmachen. Deßhalb
sagt er in seinem zweiten Briefe:
»Lasset uns unter einander soviel Meinungsverschiedenheiten haben wie nothwendig aus den
verschiedenen Gemüthsanlagen hervorgehen müssen.« Das Falsche des Bösen, mag es noch
so höllischer Natur sein, ist ihm eben »eine Meinungsverschiedenheit, die aus der verschiedenen Gemüthsanlage hervorgehen muß.« Röder weiß scheint’s noch nicht, daß die Göttliche
Wahrheiten so viele Wege sind, die zum Himmel führen, daß aber die Falschheiten aus dem
Bösen so viel Wege sind die abwärts zur Verdammniß und zur Hölle führen. Wenn daher Röder und Nussbaum mit einander das Gift der Schmähschrift Landbeck’s an alle ihre neukirchlichen Freunde schicken und es gut heißen, so sind sie dem Herrn und der Kirche
verantwortlich für jede schlichte Seele, die dadurch auf Abwege geführt, vergiftet wird und
verloren geht.
Daß die, welche im Falschen des Bösen sind und die welche im himmlischen Wahren sind,
dennoch Brüder seien, die sich gleichstehen, ist eben eine von den Mischungen des Guten und
Die christliche Neu-Theosophie
113
Bösen, und des Falschen und des Wahren, welche dem Spiritismus entspringen, in dessen
Schlamm Röder mit jedem Jahre tiefer zu versinken scheint. Wahre Bruderliebe zeigt sich
nicht darin, daß man das Falsche wahr, und das Böse gut nennt, sondern daß man die, welche
im Falschen des Bösen sind, davor warne und womöglich zur Wahrheit führe, und weiters
darin, daß man die, welche im himmlischen Wahren sind vor dem Gifte des höllischen Falschen warne und sie davor behüte.
Es beliebt Herrn Röder zu intimiren, daß er Kirchen in das Herz der Menschen baue, das ist
sehr schön phantasirt; wenn dieses Kirchen
bauen aber darin besteht, die treuen Vertheidiger
der Kirche heimtückisch anzufallen, und den
Feinden der Kirche, heißen sie Artopeismus
oder Theosophie, die Hand zu reichen, so fürchten wir, daß diese von Röder gebauten Kirchlein
Baalskirchen statt Kirchen des Neuen Jerusalems sein werden.
Wenn Röder die Weise in welcher die Convention die Kirche pflegt »eine puppenhafte, pompöse« nennt, so ist das eben seine Ansicht, in
etwas grober Weise ausgedrückt, welche wenig
von der Liebe und Verehrung, die wir der Kirche
des Herrn schulden, offenbart. Wir sind überzeugt, daß wenn er englisch geschrieben hätte,
er den Anstand besser gewahrt hätte. – Aber daß
er die Liebe und Achtung, die er seinen Kirchenbrüdern schuldig ist, in solch grober Weise
verletzt, dürfte denselben doch auch allmählig
die Augen über sein Treiben öffnen.
Wir haben bis jetzt vermieden, weiter auf diese Sache einzugehen, weil sie wenig erfreulich
ist; aber wenn der Bote und die Synode den Fortschritt der Kirche und ihre Entwicklung unter
den Deutschen in Amerika und in Deutschland, in solcher Weise in Gefahr setzen, so halten
wir es für unsre Pflicht die Kirche vor der Selbstvergötterung der Theosophie, und vor ihrer
Mischung des Himmlischen mit dem Höllischen und vor den verkappten Artopeanern und
Theosophisten in der Neuen Kirche dringend zu warnen.
Die Redaction.
Die nachstehende, vom 19. Oktober datierte Einsendung aus Budapest, welche während unserer
Reise nach Deutschland in Zürich eintraf und uns nachgeschickt wurde, ohne uns zu erreichen, ist
nach langen Wanderungen erst jetzt in unsern Besitz gekommen. Red. [Fedor Görwitz]
MEIN PATER PECCAVI!
Aldabert Jantschowitsch – 1904
»Was die Presse aus Irrtum verschuldet, kann selbe auch durch offenes Eingeständnis der Wahrheit wieder gut machen.« Psalm 115,1.
Bei wiederholt vorgenommenem Studium des Werkes Dr. J. F. Immanuel Tafels’s, über die
durchgängige Göttlichkeit der heiligen Schrift, insbesonders aber durch das Studium des geistigen Tagebuches Swedenborgs, namentlicher §§ 460, 617, 1622 und 1647 desselben, bin
ich auf’s Zweifelloseste zu der Ueberzeugung gelangt: daß ich mich, bei Abfassung meiner
Brochüre: »Zur Abwehr« vom Januar 1903, in Bezug auf das Substrat des Gegenstandes meiner Polemik, denn doch geirrt habe; weshalb ich mich im Gewissen für verpflichtet erachte:
dies auch reuig öffentlich einzugestehen.
Mein Feuereifer, der tätigen Gottes- und Nächstenliebe in der Neuen Kirche die oberste und
erste Stelle über den Glaubenswahrheiten eingeräumt zu wissen und zu sehen, riß mich wie
auf Sturmes-Flügeln dahin und machte mich kurze Zeit fast blind, für die horrenden Unsinnslehren, welche stellenweise mit Wahrheiten verquickt, der sogenannten »christlich neu theosophischen« Literatur anhaften. Der gewaltige Schein des vielen Liebeguten, welches sich in
dem umfangreichen »Johannes Evangelium« Jakob Lorber’s einem süßen, aber heimlich tödtenden Gifte gleich tatsächlich vorfindet, verblendete mich so, daß ich die Spreu vor dem Weizen nicht gleich zu unterscheiden vermochte.
Nun aber erkläre ich frei und offen: daß es mich tief reuet, ja ich es jetzt unsäglich bedaure,
mich zum Anwalt einer so obskuren Sache hergegeben zu haben. Gestehe es auch bußfertig
ein, damit der hochheiligen Sache des Herrn, in Bezug auf Seine Neue Kirche, ungewollt, unbeabsichtigt und ohne bösen Vorsatz, lediglich aus allzurascher Voreiligkeit, einen gar üblen
Dienst geleistet zu haben, indem ich mit meiner Feder eine in und an sich doch nur unheilvolle Sache unterstützte, deren Schreibmedien, wie ich es jetzt gewiß weiß, ihre Prinzipien nur
aus der Hölle ihrer selbsteigenen natürlichen Sinnlichkeit, wie ihres Größenwahnsinns auf
zukünftige Götterschaft, schöpften und schöpfen. Was im Grunde nur verdammenswerte Vernünfteleien ihres »Eigenen« aus dem grundfalsch ausgelegten Buchstabensinne des Wortes
Gottes sind, auf welchen die Grundsätze dieser Unsinnslehren basiert sind.
Ich widerrufe darum pflichtschuldigst meine in eingangsgedachter Brochüre, zu Gunsten der
»christlich neu theosophischen Literatur« gezogenen Schlussfolgerungen und Argumente,
anerkenne es: mich dabei in meinen Voraussetzungen von Gold, wo in Wahrheit doch nichts
als nur, wie echtes Gold schimmernde Schlacken sind, sehr arg geirrt zu haben, und bitte
hierdurch alle meine neukirchlichen Geschwister, denen ich damit – wenngleich meinerseits
nur in guter Absicht – Aergernis gegeben haben sollte, im Sinne der maßgebenden Göttlichen
Aussprüche des Herrn bei Matth. 6, 14. 18, 21-22 und Luk. 17, 3-4 um Vergebung! –
Irren ist menschlich, sein Unrecht eingestehen und Abbitte leisten ist himmlisch, in guter
Absicht aber sich zu verfehlen – ist nicht böse!
Die Lehre der »christlichen Theosophie«, insbesondere jene von der Reinkarnation; den zehn
Geboten! Von der Wiederkunft Christi zum Gerichte; von dem kommen sollenden tausendjährigen Reiche: von der Versenkung und Zerteilung des Wesens Gottes funkenartig in die Menschen; vom behaupteten inneren Worte; von ursprünglich geschaffenen und als solche
gefallenen Engeln; vom Luzifer und einer erdichteten Satana; von der Nichtewigkeit der Verdammniß; vom Worte Gottes als nicht einzigste Erkenntnisquelle; von der Erlösung; vom Ur-
Mein Pater peccavi!
115
stande der Menschen; vom Abfall derselben von Gott; vom Ursprung des Bösen; von der Auferstehung;
erklärt ich hiedurch, meiner nunmehr gewonnenen, subjektiven Ueberzeugung
nach, für offenbar aus dem bloßen Buchstabensinne der ganzen Bibel, einschlüssig auch desjenigen Teiles derselben, welcher nicht Wort Gottes ist, geschöpften Unverstand und Irrtum, ja
für nichts als Lug und Trug, und höllischen Unsinn phantastischer, schwärmerischer, in Größenwahnsinn bereits vollständig verfallener Teufelsgeister, die sich nicht scheuen hiezu sogar
des allerheiligsten Namens des Herrn sich zu bedienen, und so diesen usurpierend und lästernd zu entweihen.
Budapest, den 19. Oktober 1904.
Adalbert Jantschowitsch,
urkundlich nachweisbar, vormals freigewählter Prediger des bestandenen Vereins der Neuen
Kirche in Herisau, Kanton Appenzell in der Schweiz, II –Batthyanigasse 49.
Quelle: Monatblätter für die Neue Kirche, 21. Jahrgang, Dezember 1904, No. 12, S. 193-194.
»LORBER UND SWEDENBORG«
BEMERKUNGEN ZU EINEM VORTRAG
Adolf Ludwig Goerwitz – 1945
Am 3. Dezember hielt ein Herr A. Petersohn,
Malermeister, im »Karl dem Großen« in Zürich
einen (seitdem wiederholten) Vortrag über Lorber und Swedenborg. Er bezeichnete diese beiden als die einzigen wahren Mystiker und
stellte dann im Verlaufe seiner Ausführungen
einige eigenartige Behauptungen auf:
Swedenborg habe für die Gelehrten geschrieben, Lorber aber für das Volk. Swedenborg habe
nur mit Engeln geredet, Lorber aber mit dem
Herrn
selbst;
führende
Vertreter
der
Swedenborg-Kreise sähen im Herrn Jesus
Christus nur einen Propheten. – Am Schlusse
bemerkte ein anwesendes Mitglied der Neuen
Kirche, es sei da mit der letzteren Bemerkung
ein Irrtum unterlaufen, da kein Vertreter der
Neuen Kirche im Herrn nur einen Propheten
sehe und daß die Lehren der Neuen Kirche über
die Göttlichkeit des Herrn keinen Zweifel
Adolf Ludwig Goerwitz
bestehen lassen. Der Vortragende unterbrach
1885 - 1956
jedoch die Richtigstellung, sagte, es finde keine
Diskussion statt, wiederholte nochmals seine unrichtige Behauptung und erklärte die Versammlung für geschlossen.
Was die Behauptung des Herrn Petersohn über »führende Vertreter des Swedenborg-Kreises«
betrifft, so hat er leider nicht angegeben, worauf sich seine Behauptung da stützt. Wir kennen
uns aus in den Aeußerungen der führenden Vertreter der Neuen Kirche sowohl im deutschen
wie im englischen Sprachgebiet, und uns ist keine bekannt, welche Herrn Petersohn eine
Grundlage für seine Behauptungen böte.
Was seine andere Behauptung betrifft, Swedenborg habe seine Aufschlüsse von den Engeln
und nicht vom Herrn, so beruht sie offenbar auf ungenügender Kenntnis der Schriften Swedenborgs. Es finden sich in diesen freilich Berichte über viele Gespräche mit Engeln; doch
würde ein eingehender Einblick in die Hauptschriften Swedenborgs den Vortragenden rasch
darüber aufklären, daß Swedenborgs Hauptberufung bestand in dem Amte, »die Lehren der
Neuen Kirche durch das Wort aus dem Herrn zu lehren«. Unzweideutig bekundet Swedenborg
im Werke über die »Göttliche Vorsehung« Nr. 135: »Ich hatte Unterredung mit Geistern und
Engeln nun schon viele Jahre hindurch; aber kein Geist wagte es und kein Engel wünschte es,
mir etwas zu sagen, noch weniger Belehrung zu geben über etwas im Worte, sondern es lehrte
mich allein der Herr, der sich mir offenbarte und mich erleuchtete.«
Und noch am Ende seines letzten Werkes »Wahre Christliche Religion« bezeugt Swedenborg in
Nr. 779: »Daß der Herr Sich vor mir, Seinem Knecht, geoffenbart und mich zu diesem Amt
ausgesandt und daß Er nach diesem das Gesicht meines Geistes geöffnet und so mich in die
geistige Welt eingelassen und mir gestattet hat, die Himmel und die Höllen zu sehen und auch
mit Engeln und Geistern zu reden und dies nun schon ununterbrochen viele Jahre hindurch,
bezeuge ich in Wahrheit und ebenso, daß ich von dem ersten Tage jener Berufung an gar
»Lorber und Swedenborg«: Bemerkungen zu einem Vortrag
117
nichts, was die Lehren jener Kirche betrifft, aus irgend einem Engel, sondern vom Herrn
Selbst, wenn ich das Wort las, empfangen habe.«
Swedenborgs Inspiration bestand in einer inneren Erleuchtung, welche ihn mehr und mehr
den tieferen Sinn von Gottes Wort erkennen ließ, welches er in seinen Werken nun mit Hingabe in möglichst anspruchsloser Einfachheit darlegte und der durchaus nicht nur von Gelehrten, sondern auch von einfachen Menschen zu verstehen ist, sofern diese nur genügend
Wahrheitssinn haben. Wir bedürfen, um vom Herrn erleuchtet und geführt zu werden, nicht
Anderes, als das Wort recht zu verstehen, das Er uns gegeben hat, beginnt doch das Johannesevangelium mit der Verkündigung: »Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und
Gott war das Wort.« Darum hat der Herr, als die Zeit dafür reif war, das Innere Seines Wortes
aufgeschlossen und hiefür Emanuel Swedenborg als Werkzeug herangebildet.
Wir haben schon öfters eine gewisse Gereiztheit von Lorberianern gegen Swedenborg und
gegen die Neue Kirche wahrnehmen müssen, die vor Allem darauf beruht, daß wir die Schriften Lorbers nicht gleichsetzen mit denen Swedenborgs.
Wir wollen in aller Offenheit sagen, warum wir das nicht tun. Lorber war ein bloßes Schreibmedium, der glaubte, das durch ihn Niedergeschriebene sei durch ihn vom Herrn Jesus Christus Selbst geschrieben. Der, der den Federhalter in Lorbers Hand führte, spricht denn auch
stets in der ersten Person: »Ich … «, als wäre er der Herr Selbst; und die Lorber-Anhänger sind
der Ueberzeugung, daß das Wort Gottes auf diese Weise in fortwährender Niederschrift über
das Alte und Neue Testament hinaus vom Herrn fortgeschrieben werde. Nun enthalten diese
angeblichen Niederschriften neben sympathischen Stellen auch solche, welche ganz offensichtlich nicht vom Herrn Jesus Christus stammen können, und zwar haben noch alle Lorberianer, mit denen wir darüber gesprochen haben, selbst zugegeben, daß sich zu Lorber, wenn
er als Schreibmedium schrieb, zwischenhinein auch Truggeister heranmachten und durch
ihn schrieben, wie wenn sie Jesus, der Herr wären; man müsse eben zu unterscheiden wissen. Unter den Anhängern Lorbers befanden sich nicht wenige, welche jene mediale Veranlagung ebenfalls hatten und nun auch »Vaterworte« – d. h. angebliche Botschaften des Herrn
Jesus Christus Selbst – niederschrieben; wir haben solche gelesen in den Veröffentlichungen
der Lorberschen »Neu-Licht«Verlage, darunter so inhaltslose elende Knittelverse, daß wir uns
auch in unreifen Jahren geschämt hätten, solche niederzuschreiben, geschweige denn, sie
drucken zu lassen. Und solch banales Zeug wurde als von Jesus, dem Herrn, stammend veröffentlicht!
Wir wollen aber aus Lorbers Hauptwerk, dem »Evangelium St. Johannis«, auf welches seine
Anhänger besondern Wert legen, einige Stellen anführen; es wird dort z. B. auf S. 31-33 die
Tempelreinigung (Joh. 2, 13-16) mit widerlichen Zusätzen geschildert, von denen wohl Jeder,
der ein Gefühl für die Heiligkeit des Wortes hat, erkennt, daß sie nicht vom Herrn stammen
können. Wir wollen hier statt dessen einige solcher Stellen anführen, die von seinen Anhängern zweifellos als echte Worte des Herrn angesehen werden. Es wird dem Bericht über die
Tempelreinigung ein sogenannter »geistiger Sinn« angefügt mit folgenden Worten:
»Verkäufer und Käufer sind die niedern unreinen Leidenschaften im Menschen; das zum Verkauf
angebotene Vieh stellt die unterste Stufe tierischer Sinnlichkeit dar, und zugleich auch die dadurch erzeugte große Dummheit und Blindheit der Seele, deren Liebe gleich der eines Ochsen ist,
dem sogar die sinnliche Zeugungs- und Geschlechtsliebe mangelt, und ihn allein noch die allergrößte polypenartige Fressliebe belebt, - und deren Erkenntnis gleich ist dem bekannten Erkennungsvermögen der – Schafe.«
Als geistige Bedeutung der »Schafe« wird hier einfach die Bedeutung genommen, in welcher
»Schaf« im Deutschen zu Zeiten als Schimpfwort gebraucht wird, und das soll von unserem
Herrn und Heiland kommen, der Sich Selbst den Hirten der Schafe nennt, der die Jünger zu
den verlorenen Schafen sendet (Mt. 10,6) und spricht: »Meine Schafe hören meine Stimme,
118
Adolf Ludwig Goerwitz
und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen ewiges Leben.« (Joh. 10, 27, 28;
siehe auch 24, 16, 17. und Ps. 10, 3.)
Der Truggeist, der die obigen Worte durch Lobers Hand schrieb, scheint den Sinn der Tempelreinigung überhaupt nicht begriffen zu haben; die Opfertiere durften wohl draußen vor dem
Tempel feilgehalten werden, wohin der Herr sie ja auch trieb. Zur Erhöhung des Geschäfts
waren aber die Verkaufsstände allmählich in den Tempel selbst verlegt worden mit Erlaubnis
des Hohenpriesters, der durch die ihm aus den Verkäufen zu leistenden Abgaben am Geschäft
beteiligt war und dadurch den heiligen Tempel zu einem Marktplatz entweiht hatte. Draußen
vor dem Tempel durfte der Handel aber ruhig vor sich gehen, denn bei den Opfertieren, Tauben, Rindern, Ochsen, Schafen, handelte es sich ja – was Lorbers Truggeist nicht bedacht hat –
um solche, welche im Gesetze Moses vorgeschrieben waren und welche den Neigungen –
hohen und weniger hohen, immer aber guten Neigungen – entsprechen, mit welchen wir Gott
im Leben dienen können und sollen, was im Alten Bund durch ihr Darbringen im Opfer sinnbildlich dargestellt wurde.
Obige völlig verkehrte Bibelauslegung kann darum unmöglich von Ihm stammen, der jene
Gesetze durch Moses ehedem gegeben hat und ja ausdrücklich nicht gekommen ist, das Gesetz und die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen. (Mt. 5, 17.)
Noch eine weitere Stelle aus jenen Seiten des Lorberschen Buches. Auf S. 30 heißt es von
Kapernaum:
»In Capernaum hielt ich mich daher nur kurze Zeit auf, indem allda nahe kein Glauben und noch
weniger Liebe daheim war; denn diese Stadt war ein Ort des Handels und des Krämertums; wo
aber Handel und Krämerei getrieben wird, da haben Glauben und Liebe den Abschied im Vollmaße erhalten. Wo aber diese beiden verabschiedet sind, da gibt es für mich wenig oder nichts zu
tun.«
Dieses Wort legt, worauf schon früher in diesen Blättern hingewiesen wurde, der Geist, der
Lorbers schreibende Hand führte, unserem Herrn und Heiland in den Mund, »der Zöllner und
Sünder Freund«, der gekommen ist, »die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten«!
Auch die hier zum Ausdruck kommende wegwerfende Behandlung des Handels steht im Widerspruch zu den Worten des Herrn: »Das Reich der Himmel ist gleich einem Handelsmann,
der schöne Perlen sucht.« (Mt. 13, 45.) Nach den Lehren der Neuen Kirche sind die Handelsleute notwendig zur Erhaltung des Staates und für das Allgemeinwohl (»Liebtätigkeit« VI).
Handel ist nichts an sich Unedles; es kommt hier wie bei der Kunst und bei allen Tätigkeitsbereichen auf den Geist an, in welchem er ausgeübt wird. Und so sagt Swedenborg in »Liebtätigkeit« VII, wo er von den verschiedenen Berufsarten spricht, auch von den Handelsleuten,
daß sie zu Formen der Nächstenliebe werden, wenn »sie zum Herrn aufblicken, das Böse als
Sünde fliehen und ihr Geschäft aufrichtig, gerecht und treu betreiben.« In jedem Berufe kann
der Mensch den Weg zum Himmel finden. Und so hat denn auch Johannes der Täufer weder
den Zöllnern, noch selbst den Kriegsknechten auf ihre Frage: »Was sollen wir tun?« anbefohlen, ihren Beruf aufzugeben, sondern er antwortete den Einen: »Fordert nicht mehr, denn euch
gesetzt ist« und den Anderen: »Tut niemandem Gewalt an, gebet niemanden fälschlich an, und
lasset euch an eurem Solde genügen.« – Es ist in dem Schrifttum Lorber’scher Richtung wohl
viel von Liebe die Rede; doch da keine Klarheit über das Wesen der Nächstenliebe geboten
wird, bleibt es leicht bei einer unerleuchteten Gefühlsschwärmerei. Daneben mag die Lehre
der Neuen Kirche nüchtern erscheinen: »Wirkliche tätige Liebe ist: gerecht und treu handeln
in dem Amt, Geschäft und Beruf, in welchem ein Jeglicher ist, und mit Denen, mit welchen
man in irgendwelchem Verkehr steht.« Das ist aber eine Religion des Lebens, mit welcher
man festen Boden unter den Füßen hat.
Ein ehemaliger Anhänger der Lorber’schen Schriften teilte uns mit; was ihn allmählich daran
zweifeln ließ, daß wirklich der Herr bei Lorber der Diktierende gewesen sei, sei u.A. dies ge-
»Lorber und Swedenborg«: Bemerkungen zu einem Vortrag
119
wesen: Nach jenen Berichten des Herrn hätte Er sich gerne zu den Gastmählern der reichen
Römer einladen lassen und dann am Ende der Mahlzeit das ganze Tafelgeschirr in Gold verwandelt und dem reichen Gastgeber zum Geschenke gemacht. Hübsche Geschichten; die innewohnende göttliche Macht mit großartiger Gesten zu solchen Kunststücken zu verwenden,
mag wohl die Phantasie von unreifen, noch sehr im Irdischen befangenen Menschen und
Geistern befriedigen; sie sind aber doch unwürdig Dessen, Der ja das Menschenherz gerade
vom Hängen an äußerem Besitz und Tand befreien wollte!
Wir haben hier solche Stellen aus Lorbers Schriften erwähnt, welche sich – wenn ohne tieferes Nachdenken oder Erkennen gelesen – ganz harmlos lesen und jedenfalls von den Anhängern als echte Diktate des Herrn angesehen werden, während Jeder, der sie aus der Wahrheit
liest und beurteilt, erkennt, daß sie unmöglich vom Herrn stammen können; wenn ihr Verfasser sich aber trotzdem als den Herrn ausgibt, dann ist es eben ein Truggeist. Wenn die Anhänger Lorbers nun sagen, das erkenne man sofort, ob ein Abschnitt vom Herrn oder von einem
Truggeist stamme, so können wir dem nicht zustimmen; sogar bei krassen Stellen werden die
Meinungen geteilt sein; bei solchen wie den oben angeführten sind gewiß alle Anhänger oder
ihre überwiegende Mehrheit der Meinung, es seien echte Jesusworte.
Wir sind aber überzeugt, daß der Herr Sich überhaupt nicht einer solchen Offenbarungsweise
bedient, wo unversehens zwischen Sein Diktat hinein Truggeister sich an das Schreibmedium
heranmachen, sich als Ihn ausgeben und Gutgläubige dermaßen unter Seinem Namen täuschen und irreführen dürfen. Vielmehr scheint es sich uns bei solchen angeblichen Diktaten
des Herrn Jesus Christus um Erfüllungen jener vom Herrn Selbst in Mt. 24, 23, 25. gegebenen
Weissagung zu handeln: »Wenn dann Einer euch sagen wird: »Siehe, hier ist Christus« oder
»da ist er«, so glaubet es nicht! Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, sodaß, wenn es möglich wäre, sie selbst die Auserwählten irreführen möchten. Siehe, ich habe es euch vorhergesagt.« Daran ändert auch die
Tatsache nichts, daß Vieles von dem durch Lorber nach angeblichem Diktat des Herrn Geschriebenen schön zu lesen sein mag, denn es ist selbstverständlich, daß Alles, was sich als
von Ihm kommend ausgibt, einen solchen Anschein, eine solche Aehnlichkeit muß vortäuschen können, sonst wäre es ja gar nicht möglich, daß sie sogar die Auserwählten fast irreführen können.
Die Geister wissen im Allgemeinen ebenso wenig, daß sie sich in unserer Umgebung befinden, wie wir ihre Gegenwart bemerken. Wird es ihnen aber – wie das bei spiritistischen Uebungen der Fall sein mag – bewusst, daß sie beim Menschen sind und mit ihm verkehren
können, dann benützen sie es gerne, um sich als weiß wie wissend auszugeben. Selbstverständlich tun wiedergeborene das nicht. Die Anderen aber benützen die Tatsache, daß nicht
kontrolliert werden kann, »wes Nam und Art« sie sind, gern zur Täuschung und geben sich als
irgend einen berühmten Menschen aus, gar als Swedenborg oder den Jünger Johannes oder gar
als den Herrn Selbst, um ihren Aussagen in den Augen der wundersüchtigen Gutgläubigen
Autorität und Gewicht zu verleihen; und die Empfänger ihrer Botschaften geben sich der Täuschung gerne hin, führen sie sich doch geehrt dadurch, daß jemand so Berühmtes oder gar der
Herr Selbst persönlich mit ihnen rede.
Wir wollen nicht unterlassen, hier anzuführen, was Swedenborg am 20. März 1748 in sein
Tagebuch eintrug, wo es als Nr. 1622 steht:
Die Geister erzählen völlig erfundene Dinge und lügen.
»Wenn Geister anfangen zum Menschen zu reden, dann muß er sich hüten, ihnen etwas zu glauben,
denn sie sagen fast irgend etwas; Dinge werden von ihnen erfunden, und sie lügen; denn wenn ihnen gestattet würde, zu erzählen, wie beschaffen der Himmel sei und wie sich die Dinge im Himmel verhalten, so würden sie so viele Lügen erzählen und zwar mit Bekräftigung, daß der Mensch
staunen würde, weshalb es mir, wenn Geister redeten, nicht erlaubt war, Glauben an das zu haben,
120
Adolf Ludwig Goerwitz
was sie erzählten. 1748, 20. März. Sie dichten nämlich ungemein gerne etwas zusammen, und
wenn immer es einen Gesprächsgegenstand gibt, so meinen sie, sie wüssten es, und legen ihre
Meinungen dar. Einer nach dem Anderen, der Eine so, der Andere so, ganz wie wenn sie’s wüssten;
und wenn ein Mensch dann zuhört und glaubt, drängen sie weiter und täuschen und verführen auf
verschiedene Arten: Wenn ihnen z. B. gestattet wäre, über zukünftige Dinge zu reden, über Dinge,
die im gesamten Himmel unbekannt sind, über Alles, was der Mensch wünscht, so würden sie reden, jedoch alles falsch, weil aus sich selbst; weshalb ein Mensch sich hüten soll, ihnen zu glauben. Darum ist es auf dieser Erde sehr gefährlich, mit Geistern zu reden, es sei denn, man sei im
wahren Glauben. Sie flößen einem eine so starke Beredung ein, es sei der Herr Selbst, der da rede
und gebiete, daß der Mensch kaum anders kann als glauben und gehorchen.«
Darum können wir in den Lorber’schen Schriften keine Diktate des Herrn Jesus Christus
erblicken, und wir wollen nicht unkontrollierbare Geisterdiktate zum Quell unserer Erleuchtung und Führung machen. Wir haben solche ja auch nicht nötig, denn hiefür hat uns Gott das
Wort gegeben, das wir nur recht verstehen und befolgen müssen. Was uns vom Herrn durch
Swedenborg gegeben ward, ist nicht eine Hinzufügung zum Wort, sondern eine Offenbarung
der tieferen Wahrheit aus dem Wort. Hier können wir in allen wesentlichen Lehren frei aus
dem Worte selbst prüfen, ob es sich so, wie er darlegt, verhalte oder nicht, in Uebereinstimmung mit dem grundlegenden Gesetze der göttlichen Vorsehung: »Der Mensch soll in Freiheit
nach der Vernunft handeln.« – welche Freiheit beeinträchtigt ist, wo Niederschriften eines
Schreibmediums, deren Urheber wir nicht kontrollieren können, als direkte Botschaften des
Herrn angesehen werden. Ad. L. G.
Quelle: Die Neue Kirche: Monatblätter für fortschrittliches religiöses Denken und Leben, 62. Jahrgang, Januar / Februar 1945, Seiten 13 – 17
MODERATE TÖNE
ANNÄHERUNGEN AN DIE ENGSTEN VERWANDTEN
Trotz der sehr unterschiedlichen Art, wie Lorber und Swedenborg ihre Offenbarungen empfingen und trotz der Unterschiede
inhaltlicher Art halte ich die Freunde Lorbers für die engsten
geistigen Verwandten der Freunde Swedenborgs.
FRIEDEMANN HORN
JAKOB LORBER UND EMANUEL SWEDENBORG
[Horand Gutfeldt] – 1965
Nachstehende Arbeit eines neukirchlichen Geistlichen diente in ihrer ursprünglichen Form als
Diskussionsgrundlage für eine Aussprache im »Rat der Geistlichen der Neuen Kirche auf dem europäischen Kontinent«, der Ende August [1965] in Zürich tagte. Die hier wiedergegebene Form
spiegelt in einigen Teilen das Ergebnis der Aussprache wider. Der Leser sei sich aber klar darüber, daß sie in keiner Weise den Anspruch erhebt, das vielschichtige Thema erschöpfend zu behandeln. Wir glauben aber, daß sie beachtliche Ansätze dazu enthält. [Friedemann Horn]
Die Zuschreibung an Horand Gutfeldt beruht auf einer mündlichen Bemerkung von Friedemann
Horn mir (Thomas Noack) gegenüber. Der Programmpunkt über »Lorber und Swedenborg« am
30. August 1965 sah so aus:
Eine objektive Analyse der Hinterlassenschaft der beiden Seher stößt auf eine Reihe von
Schwierigkeiten, die in der Natur ihrer Schriften selbst sowie in der gefühlsmäßigen Einstellung ihnen gegenüber begründet sind.
1. Objektive Schwierigkeiten:
a) Allein der Umfang der Hinterlassenschaft beider
Seher erschwert einen Überblick. Schon das
eingehende Studium eines einzigen Sehers ist fast eine
Lebensaufgabe. Daher kann es jeweils nur sehr wenige
Zeitgenossen geben, die einen wirklichen Überblick
über die Schriften beider Seher haben können. Um nun
aber nicht jede Urteilsbildung von vorneherein bis zu
einer nebelhaften Zukunft aufschieben zu müssen —
nur an einem Punkt der Unendlichkeit wäre ja eine
wirklich umfassende Kenntnis beider Seher möglich —
ist man gezwungen, sich auf eine repräsentative
Auswahl zu beschränken. Man muß sozusagen »pars
pro toto« (den Teil für das Ganze) nehmen und darauf
ein — selbstverständlich vorläufiges — Urteil stützen.
Dasselbe gilt freilich für viele Lebensgebiete. Die
moderne Statistik gibt uns aber in ihrer Theorie einen
Maßstab dafür, wann man eine Auswahl rein wissenschaftlich als einigermaßen repräsentativ betrachten
Horand Gutfeldt
kann, wie es etwa bei Volksbefragungen vor allge1922 - 1997
meinen Wahlen erwünscht ist. Allerdings ist das
Ergebnis auch wieder nur in Prozentzahlen der Wahrscheinlichkeit ausdrückbar. Allgemein
gilt: Sind innerhalb der Auswahl selbst große Verschiedenheiten, so muß diese Auswahl vergrößert werden, um einen annehmbaren Wert der Wahrscheinlichkeit des Zutreffens eines
Urteils für das Gesamte zu haben.
Da das Swedenborgsche Werk systematischer angeordnet ist, sind die Schwierigkeiten einer
repräsentativen Auswahl aus demselben nicht so groß. Bei Lorber dagegen, dessen Schriften
in sich selbst sehr verschiedene Gebiete behandeln, fällt die Auswahl schwerer. Viele Aussagen in einer Richtung können durch Aussagen in anderer Richtung ausgeglichen, ergänzt oder
124
Horand Gutfeldt
gar annulliert werden. Der Verfasser wird sich daher tunlichst großer Zurückhaltung bei der
Fällung von Urteilen befleißigen. Da die Ausgangsbasis beschränkt ist und bleiben muß —
schon allein aus Zeitgründen — wäre eine andere Einstellung unverantwortlich.
Um wissenschaftlich exakt zu sein, stützt der Verfasser sein Urteil auf folgende Schriften
Lorbers bzw. Zusammenfassungen: Die Jugend Jesu, Die Geistige Sonne, Auswahl aus Haushaltung Gottes, Auswahl aus Großes Evangelium des Johannes, Laodizenerbrief, Erde und Mond.
Seine Vertrautheit mit den Schriften Swedenborgs ist dagegen begreiflicherweise bedeutend
umfassender und beruht auf dem Gesamtwerk, das auf ihn einen unauslöschlich tiefen Eindruck gemacht hat. Dennoch hat er sich nach Kräften bemüht, vorgefaßte Meinungen zu meiden und den Lorberschriften offen, wenn auch nicht unkritisch, gegenüberzutreten.
b) Eine weitere objektive Schwierigkeit bildet der Offenbarungsanspruch beider Seher. Sowohl
Swedenborg wie Lorber erklären, einer Göttlichen Offenbarung gewürdigt worden zu sein. Die
Natur dieser Ansprüche wäre im Verlauf einer objektiven Untersuchung herauszuschälen, zu
beleuchten und miteinander zu vergleichen. Daß hierbei auch gefühlsmäßige Momente mitspielen, ist naturgemäß schwer zu bestreiten und verkleinert die Schwierigkeiten gewiß nicht.
Wie soll man nüchtern auf die Waagschalen der Kritik legen, was dem einen oder anderen
heilig, ja zum Lebensinhalt geworden ist.
Um aber doch wenigstens zu einer vorläufigen Analyse zu kommen, soll versucht werden,
nach den Erfahrungen des Verfassers zunächst den Kern der Offenbarungsansprüche Swedenborgs und Lorbers zu untersuchen.
1. Swedenborg stützt sich bekanntlich auf ein zweifaches Berufungserlebnis. Christus, so
behauptet er, erschien ihm zweimal und erteilte ihm den Auftrag, das ihm in der geistigen
Welt zu sehen und zu hören Gegebene niederzulegen und durch den Druck bekanntzumachen. Das Wesentliche dabei ist wohl in der Erleuchtung seines geistigen Verständnisses zu
erblicken, wobei es ihm frei stand, die Worte und Illustrationen aus dem eigenen Gedächtnis
zu nehmen. Er lehnt das sogenannte automatische Schreiben, das er auch kennen lernen
durfte, ausdrücklich ab, weil unkontrollierbare Einflüsse von gewissen Geistern dabei wirksam werden können. Verschiedene wichtige Lehren, wie z. B. über die Gesetze der Göttlichen
Vorsehung, sind in seinen Schriften »Die Weisheit der Engel über die Göttliche Vorsehung«
und »Die Enthüllte Offenbarung des Johannes« in recht unterschiedlicher Ordnung und Formulierung ausgeführt. Swedenborg betont überall, daß nichts aufgrund irgend eines Offenbarungsanspruches, sondern nur aufgrund von Freiheit und Einsicht angenommen werden soll.
Dadurch unterscheiden sich seine Schriften von allen anderen mit Offenbarungsanspruch
auftretenden religiösen Werken grundlegend.
2. Lorber hatte keine eigentliche Berufungsvision; stattdessen vernahm er aus der Gegend des
Herzens, wie er sagt, eine Stimme, die ihn aufforderte: »Nimm den Griffel und schreibe«. Er
verzichtete auf die ihm angebotene Stelle als zweiter Kapellmeister in Triest, um fortan ein
äußerlich recht bescheidenes Leben als »Schreibknecht Gottes« zu fristen. In späterer Zeit
waren allerdings seine Auditionen auch von Visionen, darunter auch Christusvisionen, begleitet. Sämtliche Schriften Lorbers zeigen den Charakter eines direkten Diktats; Wort um Wort,
Silbe um Silbe, so gibt Lorber an, habe er all das niedergeschrieben, was ihm vorgesprochen
worden sei. An vielen Stellen erheben diese Worte den Anspruch, unmittelbare Botschaften
Gottes zu sein. An anderen Stellen wiederum, wie in der »Geistigen Sonne« sind sie klar als
Berichte und Botschaften von Engeln gekennzeichnet. Was die Sache weiter kompliziert, ist
folgendes: Auch die Stellen, die direkt als Göttliches Diktat ausgegeben werden, erwähnen
Zitate und Beglaubigungen aus der Heiligen Schrift. Zumindest implizite müßte man also auch
darin eine Unterscheidung annehmen. Weiterhin erwähnt Lorber Entsprechungen eines inne-
Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg
125
ren Sinnes in vielen Stellen der Bibel. Es ist dem Verfasser aber nicht bekannt, ob dies im
weiteren Sinne auch auf die »Herrenworte« in den Lorberschriften zu beziehen ist.
Im Unterschied zu Swedenborg fühlt man sich also bei Lorber logischerweise zur Annahme
seines gesamten Schrifttums als Offenbarung, oder aber zu einer völligen Ablehnung gedrungen — zumindest einer Ablehnung seines Offenbarungsanspruchs. Für die vorliegende Untersuchung soll von einem Offenbarungsanspruch sowohl bei Lorber wie bei Swedenborg nach
Möglichkeit abgesehen werden, um zu einem möglichst objektiven und wissenschaftlich gültigen Vergleich zu gelangen.
3. Unsere Schwierigkeiten mit allen derartigen »Intuitionen«, »Offenbarungen«, »Kundgaben«
usw. entstammen der allgemeinen Haltung unserer Zeit, die all dem skeptisch, ja ablehnend
gegenübersteht. In einem Bereiche wie z. B. der katholischen Kirche, stoßen Visionen, »Privatoffenbarungen«, Schriften von »Erleuchteten« und vieles andere auf eine im allgemeinen positivere Einstellung — vorausgesetzt freilich, daß sie sich in den Rahmen der kirchlichen
Dogmatik und Ordnung einfügen. So sind die Visionen der Kinder von Fatima, der Bernadette
Soubirous in der Gegenwart ebenso angenommen wie die visionären Schriften der Therese
von Avila, des französischen Theologen Fénelon und anderer Visionäre, die sich sogar zum
Teil gegenseitig widersprechen. Die katholische Kirche hat sie meist einer gewissen Prüfung
unterzogen, aber dann gewöhnlich für nicht irgendwie verbindlich erklärt. Es ist den einzelnen
Geistlichen und gelehrten Laien überlassen, sich selbst ein Urteil zu bilden und Verschiedenheiten darin gegeneinander abzuwägen. Gefühlsmäßige positive oder negative Reaktionen
gegenüber »Offenbarungen« wie auch gegenüber aller »Orthodoxie« der einen oder anderen
Ausprägung werden heute verstärkt durch die allgemeine Ablehnung dieser Dinge durch die
»öffentliche Meinung«.
Erst eine diese Möglichkeiten im Grunde bejahende, freilich dennoch kritische Haltung kann
einen Ausgleich bringen.
Da der Offenbarungsanspruch der Lorberschriften höher greift als derjenige der Werke Swedenborgs, wird das an sich reiche und interessante Material bei Lorber von der Öffentlichkeit
noch stärker ignoriert und abgelehnt als die Schriften Swedenborgs — allerdings zieht sich
auch um den Namen Swedenborgs etwas wie eine unsichtbare Mauer des Schweigens, die
nur schwer durchbrochen werden kann.
Hier könnte man einfügen, daß ein großer Teil der Lorber-Anhänger Lorber bedeutend liberaler
interpretiert als es dem Buchstaben seiner Werke entspricht. Der Lorber-Verlag in Bietigheim
selbst hat in den Schriften Lorbers eine große Anzahl von stilistischen Verbesserungen vorgenommen. Viele an sich treue Anhänger halten sich an eine Auswahl und gehen über Widersprüche und andere schwer annehmbare Teile hinweg. Diese Haltung findet sich bei
Swedenborg-Lesern seltener, da seine Werke mehr aus einem Guß zu sein scheinen. Im Gespräch mit Lorber-Anhängern macht man oft die Erfahrung, daß sie einzelne Stellen bei Lorber
»geistig« interpretieren, oder daß sie ihr Urteil überhaupt zurückstellen, wo etwas wirklich
unannehmbar erscheint, und sich lieber an grundsätzliche und klare Stellen halten. Obgleich
Lorber die Freiheit der Entscheidung an vielen Stellen betont, erscheint doch die Nutzanwendung dieser Lehre in bezug auf die Einstellung zu seinen eigenen Schriften zuweilen in Frage
gestellt, da sie zumindest einem Außenstehenden eher autoritär erscheinen müssen. Ein Hang
zum Dogmatismus, der dem Geist wirklicher Liebe entgegensteht, findet sich aber zuweilen
sowohl bei Swedenborg- als auch bei Lorber-Anhängern, wenngleich er allmählich zurücktritt.
Innerhalb der allgemeinen mystischen Literatur treten Lorber und Swedenborg mit ihrem Offenbarungsanspruch besonders hervor. Andere betrachten sich als erleuchtet, aber nicht als
voll inspiriert:
126
Horand Gutfeldt
Meister Eckhart, Jakob Böhme, Rudolf Steiner und viele andere beanspruchen keinen direkten
Offenbarungscharakter ihrer Schriften. Alle Religionen, die in Rechtgläubigkeit zu erstarren
drohen, empfangen schöpferische Impulse durch solche Mystiker und Seher. So hat z. B. die
mystische Strömung des Sufismus in der mohammedanischen Religion eine innere Erneuerung gebracht, die »Kabbala« (d. h. eigentlich Überlieferung — alten mystischen Wissens nämlich) innerhalb der mosaischen Religion, der Zen-Buddhismus innerhalb des Buddhismus,
usw. So scheint es durchaus angemessen, den schöpferischen Gehalt auch von Schriften mit
besonderem Offenbarungsanspruch für das Christentum nicht von vorneherein abzulehnen.
Einem jeden Dogmatismus scheint dies zwar unmöglich, doch starre »Rechtgläubigkeit« ist in
sich unfruchtbar, solange sie nicht den ökumenischen Dialog zumindest zuläßt.
Keine Offenbarung oder Intuition kann sich von ihrem Verkünder lösen. Es scheint also angebracht, einen kurzen Blick auf die Persönlichkeit der beiden Seher zu werfen:
Emanuel Swedenborg war ein hochgebildeter und mit allen Wissenschaften seiner Zeit vertrauter Mann, weit gereist, von außerordentlicher persönlicher Integrität. Mit großer Objektivität hat er sich lange Zeit selbst von den ihm zuteilgewordenen Visionen distanziert, sie
kritisch geordnet, systematisiert und gesichtet.
Jakob Lorber dagegen stammte aus einfachen Verhältnissen, hatte keine besondere Erziehung
genossen, obgleich er sich für alle Wissenschaften interessiert und einige astronomische
Bücher gelesen hatte. Aber er sprach z. B. keine Fremdsprache und ist auch nie über die
Grenzen seiner engeren Heimat, Kärnten, hinausgekommen. Vor seiner Berufung hatte er eine
Anzahl mystischer Schriftsteller, darunter Kerning, sowie Swedenborg gelesen. Swedenborg
dagegen hatte ausdrücklich erklärt, daß ihm derartige Lektüre »nicht erlaubt gewesen« sei.
Persönliche Integrität wird man Lorber nach allen zeitgenössischen Berichten ebenso zubilligen wie Swedenborg. Er führte ein ärmliches Leben, um sich völlig seiner Berufung widmen
zu können.
Bei näherer Kenntnis der Lorberschen Schriften scheint es nahezu ausgeschlossen, daß diese
lediglich seiner eigenen Phantasie bzw. seinem »Unterbewußtsein« entspringen konnten. Es
sind z. B. fremdsprachige Zitate, Beschreibungen fremdartiger Verhältnisse in vielen Einzelheiten darin enthalten, die weit über den Gesichtskreis des einfachen Landmusikers hinausreichen.
Auf der anderen Seite bewegen sich die Illustrationen, die Anordnung und viele Einzelheiten
im allgemeinen durchaus — oft sogar in fast peinlicher Weise — innerhalb des engen Bereichs
seiner eigenen Vorstellungswelt. Aber auch die von ihm angeführten Beweise aus der Naturwissenschaft übersteigen des öfteren seinen Gesichtskreis beträchtlich. Dennoch beruhen sie,
betrachtet man sie im Lichte der heutigen Wissenschaft, in vielen Fällen auf offensichtlichen
Irrtümern bzw. falschen Voraussetzungen.
Geht man wohl zu weit, wenn man die Möglichkeit zuläßt, daß Lorber Diktate aus einer anderen Welt empfangen haben könnte, ohne sich jedoch stets über ihren Ursprung Rechenschaft
abzulegen, indem er einfach kindlich glaubte, daß alles direkt von Gott stammte und daher
schon seine Richtigkeit haben werde?
Eine Bewertung kann also nicht aufgrund rein formaler Kriterien, sondern nur aufgrund einer
Wesensanalyse dieser Schriften erfolgen, einer Analyse, die sich nicht bei Einzelheiten aufhält.
Man kann Lorbers Schriften in drei verschiedene Gruppen einteilen:
1. Ergänzungen zur Bibel; 2. Visionsberichte und Jenseitsbeschreibungen; 3. Naturberichte,
z. T. wissenschaftlicher oder pseudowissenschaftlicher Art, mit eingeschobenen erbaulichen
Erklärungen. Zur ersten Gruppe gehören Schriften wie »Die Haushaltung Gottes«, eine Ergän-
Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg
127
zung zum ersten Buch Mose, »Das Große Evangelium Johannis«, eine Ergänzung zum biblischen Johannesevangelium, »Die Jugend Jesu«, eine Ergänzung der synoptischen Evangelien,
»Der Laodizenerbrief«, eine Ergänzung zu den Briefen des Paulus, und ein angeblicher Briefwechsel zwischen Jesus und Abgarus, verschiedene Schrifttexterläuterungen, u.a.m.
Zur zweiten Klasse gehören Schriften wie »Die Geistige Sonne« mit Beschreibungen der jenseitigen Welt, »Robert Blum«, die Entwicklung eines Revolutionärs im Jenseits, »Bischof Martin«, u.a.m. Auch diese Schriften sind von großer Vielfalt und Farbigkeit.
Zur letzten Klasse gehören Naturbeschreibungen wie »Die Natürliche Sonne«, »Erde und
Mond«, »Die Berge«, besonders »Der Großglockner«, »Die Fliege«, u.a.m.
Der Stil all dieser Werke ist, was typische Einzelheiten angeht, in auffälliger Weise einheitlich.
Es handelt sich dabei meist um Erlebnisberichte mit eingeschobenen kurzen Abschnitten
erbaulicher oder lehrhafter Art, oft in direkter Rede, voller Bilder, mit Überraschungen und
dramatischen Entwicklungen, doch auch mit trivialen und banalen Stellen. Die Beschreibung
ist voller Superlative, ja Super-Superlative, voll überschwenglichen Gefühls, oft einseitig, immer aber subjektiv ehrlich und voller Ehrfurcht. Im Vergleich zu Swedenborgs systematischen, aber eher kühlen, logisch aufgebauten Werken erscheint das Werk Lorbers in starkem
Gegensatz. In Swedenborgs Sinn wären Lorbers Werke nicht eigentlich als »Lehren« zu bezeichnen, sondern mehr als Illustrationen zu denselben. Stellenweise zieht sich eine gewisse
Kindlichkeit durch Lorbers Berichte, zuweilen wieder sind sie erhaben, oft ähneln sie biblischen Prophezeiungen, doch finden sich dazwischen immer wieder Einschübe, die an die
heutige Menschheit gerichtet sind. Eine offene theologische Analyse würde nach Prüfung der
Person, des Inhalts und Stiles der Werke weitergehen in der Reihe der formalen Kriterien und
Folgendes untersuchen: Sind die Schriften Lorbers homogen, d. h. gleichartig zusammen gesetzt, oder sind sie widersprüchlich in sich selbst, was auf eine Herkunft aus verschiedenen
Quellen hindeuten würde? Natürlich ist diese Frage von einer begrenzten Plattform aus
schwer zu beantworten; man müßte das Gesamtwerk kennen, um darüber wirklich kompetent zu entscheiden. So weit dem Verfasser diese Schriften bekannt sind, fanden sich wohl
eine Reihe kleinerer, jedoch keine größeren und schwerwiegenden dogmatischen Widersprüche.
Zu den kleineren Ungereimtheiten gehört z. B. folgendes: In der »Jugendgeschichte Christi«,
angeblich eine Wieder-Erneuerung des Jakobusevangeliums, das nur in Bruchstücken erhalten
ist, wird von der »gallischen Sprache heutzutage« (d. h. also zur Zeit Christi) gesprochen. Wie
jedermann weiß, wurde Französisch erst im 17. und 18. Jahrhundert zur Weltsprache. Dies
Beispiel steht jedoch nur für eine ganze Reihe ähnlicher Anachronismen. Dennoch besteht
wohl tatsächlich eine gewisse Parallele zwischen dem aufgefundenen Bruchstück des apokryphen sogenannten Jakobusevangeliums, das nach allem Ermessen Lorber nicht bekannt
sein konnte, da es erst später veröffentlicht wurde, und dem Lorberschen Bericht. Andererseits
findet man keine Parallelen zwischen den anderen apokryphen Evangelien und dem »Großen
Evangelium Johannis«. Weitere geringere Widersprüche finden sich in der »Jugendgeschichte«.
Dort äußert einmal das Christuskind, es werde nun keine weiteren Wunder mehr tun, doch
bald darauf folgen dennoch eine ganze Reihe wunderbarer Begebenheiten, die manchmal sogar
recht phantastisch anmuten. Der Verfasser empfindet auch einen Widerspruch darin, daß
sehr viele autoritative Erklärungen gemacht werden, die offenbar nicht in Freiheit zu prüfen,
sondern einfach hinzunehmen sind. Ein Widerspruch scheint auch darin zu liegen, daß Lorber
den Anspruch erhebt, alles direkt von Gott empfangen zu haben, während er an anderer Stelle
zugibt, daß er Diktate und Ideen von Engeln bekommen habe (Robert Blum V, 2, 261; Haushaltung Gottes 1, K. 34, V. 37; Geistige Sonne passim). Gleichwohl zieht sich ein roter Faden
durch das Ganze, zwar oft in verschiedenen Ausprägungen, doch meist die Hauptideen bekräftigend.
128
Horand Gutfeldt
Im Folgenden wollen wir versuchen, eine theologische Analyse der Werke Lorbers in ihrer
Beziehung zu Swedenborg zu geben; wir gehen dabei in der Ordnung der vier Hauptlehren vor,
nämlich der Lehre von Gott, der Lehre von der Heiligen Schrift, der Lebenslehre und der Lehre
vom Glauben.
1. Die Gotteslehre Lorbers und Swedenborgs hat viele klare Parallelen. Lorber betont wieder
und wieder, daß Gott die Liebe und Weisheit selbst ist, und daß Er in Christus auf die Erde
kam. Diese Göttliche Liebe ist in vielen eindrucksvollen Worten und Bildern beschrieben. Das
bedeutet einen vollkommenen Bruch mit dem Gottesbild, das zu Lorbers Zeit in den christlichen Kirchen gepredigt wurde und auch heute noch z. T. gepredigt wird und in vielen theologischen Werken verankert ist. Immer wieder betont Lorber, daß in Christus die Fülle der
Gottheit wohnt, wobei er zuweilen bis an die Grenze des sogenannten Sabellianismus geht,
m.a.W. die menschliche Wesensseite Jesu zurückstellt. Dies gilt vor allem für das Werk über
die Jugend Jesu. Danach lernt z. B. Jesus auf übernatürliche Weise sprechen und vollbringt
bereits als Kind ganze Serien von Wundern, tritt also eigentlich gar nicht als Kind, sondern als
Erwachsener in das Leben. Dennoch beschreibt auch Lorber die Versuchungen Jesu, allerdings
nur in einem verhältnismäßig kurzen Abschnitt, der ihr Wesen erklärt. Einen Widerspruch
zur sonstigen Liebeslehre finden wir wohl in allen Werken Lorbers vor allem dort, wo es sich
um Göttliche Gerichte handelt. Am schroffsten erscheint dies an einer Stelle, wo Gott als der
Rächende, nicht als der Erziehende beschrieben ist (retributive »Gerechtigkeit«). So lesen wir
in der »Jugendgeschichte Jesu«, K. 253, V. 25: »Ein jeder war umwunden mit einer glühenden
Schlange und schrie um Hilfe; aber das Kindlein hörte sie nicht, sondern trieb sie alle, bei
hundert an der Zahl, mit Seiner Allmacht in das Meer, allwo sie alle umkamen. Das war das
einzige Mal, wo sich das Kindlein unerbittlich gezeigt hat«. Die Begründung: »Wer aber das
Gute kennt, tut aber dennoch aus purem satanischen Mutwillen Böses, der ist ein Teufel aus
dem Fundamente der Hölle und muß mit Feuer gezüchtigt werden« (ebenda, V. 21). Dies soll
die Strafe dafür sein, daß Diebe das Eßschüsselchen Jesu mitgenommen hatten (V. 17). Offensichtlich haben wir es hier nicht mehr mit dem Bilde eines liebenden Erlösers, sondern eines
rächenden Herrschers zu tun. Gewiß, man könnte Parallelen im buchstäblichen Text des Alten Testamen finden (z. B. 4.Mose 21,6), doch fehlt dabei die Majestät der alttestamentlichen
Berichte. Andererseits finden sich auch bei Lorber viele eindrückliche Abschnitte von großer
Schönheit, die man auch dann nicht ohne Achtung übergehen kann, wenn man keineswegs
von ihrer unmittelbaren göttlichen Inspiration überzeugt ist.
Eine spezifische Lehre von der Wesenheit des Göttlich-Menschlichen scheint zu fehlen, doch
berichtet Lorber — ähnlich wie Swedenborg —‚ daß der Herr im Himmel in der menschlichen
Form erscheint. Das Wesen Gottes ist vor allem geistig gesehen, und die Definition des Geistigen ist (vgl. Geistige Sonne, K. 1, 6) »das Inwendigste, das Durchdringende und somit auch das
Allumfassende«. Bei Swedenborg liegt der Akzent ein wenig anders, sieht er doch das Geistige
in mehr dynamischer Weise als das alles andere Bedingende an (HH 433). Das Geistige ist das
Leben. Doch wird auch bei Lorber alle Schöpfung von geistigen Ursprüngen abgeleitet, freilich
mit einem Unterschied, auf den wir weiter unten eingehen werden. Nach Lorber schuf Gott die
Geister (Geistwesen). Dies hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Leibnizschen Monadenlehre
und mit einigen Stellen in jenen Schriften, die vor seiner Erleuchtung entstanden sind, namentlich in »De Cultu et Amore Dei«. Dort beschreibt Swedenborg (Nr. 34, 41 u.ö.) die Existenz
und die Hilfe himmlischer Intelligenzen bei der Erschaffung des ersten Menschen, Adam; im
einzelnen ist freilich auch hier vieles wesentlich anders als bei Lorber. Dieser unterstützt, wo
er von der Gottheit spricht — von wenigen Ausnahmen abgesehen — ebenso wie Swedenborg
die Hauptlehre, daß Gott Einer und daß Er die Liebe selbst ist, die sich in der ewigen Weisheit
offenbart und Eins in der Wirkung ist.
Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg
129
Hier ist nun auf einen wesentlichen Unterschied hinzuweisen: Lorber spricht von einem gefallenen Geist, Satana, der von Gott materialisiert wurde. Dies ist die Erschaffung der Materie, an
deren Erlösung der Mensch mitarbeiten soll, um sie zu vergeistigen und zu Gott zurückzubringen. Damit ist das Böse zwar geistigen Ursprungs und Wesens, doch ist es zentralisiert in
der Schöpfung der materiellen Substanz, die nach Lorber nicht vollständig von der geistigen
geschieden ist. Die Materie ist nun böse in verschiedenem Grade, je wie böse Geister in ihr
verkörpert sind. Zwar sagt Lorber an anderer Stelle, daß dieses Böse nur böse sei in Beziehung
auf den Menschen, doch andererseits gibt es eben Dinge, die »überwiegend böse« sind.
So ist z. B. der Tabak, und damit selbstverständlich auch das Rauchen, völlig vom Übel, ja vom
Teufel — und Ähnliches gilt vom Kaffee. Alle diese in der Materie verkörperten »Naturgeister«
erfüllen gewisse Funktionen. Die ganze Natur ist voller Geister, und zwar in einer örtlich
gemeinten Weise, so daß in Pflanzen, Bäumen, Tieren, Felsen usw. Geister geradezu eingeschlossen sind, die dazwischen aber auch frei und sichtbar werden können. In besonderer
Weise ist Luzifer im Mittelpunkt der Erde konzentriert und versucht von dort her, alles an sich
zu ziehen. Geister sind es auch, die den Tieren das Leben geben. Vielleicht liegt hier eine entfernte Parallele zu Swedenborgs Entsprechungslehre vor, die eine geistige Beziehung zwischen den Neigungen der Menschen und dem Charakter der Tiere behauptet. Alle anderen
Einzelheiten sind, von Swedenborg aus gesehen, fremdartig, denn Swedenborg betrachtet die
Materie zwar als geistig bedingt, aber als unbeseelt. Somit sind bei Swedenborg niemals die
Dinge an sich schlecht oder böse, sondern können nur vom Menschen zum Schlechten oder
Bösen mißbraucht werden.
Aus diesen Andeutungen geht hervor, daß die Lehre von den getrennten Graden oder Stufen
des Seins, deren Einteilung die gesamte Schöpfung ordnet (vgl. LW 179 f) bei Lorber fehlt.
Swedenborg sieht, ähnlich wie Nicolai Hartmann, die Grenzen zwischen dem Natürlichen und
dem Geistigen als bestimmt an, während sie bei Lorber fließend sind. Die Folge davon ist, daß
klare kausale Beziehungen bei Lorber zuweilen verwischt werden. Auch die Lehre von den
Entsprechungen zwischen den Graden wird verschleiert. Lorber betrachtet die Materie als
äußerliche Form geistiger Wesenheiten, und zwar sowohl in ihren Teilen als in ihrem Ganzen; ihr letzter Ursprung ist in Gott.
Die Zweite Ankunft Christi ist in sehr ähnlicher Weise wie bei Swedenborg gesehen, nämlich
als ein geistiges Kommen zur Menschheit in Verbindung mit ihrem Wachstum an geistigen
Fähigkeiten. Hier herrscht nahezu vollständige Übereinstimmung zwischen Lorber und Swedenborg. Ein gewisser Unterschied besteht lediglich darin, daß Lorber an eine Geschichtsepoche glaubt, wo sich diese Zweite Ankunft in irdischen Gerichten auswirkt, die begleitet sind
von Ereignissen, welche die Religion auf die Erde zurückbringen sollen.
2. Die Lehre von der Heiligen Schrift: Hier ist anscheinend der größte Gegensatz zwischen
Lorber und Swedenborg. Vor allem betrifft dies den Kanon und den Wortlaut der Bibel. Während
die Bibel bei Swedenborg, jedenfalls was die eigentlich inspirierten Schriften betrifft, als unter
Göttlicher Führung bis ins Letzte heilig und unverfälscht erscheint, während er gewissen
biblischen Schriften einen »fortlaufenden inneren Sinn« abspricht, und diesen inneren Sinn
als den eigentlichen Kern und Grund ihrer Heiligkeit versteht, erklärt Lorber die Bibel als in
den meisten Stellen »verderbt«. Am reinsten ist seiner Meinung nach das Johannesevangelium
erhalten geblieben. Obgleich er erklärt, daß der Geist Gottes in der Bibel erhalten geblieben ist,
setzen viele seiner Erklärungen den Wert der Bibel herab. Es gibt keine völlig klare und eindeutige Äußerung bei Lorber, die uns lehrte, ob seine Schriften die Bibel ergänzen, sie erklären
oder ersetzen. Dennoch ist an vielen Stellen ein großer Respekt für die Worte der Bibel zum
Ausdruck gebracht, z. B.: »… was der Herr gesprochen hat auf der Erde, das ist wahrlich auch
im gleichen Maße gesprochen für alle Himmel; … weil eben alle Himmel aus dem Worte gemacht sind, welches der Herr gesprochen hat auf der Erde« (Geistige Sonne, K. 46, 25).
130
Horand Gutfeldt
An vielen Stellen kommen Lorbers Schrifttexterklärungen an den von Swedenborg im einzelnen genau bezeichneten geistigen Sinn heran, doch an anderen Stellen handelt es sich nur
um eine bildhafte Ausdeutung des buchstäblichen Sinnes. So ist z. B. das Vaterunser nur in
einer veränderten und erweiterten Form gegeben, nämlich durch eine Reihe von Einschüben
erbaulicher Art ergänzt. Gewöhnlich sind die Erklärungen Swedenborgs allgemeiner und umfassender, diejenigen Lorbers mehr auf einzelne Fälle bezogen, daher oft lebensnäher.
Andererseits findet man bei Lorber gelegentlich Erklärungen, die auf einer ganz falschen
Übersetzung des Urtexts beruhen. So lautet etwa in »Die Geistige Sonne«, Teil 2, die Form des
6. Gebots: »Du sollst nicht Unkeuschheit treiben«, und alle Erklärungen sind darauf bezogen.
Der hebräische Text spricht aber eindeutig von na'aph die Ehe brechen, und der entsprechende neutestamentliche Text zeigt im Griechischen moixeuein, was die eheliche Untreue, nicht
die Hurerei bezeichnet (Gesenius); ebenso ist die Idee und Definition der Keuschheit völlig
abweichend von Swedenborg, nach dessen Lehre wahre Keuschheit eigentlich nur in der ehelichen Liebe zu finden ist.
Übereinstimmung herrscht darin, daß auch Lorber von einem verloren gegangenen »Alten
Wort« berichtet. Auch die Behauptung, daß Teile desselben im Osten in einem Kloster erhalten
sind, erinnert an das, was Swedenborg von Engeln darüber gesagt wurde. In manchen Punkten
haben wir es freilich bei Lorber mit einer etwas peinlichen Buchstabengläubigkeit zu tun, so
etwa wenn er behauptet, Adam sei der erste Mensch gewesen, ebenso hätten Kain, Noah usw.
als natürliche Menschen auf Erden gelebt. Im Falle Adams scheint dies ein direkter Widerspruch zu Swedenborg zu sein, der bekanntlich von Präadamiten spricht, also eine allmähliche Entwicklung zu »Adam«, d. h. zum Menschen hin, im Auge hat und unter »Adam« die
erste Menschheitskirche versteht. Auch die Sündflut ist nach Lorber ein buchstäbliches Ereignis, während Swedenborg den Erzählungen der ersten elf Kapitel der Bibel nur einen symbolischen Sinn zuerkennt. Allerdings gibt Lorber zu, daß die Sündflut auf bestimmte Gebiete
begrenzt war, die er genau bezeichnet. Dennoch erscheint seine Erklärung kaum mit der heutigen Wissenschaft vereinbar. Daß es aber in Mesopotamien gewaltige Überschwemmungen
gegeben hat, die vielleicht den Anlaß zur Sündflutsage gegeben haben, steht einwandfrei fest
und ist durch geologische Ablagerungen belegt (vgl. Keller: »Die Bibel hat doch recht«, Kap. 3).
Übereinstimmung zwischen beiden Sehern besteht dann wiederum, wenn auch Lorber das
Neue Jerusalem als eine neue Lehre deutet (Großes Joh. Ev., Band 9, K. 90).
Was man hingegen bei Lorber vermißt, ist eine deutliche Erklärung, was eigentlich der Inhalt
des geistigen bzw. des buchstäblichen Sinnes der Heiligen Schrift ist. Ein nicht unerheblicher
Unterschied zwischen Swedenborg und Lorber besteht ferner in ihrer Auffassung über den
Kanon der Bibel, d. h. welche Bücher eigentlich zur Heiligen Schrift gehören, weil sie — Swedenborg zufolge — einen »fortlaufenden inneren Sinn« enthalten. Ein weiterer Unterschied zeigt
sich in der Bewertung der Bibel und ihrer Zusätze überhaupt. Bei Swedenborg erscheint immer die Bibel als das Höchste. Aber trotz all dieser Vorbehalte sind viele Schrifttexterklärungen Lorbers sehr aufschlußreich und in frommer Weise lebensnah.
3. Die Lebenslehre: Hier sind die Gebiete der Übereinstimmung größer. Lorber betont nämlich
wie Swedenborg überall sehr stark, daß die Liebe das Erste ist und daß es keine echte Religion
gibt, die nicht mit dem Leben verbunden wäre. Die Liebe ist oft in so intensiven Worten beschrieben, daß sich ein unvoreingenommener Leser ihrem Eindruck nicht entziehen kann.
Tätige Liebe ist eine der Grundforderungen, die sich durch alle Werke Lorbers zieht. Daß aber
die Liebe die Erkenntnis, die Wahrheit, zu ihrem Wachstum und ihrer Entwicklung braucht,
tritt kaum hervor. Die Liebe wird bei Lorber vor allem durch die Ähnlichkeit mit der Liebe von
Bräutigam und Braut beschrieben, nicht in so klaren Begriffen wie etwa in Swedenborgs Werk
»Die Wahre Christliche Religion«, wo sie als das Streben nach Vereinigung und Beglückung
des anderen aus sich beschrieben wird. Lorber betont ebenfalls den Wert der Selbstprüfung,
Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg
131
auch hinsichtlich der Motive, jedoch tut er es u.E. nicht in einer so umfassenden und klaren
Weise wie Swedenborg. Die Erklärungen zu den Zehn Geboten, wie wir sie in Lorbers Werk
»Die Geistige Sonne« finden, erscheinen einseitiger als bei Swedenborg (WCR und Lebenslehre), der dabei viel mehr Lebensgebiete einbezieht. Lorber ist also darin nicht, wie häufig behauptet wird, irgendwie vollkommener oder klarer als Swedenborg. Des weiteren erklärt der
Grazer Mystiker, daß die »innere Stimme«, also die Stimme Gottes, von uns nicht gehört werden kann, bevor wir Seinen Geboten folgen, und daß dieses Innewerden mit zunehmender
Reife an Klarheit gewinnt. Lorber hat vieles gemeinsam mit anderen Mystikern, wie Meister
Eckhart und Jacob Böhme, etwa die Verinnerlichung der Ethik und des Strebens zu Gott, bis
hin zur mystischen Vereinigung. Dennoch findet sich bei Lorber in vielen Fällen eine Kasuistik, die Swedenborg völlig fremd ist, z. B. in einer ganzen Reihe von Gesundheitsregeln, Anweisungen für richtige Ernährung und Bekleidung (z. B. daß Obst in gekochtem Zustand
gesünder sei als in rohem! Gr. Ev. Bd. 10, K. 250,5-10), daß das Rauchen und Kaffeetrinken als
etwas Böses anzusehen sei, usw. Lorber empfiehlt die Fürbitte für Verstorbene und daß man
ihnen das Evangelium vorlesen solle. Vom Standpunkt Swedenborgs ist dies wohl für die
Menschen auf Erden zu empfehlen, doch kaum für die Jenseitigen. Lorber warnt, genau wie
Swedenborg, vor irgendwelchen spiritistischen Bemühungen. Ähnlich ist auch seine Lehre
von der geistigen Wiedergeburt oder Neuwerdung. Diese wird als das Ziel allen menschlichen
Lebens auf dieser wie auf allen anderen Welten gesehen. Liebe und Wahrheit von Gott aufzunehmen und in die Tat umzusetzen ist der Sinn des Lebens. Nur diejenigen gehören in Wahrheit der Kirche an, die von Liebe erfüllt sind. Die Geisteinheiten (Naturgeister) steigen nach
Lorber durch das Mineralreich durch Pflanzen- und Tierreich bis zum Menschen hinauf, der
sie in sich zu höherer Einheit zusammenfaßt und daher zu ihrer Erlösung beitragen kann.
Man mag hier eine Parallele zu den Entelechien des Aristoteles sehen, doch sind diejenigen
Lorbers mehr substantiell. An einigen Stellen spricht Lorber von der allgemeinen Erlösung
Aller, an anderen Stellen widerspricht er dem jedoch. An einigen Stellen erwähnt er auch die
materielle Wiederverkörperung der Geister von Verstorbenen, schränkt dies jedoch wieder ein
und erklärt, es handle sich dabei um Ausnahmen aufgrund besonderer Göttlicher Anordnung,
vertritt also eine selektive Karmalehre, die Swedenborg völlig fremd ist.
Ein allgemeiner Vergleich einer der Wertlehre zugrundeliegenden Deutung der Gebote zeigt,
daß Swedenborg bedeutend universaler ist. Das Verbot des Tötens wird bei Swedenborg, wie in
der Bergpredigt, auf die zugrundeliegende Regung des Hasses zurückgeführt. Bei Lorber fehlt
dies völlig. Die Mißdeutung des 6. Gebots, die dem Geist der Bibel zuwiderläuft, wurde oben
bereits erwähnt. Zur allgemeinen Ehelehre sagt Lorber, ähnlich wie Swedenborg, daß das Zusammenfinden von Mann und Frau, die einander vollständig ergänzen, und die als »Dual«
bezeichnet werden können, eine Fügung der Vorsehung ist. Als Voraussetzung dafür wird
genannt, daß sie gemeinsam näher zu Gott streben — dann kann ihre Liebe in Ewigkeit wachsen. In Mann und Frau sieht Lorber die Grundkräfte der Natur, jedoch nicht in so unmittelbarer Beziehung auf die Ausstrahlung Gottes wie Swedenborg. Ein größerer Widerspruch besteht
nicht, nur sind verschiedene Aspekte betont. Die feinen Unterschiede, die in der »Ehelichen
Liebe« bei Swedenborg zum Ausdruck kommen, gehen jedoch weit über alles hinaus, was
man bei Lorber findet. An einzelnen Stellen verurteilt Lorber den Geschlechtsverkehr, sofern
er nur der Lust dient — nur zur Zeugung von Kindern sei er gestattet. Dennoch beschreibt er,
daß es ihn auch in der jenseitigen Welt gibt, wenn auch in einer geistigen Weise und ohne
Kinderzeugung. Die Erschaffung Evas wird in geistiger Weise beschrieben, doch scheinen die
Frauen als etwas unter den Männern stehend gewertet zu werden. Andererseits erklärt Lorber,
daß sie auch in Kirchen predigen könnten, wenn sie wirklich inspiriert seien, was Swedenborg vermutlich ablehnen würde.
132
Horand Gutfeldt
Von den Tugenden ist die Demut als die Erste und Grundlegende erwähnt, gerade wie bei
Swedenborg, jedoch mit mehr Nachdruck auf »Einfältigkeit des Denkens«, während Swedenborg sie mit Verständnis und Einsicht verbunden wissen will (Lorber erwähnt dies zwar auch,
aber gleichsam nur nebenbei).
Über das Pfarramt sagt Lorber, daß ein Amt des Lehrens der Heiligen Wahrheiten beizubehalten sei, jedoch nicht als bezahlter Beruf, sondern nur als Nebenberuf. Ernähren soll sich der
Geistliche vielmehr von einer Beschäftigung, die Nutzen schafft (Gr. Ev., Bd. 8, K. 89,3-7).
Wanderprediger sollen eine Ausnahme bilden. Es gibt keine Vorrechte irgendwelcher Art für
die Geistlichkeit, und ein jeder hat das Recht zu predigen und die Sakramente auszuteilen. So
weit dem Verfasser bekannt, wird dies aber in Lorber-Kreisen nicht so praktiziert. Diese Einstellung Lorbers ist ein gut verständlicher Protest gegen die Anmaßungen des Klerus seiner
Zeit und seiner Umgebung. Seine scharfe Kritik an der Katholischen Kirche ist in den meisten
Punkten, zumindest für seine Zeit, berechtigt. Swedenborg ist allgemeiner und sieht die tieferen Gründe für die Entartung großer Kirchen, die er vor allem in der Verbindung von Religion
und Macht erblickt, sowie in dem Prinzip eines Glaubens, der nicht mit dem Leben verbunden
zu werden braucht. Aber er bejaht bekanntlich ein Priesteramt mit bestimmter Ordnung, so
weit es sich keine Macht anmaßt (NJ 311-319).
Die Sakramente: Lorber lehrt, ebenso wie die Protestanten und Swedenborg, die fünf über Taufe
und Abendmahl hinausgehenden Sakramente der Katholischen Kirche seien abzulehnen. Die
beiden verbleibenden Sakramente sind, ähnlich wie bei Swedenborg, nicht als magische, sondern als symbolische Akte aufzufassen. Zwar nicht als Sakrament, aber als heilige Handlung
empfiehlt Lorber in bestimmten Fällen das Händeauflegen, und zwar in Verbindung mit einem
Gebet, um dem betreffenden Menschen einen besonderen Segen zu übermitteln. Die Taufe
empfiehlt er für Erwachsene, weniger für Kinder, obgleich er die Kindertaufe nicht verwirft.
Auch dies entspricht also der Lehre Swedenborgs.
Zusammenfassend kann man sagen, daß die Lebenslehre Lorbers in vielen Punkten mehr ins
Einzelne geht, aber vieler großer Konzeptionen Swedenborgs entbehrt. Trotz dieser Einzelanweisungen ist aber stets die Notwendigkeit umfassender Toleranz betont. Schwerwiegende
Gegensätze zu Swedenborgs Ethik bestehen also nicht.
Die Glaubenslehre: Lorber betont einen lebendigen Glauben, der sich mehr und mehr entfalten
soll, und zwar durch das Bestreben, nach heiliger Einsicht zu leben. Diese Einsicht aber soll
wachsen durch das Lesen seiner Schriften und der Bibel. Er kämpft ebenso wie Swedenborg
gegen die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben allein, wie er von den meisten
evangelischen Richtungen vertreten wird. Damit wird auch jede Erlösung durch bloße Gnade
abgelehnt, es gibt keine Erlösung ohne eine entsprechende Sinnesänderung des betreffenden
Menschen. Sehr stark betont wird ferner die Notwendigkeit einer grundsätzlich bejahenden
Haltung Gott gegenüber. Lorber verurteilt auch einen jeden Glauben aufgrund irgend einer
Autorität — obgleich er ja in mancher Hinsicht eine neue Autorität, nämlich die seiner mit
göttlichem Offenbarungsanspruch auftretenden Schriften aufrichtet.
Lorber versucht aber zu überzeugen und bemüht sich, die Autorität der Wahrheit einsichtig zu
machen — im Gegensatz zu manchen anderen christlichen Richtungen, die autoritäre Glaubenssätze aufstellen. Dennoch ist Lorbers Empfehlung, sich selbst zu überzeugen, nicht so
entwickelt wie bei Swedenborg, der sogar die Kriterien für eine Beurteilung seiner eigenen
Lehren klar angibt. So ist etwa nach Swedenborg der Buchstabe der Heiligen Schrift entscheidend für die Beurteilung der aufgestellten Lehre, der Buchstabe, der allerdings erhellt sein muß
durch Einsicht in geistige Zusammenhänge.
Würde man Swedenborgs Maßstäbe in kritischer Weise an Lorbers Schriften anlegen, ohne
seinen Offenbarungsanspruch für das Ganze zu akzeptieren, viel Wertvolles würde bestehen;
Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg
133
allerdings kaum etwas, das lehrmäßig wirklich über Swedenborg hinausginge. Vor allem blieben zahlreiche Illustrationen. Anderes müßte als fragwürdig beiseite gestellt werden.
Besondere Lehren, jenseitige Welt: Ein großer Teil der Lorberschen Berichte ist denen von
Swedenborg sehr ähnlich. In großer Vielfalt werden alle möglichen Vorbildungen und Erscheinungen der jenseitigen Welt beschrieben. Diese Schilderungen sind viel detaillierter als
bei Swedenborg. So beschreibt Lorber eine größere Zahl von Scheinhimmeln, die Swedenborg
nur im Vorwort zu dem Werk »Die Eheliche Liebe« kurz behandelt. Hier wäre eine Ähnlichkeit
mit den Visionen von Sadhu Sundar Singh zu konstatieren. Bei dieser Übereinstimmung ist die
Wahrscheinlichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß es sich um echte Visionserlebnisse
handelt. Lorber nimmt die Fortsetzung des Lebens nach dem »Tode« als selbstverständlich an,
aber viele der feineren Erklärungen und großen Zusammenhänge, die bei Swedenborg gegeben
sind, fehlen bei ihm.
Leben auf anderen Welten: Ähnlich Swedenborg, glaubt auch Lorber an ein Leben auf anderen
Sternen, da dies von der Schöpfung her der Zweck des Universums sei. Auch die Unendlichkeit des Weltenraums ist eindrucksvoll beschrieben. Allerdings mutet es eigenartig an, daß er
die Überzeugung des englischen Astronomen Herschel übernimmt, wonach unsere Sonne
unter einer Schicht leuchtender Wolken Leben berge. Dies ist nach allen Erkenntnissen unserer heutigen Wissenschaft unmöglich, da die ganze Sonne subatomaren Umsätzen dient, ohne
welche die gewaltigen von ihr ausstrahlenden Energien nicht zu erklären wären.
Zusammenfassung: Was die wichtigsten Hauptlehren betrifft, so besteht ein weites Feld der
Übereinstimmung zwischen Lorber und Swedenborg. Lorber entwirft ein christozentrisches
Weltbild, und sein besonderes Augenmerk gilt der Liebe sowie der Geistnatur des Menschen.
Dabei ist er bei weitem nicht so umfassend wie Swedenborg. Und dennoch dürfen wir sagen,
daß Lorber viel näher zu Swedenborg steht als irgendeine andere christliche Theologie oder
Kirche. Dies wird oft übersehen. Dazu kommt, daß in fünf Stellen der Schriften Lorbers ausdrücklich zur Lektüre Swedenborgs aufgefordert wird.
Im Gesamtwerk Lorbers findet sich eine eigenartige Mischung von traditionellen, besonders in
Europa stark vertretenen Überzeugungen, und neuen Wahrheiten, soweit sie einander nicht
unmittelbar entgegengesetzt sind. Diese sind verschmolzen mit den am stärksten verwurzelten biblischen Traditionen, die oft buchstäblich übernommen werden. Andererseits sind eine
ganze Reihe von Lorbers Illustrationen wissenschaftlich überholt und können nicht anders
denn als irrig bezeichnet werden. Lorber hat einen Bilderreichtum, den Swedenborg nicht erreicht. Immer wieder gibt es bei ihm dramatische Entwicklungen, Überraschungen, die das
Lesen interessant machen. Dem stehen aber Schwächen gegenüber: Übertreibungen, Trivialitäten, logische Fehlschlüsse, wissenschaftliche Unmöglichkeiten. Aber das ändert nichts an der
Tatsache, daß Lorber vielen Menschen zugänglich ist, die sich an derlei Dingen nicht stoßen,
denen aber Swedenborg vielleicht zu abstrakt, »zu hoch«, wäre. Swedenborgs Inspiration ist
umfassender und geschlossener, sie entwickelt die eigene Urteilskraft, die eigene Vernunft
und die vertiefte Einsicht in die Gründe. Lorber betont die Liebe in mehr gefühlsmäßig bewegender Weise, während Swedenborg eine weise, verstehende, einsichtige Liebe und ihre Notwendigkeit als wichtigstes Wesenselement Gottes und des Menschen in den Vordergrund
stellt. Daher ist es ein grober Irrtum, wenn manche behaupten, Lorber habe mehr die Liebe,
Swedenborg mehr die Weisheit gelehrt. Es gibt keine Weisheit ohne Liebe und keine Liebe
ohne Weisheit. Auch kann man nicht sagen, daß die Lorbersche Inspiration über Swedenborg
hinausgehe, sondern man muß, bei aller Achtung vor so vielem Schönen und Wertvollen doch
manches bei Lorber ablehnen, weil es nicht ins Gesamtbild paßt. Der umfassende Offenbarungsanspruch sämtlicher Lorberwerke ist eher ein Hindernis für ihre Annahme, er erweist
sich als Hemmschuh für eine sachliche und einsichtige Unterscheidung zwischen dem Weizen und der Spreu. Wir halten es für möglich, daß verschiedene Geister an den Diktaten Lor-
134
Horand Gutfeldt
bers beteiligt waren, so daß, unter Göttlicher Zulassung, manche geistigen Wahrheiten bekanntgemacht und erläutert werden und als Einführung in den Bereich tieferer Erkenntnisse
dienen können. Swedenborg ist viel kompromißloser und in der Monumentalität seiner Voraussetzungen vielen Strömungen selbst noch in heutiger Zeit entgegengesetzt. Seine Einsichten reichen weiter als diejenigen Lorbers. Bei Lorber finden sich Widersprüche,
Anachronismen, offenbare Irrtümer in Fülle, so daß ein offener, aber kritischer Leser sich bald
an eine Auswahl hält und nach Weiterem verlangt. Ein Beispiel für derartige Irrtümer mag
nützlich sein: In dem Werk »Die Geistige Sonne«, K. 1,11 wird behauptet: »… so durchdringt
dieses Feuer (gemeint ist die Elektrizität) die ganze Materie …« Das Experiment aber beweist,
daß die elektrische Ladung weder im Konduktor eines Kondensators, noch in der Isolation,
sondern allein auf der Oberfläche des Isolators verteilt ist. Es besteht wohl eine Durchdringung
des elektrischen Feldes, aber dies ist streng zu unterscheiden von der elektrischen Ladung
selbst. Andere »wissenschaftliche« Erklärungen sind äußerst unwahrscheinlich, wie diese,
daß die Erde den Mund am Nordpol, den After am Südpol habe, um dort fortwährend Materie
zu verdauen und zu reinigen (»Erde und Mond«). Andererseits gibt es andere wissenschaftliche
Erklärungen und Beispiele bei Lorber, die interessant und korrekt sind, wie etwa die Parallelität des Makro- und Mikrokosmos, des Atoms und der Sonnensysteme, und manches andere.
Ebenso unzutreffend ist die Behauptung, Lorber habe bloß von Swedenborg abgeschrieben.
Lorbers Schriften sind viel zu originell, um dies aufrecht erhalten zu können. Es ist aber auch
nicht so, daß Lorber und Swedenborg sich lediglich in voller Harmonie ergänzten, wie auf der
anderen Seite behauptet wird. In den großen theologischen und philosophischpsychologischen Belangen hat Lorber nichts wesentlich Neues zu Swedenborg hinzuzufügen,
sondern nur eine große Anzahl von Illustrationen und Darstellungen. Diese Darstellungen
bewegen sich freilich alle in einem bestimmten Kreis, zeigen die Dinge in einem bestimmten
Blickwinkel, sind weniger umfassend als bei Swedenborg — dies alles nach der augenblicklichen Kenntnis des Verfassers. Die subjektive Ehrlichkeit Lorbers, seine eindrucksvollen
Schilderungen sind aber interessant und werden vielen Menschen bleibende Werte vermitteln
können.
Das Verhältnis zwischen Swedenborg- und Lorber-Anhängern ist, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, durchwegs gut und beruht auf gegenseitiger Achtung. Viele erkennen beide Seher
an und suchen nach ihrer tieferen Harmonisierung. Der Lorber-Verlag in Bietigheim vertreibt
auch Swedenborg-Literatur, und der Swedenborg-Verlag bedient sich z. T. seiner Dienste beim
Druck und bei der Aufbindung von Werken Swedenborgs. Frühere Spannungen, die aus einem
bedauerlichen Mangel an Verständnis und gegenseitiger Achtung entsprangen, sind überwunden, und ein ökumenischer Geist entfaltet sich mehr und mehr.
Empfehlungen: Wir halten es für unnötig und verfehlt, sich in irgend welche polemischen
Auseinandersetzungen einzulassen, da die Annahme eines Offenbarungsanspruchs irgendwie
stets ein Gefühlsakt sein wird. Beide Seiten können die Haltung der anderen achten, solange
nicht eine Spannung heraufbeschworen wird. Da die Betonung bei Swedenborg wie bei Lorber
so stark auf der Liebe liegt, sollte ja wohl auch ein gutes Einvernehmen nicht schwierig sein.
Die Gefahr, daß Swedenborg durch Lorber irgendwie in gefährlicher Weise verfälscht werden
könnte, ist völlig von der Hand zu weisen, da die Differenzen, wie wir uns zu zeigen bemüht
haben, mehr in den Randgebieten liegen, jedenfalls nicht zu den Heilsnotwendigkeiten gehören. Jede Form von Fanatismus ist ebenso fehl am Platze, denn beide Seher verurteilen ja
einen engen Konfessionalismus. Meine stärkste persönliche Überzeugung ist der Glaube an
die Macht der Wahrheit, die ihren Weg durch alle Irrtümer hindurch findet und immer finden
wird. Ihr werden die Seelen der Menschen sich schließlich öffnen müssen. Unsere Aufgabe ist
es lediglich, ihr alle Hindernisse aus dem Weg ihres Siegeszuges zu räumen, damit er frei
werde für eine immer tiefere und reinere Aufnahme!
Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg
Ein kurzes Nachwort der Schriftleitung [Friedemann Horn]: Im obigen Artikel ist von der kritischen Einstellung der Swedenborg gegenüber ihrem eigenen bevorzugten Seher die Rede. Man
vergleiche dazu den Artikel des Herausgebers in OFFENE TORE 5/1965: Was sollen wir verkündigen?
Freilich ist es viel leichter, die Schriften eines Sehers in Bausch und Bogen zu verwerfen oder aber
Wort für Wort zu akzeptieren, als sie sorgfältig anhand der einzig gültigen Maßstäbe zu prüfen.
Oetinger hat aber recht, wenn er sagt: »Die göttliche Offenbarung wächst auf dem Halm der
menschlichen Anschauung«. Wenn also ein Lorber — vermeintlich aufgrund der an ihn ergangenen göttlichen Stimme — erklärt, Erdgeister könnten ganze Metalladern in den Bergwerken zum
Verschwinden bringen, so kann uns das ebenso wenig binden, wie wenn ein Swedenborg etwa
schreibt, wo nur immer im Weltall ein Erdkörper sei, da sei auch der Mensch (also auch auf dem
Mond, auf den winzigen Planetoiden usw.). Verstehen wir uns recht: Man kann das eine wie das
andere glauben, aber man muß es nicht; denn wo stünde etwas davon in der Heiligen Schrift, deren Wort allein uns wirklich bindet?
Quelle: Offene Tore, 1965, S. 161-181
135
LORBER UND SWEDENBORG
Eine Besprechung von Viktor Mohr – 1966
Während — im Gegensatz zu unserer Zeitschrift, die
Swedenborg oftmals zitiert — die Zweimonatsschrift
»Offene Tore« des Swedenborg-Verlags in Zürich nur
selten das Neuoffenbarungswerk Lorbers erwähnt,
brachte die Folge 6/1965 diesmal eine ausführliche
vergleichende Analyse des Lebenswerks beider Gottesboten. Dabei betonte die Schriftleitung zu Beginn, daß
diese Arbeit in keiner Weise Anspruch erhebt, das
vielschichtige Thema erschöpfend zu behandeln.
Die genannte Studie eines neukirchlichen Geistlichen
(Name blieb ungenannt) zeichnet sich durch Sachkenntnis, Toleranz und Objektivität aus, wenn auch
die theologische Sicht dieses Themas zuweilen eine
subjektive Färbung nicht ausschließt. Er stützt sein
Urteil über Lorber auf folgende Schriften: »Jugend
Jesu«, »Geistige Sonne«, Auswahl aus »Haushaltung
Viktor Mohr
Gottes«, Auswahl aus »Gr. Evangelium Johannes«,
gest. am 28.12.1969 im 73. Lebensjahr
»Laodizenerbrief«, sowie »Erde und Mond«.
Der Verfasser schreibt, er werde sich im Hinblick auf die beschränkte Ausgangsbasis großer
Zurückhaltung bei der Fällung von Urteilen befleißigen und nach Kräften bemüht bleiben, den
Lorberschriften offen, wenn auch nicht unkritisch gegenüberzutreten. Der Inhalt der Studie
bestätigt dies, denn das viele, ja überwiegend Gemeinsame beider Mystiker wird ebenso anerkannt, wie das um vieles geringere Widersprüchliche sachlich und undogmatisch aufgezeigt
wird.
Die Arbeit befaßt sich zunächst mit dem Offenbarungsanspruch beider Seher, bedingt durch
die zweifache Christusvision Swedenborgs und das innere Worterlebnis Lorbers. Er hält bei
ersterem die Erleuchtung des geistigen Verständnisses für wesentlich, die Swedenborg befähigte, seine Schauungen in die Geisterwelt mit eigenen Worten aus dem Gedächtnis aufzuzeichnen. Nicht so klar erkennt der Autor das wahre Wesen des Inneren Wortes bei Lorber. Er
hält dessen Schriften ihrem Charakter nach für ein Silbe um Silbe niedergeschriebenes Diktat,
verbunden mit automatischem Schreiben medialer Natur. Denn Lorber habe ja selbst bekannt,
er hätte alles so aufgezeichnet, wie es ihm vorgesprochen wurde.
Wir deuten dies anders: das echte Innere Wort ist eine geistige Schwingung, die Lorber wie
(nicht als!) ausgesprochene Worte im Herzen empfand. Indem nun diese göttliche Einstrahlung den Seelenbereich des Mittlers durchläuft, nimmt es dessen irdische Ausdrucksweise an,
wovon der einheitliche Sprachstil Lorbers ein beredtes Zeugnis gibt.
Swedenborg lehnte angeblich das sogenannte automatische Schreiben ab, weil unkontrollierbare Einflüsse von gewissen Geistern dabei wirksam werden können. Lorber erhebe an vielen
Stellen den Anspruch, unmittelbare Botschaften Gottes empfangen zu haben. An anderen
Stellen, wie z. B. in der »Geistigen Sonne«, seien sie klar als Berichte von Engeln gekennzeichnet. Auch die Stellen, die direkt als göttliches Diktat ausgegeben werden, erwähnten
Zitate und Beglaubigungen aus der Hl. Schrift. Es sei dem Verfasser aber nicht bekannt, ob
Lorbers Entsprechungslehre vom inneren Sinn vieler Bibelstellen auch auf die »Herrenworte«
in den Lorberschriften zu beziehen sind. Aus allem zieht er den Schluß:
Lorber und Swedenborg
137
»Im Unterschied zu Swedenborg fühlt man sich bei Lorber logischerweise zur Annahme seines gesamten Schrifttums als Offenbarung, oder aber zu einer völligen Ablehnung gedrungen —
zumindest einer Ablehnung des Offenbarungsanspruchs« … (Wobei der Autor eine Ablehnung
keineswegs bejaht, sondern nur für die Welt offen läßt.)
Über die Lorberbewegung schreibt der Geistliche: »Ein großer Teil der Lorber-Anhänger interpretiert Lorber bedeutend liberaler als es dem Buchstaben seiner Werke entspricht. Selbst der
Verlag hat stilistische Verbesserungen vorgenommen. Viele treue Anhänger halten sich an
eine Auswahl und gehen über Widersprüche oder andere schwer annehmbare Teile hinweg.
Diese Haltung findet sich bei Swedenborg-Lesern seltener … Ein Hang zum Dogmatismus, der
dem Geiste wirklicher Liebe entgegensteht, findet sich zuweilen sowohl bei Swedenborg- als
auch bei Lorber-Anhängern, wenngleich er allmählich zurücktritt.«
Nun folgt eine Gegenüberstellung der Wesensart und Persönlichkeit beider Männer. Swedenborg, der weitgereiste, mit allen Wissenschaften vertraute Gelehrte. Mit großer Objektivität hat
er sich lange Zeit von seinen Visionen selbst distanziert, sie kritisch geordnet, systematisiert
und gesichtet. — Lorber hingegen aus einfachen Verhältnissen, von mittlerer Bildung, wenig
über die Grenzen seines Landes hinausgekommen, jedoch für wissenschaftliche und mystische Literatur interessiert. Beide Männer von absolut lauterem Charakter.
»Bei näherer Kenntnis der Lorberschriften scheint es nahezu ausgeschlossen, daß diese lediglich seiner Phantasie, bzw. seinem ›Unterbewußtsein‹ entspringen konnten. Es sind viele
Einzelheiten darin, die weit über den Gesichtskreis des einfachen Landmusikers hinausreichen … Auf der anderen Seite bewegen sich viele Einzelheiten innerhalb des engen Bereichs
seiner Vorstellungswelt« …
Von den angeblich »gesicherten« Erkenntnissen der modernen Wissenschaft scheint der Verfasser doch wohl allzu stark beeindruckt zu sein, wenn er meint: »Auch die von Lorber angeführten Beweise aus der Naturwissenschaft übersteigen des öfteren seinen Gesichtskreis
beträchtlich. Dennoch beruhen sie, betrachtet man sie im Lichte der heutigen Wissenschaft, in
vielen Fällen auf offensichtlichen Irrtümern, bzw. falschen Voraussetzungen« … Nun, ein Blick
in die Broschüre »Lorber und das moderne Weltbild« (Das Zeugnis der Wissenschaft) könnte
mit seinen vielen, grandiosen Beweisen den Autor vielleicht doch vorsichtiger stimmen.
Anschließend wird eine Aufzählung aller Lorberwerke und ihre Einteilung in drei Gruppen
gegeben: a) Ergänzungen zur Bibel, b) Visionsberichte und Jenseitsbeschreibungen, c) Naturberichte, zum Teil wissenschaftlicher oder pseudowissenschaftlicher Art, mit eingeschobenen
erbaulichen Erklärungen. — Nun folgt eine Gegenüberstellung des Schreibstils von Lorber und
Swedenborg:
»Lorbers Beschreibungen sind voller Superlative, voll überschwenglichen Gefühls, oft einseitig,
immer aber subjektiv ehrlich und voller Ehrfurcht. Im Vergleich zu Swedenborgs systematischen, aber eher kühlen, logisch aufgebauten Werken erscheint das Werk Lorbers in starkem
Gegensatz.«
Zur Frage der Herkunft schreibt der Verfasser nochmals: »Sind die Schriften Lorbers homogen,
d. h. gleichartig zusammengesetzt, oder sind sie widersprüchlich in sich selbst, was auf eine
Herkunft aus verschiedenen Quellen hindeuten würde? Man müßte das Gesamtwerk kennen,
um darüber wirklich kompetent zu entscheiden. Soweit dem Verfasser diese Schriften bekannt sind, fanden sich wohl eine Reihe kleinerer, jedoch keine größeren und schwerwiegenden dogmatischen Widersprüche« …
Als eine solcher »kleinen Ungereimtheiten« führt der Autor z. B. an, daß in der »Jugendgeschichte Jesu«, der angeblichen Wieder-Erneuerung des verschollenen Jakobus-Evangeliums,
von der »gallischen Sprache heutzutage« (also zur Zeit Christi) gesprochen wird. Wie jedermann wisse, wurde Französisch (?) erst im 17. und 18. Jahrhundert zur Weltsprache. — Darauf
138
Viktor Mohr
wäre zu erwidern: Gewiß wurde in Gallien zur Zeit Jesu auch schon gesprochen, und dies
zweifellos gallisch. Aber mit welchem Recht setzt hier der Verfasser die einstige gallische
Sprache mit dem heutigen Französisch gleich?
Nach Anführung noch einiger geringerer »Widersprüche« schreibt der Autor jedoch sehr objektiv: »Gleichwohl zieht sich ein roter Faden durch das Ganze, zwar oft in verschiedenen
Ausprägungen, doch meist die Hauptideen bekräftigend.« Und darauf kommt es auch uns an.
Der zweite Teil der Studie ist einer theologischen Analyse der Werke Lorbers in ihrer Beziehung zu Swedenborg gewidmet. Dazu der Verfasser:
1. »Die Gotteslehre beider Seher hat viele klare Parallelen. Lorber betont wieder und wieder,
daß Gott die Liebe und Weisheit selbst ist, und daß Er in Christus auf die Erde kam … Einen
Widerspruch zur sonstigen Liebelehre finden wir wohl in allen Werken Lorbers dort, wo es
sich um göttliche Gerichte handelt.« — Der Autor belegt dies u.a. mit einer Szene aus der »Jugend Jesu«, wo das »unerbittliche Kindlein« begründet: »Wer aber das Gute kennt, tut aber dennoch aus purem satanischem Mutwillen Böses, der ist ein Teufel aus dem Fundament der
Hölle und muß mit Feuer gezüchtigt werden!« (Kp. 252, V. 21). »Offensichtlich haben wir es
hier nicht mehr mit dem Bilde eines liebenden Erlösers, sondern eines rächenden Herrschers
zu tun.«
Es muß dem Autor zugute gehalten werden, daß er nur eine Auswahl aus dem Gr. Evangelium
kennt, jener reinen Jesulehre, die immer wieder jede »Züchtigung« als Ausdruck des göttlichen Liebe-Eifers lehrt, der damit die Seelen auf den Weg ihrer Vollendung, und nicht ihrer
Vernichtung bringen will.
Nachfolgend weist der Verfasser auf einen wesentlichen Unterschied hin: »Lorber spricht von
einem gefallenen Geist, Satana, der von Gott materialisiert wurde.« (Zu berichtigen wäre: Nicht
sein Geist, sondern seine Seelensubstanz wurde in der Materie gefestigt.) — »Die Materie ist
nun böse in verschiedenem Grade, je wie böse Geister (Seelenfunken!) in ihr verkörpert sind.
An anderer Stelle sagt Lorber, daß dieses Böse nur böse sei in Beziehung auf den Menschen …
Swedenborg hingegen betrachtet die Materie zwar als geistig bedingt, aber als unbeseelt (!).
Somit sind bei ihm die Dinge an sich nicht böse, sondern können nur vom Menschen zum
Schlechten und Bösen mißbraucht werden.«
Nach unserer Ansicht besteht hier (bis auf die Unbeseeltheit der Materie) kein Widerspruch,
sondern in bezug auf den Menschen sogar eine weitgehende Übereinstimmung. Freilich lehnt
der Autor im Sinne Swedenborgs die in allen Naturreichen tätigen »Naturgeister« ab, die gerade
bei Lorber eine wichtige Schöpfungsfunktion haben. Denn sie bilden als Vorstufen der
menschlichen Seelensubstanz wichtige Glieder jenes Erlösungsplans, der das Materiegebundene wieder in die Freiheit des göttlichen Geistes zurückführen will.
2. Zur Lehre von der Heiligen Schrift lesen wir u.a.: »Hier ist anscheinend der größte Gegensatz
zwischen Lorber und Swedenborg. Vor allem betrifft dies den Kanon und den Wortlaut der
Bibel … Während diese bei Swedenborg — zumindest was die eigentlich inspirierten Schriften
betrifft — bis ins letzte heilig und unverfälscht erscheint, erklärt Lorber die Bibel als in den
meisten Fällen verderbt.« (Frage: Wo steht das bei Lorber? M.)
Obgleich er erklärt, der Geist Gottes sei in der Bibel erhalten geblieben, setzen viele seiner
Erläuterungen ihren Wert herab. (Wohl eher deren Buchstaben-Auslegung! M.) »Dennoch ist
an vielen Stellen ein großer Respekt für die Worte der Bibel zum Ausdruck gebracht.«
Es wird bestätigt, daß Lorbers Schrifttexterklärungen in vielen Stellen mit dem von Swedenborg bezeichneten geistigen Sinn übereinstimmen. Andere Deutungen seien nur eine bildhafte
Auslegung des Buchstabensinns. In manchem wirft der Verfasser Lorber eine »etwas peinliche Buchstabengläubigkeit« vor. So etwa, wenn er behauptet, Adam sei, der erste Mensch
Lorber und Swedenborg
139
gewesen. »Lorber steht darin in direktem Widerspruch zu Swedenborg, der bekanntlich von
Präadamiten spricht, also eine allmähliche Entwicklung zu ›Adam‹, d. h. zum Menschen hin
im Auge hat und unter Adam die erste Menschheitskirche versteht.« …
In Nr. 12/1963 unserer Zeitschrift wurde in einem Beitrag »Die Abstammung des Menschengeschlechts« alles zusammengefaßt, was auch Lorber über die Präadamiten berichtet, wobei er
gleichfalls das Kommen und Gehen früherer Menschenrassen andeutet. Unter Adam hingegen
ist der Stammvater jener neuen Menschenfamilie zu verstehen, mit deren Beginn heilsgeschichtlich die direkte Belehrung und Erziehung aus den Himmeln anfing. Und in diesem
Sinn wäre auch bei Lorber »Adam« geistig als der Träger der ersten Urkirche aufzufassen.
3. Die Lebenslehre: Hier hält der Autor die Gebiete der Übereinstimmungen für größer. »Lorber
betont wie Swedenborg, daß die Liebe das erste ist. Tätige Liebe ist eine der Grundforderungen,
die sich durch alle Werke Lorbers zieht. Daß aber die Liebe die Erkenntnis, die Wahrheit, zu
ihrem Wachstum braucht, tritt bei ihm kaum hervor.« — (Doch, sogar oftmals, besonders im Gr.
Evangelium! M.) — »Von den Tugenden ist die Demut als erste und grundlegende erwähnt,
gerade wie bei Swedenborg, jedoch mit mehr Nachdruck auf die ›Einfältigkeit des Denkens‹,
während Swedenborg sie mit Verständnis und Einsicht verbunden wissen will. Lorber erwähnt
dies zwar auch, aber gleichsam nur nebenbei.« …
Eine Reihe anderer Werturteile seien hier nur kurz gestreift: »Lorber warnt genau wie Swedenborg vor irgendwelchen spiritistischen Bemühungen … Ähnlich ist auch seine Lehre von
der geistigen Wiedergeburt … Liebe und Wahrheit von Gott aufzunehmen und in die Tat umzusetzen, ist der Sinn des Lebens … Ein allgemeiner Vergleich einer Deutung der zehn Gebote
zeigt, daß Swedenborg bedeutend universaler ist …«
»Lorber lehrt, ebenso wie die Protestanten und Swedenborg, die fünf über Taufe und Abendmahl hinausgehenden Sakramente der katholischen Kirche seien abzulehnen. Die beiden
verbleibenden Sakramente sind, ähnlich wie bei Swedenborg, nicht als magische, sondern als
symbolische Akte aufzufassen.« (Symbolisch im Sinne der Entsprechungen, die Geistiges in
Form von Bildern und Handlungen darstellen. M.)
Zusammenfassend bemerkt der Autor, daß die Lebenslehre Lorbers mehr ins einzelne gehe,
aber vieler großen Konzeptionen Swedenborgs entbehre. Schwerwiegende Gegensätze zu dessen Ethik bestünden jedoch nicht.
4. Die Glaubenslehre: »… Lorber kämpft ebenso wie Swedenborg gegen die Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben. Damit wird auch jede Erlösung durch die bloße Gnade
abgelehnt, denn es gibt keine Erlösung ohne eine entsprechende Sinnesänderung des Menschen … Lorber verurteilt auch jeden Glauben aufgrund irgendeiner Autorität — obgleich er in
mancher Hinsicht eine neue Autorität, nämlich die seiner mit göttlichem Offenbarungsanspruch auftretenden Schriften aufrichtet.« — (So gesehen, würde dies aber auch auf Swedenborg zutreffen, dem Gott die geistigen Welten, wie auch das Verständnis des Bibelwortes durch
Engel offenbarte mit dem Auftrag, dieses der Menschheit zu vermitteln. Es ist uns ferner nicht
bekannt, daß das Innere Wort jemals Glaubenszwang forderte, weshalb die Lorberbewegung
auch niemals sektenhaften Zusammenschluß oder »lorberdogmatische Autorität« forderte.)
5. Jenseitige Welt und besondere Lehren: »Ein großer Teil der Lorberschen Berichte ist denen
von Swedenborg sehr ähnlich; seine Schilderungen sind viel detaillierter als bei Swedenborg …
Lorber nimmt die Fortsetzung des Lebens nach dem Tode als selbstverständlich an, aber viele
der feineren Erklärungen großer Zusammenhänge, die bei Swedenborg gegeben sind, fehlen
bei ihm.« …
Wir wiederum meinen, daß gerade die umfassende Schöpfungslehre Lorbers — ausgehend vom
Ursprung der geistig-himmlischen Welten und endend beim Ziel der menschlichen Got-
140
Viktor Mohr
teskindschaft — erst wirklich die großen Zusammenhänge auch der Vorgänge im Jenseits
verständlich macht.
Ȁhnlich Swedenborg glaubt auch Lorber an ein Leben auf anderen Sternen, da dies von der
Schöpfung her der Zweck des Universums sei. Auch die Unendlichkeit des Weltraums ist
eindrucksvoll beschrieben.« — Hier hätte der Verfasser u.E. besonders auf die gleichartige Lehre Lorbers und Swedenborgs vom »Großen Weltenmenschen« (Homo maximus) als ein weiteres Verbindungsglied zwischen den beiden Mystikern hinweisen sollen.
»Allerdings mutet es eigenartig an, daß Lorber die Überzeugung des englischen Astronomen
Herschel übernimmt, wonach auch unsere Sonne unter einer Schicht leuchtender Wolken
Leben berge. Dies ist nach allen Erkenntnissen der heutigen Wissenschaft unmöglich, da die
ganze Sonne subatomaren Umsätzen dient, ohne welche die gewaltigen von ihr ausstrahlenden Energien nicht zu erklären wären.« — (Die Fragwürdigkeit »gesicherter« Erkenntnisse
beweist z. B. die neue Entdeckung der sogenannten »Quasisterne«, die ein Aufgeben grundlegender Theorien von gestern erzwang. Außerdem spricht die geistige Logik dafür, daß die Mutter alles Naturlebens im Planetenreich niemals eine chaotische Feuerwüste sein kann.)
Befassen wir uns abschließend mit der Zusammenfassung, die den Aufsatz beendet. Hier einige Sätze daraus:
»Was die wichtigsten Hauptlehren betrifft, so besteht ein weites Feld der Übereinstimmung
zwischen Lorber und Swedenborg. Lorber entwirft ein christozentrisches Weltbild, und sein
besonderes Augenmerk gilt der Liebe sowie der Geistnatur des Menschen. Dabei ist er bei
weitem nicht so umfassend wie Swedenborg (?). Dennoch dürfen wir sagen, daß Lorber viel
näher zu Swedenborg steht als irgendeine andere christliche Theologie oder Kirche.« …
»Lorber hat einen Bilderreichtum, den Swedenborg nicht erreicht … Dem stehen aber Schwächen gegenüber: Übertreibungen, Trivialitäten, logische Fehlschlüsse, wissenschaftliche Unmöglichkeiten … Lorber betont die Liebe in mehr gefühlsmäßig bewegender Weise, während
Swedenborg eine weise, verstehende, einsichtige Liebe und ihre Notwendigkeit als wichtigstes
Wesenselement Gottes und des Menschen in den Vordergrund stellt.« …
»Der umfassende Offenbarungsanspruch sämtlicher Lorberwerke ist eher ein Hindernis für
ihre Annahme … Wir halten es für möglich, daß verschiedene Geister an den Diktaten Lorbers
beteiligt waren, so daß unter göttlicher Zulassung manche geistige Wahrheiten erläutert wurden und als Einführung in tiefere Erkenntnisse dienen können.« …
»Swedenborgs Einsichten reichen weiter als diejenigen Lorbers (?). Bei Lorber finden sich Widersprüche, Anachronismen, offenbare Irrtümer in Fülle.« Als Beispiel wissenschaftlichen
Irrtums führt der Autor u.a. eine Erläuterung in der »Geistigen Sonne«, Kap. 1,11, an: »… so
durchdringt dieses Feuer (gemeint ist die Elektrizität) die ganze Materie …« und meint:
»Das Experiment aber beweist, daß die elektrische Ladung (!) weder im Konduktor eines Kondensators, noch in der Isolation, sondern allein auf der Oberfläche des Isolators verteilt ist. Es
besteht wohl eine Durchdringung des elektrischen Feldes, aber dies ist streng zu unterscheiden von der elektrischen Ladung selbst.« — Hier verwechselt der Kritiker das potentiell überall
vorhandene »luftelektrische Feuer« (Lorber) mit einer kinetisch herbeigeführten Aufladung.
Mißt doch die Wissenschaft heute sogar die elektrischen Gehirn- und Herzströme in Mensch
und Tier, die gewiß nicht »auf der Oberfläche« sitzen, sondern eine jede Zellmaterie durchdringen. Und wäre nicht Elektrizität potentiell im Äther wie in der Luft, niemals könnte es zu
einer Gewitterbildung kommen. Daß aber all diesen Erscheinungen naturgeistige Ursachen
zugrundeliegen, erfahren wir nur durch Lorber, nicht durch Swedenborg.
Sehr richtig schreibt der Verfasser: »Unzutreffend ist die Behauptung, Lorber habe bloß von
Swedenborg abgeschrieben. Lorbers Schriften sind viel zu originell, um dies aufrechterhalten
Lorber und Swedenborg
141
zu können … In den großen theologischen und philosophisch-psychologischen Belangen hat
Lorber nichts wesentlich Neues zu Swedenborg hinzuzufügen … Lorbers Darstellungen zeigen
die Dinge in einem bestimmten Blickwinkel und sind weniger umfassend als bei Swedenborg
— dies alles nach der augenblicklichen Kenntnis des Verfassers.« …
Dieser letzte Satz ist bedeutsam. Denn er gibt einen Schlüssel zum Begreifen mancher Mißdeutungen Lorbers, die dem Theologen ohne Kenntnis des gesamten Lorber-Schrifttums leicht
unterlaufen. Andererseits wäre es auch bei Lorberfreunden verfehlt, ohne Studium der Gesamtschriften Swedenborgs ein abschhießendes Urteil über diesen großen Seher abgeben zu
wollen. Und so schreibt auch der Verfasser:
»Das Verhältnis zwischen Swedenborg- und Lorber-Anhängern ist, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, durchwegs gut und beruht auf gegenseitiger Achtung … Frühere Spannungen, die
einem bedauerlichen Mangel an Verständnis und Achtung entsprangen, sind überwunden,
und ein ökumenischer Geist entfaltet sich mehr und mehr. Wir halten es [für] verfehlt, sich in
irgendwelche polemischen Auseinandersetzungen einzulassen, da die Annahme eines Offenbarungsanspruchs stets ein Gefühlsakt sein wird … Da die Betonung bei Swedenborg wie bei
Lorber so stark auf der Liebe liegt, sollte wohl ein gutes Einvernehmen nicht schwierig sein.«
»Die Differenzen liegen — wie wir
uns zu zeigen bemüht haben — mehr
in den Randgebieten und gehören
jedenfalls nicht zu den Heilsnotwendigkeiten. Jede Form von Fanatismus
ist ebenso fehl am Platze, denn beide
Seher verurteilen ja einen engen
Konfessionalismus.«
Ein in gleichem Geiste gehaltenes
Nachwort der Schriftleitung beschließt diesen geistig sehr anregenden Aufsatz, der das Neuoffenbarungswerk Lorbers einmal aus der
Sicht eines neukirchlichen Theologen zeigt, dem eben Swedenborg das
gilt, was uns Lorber bedeutet. Das
Wehen des Geistes ist nicht uniform,
und wer wollte rechten darüber,
welcher Wegweiser für jeden Menschen der geeignetere wäre? Es liegt
in der differenzierten Vielfältigkeit
der Menschenseelen, daß eine jede
nach jener Geistnahrung strebt, die
zu ihrem inneren Wachstum tauglich erscheint.
Wenn der Verfasser schreibt: »Nur an
einem Punkte der Unendlichkeit
wäre ja eine wirklich umfassende Kenntnis beider Seher möglich« — so können wir dem nur
zustimmen. Denn beide waren von GOTT erwählt, und das müßte genügen, um jeden Rangstreit auszuschalten, den menschliche Unvollkommenheit allzuleicht entfacht.
Quelle: Das Wort: Monatsschrift für vertieftes Christentum, 36. Jahrgang, Juni 1966, S. 146-152.
ZUM PROBLEM DER OFFENBARUNGSKRITIK:
INSBESONDERE BEI SWEDENBORG UND LORBER
Friedemann Horn – 1975 / 76 / 77
Vorbemerkung von Thomas Noack: Von diesem Beitrag existieren zwei Versionen. Die ursprüngliche Fassung (A) erschien zwischen 1975 und 1977 in der Zeitschrift »Offene Tore« ( OT (1975)
126-130, 187-191, (1976) 31-56, 65-66, 103-112, 145-147, 180-197, (1977) 27-38, 132-140). 1984
gab Friedemann Horn diese OT-Texte in einer leicht überarbeiteten Form als Büchlein mit dem
Titel »Zum Problem der Offenbarungskritik: Am Beispiel von Swedenborg und Lorber« heraus
(B). Ich drucke im Folgenden (mit kleinen Änderungen) Version A ab, wobei ich allerdings zu den
Zitaten meist die Quellenangaben hinzugefügt habe. Auf die Weglassungen oder Ergänzungen in
Version B weise ich in den Fußnoten hin.
[1. Teil: OT (1975) 126-130]
61
Obwohl die Kirche von der Offenbarung lebt, ist doch ihr Verhältnis zur Offenbarung im allgemeinen und im besonderen zu jeder neuen Offenbarung stets mehr oder weniger gespannt
gewesen. Schon der Apostel Paulus sah sich mit dem Problem konfrontiert, wie die Gemeinde
einer wahren Inflation von Offenbarungen entgehen sollte. Da es im Wesen der Offenbarung
liegt, der Erfahrung des nicht von ihr Betroffenen — also der breiten Masse der Gläubigen
ebenso wie der Ungläubigen — entzogen zu sein, erhebt sich begreiflicherweise die Frage, ob
es überhaupt möglich ist, Offenbarungen, oder was sich dafür ausgibt, anders als in Bausch
und Bogen anzunehmen oder abzulehnen.
Der Verfasser des 1. Johannes-Briefes hielt das Problem unter einer Bedingung für lösbar,
nämlich: »Daran sollt ihr den Geist Gottes (der sich in den Offenbarungsträgern manifestiert)
erkennen: ein jeglicher Geist, der da bekennt, daß Jesus Christus ist im Fleisch gekommen62
61
62
[In B ist dem Text ein »Vorwort« vorangestellt: »Die nachstehenden Gedanken zur Offenbarungskritik
stammen aus den Jahren 1975 bis 1977. Anhand zweier klassischer Neuoffenbarungen habe ich versucht, Maßstäbe aufzuzeigen, die zweifellos auch auf andere Fälle angewandt werden können. In acht
verschiedenen, zum Teil vergriffenen Nummern der Zeitschrift OFFENE TORE abgedruckt, ist diese Arbeit bisher kaum mehr zugänglich gewesen. Da aber die Zahl von Neuoffenbarungen immer noch im
Steigen begriffen ist – oft wird man freilich das Wort besser in Anführungsstriche setzen oder von ›sogenannten Offenbarungen‹ sprechen — habe ich mich entschlossen, das Verstreute in einem Band zusammenzufassen und in bescheidenster Auflage zu vervielfältigen. Der Leser wird freilich immer
wieder auf Anzeichen einer gewissen Planlosigkeit stoßen. Ich gebe zu, daß mir manche Gedanken erst
während des Schreibens an den einzelnen, zeitlich Monate auseinanderliegenden Fortsetzungen, teilweise aufgrund von kritischen Reaktionen der Leser kamen. Eine Überarbeitung würde daher naheliegen, ist aber gegenwärtig unmöglich. Auch gewisse Wiederholungen erklären sich aus der
Entstehungsgeschichte. Aus allen diesen Gründen muß ich um Nachsicht bitten und kann nur hoffen,
daß man trotzdem Gewinn aus dem vorgelegten Bande ziehen kann. Ich möchte auch an dieser Stelle
betonen, daß es mir nicht darum geht, niederzureißen, sondern aufzubauen. Vor allem möchte ich dem
Leser helfen, sich gegen Versuche zu wehren, ihm etwas aufzudrängen, indem man seine Vernunft
durch die Behauptung lahmlegt, es handle sich um Offenbarung, unter die er sich einfach zu beugen
habe. Im Zeitalter der neuen Kirche des Herrn soll nun aber, Swedenborg zufolge, der bisher herrschende Überredungsglaube durch einen Überzeugungsglauben abgelöst werden. Des Apostels Paulus
bekannte Forderung: ›Prüfet alles, und das Gute behaltet‹ (1. Thess. 5,21) scheint mir daher heute aktueller denn je. Wie man prüfen soll, ist Gegenstand dieses Versuchs. Selbstverständlich ist es nur ein
Versuch, und ich bin mir darüber klar, daß vieles unvollkommen und ergänzungsbedürftig ist. Vielleicht regt gerade dies den einen oder anderen dazu an, es anders und besser zu sagen! Friedemann
Horn«]
das bedeutet zugleich, daß Jesus Christus der Sohn Gottes bzw. Gott im Fleisch ist (vgl. Ev.Joh.14,9:
»Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen«). Von einem solchen Text aus sind etwa die »Offenbarungen« der sogen. »Geistigen Loge« in Zürich zu disqualifizieren, denen zufolge Christus lediglich
das höchste Geistwesen ist.
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
143
der ist von Gott; und ein jeglicher Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und
das ist der Geist des Antichrist« (4,2f.).
Die Kirche hat später als Maßstab zur Prüfung der Echtheit oder Unechtheit dessen, was sich
als Offenbarung ausgab, ihre eigene Dogmatik genommen, von der sie freilich behauptete, sie
beruhe auf der Heiligen Schrift.
Muß man wohl im ersten Falle sagen, das Kriterium sei doch wohl zu vage und zu weit, so im
zweiten, es sei allzu eng. Es lassen sich sehr viele Offenbarungen denken, die dem Maßstab
des Johannes genügen und doch höchst zweifelhaft bleiben, andererseits scheint erwiesen, daß
Offenbarungen, die im Widerspruch zur (einen oder anderen) kirchlichen Lehre stehen, den
Stempel der Echtheit tragen.
Es muß also wohl noch ein anderes Kriterium geben. Wir glauben, es sei folgendes: Die Übereinstimmung, oder doch wenigstens Vereinbarkeit mit der bekannten, von allen Gläubigen als
— mindestens im Kern — echt anerkannten oft insbesondere mit der Offenbarung in und durch
Jesus Christus, wie sie uns in den Evangelien und in der Offenbarung des Johannes, in den
Apostelbriefen hingegen nur sehr bedingt, vorliegt. Es ist schlechterdings undenkbar, daß Gott
sich selbst widerspricht, daß er heute dies und morgen etwas ganz anderes offenbart. Denkbar,
ja sogar im höchsten Maße wahrscheinlich ist hingegen, daß er heute dies und morgen jenes,
daß er heute ein wenig und morgen ein wenig mehr offenbart — der wachsenden Reife seiner
Menschenkinder entsprechend. Denkbar ist auch, daß ältere Offenbarungen im Licht der
neueren gewisse Mängel zeigen, oder doch ihre Ausrichtung auf eine überwundene bzw. nicht
mehr allgemein gültige Situation im Verhältnis zwischen Gott und Menschheit.
Nicht nur denkbar, sondern geradezu selbstverständlich ist, daß Gottes Offenbarung völlig
unverständlich bleiben müßte, wenn sie keine Rücksicht nähme auf ihre Werkzeuge, die Propheten und Seher, wie auf die Menschen, denen sie gilt. Offenbarung, anders ausgedrückt,
muß angepaßt, muß Wesen in Zeit und Raum verständlich sein. Ist sie das nicht, so verfehlt
sie ihren Zweck. Das heißt natürlich nicht, daß sie nur jeweils für den einen geschichtlichen
Augenblick gilt, in dem sie gegeben wird; denn dann gäbe es beispielsweise auch keine Prophetie. Aber die Offenbarung muß immer anknüpfen bei den Vorstellungen und DenkMöglichkeiten der Menschen, durch die und für die sie erfolgt.
Undenkbar aber ist, das sei nochmals betont, daß neue Offenbarung alte widerlegt, außer Kraft
setzt63. Mit großem Nachdruck erklärt Jesus, von dem es heißt, er sei das fleischgewordene
»Wort« Gottes, also die Offenbarung schlechthin, er sei »nicht gekommen, aufzulösen, sondern
zu erfüllen«. Und er fügte noch hinzu. »Denn wahrlich, ich sage euch, bis daß Himmel und
Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz,
bis daß es alles geschehe« (Matth. 5,17f.).
All dies — mehr Andeutung als sorgfältige Ausführung — läuft darauf hinaus, daß der Maßstab
für Echtheit oder Unechtheit einer neuen Offenbarung immer nur sein kann die Übereinstim63
Dieser Fall soll freilich nach Ansicht der neuapostolischen Gemeinde vor einer Reihe von Jahren tatsächlich eingetreten sein. Ihr Stammapostel namens Bischof hatte nämlich behauptet, vom Herrn einer besonderen Offenbarung gewürdigt worden zu sein, des Inhalts, daß er nicht sterben werde,
sondern bei der Wiederkunft des Herrn »entrückt« werden solle. Nun, er starb trotzdem, woraufhin die
neue Leitung erklärte, nicht der verstorbene Stammapostel habe sich geirrt, vielmehr habe der Herr
seinen Plan geändert. Schon der Apostel Paulus meinte, eine entsprechende Zusage des Herrn erhalten
zu haben (»Kindlein, ich sage euch ein Geheimnis: wir werden nicht alle entschlafen, alle aber verwandelt werden. Im Nu, im Augenblick, bei der letzten Posaune; denn die Posaune wird erschallen und die
Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden«, 1.Kor.15,51).
Freilich hatten die Nachfolger des Paulus nicht die Stirn, den Herrn so direkt der Sinnesänderung zu
beschuldigen, wie dies die neuapostolischen Nachfolger Bischofs taten.
144
Friedemann Horn
mung oder Nicht-Übereinstimmung mit dem Kern der bereits vorliegenden Offenbarung, namentlich der biblischen. Und dieser Kern ist ohne Zweifel die Selbstoffenbarung Gottes in
Jesus Christus. Das ist — oder sollte doch sein — der gemeinsame Glaube aller Christen.
Natürlich ist damit noch nicht alles gesagt. So gibt es etwa Offenbarungen, die — zumindest
dem äußeren Anschein nach — nicht im Widerspruch zum Evangelium stehen, die aber dennoch, nämlich durch den Gang der Ereignisse, als unecht erwiesen wurden. Ein eklatantes
Beispiel dafür sind die berühmten Worte des Paulus: »Denn das sagen wir euch als ein Wort
des Herrn, daß wir, die wir leben und übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, werden denen
nicht zuvorkommen, die entschlafen sind. Denn er selbst, der Herr, wird mit befehlendem
Wort, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom
Himmel, und die Toten in Christus werden auferstehen zuerst. Danach wir, die wir leben und
übrigbleiben, werden zugleich mit ihnen hingerückt in den Wolken, dem Herrn entgegen in die
Luft, und werden so bei dem Herrn sein allezeit« (1.Thess 4,15-17). Dieselbe Überzeugung
drückt der Apostel an der womöglich noch bekannteren Stelle 1.Kor 15,51ff. aus, die wir in
der letzten Anmerkung bereits zitiert haben.
Offensichtlich ist hier Paulus das Opfer einer unechten Offenbarung geworden, obwohl er sich
auf ein Wort Christi hätte berufen können, der am Abschluß seiner ersten Leidensankündigung nach dem Zeugnis des Evangelisten sagte: »Wahrlich, ich sage euch: Es stehen etliche
hier, die den Tod nicht schmecken werden, bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in
seinem Reich« (Matth 16,28).
Über dieses Wort ist viel geschrieben und gestritten worden. Albert Schweitzer sieht in ihm
den wichtigsten Beweis für die bloße Menschlichkeit Jesu (denn Gott kann nicht irren). Und
wer wollte leugnen, daß diese Prophezeiung, jedenfalls so wie sie tönt, nicht in Erfüllung gegangen ist? Wenn man an der Göttlichkeit Jesu festhalten will, so bleibt einem in der Tat
nichts übrig, als diese seine Worte entweder für unecht (etwa als späteren Einschub), oder
aber als auf das Pfingstgeschehen zielend zu erklären. — Man sieht, das Problem der Offenbarungskritik ist vielschichtig.
Dennoch bleibt das entscheidende Merkmal für die Beurteilung von Behauptungen, die sich
auf Offenbarung berufen, die Übereinstimmung bzw. Vereinbarkeit mit dem Wesentlichen der
bisherigen Offenbarung, wie sie uns vor allem in der Heiligen Schrift vorliegt.
Emanuel Swedenborg, der erste in der Reihe der modernen Neuoffenbarer, war sich darüber
völlig klar. Man kann daher seine Schriften aufschlagen, wo man will: überall wird man auf
zahlreiche Zitate biblischer Texte stoßen, die er als Belege für die Echtheit der ihm gewährten
Offenbarungen anführt. Nur selten findet sich bei ihm, was man als »frei schwebende Offenbarung« bezeichnen könnte. Für das, was er über die Bewohner der Erdkörper im Weltall
schreibt, deren abgeschiedene Geister er in der geistigen Welt gesehen und gesprochen hat,
und für seine Schilderungen vom Leben in den Himmeln und Höllen »nach Gehörtem und
Gesehenem«, beruft er sich nur gelegentlich und spärlich auf das Zeugnis der Schrift — einfach weil sie nichts von Bewohnern anderer Erdkörper und recht wenig vom Leben in den
höheren Schöpfungsbereichen enthält. Wo immer es aber möglich erscheint, beruft sich der
nordische Gelehrte und Seher auf die Bibel.
Was gar die Formulierung der Lehre der Neuen Kirche selbst betrifft, mit der er sich von seinem Herrn beauftragt weiß, so betont er wiederholt, daß sie sich auf den »Buchstaben der
Schrift« stützen müsse. Freilich nicht auf jeden beliebigen Buchstaben, sondern auf die Stellen, in denen der Buchstabe »unverhüllt« den Geist der göttlichen Offenbarung zum Ausdruck
bringt. Dies zu entscheiden, sagt er, sei eine Sache der Göttlichen Erleuchtung. Nicht ohne sie
könne der Mensch zwischen Kern und Schale unterscheiden.
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
145
Hier könnte Kritik ansetzen und behaupten, damit sei der Willkür Tür und Tor geöffnet. Es
brauche bloß jemand zu erklären, er sei vom Herrn erleuchtet und wisse von daher zwischen
Kern und Schale der biblischen Offenbarung zu unterscheiden. Damit sind wir wieder beim
Ausgangspunkt unserer Überlegungen angelangt: Ist Offenbarung nicht als solche über jede
Kritik erhaben? Muß man sie nicht einfach in Bausch und Bogen hinnehmen oder ablehnen?
Wie wir gesehen haben, ist dem durchaus nicht so; wir sind nicht wehrlos jeder noch so erhaben sich gebenden Behauptung ausgesetzt, nur weil sie sich als Offenbarung ausgibt. Da ist
vor allem einmal die vorliegende, im Glauben angenommene Offenbarung, namentlich in ihrer
höchsten Form in Jesus Christus, dem fleischgewordenen »Wort«. Freilich: diese Offenbarung
ist, wie wir schon andeuteten, auf weite Strecken in einer Form gegeben, die dem gefallenen
menschlichen Geist und menschlichem — und das heißt: endlichen — Auffassungsvermögen
angepaßt ist. Ihr eigentlicher Kern, sagten wir, kann nur von denen herausgeschält werden,
die der Herr selbst erleuchtet. Diese Erleuchtung wirkt keineswegs nur bei wenigen Einzelnen, sondern grundsätzlich bei jedem Menschen, der das Wort mit Ehrfurcht und mit dem
Willen liest, daraus Richtlinien für sein Leben als gläubiger und tätiger Christ zu erlangen.
Sofern es sich dabei um einfache Menschen ohne große Bildung und ohne weiten Horizont
handelt, wirkt die ihnen zuteil werdende Erleuchtung freilich nur in einem engeren Bereich —
dergestalt, daß sie in hellem Licht die Straße sehen können, die sie zu gehen haben, während
alles andere, für sie selbst Unwichtige, im dunkeln bleibt. Demgegenüber war die Swedenborg
zuteilgewordene Erleuchtung umfassend, weil nicht nur auf sein persönliches Glaubensleben,
sondern auf das eines neuen christlichen Zeitalters abgestimmt.
Was ist aber nun der Maßstab dafür, daß es sich bei dieser Erleuchtung Swedenborgs wirklich
um eine göttliche Erleuchtung und nicht um menschliche Anmaßung handelt? Vorweg sei
betont, daß gerade Swedenborg uns immer wieder vor der Gefahr warnt, etwas »auf Autorität
hin« anzunehmen, ohne es zu prüfen. Mit anderen Worten, er selbst lädt seine Leser ein, ihr
geistiges Unterscheidungsvermögen zu gebrauchen. Das hat sich bei seinen Anhängern von je
her so ausgewirkt, daß sie viel kritischer sind, als etwa die Anhänger Lorbers oder anderer
»Neuoffenbarer«.
[2. Teil: OT (1975) 187-191]
Wer sich aus der mißlichen Lage befreien will, alles, was sich als Offenbarung ausgibt, in
Bausch und Bogen entweder anzunehmen oder abzulehnen, muß einige Grundregeln der Offenbarungskritik kennen und anzuwenden verstehen. Bevor wir die wichtigsten dieser Regeln,
über die wir uns in der ersten Folge (Heft 5/75) ein wenig weiter ausgelassen haben, zur Erinnerung wiederholen, wollen wir aber noch folgendes vorausschicken:
Es ist nicht die Absicht dieser Überlegungen, Mißtrauen oder Unfrieden zu säen. Niemandem
soll etwas »ausgeredet« werden, was ihm heilig ist und als Weg zum Ziel — der Begegnung und
Vereinigung mit dem Herrn — unschätzbare Dienste geleistet hat und womöglich noch immer
leistet. Gerade aus den kurz umrissenen Grundregeln der Offenbarungskritik geht ja unter
anderem hervor, daß es verschiedene »Stufen« der Offenbarung gibt, die den ganz verschiedenen zeitlichen und zustandsmäßigen Entwicklungs-Phasen der Menschheit wie der einzelnen
Menschen entsprechen.
Vielmehr geht es darum, daß unser Unterscheidungsvermögen geschult und gestärkt werde,
damit wir in dem Wust von all dem, was sich als Offenbarung ausgibt und von uns geglaubt
werden will, das herausfinden, was uns dem besagten Ziele wirklich, nicht nur scheinbar,
näherbringt. Denn wir wollen ja doch nicht Stroh, sondern Korn, nicht Spreu, sondern Weizen,
die zum Brot des Lebens taugen.
Ein jeder, der sich nicht nur für einen Christen hält, sondern der den oft mühsamen Weg der
Nachfolge Christi auch wirklich beschreitet, muß sich darüber klar sein, daß er den Maßstab
146
Friedemann Horn
dafür, was er als Offenbarung seines Herrn anerkennen will und was nicht, außerhalb seiner
selbst gewinnen muß. Denn er weiß und erkennt es von innen heraus an, daß das menschliche Herz — somit auch sein eigenes Herz — solange trügerisch ist, als es sich noch nicht ganz
und gar dem Herrn untergeordnet hat. Dieses Herz könnte ihn dazu verleiten, für Offenbarung
zu halten, was vielleicht nur darauf abzielt, seiner Eitelkeit zu schmeicheln — etwa sich für
einen auserwählten Mitwisser der tiefsten, der Masse verborgenen göttlichen Geheimnisse zu
halten, oder er könnte sich verleiten lassen, jene »Offenbarungen« als echt anzuerkennen, die
seinen heimlichen Wünschen entgegenkommen — etwa mit dem Tode dieser so wirklichen
und verführerischen Welt nicht für immer entraten zu müssen. Wie schwer ist es doch, zwischen Offenbarung und »Offenbarung« zu unterscheiden, wenn man dabei auf sein »Gefühl«
oder auf seinen »gesunden Menschenverstand« angewiesen bleibt. Offenbarungen wie »Offenbarungen« kommen nun einmal aus einem Bereich, der unseren Sinnen und damit unserem
eigenen Urteil entzogen ist.
Es wäre ja naiv anzunehmen, alle Offenbarungen kämen unmittelbar von Gott. Ein Kenner der
Materie, Dr. Kurt Hutten, langjähriger Leiter der »Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen«, warnt in seinem in OT 1975 abgedruckten Radio-Vortrag mit Recht besonders vor den sogenannten »Vater-Medien«, »die angeblich unmittelbar aus der göttlichen Welt
stammen und deshalb ranggleich mit der biblischen Offenbarung sein wollen« (S. 137). Tatsache ist, daß oftmals ganze Welten zwischen Gott und einem angeblichen Offenbarungswerkzeug liegen können, aus dessen Mund Gott »höchstpersönlich« zu sprechen vorgibt.
Diese Ausführungen werden also geschrieben, damit wir bei der Beurteilung der uns vorliegenden oder uns angepriesenen Offenbarungen nicht allein auf unseren eigenen gar zu leicht
geblendeten Verstand, unser eigenes, allzu versuchliches Herz angewiesen bleiben. Der Maßstab, den wir an alle neuen Offenbarungen anlegen sollen, muß also so weit als irgend möglich unabhängig sein von unserem eigenen Raten und Meinen. Wir müssen damit rechnen,
daß wir vielleicht sogar heimlich abgelenkt sein wollen von dem, was uns allein helfen könnte, von uns selbst loszukommen und zum Ursprung unseres Lebens, zu Gott, zu gelangen.
Diese nicht in uns selbst zu findenden Grundregeln einer Offenbarungskritik, soweit sie
schon jetzt formuliert werden können, sind in aller Kürze folgende:
1. Ale neue Offenbarung — gleichgültig, mit welchem Anspruch sie aufritt — darf der bereits
vorliegenden nicht im Kern widersprechen. Gott kann sich nicht irren.
2. Dieser Kern der vorliegenden Offenbarung ist das Evangelium von Jesus Christus, dem
»Sohne Gottes«, in dem der »Vater« schaubar und verbindbar für uns geworden ist.
3. Alle Offenbarung ist, da sie sonst unverständlich bliebe und ihr Ziel nicht erreichte, dem
Zustand ihrer Werkzeuge und Empfänger angepaßt. Gott redet nicht »über die Köpfe hinweg«.
4. Daher gibt es eine »fortlaufende« Offenbarung, die den Zustandsveränderungen der Menschheit und der einzelnen Menschen Rechnung trägt. »Das Korn der göttlichen Offenbarung«, sagt
Oetinger, »wächst auf dem Halm der menschlichen Anschauung«.
5. Im Keim enthält die biblische Offenbarung, und namentlich die des Herrn Jesus Christus,
bereits alles, was spätere Offenbarungen im Sinne des bekannten Herrenwortes — der Heilige
Geist werde sie in alle Wahrheit leiten — dem wachsenden Erkenntnisstand der Menschen
entsprechend hinzufügen mögen.
Was nun insbesondere die kritische Würdigung der Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber
zuteilgewordenen Offenbarungen anlangt, die wir unseren Lesern versprochen haben, so soll
zuerst einmal festgestellt werden, daß sie untereinander nicht nur in vieler Beziehung verwandt erscheinen, sondern vor allem auch, daß sicherlich keinem von beiden vorgeworfen
werden kann, daß er seine Offenbarungen nur vorgetäuscht hätte, um sich einen Namen zu
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
147
machen, um Anhänger zu gewinnen oder dergleichen. Beide Männer sind voll und ganz überzeugt, Werkzeuge einer göttlichen Offenbarung zu sein. Weder dem einen noch dem anderen
konnte je ein Verdacht unter die Augen treten, sie hätten sich bewußt etwas angemaßt, was
ihnen nicht zukam.
Dennoch ist der Charakter nicht nur der beiden Männer, sondern auch ihrer Offenbarungen
sehr verschieden, und auch inhaltlich gibt es tiefgreifende und nicht leicht zu überbrückende
Unterschiede. Zumindest ist das die Meinung des Schreibenden. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, daß eine Reihe ernstzunehmender Kenner der Werke beider Neuoffenbarer
— auf diese Unterschiede angesprochen — bei der Behauptung bleibt, wer nur tief genug in das
Werk Swedenborgs und Lorbers eindringe, der könne ihre restlose Übereinstimmung mit Händen greifen. Nun, davon sind wir einstweilen noch weit entfernt. Wir sind schon dankbar dafür,
Übereinstimmung in einer Reihe wichtiger Punkte feststellen zu können. Darüber unten
mehr.
Was nun den persönlichen Charakter Swedenborgs und Lorbers betrifft, so ist unseren Lesern
darüber im allgemeinen schon zu vieles bekannt, als daß es angebracht wäre, hier in die Einzelheiten zu gehen. Es genüge, darauf hinzuweisen, daß Swedenborg als geborener Wissenschaftler und Denker erst dann zum Offenbarungswerkzeug des Herrn taugte, als er nach
einer langjährigen Glaubenskrise und einem umwälzenden Bekehrungs- und Berufungserlebnis aus innerster Überzeugung darauf verzichtete, sein Genie anders als im Dienste des Herrn
zu gebrauchen. Der Swedenborg vor und nach seiner Berufung ist fast so verschieden, wie
zwei verschiedene Menschen, besser: wie ein und derselbe Mensch, jedoch mit zwei verschiedenen Seelen oder, wie man heute gerne sagt, Motivationen. An die Stelle des ehrgeizigen
Gelehrten und Organisators tritt der von Herzen demütige, all sein Eigenes in den Dienst der
Sache des Herrn stellende Seher, der sich von Stund an als einen »Diener des Herrn Jesus
Christus« bezeichnet.
Bei Lorber liegen die Dinge ganz anders. Er ist nicht nur von der Anlage her eine viel bescheidenere Gestalt — Musiker und Schulmeister —, sondern bei ihm ist auch gar keine klar erkennbare Umgestaltung seiner Persönlichkeit notwendig, um ihn zu seinem Amt als
»Schreibknecht des Herrn« zu befähigen. Als er im Jahre 1840 zu Graz den »Ruf« erhielt — und
das ist, wie wir noch sehen werden, ganz wörtlich gemeint — legte er den Reisemantel, den er
bereits angetan hatte, um zu einer neuen und wesentlichen Station seines Lebens aufzubrechen, ab, setzte sich und fing an zu schreiben … Man hat nicht einmal den Eindruck, daß er
der ehrenvollen Berufung als zweiter Kapellmeister an die Oper in Trieste nachtrauerte.
Damit ist auch schon angedeutet, daß der Charakter der den beiden Männern zuteilgewordenen Offenbarungen sehr verschieden war. Swedenborg wurde erleuchtet und bei vollem Bewußtsein in die geistige Welt eingelassen, um der von Glaubenszweifeln geplagten
Erdenmenschheit jene Wahrheiten zu vermitteln, aus denen eine Neue Kirche des Herrn —
quer durch alle Konfessionen und Religionen hindurch — hervorgehen sollte. Lorber hingegen
schrieb nieder — flink und ohne je zu stocken, wie von glaubwürdigen Zeugen berichtet wird —
, was ihm »aus der Gegend des Herzens« diktiert wurde. Und Lorber, dieser schlichte, volkstümliche Mann, sah keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß diese Stimme die des himmlischen Vaters selber war. Und wir unsererseits haben wiederum keinen Anlaß, seinen
Glauben in Frage zu stellen. Wohl aber dürfen, ja haben wir den Inhalt seiner und der Offenbarungen Swedenborgs daraufhin zu prüfen, ob beziehungsweise wie weit er den Glauben der
beiden Männer an ihre göttliche Sendung bestätigt.
Den unterschiedlichen Charakter der Offenbarung der beiden Männer belegen zur Genüge die
beiden folgenden Zitate:
Zunächst das Zeugnis Lorbers:
148
Friedemann Horn
»Bezüglich des inneren Wortes, wie man dasselbe vernimmt, kann ich, von mir selbst sprechend,
nur sagen, daß ich des Herrn heiligstes Wort stets in der Gegend des Herzens wie einen höchst
klaren Gedanken, licht und rein, wie ausgesprochene Worte vernehme. Niemand, mir noch so nahestehend, kann etwas von irgend einer Stimme hören. Für mich klingt diese Gnadenstimme aber
dennoch heller als jeder noch so laute, materielle Ton. — Das ist aber nun auch schon alles, was
ich Ihnen aus meiner Erfahrung sagen kann. — Aber es wandte sich jüngst eine dem Herrn höchst
ergebene Frau durch mich an Ihn, und es ward ihr folgende Antwort zuteil, die ich Ihnen hier
wörtlich mitteile. Sie lautete:
›Das, was nun Mein irdisch sehr armseliger Knecht tut, sollten eigentlich alle Meine wahren Bekenner tun können. Denn allen gilt das Evangeliumswort: Ihr müsset alle von Gott belehrt sein!
Wen nicht der Vater ziehet, der kommt nicht zum Sohne! Das aber besagt soviel als: Ihr müsset
von eurer werktätigen, lebendigen Liebe zu Mir und daraus zu jedem bedürftigen Nächsten — zur
inneren Weisheit aus Gott gelangen! Denn eines jeden wahre, werktätige Liebe bin ja eben Ich
selbst gleich also in seinem Herzen, wie der Sonne lebendiger Strahl wirkend ist in jedem Tautropfen, in jeder Pflanze und in allem, was die Erde trägt. Wer Mich sonach wahrhaft über alles
aus allen seinen Kräften liebt, dessen Herz ist auch voll von meiner Lebensflamme und deren
hellstem Lichte.‹
[3. Teil: OT (1976) 31-56]
• In der letzten Folge hatten wir mit einer Gegenüberstellung der beiden Offenbarungsträger begonnen. Dabei zeigte ein erstes Zitat aus ein einem Briefe Jakob Lorbers eindrucksvoll, wie er »das innere
Wort … stets in der Gegend des Herzens wie einen höchst klaren Gedanken, licht und rein, wie ausgesprochene Worte« vernahm. Lorber zitiert dann die Antwort, die, wie ihm die Stimme sagt, der Herr
durch ihn einem Freunde erteilt, welcher von Lorber nähere Auskunft über das »innere Wort« erbeten
hatte. Dabei fällt auf, daß die »werktätige Liebe« zur Voraussetzung dafür erklärt wird, daß der
Mensch zu Gott kommen kann, denn »eines jeden wahre, werktätige Liebe bin ja eben ich selbst gleich
also in seinem Herzen …« Die Stelle schließt folgendermaßen: •64
›Daß dadurch zwischen Mir und dem Mich über alles liebenden Menschen ein steter und hellster
Verkehr entstehen muß, ist ebenso klar, wie daß ein gesundes Weizenkorn in fruchtbarer Erde unter dem warmen Sonnenstrahl zur segensreichsten Frucht emporwachsen muß. — Daß dieses aber
wirklich möglich ist, dafür steht dieser Mein Knecht als Zeuge vor dir! — Aber das sage Ich dir
auch: Mit einer bloßen Verehrung und noch so tief andächtigen Bewunderung Meiner göttlichen
Vollkommenheit ist's da nichts! Solcher sogenannten frommen Christen gibt es eine Menge in der
Welt, und doch erreichen sie wenig oder nichts. — Alles liegt aber an dem, daß jemand, der zu
Meinem lebendigen Worte in sich gelangen will, vollkommen ein Täter Meines Wortes ist. — Dies
zur Danachachtung für dich und jedermann!‹«
Lorber schließt seinen Brief mit der persönlichen Bemerkung:
»Hier, lieber Freund, haben Sie Ihre Frage so erschöpfend als möglich beantwortet, und es wäre
vermessen von mir armem Sünder, Ihnen noch ein Mehreres darüber zu sagen.«65
Jakob Lorbers Berufungs-Diktat
Zur Vervollständigung des ersten Eindrucks — denn darum handelt es sich ja wohl für die
meisten unserer Leser — sei hier noch Lorbers Berufungs-Diktat vom März 1840 (also fast ein
Jahrhundert nach Swedenborgs Berufungs-Vision) zitiert. Lorber, der eben im Begriffe stand,
von Graz nach Triest aufzubrechen, wo eine Stelle als zweiter Kapellmeister auf ihn wartete,
vernahm aus der Gegend des Herzens eine deutliche Stimme, die ihm zurief:
»Steh auf, nimm deinen Griffel und schreibe!«66
Lorber gehorchte umgehend und schrieb die folgenden Worte, die, wie man zugeben wird, etwas unmittelbar Beeindruckendes haben und sich auch stilistisch in die große prophetische
64
65
66
Der Text zwischen • und • fehlt in B.
[Briefe Jakob Lorbers: Urkunden und Bilder aus seinem Leben, Bietigheim 1931, Seite 15f.]
[Briefe Jakob Lorbers: Urkunden und Bilder aus seinem Leben, 1931, Seite 14]
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
149
Tradition der Jahrtausende einfügen (was man freilich nicht von allem sagen kann, das er von
Stund an während 24 Jahren in so überreicher Fülle zu Papier brachte. Die weiteren Zitate
werden das nebenher zeigen; wir sehen es aber auch schon anhand unseres ersten Zitats).
[HGt 1,1,1] »So spricht der Herr für jedermann; und das ist wahr und getreu und gewiß: Wer mit
Mir reden will, der komme zu Mir, und Ich werde ihm die Antwort in sein Herz legen. — Jedoch die
Reinen nur, deren Herz voll Demut ist, sollen den Ton Meiner Stimme vernehmen. [HGt 1,1,2] Und
wer Mich aller Welt vorzieht, Mich liebt wie eine zarte Braut ihren Bräutigam, mit dem will Ich
Arm in Arm wandeln; er wird Mich allezeit schauen wie ein Bruder den andern Bruder, und wie
Ich ihn schaute schon von Ewigkeit her, ehe er noch war.«
Wir lesen in der Biographie Lorbers, daß diese Worte den tiefsten Eindruck auf ihn machten.
Zu Tränen gerührt, ergab er sich dem unüberhörbaren Ruf; und wenn es einen Beweis gibt für
die Echtheit seines Erlebens, so liegt er eben darin, daß Lorber gehorchte und zum demütigen
»Schreibknecht des Herrn« wurde. Er war sich selbstverständlich darüber klar, daß ihn dabei
keine äußeren Ehren erwarteten, viel eher Unsicherheit und Entbehrungen. Diese Haltung
erinnert unmittelbar an Swedenborg, dessen Beglaubigung auch in seinem, Ruhm und Ehre
aufopfernden Gehorsam zu suchen ist. Freilich ging es bei Swedenborg, dem soviel differenzierteren, zur Spitze der Forscher und Denker seiner Zeit zählenden Manne, nicht so reibungslos und von einer Minute zur anderen, wie bei dem treuherzigen, gefühlsbetonten
Musiker und Schulmeister aus Graz.
Lorber bleibt nicht allein — »Vatermedien«
Das Zitat des Eröffnungs-Diktats zeigt aber auch noch etwas anderes: Es handelt sich dabei
keineswegs nur um eine Berufung Jakob Lorbers — so sehr sich auch jene Macht, die sich hier
zu Wort meldet, seiner zu bedienen weiß —‚ vielmehr »jedermann« wird hier aufgefordert, mit
dem Herrn zu reden, wenngleich nur die Reinen und Demütigen den Ton seiner Stimme in
ihrem Herzen vernehmen sollen. Das hatte weitreichende Konsequenzen: Kaum waren Lorbers Schriften veröffentlicht, so meldeten sich zahlreiche sogenannte »Vatermedien«, die ähnliche oder gar noch weiterreichende Offenbarungen empfangen zu haben behaupteten. Es gibt
sie auch heute noch. D. Dr. Kurt Hutten, Lorber gegenüber durchaus positiv eingestellt (was
freilich Kritik nicht ausschließt), warnte vor ihnen in seinem Radio-Vortrag »PSI und der
christliche Glaube« (vgl. OT 5/75, Seite 137). Auch was uns davon bisher bekannt geworden
ist, machte zum weit überwiegenden Teil nicht den Eindruck, aus einer klareren Quelle zu
stammen, als aus der des Eigendünkels und der Frömmelei. Die Erklärung ist verhältnismäßig einfach: Beweist nicht, wer »Vaterworte« empfängt, damit zugleich seine Reinheit und
Demut? Und beweist er es nicht auf eine Weise, die keinen Widerspruch duldet? Natürlich gibt
es immer Menschen, die sich dadurch allzu sehr beeindrucken lassen und auch bereit sind,
dem solchermaßen Ausgezeichneten bedingungslose und oftmals kostspielige Gefolgschaft zu
leisten. Die wenigsten aus diesen Kreisen bringen, nachdem sie soviel Glauben, Zeit und Geld
in das Unternehmen ihres Vatermediums investiert haben, die Kraft auf, ihren Irrtum einzugestehen und sich wieder zu lösen. Lieber ordnen sie sich der Tyrannei des oder der von Gott
Ausgezeichneten aus 67. Aus allen diesen Gründen hat man oft derartigen Ansprüchen gegenüber ein so ungutes Gefühl. Dies gilt jedoch, wie wir betonen möchten, nicht für Jakob Lorber
selbst; ihm glaubt man die in seinem Eröffnungs-Diktat geforderte Reinheit und Demut des
Offen-barungsträgers.
Doch warum glaubt man sie ihm, anderen Vatermedien aber nicht? Und heißt das nun zugleich, daß man schlechthin alles, was durch seine Feder fließt, so anzunehmen hat, wie es
sich darbietet, nämlich als die allerhöchste göttliche Offenbarung?
67
[Es muss »unter« heißen.]
150
Friedemann Horn
Beide Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Eine nur sehr vorläufige Antwort mag in der
unbestreitbaren Tatsache liegen, daß jemand als Mensch grundehrlich sein und doch objektiv
Unrichtiges behaupten oder — was hier eher zutrifft — weitergeben kann. Wir werden darauf
zurückkommen.
Wie hat Swedenborg seine Offenbarungen empfangen?
Zunächst noch einige grundsätzliche Bemerkungen über die Art, in der Swedenborg seine
Offenbarungen empfangen hat. Es wurde oben bereits angedeutet, daß sie sich sehr von der
Art der Lorberschen Offenbarungen unterscheidet. Auf eine Darstellung von Swedenborgs
Berufungsvision können wir in diesem Rahmen jedoch verzichten; sie ist unseren Lesern
zweifellos bekannt und wurde erst jüngst wieder im Vortrag von Prof. Ernst Benz über »Swedenborgs Bedeutung für die Weltchristenheit« (OT 6/1975, Seite 165f.) ausführlich behandelt.
Sie sagt auch nichts Genaueres über die Art und Weise aus, wie Swedenborg die Offenbarungen zuteil wurden. Wenn wir uns darüber ins Bild setzen wollen, müßten wir eigentlich ein
außerordentlich umfangreiches Material verarbeiten. Für unsere gegenwärtigen Zwecke können wir uns aber auf zwei kurze Zitate beschränken, in denen das Wesentliche zum Ausdruck kommt. Das erste entnehmen wir der »Wahren christlichen Religion« (Nr. 779),
geschrieben im Alter von 81 bis 83 Jahren, also nach mehr als einem Vierteljahrhundert täglicher Offenbarungen, nie abreißenden Umgangs mit den Bewohnern der geistigen Welten:
»Da der Herr sich nicht in Person offenbaren kann, wie soeben gezeigt wurde, dennoch aber vorausgesagt hat, daß Er kommen und eine neue Kirche, nämlich das Neue Jerusalem gründen werde,
so folgt, daß Er dies mittels eines Menschen bewirken wird, der die Lehren dieser Kirche nicht allein mit dem Verstand auffassen, sondern auch durch den Druck veröffentlichen kann.
In der Kraft der Wahrheit bezeuge ich, daß der Herr sich mir, Seinem Diener, geoffenbart und
mich zu diesem Dienst ausgesandt hat, daß Er danach das Gesicht meines Geistes öffnete, mich so
in die geistige Welt einließ, mir gestattete, die Himmel und Höllen zu sehen und auch mit Engeln
und Geistern zu reden, und zwar unausgesetzt schon viele Jahre hindurch. Ebenso bezeuge ich, daß
ich vom ersten Tage jener Berufung an, was die Lehren jener Kirche betrifft, gar nichts von irgendeinem Engel empfangen habe, sondern vom Herrn allein, während ich das Wort las.«.
Und anschließend (Nr. 780) lesen wir noch:
»Um beständig bei mir gegenwärtig sein zu können, hat mir der Herr den geistigen Sinn Seines
Wortes, in dem das göttliche Wahre in seinem Licht ist, enthüllt, denn in diesem ist Er fortwährend gegenwärtig.«
Schon aus diesem Zitat geht klar hervor, daß die Art der Offenbarungen Swedenborgs und
Lorbers sehr verschieden war: Lorber war von Anfang an, und blieb auch bis zum Schluß, der
»Schreibknecht«, wie man ihn zu Recht genannt hat, dessen Eigenes nur unbewußt bei seinen
Offenbarungen im Spiel war: Die Macht, die durch ihn sprach, mußte sich notgedrungen seines weitschweifigen, oftmals schwülstigen »österreichischen Kanzlei-Stils« und jener Ansätze
naturwissenschaftlicher und anderer Kenntnisse bedienen, die sie in ihm vorfand (Lorber hatte
beispielsweise beachtliche astronomische Kenntnisse). Das gilt übrigens auch für die biblischen Offenbarungsträger; auch sie waren in dieser Hinsicht passive Empfänger und wirkten
auf die durch sie ergehenden Offenbarungen nur unbewußt durch ihre eigene Beschaffenheit
zurück — ähnlich wie die Beschaffenheit eines Handwerkzeugs Einfluß auf die damit ausgeführte Absicht seines Benutzers hat. Mit einem zu groben Schraubenzieher etwa läßt sich
eine feine Schraube nur schwer oder gar nicht ziehen.
Während also Lorber geduldig, ohne je zu stocken oder zu korrigieren zu Papier bringt, was die
Stimme aus der Gegend des Herzens ihm diktiert, bleibt Swedenborg von Anfang an aktiv an
den Offenbarungen beteiligt, die sich durch ihn vollziehen. Schon das erste Zitat zeigt, daß er
sich als ein Werkzeug der Zweiten Ankunft des Herrn versteht. Diese aber geschieht nicht als
ein Kommen in Person, sondern als Begründung einer neuen Kirche, genauer: eines neuen
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
151
christlichen Zeitalters, in dem es erlaubt sein wird, »mithilfe des Verstandes in die Geheimnisse des Glaubens einzudringen« (WCR 508). Daher Swedenborgs Feststellung, daß der Herr
»dies mittels eines Menschen bewirken wird, der die Lehren dieser Kirche nicht allein mit
dem Verstand auffassen, sondern auch durch den Druck veröffentlichen kann.«
Aus dem zweiten Teil des Zitats ist zu ersehen, daß Swedenborg trotz seiner unzähligen Gespräche mit den verschiedenartigen Bewohnern der geistigen Welten »was die Lehren jener
Kirche betrifft, gar nichts von irgendeinem Engel empfangen« haben will, »sondern vom Herrn
allein, während ich das Wort las«. Dieses »während ich das Wort las« muß man sich ebenfalls
als einen Vorgang denken, bei dem alle intellektuellen Fähigkeiten des Sehers beteiligt waren.
Am besten ließe sich sein Zustand während dieser Bibelstudien als ein solcher höchst aktiver
Passivität bezeichnen, was nur scheinbar ein Widerspruch ist, vielmehr eine religiöse Grundbefindlichkeit darstellt.
Das zweite Swedenborg-Zitat zeigt fast noch deutlicher, daß sein Verstand beim Umgang mit
den Bewohnern der anderen Welt stets hellwach blieb und nie seiner Funktion als Beurteiler
von wahr und falsch, gut und böse beraubt wird. Unter der Zwischenüberschrift »Was ich aus
Repräsentationen (Vorbildungen), Visionen und Gesprächen mit Geistern und Engeln lernte,
stammte vom Herrn« heißt es:
»Wann auch immer irgendeine Vorbildung, Vision oder ein Gespräch stattfand, wurde ich im Innern und Innersten im Nachdenken (reflexio = vergleichendes, prüfendes Denken, wörtlich: Zurückbeugen) darüber gehalten, was von alledem nützlich und gut war, folglich was ich daraus
lernen könne. Dieser Nachdenklichkeit (reflexio) befleißigten sich jedoch diejenigen nicht, welche
die Vorbildungen und Visionen darstellten und (mit mir) sprachen. Sie waren sogar zuweilen ungeduldig, wenn sie wahrnahmen, daß ich nachdachte. Auf diese Weise wurde ich unterrichtet —
folglich durch keinen Geist, noch durch irgendeinen Engel, sondern durch den Herrn allein, von
dem alles Wahre und Gute stammt. Ja, wenn sie mich über verschiedene Gegenstände belehren
wollten, so war daran kaum irgendetwas anders als falsch. Daher wurde es mir untersagt, irgendetwas von dem zu glauben, was sie sagten. Ebensowenig war es mir erlaubt, aus dem, was ihrem
Eigenen entstammte, etwas vorzubringen. Überdies empfand ich, sobald sie mich überreden wollten, eine innerliche oder innerste Überzeugung, daß sich die Sache so oder so verhielte, und nicht
wie sie es wünschten, worüber sie sich ebenfalls wunderten. Diese Empfindung war handgreiflich,
ist aber nicht leicht für die Fassungskraft des Menschen zu beschreiben« (Geistiges Tagebuch, Eintragung vom 22. März 1748).
Man sieht, Swedenborg behauptet, im Inneren und Innersten in einem Zustand der Nachdenklichkeit, der Reflexion gehalten worden zu sein, um sich ja nicht von den gewiß sehr starken
Eindrücken seines Verkehrs mit Geistern und Engeln überwältigen zu lassen. Swedenborg
hatte schon bald erkannt, daß gewisse Geister eine Art Allwissenheit vorgeben, die reine Anmaßung ist. Man darf auch nicht außer acht lassen, daß Geister und Engel Menschen sind
und somit durchaus nicht frei von menschlichen Schwächen. Das trifft wohl ganz besonders
für die Engel der untersten Stufe zu, mit denen es der Seher in der ersten Zeit noch vor allem
zu tun hatte (unser Zitat stammt aus dem dritten Jahr nach der Eröffnung seiner geistigen
Sinne!). Auch soll wiederum daran erinnert werden, daß der Behauptung von Falschheiten
durchaus nicht immer böser Wille zugrundeliegen muß. Namentlich bei den Engeln dürfte das
Gegenteil vorausgesetzt werden. Es gilt aber ferner auch zu bedenken, daß das Jahr 1748, aus
dem unser Zitat stammt, noch vor jener großen Säuberung der untersten Himmel liegt, die
Swedenborg ein knappes Jahrzehnt später als Augenzeuge beschreiben durfte. Aus »ScheinEngeln« hatten sich dort sogenannte »Schein-Himmel« gebildet und eingenistet. Umso verständlicher erscheint Swedenborgs Skepsis. Später dürfte er bessere Erfahrungen mit den
152
Friedemann Horn
Aussagen der Engel gemacht haben. Wie wäre es sonst zu erklären, daß zwei seiner schönsten Werke unter dem Obertitel »Die Weisheit der Engel« erschienen sind.68
Aber abgesehen von diesen Überlegungen ist hier zunächst einmal festzuhalten, daß sich die
Art und Weise, in der Swedenborg seine Offenbarungen empfing, völlig von derjenigen Lorbers
unterschied.
Zum Verhältnis zwischen Swedenborgianern und Lorberianern
Auf diesem Hintergrund versteht man auch, warum die Anhänger Swedenborgs im allgemeinen kritischere Zeitgenossen sind als die Anhänger Lorbers, daß sie weniger leicht etwas
gelten lassen, nur weil es mit der Autorität göttlicher Offenbarung auftritt. Es scheint, daß
etwas von dem zwar durchaus demütigen, aber doch unbeirrbaren Geist des nordischen Gelehrten und Sehers bis heute in den sich auf ihn berufenden Kreisen erhalten hat, wie andererseits die weichere, »mystischere« Haltung Lorbers, die weniger auf klare gedankliche
Unterscheidung aus ist, unter seinen Anhängern nachwirkt.
Dieser Unterschied muß keineswegs, wie man in der Vergangenheit behauptete, als unüberbrückbarer Gegensatz hingenommen werden, sondern könnte, wenn nur auf beiden Seiten die
Liebe obenangestellt würde, zu einem durchaus fruchtbaren Spannungsfeld gegenseitigen
Gebens und Nehmens — auch im Sinn gegenseitiger Korrektur — aufgebaut werden. Denken
wir an Swedenborgs eindringliche Mahnung, daß die Christen, »wenn sie die Liebe zum Herrn
und die tätige Liebe gegen den Nächsten zur Hauptsache des Glaubens machen würden«, die
Lehrbestimmungen, die jetzt die Kirchen unterscheiden, bloß als »Meinungsverschiedenheiten
hinsichtlich der Geheimnisse des Glaubens« betrachten würden, »welche die wahren Christen
dem Gewissen eines jeden überlassen, wobei sie in ihrem Herzen sprächen, ein wahrer Christ
sei, wer als Christ lebt, beziehungsweise wie der Herr lehrt. So würde aus allen verschiedenen
Kirchen eine einzige werden und alle Zwistigkeiten, die aus der bloßen Lehre entstehen, würden verschwinden …« (HG 1799).
Wenn man bedenkt, daß es innerhalb der Christenheit wenige Gruppierungen geben dürfte, die
über eine breitere gemeinsame Basis verfügen als die »Swedenborgianer« und »Lorberianer«, so
kann man nur bedauern, daß die Zusammenarbeit zwischen ihnen zum Schaden beider nicht
harmonischer und brüderlicher verlaufen ist. Obwohl dies eigentlich nicht mehr zu unserem
Thema gehört, sei doch bei dieser Gelegenheit der Überzeugung Ausdruck verliehen, daß nur
absolute Aufrichtigkeit, nicht das »Verwedeln« bestehender Unterschiede, nicht das »So-tunals-ob«, sondern nur die Anerkennung der bei allem Gemeinsamen nun einmal bestehenden
Unterschiede, kurz: das Sich-begegnen in dem schon erwähnten Spannungsfeld weiterführen
kann. Wir sollten genügend Liebe zueinander haben, um die Spannungen auszuhalten und
fruchtbar zu machen.
Dürfen wir kritisieren, wenn der Herr spricht?
Wir haben aufgrund unserer bisherigen Untersuchung zweierlei Feststellungen treffen können: einmal die, daß beide Offenbarungsträger über den Verdacht des Betrugs erhaben sind,
und zum anderen, daß die Art, wie sie ihre Offenbarungen empfingen, grundverschieden war.
Von hier aus stellt sich aber die Frage, um deren Beantwortung es uns in diesem Artikel geht,
noch dringlicher: Ist der Leser, sobald sich in ihm der positive Eindruck von diesen beiden
Offenbarungsträgern gegen alle anfänglichen, so verständlichen Zweifel durchgesetzt hat,
gewissermaßen wehrlos all dem ausgeliefert, was sie ihm als göttliche Offenbarung — im Falle
Lorbers sogar als unmittelbares Diktat des Herrn selbst — präsentieren? Muß er es einfach
68
»Die Weisheit der Engel betreffend die Göttliche Liebe und Weisheit« und »Die Weisheit der Engel betreffend die Göttliche Vorsehung«.
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
153
hinnehmen, selbst wenn es ihm zuweilen wie blühende Phantasie vorkommen will, selbst
wenn es in manchen Fällen widersprüchlich ist?
Denen, die viele Jahre ihres Lebens in Lektüre und Verarbeitung des riesigen Schrifttums von
Lorber und Swedenborg investiert haben, könnte leicht schon eine solche Fragestellung lästig
sein; es könnte ihnen ebenso unbehaglich zumute sein, wie jemandem, der sich einen Turm
errichtet, von dem aus er einen ungehinderten Ausblick genießen möchte, und der nun bemerken muß, daß sich seine Gegner daran machen, das Fundament seines stolzen Bauwerks
zu untergraben. Aber wie wir unseren Lesern schon mehrfach versicherten, führen wir nichts
dergleichen im Schilde. Unsere Fragen und Überlegungen zielen nur darauf ab, falsche Sicherheiten durch echte zu ersetzen und das für den Aufbau wirklicher geistiger Türme notwendige Unterscheidungsvermögen zu wecken bzw. zu stärken. Die Wahrheit steht über
allem, ihr sind wir bedingungslos verpflichtet. Es soll hier niemandem etwas genommen werden, ohne daß es ihm zugleich durch etwas Besseres ersetzt wird.
Jakob Lorber: spricht durch ihn der Herr?
1. Lorbers Offenbarungen scheinen deshalb besonders unanfechtbar, weil sie sich zum überwiegenden Teil als unmittelbares Diktat des Herrn selbst darbieten. Auf weite Strecken läßt
sich dieser Anspruch schon allein deshalb nicht nachprüfen, weil der Inhalt der Diktate entweder urgeschichtliche, metaphysische, oder geschichtlich nicht nachprüfbare Ereignisse und
Vorgänge betrifft, die auch in den vorliegenden biblischen Offenbarungen nicht vorkommen,
denen wir entscheidende Bedeutung zumessen. Dem kritischen Geist erscheint zwar vieles
allzu phantastische gelegentlich gar verstiegen und »unmöglich« — aber was will das schon
besagen? Gottes Wege sind nun einmal wunderbar, seine Gedanken sind höher als unsere
Gedanken und »bei Gott sind alle Dinge möglich« (Matth 19,26). Also doch einfach »alles im
Glauben annehmen«, und aus keinem anderen Grunde, als weil es der Herr gesagt hat?
Wir wollen nun zuerst anhand von Lorbers, hernach anhand von Swedenborgs OffenbarungsSchriften aufzeigen, welche Möglichkeiten der Leser hat, das bekannte Wort des Paulus »prüfet alles, und das Gute behaltet« anzuwenden. Wir hatten schon betont, daß wir den Maßstab
solcher Kritik auf keinen Fall in uns selbst, in unserem persönlichen »Raten und Meinen«
suchen dürfen, weil das bei unserer menschlich-allzu-menschlichen Beschaffenheit auf reine
Willkür hinausliefe. Wir haben aber bereits die in unseren Augen wichtigsten objektiven Maßstäbe aufgezeigt (OT 5 und 6/1975) und wollen nun sehen, wohin ihre Anwendung führt.
Aber gibt es denn gar keine Möglichkeit, den Anspruch der Lorberschen Diktate, unmittelbar
vom Herrn selbst zu stammen, zu überprüfen? Doch, es gibt sie! Und zwar ergibt sie sich aus
der Anwendung zweier Forderungen, die grundsätzlich an jede göttliche Offenbarung gestellt
werden müssen:
a) Gott kann sich nicht irren, und
b) Gott kann sich im Kern nicht widersprechen (was Widersprüche im Buchstaben, die mit
der ungeheuren Spannung zwischen der zu offenbarenden göttlichen Wahrheit und der
menschlichen Beschaffenheit des jeweiligen Offenbarungswerkzeugs zusammenhängen,
keineswegs ausschließt).
Lorbers Hauptwerk: Das Große Evangelium Johannis
Das Hauptwerk der Lorberschriften ist »Das große Evangelium Johannis, vom Vater des Lichts
kundgegeben durch Jakob Lorber«. Der Untertitel besagt, daß es sich dabei um einen »ausführlichen Bericht von Jesu Leben und Lehre« handele. Der Umfang dieses 10-bändigen Werkes (zu
dem noch ein 11. Band kommt, der 27 Jahre nach Lorbers Tod durch Leopold Engel auf ähnliche Weise empfangen wurde) ist in der Tat gewaltig, beträgt er doch nach unserer Berechnung
154
Friedemann Horn
etwa 16,6 Millionen Anschläge (Swedenborgs »Himmlische Geheimnisse im Worte Gottes«
enthalten rund 19 Millionen Anschläge). Im Vergleich dazu besteht das biblische JohannesEvangelium aus noch nicht einmal 120'000 Anschlägen, hat also fast 140 mal im »Großen
Evangelium Johannis« Platz! (inskünftig abgekürzt: GEJ)
Lorber und seine Anhänger verweisen gern auf zwei Bemerkungen im biblischen JohannisEvangelium:
»Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem
Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus ist der Christus (Messias), der
Sohn Gottes« (20,30). »Es sind aber noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat, welche, wollte
man sie einzeln beschreiben, so würde nach meiner Überzeugung die Welt die Bücher nicht fassen, die dann zu schreiben wären« (21,25).
Die Niederschrift Lorbers erhebt nun den Anspruch, die recht lückenhaften Berichte des Evangelisten aus dem Munde des Herrn selbst zu ergänzen.
Unsere erste, ihrer Tragweite wegen besonders wichtige Frage lautet daher: ist es wirklich
durchwegs der Herr selbst, der da in der ersten Person bis in die verblüffendsten Einzelheiten
hinein von seinem Erdenwandel berichtet — gewissermaßen als sein eigener Zeuge? Wenn ja,
so bleibt uns eigentlich gar nichts anderes übrig, als dieses GEJ dem kleinen, das heißt dem
biblischen Joh. Ev. gleich-, ja sogar überzuordnen. Als einem unmittelbaren Selbstzeugnis des
Herrn müßte ihm sogar der oberste Rang aller Offenbarungen überhaupt zukommen. Das
biblische Joh. Ev., wenngleich unter göttlicher Eingebung, aber eben doch nicht vom Herrn
selbst verfaßt, hatte keine größere Bedeutung als sie etwa der kurzen, unvollständigen Zusammenfassung eines Buches gegenüber dem betreffenden Buch selbst zukommt.
Den Kenner der Swedenborgschen Bibelauslegungen erwartet zunächst eine Überraschung:
Wenn er den ersten Band der GEJ aufschlägt, empfängt ihn eine vertraute Text-Anordnung: Wie
in Swedenborgs HG, OE und EO wird nämlich zuerst jeweils ein Vers des biblischen Evangeliums abgedruckt und anschließend seinem »inneren Sinn« nach erklärt. Der Unterschied —
abgesehen vom Inhalt — besteht darin, daß es der Herr selbst sein soll, der da erklärt, und nicht
ein von ihm ausersehenes menschliches Werkzeug. Lorber selbst hat ja mit der Sache gar
nichts zu tun. Freilich geschieht es anfänglich noch ab und zu, daß die Ich-Form durchbrochen und vom Herrn in der dritten Person gesprochen wird. Bis einschließlich Kapitel 4,42
bleibt es bei dieser Form. Beiläufig bemerkt: man ist auf diese Weise auf Seite 68 angelangt.
Das bedeutet: ginge es in diesem Stil weiter, so wäre das Werk bei Seite 380 zuende. Wie
kommt es, daß es mehr als 17 mal so lang ist? Nun, ab Seite 68 wird das Schema:
Text/Auslegung des inneren Sinnes immer mehr und schließlich endgültig verlassen, um der
freien Erzählung und Ausfüllung der Lücken des biblischen Johannesevangeliums (gelegentlich auch der synoptischen Evangelien) Platz zu machen. Nur noch hie und da wird Bezug auf
den biblischen Text genommen.
Zwei Zitate sollen das Gesagte verdeutlichen und unseren Lesern zugleich einen Geschmack
von diesem GEJ vermitteln:
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
[GEJ.01_001,02] Ein Hauptgrund des Unverständnisses solcher Texte liegt freilich wohl leider in
der sehr mangelhaften und unrichtigen Übersetzung der Schrift aus der Urzunge in die Zungen
der gegenwärtigen Zeit; allein es ist gut also. Denn wäre der Geist solcher Texte nicht so wohl
verborgen, als er es ist, so wäre das Heiligste darin schon lange allertiefst entheiligt worden, was
da von größtem Übel wäre für die gesamte Erde; so aber hat man nur an der Rinde genagt und
konnte zum lebendigen Heiligtume nicht gelangen. [GEJ.01_001,03] Nun aber ist es an der Zeit,
den wahren innern Sinn solcher Texte zu zeigen allen, die da würdig sind, daran teilzunehmen;
dem Unwürdigen aber soll es teuer zu stehen kommen, denn Ich lasse bei solcher Gelegenheit mit
Mir durchaus keinen Scherz treiben und werde nie einen Handel annehmen. [GEJ.01_001,04] Nach
dieser nötigen Vorerinnerung aber folge nun die Erläuterung; nur bemerke Ich noch das hinzu
und sage, daß hier nur der innere, seelisch- geistige Sinn zu verstehen ist, nicht aber auch der allerinnerste, reinste Himmelssinn. Dieser ist zu heilig und kann für die Welt unschädlich nur solchen erteilt werden, die ihn suchen durch ihren Lebenswandel nach dem Worte des Evangeliums.
Der bloß innere, seelisch-geistige Sinn aber läßt sich leicht finden, manchmal schon durch die
richtige, zeitgemäß entsprechende Übersetzung, was nun sogleich bei der Erläuterung des ersten
Verses sich zeigen soll. [GEJ.01_001,05] Sehr unrichtig und den innern Sinn sehr verhüllend ist
der Ausdruck »Im Anfange«; denn dadurch könnte sogar der Gottheit ewiges Dasein bestritten und
in Zweifel gezogen werden, was auch von einigen älteren Weltweisen geschehen ist, aus deren
Schule die Gottesleugner dieser Zeit auch so ganz eigentlich hervorgegangen sind. So wir aber
nun diesen Text recht geben werden, da wird die Hülle nur sehr dünn erscheinen, und es wird nicht
schwer sein, den inneren Sinn durch solche leichte Hülle recht wohl und manchmal sehr genau zu
erspähen. [GEJ.01_001,06] Also aber laute die richtige Übersetzung: Im Urgrunde, oder auch in
der Grundursache (alles Seins), war das Licht (der große heilige Schöpfungsgedanke, die wesenhafte Idee). Dieses Licht war nicht nur in, sondern auch bei Gott, das heißt, das Licht trat als wesenhaft beschaulich aus Gott und war somit nicht nur in, sondern auch bei Gott und umfloß
gewisserart das urgöttliche Sein, wodurch schon der Grund zu der einstigen Menschwerdung Gottes gelegt erscheint, was im nächstfolgenden Texte auch schon von selbst ganz hell ersichtlich
wird. [GEJ.01_001,07] Wer oder was war denn so ganz eigentlich dieses Licht, dieser große Gedanke, diese heiligste Grundidee alles künftigen, wesenhaften, freiesten Seins? – Es war unmöglich etwas anderes als eben Gott Selbst, weil in Gott, durch Gott und aus Gott unmöglich etwas
anderes als Gott Selbst nur Sich in Seinem ewig vollkommensten Sein darstellte; und so mag die-
155
156
Friedemann Horn
ser Text auch also lauten: [GEJ.01_001,08] In Gott war das Licht, das Licht durchfloß und umfloß
Gott, und Gott Selbst war das Licht.
Es ist hier nicht der Ort, über die Berechtigung dieser letztlich auf einen Austausch des biblischen Wortlauts gegen einen ganz neuen Wortlaut hinauslaufenden Auslegung zu befinden.
Immerhin soll angemerkt sein, daß von einer »falschen Übersetzung« des griechischen Urtexts
in diesem Falle wirklich nicht geredet werden kann. Es gibt praktisch auch keinen irgendwie
ins Gewicht fallenden Widerspruch in den verschiedenen »Lesarten«. Doch was versteht der
Lorber Diktierende unter »Urzunge«? Meint er damit etwa einen dem griechischen Text vorhergehenden eigentlichen, also aramäischen Urtext — der Herr bediente sich ja des Aramäischen —‚ so daß bereits der griechische Wortlaut eine falsche Übersetzung aus dem
Aramäischen wäre? Nicht sehr wahrscheinlich, aber — wie so vieles in den Lorberschriften —
nicht zweifelsfrei festzustellen.
Auf zwei andere Punkte aber wollen wir unsere Leser noch aufmerksam machen, einmal auf
die Unterscheidung mehrerer Ebenen des inneren Sinnes, die stark an Swedenborgs Aussagen
erinnert, und zum anderen auf den mehrfachen Wechsel zwischen dem Gebrauch der ersten
und dritten Person durch den Diktierenden, vorgeblich also durch den Herrn selbst.
Abgesehen von allen Einzelheiten, so wichtig sie auch in anderen Zusammenhängen sind,
zeigt das Zitat, dem wir später aus anderen Gründen noch einige ähnliche aus diesem ersten
Teil des GEJ folgen lassen werden, daß dieses GEJ zunächst als eine Vers-für-Vers-Auslegung
des biblischen Johannes-Evangeliums beginnt (darauf deutet übrigens auch die Überschrift, die
wir deshalb mit abgedruckt haben) und sich damit nicht grundsätzlich, sondern nur graduell
von Swedenborgs Bibel-Auslegungen unterscheidet.
Unser zweites Zitat, ebenfalls noch ziemlich vom Anfang des riesigen Werkes, belegt klar, wie
dieses Schema durchbrochen wird und nun etwas anderes in den Vordergrund tritt: die Ausfüllung der Lücken des biblischen Berichts. In Joh 4,39 lesen wir, daß die Samarier den Herrn
aus der Versicherung der Frau, Jesus sei ein Prophet, womöglich gar der verheißene Messias,
einluden, bei ihnen zu bleiben.
Wörtlich heißt es dann: »Und er blieb auch zwei Tage dort. Da wurden noch viel mehr Leute
infolge seiner Predigt gläubig und sagten zu der Frau: ›Wir glauben jetzt nicht mehr infolge
deiner Aussage; denn wir haben nunmehr selbst gehört und wissen, daß dieser wirklich der
Retter der Welt ist‹.« (Vers 40-42).
Hier ist in der Tat eine Lücke. Es bleibt bei der allgemeinen Feststellung, »noch viel mehr
Leute« seien »infolge seiner Predigt« zum Glauben gekommen, Jesus sei »der Retter (= Heiland)
der Welt« (verschiedene Handschriften setzen statt »soter«, Retter, »xrestos«, Christus, also der
Gesalbte, der Messias).
Um rasch den Zusammenhang der Stelle zu verstehen, schlage man im Joh. Ev. Kapitel 4
nach. Das Zitat beginnt als eine Auslegung von Vers 42 und zeigt, obwohl wir es stark beschränken mußten, recht deutlich den Übergang von der Auslegung zur Ergänzung des Bibeltextes, die sich als Wort Gottes versteht und höchste Autorität beansprucht.
Joh 4,42. Und sprachen zum Weibe: »Wir glauben fortan nicht mehr deiner Rede willen;
wir haben Ihn selbst gehört und erkannt, daß Dieser ist wahrlich Christus, der Welt Heiland!«
[GEJ.01_031,06] Da sprachen die Samariter: »So dich der Herr angenommen hat zuvor denn uns,
da bist du auch bei uns aufgenommen in Ehren, wie es in Sichar der Brauch ist. Aber wir glauben
von nun und fort an nicht mehr deiner Worte wegen; denn wir haben Ihn nun selbst gehört und
erkannt, daß Dieser wahrlich ist Christus, der Welt Heiland! Und du wirst uns nun nimmer gläubiger machen als wir nun sind! Aber von nun an sollst du auch bei uns eine rechte Ehre haben, so
du hinfort nicht mehr sündigen wirst!« [GEJ.01_031,07] Sagt das Weib: »Ich aber habe von jeher
nicht alsoviel gesündigt, als ihr es leider noch immer meinet. Vor dem, als ich eines Mannes or-
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
dentliches Weib wurde, ist mein Leib nie von dem eines Mannes berührt worden; als ich aber
nachher eines Mannes Weib ward, da lebte ich ganz ordnungsgemäß, wie es sich für ein Weib gebührt. Daß ich nicht fruchtbar werden konnte, und daß jeder meiner fünf rechten Männer, so er
mit mir seine Sache verrichtet hatte, bald darauf sterben mußte, dafür konnte ja doch ich nicht,
wohl aber höchstens die, von denen ich ein solches Fleisch erhielt, das da nicht geheuer war einem
Manne. Nachdem mir fünf Männer starben und mir ein kaum erträgliches Herzleiden verursachten, da beschloß ich, mich nimmer mit einem Manne zu verbinden; aber nach einem Jahre, wie ihr
es wißt, kam ein Arzt nach Sichar mit Kräutern, Ölen und Salben und machte viele Leute gesund;
da ging auch ich hin zu ihm, getrieben von meiner sehr fühlbaren Not, ob er mir hülfe.
[GEJ.01_031,08] Er aber besah mich und sprach: ›Weib, eine Welt gäbe ich darum, so ich dir helfen könnte; denn wohl nie noch sah mein Auge ein schöneres Weib denn du bist! Kann ich dir aber
schon nicht helfen vollends, so kann ich dein Übel aber dennoch lindern!‹ Er aber zog sich dann in
meine ärmliche Behausung, gab mir darauf alle Tage lindernde Mittel und sorgte für mich; aber
er hat meinen kranken Leib noch nie in einer schlechten Absicht, wie ihr es fälschlich zu meinen
scheinet, berührt! [GEJ.01_031,09] Und so bin ich wohl vor Gott, wie sicher auch ihr, allezeit eine
Sünderin; aber vor euren Augen glaube ich eben keine so große und grobe Sünderin zu sein, als
für wie groß ihr mich zu halten beliebet. Der aber hier sitzt am Brunnen Jakobs, Der mir zuvor alles gesagt hat, was ich getan habe, Den fraget, und Er wird es euch Selbst sagen, inwieweit ich den
Namen einer öffentlichen Sünderin verdiene oder nicht.« [GEJ.01_031,10] Hier schauen sich die
Samariter groß an und sagen zum Weibe: »Nun, nun, sei nur wieder gut, wir haben es geradewegs
ja so arg nicht gemeint; dafür sollst du nun eine Ehrenbürgerin in Sichar werden. Sage, bist du
nun zufrieden mit uns?« [GEJ.01_031,11] Spricht das Weib: »O sorget euch nicht um die Ehre eines
armen Weibes! Ich habe mir bereits den größten Teil der Ehre genommen!« [GEJ.01_031,12] Sagen
die Samariter: »Wie wohl hast du das angefangen? Wir wissen nichts von einem Ehrenzeichen,
das dir die Stadt erteilt hätte! Woher nahmst du dann solches?« [GEJ.01_031,13] Sagt das Weib,
mit Tränen wahrer Liebe und des rechten Dankes auf Mich hinweisend: »Hier ruht Er noch! Er allein ist nun meine höchste Ehre, eine Ehre, die weder ihr noch die ganze Welt mir also geben und
ebensowenig nehmen könnet! Denn Er Selbst hat sie mir gegeben, und von Ihm habe ich sie genommen! Ich weiß es wohl, daß ich nicht im geringsten wie in all meinem Sein irgend wert bin,
von Ihm, dem Herrn der Herrlichkeit, eine Ehre zu nehmen; aber Er gab sie mir vor euch, und ich
habe sie genommen vor euch und gab euch Kunde von Ihm, da ihr nichts wußtet von Ihm ehedem.
Sehet, das habe ich vor euch allen, das ihr mir nicht gegeben habt, und, da ich es einmal habe, mir
es nicht nehmen könnet, und das ist ein Ehrenzeichen rechter Art und Weise und hat seine Geltung
in Ewigkeit; euer Ehrenzeichen aber gilt nur zeitlich und das für Sichar allein, und dessen kann
ich entraten, so man das ewige hat. Ich hoffe, daß ihr nun einsehen möchtet, wie und woher ich
meinen größten Teil der rechten Ehre genommen habe.«
32. Liebliche Szene zwischen dem Herrn und dem Weibe, in dessen Haus Er Herberge nehmen will. Des
Herrn rede an die Samariter. Der Herr sieht das Herz an, und der Mensch sieht, was äußerlich ist. Die
Ehre des Weibes vom Jakobsbrunnen.
[GEJ.01_032,01] Es war aber nun Abend geworden, und alle, die aus Judäa mit Mir kamen und
den ganzen Nachmittag hindurch geschlafen hatten, da sie sehr müde waren, wurden einer nach
dem andern wach und erstaunten, wie da so geschwinde der Abend gekommen sei! Und sie fragten Mich, was nun geschehen solle, ob sie eine Herberge suchen sollten, oder ob Ich nun in der
kühleren Zeit der Nacht weiterzöge. [GEJ.01_032,02] Ich aber sagte: »So die Menschen schlafen, da
wachet dennoch der Herr, und der Herr sorget für alles, und die mit Ihm sind, haben nicht zu sorgen, außer daß sie bei Ihm verbleiben. Darum machet euch nun auf, auf daß wir ziehen in diese
Stadt der Samariter! Dort wird sich für uns alle eine gute Herberge finden. Dies Weib hier, das
Mir heute mittag das Wasser verweigerte, hat ein geräumiges Haus, und Ich meine, sie wird uns
die Herberge auf zwei Tage nicht verweigern.« [GEJ.01_032,03] Da fällt das Weib schluchzend vor
Mir nieder aus Liebe und Freude und spricht: »O Herr, Du mein Heiland, wie komme ich arme
Sünderin zu dieser Gnade?« [GEJ.01_032,04] Sage Ich: »Du nahmst Mich auf in dein Herz, das viel
köstlicher ist denn dein Haus; also wirst du Mich wohl auch aufnehmen in dein Haus, das Jakob
gleichwie diesen Brunnen seinem Sohne Joseph erbaute. Aber wir sind unser viele. Du wirst sonach für zwei Tage viel zu tun und zu sorgen bekommen; aber es soll dir darob ein tüchtiger Gewinn werden!« [GEJ.01_032,05] Spricht das Weib: »Herr, und so ihr euer noch zehnmal so viel
wäret, so sollet ihr bei mir, insoweit meine Mittel reichen, alle bestens beherberget werden! Denn
mein freilich hier und da schon sehr baufälliges Haus hat viele und reine Gemächer und ist nach
meiner Möglichkeit auch so ziemlich wohl eingerichtet und ist nur von mir, meinem Arzte und
157
158
Friedemann Horn
einiger Dienerschaft desselben bewohnt. Ich aber sage Dir, o Herr, das Haus ist Dein, Du allein
bist der rechtmäßige Besitzer meines Hauses; denn Du hast das älteste Recht darauf. Daher
komm, o Herr, und ziehe ein in Dein Haus! Denn von nun an ist es vollends Dein, und soll es Dein
verbleiben fürder und alles, was darinnen ist!« [GEJ.01_032,06] Sage Ich: »O Weib, dein Glaube ist
groß und lieblich dein Herz; darum sollst auch du Meine Jüngerin sein und bleiben. Und wo immer dies Evangelium verkündet wird, soll deiner erwähnt werden in Ewigkeit!«
33. Wunderbare Vorgänge im Hause des Weibes. Der Arzt und die Samariter-Mosaisten. Deren freche
Lästerung Jesu und gerechte Strafe. Des Artzes Bericht und des Herrn Wink hierüber.
[GEJ.01_033,01] Ihr Arzt aber, der auch vorher mit ihr herausgekommen war, eilte voraus, um
mit seiner Dienerschaft für Mich eine beste Herberge und ein möglichst reichliches Abendmahl zu
bereiten. Als er aber ins Haus trat, konnte er sich nicht genug verwundern, daß seine Leute schon
nahe mit allem fertig waren, was er erst anordnen wollte. Er aber fragte sie ganz mit dem besten
Mute, wer denn wohl sie das zu tun geheißen habe. Sie aber sagten: »Ein Jüngling herrlichster Gestalt kam und sprach mit sanfternster Stimme: ›Tuet das, denn der Herr, Der bald in dieses Haus
kommen wird, bedarf alles dessen!‹ Da wir solches wunderbar vernommen hatten, ließen wir alles liegen und stehen, und taten und tun es noch, was uns der seltene Jüngling gebot.«
[GEJ.01_033,02] Der Arzt erstaunte und fragte: »Wo ist denn dieser seltene Jüngling?« Die Diener
aber antworteten: »Wir wissen es nicht; denn als er uns solches zu tun hieß, verließ er schnell dies
Haus, und wir wissen es nicht, wohin er gekommen ist.« Der Arzt aber sprach: »Also seid denn
unverdrossen; denn diesem Hause widerfährt ein großes Heil, und ihr alle werdet desselben teilhaft werden!« [GEJ.01_033,03] Darauf eilte der Arzt schnell wieder zur Stadt hinaus, um Mir zu
berichten, wie nun alles schon vorbereitet sei. … (4-8) [GEJ.01_033,09] Als er zu Mir kommt, sagt
er: »Herr! Dein Haus ist wohlbestellt! Es geht daselbst wunderbar zu; aber am Wege heraus zu Dir,
o Herr, geriet ich unter eine Anzahl Frevler, die Dir vor mir ein übles Zeugnis zu geben sich bemühten. Aber es währte ihr Geschrei nicht lange! Dein Engel schlug sie auf den Mund, und sie
wurden bis auf zwei völlig stumm; die zwei aber erschraken gewaltig und flohen. Das, o Herr, ist
alles nun in einer halben Stunde geschehen!« – Sage Ich: »Sei ruhig, das mußte also kommen, auf
daß nicht die, so schon glauben an Meinen Namen, abgewendet würden von uns! Nun aber gehen
wir, und du, Mein liebes Weib aus Samaria, vergiß deinen Krug nicht!« Sogleich schöpft das Weib
ein frisches Wasser und nimmt es mit nach Hause. – Also ward ein Halbtag vor Sichar am Jakobsbrunnen zugebracht und in dieser Stadt eine ziemlich reichliche Ernte gehalten.
34. Die Aufzeichnung der Lehren und Taten des Herrn durch den Evangelisten Johannes. Der Herr mit
den Seinen im alten Hause Josephs zu Sichar. Der Engel Vorbereitungen für die hl. Gesellschaft. Von
dem Verhältnis zwischen Gott-Vater und -Sohn.
[GEJ.01_034,01] Mein Jünger Johannes aber fragte Mich und sagte: »Herr! Wie Du es willst, so
möchte ich wohl alles aufzeichnen noch in dieser Nacht, was sich hier zutrug!« [GEJ.01_034,02]
Sage Ich: »Nicht alles, Mein Bruder, sondern das nur, was Ich dir sagte, daß du es dir notieren
sollst! Denn solltest du alles zeichnen, was da geschah und was hier die zwei Tage hindurch noch
geschehen wird, so würdest du viele Häute voll zeichnen müssen; wer aber würde das Viele dann
lesen und fassen? So du aber nur die Hauptmomente richtig in rechter Entsprechung, wie sie dir
gegeben ist, zeichnest, so werden die rechtschaffenen Weisen in Meinem Namen schon ohnehin alles herausfinden, was hier alles geschah und weshalb, und du ersparst dir eine große und unnötige Mühe. So denn, Mein geliebtester Bruder, mache dir deine Arbeit bequem, und du wirst
dennoch der erste Zeichner Meiner Lehren und Taten verbleiben immerdar.« [GEJ.01_034,03] Johannes küßt Mich auf die Brust, und wir begeben uns an der Seite des Weibes und des Arztes in die
Stadt und da in das Haus Josephs, da es schon recht dunkel ist. [GEJ.01_034,04] Als wir in das
wirklich große Haus kommen, findet das Weib in ihrem Hause eine Zubereitung für Meine Beherbergung, wie sie von einer ähnlichen noch nie eine Ahnung hatte! Denn es stehen eine rechte
Menge wohlbesetzter Tische und um die Tische eine rechte Anzahl Stühle; auf jedem Tische stehen
wohlleuchtende Lampen aus edlen Metallen; die Fußböden sind durchaus mit den schönsten Teppichen überzogen, die Wände selbst symmetrisch mit Blumenteppichen behangen, und aus den
schönsten Kristallbechern blinket ein köstlicher Wein den Gästen entgegen! [GEJ.01_034,05] Das
Weib kann sich gar nicht fassen und sagt erst nach einer Weile ihres nimmer enden wollenden
Staunens: »Aber Herr, was hast Du getan?! Hast Du das durch Deine Jünger, die Du vielleicht
heimlich hierher sandtest, herrichten lassen? Woher nahmen sie denn das alles? Ich weiß ja, was
ich habe, von Gold und Silber sicher nichts, und hier strotzt alles von diesen Metallen! Einen kristallenen Becher wie diesen hier habe ich noch nie gesehen, und hier stehen hunderte, von denen
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
jeder 30 Silberlinge wert ist. Dieser Wein, diese Speisen und Früchte, das schöne Brot und die vielen teuersten Teppiche, von denen einer sicher 100 schwere Silbergroschen kostet! O Herr! Sage es
mir Armen doch, ob Du solches alles mitgebracht hast oder ob es hier in der Stadt irgendwo ausgeborgt wurde?« [GEJ.01_034,06] Sage Ich: »Siehe, liebes Weib! Du sagtest draußen am Brunnen
ja, daß dies Haus Mir gehöre. Ich nahm solch eine Schenkung von dir an, und da nun dies Haus
Mein ist, so wäre es ja doch von Mir nicht fein gewesen, so Ich dich als Schenkerin in ein unzierliches Gemach geführt hätte! Sieh, wie da eine Hand die andere wäscht, also ist es denn auch hier;
eine Ehre erfordert die andere! Du schenktest es Mir vollends aus deinem ganzen Herzen, wie es
ehedem war; Ich aber gebe es dir nun wieder also, wie es jetzt eingerichtet ist. Ich meine, daß du
mit diesem Umtausche der Sache ganz zufrieden wirst sein können?! Denn sieh, Ich verstehe Mich
auch so ein wenig auf rechte Zierde und feinen Geschmack! [GEJ.01_034,07] Und Ich sage es dir:
Solches alles habe Ich, so wie alles, auch von Meinem Vater gelernt! Denn die endlos vielen Wohnungen im Hause Meines Vaters sind eben auch voll des höchstbesten Geschmacks und voll der
höchsten Zierden, was du aus dem schon recht wohl entnehmen kannst, so du aufmerksam betrachtest die Blumen der Felder, deren einfachste herrlicher geschmückt ist als Salomo in aller
seiner Königspracht! [GEJ.01_034,08] Wenn der Vater aber schon die Blumen, die nur kurz dauern, also zieret und schmückt, um wie viel mehr wird Er erst Sein Wohnhaus, das im Himmel ist,
zieren und schmücken?! Was aber der Vater tut, das tue auch Ich; denn Ich und der Vater sind im
Grunde des Grundes völlig Eins! Wer Mich annimmt, der nimmt auch den Vater an; denn der Vater ist in Mir, wie Ich im Vater! Wer Mir was tut, der tut es also auch dem Vater; und du kannst
Mir darum nichts geben, das du nicht sobald hundertfältig wieder zurückbekämst! Jetzt weißt du
alles Nötige. [GEJ.01_034,09] Jetzt aber setzen wir uns und nehmen das Abendmahl zu uns, denn
es gibt viele Hungrige und Durstige unter uns. Haben wir unsere Glieder gestärkt, dann erst wollen wir weiter sprechen über diesen Punkt!« [GEJ.01_034,10] Alle setzen sich nun zu Tische, danken und stärken sich dann mit Speise und Trank.
35. In Sichar. – Des Dieners Bericht über die wunderbare Bestellung des Hauses. Des Weibes staunende
Ehrfurcht und Erkenntnis vor dem Herrn. Sein Gebot an sie, zu schweigen, und Seine Liebesorge für
Maria. Die Jünger schauen die Himmel. Nathanaels gutes Bekenntnis. Des Herrn Wink zum Schweigen
vom gottseligen Geheimnis.
[GEJ.01_035,01] Nach dem Mahle nähert sich Mir wieder das Weib, getrauet sich aber kaum zu
reden; denn sie besprach sich während des Mahles mit der Dienerschaft des Arztes, wie solches alles herbeigeschafft worden sei. Und die Dienerschaft sagte: »Liebe Frau, das weiß Gott, wie das
hergegangen ist! Wir haben dabei das wenigste getan; der Arzt tat gar nichts; denn als er kam, da
war schon alles getan. Wir waren vordem, und lange bevor der Arzt kam, mit seinen Sachen beschäftigt, da kam auf einmal ein Jüngling von blendender Schönheit und sagte uns, daß wir dies
und jenes tun sollen, da der Herr dessen bedürfe, und wir taten alles sogleich, was uns der seltene
Jüngling geboten hatte. Aber siehe, es ging das sonderbar zu! Wie wir etwas tun wollten, da war
es schon getan, und wir können dir daher nichts anderes sagen als: hier waltete offenbar Gottes
Allkraft, und der weiße Jüngling muß ein Engel Gottes gewesen sein! Sonst läßt sich die Sache gar
nicht erklären! Der Mensch, der ehedem an deiner Seite zuerst in den großen Speisesaal trat, muß
ein großer Prophet sein, daß ihm die Mächte der Himmel dienen!« [GEJ.01_035,02] Da aber also
das Weib solches von den Dienern vernahm, war sie um desto mutloser und getraute sich kaum
zu reden. Nach einer ziemlich geraumen Weile erst sagte sie mit einer ganz schwachen Stimme:
»Herr! Du bist mehr denn allein der verheißene Messias! Du warst es sicher, Der den Pharao züchtigte, die Israeliten aus Ägypten führte und ihnen vom hohen Sinai die Gesetze donnerte!«
[GEJ.01_035,03] Ich aber sage zu ihr: »Weib! Die Stunde ist noch nicht da, daß solches des Menschen kundgetan würde; darum behalte es vorderhand in deinem Herzen! Mache aber nun, daß die
große Schar, die aus Judäa mit Mir kam, in die Schlafgemächer verteilt werde; du, der Arzt und
Meine Jünger, nun zehn an der Zahl, aber bleibet hier! Dem Weibe aber, das an Meiner Seite saß
und Meines Leibes Mutter ist, weise das reinste Bett an, daß es wohl ruhe; denn sieh, die schon ältliche Mutter hat heute einen starken Weg gemacht und bedarf zu ihrer Stärkung einer guten Ruhe!« [GEJ.01_035,04] Das Weib erfreut sich über die Maßen, in diesem ganz unansehnlichen Weibe
Meine Mutter zu erkennen, und versorgt sie bestens. Und die Maria belobt sie solcher Zärtlichkeit
wegen, empfiehlt ihr aber zugleich, ja alles zu tun, was Ich sagen würde. [GEJ.01_035,05] Als nun
alles zur Ruhe gebracht ist und das Weib und der Arzt nebst den zehn Jüngern allein bei Mir im
Großen Speisesaale sich befinden, sage Ich zu den Jüngern: »Ihr wisset es, wie Ich zu Bethabara in
Galiläa, da Ich euch aufnahm, zu euch sagte: Von nun an werdet ihr die Himmel offen sehen und
die Engel Gottes herniedersteigen zur Erde; und sehet, das geht nun vor euren Augen buchstäblich
159
160
Friedemann Horn
in Erfüllung! Das alles, was ihr hier sehet und was ihr gegessen und getrunken habt, ist nicht von
dieser Erde, sondern durch die Engel Gottes aus den Himmeln hierher geschafft. Nun aber machet
auf eure Augen und sehet, wie viele Engel allda bereit stehen, um Mir zu dienen!« [GEJ.01_035,06]
Da gingen allen die Augen auf, und sie sahen die Massen der Engel, zu Meinen Diensten bereit, aus
den Himmeln niederschweben. – Denn als ihnen die Augen aufgetan wurden, verschwanden des
Hauses Wände, und alle sahen die Himmel offenstehen! [GEJ.01_035,07] Spricht darauf Nathanael: »Ja, Herr, Du bist wahrhaft und getreu! Was Du geredet hast, das geht nun wunderbar in Erfüllung! Wahrlich, wahrlich, Du bist der Sohn des lebendigen Gottes! Mit Abraham sprach Gott
durch Seine Engel; Jakob sah im Traume eine Leiter, über der die Engel auf- und niederstiegen,
aber Jehova sah er nicht, außer einen Engel, der Jehovas Namen hatte gezeichnet in seine Rechte.
Und da Jakob mit ihm stritt, ob er Jehova sei, ward er hinkend durch einen starken Rippenstoß.
Moses sprach mit Jehova; aber er sah nichts denn Feuer und Rauch, und da er sich verbergen
mußte in einer Höhle, weil daselbst Jehova vorüberzöge, durfte er nicht schauen, als bis Jehova
vorübergezogen war. Und als er da nachsah, da ersah er nur noch den Rücken Jehovas; aber darauf mußte er sein Gesicht bedecken mit dreifacher Decke, da es leuchtete mehr denn die Sonne und
es niemand ansehen konnte, ohne zu sterben! Dann war nur noch Elias, der Jehova gewahrte im
sanften Säuseln! Und hier bist Du Selbst nun!« [GEJ.01_035,08] Hier falle Ich dem Nathanael in
die Rede und sage: »Genug, Mein Bruder, die Stunde ist noch nicht da! Nur einer so reinen Seele,
wie da ist die deine, ganz ohne Falsch und Hinterhalt, ist solches zu erschauen möglich. Denn siehe, nicht ein jeder, der Mir folgt, ist wie du. … (9)
36. In Sichar. – Der Herr bedeutet Johannes dem Evangelisten, daß nicht alles zur Aufzeichnung sich
eignet. Verheißung der jetzigen Offenbarung. »Es genügt, daß du glaubst und Mich liebst!« Über den
Messias und sein Reich. Segensworte an den Arzt und das Weib. Joram und Irhael vom Herrn ehelich
verbunden. Der Herr schläft nicht.
[GEJ.01_036,01] Fragt mich darauf Johannes: »Herr, aber dieses muß ich mir doch aufzeichnen!
Das ist mehr als das Zeichen zu Kana! Das ist einmal ein rechtes Zeichen, von wannen Du gekommen bist!« [GEJ.01_036,02] Sage Ich: »Auch das laß du; denn was du zeichnest, ist ein Zeugnis für
die Welt; diese aber hat das Verständnis nicht, daß sie es fassete! Wozu wäre dann solche deine
Mühe? Meinst du, die Welt werde so etwas glauben? Sieh, die hier sind, die glauben es, weil sie es
schauen; die Welt aber, die im Finstern wandelt, würde es nimmer glauben, daß hier solches geschehen; denn die Nacht kann sich unmöglich vorstellen die Werke des Lichtes. Möchtest du ihr
aber erzählen von den Werken des Lichtes, so wird sie dich belachen und dich am Ende zu verspotten anfangen. Also sei es also, daß du in der Zukunft nur das aufzeichnest, was Ich offen vor
aller Welt tue; was Ich aber im geheimen tue, und sei es noch so groß, das zeichne du bloß in dein
Herz, aber nicht auf die glatte Tierhaut! [GEJ.01_036,03] Es wird aber schon einmal eine Zeit
kommen, in der alle diese geheimen Dinge sollen der Welt geoffenbart werden, aber es werden
vorher noch gar viele Bäume ihr unreifes Obst von ihren Zweigen müssen fallen lassen! Denn siehe, die Bäume haben viel angesetzt, und es wird von dem wohl kaum ein Drittel zur Reife gelangen! Aber die zwei abgefallenen Drittel werden eher zertreten werden müssen und verfaulen und
verdorren, daß ein Regen sie dann auflöse und in den Stamm treibe ein mächtiger Wind zur zweiten Geburt!« [GEJ.01_036,04] Sagt Johannes: »Herr, das ist zu tief, wer kann es fassen?«
[GEJ.01_036,05] Sage Ich: »Es ist dies auch gar nicht nötig, es ist genug, daß du glaubst und Mich
liebst, das tiefere Verständnis alles dessen wird schon kommen, so der Geist der Wahrheit über
euch wird ausgegossen werden. Bevor aber das geschehen wird, werden aus euch trotz aller dieser Zeichen sich noch manche stoßen an Mir und an Meinem Namen! [GEJ.01_036,06] Denn ihr
habt alle noch einen ganz unrichtigen Begriff vom Messias und Seinem Reiche, und es wird viel
brauchen, bis ihr da ins klare kommen werdet. [GEJ.01_036,07] Denn des Messias Reich wird
nicht sein ein Reich dieser Welt, sondern ein Reich des Geistes und der Wahrheit im Reiche Meines
Vaters ewig, und es wird dessen nimmer ein Ende sein fürder und fürder! Wer in dieses Reich aufgenommen wird, der wird haben das ewige Leben und dieses Leben wird sein eine Seligkeit, von
der noch nie jemand etwas gesehen, gehört und in seinem Herzen empfunden hat!«
[GEJ.01_036,08] Sagt Petrus, der lange geschwiegen hatte: »Herr, wer wohl wird dann solch einer
Seligkeit fähig werden?« [GEJ.01_036,09] Sage Ich: »Lieber Freund, siehe, heute ist es schon spät,
und unsere Leiber bedürfen der Ruhe, auf daß sie morgen stark seien zur Arbeit! Deshalb wollen
wir den heutigen Tag beschließen und morgen im guten Lichte wandeln. Suche sich daher ein jeder seinen Ruheplatz und ruhe sich darauf vollends aus; denn morgen werden wir viel zu tun bekommen!« [GEJ.01_036,10] Auf das kommt ein jeder wieder in seinen Naturzustand und sieht
wieder des Saales Wände, neben denen sehr gute Ruhelager, eine Art Diwane, zierlich gestellt
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
161
sind. Die Jünger, von denen einige sehr müde sind, danken und legen sich sogleich nieder.
[GEJ.01_036,11] Nur Ich, der Arzt und das Weib bleiben noch wach. Als die Jünger bald fest schlafen, da fallen beide vor Mir auf ihre Knie nieder und danken Mir inbrünstigst für solche unaussprechlich große Gnaden, die Ich ihnen und ihrem ganzen Hause erwiesen habe. Zugleich aber
bitten sie Mich, ob Ich es nicht gestattete, daß sie sich Mir anschlössen und Mir folgen dürften.
[GEJ.01_036,12] Ich aber sage zu ihnen: »Es ist dies nicht nötig um eurer Seligkeit willen. So ihr
Mir aber schon folgen wollt, da ist es genug, daß ihr Mir folget in euren Herzen! Ihr sollet aber
hier in diesem Lande als Meine Zeugen verbleiben! Denn es werden da in kurzer Zeit gar viele
Zweifler aufstehen und zu euch kommen; diesen sollet ihr dann ein gutes Zeugnis geben von Mir.
[GEJ.01_036,13] Und du, Mein lieber Joram, sollst von nun an ein vollkommener Arzt sein! Dem
du deine Hände auflegen wirst in Meinem Namen, mit dem soll es sogleich besser werden, wie
krank er auch immer sei. Zugleich aber müßt ihr miteinander in eine vollkommene und unauflösliche Ehe treten; denn also wäre euer Beisammenleben ein Ärgernis den Blinden, die nur aufs Äußere sehen und vom Inneren keine Ahnung haben. [GEJ.01_036,14] Du, Joram, brauchst dich nun
nicht mehr zu fürchten vor Irhael; denn sie ist nun vollkommen gesund an Leib und Seele. Und du,
Irhael, hast an Joram einen Mann aus den Himmeln und sollst mit ihm vollends glücklich sein;
denn er ist nicht ein Geist aus der Erde, sondern ein Geist von oben herab.« [GEJ.01_036,15] Sagt
das Weib: »O Jehova, wie gut bist Du! Wann aber wäre es Dein Wille, daß wir uns öffentlich verbänden vor den Augen der Welt?«
Wie nun das Lorber zuteil gewordene Diktat diese Zweitages-Lücke ausfüllt, ist beachtlich.
Rein umfangmäßig sind es 330'000 Anschläge, das heißt das Zweidreiviertelfache des ganzen
biblischen Evangeliums. Wer sich gläubig dem ersten Eindruck überläßt, muß sich fast
zwangsläufig die Meinung bilden, hier spreche niemand anders als der Herr selbst. Der Einwand, ein einigermaßen phantasiebegabter, dichterischer Mensch könne aufgrund seiner
Kenntnis der Evangelien und anderer alter Schriften genügend vorbringen, was denselben
Eindruck der Unmittelbarkeit erwecke — man denke nur an Thomas Manns dreibändige »Josephsgeschichten«, deren biblische Basis noch viel schmäler ist —‚ scheitert schon an der
nachweislichen Tatsache, daß Lorber das alles fehlerfrei und ohne je zu stocken einfach so
herunterschrieb. Einwandfreie Zeugen, die gelegentlich bei diesen Diktaten zugegen sein
konnten, waren bereit, ihre Hand dafür ins Feuer zu legen. Der Zustand der Originalmanuskripte, die wir (wenngleich nur kurz) einsehen konnten, spricht zudem eine deutliche Sprache. Natürlich wäre es denkbar, daß diese Manuskripte in Wirklichkeit Reinschriften der
ursprünglichen Sudel darstellen, aber wer den ungeheuren Umfang und den dadurch bedingten Zeitaufwand für eine Reinschrift bedenkt, wird den Gedanken ins Reich der allzu bequemen Ausreden verweisen müssen. Für uns besteht kein Zweifel: Lorber hat sich das alles
nicht selbst ausgedacht. Nur: wer hat es ihm diktiert, wenn nicht der Herr?
Angesichts dieses Zitats versteht man die Bemerkung eines Kenners des Lorberwerkes in
seinem sehr zustimmenden Artikel »Der Schreibknecht Gottes«, das GEJ sei »wie ein Romanwerk lesbar« (»Esotera« 2/1976. Seite 121).
Obwohl anhand dieser umfangreichen Zitate schon gewisse Zweifel hinsichtlich der Autorschaft des Herrn selbst auftauchen, läßt sich die Frage doch noch nicht eindeutig genug beantworten. Recht unwahrscheinlich klingt etwa der Ausruf des Weibes am Schluß: »O Jehova,
wie gut bist du!« Denn erstens: Welcher Jude — und die Samarier sind trotz ihrer Sonderstellung Juden — hätte es wohl gewagt, den heiligen Gottesnamen auszusprechen? Es galt als ein
besonders fluchwürdiges Vergehen. Den Beweis haben wir im Neuen Testament, ohne daß es
uns gewöhnlich bewußt wird, vor Augen: in allen Zitaten aus dem Alten Testament tritt anstelle des hochheiligen und daher ja nicht zu entweihenden Gottesnamens der verhüllende Name
»Kyrios«, Herr (hebräisch-aramäisch »adonai«). Und zweitens: Nicht einmal die Jünger haben
den Messias in so eindeutiger Form mit dem Unnennbaren gleichgesetzt. Darauf werden wir
unten noch ausführlich zu sprechen kommen. Einstweilen begnügen wir uns mit diesen
wenigen Andeutungen und überlassen es dem Leser, wie er die Zitate mit seinem Bilde von
Jesus vereinbaren will.
162
Friedemann Horn
Beweise dafür, daß nicht durchwegs der Herr selbst Lorber diktiert
Wir deuteten schon an, daß die Nachprüfung nur gelingen kann, wenn sie sich auf konkrete
geschichtliche oder faktische Gegebenheiten stützen kann. Alle anderen Einwände können gar
zu leicht als »Auffassungssache« abgetan werden. Sollte sich also zeigen, daß sich der Lorber
Diktierende in solchen nachweislichen Gegebenheiten irrt, so ist er nicht — oder doch nicht
durchgehend — der Herr, und wenn er sich auch als solcher ausgibt und alle sich auf ihn beziehenden Fürwörter zum Ausdruck der Ihm gebührenden Ehrfurcht groß schreiben läßt.
Tatsächlich gibt es eine Reihe von Behauptungen in den angeblich vom Herrn selbst stammenden Diktaten, die nachweislich falsch sind. Bei einigen derselben handelt es sich um
verhältnismäßig unwichtige Dinge, aber im Zusammenhang mit der erwähnten Forderung,
Gott dürfe sich nicht irren, sind sie doch von ausschlaggebender Bedeutung. Unser erstes
Beispiel:
Bei der Auslegung von Joh 2,13 »und der Juden Ostern war nahe, und Jesus zog hinauf nach
Jerusalem« lesen wir bei Lorber:
[GEJ.01_012,06] Es war aber ohnehin das Osterfest der Juden herangekommen, und ich zog dann
mit allen, die bei Mir waren, hinauf nach Jerusalem. Aber man stelle sich das Osterfest der eigentlichen Juden nicht in der Zeit vor, wie sie nun in dieser Zeit in den verschiedenen christlichen Gemeinden für dies ähnliche Fest bestimmt wird, manchmal schon sogar im Monat März, sondern
um nahe ein ganzes Vierteljahr später hinaus! Denn bei dem Osterfeste ward für des Jahres erste Fechsung (österreichisch für Ernte), die in Gerste, Korn und Weizen bestand, dem Jehova gedankt, und man
aß da schon das neue Brot, das aber nach dem Gesetze ungesäuert war, und niemand in dem Lande
durfte in dieser Zeit ein gesäuertes Brot essen. [GEJ.01_012,07] Es konnte daher dieses Fest der ungesäuerten Brote erst dann stattfinden, wenn das neugeerntete Getreide schon zu Mehl gemacht werden konnte, nicht aber in einer Zeit, in der das Getreide sozusagen erst gesät wird. Es wird zwar das
Getreide in Judäa wohl, wenn das Jahr gut dienet, um 14-20 Tage eher reif als hier; aber vor Ende
des Monats Mai wird das Korn und der Weizen sogar in Ägypten selten ganz hereingebracht, geschweige in Judäa, allda es schon bedeutend kühler ist als in Ägypten.
Hier haben wir es mit konkreten Angaben zu tun, die sich recht einfach nachprüfen lassen.
Der entscheidende Punkt ist die Behauptung, die wir daher im Druck hervorgehoben haben,
bei den Juden habe das Osterfest als Fest der Erstlingsernte nahezu ein Vierteljahr später
stattgefunden als bei den heutigen Christen. Unser Zitat ist deshalb so ausführlich, weil wir
zeigen wollten, daß es sich dabei nicht um irgendeine unwichtige Randbemerkung handelt, die
schließlich auch auf einen Hör- oder Schreibfehler Lorbers zurückgeführt werden könnte,
sondern um eine wohlbegründete und darum auch im ersten Augenblick plausibel klingende
Feststellung. — Nur stimmt sie leider nicht! Weder liegt das jüdische Osterfest nahezu drei
Monate später als das christliche, noch ist es das Fest der Erstlings-Ernte, wie zur Begründung angeführt wird. Jeder Bibelleser kann wissen, daß der Tag, an dem (etwa ab 12 Uhr mittags) im Tempel zu Jerusalem das Oster- oder Passah-Lamm geschlachtet wurde, der 14.
Nisan war. Verzehrt wurde das Lamm etwa 7 Stunden später in den einzelnen Familien, d. h.
am 15. Nisan gegen 19 Uhr (man halte sich vor Augen, daß bei den Juden der Tag bereits gegen 18 Uhr abends begann). Der Monat Nisan aber ist der Frühlingsmonat, welcher, auf unsere Monatseinteilung bezogen, etwa zwischen Mitte März und Mitte April zu denken ist. Daher
kommt es vor, daß das christliche Osterfest, weil es auf den ersten Sonntag nach dem ersten
Frühlings-Vollmond festgelegt wurde, dieser aber von Jahr zu Jahr starken Schwankungen
unterliegt, sogar nach dem jüdischen Osterfest liegen kann. Natürlich gab es da noch keine
Erstlingsfrüchte zu ernten. Aber das Fest der Erstlingsfrüchte war auch nicht Ostern, sondern
Pfingsten, 50 Tage später! Mit anderen Worten: Hier liegt eine Verwechslung vor.
Da aber irren menschlich, nicht göttlich ist, kann das behandelte Zitat nicht vom Herrn stammen. Schon mit diesem ersten Beispiel ist also unsere Frage im Prinzip beantwortet und damit zugleich der entscheidende Durchbruch erzielt: Der Leser muß die Lorberschriften nicht
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
163
als durchgängig göttliche Offenbarung annehmen. Er darf auch ihnen gegenüber »prüfen und
das Gute behalten.« Weitere Belege im nächsten Heft!
Von wem stammen Lorbers Diktate? Eine sehr vorläufige Antwort
Wenn aber das fragliche Zitat kein Vaterwort, sondern nur ein »Vaterwort« (in Anführungszeichen) ist — von wem stammt es dann? Lorber scheidet aus den genannten Gründen aus. Allenfalls könnte man sein »Unbewußtes« dafür verantwortlich machen, irgendwann etwa konnte
Lorber sich diese irrtümliche Meinung über das jüdische Osterfest gebildet haben, um sie hier
nun — unbewußt — als »göttliches Zitat« wieder von sich zu geben. Aber dann wären möglicherweise alle Lorber-Schriften nichts als Äußerungen seines Unbewußten. Eine solche Erklärung scheidet unseres Erachtens schon deshalb aus, weil sie an der Tatsache vorbeigeht,
daß in den besagten Schriften nicht allein wahre Goldkörner an tiefen Wahrheiten und verblüffenden Durchblicken enthalten sind, sondern auch eine erkleckliche Zahl von erstaunlichen
Vorwegnahmen neuer und neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse69. So halten wir es für
wesentlich wahrscheinlicher, daß Lorber tatsächlich nach dem Diktat einer überirdischen
Macht geschrieben hat. Dabei mag es gelegentlich ähnlich zugegangen sein, wie bei den Propheten des Alten Bundes, von denen ja auch immer wieder gesagt wurde, sie hätten die Stimme oder das Wort des Herrn vernommen und verkündet. Tatsächlich berichtet aber die Bibel in
vielen Fällen, daß nicht der Herr in eigener Person, sondern durch einen Engel, den er mit
seinem Geist erfüllte, also indirekt zum Propheten sprach.70
[4. Teil: OT (1976) 65-66, 103-112]
Offenbarungskritik ist, zumal solange sie nicht am Ziel ist, ein undankbares Geschäft. Das hat
die Reaktion einiger Leser auf das bisher Gesagte deutlich gemacht. Ließe sich hingegen alles
auf einmal sagen, das aus Licht und Schatten zusammengesetzte Ganze von Anfang an sichtbar machen, etwa wie der Maler sein aus Licht und Schatten zusammengesetztes Bild zwar
ebenfalls nach und nach malt, aber nur um es dann dem Auge des Betrachters als Ganzes
darzubieten —‚ so wären Mißverständnisse eher zu vermeiden.
Dem Verfasser bleibt daher nur die Möglichkeit, an die Geduld des Lesers zu appellieren, ihn
zu bitten, mit seinem Urteil zurückzuhalten und zu lesen, was wirklich geschrieben ist, nicht
69
70
Eine interessante Zusammenfassung dieser nicht leicht von der Hand zu weisenden Vorwegnahmen
gibt Kurt Eggenstein in seinem gut dokumentierten Buch: »Der unbekannte Prophet Jakob Lorber — eine Prophezeiung und Mahnung für die nächste Zukunft«. Lorber-Verlag 1973.
[B: »Bei Swedenborg heißt es in den ›Himmlischen Geheimnissen‹ u.a.: ›Alle Offenbarung kommt entweder aus der Rede mit Engeln, durch die der Herr redet, oder aus dem Innewerden … Was diesen Unterschied betrifft, so muß man wissen, daß diejenigen, die im Guten und von daher im Wahren, vor
allem aber diejenigen, die im Guten der Liebe zum Herrn sind, eine Offenbarung aus dem Innewerden
empfangen, während diejenigen, die nicht im Guten und von daher im Wahren sind, zwar Offenbarungen haben können, aber nicht aus dem Innewerden, sondern (nur) durch eine lebendige, in ihnen gehörte Stimme, somit durch Engel vom Herrn. Diese Offenbarung ist eine äußere, jene aber eine inwendige.
Eine Offenbarung aus dem Innewerden … kommt heutzutage kaum mehr vor. Offenbarungen aufgrund
von Stimmen oder auch aufgrund von Gesichten und Träumen ohne Innewerden hatten sehr viele, auch
solche, die nicht im Guten waren. Solcher Art waren auch die meisten Offenbarungen der jüdischen
Propheten. Sie hörten eine Stimme, sahen ein Gesicht und träumten einen Traum. Aber es waren eben
nur wörtliche oder geschaute Offenbarungen, ohne ein Innewerden der Bedeutung. Das echte Innewerden erfolgt nämlich durch den Himmel vom Herrn und regt das Verständnis geistig an und führt es
vernehmbar zum Denken, wie sich eine Sache verhält, zugleich mit einer inneren Zustimmung, von der
der Betreffende aber nicht weiß, woher sie kommt. Er meint, sie sei in ihm und ergebe sich aus dem Zusammenhang der Dinge, doch handelt es sich um eine Einsprache aus dem Himmel vom Herrn in das
Inwendigere seines Denkens …‹ (HG 5121)«]
164
Friedemann Horn
was durch das Geschriebene an Reaktionen in ihm selbst ausgelöst worden ist. Man halte sich
nur einmal folgendes vor Augen: So gut wie jedermann, selbst der engagierteste Gläubige, wird
zugeben, daß Offenbarungskritik schon deshalb unerläßlich ist, weil nicht alle Offenbarungen
gleichzeitig wahr sein können, zu auffällig sind ihre Widersprüche und »Qualitätsunterschiede«. Zudem werden im Namen von Offenbarungen die widersprechendsten Forderungen an die
Gläubigen erhoben. Wer sich aber einmal — vielleicht nach langen Zweifeln und unter großen
Mühen — für eine bestimmte Offenbarung entschieden hat, scheint umso entschlossener,
unter keinen Umständen mehr daran rütteln zu lassen. Jeden Zweifel von anderer Seite empfindet er womöglich als einen persönlichen Angriff oder Verrat am Heiligsten. So kann es
geschehen, daß er auf derartige Kritik ganz unsachlich reagiert und dem Kritiker Motive unterschiebt, die lediglich in seiner eigenen Einbildung bestehen und — ihm unbewußt — vielleicht nur den Zweck haben, seine mangelnde Bereitschaft zur Prüfung der vorgebrachten
Kritik zu entschuldigen.
Nur so kann ich es mir erklären, daß zwar von verschiedenen Lesern Unwille, aber kein einziges Argument geäußert worden ist. Mit der oben erwähnten Notwendigkeit, die Gedanken
zum Thema nacheinander statt miteinander zu entfalten, hängt es nun auch zusammen, daß
die positiven Seiten der Lorberschriften noch kaum zu Wort gekommen sind. Gäbe es sie
nicht, so würde ich sie, diese Schriften kaum als Offenbarungen gelten lassen, und ich hätte
auch nicht auf die enge Verwandtschaft und die breite gemeinsame Basis von Lorber- und
Swedenborg-Anhängern verwiesen, die eine Zusammenarbeit möglich und sinnvoll erscheinen läßt.
Das folgende Zitat aus den Lorberschriften ist ein erstes Beispiel für dieses Positive. Obwohl
logischerweise erst die im letzten Heft angefangene Beweiskette dafür geschlossen werden
müßte, daß nicht immer und überall der Herr selbst durch Lorber gesprochen haben kann, soll
dieses Licht doch schon hier aufgesetzt werden, um bei einigen Lesern dem Eindruck ungerechter und destruktiver Kritik an Lorber entgegenzuwirken. In dem Lorberwerk »Die geistige Sonne« spricht der Apostel Johannes:
[GS.02_013,01] O Brüder und Freunde! Könntet ihr es fassen, was Jesus, dieser Name aller Namen
besaget, was er ist, und welch eine Wirkung in ihm, ihr müßtet ja augenblicklich in eine so mächtige Liebe zu Jesu übergehen, deren Feuer hinreichend wäre, ein ganzes Heer von Sonnen zu entzünden, daß sie darob noch ums Tausendfache heller flammen möchten in ihren endlos weiten
Raumgebieten, als solches bis jetzt der Fall ist. [GS.02_013,02] Ich sage euch: Jesus ist etwas so
unermeßlich — so geistig-wesentlich Großes, daß, wenn dieser Name liebe-geist-lebendigst ausgesprochen wird, die ganze Unendlichkeit von zu großer Ehrfurcht erbebt. — Saget ihr »Gott so nennet ihr zwar auch das allerhöchste Wesen; aber ihr nennet Es in Seiner Unendlichkeit, da Es ist
erfüllend das unendliche All, und wirket mit Seiner unendlichen Kraft von Ewigkeit zu Ewigkeit,
— in dem Namen Jesus aber bezeichnet ihr das vollkommene mächtige, wesenhafte Zentrum Gottes, oder noch deutlicher gesprochen: [GS.02_013,03] Jesus ist der wahrhaftige, allereigentlichste,
wesenhafte Gott als Mensch, aus Dem erst alle Gottheit, welche die Unendlichkeit erfüllt, als der
Geist Seiner unendlichen Macht, Kraft und Gewalt gleich den Strahlen aus der Sonne hervorgeht.
— Jesus ist demnach der Unbegriff der gänzlichen Fülle der Gottheit, oder: in Jesu wohnt die Gottheit in Ihrer allerunendlichsten Fülle wahrhaft körperlich wesenhaft; darum denn auch allezeit
die ganze göttliche Unendlichkeit angeregt wird, wenn dieser unendlich erhabene Name ausgesprochen wird! – [GS.02_013,04] Und dieses ist zugleich auch die unendlichste Gnade des Herrn,
daß Er Sich hat gefallen lassen anzunehmen das Körperlich-Menschliche. Warum aber tat Er dieses? Höret, ich will euch nun ein kleines Geheimnis enthüllen! [GS.02_013,05] Vor der Darniederkunft des Herrn konnte nimmer ein Mensch mit dem eigentlichen Wesen Gottes sprechen;
Niemand konnte Dasselbe je erschauen, ohne dabei das Leben gänzlich zu verlieren, wie es denn
beim Moses heißt: »Gott kann Niemand sehen und leben zugleich!« — Es hat sich zwar der Herr in
der Urkirche, wie auch in der Kirche des Melchisedek, zu der sich Abraham bekannte, öfter persönlich gezeigt, und hat gesprochen mit Seinen Heiligen, und hat Selbst gelehrt seine Kinder; aber
dieser persönliche Herr war eigentlich doch nicht unmittelbar der Herr Selbst, sondern allezeit
nur ein zu dem Zwecke mit dem Geiste Gottes erfüllter Engelsgeist. [GS.02_013,06] Aus solch ei-
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
165
nem Engelsgeiste redete dann der Geist des Herrn also, als wenn es unmittelbar der Herr Selbst
redete — aber in einem solchen Engel war dennoch nie die vollkommenste Fülle des Geistes Gottes
gegenwärtig, sondern nur in so weit als es für den bevorstehenden Zweck nötig war.
[GS.02_013,07] Ihr könnet es glauben: in der Zeit konnten auch nicht einmal die allerreinsten Engel die Gottheit je anders sehen, als ihr da sehet die Sonne am Firmamente; und keiner von den
Engeln hätte es je gewagt, sich die Gottheit unter irgend einem Bilde vorzustellen, wie solches
auch noch unter Moses Zeiten dem israelitischen Volke aufs Strengste geboten wurde, daß es sich
nämlich von Gott kein geschnitztes Bild, also durchaus keine bildliche Vorstellung machen sollte.
— [GS.02_013,08] Aber nun höret: Diesem unendlichen Wesen Gottes hat es einmal wohlgefallen,
und zwar zu einer Zeit, in welcher die Menschen am wenigsten daran dachten, Sich in Seiner ganzen unendlichen Fülle zu vereinen, und in dieser Vereinung anzunehmen die vollkommene
menschliche Natur! — [GS.02_013,09] Nun denket euch: Gott, Den nie ein geschaffenes Auge schaute, kommt als der von der allerunendlichsten Liebe und Weisheit erfüllte Jesus auf die Welt —
[GS.02_013,10] Er, der Unendliche, der Ewige, vor Dessen Hauche Ewigkeiten zerstäuben, wie
lockere Spreu, wandelte auf der Erde und lehrte Seine Geschöpfe, Seine Kinder nicht wie ein Vater,
sondern wie ein Bruder! — [GS.02_013,11] Aber das Alles wäre noch zu wenig; Er, der Allmächtige, läßt Sich sogar verfolgen, gefangen nehmen, und dem Leibe nach töten von Seinen nichtigen
Geschöpfen! — Saget mir: Könnet ihr euch eine unendlich größere Liebe, eine größere Herablassung denken, als diese, die ihr an Jesu kennet?! [GS.02_013,12] Durch diese unbegreifliche — allliebend-erlösende — Tat hat Er alle Dinge des Himmels anders gestaltet; — wohnt Er auch in
Seiner Gnadensonne, aus welcher das Licht allen Himmeln unversiegbar zuströmt, so aber ist Er
dennoch ganz derselbe leibhaftige Jesus, wie Er auf der Erde, in all Seiner göttlichen Fülle gewandelt hat, als ein wahrer Vater und Bruder, als vollkommener Mensch unter Seinen Kindern gegenwärtig; gibt all Seinen Kindern alle Seine Gnade, Liebe und Macht, und leitet sie Selbst
persönlich wesenhaft, endlos mächtig zu wirken in Seiner Ordnung — [GS.02_013,13] Ehedem
war zwischen Gott und den geschaffenen Menschen eine unendliche Kluft; aber in Jesu ist diese
Kluft beinahe völlig aufgehoben worden; denn Er Selbst, wie ihr wisset, hat uns Dieses ja doch
sichtbar angezeigt fürs Erste durch Seine menschliche Darniederkunft, fürs Zweite, daß Er uns
nicht einmal, sondern zu öfteren Malen »Brüder« nannte; fürs Dritte, daß Er mit uns aß und trank,
und alle unsere Beschwerden mit uns trug, zum Vierten, daß Er als der Herr der Unendlichkeit,
sogar der weltlichen Macht Gehorsam leistete, zum Fünften, daß Er Sich hat von weltlicher Macht
gefangen nehmen lassen; zum Sechsten, daß Er Sich sogar durch die weltlich mächtige Intrige hat
ans Kreuz heften und töten lassen; und endlich zum Siebenten, daß Er Selbst durch Seine Allmacht
den Vorhang im Tempel, welcher das Allerheiligste vom Volke trennte, zerrissen hat! —
[GS.02_013,14] Daher ist Er auch der alleinige Weg, das Leben, das Licht und die Wahrheit; Er ist
die Türe, durch welche wir zu Gott gelangen können, d. h. durch diese Türe überschreiten wir die
unendliche Kluft zwischen Gott und uns, und finden da Jesum, den unendlich heiligen Bruder! —
[GS.02_013,15] Ihn, der es also gewollt hat, daß diese Kluft aufgehoben würde, können wir denn
nun doch sicher über alles lieben! [GS.02_013,16] Daher, wie ich gleich Anfangs gesagt habe, genügt zur Erweckung unserer Liebe zu Jesu ja doch sicher schon ein einziger Gedanke; — nur Sein
Name in unseren Herzen ausgesprochen soll ewig genug sein, um in aller Liebe für Ihn zu entbrennen. — Daher sprechet auch ihr in euren Herzen diesen Namen denkend-würdigst aus, und ihr
werdet es selbst erschauen, in welcher Fülle das Feuer der Liebe aus euren Herzen hervorbrechen
wird zu entzünden das Holz des Lebens, durch welches die Heiden genesen sollen an diesem neuen
Opferaltare. –
Wer möchte — zumal aus dem durch Swedenborg erschlossenen Bibelverständnis heraus —
das hier von Lorber Empfangene über die wahre Natur Jesu bestreiten? Dies ist aber nur eins
von vielen Beispielen!
Ehe wir unserer letzten Frage — »von wem stammen Lorbers Diktate?« — auf den Grund gehen
können, wollen wir unsere Behauptung, sie stammten nicht, oder jedenfalls nicht durchgehend, vom Herrn selbst, mit einigen weiteren Beispielen belegen. Diese Behauptung ist nämlich zu wichtig, als daß sie der Gefahr ausgesetzt werden dürfte, durch den vielleicht
berechtigten Vorwurf der Voreiligkeit oder Parteilichkeit entkräftet zu werden.
Es muß leider in diesem Zusammenhang zugegeben werden, daß die meisten bisherigen Versuche, Lorbers Schriften aus der Sicht Swedenborgs zu werten, an diesem Mangel litten. Es
wäre aber ein Mißverständnis, unsere gegenwärtigen Ausführungen als eine solche Wertung
166
Friedemann Horn
Lorbers aus der Sicht Swedenborgs zu verstehen. Unser Standpunkt ist, wie der aufmerksame
Leser schon bemerkt haben wird, der christlich-religionsgeschichtliche.
Die genannte Behauptung ist aber darum so wichtig, weil von ihr abhängt, ob wir Lorbers
Schriften überhaupt kritisch betrachten dürfen. Sollten sie durchgehend Gottes unmittelbar
geoffenbartes Wort sein, so wären sie, streng genommen, über jede menschliche Kritik erhaben und verlangten von uns lediglich die Bereitschaft zur Annahme und verständnisvollen
Erfassung.
Da nun andere Offenbarer, vor allem auch Swedenborg, nicht den Anspruch erhoben haben,
alle ihre Offenbarungen stammten unmittelbar und ausnahmslos aus dem Munde des Herrn
selbst, so müßten sie, sobald ihre Aussagen zu den durch Lorber vermittelten in Widerspruch
treten, von vorneherein den kürzeren ziehen. Aber nicht nur sie, sondern auch weite Teile der
Bibel, insbesondere der Evangelien, müßten sich im Fall von Widersprüchen eine Korrektur
durch die Lorberschriften gefallen lassen. Darum also ist die Frage, ob diese Schriften durchgehend vom Herrn selbst diktiert worden sind, von größter Wichtigkeit.
Aber es sei nochmals betont, daß eine Verneinung in unseren Augen keineswegs einer Leugnung des Offenbarungscharakters der Lorberschriften gleichkommt. Wäre dem so, dann wäre
es ja auch um den Offenbarungscharakter der Schriften Swedenborgs geschehen, an dem wir
bei aller Bereitschaft zur Diskussion über gewisse Aspekte derselben mit Überzeugung festhalten.
Weitere Beispiele
Zunächst noch einige Beispiele dafür, daß jedenfalls nicht an allen Stellen der Lorberschriften,
in denen dem Buchstaben nach der Herr selbst spricht, dies auch tatsächlich der Fall ist (was
NB nicht heißt, daß der Anspruch, durch Lorber habe der Herr selbst gesprochen, grundsätzlich zurückzuweisen sei!):
1. In einer galiläischen Ortschaft namens Kis hat Jesus 200 Kranke auf wunderbare Weise
geheilt. Unter Androhung schlimmer Folgen verbietet er ihnen, irgendwelchen Fremden davon
zu erzählen und ihn »sogestaltig vor der Zeit [zu] verraten« [GEJ.01_216,09]. Das erinnert
unmittelbar an die Stelle bei Matthäus 12,14ff., wo es heißt: »Und er bedrohte sie, sie sollten
ihn nicht kundbar machen« (Vers 16; H. Menge übersetzt: »er gab ihnen die strenge Weisung,
sie sollten Stillschweigen über ihn bewahren«). Auf den ersten Blick spricht dies für eine
vollkommene Harmonie zwischen dem GEJ und den biblischen Evangelien. Anders aber als in
den Evangelien, wo Jesus zu diesem Zeitpunkt sein Inkognito im Grunde noch nicht gelüftet
hat und noch lange nicht lüften wird, erscheint diese Forderung des Herrn bei Lorber schon
deshalb in einem merkwürdigen Licht, weil er selbst schon überall, sogar bei den führenden
Kreisen in Jerusalem, keinen Zweifel daran gelassen hat, daß er der Verheißene, ja sogar der
»Herr von Ewigkeit« selbst, sei. Was ist also dann noch zu »verraten«?
2. In diesem Zusammenhang noch eine interessante Einzelheit: Matthäus und Johannes sind,
dem GEJ zufolge, die beiden vom Herrn selbst eingesetzten Schreiber, die jeweils das aufzuschreiben haben, was er ihnen bedeutet. Nachdem sie Zeuge des erwähnten großartigen Wunders und der daran anschließenden Offenbarungen waren, fragen sie ihn, ob sie das nun
notieren sollen. Jesus untersagt es ihnen. Johannes kann das nicht so ohne weiteres akzeptieren. Er denkt vor allem an die künftigen Geschlechter und fragt:
[GEJ.01_216,11] »Aber Herr, Du meine reinste Liebe! Es wäre schon wohl alles recht; aber so mit
der Zeit einst die Welt gar lückenhafte Urdokumente von Deinem Hiersein und Wirken auf dieser
Welt überkommt, so wird sie am Ende ja notwendig in alle Zweifel über Dich, Dein Sein und Wirken übergehen und solche Bruchstücke für Werke priesterlichen Eigennutzes ansehen!«
Darauf erwidert der Herr:
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
167
[GEJ.01_216,12] »Das ist aber eben das, was Ich für die eigentliche Welt, die ein Haus des Satans
ist, haben will; denn ob ihr einer Sau Maiskörner oder die edelsten Perlen vorwerfet, so wird sie
den Perlen dennoch gerade das tun, was sie tut den Maiskörnern … [GEJ.01_216,14] Wenn es aber
einst vonnöten sein wird, so werde ich schon von neuem Menschen erwecken und werde ihnen
kundgeben alles, was hier geschehen ist … [GEJ.01_216,15] Wie aber das alles geschehen wird,
das werde Ich dir, du Mein Bruder Johannes, nachdem Ich wieder in Meinen Himmeln wohnen
werde, noch in dieser Welt in verhüllten Bildern offenbaren!« (Hier wird zuerst auf die »Neuoffenbarung« durch Lorber angespielt, dann auf die Johannes-Apokalypse; FH).
Warum kann das der Herr, jedenfalls so, nicht gesagt haben? Sicher ist einmal, daß er den
Jüngern gegenüber nicht von »Maiskörnern« gesprochen hat, denn der Mais war damals in
Palästina völlig unbekannt. Diese Tatsache würde zwar nicht ausschließen, daß der Herr, als
Schöpfer aller Dinge, also auch des Maises, mit dem Worte einen Begriff verbinden konnte, es
schließt aber aus, daß die Jünger dies konnten. Da es sich aber hier um ein Gleichnisbild handelt, wäre dies eben doch der Sinn der Erwähnung jener Frucht. Es liegt vielmehr auf der
Hand: das Gleichnis von den Säuen, die nicht zwischen Perlen und Mais unterscheiden, wendet sich statt an die Jünger, an die Leser der Lorberschriften, denen diese Frucht im Gegensatz
zu den Jüngern wohlbekannt war.
Das bedeutet aber zum mindesten: Die Behauptung, der Herr habe das zu seinen Jüngern, zu
Matthäus, Johannes und den anderen gesprochen, wie man es liest, ist nachweislich falsch.
Kann es aber wenigstens inhaltlich vom Herrn stammen? Auch das halten wir für ausgeschlossen. Die Gleichnisse nämlich, die uns das Neue Testament von Jesus überliefert, sind
ausnahmslos »stimmig«. Gerade das aber kann man von dem hier durch Lorber übermittelten
Gleichnis nicht sagen, und zwar aus einem sehr einleuchtenden Grund: Im neutestamentlichen Gleichniswort (Matth 7,6) — »werfet eure Perlen nicht vor die Säue« — liegt mit Recht nur
drin, daß die Säue die Perlen »mit ihren Füßen zertreten«; denn Perlen sind eben für Säue, die
bekanntlich »alles« fressen, ungenießbar. Wirft man ihnen aber Mais und Perlen zu, so werden
sie sehr wohl zwischen ihnen unterscheiden können und sie keineswegs gleich behandeln,
wie Jesus im GEJ sagt: die Perlen vielmehr werden sie zertreten, den Mais aber fressen.
Mit anderen Worten, das Gleichnis »hinkt«. Das ist zwar bei vielen Gleichnissen der Fall — nur
nicht bei denen des Herrn!
3. Aber diese Einzelheit könnte man ebenso übergehen, wie die naturgeschichtlich unhaltbare
Bemerkung im Zusammenhang mit der Auslegung von Ev. Joh. 2,2, die Heuschrecken, von
denen der Täufer gelebt habe, seien einer »taubengroßen Gattung« [GEJ.01_010,07] zugehörig
gewesen, »die so wie hierzulande (d. h. im Österreich Lorbers) die Krebse zubereitet und gegessen werden« — wenn nicht noch ein ganz anderer, viel grundsätzlicherer Fehler in dieser
Geschichte steckte:
Johannes denkt nämlich offensichtlich schon an die Zeit nach Jesu Tod – für die Nachwelt will
er diese denkwürdigen Ereignisse und Reden aufzeichnen, und er sorgt, daß die vom Herrn
verlangte Bruchstückhaftigkeit seiner Aufzeichnungen den Unglauben fördern werde. Jesus
erklärt ihm jedoch, daß gerade die Bruchstückhaftigkeit seines Berichts dem satanischen
Zustand der Welt der Zukunft angemessen sein werde. Nun ist aber klar und eindeutig aus
den Evangelien zu ersehen, daß die Jünger eben gerade nicht damit rechneten, daß es eine
solche Nachwelt überhaupt geben werde. Für sie war der Herr der Messias, der das Reich
Gottes mitten unter ihnen errichten und damit eine völlige Umgestaltung aller Dinge und
menschlichen Verhältnisse heraufführen werde. Aus diesem Grunde konnten sie auch Jesu
wiederholte Leidens- und Todes-weissagungen nicht verstehen bzw. ertragen (Petrus: »Herr,
das geschehe Dir nur nicht!«, Matth 16,22; »sie aber verstanden davon nichts, und die Rede
war ihnen verborgen; sie wußten nicht, was da gesagt ward«, so reagieren die Jünger bei Luk
18,34 noch nach der dritten und letzten Leidensweissagung). Wenn überhaupt die Gedanken
168
Friedemann Horn
der Jünger über die unsagbare Herrlichkeit der Gegenwart des Herrn unter ihnen hinaus in die
Zukunft gingen, so jedenfalls nicht in eine solche ohne die sichtbare Gegenwart des Herrn. Die
Vorstellung eines sterbenden Messias und eines Weiterbestandes der alten sündigen Welt
nach seinem Tode, die es dann durch einen möglichst genauen Bericht über den Erdenwandel
des Herrn zu bekehren gelte, lag völlig außerhalb ihres Denkens. — Wie wollte man sich sonst
ihr Auseinanderstieben und fassungsloses Entsetzen beim Tode des Herrn erklären? Lukas
hat daher sicher recht mit seiner angeführten Bemerkung: »Sie wußten nicht, was da gesagt
ward«, als Jesus ihnen sein unmittelbar bevorstehendes Leiden und Sterben ankündigte.
4. Ein weiteres Beispiel finden wir ungefähr in demselben Sachzusammenhang: Einer der
Zeugen des Wunders der Heilung der 200 Kranken von Kis ist ein griechischer Stoiker namens Philopold (bei dem wenig echt klingenden Namen ist man, wie in vielen ähnlichen Fällen, geneigt, an einen »Hörfehler« Lorbers zu denken). Er gibt sich zunächst völlig
unbeeindruckt und führt sogar höchst aufsässige Reden gegen den Herrn. Dies veranlaßt
schließlich den Matthäus zu der Bemerkung:
[GEJ.01_212,13] »Solcher Menschen mehr auf der Erde, und Satan hat eine Schule, in der er selbst
noch hundert Jahre lang in die Schule gehen kann! Herr, was ist mit dem zu machen? Wenn er
wirklich also ist, wie er spricht, so richten alle Engel nichts mit ihm aus auf einem natürlichen
Wege!«
Darauf antwortet ihm der Herr:
[GEJ.01_213,01] »Laß das nur gut sein; du wirst dich bald überzeugen, ob aus diesem was zu machen ist!«
Angesichts des nun Folgenden ist man versucht auszurufen: »Und ob!« Zunächst einmal
wäscht Jesus dem Widerspenstigen gründlich den Kopf. Hatte Philopold seine Zuhörer mit
dem Argument, er habe Gott nicht darum gebeten, ihn in diese schnöde Welt zu setzen, schulde ihm daher auch nicht die geringste Dankbarkeit, verblüfft (in Wirklichkeit ist dies freilich
eines der beliebtesten und zugleich faden scheinigsten Argumente der Atheisten aller Zeiten),
so zieht ihm nun der Herr im Handumdrehen den Boden unter den Füßen weg, indem er ihm
erklärt und schließlich auch beweist, daß er nur vergessen habe, daß er einst aus freien Stücken in die ihm von Gott vor seiner Einkörperung auf dieser Erde vor Augen gestellten harten
Bedingungen eingewilligt habe. Die interessante Stelle lautet:
[GEJ.01_213,01] »Meinst du wohl, daß du mit Gott, deinem Schöpfer, zuvor keinen Kontrakt gemacht hast und nicht eingegangen bist in alle dir oft vorgehaltenen Bedingungen, die fürs Leben
auf diesem Planeten überaus nötig sind? Siehe, Tor, das ist bereits der zwanzigste Weltkörper, auf
dem du leiblich lebst; dein gesamtes fleischliches Alter beträgt schon an Jahren dieser Erde eine
solch große Zahl, die die Zahl des feinsten Sandes in allen Meeren der Erde bei weitem übertrifft!
Welch eine, für keinen im Leibe wandelnden Menschen möglich denkbare, nahe endlose Zeitdauer
aber bestandest du als ein reiner Geist im vollsten Sein und klarsten Selbstbewußtsein, im endlosen Raume mit zahllosen anderen Geistern freiest lebend und das freieste Leben in aller Kraft
hoch und wohl genießend!«
Philopold ist also eine uralte Seele, teils, ja überwiegend als »reiner Geist freiest lebend und
das freieste Leben in aller Kraft hoch und wohl genießend«, teils als leiblicher Mensch auf
zwanzig verschiedenen Weltkörpern. Nun gut, wird man sagen, wer kann schon dem Herrn
widersprechen? Auch die Inder behaupten ja ähnliches. Aber die gigantische Lebenszeit, die
nur in einem Bilde angedeutet wird, fordert doch den »rechnenden Verstand« geradezu heraus:
Philopold soll auf zwanzig verschiedenen Weltkörpern (was nicht unbedingt heißt: Erdkörpern; denn auch Sonnen, so zeigt sich, hat Ph. schon bewohnt) insgesamt eine Zeit in einem
Leibe gelebt haben, die, in irdischen Jahren gemessen, »der Zahl des feinsten Sandes in allen
Meeren der Erde« nicht nur nahe oder gleich kommt, sondern sie sogar noch »bei weitem
übertrifft«.
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
169
Das Lexikon sagt, daß man unter Sand durch Verwitterung entstandene, lose Mineralkörnchen
von 0,002 bis 2 mm Durchmesser zu verstehen habe. »Fein-Sand« — also nicht einmal der
»feinste Sand« — hat Durchmesser von 0,02 bis 0,2 mm. Man darf also annehmen, daß schon
allein auf einen Liter mindestens 1 Milliarde (10 8) Körner mit einem Durchmesser von 0,1
mm gehen. Ein einziger km 3 Sand und das ist fast ein Nichts im Verhältnis zum Sand »aller
Meere der Erde — würde danach 1 Trillion (10 18) Körner nicht einmal des feinsten Sandes
fassen. Wir könnten die Rechnung fortsetzen, doch schon jetzt sehen wir: eine größere Übertreibung ist kaum möglich. Selbst wenn es stimmte, daß Philopold bereits auf 20 verschiedenen Weltkörpern gelebt hätte, jedes dieser Leben mit 100 Jahren angenommen, ergäbe »nur«
2000; angenommen, auf anderen Planeten, was an anderer Stelle des GEJ als möglich angedeutet wird, lebte man 10'000 Jahre, so ergäben sich 200'000; und selbst angenommen, er
wäre auf diesen 20 Planeten schon je 1000 mal eingekörpert gewesen, und jedesmal 10'000
Jahre lang, so ergäbe das ein Total von 200'000'000 (entsprechend 200 cm 3 feinen Sandes),
ein Bruchteil dessen, was in einem einzigen Eimerchen Platz hat, wie Kinder sie am Meer
oder auf dem Spielplatz verwenden …71
Kann man dem Herrn die Neigung zu derartigen Übertreibungen zutrauen? Die Evangelien
jedenfalls haben nichts dergleichen überliefert!
Man wird vielleicht einwenden, bei dem beim Wort genommenen Ausspruch der Stimme, die
sich für den Herrn ausgibt, handle es sich doch nur um eine bildhafte Redeweise. Man sage ja
auch, irgendeine Menge sei »wie der Sand am Meer«, wenn man plastisch ausdrücken volle,
daß sie unzählbar und alle Vorstellungen überfliegend sei. Aber hier handelt es sich doch um
mehr als plastische Redeweise. Man muß diese Äußerung vielmehr auf dem Hintergrund
jener geradezu ungeheuerlichen, auch die heutigen »wissenschaftlichen« Vorstellungen unserer Tage noch weit hinter sich lassenden zeitlichen und räumlichen Ausdehnung sehen, die
der Kosmos, den Lorberschriften zufolge, aufweist. Und Jesus sagt an der zitierten Stelle ja
nicht einfach: »dein gesamtes fleischliches Alter ist schon an Jahren dieser Erde wie der Sand
am Meer«. Das könnte man im genannten Sinne als plastische Ausdrucksweise gelten lassen.
Er sagt vielmehr: »sie beträgt eine solch große Zahl, die die Zahl des feinsten Sandes in allen
Meeren der Erde bei weitem übertrifft!« Das heißt, er meint wirklich, was er sagt — und wenn
man das dahinter stehende Weltbild kennt, erscheint es sogar als möglich.
In Band II des GEJ (231) sagt der »Herr« zu seinen Nachfolgern:
[GEJ.02_231,02] »Siehe, es gibt im endlosesten Schöpfungsraume gewisse Ur- und somit Hauptmittelsonnen, die wegen ihrer zu großen Entfernung von hier, obschon sie unaussprechlich viele
Male größer sind als diese Erde, kaum als nur kleine glitzernde Pünktlein gesehen werden — und
71
Wie haarsträubend die Übertreibung ist, zeigt auch noch folgende Überlegung: Angenommen, menschliches Leben habe es seit 1,2 Millionen Jahren auf Erden gegeben, so entspräche das nach allgemein üblicher Berechnung etwa 40000 Generationen zu je 30 Jahren. Nimmt man als Durchschnitt 100
Millionen Menschen pro Generation an, so kommt man auf die Gesamtzahl von 4 Billionen (=4012)
Menschen, die je gelebt haben. Nimmt man - wiederum sehr großzügig - das Durchschnittalter des
Menschen dieses langen Zeitraums mit 40 Jahren an, so kommt man auf die Zahl von 160 Billionen (=
1613) Jahren als Lebenszeit aller irdischen Menschen zusammengenommen. Das ist aber im Vergleich
zu den Körnern auch nur eines einzigen km3 Sand eine verschwindend kleine Zahl, entspricht sie doch
gerade den Körnern von 16 m3 … Man sieht, wie ungeheuerlich die Übertreibung auf jeden Fall ist. Da
ein Kubikkilometer 1 Milliarde Kubikmeter umfaßt, wären 16 m 3 davon der 6,25 Millionste Teil. Und
das wäre das Verhältnis der Lebensjahre aller Menschen, die je auf unserem Planeten gelebt haben, zu
einem einzigen Kubikkilometer Sand! Mithin brauchte es die Lebensjahre von 6,25 Millionen Menschheiten gleich der unseren, um auch nur der Zahl der Sandkörner eines km3 zu entsprechen. Aber das ist
nur eine schwache Annäherung an das, was das angebliche Wort des Herrn in sich schließt, wonach ja
Philopolds leibliche Lebensjahre »bei weitem die Zahl des feinsten Sandes in allen Meeren der Welt«
überträfen. Welche astronomische Zahl von Kubikkilometern müßte man wohl dafür einsetzen?
170
Friedemann Horn
das nur von Menschen, die sehr scharfe Augen haben! Diese Ursonnen haben ungefähr das Alter,
wie die Periode vom Falle der Urgeister bis auf diese Zeiten herab. Und sieh, wollte man das Alter
solcher Sonnen nach dem Maße der Erdenjahre bestimmen, so wäre man nicht einmal imstande,
über die ganze Erde eine Zahl aufzuzeichnen, in der die endlose Vielheit der Erdjahre genügend
enthalten wäre! Und nähmest du ihr je tausendmal tausend Jahre dieser Erde ein kleinstes Sandkörnchen, aus deren zahllosen Menge die ganze Erde bestehen kann ihrer Größe und Breite und
Dicke nach, das Maß des Meeres nicht ausgenommen, so wäre solch eine also berechnete Zeitendauer für eine besprochene Sonne noch viel zu kurz.«
Die Zahl, die sich schon auf einer einzigen Druckseite bequem schreiben ließe — eine 1 mit
2182 Nullen — übersteigt bereits alles, was in der Natur vorkommt. Der naheliegendste Kommentar zu der Behauptung des Lorberschen Herrn: sie enthält die gigantischste Übertreibung,
die je ausgesprochen werden konnte.
Wichtiger noch aber ist die Feststellung, daß Behauptungen dieser Art gegenüber den im damaligen Weltbild Aufgewachsenen noch unfaßlicher gewesen wären als uns, die wir doch
wenigstens wissen, daß die Erde nur ein Staubkörnchen im All ist und dessen Alter nach -zig
Milliarden Jahren berechnet wird. Freilich bestätigt die allerneueste Astronomie manches
(keineswegs alles) von dem, was Lorber diktiert wurde — aber daß der Herr diese Dinge bereits
seinen Jüngern erzählt haben soll, erscheint völlig undenkbar. Was hätten sie davon gehabt?
[5. Teil: OT (1976) 145-147]
• Vorbemerkung: Die 5. Folge unserer Überlegungen zur Offenbarungskritik muß leider etwas mager
ausfallen. Ich hatte über das Thema im April und Mai vor den Studenten der »Swedenborg School of
Religion« referiert und dazu natürlich mein Material mitgenommen. Um meinen Koffer zu entlasten,
hatte ich veranlaßt, daß mir die aus zahlreichen Büchern bestehenden Unterlagen umgehend per Post
zugeschickt würden. Sie sind leider bis jetzt noch nicht eingetroffen, so daß wir uns auf den Abdruck
des noch vorhandenen Stehsatzes beschränken müssen. Wir bitten unsere Leser um Nachsicht. • 72
73
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Feststellung Kurt Eggensteins, daß die Leiter
des Lorber-Verlags noch bis vor kurzem Bedenken gehabt hätten, die Stellen des LorberWerkes, in denen diese gigantischen Zahlenangaben über das Universum erscheinen, überhaupt zu drucken — einfach weil man sich bewußt war, daß sie auf höhnische Ablehnung
stoßen würden. Wieviel unsinniger hätten sie den Jüngern und anderen Zeitgenossen Jesu
erscheinen müssen, hätte er sie ihnen gegenüber geäußert!
Zurück zu unserem 4. Beispiel dafür, daß nicht überall der Herr selbst durch Lorber gesprochen haben kann, auch wenn die Stimme sich selbst als der Herr bezeichnet!
Als wir nachrechneten, haben wir gesehen, daß die ihn betreffenden Behauptungen wiederum
in sich selbst nicht stimmig sind: Philopold hätte auf Milliarden und Abermilliarden von Weltkörpern als Mensch verkörpert gewesen sein müssen, und nicht nur auf lächerlichen 20, um
eine solche Lebenszeit im Fleisch zu erreichen, wie sie im Bilde des Lorberschen Jesus liegt.
72
73
Der Text zwischen • und • fehlt in B.
[B: »Eine der einleuchtendsten Behauptungen Swedenborgs im Zusammenhang mit seinen Offenbarungen ist die, daß alle Religion ›angepaßt‹ sein muß, um von den Menschen aufgenommen werden zu
können. So heißt es in dem Werk ›Die Göttliche Vorsehung‹ u.a.: ›Daß die christliche Religion nur im
kleineren Teil der bewohnbaren Erde verbreitet ist, kommt daher, daß sie dem Geist der Orientalen
nicht so angepaßt war wie die mohammedanische …, und eine nicht angepaßte Religion wird nicht
aufgenommen. Eine Religion z. B., welche festsetzt, daß es nicht erlaubt sei, mehrere Frauen zu haben,
wird von denen nicht angenommen, sondern verworfen, die seit Jahrhunderten der Vielweiberei ergeben waren. Ebenso verhält es sich auch mit einigen anderen Bestimmungen der christlichen Religion.‹
(Nr. 256)«]
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
171
Bleiben wir für unsere weiteren Überlegungen bei unserem Philopold! Es wurde bereits erwähnt, daß der Herr seinen Unglauben durch einen für Philopold unwiderleglichen Beweis
besiegt. Die Art, wie dies geschieht, ist wahrhaft frappierend:
Auf Jesu Erklärung, Philopold habe nur vergessen, daß er einen Kontrakt mit seinem Schöpfer
gemacht habe, ehe er sich auf diesem Planeten Erde inkarnieren ließ, »um dort zu sehen und
zu hören Den, der dich erschaffen hat«, da geifert dieser los:
[GEJ.01_213,05] »Was ist denn das für eine verbrannte Hirngespinsterei! Ich soll schon in irgendeiner anderen schönern und offenbar besseren Welt als ein Mensch im Fleische gewohnt und gelebt haben? Nein, das ist denn doch etwas zu stark!«
Nun wendet er sich an einen der beim Herrn Stehenden mit den Worten:
[GEJ.01_213,05] »Höre, du Siebenter rechts, den der Nazaräer einen Engel nennt, wie heißest du
denn, und wie heiße ich?«
Darauf antwortet der Engel:
[GEJ.01_213,06] »Warte ein wenig; ich werde in aller Schnelle Kennzeichen aus deiner Vorwelt
holen und werde sie dir zur Einsicht und Erkennung geben!«
Es ist nichts Außergewöhnliches daß im GEJ Engel beim Herrn erscheinen und sich kaum
von seinen Jüngern unterscheiden. Im Johannes-Evangelium (1,52) wäre dafür an sich eine
solide biblische Basis: »Von nun an werdet ihr sehen den Himmel aufgetan und die Engel
Gottes aufsteigen und herabsteigen auf des Menschen Sohn.«
Aber es hält doch zuweilen schwer, die Beispiele, die das GEJ für das Wirken dieser Engel im
Rahmen des Erlösungswerkes des Herrn gibt, ohne weiteres zu akzeptieren. Wir lesen weiter:
[GEJ.01_213,07] Mit diesen Worten verschwindet der Engel, kommt aber in wenig Augenblicken
wieder und überreicht Philopold eine Rolle auf der der Name des Engels und sein Name mit vollkommen alter hebräischer Schrift deutlich gezeichnet stehen und eine zweite Rolle, auf der alle
Bedingungen geschrieben stehen, die er vor dem Übergange dem Engel angelobt hatte.
[GEJ.01_213,08] Als der Engel dem Philopold solches überreicht, sagt er: »Hier lies und erkenne
es, du alter Murahel, Murahel, Murahel! Denn ich, der ich Archiel heiße, habe es für dich geholt
vom selben Altare, an dem du mir das große Gelöbnis gabst! Frage aber ja nicht, wie solches nun
in so wenig Augenblicken möglich war; denn bei Gott sind gar wundervollste Dinge möglich! lies
zuvor alles, und dann erst rede!«
In wenigen Augenblicken also hat der Engel von der Sonnenwelt, »der die Weisen dieser Erde
den Namen Procyon geben (Frage: welche Weisen, die zur Zeit Jesu oder Lorbers?), die auf
ihrem weiten Boden aber von ihren Bewohnern den Namen Akka hat« [GEJ.01_213,02], die
Dokumente herbeigeschafft, die den Philopold überführen sollen und nun auch tatsächlich
überführen; denn Philopold, so lesen wir weiter, liest die Rollen mit großer Aufmerksamkeit
durch, und da dadurch seine innere Sehe geöffnet wird, so sagt er nach einer ziemlichen Weile
des tiefsten Staunens:
[GEJ.01_214,01] »Ja, also ist es; ich sehe nun in alle endlosen Tiefen meines Lebens zurück, sehe
die Welten alle, auf denen ich schon gelebt habe, und die Orte und Plätze alle in den Welten, wo ich
von der Geburt bis zum Abschiede gelebt habe; ich sehe, was ich war, und was ich auf einem und
dem anderen Weltkörper getan habe, und sehe auch noch allenthalben meiner nächsten Verwandten Abkömmlinge, und siehe, auf der Akka (Procyon) sehe ich sogar noch meine Eltern, meine vielen Brüder und recht teuren Schwestern. Ja, ich höre sie sogar um mich besorgt untereinander
reden und sprechen: Was ist mit Murahel? Wird sein Geist im endlosen Raume wohl schon den
großen Geist in Menschengestalt gefunden haben? Er wird unser nicht gedenken, weil Archiel, der
Gesandte des großen Geistes, ihm die Rückerinnerung verdeckte bis dahin, wenn er ihn dreimal
beim rechten Namen rufen werde.«
Philopolds Bekehrung gipfelt in den Worten:
[GEJ.01_214,03] »O Liebe, Liebe, du göttliche Kraft! Wie endlos weit streckest du deine heiligen
Arme aus! Überall dieselbe Liebe! O Gott, wie groß und heilig bist du, und welcher verborgenen
Geheimnisse voll ist doch das freie Leben! Welcher Mensch auf der ganzen Erde kann die Tiefen
172
Friedemann Horn
ergründen, die ich nun schaue! Wie gar nichtssagend geht der arm selige Mensch auf dieser magersten Erde herum, streitet nicht selten um eine Spanne Erde auf Leben und Tod, während er in
sich trägt, was Milliarden Erden nimmer zu fassen vermögen!«
Man sieht, die Bekehrung des wenige Augenblicke zuvor noch widerspenstigen und aufsässigen »griechischen Stoikers« ist vollkommen. Fragt sich bloß, warum eine so alte und erfahrene Seele Trillionen, ja Quadrillionen Jahre alt sich im Verlaufe seiner kurzen irdischen
Verkörperung überhaupt derart miserabel entwickeln konnte?74
[6. Teil: OT (1976) 180-197]
• Vorbemerkung d. Schriftltg.: Meine Ausführungen zum Thema Offenbarungskritik haben, wie nicht
anders zu erwarten, starke Reaktionen ausgelöst. Wollten wir sie alle, wie gefordert, abdrucken oder
auch nur auf alle gesondert eingehen, es würde einen ganzen Jahrgang reichlich ausfüllen. Da das sicher nicht im Interesse der Mehrzahl unserer Leser liegt, müssen wir darauf verzichten. Das heißt aber
nicht, daß ich den Verfassern dieser »Antikritiken« nicht dankbar wäre — im Gegenteil! Sie haben meine
Kenntnis in manchen Punkten bereichert und neues Licht auf das schwierige Thema geworfen. Darauf
werde ich denn auch zu gegebener Zeit gern eingehen. Vorerst aber möchte ich meine Darlegungen abschließen. • 75
Von der Dringlichkeit der Offenbarungskritik
Eines ist klar: Offenbarungskritik ist heute dringender denn je. Allein seit ich mich mit diesem Thema beschäftige, sind ein gutes Dutzend mehr oder weniger ernst zu nehmender neuer
Offenbarungen zu meiner Kenntnis gelangt. Und eben jetzt werden wir von einem Kreise von
Menschen, die das »innere Wort« (vgl. Heft 1/76, S. 33) zu haben behaupten, mit der angeblich
größten aller bisherigen Offenbarungen beglückt (oder sollte ich besser sagen: heimgesucht?).
Der »Lichtkreis Christi«, eingetragener Verein in Übersee am Chiemsee, veröffentlichte soeben
»Die Neue Bibel«. Als Autor zeichnet: Gott der Herr.
Man verzeihe mir die an schlechten journalistischen Stil gemahnende Ausdrucksweise. Sie
bringt aber etwas von dem Gefühl zum Ausdruck, dessen ich mich angesichts der vorliegenden Tatsachen nicht erwehren kann. Damit Sie mich besser verstehen, meine Leser, rücke ich
hier die etwas verkleinerte Wiedergabe der zweiten Seite des vom genannten »Lichtkreis« breit
gestreuten Prospekts dieser »Neuen Bibel« ein:
74
75
[B: »Das Beispiel Philopolds zeigt übrigens, wie kompliziert die Dinge bei Lorber oft liegen. Man denkt
zunächst spontan an die Reinkarnationslehre, aber an eine eigentliche Reinkarnation dieses ›griechischen Stoikers‹ scheint mir — zumindest im vorliegenden Falle — deshalb nicht zu denken, weil Ph. offenbar auf dem Planeten Akka, auf dem seine Eltern und Brüder und Schwestern noch leben, den
bewußten Entschluß gefaßt hatte, auf unserer Erde ›den großen Geist in Menschengestalt‹, also den
Herrn Jesus Christus, zu suchen. Von seinem Tode wird nicht gesprochen, sondern nur davon, daß ihm
auf Akka ›Archiel, der Gesandte des großen Geistes, die Rückerinnerung verdeckte …‹ Es ist nicht verwunderlich, daß Offenbarungskritik, sobald sie von ein paar allgemeinen, mehr oder weniger unverbindlichen Bemerkungen zu konkreten Fragestellungen gelangt, vonseiten der Anhänger der jeweils
kritisierten Offenbarung zumeist in Bausch und Bogen abgelehnt wird. Das hat auch der Schreibende
zu seinem Leidwesen erfahren müssen. Umso willkommener waren ihm sachliche Einwände, auf die er
je nach ihrer Berechtigung auch stets Rücksicht genommen hat.«]
Der Text zwischen • und • fehlt in B.
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
173
Vielleicht verstehen Sie jetzt, meine Leser, warum ich mich des von einem »bekannten deutschen Nachrichtenmagazin« kreierten schlechten journalistischen Stils bedient habe?
Wenn wir diese »Neue Bibel« auf Seite 26 aufschlagen, lesen wir in himmelblauem Druck
mehr über den Ursprung dieser »größten Buch-Schöpfung aller Zeiten«:
»Und damit ihr Menschen wissen sollet, daß ICH nur LIEBE bin und alles, was ICH tue, LIEBE ist,
schenke ICH als EUER VATER HIMMELS UND DER ERDEN euch KINDERN MEINER LIEBE die
NEUE BIBEL IN DER ICH MICH offenbare als DER, DER ICH BIN VON EWIGKEIT ZU EWIGKEIT:
EUER GOTT, HERR, SCHOEPFER UND VATER DER EWIGEN LIEBE IN DEM HEI LIGEN NAMEN
174
Friedemann Horn
ALLER NAMEN — JESUS — durch Diejenigen, Die euch führen nach MEINEM HEILIGEN WILLEN
IN DAS NEUE JERUSALEM und in MEINE HIMMEL DER EWIGEN LIEBE:
MARIA
MEINE LEIBESMUTTER UND KÖNIGIN MEINER HIMMEL und
PETRUS
MEIN FELS VON EWIGKEIT ZU EWIGKEIT.«
Mit anderen Worten: Gott offenbart sich hier durch Maria, seine »Leibesmutter«, und Petrus,
seinen führenden Jünger. Sein »heiliger Wille« ist es auch, daß diese beiden die Gläubigen in
das Neue Jerusalem und in Gottes Himmel der ewigen Liebe führen sollen. Wie das? Haben
diese beiden Eckpfeiler dessen, was angeblich Gott jetzt tut, ihre Medien im genannten »Lichtkreis«, durch die sie in unsere Welt hineinwirken? Mitnichten! Maria und Petrus haben sich
nämlich in den beiden Führern des Lichtkreises wiederverkörpert: Beide sind heute mit gut
bürgerlichen Namen polizeilich gemeldet. Aber zuweilen trügt eben der Schein — selbst wenn
er als Geburts-, Tauf-, oder Heiratsschein das amtliche Siegel des zuständigen Standesbeamten
trägt!
Man beachte auch die feine Einzelheit des Drucksatzes: alles was sich auf Gott bezieht, ist in
Großbuchstaben geschrieben, was auf Menschen in normalen Lettern, was sich aber auf die
»Leibesmutter« und »Petrus« bezieht, das beginnt in unüblicher Weise mit einem Großbuchstaben: »Diejenigen, Die euch führen«, heißt es. Zudem wird ihnen bescheinigt, daß sie dies nach
Gottes »heiligem Willen« tun. Nur dem Papst wird ähnliche Ehre zuteil …
Man unterschätze diese Leute nicht! Mir wird glaubwürdig versichert, daß sie es geradezu
meisterhaft verstünden, Menschen der verschiedensten Schichten anzuziehen und zu unerhörten Opfern an Zeit und Geld zu animieren — doch was sage ich: nicht sie selbst tun es, es
geschieht ja nicht im eigenen Namen! Man schlägt die »Neue Bibel« auf und liest auf Seite
290, für wen sie es tun:
»Daß nichts auf eurer Erde ohne euer Geld vollbracht werden kann, das beweist euch mit aller
Deutlichkeit, daß ihr in den Fesseln Meines Gegenpoles gebunden seid; denn das Geld ist nicht
Meine Schöpfung! MEINE SCHÖPFUNG ist von A bis Z nur LIEBE, brennende, ewig glühende LIEBE, aus der alle unaufhörlich beschenkt werden, aus der alles, was Leben ist, ewig lebt!
So wandelt euer Geld in LIEBE um und nehmet ihm das Verderbliche, indem ihr es verwendet für
HEILIGE WERKE DER LIEBE. Und so lasset euer Geld durch MEINEN HEILIGEN SEGEN nicht nur
über die ganze Menschheit SEGEN bringen, sondern auch über euch selbst! In dieser MEINER
NEUEN BIBEL habt ihr den REICHTUM ALLER REICHTÜMER, DEN REICHTUM DER EWIGKEIT,
geschenkt bekommen durch MEINE LIEBE UND GNADE! So gebet das Eurige hinzu nach dem Maße eurer Herzensliebe und leget es in
DIE OPFERSCHALE
MEINER
sich ewig verschenkenden
LIEBE
auf daß sich darin euer Herzens-Opfer durch MEINEN SEGEN vervielfältigt zu sich ewig vervielfältigenden WERKEN UND FRÜCHTEN DER LIEBE …
Gesegnet
ist
ein jedes Opfer eurer Liebe
für
MEINE NEUE BIBEL
als ein fortzeugend sich vervielfältigender Baustein für DAS NEUE JERUSALEM auf dieser Erde.
Wisset auch und leset es nach in der Alten Bibel, daß die ersten Gemeinden Meiner Apostel eine
einzige Opfer-Gemeinschaft der wahren LIEBE bildeten. OHNE DIESE GEMEINSCHAFT DER
WAHREN LIEBE hätte damals MEINE LEHRE DER EWIGEN LIEBE keine Wurzeln fassen und sich
nicht ausbreiten können …«
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
175
Es soll in diesem »Lichtkreis Christi« Menschen geben, die nicht nur jede freie Minute, sondern praktisch den letzten Pfennig opfern, weil sie fest überzeugt sind von dem, was ihnen die
reinkarnierte »Leibesmutter« Gottes und der reinkarnierte »Petrus« als »Vatermedien« offenbaren.
Das entscheidende Problem: Ist es der Herr, der durch Lorber spricht?
Oder: Wer entscheidet bei Unstimmigkeiten?
Sie mögen sich fragen, meine Leser, was all das mit den Ausführungen über Lorber zu tun
habe, die ja noch gar nicht abgeschlossen sind? Eingangs wurde erwähnt, daß die Anhänger
des »Lichtkreises Christi«, d. h. namentlich deren Führer, »das innere Wort« zu haben behaupten. Herr Stößel — so des wiederverkörperten Apostels Petrus bürgerlicher Name — schlug uns
Neukirchenpfarrern noch vor wenigen Jahren eine enge Zusammenarbeit auf der Basis der
Schriften von Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg vor. Wir lehnten es kurz und bündig ab,
weil wir den Eindruck hatten, bei dem Unternehmen gehe es in Wirklichkeit um etwas ganz
anderes, als um die Förderung des »Neuen Jerusalems«.
Man könnte über die ganze Angelegenheit mit Stillschweigen hinweggehen, aber wenn man
an den Schaden denkt, der hier — gewollt oder ungewollt — der Sache der Religion, ja der Sache
Gottes und seiner Offenbarung zugefügt wird, muß man bekennen, was man davon hält, muß
man warnen. Das Ende derartiger Täuschungen kann nur in der Enttäuschung bestehen. Früher oder später werden sich die jetzt Entflammten abwenden. Aber wem werden sie sich dann
zuwenden? Werden nicht manche von ihnen dem Glauben überhaupt den Rücken kehren und
den Gottlosen nachbeten: Religion ist Volksverdummung zum Zwecke persönlicher Bereicherung!?
Man mißverstehe mich aber bitte nicht: Der Geist dieses »Lichtkreises Christi« ist keinesfalls
identisch mit dem in Lorber-Kreisen anzutreffenden. Ich bekenne offen, daß ich bei den Freunden Lorbers sehr viel echte Wärme und Aufgeschlossenheit und einen unverkennbar »neukirchlichen« Geist angetroffen habe. Auf dieser Erfahrung mehr noch als auf dem sachlichen
Vergleich der Schriften Lorbers und Swedenborgs beruhte, was ich über die Tatsache sagte,
daß die Lorber-Kreise unsere »engsten Verwandten« seien. Wer sonst innerhalb des Christentums brächte unserer Sache soviel Verständnis entgegen? Das sei einmal mit allem Nachdruck festgestellt.
Doch kann und darf mich das nicht daran hindern, auf gewisse Gefahren hinzuweisen, die
dann (und nur dann) entstehen, wenn man die Schriften Lorbers unkritisch als eine unmittelbare, ganz und gar ungetrübte, irrtumsfreie Offenbarung des himmlischen Vaters selbst hinnimmt. Das sind sie nun einmal nicht, wie ich klar gemacht zu haben und noch weiter zu
belegen hoffe.
Die Hauptgefahr besteht darin, daß man diese Schriften sogar über die biblische Offenbarung,
selbst die der Evangelien, stellt. Wenn man davon überzeugt ist, in weiten Teilen der Lorberschriften spreche Gott selbst (zumindest überall da, wo er in der ersten Person von sich
spreche), muß man zwangsläufig zu dem Schluß kommen, daß in Zweifelsfällen die Lorberschriften die göttlich autorisierte Korrektur der biblischen Aussage enthalten, da diese ja
meist nur von Jüngern oder Propheten stammt.
Ein Beispiel, das vielleicht noch deutlicher ist als die Korrektur des im Neuen Testament vorausgesetzten Osterfestes (vgl. OT 1/76, S. 54f.) findet sich ebenfalls im »Großen Evangelium
Johannis«. Der Zusammenhang der Stelle ist eine Erklärung des Herrn über die Rolle, die er
den beiden Evangelisten Johannes und Matthäus zugedacht hat. Darin heißt es u.a., Matthäus
habe sehr wenig über Jesu Verwandtschaft gewußt, solange er mit ihm umherwanderte, und
das Wenige sei ihm gelegentlich von Jakobus, Simon Petrus und Johannes erzählt worden. Er
176
Friedemann Horn
habe es aber nicht sogleich niedergeschrieben, sondern erst ein paar Jahre später, nach seiner,
des Herrn, Auferstehung, »als er an der Stelle von Judas Ischariot zum Apostel gewählt wurde.
(Zitat bei Nordewin von Koerber, »Thoughts on the Reliability of the Biblical Text«).
Es ist offensichtlich, daß dies im Gegensatz zum Bericht der Apostelgeschichte über die Wahl
eines Ersatz-Apostels für Judas Ischariot steht (1,15-26). Dort wird berichtet, daß zwei Kandidaten zur Wahl gestellt wurden: »Joseph, genannt Barsabas, mit dem Zunamen Justus, und
Mathias«. Wie jedermann weiß, fiel das Los auf Mathias. Nicht daß wir es für besonders wichtig hielten, wer nun in dieser Frage recht hat, die Bibel oder Lorber. Aber der Anhänger Lorbers,
überzeugt, in dessen Schriften eine viel unmittelbarere und vollkommenere Offenbarung zu
besitzen, als es die Bibel ist, wird nicht zögern, die biblische Aussage entsprechend zu korrigieren. Hängt im genannten Fall nicht allzu viel davon ab, so kann diese Haltung doch in anderen Fällen zu einer regelrechten Entwertung der biblischen Offenbarung führen.
Schwerwiegende Unterschiede zwischen Evangelien und GEJ
1. Jesu Gottheit
Wer die Evangelien aufmerksam und unvoreingenommen liest, muß mit unserer Behauptung
übereinstimmen, daß Jesus sein Inkognito nur sehr allmählich, und eigentlich erst ganz am
Schluß mehr oder weniger vollständig lüftete. Noch in der Situation, die Matthäus in Kapitel
16 schildert, wissen die Jünger nicht recht, wer er ist. Petrus allein erklärt ihn für den Messias (»Du bist Christus, der Sohn des Lebendigen Gottes«, sagt er, und Jesus preist ihn daraufhin
selig, »denn Fleisch und Blut haben dir das nicht geoffenbart, sondern mein Vater in den
Himmeln« — das klingt keineswegs so, als hätte er selbst es ihm gesagt, was nach Lorber einfach nicht stimmen kann).
Nun müssen wir zudem wissen, für die Juden war der Messias keineswegs identisch mit dem
Einen Gott, so sehr sie ihm auch göttliche Vollmacht zuschrieben. In den Abschiedsreden bei
Johannes wird das ganz deutlich: Jesus spricht davon, daß er nun von ihnen gehen werde und
sagt: »Und wo ich hingehe, wisset ihr, und auch den Weg wisset ihr«. Aber Thomas erwidert:
»Herr, wir wissen nicht, wo Du hingehst, und wie können wir den Weg wissen?« Hier folgt
Jesu berühmtes Wort: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum
Vater, denn durch mich«. Und er fährt fort: »Kenntet ihr mich, so kenntet ihr wohl auch meinen Vater; und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen«. Aber Philippus spricht —
offenbar im Namen aller —: »Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns«. Jesu Antwort offenbart ein gewisses Maß von Schmerz oder Ungeduld über soviel Unverständnis: »Solange
Zeit bin ich bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich gesehen hat, der hat
den Vater gesehen. Und wie sagst du: Zeige uns den Vater.«
Demgegenüber stehen ungezählte Stellen in Lorbers GEJ, in denen die Jünger schon ganz am
Anfang ihres Weges mit Jesus sehr genau wissen, wer er ist. Typisch dafür ist eine Stelle, in
der, Lorber zufolge, der Herr selbst über die Ereignisse an der Hochzeit zu Kana berichtet.
Nachdem der Herr das Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein vollbracht hat »sagte
Petrus zu Mir insgeheim: Herr, laß mich wieder von dannen ziehen! — Denn Du bist Jehova
Selbst …« [GEJ.01_011,13]. Dieser Zusammenhang ist aber auch noch aus anderen Gründen
interessant:
Die Stimme des Herrn, die Lorber zu hören meint, legt das Ereignis nach den Entsprechungen
aus. Es heißt:
[GEJ.01_010,14] »Wem kann es entgehen, daß zwischen dieser Hochzeit, die am dritten Tage nach
Meiner Rückkehr aus der Wüste Bethabara geschah, und zwischen Meiner Auferstehung, die eben
auch am dritten Tage nach Meiner Kreuzigung erfolgte, eine der auffallendsten Entsprechungen
obwaltet?«
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
177
Wir erinnern uns, daß die ersten vier Kapitel des GEJ, aus denen unser Zitat entnommen ist,
ganz im Stile Swedenborgs eine Auslegung des geistigen Sinnes des biblischen Textes sein
wollen, mit dem Unterschied freilich, daß es bei Lorber der Herr selbst sein soll, der diese
Auslegung anhand der Entsprechungen vornimmt. Noch deutlicher wird dies am Schluß der
Auslegung von Joh 2,5. Dort sagt der Herr:
[GEJ.01_010,18] »Da wir hier sonach den geistigen Sinn entwickelt haben, und zwar in dem, was
diese Hochzeitsgeschichte im allgemeinen besagt, so wollen wir wieder zum weiteren Verlaufe
dieser Hochzeit zurückkehren und am Ende dieser Geschichte die sonderheitlichen (d. h. die besonderen) Entsprechungen durchgehen.«
Wenn man weiß, daß Lorber die Werke Swedenborgs bekannt waren, wundert einen dies nicht
sonderlich. Damit soll nicht gesagt sein, daß Lorber diese und andere entscheidende Ideen
bewußt aus Swedenborgs Werken entnommen hätte, sondern weil — Swedenborg zufolge — das
geistige Wesen (handele es sich dabei nun um den Herrn, oder um einen Engel, oder Geist),
das Lorber diktierte, dessen angesammelten Wissensschatz benutzte, um damit den Inhalt
seiner Offenbarung einzukleiden und in einer dem menschlichen Denken angepaßten Form
auszudrücken.
Seltsam mutet es einen freilich an, wenn sich bereits die Jünger in bezug auf die Entsprechungslehre, wie auch in bezug auf zahlreiche andere neukirchliche Lehren als genauestens
instruiert zeigen (und dies umso mehr, als sie später, wie weiter unten gezeigt werden wird,
dem Herrn vorhalten, er habe ihnen den himmlischen und geistigen Sinn seines Wortes vorenthalten). Dafür ein Beispiel:
Jesus hat in Sichar die Bergpredigt gehalten. Im GEJ heißt es dazu in Bd. 1, Ende von Kap. 39:
»Nun beginnt die bekannte Bergpredigt, die im Matthäus, Kap. 5, 6 und 7 ganz wohl zu lesen
ist. — Es dauerte aber diese Predigt bei drei Stunden; denn Ich redete diesmal langsam der
Schreiber wegen.« (Ein Detail, das ein Licht auf das Zustande kommen der biblischen Evangelien werfen soll, bei den Kennern der Materie jedoch nur Kopfschütteln hervorrufen dürfte.)
Unter den Zuhörern befand sich auch der Oberpriester der Samarier. Er erklärt sich tief beeindruckt, kann aber das Gleichnis von der Selbstverstümmelung ebenso wenig fassen, wie die
anderen anwesenden Priester, die darüber wegwerfende Bemerkungen machen. Der Oberpriester nähert sich dem Herrn und sagt u. a.:
[GEJ.01_040,09] »Betrachte Deine gewaltige Lehre nur Selbst ein wenig genauer, und Du mußt es
einsehen, daß Deine Lehre zur Gewinnung des ewigen Lebens völlig unbrauchbar ist und von niemandem je befolgt werden kann! Denn so jemand den Himmel sich also verdienen soll, da wird er
wohl den Himmel stehen lassen! Denn da wäre es ja besser, nie geboren zu werden, denn sich also
zu verdienen einen Himmel, in den er nur als Verstümmelter eingehen kann! Sage mir aber vollends aufrichtig, ob Du das einsiehst, oder ob Deine Lehre Dir wirklich ernst ist!«
Der Herr antwortet ihm:
[GEJ.01_040,10] »Du bist doch ein Oberpriester und bist blinder denn ein Maulwurf unter der Erde
… Ich gab euch hier Bilder, und ihr verschlinget bloß nur ihre Materie, die euch zu ersticken droht;
aber von dem Geiste, den Ich in diese Bilder gelegt habe, scheinet ihr keine Ahnung zu haben.
[GEJ.01_040,11] Glaube es Mir: So weise ihr euch dünkt, so weise sind auch wir und wissen es
sehr wohl, ob sich ein Mensch verstümmeln könne und solle, um das ewige Leben zu erhalten!
Aber wir wissen es auch, daß ihr den Geist dieser Lehre nicht fasset und noch lange nicht fassen
werdet! Wir aber werden darum unsere Worte nicht zurücknehmen …«
Der Oberpriester ist aber verständiger, als seine Worte zuerst vermuten lassen. Es zeigt sich,
daß er sogar das Gesetz der Entsprechung zwischen Buchstabe und Geist kennt; er erwidert
dem Herrn u. a.:
[GEJ.01_041,02] »So ich aber jemandem eine Lehre gebe in solchen Bildern, die an und für sich
unmöglich zu beachten sind …‚ da werde ich zu (dem mich befragenden Jünger) sagen: Sieh,
Freund, dieses mußt du also und also verstehen und nehmen! Denn sieh, zwischen dem dir gegebe-
178
Friedemann Horn
nen Lehrbilde und der in ihm enthaltenen Wahrheit besteht diese und diese geistige Entsprechung
und dieser Entsprechung, aber nicht dem äußeren Bilde zufolge mußt du dein Leben einrichten!«
Wir stellen also nebenbei fest, selbst außerhalb des Kreises der vom Herrn belehrten Jünger
weiß man, dem GEJ zufolge, von dem Gesetz der Entsprechungen. Im weiteren Verlauf der
Handlung gibt nun der Herr dem Oberpriester den Rat, sich um weitere Auskunft an seine
Jünger zu wenden. Er wendet sich an Nathanael, der ihm nun eine regelrechte Predigt hält, in
der er — man ist versucht zu sagen: wie ein Neukirchenpfarrer — die Gleichnisse von der
Selbstverstümmelung anhand der Entsprechungslehre auslegt. Darin heißt es auszugsweise:
[GEJ.01_042,05] »Siehe, die Dinge der Natur haben ihre Ordnung und können nur in dieser ihrer
eigentümlichen Ordnung bestehen; und so haben auch die Dinge des Geistes ihre höchst eigentümliche Ordnung und können außer solcher Ordnung nicht bestehen, nicht gedacht und nicht ausgesprochen werden. Aber zwischen den Naturdingen und den geistigen Dingen, weil jene aus diesen
hervorgegangen sind, ist und besteht eine genaue Entsprechung, die freilich wohl nur der Herr allein am allerbesten kennt. [GEJ.01_042,06] Wenn nun der Herr uns rein Geistiges verkündet, die
wir noch sämtlich in der starren Ordnung der Naturmäßigkeit uns befinden, so kann er solches ja
nur auf dem Wege der gleichnisweisen Entsprechungsbilder geschehen lassen. Um diese aber
recht zu verstehen, müssen wir trachten, unseren Geist durch die Betrachtung der Gottesgebote zu
wecken. Erst in solcher Gewecktheit werden wir darüber ins Klare kommen, was der Herr unter
einem solchen entsprechenden Gleichnisbilde alles gesagt und geoffenbart hat, und eben darin
wird sich Sein göttlich Wort ewig von unserem menschlichen unterscheiden. [GEJ.01_042,07]
Nun aber habe wohl acht! Was bei den Naturmenschen das Auge ist, das ist beim Geiste das
Schauvermögen in göttlichen und himmlischen Dingen, die allein dem Wesen des Geistes für seine glückseligste ewige Existenz zusagen [GEJ.01_042,08] … So sagte der Herr, wohl verstanden
nicht zum Fleischmenschen, sondern zum Geistmenschen: »So dich das Auge ärgert, da reiße es
aus und wirf es von dir; denn es ist besser, mit einem Auge in die Himmel zu gehen — als mit beiden in die Hölle!« was soviel sagen will als: Wenn dich das Licht der Welt zu sehr verlockt, so tue
dir Gewalt an und kehre dich ab von solchem Lichte, das dich in den Tod der Materie zöge! Benimm also dir selbst als Geist den leeren Genuß der Weltanschauung und wende dich mit deiner
Seele den rein himmlischen Dingen zu … [GEJ.01_042,10] Der Geist aber soll ja wohl die Welt
auch schauen und weltkundig werden, aber er soll an ihr kein Wohlgefallen finden! Fängt er aber
an, zu verspüren, daß die Welt ihn anreizet, so soll er sich sogleich von ihr abwenden, weil ihm da
schon Gefahr droht! Und siehe, dieses nötige Abwenden drückt das entsprechende Bild des Augausreißens aus.«
Nathanael beschließt den ersten Teil seiner Belehrung mit der Mahnung an den Oberpriester,
die dieser denn auch richtig versteht, wie wir gleich noch sehen werden:
[GEJ.01_042,10] »Der uns ein so treffend Bild geben kann, Der muß sicher wohlbewandert sein in
allen geistigen und materiellen Verhältnissen des Menschen, was nach meiner Überzeugung nur
Dem möglich sein kann, durch Dessen Kraft, Liebe und Weisheit alle Dinge geistig und materiell
geschaffen worden sind! Ich meine nun, du wirst mich denn doch verstanden haben und nun einsehen, wie grob du dich an Dem versündigt hast, Der dein wie unser aller Leben in Seiner allmächtigen Hand trägt!?«
Ja, der Oberpriester hat verstanden und wird in der Folge zu einem der gläubigsten Anhänger
des Herrn. Kurz darauf bekennt er:
[GEJ.01_046,05] »Wahrlich, wer mich heute um einen Rock anredet, dem gebe ich sogleich nicht
nur den Mantel, sondern meinen ganzen Kleidervorrat hinzu! Wahrlich, um den Preis gebe ich
nun bis aufs Hemd alles her und sehe nun ein, daß Seine Lehre eine rein göttliche ist! Ja, Er Selbst
ist als Jehova nun leibhaftig bei uns! Was wollen wir noch mehr?! Die ganze Nacht will ich einen
Herold machen und Seine Gegenwart verkünden in allen Straßen und Gassen!«
Damit nicht genug:
[GEJ.01_046,06] »Nach solchen Worten läuft er zu Mir hin, und zwar in der Nähe des Brunnens,
fällt vor Mir nieder und sagt: Herr, halte nur ein wenig still, daß ich Dich anbeten kann; denn Du
bist nicht nur Christus (also der Messias; die Schriftltg.), ein Sohn Gottes, sondern Du bist Gott
Selbst, im Fleische verhüllt, bei uns!«
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
179
All dies spielt sich wohlgemerkt bereits am Beginn der öffentlichen Tätigkeit des Herrn ab. Da
weiß man es also, Lorbers Diktat zufolge, schon ganz genau, wer er eigentlich ist, nämlich
»nicht nur Christus, ein Sohn Gottes, sondern Gott Selbst, im Fleische verhüllt«. Und, was
noch merkwürdiger ist: nicht nur die Jünger, auch Neulinge unter den für den Herrn Gewonnenen, wie unser Oberpriester, wissen es. Die Frau am Jakobsbrunnen, von der wir es zum
ersten Mal hörten, ist also keine Ausnahme. Es fiele nicht schwer, Beispiele für diesen Tatbestand aus dem GEJ zu häufen.
Man muß schon sehr voreingenommen sein, wenn man sich dabei beruhigen zu können
meint, das ließe sich mit den Aussagen der biblischen Evangelien in Einklang bringen. Wer
den Dingen ins Auge blicken will, muß erkennen, daß er hier vor die Frage gestellt wird, wem
er mehr glauben will, dem GEJ oder den Evangelien.
Schwerwiegende Unterschiede zwischen Evangelien und GEJ
2. Die Jünger und die zweite Ankunft des Herrn
Aber der Widerspruch besteht keineswegs nur zwischen dem GEJ und den biblischen Evangelien, er besteht auch innerhalb des GEJ: Lorber zufolge erklärt nämlich der Herr selbst, wie
mangelhaft die Vorstellungen sogar seiner engsten Angehörigen und Jünger über seine messianische Rolle waren. Zwar hielten sie ihn für den Messias, und eben deshalb, sagt er, »ward
Mir denn auch in vielen Familien die größte Aufmerksamkeit geschenkt« [GEJ.01_010,05],
doch erwarteten sie von ihm nichts anderes, als die Befreiung vom römischen Joch. Aus eben
diesem Grunde, sagt der Herr des GEJ, »entschlossen sich daher auch Jakobus und Johannes,
Meine Jünger zu werden, um dann mit Mir die Völker der Erde zu beherrschen!«
[GEJ.01_010,05]. Das stimmt zweifellos mit den entsprechenden Aussagen der biblischen
Evangelien überein. Bei Lorber fügt Jesus noch hinzu: »Denn sie hatten auch schon so manches vergessen, was Ich ihnen in Meiner Kindheit oft und so ziemlich deutlich vorausgesagt
hatte« [GEJ.01_010,05].
Nach dem GEJ hatte Jesus bereits in seiner frühen Kindheit ein klares Bewußtsein davon, daß
er niemand anders sei, als der Eine Gott und Vater von Ewigkeit in menschlicher Gestalt. Man
kann dazu bei Swedenborg Parallelen finden. Lorbers Stimme zufolge aber hat er dies Wissen
nicht für sich behalten, sondern seine Spielgefährten — dazu sollen Jakobus und Johannes
gehört haben — darin eingeweiht und sogar durch die unerhörtesten Wundertaten zu überzeugen gewußt. Nur haben die es leider großenteils wieder vergessen …
Fraglos hat Jakob Lorber ebenso wie sein Nachfolger Leopold Engel, der 27 Jahre nach dem
Tode Lorbers das GEJ mit einem 11. Band vollendete, geglaubt, das Empfangene sei in allen
wesentlichen Punkten in Übereinstimmung mit den Evangelien, namentlich natürlich mit
dem des Johannes. Zu Leopold Engel spricht die diktierende Stimme:
[GEJ.11_073,02] »Es ist nun durchaus nicht die Absicht, hier das alles zu wiederholen, was im
Evangelium Johannes schon ausführlich behandelt worden ist — denn diese Schrift soll das Evangelium Johannes durchaus nicht überflüssig machen —‚ sondern es wird in den folgenden historischen Ereignissen nur ergänzt werden, was als Lücke empfunden werden kann.«
Dazu ist zu sagen: Wenn dem nur so wäre!
Ein weiteres Beispiel für die häufig zu beobachtenden Diskrepanzen zwischen biblischer und
Neu-Offenbarung wird das Wunschdenken der Neuoffenbarer und ihrer unkritischen Anhänger (es gibt auch kritische Anhänger, die das »Prüfet alles, und das Gute behaltet« berücksichtigen) vollends deutlich machen:
Den Evangelien zufolge — wir erwähnten es weiter oben — verstanden die Jünger die Leidensund Todesankündigungen des Herrn bis zuletzt nicht (vgl. vor allem Luk 18,31-34, wo das am
deutlichsten gesagt wird). Der Grund liegt auf der Hand: Für die Jünger war Jesus der Messias,
180
Friedemann Horn
dessen Sendung darin bestand, die Herrschaft seines (Vor-)Vaters David wieder aufzurichten
und das Reich Gottes, mit Jerusalem als Hauptstadt, zu begründen. Wie hätten sie mit dieser
Erwartung im Herzen seinen Tod vereinbaren sollen? (Petrus: »Herr, das geschehe Dir nur
nicht!« — Matth 16,22.)
Das GEJ gibt jedoch eine ganz andere Darstellung: Andreas fragt den Herrn:
[GEJ.09_088,14] »Aber Du sagtest uns abermals von einer zweiten Ankunft auf dieser Erde und
stelltest am Ende die Frage auf, ob Du dann unter den Menschen auch wohl Glauben finden werdest. [GEJ.09_088,15] Nun, diese Frage Dir zu beantworten, steht wohl noch gänzlich außer dem
Bereiche dessen, was uns zu erörtern möglich ist, — daher ich Dir darauf auch keine Antwort geben kann. Du Selbst aber wirst das wohl am besten wissen, wie es in der noch fernen Zukunft mit
dem Glauben der Menschen stehen wird, und so Du es willst, so kannst Du es noch näher bezeichnen, als Du uns das bei mehreren anderen Gelegenheiten schon bezeichnet hast!«
Das Zitat zeigt, daß — der Neuoffenbarung zu folge — der Herr schon mehrfach von seiner zweiten Ankunft »in der noch fernen Zukunft« zu den Jüngern gesprochen haben soll, und daß die
Jünger damit folglich vertraut waren. Doch wie will man das mit dem Unverständnis der biblischen Jünger vereinbaren? Andreas aber erhält vom Meister u. a. folgende Antwort:
[GEJ.09_089,01] »Was aber Meine Frage nach dem Stande des Glaubens bei den Menschen in der
noch fernen Zukunft betrifft (vgl. Luk 18,8; d. Schriftleitung), so des Menschen Sohn wieder auf
diese Erde auf die euch schon zu öfteren Malen angezeigte Art und Weise kommen wird, so sage
Ich euch, daß Er im ganzen noch weniger lebendigen Glauben finden wird denn jetzt. Denn in jenen
Zeiten werden es die Menschen größtenteils durch das unermüdliche Forschen und Rechnen unter
den Zweigen und weit ausgebreiteten Ästen des Baumes der Erkenntnis in vielen Wissenschaften
und Künsten gar sehr weit bringen und werden mit allen in der Natur der Erde jetzt den Menschen
noch ganz verschlossenen Kräften Wunderbares zustande bringen und werden euch sagen: »Sehet,
das ist Gott, — sonst gibt es keinen!«
Man muß zugeben, daß diese Rede ihren Eindruck auf den heutigen Leser nicht verfehlt, doch
muß man sich zugleich auch fragen, ob sie auf dem damaligen geschichtlichen Hintergrund in
dieser Form überhaupt hätte gehalten werden können.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs über des Herrn zweite Ankunft fragt ein »Judgrieche« (also
keiner von den eigentlichen Jüngern) den Herrn:
[GEJ.09_090,01] »Herr und Meister, wird denn mit Deiner abermaligen Ankunft auf dieser Erde
den Menschen auch eine Lehre gegeben werden?«
Wir stellen fest: Hier wird gesagt, daß der Herr sogar außerhalb des engeren Kreises seiner
Jünger von seiner (seinen Tod voraussetzenden) zweiten Ankunft gesprochen haben soll.
[GEJ.09_090,02] »Sagte Ich: Freund, die Lehre, die Ich euch nun gebe, ist Gottes Wort und bleibt
ewig, und darum werden jene Menschen, von denen hier die Rede ist, auch nur diese Lehre von Mir
überkommen, die ihr von Mir überkommen habt; aber in jenen Zeiten wird sie ihnen nicht verhüllt, sondern völlig dem himmlischen und geistigen Sinn nach enthüllt gegeben werden, und
darin wird das Neue Jerusalem bestehen, das aus den Himmeln auf die Erde herniederkommen
wird. In seinem Lichte wird den Menschen erst klar werden, wie sehr ihre Vorgänger von den falschen Propheten … hintergangen und betrogen worden sind«.
Wie wir sehen, zielt diese Weissagung in die gleiche Richtung, die uns von Swedenborg her
vertraut ist: Das Herabkommen des Neuen Jerusalem geschieht nicht buchstäblich, sondern in
Gestalt der Enthüllung des himmlischen und geistigen Sinnes des Wortes. Dann, so heißt es
im gleichen Zusammenhang weiter, wird man
[GEJ.09_090,03] »nicht mehr Mir und Meiner Lehre die Schuld an all dem vielen Unheile auf der
Erde in die Schuhe schieben, sondern den höchst selbst- und herrschsüchtigen falschen Lehrern
und Propheten, die sie schon im Lichte ihrer Wissenschaften und vielen Künste nur zu genau werden erkannt haben, wessen Geistes Kinder sie waren. [GEJ.09_090,04] Wenn aber das hellste Licht
des neuen Jerusalems über die ganze Erde scheinen wird, dann werden die Lügner und Betrüger
völlig enthüllt und der Lohn für ihre Arbeit ihnen gegeben werden …«
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
181
Daß diese Worte im hohen Maße aktuell sind, und heute mehr als in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Lorber sie empfing, dürfte jedem Leser unmittelbar einleuchten. Die Frage ist, ob
der Herr dies wirklich schon so seinen Jüngern auf Erden gesagt haben kann! Die folgenden
Zitate und Überlegungen scheinen mir eine positive Beantwortung auszuschließen:
Die Jünger fragen nämlich nun im angeführten Zusammenhang den Herrn:
[GEJ.09_090,05] »Herr und Meister, warum gibst Du uns denn Deine Lehre nicht auch schon enthüllt so, wie Du sie dereinst in der fernen Zukunft den bezeichneten Wissenschaftlichen und Künstlern aller Art und Gattung geben wirst? Solch ein neues Jerusalem täte den Menschen jetzt auch
not!«
Lorbers Diktat zufolge lenkt also der Herr den Blick seiner Jünger und Anhänger weit in eine
ferne Zukunft, weit jenseits seines Todes. In den biblischen Evangelien finden wir nichts davon — es sei denn das eine oder andere Wort, das mit einiger Mühe so gedeutet werden könnte.
Fest steht aber, daß für die Jünger, die ja dem Messias (besser gesagt: ihrer Vorstellung von
ihm) nachgefolgt zu sein glauben, beim unerwarteten Tode ihres Meisters zunächst einmal
alles aus zu sein schien. Wie sonst ließe sich ihr Verhalten zwischen Tod und Auferstehung
des Herrn deuten? Wie auch die Worte der beiden zutiefst enttäuschten Jünger auf dem Wege
nach Emmaus?
Der merkwürdigste Widerspruch ist damit aber noch gar nicht bezeichnet; er liegt in folgendem: Hier wird nämlich die Voraussetzung gemacht, daß der Herr den Jüngern den himmlischen und geistigen Sinn des Wortes nicht geoffenbart habe, daß er das vielmehr erst nach
seinem Abscheiden von der Erde tun werde. Auf die Frage der Jünger antwortet der Herr gut
biblisch: »Ich hätte euch noch gar vieles zu sagen und zu enthüllen, — aber ihr alle könntet das
noch nicht ertragen (fast wörtlich wie Ev. Joh. 16,12); wenn aber der Geist der Wahrheit aus
Mir über euch kommen wird, so wird er euch in alle Wahrheit leiten (fast wörtlich wie Joh
14,26), und ihr werdet euch dann schon völlig im Lichte des neuen Jerusalem befinden.«
Mit anderen Worten: Die Jünger werden, was den himmlischen und geistigen Sinn des göttlichen Wortes betrifft, auf die Geistausgießung vertröstet. Das stimmt mit dem biblischen Johannesevangelium weitgehend überein, nur daß dort nichts vom »Licht des neuen Jerusalem«
steht, in dem sie sich damit bereits befinden sollen.
Im ersten Augenblick ist man geneigt zu meinen, hier endlich kämen das biblische und das
Große Evangelium Johannis voll zur Deckung, doch dann geht einem auf: Es stimmt ja einfach
nicht, daß der Herr des GEJ seine Jünger über den himmlischen und geistigen Sinn seines
Wortes, wie sie sich beklagen, im unklaren gelassen hätte und ihnen erst nach der Geistausgießung etwas davon gegeben wurde! Vielmehr wollen ja weite Teile des GEJ nichts anderes
sein, als ein genaues Protokoll jener Erklärungen, die der Herr seinen Jüngern und Anhängern
hinsichtlich des himmlischen und geistigen Sinnes des göttlichen Wortes gab, als er mit ihnen auf Erden wandelte. Übrigens stehen diese Erklärungen zum überwiegenden Teil im Einklang (oder doch jedenfalls nicht im Gegensatz) mit der Auslegung des inneren Sinnes durch
Swedenborg, weshalb bekanntlich die Anhänger Lorbers zu den verständnisvollsten Lesern
derselben zählen. So sehr wir uns darüber freuen dürfen, so sehr müssen wir doch bezweifeln, daß sie den Jüngern in dieser Form bereits gegeben worden sein können. Wären sie ihnen aber doch schon so gegeben worden, so hätten die Jünger kein Recht gehabt, sich beim
Herrn darüber zu beklagen, daß ihn dieser Sinn vorenthalten worden sei. Und der Herr hätte in
diesem Falle auch nicht sagen können: »Ihr alle könntet das noch nicht ertragen« und sie auf
Pfingsten vertrösten.
Vom Sinn und Zweck dieser Ausführungen — Schlußbemerkungen
Der Leser wird verstehen, daß ich nun nicht einfach immer so weiter fahren und Seite um
Seite, Bogen um Bogen, mit meinen Beobachtungen über die höchst verwickelten Zusammen-
182
Friedemann Horn
hänge zwischen offenkundigen Wahrheiten der Lorbers Offenbarung — Wahrheiten, die oft bis
in die Ausdrucksweise hinein mit den Wahrheiten überein stimmen, die wir von Swedenborg
kennen — und den darin ebenfalls enthaltenen unwahren Behauptungen füllen kann. Ich bin
mir zudem bewußt, daß diese Beobachtungen nur ein allererster Anfang zu einem gründlichen
Studium sein können und gewiß auch in mancher Hinsicht korrekturbedürftig. Dennoch meine ich, daß einige Punkte schon jetzt gesichert sind, vor allem der entscheidende, eine offene
Diskussion zwischen Lorber- und Swedenborg-Freunden überhaupt erst ermöglichende, nämlich: Es liegt am Tag, daß der Anspruch der Lorber diktierenden Stimme, die des Herrn selber
zu sein, nicht ohne Prüfung einfach hingenommen werden kann — zu oft läßt sich der Nachweis führen, daß er falsch ist. Das bedeutet, wie ich noch einmal mit allem Nachdruck betonen möchte, keineswegs, daß dieser Anspruch grundsätzlich abzulehnen wäre — etwa nach
dem Grundsatz: »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht«. Es bedeutet nur, daß die von Lorber
empfangenen Diktate ebenso wie andere Offenbarungen zu prüfen sind.
Den Lorber-Freunden, die auch meine Freunde sind, möchte ich zum Schluß dieses Teils
meiner Ausführungen noch einmal versichern, daß es mir nicht darum zu tun war, »Lorber
herunter zu machen«, wohl aber darum, trügerische Sicherheiten abzubauen und eine tragfähige Basis für gemeinsame Gespräche zu schaffen. Ich wiederhole: Solange man von der einen Seite daran festhält, daß bei Lorber Wort für Wort unmittelbar vom Herrn stammt, und
solange auf der anderen Seite das genaue Gegenteil behauptet wird, nämlich nichts von alledem habe das geringste mit göttlicher Offenbarung zu tun, sondern stamme ausschließlich
von Truggeistern, wird das so nötige Gespräch ausbleiben oder immer wieder versanden.
In der nächsten Fortsetzung wollen wir uns der kritischen Betrachtung der durch Swedenborg
gegebenen Offenbarung zuwenden. Spätestens dann wird klar werden, daß ich nicht mit verschiedenen Ellen messe. Und im übrigen: Wir wollen doch weder »Lorberianer« noch »Swedenborgianer«, sondern allein Jünger des Herrn sein. Der Herr aber gebietet uns, einander zu
lieben und in unserer Andersartigkeit gelten zu lassen. Sollten wir unter dieser Voraussetzung nicht auch ein wenig brüderliche Kritik vertragen können?
[7. Teil: OT (1977) 27-38]
Wir haben uns ausführlich mit den Offenbarungen Jakob Lorbers befaßt. Dabei stellten wir
unter Anwendung leicht einsehbarer und allgemeingültiger Kriterien fest, daß in diesen Offenbarungen neben vielen und tiefen Wahrheiten Behauptungen enthalten sind, deren göttlichen
Ursprung man bezweifeln, in einigen Fällen geradezu bestreiten muß. Dabei haben wir ganz
bewußt alle metaphysischen Inhalte ausgeklammert, weil es sinnlos ist, darüber streiten zu
wollen, ob es einen anfänglichen »Engelfall« gegeben hat, ob Luzifer als Oberhaupt der gefallenen Engel existiert, wie Lorbers Stimmen behaupten, oder ob Swedenborg recht hat, der an
diesen Mythos nur in der allerersten Zeit nach seiner Berufung geglaubt hat, später aber aufgrund dessen, was ihm in der Schau zu sehen und zu hören gegeben wurde, zur gegenteiligen
Auffassung gelangte. Die in den nächsten Heften abgedruckten Teile von Swedenborgs »Geistigem Tagebuch« werden es jedem Leser deutlich machen, daß Swedenborg in den Jahren des
Übergangs zwischen seiner naturwissenschaftlichen und seiner seherischen Epoche noch
viele der traditionellen theologischen Auffassungen nicht überwunden hatte. Sie klebten ihm
an, wie dem eben geschlüpften Küken die Eierschalen. Nochmals: Wir kamen zu unserer
Erkenntnis, daß es nicht, oder jedenfalls nicht immer, der Herr gewesen sein kann, der zu
Lorber als der Herr oder als der Vater sprach, aufgrund leicht nachprüfbarer Widersprüche zu
historischen und anderen wissenschaftlichen Gegebenheiten. Ein kritischer Leser hat mir
daraufhin »Wissenschaftsgläubigkeit« vorgeworfen und mich der geistigen Unreife geziehen.
Es komme eben darauf an zu glauben. Für Menschen seiner Einstellung gibt es keine Frage:
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
183
Wenn die Stimme, die zu Lorber spricht, behauptet, die des Herrn zu sein, so kann sie sagen,
was sie will, es wird, es muß immer richtig sein, »und wenn die Welt voll Teufel wär'.«
Man verzeihe mir diesen etwas spöttischen Ton. Ich bekenne mich zu der Schwäche, ihn
immer wieder dann anzuschlagen, wenn ich Menschen begegne, die dem Prinzip »alles oder
nichts«, »schwarz oder weiß« huldigen und keine »Zwischentöne« kennen.
Die Reaktion der ganz und gar unkritischen Anhänger der Offenbarungen Lorbers (es gibt, wie
ich schon einmal andeutete, auch andere) zeigt, wie schmerzlich es ist, das herabgesetzt zu
sehen, was man so sehr liebt. Ihnen sei aber nochmals versichert: Es lag und liegt mir ganz
fern, »das Strahlende zu schwärzen«, viel eher möchte ich, um im Bilde dieses bekannten
Schiller-Wortes zu bleiben, das Schwarze, das sich ins Strahlende dieser Offenbarungen
mischt, eliminieren. Zum Beweis dafür, daß dies meine Absicht ist und mir nichts feiner liegt,
als Unfrieden, oder gar Feindschaft zu säen, mag der geneigte Leser die folgenden Ausführungen, die der kritischen Durchleuchtung der Offenbarungen Swedenborgs dienen, sowie den
Abdruck der Arbeit Peter Keunes nehmen, in der dieser bekannte Lorberianer unter den Swedenborgianern (man verzeihe diese etwas ungewöhnliche Bezeichnung — Herr Keune, dem die
Berliner Gemeinde der Neuen Kirche viel verdankt, wird ihn mir gewiß nachsehen) in eindrücklicher Form das viele Gemeinsame bei Swedenborg und Lorber aufzeigt76. Wie sehr das
Bedürfnis, in Lorbers Schriften das Korn vom Stroh zu scheiden schon seit langem auch in
den Reihen der Anhänger Lorbers empfunden wurde, zeigt unübertrefflich das folgende Zitat.
In der kleinen Lorber-Schrift »Die zwölf Stunden«, 3., verbesserte Auflage 1895 im Neutheosophischen Verlag (dem früheren Lorber Verlag) in Bietigheim liest man im Vorwort, das ausdrücklich als »empfangen« durch einen gewissen O. K. L am 30.5.1892 deklariert wird,
folgende interessante »Vaterworte« zum Problem der Kritik an den Offenbarungsschriften
Jakob Lorbers:
»Ihr lebet jetzt noch in der Zeit des lebendigen Fließens Meines Geistes in eure Sphäre; noch ist die
Zeit nicht gekommen, wo das, was Meine Diener von Mir gehört und niedergeschrieben haben, einer Nachprüfung unterzogen würde, was echt — was unecht und was nur gefärbt sei. Wie dir
schon gesagt wurde, als du dich anbotest, die von dir bemerkten und etwaige andere Fehler im
(großen) Evangelium (Johannes) auszumerzen (wiederhole Ich hier): lasse die Hand von solch
kleinem Wirken. Erstens sind die Fehler gering und betreffen nicht geistige, nur materielle Dinge,
Zweitens lasse Ich solche Fehler direkt zu, namentlich aber hin und wieder für lange Stellen, daß
sie gefärbt werden durch den sich erregenden Geist des Schreibers, damit kein Buchstabenglaube
mehr entstehe unter euch! Seid freie Geister! forschet! und übet euch — frei zu werden — durch die
Forschung in Meinen Schriften (und deren Bestätigung)! Sehet nicht auf die Fehler, sondern auf
den euch noch verborgen gebliebenen inneren tiefen Sinn, wovon euch endlos noch verborgen
bleibt, soviel ihr auch forschen möget.«
Hier ist es also der »Vater« selbst, der Fehler im GEJ zugibt, freilich behauptet, sie beträfen nur
materielle Dinge. Nun, auch wir hatten ja ganz bewußt nur die materiellen, wissenschaftlich
und historisch nachweisbaren Fehler ins Auge gefaßt und die metaphysischen Behauptungen
ausgeklammert, weil man darüber im Grunde nicht streiten und in guten Treuen verschiedener Meinung sein kann. Interessant ist — und das bestätigt Peter Keunes, in OT 1 (1977) Seite
19 geäußerte Meinung —‚ daß diese Fehler sogar absichtlich »zugelassen« wurden (was wird
dann aber aus der unten abgedruckten Behauptung des Diktierenden, durch Lorber habe er
seine »Ware [endlich] einmal ganz rein vor die Welt« bringen können?), um dadurch das Wiedererstehen eines Buchstabenglaubens unter den Anhängern zu verhindern.
Seit der Niederschrift dieser Mahnung sind fast dreimal soviele Jahre vergangen, wie zwischen
Lorbers Tod und ihr lagen. So mag denn die Zeit gekommen sein, das von Lorber und anderen
76
[ Gemeint ist: Peter Keune, Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber. Eine gekürzte Fassung
wurde in OT 1 (1977) 6-26 veröffentlicht.]
184
Friedemann Horn
Neuoffenbarern Niedergeschriebene »einer Nachprüfung zu unterziehen«. Man möchte Lorberwie Swedenborg-Anhängern die Schlußworte des Zitats zur Nachachtung empfehlen: »Seid
freie Geister! forschet!«
Swedenborg will im Unterschied zu Lorbers Stimmen nicht, daß seine Leser ungeprüft alles
hinnehmen, was er schreibt; er fordert sie viel mehr sogar auf, ihren Verstand zu gebrauchen,
sich nicht »überreden« zu lassen, sondern sich selbst zu überzeugen. Den »Überredungsglauben« hatte er als das gefährlichste Erbteil der in seinen Tagen zu Ende gehenden Kirche erkannt; an seine Stelle soll der »Überzeugungsglaube« treten. Swedenborgs berühmtestes Zitat
der Inschrift über dem in der Schau erblickten herrlichen Tempel des Neuen Jerusalem ist
typisch für diese Grundhaltung: »Nunc licet — nun ist es erlaubt, mithilfe des Verstandes in die
Geheimnisse des Glaubens einzutreten« [WCR 508].
Wie kämen wir also dazu, uns zu fürchten, unseren Verstand zu gebrauchen und Swedenborgs Aussagen von Fall zu Fall zu prüfen? Wir Anhänger Swedenborgs haben es jedenfalls
leichter als unsere von Lorber herkommenden Neukirchenfreunde, die glauben fürchten zu
müssen, sie kritisierten den Herrn selbst, wenn sie Lorbers Schriften nicht in schlichtem
Glauben annähmen. Sie ähneln in dieser Hinsicht den Gliedern unserer Schwesterkirche
»Nova Hierosolyma«, welche die Schriften Swedenborgs praktisch auf dieselbe Stufe stellen
wie das Alte und Neue Testament. Aber gerade wegen ihrer unbeugsamen Haltung wäre ein
fruchtbares Gespräch zwischen ihnen und den ebenso unbeugsamen Anhängern Lorbers (wir
sagten schon: es gibt auch andere) äußerst erschwert, wenn nicht unmöglich. Jeder beharrt auf
seinem Standpunkt, nicht bereit, auch nur ein Fußbreit zurück zu weichen, nach der Regel:
»Alles oder nichts«, bzw. »schwarz oder weiß«. Ist es nicht stets diese Haltung gewesen die
zum Unfrieden geführt und das Christentum in den Augen seiner Gegner verächtlich gemacht
hat?
Wenn wir vom unvergänglichen Wert der Offenbarung Swedenborgs überzeugt sind und —
mehr als das — wenn wir das Licht und die Wärme selbst erlebt haben, die uns der Herr dadurch beschert hat — wie sollten wir dann fürchten, wir könnten bei Anwendung kritischer
Maßstäbe die unwillkommene Entdeckung machen, das Ganze sei bloßes Menschenwerk?
Eher trifft das Gegenteil zu: starres Festhalten kann dazu führen, daß Unsicherheit um sich
greift und — wie das bereits hie und da geschehen ist — weniger gefestigte Anhänger sagen:
Swedenborg hat sich selbst und anderen etwas vorgemacht; es ist alles nicht wahr, was er
geschrieben hat!
Wir müssen uns nun einmal damit abfinden, daß Gottes Offenbarung niemals in absoluter
Form zu uns kommt, sondern stets in Anpassung an den von Ihm gewählten jeweiligen
Übermittler, und damit unwillkürlich auch an einen bestimmten Entwicklungsstand seiner
Zeitgenossen. Denken wir nur einmal einen Augenblick daran, wie es wäre, wenn Gott unverhüllt zu uns durch seine Offenbarungsträger spräche, uns also nicht relative, sondern absolute
Wahrheiten zumutete — wir würden rein gar nichts davon verstehen, ebenso wenig wie ein
Erstkläßler, wenn der Lehrer Einsteins Relativitätstheorie vor der Klasse ausbreitete. Eine
»absolute Offenbarung« wäre also viel eher eine totale Verhüllung zu nennen. Wir erhalten das
Korn der göttlichen Offenbarung daher auf dem Halm menschlicher Anschauung und nicht fix
fertig gedroschen und gemahlen, oder gar zu Brot gebacken, zu sofortigem Gebrauch. Vielmehr
will Gott, daß wir selbst auch etwas dazu tun, um in den Genuß der geoffenbarten Wahrheit zu
kommen.77
77
[In B heißt es: »Vielmehr will Gott, daß wir selbst auch etwas dazu tun, um in den Genuß der geoffenbarten Wahrheit zu kommen: dreschen müssen wir!«]
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
185
Swedenborg ist sich darüber völlig klar gewesen. Man könnte seitenweise zitieren, was er
über die Relativität aller den Menschen, ja sogar aller den Engeln geoffenbarten Wahrheit geschrieben hat.
In meinen Augen liegt hier einer der grundlegenden Unterschiede zwischen dem Schrifttum
Lorbers und dem Swedenborgs. Die Stimme, die sich durch Lorber offenbarte, will wörtlich
genommen werden und will nicht den Filter des Verstandes ihres Schreibers passieren, ehe
sie zum Leser dringt, daher legt die Macht, die sich Lorbers bedient, so großen Wert darauf, daß
er ein einfacher Mensch ist, der nicht den Drang hat, selbst etwas zu schreiben. Seine Stimme
diktiert ihm die bezeichnenden Worte:
[HiG.02_44.02.08,04] »Wärst du ein Schreiblustiger, dann hätte Ich dich nie erwählt, denn die
Schreiblustigen schmuggeln gern und verkaufen unter Meiner echten Ware auch ihre eigene auf
Meine Rechnung. Eben darum erwählte Ich dich, weil du kein Schreiblustiger bist, um eben dadurch Meine Ware einmal ganz rein vor die Welt zu bringen.«78
Auch Swedenborg hatte mehrfach davon gesprochen, wie groß die Gefahr sei, »Eigenes« in die
empfangenen Offenbarungen einzumischen. Dies war der Grund, weshalb er das unmittelbar
nach seiner Berufung begonnene, höchst dichterische Werk über »Die Anbetung und Liebe
Gottes« nicht zuende geführt hat. Es habe zuviel Eigenes enthalten, sagte er später.
Lorbers Verstand wäre wohl nicht genügend geschult gewesen, um wie der Swedenborgs das
in der Geisterwelt, in Himmel und Hölle Gesehene und Gehörte auf seinen Wahrheitsgehalt
hin zu prüfen. Es ist zwar nicht so, daß Lorber als Mensch völlig unkritisch gegenüber dem
ihm Diktierten gewesen wäre — es gibt einen Bericht wonach er mit Freunden über seine
Zweifel daran sprach — doch wagte er nicht, irgendetwas von dem Gehörten zu ändern. So war
er gewissermaßen »Wachs« in den Händen derer, die ihn als »Schreibknecht« benutzten und
einerseits reinste neukirchliche Wahrheiten durch ihn verkünden konnten, andererseits aber
auch eine Menge von Dingen, die im Grunde wenig, oder gar nichts mit dem Glauben des
Neuen Jerusalem, der vom Herrn auf Erden zu gründenden Neuen Kirche, zu tun haben.
Natürlich waren die Stimmen an den in Lorbers Gedächtnis gespeicherten Wort- und Vorstellungs-Schatz gebunden. Ohne Lorbers persönliches Interesse für die Astronomie etwa, hätten
sie kaum so Erstaunliches über den Aufbau der natürlichen Schöpfung sagen können, und
ohne Lorbers Kenntnis einiger Werke Swedenborgs 79 hätten sie einem relativ einfachen Menschen katholischer Herkunft wohl kaum soviel mit Swedenborgs Lehren Übereinstimmendes
übermitteln können. Es ist ja auch eine Tatsache, daß sich in Lorbers Diktaten fast die gesamte Swedenborgsche Nomenklatur findet. Die erwähnten Beispiele (Entsprechungen, geistiger
und himmlischer Sinn) ließen sich beliebig vermehren. Unwiderlegbar aber wird die Abhängigkeit der Lorberschen Stimmen von dessen Kenntnis Swedenborgs am Beispiel einiger Ausdrücke, die sich ausschließlich in den deutschen Übersetzungen der Werke Swedenborgs
finden, in der gesamten deutschen Literatur aber praktisch nicht vorkommen: »Lustreiz« und
»Liebtätigkeit«.
Man kann es ohne weiteres so sehen, daß geistige Mächte daran interessiert waren, die von
Swedenborg in recht trockener, wissenschaftlicher Manier vorgebrachten Lehren des Herrn
78
79
Die letzten Worte nähren wiederum den Zweifel an dem behaupteten unmittelbar göttlichen Ursprung
dieser Sätze: Der Widerspruch zu der Grundbedingung göttlicher Offenbarung ist offensichtlich, nämlich daß sie um des Menschen (oder Engels) willen immer relativ, nie »ganz rein« sein muß.
Dies heißt nicht, daß Lorbers Offenbarungen allein durch seine Kenntnis einiger Schriften Swedenborgs zu erklären wären! Aber daß Lorber Werke Swedenborgs in deutscher Übersetzung gekannt hat,
ist nicht zu bestreiten. In einem Brief an Andreas Hüttenbrenner vom 23. Juni 1845 erwähnt Lorber
selbst, daß er dessen verstorbenen Sohn Swedenborgs Werke geschenkt hatte, die ihm nun in der geistigen Welt einen großen Dienst getan hätten. Abdruck des interessanten Briefes auszugsweise auf S.
39.
186
Friedemann Horn
für Seine Neue Kirche mit etwas »Würze« zu versehen. Und in der Tat sind durch das LorberSchrifttum Zehntausende mit den entscheidendsten dieser Lehren bekannt und vertraut geworden, so daß man wohl sagen darf:
Wer die Schriften Lorbers als göttliche Offenbarung betrachtet und so mit den wichtigsten
Grundsätzen der himmlischen Lehren vertraut ist, der gehört zumindest schon zum Umkreis
der Neuen Kirche des Herrn. Sollten wir uns darüber etwa nicht freuen? Daß die »Würze«
nicht nach jedermanns Geschmack ist, besagt wenig oder nichts dagegen.
Kritik an Swedenborg, 1. Die Planetenbewohner
Bei der Niederschrift der folgenden Gedanken sehe ich ähnliche Reaktionen seitens derer
voraus, die sich noch nicht daran gewöhnt haben, auch an Swedenborgs Offenbarungen dieselben kritischen Maßstäbe anzulegen, die wir an die Offenbarungen Lorbers angelegt haben.
Es ist leicht, ja für manche vielleicht sogar mit einer gewissen Befriedigung verbunden, Offenbarungen kritisiert zu sehen, die ihnen fremd sind und mit denen sie sich nicht identifizieren.
Mit wenigen Ausnahmen hat kein Swedenborg-Anhänger jene Tausenden von Stunden intensiven Studiums aufgewendet, um sich durch die rund 25 dicken braunen Bände des Lorberschen Offenbarungswerks hin durchzuarbeiten, wie so manche Lorber-Anhänger. Die
Feststellung, daß es nicht — oder doch nicht in jedem einzelnen Fall — eine unmittelbare Offenbarung des Herrn selbst (wie behauptet), sondern irgend welcher höheren oder weniger
hohen geistigen Mächte sein dürfte, bedeutet für den Swedenborg-Anhänger nicht, wie für den
Anhänger Lorbers, daß er liebgewordene Glaubenssätze revidieren müßte. Wenn nun aber
seine Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, daß auch Swedenborgs Offenbarungen gewisse
Mängel aufweisen, jedenfalls nicht Wort für Wort ihren hohen Anspruch rechtfertigen, so mag
sich der Swedenborg-Anhänger wie der Patient im Behandlungsstuhl eines Zahnarztes fühlen,
wenn dieser recht unsanft mit seinen empfindlichen Nerven umgeht.
Und doch ist es bekanntlich von Zeit zu Zeit notwendig, den Zahnarzt zu konsultieren. Und
jeder, der mit der Lage der organisierten Neuen Kirche — und diese ist nicht identisch mit dem,
was Swedenborgs Offenbarungs-Theologie unter der Neuen Kirche des Herrn versteht! 80 —
vertraut ist, weiß, daß sie in einer vergleichbaren Lage ist. Angesichts gewisser Ereignisse und
Entwicklungen ist eine ernsthafte Beschäftigung mit der Frage der Autorität der Offenbarungsschriften Swedenborgs unerläßlich, ja geradezu lebensnotwendig. Aber für den, der diese
Schriften en bloc als »die Lehre des Herrn für die Neue Kirche« oder als »unsere Lehren« zu
betrachten gewohnt ist, muß es zunächst einmal schmerzlich sein, wenn man ihm zu beweisen sucht, daß sie nicht die Offenbarung des Herrn für Seine Neue Kirche sind, sondern nur
enthalten, anders ausgedrückt, daß auch für Swedenborg gilt, daß »das Korn der göttlichen
Offenbarung auf dem Halm der menschlichen Anschauung wächst« (Oetinger), und daß wir
»diesen Schatz in irdenen Gefäßen haben«, um ein Wort des Paulus, das freilich einen anderen
Bezug hat, einmal auf unser Thema anzuwenden.
Im Unterschied zu Lorber war Swedenborg nicht einfach ein »Schreibknecht des Herrn«, der
gehorsam und ohne je etwas zu verändern niederschrieb, was ihm seine Stimmen diktierten.
Vielmehr blieb Swedenborg auch nach seiner »Berufung« und Eröffnung der Schau in die jenseitigen Welten jener glänzende kritische Geist, der in den drei vorausgegangenen Jahrzehnten
zu den führenden technischen und wissenschaftlichen Kapazitäten Europas gehört hatte.
Dies belegt beispielsweise das Ergebnis eines Vergleichs zwischen den unmittelbar nach der
Berufung verfaßten, aber erst nach seinem Tode herausgegebenen religiösen Schriften (»Geistiges Tagebuch« und »Adversaria«) und den ab 1747 von ihm selbst publizierten rund 20'000
80
Vergleiche die Ausführungen in OT 1 (1977) Seite 8, insbesondere die Anmerkung.
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
187
Seiten umfassenden Werken: Zeigen die ersteren noch in vieler Hinsicht die »Eierschalen«
seiner religiösen Herkunft und Erziehung — der Vater war bekanntlich lutherischer Bischof
pietistischer Prägung —‚ so findet man davon in den späteren Werken keine Spur mehr. Ein
weniger kritischer Geist wäre kaum in der Lage gewesen, sich dem mächtigen Eindruck von
Visionen zu entziehen, die ganz auf der Linie der herkömmlichen christlichen Dogmatik lagen, und durch all dies hindurch zum Kern dessen vorzudringen, was er später »die Lehre des
Herrn für seine Neue Kirche« nannte.81 In den Übergangsjahren (1744-1746) stellte Swedenborg fest, daß die Geister, denen er in der anderen Welt begegnete, »fast immer lügen« und er
sich nur auf das verlassen konnte, was Gott ihm in der Erleuchtung zeigte, während er Gottes
Wort studierte. Selbst die Engel waren für ihn in den Kernfragen des von ihm im Auftrag Gottes neu zu formulierenden Glaubens nicht maßgebend, weil sie zwar nicht lügen, hingegen
oftmals irren. Erst später, als er mit höheren Engeln in Berührung kam, gewannen ihre Aussagen mehr Bedeutung für ihn. So erklärt es sich, daß er mehrere Werke unter dem Titel herausgab »Die Weisheit der Engel betreffend … (die Göttliche Vorsehung / Die Göttliche Liebe
und Weisheit).«
Aber wo er ihren Aussagen über gewisse Nebenfragen des Glaubens folgte, geschah es wohl
hauptsächlich, weil sie mit seinen eigenen Anschauungen harmonierten. Eine gewisse Zurückhaltung scheint hier angebracht, so z. B. wenn Swedenborg sich von Engeln bestätigen
ließ, was er selbst schon als Naturwissenschaftler vertreten hatte, nämlich daß sämtliche
Planeten und deren Monde im Weltall von menschlichen Wesen bewohnt seien. Heute zeigen
die Ergebnisse von Astronomie und Weltraumfahrt, daß das Leben im Weltall sehr viel dünner
gesät sein dürfte, als er und die Engel annahmen.
Die Grundanschauung Swedenborgs und der Engel über diese Frage bleibt dadurch freilich
unangetastet: Der Mensch ist der Endzweck der Schöpfung. Denn Gott ist Liebe, und »das Wesen der Liebe besteht darin, andere außer sich zu lieben, eins mit ihnen sein und sie aus sich
beglücken zu wollen«. Der Mensch ist das einzige Wesen, das die Voraussetzungen zu einem
solchen »Bund« mit dem Gott der Liebe hat: Vernunft und Freiheit. Aber dieser Glaube läßt sich
nur aufrechterhalten, wenn die Menschheit unserer Erde — dieses Staubkorns im Weltall —
nicht allein ist, wenn menschliches Leben nicht die eine Ausnahme, sondern dort, wo die
Voraussetzungen gegeben sind, die Regel ist. Swedenborg ließ sich von den Engeln bestätigen,
daß es Millionen von Menschheiten im Weltall gäbe. Bei der relativen Beschränktheit des
damaligen astronomischen Wissens lag der Schluß nahe, daß sämtliche Erdkörper, ja sogar
deren Monde, bewohnt seien. Heute aber zählen wir allein in unserer Milchstraße ca. 200
Milliarden Sonnen. Das bedeutet: Wenn nur jede tausendste von ihnen von einem Planeten
umkreist wird, der ähnliche Lebensbedingungen bietet wie unsere Erde, so gibt es die Möglichkeit für 200 Millionen Menschheiten. Da man heute Grund hat, mit Milliarden von Milchstraßen oder Galaxien gleich der unseren zu rechnen, ergibt sich eine so immense Zahl von
möglichen Menschheiten, daß Swedenborgs und seiner himmlischen Freunde Annahme millionenfach übertroffen wird. Und dies, obwohl wir heute seine Behauptung bezweifeln müssen,
»wo immer ein Erdkörper oder ein Satellit eines Erdkörpers ist, da ist auch der Mensch«
(»Erdkörper« Nr. 3, 112 u.ö.).
Swedenborg teilte offensichtlich die Meinung sämtlicher Gelehrten seiner Zeit (und noch bis
weit ins 19. Jahrhundert hinein), daß die Schöpfung vor rund 6'000 Jahren stattgefunden habe
und in kurzer Zeit für alle Geschöpfe, also auch den Menschen, bewohnbar wurde. Mit ande81
Aus diesem Grunde spiegeln die von Peter Keune zitierten Äußerungen Swedenborgs im »Geistigen
Tagebuch« über Luzifer nur die unmaßgebliche, damalige Meinung des Sehen. Wir werden auf den radikalen Wandel in Swedenborgs theologischem Denken während der Übergangsperiode noch zurückkommen müssen.
188
Friedemann Horn
ren Worten: Er hatte keine Vorstellung von den ungeheuren Zeiträumen, die nach unserer
heutigen Erkenntnis zur Vorbereitung der Weltkörper als Träger organischen Lebens nötig
waren. Wenn wir auch mehr als ein Fragezeichen hinter die sogenannten Ergebnisse der
diesbezüglichen wissenschaftlichen Forschung setzen müssen, so dürfen wir doch mit Sicherheit annehmen, daß die Erde die weitaus längste Zeit ihres Bestehens ohne menschliche
Bewohner war. Das Verhältnis dürfte vielleicht bei einigen Milliarden zu einigen Millionen
Jahren liegen, also 1000 : 1 betragen. Dies bedeutet, daß der zitierte Satz Swedenborgs auf alle
Fälle abgewandelt werden muß, um heute noch glaubwürdig zu sein.
Blicken wir von unserer Erde hinaus in Weltall, so wird unser Zweifel an Swedenborgs und
seiner himmlischen Freunde Behauptung noch viel größer: Nach allem, was wir heute wissen, ist es äußerst unwahrscheinlich, daß unser Mond oder irgendeiner der übrigen Planeten
und Monde unseres eigenen Sonnensystems gegenwärtig oder zu irgendeiner Zeit der von
Swedenborg angenommenen rund 6'000 Jahre seit der Schöpfung menschliches Leben trägt
bzw. getragen hat. Es sieht auch nicht danach aus, als könnte das in irgendeiner fernen Zukunft eintreten (obwohl man über die Zukunft nichts Endgültiges sagen kann). Genug, Swedenborgs Behauptung erweist sich heute als zeitbedingt und kann nur noch in abgewandelter
Form aufrechterhalten werden, etwa in der folgenden:
Der Mensch ist zwar der eigentliche Endzweck der Schöpfung, aber nicht überall im Weltall
findet er die für ein Leben im Fleisch nötigen Bedingungen. Nur auf den Erdkörpern, welche
ihm diese Bedingungen bieten, dürfen wir mit Menschheiten rechnen. Erdkörper, die entweder
grundsätzlich ungeeignet als Wohnstätten für organisches und damit auch menschliches
Leben sind, weil sie infolge zu geringer oder zu großer Entfernung von ihrer Sonne zu heiß
oder zu kalt sind, erscheinen deshalb doch keineswegs als unnütz. Vielmehr dienen auch sie
dem Endzweck, indem sie beispielsweise durch ihre Masse dafür sorgen, daß gewisse Erdkörper des Systems in ihren Bahnen erhalten bleiben, auf denen bei ihrem Kreisen um die
Sonne jene mittleren Temperaturen herrschen, die das Entstehen und die Erhaltung einer
lebensichernden Atmosphäre ermöglichen.
Ferner dürfen wir annehmen, daß es zahllose Erdkörper gibt, die dafür ausersehen sind, dermaleinst menschliches Leben zu tragen, oder die in der Vergangenheit solches Leben getragen
haben. Es entstehen offenbar heute noch immer weitere Sonnen und Weltensysteme. Jedenfalls gibt es Anzeichen dafür, daß die Schöpfung noch keineswegs abgeschlossen ist.
Bei der geradezu ungeheuerlichen Zahl von Sonnen führt selbst die Annahme, daß nur ein
winziger Bruchteil von ihnen jeweils den einen oder anderen Menschen-tragenden Planeten
oder Planeten-Mond bei sich hat, zur Vorstellung von Milliarden von Menschheiten.
Swedenborgs von den Engeln und Geistern bestätigte Annahme, es gäbe »Millionen« von Erdkörpern, basiert auf seinen eigenen, während seiner »wissenschaftlichen« Periode gewonnenen Vorstellungen, und muß unseren heutigen Vorstellungen entsprechend ergänzt bzw.
abgewandelt werden. Alles andere schadet auf die Dauer nur dem Ansehen Swedenborgs und
seiner Anhänger.
Es ist in diesem Zusammenhang gut, daran zu denken, daß Swedenborg mehr als einmal
betont hat, daß Offenbarungen sich immer nur auf geistige, nicht auf natürliche Dinge beziehen, das heißt daß Gott die Erforschung der natürlichen Schöpfung dem Menschen überläßt.
Das schließt freilich nicht grundsätzlich aus, daß von der Geisterwelt her wichtige Anstöße
dazu gegeben werden können.
Manche Leser mögen, wie schon eingangs gesagt wurde, über diese Darlegungen entsetzt sein.
Ich kann es auch nicht verhindern, daß sie in ihrer Erregung vielleicht sogar Dinge hineinlesen, die ich gar nicht geschrieben habe und die mir fern liegen. Daher will ich einen möglichen Einwand vorwegnehmen und beantworten:
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
189
Bedeutet das nun, daß ich Swedenborg bezichtige, entweder bloße Chimären gesehen oder
geradezu die Unwahrheit gesagt zu haben? Keineswegs! Ich möchte mit allem Nachdruck
feststellen, daß ich Swedenborgs Beschreibungen der von ihm gesehenen Geister von anderen
Erdkörpern in der Geisterwelt voll und ganz akzeptiere. Ich bin überzeugt, daß er diesen Wesen begegnet ist und über »Mittelsgeister« mit ihnen gesprochen hat, um sich über die Lebensbedingungen und über die ethischen und religiösen Anschauungen auf ihren irdischen
Pflanzstätten unterrichten zu lassen. Was ich einzig bezweifle, bezweifeln muß, ist die Zuordnung dieser Geister-Menschheiten zu den Erdkörpern, von denen sie stammten. Warum?
Ich sagte bereits, daß Swedenborg die Überzeugung zahlreicher Forscher seiner Zeit teilte,
wonach sämtliche Erdkörper seit ihrer Erschaffung vor rund 6'000 Jahren von menschlichen
Wesen bewohnt seien. (Wer Genaueres darüber wissen möchte, lese den Artikel von Prof.
Ernst Benz über »Swedenborg und die Pluralität der Welten« OT 4/1975). Was lag da näher als
die Annahme, er habe es bei den von ihm gesehenen Menschheiten mit denen unseres Sonnensystems zu tun? Wir deuten Rätselhaftes, erstmals Gesehenes oder Erlebtes ja immer gern
im Rahmen dessen, was uns bekannt und vertraut ist (oftmals freilich auch nur zu sein
scheint).
Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß sich Swedenborg für diese
Behauptungen nicht auf göttliche Offenbarung beruft, sondern auf das, was ihm »die Engel
sagten«. Lorber dagegen beruft sich in seinen entsprechenden Ausführungen auf unmittelbares göttliches Diktat82.
[8. Teil: OT (1977) 132-140]
Zu den Reaktionen auf den Artikel »Zum Problem der Offenbarungskritik«
Bevor ich zum (vorläufigen) Abschluß meiner Gedanken zum Problem der Offenbarungskritik
komme83, will ich auf einige der häufigsten Einwände eingehen, die aus Leserkreisen und weit
darüber hinaus — auch von solchen, die diese Gedanken entweder gar nicht oder nur vom
Hörensagen kennen — erhoben worden sind.
1. Man solle Offenbarungen nicht kritisieren, sondern im Glauben annehmen, lautet der häufigste Einwand. Meine Antwort (im Grunde längst gegeben), lautet:
a) Es gibt sich sehr vieles als »Offenbarung« aus, ohne es doch zu sein. Bereits im Alten Testament treten bekanntlich echte und falsche Propheten auf, und leider zeigte sich immer
wieder, daß die falschen zu ihrer Zeit mehr Glauben fanden als die echten. Ihre Botschaft, als
göttliche Offenbarung etikettiert, tönte einfach angenehmer oder wahrscheinlicher. Daher
wußte schon Paulus, daß man »alles prüfen« muß, um nur »das Gute zu behalten«. Und von
Swedenborg wissen wir, daß der Herr Seine Neue Kirche nicht auf einem neuen »Überredungsglauben« aufbauen will, wie die alte, also nicht auf dem, was Menschen ungeprüft und
aus blinder Autoritätsgläubigkeit heraus angenommen, sondern was sie geprüft und im Lichte
ihrer von Gott erleuchteten Vernunft »eingesehen« oder »wahrgenommen« haben, was sie
»innegeworden« sind.
b) Dazu kommt, daß selbst echte und nicht von raffinierten Menschen zum Zwecke der Ausbeutung ihrer glaubenssüchtigen Mitmenschen erdachte Offenbarungen immer ein Gemisch
von Göttlichem und Menschlichem sind. Wir haben mehrfach Oetingers einprägsames Wort
82
83
Vgl. den von mir kommentierten Abdruck aus Lorbers »Erde und Mond«, OT 1 (1977) Seite 40ff.!
Aus Platzgründen kann dieser Abschluß erst in der nächsten Nummer erscheinen. [In der nächsten
Nummer der OT ist kein Abschluss zu finden. Friedemann Horn bricht seine Ausführungen - ohnehin
mehr Skizze als ausgereifte Darlegung - also einfach ab. Th. Noack].
190
Friedemann Horn
zitiert: »Das Korn der göttlichen Offenbarung wächst auf dem Halm der menschlichen Anschauung«.
Festzustellen, was Korn, was Halm ist an dem, was mit dem Anspruch auf göttliche Offenbarung auftritt, ist Sache der Offenbarungskritik. Man lasse sich also nicht irremachen: Offenbarungskritik in diesem Sinne ist keineswegs etwas Negatives, Herabziehendes — im Gegenteil,
ihr Ziel ist es ja, zum Korn der jeweiligen Offenbarung zu gelangen. Der Offenbarungskritiker
ist einem Drescher zu vergleichen. Nun ist das Dreschen zwar nichts Angenehmes, wohl aber
höchst Notwendiges. Natürlich kann sich bei dieser Arbeit unter Umständen auch herausstellen, daß fast oder gar kein Korn, sondern nur leeres Stroh gedroschen wurde (wofür ich im
vorletzten Heft ein krasses Beispiel [Neue Bibel in OT 1976, Seite 180ff.] angeführt habe).
2. Man sagt, ich sei ein Opfer meiner »Wissenschaftsgläubigkeit« geworden und hätte von
daher Offenbarungen des Herrn durch Lorber kritisiert, statt zu bedenken, daß die Wissenschaft etwas vom Menschen Gemachtes und deshalb für ein Urteil über Äußerungen des
Herrn gar nicht zuständig sei. Darauf möchte ich folgendes erwidern:
a) Die selben Leute, die mir diesen Vorwurf machen, bemühen sich seit einigen Jahren um
den Nachweis, daß Lorber naturwissenschaftliche Offenbarungen von der heutigen Wissenschaft weitgehend bestätigt würden. Sie schlagen daraus sogar gehöriges Kapital, was ihnen
niemand verdenken kann. Wenn nun aber ich behaupte, es sei wissenschaftlich erwiesen, daß
es im Palästina Jesu noch keinen Mais gegeben hat, wie Lorbers Stimme, die sich als die des
Herrn ausgibt, behauptet, oder wenn ich behaupte, es sei wissenschaftlich unhaltbar, daß das
Osterfest, wie dieselbe angebliche Stimme Jesu durch den Grazer »Schreibknecht Gottes« behauptet, zur Zeit des Herrn auf Erden fast ein Vierteljahr später gefeiert worden sei als heute,
weil an diesem Fest ja bereits das Brot aus dem neu geernteten Korn zubereitet werden mußte
etc., dann soll ich angeblich dazu kein Recht haben. Und warum nicht? Ganz einfach, weil es
der Herr durch Lorber nun einmal so gelehrt hat; und demgegenüber sei es ganz unerheblich,
was die Wissenschaft dazu sagt — Punktum Schluß! Ich nenne diese Einstellung einen typischen Fall von Überredungsglauben, wie er in der Neuen Kirche des Herrn eben nicht mehr
herrschen soll. Ich finde, man kann als Christ der Neuen Kirche, der nicht mehr bereit ist,
»seinen Verstand unter den Gehorsam des Glaubens zu beugen«, aus den angeführten Widersprüchen nur den — freilich für den bedingungslosen Anhänger schmerzlichen und unannehmbaren — Schluß ziehen, daß es eben nicht — jedenfalls nicht immer — der Herr ist, der
durch Lorber spricht, selbst wenn dies von Lorbers Stimme ausdrücklich behauptet wird.
b) Niemandem käme es in den Sinn, ein Buch von A bis Z als »absolut wahr« zu bezeichnen,
weil sich darin Wahres, vielleicht sogar in großer Menge, findet. Bei den Schriften Lorbers aber
soll es, trotz nachweislicher Widersprüche zu offenkundigen Fakten und trotz vieler geradezu
abenteuerlicher und völlig unbeweisbarer Behauptungen so sein, daß sie »absolut wahr« und
»über jede Kritik erhaben« sind. Wer dies behauptet, begibt sich einer der Grundrechte, zugleich verstößt er damit aber auch gegen eine der unerläßlichen Pflichten wahren Menschentums und beugt seinen Verstand ohne Not »unter den Gehorsam des Glaubens«. Dies ist
jedenfalls nicht im Sinne Swedenborgs, der vielmehr seine Leser immer wieder auffordert,
»nichts auf Autorität hin anzunehmen«, sondern alles zuerst auf seine Echtheit und Wahrheit
zu prüfen; »denn es könnte ja falsch sein«. Diese Regel, sagt Swedenborg, wendeten sogar die
Engel im Himmel an, sobald ihnen etwas bisher Unbekanntes vorgetragen werde.
c) Soviel ist allerdings richtig: Die Wissenschaft ist für die Prüfung des Wahrheitsgehaltes
metaphysischer Aussagen nicht zuständig. Weil ich mir darüber klar bin, habe ich ja die entsprechenden Aussagen Lorbers ausgeklammert, bzw. nur hie und da ihre Übereinstimmung,
ihre Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit mit denen Swedenborgs, oder der biblischen Offenbarung festgestellt. Wo aber Lorber, Swedenborg, oder irgendein anderer Offenbarungsträger Aus-
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
191
sagen macht, die den Bereich des Sichtbaren, oder Geschichtlichen betreffen, habe ich nicht
nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht, sie anhand wissenschaftlicher »Gewißheiten bzw.
mithilfe wissenschaftlicher Methoden zu überprüfen.
Beispiele:
1. Wenn also durch Lorber eine Stimme, die sich als die des Herrn selbst ausgibt, erklärt, das
Osterfest habe bei den Juden seinerzeit beinahe ein Vierteljahr später stattgefunden, als es
heute der Fall sei, und dafür eine ausführliche Begründung gibt, die darauf hinausläuft, daß
das Osterfest damals das Fest der Erstlingsfrüchte gewesen sei, von denen sich natürlich im
März/April noch nichts finde, so werde ich »Erkundigungen« einziehen. Denn schon mein
Gedächtnis sagt mir ja, daß die Juden »am vierzehnten Tag des ersten Monats, des Frühlingsmonats Nisan also, gegen Abend die Passahfeier für den Herrn« halten sollten (2. Mose 12,18;
3. Mose 23,5; 4. Mose 9,1-5; 28,16 und an vielen anderen Stellen). Nie haben die Juden Ostern
zu einem anderen Zeitpunkt gefeiert. Die »Begründung«, weshalb sie Ostern zur Zeit Jesu
»nahezu ein Vierteljahr später hinaus« begangen haben sollen, ist schlicht und einfach falsch.
Lorbers »Herr« sagt, Ostern sei nämlich das Dankesfest für die ersten Früchte gewesen, wobei
»man da schon das neue Brot aß«. Das stimmt nun einfach nicht. Zwar sollte am Passahfest
bereits eine »Erstlingsgarbe« dargebracht werden, aber es kann natürlich keine Rede davon
sein, daß man aus den noch völlig unreifen Ähren Brotmehl gewinnen konnte, und davon ist
denn auch in den entsprechenden Texten nicht die Rede. Das ungesäuerte Brot, das man in der
Passah-Woche aß, war aus dem Mehl der letzten Ernte gebacken. Erst 50 Tage später, am
sogenannten Wochen- oder Pfingstfest, wurde dem Herrn »ein Speisopfer von neuem Getreide
dargebracht«, und es wurden »zwei Webebrote aus zwei Zehntel Epha Feinmehl (der neuen
Ernte) hergestellt und mit Sauerteig gebacken«. In diesem Zusammenhang ist denn auch von
der Ernte und den dabei einzuhaltenden Gebräuchen die Rede, nicht im Zusammenhang mit
dem Osterfest (3. Mose 23). Im 5. Mosebuch heißt es in Kapitel 16, das Passahfest solle im
Monat Abib abgehalten werden (Abib ist die frühere Benennung für den Frühlingsmonat Nisan,
also ebenfalls Mitte März bis Mitte April unserer Zeit entsprechend). Dann heißt es: »Sieben
Wochen sollst du dir abzählen: von da an, wo man die Sichel zuerst an die Saat legt (wörtlich:
»Von da an, wo die Sichel anfängt, an die stehende Saat zu kommen …«)‚ sollst du anfangen,
sieben Wochen zu zählen, und sollst dann das Wochenfest zu Ehren des Herrn, deines Gottes
… feiern.« Mit anderen Worten: Anfang April unserer Zeitrechnung ist das Getreide in Palästina so weit gewachsen, daß man die Sichel anlegen kann, aber nicht um zur Ernte zu schreiten, sondern nur, um eine noch völlig unreife »Erstlingsgarbe« darzubringen. So liegen die
Dinge.
Mit einem Wort: Die im Großen Evangelium Johannis durch Lorber mitgeteilten Ausführungen
über den Zeitpunkt des Osterfestes bei den damaligen Juden beruhen auf einer Verwechselung
der mit den beiden fraglichen Festen zusammenhängenden Gebräuche. Mithin ist die Behauptung, dies habe der Herr selbst Lorber diktiert, unhaltbar.
Ich vermag nicht einzusehen, weshalb ich zu dieser Schlußfolgerung nicht berechtigt, ja geradezu verpflichtet sein sollte. Dasselbe gilt für eine große Reihe anderer Fälle. Wenn man für
die Richtigkeit gewisser naturwissenschaftlicher Behauptungen der Lorber-Schriften neue und
neueste Forschungsergebnisse zitiert (siehe Eggenstein), warum nicht auch für die Falschheit
anderer Behauptungen in diesen Schriften? Man darf doch nicht mit zwei Ellen messen!
2. Ein zweites Beispiel: Jerusalem und seine Vororte sollen zur Zeit Jesu »über 800'000 Einwohner« gezählt haben. Die Fläche Jerusalems zur Zeit Jesu betrug knapp 2 Quadratkilometer
… Selbst heute, bei vielfacher Ausdehnung der bewohnten Fläche, hat Jerusalem einschließlich seiner Vororte gerade 200'000 Einwohner!
192
Friedemann Horn
3. Immer wieder läßt das GEJ Lorbers die Jünger und Zeitgenossen Jesu den Gottesnamen
»Jehova« aussprechen. Dies steht in krassem Widerspruch zu allem, was wir — keineswegs
nur vom Hörensagen, sondern aus den zeitgenössischen jüdischen Urkunden — wissen.
4. Lorbers »Herr« fordert die Frau am Jakobsbrunnen auf: »Lies nur den dritten Vers im zweiten
Kapitel des Propheten Jesajas, und du wirst es finden!« Die Einteilung der Bibel in Kapitel und
Verse war damals noch völlig unbekannt, wie sie ein jeder anhand der Wiedergaben alter
Handschriften überzeugen kann. Und wie hätte jene arme Frau lesen sollen? Damals hatte ja
nicht jeder seine gedruckte Bibel zur Hand, wie nebenbei vermerkt werden soll.
5. Lorbers »Herr« trifft alle Anstalten, damit seine Worte getreulich aufgezeichnet werden, und
zwar teilweise sogar nach Diktat. Zu Matthäus sagt er: »… nach 6 Uhr werden wir uns auf den
Berg begeben. Dort werde Ich diesen Völkern das Heil verkünden; du aber schreibe mir nach
dem Munde all das Gesagte in drei Kapiteln und unterteile diese in kleine Verse nach der Art
Davids. Sehe dich aber noch um ein paar andere Schreiber um, die es dir nachschreiben sollen, damit auch diesem Orte ein geschriebenes Zeugnis verbleibe!« Der Herr ordnet also die
Einteilung in Kapitel und Verse selbst an. Leider haben die späteren Abschreiber das wieder
vergessen; denn unsere heutige Kapitel-Einteilung geht auf einen gewissen Langton von Canterbury etwa im Jahre 1205 zurück, und unsere Vers-Einteilung auf den gelehrten Buchdrucker Robert Stephanus (1553). Die erste deutsche Bibelausgabe, die die Kapitel- und
Verseinteilung durchgehend enthält, stammt aus dem Jahre 1568. Während ich dies schreibe,
nehme ich die berühmte Lateinisch-griechische Ausgabe des Neuen Testaments von Erasmus
zur Hand, die mir in der kostbaren Ausgabe von 1501 vorliegt. Es findet sich erwartungsgemäß keine Spur einer Vers-Einteilung der Bergpredigt, sondern nur, gemäß dem damaligen
Stand, die Einteilung in Kapitel, aber selbst die wurde ja erst 300 Jahre zuvor (wieder?) eingeführt.
6. Nach einer nochmaligen Aufforderung an Matthäus: »Nimm aber auch noch deine anderen
Schreiber mit, auf daß hier Mein Wort mehrfach geschrieben werde!« folgt schließlich die
Bergpredigt, die zwar Lorber nicht noch einmal diktiert wird, da sie, wie ihm seine Stimme —
und dies soll immer noch die Stimme des Herrn sein — erklärt »im Matthäus, Kapitel 5, 6 und
7 ganz wohl zu lesen ist«. Und die Stimme fügt hinzu: »Es dauerte aber diese Predigt bei drei
Stunden, denn Ich redete diesmal langsam der Schreiber wegen.« Abgesehen davon, daß die
Evangelien an keiner Stelle irgendeinen Hinweis darauf enthalten, daß Jesus zu diktieren
pflegte, ist auch die angegebene Dauer — »bei drei Stunden« — ganz unglaubhaft: pro Kapitel
eine Stunde bedeutet ein wahres Schneckentempo. Ich fürchte, dabei dürften, wenn schon
nicht die Schreiber, so doch die Zuhörer eingeschlafen sein — ganz im Gegensatz zur Schlußbemerkung des Matthäus: »Und es begab sich, da Jesus diese Reden vollendet hatte, staunte
das Volk über seine Lehre; denn er lehrte wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die
Schriftgelehrten.«
7. Mehrfach gibt Lorbers Herr einen »Gesundheitsrat«, dessen Nachprüfung durchaus in die
Kompetenz der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung fallen dürfte: »… Langschläfer
werden nie ein besonders hohes Alter erreichen. Wer seinem Leibe in der Jugend fünf Stunden
und im Alter sechs Stunden Schlafruhe gönnt, der wird zumeist auch ein hohes Alter erreichen und wird lange ein jugendliches Aussehen behalten …«
8. Ebenso dürfte es erlaubt sein, die Wissenschaft über die merkwürdige Behauptung zu befragen, wonach es zur Zeit Jesu in Palästina schon Mais gegeben haben soll, oder ob »taubengroße Heuschrecken« im Palästina Jesu vorkamen — um noch ein paar letzte Beispiele dieser Art
zu erwähnen.
d) Mein wichtigster »wissenschaftlicher« Einwand gegenüber der Behauptung, Lorbers Diktate
stammten unmittelbar vom Herrn, beruht aber auf der Beobachtung, daß sie häufig und an
Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber
193
entscheidenden Punkten gegen das unwiderleglich erhärtete Gesetz verstoßen, wonach Aussagen in einen gegebenen geschichtlichen Rahmen hineinpassen müssen. So ist, um etwas
genauer auf das schon erwähnte Beispiel einzugehen, einwandfrei erwiesen, daß die Juden zur
Zeit Jesu den alttestamentlichen Gottesnamen aus Furcht vor seiner Entweihung niemals
aussprachen. Das ist ja auch der Grund dafür, weshalb uns dessen genaue Aussprache nicht
bekannt ist. Die hebräische bzw. aramäische Schrift kennt keine Lautzeichen, sondern nur 22
Mitlautzeichen, zu denen die Laute hinzugesprochen wurden. Wir wissen daher nur, daß der
Gottesname JHWH geschrieben wurde, und daß die Juden stattdessen »Adonai« lasen, wofür im
griechischen Neuen Testament »Kyrios« = Herr steht. Alle Zitate des Neuen Testaments aus
dem Alten Testament haben statt des dort geschriebenen Gottesnamens, also JHWH, dieses
»Kyrios«. Bei Lorber aber sprechen Jesu Zeitgenossen völlig ungeniert vom »Jehova«, was
schlechterdings undenkbar ist.
Einwandfrei erwiesen ist ferner, daß die Evangelien die wahre Natur Jesu den Jüngern bis
zuletzt verborgen sein lassen. Man denke nur an das berühmte Petrus-Bekenntnis (Matth
16,16): »Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes«, oder an Jesu Antwort auf Philippi
unverständige Bitte, ihnen doch den Vater zu zeigen (Joh 14,8): »So lange Zeit bin ich bei euch,
und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen.« Dies
sagt der Herr noch am Abend vor der Kreuzigung! Dem GEJ zufolge aber wissen die Jünger
und Anhänger Jesu fast vom ersten Tage an, daß Jesus nicht allein der Messias, sondern der
Vater selbst, der Jehova, ist. Dies ließe sich seitenweise belegen. Dazu kommt, daß bei Lorber
der Herr diesen Glauben der Jünger immer wieder bestätigt. Man fragt sich unter diesen Umständen wirklich, wie es kommt, daß das Johannes Evangelium — von den anderen Evangelien
zu schweigen — nichts davon weiß und Philippus so unverständig reden läßt!
Wenn mit dieser Feststellung auch nicht erwiesen ist, daß Lorbers Offenbarung falsch ist, so
doch zumindest, daß sie der neutestamentlichen widerspricht. Und das heißt ganz einfach:
nun wird es darauf ankommen, welcher Offenbarung der Leser Lorbers Glauben schenkt. Auf
diese Frage hätte ich gern eine Antwort aus den Lorber-Kreisen. Für den amerikanischen
Übersetzer und Herausgeber einiger Teile der Lorberschriften, Nordewin v. Koerber, ist diese
Frage freilich gelöst: Er führt aufgrund zahlreicher Lorber-Texte den Nachweis, daß auf die
neutestamentlichen Aussagen wenig Verlaß sei, umso mehr dagegen auf die Lorbers, dessen
Schriften er geradezu als die »vollkommenste aller Offenbarungen« bezeichnet, weil sie, wie
keine andere, »unmittelbar vom Herrn« stamme.
Als ein letztes Beispiel für den häufigen Verstoß der Lorberschen Offenbarungen gegen das
Gesetz, wonach Offenbarungs-Aussagen in den gegebenen geschichtlichen Rahmen passen
müssen (schon weil sie sonst überhaupt nicht verstanden und aufgenommen werden würden), möchte ich die geradezu atemberaubenden astronomischen, kosmologischen, physikalischen und physiologischen Aussagen der Lorber Diktate, die etwa den vierten Teil ihres
Inhalts ausmachen, erwähnen.
Es handelt sich dabei wohlgemerkt nicht etwa um Offenbarungen, die der Herr seinem
»Schreibknecht« und dessen Lesern im 19. und 20. Jahrhundert mitgeteilt hat, sondern um
eine wortwörtliche Wiederholung dessen, was der Herr angeblich zu seinen Lebzeiten auf
Erden seinen Jüngern und Anhängern mitgeteilt hat. Den schlichten Fischern, Zöllnern und
Handwerkern, deren Bildung für unsere heutigen Begriffe armselig war, will also der Herr all
diese atemberaubenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse mitgeteilt und dafür — was das
erstaunlichste ist — Verständnis und Glauben gefunden haben!
Daß die Evangelien, die Apostelbriefe und die gesamte frühchristliche Literatur von all dem
auch nicht den Schatten einer Andeutung enthalten, ist für den gläubigen Leser dieser Schriften offenbar kein Problem, sondern höchstens ein Beweis mehr für die Überlegenheit der
194
Friedemann Horn
durch ihn übermittelten Offenbarung. Auch der Widerspruch, der darin liegt, daß, wie Kurt
Eggenstein richtig bemerkt, die Astronomen noch zu Anfang unseres Jahrhunderts Lorbers
astronomische Aussagen nur mit Spott und Hohn bedacht hätten, wären sie ihnen bekannt
gewesen, die Jünger aber, denen die Erde noch eine Scheibe und der Himmel ein Gewölbe war,
sie verstanden und gläubig aufnahmen, besteht für den bedingungslosen Anhänger Lorbers
offenbar ebenfalls nicht. Gewiß sind die naturwissenschaftlichen Aussagen der Lorberschriften erstaunlich und ein Zeichen für deren übernatürliche Herkunft. Es ist absurd anzunehmen, Lorber habe sie selbst erfunden oder aus seinem Unterbewußtsein entnommen. Es ist
aber im höchsten Maße unglaubhaft, daß sie ein ursprünglicher Teil der Botschaft des Herrn
Jesus Christus gewesen sind.
Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß sich der Herr gegenüber seinen Jüngern in so vielen
Fällen, wie Lorbers Diktat glauben machen will, der Begriffssprache eines Mannes des 18.
nachchristlichen Jahrhunderts, Emanuel Swedenborg, bediente. Ich habe Beispiele dafür bei
gebracht und erinnere hier nur an Begriffe wie »innerer«, »geistiger« und »himmlischer Sinn«,
»Entsprechungen«‚ »der Herr von Ewigkeit«, oder gar an die Oetingersche Übersetzung Swedenborgscher Begriffe wie »Liebtätigkeit« und »Lustreiz«, Wörter, die man sonst in der deutschen Literatur vergeblich sucht.
Geschichtliches Denken ist offenbar dünn gesät unter den Lesern der Lorberschriften. Merkwürdigerweise akzeptieren sie aber ohne weiteres, daß Lorbers Schreibweise geschichtlich
bedingt ist …
Zum Schluß möchte ich nochmals betonen, daß diese kritischen Bemerkungen keineswegs
darauf gemünzt waren, »das Strahlende zu schwärzen«, sondern im Gegenteil, es von dem zu
reinigen, was geeignet erscheint, es in den Augen derer zu schwärzen, die nun eben nicht
bereit sind, ihren Verstand unter den Gehorsam des Glaubens zu beugen, sondern die mit
Swedenborg dafür halten, daß das neue christliche Zeitalter den »Überredungsglauben« durch
den »Überzeugungsglauben« ersetzen wird. Und auch dies will ich noch einmal betonen: Trotz
der sehr unterschiedlichen Art, wie Lorber und Swedenborg ihre Offenbarungen empfingen
und trotz der Unterschiede inhaltlicher Art halte ich die Freunde Lorbers für die engsten geistigen Verwandten der Freunde Swedenborgs. Eine Zusammenarbeit, wie sie im Praktischen
bereits seit geraumer Zeit zur beiderseitigen Zufriedenheit besteht, sollte daher nach einer
gründlichen und brüderlichen Abklärung der bestehenden Unterschiede durchaus möglich
sein. Guter Wille und die Liebe zum gemeinsamen Herrn in Seinem Göttlich-Menschlichen
geben dafür eine sichere Basis ab.
NEUOFFENBARUNGEN
Friedemann Horn – 1993
Wir haben in unserer Zeitschrift schon des öfteren das Thema der neuen Offenbarungen und
im Zusammenhang damit das der Offenbarungskritik angeschnitten. Heute besteht Veranlassung, es wieder aufzugreifen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist, daß Swedenborg
erneut ins Schußfeld derer geraten ist, die grundsätzlich jede Möglichkeit von neuen Offenbarungen nach Abschluß der biblischen ausschließen möchten. Ein anderer ist die Nachricht,
daß protestantische »Sektenkundige« am letzten Kirchentag in München [1993] die Mär verbreitet haben, Swedenborgianer und Lorberianer hätten sich »zusammengeschlossen«.
In den Großkirchen, die sich heute von allen Seiten bedrängt sehen, nimmt man das Problem
der Neuoffenbarungen sehr ernst. Gewiß nicht allein, weil einem die NeuoffenbarungsGemeinschaften viele Mitglieder abspenstig machen, die an der herkömmlichen Theologie irre
geworden sind, sondern weil man sich von einem Problem überrumpelt fühlt, das man seit der
Aufklärung für erledigt gehalten und darum kaum mehr beachtet bzw. bearbeitet hatte.
Das erinnert mich an ein Erlebnis vor bald einem halben Jahrhundert: Ich hatte als Theologiestudent in einer von mir gegründeten »christlichen Arbeitsgemeinschaft« an der Universität
Halle in der sowjetischen Besatzungszone einen Vortrag über die Frage gehalten, ob die Theologie eine Wissenschaft sei. Der grundlegende Gedanke ergab sich aus der schwierigen Lage
der Christen unter dem kommunistischen Besatzungsregime und war eigentlich recht einfach:
Die Kommunisten behaupteten nämlich, die Theologie habe es — anders als etwa die Medizin,
die verschiedenen Naturwissenschaften, die Musik- und Literaturwissenschaft usw. — nicht
mit objektiven Gegenständen, sondern lediglich mit religiösen Behauptungen und Gefühlen zu
tun, also mit »subjektiv Realem«, das nur in den Köpfen von Menschen existiere, die noch
nicht genügend durch den »wissenschaftlichen Materialismus« aufgeklärt und darum noch
nicht reif seien für die große Marxsche Erkenntnis: »Religion ist Opium für das Volk«. Ergo:
die Theologie sei eigentlich gar keine Wissenschaft und gehöre nicht an die Universität. Dem
stellte ich die Behauptung entgegen, daß es die Theologie durchaus auch mit etwas Objektivem zu tun habe, nämlich mit der Offenbarung, die uns von Gott durch Menschen vermittelt
wurde, denen er die Sinne für eine den üblichen wissenschaftlichen Methoden unzugängliche
Wirklichkeit aufgeschlossen habe — Menschen, die wir als Seher, Propheten oder auch als
Mystiker bezeichnen. Unwissenschaftlich, weil unbeweisbar sei es, diese Wirklichkeit zu
leugnen, nur weil einem der Sinn dafür fehle. Blinde könnten ja, weil ihr Sehorgan nicht funktioniere, auch nicht die ganze Wirklichkeit erkennen. Erstaunlicherweise wurde dieser zentrale Punkt meiner Ausführungen in der anschließenden, sehr lebhaften Aussprache von
keinem der zahlreichen anwesenden Marxisten kritisiert. Ich war darüber ebenso froh wie
verblüfft. Zu meiner noch größeren Verblüffung aber kam anschließend der Studentenpfarrer
zu mir, um mir — gottlob unter vier Augen — vorzuwerfen, ich hätte »ein so schwieriges Thema wie das der Offenbarung« gar nicht anschneiden dürfen. Meine Antwort war kurz und
bündig: »Aber Herr Pfarrer, haben Sie nicht gemerkt, daß mich niemand an diesen Punkt angegriffen hat, und zudem, wir haben doch gar keinen anderen Gegenstand unserer Wissenschaft!« Das war aber auch schon das Ende unseres Gesprächs. Er schüttelte den Kopf und
ging. Bei sich mag er gedacht haben: »Diesem jungen Mann ist nicht zu helfen, der glaubt ja
noch an Offenbarung«. Von Swedenborg war übrigens weder in meinem Vortrag noch in der
Aussprache die Rede, sondern allein von der biblischen Offenbarung und ihren Werkzeugen.84
84
Der Vortrag »Ist die Theologie eine Wissenschaft« wurde 1946 in der Zeitschrift »Die Neue Kirche«
abgedruckt und 1983 — um Bemerkungen zum Marx- und Lutherjahr ergänzt — als Faksimiledruck im
Swedenborg-Verlag erneut herausgegeben.
196
Friedemann Horn
Mit anderen Worten: Offenbarung war lange Zeit kein Thema mehr für die Theologen. Von
Ausnahmen abgesehen, behandelten sie die Bibel wie ein ganz normales literarisches Zeugnis
vom Glauben der Juden und ersten Christen. Im Grunde hatten sie die Theologie zu einem
Spezialgebiet der Literaturwissenschaft, bzw. der Religionsgeschichte gemacht. Jetzt werden
sie — merkwürdig genug — durch die »Neuoffenbarungen« gezwungen, sich wieder Gedanken
über das Problem der Offenbarung bzw. der Offenbarungskritik zu machen. Da man aber
einstweilen echte Offenbarungen noch kaum von unechten bzw. minderwertigen zu unterscheiden vermag, wirft man am liebsten gleich alles in einen Topf: Swedenborg, Lorber, Witteck, Uriela usw. und erklärt alles als häretisch und unvereinbar mit dem christlichen
Glauben. In unseren Augen besteht freilich kein Zweifel: Man wird auch in den traditionellen
Kirchen allmählich zu unterscheiden lernen und die Bedeutung des Paulus-Wortes wieder
entdecken: »Prüfet alles und das Gute behaltet«.
Für uns ist das Problem der Offenbarung natürlich im Zusammenhang mit Swedenborg immer von neuem aktuell. Zwar schien es uns lange Zeit hindurch schon allein dadurch gelöst,
daß er in seinen Werken immer wieder zeigt, wie genau die ihm gewährte Offenbarung im
Einklang mit der biblischen steht. Nirgends weicht er in unseren Augen von dem ab, was der
Herr in den Evangelien lehrt und was zugleich die weitgehend verschlüsselte Offenbarung des
Alten Testaments aussagt, wenn man sie, wie er, anhand der Entsprechungslehre aufzuschließen vermag. Swedenborg erklärt denn auch immer wieder, daß die Lehre für das neue
christliche Zeitalter, d. h. die neue Kirche, die vom Herrn her quer durch alle Konfessionen
hindurch entsteht und die er im Auftrag des Herrn zu verkünden habe, auf den Buchstaben der
biblischen Offenbarung gegründet sein müsse (genauer gesagt, auf die Stellen im Wort, wo der
geistige Sinn klar im buchstäblichen Sinn hervortritt). Wo Swedenborg allenfalls darüber hinausgeht (z. B. in dem kleinen Buch über die »Erdkörper und ihre Bewohner« oder in der »Ehelichen Liebe«), haben wir es daher im strengen Sinne nicht mit der vom Herrn offenbarten
Lehre der Neuen Kirche zu tun, sondern mit einer Mischung von eigenen Überlegungen und
dem, was Swedenborg im Rahmen seines göttlichen Auftrags von Engeln in der anderen Welt
gehört und was den Filter seines erleuchteten Verstandes passiert hatte. Zu solchen Gedanken sah man damals zunächst noch keine Veranlassung. Es schien alles klar: Swedenborg
hatte einen göttlichen Auftrag, die ihm gewährten Offenbarungen durch den Druck bekannt zu
machen. Man sah das zeitgenössische Gewand noch nicht, in das diese Offenbarung sich —
wie jede Offenbarung — notwendigerweise kleidete.
Dann erschienen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, herausgegeben von Justinus Kerner,
dem berühmtem Arzt und Dichter,85 die aufgrund von Diktaten aus der anderen Welt hervorgegangenen Schriften Jakob Lorbers (1800-1864) im Druck, und damit wurde die Offenbarungsfrage für die Anhänger Swedenborgs erneut aktuell. Da diese von Lorber empfangenen
Schriften sehr viel mehr als die Swedenborgs das Gefühl der Leser ansprechen, hatte er bald
mehr Leser als der nordische Seher. Das Eigenartige und Besondere daran war, daß in den
Lorberschen Diktaten nicht nur so entscheidende Lehren wie die vom Herrn, vom Jenseits und
von den Entsprechungen mit den von Swedenborg empfangenen Offenbarungen nahezu identisch waren, sondern daß darin mehrfach in höchst positivem Sinne auf Swedenborg verwiesen wird. Sehr bald kam es zu ersten Kontakten zwischen den Anhängern. Dabei ging es vor
allem darum, daß Lorber-Anhänger Swedenborg-Anhänger davon zu überzeugen suchten, daß
Lorbers Offenbarungsschriften gegenüber denen Swedenborgs einen bedeutenden Fortschritt
85
Justinus Andreas Christian Kerner (1786-1862) war Mittelpunkt der schwäbischen Dichterschule; von
ihm stammt auch der berühmte Bericht in Romanform über die Somnambule Friederike Hauffe, »Die
Seherin von Prevorst«. Als Arzt und Seelenkundiger war er an parapsychologischen Phänomenen interessiert.
Neuoffenbarungen
197
darstellten (sie seien ja auch hundert Jahre später vom Herrn gegeben worden und schon
darum ein Fortschritt). Indem sich entwickelten Disput, bei dem die Swedenborg-Anhänger
den Finger auf die beträchtlichen Unterschiede und auf alle möglichen, ihnen abstrus erscheinende Stellen legten, verwiesen die Lorberfreunde u. a. auf einen Brief Swedenborgs an den
württembergischen Prälaten Oetinger (11.11.1766). Oetinger hatte Swedenborg um ein Zeichen gebeten, damit er erkennen könne, ob der Herr sich ihm wirklich offenbart und ihn beauftragt habe, seine religiösen Schriften zu veröffentlichen. Swedenborg weist in seiner
Antwort zunächst darauf hin, wie wenig Zeichen und Wunder bei denen zu bewirken vermögen, die innerlich nicht für den Glauben bereit sind. Dann schreibt er wörtlich:
»Ähnliches würde heutzutage geschehen, wenn der Herr in einer Wolke mit Engeln und Posaunen
erschiene [woran Oetinger glaubte!]. Man sehe Luk.16,29-31. Das Zeichen wird heutzutage die Erleuchtung und die daraus kommende Anerkennung und Aufnahme der Wahrheiten der Neuen
Kirche sein; bei einigen wird auch eine redende Erleuchtung gegeben werden, und diese ist mehr als
ein Zeichen. Doch vielleicht wird gleichwohl noch eines gegeben.«
Bei diesen Worten handelt es sich um eine Äußerung, die ganz aus dem Rahmen des bei Swedenborg Gewohnten fällt, hat er doch sonst so gut wie nie Voraussagen für die Zukunft gemacht. Eine Ausnahme findet sich in seiner Beschreibung des von ihm geschauten Jüngsten
Gerichts in der geistigen Welt, wo er in sehr grundsätzlicher, aber wenig konkreter Form über
den Zustand der Kirche nach dem Jüngsten Gericht spricht, die damals noch in der Zukunft
verborgen lag, sich aber aus heutiger Sicht als echte Prophezeiung erweist.86 Die oben zitierte
Aussage im Brief an Oetinger, wonach »einigen eine redende Erleuchtung gegeben« werde,
könnte auf Lorber und andere Neuoffenbarer deuten. Handelte es sich bei Lorber nicht in der
Tat um eine Stimme, die nahe bei seinem Herzen zu ihm redete und ihm diktierte, was er
niederschreiben sollte? Hatte nicht auch Swedenborg bekannt, daß das eine oder andere in
seinen Werken »nach Diktat« geschrieben wurde? Und Lorber blieb auch nicht der einzige,
dem das geschah. Nach seinem Tode setzte Leopold Engel Lorbers unvollendet gebliebenes
Hauptwerk »Das große Evangelium Johannis« fort bis zum Schluß. Die Reihe derer, die in
ähnlicher Weise wie Lorber »Vaterworte« empfangen oder zu empfangen glauben, reicht tatsächlich bis in die Gegenwart hinein.
Dennoch drängt sich den Anhängern Swedenborgs beim Vergleich von dessen Schriften und
denen Lorbers nicht unbedingt der Eindruck auf, daß Lorber dem Swedenborg Geoffenbarten
Erkenntnisse hinzufügt, die für die Wiedergeburt des Einzelnen und der Kirche wirklich wesentlich wären, eher werden sie bereit sein, einzuräumen, daß Lorber diese Erkenntnisse in
volkstümlicherer Form vorgebracht hat. Swedenborg schrieb ja in der Tat für Akademiker, und
selbst beim fortgeschrittenen heutigen Bildungsstand fällt daher manchen Menschen die Lektüre seiner Werke nicht leicht. Lorbers Schriften hingegen lesen sich auf weite Strecken wie
Romane, in denen die entscheidenden Lehren des Herrn für die neue Kirche, das zweite christliche Zeitalter den weniger abstrakt Denkenden ausgeschmückt, mundgerecht und verdaubar
gemacht werden. Dabei werden freilich oft die in den Augen nüchtern Denkender abenteuerlichsten Behauptungen aufgestellt, etwa was die vom Herrn schon seit der frühesten Kindheit
vollbrachten unerhörten Wunder, oder die den Jüngern erzählten, eher dem heutigen als dem
damaligen Wissensstand entsprechenden Naturgeheimnisse angeht. Wenn man nicht unter86
Die Stelle zeigt, daß Swedenborg ganz realistisch mit dem Weiterbestehen der traditionellen Kirchen
und ihrer verschiedenen Glaubenslehren, ja sogar mit dem Weiterbestehen der heidnischen Religionen
rechnete. Er erwartete aber, daß sich »der Mensch der Kirche, nun, da die geistige Freiheit wiederhergestellt ist, in einem freieren Zustand befinden wird, über die Gegenstände des Glaubens, also über das
Geistige, das zum Himmel gehört, nachzudenken …« Das bezeichnet präzis die heutige Situation, gibt
es doch nur noch wenige, die sich von ihrer Kirche vorschreiben lassen, was sie zu glauben haben. Der
weltweite Fundamentalismus erscheint als Reaktion auf den oftmals überbordenden Freiheitsdrang.
198
Friedemann Horn
scheidet zwischen dem für unser ewiges Heil Wesentlichen und dem, was uns beeindruckt,
weil es unsere Neugier oder — modern ausgedrückt — unser Verlangen nach »action« befriedigt, kann es durchaus dahin kommen, daß man in den Lorber diktierten Schriften den Ausdruck einer fortschreitenden, über Swedenborg hinausgehenden Offenbarung erblickt.
Noch sehr genau erinnere ich mich der Argumentation einer von mir sehr verehrten uralten
baltischen Dame — sie war Inspectrice des kaiserlichen Erziehungswesens im zaristischen
Rußland gewesen und inzwischen an die 90 Jahre alt —‚ die mir in meinen jungen Jahren
beizubringen suchte, Swedenborg sei so etwas wie ein Grundschullehrer, aber Lorber sei der
Hochschullehrer, der weit über das von Swedenborg vermittelte Wissen hinausgehe. Sie
schrieb mir sogar ganze Hefte aus Lorber heraus, weil damals (1944/45) die Schriften Lorbers
ebenso wie die Swedenborgs verboten waren, und von denen ich aus Pietät noch heute einige
verwahre. Ich ließ mich freilich nicht überreden, und als ich später Einblick in die Originalwerke Lorbers nahm, sah ich auch die Gründe. Abgesehen davon, daß ich die erstaunlichen
Parallelen zu Swedenborg durchaus wahrnahm und darum Lorbers Schriften unmöglich im
Bausch und Bogen verwerfen kann, konnte ich mich nicht recht für die Behauptung der Lorberfreunde erwärmen, sie gingen weit über Swedenborg hinaus. Alles, was mir für mein persönliches Heil und das der Christenheit wesentlich schien, hatte ich schon bei Swedenborg
gefunden. Aber das ist mir auch klar: Lorbers Werk ist für eine große Zahl von Menschen ein
Weg, der sie viel unmittelbarer mit dem Herrn verbindet und zu einem Leben nach seinen
Geboten anhält, als die traditionelle christliche Lehre.
Den Anhängern Swedenborgs behagt freilich im allgemeinen, wie sie offen zugeben, manches
am Inhalt und am Stil der Lorber-Schriften nicht — zu groß scheint ihnen der Kontrast zur
nüchternen Klarheit und Systematik der Schriften Swedenborgs. Aber sofern sie sich wirklich
mit den Schriften des Grazer »Schreibknechtes Gottes« beschäftigt, die sie störende Form beiseite gelassen und nur die eigentlich theologischen Aussagen zur Kenntnis genommen haben,
müssen sie zugeben, daß sich in Lorbers Schriften, die ja unleugbar Diktate aus einer anderen
Welt sind, zahlreiche Parallelen zu Swedenborgs Offenbarungstheologie finden. Wo sonst in
der gesamten christlichen Literatur gäbe es eine solche Übereinstimmung in der wichtigsten
aller Lehren, der vom Herrn, sowie in der Lehre vom Leben nach dem Tode und in der Lehre
von den Entsprechungen — um nur diese drei zu nennen?! Und wo sonst würden Swedenborgs
Schriften so warm empfohlen, wie in denen Lorbers? Nach dem Buchstaben soll es ja sogar
der Herr selbst sein, der die Leser mehr als einmal auffordert, Swedenborg zu lesen! Und zahlreiche Lorber-Freunde folgen auch dieser Aufforderung und sind aufmerksame und zustimmende Leser der sich an diesen Namen knüpfenden Werke geworden. Vertrauen wir also der
Kraft dieser uns anvertrauten Offenbarungen und lassen uns nicht durch unangemessene
Befürchtungen davon abhalten, die Freundschaft mit unseren nächsten Glaubens-Verwandten
zu pflegen.
Erschwerend wirkt sich freilich die Tatsache aus, daß heute unter dem Namen »Neuoffenbarung« so manches läuft, was nicht nur in den Augen der großkirchlichen Theologen, sondern
auch in unseren eigenen höchst dubios ist und eher geeignet, den ganzen Begriff der Neuoffenbarung — und damit letztlich auch Swedenborg — zu diskreditieren. Seitens unserer prinzipiellen und gar nicht wohlwollenden Kritiker wird Swedenborg als »erstem Neuoffenbarer«
gelegentlich sogar die Verantwortung für die ganze unliebsame seitherige Entwicklung zugeschoben, so als ob er gewissermaßen diese »Büchse der Pandora« geöffnet habe. Eine Annäherung zwischen uns und den Lorber-Freunden wird womöglich den bekannten Effekt haben,
daß man hämisch sagt: »Na, da sieht man's ja!« und uns nicht nur mit Lorber, den man in
landeskirchlichen Kreisen im allgemeinen noch weniger gelten läßt (und auch wohl noch
weniger kennt) als Swedenborg, sondern auch mit allen möglichen anderen, nun wirklich
dubiosen angeblichen Neuoffenbarern und Offenbarerinnen in einen Topf wirft. Manche unse-
Neuoffenbarungen
199
rer Kritiker suchen ja nichts als weitere Bestätigungen ihrer Ansicht, daß es überhaupt keine
echte und ernst zu nehmende Neuoffenbarung gibt, auf die die Kirche hören sollte. Mit dem
letzten Buch der Bibel, meinen sie, sei die Offenbarung ein für allemal abgeschlossen.
Umso notwendiger ist die Wahrung und Betonung unserer Eigenständigkeit. Aber das kann
und soll Hand in Hand gehen mit Aufgeschlossenheit für alle, die mit uns in den wirklich
entscheidenden Grundüberzeugungen eins sind, und zu diesen gehören nach Swedenborg »der
Herr, das ewige Leben und das Wort« sowie das Leben nach dem Wort, insbesondere nach den
Zehn Geboten. (z. B. HG 1834)
Aus diesen und weiteren Gründen sollten wir betonen und keinen Zweifel daran aufkommen
lassen: die Grundlage der Neuen Kirche ist und bleibt das Wort der Heiligen Schrift. Die Offenbarungsschriften Swedenborgs sind uns die entscheidende Hilfe für das Verständnis des Wortes, grundsätzlich nicht anders als in der Vergangenheit die Schriften der Reformatoren für die
sich darauf berufenden protestantischen Kirchen. Auch in Zukunft wird es daher dabei bleiben, daß bei der Ordination neukirchlicher Pfarrer/innen den Betreffenden die Bibel in die
rechte und ein Werk Swedenborgs in die linke Hand gelegt wird, wobei sie aufgefordert werden, »zu lehren aus dem Wort nach dieser Lehre!« Und im übrigen sollten, wir bedenken, daß
die Lorber-Freunde keine eigene kirchliche Organisation haben und schon darum nicht in so
etwas wie eine »Konkurrenz« sind.
Für jüngere Kräfte, die sich im Werk beider »Neuoffenbarer« auskennen, eröffnet sich hier
zudem ein großes Betätigungsfeld. Swedenborg und Lorber zu vergleichen, die Übereinstimmungen und die Unterschiede sowie eine mögliche literarische oder sonstige Abhängigkeit
des um über hundert Jahre jüngeren Lorber vom schwedischen Seher zu untersuchen, müßte
eigentlich eine reizvolle Aufgabe sein. Wenn man nur an die eigenartige Tatsache denkt, daß
sich »der Herr« in den Lorberschriften deutscher Ausdrücke bedient, die sich nur in den damals kursierenden Swedenborg-Ausgaben von Oetinger und Tafel finden und sonst nirgends
in der deutschen Literatur (wie Lustreiz, Liebtätigkeit, Nutzwirkung, Entsprechungslehre, Abödung), andererseits aber Lorbers Swedenborg-Kenntnisse eher gering gewesen zu sein scheinen (aber das müßte noch genauer untersucht werden!), so wird eine unmittelbare literarische
Abhängigkeit eher unwahrscheinlich. Wie aber ist diese unbestreitbare Tatsache sonst zu
erklären? Jedenfalls ist hier Stoff für mehr als eine Doktorarbeit. Die Abgrenzung gegenüber
vielen dubiosen sogen. Neuoffenbarungen dürfte im Vergleich dazu verhältnismäßig leicht
sein.
Wer diese Arbeit übernimmt, sollte sich aber auch darüber klar sein, daß er damit der Gesamtkirche einen unschätzbaren Dienst erweist und das große, so lange vernachlässigte Problem der Offenbarung, der Neuoffenbarung und der nicht bloß verneinenden, sondern fein
differenzierenden Offenbarungskritik einer Lösung näherbringt.
Quelle: Offene Tore, 1993, S. 211-220.
GRUNDSÄTZLICHES
ZUM VERHÄLTNIS SWEDENBORG / LORBER
Friedemann Horn – 1997
Als in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die LorberSchriften auf den Markt kamen und viele begeisterte Leser fanden,
gab es plötzlich zwei umfangreiche Schrift-Werke, die mit dem
Anspruch auf Neuoffenbarung auftraten. Zwischen beiden gab es
eine Reihe von starken Übereinstimmungen, aber auch erhebliche
Differenzen. Die einen wie die anderen werden weiter unten in
einigen Hauptpunkten aufgeführt. Auf einen grundsätzlichen
Unterschied ist jedoch gleich hier aufmerksam zu machen:
Während Swedenborgs Offenbarung eher als eine Erleuchtung
seines wissenschaftlich geschulten Geistes zu bezeichnen ist und
mit ganz wenigen Ausnahmen stets auf die Hl. Schrift bezogen
bleibt, um daraus die Lehre des Herrn für Seine Neue Kirche
abzuleiten, hörte Lorber »in der Nähe des Herzens eine Stimme«, die
Friedemann Horn
ihm Wort für Wort diktierte, was er schreiben sollte. Auf weite
1921 - 1999
Strecken seiner zahlreichen auf diese Weise empfangenen Werke
gibt sich diese Stimme als die des Herrn, des himmlischen Vaters, aus. Zuweilen erklärten
sich die Stimmen aber auch als Engel. Inhaltlich haben die Diktate oft mit der biblischen Offenbarung wenig zu tun. Man denke an die oft geradezu atemberaubenden, ungezählte Seiten
umfassenden Belehrungen über den Aufbau der Schöpfung und die Naturgeheimnisse. Lorber
wird als den »Schreibknecht Gottes« bezeichnet. Die Lorberfreunde, fest von der Berechtigung
dieser Behauptung überzeugt, sind daher begreiflicherweise kaum geneigt, Kritik am Inhalt
der Diktate zuzulassen. Das geht so weit, daß sie selbst die in unseren Augen unwahrscheinlichsten Aussagen als »Wort Gottes« akzeptieren und gegen alle Einwände verteidigen. Welcher gläubige Christ wollte auch den Herrn, unseren himmlischen Vater, kritisieren?
Swedenborg-Anhänger unterliegen häufig der Gefahr, »das Kind mit dem Bade auszuschütten«
und den Offenbarungscharakter des Lorber-Werkes ganz und gar zu leugnen. Wer sich gründlich informiert — sowohl über die Persönlichkeit Lorbers als auch über die Art, wie er als
»Schreibknecht« gearbeitet hat und was er dabei hervorgebracht hat —, wird kaum umhin können anzuerkennen, daß er nicht in die Kategorie der besonders phantasievollen Schriftsteller
einzuordnen ist, sondern tatsächlich eine Offenbarung zu Papier brachte. Offen bleibt die ganz
entscheidende Frage nach der Quelle dieser Offenbarung: War es der Herr selbst, — wenigstens
hie und da oder auch nur im wesentlichen —, waren es Verstorbene, also Geister oder Engel,
möglicherweise solche, die mit dem Werk Swedenborgs vertraut waren? Fragen über Fragen,
die sich deshalb nicht schlüssig beantworten lassen, weil wir ja (von Swedenborg her) wissen,
daß sich Wesen, die aus einer unseren Sinnen nicht zugänglichen Welt zu uns Irdischen
sprechen, jede Identität geben können, ohne befürchten zu müssen, von uns entlarvt zu werden. In der nächsten oder übernächsten Nummer unserer Zeitschrift wird man einen Artikel
von Pfr. Thomas Noack über die »Christologie in der Neuoffenbarung« finden, in dem er zeigt,
wie verwandt die beiden Offenbarungen — zumindest in diesem wichtigen Punkt sind.
Unter den Lesern und Anhängern der beiden Neuoffenbarungen kam es leider sehr bald zu
Auseinandersetzungen, die nicht immer sachlich verliefen, zuweilen sogar die Form ungeschwisterlichen Streits annahmen. Dabei reagierten die Anhänger Swedenborgs als die Angegriffenen, weil sie sich gegen die Behauptung der Lorber-Freunde zur Wehr setzen zu müssen
Grundsätzliches zum Verhältnis Swedenborg / Lorber
201
glaubten, Lorber sei vollkommener, weil 100 Jahre später als Swedenborg und ein viel unmittelbareres Sprachrohr Gottes als dieser.
Ich habe das vor mehr als einem halben Jahrhundert in der Form erfahren müssen, daß mir
eine sehr verehrungswürdige, über 80-jährige Lorber-Anhängerin einzureden suchte, Swedenborg sei ja ganz gut und schön, aber er sei eben nur der »Grundschullehrer«, Lorber hingegen
der »Hochschullehrer« — eine Wertung, die mir angesichts dessen, was sie mir von Lorber zu
lesen gab, nicht einleuchten wollte. Mir schien es eher umgekehrt zu sein.
Ein Jahrzehnt später kam ich in engeren Kontakt mit Lorberfreunden in Wien, wo Armin
Schumann seine auf die »vier Großseher« Eckehart, Böhme, Swedenborg und Lorber gegründete »Universell-christliche Kirche« leitete. Ich empfand es als eine Wohltat, in einem Kreis
aufgeschlossener und gläubiger Menschen frei über Swedenborg reden zu können. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Vortrag an der Siebensterngasse. Da ich mich für die oft allzu
pauschalen, wenig sachlichen Urteile von Neukirchenpfarrern über Lorber schämte, von denen ich aus den »Monatblättern« wußte, wollte ich es anders, besser machen. Ich begann darum meinen Vortrag damit, daß ich erklärte, wir sollten unser Verhältnis auf absolute
Aufrichtigkeit gründen. Dazu aber gehöre, daß wir mehr als bisher — namentlich von seiten
der Swedenborgianer geschehen, die sich verteidigen zu müssen glaubten — unsere Gemeinsamkeiten betonen sollten, andererseits aber auch die offensichtlichen Unterschiede nicht
verschweigen dürften. Ich gab mir dann alle Mühe, diese Gemeinsamkeiten ebenso wie die
Unterschiede in den Hauptpunkten aufzuzählen.
Das Ergebnis war völlig unerwartet: Herr Schumann umarmte mich vor allen Zuhörern und
erklärte — sich an seine Mitglieder wendend —: »Also, liebe Freunde, Ihr seht, Swedenborg und
Lorber lehren dasselbe.« Ich war, ohne es zu zeigen, verblüfft, hatte ich doch eher befürchtet,
wieder die Unterschiede zu stark betont zu haben. Es gab anschließend natürlich keine echte
Aussprache — alles war auf Verbrüderung gestimmt. Immerhin waren die Kontakte zwischen
uns von da an intensiver und freundschaftlicher. Viele Lorberfreunde nahmen nun mehr oder
weniger regelmäßig an unseren Wiener Veranstaltungen teil, und auch ich wurde immer
wieder zu ihren Vorträgen eingeladen.
Wiederum zehn Jahre später sorgte ich dann dafür, daß der Swedenborg Verlag die deutsche
Auslieferung der Verlagsgemeinschaft Zluhan (Lorber-Verlag) übertrug. Ich wußte mittlerweile
genügend von dem großen Interesse der Lorberfreunde an Swedenborg. Dieses gründet sich
nicht zuletzt darauf, daß in Lorbers Schriften an einer ganzen Reihe von Stellen — z. T. sogar
als Diktat des »Herrn« — die Lektüre der Schriften Swedenborgs empfohlen wird. Das Ergebnis
der langjährigen Zusammenarbeit war eine erhebliche Steigerung unseres Bücherverkaufs. In
zwei Fällen haben wir auch in der Form zusammengearbeitet, daß unser Verlag für Inhalt und
Druck der betreffenden Werke sorgte, während der Lorber-Verlag als »Co-Produzent« die halbe
Auflage übernahm, so daß unsere Herstellungskosten gedeckt waren.
Aber schließlich kam es Mitte der 70er Jahre — also wieder zehn Jahre später — erneut zu
unschönen Auseinandersetzungen. Führende Anhänger der Neuen Kirche befürchteten eine
»Überflutung« durch Lorber-Anhänger — ausgelöst durch den Missionseifer einiger Mitglieder,
die die Unterschiede zwischen Swedenborg und Lorber nicht sahen, sondern die LorberSchriften als weiterführende und ergänzende Offenbarung betrachteten, die von der Neuen
Kirche als solche anerkannt werden sollten. Um zu klären und die Wogen zu glätten, veröffentlichte ich 1976/77 in den OT eine Artikelserie über »Offenbarungskritik« — mit zweifelhaften Erfolg, zeigte sich doch, daß ich mich »zwischen Stuhl und Bank gesetzt« hatte: Manchen
Swedenborg-Anhängern war ich den Lorberianern zu weit entgegengekommen, diese wiederum fanden jedoch, daß man »die Worte des Herrn gar nicht kritisieren« dürfe. Keine der beiden
Seiten war zufrieden, und erst als einige Akteure verstorben waren, trat wieder Ruhe ein.
202
Friedemann Horn
Aber die Frage, die uns von seiten der Lorberfreunde immer wieder — und in der Gegenwart
wieder mit besonderem Nachdruck (vgl. »Neukirchenblatt« 3/97) — gestellt wird, nämlich weshalb wir Vorbehalte gegenüber der Neuoffenbarung durch J. Lorber haben, muß wieder einmal
grundlegend beantwortet werden.
In der erwähnten Artikelserie hatte ich immer wieder betont, Lorberianer und Swedenborgianer seien innerhalb der Christenheit die »engsten Verwandten«; Krach zwischen Verwandten
aber spiele sich leider oftmals in besonders erbitterten Formen ab. Der Meinung bin ich auch
heute noch. In den einzelnen Artikeln wollte ich vor allem dreierlei zu zeigen:
1. Jede Offenbarung gelangt zu uns in »irdenen Gefäßen«, wie schon Paulus wußte (2 Kor 4, 7).
Oetinger sagte treffend: »das Korn der göttlichen Offenbarung wächst auf dem Halm der
menschlichen Anschauung«. Wer darüber nachdenkt, muß zugeben, daß es gar nicht anders
sein kann, weil Gottes Wahrheit unendlich, wir aber endlich sind. Gott kann zu uns nicht
anders als in einer unserer Endlichkeit angepaßten, d. h. bildhaften Weise sprechen. Das
zwingt uns aber, zwischen Korn und Halm, zwischen Form und Inhalt der Offenbarung zu
unterscheiden. Sagte nicht schon Jesus, als man seine Äußerungen, er werde ihnen sein
Fleisch und Blut zu essen und zu trinken geben, buchstäblich, d. h. als Aufforderung zum
Kannibalismus mißverstand und ihn darum viele verließen: »Der Geist ist es, der lebendig
macht, das Fleisch hilft nichts; die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und sind
Leben« (Joh 6, 63)? Und sagte nicht auch Paulus einst: »der Buchstabe tötet, aber der Geist
macht lebendig« (2 Kor 3, 6)? Darin, daß man daraus die Folgerungen zieht, besteht das Wesen
der Offenbarungskritik. Es ist dem Vorgang des Dreschens oder Kelterns vergleichbar.
2. Nicht alles, was Lorber als wörtliches Diktat des Herrn niederschrieb, kann unsere Anerkennung finden, ganz einfach weil es oftmals allzu deutlich den Zeitgeist widerspiegelt oder
schlicht und einfach falsch ist, wie ich an Beispielen zeigen konnte. Ich habe aber bei meiner
Kritik bewußt darauf verzichtet, auf die offensichtlichen metaphysischen Unterschiede zwischen Swedenborg und Lorber abzustellen, weil sich über Metaphysik nicht streiten läßt. Hier
steht Aussage gegen Aussage, da wir Erdenbürger keine Möglichkeit haben, den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen zu überprüfen. Was uns hingegen möglich ist: wir können die Aussagen einer neuen Offenbarung (oder was sich als solche ausgibt) mit dem vergleichen, was
zum Kernbereich der Hl. Schrift gehört und ihre Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung damit konstatieren. Unter dem »Kernbereich« der Hl. Schrift verstehen wir jene Texte, in
denen der unter Vorbildungen und Entsprechungen verborgene geistige Sinn auch im Buchstaben zu Tage tritt, wie es vor allem in den Worten des Herrn, dem »fleischgewordenen Wort«,
der Fall ist.
3. Das Lorber-Werk stützt sich, wie gesagt, in einem viel geringeren Maße als dasjenige Swedenborgs auf das Wort der Hl. Schrift. Wohl gibt es darin einzelne Partien, die ähnlich wie die
HG Swedenborgs als Versuch gelten können, zum inneren oder geistigen Sinn bestimmter
biblischer Texte vorzustoßen — so die ersten knapp 70 Seiten von Lorbers viele tausend Seiten
umfassenden »Das große Evangelium Johannis«, in denen Kapitel 1 bis 4 des biblischen Evangeliums nach einem ähnlichen Schema wie bei Swedenborg geistig gedeutet werden. Aber von
da an hört nahezu jede Bindung an den biblischen Text auf und ein regelrechter Jesus-Roman
beginnt, der sich freilich als wörtliches Diktat des Herrn ausgibt und daher seine Leser zu der
Schlußfolgerung führt, hier handle es sich um eine authentische Biographie des Herrn, der
gegenüber das biblische Johannes-Evangelium verblassen muß.
Insbesondere habe ich auf den krassen Widerspruch hingewiesen, daß Jesus sein wahres
Wesen und seine Einheit mit dem Vater im biblischen Johannesevangelium erst ganz zum
Schluß und auch nur den treu gebliebenen 11 Jüngern zu erkennen gibt (Joh 14-17), während
er sich bei Lorber von Anfang an als der »Jehova« offenbart und zwar keineswegs nur den
Grundsätzliches zum Verhältnis Swedenborg / Lorber
203
eigenen Anhängern, sondern auch zahllosen Römern und anderen »Heiden«. Wie er unter
diesen Umständen und trotz seiner unerhörten, in aller Öffentlichkeit vollbrachten Wunder,
welche die im NT berichteten haushoch übertreffen, derart verborgen bleiben konnte, daß er in
den zeitgenössischen Geschichtsquellen kaum die geringste Spur hinterlassen hat, bleibt ein
Rätsel.
Die Übereinstimmungen und Unterschiede liegen oft nahe beieinander
1.) Wesentliche Grundzüge des Gottesbildes stimmen überein: Gott ist Einer; er ist nicht in
drei »Personen«. In Jesus Christus wird der Eine Gott, Jehovah, selbst Mensch, um die Menschen zu erlösen und die Höllen zu »unterjochen« (ein von Lorber im Diktat vom 14.6.1840 —
also ganz zu Anfang seiner Laufbahn — gebrauchtes Wort, das Swedenborg‘schen Einfluß nahelegt, vgl. WCR 1).
2.) Die Lehre von der Verherrlichung des angenommenen Menschlichen durch die gegen sein
Menschliches zugelassenen Versuchungen ist bei Lorber im Prinzip zwar vorhanden (Vorund Nachwort »Kindheit Jesu«), aber kaum ausgeführt und durch die immer wieder breit geschilderten, alle neutestamentlichen Berichte in den Schatten stellenden Machttaten wie überblendet. Der Lorber‘sche Herr wird so geschildert, daß der Gedanke an die von ihm zu
bestehenden Versuchungen kaum aufkommt. Schon als kleines Kind vollbringt er in aller
Öffentlichkeit unerhörte Wundertaten.
3.) Die geistige Welt und das Leben nach dem Tod werden ähnlich wie bei Swedenborg geschildert, obgleich es auch gewisse Unterschiede gibt, auf die hier nicht eingegangen werden
kann. Im Rahmen der Bedingungen, die zu erfüllen sind, ehe der Mensch in den Himmel
kommt, werden die sonst in der deutschen Literatur nicht vorkommenden Wörter »Liebtätigkeit« (charitas), »Nutzwirkung« (usus) und die Überwindung von »Lustreizen« (jucundum) zum
Bösen verwendet, die von den ersten deutschen Swedenborg-Übersetzern geprägt wurden —
was ebenfalls wieder daran denken läßt, daß entweder Lorber selbst Swedenborg gelesen hat
oder daß das bzw. die Geistwesen, die Lorber von der anderen Welt her diktierten, von ihrer
Erdenzeit her mit den deutschen Swedenborg-Ausgaben vertraut waren.
4.) In der Schöpfungslehre bestehen die größten Differenzen. Lorber glaubt an den biblisch
nicht oder doch nur äußerst dürftig belegten Engelfall. Lediglich im Judasbrief, also einer in
unseren Augen apokryphen Schrift des NT, deuten die Verse 6-8 darauf hin, in denen der
Verfasser sich auf die rätselhafte Stelle in Gen 6, 1f. bezieht. Luzifer ist in die materielle
Schöpfung gebannt und muß sich nun, zusammen mit all den unzähligen Seelen, die ihm in
den Aufruhr gegen Gott gefolgt sind, in entsetzlichem Leiden wieder emporläutern (wie man
diese auf ungezählten Seiten geschilderte Lehre in kürzester Form zusammenfassen könnte).
5.) Zwischen beiden Welten bestehen »Entsprechungen«. Im GEJ (IX/93 [4-7]) begegnet sogar
der Swedenborg‘sche Ausdruck »Entsprechungswissenschaft«. An einer anderen Stelle (GEJ
I/40-45) wird geschildert, wie der Oberpriester der Samarier, der Jesu Bergpredigt mit angehört hatte, die Forderung Jesu, das rechte Auge, wenn es einen ärgere, auszureißen und die
rechte Hand, wenn sie einen zur Sünde verführe, abzuhauen, skandalös findet. Jesus antwortet, er solle es sich durch einen seiner Jünger erklären lassen. Das geschieht denn auch, u.z.
durch Nathanael, der es ihm »anhand der Entsprechungen« auslegt. Nathanaels Rede ist etwas
wie eine gut neukirchliche Predigt über die geistige Bedeutung des Auges und der Hand. Der
Oberpriester wird daraufhin zu einem begeisterten Anhänger des Herrn.
Wie erfreulich, mag man dazu sagen! Aber ist es nicht doch etwas zu viel verlangt zu glauben,
daß der Herr sich der Entsprechungen nicht nur selbst bedient hat — davon gehen wir aus —,
sondern daß er auch das Wort gebraucht und seine Jünger in dieser Lehre unterrichtet habe?
Nichts anderes ist aber aus dieser Stelle des GEJ zu folgern. Wer geschichtlich zu denken
204
Friedemann Horn
vermag, wird sich darüber nur wundern können. Der Ausdruck »Entsprechung« (aus dem
Mittellateinischen »cor-respondére« übersetzt) kommt weder in der Bibel noch sonst in der
antiken Literatur vor. Mit Sicherheit war er zur Zeit des Herrn nicht bekannt, geschweige denn
geläufig. Das GEJ will ja aber doch die Ereignisse zur Zeit Jesu authentisch wiedergeben!
6.) Auch die ethischen Verhaltensregeln bei Lorber und Swedenborg weisen Ähnlichkeiten
ebenso wie beträchtliche Unterschiede auf. Ein Beispiel für die Unterschiede: Am 15. 8. 1840
empfing Lorber unter dem Motto »Gehorsam und Demut sind die Nahrung zur Wiedergeburt
des Geistes« »Notwendige Verhaltensregeln«. Darin heißt es u. a.: »Erstens muß jedweder was
immer für ein politisches Gesetz seinem ganzen äußeren Wesen nach aufs genaueste befolgen und sich jeden prüfenden Druck wohl gefallen lassen; denn es besteht nirgends eine
Macht als nur in Mir und durch Mich …Wehe daher jedem Aufwiegler! Der soll nicht nur mit
dem zeitlichen, sondern auch mit dem ewigen Tode bestraft werden; denn die Herrscher stehen zu hoch, als daß sie aus sich sein könnten, was sie sind dem Volke, und da ist keiner
was ohne Meinen gerechten Willen, und es ist der gute und sanfte ein Trost und der harte,
habsüchtige eine gerechte Geißel in Meiner Hand …« Das geht in Abwandlungen dann noch
über mehrere Seiten und wird auch auf die Obrigkeiten der römisch-katholischen Kirche bezogen, denen sich die Gläubigen unterordnen sollen. Das hat bewirkt, daß es unter den Anhängern der Lorber-Schriften nie ernsthafte Versuche gegeben hat, eine eigene kirchliche
Gemeinschaft zu gründen und daß sich katholische Geistliche des öfteren an den Aktivitäten
der Lorber-Kreise beteiligen. Man vgl. die letzte Nummer der OT (Switala). Die katholische
»Färbung« des Lorber-Schrifttums ist übrigens an vielen Stellen offensichtlich.
Wer dächte bei der zitierten »Verhaltensregel« nicht an das mit Recht kritisierte Wort des Paulus Rö 13, 1: »Jedermann sei den vorgesetzten Obrigkeiten untertan; denn es gibt keine Obrigkeit, außer von Gott; die bestehenden aber sind von Gott eingesetzt. Somit widersteht der,
welcher sich der Obrigkeit widersetzt, der Anordnung Gottes; die aber widerstehen, werden für
sich ein Urteil empfangen…« Für alle, die in einer Diktatur haben leben müssen, sind solche
Worte natürlich höchst verdächtig. Weil sie aber als göttliche Offenbarung galten, haben sie
viele aufrechte Christen daran gehindert, gegen krasse obrigkeitliche Untaten aufzutreten. In
der neueren Theologie wird das unter dem Stichwort »Thron und Altar« schamvoll abgehandelt
…
Ich will diese notwendigerweise unvollkommene Aufzählung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden hiermit abschließen. Zum Schluß aber noch
ein Vorschlag zur Verständigung:
Lassen wir unsere Lorberfreunde wissen: Wir achten und ehren sie als unsere Geschwister,
weil sie mit uns die Liebe zum Herrn und zur Wahrheit teilen. Es ist auch nicht unsere Absicht, ihnen die Lorber-Schriften »madig zu machen« oder zu nehmen. Die Lorber-Schriften
enthalten ja nicht nur viel Gutes, sie verhelfen auch vielen Menschen zu einem tiefen und
sehr persönlichen Glauben an den himmlischen Vater.
Weil uns aber die Lorberfreunde immer wieder auffordern, diese Schriften endlich auch als
unmittelbare Offenbarung des Vaters anzuerkennen, müssen wir Farbe bekennen und ihnen
die Gründe nennen, weshalb wir das trotz des vielen darin enthaltenen Guten nicht können.
Wir verbinden damit die herzliche Bitte, uns das nachzusehen. Die Lorberfreunde, uns in vielem so nahe, wie keine andere christliche Gruppierung, sind uns in der Neuen Kirche willkommen — vorausgesetzt, sie respektieren die Basis unseres kirchlichen Zusammenschlusses und versuchen nicht, uns trotz dieser Klarstellungen zu überrreden, die durch
Lorber vermittelten Offenbarungen überträfen selbst die biblische Offenbarung. Die Basis der
Neuen Kirche ist und bleibt die Hl. Schrift, deren ewig gültigen Sinn uns der Herr durch Swedenborg für die Ära der neuen christlichen Kirche aufgeschlossen hat. Alles, was über die
Grundsätzliches zum Verhältnis Swedenborg / Lorber
205
biblische Offenbarung und ihren inneren Sinn hinausgeht, mag noch so interessant sein und
sich bei Lorber oder auch bei Swedenborg finden — als heilsnotwendig und Teil der »Theologie
des Herrn für die Neue Kirche« betrachten wir es nicht.
Im Gegenzug wollen wir in Zukunft sorgfältiger als bisher darauf achten, daß wir nicht »das
Kind mit dem Bade ausschütten« und über unserer Kritik an dem für uns Unhaltbaren im
Lorber-Schrifttum das darin auch enthaltene viele Gute und mit unseren Überzeugungen
Übereinstimmende vergessen. Als Leitsatz gelte uns, was Swedenborg in den HG 1834
schreibt:
»Spaltungen und Irrlehren gäbe es nicht, wenn die tätige Liebe herrschte. Dann würde man eine
Spaltung oder Irrlehre nicht einmal als Spaltung oder Irrlehre bezeichnen, sondern nur als Lehrverschiedenheit aufgrund der Meinung des Betreffenden, die man seinem Gewissen überließe,
wenn er nur nicht die Grundlehren, d. h. den Herrn, das ewige Leben und das Wort leugnete und
gegen die göttliche Ordnung, d. h. gegen die Vorschriften der Zehn Gebote wäre.«
Ich sehe daher keinen Grund, weshalb ein brüderliches und schwesterliches Verhältnis zwischen Swedenborg- und Lorber-Freunden unmöglich sein sollte. Es besteht ja schon hie und
da. Wohl aber sehe ich in Herstellung und Pflege eines solchen Verhältnisses eine Herausforderung im Sinne der Herrenworte: »Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid,
wenn ihr Liebe untereinander habt« (Joh 13, 35).
Quelle: Offene Tore, 1997, S. 186-195
DER BERLINER WEG
DER UNTERSCHIEDSLOSEN VERSCHMELZUNG
Das Swedenborg Zentrum Berlin vertritt beide Offenbarungen
des Herrn, wobei beide Lehren ganz rein vertreten und gelehrt
werden, denn nach unserer Überzeugung kommen beide Großoffenbarungen aus derselben Quelle – wenn auch in unterschiedlichem Gewand.
PETER KEUNE
EINE GEGENÜBERSTELLUNG: SWEDENBORG UND LORBER
Peter Keune – 1977
Vorbemerkung von Thomas Noack: Dieser Beitrag von Peter Keune lag mir als Typoskript vor. In
»Offene Tore« 1 (1977) 6 – 26 erschien lediglich eine gekürzte Fassung. Der Beitrag muss im Zusammenhang mit der Offenbarungskritik von Friedemann Horn gesehen werden. Deswegen gebe
ich das Typoskript mit den Anmerkungen von Dr. Horn wieder, die der Druckversion entnommen
und im Typoskript selbstverständlich nicht zu finden sind.
Vorbemerkung der Schriftltg. [Friedemann Horn]: Der nachstehende Artikel verdient besondere
Aufmerksamkeit. Sein Verfasser, hauptberuflich in der Sozialarbeit tätig, leitet seit einer Reihe
von Jahren mit großem Geschick und Hingabe die Berliner Neukirchengemeinde. Der Artikel
zeigt, besser als es der Schriftleiter vermöchte, daß es falsch war, wenn in der Vergangenheit Lorber von seiten der Neuen Kirche rigoros abgelehnt, ja sogar als »Entweiher« der wichtigsten
Wahrheiten des Glaubens der Neuen Kirche bezeichnet wurde. Ich habe im Verlauf meiner kritischen Ausführungen, von denen ich einstweilen nichts zurückzunehmen habe, mehrfach darauf
hingewiesen, daß die Anhänger Lorbers unsere »engsten Verwandten« im Bereich der Christenheit
seien und daß ich aus eigener Erfahrung bestätigen könne, in ihren Reihen nichts als Verständnis
und Sympathie gefunden zu haben. Der nachstehende Artikel eines Mannes, der beide Offenbarungswerke kennt und liebt, beantwortet zwar nicht jene kritischen Fragen, die ich im Interesse
der Wahrheit und Sauberkeit unserer Beziehungen stellen mußte, aber er trägt dazu bei, daß das
»Klima« verbessert werden und die Bereinigung der hängigen Probleme im Geist brüderliche Liebe stattfinden könnte. Dies halte ich für ein großes Verdienst des Verfassers.
Als nach Aussage von Emanuel Swedenborg am 13. Juni des Jahres 1770 die 12 Apostel vom
Herrn in der geistigen Welt erneut ausgesandt wurden, um ein neues Zeitalter zu verkünden,
musste dies auch seine Auswirkungen auf der Erde haben. Dieses Neue Zeitalter, in dem der
Herr Jesus Christus in Ewigkeit regiere, ist auch ein Zeitalter von der Befreiung von aller
Knechtschaft. War der Mensch der Erde vorher noch in allen Irrtümern befangen, und wurde
es darin künstlich gehalten, so erleben wir in den folgenden Jahrhunderten eine Befreiung aus
dieser Knechtschaft. Erkennbar wurde es u. a. auch an der Befreiung aus dem vorgeschriebenen Glauben der herrschenden Kirche. Von allen Seiten kamen Neuerer und gaben Impulse,
oftmals nicht gerade zum Segen der Menschen. Vielleicht ist es ähnlich einem gerade befreiten Menschen, der mit der neugewonnenen Selbstständigkeit anfangs auch manche Schwierigkeiten hat. Besonders interessant sind aber die neuen Impulse auf dem religiösen Sektor.
Viele, zweifellos von echter Religiosität durchdrungene Menschen, lehrten intensives Christentum, bildeten Gruppen und Gemeinden innerhalb der allgemeinen Kirche, die sich dann
im Kampfe gegen die intolerante Umwelt abkapselten. Vielleicht ursprünglich gar nicht gewollt, aber durch die Notwendigkeit dann vollzogen. Diese Gruppen fanden dann in der Neuen
Welt, wie Amerika damals genannt wurde, besseren Nährboden als in der Heimat. Kein Wunder, denn hier herrschte ja noch immer die traditionelle Vorstellung der alten Kirche. Erst in
diesen Jahrzehnten konnten die im verborgenen wirkenden Gemeinschaften auch in der Öffentlichkeit eine gewisse Anerkennung finden. Der demokratische Staat garantierte allen
Glaubensfreiheit. Versuchen wir einmal die Weltentwicklung aus der geistigen Perspektive zu
sehen, so bietet sich vielleicht folgende Sicht: Die natürliche Erde wurde vor dem Wendepunkt
immer mehr in eine geistige schwarze Wolke eingehüllt. Das Licht der geistigen Sonne konnte
immer weniger hindurchdringen, vielleicht drohte sogar der letzte Strahl verdunkelt zu werden. So war die Zeit herangekommen, dass eine grundlegende Erneuerung (oder Aufhellung)
stattfinden musste. Ein neues Weltbild, von Gott her geordnet, sollte das alte ablösen. Von der
geistigen Welt wurden neue Impulse gesetzt, die eine Umwandlung herbeiführen konnten.
Solches lässt sich aber nicht von Heute auf Morgen bewerkstelligen, sondern braucht lange
Zeiten der Reifung. Betrachten wir nur die langsame Entwicklung der Menschheit. Sie erscheint wie eine träge Masse, die nur allmählich ihre dicke Konsistenz verliert. So ist das
begonnene Werk letzten Ende zwar siegreich, aber nur äußerst langsam durchzuführen, be-
210
Peter Keune
sonders, wenn man noch die einzuhaltende Willensfreiheit des Einzelnen in Betracht zieht.
Die empfänglichen Gemüter nahmen wohl die neuen Signale auf, wandelten sie aber gemäß
ihrer Gemütsart in eine ihnen gemäße Form ab. Betrachten wir andererseits die gesamte
Menschheit in ihrer unterschiedlichen Geistesart – wir wollen hier nicht untersuchen, aus
welchen Gründen sie so sein muss – so werden wir die verschiedensten Seelenentwicklungsphasen bemerken. Oder mit Swedenborg zu sprechen: Grade der Wiedergeburt. Gibt es
eine geistige Ausdrucksweise, die alle Menschen gleichzeitig in ihrem Gemüt anspricht, oder
kann dies immer nur partiell geschehen? Das Wort des Herrn, wie wir es in der Heiligen
Schrift besitzen, hat diese Fähigkeit, weil das Ewige Wort aus den Himmeln herniedersteigend
bis in den äußeren Grad gelangte und dort eingehüllt wurde. Gemäß der geistigen Entwicklung
des Einzelnen erschließt sich ihm dessen Inhalt. Der nur natürliche Mensch liest den äußeren Buchstabensinn, der geistige Mensch den darin verborgenen geistigen Sinn und der himmlische endlich nähert sich wieder dem ursprünglichen Ewigen Wort. Eine nahezu geniale
Lösung, alle Schichten der Menschheit gleichzeitig anzusprechen, und sie auf der ihnen sich
eröffnenden Himmelsleiter emporzugeleiten. Auf der anderen Seite dient die Hülle dem Ewigen Worte zum Schutz vor der Entweihung, und dem Schutze des nicht aufnahmebereiten
Menschen, denn nur Gleiches kann sich nähern und verbinden. Das Ungleiche wurde abgestoßen und damit der Möglichkeit seiner allmählichen Höherentwicklung beraubt. Oder praktisch gesehen, der nur natürliche Mensch würde alles Himmlische als seinem Wesen
ungemäß fliehen, auf der Basis des äußeren Wortes aber langsam herangeführt werden. Wir
sehen also die Notwendigkeit einer weisen Verhüllung des Lichtes. Wenn aber auch durch ein
Überhandnehmen der nur noch im irdischen Denken verhafteten Vorstellungswelt den besser
Gesinnten der Weg nach oben verbaut wird – besonders nun durch den ausgeübten Zwang
einer Institution – sind neue Wege zu beschreiten. Es müssen Mittel durch den Herrn gefunden werden, damit die alles verfinsterte Wolkenschicht durchdrungen wird. So wird zugelassen, dass neues Himmelslicht auf die finstere Erde fällt. Die vormals verhüllte Gottheit kommt
auf den Wolken des Himmels erneut hernieder, allerdings nur sichtbar den Sehenden, d. h.
denjenigen, die den Blick erhoben haben. Swedenborg ist nun einer dieser mächtigen Lichtstrahlen, die fähig sind, die Finsternis zu erhellen. Wir fragen uns, ob er nun der einzige Lichtstrahl war, oder ob nicht viele solcher Strahlen mobilisiert wurden. Denken wir nur an seine
Aussage der erneuten Aussendung der 12 Jünger, die ja alle den verschiedensten Sphären der
geistigen Welt und damit auch unserem Innersten entsprechen. Sie alle schicken ihre Impulse in beide Welten, die Geisterwelt und unsere natürliche. Welcher Art ist die Lebenssphäre
eines Petrus oder eines Johannes? Müssen sich nicht ihre Welten grundverschieden und doch
einheitlich darstellen? Einheitlich, weil sie den Herrn und Meister zur Grundlage haben, und
verschieden durch ihre Mentalität und Auffassungsgabe. Und da die Jünger gleichzeitig der
Gesamtmenschheit wie dem Einzelnen entsprechen, muss ihre Wirkungsweise auch die
verschiedensten Menschen in ihrem Wesen ansprechen. So betrachtet sollte man auf die
Quellen zurückverfolgen, um dankbar die verschiedensten Ausflüsse des Herrn zu erkennen.
Sicher sind oftmals die Flüsse unreiner, als ihre Quellen. Das darf aber nicht den Blick für die
ewige Wahrheit trüben.
An unserem Beispiel wollen wir dies verdeutlichen. Inwieweit ist die derzeitige Gemeinde der
Neuen Kirche identisch mit der Gemeinde der Neuen Kirche, die ursprünglich Swedenborg
einmal meinte?87 Wie viel Menschliches schleicht sich in anfänglich gut Gemeintes ein, wird
fester Bestandteil und – Trübung. Auf dieselbe Weise wurde aus der Urchristenheit katholi87
Die hier aufgeworfene Frage kann nur eindeutig verneint werden; die organisierte NK ist, wo sie ihre
Aufgabe erfüllt, etwas wie eine Avantgarde der eigentlichen Neuen Kirche, von der in Swedenborgs
Schriften die Rede ist. Ihre Identifizierung in der Vergangenheit war ein bedauerliches und folgenschweres Mißverständnis (Schriftltg.).
Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber
211
sche Kirche in ihrem dogmatischen Sinne. Warum wurde sie es? Weil das Eigene sanktioniert
wurde. Damit verschloss man sich gleichzeitig gegen das immerwährende Einfließen von
oben. Die ständige Erneuerung und Weiterführung würde künstlich unterbrochen, und die
Gemeinde oftmals bei Todesstrafe an diese sterbende Kirche gebunden. Diese Gefahr liegt
ebenfalls über jeder anderen Gemeinschaft, die sich in dogmatischer Form an eine bestimmte
Stelle des fließenden Stromes der wahren Kirche ansiedelt und von dort nicht weiterzubringen
ist. Damit soll aber nicht gegen ein Festhalten an der Grundwahrheit gesprochen werden,
sondern nur das Öffnen und Wandeln vor Augen geführt werden. Das Wesen der Gottheit – in
der Neuen Kirche als der ewige Herr Jehova in seinem Menschlichen dargestellt – muss natürlich immer die Grundlage bleiben. Aber wie viele Gemeinschaften gibt es in dem großen
jenseitigen Reich, die voneinander geschieden und doch gemeinsame Bewohner, z. B. der
himmlischen Welt, sind. Worin aber unterscheiden sie sich von den anderen Gemeinschaften?
Durch ein anderes Verhältnis zum Herrn, oder anders ausgedrückt: durch einen anderen
Blickwinkel zum Zentrum des Seins. Nehmen wir ein Beispiel: Man kann die Gottheit in ihren verschiedensten Ausdrucksformen sehen. Als Schöpfer dann ist man Geschöpf, als Herr –
dann fühlt man sich als sein Knecht und Diener, als Vater – so sieht man ihn als Kind, und
endlich als Bräutigam – hier tritt dann die lebendigste Beziehung zutage. Alle Ausdrucksformen sind auf denselben Mittelpunkt gerichtet und doch als ganz andere Welten voneinander
geschieden. Wie man sich selbst zu seinem Lebenszentrum stellt, erblickt man auch die ganze
Schöpfung. Wenn aber das Urwesen diese verschiedensten Gesichter besitzt, braucht es auch
der verschiedensten Wesenarten der Geschöpfe, um sich darin widerspiegeln zu können.
Müssen diese dann nicht auch in unterschiedlichster Weise ernährt werden?
Auf das eingangs erwähnte Beispiel zurückzukommen: Werden die neuen geistigen Impulse
nicht an alle Schichten in uns und der Menschheit ausgesandt? Während nun der Petrus den
Glaubenswahrheiten entspricht, dient der Johannis den Impulsen der Liebe. Selbstverständlich
kann man nicht sagen, dass dabei Petrus keine Liebe hätte. Jeder trägt alle göttlichen Eigenschaften in sich, aber nur eine dominiert. Aus dieser lebt und wirkt alles. Alle zusammen
ergeben den gesamten Bezirk der geistigen Anlagen. So ist das Bild Jesu mit seinen Jüngern zu
verstehen. Er als Lebenssonne strahlt inmitten der Jünger in deren Lebenszentrum, und diese
tragen sein Licht in die Welt hinaus. Gemäß den inneren Anlagen der verschiedensten Hörer
wird sich die Jesusbotschaft durch den einen oder anderen Jünger besonders anbieten. Nach
Swedenborg lebt ja der einzelne Mensch aus »seiner« jenseitigen Gesellschaft. Darüber hinaus
wird jeder von uns ganz bestimmten Aufgabengebieten innerhalb des großen Schöpfungsmenschen zugebildet. Bedingt dies nicht eine ganz individuelle Führung des Einzelnen? Wenn nun
neue geistige Impulse zur Rettung der Menschheit ausgesandt werden, so wird dies nicht nur
durch ein Sprachrohr geschehen. Oder meinen wir, dass die ganze Menschheit nur über Swedenborg angesprochen werden kann? So gibt es noch viele Stützen, auf denen die Erneuerung
des geistigen Weltgebäudes ruht. Soweit ist wohl alles zu akzeptieren. Die Frage liegt aber auf
der Zunge, woran wir die echten und falschen Propheten erkennen können. Denn beide gibt es
zweifellos nach Aussagen der Heiligen Schrift. Diese erteilt auch die Antwort: An den Früchten werdet ihr sie erkennen oder mit anderen Worten: wir müssen die Wirkungen mit den im
Evangelium geschilderten Früchten vergleichen. Welcher Art sollen diese aber sein? Zweifellos müssen sie das Verhältnis zu Gott und dem Nächsten im Sinne des ersten Gebotes widerspiegeln. Also wie Swedenborg die Neue Kirche überall da sieht, wo der Herr in seinem
Göttlich-Menschlichem anerkannt wird.
Eine andere Frage ist die Form, in die die Auswirkung des Neuen Jerusalems eingekleidet
werden soll. An erster Stelle steht wohl das prophetische Wort – wie es z. B. in der Heiligen
Schrift vorliegt – und mehr persönlicher Art das sogenannte Innewerden, wie es Swedenborg
nennt. Daneben ist unzweifelhaft die geistige Schau für den Einzelnen von Bedeutung. In inne-
212
Peter Keune
ren Gesichten wird der Beteiligte in eine ihm entsprechende Sphäre erhoben, wo er in Bildern
geistige Wahrheiten erkennen kann. Diese sind in erster Linie für ihn selbst von Bedeutung,
dem unbeteiligten Nachbarn mögen sie sogar töricht vorkommen. Die katholische Kirche unterscheidet mit Recht die sogenannten Privatoffenbarungen von den »offiziellen«, die natürlich
nur über die Kirche kommend für alle verbindlich sind. Die Privatoffenbarung dient der Erbauung und Stärkung des Einzelnen. Auch wir müssen diesen Unterschied machen, um über die
verschiedensten Offenbarungsgrade im Klaren zu sein. Wie müssen nun die »Offiziellen«, d. h.
die völkerverbindenden Offenbarungen beschaffen sein, damit sie einerseits neue Impulse
setzen, zum anderen aber nicht zwingend im Sinne der unantastbaren Willensfreiheit wirken?
Am Beispiel der Bibel finden wir eine geniale Lösung. Das Licht des Himmels wird auf seinem
Weg nach unten – also in der Menschheit – immer mehr in die Vorstellungswelt des Menschen eingekleidet. Umgekehrt ist es diesem dann gemäß seinen verschiedensten Sphären
möglich, das eingeschlossene Licht entsprechend dem eigenen Reifegrad zu erkennen und
aufzunehmen. In dieser Zeit nun, da das Himmlische Jerusalem mehr unverhüllt herniedersteigen will, gemäß den Worten des Herrn auf den Wolken des Himmels, muss eine andere
Methode angewandt werden, um den zwingenden Charakter auszuschließen. Denn niemals
kann sich das Göttliche selbst unverhüllt dem Menschen nahen, es wäre gleichsam unser
Tod. Swedenborgs »Hülle« besteht darin, dass er Mensch war, seine Gesichte niederschrieb
und damit dem Leser die Glaubwürdigkeit überließ. Durch Mitdenken und vermittels der Logik
kann man ihm folgen und somit geistige Wahrheiten aufnehmen. Diese bewirken bei entsprechender Neigung eine Umwandlung des alten Weltbildes. Was ursprünglich als reine Menschenaussage aussah, entpuppt sich bei entsprechender Aufnahme und Anwendung als
geistiger Baustein des Himmlischen Jerusalems in uns. Der davon Ergriffene wird zutiefst
angesprochen, der Danebenstehende, vielleicht sogar ein nahes Familienmitglied, bleibt ungerührt. Diese Eigenschaft ist auch ein gewisser Selbstschutz. Die Aussagen bleiben in der
menschlichen Sphäre.
Eine andere Offenbarungsweise ist das sogenannte »Innere Wort«. Dies besagt, wie es Swedenborg einmal ausdrückte, eine redende Eingebung. Siehe Himmlische Geheimnisse No. 5121.88
Dies ist folgendermaßen zu verstehen: Die Geistige Welt formuliert ihren Einfluss in bestimmte Worte, die über den Mittler ausgesprochen und aufgeschrieben werden können. Der Vor88
Anm. d. Schriftltg.: Die Stelle bei Swedenborg lautet im Zusammenhang folgendermaßen und ergibt,
wie man sieht, ein etwas anderes Bild: »Alle Offenbarung kommt entweder aus der Rede mit Engeln,
durch welche der Herr redet, oder aus dem Innewerden … In Betreff dessen, daß die Offenbarungen
entweder aus dem Innewerden oder aus der Rede mit Engeln, durch welche der Herr redet, kommen,
muß man wissen, daß diejenigen, welche im Guten sind und daher im Wahren, hauptsächlich die, welche im Guten der Liebe zum Herrn, eine Offenbarung aus dem Innewerden haben; daß hingegen die,
welche nicht im Guten und daher im Wahren sind, zwar Offenbarungen haben können, aber nicht aus
dem Innewerden, sondern durch eine lebendige in ihnen gehörte Stimme, somit durch Engel vom
Herrn; diese Offenbarung ist eine äußere, jene aber eine inwendige. Eine Offenbarung aus dem Innewerden haben die Engel, hauptsächlich die himmlischen, auch die Menschen von der Uralten Kirche
und einige auch von der alten, aber heutzutage kaum irgendeiner; aber Offenbarungen aus der Rede
ohne Innewerden hatten sehr viele, auch welche nicht im Guten waren, ebenso durch Gesichte und
Träume. Solcher Art waren die meisten Offenbarungen der Propheten in der Jüdischen Kirche; sie hörten eine Stimme, sahen ein Gesicht und träumten einen Traum; weil sie aber kein Innewerden hatten,
waren es eben nur wörtliche oder gesichtliche Offenbarungen ohne Innewerden dessen, was sie bedeuteten; denn das echte Innewerden erfolgt durch den Himmel vom Herrn und regt das Verständige geistig an und führt es vernehmbar zum Denken, wie sich die Sache verhält, mit einer inneren
Zustimmung, von der (ein solcher) nicht weiß, woher sie kommt; er meint, daß sie in ihm sei und sich
aus dem Zusammenhang der Dinge ergebe, allein es ist eine Einsprache durch den Himmel vom Herrn
in das Inwendigere des Denkens …«
Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber
213
gang ist ein geistiger Impuls, der über das Gemüt des Menschen Eingang findet und von dort
in dessen Gedächtnis aufsteigt und sich in die vorgefundenen Worte kleidet. In dieser Form
wird der Gedanke bewusst und ausgesprochen. Diesen Vorgang erleben wir täglich an uns
selbst, denn woher kommen unsere Gedanken, wenn nicht aus der jenseitigen Sphäre unseres Selbst. Denken wir an Swedenborgs Aussage über den Menschen, der Bewohner zweier
Welten ist. So bilden wir mit der uns innewohnenden Liebe eine Sphäre in der geistigen Welt,
deren Bewohner wieder auf uns zurückstrahlen und Einfluss nehmen. Die Auswahl der Gedanken wird von der vorherrschenden Liebe bestimmt. In gleicher Weise findet der Vorgang
medialer Kundgaben geistiger Kräfte durch sogenannte Medien statt. Nur dass das Medium das
Ich zurückstellt und Sprachschatz und Stimme zur Verfügung stellt. Je vollkommener dies
geschieht, desto reiner die Wiedergabe. Die medialen Kräfte befähigen den einen oder anderen
jenseitigen Geist, sein Wesen und Eigenart mitzuteilen. Dabei ist nichts über den Grad der
Reife des Geistes ausgesagt. Hier bestimmen auch die Kräfte der gegenseitigen Anziehung
gemäß dem Gesetz, dass sich gleichartiges verbindet. Es ist also der geistige Zustand des Mediums, auf dessen Grund das Haus gebaut wird. Oft wird der Einwand erhoben, die jenseitigen
Geister würden nur lügen und aufschneiden, und darum sollten wir uns diese fernhalten.
Wenn der medial veranlagte Mensch von sich aus Kontakte mit der Geisterwelt sucht, so ist
nicht auszuschließen, dass er solchen Schwarmgeistern zum Opfer fällt. Die vielen gegensätzlichen Kundgaben beweisen dies. Auf der anderen Seite kann man nicht alles verwerfen, weil
solche Möglichkeiten bestehen. Auch der Einfluss wirklicher himmlischer Offenbarungen
geschieht über gleiche Wege. Hier gilt es nun Unterscheidungen zu treffen. Dies trifft auch auf
die zahllosen geistigen Gesichte zu. Warum glauben wir einem Swedenborg mehr, als anderen? Etwa weil er auch in der Welt ein großer Geist war? oder vielmehr, weil er auf die Aufdeckung der Wahrheit aus war, dem Herrn nahezukommen suchte. Dabei wurde er von keiner
Eigensucht getrieben, sondern lediglich von dem Verlangen ein Diener des Herrn zu sein.
Seine, in der Grundauffassung reine Gesinnung, bürgt für eine menschenmögliche Reinheit.
Aber dieser Wunsch allein genügt nicht, wenn nicht auch die »andere« Seite ein Verlangen
zeigt, geistige Wahrheiten der in Finsternis lebenden Menschheit geben zu wollen. Vielleicht
kann man sich diesen Vorgang folgendermaßen vorstellen: Zwischen der dies- und jenseitigen
Welt liegt eine Art Nebelwand, die für beide Seiten undurchdringlich ist.89 Medien, gleich mit
welcher Begabung des Hörens oder Sehens, fungieren als Mittler zwischen beiden Welten. Der
Grad ihrer inneren Reinheit beeinflusst die Übermittlung. Sie zieht die ihr gemäße Jenseitssphäre an und übermittelt diese, mehr oder weniger genau. An den Früchten oder Auswirkungen kann man den gebenden Geist erkennen. So ist es wohl kaum möglich, dass eine negative
höllische Seele Liebe und Sehnsucht zu Jesus hervorruft. Auch sogenannten Schwarmgeistern
wird wohl der klare Blick auf den Herrn des Lebens mangeln. So ist gerade die Sicht auf den
Herrn der Gradmesser der Beurteilung. Freilich ist auch die Sphäre des Hörenden oder Sehenden zu berücksichtigen.
Diese verursacht durchaus eine gewisse »Färbung«. Vielleicht nicht im Sinne einer Verfälschung, sondern Auswahl der Blickrichtung.
Wie nun eingangs ausgeführt, werden durch die verschiedensten Medien und Mittler die entsprechenden Schichten im Menschen angesprochen, vor allem aber im Großmenschen. Betrachtet man die Gesamtmenschheit in ihren unterschiedlichsten Entwicklungsphasen, die
alle zu ihrer Vollendung geführt werden sollen, so kann man sich die verschiedensten Angelköder vorstellen. Swedenborg ist einer von ihnen. An ihm ranken sich soundsoviele Menschenseelen empor, angetan von seiner Sphäre. Genau dasselbe geschieht auch bei den
89
Vgl. Robert James Lees, »Reise in die Unsterblichkeit«, Bd. 1, »Das Leben jenseits der Nebelwand«, DreiEichen-Verlag, München, 4. Aufl. 1971 (Schriftltg.).
214
Peter Keune
anderen, und der »Fischzug« endet dann jeweils in der geistigen Heimat des Führers. Nur der
wahrhaft große Führer vermag über sie hinaus auf das ewige Zentrum zu verweisen. Der also
nicht an sich bindet, sondern das ewige Wohl im Auge hat. Swedenborg konnte dies, dafür sei
dem Herrn Dank!
Aus den vielen geistigen Richtungen außerhalb Swedenborgs möchte ich nun einmal Jakob
Lorber herausziehen, der gerade in der letzten Zeit wieder »untersucht« wurde, um seine geistige Glaubwürdigkeit festzustellen. Natürlich wollen wir ihn im Vergleich mit Swedenborg
sehen, dessen grundsätzliche Schau auch als Maßstab gelten kann. Dieser Versuch ist insofern nicht so ganz einfach, da wir es auch mit einem ähnlich umfangreichen Schriftmaterial
zu tun haben. Zudem ist der Aufbau der Werde anders als wie es Swedenborg handhabte.
Während bei Swedenborg alles genauestens thematisch gegliedert ist, der Aufbau äußerst
präzise vonstatten geht, schon in den Überschriften ein genauer Abriss der Inhalte ersichtlich
ist und ein jedes Ding sofort unter dem Blickpunkt des geistigen und himmlischen Sinns
verstanden wird, ist man bei Lorber vor einen ganz anderen Aufbau gestellt. Das, was Swedenborg in etwas steriler Form ausdrückt, wird hier in eine Rahmenhandlung gebracht. Und der
Leser wird durch alle Höhen und Tiefen menschlichen Fühlens mit bis zur endgültigen Verklärung geführt. Hier wird das praktische Leben geschildert, wie es z. B. einem Robert Blum
erging. Beginnend von dem Moment seiner Hinrichtung an erleben wir dessen Empfindungen
beim Erwachen im Jenseits, seine Verblüffung, seine Wahnideen, seine Belehrungen – die
natürlich ganz auf ihn abgestimmt sind – dann seine ersten lichten Momente und seine Hinfindung zum Herrn. Aber hier hört der Bericht nicht auf, sondern jetzt beginnt erst die langsame Durchdringung der Lehre Jesu, der Kampf mit dem innewohnenden Falschem bis hin zu
seiner Läuterung. Ein grandioses Werk, welches in weitem Maße jeden bisherigen Versuch,
jenseitige Entwicklung zu schildern, in den Schatten stellt. In unserer Kirche wurde dies in
den Werken vom hochzeitlichen Kleid und der unsichtbaren Polizei versucht. Hier finden wir
höchste Wahrheit und menschliche Gegenargumentation dicht nebeneinander. Eigentlich wie
in unserem gegenwärtigen Leben.
Um den Lesern einen Überblick über die Inhalte beider Schrifttümer zu ermöglichen, möchte
ich an dieser Stelle eine Übersicht tabellenartig einfügen, um den weitgespannten Rahmen
beider »Diener Gottes« aufzuzeigen. Die erste Tabelle soll lediglich die Hauptwerke aufführen.
In einer zweiten Übersicht versuche ich die Hauptlehren beider Offenbarungen gegenüberzustellen, wobei ich die Texte im Original wiedergeben möchte. Dies kann natürlich niemals die
Vielfalt und die Wirkung der Werke auf den Menschen widerspiegeln, soll aber doch die »große Linie« im Hinblick auf die Erkennungsmerkmale der guten Früchte aufzeigen.
Übersicht über die Werke
Swedenborgs
Die Himmlischen Geheimnisse 16 Bd.
Schrifttextentsprechungen
Die Wahre Christliche Religion 4 Bd.
Himmel und Hölle
Von d. göttl. Liebe u. Weisheit
Die göttliche Vorsehung
Die Wonnen der ehelichen Liebe
Enthüllte Offenbarung 4 Bd.
Erklärte Offenbarung 4 Bd.
Vom Neuen Jerusalem
Die Erdkörper im Weltall
u. a. mehr
Lorbers
Das große Johannisevangelium 11 Bd.
Die Haushaltung Gottes 3 Bd.
Geschichte der Urmenschheit
Die Jugend Jesu
Die drei Tage im Tempel
Erde und Mond
Der Saturn
Die natürliche Sonne
Die geistige Sonne 2 Bd.
(Zustände des Jenseits)
Von der Hölle bis zum Himmel, Robert Blum
(Nachtodliche Schilderung)
Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber
215
Bischof Martin
(Sein jenseit. Entwicklungsweg)
Briefwechsel Jesu mit Abgarus
Brief des Paulus an die Gemeinde von Laodizia
Schrifttexterklärungen
Das jenseitige Kinderreich
Der Großglockner
(Natürl. u. geistige Bedeutg. d. Berge)
Die Fliege
(Das Wesen des Lichtes)
Himmelsgaben 2 Bd.
Kleine Nebenworte
Swedenborg:
1) Gott
Die gesamte Heilige Schrift und von daher die Lehren der Kirchen in der christlichen Welt lehren, dass
Gott ist, und dass er einer ist. Die Engel können nicht
einmal den Mund auftun und das Wort Götter aussprechen. WCR. 6a + c. Völlig anders verhält es sich
dagegen mit denen, die nicht einen Gott anbeten und
um Hilfe angehen, sondern mehrere Götter.
Die Folge davon ist, dass nicht nur die Einheit Gottes, sondern die Theologie selbst und ebenso das
menschliche Gemüt tatsächlich zerspalten wird.
WCR 15b
Bei einem Menschen, der nicht an einen Gott, sondern an mehrere Götter glaubt, stehen die Elemente,
die zusammen die Kirche in ihm bilden sollen,
unverbunden nebeneinander. WCR 15a
Der eine Gott wird Jehova genannt, als der Seiende,
der allein ist und war und sein wird, und welcher
der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende,
das Alpha und das Omega ist. WCR 19
Gott ist die Liebe und Weisheit selbst, sie stellen sein
Wesen dar. WCR 37
2) Schöpfung
Es gibt zwei Welten, nämlich die geistige, die Welt
der Engel und Geister, und die natürliche, die Welt
der Menschen. WCR 75b
Es ist die herrschende Liebe, welche den Menschen
nach seinem Tode erwartet. H.H. 477
Lorber:
Der Gott der Juden ist aber dennoch der allein wahre,
ewige Gott, der einst den Himmel und diese Erde mit
allem erschaffen hat aus sich heraus. Gr. Joh. Ev.
210, 13 Gott ist das Wort in sich, und das Wort ist
Gott. Dies ewige Wort hat nun Fleisch angenommen,
kam in die Welt zu den Seinen, diese erkennen nicht
das Licht, das dadurch in die Welt gekommen ist. Gr.
Ev. 74.6.
Daher wisse nun auch in deinem Herzen, dass ich
nicht nur allein Jehova, der allmächtige Gott und
Schöpfer aller Dinge bin, sondern im Verhältnis zu
euch der allein wahre, Heilige, liebevollste Vater
bin, der da niemand richten will ewig zum Verderben, sondern nur jedermann aufrichten zum ewigen
Leben.
Das wirst du doch begriffen haben, wie der ewige
Schöpfungsraum angefüllt ist mit meinem Geiste,
der das ist pure Liebe, also Leben, Licht und Weisheit. Gr. Ev. 4, 257, 10
Wenn deine Seele vom Leibe frei wird, so wird diese
dir nun sichtbare Welt für dich vergehen. Du aber
wirst im Jenseits aus deinem Inneren dir selbst eine
Welt erschaffen können, die für dich solange du sie
erhalten willst, eine ebenso vollkommene Wohnunterlage bilden wird, wie nun diese Erde für deinen
Leib eine Wohnunterlage bildet. Gr. Ev. 10, 195
Denn es wird nie jemand in einen Himmel kommen,
der so aussieht, wie er ihn so oder so beschrieben in
seinem Gedächtnis hat, indem ein jeder den eigenen
216
Peter Keune
Himmel und die eigene Geisterwelt in sich trägt,
davon sich die Form allezeit richten wird nach der
Art der Liebe, die in ihm ist. Geistige Sonne 2, 124
3) Erlösung
Jehova der Schöpfer des Weltalls ist herabgekommen und hat das Menschliche angenommen, um die
Menschen zu erlösen und selig zu machen. WCR 81
Künftig kann keiner von den Christen in den Himmel gelangen, der nicht an den Herrn, den Gott und
Heiland glaubet und sich allein an ihn wendet. WCR
107
Die Erlösung bestand in der Unterwerfung der
Höllen und im Ordnen der Himmel und so in der
Vorbereitung einer neuen geistigen Kirche. WCR
115
4) Der Heilige Geist
Der Heilige Geist ist die göttliche Wahrheit, ebenso
auch die göttliche Kraft und Einwirkung, die hervor
geht aus dem einen Gott, in dem eine göttliche Dreiheit besteht. WCR 139
Eigentlich wird durch den Heiligen Geist das göttlich Wahre bezeichnet, mithin auch das göttliche
Wort. WCR 139
Diese drei – Vater, Sohn und Heiliger Geist – sind
die drei Wesenselemente des einen Gottes …
… die ebenso eine Einheit bilden, wie Seele, Leib und
Wirksamkeit. WCR 166
5) Entsprechungen
Dass das Wort des Alten Testamentes Geheimnisse
des Himmels enthält und dass alles und jedes in
ihm eine Beziehung hat auf den Herrn, seinen Himmel, ersieht kein Sterblicher. Daß Alles und Jedes, ja
das Allereinzelste bis zum kleinsten Jota, Geistiges
Jesus ist der wahrhafte, allereigentlichste, wesenhafte Gott als Mensch. Jesus ist demnach der Inbegriff
der gänzlichen Fülle der Gottheit. Und dies ist zugleich die unendliche Gnade des Herrn, dass Er sich
hat gefallen lassen anzunehmen das körperlich
Menschliche. Geistige Sonne 2, 13
Darum bin ich selbst auf diese Erde gekommen, um
euch den Weg zur wahren, selbstständigen, ewigen
Lebensfreiheit zu zeigen durch Wort und Tat, ihn zu
bahnen und zu ebnen durch Mein euch allen vorangehendes Beispiel. Nur auf diesem Wege wird es
euch möglich sein, einzugehen in die nie ermessbare
Herrlichkeit Gottes. Ev. 3 178, 1–2.
Ich mache nun alles neu, und alle alten Verhältnisse
müssen umgewandelt werden, weil Ich Selbst Mich
umgewandelt habe dadurch, dass ich die Materie
anzog. Gr. Ev. 6 239, 2–4
Da die Hölle nun ihre Gewalt über die ganze Erde
ausübte, war es an der Zeit, dass Ich Selbst in die
Materie herabkommen musste, um das alte, aber
notwendige Gericht mit all Meiner Fülle zu durchbrechen und dadurch der Hölle einen Damm zu
setzen, den sie nimmermehr durchbrechen wird. Ev.
6, 240 2–3
Der Herr spricht: … musste Gott sich gewissermaßen
durch Seine Menschwerdung Selbst neu gestalten,
hernach bauen einen neuen Himmel und endlich
machen, dass alles neu werde, gleich ihm. Ev. 8, 26, 1
Der Vater, Ich (Jesus) der Sohn und der Heilige Geist
sind unterscheidbar eines und dasselbe von Ewigkeit. Der Vater ist die ewige Liebe, Ich als der Sohn
bin das Licht und die Weisheit, die aus dem Feuer
der ewigen Liebe hervorgeht. Damit aber alles gemacht werden kann, dazu gehört noch der mächtige
Wille Gottes, und das ist eben der Heilige Geist,
durch den die Werke und Wesen ihr volles Dasein
bekommen. Der Heilige Geist ist das große ausgesprochene Wort »Werde«. Gr. Ev. 6, 230, 2-5
Und sehet, das alles ist nun da in Mir. Die Liebe, die
Weisheit und die Macht. Und somit gibt es nur einen
Gott, und der bin Ich. Gr. Ev. 6, 230, 6
Dass aber auch ihr dieselbe Mir ganz eben mäßige
Dreiheit in euch habt, wie ich selbst, das soll euch
sogleich ganz klar gezeigt werden. Gr. Ev. 6, 230,7
Am Beispiel Der Schöpfungsgeschichte: Der Herr:
Man kann darum Moses sogar vierfach lesen.
1) rein naturmäßig
2) naturmäßig und geistig vermengt
Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber
und Himmlisches bezeichnet und in sich schließt,
darüber ist die Christenheit noch in tiefer Unkunde.
HG 1–2
… daher stammt sein geistiger Sinn, der im Natürlichen in ähnlicher Weise verborgen ist wie die Seele
im Menschen, wie alle Voraussetzungen zum Entstehen eines Kükens innerhalb der Schale des Eies
WCR 193
217
3) Rein geistig, da handelt es sich bloß nur um die
geistige Bildung des Menschen (Genesis)
4) rein Himmlisch, wo der Herr alles in allem ist,
und alles auf Ihn Bezug hat. Gr. Ev. 4 163, 2–6
Die Worte der Schrift sind gleich der Schale des Eies,
innerhalb welches sich auch ein Dreifaches birgt
(Das Weiße, das Gelbe und das rötliche Lebensknäuel). Diese Umhülsung muss aber in der materiellen
Welt überall da sein, wo nur immer etwas ist, auf
daß das innerste Göttliche nirgends je kann verunreinigt werden. Weil aber überall in allem Naturmäßigen Geistiges, Himmlisches und Göttliches
steckt, so besteht auch eine Entsprechung zwischen
allem, was in der Welt, im Geisterreiche, im Himmel
und endlich gar in Gott Selbst sich vorfindet. Gr. Ev.
5 272, 12–13
Soweit erst einmal die Darstellungen in einer Gegenüberstellung, wobei immer die jeweiligen
Originaltexte verwendet wurden. An manchen Stellen waren leichte Textstraffungen notwendig, um das Wesentliche herauszustellen. Zur Ausführung kamen die grundlegenden Texte der
Wahren Christlichen Religion, die den Glauben der Neuen Kirche betreffen. Ebenso kann man
auch die nachfolgenden Abschnitte über die Gebote, den Glauben etc. in gleicher Weise überzeugend belegen. Aus diesem kann jeder Unvoreingenommene leicht schließen, dass beide
Werke in ihrer Grundlehre zumindest völlig identisch sind. Folglich kann das angezweifelte
Lorberwerk keinesfalls auf Schwarmgeistern beruhen, sondern muss aus der gleichen Quelle
wie die Offenbarungen der Neuen Kirche kommen. Aber schauen wir noch weiter.
Wollen wir nun etwas näher auf das von Seiten vieler Swedenborganhänger diffamierten Lorberwerkes eingehen. (Dies tun übrigens nicht alle Anhänger, aber in einem besonderen Maße
die »Theologen« unter ihnen).
Da ist zuerst die Behauptung Lorbers, das Wort direkt vom Herrn bekommen zu haben. Dieser
Gedanke löst bei vielen Lesern naturgemäß ein Befremden aus. Sind doch die Vorstellungen
über das Wesen der Gottheit so grundverschieden, wie die Menschen untereinander. Wird die
Sprache Gottes nicht sofort mit der Ausdrucksweise der Heiligen Schrift verglichen? Diese ist
auch in ihr nicht gleich, umfasst sie doch einen Zeitraum von mehreren Jahrtausenden. Das
letzte Wort ist auch schon 1900 Jahre alt. Zudem schon oft überarbeitet, übersetzt und leider
auch verfälscht. Selbst Swedenborg hat nicht alle Teile derselben anerkannt. Und wie viele
Zweifel sind alleine schon an der Bibel geäußert worden, deren göttliche Inspiration wie oft
schon abgeleugnet wurde. Besonders stößt im Lorberwerk – in Verbindung mit der Aussagekraft Gottes - die kindliche, ja naive Schreibweise auf. Ist sie die eines Gottes würdige Ausdrucksform, der im Grunde über aller Schöpfung steht? Von dem Gedanken, Gott könne sich
so weit herablassen, einmal ganz abgesehen. Zum anderen stören die Gegner die vielen –
scheinbar gegenteiligen – Aussagen über die unterschiedlichsten Dinge und vielmehr noch
die oft andere Auffassung zum Stand der Wissenschaft. So wird an der Schreibweise, dem
Inhalt und vielem mehr, Kritik geübt. Auf der anderen Seite gibt es genauso viele und mehr
intelligente und verantwortungsbewusste Menschen unter den begeisterten Anhängern dieses
Schrifttums. Sind diese weniger kritisch, wie es öfter behauptet wird? Eine eigenartige Tatsache scheint mir zu sein, das scharfe Ablehnung und begeisterte Zustimmung so dicht nebeneinander stehen. Es fehlen etwas die »Lauen« in der Mitte. Zumindest aber ist diese Gruppe
verhältnismäßig klein. Aber untersuchen wir einmal die häufigsten Gegenargumente:
1) Das Werk wurde unter spiritistischem Einfluss geschrieben, ist also ein spiritistisches
Werk, das unter Hinweis auf Swedenborg abzulehnen ist. Unter Aufgabe der eigenen Persön-
218
Peter Keune
lichkeit des Mediums wird der Geisterwelt Tür und Tor geöffnet. Könnte sich dies nicht sofort
die negative Welt der Lug- und Schwarmgeister zunutze machen, um das Feld zu beherrschen? Dies Argument ist im Prinzip richtig. Nur muss ein spiritistisches Erzeugnis nicht
gleich falsch sein, kommt es doch darauf an, wer auf der »anderen« Seite Einfluss nimmt.
Spiritus heißt einfach Geist ohne Wertung oder Vorzeichen. Es kann Ungeist oder Gottgeist
sein.
Die Aufgabe der eigenen Persönlichkeit drückt sich dadurch aus, sein eigenes Ich – also sich
selbst – auszuschalten, um alleine Sprachrohr zu sein. Auch dies hat kein Vorzeichen und
kann im Guten oder Negativen geschehen. Dieses Prinzip lag jeder göttlichen Offenbarung
zugrunde bis zurück in jene Zeit vor der Menschwerdung, als die Gottheit sich durch einen
Engel offenbarte, der in seinem Wesen völlig zurücktrat, um nur Hülle zu sein. Siehe auch
Swedenborgs Darstellung über diesen Vorgang. Bei medialen Kundgaben muss also nicht nur
die niedere Welt der erdgebundenen Geister zum Ausdruck kommen, obwohl dies häufig der
Fall ist. Wer von sich aus den Drang hat, mit der anderen Welt Kontakt aufzunehmen – wie
dies nur immer möglich ist – der öffnet sich natürlich auch diesen Geistern in seiner Begierde
um Neuigkeit. Aber daneben soll und muss man auch die echte Berufung sehen. Die Geister,
in deren Gedankenwelt eingetreten wird, sind die Geister seiner eigenen Sphäre, also, in der er
sich selbst bewegt. Ein Kriterium der Beurteilung wäre also der geistige Standpunkt des Mittlers. Lorber war ein äußerst bescheidener, von der Liebe zu Gott durchdrungener Mann, der
nicht von sich aus diesen Weg beschritt, sondern in ähnlicher Weise vom Herrn dazu aufgefordert wurde, wie einst Emanuel Swedenborg. Vergleichen wir noch einmal kurz beider Berufungserlebnisse:
Swedenborg:
In London begab sich nach einem anderen ähnlichen
Gesicht Folgendes: Aber in der folgenden Nacht
stellte sich derselbe Mann nochmals vor und sagte:
Er sei Gott der Herr, der Welt Schöpfer und Erlöser.
Und dass er mich erwählt habe, den Menschen den
geistigen Sinn der Heiligen Schrift auszulegen, und
dass er mir selbst diktieren werde, was ich schreiben solle über diesen Gegen stand. In der nämlichen
Nacht wurde mir zu meiner Überzeugung die Geisterwelt, die Hölle und der Himmel, geöffnet, wo ich
mehrere Personen meiner Bekanntschaft aus allen
Ständen fand. Von diesem Tage an entsagte ich aller
weltlichen Gelehrsamkeit, und arbeitete nur in
geistigen Dingen, gemäß dem, was mir der Herr zu
schreiben befahl. Dies tat er dann in der Folge von
siebenundzwanzig Jahren bis zu seinem Tode und
nannte sich demütig einen Diener des Herrn.
(Aus Robsahms Memoiren über Emanuel Swedenborg)
Lorber:
Er hatte am 15. März 1840 um 6 Uhr morgens gerade sein Morgengebet verrichtet und war im Begriffe sein Bett zu verlassen, da hörte er links in
seiner Brust, an der Stelle seines Herzens, deutlich
eine Stimme ertönen, welche ihm zurief: Steh auf,
nimm deinen Griffel und schreibe. Er gehorchte
diesem geheimnisvollen Rufe sogleich, nahm die
Feder zur Hand und schrieb das ihm innerlich Vorgesagte Wort für Wort nieder. Er lehnte nach diesem Ereignisse die ihm gerade angebotene
Anstellung unverzüglich ab und diente dieser geheimnisvollen Einflüsterung von derselben Stunde
an während einer Reihe von vierundzwanzig Jahren,
bis zu seinem Tode, als emsiger Schreiber, indem er
sich demütig ein Knecht des Herrn nannte.
(Aus Karl Gottfried Ritter von Leitner: Lebensbeschreibung Jakob Lorbers)
2) Wenn Gott sich offenbaren würde, dann nicht in dieser einfältigen Form. Außerdem müsste
alles endgültige Wahrheit sein und sich nicht mit der Wissenschaft oder gar in sich widersprechen.
Die Art und Weise, wie sich Gott in allen Zeiten offenbarte, ist durchaus verschieden gewesen.
Bedenken wir auch die unterschiedlichen Stilarten innerhalb der Bibel, jeweils der Zeitepoche
und dem Sprachrohr angepasst. Über aller Offenbarung liegt dann wieder die Hülle der Entsprechung zum Schutze der Menschen. Somit ist keiner in seiner Willenssphäre gezwungen,
sondern kann freiwillig erkennen. Die Aussage der Schrift über die Wiederkunft Christi besagt
nach Swedenborg die Enthüllung der himmlischen Wahrheiten. Trotzdem tragen diese in ihrer
Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber
219
Enthüllung noch eine Decke um der Freiheit willen. Diese ist bei Swedenborg der Schein der
Möglichkeit, denn auf der anderen Seite kann man auch eine Einbildung Swedenborgs
zugrunde legen. Seine Aussagen sind also nicht zwingend. Wenn Gott redet, darf er es auch
nicht in überwältigender Weise tun, zumindest nicht nach außen hin.90 So muss auch die
Enthüllung mit der nötigen Vorsicht stattfinden. Aus demselben Grunde erscheint Gott auch
nicht unmissverständlich auf den irdischen Wolken des Himmels.
Nehmen wir einmal an, Gott ist wirklich der Geber der Lorberdiktate. In welcher Weise hat er
sich dabei getarnt, eine Decke über die Enthüllung geworfen? Eben in dieser schlichten und
einfältigen Redeweise eines Bürgers des 19. Jahrhunderts. Ja, er packt sogar einige »Steine des
Anstoßes« mit hinein, auf das niemand gezwungen werde. Wer nur mit dem äußeren auf die
Welt ausgerichteten Verstand liest, wird sich gewaltig daran stoßen. Wie sieht es aber mit
demjenigen aus, der von geheimer Sehnsucht getrieben, die Verbindung mit seinem Himmlischen Vater sucht? Liest er nicht durch das äußere Wort hindurch den dahinterstehenden
Geist? Was bedeuten da die Verniedlichungen wie »lich« und »lein« und anderes? Ist es nicht
ähnlich der Korrespondenz zweier Liebender. Den Außenstehenden sagen die Worte des Briefes nicht viel, erscheinen sogar recht töricht. Der Liebende entzündet sich jedoch an ihnen und
erkennt das Gegenüber. So muss das Kriterium der Beurteilung in einer rechten suchenden
Liebe zu Gott bestehen, und je stärker diese ist, desto tiefer die Erkenntnis.
Was die scheinbaren Widersprüche betrifft, sollte man sich nicht daran stoßen, im Geiste
widersprechen sie sich nicht, zudem lösen sie sich von selbst, zum anderen sind es die Steine, an denen sich die Geister stoßen sollen. Das Kriterium der Wissenschaftlichkeit ist ein
sehr schwankendes, da diese oft ihre Theorien ändern und außerdem nur an die Materie gekettet ist. Was z. B. die geistigen Ursachen betrifft, so sind diese der Wissenschaft mehr als
fremd, da sie ja noch nicht einmal Geist erkennen kann. So sind manche Ergebnisse der so
gefeierten Sparte nur Scheinwahrheiten. Jedenfalls – ohne die Wissenschaft herabwürdigen zu
wollen, ist sie nicht ein Mittel zur Feststellung der Wahrheit91. Da heißt es lieber abwarten
und den Herrn und Geber aller Dinge angehen. Zu bemerken ist aber, dass viele seiner Angaben in neuerer Zeit von der Wissenschaft bestätigt wurden. Sicher werden es die anderen
auch.
Hinsichtlich des Stiles ist die Erzählungsform zu berücksichtigen, in der sich jeder Geist aussprechen kann. Dann erst wird ihm die Antwort zuteil, gemäß dem Grade seiner Auffassung.
So werden alle Probleme unserer Mitwelt, wie wir sie täglich erleben, hier in den Gesprächen
behandelt und ihrem Wahrheitsgehalt nach untersucht. Swedenborg dagegen bezieht ein Jedes
immer sofort auf die geistige Grundlage des Herrn, während in den Erzählungen der Lorberschriften durchaus unterschiedlichste Angaben (oder nur Teilangaben) über den betreffenden Gegenstand gemacht werden. Die Antworten, die z. B. im Großen Johannisevangelium
gegeben werden, unterscheiden sich in manchem von denen, die in anderen Werken Fragenden unserer Zeit gegeben werden. In dem Buche Robert Blum wird darüber u. a. Folgendes
90
91
Dies ist richtig, aber gerade darum bezweifeln ja die Anhänger Swedenborgs, daß der Herr bereits
seinen Jüngern all die stupenden wissenschaftlichen und metaphysischen Erklärungen hatte geben
können, wie es dem GEJ zufolge geschehen ist (Schriftltg.).
Es kommt darauf an, um welche Wahrheit es geht. Die Wissenschaft ist zuständig z.B. für sinnlich
Wahrnehmbares. Wäre sie es nicht, so wäre es ja auch ganz und gar töricht, daß sich die LorberAnhänger heute so gern auf die Wissenschaft berufen, die manche einst völlig unwahrscheinlich klingenden Behauptungen der Lorber-Schriften heute bestätige. Zuständig ist die Wissenschaft beispielsweise auch für die Frage, ob sich auf dem Mond oder den Planeten menschliches und anderes Leben
findet. Nur erscheint es heute noch verfrüht, Endgültiges darüber zu sagen. Immerhin spricht nicht vieles dafür, daß Lorbers und Swedenborgs diesbezügliche Behauptungen buchstäblich zu nehmen seien
(Schriftltg.).
220
Peter Keune
ausgesagt: »Die scheinbare Zusammenhanglosigkeit der göttlichen Offenbarung an die Menschen widerspricht der göttlichen Ordnung nicht, sondern bestätigt diese vielmehr. Denn eben
dadurch zwingt die Gottheit die träge Natur der Menschen zum Denken und Suchen und sich
Zurechtfinden in dem, was ihr am Anfang und in der Äußerlichkeit der Gotteslehre so unordentlich und unlogisch vorkommt.« Beim öfteren Durchlesen und Durchdenken vervollkommnen sich die Bilder wie ein Mosaik. Eigenartig dabei ist das immer größer werdende Verlangen
sich mehr und mehr darin zu vertiefen. Texte, die man schon öfter gelesen, sieht man mit
ganz anderen Augen. Die äußere Form der Gabe sinkt völlig in den Hintergrund und der gebende Geist tritt immer mehr hervor. – Dies jedenfalls ist mein Eindruck von der äußeren
Form der Lorberschriften, die ich immer wieder bei anderen Menschen bestätigt gefunden
habe. Es liegt ein sehr naher Vergleich mit der Form der Heiligen Schrift, die auch für viele
ein Stein des Anstoßes ist. Und doch muss man durch den oft blutrünstigen Buchstaben hindurch, um den Geist der Offenbarung zu erkennen.
3) In den Lorberschriften wird die Gottheit oder der Herr verniedlicht und dadurch in seinem
Ansehen geschmälert.
Hier muss man erst zurückfragen; in welcher Weise verniedlicht? Die Gottheit hat ja viele
Erscheinungsformen, gemäß der vielen Blickrichtungen seiner Geschöpfe. Selbstverständlich
kann man ihn als Richtergott sehen, oder als Vater seiner Kinder, wie auch als Liebster der
Geliebten, wie es im Hohen Lied dargestellt wird. Dies sind nur drei Darstellungsformen unter
vielen anderen.
Und Gott wird einem immer so begegnen, wie er in unserer Vorstellungswelt lebt. Im Lorberwerk tritt er nicht als der gestrenge Richter oder als der Herr Jehova auf, sondern als der liebende Vater, der sich zu seinen Kindern niederbeugt, um sie zu sich zu ziehen. Ja, er will aus
den Kindern Liebende machen, Bräute, wie sie in der Johannisoffenbarung beschrieben werden. Oder wie er dort zur Hochzeit des Lammes einlud. Jene liebende innige Verbindung, die in
kindlicher Unschuld – man beachte Swedenborgs Ausführungen darüber – aus der Hand des
Höchsten empfängt! Hier wird nicht kritisiert, sondern empfangen im kindlichen Vertrauen
auf die Gaben des guten Vaters. Die Wirkungsweisen bestätigen das Vertrauen, denn es sind
wahrhaftig gute Früchte, die da heranreifen92. In diesem Schrifttum zeigt er sich in seinem
Menschlichen, als Bruder, als Liebhaber. Die Angesprochenen können sich aus ihrer Tiefe
erheben, zu ihm aufblicken und ihn lieben lernen. Da gibt er sich erst in der vollen Tiefe zu
erkennen! Wer in diese Sphäre taucht, erfährt den wahren Kern der Schriften!
4) Dieses geoffenbarte Schrifttum ist wohl medial gegeben, aber die Urheber sind bei den
Schwarmgeistern zu suchen.
Hier gilt wohl wieder das Sprichwort: An den Früchten sollt ihr sie erkennen – oder: Wachsen
wohl Feigen auf Disteln?
Wie sehen die Früchte bei den zahlreichen Lesern dieser Schriftgattung aus?
Oder mit Swedenborg ausgedrückt: Welche herrschende Liebe findet sich in ihnen?
Es ist wohl nicht übertrieben, wenn ich auf Grund eigener und vielfältiger anderer Erfahrungen sagen kann: Die reine Liebe zu Jesus als den Herrn Jehova in seinem MenschlichGöttlichen. Es ist der gleiche Grund, den Swedenborg als das Wesen der Neuen Kirche be92
Entschieden allein die Früchte über Echtheit oder Unechtheit einer Offenbarung, so müßten wir schleunigst auch alle möglichen anderen Religionsgemeinschaften als neukirchliche Brüder und Schwestern
anerkennen (fraglich, ob wir damit auf Gegenliebe stießen!), z. B. die Mormonen, die in vieler Hinsicht
unübertrefflich in ihrem christlichen Leben sind (Schriftltg.). Man wird das Wort Jesu »an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen« geistiger zu interpretieren haben, als es von seiten des Verfassers geschieht
(Schriftltg.).
Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber
221
zeichnet. Sollte solches den Schwarmgeistern möglich sein? Ich habe auf Grund vieler Gespräche und Ermittlungen immer wieder das Gleiche feststellen können, dass die Leser und
Täter nach den Schriften Jakob Lorbers eine übergroße Liebe zum Heiland Jesus Christus erfasst. Dass ihr Sinnen und Trachten immer mehr in diese Richtung zieht, ja dass man ohne
diese Verbindung zu ihm nicht mehr zu leben vermeint. Darüber hinaus sind die Anhänger
von einer großen Liebe zu den Mitmenschen ergriffen und haben ihren ganzen Lebensinhalt
im geistigen Wirken gefunden. Wäre dies auf Grund der Wirkungen von Schwarmgeistern
geschehen, dann stimmen die geistigen Gesetze nicht mehr, dies ist vielmehr dem heiligen
Wirken unseres Herrn zuzuschreiben. Dem Heiland, der sich in seiner Fülle herbeigelassen
hat, durch den armen Schreibknecht Jakob Lorber, den suchenden Liebhabern Gottes in dieser
so wirren Zeit ein Licht aufzustecken, dass sie befähigt, das Himmlische Jerusalem auf dem
kürzesten Wege zu erreichen.
Paulus im 1. Cor. 13.3: »Niemand kann Jesus Christus einen Herrn heißen, er rede denn durch
den Heiligen Geist.«
Joh. 1, 4,2: »Jeder Geist, der da bekennet, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, der
ist von Gott.«
Swedenborg: … »dass dieser heilige Name, vor welchem sich beugen alle Knie in den Himmeln
wie auf Erden, böse Geister nicht einmal aussprechen können.« (WCR 297) ferner: »dass alle
Bösen eine solche Furcht und Grauen haben vor dem Heiligen des Herrn, dass sie demselben
nicht einmal nahen können, sondern weit davon hinwegfliehen. Ja, alle bösen Geister geraten
schon bei der bloßen Nennung des Namens in eine Tollwut, infolgedessen sie sogleich in ihre
Höllen hinabsinken.« (HG 2321)
Wie aber sollten diese falschen Geister solch ein Loblied auf den Herrn singen können, wie
wir es in den genannten Schriften Zeile für Zeile finden können?? – Diese Annahme ist wohl
ein gewaltiger Trugschluß!!
5) Die Lorberschriften sind angesichts der umfassenden Schriften Swedenborgs überflüssig.
Dessen geoffenbarte Lehre muss erst einmal völlig ausgeschöpft werden.
Richtig ist, dass das Weltbild eines Swedenborg noch nicht annähernd in seiner Fülle verarbeitet worden ist. Doch betrachten wir den einen wie den anderen als ein Werkzeug des gleichen
Herrn, der seine Neue Kirche in uns errichten will. Nicht jedes Werkzeug, so weiß der Handwerker, ist für bestimmte Zwecke gleich gut geeignet. Und kaum wird man die ganze Welt
alleine durch Swedenborg – oder auch Lorber – selig machen können. Aber es werden bestimmte Schichten des Menschen (und des Volkes) angesprochen, in der sie ihre Wirkungen
nicht verfehlen. Nicht nur in diesem Sinne ist Lorber nicht überflüssig, sondern geradezu
notwendig. Er führt in praktischer leicht lesbarer Form das aus, was Swedenborg in theoretischer Weise zu erklären sucht. Gibt Swedenborg gewissermaßen das Gerippe jener geistigen
Weltschau, so füllt dieses Lorber mit geistigem Leben aus. Dies in einer so anschaulichen und
einprägsamen Weise, dass es unvergessen bleibt. Darüber hinaus geht das Weltbild in einer
grandiosen Weise weiter. Wie auch Swedenborg nach eigener Darstellung nur bestimmte Dinge offenbaren durfte, die anderen waren für spätere Zeiten bestimmt, führt Lorber in manchen
Dingen weiter. Dazu gehört einmal – vielleicht ist dies auch einer der Höhepunkte seiner
Schau – die Lehre von der vorgeburtlichen Entwicklung der Seelensubstanz. Hier liegen die
Erklärungen der Naturwelt verborgen, die Swedenborg nur allgemein streift. Die Materie ist
umschlossenes Geistiges, welches stufenweise von der Materie befreit in immer höheren
Formen zum Leben erwacht, bis endlich die menschliche Seele aus vielen Elementen zusammengesetzt, erstmals einen materiellen Körper annimmt. Geburtsstunde des eigentlichen
Menschen.
222
Peter Keune
Welch großartige Schau, in der die Natur in allen ihren Formen auf den Menschen – in der
Seele, wie im Körper – zustrebt, als höchste Schöpfungsstufe dann dem reinen Geistigen
zugeformt wird. Hier erkennen wir auch die höchste Bedeutung des Naturschutzes.
Man kann also nicht behaupten, dass Lorber nur Swedenborg nachspricht, wie man dies zuweilen auch hören kann. Auch andere Dinge gehen über ein Plagiat Swedenborgs hinaus.
Denken wir nur an die Darstellung des ganzen Lebens Jesu in 13 Bänden, vergleichsweise in
der Größenordnung der 16 Bände der Himmlischen Geheimnisse.
6) Es gibt eine ganze Reihe von Widersprüchen zwischen Swedenborg und Lorber.
Diese im Einzelnen aufzuführen, führt über den Rahmen der Betrachtung hinaus und sollte
einmal gesondert aufgestellt und sachlich betrachtet werden. Vielleicht erweisen sie sich gar
nicht als Widersprüche. Oftmals ist allein schon die Terminologie (Begriffsbestimmung) verwirrend. Dazu ein Beispiel:
Swedenborg:
Der jenseitige Geist des Menschen
Das Gemüt in seinen verschiedenen Graden
Nach der WCR ist das Gemüt eine geistig und natürlich organisierte Form des göttlich Wahren und
Guten
Bezeichnet das Gemüt erst nach dem Tode als Geist.
Lorber:
ist hier eigentlich die Seele.
wird hier der Geist genannt
Menschengeist und Gottesgeist
wird hier Geistfunken genannt, eines unmittelbaren
Teiles aus Gott, der durch dieses in den Menschen
einfließen kann. Stellt die Verbindung mit Gott dar.
Der Geist wird erst in der Wiedergeburt der wahre
Mensch.
Ein anderes Beispiel ist der Vorwurf der Reinkarnationslehre.
Swedenborg betont die einmalige und einzige Inkarnation auf der Erde. Hier ist der Beginn des
menschlichen Lebens (Gleiches gilt für die entsprechenden anderen Planeten).
Bei Lorber beginnen 98 % aller Menschen ihre Lebensbahn erstmalig auf der Erde, die sie nach
entsprechender Reifung in die Geisterwelt verlassen. Nur 2 % hatten ein Vorleben auf einem
anderen Planeten oder schon hier auf der Erde. Diese haben bestimmte Aufgaben durchzuführen oder sich im Sinne der auch äußerlichen Nachfolge Jesu freiwillig hier inkarniert. Dazu
spricht der Herr im Lorberwerk, dass von ihm aus keiner zurückzukehren habe, außer es ist
dessen ausdrücklicher Wille. Die Gefahr eines viel schlechteren Abschneidens als beim ersten Mal auf Grund der absoluten Freiheit ist viel zu groß, zumal das eigentliche Leben auch
im jenseitigen Bereich liegt.
Swedenborgs Pauschalangaben stimmen also auch mit Lorber überein, denn 98 % sind ja im
Grunde alle. Der Rest fällt unter die berühmte Regel, die immer auch Ausnahmen hat. So starr
ist auch der Schöpfungsplan nicht.
Und zum Schluss noch eine letzte Betrachtung über das angeblich von Swedenborg abgelehnte
gefallene Wesen des Luzifer, jenes Lichtgeistes, der nach Lorber nunmehr in der Materie gebannt ist. Von dort aber stufenweise – sieht Entwicklung des Naturreiches – erlöst wird. Lehnt
Swedenborg dies ab, oder sagt er nur nichts darüber? Dies wäre aber natürlich, dass Luzifer
nur in Verbindung mit der Lehre der Naturentwicklung und Erlösung bei Lorber gebraucht
wird, und diese im Ganzen bei Swedenborg fehlt. Der gebrauchte Begriff des Luzifer bei letzterem bezieht sich auf das Böse im Menschen. Warum gebraucht er aber gerade für die Bezeichnung von bestimmten Bösen den Namen, der eigentlich Lichtträger heißt? Es wäre
widersinnig, wenn nicht vielleicht doch der Lichtträger als solcher einmal gefallen ist. Zudem
macht eine Bemerkung Swedenborgs stutzen, die er in seinem geistigen Tagebuch in der No.
202 wie folgt niederschreibt:
Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber
223
»Ich dachte bei mir darüber nach, wie der Teufel von solcher Bosheit sein konnte, dass er
sogar das Innere des Messias versuchen konnte. Allein ich hörte aus dem Himmel, dass, weil
er in dem Zustand der Vervollkommnung erschaffen wurde und daraus gefallen ist, so könne
man sich den Zustand der Bosheit, in dem er ist, nicht denken. Und weil Adam von dieser
Bosheit angesteckt wurde, so wurde er auch aus dem Paradiese vertrieben, und der Weg zum
Baume des Lebens wurde bewacht. Denn jener böse Geist kann einen jeden Menschen verderben, nur den Messias nicht. Jetzt aber wird er in Banden gehalten, nur seine Rotte wird noch
losgelassen, und diese ist unter dem sogenannten Teufel zu verstehen.«93
In Erde und Mond von Lorber lesen wir:
»Der Wohnsitz des Zentralgeistes Luzifer befindet sich im Mittelpunkte eurer Erde, wo er
durch Gottes Urmacht gebannt ist. Denn der Willenshauch des Allerbösesten ist so unbeschreiblich schrecklich, dass ihr Menschen euch davon nimmer einen Begriff machen könnt.«
Lorbers Aussagen decken sich also mit Swedenborgs Angaben völlig94, nur dass, dieser seine
Angaben nicht weiter ausführt (weil sie von einem anderen dargestellt werden sollten). Übrigen betrachte man die Logik und Größe dieses Weltbildes. Vielleicht kann man die Wahrheit
darin erkennen.
Es soll hier nicht darum gehen, gelehrte Streitgespräche für und wider zu führen, denn die Zuoder Abneigung muss dem Einzelnen überlassen bleiben. Nur soll an dieser Stelle einmal
auch ein bescheidener und von Gott durchdrungener Mann rehabilitiert werden, der lange
Jahre hindurch gerade von Seiten der Swedenborgianer – zumindest von einigen einflussreichen – in teils übelster Weise diffamiert wurde. Es soll dies hier nicht wieder aufgerührt werden, denn wir alle sind doch Brüder unseres Herrn und Vaters. Erschreckend jedoch ist die
Unkenntnis des Gesamtwerkes bei denjenigen, die sich für eine Kritik berufen fühlen. Dieselben haben aber oft große Worte des Lobes für Werke der gegenwärtigen Literatur, in der sich
oft nur kleine Anklänge an die Lehren der Neuen Kirche befinden. Dies ist natürlich zu begrüßen für die Leser. Aber warum wird nicht der Hinweis auf ein Schrifttum gegeben, das wie
kein anderes in der Welt die Lehren Swedenborgs bestätigt und ausdrücklich gutheißt. Und in
welchem kleinen Verhältnis stehen die Punkte, die vielleicht nicht anerkannt werden können
(nach einer derzeitigen Auffassung) gegenüber den sogenannten Hauptlehren. Wo will man
denn eine ähnliche Literatur finden auf der ganzen Welt?
Alle in jüngster Zeit vielleicht gutgemeinte Gegenüberstellungen kratzen wohl sehr an der
Oberfläche. Auf diese Weise lässt sich doch keine Tiefe ausloten!
Wie schon gesagt soll niemand gezwungen werden etwas anzunehmen, was ihm nicht liegt.
Für diese mag Swedenborg ganzer Inhalt des Lebens sein. Ist aber der Bruder, der über die
Offenbarung Lorbers zum Herrn findet vielleicht weniger ein Bruder? Zeigt sich nicht die wahre Toleranz darin, auch den anderen in seinem Wesen gut zu heißen, ihn gleichsam in die
eigenen Reihen mit aufzunehmen, wenn auch in ihm ein Herz schlägt, das einzig den Herrn
93
94
Man vgl. hierzu unsere Ausführungen auf Seite 34 ff. dieses Heftes [OT 1977]. Hier sei nur fest gehalten,
daß Swedenborg wenig später die im Geistigen Tagebuch geäußerte, aus seiner angestammten Kirche
übernommenen Anschauungen über den »gefallenen Engel Luzifer« völlig über Bord geworfen hat. Die
zitierte Stelle kann also keinesfalls zugunsten der vom Verfasser geäußerten Ansicht geltend gemacht
werden (Schriftltg.)
Dies trifft auf keinen Fall zu; Swedenborg lehnt den Luzifer-Mythos schon deshalb grundsätzlich ab,
weil er sich darin sicher ist, daß es »im ganzen Himmel keinen Engel und in der ganzen Hölle keinen
Teufel gibt, der nicht sein Leben als ein Mensch im Fleisch begonnen hätte«. Mit anderen Worten: Swedenborg zufolge gibt es keine urgeschaffenen Engel oder Geister (Schriftltg.).
224
Peter Keune
will? Besonders wenn diese sich in ihrer ganzen Tatkraft der Sache zur Verfügung stellen.95
Halten wir uns das Neue Jerusalem vor Augen. Diese Stadt besteht aus vielen Straßen und
Wohnbezirken auf gleichem Grund und Boden. Wollen wir nicht miteinander leben und voneinander profitieren im Sinne einer brüderlichen Liebe, die einzig des Neuen Jerusalems würdig ist! Und das ist mehr als nur die gegenwärtige Duldung mit der dahinter verborgenen
Abneigung. Dazu gehört Verständnis und der Wille zur tieferen Erkenntnis, die nicht immer
nur in den eigenen Reihen zu finden ist. Der Herr gibt überall seine Gaben zur Errettung seiner Kinder und zu deren Beseligung. Lernen wir in Swedenborg und Lorber Künder und Mittler
einer Neuen Kirche zu sehen, deren Stifter unser Herr und Vater ist. Aber hüten wir uns vor
jeglicher Orthodoxie, welche wir in der anderen Kirche auch ablehnen. Möge jeder sein Herz
und Gemüt erforschen, welchen Grad der Liebe es zum Herrn besitzt. Aus dieser Liebe lasst
uns leben und wirken im Sinne einer Erneuerung und Erweitung der Kirche des Herrn. Diese
besteht nicht in Swedenborg, sondern in der Anerkennung des Herrn in seinem Menschlichen, in Jesus Christus.
Der Schlüssel zum Verständnis der Lorberschriften, wie auch der Neuoffenbarung überhaupt,
liegt meines Erachtens in den Eingangsworten des Herrn in der Haushaltung Gottes 1. Band
(Welches auch die ersten Worte sind, die Lorber aufschreiben durfte). Wer diesen Schlüssel
sich zu eigen macht – was bitte nichts mit Kritiklosigkeit zu tun hat (Lorbeeranhänger sind
weniger kritisch, wird auch immer behauptet). Dies stimmt ganz und gar nicht, denn gerade
sie sind immer dazu angehalten, in die Tiefe zu gehen und die Spreu vom Weizen zu trennen.
Nicht zuletzt deswegen hat der Herr die Neuoffenbarung in dieser Weise angelegt und manches mit hineingepackt, was uns immer wieder stutzen und umdenken lässt. Und wer sich
am Buchstaben stößt und aufhält, wird den Geist innerwärts nicht erkennen. Wer aber den
Geist verspürt hat, wird sich am Buchstaben nicht mehr stoßen. Dieser ist wie eine Hülle, die
abfällt und an Bedeutung verliert. Immer und allein kommt es auf die Wirkung im Inneren an,
auf das Verhältnis zum Schöpfer, auf den Grad der Wiedergeburt im Menschen. Diesen kann
man aber nicht von außen beurteilen, sondern das wird alleine vom Herrn besorgt.
Aber wir kommen zurück auf den Schlüssel zum Verständnis der Schriften. Er ist derselbe,
wie der zum Öffnen der Heiligen Schrift. Mit ihm erschließt sich der Blick in die Tiefe der
Schöpfung und man spürt unmittelbar die allumfassende Liebe des Schöpfers zu seinen Kindern. Hören wir aber die Eingangsworte des Herrn, gerichtet an alle Leser des nachfolgenden
Werkes:
»So sprach der Herr zu mir und in mir (Jakob Lorber) für jedermann, und das ist wahr, getreu
und gewiss: Wer mit Mir (dem Herrn) reden will, der komme zu Mir, und ich werde die Antwort
in sein Herz legen; jedoch die Reinen nur, deren Herz voll Demut ist, sollen den Ton Meiner Stimme vernehmen. Und wer Mich aller Welt vorzieht, Mich liebt wie eine zarte Braut ihren Bräutigam, mit dem will Ich Arm in Arm wandeln. Er wird Mich allezeit schauen wie ein Bruder den
anderen Bruder, und wie Ich ihn schaute schon von Ewigkeit her, ehe er noch war. Die Mich suchen, denen sage: Ich bin der wahre Überall und Nirgends. Überall bin Ich, wo man Mich liebt
und Meine Gebote hält, – nirgends aber, wo man Mich nur anbetet und verehrt. Ist denn die Liebe
nicht mehr denn das Gebet, und die Haltung der Gebote nicht mehr denn die Verehrung?! Wahrlich, wahrlich sage Ich dir: Wer Mich liebt, der betet Mich im Geiste an, und wer Meine Gebote
hält, der ist's, der Mich in der Wahrheit verehrt! Meine Gebote aber kann niemand halten als nur
derjenige, der Mich liebt: der Mich aber liebt, hat kein Gebot mehr als dieses, dass er Mich liebt
und Mein lebendiges Wort, welches das wahre, ewige Leben ist. Den Schwachem tue kund aus
95
Hierzu können wir gewiß Ja sagen. Welcher Anhänger Swedenborgs kennte nicht dessen großartige
Worte, oft genug von uns zitiert: »Wenn man die Liebe zum Herrn und die tätige Liebe zum Nächsten
zur Hauptsache des Glaubens machte, so wären die verschiedenen Lehren lediglich Meinungsverschiedenheiten des Glaubens, welche die wahren Christen dem Gewissen eines jeden überließen, wobei sie in
ihrem Herzen sprächen, ein wahrer Christ ist, wer als Christ lebt oder wie der Herr lehrt« (HG 1799).
Eine Gegenüberstellung: Swedenborg und Lorber
225
Meinem Mund: Ich bin ein starker Gott. Sie sollen sich alle an Mich wenden: Ich werde sie vollenden. Aus dem Mückenfänger will ich einen Löwenbändiger machen, und die Furchtsamen sollen
die Welt zerstören, und die Starken der Erde sollen zerstreut werden wie Spreu.«
Interessant ist auch ein Hinweis, den Swedenborg in Adversia III No. 6966 macht, dass nach
ihm später einem Mann eine redende Erleuchtung zuteil werde. Die Stimme des auf solche
Art Inspirierten komme nicht von außen her, sondern werde von innen vernommen. –
Jakob Lorber schildert über diese nur ihm vernehmbare Stimme Folgendes:
»Bezüglich des inneren Wortes, wie man dasselbe vernimmt, kann ich, von mir selbst sprechend,
nur sagen, dass ich des Herrn heiligstes Wort stets in der Gegend des Herzens wie einen höchst
klaren Gedanken, licht und rein, wie ausgesprochene Worte, vernehme. Niemand, mir noch so
nahe stehend, kann etwas von irgendeiner Stimme hören. Für mich erklingt diese Gnadenstimme
jedoch heller als jeder noch so laute materielle Ton. – Das ist aber schon alles, was ich aus eigener Erfahrung sagen kann.«
Eine andere Antwort des Herrn über dieses Phänomen gibt die nachfolgende Darstellung wieder:
»Das, was nun Mein irdisch sehr armseliger Knecht tut, sollten eigentlich alle Meine wahren Bekenner tun können. Denn allen gilt das Evangeliumswort: Ihr müsst alle von Gott gelehret sein!
Wen nicht der Vater ziehet, der kommt nicht zum Sohne! – Das aber besagt so viel als: Ihr müsset
von eurer werktätigen, lebendigen Liebe zu Mir und daraus zu jedem bedürftigen Nächsten – zur
inneren Weisheit aus Gott gelangen! Denn eines jeden wahre, werktätige Liebe bin Ich je eben
selbst gleich also in seinem Herzen, wie der Sonne lebendiger Strahl wirkend ist in jedem Tautropfen, in jeder Pflanze und in allem, was die Erde trägt. Wer Mich sonach wahrhaft über alles
aus all seinen Kräften liebt, dessen Herz ist auch voll von Meiner Lebensflamme und deren hellstem Licht. Dass dadurch zwischen Mir und dem Mich über alles liebenden Menschen ein steter
und hellster Verkehr entstehen muß, ist ebenso klar, wie dass ein gesundes Weizenkorn in fruchtbarer Erde unter dem warmen Sonnenstrahl zur segensreichen Frucht emporwachsen muß. – Daß
dieser aber mit den Menschen durch Erfüllung der im Evangelium gestellten Bedingung wirklich
möglich ist, dafür steht dieser Mein Knecht als Zeuge vor dir! – Aber das sage Ich dir auch: mit einer bloßen Verehrung und noch so tief andächtigen Bewunderung Meiner göttlichen Vollkommenheit ist da nichts! Solcher so genannter frommer Christen gibt es eine Menge in der Welt, und
doch erreichen sie wenig oder nichts. Aber alles liegt an dem, dass jemand, der zu Meinem lebendigen Wort in sich gelangen will, vollkommen ein Täter Meines Wortes ist. Dies zur Darnachachtung für dich und jedermann.«
Liebe Freunde! Dieser Beitrag ist von mir zu dem Thema der Offenbarungskritik an dem
Schreibknecht Jakob Lorber. Prüfe sich ein jeder, inwieweit er in seinem Herzen ein wahrhafter Bekenner des Herrn ist. Was soll all die Streiterei durch nunmehr Jahrzehnte hindurch, die
nichts bringt als eine Verfeindung untereinander. Ist solches den Kindern Gottes würdig? Sicher soll in der Fülle des heute Angebotenen gesichtet werden, denn auch die falschen Propheten sind kräftig am Werke. Was ist aber, wenn es doch der richtige war?
STELLUNGNAHME
ZUR »OFFENBARUNGSKRITIK« VON DR. HORN
Peter Keune – 1976 od. 1977
Da schon seit über einem Jahr die Serie der Offenbarungskritik in den »Offenen Toren« läuft, ist es an der
Zeit, von Seiten der »Lorberfreunde« Stellung dazu zu
nehmen. Wenn ich es hier tue, so auch als »Swedenborgfreund«, der ich beide Offenbarungen seit fast 30
Jahren kenne und schätze. Schon mein Vater hat beide
Werke gut miteinander vereinen können, wie es viele
andere Freunde beider Offenbarungen tun können, und
wie ich es auch seit diesen 30 Jahren kann.
Allerdings ist dies nach Dr. Horn kein Wunder, denn die
Lorberanhänger sind ja, nach ihm, kritiklos und damit
ohne Nachdenken! Ich möchte das nicht näher untersuchen, kann aber von meinen Erfahrungen nur berichten,
dass ich seit 1956 beide Lager, wenn man es mal so
ausdrücken darf, erlebt habe, nicht zuletzt als Vorstand
der Berliner Gemeinde der Neuen Kirche und als freier
Redner bei vielen Veranstaltungen der Lorberfreunde. Ich
kann die Behauptung Dr. Horns in keiner Weise bestätiPeter Keune
gen, dass die Lorberanhänger kritikloser seien, als z. B.
geb. 1932
die Swedenborgianer. Eigentlich ist mir nur aufgefallen,
dass gerade in den Lorberkreisen immer rege Diskussionen über die dort auftretenden Gedanken stattfanden. In den vielen Gesprächen wurde fast ausschließlich das Geistige erörtert. Im
umgekehrten Falle habe ich das leider nicht so feststellen können, und dies sehr zu meinem
Bedauern. Diese meine Erfahrungen haben nicht nur ich, sondern auch andere Freunde völlig
unabhängig von mir machen können. Oft wurden auch die Swedenborgkreise als »kalt« empfunden, und dies von den eigenen Swedenborgianern.
Nun sei mir einmal eine Kritik an der »Offenbarungskritik« erlaubt.
Wenn Dr. Horn am Anfang versicherte, er wolle eine positive Kritik üben, so muss man am
Ende der Serie doch enttäuscht feststellen, dass er sein Ziel nicht im entferntesten eingehalten
hat. Er hat sich immer mehr in einzelne Details verstrickt, die seiner Meinung nach unmöglich seien, ohne nur im geringsten das Große des Werkes darzustellen. Was dem echten Gottessucher mit den Büchern Lorbers geschenkt wurde, geht kaum aus dem Aufsatz hervor. Ab
und zu eine Erwähnung von »atemberaubender Hinweise astronomischer, kosmologischer,
physikalischer Art«, ohne diese auszuführen. Stattdessen aber seitenlange Ausführungen
darüber, ob es in Palästina zur Zeit Jesu Mais gegeben habe, oder wann das Passahfest gefeiert
wurde, oder ob die Jünger bzw. das Weib den Namen Jehovah wissen konnte oder nicht. (Dass
sie aber recht hatte mit der Anrede, kann auch Dr. Horn nicht bestreiten.) Kurzum, Dr. Horn
beschäftigt sich ausschließlich mit ausgesprochenen Nebensächlichkeiten, spielt diese in
seiner vermeintlichen »Wissenschaftlichkeit« hoch und übersieht (absichtlich??) das große
und ganze Werk. Mit der Bloßlegung sogenannter kleiner »Irrtümer« meint er, das ganze Lorberwerk »entlarvt« zu haben. Er verhält sich daher so, wie einer, der nur an der äußeren Rinde
knabbert, diese nicht wohlschmeckend findet, und das ganze Brot verwirft.
Wie ist Dr. Horn nur an das Werk herangegangen? Doch mit dem Vorsatz, das Ganze zu entlarven und für nichtig zu erklären. Dies ist ihm wunderbar gelungen, denn nun ist nur ein
Stellungnahme zur »Offenbarungskritik« von Dr. Horn
227
Trümmerhaufen geblieben. Die wahren Swedenborganhänger klopfen sich nun an die Brust,
wie schön hat Dr. Horn nun bewiesen, was wir schon lange wussten. Der vermeintliche Herr
im Lorberwerk erweist sich als ein Schwarmgeist, dem weiter zu folgen gar abzuraten ist.
Zudem meinen die Swedenborgfreunde nun, das ganze Werk zu kennen. Sie rühren bestimmt
kein Buch davon an.
Die Lorberfreunde sind enttäuscht, dass ein Mann, den sie bislang schätzten, in solch kurzsichtiger Weise das Verhältnis Lorber – Swedenborgfreunde derart zerstören konnte. Der Hinweis am Schluss, dass die Lorberfreunde die nächsten Verwandten seien, mit denen man
bestens zusammenarbeiten könne, ist eine Farce. Wo will denn nun noch einer mit denen
zusammenarbeiten, die solch einen Unsinn glauben. Den Lorberfreunden selbst konnte er
nicht schaden, denn diese wissen, was sie an dem ganzen Werk haben. Auch wenn sie als
kritiklos bezeichnet werden, kann man ihnen ihre Erkenntnis nicht vermiesen. Vielleicht
glauben sie nicht wissenschaftlich nachweisbar, aber in der Art, wie es die wahren Liebhaber
Gottes von jeher getan haben. Denn es gibt wohl eine andere Art des Glaubens, den des Herzens. So, wie die Jünger oder die vielen Nachfolger Jesu die Stimme ihres Herrn erkannten!
Dr. Horn unterscheidet sich in einer gewissen Weise nicht von jenen Bibelkritikern, die wissenschaftlich an die heilige Schrift herangegangen sind, und schließlich das zutage förderten,
was wir in der Gegenwart zu unserem Entsetzen erblicken. Die sogenannte Bibelkritik ist
völlig an den Kern der Bibel vorbeigegangen, hat einen Trümmerhaufen übrig gelassen, ohne
die Feststellung machen zu können, hier Gottes WORT vorgefunden zu haben. Die Bibelkritiker haben lediglich herausgefunden, dass die Bibel Menschenwort war und der wissenschaftlichen Untersuchung nicht standhielt.
Die Anhänger der Bibelkritik haben nichts gewonnen, sondern vieles – wenn nicht alles –
verloren. Selbst der Glaube an Gott ist über Bord gegangen. –
Wie aber hätten die Bibelkritiker stattdessen vorgehen sollen?
Wenn wir hier auf Swedenborg hören dürfen: Indem sie in Andacht das WORT lesen und darnach tun, werden sie die Wahrheit inne werden. Weiteres siehe auch Nr. 208 der »Wahren
christlichen Religion«. In dem Maße ihres echten Lebens und Suchens empfangen sie innere
tiefere Wahrheiten aus der Schrift (bis hin zu den Erkenntnissen der Entsprechungen).
Auch der Kritiker der Lorberwerke sollte so zu Werke gehen, denn diese Schriften sollen ja
und dies ist die Ausgangsposition – auch das Wort Gottes sein. Will man das ergründen, muss
man nach demselben Gesetz Schritt für Schritt den Weg der Erkenntnis gehen. Dr. Horn – er
verzeihe mir den Verdacht – ist wohl mehr den Weg gegangen, von vornherein Falsches zu
entlarven. Somit brauchte er seiner Meinung nach nur noch die Fehler in den Schriften aufzuzeigen. Was er gewonnen hat – siehe seine Kritik!
Wie aber wäre es gewesen, wenn er in aller Demut eines liebenden Herzens in Andacht die
Schriften Lorbers gelesen hätte, mit der Bitte um Erkenntnis dessen, was Gottes ist – hätte er
seinen »Der« mit der Sehnsucht des Herzens nach dem Vatergott vertauscht, ich bin sicher, er
hätte diesen Vatergott nach wenigen Zeilen gefunden – gefunden, wie ihn viele demütig liebende Seelen in diesen Schriften gefunden haben. Und was ist ihr Preis? Dass sich ihr Herz in
der Liebe zu Jesus entzündet hat, ein lebendiges Feuer Gottes in ihnen hinterlassend.
Wenn Dr. Horn aufmerksam die Kreise der Lorberfreunde betrachtet hätte, wäre ihm aufgefallen, dass diese Leser des von ihm verworfenen Wortes Gottes eines gemeinsam haben: Jene
verzehrende und dabei bleibende Liebe zu dem Ewigen Gott in Jesus. Und diese Liebe ist eine
bleibende, die erwächst und immer stärker wird; auch verbrennt sie evtl. Unreinheiten und
ruht nicht, bis sie sich ganz in dem Wesen Gottes gefunden hat.
228
Peter Keune
Ist dies nicht auch das Ziel der Neuen Kirche? Warum verwirft sie aber das Werkzeug zu
solch einem Ergebnis?? Das ist das, was ich seinerzeit in meinem Artikel (vgl. Offene Tore Nr.
1/1977) als die Früchte bezeichnete, die Dr. Horn so missverstanden hat.
Wenn er am Schlusse seiner Kritik die Lorberfreunde etwas hinterhältig fragt, welchem Wort
sie mehr Glauben schenken, den der Heiligen Schrift oder der der Neuoffenbarung, so liegt da
schon das »Siehst du wohl« dahinter, wenn die Lorberfreunde auf die Neuoffenbarung weisen.
Hier sieht er seinen Verdacht bestätigt. Das WORT Gottes wird im Zweifelsfall hinten angestellt. Und wer solches tut, kann nur auf Abwegen sein.
Fragen wir uns aber, liebe Freunde, was will denn der Herr mit Seinem WORT im Alten und
Neuen Testament? Den Menschen beleben und zur Wiedergeburt führen. Und die Wiedergeburt
beginnt, wenn sich das göttlich Wahre mit dem Guten verbindet und eine Einheit mit dem Tun
darnach bildet. In diesem Zustand ist der Mensch dann fähig, die Gegenwart Gottes zu ertragen. Die Heilige Schrift ist also ein Mittel zum Zweck zur ewigen Beseligung. Wenn aber solches auch das Ergebnis bei den echten Lesern der Neuoffenbarung ist, beweist dies nicht auch
Seine Göttlichkeit? Wie soll man denn näher als »in der Liebe zu ihm« an Ihn herankommen?
Für denjenigen, der solches erlebt, ist die Neuoffenbarung auch das Wort Gottes, sie ist ihm
ebenso heilig wie die heilige Schrift, die er ebenso als Ausfluss Gottes betrachtet.
Wenn auch Swedenborg immer wieder die Heiligkeit der Schrift betont, die auch im Himmel
seinen Platz hat, so wird ihm da keiner widersprechen. Wer die Schriften der Neuoffenbarung
gut gelesen hat, erkennt die vielen Ausflüsse Gottes, Sein Wirken und Wiedergebären. Auch
die Neuoffenbarung entthront das Alte und Neue Testament nicht, sondern bleibt nach wie vor
Werkzeug.
Swedenborg zeigt die Entsprechungslehre erneut auf und weist auf die Besonderheit des Wortes Gottes hin. Nun, leider kannte er die nachfolgenden Heiligen Schriften nicht. Ich bin überzeugt, daß er sie nicht verworfen hätte. Dies ist jedoch müßig, nun zu diskutieren. Auch in der
Zukunft wird es noch Swedenborge und Lorbers geben, denn Gottes Wirken und erneutes
Offenbaren wird nicht aufhören.
Wenn Dr. Horn die Lebensgeschichte Lorbers mit anderen Augen gelesen hätte, würde er die
Lauterkeit dieser Person bestätigen können. Graphologische Studien als Beweise sind geradezu lächerlich, denn auch er weiß um die Problematik dessen. Ebenso lächerlich ist sein oft
wiederholter Schluss, die Schriften würden aus dem Gehirn Lorbers abgeschrieben, da er doch
auch Swedenborg gelesen hätte. Woher hat er aber die Dinge abgeschrieben, die über Swedenborg hinausreichen?? Und dies ist eine ganze Menge. Denken wir nur an die gewaltigen Ausführungen über das Werden einer Menschenseele bis zu dem Moment, wo Swedenborg sie
erst in Verbindung mit dem Körper erwähnt. Also, kurz umrissen, das Werden vom Beginn der
Ideen Gottes, die als Lichtmonaden sich immer mehr ergreifen, über ihre Verdichtungen innerhalb der Materie in verschiedensten Stadien, bis hin zur endlichen Bildung einer Menschenseele als Ausgangsprodukt (und Material) zur ewigen Vollendung derselben. – Aber von
alledem nicht ein Wort in der Offenbarungskritik. – Oder, die grandiosen Bilder über den Aufbau des Weltalls mit seinen »Hülsengloben«, den Stationen des Lebens auf den Planeten, wobei
Swedenborg bestens bestätigt worden wäre, und Angaben, die weit über diejenigen Swedenborgs hinausgehen.
Solche Ideen gehen doch weit über das Maß, welches sich Schwarmgeister bedienen. Denn
alle Darstellungen münden eben in dem großen Bild Gottes, in dem alles eingeordnet ist. Welche Bestätigung erfährt Swedenborgs großer Schöpfungsmensch und weitere (praktische)
Anwendungen. Oder denken wir an die Darstellungen des vielfältigen Lebens in der Geistigen,
Himmlischen oder Höllischen Welt. Swedenborgs theoretische Angaben werden hier bis ins
Einzelne praktiziert an lebendigen Beispielen. Wo ist vergleichsweise eine Schrift, die so ver-
Stellungnahme zur »Offenbarungskritik« von Dr. Horn
229
deutlichend und lebensnah den Werdegang eines »ins Leben geschossenen« Aufrührers, Robert
Blum, schildert (nach dessen Vorstellung), wie im 2. Bd. des Werkes »Von der Hölle bis zum
Himmel«, oder die Schilderungen eines Bischofs nach seinem Tode in »Bischof Martin«. Diese
Werke sind plastisch und lebensnah, erfüllen die Vorstellungswelt des Lesenden, und darüber
hinaus geben sie ein lebendiges Zeugnis vom Wirken der Liebe Gottes. Wer ist da nicht im
Herzen angetan in der Liebe zum Vater in Jesu, der solches so wunderbar enthüllt. Es gibt kein
besseres Gegenstück zu den schematischen Darstellungen Swedenborgs. Aber diese sind
auch hierbei nützlich, da sie das Prinzipielle darstellen.
Wie oft wird in jenen Werken gerade Swedenborg und dessen Lehren gelobt und angeraten. –
Aber von alledem nichts in der Offenbarungskritik, außer seitenlanges »Beweisen« irgendwelcher Unmöglichkeiten von Zahlenangaben. Warum erfolgt keine Hinweisung auf die Werke
über das Leben Jesu, die Jugend Jesu, die drei Tage im Tempel, das 11-bändige Werk des großen Johannes-Evangeliums. In keiner Weise wird der große Gedanke der Werke dargestellt,
sondern wieder einige angebliche Unmöglichkeiten lang und breit aufgezeigt.
Von vornherein werden erst einmal die »Anschläge« der Druckseiten des biblischen mit dem
Großen Evangelium gegenübergestellt. Was soll das? – Aber hier sieht man eben den Geist!
Wäre er in demütiger Weise Leser und Forscher, so würden nicht solche Experimente veranstaltet.
Ich, als »kritikloser« Leser habe mich allerdings niemals gefragt, um wieviel das Große Evangelium gegenüber dem Kleinen Evangelium ausgewalzt wurde. Auch habe ich mich nicht mit
der Frage beschäftigt, ob Jesus solches überhaupt den dummen Jüngern und Hörern gesagt
haben könnte. Man müsste sich natürlich fragen, ob die Jünger damals noch dümmer waren,
als wir es heute sind; denn auch wir nehmen heute entgegen den herrschenden Meinungen,
Dinge an, die für andere phantasievoll sind. Und so wie ich fähig bin, die Wahrheit aufzunehmen (gleich, ob geistig oder natürlich), sind es alle Menschen aller Zeiten, wenn sie das Streben dahin mitbringen.
Die Seelen der Jünger und besseren Hörer (siehe Großes Evangelium Johannes) waren auf die
Wahrheit ausgerichtet, sonst hätten sie den Herrn gar nicht angehört, sondern sich, wie zahllose andere, abgewandt. Nach Angabe Jesu im Gr. Ev. sind alle besseren und weiterentwickelten Seelen der damaligen Zeit zu Ihm hingezogen worden, damit sie Träger jener geistigen
Wahrheiten bei ihren Völkern werden sollten. Und Grundlage einer geistigen Wahrheit ist die
natürliche Wahrheit, also den rechten Begriff über das Wesen der Erde und des Weltalls etc. zu
haben.
Wenn die Wahrheit selbst Mensch wird, welche Unwahrheit soll da neben Ihm bestehen?
Entweder sie flieht (aus voller Willensfreiheit) oder sie lässt sich belehren. Oder glaubt etwa
Dr. Horn, Jesus hätte die Dinge selbst nicht gewusst? Manchmal hat man den Eindruck! Mir
jedenfalls ist mehr einleuchtend, was alles Jesus nach dem Gr. Ev. getan hat, als was Dr. Horn
meint, was Jesu nur getan haben dürfte. Mir ist dabei klar, dass ihm das nicht einleuchtend ist.
Wenn z. B. ein ganzer Landbezirk (Feld) fruchtbar wird, nachdem die Bewohner Jesu voll seinem Wesen nach angenommen haben, ist das eigentlich in der Zeit der Wunder (die heute
nicht mehr sind) verständlich. Es ist die natürliche Grundlage der geistigen Entsprechung jene
Tatsache, wie fruchtbar das Leben wird, wenn Jesus herrscht, was die natürliche Seite betrifft.
Meiner Überzeugung nach ist auch die Verhüllung Gottes (der doch der Schöpfer selbst war)
noch fähig, ein Feld fruchtbar zu machen. Wie solches geschieht, wird dem aufmerksamen
Leser auch nicht vorenthalten. Alles, auch dies, bleibt in der Ordnung Gottes. Der Zeitfaktor
wird aufgelöst, alle anderen Vorgänge bleiben erhalten.
Dr. Horns schwere Diskrepanz, warum das kleine Evangelium von alledem nichts erzählt,
könnte er im großen Evangelium, erklärt bekommen. Ich kann es hier nicht ausführlich dar-
230
Peter Keune
stellen. Aber an verschiedenen Stellen erklärt der Herr es den Jüngern. Er lässt nämlich nur
einen Teil der tatsächlichen Begebenheiten aufschreiben, wie wir es vorliegen haben in dem
biblischen Zeugnis. Denn nur der innerlich gereifte Mensch ist fähig, jene vollen (unverschlüsselten) Wahrheiten ohne Schaden anzunehmen.
Für zweitausend Jahre Geschichte ist das biblische Zeugnis ausreichend gewesen. Für die
nächsten zweitausend Jahre wird dieses Zeugnis für diejenigen erweitert, die es wollen. Alle
anderen stoßen sich daran und müssen nicht für sie Unannehmbares glauben. Eine Maßnahme der Liebe des Herrn.
Dass die natürlichen Wahrheiten, gemäß dem großen Evangelium nicht überliefert wurden,
hängt mit dem Wirken der Priesterschaft zusammen. Sie verhinderten jenen wahren Glauben,
wie sie es allezeit verstanden, auch die geistigen Wahrheiten bis heute zu verschleiern. Nähere Hinweise sind überall im Lorberwerk zu finden.
Dr. Horn bezweifelt, dass jene Wahrheiten schon den Jüngern offenbart worden wären. Aber
die Wahrheit des Inhaltes jener Offenbarung hat er vielfach nicht bestreiten können. Und Heutigen jedenfalls ist es mehr als zweitrangig, ob damals oder heute diese Wahrheiten offenbart
wurden, wobei wir nicht an der ersten Tatsache zweifeln. Da in der geistigen Welt alles einmal
richtiggestellt wird, kann Dr. Horn dereinst mit jenen Zeugen persönlich sprechen.
Es hat in diesem Artikel keinen Zweck, die Argumente Dr. Horns mit Gegenargumenten wegzudiskutieren, da er nur wissenschaftlichen Thesen zugänglich ist. Aus diesem Grunde verwirft er auch lieber Werke Swedenborgs, wie die »Erdkörper«, weil er da der Meinung ist, dies
hätte er aus dem »Zeitgeist« geschrieben. Sollte dies sein, so wären auch alle anderen Bücher
anzuzweifeln. Wenn aber Lorber Swedenborg in leuchtender Weise bekräftigt, ist dieser ein
»Schwarmgeist« und die Wiedergabe aus Lorbers Gedächtnis. Wenn nun Swedenborg darstellt,
dass der Endzweck (auch jedes Erdkörpers) der Mensch sei, und Lorber dies in seinen Werken
so eindrucksvoll bekräftigt, dann sind mir Swedenborg und Lorber einleuchtender, als die beweiskräftige Wissenschaft, die gerade 1,5 qm Erde vom Mars untersucht hat, und ungefähr 2
Häuserecken von New York im Vergleich zur Fläche von Nord- u. Südamerika, was den Mond
betrifft. Zumal noch sehr zweifelhaft ist, ob alle Ergebnisse der Öffentlichkeit unterbreitet wurden; denn nur »freigegebene« Bilder wurden veröffentlicht, und diese bestätigen genau das, was
wir auch bei Lorber nachlesen können, einschließlich des Mars.
Wenn Dr. Horn meint, wir zögen so gerne die Wissenschaft heran, die wir auf der anderen
Seite ablehnen – ihrer unrichtigen Ergebnisse wegen, so irrt er hier sehr. Leute und Bücher,
wie Eggenstein: Der unbekannte Prophet Jakob Lorber, benutzt hier AussagenÜbereinstimmung mit der Wissenschaft nur für die Weltmenschen, die erst auf die Werke
Lorbers aufmerksam gemacht werden sollen.
Aber die echten Bekenner der Werke Lorbers brauchen diese nicht, da sie in sich den gewünschten Beweis der Wahrheit alles dessen finden: In dem besonderen Verhältnis zu Jesus,
ihrem Herrn. Sie kehren ihr Leben um und richten es ganz auf Ihn aus. Was kann es da besseres geben?? Keiner von ihnen würde wegen des Artikels von Dr. Horn wieder aufgeben, was
er so mächtig gefunden hat.
Wer die Lorberwerke in oben beschriebener Weise aufnimmt, erkennt den Vater, der Seine
Kinder ruft. Wer den Schöpfer als oberstes Prinzip ansieht, ist selbst Geschöpf – etwa dem
Tiere gleich. Wer den Herrn in allem sieht, ist Knecht im Weinberge – ist Kind in der Haushaltung. Der Knecht wirkt in der Ferne des Herrn und arbeitet nach Seinen Anweisungen getreu.
Er wird nur soviel vom Planen des Hausherrn erfahren, wie dieser für seine Arbeiten braucht.
Das Kind aber ist dem Vater nahe, ererbt dessen Haushaltung und wird frühzeitig in diese
eingeführt. Er schaut dabei allezeit die Motive und Gedanken des Vaters, welcher solche mit
Seinen Kindern bespricht. Darum kann das Kind auch seinen Vater mehr lieben, als der
Stellungnahme zur »Offenbarungskritik« von Dr. Horn
231
Knecht, welchem manches Wirken seines Herrn unverständlich bleiben muss. So ist das
Verhältnis zwischen den Menschen. Für jeden hat der kluge Hausherr vorgesorgt. Und ein
jeder erhält die Nahrung, wie er sie braucht. Zwar sind alle zur Kindschaft berufen worden,
aber jeder kann das aufnehmen, was ihm beliebt.
So wäre Dr. Horn gut beraten, sich und sein Wesen ganz dem Vater zu öffnen, so würde er im
Laufe der Zeit selbst manche seiner Zeilen anders beurteilen. Wenn er ein echter Seelsorger
ist, so muss er auch die verschiedenste Nahrung seiner ihm anvertrauten Seelen erkennen
lernen. Zwar ehrt es ihn, wenn er in nicht unbegründeter Sorge den (seiner Meinung nach)
verirrten Schafen ein »rechtes« Licht aufstecken will. Aber bevor er dieses tut, sollte er in die
Schule Gottes – und nicht die der Welt – gehen, damit er in aller Weisheit aus der Liebe zum
Ewigen Vater lehren kann. Dann würde dieser ihm auch die rechte Antwort und Lehre in sein
Herz legen, wie es derselbe schon bei Seinen »ungebildeten« Jüngern tat. Nicht das Weltwissen, sondern das »leer« sein vor ihm sollte er anstreben, dann würde er »erfüllt« werden vom
Geiste Gottes zum Segen aller seiner Schafe! Dazu brauchte es keinen Überredungsglauben,
wie behauptet, aber in keiner Weise im Lorberschrifttum gegeben ist; dies kann ein jeder Leser
dieser Werke unschwer erkennen. Die Überzeugungskraft liegt in der lebendigen Wahrheit der
göttlichen Kraft, die das Ihre im Innern des Menschen anspricht.
Wenn dies Dr. Horn mit Kritiklosigkeit meint, so sind wir lieber kritiklos in seinem Sinne.
Trotzdem können wir unschwer echte von falschen Vaterworten unterscheiden, die leider wie
Sand am Meer hervortreten. Wer aber die Wahrheiten jener Stimme kennengelernt hat, kann
leicht die Spreu vom Weizen trennen. In diesem Punkte kritisieren die Lorberianer eben auch.
Sicher gibt es auch eine Reihe Freunde, die alles annehmen und vertreten. Solchen sollte man
aber in der Liebe begegnen und leiten. Auch sie werden von demselben Herrn, Meister und
Vater geführt, wie wir. Darum sollten wir ihnen die Herzen öffnen und ihnen Heime, im weitesten Sinne, geben. Bei rechter Reife werden sie schon den Rechten ergreifen.
Die Swedenborgianer aber sollten nicht der Meinung verfallen, die Wahrheit alleine zu besitzen. So etwas gibt es nicht. Sie sind lediglich Träger der Verkündigung einer Wahrheit, die
durch Swedenborg gegeben wurde. Andere wurden z. B. durch Lorber gegeben.
Damit sollen nicht alle Offenbarungen rehabilitiert werden, aber man soll doch einmal die Erde
als Ganzes betrachten. Bei der Verschiedenheit der Völker und Gemüter wird man auch die
unterschiedlichen Wege Gottes begreifen.
Offenbarungskritik ist wohl angesichts vieler Offenbarungen am Platze, aber sie sollte, aus
dem Geiste Gottes kommend, dem Menschen sein ewiges Ziel aufzeigen; nicht aus kleinlichen Recherchen betr. einzelne Werke und Aussagen, die damit auch nicht widerlegt sind,
bestehen. Ist denn damit, dass die Wissenschaft etwas bestätigt, die letzte Wahrheit, »bewiesen«? Wer will darüber entscheiden? Alleine wichtig ist die (in der Offenbarungskritik leider
nicht aufgezeigte) Heilslehre Gottes, die den Menschen erfasst und zu sich zieht. Alle äußere
»Wahrheit« dagegen ist ein Anhängsel, was früher oder später einmal richtiggestellt wird.
Wer Jesus erfasst hat, wird auch nur über ihn die letzte Wahrheit erfahren wollen, und lässt
sich alleine von seinem Herrn und Meister führen.
(Peter Keune)
DIE SACHE MIT LUZIFER
Peter Keune – 1998
Vorwort
Die Frage, ob man sich Luzifer als eine Person vorstellen soll oder nicht, gab von je her der
Menschheit immer wieder Anlaß zu Auseinandersetzungen. Erst in jüngster Zeit wurde diese
Frage vom Papst erneut aufgegriffen und Luzifer, bzw. der Teufel als Person bestätigt.
Auch zwischen den Offenbarungen des Herrn durch Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber, ja
sogar in den Lorberschriften selbst, finden sich widersprüchliche Aussagen zu diesem Thema.
Leider führen die Unterschiede zwischen den beiden Großsehern nicht selten zu dem Schluß,
daß zumindest eine der Offenbarungen ganz oder teilweise nicht vom Herrn stammen könne.
Da bei Lorber die zu vermittelnden Lehren oft nicht als Merksätze übersichtlich präsentiert
werden, wie wir das bei Swedenborg gewohnt sind, sondern nur in Andeutungen, Bildern, oder
in Dialogform gegeben werden und sich zudem thematisch über das ganze ausgedehnte Werk
verteilen, kann sich der Leser erst allmählich einen Überblick verschaffen. Erschwerend
kommt hinzu, daß sich nur bei Berücksichtigung von »Erscheinlichkeiten« und »Entsprechungen« ein tieferes Erkennen für so manche Aussagen göttlicher Offenbarungen entwickelt.
Die Tatsache, daß wir im Allgemeinen gewohnt sind, mehr äußerlich wahrzunehmen und zu
denken, und daher auch bei geistig-inspirierten Texten hauptsächlich dem Buchstabensinn
Beachtung schenken, führt leicht zu schwer korrigierbaren Fehleinschätzungen, vor allem,
wenn Erkenntnisse bereits als »gesichert« übernommen wurden.
Die abweichenden Darstellungen zu Luzifer und der Engellehre scheinen die „Swedenborgianer“ und die »Lorberianer« in zwei Lager zu spalten. So gaben die unterschiedlichen Aussagen
der beiden Offenbarungen zu diesen Themen bis in die heutige Zeit immer wieder Anlaß zu
teilweise vehementen Auseinandersetzungen. Erst jetzt werden Versuche unternommen, eine
Brücke über diese Kluft zu schlagen. Lehrt nun das Loberwerk wirklich die Existenz eines
persönlichen Urteufels, wenn auch der Gestalt nach eingebannt in die Materie, wie viele Texte
augenscheinlich bezeugen? Und wie ist die gegenteilige Darstellung Luzifers bei Swedenborg
zu verstehen?
Die folgenden Ausführungen sollen nicht als Streitschrift oder Darstellung einer bestimmten
Lehrmeinung aufgefasst werden, sondern weiterführenden Überlegungen zu diesem Thema
Raum geben. –
Mit geholfen bei der Fertigstellung dieser kleinen Broschüre hat meine Frau Saskia. Ihr sei
hierfür Dank gesagt!
Peter Keune
Berlin, im Juli 1998
Das Problem
Eine der scheinbaren Differenzen zwischen den geistigen Weltbildern Swedenborgs und Lorbers sind jeweils unterschiedliche Aussagen über die Existenz eines gefallenen Urgeistes
namens Luzifer (zu deutsch: Lichtträger), der als Großgeist einst von Gott erschaffen, die Freiheitsprobe nicht bestand und darum »mit seiner Rotte« gefangen genommen und in die Materie
gebannt wurde. Es geht um die Existenz eines Urteufels, der nun seinerseits die Menschen
von Gott abbringen will. Während Swedenborg diese Vorstellungen nicht teilt, erscheint dagegen Luzifer bei Lorber in vielerlei Gestalten. Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die unterschiedliche Auffassung über die sogenannten »Urerzengel«, deren Existenz bei Swedenborg
ebenfalls verneint werden, während sie bei Lorber eine große Rolle zu spielen scheinen.
Die Sache mit Luzifer
233
Auf der Ebene des äußeren Verstandes ist die Annahme durchaus berechtigt, daß die von Gott
stammenden Offenbarungen gleichlautende Aussagen haben müßten. Weichen sie voneinander ab, so können sie eben nicht aus einem gemeinsamen Ursprung stammen. Da Swedenborg seine Werke vom Herrn her »nach Gehörtem und Gesehenem« verfaßt hat, und bei Lorber
der Herr in »Ich-Form« spricht, entstand bei den Swedenborganhängern ein deutliches Mißtrauen. Nach deren Ansicht sprach durch Lorber nicht der Herr Selbst, sondern ein Geist, der
sich als der Herr ausgab, was bedeutet, daß die Offenbarung spiritistischen Ursprunges sein
muß. Damit werden die Aussagen in den Augen der Anhänger Swedenborgs abgewertet und
Stellen, die von Swedenborg abweichen, nicht weiter auf ihre inneren Bedeutungsebenen untersucht, sondern verworfen. Diese Vorurteile erschwerten bisher zum Nachteil der Wahrheitsfindung gezielte Bemühungen, den Sinn der verschiedenen Aussagen zu ergründen.
Umgekehrt werden Swedenborgs Werke von manchen Lorberanhängern als fehlerhaft betrachtet. Sie gehen davon aus, daß der Herr Selbst durch Lorber alles richtig gestellt hat, was Swedenborg aufgrund seiner »Fehlansichten« und eines evtl. mangelnden Durchblicks ungenau
oder falsch dargestellt habe.
Ich halte es für wichtig, endlich den »Stier bei den Hörnern zu packen« und zu diesem Problemkomplex einige grundsätzliche Betrachtungen anzustellen. Da ich vollkommen überzeugt
bin, daß sowohl Swedenborg, als auch Lorber wahre Offenbarer des Herrn sind – was auch aus
den ansonsten meist übereinstimmenden Aussagen beider Großseher gefolgert werden kann –
muß es in dieser, wie auch in anderen scheinbar widersprüchlichen Darstellungen, einen
gemeinsamen Nenner geben.
Die Ausgangsposition
Swedenborg schreibt in seinem umfassenden Werk über »Himmel und Hölle« in der Nr. 311
wie folgt:
»In der Christenheit ist völlig unbekannt, daß der Himmel und die Hölle aus dem menschlichen
Geschlecht hervorgegangen sind. Man glaubt allgemein, die Engel seien von Anbeginn als solche
erschaffen worden und daher stamme der Himmel. Der Teufel oder Satan aber sei ursprünglich
ein Engel des Lichtes gewesen, weil er sich jedoch empört habe, mit seiner Rotte hinausgestoßen
worden, und von daher stamme die Hölle. Die Engel wunderten sich sehr darüber, daß in der
Christenheit ein solcher Glaube herrscht, noch mehr aber wundern sie sich, daß man so gar nichts
vom Himmel weiß, obwohl dies doch ein Hauptpunkt in der Lehre der Kirche sei. Darum freuten
sie sich von Herzen, daß es dem Herrn gefallen hat, den Menschen nun vieles über den Himmel
wie auch über die Hölle zu offenbaren und dadurch – so weit als möglich – die herrschende Unwissenheit und Finsternis zu zerstreuen, die von Tag zu Tag wächst, weil die Kirche an ihr Ende
gelangt ist. Die Engel möchten daher, daß ich aus ihrem Mund verkünde, daß es im ganzen
Himmel nicht einen einzigen Engel gibt, der von Anbeginn als solcher erschaffen, noch
in der Hölle irgendeinen Teufel , der einst als Engel des Lichtes erschaffen und hinabgestoßen worden wäre. Vielmehr seien im Himmel, wie in der Hölle, alle aus dem menschlichen Geschlecht hervorgegangen. Wer in der Welt in himmlischer Liebe und im Glauben
gelebt habe, findet sich im Himmel, in der Hölle, wer in höllischer Liebe befangen war«. (Swedenborg, Emanuel: Himmel und Hölle, Nr. 311 – Übersetzung nach Dr. Friedemann Horn)
Dieser klaren Absage an einen urgefallenen Engel des Lichtes, steht nun die Auffassung über
einen gefallenen Engel des Lichtes entgegen, der in den verschiedensten Werken Lorbers seiner Erscheinlichkeit nach tatsächlich häufig auftritt. Eine Stelle soll hier für viele andere stehen und eine Vorstellung von der Anschaulichkeit des Geschehens geben. (Zum Inhalt: in der
Geistigen Welt hat der Herr den gefallenen Urerzengel Luzifer gerufen, um diesen zu einer
Wandlung zu bewegen. – (Lorber, Jakob: Bischof Martin, Kap. 119, Verse 1-10):
(1) »Ich aber wende Mich an den Drachen und Meine Worte lauten: ›Satan, wie lange noch willst
du Gott, deinen ewigen Herrn, versuchen? Wie lange noch wird dein unbegrenzter Hochmut währen? Was willst du erreichen Meiner unendlichen Macht gegenüber, die dich allzeit völlig auflö-
234
Peter Keune
sen und vernichten kann! Und will sie schon das nicht, so kann sie dich doch ewig auf das allerschärfste züchtigen! (2) Du weißt, daß diese Zeit deine allerletzte ist; in dieser kannst du noch erstehen – oder fallen auf ewig! Was willst du tun?! Dir ist Mein Wille nur zu bekannt, und wäre er
das nicht, da hättest du keine Sünde ewig. Da dir aber mein Wille bekannt ist und der Lohn wie
auch die Strafe, so rede: was wirst du tun? (3) Siehe, nun erhebt sich alles wider dich! Alle Berge
werden erniedrigt und die Täler ausgefüllt. Alle Kronen und Throne der Erde, die du errichtet,
werden in den Pfuhl geschleudert werden! Was wirst du tun? Meiner Macht wirst du ewig nimmer
Trotz bieten können; es wird dir nichts mehr zugelassen werden! Also rede, was wirst du tun?
Wirst du dich erheben oder willst du fallen? (4) Siehe, unter dir der ewige Abgrund - und siehe,
hier bin Ich, ein Vater aller, die mich lieben, und hier mein Tisch! – Wähle nun und entschließe
dich schnell! Es sei!‹ (5) Spricht Satan: ›Herr, ich kenne Dich, kenne Deine Macht und meine entsetzliche Ohnmacht neben Deiner unendlichen, ewigen Macht. Aber eben darum, daß ich alles das
nur zu sehr in aller Tiefe der Tiefen einsehe und meine Ohnmacht zutiefst fühle, sehe ich es auch
als einen Triumph meines Stolzes ein, daß ich Dir trotzen kann, ja, daß ich dir ewig trotzen kann!
Und ich sehe es auch ein, daß aller Deiner Macht keine Mittel übrigbleibt, meinen Sinn zu beugen,
zu siegen über meinen Willen – außer durch meine völlige Vernichtung, was Du aber ewig nie als
einen Sieg über mich betrachten kannst! Denn ein geistiger Lebenssieg beruht nimmer auf der
möglichen gänzlichen Vernichtung des endlos schwächeren Gegenteils, sondern in der weisesten
Überzeugung dessen, was die vollste Freiheit der beiden Parteien notwendig bedingt. (6) Diese
Überzeugung aber beruht stets auf der frei willkürlichen Annahme des Gegenteils. Dieses Gegenteil bin aber ich, der ich es nie einsehen will, was Du auch rechtestermaßen willst. Und so ich es
auch einsehe, so will ich es dennoch nicht tun, um Dir zu zeigen, daß es außer Deinem Willen noch
einen anderen gibt, den alle Deine Allmacht ewig nimmer beugen soll, solange Du mich bestehen
läßt! (7) Denn siehe, es ist ein leichtes, frei nach Deinem Willen zu sein. Aber Deine ewige Allmacht
kennen und Deinen Zorn, und in der eigenen Ohnmacht, ewig verzichtend auf alle Seligkeit, in der
größten Qual Dir, dem allmächtigsten Geiste dennoch zu trotzen – siehe, das ist größer denn alle
Größen, die Dein allsehend Auge ewig je irgend zu erschauen wird vermögen! (8) Und siehe, das
ist auch der Grund meines steten Ungehorsams gegen Dich. In diesem Ungehorsam ersehe ich den
größten Triumph meiner Ohnmacht gegen Deine Allmacht darum, weil ich in solcher Ohnmacht
stets der freiwillige Sieger Deiner Allmacht, Weisheit und Liebe, wie auch Deines Zornes verbleibe
und Du mich nicht beugen kannst mit aller Deiner Macht, Kraft, Liebe, Weisheit, Gericht und Zorn!
(9) Ein Michael sein ist keine Kunst, ein Gabriel sein keine Schwierigkeit, ein Uriel ein leichtes, ein
Seraph, ein Cherub eine himmlische Spielerei. Aber ein Luzifer sein, ein erster größter Geist nach
Dir, wohl wissend, welche endlose Seligkeit Deine endlose Liebe bietet, und daneben aber auch,
welche stets steigende Qual Dein Zorngericht! Dabei aber dennoch alle Seligkeit wie alle ewige
Qual verachtend, Dir aus der eigenen wohlbewussten Ohnmacht den unerschütterlichsten, ewigen
Trotz bieten, ohne eine leiseste Aussicht zu haben, dabei je etwas zu gewinnen, sondern ewig nur
endlos zu verlieren! Siehe, diese ohnmächtige Willensgröße eines Geschöpfes ist endlos größer als
alle Größe Deiner Göttlichkeit! Und dieses Bewusstsein macht mich seliger in meiner größten
Qual, als Du samt allen Deinen Geistern und Engeln es je warst! Daher frage mich nimmer, wie
lange ich Dir noch trotzen werde. Meine Antwort wird stets die gleiche sein: Ewig, ewig, ewig! Gott
wird mich nimmer beugen!‹ (10) Rede Ich: ›O du blinder, finsterer Geist, wie groß doch ist dein
Tod, in dem du wähnst, Mir Trotz bieten zu können! Du hast eine Freude in deinem Wahne und bedenkst nicht, daß da jede wahre wie deine falsche dir wie dein eigen dünkende Freiheit am Ende
dennoch Meinem Willen untertan sein muß. Wer hat je mit Mir Rat gehalten und wer Meine Wege
durchschaut? Weißt du denn wohl, ob das nicht Mein geheimer Wille ist, daß du eben so sein
musst, wie du bist?! Weißt du es, ob Ich dich nicht schon von Urbeginn zum Falle bestimmt habe?!
Kann das Werk wohl je dem Werkmeister vorschreiben, wie und wozu er es gestalten soll?‹« (Bischof Martin 119)
Zum Verständnis dieser Szene muß man wissen, daß in der geistigen Welt im Gegensatz zur
natürliche, alle äußeren Erscheinungen wie Landschaften, Häuser, Tiere, Menschen, aber auch
Szenen und Situationen ähnlich wie in einem Traum - nur viel realistischer – Reflexionen der
Innenwelt eines jeden Geistes sind. Um jemanden sein noch anhaftendes Böses und Falsches
zu zeigen, werden ihm vom Herrn seine Probleme wie in einem Theater vor Augen gestellt.
Das erscheinliche Umfeld des Einzelnen ist also Abbild seines jeweiligen inneren Zustandes.
Insofern hat der im obigen Zitat großsprecherisch auftretende Luzifer keine andere Realität, als
ein Bild dessen zu sein, was unbewußt – und damit noch unverarbeitet – in Bischof Martin
Die Sache mit Luzifer
235
selbst schlummert, und damit dessen eigenes Erzböses und Grundfalsches darstellt, personifiziert in seiner vom Katholizismus geprägten Vorstellung eines Luzifers.
Grundlegende Betrachtungen zum Verständnis der Offenbarungen Gottes
Ausgehend von der Voraussetzung, daß sowohl Swedenborg als auch Lorber von Gottes Geist
durchdrungen waren und nur unterschiedliche Aspekte einer Großoffenbarung verkündet
haben, sei auf folgendes Grundprinzip hingewiesen: Da Swedenborg zufolge, sich der Herr
immer in zweierlei Weise offenbart, nämlich gemäß Seiner Liebe und gemäß Seiner Weisheit,
gebraucht Er (wie in der Heiligen Schrift) sehr häufig eine Verdoppelung der Aussagen.
»Daß es dergleichen doppelte Ausdrücke im Worte gebe, welche als Wiederholungen derselben
Sache erscheinen, dies aus dem Worte zu zeigen, wäre zu umständlich, weil es ein ganzes Buch
ausfüllen würde. Um aber über jeden Zweifel erhaben zu sein, will ich Stellen anführen, wo das
Gericht und die Gerechtigkeit, dann wo die Völkerschaften und das Volk, und wo auch die Freude
und die Fröhlichkeit zugleich genannt werden. Daß scheinbare Wiederholungen derselben Sache,
wegen der ehelichen Verbindung des Guten und Wahren im Worte seien, kann man noch deutlicher sehen«. (Lehre von der Heiligen Schrift 84 – 87)
Aber nicht nur in einzelnen Begriffen, auch in der gesamten Natur zeigt sich die Liebe, Weisheit und die wirkende Kraft Gottes. Es liegt deshalb nahe, daß Jesus Christus sich auch in der
großen Zeit Seiner geistigen Wiederkunft IM WORT in den göttlichen Grundwesenheiten darstellt. Bei den Großoffenbarungen durch Swedenborg und Lorber, durch die Gott Selbst »in den
Wolken des Himmels« wiedergekommen ist (so Swedenborg), ist Er m. E. nach demselben
Gesetz verfahren und hat zwei Offenbarungen gegeben, die dem Ausfluß seiner Weisheit und
Liebe entsprechen. Der Grund, soweit wir es überhaupt beurteilen können, liegt in der gänzlichen Unwissenheit der jetzigen Menschheit gegenüber dem göttlichen Wort. Sie hat es völlig
verworfen, am meisten hinsichtlich der Tatsache seines geistigen Sinnes. Da sogar der Herr
im günstigsten Fall – wenn Er überhaupt als existent angenommen wird – als purer Mensch
gesehen wird, kann auch Sein Wort nur noch als Menschenwort verstanden werden. Ein
Menschenwort beinhaltet aber keinen geistigen Sinn. Will der Herr nicht in Person, sondern
durch sein Word wiederkommen, muß Er die Menschheit Schritt für Schritt zum Verständnis
eines geistigen Sinnes aller göttlichen Offenbarungen leiten. So mußte durch Swedenborg
überhaupt erst einmal bekannt gemacht werden, daß es in der heiligen Schrift einen geistigen
Sinn gibt, und wie dieser beschaffen ist.
»Wer nichts davon weiß, daß dem Worte Gottes ein bestimmter geistiger Sinn innewohnt, ähnlich
wie die Seele ihrem Leibe, beurteilt es allein nach seinem Buchstabensinn. Diese ist jedoch in
Wirklichkeit nur der Behälter, der die Juwelen, nämlich den geistigen Sinn, aufbewahrt. Ohne
Kenntnis des inneren Sinnes vermag man daher die Göttliche Heiligkeit des Wortes nur so zu beurteilen wie einen Edelstein, der noch von seiner Mutter umschlossen ist und daher wie ein ganz
gewöhnlicher Stein aussehen kann, oder wie Diamanten, Rubine, Sardonyxe, orientalische Topase
usw., die der Reihe nach in Kästchen aus Jaspis, Lapislazuli, Amyant (Marienglas) oder Achat gelegt sind. Weiß nun der Mensch nichts vom Inhalt dieser Kästchen, so ist es nicht verwunderlich,
wenn er sie nur nach ihrem Materialwert schätzt, der vor Augen liegt. Ganz ähnlich verhält es
sich mit dem Worte Gottes im Buchstaben. Damit aber die Menschheit nicht länger im Zweifel
darüber sei, daß das Wort göttlich und im höchsten Maße heilig ist, hat mir der Herr dessen inneren Sinn geoffenbart. Er ist seinem Wesen nach geistig und wohnt dem äußeren, natürlichen Sinn
inne, ähnlich wie die Seele ihrem Körper. Dieser Sinn ist der Geist, der den Buchstaben belebt und
daher auch von der Göttlichkeit und Heiligkeit des Wortes Zeugnis ablegen und sogar den natürlichen Menschen überzeugen kann, wenn er sich nur überzeugen lassen will.« (Wahre Christliche
Religion 192)
Nach dem verstandesbetonten und veräußerlichten Zustand der Menschheit mußte der Herr
Sich zuerst in Seiner Weisheit und Ordnung offenbaren – in Form der Lehre. Diese ist in ihrem alten Kleid derartig verunstaltet worden, daß eine Neuausrichtung nötig wurde, wenn nur
irgend etwas von dem geistigen Gehalt und damit der Wirklichkeit des Seins begriffen werden
236
Peter Keune
soll. Ist die Grundlage für eine Erneuerung gelegt, an der sich jeder orientieren kann, können
als weitere Schritte erst die höheren Sphären der Liebe erfaßt und in eines jeden Menschen
Herzen erarbeitet werden. »Erarbeitet werden« wurde ganz bewußt gesagt, weil das Himmelreich niemandem umsonst zufällt, sondern wie ein Acker ist, in den guter Samen (Das Wort)
gestreut wird und dessen Erdreich dann weiter bearbeitet werden muß. Swedenborg gibt daher
das Werkzeug zur Aufschlüsselung des geistigen und in Ansätzen auch des himmlischen
Verständnisses und muß daher in seinen Aussagen klar und eindeutig sein. Es ist genau so,
wie Swedenborg es vom Inhalt der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes, aussagt. Die Lehre muß
schon im Wortsinn auf der Handlungsebene erkennbar sein, während die tieferen Inhalte des
Wortes zunehmend stärker verhüllt, hinter dem Wortsinn liegen. Hierzu wieder Swedenborg:
»Die Lehre der Kirche muß aus dem buchstäblichen Sinn des Wortes geschöpft, und durch ihn bestätigt werden, weil der Herr in diesem gegenwärtig ist, lehrt und erleuchtet. Denn der Herr wirkt
nirgend etwas, als in der Fülle, und das Wort ist in seinem Buchstabensinn in seiner Fülle. Daher
kommt es, daß die Lehre aus dem Buchstabensinn geschöpft werden soll«. (Wahre Christliche Religion 229)
Mit seiner wieder geoffenbarten Entsprechungslehre macht Swedenborg es dem suchenden
Menschen möglich, einen Blick hinter den Vorhang der materiellen Schöpfung zu tun. Das
heißt, wir erfahren, daß es eine geistige und damit ursächliche Welt gibt und wie diese beschaffen ist. Wir erfahren weitere, daß, wie oben gesagt, in der Heiligen Schrift geistige Sinnebenen hinter dem äußeren Buchstaben verborgen liegen. Wir erlangen wieder ein Bewußtsein
dafür, daß wir Bewohner zweier Welten sind und in der Dualität des Hier und Dort leben. Die
Dualität von Liebe und Weisheit scheint die Grundlage dafür zu sein, daß der Herr Sein nunmaliges neues Wort in zwei »Dateien« angelegt hat (der Offenbarung durch Swedenborg und
der durch Lorber), die beim Aufnehmen und Verstehen derselben im Gemüt des Menschen
zu einer werden. Ich meine, mit dem »Rüstzeug« Swedenborgs, kann es mehr und mehr gelingen, auch das neue Wort des Herrn durch Lorber in seinem inneren Wesen zu verstehen.
Diese Annahme liegt sehr nahe, wenn Gottes Wiederkunft im Wort durch die BEIDEN Großseher repräsentiert ist. Das sollte beim weiteren Lesen des Textes unvoreingenommen als Möglichkeit ins Auge gefaßt werden.
Wenn wir z. B. das Problem »Luzifer« betrachten und dabei die Frage nochmals aufgreifen,
warum der Herr im Lorberwerk so detailliert einen Luzifer auftreten läßt, wogegen Swedenborg
einen urgeschaffenen gefallenen Engel des Lichtes als Entsprechungsbild sieht, muß ich davon ausgehen, daß dieser Widerspruch nur ein scheinbarer sein kann. Da es nur eine göttliche Quelle gibt, die zwar in verschiedenen Erscheinungsformen zutage tritt, aber doch eine
Wahrheit ist, muß es eine Erklärung hierfür geben. Hinzu kommt noch, daß es auch innerhalb
der Lorbertexte über Luzifer mehrere scheinbar gegenteilige Aussagen gibt, die sich jedoch bei
genauer Betrachtung des ganzen Werkes nicht aufheben, sondern beleuchten. Es handelt sich
um die Textstellen, die Luzifer als gefallenen Urerzengel zu bestätigen scheinen, und die in
ihrer Anschaulichkeit nicht zu überbieten sind, dann aber vereinzelte Hinweise darauf, daß
man sich Luzifer als Satan oder Teufel nie personifiziert vorstellen darf.
Um sich diesem Problem zu nähern, ist es notwendig, zum Verständnis der Offenbarungen
einige grundsätzliche Überlegungen anzustellen:
Der wesentliche Aspekt einer Offenbarung ist ihre Glaubwürdigkeit. Würde Gott Sich über
jeden Zweifel erhaben als ihr Urheber zu erkennen geben, müßte die Menschheit glauben. Ein
Mußglaube läßt jedoch keinerlei Spielraum für den freien Willen des Menschen offen! – Ein
solcher Glaubenszwang wäre beispielsweise mit Seinem sichbaren Erscheinen in den Wolken
des Himmels gegeben. Viele christliche Gemeinschaften erwarten tatsächlich Seine zweite
Ankunft auf diese spektakuläre Weise. Damit wäre aber auch jede freie Willensentscheidung
des Menschen für oder gegen den Glauben ausgeschaltet. Die Wiederkunft des Herrn ge-
Die Sache mit Luzifer
237
schieht nach Swedenborg jedoch nur durch ein neues Verständnis der Heiligen Schrift und
der uns geoffenbarten Natur- und Geisterwelt, d. h. Gottes geistiger und materieller Schöpfung.
Der Mensch als Mikrokosmos ist ein Abbild dieser Gesamtschöpfung. Dadurch kann das Wirken Gottes in uns selbst, aber auch außerhalb von uns, besser verstanden werden. Jesus, der
ja Gott Jehovah Selbst ist, ist uns dadurch nicht mehr fremd, sondern »näher als unser Atem«,
wie Eckehart von Hochheim sagt.
Die Verhüllung des geistigen Sinnes in der Bibel geschieht durch ihren äußeren Buchstabensinn. Diesem inneren Sinn konnte man bisher nur auf dem Wege des »Innewerdens« näher
kommen, heute auch durch die Anwendung der durch Swedenborg gegebenen Entsprechungslehre. Auch in der Offenbarungsschrift durch Lorber muß Sich der Herr der geistigen Freiheit
des Menschen wegen so weit verhüllen, daß diese – ungeachtet der »Ichform« – auch eine pur
von Menschen erstellte Schrift sein könnte. Sie darf nirgends zwingend einwirken und muß,
im Gegenteil, sogar Zweifel hervorrufen können. Erst wenn sich der geistig geweckte Mensch
unmittelbar angesprochen fühlt, beginnen die inneren Wahrheiten aufzuleuchten. Schlüssel
für einen Zugang bieten die ersten Worte des Herrn an Lorber, Haushaltung Gottes Band 1, 1:
»… nur wer Mich liebt, wie eine zarte Braut ihren Bräutigam, soll den Ton Meiner Stimme
vernehmen«.
Eine weitere Eigenart der Neuoffenbarung durch Lorber ist die im Gegensatz zu Swedenborg
angewandte bildhafte Ausdrucksweise. Während Swedenborg in seinen Texten immer bemüht
ist, sofort die Grundwahrheiten einer bestimmten Sache aufzuzeigen und sie in sein Lehrgebäude einzufügen – zum Beispiel, daß es den Engeln merkwürdig erscheine, daß die Menschen an einen urgeschaffenen gefallenen Engel glauben, während dies tatsächlich nur ein
Bild sei, wird gerade dieses Bildhafte im Lorberwerk durch Erscheinungen und Begebenheiten
sehr anschaulich behandelt. Dies rührt aus der vom Herrn öfter erläuterten göttlichen Absicht
her, daß der Mensch selbst suchend und forschend aus einem Mosaik einzelner Bausteine
sich »sein« Bild zu eigen machen solle und zwar unter der Voraussetzung, daß Gott nur in
Gleichnissen spricht. Der Mensch muß also nicht ein von Gott vorgegebenes »fremdes« Bild
übernehmen, sondern soll sich aus seiner Liebe und Erkenntnisfähigkeit, in völliger Willensfreiheit dem ewigen Bildnis immer mehr nähern können, wobei die Teilwahrheiten durchaus
schon den Charakter des Ganzen in sich tragen. Auf diese Weise wächst auch der Suchende
mit und erkennt im Laufe seiner Entwicklung immer neue Facetten seines eigenen Ichs, sowie der ewigen Liebe und Weisheit Gottes. Derjenige, der sich zuvor schon mit den Werken
Swedenborgs befaßt hat, kann diese Mosaiksteinchen schneller dem Gesamtbild zuordnen.
Andererseits gehen die Aussagen der Neuoffenbarung durch Lorber oft über Swedenborgs
Darstellungen hinaus, welcher hauptsächlich die Grundlehre der »Wahren Christlichen Religion«, sowie umfangreiche Ausführungen über den Entsprechungssinn der Bibel aufgezeigt hat,
sowie eine Art Topographie der jenseitigen Welten.
Als Beispiel für eine solche Ausdifferenzierung und Weiterführung der Texte Lorbers im Vergleich zu Swedenborg sollen Aussagen über die heutzutage weit verbreitete Reinkarnationslehre dienen, die Swedenborg mit einer kurzen Bemerkung rundweg als falsch bezeichnet hat.
Ungeachtet dessen, finden sich in den Werken durch Lorber Stellen, die die Möglichkeiten von
Reinkarnationen aufzeigen. Bei Aufarbeitung dieser Texte zeigt sich jedoch, daß es sich hierbei
nicht um gesetzmäßige Reinkarnationen im indisch-theosophischen Sinne handelt, sondern
um die vielfältigen unterschiedlichen Möglichkeiten des Herrn, irdische Seelen weiterzubilden. Da werden Menschenseelen, die infolge ihrer noch zu materiellen Ausrichtung, und damit für ein geistiges Leben noch unfähig sind, in andere materielle Lebensschulen genommen
(z. B. Weltkörper, die eine leichtere materielle »Umhüllung« ermöglichen), bis diese fähig werden, in dem geistigeren Fluidum der jenseitigen Welt zu bestehen. Seit der Menschwerdung
des Herrn können auch Seelen aus fast der gesamten materiellen Schöpfung auf dieser Erde
238
Peter Keune
inkarniert werden, wenn sie diesen Weg im Sinne einer Nachfolge Jesu gehen möchten, um so
die Kindschaft Gottes antreten zu können. Dieser Aspekt hat insofern eine große Bedeutung,
als sich seit jener »Zeit der Zeiten« auch die Himmel grundlegend gewandelt haben und nur
der Demutsweg über diese Erde zur Kindschaft führt. Und es gibt nach der Neuoffenbarung
noch eine dritte Gruppe von Seelen, die ebenfalls – und unter Umständen auch mehrfach –
auf die Erde gehen möchte, um als Lehrer und Wegbereiter göttlichen Lebens, dem Herrn dienen zu können. Darüber hinaus gibt es natürlich noch viele Einzelschicksale, die zu einem
weiteren Erdenleben führen können. Bei allen handelt es sich immer um eine freiwillige und
im Prinzip individuelle Entscheidung, nicht aber um die gesetzmäßige Lebensfolge immerwährender »Mußinkarnationen«, um ein Karma abzutragen! Swedenborg hat Reinkarnation
zwar generell verneint, wobei er vermutlich die allgemein verbreitete Ansicht über eine gesetzmäßige Wiederverkörperung meinte, sich aber zu den angeführten Möglichkeiten einer
erneuten, freiwilligen Inkarnation als Lebensprobe oder Liebesdienst nicht geäußert – diese
Differenzierung tat der Herr erst durch Jakob Lorber.
Hieran wird deutlich, daß trotz der Verschiedenheit einzelner Aspekte, die einerseits mit der
Art der Darstellung, andererseits aber auch mit der jeweiligen Absicht der Offenbarung zu tun
haben dürften, es sich nicht um Gegensätze oder Widersprüche handeln muß.
Eine häufige Ursache von Mißverständnissen sind unterschiedliche Begriffsbestimmungen.
Was versteht Swedenborg z. B. unter einem »Engel« oder »Seele« und »Geist« und was Lorber?
Ist unter diesen Bezeichnungen überhaupt das Gleiche gemeint? Deshalb ist es wichtig, die
verwendeten Begriffe erst einmal auf ihren Sinngehalt zu untersuchen.
Im folgenden soll ausgeführt werden, was Swedenborg und Lorber unter den Begriffen »Seele«
und »Geist« verstehen.
Seele und Geist
Swedenborgs Definition von der Seele ist nicht so leicht durch ein einziges Zitat dargestellt.
Die Seele ist nach Swedenborg der innere Mensch in uns. In der geistigen Welt tritt sie dann
als Geistmensch zutage. Solchen feinstofflichen Menschen nennt Swedenborg einen Geist
(weil die Seele aus einer geistigen Substanz besteht). Daher die geistige Welt auch eine Welt
96
von Geistern ist .
Diese Seele ist bei ihm der eigentliche geistbegabte Mensch, die unser Wünschen und Handeln durch den geistigen Einfluß des Herrn auf unser inneres Gewissen belebt.
Demnach ist die Seele ein Aufnahmeorgan für das göttliche Leben, ohne diesen Einfluß wäre
sie leblos. Das nachfolgende Zitat soll dies noch einmal beleuchten:
»Die Seele bezeichnet im eigentlichen Sinn dasjenige, was beim Menschen lebt, somit sein Leben
selbst. Was beim Menschen lebt, ist nicht der Leib, sondern die Seele, und durch die Seele lebt der
Leib. Das eigentliche Leben des Menschen, oder sein eigentlich Lebendiges, ist aus der himmlischen Liebe. Es kann durchaus nichts lebendiges geben, es habe denn von daher seinen Ursprung«.
(Swedenborg, Himmlische Geheimnisse 1436)
Bei Lorber wird der Begriff der Seele differenzierter dargestellt, vor allem ihr Werden. Danach
ist sie ebenfalls ein Aufnahmeorgan für alle endlos vielen Gedanken und Ideen Gottes und ein
96
Swedenborg unterscheidet den äußersten (den Körper- und Sinnenmenschen) von dem äußeren Menschen. Diesen wiederum unterteilt er in Externus (äußerlich) und Internus (innerlich). »EXTERNUS«
wäre z. B. das natürliche Gedächtnis, »INTERNUS« dagegen das der Vernunft zugrunde liegende inwendige Gedächtnis. Dann gibt es nach Swedenborg den oben als Seele beschriebenen inneren Menschen, der wieder unterteilt wird, nämlich in den geistigen und himmlischen Bereich. Dies ist der
Bereich, der als Pforte oder Angehör des Herrn bezeichnet wird, wo der Herr durch die Himmel einfließt und der am ehesten mit dem »Gottesfunken« bei Jakob Lorber vergleichbar sein dürfte.
Die Sache mit Luzifer
239
Träger dieser Formen, sowie aller Verhältnisse und Handlungsweisen, die in ihr in kleinsten
Umhüllungen (Mikrokosmos) niedergelegt sind.
Die Umschreibung der Seele bei Swedenborg als »das eigentliche Leben des Menschen« kann
mit dem Begriff »Geistfunken« bei Lorber in engen Zusammenhang gebracht werden. Da heißt
es sinngemäß: Dieser ist das Licht, welches sich aus der göttlichen Wärme von Ewigkeiten zu
Ewigkeiten erzeugt, und ist gleich der Wärme die Liebe und gleich dem Licht die Wahrheit.
Ohne Geist oder Licht ist alles tot und ist zu keiner Entwicklung und Vervollkommnung fähig.
Dieser Geist schafft Formen, ohne selbst Form zu sein. Wenn er aber die Formen geschaffen
hat, kann er in diesen nun auch selbst als Form wirkend auftreten. Die Form ist sein Stützpunkt wie Kraft und Gegenkraft.
Wieder Lorber:
Der Herr: »Dem Seelenmenschen wird jedoch ein Leiter beigegeben; denn die pure Seele allein
würde als vollendete Form, die nicht weiter ausgebildet werden kann, nichts Höheres über sich
erblicken, wenn nun nicht ein geistiges Fühlen, das Empfinden einer Macht in sie einfließen
könnte, die sie demütigt und nun anhielte, ihren Schöpfer zu suchen. Und das ist der göttliche
Funke, der als Geist in sie hineingelegt wird, der gleichzeitig mit ihr sich entwickeln soll, sie
immer mehr durch eine rechte Erziehung durchdringen und durch Selbstbelehrung in alle Erkenntnis einführen soll.« (Gr. Ev. Joh. 11, 10)
Unter »Geistfunke« wird bei Lorber also kein selbständiger von Gott getrennter Geist im Menschen verstanden, der uns zu unabhängigen schöpferischen Wesen (Göttern) macht und uns
gar zu einer Selbsterlösung befähigt, sondern er bezeichnet die Einflußstelle des göttlichen
Lebens in uns. Da dieses ewige Lebensfeuer in die einzelnen Geschöpfe notwendigerweise nur
soweit einfließen darf, um ihnen gerade das vegetative Leben zu ermöglichen, ist es bildlich
ausgedrückt zu einer Art Funken reduziert. Der Mensch soll sich dann in seiner geistigen
Entwicklung diesem Kraftstrom mehr und mehr öffnen, um den göttlichen Lebenseinfluß zu
aktivieren. Dazu Swedenborg: »Das Göttliche fließt nicht weiter ein, als daß der Mensch den
Weg ebnet oder die Tür öffnet.«, oder an anderer Stelle: »der göttliche Einfluß ist so groß wie
der Ausfluß«. Beide Zitate weisen darauf hin, daß der göttliche Einfluß, von welchem wir das
Leben haben, variabel ist, gemäß dem unseres eigenen Wollens. Genau dies meint auch das
Bild des Geistfunkens. Dieser muß vergleichsweise ebenso wie ein Herdfeuer erst von uns
angefacht werden. »Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden; was wollte ich lieber,
als daß es schon brennte!« (Luk. 12,49). Die Mittel und Wege dazu gibt uns alleine der Herr
durch Seine Lebenslehre, nur müssen wir uns dafür öffnen. In einem anderen Gleichnis vom
»Hohlspiegel« wird in dem Werk »Die geistige Sonne« (Lorber) aufgezeigt, wie jeder Mensch
eine Art Hohlspiegel in seinem Herzen trägt, der ein Abbild des Herrn, bzw. der geistigen Sonne in der Menschenseele widerspiegelt. Dies ist natürlich auch nur als ein Bild für die eben
genannten geistigen Tatsachen aufzufassen.
Außerdem wird im Lorberwerk als »Geist« die Fähigkeit des Menschen verstanden, alle in ihm
liegenden Fähigkeiten zu steuern, also eine Art Intelligenz, die aber mit dem Gottesfunken
nicht verwechselt werden darf. Swedenborg spricht u.a. vom Gemüt und unterteilt dieses in
ein äußeres, inneres und innerstes Gemüt im Menschen. Darunter versteht er die Verbindung
von Verstand und Wille, die – wenn sie eins ausmachen – gemeinsam einen geistigen Organismus darstellen, welcher wiederum infolge seiner drei Abstufungen mit den entsprechenden Himmeln verbunden ist (von woher der Herr beim Menschen einfließt). –
Wir sehen, solche Definitionen sind nicht so einfach auf einen Nenner zu bringen, weil wir
unsere persönlichen Vorstellungen mit den einzelnen Begriffen verbinden. –
Kommen wir aber wieder auf unser Thema zurück und versuchen, einen Zugang zu den Vorgängen der sogenannten »Urzeugung« einer Schöpfung nachzuvollziehen. – »Am Anfang schuf
Gott Himmel und Erde«. – Da in uns als geschaffene Ebenbilder Gottes ähnliche Bewußtseins-
240
Peter Keune
ebenen wie in Gott Selbst vorhanden sein müssen, - natürlich auf entsprechend niedrigerer
Stufe – können wir analog Rückschlüsse auf Gestaltungsvorgänge in Gott ziehen. In gleicher
Weise, wie der menschliche Körper aus kleinen Bauteilen – den Zellen, in immer höhere und
spezialisiertere Formationen, nämlich den Geweben, Organen usw. aufgebaut wurde, ebenso
ist zuvor auch die menschliche Seele aus einzelnen Gedanken und Ideen Gottes hervorgegangen. Sie wurde dann in undenklich langen Zeiträumen und langwierigen Prozessen zur lebendigen Seele in menschlicher Form und damit in das Bild und die Ähnlichkeit Gottes gestellt.
Die menschliche Seele steht zwischen Geist und Materie und hat durch die Fähigkeit zur
Reflexion und des freien Denkens und Wollens erstmals die Möglichkeit, sich selbst und auch
Gott zu erkennen. Der ihr innewohnende Geist hat dabei die Aufgabe, diese Vorgänge zu strukturieren und voranzutreiben. Den Begriff »Geist« könnten wir vielleicht mit dem Begriff der
»Idee« in Verbindung setzen. Die (Ur)idee in Gott als Schöpfer ist ein Himmel aus dem
menschlichen Geschlecht (Swedenborg). Diese Uridee ist der Liebesimpuls, der Antrieb zur
stufenweisen Entwicklung aller Schöpfungsvorgänge, bis hin zu einer Menschenseele und
dann weiter zu deren Vervollkommnung als Engel. Demnach ist die menschliche Seele als
eine Zusammenschließung von ungeheuer vielen – ursprünglich noch untereinander unabhängigen – Seelen- oder Gedankenpartikeln zu verstehen, die zusammengenommen nun erst
ein Ganzes bilden. Die Mineral-, Pflanzen-, und Tierreiche sind entsprechende Erscheinungsbilder solche immer höher aufsteigender Seelenkräfte. So wird die materielle Schöpfung aus
geistigen Substanzen gebildet, die auch »Intelligenzspezifika« genannt werden. In der Schrift,
»Die drei Tage im Tempel« durch Lorber, werden zwei wichtige Hinweise auf Seele und Materie gegeben. Der Herr:
»… du meinst, daß Geist und Seele ein und dasselbe sind! Die Seele bei den Menschen ist ein geistiges Produkt aus der Materie, weil in der Materie eben nur ein gerichtetes Geistiges für die Löse
rastet, der reine Geist aber ist niemals gerichtet gewesen, und es hat ein jeder Mensch seinen von
Gott ihm zugeteilten Geist, der alles beim werdenden Menschen besorgt, tut und leitet, aber mit
der eigentlichen Seele sich erst dann in eins verbindet, so diese aus ihrem eigenen Wollen vollkommen in die erkannte Ordnung Gottes übergegangen und somit vollends rein geistig geworden
ist.« (Drei Tage im Tempel 21, 19)
»… Gott aber, da Er Selbst ewig ist, kann nichts Zeitliches und Vergängliches oder erst Entstehendes in Sich fassen, sondern, was in Ihm ist, ist wie Er Selbst, ewig. Er kann Seine ewigen großen
Gedanken und Ideen nur außer Sich der Erscheinlichkeit nach zur Gewinnung einer wesenhaften
Selbständigkeit wie hinausstellen; und wenn Er das tut, so ist dies von Ihm ausgehend ein Schöpfungsmoment, und für das durch Seine Macht und Weisheit wie außer Ihn freigestellte Gottesgedankenwesen beginnt dann erst die Zeit, besser aber der Zustand der zugelassenen Selbsttätigkeit
zur Erwerbung eines bleibenden selbständigen Seins wie außer Gott, wenn schon im Grunde des
Grundes dennoch in Ihm.« (Drei Tage im Tempel 21, 17)
Das im ersten Zitat angesprochene »gerichtete Geistige« darf nicht mit unserem Begriff »richten« im Sinne von »verurteilen« verwechselt werden, sondern es bezieht sich auf »ausrichten«,
auf ein Ziel hin zubereiten. Leider hat Swedenborg sich über das Werden der Seele und ihren
Aufbau nicht geäußert. Er spricht nur von der Seele als solcher und deren Wiedergeburt. Nach
Swedenborg wird sie durch den leiblichen Vater eingezeugt, woher sie aber stammt, bleibt
offen. Eine übereinstimmende Aussage hierzu macht auch das Lorberwerk hinsichtlich der
Einzeugung der über lange Zeitperioden geformten sogenannten »Naturseele«.
Um den Geistbegriff bei Swedenborg vor Augen zu haben, soll er hier nochmals zu Wort
kommen:
»An vielen Stellen im Wort wird der Ausdruck ›Geist‹ gebraucht, und wenn vom Menschen die
Rede ist, dann wird durch Geist das dem Verstandesgebiet eingeschriebene Gute und Wahre bezeichnet, und folglich dessen Leben. Daraus kann man erkennen, was unter Geist, wenn vom
Herrn gehandelt wird, zu verstehen ist, daß er nämlich das aus Seinem göttlich Guten ausgehende Göttlich Wahre bezeichnet, und daß dieses Göttliche, wenn es beim Menschen einfließt
Die Sache mit Luzifer
241
und von ihm aufgenommen wird, der Geist der Wahrheit ist, der Geist Gottes und der Heilige
Geist; denn er fließt unmittelbar vom Herrn ein, und auch mittelbar durch die Engel und Geister.«
(Himmlische Geheimnisse 9818)
Bei Swedenborg ist der Geist demnach das von Gott aus Seinem Guten ausgehende Wahre (die
aus der Liebe hervorgehende Weisheit) und steht damit der Definition bei Lorber nicht im Wege. Dort heißt es: »Er ist das Licht (das Wahre), welches sich aus der eigenen Wärme (die Liebe
oder das Gute) von Ewigkeiten zu Ewigkeiten erzeugt, und ist gleich der Wärme die Liebe und
gleich dem Licht die Wahrheit«.
Was ist unter »Urschöpfung« zu verstehen
und wie ist die »Materie« einzuordnen?
Es wurde gesagt, daß die nach Lorbers Urschöpfungslehre von Gott ausgehenden Gedanken
und Ideen diejenigen Bausteine seien, welche sich nach Seinem Willen bis zur Engelsform
ausbilden sollen. Alle Gedanken und Ideen Gottes tragen den Endzweck in sich, einen Himmel
aus dem menschlichen Geschlecht zu bilden.
Diese ersten Stufen des Werdens werden im Lorberwerk als »Urschöpfung« bezeichnet. Da
Gott keinen Anfang hat und es daher eine erste Schöpfung (im Sinne einer numerischen Reihenfolge) nie geben konnte, werden diese unendlichen Folgen bei Lorber als »Schöpfungsperioden« bezeichnet. Alle Offenbarungen über die Urschöpfung beziehen sich jedoch
ausschließlich auf die gegenwärtige Schöpfungsperiode. Zur näheren Beleuchtung der Urschöpfung will ich im Folgenden den Prozeß des »Werdens« betrachten. Dieser Prozeß läßt
sich in seinen Endzweck, seine Ursache und Wirkung untergliedern. Der Endzweck ist der
Engelshimmel, die Ursache ist das Bedürfnis der Ewigen Liebe nach Geschöpfen, in denen
sich diese Liebe ergießen kann, und die Wirkung sind all’ jene endlos langen Prozesse, die zu
dem Endzweck führen. Zur Erreichung dieses Endzwecks mußte Gott Sich ein »Gegenüber«,
oder ein »Du« erschaffen, daher Swedenborg immer vom Menschen als einem Aufnahmegefäß
der göttlichen Liebe und Weisheit spricht. Trotzdem soll der Mensch nach dem Plan Gottes,
von Seinem Willen »wie unabhängig« bestehen können. Das bedeutet, daß er, der ja im Grunde
nichts als geformter Wille Gottes ist, seinem Schöpfer wie fremd von außen gegenüberstehen
und lernen soll, Ihn im Herzen liebend aufzunehmen. Er muß sich der göttlichen Ordnung
freiwillig unterstellen und auf diese Weise eins werden mit Ihm. Die ursprünglich freien Kräfte aus Gott mußten hierfür in einer bestimmten, zeitlich begrenzten Entwicklungsperiode,
ihrer Freiheit verlustig werden, damit sie von Ihm »wie getrennt« würden. Wie und wodurch
ist dies geschehen? Indem Gott eine »Mauer« zwischen Sich und Seine Geschöpfe setzte. Diese Mauer ist nichts anderes, als die Umhülsung der Seelenpartikel mit Materie, oder anders
ausgedrückt: die materielle Schöpfung. Swedenborg hat diese auch als das »Äußerste« der
Schöpfung bezeichnet, also als etwas, was am weitesten entfernt von Gott ist. Er hat Seinen
eigenen Gedanken und Ideen (Intelligenz- oder Seelenspezifika) einen, wie von Sich getrennten Raum gegeben, in dem diese sich weiter entwickeln können. Unter »Geschöpfe« darf man
sich noch keine Menschen, oder andere höher organisierte Lebewesen vorstellen, sondern
vorerst noch einfachste Seelensubstanzen, die sich aneinanderschließend, in immer höhere
Lebensformen übergehen.
Hierzu erklärt der Herr:
(10) »Gott kann infolge Seiner Allmacht freilich einen Geist mit vollendeter Weisheit und Macht
aus Sich hinausstellen oder erschaffen, und das in einem Momente gleich zahllos viele, - aber alle
solche Geister haben keine Selbständigkeit; denn ihr Wollen und Handeln ist kein anderes als
das göttliche Selbst, das unaufhörlich in sie einfließen muß, auf daß sie sind, sich bewegen und
handeln nach dem Zuge des göttlichen Willens. Sie sind für sich gar nichts, sondern pur momentane Gedanken und Ideen Gottes. (11) Sollen sie aber mit der Zeit möglich selbständig
werden, so müssen sie den Weg der Materie oder des gerichteten und also gefesteten Wil-
242
Peter Keune
lens Gottes durchmachen, auf die Art, wie ihr sie auf dieser Erde vor euren Augen habt.
Haben sie das, dann sind sie erst aus sich selbständige, selbst-denkende und freiwillig handelnde
Kinder Gottes, die zwar auch allzeit den Willen Gottes tun, aber nicht weil er ihnen durch die Allmacht Gottes aufgedrungen ist, sondern sie erkennen solchen als höchst weise und bestimmen
sich selbst, nach solchem zu handeln, was dann für sie selbst lebensverdienstlich ist und ihnen
erst des Lebens höchste Seligkeit und Wonne gibt.« (Gr. Ev. Joh. 6, 233, 10-11)
(2) Der Herr: »Ich, als Gott von Ewigkeit, könnte freilich wohl mit Meinem Willen die Hölle, aber
auch mit ihr die ganze Schöpfung zunichte machen. Was aber dann? Etwa eine neue Schöpfung
beginnen? Ja, ja, das ginge schon; Aber eine neue Schöpfung von materiellen Welten ist in keiner
anderen Ordnung denkbar, als die gegenwärtige da ist, weil die Materie das gefestete und
notwendig gerichtete Medium ist, durch das ein mir in allem ähnlich werden sollendes
Wesen, von Mir ganz abgelöst, die Willensfreiheitsprobe durchmachen muß, um zur wahren
Lebensselbständigkeit zu gelangen.« (Gr. Ev. Joh. 6, 239, 2)
Durch ihre Einhülsung in die Materie müssen sich die seelischen Potenzen – gezwungenermaßen – mit den jeweils vorhandenen Lebensgesetzen (z. B. Naturgesetze) arrangieren. Diese
sind aus göttlicher Ordnung immer so beschaffen, daß sie die optimalsten Entwicklungsprozesse hinsichtlich ihrer Endbestimmung ermöglichen. Auf allen Ebenen werden die Intelligenz- oder Seelenspezifika mit jeweils ähnlichen zusammengefasst und in immer neue
komplexere Umhülsungen gegeben. Sie bleiben in jedem Entwicklungszustand so lange eingebunden, bis die neu zusammengefügte Lebensform ausgereift ist und höhere Verbindungen
eingehen. In diesem Zusammenhang unterscheidet der Herr »reifere« und »unreifere« Seelenbildungen. In dem gesamten Entwicklungsprozeß sind daher schon Begriffe wie »Läuterung«
und »Demütigung« einzuführen. Diese oftmals gebrauchten Begriffe dürfen aber nicht im herkömmlichen Sinn verstanden werden, wie alles hier Dargestellte auch nur Bilder für unser
Verständnis sind. Die schließlich letzte Stufe in der »gerichteten« Materie (im Sinne von ausgerichtet – Mußgesetz – Naturgesetz) ist die Zusammenführung aller seelischen Vorlebensstufen in die Seelensubstanz einer »(Natur)-Menschenseele«, die damit erstmalig die
Grundlage für eine neu zu beginnende menschliche Entwicklung bildet. Swedenborg setzt hier
ohne Erwähnung der Vorbildungsstufen den Anfang einer Seele an, was von der Sache her
auch richtig ist. Denn an dieser Stelle wird sich der Mensch das erste Mal seines Wesens
bewußt.
Diese einmalige Schau des inneren Wesens der Materie im Lorberwerk liest sich zum Beispiel folgendermaßen:
(5) »Du schauest dir nun diese Erde an und siehst nichts denn eine totscheinende Materie. Ich sehe
nun zwar die totscheinenden Formen der Materie auch; aber ich sehe noch viel mehr darin, was
du mit deinen Augen nimmer sehen kannst. Ich sehe darin die gebannten geistigen Dinge und Wesen und fühle ihr Bestreben, und sehe, wie sie stets zunehmen an der inneren Ausbildung und besseren und bestimmteren Gestaltung und Entfaltung ihrer zweckdienlichen Formen, und ich sehe
abermals zahllose Geister und Geisterchen, die da unablässig tätig sind, so wie der Sand in einem
römischen Stundenmesser. Da ist von keiner Ruhe eine Rede, und aus ihrer unablässigen Tätigkeit bildet sich das gesamte zweckdienliche Werden alles und jedes Naturlebens. (6) Ich sage es
dir: In jedem Tautropfen, der noch so helle an einer Grasesspitze zittert, sehe ich wie in einem
Meere schon Myriaden Wesen sich nach allen Richtungen herumtummeln. Des Tropfens Wasser
ist nur eine erste und allgemeine Umhäutung eines Gottesgedankens. Aus dieser nehmen dann die
darin gefangenen Geistlein ihre sonderheitliche Umhüllung und bestehen darauf schon gleich in
irgendeiner bestimmteren Form, die von der äußern allgemeinen schon sehr verschieden ist; dadurch aber verschwindet dann der Tropfen als Wasserperle, und die im selben sich neu gebildeten
Formen als schon Leben tragende Püpplein bekriechen dann die Pflanzen oder andere Dinge, an
denen der Wassertropfen sich gebildet hatte. Da gehen aber diese Püpplein, sich ergreifend, alsbald in eine andere Form über, und aus hunderttausenden wird eins. Eine neue Haut wird um die
neue Form gebildet; in ihr werden die vielen kleinen Formen durch den Einfluß des Lichtes und
der Wärme zum zweckdienlichen Organismus der neuen und größeren Form umgewandelt, und
das also entstandene neue Wesen beginnt eine neue Tätigkeit als Vorbereitung zum abermaligen
Übergange in eine stets mehr und mehr ausgebildete Form, in der es wieder für den Übergang in
Die Sache mit Luzifer
243
eine noch höhere und vollendetere Form tätig zu werden beginnt. Und so ist die sichtliche Tätigkeit eines jeden schon in irgendeine bestimmte Form eingegangenen Wesens nichts als eine rechte
Vorbereitung für eine höhere und vollkommenere Form zur stets größeren Festigung des seelischen und endlich in der Menschenform des rein geistigen Lebens.« (Gr. Ev. Joh. 4, 57, 5-6)
Die beschriebenen Prozesse werden durch geistige Kräfte gesteuert, die durchaus als »Engel«
bezeichnet werden können. In den Naturreichen wirken sie ordnend und leitend auf die ihnen
zugewiesenen Bereiche ein. Sie werden ihrerseits von höheren Geistern geleitet, die wiederum
einem noch höheren Geist unterstehen und so fort bis zum Herrn. Aber nicht nur die Engel
kennen Hierarchien, auch die Höllengeister werden so geführt.
Der auf Erden geborenen Menschenseele ist zusätzlich noch ein unmittelbarer Geist aus Gott
gegeben, der »Gottesgeist«, oder auch »Lichtfunke« genannt wird. Swedenborg drückt dessen
Wirkung wie schon oben zitiert so aus:
»… und daß dieses Göttliche, wenn es beim Menschen einfließt und von ihm aufgenommen wird,
der Geist der Wahrheit ist, der Geist Gottes und der Heilige Geist«. (Himmlische Geheimnisse
9818)
Wie schon ausgeführt, fließt bei Swedenborg der göttliche Geist zwar kontinuierlich ein, wird
aber erst dann wirksam, wenn die Seele das Göttliche aufzunehmen bereit ist. Lorber gebraucht andere Worte, indem er vom »Gottesfunken« oder »Lichtgeist« spricht, beschreibt aber
in gleicher Weise den göttlichen Einfluß, der auch nur dann wirksam wird, wenn der Mensch
den Weg des Heils gehen will. So läßt uns der Herr durch Lorber einen Blick in die Naturseelenentwicklung und Seine Schöpfungsgeheimnisse machen, während Swedenborg aufzeigt,
wie diese Entwicklungen nach dem Prinzip »Endzweck« – »Ursache« und »Wirkung« gesetzmäßig aufeinander folgen. Dieses Prinzip erläutert er an Hand der Wiedergeburt des Menschen, während die Darstellung der Vorlebensstufen (also die Bildung der Seele überhaupt)
dem Lorberwerk vorbehalten blieb.
Das Verständnis für die Zusammenhänge ist für uns heutige Menschen, die wir am Anfang
der geistigen Entwicklung stehen, nur sehr bedingt möglich. Die Bilder und Gleichnisse, die
der Herr durch Lorber verwendet, können aufgrund unserer geringen Kenntnisse über die
Entsprechungswissenschaft leicht mißverstanden werden. Dies trifft u.a. auf die Vorstellung
von Luzifer als Satan oder Teufel zu. Um sich diesem Thema weiterhin schrittweise anzunähern, werde ich vorerst näher auf den Begriff »Engel« eingehen.
Was versteht man unter einem Engel?
Swedenborgs Ansicht, daß der Himmel aus dem menschlichen Geschlecht hervorgegangen
sei, wurde schon mehrmals zitiert.
Im Lorberwerk wird man bemerken, daß zwei Arten von Engelgeistern in Erscheinung treten:
einmal sind sie, wie »Raphael«, Begleiter des Herrn. Sie tragen zeitweilig einen irdischen Leib,
und waren vordem bereits Menschen dieser Erde. Zum anderen begegnen uns »Engel«, die
noch keinen Leib getragen haben. Dies scheint im Widerspruch zu Swedenborgs Aussage zu
stehen, nach der alle Engel aus dem menschlichen Geschlecht hervorgegangen sind. Bei genauerem Hinsehen erkennt man aber, daß der Begriff »Engel« im Lorberwerk etwas anders als
bei Swedenborg belegt wird. Hierzu seien wieder mehrere Textstellen aus dem Gr. Joh. Ev.
(Lorber) eingefügt. Auf die Frage des Knaben »Josoe«, über die Wesenheit zweier »Engel«, die er
aber nicht als solche erkannte, ergibt sich folgender Dialog:
(2) »Sagt Josoe: ›Wer seid ihr denn, daß ihr gar so erhaben weise Worte auszusprechen vermöget?
Seid ihr denn nicht auch Menschen, so gut wie ich einer bin?‹ (3) Sagen die beiden: ›Liebster Bruder, im Geiste wohl sind wir völlig das, was du bist und noch mehr und mehr werden wirst; aber
Fleisch und Blut haben wir nie getragen! Wir sind Engel des Herrn und sind hier, Ihm allein allzeit zu dienen. So uns aber Der einst auch gnädigst will durchs Fleisch, Ihm gleich, gehen
lassen, so werden wir dir dann auch in dieser Hinsicht vollends gleichen. Für jetzt aber bist du
244
Peter Keune
uns bedeutend voraus; doch die Ewigkeit ist lang und endlos, und in ihr werden sich dereinst alle Unterschiede ausgleichen. Wir aber tragen nun auch dir unsere Dienste an; willst du etwas, so
schaffe (befiehl) und wir werden dir dienen!‹« (Gr. Joh. Ev. 2, Kap. 79)
Hier erleben wir »urgeschaffene Engel«, die aber noch das Fleisch tragen werden und darum
den Knaben Josoe im Vergleich mit sich selbst als »bedeutend voraus« ansehen. In einer zweiten Begebenheit wird der Begriff »Engel« ganz anders ausgedrückt, indem ein Engel zu dem
Essener Roklus sagt:
(9) «… Nun ja, du wirst es schon sehen, was da zum Vorscheine kommen wird. Allzeit offenbart
uns der Herr denn auch nicht, was Er zu tun willens ist, obwohl wir der personifizierte Ausdruck Seines Erzwollens sind. Wir sind als Ausfluß Seines urgöttlichen Lebens, Wollens und
Seins Ihm am nächsten und sind im Grunde nichts als der Ausdruck des göttlichen Willens
und der göttlichen Kraft, aber nicht in Seiner persönlichen Wesenheit, sondern außerhalb derselben seiend und wirkend. Wir sind um Gott herum so ungefähr das, was das
aus der Sonne ausfließende Licht ist, das auch überall, wohin es nur immer kommt, alles
belebt, bildet, erzeugt, reift und vollendet. (10) Wenn du der Sonne einen Spiegel entgegenhältst, so ersiehst du im Spiegel das Abbild der Sonne genau, und der aus dem Abbilde der Sonne
dir zuströmende Lichtstrahl wird dich so gut erwärmen wie der unmittelbare Strahl aus der Sonne selbst, und fängst du den Sonnenstrahl mit einem Alexandrinischen Spiegel auf, der auch ein
Hohlspiegel genannt wird, so wird der zurückgeworfene Strahl eine viel größere Licht- und
Wärmeentwicklung äußern als das aus der Sonne unmittelbar ausfließende Licht. Und das sind
wir Erzengel geistig; ein jeder geistig vollendete Mensch wird dasselbe in einem noch viel
höheren Grade sein.« (Gr. Joh. Ev. 5 Kap. 106)
In einem dritten Text nun hören wir noch eindeutiger:
Sagt der Engel (zu Philopold): »… (2) Glaube ja nicht, daß ich es bin, der dies handelt und tut,
sondern es handelt, wirkt und tut dies alles des Herrn Geist, der eigentlich mein innerstes Wesen
ausmacht und erfüllt; denn wir Engel sind im Grunde ja nichts anderes als Ausstrahlungspunkte des göttlichen Geistes! Wir sind gewisserart der personifizierte, kräftigst wirkende Wille Gottes; unser Wort ist Seines Mundes Rede und unsere Schönheit ein kleiner
Spiegelabglanz von Seiner unendlichen Herrlichkeit und nie ermessbaren Majestät. (3)
Wenn aber auch Gott der Herr in Seiner Weisheits- und Machtmajestät unendlich ist, so ist Er
aber dennoch in der Liebe des Vaters hier als ein begrenzter Mensch bei und unter euch. Und eben
diese Liebe, die Ihn Selbst zum Menschen vor euch zeihet, macht auch uns Engel zu Menschen
vor euch, ansonst wir nur Licht und Feuer sind, hinauszuckend durch alle die endlosen
Räume als große, schöpferische Gedanken, erfüllt mit Wort, Macht und Willen von Ewigkeit zu Ewigkeit! (4) Den Geist aber, und noch mehr die eigenste Liebesflamme aus dem Gottesherzen, der zufolge ihr erst so eigentlich zu wahren Gotteskindern werdet, bekommet ihr
Menschen dieser Erde eben jetzt erst und seid demzufolge unaussprechbar über uns hinaus bevorzugt, und wir werden euren Weg zu wandeln haben, um euch gleich zu werden. (5) Solange wir
Engel alle also bleiben, wie wir nun sind, da sind wir nichts als Arme und Finger des
Herrn und rühren und bewegen uns erst dann handelnd, wenn wir vom Herrn also angeregt werden, wie ihr eure Hände und Finger zum Handeln anreget. Von uns gehört alles,
was du an mir siehst, dem Herrn; nichts ist als irgend selbständig uns zu eigen, - es ist
eigentlich alles an uns der Herr Selbst. (6) Ihr aber seid berufen und bestimmt, das zu werden
in der vollsten Selbständigkeit, was der Herr Selbst ist; denn zu euch wird es noch vom Herrn aus
gesagt werden: ›Ihr müsset gleich so vollkommen sein in allem, wie endlos vollkommen euer Vater im Himmel ist!‹ (7) Wenn aber vom Herrn solches zu euch Menschen gesagt wird, dann werdet
ihr daraus erst vollauf ersehen, zu was endlos Großem ihr berufen und bestimmt seid, und welch
ein unendlicher Unterschied dann zwischen euch und uns obwaltet! (9) Ich sage dir noch etwas,
was der Herr Selbst zu euch sagen wird, so ihr vollends lebendig im Glauben und in aller Liebe zu
Ihm verbleiben werdet. Siehe, dies wird Er zu euch sagen: ›Ich tue Großes vor euch, aber ihr werdet noch Größeres tun vor aller Welt!‹ (10) Sagt der Herr etwa solches auch zu uns? O sicher nicht,
denn wir sind ja eben des Herrn Wille und Tat, der gegenüber der Herr, wie gegen Sich Selbst
zeugend, zu euch solche Weissagung machen wird. (11) Aber es wird des Herrn endloseste Liebe,
Gnade und übergroße Erbarmung auch mit der Zeit für uns Engelsgeister einen Weg bestimmen,
auf welchem wir euch vollends ebenbürtig werden. (12) Der Weg, den nun der Herr Selbst
Die Sache mit Luzifer
245
geht, wird noch der Weg aller urgeschaffenen Geister aller Himmel werden, - aber freilich
nicht von heute bis morgen, sondern nach und nach im gleich fortwährenden Verlauf der nimmer
und nimmer irgendwann endenden Ewigkeit, in der wir aus Gott wie in einem unendlich großen
Kreise auf- und nieder- und hin- und hersteigen, ohne je des Kreises äußerste Linie zu berühren.
Aber wenn auch etwas noch so lange auf sich warten läßt, so geschieht es endlich doch, weil es
sich in der großen Ordnung es Herrn treu und wahr befindet; was sich aber einmal darin befindet,
das geschieht auch – auf das Wann kommt es da wahrlich nicht an! Ist es einmal geschehen, so ist
es da, als wäre es schon von Ewigkeit dagewesen.« (Gr. Ev. Joh. Band 3, Kap. 180)
Wie wir hier sehen können, handelt es sich bei diesen »Engeln« um ausführende Organe des
Herrn. Diese »Boten« – wie Engel übersetzt heißen – können zwar auch wie selbständige Personen in Erscheinung treten, sind jedoch trotzdem nur unmittelbar wirkende Kräfte Gottes.
Ganz eindeutig wird dies aber im Band 7 durch die Rede des Herrn zum Ausdruck gebracht:
(26) »Nikodemus: ›Ganz gut, ganz gut, Herr und Meister, nur allein Dein Wille geschehe! Bloß das
möchte ich zuvor noch erfahren, wer dieser gar so wunderherrliche Jüngling ist (ein Engel –
Anm.), woher er ist, und wie er heißt.‹ (27) Sagte Ich: ›Das wirst du schon bei dieser Gelegenheit
erfahren! Sein Name ist Raphael.‹ (28) Sagte Nikodemus: ›Also lautet ja nach der alten Schrift der
Name eines Erzengels! Am Ende ist das gar der Erzengel selbst? Wenn das, so könnte mich da eine
große Furcht ergreifen. Ja, ja, ich habe das ja schon gleich anfangs gesagt!‹ (29) Sagte Ich: ›Und
Ich habe dir nicht widersprochen, sondern dir und euch allen bis jetzt gezeigt, was und wer ein
Engel Gottes ist. Wenn aber also, warum sollst du nun vor diesem Engel Furcht bekommen, da du
doch auch berufen bist, selbst ein Erzengel zu werden? Damit du aber über diesen Engel nicht in
einem Zweifel stehst, so wisse, daß er Henochs Geist ist! Sein Leib ist nun Mein Wille. Darum sagte Ich dir ja, daß es in den Himmeln keine andern Erzengel gibt und je geben wird als die
nur, welche zuvor schon im Fleische auf einer Welt gelebt haben. –‹«(Gr. Ev. Joh. 7, 58)
Eine letzte Stelle, die sich ganz klar mit Swedenborg deckt:
Ȇbrigens gab es im wahren Himmel niemals irgendeinen Engel, der nicht zuvor ein
Mensch auf irgendeiner Erde gewesen wäre. Das aber, was ihr euch unter den als reine
Geister geschaffenen Engeln sehr irrig vorstellet, ist nichts als die auswirkenden Kräfte
und Mächte Gottes, durch die Gottes Allgegenwart, in aller Unendlichkeit wirkend, bekundet wird, die sich aber kein Mensch unter einem Bilde vorstellen soll, weil das Unendliche aus Gott für jedes begrenzte Wesen der Wahrheit nach unvorstellbar ist, was
hoffentlich doch nicht schwer zu begreifen ist.« (Gr. Ev. Joh. 7, Kap. 56)
Wir halten fest: Die eine Kategorie umfaßt Engel, die einst Menschen waren und somit Swedenborgs Aussagen nicht entgegenstehen. Die andere Kategorie umfaßt nicht von Anbeginn
bereits vollendet geschaffene Wesen, wie irrig angenommen wird, sondern wirkende Urkräfte
Gottes, die in der swedenborgischen Terminologie unter einem anderen Namen zu suchen
sind. Eine Annäherung findet man in dessen Aussage, daß »Die göttliche Liebe und die göttliche Weisheit Substanz und Form sind« (Göttliche Liebe und Weisheit Nr. 40)
Gott ist Geist, als solcher schafft Er Formen und kann in ihnen, nun ebenfalls Form, wirkend
auftreten. Insofern sind diese Engelsformen nur Stützpunkte und ausübende »Kräfte und
Mächte« Seiner Allgegenwart.
»Die göttliche Liebe und die göttliche Weisheit kann nicht anders, als sein und dasein in anderem,
aus ihr Erschaffenem.« (Göttliche Liebe und Weisheit Nr. 47)
Und nun zuletzt noch eine sehr wichtige Aussage:
»Alles, was erschaffen ist, stellt in einem gewissen Bilde den Menschen dar.« (Göttliche Liebe und
Weisheit Nr. 61)
Von den zitierten Aussagen kann man sich nur schwer konkrete Vorstellungen machen.
Swedenborg betont dies auch, »solange man aus Raum und Zeit denkt«. Der Herr stellt solche
Aussagen bei Lorber dagegen bildlich vor das Auge des Lesers, indem zum Beispiel der Knabe
Josoe solchen gebundenen Kräften Gottes sichtbar begegnet – und man sieht einen Engel in
246
Peter Keune
menschlicher Form 97. Erklärend wird hinzugefügt: »Solange wir Engel alle also bleiben, wie
wir nun sind, da sind wir nichts als Arme und Finger des Herrn«. Ich wiederhole – also
eigentlich keine eigenständigen Wesen in Swedenborgs Verständnis, sondern ausgehende
Wirkungskräfte Gottes – obgleich sie durch den Willen des Herrn Form annehmen können.
Daß aber diese Urkräfte einst auch Menschen werden sollen, liegt in der Schöpfungsordnung
Gottes begründet, die den Menschen zum Ziel hat.
Der Fall Luzifer
Mit diesem Hintergrundwissen sollte es nun auch verständlich sein, daß Gott niemals einen
»fertigen« Urerzengel als vollkommenes Wesen geschaffen haben kann, der auf Grund seiner
Willensfreiheit gefallen ist und dann zu seiner Läuterung in Materie gebannt wurde, aus der er
langsam wieder entlassen wird. Vielmehr handelt es sich um ein Entsprechungsbild, vergleichbar mit dem inneren Sinn der Genesis (gemachte Geschichte). Daß es sogar im Lorberwerk selbst zu diesem Thema scheinbar entgegengesetzte Aussagen gibt, sollte uns nicht
verwirren, da auch dieses Werk als göttliches Wort in Entsprechungen geschrieben ist! Zudem
weist auch eine Aussage des Herrn im Lorberwerk darauf hin, daß öfter scheinbar gegensätzliche Aussagen als Steine des Anstoßes und zur Verhinderung des Blindglaubens zugelassen
wurden, wobei sie im inneren Entsprechungssinne keine Gegensätzlichkeiten aufweisen.
In unserem Zusammenhang interessieren uns hier natürlich gerade diejenigen Aussagen, die
dem Schein entgegen stehen, daß Luzifer als Höllenfürst die Menschen verführe. Diese Annahme ist allgemein verbreitet, wobei sie durch die Heilige Schrift, aber auch durch Volksmärchen (und nicht zuletzt durch Goethes »Faust«) geprägt wurde und häufig sogar durch
persönliche Eindrücke (z. B. in der Psychiatrie) verstärkt wird. Nicht zuletzt scheint auch das
Lorberwerk diese Annahme an vielen Stellen zu unterstützen, denn Luzifer tritt persönlich in
allen möglichen Gestalten auf. Dagegen finden sich nur vereinzelt Hinweise, wie diese Geschichten geistig zu verstehen sind.
Das Geheimnis liegt wieder in dem Verständnis des Wortsinnes. Hierzu ein längerer Text aus
dem Gr. Ev. Joh. Band 11, der die Existenz eines Urteufels zu bestätigen scheint. Interessanterweise ist dieser Wortlaut nicht von Lorber selbst, sondern von dessen Nachfolger Leopold
Engel:
(10) (Der Herr): »Ich schuf ein Wesen, das Ich auf diese betreffende Grenze stellte, ausrüstete mit
Meiner Allmacht, also durch dasselbe wirkte und nun freistellte, sich zu entwickeln nach oben
und unten. Und aus dieser Machtvollkommenheit heraus ließ Ich es frei wirken. (11) Dieses erste
Licht der Erkenntnis – das ist also das Erkennen der Möglichkeit, sich aufsteigend oder absteigend entwickeln zu können – sollte bewirken, freiwillig in dem Mittelpunkte zu verbleiben, um
von dort aus in engster Verbindung mit dem göttlichen Urgeiste zu wirken und immer neue Wesen selbstschöpferisch zu schaffen, damit Schöpfer und Geschöpf daran eine rechte Freude und in
dieser freudigen Tätigkeit eine erhöhte Seligkeit genießen. (12) Wenn Ich euch nun sage, daß dieser erstgeschaffene Geist ›Luzifer‹ (d. h. Lichtträger) hieß, so werdet ihr jetzt auch begreifen, warum er so und nicht anders hieß. Er trug in sich das Licht der Erkenntnis und konnte als erstes
Geistwesen die Grenzen der inner-geistigen Polaritäten recht wohl erkennen. Er, ausgerüstet mit
Meiner völligen Macht, rief nun andere Wesen ins Leben, die völlig ihm ähnlich waren, auch die
Gottheit in sich empfanden und dasselbe Licht der Erkenntnis in sicher erbrennen sahen wie er,
ebenfalls selbst-schöpferisch auftraten und ausgerüstet wurden mit aller Kraft Meines Geistes.
Jedoch wirkten in diesen besondere Kräfte Meines Urgeistes verteilt hervorleuchtend, das heißt,
sie wurden in ihrem Charakter entsprechend Meinen sieben Haupteigenschaften, und so war ihre
Zahl sieben. … (14) Luzifer, wohl wissend, daß er in sich den Gegenpol Gottes vorstellen sollte,
vermeinte nun zu ermöglichen, die Gottheit gewisserart in sich aufsaugen zu können und verfiel
in den Irrtum, als geschaffenes und damit endliches Wesen die Unendlichkeit in sich aufnehmen
zu können; denn auch hier galt das Gesetz: ›Niemand kann Gott (die Unendlichkeit) sehen und da97
Jede Gesellschaft stellt nach Swedenborg einen Engel dar.
Die Sache mit Luzifer
247
bei das Leben behalten, demzufolge er das Wesen der Gottheit wohl empfinden, Ihre Befehle, solange er im gerechten Mittelpunkt stand, hören, niemals aber Sie persönlich sehen konnte. (15)
Wie nun das endliche Wesen niemals die Unendlichkeit begreifen kann und wird und daher in
diesem Punkte stets leicht in Irrtümer verfallen und bei absteigender Bewegung in diesen verharren kann, so versank trotz aller Warnungen Luzifer dennoch in den Wahn, die Gottheit aufnehmen und gefangen nehmen zu können. Damit verließ er den gerechten Standpunkt, entfernte sich
aus dem Mittelpunkte Meines Herzens und verfiel stets mehr und mehr in den falschen Wunsch,
seine Geschöpfe, die durch ihn, aber aus Mir entstanden waren, um sich zu sammeln, um die mit
Wesen aller Art bevölkerten Räume zu beherrschen. (16) Es entstand nun ein Zwiespalt, das ist eine Trennung der Parteien, der schließlich dazu führte, daß die Luzifer gegebene Macht von Mir zurückgezogen und er mit seinem Anhang machtlos und der Schaffenskraft beraubt wurde. (17) Es
entstand naturgemäß die Frage: Was soll nun mit diesem Heere der Gefallenen und wie tot, das
heißt untätig Erscheinenden geschehen? … (21) Es blieb also nur der zweite Weg übrig, den ihr in
der materiellen Schöpfung vor euch habt. (22) Stellt euch einen Menschen vor, der durchaus nicht
einsehen will, daß der König des Landes ein mächtiger Herrscher ist, weil er von ihm zwar mit aller Kraft und Vollmacht ausgerüstet ist, jedoch ihn selbst nie gesehen hat! Dieser rebelliert gegen
ihn und möchte sich selbst zum Könige aufschwingen. Der König, um die ihm treuen Untertanen
nicht verderben zu lassen, wird ihn ergreifen, ihn seines Schmuckes berauben, aller Vollmacht
entkleiden und in ein festes Gemach werfen lassen, so lange, bis er zur Vernunft gebracht sein
wird, und dasselbe wird er mit den Anhängen tun. Je nachdem nun die Anhänger Buße tun und ihren Irrtum einsehen, werden diese befreit werden und dem Könige, der sich ihnen nun auch sichtbar gezeigt hat, fest anhangen. (23) Dieses schwache, irdische Bild zeigt euch Meine Tat an; denn
die Einkerkerung ist die materielle Schöpfung. Jedoch müsst ihr zum Verständnis des Weiteren
eure seelischen Empfindungen erregen, da der menschliche Verstand zum Begreifen zu kurz ist.
(24) Eine Seele ist zusammengesetzt aus zahllosen Partikeln, deren jedes einer Mir entstammenden Idee entspricht, und kann, wenn sie einmal sich zusammengefunden hat, nicht mehr anders
werden, als sie ist, weil sie sodann dem Charakter entspricht, den sie erhalten hat. Ein Kristall,
wenn auskristallisiert, kann in seiner Wesenheit nicht mehr geändert werden und kristallisiert
entweder als Rhomboeder oder Hexaeder, Oktaeder usw., je nachdem, welche Form seinem Charakter, das heißt der Anhäufung der Partikel um seinen Lebensmittelpunkt, entspricht. (25) Soll
da nun eine Änderung geschaffen werden, weil die Kristalle nicht ganz rein ausgefallen sind, so
müssen dieselben durch Wärme (Liebe)aufgelöst werden, um sodann beim Erkalten des warmen
Liebewassers, das gleichbedeutend ist dem Freigeben ihres Willens, von neuem auszukristallisieren. Nun bilden sich wieder neue, schöne Kristalle, und jeder vorsichtige Chemiker wird es verstehen, möglichst schöne, klare und große Kristalle zu erzielen, die seinen Zwecken entsprechen.
(26) Seht, so ein Chemiker bin Ich! Ich löste die unrein gewordenen Kristalle (Luzifer und seinen
Anhang) auf in dem warmen Liebewasser und ließ diese Seelen nun wieder neu auskristallisieren,
damit sie klar würden. Daß das durch Aufsteigen durch das Mineralreich und Pflanzenreich bis
zum Menschen geschieht, ist euch bekannt. Da die Seele des Luzifer jedoch die gesamte materielle
Schöpfung umschließt, so muß auch diese sich in der Form des Menschen ausdrücken. So vereinen
sich auch stets alle Geistervereine in einer Person, die durch den Leiter dieses Vereins ausgedrückt
wird, und bilden das, was man dessen Sphäre nennt. Ähnliches, welches dieses klar ausdrückt,
gibt es im Materiellen nicht, daher sagte Ich: Öffnet eure seelischen Empfindungen!« (Gr. Ev. Joh.
11, 17)
Hierzu Swedenborg:
»Alles, was erschaffen ist, stellt in einem gewissen Bild den Menschen dar.« (Göttliche Liebe und
Weisheit 61)
In den Texten des Gr. Ev. Joh. Band 11, Verse 11 – 26 geht es um die Seele Luzifers als Grundlage für die Bildung der Materie. Außerdem wird gesagt, daß Satan und Teufel gerichtete
Weltmaterie aller Art und Gattung sei. Dazu einen weiteren Text:
(1) (Der Herr): »Ich Selbst habe Meinen ersten Jüngern einmal den Satan in einem entsprechenden
Bilde auftreten lassen, und sie entsetzten sich gewaltigst vor demselben. Desgleichen geschah
auch zu öfteren Malen bei den Altvätern dieser Erde (Siehe Lorber, Jakob: Die Haushaltung Gottes,
3 Bände); doch damals ward keine Erklärung darum wörtlich hingesetzt, weil die Alten, aus dem
Geiste Weise, die bildliche Darstellung auf dem Wege der inneren Entsprechungen wohl verstanden und darum auch sagten: erschrecklich ist es, in die Gerichtshände Gottes zu fallen, das heißt:
erschrecklich ist es für eine Seele, die schon einmal zum vollen Selbstbewußtsein gelangt ist, sich
248
Peter Keune
wieder von dem nie wandelbaren Gerichtsmuß des göttlichen Willens, in der Materie gefangen
nehmen zu lassen.« (Gr. Ev. Joh. 8, 35)
und folgend noch:
(21) »Aber einen gewissen persönlichen Ursatan und persönliche Urteufel hat es in der Wirklichkeit niemals woanders gegeben als nur in der gerichteten Weltmaterie aller Art und Gattung. Daß
aber der Satan und die Teufel von den alten Weisen unter derlei Schreckensbildern dargestellt
wurden, hat den Grund darin, damit die Seele unter allerlei argen Formen sich einen Begriff
bilde, welch eine Not ein freies Leben zu erleiden hat, so es sich wieder von dem Gerichte der Materie gefangen nehmen läßt.« (Gr. Ev. Joh. 8, 34, 21)
Wir müssen wieder die Lösung in den einzelnen Begriffen suchen.
Die sieben urgeschaffenen »Geister Gottes«, sind nicht als unabhängige Wesenheiten anzusehen, sondern, wie schon ausgeführt, als Kräfte und Eigenschaften des göttlichen Wesens zu
begreifen. Dies bezieht sich besonders auf die Aussage hinsichtlich Luzifers, daß er der erstgeschaffene und höchste Geist aus den sieben war, aber ganz gefallen ist, während jene anderen sechs nicht gefallen sind. Der erstgeschaffene Geist aus dieser Reihe war die Liebe, nach
dieser kamen die Weisheit, Wille, Ordnung, Ernst, Geduld und die Barmherzigkeit. Da die Liebe
sich in die Eigenliebe verkehrt hatte, ist unter Luzifer hauptsächlich die personifizierte Eigenliebe des Menschen mit all’ ihren Folgen zu verstehen. Dies wird aus einer weiteren Stelle
des Gr. Ev. Joh. klar:
(1) »Die urgeschaffenen großen Geister sind ja eben die Gedanken in Gott und die aus ihnen hervorgehenden Ideen. Unter der mystischen Zahl Sieben wird verstanden das vollkommen ursprünglich Göttliche und Gottähnliche in jedem von Ihm ausgehenden
Gedanken und in jeder von Ihm gefassten und wie aus Sich hinaus gestellten Idee.« (Gr.
Ev. Joh. 7, 18)
Wie schon gesagt können die Gedanken und Ideen Gottes durchaus personifiziert dargestellt
werden. Dies geschieht vor allem, um dem Menschen Vorgänge in Gott anschaulich vor Augen zu stellen.
Will Gott nun ein Gegenüber schaffen und immer vollkommener gestalten, müssen Seine
Ideen, sobald sie aus dem göttlichen Sein treten, ihr Eigenleben antreten können. In der weiteren Folge müssen die sieben Eigenschaften Gottes in den Geschöpfen untereinander, aber
auch in jedem Einzelnen, in eine gerechte Ausgewogenheit kommen, damit sie sich der Vollkommenheit Gottes mehr und mehr annähern. Der Weg dahin wäre vergleichbar mit dem Bild
der kleinen Kinder, die Laufen lernen und nicht weiter auf die Richtung achten. Später wollen
sie ihre eigenen Wege gehen, obwohl sie dafür noch keine ausreichenden Fähigkeiten besitzen. Diese Ausflüge würden schlecht enden, wenn die heranwachsenden Fähigkeiten nicht
bis zur Zeit ihrer Reife in den Gewahrsam des Willens der Eltern gebracht würden. – Die göttlichen Kräfte sind ihrem Wesen nach in noch höherem Maße vollste Freiheit und gehen bei
ihrer »Herausstellung« ihrem zunehmend eigenständiger werdenden Wesen gemäß in eine
große Tätigkeit über. Die Art der Tätigkeit kann zu dem Endzweck, dem großen Plan Gottes,
mehr oder weniger hinführen, d. h. in der Ordnung oder auch außerhalb der Ordnung Gottes
liegen. Wir sehen, wie schwer sich diese Gestaltungskräfte der geistigen Urschöpfung beschreiben lassen. Luzifer ist auf jeden Fall ein Bild für die Entfernung und Trennung der Urschöpfung von Gott (bis hin zur Materiebildung), allerdings nicht im Sinne einer bewussten
und frei handelnden eigenständigen Persönlichkeit, sondern entsprechend dem Bilde eines
unmündigen Kindes, welches, durch jede Entwicklungsstufe genötigt, sich von den Eltern
weiter entfernt.
Wäre Luzifer, falls er wirklich eine absolute Entscheidungsfreiheit gehabt hätte, wie es einige
Texte, besonders in der Schrift »Erde und Mond« (Jakob Lorber) vorgeben, nicht gefallen, sondern den Geboten Gottes treu gefolgt, dann wäre logischerweise auch niemals eine Materie
Die Sache mit Luzifer
249
entstanden. Das hieße aber auch, daß der Herr keine von Sich wie abgetrennte selbständige
Wesen hätte erschaffen können – oder Er hätte einen anderen Weg dafür einschlagen müssen,
der zu dem gleichen Ergebnis der zunehmenden Abtrennung Seiner Gedanken und Ideen von
sich geführt haben müßte. Denn diese für den angestrebten Endzweck (»einen Himmel aus
dem menschlichen Geschlecht«) absolute Notwendigkeit eines freien geschöpflichen Willens
und damit der scheinbaren Unabhängigkeit der Geschöpfe von Gott, kann nach Aussagen des
Herrn nur auf diesem Wege erreicht werden. Daraus kann man bereits folgern, daß der Fall
Luzifers anders beurteilt werden muß, als beispielsweise der Fall Adams. Dazu der Herr im
Gr. Ev. Joh. Band 2:
(1) »Der Fall der erstgeschaffenen Geister oder der freien und belebten Ideen Gottes im endlosen
Raume ist die große Scheidung, von der Moses sagt: ›Da schied Gott das Licht von der Finsternis!‹
Wie aber solches zu verstehen ist im wahren Sinne der rechten und vollrichtigen Entsprechung,
habe Ich euch allen bereits zur Genüge gezeigt; der Erfolg davon – die notwendige materielle
Welt, deren große und kleine Teile als Sonnen, Erden und Monde und alles, was in und auf denselben – ist durch den endlosen Raum ausgestreut. (2) Was aber da betrifft den ›Fall Adams‹, so hat
solcher schon freilich mehr Objektivität als der sogenannte ›Fall der Engel‹, ist aber dabei
in der Entsprechung dennoch homogen dem Falle der Engel; nur kommt bei ihm schon wirklich
ein positives Gesetz zum Vorscheine, während es sich bei dem Falle der Engel noch lange um
kein solches Gesetz handeln konnte, weil damals erst mit der großen Entwicklung der frei zu
machenden Wesen der Anfang gemacht ward und sonach außer Gott noch keine solche Intelligenz
dastand, der man irgendein positives Gesetz hätte geben können. (3) Darum geschah unter dem
sogenannten ›Falle der Geister‹ auch eine notwendige und genötigte (!)98 Scheidung, während die
adamitische, als schon von ihm selbst ausgehend, eine freie war und sonach keine Nötigung,
sondern ein freier Akt des schon in allen seelischen Sphären freien ersten Fleischmenschen. Im
Ganzen ist sie aber dennoch auch ein vorhergesehener Aktus aus der geheimen Ordnung Gottes,
die zwar nie als eine absolute Nötigung, aber dennoch als eine Zulassung unter ›du sollst‹ und ›du
sollst nicht‹ dem freien Willen des Menschen wegen seiner aus der eigenen Tätigkeit zu gewinnenden Konsolidierung gegeben wird.« (Gr. Ev. Joh. 2, 224)
Sicher wichtig für unser Thema ist bei diesem Text die Aussage:
»Was aber da betrifft den ›Fall Adams‹, so hat solcher schon freilich mehr Objektivität als
der sogenannte ›Fall der Engel‹, ist aber dabei in der Entsprechung dennoch homogen dem
Falle der Engel«. Und weiter:
(4) »Es ist da ein Unterschied wie zwischen einem Kindmenschen, der seine eigenen Füße noch
nicht gebrauchen kann und daher von einem Orte zum andern hingetragen werden muß, und einem gesunden Manne, der schon lange oft nur schon zu gut und zu fest gehen kann.« (Gr. Ev. Joh. 2,
224)
Während der diesirdische Mensch als Endprodukt zahlloser Entwicklungsperioden erstmals
das ist, was Gott als vollkommen freies »Du« bezeichnet, welches Gott wie außerhalb von sich
erschauen kann, ist Luzifer am Anfang dieses Prozesses stehend, keineswegs das, was wir
uns im herkömmlichen Sinne unter einer »Person« vorstellen. Vielmehr handelt es sich in
dieser Phase noch um unmittelbare göttliche Schöpferkraft, die herausgestellt, sich von ihrem
Urgrund schrittweise trennt, um zu einer Grundlage für eine eigene (später materielle) und in
der Folge sich selbst bewußte geistige Schöpfung (homo maximus) zu werden99.
Diese geschilderte Geisteskraft der Urschöpfung wurde in endlos langen Zeiträumen auf den
Endzweck hin ausgerichtet und schließlich als Materie fixiert. Wir denken daran, daß ein
Fünkchen der alles umfassenden Kraft Gottes – auch Gottesfunke genannt, - sogar einen ma98
99
Man sollte diesen Hinweis sehr beachten, da hier von einem böswilligen Fall Luzifers nicht gesprochen
werden kann.
Hildegard v. Bingen läßt in ihrem Mysterienspiel »Ordo virtutum« – das Spiel der Kräfte, alle dem
Menschen innwohnenden Tugenden – auch den Gegenspieler Luzifer – als jeweilige Personen auf der
Bühne agieren.
250
Peter Keune
teriellen Fixpunkt (Nervenknoten) in unserem Körper besitzt, von dem ausgehend, das Leben
den ganzen Menschen durchpulst. Dieser Punkt liegt im materiellen Herzen und ist das sogenannte bejahende Lebenskämmerchen. Gleich daneben liegt das verneinende Kämmerchen als
notwendiger Gegenpol. Im Großen finden wir als bejahende Geisteskraft das Kraftfeuer Gottes
und dieses muß sich das entsprechende Aufnahmegefäß schaffen. Für die Bildung solcher
Wesen, die Kinder Gottes werden sollen, bedurfte es eines solchen Punktes in der Schöpfung.
Ursprünglich in der Urzentralsonne Urka (Regulus) angesiedelt, wurde dieser Kulminationspunkt an den Standort unserer heutigen Erde getrieben, die wiederum Schauplatz des Ungehorsams und Falls wurde. Ist diese Erde deshalb an sich schlecht und böse? Hierzu der Herr:
(6) »Siehe, was der endlose Raum als eine Materie in sich hat, das ist gerichtet und dadurch gefestet durch die Macht des ›Willens Gottes‹! Wenn es nicht also wäre, da befände sich keine Sonne,
kein Mond, keine Erde und gar keine Kreatur im ganzen endlosesten Raume; nur Gott allein bestünde in der Anschauung Seiner großen Gedanken und Ideen. (7) Gott aber hat schon von Ewigkeit her Seine Gedanken wie gleichsam aus Sich hinaus gestellt und sie verkörpert durch Seinen
allmächtigen Willen. Diese verkörperten Gedanken und Ideen Gottes aber sind dennoch keine so ganz eigentlichen Körper, sondern sie sind gerichtetes Geistiges und Gefäße zur Ausreifung für ein selbständiges Sein. Es sind das sonach Geschöpfe, bestimmt, wie aus sich und aus
eigener Kraft neben Mir, dem ihnen sichtbaren Schöpfer, für ewig fortzubestehen. (8) Alle Kreatur
als ein gerichtetes Geistiges ist gegen das schon Rein- und Freigeistige noch unrein, unreif, daher
noch nicht gut, und kann dem reingeistig Guten gegenüber als an und für sich noch schlecht und
böse angesehen werden. (9) Verstehe sonach unter ›Satan‹ im allgemeinen die ganze materielle
Schöpfung und unter ›Teufel‹ das getrennte Spezielle derselben. (10) Wenn ein Mensch auf dieser
Welt nach dem erkannten Willen Gottes lebt, so erhebt er sich dadurch aus der geschöpflichen Gefangenheit und geht in die ungeschöpfliche Freiheit Gottes über. (11) Ein Mensch aber, der an einen Gott nicht glauben und darum auch nicht handeln will nach dessen den Menschen
geoffenbarten Willen, versenkt sich dann stets mehr und mehr und tiefer und tiefer in das geschaffene Materielle und wird geistig unrein, schlecht und gerichtet böse und somit ein Teufel;
denn alles pur Geschaffene und Gerichtete ist, wie schon gezeigt, dem ungeschaffenen Rein- und
Freigeistigen gegenüber unrein, schlecht und böse, nicht aber etwa darum, als hätte Gott aus Sich
je etwas Unreines, Schlechtes und Böses erschaffen können, sondern nur in und für sich darum,
weil es erstens des Daseins wegen notwendig ein Geschaffenes sein muß, begabt mit Intelligenz
und Tatkraft, und im Menschen auch mit freiem Willen, und zweitens, weil es in sich das geschaffen Gegebene, um zur möglichen Selbständigkeit zu gelangen, selbsttätig zu verwenden und wie in
sein Eigentümliches zu verkehren hat. (12) Vor Gott aber gibt es nichts Unreines, nichts Schlechtes und nichts Böses; denn Dem Reinen ist alles rein, und alles ist gut, was Gott geschaffen hat,
und Gott gegenüber gibt es denn auch keinen Satan, keinen Teufel und somit auch keine Hölle.
Nur das Geschaffene in und für sich ist alles das so lange, als es ein Geschaffenes und Gerichtetes
zu verbleiben hat und endlich im Besitze des freien Willens, ob gut oder böse, verbleiben will.«
(Gr. Ev. Joh. 8, 34)
Beachten wir in der folgenden Betrachtung was bei Lorber unter Materie und Vernichtung des
Bösen verstanden wird. Der Herr:
»Ich, als ein Gott von Ewigkeit, könnte freilich wohl mit Meinem Willen die Hölle, aber auch mit
ihr die ganze Schöpfung zunichte machen. Was aber dann? Etwa eine neue Schöpfung beginnen?
Ja, ja, das ginge schon; aber eine neue Schöpfung von materiellen Welten ist in keiner anderen
Ordnung denkbar, als die gegenwärtige da ist, weil die Materie das gefestete und notwendig
gerichtete Medium ist, durch das ein Mir in allem ähnlich werden sollendes Wesen100 von
Mir ganz abgelöst, die Willensfreiheitsprobe durchmachen muß, um zur wahren Lebensselbständigkeit zu gelangen.« (Gr. Ev. Joh. Band 6, 239, 2)
»Alles, was Welt und Materie heißt, ist ein Verkehrtes, der wahren, geistigen Ordnung aus Gott
stets und notwendig Widerstrebendes, weil es ursprünglich als eine Gegenreizung zum Erwec-
100
Anm: der Ausdruck »Wesen« bezieht sich nicht auf Luzifer, sondern allgemein auf die Wesen, welche
»außerhalb« von Gott gestellt wurden.
Die Sache mit Luzifer
251
ken des freien Willens in der belebten, und als Selbstwesen aus Gott hinausgestellten und wohlgeformten Idee in sie gelegt werden mußte.« (Gr. Ev. Joh. 4, 104, 2)
Aus diesen beiden Zitaten kann man unschwer die Notwendigkeit einer Materie in der Schöpfungsordnung ersehen. Ob Materie nur in dieser, oder in allen Schöpfungsperioden Voraussetzung ist, kann nur Gott wissen. Die Notwendigkeit der Materie für die Bildung eines »Du« in
jeder der unendlich vielen Schöpfungen Gottes würde demnach bedeuten, daß es in jeder
Schöpfungsperiode einen neuen Fall Luzifers gegeben hätte! Da letzteres aber so nicht anzunehmen ist, muß man den gegenwärtigen Fall – wie schon gesagt – als ein vor Augen gestelltes Entsprechungsbild sehen. Diese Annahme würde auch die Differenzen innerhalb des
Lorberwerkes erklären und darüber hinaus die Aussagen Swedenborgs in das Gesamtbild
einfügen. Bei Swedenborg werden unter »Luzifer« vor allem diejenigen Menschen verstanden,
die ihre Herrschaftsgebiete »bis in den Himmel« ausdehnen. Es sind die Priester und Lehrer
der Völker, die zuerst das göttliche Wort aufnehmen (daher auch Lichtträger), das Wahre und
Gute der Kirche dann jedoch um ihrer Herrschaft und ihres Vorteils willen verdrehen und
verfälschen. Hierzu wieder ein Zitat Swedenborg:
»Man hat bisher in der Welt geglaubt, es gäbe einen bestimmten Teufel, der die Höllen beherrsche,
und dieser sei als Engel des Lichtes erschaffen, nachdem er aber ein Empörer geworden, mit seiner Rotte in die Hölle hinab gestoßen worden; daß man so glaubt, kam daher, daß im Wort ein
Teufel und Satan und auch ein Lichtbringer (Luzifer) genannt wird, und das Wort hier nach Seinem Buchstabensinn verstanden wurde, während doch unter dem Teufel und Satan dort die
Hölle verstanden wird, unter dem Teufel diejenige Hölle, welche nach hinten zu liegt, und wo die
Schlimmsten sind, welche böse Engel genannt werden; und unter dem Satan diejenige Hölle, welche vorne ist, wo nicht so Bösartige sind, welche böse Geister genannt werden; und unter Luzifer
werden diejenigen verstanden, die aus Babel oder Babylonien sind, solche nämlich, welche ihre
Herrschgebiete bis in den Himmel ausdehnen.« (Himmel und Hölle 543, 544)
Wie wir sehen, bezieht sich Swedenborg immer auf die seelisch-geistigen Zustände der Menschen, oder die Entwicklungszustände der Kirche.
Lorber gebraucht hinsichtlich der Materie noch einen weiteren Entsprechungssinn. Danach ist
die Materie Lichtträger. D. h. das materielle Äußere, die Hülle, »trägt« (in sich) die innewohnenden also eingeschlossenen Seelenkräfte (Licht). Die Materie als Prinzip der Trennung
geistiger Potenzen vom göttlichen Ursprung hat demnach die Funktion, Umhüllung oder Umhülsung zu sein. Die innewohnenden Seelenkräfte des Menschen sollen sich zum Geistigen
hin entwickeln. Die materielle Umhüllung der Naturwelt ist also nur Mittel zum Zweck und
darf nicht zum Selbstzweck werden. In der Weltliebe nämlich wird die zur Ausreifung des
geistigen Lebens so notwendige materielle »Außenhaut« zum Fallstrick und entpuppt sich als
»Satana«. Dazu noch folgende Ausführung, wo der Herr über Seine Versuchungen in der Wüste (Siehe Matth. 4, 1-11) berichtet:
(7) Sagte Ich: »Es gibt zwar keine urgeschaffenen Erzteufel in der Art, wie ihr euch dieselben vorstellet, - aber dennoch ist alles der Materiewelt in seinem Urelement ebensoviel
wie ein urgeschaffener Erzteufel101, und ist darum eines, ob man da sagt, man werde von
der Welt oder von den materiellen Gelüsten des Fleisches versucht, oder man werde von
dem und jenem Erzteufel versucht; und wer sich von der Welt und seinem Fleische zu
sehr gefangen nehmen läßt, dessen Seele ist dann auch ein persönlicher Teufel und lebt
im steten Vereine mit den argen, noch unausgegorenen Materiegeistern nach dem Tode
des Leibes fort, und ihr Streben ist fortan gleich wie ihre Liebe ein böses, und sie sucht
denn auch fort, ihre arge Liebe zu befriedigen.« (Gr. Joh. Ev. 9; 134)
Der manchmal geäußerte Hinweis in der Neuoffenbarung, daß der Geist Luzifers in unserer
Erde inkarniert sei, bedarf einer gesonderten Erläuterung. Hierzu möchte ich abschließend
noch einige Worte aus meinem Verständnis sagen:
101
Hier wird der Begriff nicht im Sinne eines geschaffenen persönlichen Wesens gebraucht.
252
Peter Keune
Die Kernaussage zu diesem Thema findet sich in den Offenbarungen des Johannes, der schildert, daß Luzifer von Michael aus dem Himmel auf die Erde geworfen wurde (Offb. Joh. 12,7).
Was soll durch diese Entsprechung ausgedrückt werden? Wir müssen – wie schon mehrfach
gesagt – den Begriff »Geist« von dem Begriff »Person« (im gebräuchlichen Sinn) trennen. Kein
Mensch würde unter den Worten »Der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann,
denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht« (Joh. 14, 17) einen persönlichen Geist in Menschenform verstehen, der uns nur unsichtbar ist, solange wir weltlich sind. Dies bezieht sich
in gleicher Weise auf den »Geist der Lüge«, die Gegenkraft Gottes (wie Licht und Finsternis).
Nur ist der Geist der Lüge eine notwendige Unterscheidung vom Geist der Wahrheit, wodurch
sich der Mensch orientieren lernt. Dazu auch wieder aus dem Gr. Ev. Joh.:
(1) Sage Ich: »… im übrigen dürfen dir die Gegensätze, als das sind Geist und Materie, Leben und
Tod, Liebe und Haß, Wahrheit und Lüge, doch schon einen kleinen Fingerzeig geben, daß alles das
irgendeinen Entstehungsgrund haben muß, ansonst es nimmer in irgendeine fühlbare Erscheinlichkeit kommen könnte! (2) Wenn das Böse nicht irgendeinen Entstehungsgrund hätte, woher
sollte es dann wohl kommen in den Sinn der Menschen? Du wirst daraus etwa doch bei deiner geübten Denkkraft wahrzunehmen anfangen, daß sich alles – wie: Wahrheit und Lüge und dergleichen Gegensätze mehr – dem höchsten und besten Gottwesen nicht in die Schuhe schieben läßt! (3)
Oder kannst du das annehmen, daß Gott als die höchste tiefste Wahrheit Selbst, dem Menschen einen lügenhaften Sinn ins Herz gelegt hat, auf daß er dann sündige wider die Ordnung Gottes und
unflätig würde in allen seinen Reden und Handlungen? Oh, das sei ferne! Gott schuf den Menschen
geistig nach Seinem Ebenmaße, also rein, wahrhaft und gut. (4) Da der geistige Mensch aber
auch zu seiner ferneren Existenz bedinglich den Weg des Fleisches durchzumachen bekam, so mußte er dieses aus der Materie der Erde entlehnen nach der Anordnung des allerhöchsten Geistes Gottes; und in das Fleisch ist für den Geist des Menschen ein denselben probendes
Gegengewicht gelegt und heißet Versuchung! (5) Diese rastet aber nicht nur im Fleische des Menschen, sondern in aller Materie; und weil die Materie das nicht ist, als was sie dir erscheint, so ist
sie dem sich selbst probenden Menschen gegenüber Lüge und Trug, also ein Scheingeist, der da
ist und nicht ist. Er ist da, weil die verlockende Materie da ist fürs Fleisch des Menschen; er ist
aber auch nicht da, weil die Materie nicht ist, was sie zu sein schein.« (Gr. Ev. Joh. 5, 70)
Nach verschiedenen Darstellungen in der Neuoffenbarung ist kein Planet so tief »gefallen« wie
gerade der unsrige. Dies hätte natürlich einen plausiblen Grund darin, daß Luzifer doch hier
inkarniert sei. Aber man kann auch noch eine andere Betrachtung heranziehen.
Nach Aussagen des Herrn liegt es in Seiner Absicht, nicht nur Geschöpfe, sondern auch Kinder Seiner Liebe heranzuziehen. Diese letzteren müßten, wenn das Ziel erreicht werden soll,
einmal die höchste Gotteskraft in sich tragen. Eine solche Festigkeit in den bekannten sieben
Eigenschaften Gottes 102 kann aber nur dadurch erreicht werden, indem auch das entsprechende Gegenteil, nämlich die größtmögliche Abkehr von Gott, prinzipiell möglich ist, damit der
Mensch in absoluter geistiger Willensfreiheit verbleiben kann. Zu diesem Zweck müssen die
Reize zur Widerordnung entsprechend stark einwirken. Zweitens wollte der Herr Selbst in
dieser Schöpfungsperiode Mensch auf dieser Erde werden, die darum auch einen entsprechend starken Gegenpol bilden muß.
In Erde und Mond wird gesagt, daß der »böseste Geist« so böse ist, daß man, wenn man nur ein
Geringes davon vernehme, tot umfallen würde. Dieser Geist sei im Mittelpunkt dieser Erde
gefangen und äußere sich in einem alles verzehrenden großen Feuermeer. Außerdem würde
dieser Geist dann am Ende der Zeiten im Zornfeuer Gottes verbrannt und der Rest als Schlacke wieder für eine neue Schöpfung verwendet. Es klingt an dieser Stelle so, als wenn hier nun
von einem wirklichen Geist die Rede ist, der als solcher real existiert und Luzifer heißt.
102
Liebe, Weisheit, Wille, Ordnung, Ernst, Geduld, Barmherzigkeit.
Die Sache mit Luzifer
253
Eine mögliche Erklärung dazu: Alle Menschen gehen nach ihrem Tod als Geistwesen den Weg
ihrer Liebe. So sind noch stark erdgebundene Geister wirklich auf der Erdoberfläche103, und
entwickeln sich erst allmählich weiter. Die echt satanischen Menschengeister gehen gemäß
ihrer Neigung zu ihresgleichen sogar bis zum tiefsten Punkt der Erdmaterie, wo sie hausen
und rebellieren und zerstören wollen. Sie werden von ihrer bösen Liebe dorthin gezogen. Sie
bilden dort geistig-höllische Sphären, die mit dem Erdmittelpunkt in direkter Korrespondenz
(in Entsprechung) stehen. Ähnlich wie in den Himmeln, bilden auch die gleichgesinnten Höllen ganze Sphären, die nach außen wie ein Mensch erscheinen. Hierzu Swedenborg:
»Die Gesamtgestalt der Hölle wurde mir nicht zu sehen gegeben, mir wurde nur gesagt, ebenso
wie der Himmel in seinem Gesamtumfang einen einzigen Menschen darstelle, so forme auch die
Hölle in ihrem Gesamtumfang einen Teufel, und könne daher auch wirklich im Bilde eines
Teufels dargestellt werden.« (Himmel und Hölle, Nr. 415)
»Wie groß die Zahl der Höllen ist, ward mir auch dadurch zu wissen gegeben, daß Höllen unter
jeglichem Berg, Hügel und Felsen, und auch unter jeder Ebene und jedem Tal sind, und daß sie unter diesen sich in der Länge und Breite und Tiefe ausdehnen. Mit einem Wort, der ganze Himmel
und die ganze Geisterwelt104 sind gleichsam unterhöhlt.« (Himmel und Hölle, Nr. 558)
»Ohne Entsprechung mit dem Größten Menschen (homo maximus) entsteht und besteht gar nichts.
… selbst die Gestirne entsprechen; es sind die Gesellschaften des Himmels und ihre Wohnungen,
mit welchen eine Entsprechung der Gestirne stattfindet – nicht als ob jene sich dort befinden, sondern weil sie in solcher Ordnung sind.«105 (Himmel und Hölle, Nr. 112)
Abschließende Bemerkungen
»Begründe dich in nichts, denn in der Liebe« (Der Herr durch Jakob Lorber)
Es bleibt jedem freigestellt, auf der Grundlage meiner Ausführungen, das Problem »Luzifer«
neu zu überdenken und eigene Schlüsse zu ziehen. Manche Stellen werden vielleicht dadurch
verständlicher, andere möglicherweise auch komplizierter. Man sollte aber bei allem bedenken, daß es sich bei diesen Schilderungen um göttliche Schaffenszustände handelt, die unseren Vorstellungen nur angenähert werden können. Sehr wichtig ist es mir auch aufzuzeigen,
daß das göttliche Wort immer in tiefgeistigen Entsprechungen geschrieben wird, also auch das
Lorberwerk, so einfach es sich dem Wortsinn nach gibt. Mit einem gewissen Hintergrundwissen über Erscheinlichkeiten, Vorbildungen und Entsprechungen wird man die Neuoffenbarung
mit noch größerem Erkenntnisgewinn lesen und scheinbare »Unverträglichkeiten« zwischen
den beiden Großsehern Swedenborg und Lorber nicht vorschnell verurteilen, sondern die
Brücke suchen, die beide verbindet.
Auf jeden Fall würde es mich freuen, wenn ich mit dieser Broschüre zum Verständnis der
Lehren des Herrn durch die beiden Großseher beitragen könnte. Vor allen Dingen liegt mir
am Herzen, daß sich die scheinbaren Differenzen auflösen mögen und statt dessen in einen
sich ergänzenden Zusammenhang fügen. Wichtig wäre es, wenn die verantwortlichen Interpreten der Neuoffenbarung im Umgang mit dem Begriff »Luzifer«, wie auch mit anderen
scheinbar abweichenden Stellen, bewußt abwägend umgehen würden.
Natürlich könnte man zu unserem Thema viele weitere Stellen aus den Schriften heranziehen, die buchstabenmäßig für oder gegen Luzifer als Person sprechen. Es ist aber nicht Sinn
dieser Schrift, alle vorkommenden Texte anzuführen, sondern es geht darum, das Problem
grundsätzlich zu betrachten und noch stärker als bisher »hinter die Kulissen zu schauen«. Die
»Kulissen« stellen die buchstäblichen Aussagen der Schriften dar, in denen das eigentliche
Geschehen – nämlich die geistige Sinnebene – eingehüllt ist. Das erkennen zu können, ist
103
104
105
Sie sind wohl in der Geistigen Welt, aber nahe ihrer Neigung zur Welt.
Die Materie ist gerichtete und gefestete Seelensubstanz
Gleiches gilt auch für die Höllen
254
Peter Keune
schon hier, aber erst recht in der jenseitigen Welt von großer Bedeutung. Daher sollten wir die
Heilige Schrift, ebenso wie das Lorberwerk, auch unter dem Gesichtspunkt lesen, inwieweit
die dargestellten Begebenheiten Spiegel unseres eigenen Seelenlebens sind. Für diese Betrachtungsweise finden wir bei Swedenborg durch seine Entsprechungslehre den Schlüssel.
Die nachfolgenden Texte, wieder aus dem »Großen Johannesevangelium«, sollen unsere Betrachtungen abschließen:
(1) Sage Ich: »Darum habe Ich euch ja die Beispiele gegeben, damit ihr die nachfolgende Erklärung vom Satan und seinen Engeln leichter zu fassen imstande sein sollet; und also denn vernehmet Mich nun weiter! (2) Daß nach eurer nun gemachten Erfahrung der allerstärkste Riese ohne
einen sehr festen Gegenstützpunkt, den wir eine Gegenkraft oder einen Gegenpol nennen wollen,
nichts zu wirken vermag, das sehet ihr nun ganz gut ein. Das gleiche Verhältnis aber dehnt sich,
wennschon ins endlos Große gehend, bis zum allerhöchsten Gottwesen aus! (3) Wenn der ewige,
allerfreiest weiseste und allmächtige Geist Gottes Sich nicht eben auch schon von Ewigkeit aus Sich heraus einen Gegenpol gesetzt hätte, so wäre es ihm als pur positivem Gott
nie möglich geworden, Sonnen, Welten und all die zahllos vielen Wesen auf ihnen ins
Dasein zu rufen. (4) Wie aber sieht dieser Gottesgegenpol aus, und worin besteht er? Ist
er ein dem positiven, freien Gotteslebens- und Machtpole ganz fremder oder ein in einer
gewissen Hinsicht gleichartiger? Ist er ein Selbstherr, oder hängt er in allen seinen Teilen nur von dem positiven Gottesmachtpole ab? (5) Seht, diese gar wichtigen Fragen werde
Ich euch nun so lichtvoll als möglich beantworten, und ihr werdet dann gleich einsehen, wer der
sogenannte Satan, und wer so ganz eigentlich seine Teufel sind! Und so habet nun acht! (6) Wenn
ein Mensch zum Beispiel etwas darstellen will, so fängt er an zu denken, und es werden eine Menge flüchtige Bilder als einzelne Gedanken sein Gemüt durchstürmen. Wenn sich der Denker eine
längere Zeit mit der Beschauung seiner inneren Geistbilder, die man ›Gedanken‹ nennt, abgibt
und sie auch mehr und mehr festzuhalten beginnt, so wird er bald und leicht gewahr, daß sich einige bessere Gedanken angezogen und gewisserart schon zu einer lichteren Idee verbunden haben.
Solch eine Idee behält dann die Seele wie ein ausgeprägtes Bild festhaftend in ihrem Gedächtnissensorium, und man könnte das eine Grundidee nennen. (7) Nun geht aber der Gedankenflug fort,
gleichwie das Wasser eines Stromes, und unter den vielen vorüberströmenden Gedanken kommt
denn wieder so etwas Gediegeneres, wird von der Grundidee sogleich angezogen und vereint sich
mit derselben, wodurch die Grundidee dann schon heller und noch bestimmter ausgeprägt wird.
(8) Das geht dann eine Zeitlang sogestaltig fort, bis neben der Grundidee sich mehrere nachfolgende, mit der ersten harmonierende Seitenideen gebildet haben und dadurch schon den Begriff
von irgendeiner konkreten Sache oder vorzunehmenden Handlung und deren Erfolgen darstellen.
(9) Ist der Denker einmal zu solch einem gänzlich ausgeprägten, klaren Begriffe gekommen, da
findet er ein Wohlgefallen an ihm und erfaßt und durchdringt ihn sofort mit dem Lebensfeuer
seiner Liebe. Die Liebe erweckt den Willen und die Tatkraft des Denkers, und es wird sodann ungehalten der innere Begriff zur materiellen Verwirklichung erhoben. (10) Nun steht der frühere,
pur geistige Begriff nicht mehr allein nur als ein geistiges Bild in seiner vollen Klarheit im Sensorium der Seele, sondern auch als ein gleichsam gerichtetes festes Ebenmaß des inneren, geistigen Bildes in der materiellen Natur und ist gestellt zur Benutzung dessen, der es früher erdacht
hatte. (11) Die einzelnen Gedanken und Ideen, aus denen dann ein vollständig konkreter Begriff
gebildet ward, sind noch ganz geistiger Art und machen mit dem Geiste einen und denselben Pol
aus, und wir wollen ihn den Haupt- und Lebenspol nennen. (12) Der konkrete, aus vielen verschiedenen Gedanken und Ideen bestehende Gesamtbegriff – wenn auch noch als ein pures, geistiges
Bild in der Seele – ist, weil er schon ein gewisses fixiertes Bestehen hat, nicht mehr dem Hauptpole angehörig, sondern dem Gegenpole, weil er gewisserart so wie ein ausgeschiedenes Ganzes für
sich der Seele gegenüber beschaulich in allen seinen Teilen dasteht und durch die weitere Tätigkeit ganz als materielle Sache hinaus gestellt werden kann und also als ein gerichtetes und fixiertes Ding nicht mehr der Lebenssphäre des Geistes und der Seele angehören kann. – Jetzt höret
Mich nur noch weiter an! (1) … Du, Epiphan, dachtest dir wohl, daß auch eine aus mehreren Einzelgedanken zusammengestellte Idee schon ein begriffsartiges Bild sein und daher wohl auch
dem Gegenpole angehören kann, ja, sogar ein einzelner für und in sich dastehender, ganz ausgeprägter Gedanke! Da hast du ganz recht; wenn so, da ist aber der also fixierte Gedanke und desgleichen eine solche Idee eben keine eigentliche Idee mehr, sondern schon ein für sich dastehender
Einzelbegriff, weil er der Seele gegenüber als ein wohlgeformtes Bild oder als eine schon geordne-
Die Sache mit Luzifer
te Handlung dasteht und daher den Gegenpol zum Pole des Lebens ausmacht. (2) Im ersten (positiven) Pole ist Leben, Tätigkeit und Freiheit, im zweiten (negativen) oder Gegenpole der
Tod, die Trägheit und das Gericht; und seht, darin besteht dann auch die Hölle, der Satan
und die Teufel, - also entsprechende Bezeichnungen eben dessen, was Ich nun als Gegenpol bezeichnete! (3) Seht, die ganze Schöpfung und alles, was ihr mit euren Sinnen nur
immer wahrnehmet, sind fixierte Gedanken, Ideen und Begriffe Gottes, - auch ihr Menschen eurem sinnlichen Leibe nach; und inwieweit die Seele mit dem Leibe durch seinen
Nerven- und Blutäther verbunden ist, ist auch sie im Gerichte und somit im Tode desselben haftend, von dem sie sich aber dadurch, daß sie durch ihren freien Willen nach den
Gesetzen Gottes dem rein Geistigen nachstrebt, befreien und ganz eins werden kann mit
ihrem Geiste aus Gott, wodurch sie sonach als selbsttätig und selbständig von ihrem alten Tode in das freie, ewige Leben übergegangen ist.« (Gr. Ev. Joh. 5, 228/229)
»(14) Der Satan ist die Zusammenfassung des gesamten Materiemußgerichtes, und was
seine Persönlichkeit betrifft, so ist diese an und für sich nirgends da, wohl aber ist sie als
ein Verein aller Art und Gattung von Teufeln nicht nur dieser Erde, sondern aller Welten
im endlosen Schöpfungsraume anzusehen, gleichwie auch nach Meiner euch schon gegebenen Erklärung alle die zahllos vielen Hülsengloben am Ende ihrer gemeinsamen Zusammenfassung einen übergroßen Schöpfungsmenschen darstellen. (15) Im kleineren ist
freilich auch ein Verein aller Teufel eines Weltkörpers ein Satan, und im kleinsten Maße
ein jeder einzelne Teufel für sich. (16) Solange es aber keinen Menschen auf einem Weltkörper gab, gab es auf demselben auch keinen persönlichen Teufel, sondern nur gerichtete und ungegorene Geister in der Materie eines Weltkörpers; zur Materie aber gehört
alles, was ihr mit euren Sinnen wahrnehmet.« (Gr. Ev. Joh. 8, 35)
255
JAKOB LORBER UND ODER EMANUEL SWEDENBORG
Jürgen Kramke – 2001
In dieser Broschur möchte ich mich mit den beiden großen
Geistern Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber
auseinandersetzen. Beide haben dazu beigetragen, daß sich
der geistig-seelische Horizont vieler Menschen auf eine
erhabene Höhe aufschwingen konnte. Beide haben der
Menschheit
das
wunderbare
Werkzeug
der
Entsprechungskunde zur Erschließung der Heiligen Schrift
geschenkt. Beide haben uns in einer vorher nicht gekannten
Art und Weise Einblicke in die diesseitigen und jenseitigen
Welten ermöglicht. Und beide erheben von sich den
Anspruch, daß ihre Schriften göttliche Offenbarungen sind,
die von derselben göttlichen Wahrheit zeugen.
In breiten Kreisen ist eine Einheit der Lehren von
Swedenborg und Lorber umstritten. Diejenigen, welche die
Jürgen Kramke
geb. 1950
Ansicht vertreten, daß Swedenborg und Lorber vollkommen
übereinstimmen, zählen doch mehr zu einer Minderheit, während viele neben den Gemeinsamkeiten auch Unterschiede sehen. Eine weitere Gruppe von Geistesfreunden vertritt die
Ansicht, daß die Schriften von Swedenborg und Lorber unvereinbare Gegensätze darstellen.
Die meisten Lorberfreunde erkennen die Schriften Swedenborgs als göttlich inspiriertes Wort
an. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß der Name Swedenborg
im Lorberwerk mehr als 11 mal Erwähnung findet.
So können wir z. B. in dem Werk »Himmelsgaben«, Band 1, Kapitel 40 lesen:
Er (Swedenborg) ward von Mir erweckt und wurde von Meinen Engeln geführt in alle ihre Weisheit aus Mir, je nach Graden ihrer Liebe. Und was er sagt, ist gut und wahr.
Im gleichen Kapitel steht:
… denn er war einer, der sich aus allem die Quintessenz zu verschaffen wußte und tatsächlich davon den Nutzen zog.
Und in »Himmelsgaben«, Band 2, Kapitel 42 steht geschrieben:
Swedenborg ist wahr und gut, solches kannst du glauben. — Aber solches glaube auch: Die Liebe
ist über alles erhaben und heilig! Wer demnach diese hat, der hat alles; denn er hat wahrhaft Mich
Selbst. Und siehe, das ist mehr denn alle Propheten, alle Apostel samt Petrus, Paulus und Johannes und so auch mehr denn Swedenborg!
Diese mehrfachen positiven Erwähnungen Emanuel Swedenborgs in den Lorberschriften haben zur Folge, daß er von den Lorberfreunden als göttlich inspirierter Schreiber anerkannt
wird. Da sich aber sein Schreibstil wesentlich von dem Jakob Lorbers unterscheidet und oft als
schwierig empfunden wird, neigen viele Lorberfreunde dazu, sich nicht wirklich mit Swedenborg auseinander zusetzen. Es wird dann häufig so argumentiert, daß Swedenborg mehr der
Weisheitssphäre und Lorber mehr der Liebesphäre entstamme, und da in Lorberkreisen die
Meinung vertreten wird, daß die Liebe über die Weisheit steht, werden die Lorberschriften als
höherwertig angesehen.
Bei den reinen Swedenborgianern stellt sich die Situation etwas anders dar. Naturbedingt
konnte Swedenborg in seinen Schriften nicht auf Lorber verweisen, so daß es die Swedenborgianer natürlich wesentlich schwerer haben einen Zugang zu den Lorberschriften zu finden.
Zumal die Auseinandersetzungen neukirchlicher Geistlicher mit dem Lorberschrifttum seit
deren Anfängen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts höchst polemisch und ablehnend
Jakob Lorber und oder Emanuel Swedenborg
257
waren. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Diskussion sachlicher. Jedoch glaubte
man, den geistigen Aussagegehalt des Lorberschrifttums nicht beurteilen zu können; so kam
das eigentlich interessante Gespräch wieder nicht zustande. Hinzu kommt: Wer als Swedenborgianer eine Aufgeschlossenheit oder gar positive Grundeinstellung den Lorberschriften
gegenüber erkennen läßt, setzt sich schnell dem Vorwurf aus, eigentlich ein Lorberianer zu
sein.106
Auch für den Swedenborgianer stellt der Schreibstil im Lorberwerk ein Problem dar. Für jemanden, der es gewöhnt ist, seine geistige Kost in einem emotionsarmen, sachlichen, ja fast
wissenschaftlichen Stil aufzunehmen, ist es natürlich mehr als gewöhnungsbedürftig, den
scheinbar leichten, oft emotionsbeladenen Stil im Lorberwerk zu lesen.
Erschwert wird das Zusammenfinden der Lorber- und Swedenborgfreunde noch dadurch, daß
es scheinbar einige wesentliche Unterschiede in der jeweiligen Kosmologie gibt. Als Beispiel
hierfür möchte ich den Luziferfall anführen.
Für die Kosmologie Lorbers spielt der Fall des Lichtträger Luzifer eine zentrale Rolle. So können wir in »Himmelsgaben«, Band 1, Kapitel 40, lesen:
Seht, was Ich eines einzigen, hochmütigen Engels wegen tue! (gemeint ist Luzifer) — Ich sage euch,
es wäre nie eine Erde, noch eine Sonne, noch irgendetwas anderes Materielles erschaffen worden,
wäre dieser Einzige demütig geblieben. Allein aus Liebe füllte Ich, die Ewige Liebe, die Unendlichkeit mit Sonnen und Welten, um auch den kleinsten Teil dieses Gefallenen noch retten zu können.
Luzifer ist bei Lorber derjenige urgeschaffene Engel, durch dessen Abfall von Gott die Notwendigkeit entstand, die gesamte materielle Schöpfung in das Dasein zu setzen. Ohne Luzifer
würde es keine Sonne, keine Erde und keine Menschen geben. Ohne Luzifer könnte nach
Lorber kein Himmel aus dem Menschengeschlecht entstehen.
Bei Swedenborg hört sich die Sache mit dem Geisterfall ganz anders an, wie wir in seinem
Werk »Himmel und Hölle« nachlesen können:
»In der Christenheit ist völlig unbekannt, daß Himmel und Hölle aus dem menschlichen Geschlecht hervorgegangen sind. Man glaubt allgemein, die Engel seien am Anfang erschaffen worden und daher stamme der Himmel. Der Teufel oder Satan aber sei ein Engel des Lichts gewesen,
sei jedoch, weil er sich empört habe, mit seiner Schar hinabgestoßen worden und daher stamme
die Hölle.
Die Engel wundern sich sehr darüber, daß ein solcher Glaube in der Christenheit herrscht und
wollen daher, daß ich aus ihrem Mund versichere, daß es im ganzen Himmel keinen einzigen Engel gibt, der am Anfang erschaffen worden, noch in der Hölle irgendeinen Teufel, der als Engel des
Lichts erschaffen und später hinabgestoßen worden ist. Vielmehr seien alle im Himmel wie in der
Hölle aus dem menschlichen Geschlecht.« (HH 311 (mit Auslassungen))
Wenn man dieses Zitat auf sich wirken läßt, dann könnte man den Eindruck gewinnen, daß
sich Swedenborg vehement gegen die Existenz eines urgeschaffenen Geist ausspricht.
Auch bei Lorber gibt es Textstellen, die den Eindruck vermitteln, daß es keinen urgeschaffenen
Geist gibt, wie man im »Großen Evangelium Johannis«, Band 7, Kap. 56, nachlesen kann. Dort
heißt es:
Ȇbrigens gab es im wahren Himmel niemals irgendeinen Engel, der nicht zuvor ein Mensch auf
irgendeiner Erde gewesen wäre. Das aber, was ihr euch unter den als reine Geister geschaffenen
Engeln sehr irrig vorstellet, ist nichts als die auswirkenden Kräfte und Mächte Gottes, durch die
Gottes Allgegenwart, in aller Unendlichkeit wirkend, bekundet wird, die sich aber kein Mensch
unter einem Bilde vorstellen soll, weil das Unendliche aus Gott für jedes begrenzte Wesen der
Wahrheit nach unvorstellbar ist, was hoffentlich doch nicht schwer zu begreifen ist.«
106
[Jürgen Kramke zitiert hier – beginnend mit »zumal« – Thomas Noack, Swedenborg und Lorber: Zum
Verhältnis zweier Offenbarungen, 1998, TN]
258
Jürgen Kramke
Eine, so finde ich, verblüffende Ähnlichkeit der beiden Zitate, bezüglich der Aussage über den
gefallenen Engel im Jenseits. Beide sagen fast gleichlautend aus, daß es im ganzen Himmel
keinen einzigen Engel gibt, der vor der Erschaffung der Materie ins Leben gerufen wurde.
Auch in der Hölle gibt es keinen Teufel, der als Engel des Lichts erschaffen und später hinabgestoßen worden ist. Oder wie Swedenborg es ausdrückt, daß es im ganzen Himmel keinen
einzigen Engel gibt, der am Anfang erschaffen worden, noch in der Hölle irgendeinen Teufel,
der als Engel des Lichts erschaffen und später hinabgestoßen worden ist. Vielmehr seien alle
im Himmel wie in der Hölle aus dem menschlichen Geschlecht.
Wenn man sich nun die Swedenborgschen und Lorberschen Aussagen etwas genauer ansieht,
kann man feststellen, daß beide Zitate Entsprechungscharakter haben. Denn in beiden Fällen
wird das Wortpaar »Himmel und Hölle« verwendet. Himmel und Hölle sind aber nun keine
Orte, sondern Zustandsbeschreibungen von Menschen, wie wir in dem Lorberwerk »Geistige
Sonne«, Band 1, Kapitel 39, nachlesen können:
»Ihr müßt euch den Himmel und die Hölle nicht materiell räumlich voneinander entfernt denken,
sondern nur zuständlich. Räumlich können Himmel und Hölle sich also nebeneinander befinden,
wie da ein himmlisch guter Mensch neben einem höllisch bösen einhergehen kann, und kann mit
selbem sogar auf einer Bank sitzen. Der eine hat in sich den vollkommenen Himmel und der andere die vollkommene Hölle. Zum Beweise dessen könnte ich euch augenblicklich in meiner eigenen Sphäre zeigen, daß sich hier ebenso gut der Himmel wie die nun von euch geschaute Hölle
befinden kann; denn ihr schauet ja alles dieses ohnehin nur in meiner Sphäre, und ihr brauchet
nichts als nur einen Schritt aus dieser meiner Sphäre zu tun, und ihr werdet euch wieder auf demselben Punkte befinden, von dem ihr ursprünglich in meine Sphäre getreten seid.«
Auch Swedenborg beschreibt in seinem Werk »Himmel und Hölle«, daß es sich um innere
Zustände und nicht um Orte handelt.
»… da die Räume im Himmel nichts anderes sind, als äußere Zustände, welche den innern entsprechen. Nicht anderswoher kommt es, daß die Himmel von einander geschieden sind, und dann
auch die Gesellschaften in jedem Himmel, und Jeglicher in der Gesellschaft, daher kommt auch,
daß die Himmel von den Höhen völlig abgesondert sind, denn sie sind in entgegengesetztem Zustand.« (HH 191-195)
So gesehen sind die Inhalte der Worte Himmel und Hölle völlig vom Standpunkt des Betrachters abhängig. Für den Außenstehenden erscheinen Himmel und Hölle als Erscheinlichkeiten
eines inneren Zustandes. Für den Betroffenen erscheinen Himmel und Hölle als Örtlichkeit
mit all den Bedingungen, die ein dreidimensionaler Raum bietet.
Nach dieser kurzen Zwischenbemerkung möchte ich nun wieder auf den Luziferfall zurückkommen. Swedenborg schrieb ja, »dass es im ganzen Himmel keinen einzigen Engel gibt, der
am Anfang erschaffen worden, noch in der Hölle irgendeinen Teufel, der als Engel des Lichts
erschaffen und später hinabgestoßen worden ist. Vielmehr seien alle im Himmel wie in der
Hölle aus dem menschlichen Geschlecht.«
Wie ich eben ausgeführt habe, sind, wenn das Wortpaar Himmel und Hölle verwendet wird,
keine Orte, sondern innere Zustände gemeint. Da diese Worte im Zusammenhang mit Engeln
und Teufel verwendet werden, dürfen wir davon ausgehen, dass es sich hierbei um innere
Zustände von jenseitigen Menschen handelt. Um aber diese himmlischen bzw. höllischen
Zustände erleben zu können, muß dieser jenseitige Geist schon einmal einen irdischen,
fleischlichen Körper gehabt haben. Es ist nicht möglich, auf irgendeine andere Art ein Bewohner dieser Art von »Himmel und Hölle« zu werden. Selbst unser Herr mußte als Jesus Christus
diesen Erdenweg gehen, um sich auch in dieser jenseitigen Welt manifestieren zu können.
Aus diesem Blickwinkel gesehen, haben natürlich beide Offenbarer völlig recht, wenn sie
sagen, dass es im wahren Himmel keine am Anfang erschaffenen Geister gibt.
Unter dem wahren Himmel verstehe ich den Zustand, den man nur erreichen kann, wenn
man einerseits diesen Erdenweg gegangen ist und andererseits die Lebensliebe in Resonanz
Jakob Lorber und oder Emanuel Swedenborg
259
mit der Liebe des Herrn steht. Denn nur unser Herr Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit
und das Leben.
Mit anderen Worten, die beiden Zitate beziehen sich ausschließlich auf die Engels- bzw. Höllenwelten, die aus dem menschlichen Geschlecht bevölkert werden und sagen überhaupt
nichts darüber aus, ob es einen Luzifer, der ja mit der geistigen Urschöpfung in Verbindung
gebracht wird, gegeben hat oder nicht.
In der Zeitschrift »Offene Tore« 1/92, erschienen im Swedenborg Verlag, schrieb Pfr. Thomas
Noack zu diesem Thema Folgendes:
»Um es auf den Punkt zu bringen: Swedenborgs Interesse gegenüber der herkömmlichen Engellehre ist anthropologischer 107, Lorbers Interesse hingegen kosmologischer Natur. Das muß man
wissen, um nicht Äpfel mit Birnen vergleichen zu wollen.«
Thomas Noack vertritt die Auffassung, daß die Ablehnung einer geistigen Urschöpfung kein
selbständiges Thema Swedenborgs ist und stellt fest, daß Swedenborgs Thesen immer im
Zusammenhang mit dem menschlich-irdischen Ursprung der anderen Welt stehen.
Als Resümee wagt er die These, dass Swedenborg eine geistige Urschöpfung nur insoweit
ablehnt, als sie einen Widerspruch zu seinem Hauptanliegen darstellt. (OT 1/92 S. 21)
Dies wird durch das folgende Zitat aus den »Offenen Toren« noch einmal verdeutlicht:
»Himmel und Hölle sind aus dem menschlichen Geschlecht. Wollte man ihren Ursprung aus einer
geistigen Urschöpfung ableiten, so wäre das falsch. So gesehen läßt Swedenborg die Existenz einer geistigen Urschöpfung durchaus offen, aber sie darf nicht für den Ursprung von Himmel und
Hölle in Anspruch genommen werden.« (OT 1/92 S. 23)
Wenn wir diesen Gedanken folgen wollen, dann ergibt sich als Konsequenz daraus, daß es
überhaupt nicht Swedenborgs Anliegen war, sich mit der geistigen Schöpfung, die ja vor der
materiellen Schöpfung war, auseinanderzusetzen. Vielmehr ging es ihm darum, den Menschen die inneren und jenseitigen Welten zu erschließen. Eine sicherlich nicht gerade einfache Aufgabe, für die er viele Jahre seinen Lebens verwendet hat.
Ich hoffe, daß meine Ausführungen zum Thema Luzifer deutlich gemacht haben, daß wir bei
der Beurteilung von Unterschieden in der jeweiligen Kosmologie Lorbers und Swedenborgs
sehr vorsichtig sein sollten. Nur weil der Eine bestimmte Dinge nicht erwähnt hat, bedeutet
dies noch lange nicht, daß diese Dinge mit der Kosmologie des Anderen nicht vereinbar sind.
Nur weil ich vielleicht mit dem Sprachstil des Anderen nicht klar komme, müssen dessen
Aussagen nicht falsch sein.
Bevor wir uns nun mit der Frage auseinandersetzen, wie man sich den Beiden annähern
kann, möchte ich mich kurz den Personen Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg zuwenden.
Jakob Lorber, wurde am 22. Juli 1800 in Kanischa (im heutigen Slovenien) geboren und war
bis zu seinem 40ten Lebensjahr ein engagierter Musiker mit dem Nebenberuf des Hauslehrers. In seiner Freizeit interessierte er sich besonders für die Astronomie. Ihm fehlten zwar
die notwendigen mathematischen Kenntnisse, um sich wissenschaftlich mit der Astronomie
auseinandersetzen zu können, trotzdem zog ihn die unendliche Tiefe des gestirnten Himmel
unwiderstehlich an. Um einen besseren Einblick in die Geheimnisse des Weltenraumes zu
erlangen, baute er sich selbst einen großes, ziemlich einfach geratenes, jedoch durchaus
brauchbares Fernrohr, mit dem er, wenn es seine Zeit erlaubte, den gestirnten Nachthimmel
beobachtete.
107
Anthropologie ist die Wissenschaft vom Menschen als Naturwesen.
260
Jürgen Kramke
Kurz bevor er eine Anstellung als Kapellmeister in Triest antreten wollte, bekam er seine
Berufung zum Schreibmedium. Diese Berufung ist in dem Buch »Briefe Jakob Lorbers« von
Karl Gottfried Ritter v. Leitner mit folgenden Worten beschrieben worden:
Lorber hatte am 15. März 1840 um 6 Uhr morgens — so erzählte er nachher seinen Freunden —
gerade sein Morgengebet verrichtet und war im Begriffe, sein Bett zu verlassen, da hörte er links
in seiner Brust, an der Stelle des Herzens, deutlich eine Stimme ertönen, welche ihm zurief »Steh‘
auf nimm deinen Griffel und schreibe!«
Er gehorchte diesem geheimnisvollen Rufe sogleich, nahm die Feder zur Hand und schrieb das
ihm innerlich Vor gesagte Wort für Wort nieder.
Seit jener Zeit wurden Jakob Lorber Wort für Wort die Texte diktiert, die im Laufe der Zeit ein
Volumen von über 25 Bänden ausmachten.
Emanuel Swedenborg, wurde am 29. Januar 1689 in Stockholm geboren und war bis zu seinem 54-ten Lebensjahr ein engagierter Wissenschaftler. Er schulte in dieser Zeit mit großem
Erfolg seinen analytischen Verstand und verfasste in diesem Zeitraum viele Bücher in den
unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen wie z. B. Mathematik, Astronomie, Medizin, Philosophie usw. Im Jahre 1743 eröffnete ihm der Herr während eines Aufenthalts in
London den Blick in die geistige Welt. Während der Nacht hatte er eine Vision, in der ihm ein
Mann erschien. Er selbst beschreibt diesen Vorgang folgendermaßen:
»Der Mann sagte: Er sei Gott, der Herr, der Welt Schöpfer und Erlöser. Und dass Er mich erwählt
habe, den Menschen den geistigen Sinn der heiligen Schrift auszulegen; und dass Er mir selbst
diktieren werde, was ich schreiben soll über diesen Gegenstand. In der nämlichen Nacht wurden
zu meiner Überzeugung die Geisterwelt, die Hölle und der Himmel mir geöffnet, wo ich mehrere
Personen meiner Bekanntschaft aus allen Ständen fand. Von diesem Tag an entsagte ich aller
weltlichen Gelehrsamkeit, und arbeitete nur in geistigen Dingen, gemäß dem, was der Herr mir zu
schreiben befahl. Täglich öffnete mir der Herr in der Folge die Augen meines Geistes, bei völligem
Wachen zu sehen, was in der anderen Welt vorging, und ganz wach mit Engeln und Geistern zu
reden.« (Leben und Lehre, Seite 13)
In dem Buch »Der Geisterseher Swedenborg«, erschienen 1930 im Renatus Verlag (Lorch
Württemberg), werden die Visionen Swedenborgs in drei Arten unterschieden:
Diejenigen, die er hatte, wenn er, von seinem Körper befreit, in einer Art Zwischenzustand zwischen Schlafen und Wachen sich befand; in welchem Zustande er Geister gehört, gesehen, ja sogar
berührt hat. Das ist ihm höchstens viermal begegnet.
Diejenigen, die ihm erschienen, wenn er der Seele nach hinweg geführt wurde, ohne in seinen körperlichen Verrichtungen gestört zu werden. Während eines solchen Zustandes ist er, im Verlauf
von einigen Stunden, an den von einander am entferntesten Stellen im Geiste gewesen. Dies ist
ihm nicht mehr als dreimal begegnet.
Die gewöhnliche Art von Visionen, die er täglich hatte, und aus denen er seine Nachrichten
schöpfte. Jeder Mensch befindet sich, der Behauptung Swedenborgs zufolge, in einer ebenso innigen Verbindung mit der Geisterwelt, nur daß sein Inneres nicht geöffnet ist, welches dagegen bei
Swedenborg der Fall war.
Diese Begegnungen mit der Geisterwelt hat Swedenborg in seinem geistigen Tagebuch aufgeschrieben und als Grundlage für seine religiösen Bücher verwendet. Mit seinem wissenschaftlich geschulten Verstand hat er die Kontakte mit den Geistern in der Geisterwelt analysiert
und seine Erkenntnisse in der damaligen Gelehrtensprache Latein zu Papier gebracht.
Daß Swedenborg seine veröffentlichten Schriften weitgehendst selbst formuliert hat, bestätigt
auch Dr. Friedemann Horn, der Übersetzer vieler Swedenborgbücher aus dem Lateinischen ins
Deutsche und hervorragender Kenner der Swedenborgschen Kosmologie, wenn er in seinem
Nachwort zur »Wahren christlichen Religion« schrieb: Einen weiteren »Schönheitsfehler« dürfte der Leser (der Wahren christlichen Religion) darin erblicken, daß ein Werk wie dieses an
einer Anzahl von Stellen die wissenschaftlichen Vorurteile oder Irrtümer des 18. Jahrhunderts
widerspiegelt. Weiter schreibt Dr. Horn, nach dem er einige Beispiele aufgeführt hat: »Wie dem
Jakob Lorber und oder Emanuel Swedenborg
261
allen aber auch sei, wichtig ist nur, daß wir zu unterscheiden haben zwischen dem, was Swedenborg der ihm zuteil gewordenen göttlichen Offenbarung und Erleuchtung zuschreibt, und
was er selber aus eigenem Wissen und Meinen heraus anführt, um es verständlicher zu machen oder zu ›beweisen‹.« Oetinger hat — nicht zuletzt im Blick auf Swedenborg — den Satz
geprägt: »Das Korn der Göttlichen Offenbarung wächst auf dem Halm der menschlichen Anschauung«. Dies gilt sogar für die biblische Offenbarung, warum nicht auch für Swedenborg,
der ja ganz bewußt hinter derselben zurücksteht?! (Die wahre christliche Religion
S.1012+1013)
Aus diesen kurzen Biographien können wir schon die unterschiedlichen Wege nachempfinden, wie Lorber und Swedenborg ihre Informationen erhalten haben. Jakob Lorber hat seine
Texte direkt diktiert bekommen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Herr durch das Medium Lorber die Informationen nur insoweit fließen lassen konnte, wie das Medium durchlässig
war. Das heißt, auch für Jakob Lorber gilt der Satz Oettingers: »Das Korn der Göttlichen Offenbarung wächst auf dem Halm der menschlichen Anschauung«. Wenn der Herr ein menschliches Werkzeug benutzt um Seine Botschaften der Menschheit mitzuteilen, kann Er
letztendlich nur auf das aufbauen, was in dem jeweiligen Menschen angelegt ist. Er darf selbst
in dieser Situation die Willensfreiheit des Menschen nicht antasten.
Emanuel Swedenborg hingegen musste sich seine Texte aus den Erlebnissen, welche er durch
die Zulassung des Herrn in der jenseitigen Welt hatte, erarbeiten. Seine besondere Begabung
bestand darin, daß er aus all diesen Begegnungen und seinem wissenschaftlichen Wissen die
Quintessenzen zu ziehen wußte. Wie sagte doch der Herr in dem Lorberwerk »Himmelsgaben«,
Band 1:
»… denn er war einer, der sich aus allem die Quintessenz zu verschaffen wußte und tatsächlich
davon den Nutzen zog.«
Diese Fähigkeit Swedenborgs befähigte ihn dazu, im äußeren Wort der Bibel den inneren Sinn
zu entdecken und für seine Leser die Bibel völlig neu aufzuschließen. Emanuel Swedenborg
hat der Menschheit die Entsprechungswissenschaft wiedergeschenkt. Durch ihn ist es wieder
möglich geworden den geistigen Inhalt der offenbarten Schriften zu entdecken.
Im Gegensatz zu Swedenborg, dem es vom Herrn gegeben wurde, für uns einerseits im äußeren Wort der Bibel den inneren Sinn aufzuschlüsseln und andererseits seine Jenseitserfahrungen in einer großartigen Jenseitsschau zusammen zu fassen, besteht die Offenbarung
durch Jakob Lorber in einer historisch, dialogischen und erscheinlichen Darstellungsweise. So
wird die äußere Geschichte der Urkirche (Haushaltung Gottes) und des irdischen Jesus (Jugend Jesu, Großes Evangelium) in wunderbaren Bildern und Geschichten erzählt. In diesem
Sinne beschreiben auch die Jenseitswerke Lorbers die äußerlich erscheinliche Wirklichkeit
des jenseitigen Lebens in Form von Jenseitsbiographien. Fast alle Erkenntnisse und Einsichten werden in einer Dialogform entfaltet. Das heißt, der Leser darf sozusagen als Beobachter
die Dialoge miterleben und kann dann seine Schlüsse aus dem »Gehörten« ziehen.
Swedenborg und Lorber haben also so gesehen eine völlig unterschiedliche Betrachtungsweise
der Realität des Wahren. In den Schriften Lorbers finden wir Beschreibungen und Erlebnisberichte, während Swedenborg dem Leser die Analysen seiner Jenseitserlebnisse mitteilt. Diese
unterschiedliche Herangehensweise an die Wahrheit kann natürlich leicht zu Mißverständnissen führen. Dies gilt es zu beachten, wenn man auf vermeintliche Unterschiede der Beiden
in Bezug auf die Lehre stößt. Wobei festzuhalten ist, daß Swedenborg und Lorber in den fundamentalen Dingen bereits im Buchstabensinn übereinstimmen. So vertreten z. B. beide die
Auffassung, daß Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Bei Swedenborg können wir
dazu in der »Wahren Christlichen Religion« lesen:
262
Jürgen Kramke
Gott ist dem Wesen und der Person nach Einer. In Ihm besteht eine Göttliche Dreieinigkeit, und der
Herr, unser Gott und Heiland Jesus Christus ist der Eine Gott. (WCR 2b)
Bei Lorber können wir in der »Geistigen Sonne«, Band 1, Kapitel 74, lesen:
»Jesus Christus ist der alleinige Gott und Herr aller Himmel und aller Welten! «.
Und im »Großen Evangelium Johannes«, Band 8, Kapitel 26 steht:
»Ich Christus bin der einzige Gott!«.
Noch einmal Swedenborg in »Himmel und Hölle«:
»Das Dreifaltige im Herrn ist das Göttliche selbst, welches der Vater heißt, das GöttlichMenschliche, welches der Sohn, und das ausgehende Göttliche, welches der Heilige Geist (heißt),
und dieses Dreifache Göttliche ist Eines«. (HH 86 und 87)
Und Lorber in der »Haushaltung Gottes«, Band 1, Kapitel 2:
»Ich bin der alleinige, ewige Gott in Meiner dreieinigen Natur als Vater Meinem Göttlichen nach,
als Sohn Meinem vollkommen Menschlichen nach und als Geist allem Leben, Wirken und Erkennen nach.«
Es ließen sich noch viele Beispiele finden, aus denen hervorgeht, dass Emanuel Swedenborg
und Jakob Lorber völlig einer Meinung sind, wenn es darum geht, daß unser Herr und Gott,
Jehova, in Jesus Christus Mensch auf dieser Erde geworden ist.
Es würden sich sicherlich auch noch sehr viele andere Parallelen in den Lehren Lorbers und
Swedenborgs finden lassen, ich möchte mich aber an dieser Stelle auf eine Gemeinsamkeit
konzentrieren, die mir besonders am Herzen liegt. Eine Gemeinsamkeit, die es uns ermöglicht,
unserem favorisierten Autor besser zu verstehen und gleichzeitig einen besseren Zugang zu
dem Autor zu finden, der uns nicht so liegt.
Ich meine damit die Entsprechungswissenschaft. Beide geben dieser Wissenschaft einen außerordentlich hohen Stellenwert. Und beide weisen darauf hin, dass die Lehre der Entsprechung der Schlüssel zum Verständnis des göttlichen Wortes ist. So können wir z. B. bei Lorber
in dem Werk »Das große Evangelium Johannis«, Band 9 im 93. Kapitel Folgendes lesen:
Dort sagt der Herr: »Weil von euch schon vor der babylonischen Gefangenschaft die alte innere
Entsprechungswissenschaft gänzlich gewichen ist; denn diese Wissenschaft ist nur jenen Menschen zugänglich und eigen, die im wahren Glauben und Vertrauen an den einen, wahren Gott
niemals wankend und schwach geworden sind, Ihn allzeit als den Vater über alles liebten und ihre Nächsten wie sich selbst.
Denn die besagte Wissenschaft ist Ja die innere Schrift und Sprache der Seele und des Geistes in
der Seele. Wer diese Sprache verloren hat, der versteht die Schrift unmöglich, und ihre Sprache
kommt ihm in seinem toten Weltlichte wie eine Torheit vor; denn die Lebensverhältnisse des Geistes und der Seele sind ganz anderer Art als die des Leibes.
So ist denn auch das Hören, Sehen, Fühlen, Denken, Reden und die Schrift des Geistes ganz anders
beschaffen als hier unter den Menschen in der Naturwelt, und darum kann das, was ein Geist tut
und spricht, nur auf dem Wege der alten Entsprechungswissenschaft dem Naturmenschen begreiflich gemacht werden.
Haben die Menschen diese Wissenschaft durch ihre eigene Schuld verloren, so haben sie sich
selbst außer Verkehr mit den Geistern aller Regionen und aller Himmel gestellt und können darum das Geistige in der Schrift nicht mehr fassen und begreifen. Sie lesen die geschriebenen Worte
nach dem blind eingelernten Laut des toten Buchstabens und können nicht einmal das begreifen
und dessen innewerden, daß der Buchstabe tot ist und niemanden beleben kann, sondern daß nur
der innerlich verborgene Sinn es ist, der als selbst Leben alles lebendig macht.
Und in der »Haushaltung Gottes« können wir im 3. Band, Kapitel 365, Vers 19 lesen:
Es wäre freilich wohl noch vieles von Noah bis Abraham zu zeigen; aber da davon Moses schon
Ausführlicheres kundgibt und darnach ein jeder, der in der Entsprechungswissenschaft bewandert ist, jede Kleinigkeit finden kann, so sei damit dieses ohnehin sehr gedehnte Werk abgeschlossen!
Jakob Lorber und oder Emanuel Swedenborg
263
Schon aus diesen wenigen Zeilen geht doch recht eindeutig hervor, welch einen großen Stellenwert der Herr bei Lorber auf die Entsprechungswissenschaft legt. Auch in den Schriften
Swedenborgs legt der Herr einen sehr großen Wert auf die Entsprechungswissenschaft wie
man z. B. in der »Wahren Christlichen Religion« nachlesen kann. Dort steht unter anderem:
Für die Menschen der ältesten Zeiten war es eine eigentliche Wissenschaft, ja die Wissenschaft,
und so allgemein bekannt, dass sie all ihre Bücher und Schriften in Entsprechungen schrieben,
(WCR 201, 279, 833, 846). Die vorbildenden Bräuche der Kirche, die in Entsprechungen bestanden, wurden mit der Zeit in Götzendienst und Magie verkehrt. Infolge einer Fügung der Göttlichen
Vorsehung ging deshalb diese Wissenschaft allmählich verloren und geriet beim israelitischen
und jüdischen Volk schließlich ganz in Vergessenheit, (WCR 204). Die Kenntnis der Entsprechungen blieb bei vielen Angehörigen der orientalischen Völker bis zur Ankunft des Herrn erhalten,
(WCR 205). Die Wissenschaft von den Entsprechungen, die uns den geistigen Sinn des Wortes
vermittelt, wurde nach jenen Zeiten deshalb nicht enthüllt, weil die Christen der Urkirche allzu
einfache Menschen waren, als daß dies einen Sinn gehabt hätte, (WCR 206). Wenn nun die Wissenschaft von den Entsprechungen, die uns den geistigen Sinn vermittelt, in diesen Tagen (zu Zeiten Swedenborgs) geoffenbart wird, so deshalb, weil jetzt die Göttlichen Wahrheiten der Kirche
ans Licht gebracht werden, (WCR 207).
Die eben zitierten Texte bestätigen uns noch einmal, daß beide Autoren der Entsprechungswissenschaft einen sehr hohen Stellenwert geben. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich,
wenn man bedenkt, daß der Herr, als Er auf unserer Erde weilte, in Entsprechungen sprach.
Emanuel Swedenborg formulierte dies in der «Wahren Christlichen Religion«, 199 folgendermaßen:
Als der Herr in der Welt war, sprach Er in Entsprechungen, das heißt zur gleichen Zeit natürlich
und geistig. Dies kann man an Seinen Gleichnissen erkennen, denen bis in die einzelnen Wörter
hinein ein geistiger Sinn innewohnt.
Bei Jakob Lorber können wir im »Großen Evangelium Johannis«, Band 1 lesen:
Wenn nun der Herr uns rein Geistiges verkündet, die wir noch sämtlich in der starren Ordnung
der Naturmäßigkeit uns befinden, so kann Er solches ja nur auf dem Wege der gleichnisweisen
Entsprechungsbilder geschehen lassen.
Hieraus folgt, daß in allen Texten, die uns von unserem Herrn, Jesus Christus, überliefert sind,
unabhängig davon, ob wir sie in der Bibel, bei Lorber oder Swedenborg finden, eine tiefe Entsprechung liegt. Genaugenommen kann der Herr gar nicht anders als in Gleichnissen sprechen, denn in Ihm ist ja die Fülle der Göttlichkeit enthalten und diese kann mit ihren
Geschöpfen nur über den Umweg der Entsprechung kommunizieren. Wenn der Herr mit uns
aus Seiner Sicht »Klartext« reden würde, werden wir nichts, aber auch gar nichts verstehen.
Daß dies so ist, möchte ich beispielhaft an einem Bibeltext belegen. Hierzu habe ich einen Text
aus Matthäus 6, Vers 34 ausgewählt. Er lautet folgendermaßen:
»Darum seid nicht besorgt für den morgigen Tag, denn der morgige Tag wird besorgt sein für das
Seine. Genug, daß jeder Tag seine eigene Plage habe.«
Im Lorberwerk »Himmelsgaben«, Band 3, finden sich auf der Seite 179, eine Auslegung dieses
Textes, die ein Gefühl dafür vermitteln kann, welche Weisheits- und Liebestiefen in solch
einen scheinbar einfachen Text enthalten sind. Zunächst einmal bestätigt uns dort der Herr,
dass jedes Seiner Worte Unendliches enthält, indem Er sagt:
Dieser Text hat zwar zunächst nur eine natürliche Bedeutung; aber dessen ungeachtet hat er dennoch einen tiefen himmlisch-geistigen Sinn, also wie jedes Wort, das aus Meinem Munde geflossen ist, da er auch aus Meinem Munde geflossen ist
Dann verweist Er darauf, daß der himmlisch-geistige Sinn dieses Textes so tief ist, daß es
unseren Geist eine tüchtige Anstrengung kosten wird, nur den kleinsten Teil desselben halbwegs zu erfassen, um dann mit einer Aufzählung von immer tiefer gehenden Entsprechungsebenen zu beginnen. Die erste Ebene lautet:
264
Jürgen Kramke
»Sorget nicht!« heißt soviel als: Weissaget nicht. »Für den morgigen Tag« heißt: für die allerhöchste Weisheit des ewigen Geistes aus Gott. »Denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen, das
heißt. diese Weisheit benötigt keines Helfer — »Es ist genug, daß da jeder Tag seine eigene Plage
hat!« Das heißt: Es genügt euch, daß da jedem mit der Liebe zum Vater erfüllten Geiste ein wohlgemessener Teil der Weisheit nach der Stärke seiner Liebe gegeben ist!
Mit der Bemerkung, daß es sich hier um einen leicht zu fassenden Sinn handelt, kommt sofort
die nächste Entsprechungsebene:
Aber höret nun einen andern Sinn, der also lautet: Kümmert euch nicht um die Fülle künftiger
Ewigkeiten, denn sie sind schon erfüllt in Meinem Geiste; es ist genug, daß vor euren Augen die
Gegenwart unendlich ist!
Dieser Sinn ist schon schwerer zu fassen in seiner Fülle. — Wir wollen aber die Bedeutungen
noch tiefer verfolgen; und schon hat der Herr eine weitere Entsprechungsebene parat:
Solches aber besagt er ferner: Die Liebe trage keinen Kummer um die Weisheit; es ist genug, daß
sich die höchste Weisheit um die Liebe kümmert; denn die Liebe ist ja der Grund aller Weisheit!
— Sehet, das ist in der innersten Tiefe schon wieder schwerer zu erfassen.
Ferner: Das Leben frage nicht nach dem Tage des Todes, denn der Tod sorgt schon für seinen Tag;
euch aber genüge der Tag des Lebens!
Aber gehen wir nur noch etwas weiter, es wird schon noch besser kommen; und also heißt es ferner: Ein freies Wort suche nicht sein Wesen, denn Wort und Wesen sind Eins; es ist aber ja ohnehin jedem Worte sein Wesen eigen! — Verstehet ihr solches in der Fülle?! Solches wird wohl
schwerhalten!
Ich will euch aber noch einen tieferen Sinn geben, damit ihr daraus die endlose Tiefe erschauet,
welche in diesem Texte steckt; und so vernehmet denn noch, denn also lautet es ferner: Wollet
nicht Richter sein am großen Rade der Unendlichkeit, denn es ist genug, daß da ein ewiger Richter
ist; euch aber ist gegeben ein eigenes Rad — sehet, daß dieses im Geleise des Lebens verbleibt!
Soweit die immer tiefergehenden Entsprechungsebenen dieses scheinbar einfachen Textes.
Ich finde es sehr interessant, wie uns der Herr an solch einem Text nachempfinden läßt, wie
in jeder Entsprechungsebene eine neue, noch tiefergehende Entsprechung enthalten ist, und
dies könnte man bis ins unendliche fortsetzen. Darum kann ein solcher Text mit Recht
schwer faßlich genannt werden, weil dessen Fülle unendlich ist. Daraus aber kann auch eben
die reine Göttlichkeit und die große Wichtigkeit solcher Texte erkannt werden, wenn sie solch
Unendliches in sich bergen! (HiG.03-42.09.18,15)
Aus diesem Grunde empfiehlt uns der Herr in »Himmelsgaben«, Band 3, daß wir selbst diese
verständlichen Texte nicht auf die leichte Schulter nehmen sollen; denn je offener der Buchstabensinn sich ausspricht, desto tiefer liegt der geistig-himmlische Sinn.
Dieses kleine Beispiel soll dafür sensibilisieren, daß natürlich auch die meisten Texte, die uns
der Herr durch seinen Schreibknecht Lorber gegeben hat, in der Sprache der Entsprechungen
gegeben sind. So sind Werke wie z. B. »Haushaltung Gottes«, »Von der Hölle bis zum Himmel«,
»Die geistige Sonne« usw. reine Entsprechungswerke. Wie sonst wohl soll uns der Herr die
jenseitigen Verhältnisse näher bringen als in der Entsprechungssprache! Zumal es sich ja bei
diesen Dingen um innerseelische Bereiche handelt, die soweit von unserem Erfahrungshorizont entfernt sind, daß es dafür in der natürlichen Welt gar keine Worte gibt.
Wenn es stimmt, daß die Worte, die der Herr in der Heiligen Schrift gesprochen hat, Entsprechungscharakter haben, dann ist die logische Konsequenz daraus die, daß natürlich auch die
Worte die der Herr in dem Lorberwerk »Jugend Jesu« und im »Großen Evangelium Johannis«
gesprochen hat, Entsprechungscharakter haben. Und spätestens bei dieser Erkenntnis werden
für den ernsthaften Sucher nach der Göttlichen Liebe und Weisheit im Lorberwerk die Schriften Emanuel Swedenborgs hoch interessant. Denn durch das Studium der Swedenborgschriften kann man eine sehr gute Einführung in die Entsprechungswissenschaft erhalten. In
Werken wie die »Erklärte Offenbarung Johannes« oder »Himmlische Geheimnisse« werden
Jakob Lorber und oder Emanuel Swedenborg
265
dem Leser Wort für Wort die Entsprechungen weiter Teile der Heiligen Schrift entschlüsselt,
so dass man immer mehr ein Gefühl und somit auch ein immer schärfer werdendes Werkzeug in die »Hand« bekommt, um selbst die Worte des Herrn in ihren Tiefen auszuloten.
Die Lorberfreunde sollten sich von der nur buchstäblichen Betrachtungsweise der Lorberwerke
frei machen, da ihnen sonst tiefe Einsichten innerseelischer aber auch innergöttlicher Art
verwehrt bleiben würden. Wie gesagt, die Schriften Swedenborgs können dabei eine große
Hilfe sein.
Aber auch die Swedenborgfreunde sollten sich von der nur buchstäblichen Betrachtungsweise
der Swedenborgwerke frei machen.
Ich denke, daß die Göttliche Vorsehung nicht umsonst Herrn Swedenborg damit betraut hat,
der Menschheit die verloren gegangene Wissenschaft der Entsprechungskunde wieder zu
schenken. Als Wissenschaftler war es Swedenborg gewohnt, Informationen zu sammeln, zu
ordnen und dem jeweiligen Thema entsprechend aufzuarbeiten. Diese Fähigkeit in Verbindung mit den Informationen, die er aus der jenseitigen Welt erhalten hat, ermöglichten es ihm,
die Heilige Schrift entsprechungsmäßig auszulegen.
Wer einige seiner Schriften gelesen hat, weiß, daß Swedenborgs Schreibstil der eines Wissenschaftlers ist. Und wie es bei einem Wissenschaftler üblich ist, definiert er zum Anfang seiner
Ausführungen die Dinge, die immer wiederkehren, um diese nicht jedes Mal lang und breit
aufs Neue erklären zu müssen. Diese Vorgehensweise kann bei Menschen, die mit dieser
Prozedur nicht vertraut sind, zu einigen Mißverständnissen führen. Beispielhaft möchte ich
die Worte Himmel und Hölle in dem Werk »Himmel und Hölle« anführen.
Am Anfang definiert Swedenborg an mehreren Stellen diese Worte. So schreibt Er unter anderem Folgendes:
In dem Maße, wie die Engel den göttlichen Einfluß aufnehmen, haben sie auch das Bewußtsein, im
Himmel zu sein …. (HH 8)
Der Himmel ist innerhalb und nicht außerhalb eines jeden. So lehrt auch der Herr bei Lukas
17,20: »Denn seht, das Reich Gottes ist inwendig in euch«. (HH 33)
Und weil der Mensch eine Welt in kleinster Gestalt ist, findet sich bei ihm sowohl die geistige als
auch die natürliche Welt: Die innerlicheren Bereiche, die zu seinem Gemüt gehören und sich auf
Verstand und Willen beziehen, bilden seine geistige Welt, die äußerlichen aber, die seinem Körper
angehören und sich auf dessen Sinne und Handlungen beziehen, stellen seine natürliche Welt dar.
(HH 89f)
Der Himmel ist in niemandem, ehe in ihm nicht Wahres mit Gutem verbunden ist, die Verbindung
des Wahren und Guten aber ist der Himmel. (HH 281)
Des Menschen ganzer Wille ist sein Himmel oder seine Hölle. (HH 547)
Soweit Swedenborgs Definitionen des Wortes Himmel. Das Wort Hölle definiert Swedenborg
auch gleich in den ersten Seiten seines Werkes, wenn er schreibt:
In denen, die das Göttlich-Gute und Wahre im Glauben und im Leben aufnehmen, ist der Himmel.
Jene aber, die das Göttlich-Gute und Wahre zurückstoßen oder ersticken, verkehren es in eine Hölle. Denn sie verwandeln das Gute in Böses und das Wahre in Falsches, somit das Leben in den Tod.
(HH 9)
Was dem Himmel entspricht, bezieht sich samt und sonders auf das Gute und Wahre, was der
Hölle entspricht, auf das Böse und Falsche. (HH 113)
An anderer Stelle können wir lesen:
Das Böse eines Menschen ist seine Hölle. (HH 547)
Zusammengefaßt versteht Swedenborg unter den Begriffen Himmel und Hölle keine Orte, die
sich irgendwo überhalb bzw. unterhalb unserer Erde befinden, sondern er meint damit den
göttlichen Einfluß in die Seele des Menschen. Deshalb sagt er ja auch, in »Himmel und Hölle«,
266
Jürgen Kramke
Nr. 33, daß der Himmel innerhalb und nicht außerhalb eines jeden ist, wie wir schon bei Lukas 17,20 nachlesen können:
»Denn seht, das Reich Gottes ist inwendig in euch«.
Diejenigen, die das Göttlich-Gute und Wahre im Glauben und im Leben aufnehmen, haben den
Himmel in sich. Jene aber, die das Göttlich-Gute und Wahre zurückstoßen oder ersticken,
verkehren es in eine Hölle. Hölle ist also ein innerer Seelenzustand, in dem die Göttliche Liebe
und Weisheit zurückgestoßen oder erstickt wird und die Verlockungen der Welt wahre Triumphe feiern.
Nachdem Swedenborg die Worte Himmel und Hölle als innerseelische Zustandsbeschreibungen definiert hat, benutzt er sie so wie im normalen Sprachgebrauch als wenn es Orte wären,
erwartet aber vom Leser, daß er sich an die Definitionen erinnert. Mit anderen Worten, wenn
Swedenborg von Himmel und Hölle spricht, dann meint er immer innermenschliche Zustände
bzw. Seelenbereiche, so wie er es am Anfang seiner Ausführungen definiert hat.
Als Beispiel für diese Vorgehensweise möchte ich ein Zitat aus »Himmel und Hölle«, Nummer
298 anführen. Dort steht:
Dem Menschen wird aus dem Himmel nur die Neigung zum Guten und aus der Hölle die Neigung
zum Bösen eingeflößt, nicht aber das Denken. So bleibt dem Menschen die Wahl und damit die
Freiheit erhalten. Er kann also mit seinem Denken das Gute aufnehmen und das Böse verwerfen,
denn aus dem Wort Gottes weiß der Mensch, was gut und was böse ist. Es wird ihm auch nur angeeignet, was er mit dem Denken aus Neigung aufnimmt, das andere nicht.
Dieser Text ist ein sehr schönes Beispiel dafür, dass auch die Texte Swedenborgs einen entsprechungsmäßigen Charakter haben. Wer beim Lesen dieser Textstelle die am Anfang des
Werkes erfolgten Wortdefinitionen nicht berücksichtigt, könnte zu der Überzeugung gelangen,
dass der Mensch einem ständigen Einfluß von Engeln aus dem Himmel und Teufeln aus der
Hölle ausgesetzt ist. Das heißt, dass die Antriebskräfte des Menschen von außen in ihn einfließen und er sich lediglich entscheiden kann, ob er diesen Impulsen nachgeht oder nicht. Er
ist sozusagen ein Spielball von fremden Mächten.
Nur wenn wir dieses Zitat entsprechungsmäßig betrachten, werden wir verstehen können,
was Swedenborg damit aussagen wollte, als er schrieb, dass dem Menschen aus dem Himmel
die Neigung zum Guten und aus der Hölle die Neigung zum Bösen eingeflößt wird. Swedenborg hat doch ganz klar und ausführlich definiert, daß er unter Himmel den Seelenbereich des
Menschen versteht, der für das Göttliche Wahre und Gute reserviert ist. Hölle ist für Swedenborg der Seelenbereich, der sich der Welt mit ihren vom Herrn abgewandten Begründungen
und Gefühlen zugewandt hat. Das Denken des Menschen, also sein Verstand, sein Ichbewußtsein, ist die Instanz, die darüber entscheidet, welche Impulse aus den Tiefen der Seele zur
Wirkung kommen und welche nicht. Der Mensch hat die Wahl und somit die Freiheit, sich
den Gedanken und Gefühlen hinzugeben, die seiner Lebensliebe entsprechen.
Ist seine Liebe mehr auf die Welt ausgerichtet, so läßt er mehr die Impulse seiner höllischen
Seelenbereiche in seinen Verstand einfließen. Ist seine Liebe mehr auf Gott ausgerichtet, so
läßt er mehr die Impulse seiner himmlischen Seelenbereiche in seinen Verstand einfließen.
Es liegt also ganz an ihm, ob er mit seinem Denken das Gute aufnimmt und das Böse verwirft;
denn aus dem Wort Gottes weiß der Mensch, was gut und was böse ist.
Swedenborg sagt: Das Böse eines Menschen ist seine Hölle. Und weil nun der Mensch selbst der
Urheber seines Bösen ist, so bringt er sich auch selbst in die Hölle und nicht der Herr, (HH 547).
Wir selbst haben es in der Hand, ob sich in der Erscheinlichkeit unsere innere Welt dereinst
zu einem Himmel oder zu einer Hölle gestaltet.
Diese kleine Exkursion in das Buch »Himmel und Hölle« sollte uns dafür sensibilisieren, daß
auch die Werke von Emanuel Swedenborg über weite Strecken in der Entsprechungssprache
Jakob Lorber und oder Emanuel Swedenborg
267
geschrieben sind. Für mich ist dies auch nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß
es ja Swedenborg selbst war, der die Entsprechungswissenschaft wiederentdeckt hat und so
von dieser durchdrungen war, daß er gar nicht anders konnte, als diese in seinen eigenen
Texten einfließen zu lassen.
Als Resümee meiner bisherigen Ausführungen möchte ich festhalten, daß wir bei dem Studium der Schriften von Swedenborg und Lorber bereits in der äußeren Hülle des Buchstabensinns sehr viele Gemeinsamkeiten dieser Autoren finden können. Sie erkennen beide Jesus
Christus als den menschgewordenen Gott von Ewigkeit an, und sie haben beide weite Passagen ihrer Schriften in der Sprache der Entsprechungen geschrieben. Viele der scheinbaren
Unterschiede lassen sich schon dadurch erklären, dass die Themenschwerpunkte Lorbers und
Swedenborgs zum Teil recht unterschiedlich sind. Ich denke da z. B. an den Eingangs erwähnten Luziferfall, der von Swedenborg gar nicht thematisiert wurde und deshalb auch nicht zum
Vergleich mit Lorber herangezogen werden kann. Man darf natürlich keine Aussagen in Frage
stellen, nur weil die Themen, die der Eine in seinen Texten behandelt hat, vom anderen nicht
erwähnt werden.
Wenn wir uns aber die Mühe machen würden, die entsprechungsmäßigen Inhalte der Texte
zu verstehen, dann würden wir vielleicht bemerken, daß sich die vermeintlichen Widersprüche weitgehendst auflösen würden. Wir dürfen eben nie vergessen, daß sich der Herr seinen
Geschöpfen nur über die Sprache der Entsprechung offenbaren kann.
Ich denke, dass das Studium der Schriften von Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg sehr
befruchtend für die menschliche Seele und den menschlichen Geist sein kann. Durch Swedenborg können wir relativ einfach wichtige Fertigkeiten der Entsprechungskunde erlernen
und durch Lorber können wir sehr tief in die Göttliche Liebe eintauchen. Beide Autoren gewähren uns tiefe Einblicke in die Welt jenseits unseres Erfahrungshorizontes. Beide wollen
uns von den Begründungen aus dem toten Buchstabenglauben befreien, indem sie uns unermüdlich darauf hinweisen, daß der Buchstabe tötet und wir nur durch den geistigen Inhalt des
Wortes zur wahren Erkenntnis gelangen können. In dem Maße, wie es uns gelingt, falsche
Begründungen abzubauen und durch die Wahrheiten aus dem Göttlichen Wort zu ersetzen,
werden wir ein Gespür dafür bekommen, daß hinter den beiden Autoren die gleiche Göttliche
Liebe und Weisheit waltet.
Es ist von der Göttlichen Vorsehung schon sehr weise eingerichtet worden, daß für die Menschen, die mehr von der Weisheit angesprochen werden, ein Autor wie Emanuel Swedenborg
seine Schriften veröffentlichen durfte. Das Gleiche gilt natürlich auch für Jakob Lorber, der
mehr die emotional gelagerten Menschen anspricht. Für jedes Einfalltor hat der Herr eine
entsprechende Lektüre vorgesehen. Es ist absolut müßig darüber zu diskutieren, welche der
Schriften nun die bessere ist, denn es kommt hierbei ausschließlich auf das Ergebnis an.
Wichtig ist, daß der Herr durch den jeweils besten Kanal in das Bewußtsein des Menschen
eintreten kann ohne ihn in irgendeiner Art und Weise in seiner Willensfreiheit zu beeinträchtigen.
Doch unabhängig davon, ob wir mehr durch den emotionaleren Lorber oder durch den intellektuelleren Swedenborg angesprochen werden, wir müssen uns in jedem Fall von eventuellen
Einseitigkeiten frei machen. Denn nur wenn der Mensch seine Emotionalität und seinen Intellekt, oder mit andern Worten seine Liebe und seine Weisheit in eine ausgewogene Harmonie
bringt, kann er damit beginnen, die Tiefen des Göttlichen Wortes auszuloten. Die Werke von
Swedenborg und Lorber können uns dabei eine große Hilfe sein.
GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE
NEUKIRCHLICHE LORBERFORSCHUNG
Swedenborg ist nicht nur der Vorläufer Lorbers und Lorber
nicht nur die Neuauflage Swedenborgs. Nach einer Phase der totalen Harmonisierung dieser beiden Offenbarungen muss nun
ihr je eigenes Profil herausgearbeitet werden.
THOMAS NOACK
OFFENBARUNGSKRITIK
EIN PROBLEM DER WAHRHEITSERKENNTNIS
Thomas Noack – 1994
Das Problem
Das Problem der Offenbarungskritik ist ein Problem der Wahrheitserkenntnis. Einerseits ist es
notwendig, den Wahrheitsgehalt sogenannter Offenbarungen zu prüfen, andererseits fragt man
sich, ob das überhaupt möglich ist. Denn die geoffenbarte Wahrheit entstammt einem höheren,
dem göttlichen Bewußtsein. Übersteigt sie damit nicht zwangsläufig unser Verständnis? Entzieht sie sich nicht jeglicher Überprüfung mit den bescheidenen Mitteln unseres Denkvermögens? Diese Fragen drängen sich uns besonders angesichts ständig neuer
Offenbarungen und Vaterworte auf, die sich nicht selten erheblich widersprechen. Doch auch
wenn es nur eine einzige Offenbarung gäbe, müßte man sie stellen: Kann der Mensch die
Wahrheit, zumal die geoffenbarte, überhaupt erkennen? Oder muß er das von oben Gegebene
als gegeben hinnehmen?
Die Wahrheit ist erkennbar
Eine Offenbarungskritik, die diesen Namen wirklich verdient, muß von der These ausgehen,
daß die Wahrheit erkennbar ist. Es gab philosophische Richtungen, die das energisch bestritten. Und auch heute sind für die meisten Zeitgenossen glauben und erkennen meilenweit
voneinander entfernt. Das war jedoch nicht immer so und entspricht auch nicht der Absicht
Jesu, der ja als das Licht in die Welt kam. Wiederholt werden im Johannesevangelium »glauben« und »erkennen« als eng zusammengehörige Begriffe genannt:108 »Wir haben geglaubt und
erkannt, daß du der Heilige Gottes bist.« (Joh 6.69). »Wenn ihr in meinem Wort bleibt, dann seid
ihr tatsächlich meine Schüler und werdet die Wahrheit erkennen« (Joh 8.31f). Die erkennbare
Wahrheit, das ist die Botschaft des Johannesevangeliums. Sie wurde im Laufe der Zeit gründlich verdunkelt, steht aber dennoch am Anfang des Christentums.
In diesem Zusammenhang ist ein längeres Zitat aus den Lorberschriften erwähnenswert, das
bezeichnenderweise eine ganze Reihe johanneischer Aussagen enthält. Die Offenbarungskritik taucht hier als das »Kriterium der Wahrheit Meiner Lehre« auf:
»Ja, wird mancher fragen: Wie soll man denn das [nicht leicht- noch abergläubisch sein, sondern
allein die Wahrheit in allem suchen] anstellen? Die Antwort … lautet ganz kurz also: ›Wer an Mich
glaubt, nach Meiner Lehre lebt und handelt, zu dem werde Ich selbst kommen und Mich ihm gerade
also getreuest offenbaren, wie nun euch‹ [Joh 14.21]. Daß darin auch das einzige Kriterium der
Wahrheit Meiner Lehre liegt, habt ihr nun selbst mehr als handgreiflich in mehreren noch lebenden Beispielen vor euch; denn Ich sagte darum ja auch zu Meinen Aposteln, als sie selbst nicht so
recht im klaren waren, für wen sie Mich eigentlich halten sollten: ›So ihr an Mich glaubet und nach
Meiner Lehre handeln werdet, dann erst werdet ihr auch vollends in euch erkennen, daß die Worte, die
Ich zu euch geredet habe, nicht Menschen-, sondern Gottes-Worte sind‹ [Joh 7.17]. Und wieder sagte
Ich einst zu Meinen Aposteln: ›Nicht nur ihr, sondern in der Folge ein jeder Mensch, der wahrhaft zu
Mir kommen will, muß von Gott aus gelehrt sein [Joh 6.45]. Denn den der Vater - oder die ewige Liebe in
Mir - nicht ziehet, der kommt nicht zu Mir [Joh 6.44]‹, oder mit andern für euch faßlicheren Worten
gesagt: Wen die wahre (reine) Liebe zur Wahrheit und zum Lichte nicht anziehet, und der in seiner
Trägheit und Schläfrigkeit ganz behaglich verharret und sich in der Welt so viel als möglich allen Vergnügungen und Zerstreuungen in die Arme wirft, wird der wohl irgendeinmal zum Lichte
der Wahrheit gelangen?« (Suppl 236f).
Abgesehen von den interessanten Interpretationen der johanneischen Stellen, sind zunächst
die Stellen als solche beachtenswert. Johannes ist die mächtigste neutestamentliche Stütze
108
nach Eduard Lohse, Grundriß der neutestamentlichen Theologie, 1984, S.138.
272
Thomas Noack
unserer These, daß die Wahrheit erkennbar ist. Die Stellen ließen sich sogar noch vermehren.
Jesus Christus verheißt »den Geist der Wahrheit«, der uns »in alle Wahrheit einweisen wird«
(Joh 16.13). Und er sagt: »Wer an mich glaubt … von dessen Leib werden Ströme lebendigen
Wassers fließen.« (Joh 7.38). Die Ströme lebendigen Wassers sind die aus dem Herzen quellenden Erkenntnisse.
Die urchristliche Botschaft, daß das Licht der Wahrheit in die Welt gekommen ist und wir
somit nicht mehr Gefangene der Finsternis sein müssen, findet ihre wunderbare Fortsetzung
in den beiden klassischen Neuoffenbarungen durch Swedenborg und Lorber. Swedenborg sah
in einer Vision, die für unser Verständnis der neuen Kirche grundlegend ist, einen Tempel,
darüber die Inschrift: »Nunc licet!« (WCR 508). Intuitiv erfaßte er den Sinn dieser Worte: Nun
sei es erlaubt, mit Verständnis den Tempel der Wahrheit oder die Geheimnisse des Glaubens
zu betreten. Damit brach das Zeitalter der ecclesia spiritualis an, in der das Bedürfnis, die
Wahrheit zu verstehen, immer drängender werden sollte. Wenn man diese herrliche Vision
vor Augen hat und dann von Offenbarungsaposteln belagert wird, die einem ihre Meinung
aufschwatzen wollen, dann freilich bleibt einem der Freudenschrei über das neue Zeitalter
schier im Halse stecken.
Interessanterweise stehen dem Sinne nach ähnliche Worte auch über dem Portal des Lorberwerkes, die Eingangsworte lauten nämlich:
Wer mit Mir reden will, der komme zu Mir, und Ich werde ihm die Antwort in sein Herz legen; jedoch die Reinen nur, deren Herz voll Demut ist, sollen den Ton Meiner Stimme vernehmen. (HGt
I.1.1).
Welch herrliche Verheißung! Die Wahrheit des Lorberwerkes will nicht stumm geglaubt, sondern in der Zwiesprache des Herzens erkannt werden. Das Lorberwerk knebelt somit unseren
Geist nicht, sondern will ihn befreien, so daß er sich in der Erkenntnis des Herzens aussprechen kann. Diese Verheißung erinnert an eine Seligpreisung der Bergpredigt: »Selig, die reines
Herzens sind, denn sie werden Gott sehen.« (Mt 5.8). Das reine Herz erkennt die Gotteswahrheit. Ihre Erkennbarkeit ist die unverzichtbare Voraussetzung der echten Offenbarungskritik.
Was verstehe ich unter Offenbarungskritik?
Daraus ergibt sich nun, was ich unter Offenbarungskritik verstehe. Sie ist der Versuch, Offenbarungen zu verstehen und aus dem Verständnis heraus zu beurteilen. Kritik ist ein mißverständliches Wort. Meist versteht man darunter kleinliches Nörgeln oder bloßen Tadel, somit
etwas Negatives. Doch das ist nicht gemeint. Kritik im echten Sinne ist, entsprechend der griechischen Grundbedeutung, die Fähigkeit zu unterscheiden. Im Bereich der Offenbarung ist es
die Fähigkeit, das Göttliche vom Menschlichen, das Echte vom Unechten und das Wahre vom
Falschen zu unterscheiden. Wenn diese Scheidekunst Negatives zur Sprache bringt, dann
nicht um des Negativen willen. Die echte Kritik zielt auf das Positive. Sie setzt daher eine
gewisse Zuneigung voraus, denn kraft der Zuneigung achtet der Mensch auf das Gute und
Wahre. Eine Kritik am Lorberwerk ohne Herzensbindung bleibt allzu oft beim Tadel stehen.
Andererseits läßt die Herzensbindung vielfach keine Kritik zu. Irgendwo in der Mitte liegt die
Wahrheit. Recht verstandene Offenbarungskritik ist ein Segen, weil sie uns gegen den blinden,
auf Autorität beruhenden Glauben schützt. Der Papst in Rom darf nicht durch den Papst aus
Graz ersetzt werden. So stelle ich mir das neue Zeitalter nicht vor. Gegen die Flut ständig
neuer Offenbarungen helfen keine neuen Kanonbildungen. Der sicherste Schutz vor der Überschwemmung durch ein Pseudowissen, dürfte darin bestehen, das Organ der Wahrheitserkenntnis zu wecken. Der äußere Kanon, der immer ein behelfsmäßiger ist, ist durch den
inneren, lebendigen Kanon des Herzens zu ersetzen. Ich vertrete also eine Offenbarungskritik,
die auf Einsicht in die geistigen Zusammenhänge beruht.
Offenbarungskritik: Ein Problem der Wahrheitserkenntnis
273
Die Wahrheit der Offenbarung ist geistig
Die Wahrheit, welche die Offenbarungskritik zu untersuchen hat, ist geistig. Damit sei nicht
geleugnet, daß Offenbarungen auch eine natürliche Aussagedimension haben. Das gilt besonders für das Lorberwerk. Ich denke beispielsweise an das Große Evangelium Johannis, das
ohne Frage eine historische Dimension hat. Selbstverständlich können die natürlichen Inhalte
kritisch untersucht werden, und das geschieht ja bereits hin und wieder, aber ich klammere
diese Diskussion hier bewußt aus. Das Historische überlasse ich den Historikern; das Naturwissenschaftliche den Naturwissenschaftlern. Als Offenbarungstheologe interessiert mich vor
allem die geistige Wahrheit. Ich glaube, daß die wesentliche Wahrheit einer Offenbarung immer die geistige und himmlische sein wird, denn eine göttliche Offenbarung will göttliche, und
das heißt geistige und himmlische Dinge offenbaren. Wer daher eine Offenbarung beurteilen
will, muß sich wohl oder übel mit der geistigen Dimension des Gotteswortes auseinandersetzen. Alles anderes ist eine Verlegenheitslösung oder eine Kapitulation des menschlichen
Geistes vor dem göttlichen Wort.
Daß die Wahrheit von Offenbarungen geistig ist, hat Swedenborg für die Heilige Schrift mit
geradezu mathematischer Genauigkeit nachgewiesen. Die von ihm wiederentdeckte Entsprechungswissenschaft verhalf ihm zur Erkenntnis des geistigen Sinnes des alten Gotteswortes. Die Wahrheit des Alten Testamentes ist, der damaligen Zeit entsprechend, stark verhüllt. Schon die Worte Jesu sind weniger verhüllt, jedoch sprach auch er meist in
Gleichnissen und seine Wunder nannte der Evangelist Johannes »Zeichen«, weil sie eine höhere Wahrheit bezeichnen. Der Verhüllungsgrad der Neuoffenbarung scheint noch geringer zu
sein. Heißt das aber, daß die Wahrheit nun nicht mehr eine geistige ist? Ist sie im Zuge der
Enthüllung zu einer natürlichen geworden? Ich meine, Gottes Wahrheit bleibt geistig, auch
wenn sie noch so offen zutage liegt. Gottes Wort ist Geist und Leben (Joh 6.63).
Eine geistige Wahrheit ist nicht notwendigerweise eine verborgene Wahrheit. Vielmehr heißt
sie geistig, weil sie im Geiste erkannt werden kann. Eine natürliche Wahrheit wird durch das
Forschen in der natürlichen Welt aufgedeckt; eine geistige durch das Forschen in der geistigen
Welt, die bekanntlich in uns ist. Da beide Welten einander entsprechen, sind gewisse Rückschlüsse vom Natürlichen auf das Geistige und umgekehrt möglich. Grundsätzlich sind aber
beide Welten und somit auch ihre Wahrheiten voneinander geschieden. Daher wird eine geistige Wahrheit im Geist, eine natürliche hingegen in der Natur erkannt. Eine geistige Wahrheit
ist zum Beispiel, daß Gott die Liebe und Weisheit ist. Dieser Wahrheit spürt man am besten im
Geiste nach. Eine natürliche Wahrheit ist die Kaiserkrönung Karls des Großen. Wer sich darüber informieren will, sollte nicht meditieren, sondern in Geschichtsbüchern nachschlagen.
Eine geistige Wahrheit bezieht sich immer auf das Gute und Wahre, das aus der geistigen Welt
einfließt. Deswegen kann eine solche Wahrheit nur im Geiste des Betrachters verifiziert werden.
Was wir bisher abstrakt erschlossen haben, daß die Wahrheit der Offenbarung geistig ist, findet seine Bestätigung in den Offenbarungstexten. Aus dem Lorberwerk entnehme ich die folgende sehr deutliche Aussage:
»Vor Meinen Augen gibt es keine Materie; somit ist auch jede Gabe von Mir geistig und nicht materiell, wenn sie auch noch so materiell zu sein scheint. Ich tue, ob Ich es schon sage oder nicht, Meinen
Mund [= Offenbarung] nur stets in Gleichnissen auf, damit sich die Welt [= der äußere Mensch] an
ihnen stoße, und mit offenen Ohren [= der Wille des äußeren Menschen] das Lautgesprochene
nicht vernehme, und mit offenen Augen [= der Verstand des äußeren Menschen] nichts sehe« (Erde
(1856) 256f).
Angesichts der historischen und naturwisenschaftlichen Dimensionen des Lorberwerkes
bereitet es uns erhebliche Mühe, solche und ähnliche Aussagen ernst zu nehmen. Daher sei
noch ein Hinweis am Ende der »Haushaltung Gottes« erwähnt, der ebenso aufschlußreich ist.
274
Thomas Noack
»Wohl jedem, der das« in diesem Werke »durchleuchtende Gesetz der Liebe wird zum Grunde seines Lebens machen … Wer es aber nur lesen wird wie ein anderes märchenhaftes Geschichtsbuch,
der wird eine sehr magere Ernte bekommen für den Geist!« (HGt III.365.20f).
Das heißt doch wohl, daß die geistige Wahrheit der wesentliche Inhalt der Haushaltung Gottes
ist. Sie heißt hier das »Gesetz der Liebe«, das den Buchstaben »durchleuchtet«. Die Haushaltung Gottes beschreibt folglich die Ordnung oder Vorgehensweise der Liebe. Darauf soll der
Leser achten. Die natürlich-geschichtliche Wahrheit ist demgegenüber relativ nebensächlich.
Wer sich auf sie konzentriert und die Haushaltung zu einem »märchenhaften Geschichtsbuch« degradiert, muß sich nicht wundern, wenn die Ernte für den Geist, d. h. der Fortschritt
in der Wiedergeburt, sehr mager ausfällt. Gottes Wort will demnach geistig gelesen und verstanden werden.
Da nun also die wesentliche Wahrheit des göttlichen Sprechens geistig und himmlisch ist,
muß diese Wahrheit untersucht werden. Das einzige Organ im Menschen, das in der Lage ist
an die Gotteswahrheit heranzureichen, ist das Herz. Ich vertrete daher eine Offenbarungskritik
des Herzens. Aus der Sicht des Verstandes muß sie einseitig erscheinen, aber ebenso einseitig
erscheint dem Herzens die Verstandeskritik. Man gestatte mir also meine Einseitigkeit in
einer Welt, die auf ihre Weise ebenso einseitig ist.
Das Organ der Wahrheitserkenntnis
Die Offenbarung durch Lorber ist eine Offenbarung aus dem Herzen. Wen verwundert es da,
daß folglich im Herzen das Organ der Wahrheitserkenntnis erblickt wird? Wen verwundert es,
daß der Mond seinen Schein verliert, wenn die Sonne aufgeht? Nur der eitle Weltgeist kann es
dem inneren Wort verübeln, wenn es das Ungenügen des Verstandes aufdeckt. Er ist unfähig,
die innere Lebenswahrheit zu erkennen. Zwar ist ein »geläuterter Verstand« »das anfängliche
Licht des Herzens« (GEJ VII.38.2), aber grundsätzlich gilt: »Der Menschen Weltverstand begreift
die inneren Dinge des Geistes und der lebendigen Wahrheit nicht.« (GEJ IX.132.16). »Denn der
Verstand des Gehirns ist ein totes Weltlicht des Menschen.« (GEJ IX.83.3). Er »ist nichts, als
bloß nur ein Aufnahmeorgan der Seele, durch welches diese zur Anschauung der Außenwelt
gelangt« (HGt II.76.6). Die Anschauung der Gotteswahrheit erfolgt aber in der Innenwelt. Auch
Swedenborg, der freilich kein Mystiker des Herzens war, hat diese Erkenntnis beschrieben:
Das Licht der [Außen]welt aber, sobald es vom Lichte der oberen Region [Glaube; geistiges Schauen] getrennt wird, ist nichts als ein Irrlicht, in dem das Falsche als Wahres, das Wahre als Falsches, die Vernünfteleien aus dem Falschen als Weisheit und die Vernunftschlüsse aus dem
Wahren als Torheit erscheinen.« (WCR 40).
Fließt nun kein geistiges Licht in das natürliche ein, so sieht der Mensch nicht, ob etwas Wahres
wahr und folglich auch nicht, ob etwas Falsches falsch ist. Die Fähigkeit, wahr und falsch zu erkennen, beruht nämlich auf dem Einfließen von geistigem Licht in das natürliche Licht.« (WCR
334f).
Das Herz ist die Quelle des geistigen, ja eigentlich des himmlischen Lichtes, denn dort ruht
der göttliche Funke. Deswegen kann die innere Stimme durch Lorber sagen: »Im Geiste des
Menschen liegen alle … endlos vielen Wahrheiten verborgen!« (GEJ VIII.150.11). Dort müssen
wir den Maßstab aller Wahrheit suchen. Der Mensch besitzt somit »ein doppeltes Erkenntnisvermögen«, von dem nur das eine bis an die Gotteswahrheit heranreicht:
»Siehe, ein jeder Mensch hat ein doppeltes Erkenntnisvermögen: ein äußeres, das da ist der Kopfoder eigentliche äußere Seelenverstand. Mit diesem Erkenntnisvermögen läßt sich nie das göttliche Wesen erfassen und begreifen, weil es der Seele gerade nur darum gegeben ward, um den
Geist in ihr von der Gottheit vorderhand zu trennen und ihn Diese gewisserart auf eine Zeitlang
verlieren zu machen! … Aber die Seele hat noch ein anderes Vermögen, das da nicht in ihrem Kopfe, sondern in ihrem Herzen Wohnung hat. Dieses Vermögen heißt inneres Gemüt und besteht aus
einem ganz eigenen Willen, aus der Liebe, und aus einer diesen beiden Gemütselementen entsprechenden Vorstellungskraft.« (RB I.35.2f).
Offenbarungskritik: Ein Problem der Wahrheitserkenntnis
275
Das Herz als Organ der Wahrheitserkenntnis, das ist zwar ein vielen Zeitgenossen seltsam
anmutender, zugleich aber sehr alter Gedanke. Ja, man erkennt bald, wenn man sich nur ein
wenig mit dieser Möglichkeit befaßt, daß man auf uralten Menschheitswegen wandelt, wenn
man das Denken im Herzen übt. Die Urmenschheit kannte das sogenannte Innewerden aus
der Liebe (= Herz). Dazu Swedenborg:
»Die Urmenschheit bezeichnete mit dem Sprechen Jehovahs das Innewerden, denn sie wußten, daß
der Herr ihnen das Innewerden gab. Es konnte jedoch nur solange bleiben, wie die Liebe die
Hauptsache war. Als die Liebe zum Herrn und somit zum Nächsten nachließ, ging das Innewerden verloren.« (HG 371).
»Was Innewerden (od. inneres Wahrnehmen) ist, weiß man heutzutage nicht mehr. Es ist ein gewisses, ausschließlich vom Herrn kommendes Gefühl dafür, ob etwas wahr und gut ist. Der Ältesten Kirche war es wohlbekannt.« (HG 104).
Das Innewerden oder die innere Wahrnehmung aus der Liebe ist meines Erachtens mit dem
Herzdenken identisch, zumal Swedenborg keinen Zweifel darüber bestehen läßt, daß die innerste Erkenntnis aus der Liebe, also dem Herzen, quillt: »Es ist ein Geheimnis, daß schon in der
Liebe [alle] Weisheit und Einsicht enthalten ist.« (HG 2500).109 Die Wahrheit ist somit eigentlich nur der Ausdruck der Liebe, oder mit Swedenborgs Worten: »Das Wahre ist die Form des
Guten.« (HG 3049)110.
Es ist gut möglich, daß ein Bewußtsein dieser uralten Denkmöglichkeit in die semitische Völkerwelt hinübergerettet wurde. Jedenfalls zeigt ein Blick ins Alte Testament, daß der Semit im
Herzen dachte. Man könnte viele Belege dafür anführen. Ich nenne nur Daniel 2.30, wo »die
Gedanken deines Herzens«, und Richter 5.16, wo »die Erforschungen des Herzens« vorkommen. Die Übersetzungen verschleiern allerdings mitunter den Tatbestand des Herzensdenkens, weil der moderne Übersetzer oft nicht den Mut hat Herz tatsächlich auch mit Herz
wiederzugeben.
In der Bibelwissenschaft hat sich der Verstand bis heute als unfähig erwiesen die innere Gotteswahrheit auch nur anzuerkennen, obwohl sie doch seit Swedenborgs Zeiten bekannt sein
könnte. Daher ist es umso notwendiger die Wahrnehmungskraft des Herzens zu erwecken.
Nur das Herz kann die Wahrheiten, die in den Offenbarungen zu Sprache kommen, ergründen.
Wie kann das Herz als Erkenntnisorgan aktiviert werden?
Die entscheidene Frage lautet: Wie kann das Herz als Erkenntnisorgan aktiviert werden? Die
Antwort ist eigentlich ganz einfach. Das Herz, Sinnbild der Liebe, kann nur durch den Geliebten, den Bräutigam des Herzens, nämlich Jesus Christus erweckt werden. Wer sonst könnte
das Herz entflammen und somit erleuchten?
»… um im Herzen denken zu können, muß man eine eigene Übung haben; und diese Übung besteht
in der stets erneuerten Erweckung der Liebe zu Gott.« (RB I.35.6).
Das Mittel zur Erweckung der Liebe zum Herrn »besteht in der klaren Vorstellung dessen, das
man so ganz eigentlich mit der Fülle der Liebe erfassen will.« (GS II.50.6). »Die Erkenntnis des
Herrn ist die mächtigte Triebfeder, welche die Funken im Herzen zusammenzieht, und dann
durch dieselben das ganze Herz in eine helle Flamme versetzt.« (GS II.50.12). Damit ist klar,
daß echte Offenbarungskritik nicht als ein rein theoretisches Geschäft betrieben werden kann.
Der Intellekt, der sich mit der Theorie begnügt, wird immer nur an der Rinde des göttlichen
Wortes nagen. Allein das Licht des Herzens, das ein Licht des Lebens ist, reicht an die Gotteswahrheit heran. Swedenborg hat die »Lebenslehre des Neuen Jerusalems« mit den tiefsinnigen
109
110
Ganz ähnlich Lorber: »Wer … die Liebe Gottes in sich hat, dem wird auch die Weisheit in demselben
Grade zukommen, in welchem er die Liebe hat.« (GS I.5.5).
»Das Wahre kann nicht anderswoher sein und entstehen als aus dem Guten.« (HG 2803).
276
Thomas Noack
Worten eingeleitet: »Alle Religion ist eine Sache des Lebens und das Leben derselben besteht
im Tun des Guten.« Deswegen ist auch die Wahrheit der Religionen letztlich eine Sache des
Lebens und kann daher auch nur im Leben verifiziert werden. Nur eine gelebte Wahrheit ist
eine verstandene Wahrheit, und nur eine verstandene Wahrheit kann man sachgerecht beurteilen. Dieser Zusammenhang ist bisher zu wenig bedacht worden. Das ist auch nicht weiter
verwunderlich, denn aus der Perspektive des Intellektualismus erscheint das Leben eher als
ein Nebenumstand. Doch genau dieser Punkt ist entscheidend: »Das Leben schenkt die edelste
Erkenntnis.« (EQ 281.10). So hatte es Meister Eckehart ausgedrückt; so steht es auch in der
Neuoffenbarung und - nochmals sei es gesagt - im Johannesevangelium.
»Worin aber liegt denn das Kriterium der Echtheit einer wirklich notwendigen göttlichen Offenbarung? Das Kriterium liegt endlich im Handeln nach irgend einer Offenbarung … Also steht es ja
auch geschrieben: ›Wer da tun wird nach Meinen Worten, der wird es erkennen, ob sie von Gott, oder
ob sie von Menschen sind.‹ [Joh 7.17] … Ein jeder aber lese den ersten Brief Pauli an die Korinther
und zwar das zweite Kapitel, dort wird er auch ein Hauptkriterium finden.« (Lorber, Religion und
Offenbarung)
Das Zitat aus dem Johannesevangelium ist Jesu Beitrag zur Offenbarungskritik, denn unmittelbar zuvor hatte Jesus behauptet: »Meine Lehre ist nicht von mir (= nicht Menschenwort), sondern von dem, der mich gesandt hat (= Gotteswort).« (Joh 7.16). Doch wie konnte man diese
Behauptung überprüfen? Wie konnte man nachvollziehen, daß sich in diesem Menschensohn
Gott offenbarte? Jesus selbst sah sich demnach mit dem Problem der Offenbarungskritik konfrontiert und gab eine sehr weise Antwort: »Wenn jemand den Willen dessen [der mich gesandt hat] tun will, wird er erkennen, ob diese Lehre von Gott ist oder ob ich von mir selbst
aus rede.« (Joh 7.17). Damit ist klar gesagt, daß die bloß gedankliche Betrachtung einer Lehre
ohne ihre praktische Anwendung zu nichts führt. Das Gotteswort erweist sich im Leben als
wahr, - wo sonst?
Die zitierte Stelle aus dem Lorberwerk schließt mit einem Lektürehinweis. Im 1.Korintherbrief
2.6-16 spricht Paulus von der Weisheit Gottes und sagt dort: »denn der Geist erforscht alle
Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.« (Vers 10), »So weiß auch niemand, was in Gott ist, als
allein der Geist Gottes.« (Vers 11). Dazu fand ich zwei Ergänzungen aus dem Lorberwerk:
»Was sind denn die Tiefen der Gottheit? Das ist das zerstreute Wort Gottes in dem Buchstabensinne vor euch, in welchem niemand ohne den Geist Gottes [die Liebe, s.Org.] den inneren Sinn oder die
Tiefen der Gottheit erforschen kann.« (Suppl 302.3)
»Kein äußerer Weltverstand kann es je ergründen und erschauen, was im Menschen ist; das kann
allein nur der Geist im Menschen. Und also kann auch niemand Gott erkennen als nur der erweckte und vollauf tätig gewordene Geist Gottes im Menschenherzen, der gleich wie Gott Selbst die
reinste Liebe ist und ein ewiger Sabbat im Menschenherzen.« (GEJ V.62.7)
Angesichts solcher Worte wird man demütig und beginnt zu ahnen, daß die Erkenntnis der
Gotteswahrheit ohne eine Einweihung in dieselbe nicht zu haben ist. Die Einweihung aber
erfolgt durch das Leben nach der Wahrheit.
»… und wer nach ihr [der Wahrheit] leben und handeln wird, der wird es schon in sich lebendigst
innewerden [vgl. Swedenborgs percipere], daß Meine Lehre Gottes- und nicht Menschenwort ist.«
(GEJ IX.83.1).
Das Innewerden des qualitativen Unterschiedes zwischen Gotteswort und Menschenwort
erfolgt durch das Tatchristentum. Die Wahrheit einer Offenbarung ist nicht rein verstandlich
zu ergrübeln, aber dennoch durch das innere Licht aus dem Lebensvollzug nachvollziehbar
und somit überprüfbar. Das Dilemma, Offenbarung überprüfen zu wollen und nicht überprüfen zu können, besteht also nur in den Köpfen der Gelehrten, die die Wahrheit nur wissen
aber nicht leben wollen.
»Es können darum zehntausend falsche Evangelien geschrieben werden, so wird immer nur das
das einzig wahre sein und verbleiben, das sich im Menschen, so er nach Meinen Worten leben und
Offenbarungskritik: Ein Problem der Wahrheitserkenntnis
277
handeln wird, nach Meiner Verheißung [Joh 14.21] lebendig offenbaren wird, - und dieses lebendige Evangelium wird auch bis ans Ende aller Zeiten der einzige Prüfstein sein und bleiben, ob ein geschriebenes Evangelium echt oder falsch ist.« (GEJ VIII.79.18).
»Siehe, das Wissen wird dir ewig nichts nützen zum Leben; aber so du handeln wirst nach der
Wahrheit, so wirst du das Zeugnis der Wahrheit finden« (HGt I.71.34).
Der Einwand des Verstandes
Die echte Offenbarungskritik ist ohne das existentielle Wagnis, nach der Wahrheit zu leben,
unmöglich. Gegen diese Einsicht formuliert der Verstand nun aber seinen Einwand. Wenn
man die sogenannte Wahrheit erst praktizieren muß, bevor man sie verstehen und beurteilen
kann, dann muß man ja die Katze im Sack kaufen, dann kann man sich ja überhaupt nicht
sicher sein, ob die angebliche Wahrheit tatsächlich wahr ist. Der Verstand will Beweise, erst
dann will er sich auf das Wagnis einlassen. Doch indem er diese Position bezieht, wird er zum
ernsthaften Hindernis auf dem spirituellen Weg, denn die Wahrheit der Religionen läßt sich
nicht beweisen. Auch Swedenborg, dessen Lebensaufgabe es immerhin war, »himmlische
Geheimnisse« für den Verstand begreiflich darzulegen, mußte einräumen, daß ein gewisser
Vertrauensvorschuß unumgänglich ist:
»Die Lehrgegenstände des Glaubens, wie auch das Wort [= die schriftlich fixierte Offenbarung],
waren ohne die innere Wahrnehmung vielfach von der Art, daß man sie nicht glauben konnte. Die
geistigen und himmlischen Dinge übersteigen nämlich das menschliche Fassungsvermögen unendlich, daher ja auch das Vernünfteln. Doch wer nicht glauben will, bevor er es erfaßt, kann nie
glauben.« (HG 1071).
»Von der Vernunft auf die Glaubenslehre blicken bedeutet dem Wort oder seiner Lehre erst dann
glauben, wenn man aufgrund vernünftiger Erwägungen überzeugt ist, daß es sich so verhält.
Hingegen von der Glaubenslehre auf die Vernunft blicken bedeutet dem Wort und seiner Lehre
erst glauben und sie dann durch vernünftige Überlegungen bekräftigen. Die erste Ordnung ist
verdreht und bewirkt, daß man nichts glaubt. Die zweite ist richtig und bewirkt, daß man besser
glaubt … Es gibt also zwei Prinzipien: das eine führt zu Torheit und Unsinn; das andere zu Einsicht und Weisheit.« (HG 2568).
Das Hauptkennzeichen des Intellektualismus ist die ob-Frage. So nennt es Swedenborg; gemeint ist der wissenschaftliche Zweifel. Der Verstand beginnt seine Untersuchungen mit der
Frage, ob das Gesagte wahr ist. Da jedoch geistige Wahrheiten nicht zwingend beweisbar sind,
bleiben die Anhänger des Intellektualismus bei der ob-Frage stehen. Sie sind wie Leute, die vor
dem Eingang zum Heiligtum stehen und unablässig darüber diskutieren, ob es sich lohnt das
Heiligtum zu betreten. Swedenborg hat der ob-Frage scharfe Worte gewidmet.
»Solange man bei der Streitfrage, ob es sei und ob es so sei, stehen bleibt, kann man in der Weisheit keinerlei Fortschritte machen. … Die heutige Bildung geht über diese Grenzen, nämlich ob es
sei und ob es so sei, kaum hinaus. Deswegen sind ihre Vertreter auch von der Einsicht in das
Wahre ausgeschlossen.« (HG 3428).
»Die Tatsache, daß Engel Menschen sind, könnte man erfassen, wenn man nur ohne seine Grundüberzeugungen, die man über Engel und Geister aufgenommen hat, dächte. Das geschieht, wenn
man von der Fragestellung und dem unmittelbaren Gedanken den Zweifel fernhält, ob es so sei.
Jeder besitzt nämlich eine allgemeine Vorstellung, daß Engel eine menschliche Gestalt haben …
aber diese allgemeine Idee, die aufgrund des Einflusses aus dem Himmel vorhanden ist, wird augenblicklich zunichte, wenn sich bei der geistigen Betrachtung der Gedanke einstellt, ob es so sei,
was vor allem bei den Gebildeten der Fall ist.« (HH 183).
Damit soll nun allerdings nicht gesagt sein, daß man alles, was einem an Offenbarung angeboten wird, ungeprüft annehmen muß. Ganz im Gegenteil! Jenseits des Intellekts gibt es bei
denen, die das Wahre suchen, ein Gefühl für das Wahre. Es gehört nicht der Sphäre des Verstandes an, ist aber dennoch verläßlich. Freilich muß diese Wahrnehmungsfähigkeit geübt
werden; die Übung besteht in der Liebe zur Wahrheit und somit letztlich zum Göttlichen, denn
das Göttliche ist das Wahre.
278
Thomas Noack
»Gott, der Herr Himmels und dieser Erde, hat einem jeden nach Wahrheit strebenden Menschen
ein Gefühl in sein Herz gelegt, das die Wahrheit noch viel eher erkennt und erfaßt als ein noch so
durchgebildeter Verstand. In diesem Gefühle weilt auch die Liebe zur Wahrheit.« (GEJ V.177.5f).
»Es gibt eine geistige Idee, von der Wenige etwas wissen. Sie fließt bei denen ein, die in der Neigung zum Wahren sind, und gibt innerlich ein, daß das, was man hört oder liest, wahr ist oder
nicht.«111 (LG 5). »Man muß das Wort durchforschen und dabei sehen, ob [die kirchlichen Lehren]
wahr sind. Wenn das aus Neigung zum Wahren geschieht, dann erleuchtet der Herr den Menschen, so daß er - ohne zu wissen woher - innerlich wahrnimmt (appercipiat), was wahr ist« (HG
6047). »Der vernünftige Mensch nimmt durch die innere Erleuchtung vom Herrn bei vielem, wenn
er es hört, sogleich wahr, ob es wahr oder nicht wahr ist.« (GV 168).
Weil es das Gefühl für das Wahre oder, wie Swedenborg sagt, die geistige Idee, die in die Neigung zum Wahren einfließt, gibt, deswegen ist der Einwand des Verstandes eitel, d. h. gegenstandslos, nichtig und leer. Der Einwand belegt nur den Stolz des Verstandes, der sich für die
einzige Leuchte im ganzen Universum hält. Bei näherem Hinsehen ist jedoch das Licht der
Welt bare Finsternis. Und das Licht des Herzens, daß sich in jenen inneren Gewißheiten ausspricht, ist der wahre Tag des Geistes. Sicherlich, diese Einsicht kann von Kleingeistern mißbraucht werden, indem sie nun erst recht ihre Mitmenschen mit ihrem ganz persönlichen
Gefühl für das Wahre drangsalieren. Aber damit ändert sich der Sachverhalt nicht. Das objektive, für alle nachvollziebare Kriterium für die Wahrheit einer Offenbarung gibt es nicht und
wird es auch nie geben. In der Welt des Geistes herrscht die Freiheit; deswegen wird es dort
logisch-zwingende Beweise nie geben. Der einzige Beweis ist das innere Licht, denn wenn der
Tag anbricht, verflüchtigen sich alle Zweifel. Doch dieses Licht ist keine Hirngeburt.
Das äußere Wahrheitskriterium
Es gibt freilich auch ein äußeres Echtheitskriterium. Es besteht in der Übereinstimmung einer
neuen Offenbarung mit der alten, etablierten.
»Also ist auch ein älteres Wort der Grund zu einem neueren und eine ältere Lehre der Grund zu einer neuen … danach wird Mein (neues) Wort beurteilt in seiner Wahrheitsfülle, ob es hat den
wahren alten Grund!« (Suppl 309).
Dieser Maßstab ist jedoch keineswegs leichter zu handhaben als das Herzdenken. Denn man
muß schon erleuchtet sein, um die Übereinstimmung wirklich erkennen zu können. Eine
neue Offenbarung ist ja nicht einfach nur eine Wiederholung des bisher Geoffenbarten, sondern eröffnet neue Perspektiven. Als Jesus Christus vor zweitausend Jahren eine neue Offenbarung Gottes brachte, sagte er: »Meint nicht, daß ich gekommen sei, das Gesetz oder die
Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.« (Mt 5.17).
Doch viele Gesetzeskundige waren ganz anderer Meinung. Sie sahen die provokativen Verstöße gegen das Sabbatgebot und konnten die Übereinstimmung des Handelns Jesu mit den Weisungen der Väter nicht erkennen. Ähnliches gilt für die Neuoffenbarung. Grobe Abweichungen
einer neuen Offenbarung von der alten wird man zwar auch mit dem Verstand erkennen können, aber die Behauptung, daß die Neuoffenbarung der Heiligen Schrift in keiner Weise widerspricht ist ein Glaubensurteil. Denn beides, Übereinstimmung und Widerspruch, kann man
begründen. Deswegen bleibt es dabei, das Urteil über die Echtheit einer Offenbarung ist subjektiv. Offenbarungskritik wird man nie zu einem technischen Verfahren vereinfachen können.
Offenbarungskritik ist eher eine Kunst als eine Wissenschaft, und in dieser Kunst ist der
Verstand nicht der Künstler, sondern Knecht.
111
Anschließend ausdrücklicher Verweis auf Jes. 54,13; Joh. 6,45 (wie Lorber! Suppl 236) und Jer. 31,31 33
34.
Offenbarungskritik: Ein Problem der Wahrheitserkenntnis
Quelle: Das Wort, 1994, S. 138-152.
279
EINE GEGENÜBERSTELLUNG: LORBER – SWEDENBORG
Alfred Dicker – 1998
Vorbemerkung von Thomas Noack: Der Beitrag ist dem Originaltext des Autors entnommen. Die
Abkürzungen der Werke Swedenborgs und Lorbers wurden dem Standard angepasst. Der Text
entspricht im wesentlichen der Veröffentlichung in Offene Tore, 1998, S. 75-100.
Als ehemaliger Lorberianer, der jahrelang aufrichtig in dieser Lehre gelebt und auch Swedenborg hie und da gelesen hat, bin ich heute zu einer anderen - einer neuen Sicht der Dinge
gekommen. Ich bin meinem Herrn und Gott sehr dankbar für Sein »Siehe ich mache alles
neu« und ich möchte daher mit nachfolgender Auseinandersetzung niemand verletzen, aber
doch zu dem stehen, was ich nun als wahr erkennen darf - und damit dienen.
Bei jeder Lehre, ja bei jeder Wissenschaft, gibt es Ideen bzw. Wahrheiten die die weiteren beinhalten, d. h. Prioritäten, Erkenntnisse oder Ergebnisse und daraus Schlußfolgerungen bzw.
Ableitungen weiterer Ideen - das Gesamte nennt man dann Lehrgebäude bzw. ist der Inbegriff
für Religion. In diesem Sinne möchte ich meine Gegenüberstellung unter einen einzigen Leitsatz stellen, der in der Enthüllten Offenbarung Kap. 839 vorkommt:
»… ob ihr … Religion habt oder nicht … können wir nicht anders erfahren, als indem wir Fragen
über Gott an euch richten; denn die Idee von Gott dringt in alles ein, was zur Religion gehört …«
Damit ist erstens ausgedrückt, was bei Swedenborg oft vorkommt: Der Gottesbegriff ist die
oberste Wahrheit oder sozusagen das Allerheiligste, das wir an Wahrheit in uns verwalten
dürfen, und zweitens: Es gibt eine stufenweise Abfolge von Wahrheiten, ausgehend von dieser
höchsten oder obersten Wahrheit. Z. B. wie Swedenborg die ganze Themenfolge in seinen Büchern einzigartig in einer den Wahrheiten entsprechenden Ordnung aufbaute - was ihm oft
fälschlicher Weise als penibel ausgelegt wird - aber nur so entsteht eine der kostbaren Wahrheiten gemäße und gerechte Klarheit. Er stellt eine Wahrheit dar und untergliedert sodann
weitere Wahrheiten in ihrer Abfolge, die sich daraus ergeben in 1. 2. 3 … usw. und geht dann
erst ins Detail (HG 3316; 5703 6690; s. auch WCR 508e).
Um einen seriösen Lehrvergleich zu ermöglichen ist dies ebenso wichtig, denn 1.) hängt, wie
gesagt, ein Gedanke von dem anderen ab, und 2.) können damit die Hauptpunkte einer Lehre,
die relativ wenige sind (so umfangreich eine Lehre auch ist), in ihrer richtigen Relation zueinander verglichen werden, da von diesen sowieso alles weitere abhängt, ja diese die eigentliche
Lehre sind, wie ein Grundgerüst, wo alles weitere untergliedert werden kann. 3.) ist in der
richtigen Ordnung ein kurzer und prägnanter Vergleich möglich, der sich zwar auf das Wesentlichste beschränkt, aber dennoch (oder wohl gerade deshalb) die wahre oder eigentliche
Lehre sehr klar abzeichnet.
Unseriös ist es hingegen, und jedes x-beliebige Resultat läßt sich erzielen, wenn nur einige
übereinstimmende oder nicht übereinstimmende Gedanken dieser beiden umfangreichen
Werke verglichen werden, um dann vielleicht auf das Ganze zu schließen.
Ich beginne also bei beiden Lehren mit der 1. Grundsäule: Der Anschauung von Gott. Und der
daraus folgenden 2. Grundsäule: Die Anschauung über Mensch und Erlösung. Im weiteren
folge ich der Struktur Lorbers, Swedenborg gegenüberstellend. Damit wird man am Ende nicht
nur sehen, wie aus der ersten Grundsäule die zweite effektiv ist, sondern wie ausgehend davon aller weiterer Aufbau der Lehre folgt und auf diese erste Grundsäule Bezug nimmt - ja
eine Modifikation dieser ist:
1. Grundsäule bei Lorber:
Gott ist der Urgeist der Liebe »und von der Fülle dieser Herrlichkeit haben alle Wesen ihr Sein
und ihr Licht und freies Leben genommen. Alles Leben ist daher eine Gnade aus Gott und
Eine Gegenüberstellung: Lorber - Swedenborg
281
erfüllt die lebentragende Form durch und durch. Das Urleben in jedem Menschen ist daher,
weil es in sich die gleiche Herrlichkeit Gottes ist, eine ERSTE GNADE GOTTES; diese aber
hatte Schaden gelitten durch die bekannte Schwächung des Hoheitsgefühls mit dem niederen
Gefühle des Werdens und der dadurch erfolgten notwendigen Abhängigkeit von dem Urlichte
und Urgrunde alles Seins. Da sonach diese erste Gnade im Menschen nahe völlig untergehen
wollte, so kam das Urlicht Selbst in die Welt und lehrte die Menschen dahin, daß sie diese
erste Gnade dem Urlichte wieder anheimstellen oder eigentlich in dies Ursein völlig zurücktreten sollen …« (GEJ 1.3,3-5)
2. Grundsäule bei Lorber:
Die ganze sichtbare und unsichtbare Schöpfung ist nichts anderes als verhärtetes Geistiges
aus Gott, durch den Sturz Luzifers (des ersten Erzengels; die Weisheit Gottes) entstanden,
welcher als größter abgesonderter Geist aus Geist und Licht aus Licht von Gott aus sich herausgestellt wurde, als Ihm völlig ebenbürtiges Wesen. Da der Substanz nach Gott, aber doch
aus dem Willen Gottes hervorgegangen, entstand in ihm ein erniedrigendes Gefühl des Werdens, was dem Gott-sein widerspricht. Daraufhin streitete das Hoheitsgefühl ganz gewaltig
dagegen und es entstand am Ende Haß und Überhebung gegenüber Gott. Diese große Lieblosigkeit aber verfinsterte und verdichtete diesen Geist und ließ ihn zur Materie erstarren,
wobei das noch Geist gebliebene Ichbewußtsein in die Mitte der dichtesten Materie (unsere
Erde) eingekerkert wurde. Mit diesem Gegenpol schuf Gott die Voraussetzung freie Geschöpfe
zu schaffen, indem in stetiger Entwicklung von Mineral, Pflanzen bis Tierreich, Gott einen
Funken seiner eigenen reinsten Substanz diesen beilegt und somit aus verhärtetem Geist,
seelisches durch vielfache Reinkarnation heranbildet. Dies geschieht indem eine Vielzahl
solcher Seelen sich zu einer Menschenseele vereinigt, um bei einer Zeugung im Mutterleib zu
inkarnieren und zusammen mit dem Erbgut der Eltern die Seele eines Menschen zu bilden.
Dieser Seele wird wieder ein ihr entsprechend größerer Funke Gottes als Kern beigelegt, um
nun als Mensch im somit erreichten höchsten Freiheitsgrad und Selbstbewußtsein diesen von
Gott gegebenen Geist durch dessen Lehre selbst zu erwecken und sich als ein für sich bestehender Gott zu begreifen. Diese »Freilebensprobe« kann als Seele von einem anderen bewohnten Stern (Sternenseelen) auf dem Boden dieser Erde (da diese Materie besonders dicht und
daher die Herausforderung besonders groß ist) erfolgen. Eine Ausnahme bilden die urgeschaffenen Engel (Menschen von Oben her) die schon lange vor ihrer Inkarnation als Geistfunken
Gottes in Form von Gedanken Gottes abgesondert sind, aber ohne eigene Willensfreiheit fungieren. Diese können durch eine Inkarnation in dieser oder einer anderen Welt zur eigenen
Willensfreiheit und noch größeren Seligkeit fortschreiten. Aber auch die sieben Erzengel, die
die sieben Eigenschaften Gottes verkörpern, inkarnieren als die großen Geister Gottes von Zeit
zu Zeit zu einem großen Dienst und sind meist schon vielfach inkarniert (z. B. der Wille Gottes = Erzengel Michael in Elias und Johannes der Täufer etc.). Ebenso, jedoch einmalig, inkarnierte zum größten Dienst auf diese Weise auch der Urgeist (die göttliche Liebe) selbst, in
Jesus Christus.
Mit jeder Inkarnation und Entscheidung einer Seele für Gott, wird Luzifer ein Teil seiner Substanz entrissen bzw. diese in Geistig-seelisches verwandelt bis nach unvorstellbar langer Zeit
alle materielle Schöpfung nach und nach bis auf wenige »Schlacken« aufgelöst ist und zuletzt
nur mehr das verhärteste Ichbewußtsein Luzifers bleibt, welches immer mehr zur Umkehr
gezwungen sein wird. Nach der Wiederbringung in Gott besteht nur noch die geistige Schöpfung. D. h. Gott selbst und seine allerseligsten kleineren ihm ebenbürtigen Gottwesen, sprich:
Geistiges in durchgeistigt Seelisches.
282
Alfred Dicker
1. Grundsäule bei Swedenborg:
Gott ist die Liebe und Weisheit. Gott hat nichts unmittelbar aus Seiner Substanz erschaffen,
sondern mittelbare Formen der Entsprechung als Bild Seiner göttl. Liebe und Weisheit. Dieses
Mittelbare ist die Schöpfung, welche aber aufgrund der Entsprechung das Streben in sich trägt
Formen hervorzubringen, in welche die göttl. Liebe und Weisheit einfließen kann. Diese Form
ist der Mensch.
Der eine Gott, die göttliche Liebe und Weisheit selbst, kam zur vorgesehenen Zeit als Retter
und Erlöser in Seiner göttl. Weisheit auf Maria herab und nahm ein Menschliches an. Die
Seele Jesu ist dem Wesen nach die göttl. Weisheit selbst, das Menschliche aber von der Jungfrau Maria. Von da her haftete Ihm auch das anererbte Böse an, welches Er während Seinen
Versuchungskämpfen, aus Liebe zum Vater und dem menschlichen Geschlecht, ausgezogen
hat; und letztlich wieder ganz eins wurde, mit der göttl. Liebe (Vater). Die letzte und schwerste
dieser Versuchungen endete mit dem Tod am Kreuz. Damit verwies Er die Höllen wieder in
ihre Schranken als der Herr, der alle Welt überwunden hat und Überwinder ist auf ewig für
alle Menschen, die aus Liebe zu Ihm in Seiner Kraft überwinden wollen. Nur in dem Maße,
wie wir in Seinem Namen überwinden, nimmt Er in uns Wohnung - anders nicht.
2. Grundsäule bei Swedenborg:
Geistiges will geistig und nicht substantiell, im Sinne einer feineren Materie, gedacht werden.
Es gab keine Geister oder Engel vor der Schöpfung. Alle waren einmal Menschen; auf dem
Boden einer materiellen Welt war ihr Beginn. Die Materie ist nicht eines großen Luzifers Reich
und böse, sondern wertfrei und für Gott Grundlage zur Erschaffung der menschlichen Seele.
Die Seele ist nicht in erster Linie Lichtgestalt, sondern geistig zu erfassen und besteht ganz in
Entsprechung zur göttl. Liebe und Weisheit, aus den zwei großen Vermögen des Willens und
des Verstandes! (Auch Neigungs- und Wahrnehmungsfähigkeit bzw. Gefühls- und Gedankenfähigkeit genannt). Sie ist somit Bild Gottes. Nur Gott ist die Liebe und die Weisheit und somit
das Leben aus sich selbst. Im Menschen ist nicht ein Geistfunken Gottes, sondern nach urchristl. Verständnis der Einfluß Gottes, der Hl. Geist. Ohne diesen Einfluß Gottes könnte kein
Mensch existieren, selbst bei den bösesten Menschen bleibt ein Mindesteinfluß (= Bild Gottes)
bestehen der bewirkt, daß der Mensch Vernunft und Ichbewußtsein hat, was ihn vom Tier
unterscheidet. (Dieser Mindesteinfluß Gottes wurde von den Uralten »Nus«, »Pneuma« oder
»Logos« im Menschen genannt). Dieser innerste Einfluß bewirkt aber gerade infolge des Ichbewußtseins gleichzeitig das Gefühl, ohne Einfluß und Abhängigkeit von Gott, aus sich selbst
zu Wollen und zu Denken.
Die ersten Menschen waren noch im völligen Innewerden Gottes und daraus in der Wahrheit:
Alles aus dem Einfluß Gottes und nichts aus sich selbst zu sein (= Ebenbild Gottes). Obgleich
auch in ihnen, durch den innersten Einfluß Gottes, das Ichbewußtsein und völlige Empfinden,
alles sei aus ihnen selbst (= Ähnlichkeit Gottes), vorhanden war. Dies ist von Gott vorgesehen,
weil sich darin alle Seligkeit des Menschen gründet. Erst als sie anfingen, aufgrund dessen
das Göttliche sich selbst zuzuschreiben, bis hin zu dem Hochmut und Wahn, Göttliches sei
ihnen eingegossen und sie seien Götter, verlor sich der Bezug zu Gott, was in der Entsprechungssprache der Bibel (welches Verständnis damit auch verlorenging!) unter Sündenfall
beschrieben wurde.
Es gibt keinen einzelnen Luzifer, Teufel oder Satan oder Gegengott, sondern »nur« eine Vielzahl böser Menschen, sowie deren Zusammenrottung, die sich im Jenseits wie ein einziger
Mensch darstellen kann. Da der Einfluß der Höllen auf die Menschen stetig zunahm und zur
Zeit Jesu ihren Höhepunkt erreichte, so daß schon deren freier Wille gefährdet war, geschah
das gewaltigste Ereignis der Menschheitsgeschichte: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs
Eine Gegenüberstellung: Lorber - Swedenborg
283
wurde selber Mensch! Er ließ gegen sich selbst zu, von den tiefsten Höllen angefochten zu
werden, was nur in Seiner Menschennatur möglich war, da sich Gott sonst niemals ein Teufel
und auch kein Mensch hätte nahen können. Die letzte und schwerste Versuchung endete am
Kreuz. Aufgrund der siegreichen Überwindung verherrlichte (= vergöttlichte!) Er sein Menschliches ins Göttliche, unterjochte die Höllen, verwies sie in Schranken und erhält sie ewig
darin. Für uns aber ist Er zum Überwinder (Erlöser!) geworden! Er ist Gott, der im Ersten und
im Letzten ist, der ferne war und nun auch nahe ist. Allzeit gegenwärtig in der Hl. Schrift. Vor
Jesus Christus wurde der Einfluß Gottes in den Menschen, Geist Gottes genannt. Seit Jesus
wird er Hl . Geist genannt, denn Jesus selbst ist der einzige in uns wirkende Einfluß (kein Geistfunken) und allein für den gefallenen Menschen guten Willens, der Ihn in dieser Weise als Gott
bekennt, nun das einzige und alles überwindende Kraftfeld, das erleuchtet und heiligt!
Wenn wir nur die 1. Grundsäule der beiden Lehren miteinander vergleichen, werden wir einen
Unterschied feststellen, der bei der 2. Grundsäule schon zu einer Weichenstellung geführt hat
und zu einigen beinahe diametralen Gegensätzen. Aber welcher Hauptunterschied ist das?
Was wir auch an Einzelpunkten durchgehen - unterscheiden wir das Wesentliche von nicht
so Wesentlichem, so muß sich dieses geradezu auf einen Kernpunkt konzentrieren. Von dem
hängt alles weitere ab … Es ist folgerichtig die Trichotomie bei Lorber oder genauer, das Gottsein des Menschen. Ich will es die »Geistfunkentheorie« nennen. Damit wäre dies aber nicht
nur der erste oder oberste Ausgangspunkt, sondern folglich auch wichtigster Kernpunkt unserer Unterscheidung - dem wollen wir nachgehen.
Die Geistfunkentheorie
Lor.: »Bei der Ausgeburt des Leibes aus dem Mutterleibe wird der ewige Lebenskeim als ein
Fünklein des reinsten Gottesgeistes in das Herz der Seele gelegt, …« (GEJ 2.217,5).
Lor.: »Der lebendige Geist im Menschen ist eben Meine ewige Liebe und Weisheit, die alles schafft,
ordnet und erhält; und dieser Geist ist der eigentliche wahre und in sich schon ewige Mensch im
Menschen, der sich aber nach Meiner ewigen Ordnung in ihm erst mit der Zeit, der Selbstständigwerdung halber, mit Seele und Leib umkleidet und so in eine äußerlich beschauliche Form tritt. …
Du bist nun ein von Mir wie losgetrenntes Lebensfünkchen Meiner Liebe und kannst selbst zu einer Mir ähnlichen, großen und selbständigen Liebesflamme werden, …« (GEJ 9.85,10-11).
Lor.: »Wird ein solcher Mensch dann erst ganz und gar von oder aus seinem Geiste wiedergeboren, so ist er Mir dann völlig ebenbürtig und kann aus sich in aller seiner Lebensfreiheit wollen,
was ihm in Meiner Ordnung, die er dann selbst geworden ist, nur immer beliebt, und es muß dasein und geschehen nach seinem freien Willen. In solchem lebensvollendeten Zustande, weil Mir
völlig ähnlich, ist der Mensch dann nicht nur ein Herr der Kreatur und der örtlichen Elemente
dieser Erde, sondern …« (GEJ 4.217,9).
Lor.: »Ein jeder Mensch hat eine unsterbliche Seele und in der Seele einen noch unsterblicheren
Geist. Auf daß aber die Seele als ein aus der Materie sich entwickelnder Geist mit dem Urgeiste
Gottes, der ›Liebe‹ heißt, vollends eins werde, muß die Seele selbsttätig dahin all ihr Streben richten, fürs erste sich der Materie und ihren wie immer aussehenden Anforderungen zu entziehen und
all ihr Trachten, Tun und Treiben allein nach dem rein Geistigen zu richten, und fürs zweite fortwährend allein dafür besorgt sein, eins zu werden mit dem in ihr ruhenden Geiste der reinen Liebe
Gottes, …« (GEJ 5.51,3)
Lor.: »Nur ein Fünklein im Zentrum der Seele ist das, was man Geist Gottes und das eigentliche
Leben nennt. Dieses Fünklein muß genährt werden mit geistiger Kost, die da ist das reine Wort
Gottes. Durch diese Kost wird das Fünklein größer und mächtiger in der Seele, zieht endlich selbst
die Menschengestalt der Seele an, durchdringt die Seele endlich ganz und gar und verwandelt am
Ende die ganze Seele in sein Wesen; dann freilich wird die Seele selbst ganz Leben, das sich als
solches in aller Tiefe der Tiefen erkennt« (GEJ 3.42,5-6).
Lor.: »… Es ist also, wie du es nun ausgesprochen hast, und so sind Ich und du schon von Ewigkeit
her, - nur mit dem Unterschiede, demzufolge Ich die ewige Allheit, du aber nur ein Teilchen dieser
unendlichen Allheit in und aus Mir bist. …« (HGt 3.69,9) … (GEJ 1.1,14-3,6; 1.5,23; 1.214,10;
2.40,15; 2.132,8; 2.141,3; 2.210,3; 3.48,7; 4.34,8; 4.54,8; 4.58,3; 4.76,8-10; 4.245,1-2; 5.13,3-4;
284
Alfred Dicker
5.236,10; 6.63,10; 6.85,4; 6.90,9-12; 7.69,7; 7.117,2-3; 7.121,3; 7.155,13-14; 8.191,19; 9.41,8;
9.108,5; 9.173,19; 10.171,9; 10.206,5; HGt 3.47,10-19; 3.54,11; 3.57,9-12; GS 2.10,14; EM 51-54;
RB 1.95,3-7; 1.146,9; 2.151,11-12; BM 50,22; 166,8-10 … )
Ganz klar ist der Geist bei Lorber etwas Abgesondertes von Gott auf Seiten des Menschen.
Nicht zu verwechseln bei Swedenborg mit dem beständigen Einfluß von Jesus Christus beim
Menschen. Bei Sw. kommt ausschließlich, ja als geradezu heilsnotwendig zum Ausdruck
(WCR 48,e), daß dieser Einfluß Gottes (Hl. Geist) allein Gott und nicht sich selbst zugeschrieben werden darf. Denn es ist (siehe oben) ein Mißbrauch der Ähnlichkeit Gottes. Darum haftet
schon einer solchen bloßen Vorstellung ein Hochmut an, der vom Herrn trennt …
Sw.: »… was vom Herrn ist, ist Göttliches, und dieses kann auf keine Weise des Menschen Eigentum werden; das Göttliche kann bei dem Menschen sein, aber nicht in dessen Eigenem; denn das
Eigene des Menschen ist nichts als Böses, weswegen wer das Göttliche sich als eigen zuschreibt,
nicht nur es verunreinigt, sondern auch es entheiligt; das Göttliche vom Herrn wird genau geschieden vom Eigenen des Menschen, und über dasselbe erhoben, und auf keine Weise in dasselbe
versenkt.« (EO 758).
Sw.: »… woraus erhellt, daß sie im Guten und Wahren gehalten werden vom Herrn, und daß sie
fortwährend darin gehalten werden; wenn daher jemand in den Himmel kommt, und denkt, das
Gute und Wahre sei ihm angeeignet als das Seinige, so wird er sogleich aus dem Himmel entlassen und unterrichtet« (EO 854).
Sw.: »Das Leben, das einfließt, ist das vom Herrn ausgehende Leben … von dem … alles Gute der
Liebe und Nächstenliebe, und alles Wahre der Weisheit und des Glaubens einfließt, und nicht im
Menschen ist, daraus nämlich, daß wer so denkt, so etwas sei von der Schöpfung her im Menschen, notwendig auch denken muß, Gott habe sich dem Menschen eingegossen, und die Menschen
seien sonach einem Teile ihres Wesens nach Götter, während doch die, welche so denken, weil sie
es glauben, Teufel werden und wie Leichname einen üblen Geruch verbreiten« (EO 875).112
Sw.: »Inwieweit der Engel glaubt, Liebe und Weisheit seien in ihm selbst, er sie sich also selbst zuschreibt, ist das Engelhafte nicht in ihm. Dann hat er auch keine Verbindung mit dem Herrn, weil
er nicht in der Wahrheit ist, und weil diese mit dem Licht des Himmels identisch ist, kann er insoweit auch nicht im Himmel sein. Denn eben damit leugnet er ja, daß er aus dem Herrn lebe und
meint, er lebe aus sich, sei folglich göttlichen Wesens« (GLW 116).
Sw.: »Wenn er daher dieses Wechselseitige [aufgrund d. Ähnlichkeit Gottes], vermittels dessen er,
was eigentlich des Herrn ist, als das Seinige wahrnimmt und empfindet, mißbraucht, indem er es
sich selbst zueignet, so fällt er vom Engelhaften ab« (GLW 116)
Sw.: »Daß der Mensch es so empfindet, als wäre er ein Leben in sich selbst und dies daher auch
glaubt, beruht auf Täuschung; denn in der werkzeuglichen Ursache wird die Hauptursache nicht
anders wahrgenommen, als ob sie eins mit jener sei. Der Herr aber lehrt bei Johannes, daß Er das
Leben in sich selbst sei: Gleich wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn
gegeben, das Leben in sich selbst zu haben {Joh. 5.26} und: Ich bin … das Leben« {Joh. 11,25;14,6} .
(GLW 4) … (HG 714; 874; 978; 1614; 2016; 1936; 1947; 2882; 2891; 8497; 2904; 4151,b; 9981; EO
961; WCR 18; 40; GLW 60; 115; 394; GV 154; 157; 285; 293; 312-313; 321 …)
In der weiteren sich ergebenden Abfolge werde ich aus Platzgründen nur noch jeweils eine
Textstelle einer anderen gegenüberstellen - stellv. für viele - die ich nur im bescheidenen Umfang als weitere Verweisstellen anführe.
112
[Durch die Kürzung gerät das Zitat grammatisch in Unordnung. Deswegen hier der vollständige Text:
»Das Leben, das einfließt, ist das vom Herrn ausgehende Leben, das auch der Geist Gottes heißt, im
Wort der Heilige Geist, von dem es auch heißt, daß er erleuchte und belebe, ja daß er wirke im Menschen. Aberdieses Leben erhält eine verschiedene Gestalt und wird modifiziert je nach der Organisation, die der Mensch erhält durch seine Liebe und seine Ansicht. Ihr könnt auch wissen, daß alles Gute
der Liebe und Nächstenliebe und alles Wahre der Weisheit und des Glaubens einfließt, und nicht im
Menschen ist, daraus nämlich, daß, wer denkt, so etwas sei von der Schöpfung her im Menschen, notwendig auch denken muß, Gott habe Sich dem Menschen eingegossen, und die Menschen seien sonach
einem Teile (ihres Wesens) nach Götter, während doch die, welche so denken, weil sie es glauben, Teufel
werden und wie Leichname einen üblen Geruch verbreiten.« (EO 875), TN]
Eine Gegenüberstellung: Lorber - Swedenborg
285
Selbsterlösung
Lor.: »Denn bei der Hervorbringung einer Mir völlig ähnlichen Seele, also einer zweiten Gottheit,
darf Meine Allmacht nur sehr wenig, alles aber der neu werdende Gott aus mir zu tun und zu versehen haben. Von Mir aus bekommt er nur das Material geistig und nach Bedarf auch naturmäßig« (GEJ 4.246,6) … (GEJ 1.39,5-7; 2.75,7; 2.230,8; 3.48,7; 3.53,8-13; 3.170,7-8; 3.178,1-2; 4.110,1013; 4.217,9; 4.245,7; 4.263,1-7; 5.236,9; 6.63,10; 6.204,6; 9.171,1-4; RB 1.25,4-5; 1.95,3-7; 1.121,57; BM 68,9 …)
Sw.: »Wer kann nicht, wenn er will, sehen, daß die Seligmachung des Menschen ein ununterbrochenes Wirken des Herrn beim Menschen ist von seiner ersten Kindheit an bis zum Ende seines
Lebens, und daß dies ein rein göttliches Werk ist, und durchaus nicht einem Menschen gegeben
werden kann? Dasselbe ist ein so göttliches Werk, daß es zugleich der Allgegenwart, Allwissenheit und Allmacht angehört; und daß die Besserung und Wiedergeburt des Menschen, mithin seine
Seligmachung ein Ganzes der göttlichen Vorsehung des Herrn sei, siehe man im Buch: ›Die göttliche Vorsehung‹, von Anfang bis Ende« (EO 798) … (WCR 68; NJ 155; HG 9715; 9979; 1813; 20252027; 9715; 9809; 9486; 9986; 1813; 942; 2027; 5069; 9263; 3648; 929; 2406; 8206; 10059; 4151;
6206; 6342; 10731; 8478; 8168; 2694; 1661; 1692; 8172; 8175; 8273; 1712; 8179; 8969; 9978;
10067)
Die Selbsterlösung ist die nächste zwingende Abfolge aus der Geistfunkentheorie. Mit »Geistfunken« ist ja klar zum Ausdruck gebracht, daß die eigentliche Erlösung nicht von wo anderes
her, als aus dem eigenen Selbst bzw. Geistfunken, der sich in die Seele ergießt oder ausstrahlt,
erfolgen muß. Wozu wäre die Absonderung der Geistfunken aus Gott auch zuvor geschehen?
Vor allem, wenn dann doch der Allmächtige Gott mit Seinem Urgeist diesen erlösenden Einfluß ausüben würde? Ja, dies würde der vorrangigsten Idee bei Lorber, Geist aus Gott abzuspalten, um deren ebenmäßiges freies Gottsein zu ermöglichen, geradezu widersprechen. Wenn
nun nicht die höchste erlösende Instanz der eigene Geist sein soll, sondern doch Jesus Christus, müßte dieser aber wiederum in diesen Geist des Menschen einwirken. Das aber widerspricht sich auf zweifache Weise: 1. Ein Geistfunken ebenmäßig aus Gott läßt sich als das
höchste Qualitativ nicht mehr steigern, allenfalls vermehren, das hieße aber 2. die Identität
dieses werdenden Gottes würde zerstört - abgesehen davon, daß mit einem solchen Einfluß
von Gott dann eine vorausgegangene Absonderung der Geistfunken wieder sinnlos wäre. Also
bleibt die eigentliche erlösende Instanz im Menschen der eigene Geist und Gottfunken.
Es stellt sich unweigerlich die Frage, welche Aufgabe hat somit der Erlöser, Jesus Christus?
Die Antwort kann nur lauten: Diese Selbsterlösung höchstens unter Einflußnahme auf Körper
und Seele - nicht Geist! (GEJ 5.236,10-11 u. a.m.) zu fördern und zu begünstigen, so gut es nur
geht, ohne bei diesem Prozeß irgend einen Zwang auszuüben. Daraus ergibt sich als letzte
Schlußfolgerung folgerichtig: daß Jesu Erlösungsbeitrag nur in Form der Lehre oder Belehrung,
bei Lorber auch geistiges Material oder Werkzeuge genannt, erfolgen kann.
Gnosis
Lor.: »Um dir mit wenigen Worten die Sache zu zeigen, so sage Ich dir: Meine Sache und Lehre besteht einfach darin, dem Menschen zu zeigen, wo er eigentlich her ist, was er ist, und wohin er
kommen soll und auch kommen wird der vollsten und evidentesten Wahrheit nach. Schon die
Griechen, das heißt die Weisen, haben gesagt: Das schwerste, wichtigste und höchste Wissen liegt
in der möglich vollkommensten Selbsterkenntnis! Und sieh, das ist eben nun meine Sache« (GEJ
5.215,1-2) … (GEJ 1.4,10; 1.226,6-7; 4.210,2-3; 4.245,7; 4.246,6; 4.263,8; 5.171,9; 5.236,11; 6,44,12;
6.63,3; 6.142,8; 6.204,6; 6.220,7; 6.239,5; 8.183,10; 9.102,4-5; 9.171,1; 10.69,8 …)
Sw.: »Jehovah Gott Selbst kam in die Welt, um die Menschen und die Engel von den Anfällen und
der Gewalt der Hölle, und so von der Verdammnis zu befreien. Dieses tat Er durch Kämpfe gegen
die Hölle, und durch Siege über sie; Er unterjochte sie, brachte sie in Ordnung, und unterwarf sie
seinem Gehorsam. Nach diesem Gericht schuf, bzw. bildete Er auch einen neuen Himmel, und
durch denselben eine Neue Kirche. Hierdurch verschaffte sich Jehovah Gott die Macht, Alle zu erretten, die an Ihn glauben und Seine Gebote halten. So erlöste Er Alle in der ganzen Welt, und Alle
286
Alfred Dicker
im ganzen Himmel. Dies ist das Evangelium, das Er in der ganzen Welt zu predigen befahl« (HK
3,8) … (WCR 138-162; 579; 581; VH 1,8-53; HG 1690; 1737; 4287; 9397; 9528; 9937;1812; 1820 …)
Daß die Gnosis im Sinne von Erlösung durch Erkenntnis die nächste sich ergebende Abfolge
ist, war im vorausgehenden Punkt mit »Lehre« unser Schluß. Hier sei nur noch angeführt, daß
diese »Lehre«, von Jesus Christus gegeben, auch bei Lorber nicht nur im herkömmlichen Sinn
von Lehre, sondern im Sinn von Gnosis verstanden werden muß. D. h. es ist darin jede Form
von Erleuchtung, Vision oder Offenbarung gemeint die auch heute noch auf den einzelnen
zutrifft oder zutreffen kann, welche auf die Selbsterlösung hinführt und diese fördert. Ganz
anders ist das bei Swedenborg. Dieser hatte zwar Visionen, aber keineswegs im Sinne einer
Hinführung oder Förderung zur Selbsterlösung. Hier wird vor allem auch von kirchlicher oder
wissenschaftlicher Seite Ursache mit Wirkung verwechselt: Swedenborg hatte Visionen, also
kann dies nur im Sinne von Gnosis verstanden werden. Wie aber aus der 1. und 2. Grundsäule
bei Sw. und überhaupt aus dem gesamten Sinnzusammenhang klar wird, deutet die Lehre
Swedenborgs einzig auf den wahren Erlöser hin, der nicht nur durch Erleuchtung, sondern
auch Kraft in uns wirkt, nicht nur hinführt zur Tat, die wir dann selbst erbringen müssen,
sondern selbst in uns jede gute Tat erbringt. Ja, nicht nur anleitet zur Erlösung, sondern selbst
die gesamte Erlösung in uns erbringt — dies alles in dem Bewußtsein (Ähnlichkeit Gottes), daß
wir es ganz aus uns tun, und tun müssen, und dabei doch ganz aus Gott — so nahe sind wir
Ihm! Ja, ohne Seinen beständigen Einfluß würden wir nicht einmal eine Sekunde leben. Mit
Nachdruck sei der himmelhohe Unterschied zwischen einer jeden Lehre und der gewaltigen
Erlösungstat Jesu herausgestellt, die an sich Wahrheit ist — und Kraft! Was hilft jede Erkenntnis, jede Erleuchtung, wenn wir es einfach nicht schaffen das Gute auch zu tun? Was hilft ein
Wissen einer Göttlichkeit in uns und Verheißung, Großes zu sein, wenn wir in unserer Not
nur noch eins können: Rufen nach dem Einen! Übrigens, in diesen Versuchungen und Anfechtungen zieht sich, nach Lorber, der Gottgeist zurück, damit der werdende Gott ganz aus
sich siegen kann. Die Folgen sind Verzweiflung, aber nach dem etwaigen »Sieg« aus dem
Eigenem, eine freilich »verdiente Zurechnung«. Die Zurechnung des Wahns und des Hochmuts
ein Gott bzw. ein großer Geist zu sein! Wie lange?? So lange, bis die wahre Demut und Kindschaft Jesu Christi völlig unmöglich geworden ist … ?
Pantheismus
Lor.: »Siehe, keine noch so kunstvoll konstruierte Lebensmaschine kann aus mehrfachen Gründen
für eine ewige Dauer geschaffen werden; denn solche dauerhaften materiellen Lebensmaschinen
erschaffen, hieße für den Schöpfer, Sich Selbst in unendlich viele Teile zerteilen, nach und nach
schwächer und schwächer werden und sich des weiteren Schöpfens unfähig machen!« (GEJ
10.171,5) … (GEJ 2.210,8; 2.231,5-6; 4.257,13; 6.122,7; 6.154,2-3; 8.28,17; GS 2.66,5; HGt 1.5,2;
Hi 2, S.135; BM 166,9-12 …)
Sw.: »… nichts im erschaffenen Universum ist Substanz und Form an sich, noch Leben oder Liebe
und Weisheit an sich, sondern alles ist von Gott, und Gott ist der (eigentliche) Mensch, die Liebe
und Weisheit, die Substanz und Form an sich. Was an sich ist, ist das Unerschaffene und Unendliche, was aber von Ihm ist, das ist, weil nichts in Ihm ist, was in sich wäre, erschaffen und endlich
und stellt Sein Bild dar, von dem es ist und sein Dasein hat. …« (GLW 52) … (HG 7004b; GLW 59;
130; WCR 75-80 …)
Der Pantheismus (das Weltall ist Gottes Substanz), setzt eigentlich schon ganz oben an, nämlich bei der Verdichtung Luzifers, so daß dieser Punkt eigentlich in gleicher Höhe mit der
Geistfunkentheorie stehen müßte, hat aber trotzdem hier unmittelbar nach der Gnosis seine
Ordnung, und zwar wenn man vom Punkt Gnosis weiterdenkt. Denn was durch die Selbsterlösung auf diese Weise erlöst wird, ist niederere Substanz, sprich: das Dunkle und Böse aus
der Substanz Luzifers. Dies ist aber Materie, sowie feinstofflichere Materie, die Seele. D. h. die
Abkehr vom Bösen hat zugleich eine kosmische Dimension. Es gibt also keinen Kampf der
nicht auch Auswirkungen auf die Materie hätte, bzw. ein Kampf mit dieser wäre. Also nicht
Eine Gegenüberstellung: Lorber - Swedenborg
287
wie bei Sw. mit geistigen Mächten (im Sinne von geistig und nicht feinstofflich) die »nur«
mittelbar, d. h. aufgrund der Entsprechung mit der an sich wertfreien Materie in Verbindung
stehen, sondern unmittelbar, d. h. direkt mit ihr verbunden sind gemäß ihrer jeweiligen Substanz. (Hierin gründet sich auch das Meiden gewisser Speisen oder Dinge …)
Ein Wunder an Weisheit und Tiefe findet man bei Swedenborg zum Thema Pantheismus im
Buch »Liebe und Weisheit«! Es muß dort freilich in seiner Vollständigkeit nachgelesen werden
— hier nur ein paar wichtige Gedanken daraus:
»Die göttliche Liebe und Weisheit kann nicht anders sein und dasein als in Anderem, aus ihr
Geschaffenem. Das Eigentliche der Liebe besteht nicht darin, sich selbst, sondern andere zu
lieben und mit ihnen in Liebe verbunden zu werden … Aber seine eigene Lust im anderen
fühlen und nicht dessen Lust in sich, heißt nicht lieben, sondern sich selbst lieben. Diese
beiden Arten der Liebe sind völlige Gegensätze … Die Verbindung der Liebe beruht auf Wechselseitigkeit, und die gibt es nicht in einem allein … Wenn dies bei jeder Liebe so ist, muß es
folglich auch im höchsten Grad, d. h. in der unendlichen, ureigentlichen Liebe so sein. Was
nun Gott betrifft, so kann dieses Lieben und Wiedergeliebtwerden nicht mit anderen Wesen
stattfinden, in denen sich etwas Unendliches bzw. etwas vom Wesen und Leben der Liebe an
sich oder etwas vom Göttlichen fände … Das Unendliche nämlich oder das Göttliche ist einzig.
Fände es sich in anderen, so wäre es ja es selbst, und Gott wäre die Selbstliebe … Vom Erfassen und Erkennen dieses Geheimnisses hängt Erfassen und Erkennen aller Geheimnisse des
Entstehens bzw. der Schöpfung und der Erhaltung durch Gott, d. h. aller Werke Gottes im geschaffenen Weltall ab … Um eines aber muß ich dich bitten, lieber Leser: Menge weder Zeit
noch Raum in deine Vorstellungen, … [sonst] wirst du es nicht verstehen … Ist das Göttliche in
allem Raum ohne Raum, so ist es auch in aller Zeit ohne Zeit; denn nichts von allem, was der
Natur eigentümlich ist, kann vom Göttlichen ausgesagt werden … Deshalb sind in ihren [der
Engel] Denkvorstellungen die Räume durch Lebenszustände ersetzt, die sich auf die Liebe
beziehen und die Zeiten durch Zustände, die sich auf die Weisheit beziehen … Wer das nicht
weiß und sich Gott nicht aus innerer Anschauung heraus zeitlos denken kann, der ist auch
nicht in der Lage, das Ewige anders zu sehen als ein Ewiges der Zeit. Wenn er sich dann Gott
von Ewigkeit vorstellt, gerät er notwendigerweise in Wahnvorstellungen … Was in Gott aus
Gott erschaffen ist, ist wie etwas im Menschen, das zwar aus seinem Leben gezogen, dem aber
das Leben entzogen wurde, und das nun wohl mit seinem Leben übereinstimmt, aber nicht
sein Leben ist … vergleichbar dem Bild eines Menschen im Spiegel, in dem er zwar erscheint,
in dem aber nichts vom Menschen selbst ist … [So ist der Mensch nicht aus der göttl. Liebe
und Weisheit unmittelbar erschaffen, sondern nur mittelbar. Dieses mittelbare ist die Schöpfung, welche Entsprechung oder Bild der göttlichen Weisheit, und nicht die Weisheit selber ist,
aber den Endzweck als streben in sich trägt, schließlich Formen hervorzubringen, in welche
die göttl. Liebe und Weisheit einfließen kann. Aber sie auch lieben kann, weil nichts von ihr in
dieser ist. Diese Form ist der Mensch!]«
Noch einen Punkt darf man nicht übersehen; daß der Pantheismus bei Lorber auch genau ins
Bild paßt. Denn diese Idee schließt in sich, daß vom Menschen die ganze Schöpfung abhängig
gemacht ist, was der Vorstellung vom Gott-sein des Menschen nur billig ist. Ein Mensch mit
einem schon hohen Vollkommenheitsgrad soll demnach nicht nur über die Materie herrschen, sondern muß es geradezu, denn dies bezeugt somit ja diesen! »… ein Mensch, der vom
Geiste Gottes erfüllt ist, ist auch ein Herr über den Grimm und Zorn der argen Tiere eben also,
wie er ein Herr über alle Elemente ist, …« (GEJ 8.199,11. bzw.: GEJ 3.3,3; 3.33,13; 3.53,14-16;
3.101,2; 4.185-214; 4.221,8; 4.263,5; 5.13,3; 5.35,4; 5.51,4-5; 5.178,5; 7.150; 8.191,19;
9.103,6; 10.184,6 …). Ein nicht gerade geringer Anforderungsdruck, dem ein werdender Gott
ohne weiteres gewachsen sein wird … ?
288
Alfred Dicker
Allversöhnung
Lor.: »Wenn aber alle Erden und alle Sonnen in lauter Menschen aufgelöst sein werden, dann wird
auch von dem einen nichts mehr übrig sein als sein pures ›Ich‹, das im völligsten Alleinsein sich
nach Zeiten der Zeiten zur Umkehr anschicken müssen wird, ehe es sich einem ewigen Verschmachten preisgeben wird. Dann wird keine materielle Sonne und keine materielle Erde mehr
kreisen im endlosen ewigen Raume, sondern all und überall wird eine überherrliche neue geistige
Schöpfung mit seligen freien Wesen den endlosen Raum erfüllen … Wann aber dieses alles also
wird, nach der Anzahl der Erdjahre, kann nimmer bestimmt werden! Und würde Ich dir die Zahl
auch kundtun, so würdest du sie unmöglich fassen; und sagete Ich dir auch die Zahl damit, daß
tausendmal tausend so viele Zeitläufe von tausend zu tausend Jahren vergehen werden, als wieviel es da gibt des Sandes im Meere und auf der ganzen Erde, und wieviel es da gibt des Grases in
allen Landen und auf allen Bergen der Erde, und wieviel es da gibt der Tropfen im Meere, in allen
Seen und Strömen, Flüssen, Bächen und …« (GEJ 2.63,3-4) … (GEJ 2.63,3; 5.171,8; 5.229,7; 5.232,2;
6.243; 7.93,3-10; 10.154,10; 10.188,20-25; 10.206,3; RB 2.153,6; 2.226,7-12; EM 27 …)
Sw.: »Der Grund ist, daß all das, was der Mensch bei sich begründet, zu einem Teil seiner Liebe
und seines Lebens wird. Es wird zu einem Teil seiner Liebe, weil es zu einem Teil seines Willens
und seines Verstandes wird, Wille und Verstand aber das Leben eines jeden Menschen ausmachen.
Wird es aber zu einem Teil seines Lebens, so wird es nicht nur zu einem Bestandteil seines ganzen
Gemüts, sondern auch seines ganzen Leibes. So ist denn offenbar, daß ein Mensch, der sich im Bösen und Falschen bestärkt hat, von Kopf bis Fuß so beschaffen ist. Ist das aber einmal der Fall, so
kann der Mensch nicht mehr durch irgendeinen Prozeß der Umkehr oder Vergeltung in einen entgegengesetzten Zustand gebracht und damit aus der Hölle herausgezogen werden« (GLW 268) …
(HH 477-484; VH 2,93; WCR 79h; 651; KD 110; GV 99; 277; 307; 318-319; 326; EL 524; HG 8256;
6977; 7039; 7795; 8232 …)
Die nächste sich ergebende Abfolge aus dem Pantheismus ist natürlich die Allversöhnung
oder Wiederbringung. Denn, wenn Gott alles in allem ist, ist auch die Materie Gott und weil es
unerträglich ist, zu denken, Gott (d. h. ja eigentl. Luzifer) könnte ewig Materie sein oder bleiben
— ist damit schon die ganze Allversöhnungsidee zum Ausdruck gebracht! Mit einem »Liebesbegriff« der hier bei Lorber einen Schritt über Swedenborg hinaus tut, hat das freilich sehr
wenig zu tun. Die Gründe liegen tiefer. Kein aufrichtiges Kind Gottes will, daß Menschen verloren gehen oder verdammt werden — wieviel weniger Gott selbst in Seiner unsagbar großen
Liebe! Aber 1. ist es ein Widerspruch, d. h. auch für Gott unmöglich, dem Menschen einen
freien Willen zu ermöglichen und zugleich die darin liegende Möglichkeit zum Mißbrauch
auszuschließen; und 2. wenn man sagt: Gott ist in diesem Sinne allmächtig, könnte man
gleich sagen, warum konnte Er dann nicht allsogleich eine geistige Welt mit den allerseligsten
Menschen erschaffen — so wie es ja nicht nur bei Swedenborg, sondern auch bei Lorber das
letzte Schöpfungsziel ist?
Die Tatsache, daß es eine ewige Verdammnis gibt, ist im Grunde unbegreiflich erschreckend.
Aber sie weitet auch unser Bewußtsein und vermittelt uns die wahre Gottesfurcht. Freilich
nicht in dem Sinne, daß wir Gott fürchten sollen, wie dies fast durchgängig mißverstanden
wird, sondern um uns die Dimensionen und Folgen der Sünde in aller Tiefe und Konsequenz
vor Augen zu stellen. Das ist nicht leicht zu ertragen, aber der Weise Salomo (siehe Spr. 1,7)
hat recht, es ist der Anfang jeder Erkenntnis — jeder wirklich tieferen Erkenntnis jedenfalls.
Wenn jedoch die Substanz Gottes das Gute wie das Böse umfaßt und letzteres einst wiederkehrt bleibt alles nur eine Trennung in Gott, die es zu überwinden gilt. Das Böse und Falsche
wird nicht geflohen oder wirklich dagegen gekämpft, da man so ja die Trennung aufrechterhalten würde, und das hieße, letztlich einer zu sein, der aus Unverstand gegen Gott kämpft. Vielmehr wird die Synthese angestrebt im Durchleben des Bösen bis man die Erfahrung und
geistige Reife gesammelt hat, um dasjenige in Liebe annehmen oder vereinigen zu können,
was man bisher ablehnen mußte. Aber wie lange man im Bösen verbleibt ist ja nicht schlimm,
wenn man letztlich ohnehin zurückkehrt, und vor allem, stets mit der größeren Erfahrung.
Daher nimmt letztlich auch Luzifer nach seiner Rückkehr (als die Weisheit Gottes) mit seiner
Eine Gegenüberstellung: Lorber - Swedenborg
289
allergrößten Erfahrung auch wieder den ersten Rang nach Gott ein. Nachdem er letztlich allen
zur Erfahrung, sprich, zur Weisheit verholfen hat.
Daß sich mit solchen Anschauungen eine völlige Lauheit und Kampfuntüchtigkeit wegen
eines falschen Liebesbegriffs gegenüber dem Bösen bildet, wird von selbst klar. In dieser Haltung muß man geradezu scheitern. Wer sich sehr bemüht, allenfalls noch mit einer Verwirrung vor Gott, der ja das Gute wie auch das Böse wirkt. In dieser Verharmlosung oder
Unterschätzung des Bösen liegt auch eine Verharmlosung des Falschen bzw. eine Neigung
zum Synkretismus. Die höchste Form der Liebe wird in der Synthese oder Aufhebung von
Gegensätzlichkeiten und Wiedersprüchlichkeiten selbst gesehen und nicht in der Liebe trotz
der Gegensätzlichkeiten.
Ein werdender Gott muß weise sein — dient diese »Allversöhnungsweisheit«, entstammend
ihrem überhumanen Liebesbegriff, der sich über All-es hinwegsetzen kann, nicht vorzüglich
dazu …?
Reinkarnation
Lor.: »Das ist doch ganz natürlich! Ich habe nun die Tore zum Leben nicht nur für die nun auf der
Erde Lebenden eröffnet, sondern auch für alle, die schon lange hinübergegangen sind. Und viele
der alten Sünder werden noch einmal irgendeine kurze Fleischlebensprobe von neuem durchzumachen bekommen, wie Ich euch solches schon gezeigt habe« (GEJ 6.65,2) … (GEJ 1.2,1; 1.214,1;
3.11,2-3; 6.62,12; 6.207,12 …)
Sw.: »… läßt sich mit den Mythen der Alten vergleichen, denen zufolge die menschlichen Seelen
beim Beginn der Welt erschaffen wurden, um dann in menschliche Leiber einzugehen und so zu
Menschen zu werden. Die genannte Vorstellung erinnert auch an jene ungereimte Annahme, wonach die Seele eines Menschen in einen anderen Menschen übersiedeln könne, wie in der jüdischen
Kirche viele glaubten, so zum Beispiel die Seele des Elia in den Leib Johannes des Täufers, oder
daß David in seinen eigenen Leib oder den eines anderen zurückkehren werde, um über Israel und
Juda zu herrschen (Ezech. 34,23-25), … Sie wußten nicht, daß hier unter David der Herr zu verstehen ist« (WCR 171) … (WCR 79f)
Im Gefolge der Allversöhnungsidee steht der Reinkarnationsgedanke. Wenn man der ungeheuren Länge der Zeit bis zur letztlichen Allversöhnung, die sich jedem begrifflichem Denken
entzieht, die Kürze und Hinfälligkeit eines einzigen irdischen Lebens gegenüberstellt, ist Reinkarnation geradezu zwingend (GEJ 1.213,1). Außer man wollte die Vervollkommnung und
Wiederbringung selbst der bösesten Seele, nach diesem Leben allein ins Jenseits verlagern.
Wenn aber 1. schon die ganze Heranbildung einer einzigen Erdenseele über das Mineral-,
Pflanzen-, Tierreich bis zum Menschen in einer ungeheuren Zahl von Reinkarnationen erfolgte, warum soll dann die weitere Entwicklung, ja höchste Vervollkommnung zu Gott, ohne
Reinkarnation erfolgen. 2. Wie soll die Substanz Luzifers (Materie) erlöst werden, wenn die
Weiterentwicklung einer jeden Seele nach einem einzigen Leben auf dieser Welt, allein im
Jenseits weitergehen soll. Vielmehr lassen sich nach Lorber gerade deshalb Engel zum wiederholtesten Male in die Materie einkerkern, um die letztendliche Erlösung (Allversöhnung)
voranzutreiben. 3. Die Weiterentwicklung geht in den eigens dafür vorgesehenen Pflanzschulen des Lebens (Erden od. Sternen) wesentlich schneller als im Jenseits, wo diese höchst langsam und schwierig ist. Würde daher vor allem für Erdenseelen, die aufgrund der größten
Freiheit auch die schlimmsten sind, nicht die Möglichkeit gegeben erneut zu inkarnieren
(wenn auch auf einen anderen Stern), würde solch einer Seele nur der »zweite Tod« (die Auflösung in ihre Urgrundbestandteile) bleiben und die erneute Entwicklung über Mineral-, Pflanzen-, und Tierreich. — D. h. aber auch wiederum — es bedarf des Erlösungsmittels
Reinkarnation!
Insgesamt ist sie bei Lorber also, wenngleich nicht die Erlösung, so doch das vorrangigste
Mittel zur Erlösung schlechthin. Nach Sw. könnte man auch sagen, »das Letzte« oder das,
290
Alfred Dicker
worin das Gesamte der Erlösung bzw. Lehre endet. Darin liegt es auch, daß sie als so edle oder
hohe Wahrheit empfunden wird, die nur wenige begreifen (GEJ 6.61,6) — da eine Infragestellung so gesehen auch tatsächlich bedeutet oder bezeugt, daß der ganze obere Aufbau nicht
begriffen wurde — denn dieser ist hier im Letzten, der Reinkarnation. Sie bekommt ja ihr Gewicht erst dann, wenn ihr vorausgehendes in durchgehender Ordnung begriffen wird — diese
somit darauf ruht!
Damit sind wir zum Abschluß gekommen. Da aber bei Lorber die Reinkarnation im engen
Zusammenhang mit Mensch und Erlösung steht, sei auch bei Swedenborg der 2. Grundsäule
genau hier und an dieser Stelle, noch ein Kurzabriß beigefügt, der klar macht, daß es bei Swedenborg keine Reinkarnation gibt, weil sie eben keinen Beitrag zur Erlösung und auch keinen
weiteren Sinn ergibt. Swedenborg gibt hier einen urchristlichen Standpunkt wieder, der nichts
damit zu tun hat, daß Swedenborg die Reinkarnation nicht begriffen hätte:
Die Erbsünde stammt nicht von einer Verfehlung Adams, sondern von unseren Eltern und
Voreltern. Die Seele existiert nicht schon vor der Geburt, sondern wird von unseren Eltern
weiterverpflanzt. Die Entwicklung der Seele beginnt von Geburt auf und bildet unsere Identität.
Aber erst um die Pupertätszeit wird sie mit der Entwicklung eines freien Selbstbewußtseins
von Gott in den Stand freier Entscheidung gesetzt, sich das anererbte Böse von den Eltern nun
bewußt anzueignen oder aber abzulehnen. Es gibt keine Reinkarnation, denn es gibt auch
keine Nachteile aufgrund eines anererbten Bösen. Im Gegenteil, bei stark belasteten Menschen
greift Gott in dieser Phase oft offensichtlicher ein, da hier größere Spannungsräume sind. So
beginnt von einem jeden von uns das ganz persönliche Leben, aber auch Auseinandersetzung.
Wie wir damit auch umgehen. Was wir auch entscheiden. Es wird uns viel mehr an Kraft als
an Einblick in unsere Situation mangeln — was die Frage nach dem Guten oder nach Gott in
uns wecken soll. Niemand erleidet im anderen Leben eine Strafe oder Qual wegen seines Erbbösen, sondern wegen des wirklichen Bösen, das er begangen hat. Kinder, die frühzeitig sterben, werden im Jenseits herangebildet und selig. Entscheidend ist die Frage nach Gott! Um uns
für Gott zu entscheiden genügt ein Erdenleben vielfach. An der Seite unseres Überwinders ist
es möglich zu überwinden und den Weg, den Er allein als Herr uns zeigen kann, mit IHM an
unserer Seite zu gehen. Geliebt sei dieser Herr Jesus Christus, Gott, der unsere alleinige Kraft,
Quelle und Einfluß ist!
Abschluß und Fazit
Für mich stellte sich nach Abschluß dieser Gegenüberstellung folgende Frage: Wenn gerade
Swedenborg anhand der 3-Personen-Trinitätslehre in zusammenhängender Abfolge und einzigartiger Klarheit nachweist, daß es diese Anschauung von Gott war, die ausgehend von der
ersten Grundsäule die ganze christl. Lehre bis nach unten hin umformte — was erst einer
kleinen Minderheit bewußt geworden ist; muß sich diese dann nicht geradezu ad absurdum
und für die Außenwelt unglaubwürdig darstellen, wenn ihr dies in einer viel gravierenderen
Sache nicht bewußt wird — nämlich der Gottseins-, oder Geistfunkentheorie?!
Sicherlich, auch hier ist der Unterschied nicht gleich auf den ersten Blick sichtbar oder kaum
begreiflich, daß von dieser »Kleinigkeit«, von dieser »Anschauungssache«, so viel abhängt.
Auch hier haben wir es mit einer Herausforderung zu tun die sich an der Liebe zu Jesus Christus, der Wahrheit selbst, prüfen lassen will.
Auch hier geht es um einen Bewußtwerdungsprozeß und um keinen neuen Fundamentalismus.
Auch hier bedürfte es einer Gründlichkeit Swedenborgs, die von oben bis unten hin diesen
Unterschied so klar herausarbeiten kann, daß es vielen sichtbar würde.
Eine Gegenüberstellung: Lorber - Swedenborg
291
In diesem Zusammenhang ist erst zu verstehen, wenn Swedenborg in WCR 508.e, zuerst erklärt, daß die Lehren der neuen Kirche aus stetig zusammenhängenden Wahrheiten bestehen
und dann im Satz gipfelt: »Ein feststehender Grundsatz der Neuen Kirche lautet nämlich, daß
die Falschheiten den Verstand verschließen, während die Wahrheiten ihn aufschließen«.
Im übrigen läßt sich Lorber freilich weniger mit der Trinitätslehre, als vielmehr mit dem Gnostizismus vergleichen. Solange man Lorber für sich isoliert betrachtet, mag das wohl nicht so
erscheinen. So zahlreich und vielfältig die Modelle des Gnostizismus auch sind, so kann man
doch dies zu ihrem gemeinsamen Nenner zählen:
Die gnostische Weltansicht mit ihrer Anschauung von der Wesensgleichheit zwischen Gott
und dem innersten Kern des Menschen. Oft verbunden mit Spekulationen über Gen. 1,26. Im
weiteren: Die Lehre vom »Abstieg und Aufstieg des Menschen«. Man findet oft die Anschauung, daß die Selbste des einzelnen Menschen Teile einer himmlischen Gestalt sind, die von
niedrigen gottfeindlichen Mächten überwältigt, zerrissen und in die Hyle (griechisch »Materie«)
gefesselt wurden. Die materielle Welt entspringt entweder einem anderen Vatergott, einem
Demiurgen oder einem Fehltritt im Pleroma (der Welt des Geistes). Der Dualismus (Gott hat
einen Gegenpol), wird entweder »antithetisch« (feindlich) oder »komplementär« (ergänzend)
gedeutet.
Es bliebe nachzuprüfen, inwieweit diese »Grundneigung« des Gott-seins wohl eine der anziehendsten Leidenschaften in der rel. Geschichte überhaupt ist. Vielleicht eben u. a. in der Gnosis … ?
Man muß dabei davon ausgehen, daß es nicht dieser Gedanke an sich ist, der so anziehend ist,
d. h., daß man Gott sein will im direkten Sinn, sondern wie ich in der Gegenüberstellung hinwies; es sind vielmehr die Konsequenzen des Gott-seins, die so anziehend wirkten und wirken, wie z. B.: Die allmähliche Überzeugung doch ein »großer Geist«, eine hohe Inkarnation zu
sein, die Nähe Gottes in der Wesengleichheit zu sehen, den Wunsch bei zunehmender Vergeistigung über alles, ja über die Schöpfung herrschen zu können, die sensationelle Sicht der
Dinge allgemein, die Zukunft voraussagen zu können und ähnliche Fähigkeiten — das heißt in
Wahrheit und in der Konsequenz »Gott« zu sein bzw. in der Anmaßung zu sein, sich Gott
gleichzustellen!
Wenn wir im weiteren davon ausgehen, daß es nicht irgend ein Ereignis, sondern das tiefgreifendste überhaupt war, wovon wir diese tief grundgelegte Neigung herleiten können, nämlich
dem Sündenfall, — dann ist das eher sogar wahrscheinlich. Freilich, die damalig erste Kirche
wurde gänzlich ausgerottet und seither das menschliche Geschlecht vielfach um- und weitergebildet; aber ist es nicht immer die selbe Grundneigung, von der diese erste gefallene Kirche
nur das eindrücklichste Exempel ist? Die oberste entgegengesetzte Liebe zu Gott ist nach
Swedenborg auch heute noch die Selbstliebe und Herrschsucht und deren Gipfel ist, möglichst
»Sein wie Gott«! (HG 1304-1308; GV 215; HH 555; WCR 45; 400; 754; 822)
Sehen wir uns doch einmal diesen verhängnisvollen Baum der Erkenntnis von Gut und Böse,
die Schlange und das Essen von diesem Baum etwas genauer an. Nach Swedenborg ist dieser
Baum der Gegensatz zum Baum des Lebens. Der Baum des Lebens aber ist die völlige Anerkennung, alles Gute und Wahre sei aus Gott — nichts aus uns selbst. Der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse hingegen, der Glaube das Gute und Wahre sei aus uns selbst. Seither ist
der Mensch in der Erkenntnis von Gut und Böse bzw., daß es aus ihm selbst sei. Letzteres (das
Böse) entspringt genau aus diesem Wahn (s. WCR 663; GV 313; EL 135; 153b; 353-354; 444).
Damit sind wir eigentlich im Kontext unserer Gegenüberstellung.
Kurz noch; die Schlange bezeichnet die Überredung oder Bestärkung darin, das Göttl. sei in
uns selbst (s. 2. Grundsäule bei Sw. »Ähnlichkeit« Gottes). Das Essen vom Baum bezeichnet,
292
Alfred Dicker
die Aneignung dieses Wahns. Swedenborg berichtet an einigen Stellen vom erschreckenden
jenseitigen Zustand dieser ersten gefallenen Menschen:
»Gott ist, da Er unendlich ist, in sich selbst das Leben. Dies kann Er nicht erschaffen und so
auf den Menschen übertragen, hieße es doch, den Menschen zu Gott zu machen. Der Wahnsinn der Schlange oder des Teufels und von diesem her der Chavah (Eva) und des Adam, bestand in der Annahme, daß dies geschehen sei; denn die Schlange sagte: Welches Tages ihr
von der Frucht dieses Baumes essen werdet, werden eure Augen sich auftun, und ihr werdet
wie Gott sein (1.Mose 3,5). Diese unheilvolle Überredung, daß Gott sich selbst gleichsam in die
Menschen ergossen und versetzt habe, wurde von den Menschen am Ende der ältesten Kirche
genährt, als diese Kirche sich ausgelebt hatte. Ich habe es aus ihrem eigenen Munde gehört
und weiß, daß sie wegen dieses ihres schauderhaften Glaubens — sie halten sich somit für
Götter — tief verborgen in einer Höhle liegen, der sich niemand nahen kann, ohne von einem
inwendigen Schwindel erfaßt zu werden und zu Boden zu stürzen« (WCR 470c.e. s. auch: WCR
598; HG 562; 808; 1268; 1327b).
Damit wäre die Gnosis tatsächlich sehr alt. Dies deckt sich interessanter Weise in der Gnosisforschung mit dem Ergebnis, daß ihr Ursprung nicht auszumachen ist. Insofern könnte man
den Gnostizismus allgemein oder sämtliche heutigen Formen der Neugnosis auch so interpretieren: Es sind Versuche der »Rechtfertigung oder Rechtfertigungslehren des Gott-seins des
Menschen«.
Von da aus gesehen würden sich die einzelnen Modelle (vielleicht folgerichtiger) vielmehr
darin unterscheiden, wie einleuchtend bzw. wie allumfassend die Anschauung vom Gott- sein
des Menschen dargestellt wurde oder wird.
Dies würde wiederum das eigentümliche ihrer Geschichte erklären. Daß sie sich bekanntlich
sehr schnell über die Zeit hinweg den jeweils herrschenden religiösen Systemen oder wissenschaftlichen Überzeugungen anpaßte bzw. sich damit anreicherte. Ganz einfach, so lange
diese »Lieblingsneigung« des Gott-seins klar herauskommt, ist alles weitere sehr sekundär
(und wo ist das heutzutage schon nicht so?). Anstelle der Vielzahl von gezeugten und ungezeugten Göttern und ihren Intrigen im Pleroma, treten heute naturwissenschaftliche Interpretationen von Schwingungen, Energien und Strahlungen auf. So hat denn die Gnosis, die wohl
ursprünglich und prinzipiell eine Religion der Selbsterlösung ist, wahrscheinlich erst im
späteren Valentinianismus (z.Z. des frühen Urchristentums) eine Erlösergestalt rezipiert. Die
Lehre vom Abstieg und Aufstieg und die jeweilige Kunde (Gnosis) des Erlösten (»erlösten Erlösers«) noch im Dies- oder aus dem Jenseits, würde auch keine einzelne Erlösergestalt benötigen, wie man im Grunde auch bei Lorber (siehe oben unter Gnosis) sehen kann. Daß sie sogar
ohne eine solche besser auskommt (z. B. ohne die peinliche Deutung eines Kreuzestodes und
vieler Stellen im NT.) zeigt sich im Gnostizismus da, wo einzig die Geistfunken im Menschen
noch als Summe die Gottheit bzw. das übergeordnete Bewußtsein Gottes ausmachten (s. wieder WCR 470c.e).
Einzigartig bei Lorber ist es demnach, daß sich dieser gewissermaßen schon Anleihe am
neuesten »rel. System«, der neuen Kirche bzw., an Swedenborg macht.
Das würde den Eindruck bestätigen, daß Lorber bzw. dessen jenseitige Kundgeber Swedenborg
interpretieren — aber eben vom esoterischen, spiritistisch-gnostischen »Gottsein« des Menschen aus.
Die erste Grundsäule Swedenborgs oder den urchristl. Erlöserglauben, den dieser einzig wieder freigekämpft hat (war wahrscheinlich zu nüchtern, zu schlicht, hat nicht so tief gegriffen),
so daß eine Umformung von Grund auf stattgefunden hätte. Da also der Kerngedanke des Gottseins wie eine Wurzel blieb, wurde vielmehr von da ausgehend Swedenborg uminterpretiert.
Eine Gegenüberstellung: Lorber - Swedenborg
293
Wir können uns und müssen uns — und es wird in Zukunft immer wichtiger werden — gerade
mit Swedenborg wieder mehr bewußt werden, wie sehr die Neigung die Anschauung gebiert
und rechtfertigt, als vor lauter Staunen über die Größe eines Weltentwurfs, immer wieder die
meist gewöhnlichen Sehnsüchte eines menschlichen Herzens, die sich dahinter verbergen, zu
übersehen.
Abschließend vielleicht noch einige weitere Gedankenanstösse oder Anregungen zu diesem
Thema, z. B.:
Daß Swedenborg von kirchlicher Seite abgelehnt wurde und praktisch ausschließlich in esoterischen, spiritistisch-gnostischen Zirkeln Aufnahme fand.
Daß gerade die Werke Swedenborgs eine geistige Inspiration auszulösen vermögen aus der
neue Gedanken nur so »hervorsprudeln«, aber dieses »Sprudeln« auch Gefahr birgt, von der
Quelle selbst davongetragen zu werden, was vor allem an der Höhe des Gedankenfluges in
diesen Schriften liegt.
Daß in esoterisch-gnostischen Kreisen besondere Extreme auftreten, wenn göttl. Wahrheiten
dem Eigenen zugeschrieben werden.
Daß das Zuschreiben von Wahrheiten dem eigenen Inneren, völlige Parallelen dazu hat, diese
Wahrheiten auch als die eigenen auszugeben.
Daß sich Kundgeber aus dem Jenseits notgedrungen nur dadurch Gehör verschaffen können,
indem sie sich als hoher Geist, oder am besten, als Gott selbst ausgeben.
Zuletzt möchte ich jetzt noch mit einer Bitte schließen. Und zwar, es möge mir bitte verzeihen,
wer meine Ansichten nicht teilt oder daran Anstoß nimmt! Ich grenze mich keineswegs zu
Menschen ab, wenngleich zu einer Lehre — dies ist mir ein aufrichtiges Anliegen!
Das Verhältnis von Swedenborgianern und Lorberianern führt immer wieder zu unnötigen
Spannungen, solange einige so tun, als gäbe es hier keine wesentlichen Unterschiede. Wenn
hingegen die Unterschiede klar und unmißverständlich herausgestellt werden, wird dies nicht
nur klare Verhältnisse — sondern kann gerade dies gegenseitigen Respekt und Liebe untereinander schaffen. Diese Voraussetzungen sind aber grundsätzlich allen Lehren gegenüber gegeben, wo nicht ein »bloßer Glaube«, sondern gute Werke als Hauptsache stehen und gepredigt
werden bzw., bei jedem einzelnen Menschen der weltweiten Kirche, der letzteres von Herzen
anerkennt und Toleranz lebt. Streit oder besser gesagt, tiefergehende Auseinandersetzungen
werden dabei vielmehr vom »Allversöhnungs-Liebesbegriff« vorab als Böse abqualifiziert und
abgewertet.
SWEDENBORG UND LORBER
ZUM VERHÄLTNIS ZWEIER OFFENBARUNGEN
Thomas Noack – 1998
Die Werke Swedenborgs und Lorbers wollen
göttliche Offenbarungen sein. Daraus folgt: Sie
wollen von derselben göttlichen Wahrheit
zeugen. Doch diese Einheit der Lehren ist
umstritten. Alle denkbaren Theorien werden
vertreten. Die einen sagen: Swedenborg und
Lorber stimmen vollkommen überein. Die
anderen sehen neben Gemeinsamkeiten auch
Unterschiede. Und für die dritte Gruppe sind
Swedenborg
und
Lorber
unvereinbare
Gegensätze. Im folgenden formuliere ich
meinen Standpunkt in dieser Angelegenheit.
Die Tatsache, daß so unterschiedliche
Ansichten vertreten werden, ist ein Hinweis
darauf, daß dieser Vergleich mit besonderen
Problemen behaftet ist. Die wichtigsten
scheinen mir zu sein: Erstens: Der Umfang der
Werke Swedenborgs und Lorbers. Er bewirkt,
daß es nur wenige Kenner beider Lehren gibt.
Zweitens: Der Offenbarungscharakter. Er führt
zu der Frage: Läßt sich der Wahrheitsgehalt von
Offenbarungen überhaupt prüfen? Oder muß
das von oben Gegebene als gegeben
Thomas Noack
hingenommen werden? Das ist das Problem der
geb. 1959
Offenbarungskritik 113. Drittens: Die unterschiedliche Beschaffenheit. Swedenborg ist keineswegs nur ein Vorläufer Lorbers; und Lorber keineswegs nur eine Neuauflage Swedenborgs. Beide Werke sind von ganz eigener Art. Der originäre Charakter darf nicht übersehen oder verwischt werden. Aber wie ist er zu beurteilen?
Sind die beobachtbaren Unterschiede Widersprüche oder einander ergänzende Sichtweisen
einer Wahrheit, die uns nur in ihren Scheinbarkeiten114 zugänglich ist? Verträgt die Wirklichkeit des Geistes nur eine Darstellung? Oder muß sie nicht für unsere Wahrnehmung in verschiedene Aspekte zerfallen? Paradoxe Aspekte, die aber so und so ausgesagt werden müssen,
wenn das Ganze auf der begrifflichen Ebene zur Erscheinung kommen soll? Ich denke an das
Licht, — bekanntlich eine Entsprechung des Wahren; es kann sich als Welle oder Teilchen
zeigen. An sich ein Widerspruch! Aber im Interesse der offenbar höheren Wirklichkeit des
113
114
Fr. Horn, Zum Problem der Offenbarungskritik: Am Beispiel von Swedenborg und Lorber, in: OT 1975
- 1977. Th. Noack, Offenbarungskritik: Ein Problem der Wahrheitserkenntnis, in: Das Wort 3 (1994)
138-152.
Ich beziehe mich hier auf Swedenborgs Konzept der »Scheinbarkeiten des Wahren«. In HG 2053
schreibt er beispielsweise: »Beim Menschen gibt es überhaupt kein reines Wahrheitsverstehen, d. h.
(kein) göttliches Wahres. Das Glaubenswahre beim Menschen ist vielmehr eine Scheinbarkeit des
Wahren (oder Erscheinungsform des Wahren).« Das ist übrigens auch der ursprüngliche Sinn von
Dogma: das, was als wahr erschienen ist (von gr. dokein = erscheinen). Erst eine dekadente Zeit sah im
Dogma den starren Lehrsatz. Swedenborg behandelt das Problem der Erstarrungen unter dem Stichwort der Begründungen (confirmationes).
Swedenborg und Lorber: Zum Verhältnis zweier Offenbarungen
295
Lichtes muß er ausgehalten werden. Viertens: Das kommunikative Problem. Die Auseinandersetzungen neukirchlicher Geistlicher mit dem Lorberschrifttum waren seit den Anfängen in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts höchst polemisch und ablehnend. Erst in der Mitte
unseres Jahrhunderts wurde die Diskussion sachlicher. Jedoch glaubte man, den geistigen
Aussagegehalt des Lorberschrifttums nicht beurteilen zu können; so kam das eigentlich interessante Gespräch wieder nicht zustande. Hinzu kommt: Wer als Swedenborgianer eine Aufgeschlossenheit oder gar positive Grundeinstellung den Lorberschriften gegenüber erkennen
läßt, setzt sich schnell dem Vorwurf aus, eigentlich ein Lorberianer zu sein. Von daher ist
auch die Tatsache erklärlich, daß — obwohl die Wirkungsgeschichte Swedenborgs von seinen
Anhängern schon immer intensiv erforscht wurde — das Lorberschrifttum trotz offenkundiger
Parallelen bisher keiner gründlichen Untersuchung gewürdigt wurde. Andererseits findet in
Lorberkreisen eine Swedenborgrezeption statt. Sie geschieht zwar oft unter dem Eindruck der
Höherwertigkeit der Lorberoffenbarung und ist teilweise sicher selektiv und einseitig. Sie ist
aber immerhin von einer grundsätzlichen Anerkennung Swedenborgs getragen. Das hängt mit
den zahlreichen positiven Erwähnungen Swedenborgs im Lorberwerk zusammen. Das kommunikative Problem ergibt sich aus der Einseitigkeit der Rezeption. Die Swedenborgianer
sollten sich einen eigenständigen Zugang zum Lorberwerk erarbeiten. Das Proprium einer
neukirchlichen Herangehensweise kann im Nunc licet gesehen werden. Swedenborg sah in
der geistigen Welt den Tempel der neuen Kirche und über dem Tor die Inschrift: Nunc licet.
Nun ist es erlaubt mit Verstand in die Geheimnisse des Glaubens einzutreten (WCR 508). Das
Zeitalter der Erleuchtung ist angebrochen (HG 4402).115 Die Strahlen der Morgenröte fallen
bereits in die Täler und Vertiefungen der Welt (= des äußeren Denkens) herein (GS I.16.3).
Demnach muß es möglich sein, gerade auch den geistigen Aussagegehalt des Lorberwerkes
zu beurteilen. So gesehen ist es für Swedenborgianer ein Testfall des Nunc licet.
Doch wie können angebliche Offenbarungen hinsichtlich ihres Wahrheitswertes beurteilt
werden? Meines Erachtens nicht durch den Erkenntnisweg der konsequenten Infragestellung
(des wissenschaftlichen oder methodischen Zweifels). Swedenborg stand in einer anderen
Tradition; in jener alten, die vom Glauben ausgehend zum Verständnis des Geglaubten gelangen wollte. Sie ist mit den Namen Augustin (gest. 430) und Anselm von Canterbury (gest.
1109) verbunden. Augustin prägte das Motto: credo ut intelligam (ich glaube, um zu verstehen). Und Anselm formulierte das Leitwort der Scholastik: fides quaerens intellectum (der
Glaube, der das Verstehen sucht). Und Swedenborg schließlich schaute den schon genannten
Wahlspruch der neuen Kirche: Nun ist es erlaubt mit Verstand in die Geheimnisse des Glaubens einzutreten. Swedenborg ist die Erfüllung der abendländischen Hoffnung: Der Glaube
werde eines Tages im Lichte verklärt. Swedenborgs Denken ist Denken aus Glauben. Nur so
erschließen sich uns nach seiner Überzeugung Offenbarungen. Swedenborg wollte »Himmlische Geheimnisse« für den Verstand begreiflich auslegen und konnte dies nur, weil er der
biblischen Offenbarung einen Vertrauensvorschuß entgegenbrachte:
»Die Lehrgegenstände des Glaubens, wie auch das Wort [= die schriftlich fixierte Offenbarung],
waren ohne die innere Wahrnehmung vielfach von der Art, daß man sie nicht glauben konnte. Die
geistigen und himmlischen Dinge übersteigen nämlich das menschliche Fassungsvermögen unendlich, daher ja auch das Vernünfteln. Doch wer nicht glauben will, bevor er es erfaßt, kann nie
glauben.« (HG 1071). »Von der Vernunft auf die Glaubenslehre blicken bedeutet dem Wort oder
seiner Lehre erst dann glauben, wenn man aufgrund vernünftiger Erwägungen überzeugt ist, daß
es sich so verhält. Hingegen von der Glaubenslehre auf die Vernunft blicken bedeutet dem Wort
115
In HG 4402 schreibt Swedenborg: »Die Zeit der Erleuchtung ist am Kommen (venturum est tempus
quando illustratio).« Die von Swedenborg hier gewählte Zeitform bezeichnet die im Anbruch befindliche Zukunft. Die Bekenner der Neuen Kirche in Schweden wählten dieses Wort für ihre Gedenktafel von
1888 in Hornsgatan (Swedenborgs Wohnsitz in Stockholm) aus.
296
Thomas Noack
und seiner Lehre erst glauben und sie dann durch vernünftige Überlegungen bekräftigen. Die erste
Ordnung ist verdreht und bewirkt, daß man nichts glaubt. Die zweite ist richtig und bewirkt, daß
man besser glaubt … Es gibt also zwei Prinzipien: das eine führt zu Torheit und Unsinn; das andere zu Einsicht und Weisheit.« (HG 2568). »Solange man bei der Streitfrage, ob es sei und ob es so
sei, stehen bleibt [= der methodische Zweifel], kann man in der Weisheit keinerlei Fortschritte
machen. … Die heutige Bildung geht über diese Grenzen, nämlich ob es sei und ob es so sei, kaum
hinaus. Deswegen sind ihre Vertreter auch von der Einsicht in das Wahre ausgeschlossen.« (HG
3428).
Hier zeigt sich ein Dilemma. Man kann die Offenbarungen durch Lorber vom Standpunkt des
Glaubens verstehen wollen und sich dabei auf Swedenborg berufen. Denn der Glaube ist der
Anfang des Verstehens. Bei dieser Entscheidung wird man aber mit dem Einwand konfrontiert,
daß dann jeder sogenannten Offenbarung zu glauben sei. Doch das ist nicht der Fall. Auch
diejenigen, die diesen Einwand vorbringen, werden in der Wirklichkeit ihres Tätigseins nicht
jeder Offenbarung folgen und sollten sich fragen: Warum? Wahrscheinlich, weil auch sie sich
von ihrem Gespür für das Wahre leiten lassen. Es ist zwar subjektiv, kann uns auch verleiten,
sollte entwickelt werden; aber es ist der Kompaß unserer Wahrheitssuche. Der Glaube ist der
Anfang des Verstehens; aber das heißt nicht, daß wir den gesamten Markt der Möglichkeiten
konsumieren sollen. Gemeint ist nur, daß die intellektuelle Mode der generellen Infragestellung in Sachen Lebensweisheit zu keinen Fortschritten führt. Oder positiv formuliert: Wir
können uns nur dem Gespür für das Wahre anvertrauen. Da es jedoch subjektiv ist, lohnt sich
der Streit darüber nicht, wie entwickelt oder unentwickelt es bei dem einen oder anderen ist.
Deswegen beschränke ich mich in der äußeren Gesprächspraxis auf die Forderung, daß jeder
seinen geistigen Standpunkt offenlegen soll. Meine Position ist die Glaubensbereitschaft gegenüber beiden Offenbarungen und der Versuch der Zusammenschau, soweit es das Verstehen zuläßt. Der Glaube ist die Voraussetzung dieses Unternehmens; das Verstehen die
Grenze. Auf dem Prüfstand steht die Frage: Ist das Nunc licet praktizierbar? Oder ist diese
Vision vielleicht doch nur eine Illusion?
Unterschiede sind nicht immer auch Widersprüche. Zwei Modelle mögen das veranschaulichen. Das erste besagt: Der Standpunkt bestimmt die Wahrnehmung. Damit ist nicht nur der
des Interpreten, sondern auch der einer Offenbarung gemeint. Beispiele für die Relativität der
Anschauungen sind: Ein Bahnreisender kann nicht sofort erkennen, ob sich nun sein Zug
oder der auf dem Nebengleis bewegt. Vom Bahnsteig aus wäre diese Frage leichter zu beantworten. Oder: Die Sirene eines vorbeirasenden Krankenwagens hört sich anders an, je nachdem ob er sich auf den Hörer zu- oder von ihm wegbewegt. Oder: Daß die Sonne im Osten
aufgeht und im Westen untergeht, ist nur vom Standpunkt der Erde aus eine nachvollziehbare
Wahrheit. Oder: Ob das Glas auf dem Tisch vor oder hinter der Flasche steht, hängt vom Sitzplatz des Betrachters ab. Oder: Ob dieses Glas halb voll oder halb leer ist, hängt von der Gemütsverfassung des Dasitzenden ab. Die Beispiele ließen sich vermehren. Sie zeigen: Ein
gleichbleibender Sachverhalt kann unterschiedlich wahrgenommen werden. Es ist immer
auch zu fragen: Von wo aus erscheint die Wahrheit so und nicht anders? Diese Einsicht ist für
die Beurteilung bestimmter Unterschiede bei Swedenborg und Lorber wichtig. Das zweite Modell besagt: Scheinbar unvereinbare Objekte sind in einer höheren Dimension vereinbar. So
sind Kreis und Rechteck auf der Ebene nicht zur Deckung zu bringen; aber im Zylinder können sie dennoch eins sein. Von dreidimensionalen Gebäuden kann man nur zweidimensionale Fotos machen. Folglich kann man das Gebäude nicht erhalten, indem man die Fotos einfach
nur übereinanderlegt. Und dennoch kann jeder im Geiste das unanschaubare Ganze erschauen. Die Synthese ist ein geistiger Akt, der sich auf der Verbalebene nicht oder höchstens uneigentlich demonstrieren läßt. Meines Erachtens sind die äußeren Offenbarungstexte und das
daher stammende Glaubenswissen lediglich die Gehirnbilder (Engramme) einer höheren Wirklichkeit. Die Synthese hingegen ist ein unvermittelbarer Akt des inneren Schauens. Vielleicht
Swedenborg und Lorber: Zum Verhältnis zweier Offenbarungen
297
meinte Swedenborg das, als er schrieb: Die Kenntnisse sind nur die Gefäße des Guten und
Wahren (HG 7920). Die Erfüllung des Wissens ist nicht das Wissen, sondern die innere Schau
aus der Wirklichkeit der Liebe und des Lebens in uns. Daher liegt die Zusammenschau Swedenborgs und Lorbers jenseits aller handwerklichen Beweisbarkeit; sie ist ein schöpferischer
Akt, der nicht nur das Erkannte, sondern auch den Erkennenden verändert.
Die Synthese kann nur gelingen, wenn auch die Unterschiede wahrgenommen werden. Daher
ist sie gerade nicht eine simple Vereinheitlichung der Offenbarungen; auch wenn oft einseitig
nur die Gemeinsamkeiten oder einseitig nur die Unterschiede gesehen werden. Durch die
einäugige Betrachtung geht das Besondere des Vergleichs verloren. Worin besteht der je eigene
Standpunkt bei Swedenborg und Lorber? Erstens: Swedenborg entdeckt im äußeren Wort der
Bibel die innere Wirklichkeit (gemeint ist der innere Sinn und die Jenseitsschau); Lorber hingegen empfängt durch das innere Wort ein Bild der äußeren oder erscheinlichen Wirklichkeit.
Der Begriff äußere Wirklichkeit als Gegenstand der Offenbarung durch Lorber ist erklärungsbedürftig. Gemeint ist die historische, dialogische und erscheinliche Darstellungsweise. So
wird die äußere Geschichte der Urkirche (Haushaltung Gottes) und des irdischen Jesus (Jugend Jesu, Großes Evangelium) berichtet. In diesem Sinne beschreiben auch die Jenseitswerke
Lorbers die äußerlich erscheinliche Wirklichkeit des jenseitigen Lebens in Form von Jenseitsbiographien. Und immer werden die Einsichten im Dialog entfaltet. Die gegenläufigen Betrachtungsrichtungen wirken sich auf die Ansichten der Realität des Wahren bei Swedenborg und
Lorber aus. Das spiegelverkehrte Verhältnis muß spiegelverkehrte Bilder produzieren. Zweitens: Der Seher Swedenborg schaut eher von der Erde in die unermeßlichen Weiten der geistigen Welt. Ihn interessiert die Frage: Wohin gehen Mensch und Menschheit? Lorber hingegen
blickt eher in die andere Richtung: Woher kommen Mensch und Menschheit und das ganze
Schöpfungsdrama? Freilich fehlt das Wohin bei Lorber nicht. Aber bezeichnend für das Werk
des Schreibknechts ist das Interesse an der materiellen Schöpfung. Schon bevor er das innere
Wort erstmals hörte, wanderte er mit seinem Tubus auf den Schloßberg von Graz und betrachtete die Planeten und den Sternenhimmel. Sein Biograph Karl Gottfried Ritter von Leitner notierte: »Besonderes Interesse hegte er auch für die Astronomie.«116 Lorber schaute in die
unermeßlichen Tiefen der natürlichen Welt. Drittens: Swedenborg und Lorber wollen ein unterschiedliches Erkenntnisorgan erreichen. Swedenborg will den Verstand des Gemüts ansprechen (Nunc licet intellectualiter usw.); Lorber will die Antwort ins Herz legen (HGt I.1.1).
Beide wenden sie sich an den Geist. Doch dessen Lokalisation ist grundverschieden. Swedenborg, der von der Gehirnforschung herkam, fand ihn im Gehirn; wenngleich man hinzufügen
muß, daß er kein Intellektueller war. Der Musiker Lorber spürte die Regungen des Geistes im
Herzen. Viertens: Swedenborgs Schriften sind exegetisch und systematisch-theologisch; Lorbers Schriften sind dialogisch. Im Dialog läßt sich die Wahrheit nicht dozieren, nur entdecken,
wenn man sich und seine Fragen in das Gespräch einbringt.
Ausgehend von diesen Grundsatzüberlegungen werde ich mich nun der Gottesvorstellung bei
Swedenborg und Lorber zuwenden und ihrer anthropologischen Konsequenz, das heißt der
Frage: wie verhält sich die Idee des Geistfunkens (Lorber) zu derjenigen des Einflusses (Swedenborg). Die Beschränkung auf diese beiden Themenschwerpunkte ist sachlich gerechtfertigt,
denn die Gottesidee ist die Seele der gesamten Theologie und durchdringt alles Folgende (EO
839, WCR 5) und somit auch die Anschauung vom Menschen. Außerdem beziehe ich mich
mit dieser Themenauswahl auf die in Offene Tore 2/1998 veröffentlichte Gegenüberstellung
von Alfred Dicker.
116
Karl Gottfried Ritter von Leitner, Jakob Lorber: Ein Lebensbild nach langjährigem, persönlichem
Umgange, Bietigheim 1930, S. 12.
298
Thomas Noack
In der »Wahren Christlichen Religion« schreibt Swedenborg: »Der Hauptgegenstand (principale
objectum) dieses Werkes ist der Nachweis, daß im Herrn die göttliche Trinität verbunden ist.«
(WCR 108). Dieses Anliegen erzeugte einen Widerschein in den Lorberschriften. In »Jenseits
der Schwelle« heißt es von einem Sterbenden: Er glaubte fest, »daß Jesus der eigentliche Jehova ist, denn er lernte solches aus Swedenborgs Werken«117. Und ein anderer jenseitiger Geist
hoffte vom Herrn zu erfahren, »ob an deiner … durch einen gewissen Swedenborg im 18. Jahrhundert sogar mathematisch erwiesen sein sollenden Gottheit etwas daran sei« (RB I.17.12).
Diese Spiegelungen des swedenborgschen Hauptanliegens im Lorberwerk lassen bereits vermuten, daß dessen Gottesidee so verschieden von derjenigen Swedenborgs wohl doch nicht
sein kann.
Das Credo der neuen Kirche, daß Jesus Christus selbst der eine Gott ist, der Herr von Ewigkeit,
der die menschliche Natur angenommen und verherrlicht hat (WCR 2), ist auch im Lorberwerk
das Fundament: »Jesus Christus ist der alleinige Gott und Herr aller Himmel und aller Welten!«
(GS I.74.14). »Jesus ist der wahrhaftige, allereigentlichste, wesenhafte Gott als Mensch« (GS
II.13.3). »Ich Christus bin der einzige Gott!« (GEJ VIII.26.7). Der durch das Nicaenum (325
n.Chr.) verdrängte und durch Swedenborg erneuerte apostolische Glaube, der noch keinen
Sohn von Ewigkeit her kannte (WCR 175), vielmehr unter dem Sohn »das Menschliche, durch
das sich Gott in die Welt sandte« (WCR 92-94) verstand, durchzieht auch das Große Evangelium: »Ich bin, als nun ein Mensch im Fleische vor euch, der Sohn und bin niemals von einem
andern als nur von Mir selbst gezeugt worden und bin eben darum Mein höchsteigener Vater
von Ewigkeit« (GEJ VIII.27.2). »Als den Sohn … erkenne ich [Johannes] nur Seinen Leib insoweit, als er ein Mittel zum Zwecke ist« (GEJ IV.88.5). Der »Leib« Christi ist der »Sohn Gottes«
(GEJ X.195.3). Den Schlachtruf der nicaenischen Orthodoxie: »eine Wesenheit in drei Hypostasen oder Personen«118, der im Mittelalter zu immer gröberen Trinitätsabbildungen (z. B. dreiköpfige Gottesdarstellungen) führte, lehnen Swedenborg und Lorber gleichermaßen ab:
Swedenborg: »Gott ist dem Wesen und der Person nach Einer.« (WCR 2b). Und Lorber: Der
»Herr« »ist« »Einer« »und also auch nur eine Person«. (GS I.51.15; vgl. auch GEJ VIII.27.2). Folglich wird die dreipersönliche Trinitätslehre durch die einpersönliche ersetzt: Swedenborg:
»Vater, Sohn und Heiliger Geist sind die drei Wesenselemente (essentialia) des einen Gottes,
die ebenso eine Einheit bilden wie Seele, Leib und Wirksamkeit beim Menschen.« (WCR 166169). »Wer von der Gottheit die Vorstellung Dreier in einer Person (Trium in una Persona) hat,
kann die Vorstellung eines Gottes haben.« (NJ 289). Und Lorber: »Wir halten dafür … daß Gott
nur eine einzige Person ist, welche Person aber in Sich Selbst eigentlich sozusagen aus drei
Göttern besteht. Tres in unum!« (RB II.270.8). Die drei Wesensschichten im Herrn sind »das
Göttliche« (Vater), »das Göttlich-Menschliche« (Sohn) und »das ausgehende Göttliche«
(HL. Geist): Swedenborg: »Das Dreifaltige im Herrn ist das Göttliche selbst, welches der Vater
heißt, das Göttlich-Menschliche, welches der Sohn, und das ausgehende Göttliche, welches der
Heilige Geist (heißt), und dieses Dreifache Göttliche ist Eines.« (zwischen HH 86 und 87). Und
Lorber: »Ich bin der alleinige, ewige Gott in Meiner dreieinigen Natur als Vater Meinem Göttlichen nach, als Sohn Meinem vollkommen Menschlichen nach und als Geist allem Leben,
Wirken und Erkennen nach.« (HGt I.2.10). Die Wesensschichten können auch Liebe (Vater),
Weisheit (Sohn) und Willenswirksamkeit (Hl. Geist) genannt werden: Swedenborg: »Weil sich
alles und jedes im Himmel, beim Menschen, ja in der ganzen Natur auf das Gute und Wahre
bezieht, darum wird auch das Göttliche des Herrn unterschieden in das Göttlich Gute und das
117
118
Jakob Lorber, Jenseits der Schwelle, 7. Aufl. 1990, S. 28. Der Zitat entstammt der Sterbeszene eines
Swedenborgianers.
Ausführlich dargestellt in: Carl Andresen (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, Bd.
1, Göttingen 1982, S. 213.
Swedenborg und Lorber: Zum Verhältnis zweier Offenbarungen
299
Göttlich Wahre. Das Göttlich Gute des Herrn wird Vater genannt, das Göttlich Wahre Sohn.«
(HG 3704). Und Lorber: Jesus Christus »ist in Sich allein Seiner ewigen unendlichen Liebe
zufolge der Vater, und Seiner unendlichen Weisheit zufolge der Sohn, und Seiner ewig allmächtigen unantastbaren Heiligkeit zufolge der Heilige Geist selbst« (GS I.74.14). »Der Vater,
Ich als Sohn und der Heilige Geist sind unterscheidbar eines und dasselbe von Ewigkeit. Der
Vater in Mir ist die ewige Liebe … Ich als der Sohn bin das Licht und die Weisheit … Damit
aber das alles gemacht werden kann, dazu gehört noch der mächigste Wille Gottes, und das ist
eben der Heilige Geist in Gott« (GEJ VI.230.2-5).
Der Folgeirrtum des in die Präexistenz verlagerten Sohnes war, nach Abschluß der trinitarischen Debatte im 4. Jhd., die Zwei-Naturen-Lehre des 5. Jhds. Swedenborg ersetzte sie durch
seine Christologie der Verherrlichung. Demnach kann von einem unversehrten Fortbestehen
der durch Maria empfangenen menschlichen Natur des Erlösers keine Rede sein; vielmehr
zog er dieses Menschliche aus und das Göttlich-Menschliche an (WCR 94). Diese dynamische
Christologie ist auch bei Lorber vorhanden, allerdings nicht so eingehend ausgeführt, weil das
Lorberwerk — wie gesagt — mehr an der äußeren Jesusgeschichte interessiert ist. Dennoch ist
zu lesen: »Dieses Wesen [der Liebe Gottes] ist das Göttlich-Menschliche, oder es ist der dir
undenkbare Gott in Seiner Wesenheit ein vollkommener Mensch« (GS II.60.16). »Daher sprach
Ich nach des Judas Fortgang: ›Nun ist des Menschen Sohn verklärt, und Gott ist verklärt in
Ihm. Ist Gott verklärt in Ihm, so wird Ihn Gott auch verklären in Sich Selbst und wird Ihn bald
verklären!‹ [Joh 13.31f] Das heißt also: Der Menschensohn wird wahrhaft Gottes Sohn sein,
und der Vater wird Sich bald für alle Ewigkeit mit Ihm vereinen.« (GEJ XI.71). »Ich werde nun
auch dieses Menschliche … noch auf dieser Welt … ganz in Mein Urgöttliches verkehren und
sodann auffahren zu Meinem Gott, der in Mir ist« (GEJ VI.231.6). Diese Übersicht sollte zeigen:
Gerade in der für alles weitere bestimmenden Gottesanschauung sind sich Swedenborg und
Lorber sehr ähnlich.
Dennoch gibt es dort auch einen Unterschied, der im Menschenbild bei Lorber sein Äquivalent
in der Idee des Gottesfunkens hat. Wie ist die Inkarnation des Göttlichen zu denken? Zunächst
gemeinsam bei Swedenborg und Lorber ist die Vorstellung der Gottessonne. Swedenborg: »Die
göttliche Liebe und Weisheit erscheinen in der geistigen Welt als Sonne.« (GLW 83). »Jene
Sonne ist nicht Gott, sondern das, was aus der göttlichen Liebe und Weisheit des Gottmenschen hervorgeht.« (GLW 93). Und Lorber: »Gott … wohnt in einem unzugänglichen Lichte, das
in der Welt der Geister die Gnadensonne genannt wird. Diese Gnadensonne aber ist nicht Gott
selbst, sondern sie ist nur das Auswirkende Seiner Liebe und Weisheit.« (GEJ VI.88.3; vgl. auch
RB II.283.13). Während diese Sonne nun aber bei Swedenborg nur im Zusammenhang von
Schöpfung und Jenseits genannt wird, erklärt sie bei Lorber auch die Menschwerdung Gottes.
Denn das »wesenhafte Zentrum Gottes« (GS II.13.2) wurde Mensch: »Ich, der unendliche, ewige Gott« nahm »für das Hauptlebenszentrum Meines göttlichen Seins Fleisch an, um Mich
euch, Meinen Kindern, als schau- und fühlbarer Vater zu präsentieren« (GEJ IV.255.4; vgl.
auch GEJ IV.122.6-8 und GS II.13.8). So wohnte in Jesus »die Fülle der Gottheit körperlich«
(Kol 2,9), indem in seiner Person ein Dreifaches war: das göttliche Wesenszentrum, die Seele
Jesu und sein fleischlicher Leib. Auf diese Weise wird bei Lorber das Paradoxon der Inkarnation des unendlichen Gottes in endlicher Gestalt verständlich gemacht.
Auch Swedenborg muß die Inkarnation Jehovahs erklären; sie darf ihm nicht zur bloßen Inspiration verkümmern. Denn dann wäre der transzendente Gott auch in Jesus nicht immanent
geworden. Doch wie erreicht Swedenborg das im ihm zur Verfügung stehenden Seele-LeibSchema? Die Antwort kann nur lauten: Die Seele des Herrn war Jehovah (NJ 298). Zwar
schreibt Swedenborg oft, die Seele (und somit auch die Seele Jesu) stamme vom Vater (a patre,
GV 277); dennoch war die Seele Jesu nicht nur von göttlicher Art bzw. ein göttliches Derivat,
sondern der Vater selbst: »Wer von Jehovah empfangen wird, hat kein anderes Inneres, d. h.
300
Thomas Noack
keine andere Seele, als Jehovah.« (HG 1921; vgl. auch 4727). Begründet wird dies mit der Unteilbarkeit des Göttlichen: »Aus Jehovah Gott hatte der Herr Seele und Leben, ja, seine Seele
(Anima) und sein Leben war das Göttliche des Vaters selbst, denn das Göttliche kann nicht
geteilt werden.« (WCR 82). Swedenborg löst das Problem der Fleischwerdung Gottes also, indem er Jesu Seele mit Jehovah identifiziert. Vom Maria empfing Jesus nur den Leib. Swedenborg stellt ausdrücklich fest, »daß der Sohn, den Maria gebar, der Leib seiner göttlichen Seele
ist; denn im Schoße der Mutter wird nichts anders zubereitet als der von der Seele empfangene und abstammende Leib.« (WCR 167). Schon im Christusverständnis ist demnach bei Swedenborg die Dichotomie (Seele-Leib-Schema), bei Lorber die Trichotomie (Geist-Seele-LeibSchema) angelegt. Dieser Sachverhalt ist hier natürlich im Interesse der Herausarbeitung von
Grundlinien vereinfacht dargestellt, denn Swedenborgs Dichotomie erlaubt bei näherer Betrachtung die weitergehende Differenzierung in Anima (oberhalb des Bewußtseins), Mens (das
Bewußtsein des Wollens und Denkens), Animus (unterhalb des Bewußtseins) und Corpus
(Leib). Dogmengeschichtlich kann man Swedenborg dem alexandrinischen Logos-Sarx-Schema
(im Anschluß an Joh 1,14: das Wort wurde Fleisch/Sarx) zuordnen; Lorber hingegen dem antiochenischen Logos-Anthrophos-Schema (das Wort wurde Mensch/Anthrophos, das heißt:
Seele und Leib). Diese Zuordnungen sind natürlich ebenfalls nur cum grano salis (mit Einschränkungen) zu verstehen. Sie sollen Grundmuster der Christuswahrnehmung sichtbar
machen. An Swedenborg kann man die Fragen richten: Wie erklärt er die menschlichen Regungen Jesu? Hatte Jesus wirklich keine menschliche Seele? Wie ist die Mentalsphäre (mens)
Jesu zu beurteilen? Was genau wurde vergöttlicht? Nur das Fleisch? Was verstand Swedenborg
unter dem Leiblichen? Was unter dem Menschlichen? Und im Blick auf das Verhältnis zu
Lorber scheint mir die Frage interessant zu sein: Wie verhält sich das Jehovahsein der Seele
Jesu zum wesenhaften Zentrum? Doch diesen Fragen kann ich hier nicht nachgehen.
Es muß nämlich abschließend noch etwas zu jenem »Fünklein im Zentrum der Seele« (GEJ
III.42.6) gesagt werden; einer Vorstellung, die so bei Swedenborg nicht zu finden ist. Sie ist die
anthropologische Konsequenz des Gottes- und Christusverständnisses bei Lorber (siehe GEJ
VIII.24.6). Swedenborg scheint sie abzulehnen: »Einst hörte ich eine Stimme aus dem Himmel;
sie sagte: ›Wäre ein (oder: der) Lebensfunke (scintilla vitae) im Menschen sein eigen und nicht
Gottes Eigentum in ihm, so gäbe es keinen Himmel, noch sonst etwas dort, folglich auch keine
Kirche auf Erden und kein ewiges Leben.‹« (SK 11). Doch aus dem Zusammenhang dieser
Stelle (nachzulesen in »Der Verkehr zwischen Seele und Leib«) geht die eigentliche Aussageabsicht Swedenborgs eindeutig hervor: Die alte Vorstellung eines Seelenfünkleins (schon bei
Plotin im 3. Jhd. n. Chr. nachweisbar) wäre dann abzulehnen, wenn sie bedeuten sollte, daß die
Seele selbst das Leben und somit eine Gottheit sei. Für Swedenborg und alle Engel ist sie
demgegenüber nur »ein Aufnahmeorgan des Lebens von Gott« (WCR 470-474); und genau das
ist sie auch bei Lorber. Der »göttliche Funke« (GS I.52.2) ist dort nicht etwas von Gott Abgesondertes auf Seiten des Menschen, sondern hat im Gegenteil sogar deutliche Bezüge zu dem,
was Swedenborg den göttlichen Einfluß in die Seelen der Menschen (WCR 9) nennt. Die Geistfunken- und die Einflußtheorie sind nicht einander ausschließende Gegensätze, sondern einander ergänzende Sichtweisen der höheren Wirklichkeit der Gottes- und Geistesgegenwart im
Menschen, dem Lichte ähnlich, das sich als Teilchen (Funke) oder Welle (Einfluß) zeigt. Diese
Einschätzung ist nun aus dem Lorberwerk zu begründen.
Daß die Seele ein Aufnahmeorgan ist, wird oft gesagt: »Die Seele ist ja nur ein Gefäß des Lebens aus Gott, aber noch lange nicht das Leben selbst … Da … die Seele erst auf dem Wege der
wahren göttlichen Tugend zum ewigen Leben gelangen kann … so kann sie ja doch unmöglich
selbst das Leben, sondern nur ein Aufnahmegefäß für selbiges sein.« (GEJ III. 42.6). »Also ist
der Mensch auch von Mir erschaffen worden, auf daß er aufnehme das Leben … Er ist nicht
erschaffen worden in der Fülle des Lebens, sondern fähig nur, um diese nach und nach in sich
Swedenborg und Lorber: Zum Verhältnis zweier Offenbarungen
301
aufzunehmen.« (HGt II.126.18). »Die Seele ist das Aufnahmeorgan für alle endlos vielen Ideen
des Urgrundes, aus dem sie wie ein Hauch hervorgegangen ist.« (EM 52.4). Auch nach GS
II.79.12 ist die Seele »ein substantiell ätherisches Organ, welches … zur Aufnahme des Lebens
alle Fähigkeit besitzt« (GS II.79.12). Von einem Gottsein der Seele kann keine Rede sein.
Der Geistfunke kann zwar als »Geist des Menschen« (GEJ III.53.11) bezeichnet werden, genau
genommen ist er jedoch »der Geist Gottes im Menschen« (GEJ III.48.7). Ausdrücklich sagt der
Herr einem Bürger der Jenseitswelten, daß sein Geist eigentlich »Meine Liebe Selbst in dir und
somit Mein höchsteigener Geist« ist (RB I.146.9). Ebenso äußert sich Jesus im Großen Evangelium: »Der Geist aber, von dem Ich sage, daß er euer Geist sei, ist eben auch Mein Geist in
euch« (GEJ V.236.10). Diese Geistkraft ist die Jesusliebe, die kein Mensch in Wahrheit sich
selbst zuschreiben kann: »Ich [Jesus] bin ja das eigentliche Leben in dem Menschen, durch die
Liebe in seiner Seele zu Mir, und diese Liebe ist Mein Geist in jedem Menschen. Wer also die
Liebe zu Mir erweckt, der erweckt seinen von Mir ihm gegebenen Geist, und da dieser Geist
Ich Selbst bin und sein muß, weil es außer Mir ewig keinen anderen Lebensgeist gibt, so erweckt er dadurch eben Mich Selbst in sich« (GEJ II.41.4f). Da Gott freilich die Liebe ist, will er
sich uns so sehr zu eigen geben, als wäre er tatsächlich unser eigen: »Liebe möchte das Ihrige
dem Anderen mitteilen, ja es soviel als möglich geben. Was wird da nicht erst die göttliche
Liebe tun, die unendlich ist?« (GV 324; siehe auch HG 4320 und GLW 47).
Der Geist Gottes oder Christus in uns ist ein Strahl der göttlichen Sonne; und daher ist jenes
»Fünklein des reinsten Gottesgeistes« (GEJ II.217.5) nur die andere Seite des Einflusses, denn
was einfließt, muß anschließend doch auch eingeflossen sein. Swedenborg selbst sagt, daß die
in die Seele einfließende Liebe und Weisheit Substanz und Form ist (vgl. SK 14 im Zusammenhang mit GLW 40). Die substantielle Realität alles Geistigen ist ein Grundgedanke der
swedenborgschen Ontologie. Daher sehe ich im sogenannten Geistfunken die substantielle
Erscheinungsform des Einflusses; der Geistfunke ist nicht etwas vom Urgöttlichen Getrenntes,
sondern immer nur die verborgene Möglichkeit Gottes in uns. Geistfunke und Einfluß hängen
inniglich zusammen. Im Lorberwerk ist auf all jene Stellen zu achten, die von der Sonne, ihren Strahlen und dem berichten, was diese Strahlen in uns bewirken. Einer im Jenseits zur
Vollendung gelangten Seele erklärt der Herr: »In dieser Sonne bin Ich ureigentümlich vollkommen zu Hause. Diese Sonne befindet sich im ewigen unverrückten Zentrum Meines göttlichen Seins. Die Strahlen, die aus dieser Sonne ausgehen, erfüllen in ihrer Art die ganze
Unendlichkeit und sind in sich selbst nichts anderes als Mein Liebewille und die aus demselben ewig gleichfort ausgehende Weisheit. Diese Strahlen sind demnach allenthalben vollkommen lebendig und sind allenthalben vollkommen gleich Meiner Wesenheit. Wo immer
demnach ein solcher Strahl hinfällt, da bin Ich Selbst also wie in der Sonne ganz vollkommen
gegenwärtig, nicht nur allein wirkend, sondern auch persönlich; und diese Persönlichkeit ist
demnach auch allenthalben eine und dieselbe.« (GS I.60.1f). Wenn nun ein Strahl dieser Sonne
in unser Herz fällt, dann ist das die persönliche Gegenwart des Herrn in uns. Wie schon die
irdische Sonne auf der Erdatmosphäre ihr Spiegelbild erzeugt, so entsprechend auch die Sonne des Herrn: »Wer nun versteht, recht viel des Lichtes aus der Gnadensonne der Himmel im
Herzen seiner Seele aufzufangen, aufzunehmen und dann zu behalten durch die Macht der
Liebe zu Gott, der bildet in sich selbst eine Gnadensonne, die der Urgnadensonne in allem
völlig ähnlich ist« (GEJ VI.88.5). Die Sonne im Herzen wäre sonach ohne ihr Urbild »im ewigen
unverrückten Zentrum« (GS I.60.1) unmöglich. Dies geht auch aus dem Gesicht des Oalim
hervor: Er sah im fleischlichen Herzen drei weitere. Das substantielle Herz der Seele und ein
leuchtendes Keimherz. Als dieses wuchs und die Gestalt des Oalim annahm, erdeckte er auch
in diesem neuen Menschen ein Herz. Und dann heißt es: »Dieses Herz aber sah aus wie eine
Sonne, und deren Licht war stärker denn das Licht der Tagessonne tausendfach genommen.
Als ich aber dieses Sonnenherz stets mehr und mehr betrachtete, da entdeckte ich auf einmal
302
Thomas Noack
in der Mitte dieses Sonnenherzens ein kleines, Dir, o heiliger Vater, vollkommen ähnliches
Abbild, — wußte aber nicht, wie solches möglich. Da ich aber darüber nachdachte, da ergriff
mich auf einmal eine unaussprechliche Wonne, und Dein lebendiges Bild öffnete alsbald den
Mund und redete zu mir aus dem Sonnenherzen des neuen Menschen in mir folgendes: ›Richte empor nun deine Augen, und du wirst bald gewahr werden, woher und wie Ich in dir lebendig wohne!‹ Und ich richtete alsbald meine Augen aufwärts und erschaute sogleich in einer
endlosen Tiefe der Tiefen der Unendlichkeit ebenfalls eine unermeßlich große Sonne und in
der Mitte dieser Sonne aber dann bald Dich Selbst, o heiliger Vater! Von Dir aus aber gingen
endlos viele Strahlen, und einer dieser Strahlen fiel in das Sonnenherz im neuen Menschen in
mir und bildete also Dich Selbst lebendig in mir.« (HGt II.72.17-22). Wie soll man noch deutlicher zeigen können, daß der Gottesgeist in uns seinen Ursprung außerhalb von uns hat und
somit nicht unser Eigentum, sondern des Herrn Eigentum in uns ist? Wie am Morgen die
Sonne in Tausenden von Tautropfen glitzert und doch die eine Sonne bleibt; so leuchtet Gott
im Herzen seiner Kinder und bleibt doch immer einer und derselbe. Der Funke ist in uns der
Brennpunkt der Sonnenstrahlen: »Ihr wisset, daß der Geist des Menschen ein vollkommenes
lebendiges Abbild des Herrn ist und hat in sich den Funken oder Brennpunkt des göttlichen
Wesens.« (GS II.10.14). Deswegen sind Einfluß und Funke identisch: »die pure Seele allein
würde … nichts Höheres mehr über sich erblicken, wenn nun nicht ein geistiges Fühlen … in
sie einfließen könnte … Und das ist der göttliche Funke, der als Geist in sie hineingelegt wird«
(GEJ XI.10). Folglich kann er in noch größerer Annäherung an Swedenborg auch ganz durch
das »beständige Einfließen des Herrn aus den Himmeln« (GS II.35.6) ersetzt oder das »Liebetätigkeitsgute« (GS I.52.2) genannt werden.
Stellen wir uns zum Schluß noch einmal der Frage des Standpunktes der Offenbarungen.
Swedenborg vermittelt im allgemeinen eher den Eindruck der Transzendenz Gottes; Lorber
eher den der Immanenz Gottes. Beide Sichtweisen sind möglich; Swedenborg selbst sagt es:
»In der aufeinanderfolgenden Ordnung bildet der erste Grad das Oberste und der dritte das
Unterste; in der gleichzeitigen Ordnung hingegen bildet der erste Grad das Innerste, der dritte
das Äußerste.« (GLW 205). Daher kann der Einfluß als von oben oder als von innen kommend
beschrieben werden: »Der Herr fließt von oben oder innen bei jedem Menschen ein« (WCR
481). Swedenborgs Bevorzugung der aufeinanderfolgenden Ordnung hängt mit seiner Position
als Seher jenseitiger Welten zusammen: »Alles Innere wird nämlich im anderen Leben als
Oberes dargestellt.« (HG 8325). Lorber hingegen konnte aus der Erfahrung des inneren Wortes
den Herrn nur innen entdecken und sah: Er ist alles in allem und somit auch alles in uns.
Doch auch Swedenborg wußte: »Bei jedem Engel und Menschen gibt es eine innerste oder
höchste Stufe, ein Innerstes oder Höchstes, in welches das Göttliche des Herrn zuerst oder
zunächst einfließt … Dieses Innerste oder Höchste kann als Eingang des Herrn beim Engel
und Menschen und als seine eigentliche Wohnung (domicilium) bei ihnen bezeichnet werden.« (HH 39). »Das Innerste des Menschen ist wo der Herr bei ihm wohnt (habitat).« (HG
2973). Nach WCR 8 ist das Innerste und Höchste die Seele. Folglich gilt auch nach Swedenborg: Der Herr wohnt in der Seele. Swedenborg wagt sogar die Fomulierung: »Was zum inneren Menschen gehört, ist Eigentum des Herrn, so daß man sagen kann: der innere Mensch ist
der Herr.« (HG 1594). Einfluß oder Einwohnung? Die Wirklichkeit des Geistes verträgt nicht
nur eine Darstellung.
Quelle: Das Wort 4 (1998) 287-302 und Offene Tore 3 (1998) 140-155
EMANUEL SWEDENBORG UND JAKOB LORBER
GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE
Bernd-Rüdiger Kössler – 2008
Die Swedenborggesellschaft führte im Oktober 2008 am Vierwaldstättersee ein Seminar zum
obigen Thema durch. Im Folgenden sind einige Ergebnisse zusammengefasst.
Grundlage des Seminars war die Schrift von Pfarrer Thomas Noack »Der Seher und der
Schreibknecht Gottes«, erschienen im Swedenborgverlag Zürich, in der die Aussagen beider
Offenbarungen zu den wesentlichen Fragen verglichen und bewertet werden, sowie Impulsreferate von Thomas Noack und Stefan Rohlfs.
Bei einem Vergleich beider sehr bedeutender Offenbarungswerke reicht die Skala der Meinungen von völliger Übereinstimmung bis zur Ablehnung. Insbesondere lehnten früher Vertreter
der Neuen Kirche (Swedenborg), die damals um eine offizielle Anerkennung rangen, das Lorberwerk ab. Sie befürchteten wohl, anderenfalls des Spiritismus verdächtigt zu werden. Da
Swedenborg im Lorberwerk positiv bewertet wird, kam von dieser Seite weniger Kritik.
Heute überwiegt bei den jeweiligen Anhängern die gegenseitige Achtung. Ja, für viele, die bereit sind, sich Neuoffenbarungen des Herrn überhaupt zu öffnen, sind beide Offenbarungen in
ihrem jeweiligen Profil wertvoll.
Irritationen könnten sich ergeben, wenn man allein auf die Unterschiede abhebt, die Thomas
Noack in einem eigenen Referat behandelte.
Einige Unterschiede gibt es in der Tat. Die wesentlichsten seien hier kurz erwähnt:
Swedenborg kennt nicht die Existenz urgeschaffener, nicht gefallener Engel, sowie Luzifer als
Person und seinen Fall.
Die Entstehung der materiellen Schöpfung in der Form des großen Schöpfungsmenschen wird
bei Swedenborg nicht dargestellt.
Adam und Eva und die Urväter bis Noah werden, anders als bei Lorber, bei Swedenborg nicht
als real existierende Personen angesehen; die biblischen Schilderungen dieser Zeit seien gemachte Geschichten und nur entsprechungsmäßig zu deuten.
Im Jenseits gibt es für den Geist, der in der Welt- und Eigenliebe ist, anders als bei Lorber,
keinen Weg mehr in himmlische Sphären.
Die Endzeit wird von Swedenborg rein geistig und bezogen auf die Zustände in der/den Kirche(n) gedeutet.
Die Unterschiede zwischen den beiden Propheten erklären sich zum Teil aus ihrer Biographie
und dem Zeitpunkt, an dem der Herr mit bzw. zu ihnen sprach:
Swedenborg war ein Kind der Aufklärung, Wissenschaftler, der in Latein für die Gebildeten
schrieb und einen abrupten Wechsel von der Wissenschaft zur geistigen Welt vollzog. Seine
Werke sind zumeist als Lehrbücher auf der Grundlage der Bibeltexte abgefasst.
Lorber war als Musiker eher ein Gemütsmensch und an Astronomie interessiert. Er schrieb
im Zeitalter der beginnenden technischen Revolution, der Zeit der Leben-Jesu-Forschung. Wir
sind Zuschauer der Geschehnisse im Leben Jesu von seiner Kindheit an und erleben seine mit
den Menschen geführten Dialoge mit. Auch die Zustände im Jenseits werden uns in dieser
Form näher gebracht. Wir werden aufgeklärt über die Beschaffenheit des Kosmos und unserer
Erde sowie die Entwicklung der Seelen vom Mineralreich bis hinauf zum Menschen. Die Urgeschichte der Menschheit wird uns näher gebracht; alles wird uns lebendig und anschaulich
vor Augen gestellt. Wir erhalten konkrete Hinweise für unsere Lebensführung.
304
Bernd-Rüdiger Kössler
Die genannten Unterschiede und Schwerpunkte sollten uns aber an der Echtheit dieser beiden
göttlichen Offenbarungen nicht zweifeln lassen. Wir können davon ausgehen, dass sich der
Herr zu verschiedenen Zeiten nicht ohne Grund dieser beiden so unterschiedlichen Personen
bedient hat. Seine himmlische Botschaft wird in unserer irdischen Welt, deren Fassungsvermögen begrenzt ist, natürlich mit dem jeweils eigenen Profil der Berufenen in unterschiedlicher Färbung und mit unterschiedlichen Schwerpunkten übermittelt.
Wem dürfen wir denn nun glauben, nach welchen Kriterien können wir die Echtheit einer
Offenbarung — und davon gibt es ja eine Vielzahl auch sehr zweifelhafter — prüfen? Wir können uns nicht auf die Bibel berufen; schon ein Blick in die theologische Literatur belegt, auch
sie ist auslegungsfähig. Der Weltverstand, auf den wir heute so bauen, führt uns eher in die
Irre und in Finsternis. Letztlich können wir nur auf unser inneres Licht setzen. Der Herr gibt
denen, die ernsthaft nach der Wahrheit streben, das Gefühl für das Wahre (Lorber, GEJ Band 5,
Kap. 177, Vers 5f, in diesem Sinne auch Swedenborg, HG 104). Das Leben nach diesen Lehren
wird uns den »Beweis« für die Richtigkeit der Offenbarungen liefern.
Die Gemeinsamkeiten in den Aussagen der beiden Offenbarungen zu wesentlichen Fragen des
Glaubens sind gegenüber den Unterschieden weit überwiegend. Sie heben sich gemeinsam
zum Teil deutlich von der Theologie der Kirchen ab. Man könnte fast von einem neuen, dem
»Dritten Testament« sprechen.
Es werden hier nur einige wesentliche Unterschiede beider Offenbarungen zu den Auffassungen der Amtskirchen genannt:
Die Gottheit als Quelle der Liebe und Weisheit hat ein menschliches Zentrum, Jesus-Jehova,
nach dem der Mensch ebenbildlich geschaffen wurde. Jesus, als der Mensch gewordene Gott,
der das angenommene Menschliche durch Kreuz und Auferstehung verherrlichte, ist die einzige göttliche Person. Die verwirrende kirchliche Dreipersonenlehre ist damit nicht zu vereinbaren.
Gott hat mit der Bibel nicht aufgehört, Offenbarungen an die Menschheit zu geben, Swedenborg
und Lorber berufen sich beide auf ihren unmittelbaren Kontakt zum Herrn und dessen Auftrag.
Die von ihnen empfangenen Botschaften sind die in der Bibel angekündigte Wiederkehr des
Herrn »in den Wolken des Himmels«. Nach Lorber geschieht diese Wiederkehr durch die ihm
diktierte »neu und rein wiedergegebene Lehre des Herrn aus den Himmeln«. Nach Swedenborg
durch das ihm vom Herrn Geoffenbarte.
Eine Amtskirche als Mittler zwischen Gott und Mensch ist nicht heilsnotwendig. Eine äußere
Kirche ist allerdings schon notwendig, weil das Geistige dadurch Grundlage und Form erhält.
»Wenn das Ende der Kirche bevorsteht, dann wird vom Herrn dafür gesorgt, dass eine neue
Kirche folgt, denn die Welt kann ohne die Kirche, in der das Wort ist und in welcher der Herr
bekannt, nicht bestehen, denn ohne das Wort und daher ohne die Erkenntnis und Anerkennung des Herrn kann der Himmel nicht mit dem Menschengeschlecht verbunden werden,
mithin auch das vom Herrn ausgehende Göttliche nicht mit einem neuen Leben einfließen.
Und ohne die Verbindung mit dem Himmel und durch diesen mit dem Herrn wäre der Mensch
nicht Mensch, sondern ein Tier. Daher kommt es, dass vom Herrn immer eine neue Kirche
vorgesehen wird, wenn die alte Kirche am Ende ist.« So Swedenborg, Erklärte Offenbarung
665.
Die Heilige Schrift ist nicht bloß ein aus der jeweiligen historischen Situation heraus zu erklärendes literarisches Schriftwerk, sondern Gottes heiliges Wort mit ewiger Gültigkeit. Sie
enthält über den Buchstabensinn, den die heutige Theologie zugrund legt, hinaus Geistiges, ja
Himmlisches, das durch die Entsprechungslehre erschlossen werden kann.
Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
305
Die Erlösung der Menschen erfolgte nicht allein durch den Glauben an den Kreuzestod Jesu
und die Taufe, wie in evangelischen Kirchen angenommen wird, sondern durch die Wiedergeburt. Sie setzt einen bewussten Willensakt der Nachfolge Jesu und den Kampf mit unserem
natürlichen Menschen voraus, das bedeutet, in Demut und Liebe tätig zu sein und Versuchungen zu überwinden um mit Gottes Hilfe und Gnade das geistige Reich zu erreichen.
Gottes Ziel ist es, aus dem Menschengeschlecht im geistigen Reich einen Himmel, den großen
Schöpfungsmenschen, zu bilden. Diese Erkenntnis nehmen die Amtskirchen nicht an.
Der Mensch lebt nach dem irdischen Tod unverändert, mit allen Sinnen versehen, in seinem
Geistleib weiter. Seine Hauptliebe wird sein Schicksal und nicht ein Strafgericht Gottes. Hierüber machen die Amtskirchen keine konkreten Aussagen.
Die eheliche Liebe ist von großer Bedeutung. Die vor Gott einzig wahre Ehe ist eine geistige
Verbindung des Wahren, der Weisheit (der Mann), mit dem Guten, der Liebe (die Frau), ohne
die der Weg in den Himmel auch im geistigen Reich verschlossen bleibt. Aus dieser Verbindung besteht der Himmel. Sie ist auch die Basis für glückliche Ehen hier auf Erden. Für die
Amtskirchen gibt es keine Ehen im Himmel.
Es stellt sich die Frage: Warum gibt uns der Herr gleich zwei Offenbarungen, die so umfangreiche Botschaften und Weisheiten vermitteln, dass viele Generationen nicht ausreichen, deren Tiefe zu ergründen?
Als Erklärung könnte dienen, dass der Herr Menschen zu unterschiedlichen Zeiten bzw. unterschiedliche Menschengruppen ansprechen wollte.
Swedenborg schreibt auf der Grundlage der Bibel für Theologen und Gebildete in Latein zur
Zeit der Aufklärung, um auf diesem Wege zur Erneuerung der christlichen Lehre und Kirche
zu kommen. Er erforscht mit Hilfe des Herrn die geistige Welt. Wir sollen schon auf Erden mit
dieser uns umgebenden, nicht sichtbaren Welt vertraut gemacht werden. Die Kirche soll sich
über den Buchstabensinn des Gotteswortes in der Bibel erheben und den in diesem verborgenen geistigen und himmlischen Sinn vermitteln. Die Menschen werden aufgefordert, den Weg
der Wiedergeburt zu beschreiten, sich nicht nur auf den bloßen Glauben zu verlassen, sondern
tätig, liebtätig zu werden.
Swedenborg schreibt Lehrbücher. Sie wirken auf manche deshalb trocken und mühsam zu
lesen.
In den Lorberwerken wird das Leben des Herrn auf Erden konkret geschildert, die Liebe zu Ihm
– auch für Swedenborg ist die Gottes- und Nächstenliebe von großer Bedeutung – soll in uns
als Seinen Kindern erweckt werden. Belehrungen werden hier in Dialogform gekleidet. Die
Leser der Werke werden durch die Fragen und Schicksale konkreter Menschen stärker emotional angesprochen, wenngleich auch in den Schriften Lorbers überall eingestreut tiefgründige Weisheiten vermittelt werden.
Bei Lesern der Lorberschriften kommt es häufig zu totaler Begeisterung nach der ersten Lektüre oder zu völliger Ablehnung. Im Umfeld dieses Offenbarungswerks treffen wir häufiger auf
Vatermedien, manchmal auch auf Schwärmerei, die in Esoterik abgleitet, als im Wirkungskreis Swedenborgs.
Für den Verfasser dieses Beitrages wie auch für andere Teilnehmer des Seminars sind beide
Offenbarungen wichtig, ja unverzichtbar geworden. Durch die Lektüre des Lorberwerkes wird
das Herz erwärmt, erfreut und mit Liebe erfüllt. Swedenborg gibt darüber hinaus systematisch
geistigen Über- und Durchblick. Es zeigt sich auch, dass es möglich und bereichernd ist, mit
Hilfe der zuerst bei Swedenborg zu findenden Entsprechungslehre tiefer in die Bibeltexte und
auch in das Lorberwerk einzudringen.
306
Bernd-Rüdiger Kössler
Beide ermuntern, nicht nur zum Lesen und zum Studieren der empfangenen Botschaften,
sondern insbesondere dazu, nach den übermittelten himmlischen Lehren tätig zu werden und
so ihre Wahrheit zu erfahren.
PERSPEKTIVEN EINER NEUKIRCHLICHEN LORBERFORSCHUNG
Thomas Noack – 2009
Das Desiderat einer neukirchlichen Lorberforschung
Während Swedenborg in Lorberkreisen unter den dort herrschenden Glaubensüberzeugungen
schon seit langem rezipiert wird, ist eine spezifisch swedenborgsche Schule der Lorberinterpretation bisher über Anfänge kaum hinausgekommen. Im Folgenden möchte ich Ansätze
einer solchen neukirchlichen oder swedenborgschen Betrachtungsweise Lorbers skizzieren.
Im ersten Kapitel stelle ich sie unter das Motto des Nunc licet intellectualiter aus der wohl
bekanntesten Vision Swedenborgs. Sie thematisiert das Wesen der neuen Kirche und steht in
WCR 508. Im zweiten Kapitel weise ich auf vorhandene Ansätze hin, das heißt auf Friedemann Horns Offenbarungskritik und auf die Interpretation der Lorberschriften im Sinne der
Entsprechungswissenschaft Swedenborgs. Im dritten und vierten Kapitel ergänze ich das
bisherige Repertoire um zwei weitere Fragestellungen, die mich seit einiger Zeit interessieren
und im bisherigen Diskurs eher nicht vorkommen. Ich frage nach der Verwurzelung der Offenbarung durch Lorber in der geistigen Situation des 19. Jahrhunderts und arbeite ihr eigenes
Profil im Unterschied zu Swedenborg heraus.
Nunc licet intellectualiter
Das Nunc-Licet-Portal
der Kathedrale der Swedenborgianer in Bryn Athyn
Die folgenden zwei Texte enthalten Aussagen zum Wesen der neuen Kirche und zur
neukirchlichen Herangehensweise an
Offenbarungen. Im ersten Text schildert
Swedenborg seine Nunc-licet-Vision. Er
sah in der geistigen Welt den Tempel der
neuen Kirche. Über seinem Portal stand
die Inschrift »Nunc licet« (Nun ist es erlaubt). Sie bedeutete, dass es nun erlaubt
sei, mit dem Verstand (intellectualiter) in
die Geheimnisse des Glaubens einzutreten. Beim Anblick dieser Schrift kam Swedenborg der Gedanke, »dass es sehr
gefährlich sei, mit dem Verstand (intellectu) in diejenigen Lehrsätze des Glaubens
(dogmata fidei) einzudringen, die aus der
eigenmenschlichen Intelligenz (ex propria
intelligentia) und somit aus falschen Vorstellungen gebildet wurden« (WCR 508).
Das Ergebnis wäre der Tod des Verstandes
und ein Widerwille gegenüber allen theologischen und metaphysischen Aussagen.
Doch in der neuen Kirche ist es nun ausdrücklich gestattet, »mit dem Verstand
(intellectu) in alle ihre Geheimnisse einzutreten und einzudringen« (WCR 508). Denn
die vom Herrn geoffenbarten Lehren dieser
Kirche sind wahr, so dass die gedankliche
Auseinandersetzung mit ihnen erlaubt
werden kann, weil der Verstand nun nicht
308
Thomas Noack
mehr Schiffbruch erleiden muss. Der zweite Text aus Swedenborgs Büchlein über das Jüngste
Gericht geht in dieselbe Richtung: »Der Mensch der Kirche wird sich nun, nach dem Jüngsten
Gericht (das 1757 in der geistigen Welt stattfand), in einem freieren Zustand befinden, aus
dem heraus er über die Gegenstände des Glaubens, das heißt über das Geistige des Himmels,
nachdenken wird, weil nämlich nun die geistige Freiheit wiederhergestellt ist.« (JG 73)119. Das
Zeitalter des Autoritätsglaubens wird durch das Zeitalter des durch eigene Einsicht autorisierten Glaubens abgelöst. Die Geistkirche Christi bietet eine Glaubenslehre an, in der sich endlich auch der Verstand frei bewegen darf. Er darf in die heiligen Hallen der spirituellen
Wahrheiten eintreten und dort die Wunderwerke des göttlichen Geistes auch mit seiner Kraft
durchdringen. Nirgends stehen Schilder mit der Aufschrift: Denken verboten! Geheimnis des
Glaubens!
Ausgestattet mit dieser intellektuellen Freiheit betreten Swedenborgianer das benachbarte
Gebäude der Neuoffenbarung durch Jakob Lorber. Doch dort löst ihr Auftreten Befremden, Ängste und entsprechende Abwehrmechanismen aus. Denn der Schreibknecht Gottes warnte sein
Gefolge eindringlich vor dem Gebrauch des Verstandes: »Mit dem Verstande aber bleibe ein
jeder hübsch ferne von meiner Gabe!« (HiG 2, 30. Oktober 1842, Nr. 10). »Denn der Menschen
Weltverstand begreift die inneren Dinge des Geistes und der lebendigen Wahrheit nicht« (GEJ
9,132,16). Sehr zur Überraschung der Swedenborgianer wird im benachbarten Lehrgebäude,
das ebenfalls zum neuen Jerusalem gehören soll, ein anderer Schulungsweg gelehrt: das Denken im Herzen! Der Verstand — genauer der Welt- oder Gehirnverstand (vgl. GEJ 3,182,22) —
gilt hier als Niete, Versager und Störenfried. Der Vorwurf des Verstandesdenkens ist der
schlimmste, den man sich unter Lorberadepten einhandeln kann. Im Lager der Lorberfreunde
nimmt man seinen Verstand wieder gerne gefangen unter der Bereitschaft, alles glauben zu
wollen, was in der Neuoffenbarung steht.
Diese hier nur angedeutete, etwas widersprüchliche Situation bedeutet für mein Vorhaben: Die
nachstehenden Gedanken sind meinerseits nicht als Beitrag zum Dialog zwischen Swedenborgianern und Lorberianern gedacht. Natürlich ist das Folgende kein Geheimpapier, auch
Lorberfreunde dürfen es lesen, aber ich habe es nicht für sie geschrieben. Ich habe es für
Swedenborgianer geschrieben, allerdings für solche, die eine ernsthafte Auseiandersetzung
mit den Schriften Jakob Lorbers anstreben, nicht für solche, die meinen, die Neuoffenbarung
durch Lorber könne man mit Polemik vom Tisch wischen. Zwischen der bedingungslosen
Annahme der Lorberschriften und der bedingungslosen Ablehnung derselben versuche ich,
einen mittleren Weg zu finden. Ich will die Swedenborgkirche nicht mit Jakob Lorber überschwemmen, aber ich möchte dieser Kirche ausgehend von ihren eigenen Voraussetzungen
einen Weg zu dieser nahen und manchmal doch so fremden Neuoffenbarung bahnen. Dieser
Weg wird ein intellektueller sein und somit ein typisch swedenborgischer. Und deswegen ist
das Folgende für den klassischen Lorberfreund nicht besonders interessant. Aber das ist mir
an dieser Stelle egal, denn ich möchte für die wenigen echten Freunde Swedenborgs Perspektiven einer neukirchlichen Lorberforschung eröffnen.
Offenbarungskritik und Entsprechungen
In dieser Skizze dürfen zwei Ansätze, die schon seit mehreren Jahren vorliegen, nicht unerwähnt bleiben. Zu nennen sind die Offenbarungskritik von Friedemann Horn und die Suche
nach Entsprechungen im Lorberwerk, die gegenwärtig vor allem von Peter Keune betrieben
wird.
119
Der lateinische Originaltext lautet: »homo ecclesiae erit posthac in liberiori statu cogitandi de rebus
fidei, ita de spiritualibus quae sunt caeli, quia liberum spirituale restitutum est« (JG 73).
Perspektiven einer neukirchlichen Lorberforschung
309
Zwischen 1975 und 1977 veröffentlichte Friedemann Horn seine Beiträge »Zum Problem der
Offenbarungskritik insbesondere bei Swedenborg und Lorber«120. Nachdem die Neue Kirche
unter seinen Vorgängern die Lorberschriften abgelehnt hatte, ohne sie einer sachlich motivierten Prüfung zu unterziehen, wollte Horn es besser machen. Sein Ansatzpunkt waren die naturwissenschaftlichen und historischen Aussagen im Lorberwerk. Während sich die
metaphysischen Aussagen mit den Mitteln einer Verstandeskritik nicht überprüfen lassen,
fordern die naturwissenschaftlichen und historischen Angaben den Vergleich mit den entsprechenden Fachwissenschaften geradezu heraus. Horn stieß dabei auf Ungereimtheiten, die
ihn zu dem Ergebnis veranlassten, dass Lorbers Diktate »nicht, oder jedenfalls nicht durchgehend, vom Herrn selbst«121 stammen. Auch mir sind bei meiner Lektüre Dinge aufgefallen, die
meines Wissens nicht stimmen können. Beispielsweise sagt Kornelius im Großen Evangelium Johannis: »Aber sie [die Wahrheitsfülle] ist … nie dagewesen … und es sind daher ein Sokrates, ein Plato, ein Plotin und ein Phrygius als große Geister tief zu bewundern …« (GEJ
3,176,2). Diese Worte sollen zur Zeit Jesu gesprochen worden sein, doch Plotin, der Begründer
des Neuplatonismus, lebte erst von 204 bis 269 nach Christus. Und wer soll »Phrygius« sein?
Liegt hier womöglich ein Hörfehler Lorbers vor? Könnte der Neuplatoniker Porphyrios gemeint
sein? Eine Offenbarung, die wie diejenige durch Lorber so sehr auch in den — swedenborgisch
gesprochen — natürlichen Grad hineinragt, begibt sich in ein Konkurrenzverhältnis mit den
Wissenschaften, die diesen Bereich bearbeiten. Seit den Arbeiten von Friedemann Horn ist die
Frage nach der Glaubwürdigkeit des Lorberwerkes auf der natürlichen Ebene gestellt.
Mit Swedenborgs Entsprechungslehre vor Augen kann man in den Texten der Neuoffenbarung
durch Lorber nach einem geistigen Sinn Ausschau halten. Manchmal wird man schnell fündig. Außerdem laden einige Hinweise bei Lorber zu einer solchen Auslegung ausdrücklich ein.
Beispielsweise lesen wir: »Vor Meinen Augen gibt es keine Materie; somit ist auch jede Gabe
von Mir geistig und nicht materiell, wenn sie auch noch so materiell zu sein scheint. Ich tue,
ob Ich es schon sage oder nicht, Meinen Mund [= Offenbarung] nur stets in Gleichnissen auf,
damit sich die Welt [= der äußere Mensch] an ihnen stoße, und mit offenen Ohren [= der Wille
des äußeren Menschen] das Lautgesprochene nicht vernehme, und mit offenen Augen [= der
Verstand des äußeren Menschen] nichts sehe« (1856Erde, Seite 256f.).122 Wenn Gott den
»Mund« seiner Offenbarung »nur stets in Gleichnissen« auftut, dann muss das auch für das
durch Lorber Gesprochene gelten. Die »Haushaltung Gottes« ist das erste und zugleich ein
Hauptwerk Lorbers. Von ihm heißt es, es sei »naturmäßig und geistig gemengt« gegeben (GEJ
IV,163,4). Uns interessiert der geistige Anteil in diesem Gemenge. Am Ende der dreibändigen
»Haushaltung« wird er genauer bestimmt, dort heißt es: »Wohl jedem, der das« in diesem Werke »durchleuchtende Gesetz der Liebe wird zum Grunde seines Lebens machen … Wer es aber
nur lesen wird wie ein anderes märchenhaftes Geschichtsbuch, der wird eine sehr magere
120
121
122
Die ursprüngliche Fassung erschien in der Zeitschrift »Offene Tore«: OT (1975) 126-130, 187-191,
(1976) 31-56, 65-66, 103-112, 145-147, 180-197, (1977) 27-38, 132-140. 1984 gab Friedemann Horn
diese OT-Texte in einer leicht überarbeiteten Form als Büchlein mit dem Titel »Zum Problem der Offenbarungskritik: Am Beispiel von Swedenborg und Lorber« heraus.
OT 1976, Seite 105.
Siehe auch Gottfried Mayerhofer: »Solange der Mensch die Deutung oder den geistigen Sinn der Worte
– was man Entsprechung heißt – nicht begreift, ist es umsonst, Meine Worte im innersten Sinne fassen
zu wollen. Selbst die große Masse der neuen Worte, welche ihr bis jetzt erhalten habt [= die Neuoffenbarung], zeugen von dem nämlichen. Denn je öfter ihr sie lest, desto geistiger, oft auch gegen früher
verschiedener wird euch deren Inhalt klar. Ihr müßt von dem Grundsatze ausgehen, daß Ich als höchster Geist nur geistig denken und reden kann. Und auch, daß Ich dem Standpunkte des menschlichen
Geistes gemäß geistige Gedanken und Ideen in für euch faßliche Worte einkleide. Darum aber ist bei
diesen Worten – so wie ihr sie auffasset und lest – dies noch lange nicht ihre letzte Deutung.« (»Die
Wiederkunft Christi: Ein Entwicklungsbild der Menschheit«, Bietigheim 1960, Seiten 99f.).
310
Thomas Noack
Ernte bekommen für den Geist!« (HGt III,365,20f.). Die geistige Wahrheit in der »Haushaltung«
ist das »Gesetz der Liebe«, das den Buchstaben durchleuchtet. Die »Haushaltung« beschreibt
das Vorgehen der Liebe. Darauf soll der Leser achten. Die natürlich-geschichtliche Wahrheit ist
demgegenüber relativ nebensächlich. Wer sich auf sie konzentriert und die »Haushaltung« zu
einem »märchenhaften Geschichtsbuch« degradiert, muss sich nicht wundern, wenn die Ernte
für den Geist, das heißt der Fortschritt in der Wiedergeburt, sehr mager ausfällt. Gottes Wort
will demnach geistig gelesen und verstanden werden.
Brücken für Swedenborgianer zum Lorberwerk
Widersprüche im Buchstaben, reinste Himmelskost im geistigen Sinn, — für Swedenborgianer
ist ein solches Szenario nachvollziehbar. Es erschüttert ihren Glauben an göttliche Offenbarungen nicht. Das Leitwort liefert Paulus: »Wir haben diesen Schatz aber in irdenen Gefäßen«
(2. Kor 4,7). Ein weiteres, in dieselbe Richtung zielendes Wort prägte Friedrich Christoph Oetinger. Ernst Benz vermachte es der Neuen Kirche, indem er in seiner Swedenborgmonographie schrieb: »So wächst … ›das Korn der himmlischen Offenbarung immer auf dem Halm
der menschlichen Anschauung‹«.123 Die Unterscheidung von Schatz und Gefäß bzw. Korn und
Halm machte schon Swedenborg. Ihm zufolge sind uns auch in den Offenbarungen nur die
»Scheinbarkeiten des Wahren« zugänglich. Er schrieb: »Weil das Göttliche von keinem geschaffenen Wesen begriffen werden kann, darum sind die vom Herrn ausgehenden Lehrsätze,
sofern sie vor den geschaffenen Wesen zur Erscheinung kommen [Offenbarungen], keine rein
göttlichen Wahrheiten, sondern Scheinbarkeiten des Wahren. Dennoch sind göttliche Wahrheiten darin enthalten, und darum gelten auch die Scheinbarkeiten als Wahrheiten.« (HG 3364).
Swedenborgianer gehen davon aus, dass sich göttliche Wahrheiten immer in die Vorstellungen
der Zeit des Offenbarungsempfängers einkleiden. Daher kann die Offenbarung durch Jakob
Lorber rein göttlich und zugleich ein Kind des 19. Jahrhunderts sein. Historische Zugänge
können zu einem Bestandteil einer swedenborgschen Lorberforschung werden. Von den eher
fundamentalistisch eingestellten Lorberfreunden sind sie hingegen nicht zu erwarten.
In HG 5121 bietet uns Swedenborg eine allgemeine Klassifizierung von Offenbarungen an:
»Jede Offenbarung kommt entweder aus der Rede mit Engeln, durch die der Herr redet, oder
aus dem Innewerden (omnis revelatio vel est ex loquela cum angelis per quos Dominus loquitur, vel ex perceptione).« Im Hinblick auf diese Unterscheidung, »muss man wissen, dass
diejenigen, die im Guten sind und daher im Wahren, besonders diejenigen, die im Guten der
Liebe zum Herrn sind, eine Offenbarung aus dem Innewerden haben. Diejenigen hingegen, die
nicht im Guten und daher im Wahren sind, können zwar auch Offenbarungen haben, aber
nicht aus dem Innewerden, sondern (nur) durch eine lebendige, in ihnen gehörte Stimme (per
vivam vocem auditam in illis), das heißt durch Engel vom Herrn. Diese Offenbarung ist eine
äußere, jene hingegen eine innere.« (HG 5121). Die »viva vox«, das lebendige Wort, erinnert
uns natürlich sofort an die Art des Offenbarungsempfangs durch Lorber. Aber auch der Hinweis, dass diese Offenbarungen »durch Engel von Herrn« erfolgen, deckt sich mit einer Bemerkung aus dem Jenseitswerk »Robert Blum«. Dort heißt es in Bezug auf Jakob Lorber: »Das
ist so ein schwaches irdisches Knechtlein von Dir und schreibt, was Du ihm durch irgendeinen Engel in Deinem Namen in die Feder diktierst.« (RB 2,261,5). Den Anhängern Swedenborgs bietet HG 5121 eine Möglichkeit, die aus dem inneren Wort erquollene Offenbarung
durch Lorber in ihre Glaubensüberzeugungen einzuordnen.
In einem Brief an Friedrich Christoph Oetinger kündigt Swedenborg außerdem »eine redende
Erleuchtung« an. Man kann sie auf das innere Wort Lorbers beziehen: »Stockholm, den 11.
November 1766. I. Ob ein Zeichen nötig sei, daß ich vom Herrn gesandt bin, zu tun, was ich
123
Ernst Benz, Emanuel Swedenborg: Naturforscher und Seher, München 1948, Seite 306.
Perspektiven einer neukirchlichen Lorberforschung
311
tue? Antwort: Zeichen und Wunder werden heutzutage nicht gegeben, weil sie das Äußere
nötigen, ohne das Innere zu überzeugen: was halfen die Wunder in Ägypten und die Herabkunft Jehovahs auf den Berg Sinai bei dem israelitischen Volk, das nichts desto weniger einen
Monat später sich ein goldenes Kalb machte und es statt Jehovahs verehrte? Was halfen die
Wunder des Herrn bei dem jüdischen Volk, das nichts desto weniger ihn kreuzigte? Ähnliches
würde heutzutage geschehen, wenn der Herr in einer Wolke mit Engeln und Posaunen erschiene; man sehe Lukas 16,29-31. Das Zeichen wird heutzutage die Erleuchtung und die
daraus kommende Anerkennung und Aufnahme der Wahrheiten der Neuen Kirche sein; bei
einigen wird auch eine redende Erleuchtung (illustratio loquens) gegeben werden, und diese
ist mehr als ein Zeichen. Doch vielleicht wird gleichwohl noch eines gegeben.«124 Die »redende
Erleuchtung« — Swedenborgs Umschreibung des inneren Wortes — könnte eine besondere
Gnade des wiederkommenden Herrn in den Wehen der theologischen Endzeit vor der Geburt
der Geistkirche sein. Pointiert formuliert: Es ist nicht auszuschließen, dass Swedenborg mit
dem Erscheinen Lorbers rechnete.
Das 19. Jahrhundert in der Neuoffenbarung durch Jakob Lorber
Die Offenbarung durch Lorber passt gut ins 19. Jahrhundert. Die folgenden Beobachtungen
dienen der Veranschaulichung des Gemeinten und stecken erste Arbeitsfelder ab. Von einer
gründlichen Untersuchung sind sie allerdings noch weit entfernt.
Die seit Swedenborgs Tod mit Vehemenz aufgebrochene historische Fragestellung in den
Bibelwissenschaften ist bei Lorber voll und ganz präsent. Insbesondere prägt die zu seiner Zeit
hochaktuelle Frage nach dem historischen Jesus diese Neuoffenbarung. Denn Lorber schrieb
zwischen 1851 und 1864 ein Leben Jesu, das sogenannte große Evangelium Johannes. Während bei Swedenborg noch der dogmatische Christus in Gestalt der Trinitätslehre und der
Christologie im Mittelpunkt stand, thematisiert die Neuoffenbarung durch Lorber nun in der
Mitte des 19. Jahrhunderts den historischen Jesus. Damit nimmt sie die gegenüber Swedenborgs Zeit veränderte Situation auf. Denn seit dem späten 18. Jahrhundert hatte sich die Leben
Jesu Forschung entwickelt. Zwischen 1774 und 1778 gab Gotthold Ephraim Lessing in seiner
Eigenschaft als Leiter der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel die »Fragmente eines Unbekannten« heraus. Der ungenannte Autor war der Hamburger Gymnasialprofessor Hermann
Samuel Reimarus (1694-1768). Er hatte unter dem Titel »Apologie oder Schutzschrift für die
Vernünftigen Verehrer Gottes« eine Untersuchung der Bibel auf darin enthaltene Widersprüche
verfasst, diese ihrer theologischen Brisanz wegen aber nie publiziert. Wenige Jahre nach Swedenborgs Tod fiel damit der Startschuss für die Suche nach dem historischen Jesus. Im Hinblick
auf Lorbers Bericht von Jesu Leben und Lehre ist vor allem »Das Leben Jesu« von David Friedrich Strauß (1808-1874) zu nennen, das 1835 erstmals erschien und sogleich einen heftigen
Streit auslöste. Von Jakob Lorber und übrigens auch von dem Swedenborgianer Immanuel Tafel
124
Friedrich Christoph Oetinger, [Briefwechsel mit Emanuel Swedenborg, Sept. - Dez. 1766]. In: Heinrich
Wilhelm Clemm, Vollständige Einleitung in die Religion und gesammte Theologie, herausgegeben von
Heinrich Wilhelm Clemm. Tübingen: Johann Georg Cotta. Band 4, Stück 2. 1767. S. 209-213. Der lateinische Originaltext lautet: »Num necessarium sit signum, quod a Domino missus sim ad faciendum
quod facio, Resp. Signa et miracula hodie non dantur, quia exterius cogunt, et interius non persuadent:
quid effecerunt miracula Aegypti, et descensus Jehovae supter monte Sinai apud gentem Israëliticam,
quae nihilo minus post mensem dierum vitulum aureum sibi fecit, et pro Jehovah coluit; quid effecerunt miracula Domini apud Gentem Judaicam, qui nihilominus crucifixerunt Ipsum? Simile foret hodie, si Dominus appareret in nube cum Angelis et tubis, videatur Luc. 16, 29. 30. 31. Signum hodie erit
illustratio, et inde agnitio et receptio veritatum Novae Ecclesiae, apud quosdam etiam dabitur illustratio loquens, haec plus est quam signum. Sed forte aliquod dabitur adhuc.«
312
Thomas Noack
gibt es Reaktionen auf Strauß.125 Die Leben Jesu Forschung beherrschte das 19. Jahrhundert.
Albert Schweitzers »Geschichte der Leben-Jesu-Forschung« von 1906 gilt als Widerlegung und
Abschluss dieser Forschungsbemühung.
In den Schriften Lorbers finden wir zahlreiche Antworten auf die Fragen der sogenannten altund neutestamentlichen Einleitungswissenschaft. Wir erfahren einiges über die Entstehung der
Schriften des Mose, der Evangelien und des Kanons. Während diese Fragestellungen bei Swedenborg noch keine Rolle spielen, muss man zur Zeit Lorbers eine Antwort auf sie geben können. Auch darin spiegelt sich die zeitgeschichtliche Situation. Als Begründer der deutschen
Einleitungswissenschaft gilt Johann David Michaelis (1717-1791). 1750 erschien seine »Einleitung in die göttlichen Schriften des Neuen Bundes«. Johann Salomo Semler (1725-1791) führte
die Einleitungswissenschaft weiter. 1771 erschien seine »Abhandlung von freier Untersuchung
des Canon«. Im Hinblick auf Lorber ist Ferdinand Christian Baur (1792-1860) besonders interessant. Er verstand die Einleitungswissenschaft als Kritik der neutestamentlichen Verfasserangaben.126 Gerade auf diese Fragen gibt Lorbers großes Evangelium ausführliche Antworten.
Der tierische Magnetismus und Somnambulismus spiegelt sich in den Schriften Lorbers. Franz
Anton Mesmer (1734-1815) entdeckte 1774 das magnetische Fluidum und den tierischen Magnetismus, der Marquis de Puységur (1751-1825) zehn Jahre später den magnetischen Schlaf,
das heißt den künstlichen Somnambulismus bzw. die Hypnose. Der animalische Magnetismus
stand bis Mitte des 19. Jahrhunderts und somit auch während der Schreibtätigkeit Lorbers im
Mittelpunkt heftiger Auseinandersetzungen. Im Lorberwerk begegnen uns die Begriffe aus diesem Umfeld: das magnetische Fluidum (Gr. 2, Mond 5), Magnetismus (Mond 6), Magnetiseur
(Erde 69), der magnetische Zustand (GEJ 7,58,10), der magnetische Rapport (NS 39,22), Somnambulismus (Erde 69) und der magnetische Schlaf (Erde 69). Zum Wesen des Magnetismus
schrieb der Marquis de Puységur: »Die ganze Lehre vom tierischen Magnetismus ist in den
zwei Worten enthalten: Glauben und Wollen.«127 Puységur erkannte, »daß Mesmers Lehre von
dem physikalischen Fluidum nichtig war«, und begriff, »daß das wirklich Wirksame bei der
Heilung der Wille des Magnetiseurs war«128. Ähnlich sieht es auch das Lorberwerk: »Der Magnetismus oder vielmehr das magnetische Fluidum ist in allem Ernste nichts anderes als
Mein eigener, Meine Gedanken fortwährend erhaltener und leitender Wille« (Mond 6). »Ihr
wißt, daß zum sogenannten Magnetisieren ein fester Wille in der überzeugenden Kraft des
Glaubens erforderlich ist, um jemandem auf diese Art zu helfen.« (Mond 6). Der Magnetismus
des 18. und 19. Jahrhunderts wird in die Zeit Jesu projiziert: »Wer zum Beispiel von euch ein
schon mehr vollendeter Mensch ist, der mag einem noch so dummen und abergläubischen
Sünder von einem ordentlichen Tiermenschen seine Hände auflegen oder ihm sanfte Striche 129
geben von der Nasenwurzel über die Schläfen hinab bis in die Magengrube, so wird der
Mensch dadurch in einen verzückenden Schlaf gebracht. In diesem Schlafe wird dessen wenn
noch so verstörte Seele frei von Plagegeistern ihres Leibes, und der Urlebenskeim tritt dann
125
126
127
128
129
Jakob Lorber, Dr. David Friedrich Strauß [empfangen vom 18. bis 28. Januar 1843], in: Himmelsgaben
Bd. 3, 1993, Seiten 186-195. Johann Friedrich Immanuel Tafel, Das Leben Jesu nach den Berichten der
Evangelisten gerechtfertigt und vertheidigt gegen die Angriffe des Dr. Strauß und des Unglaubens
überhaupt / aus dem Nachlasse des sel. Fr. Immanuel Tafel. Herausgegeben von einigen Freunden des
Verfassers. Basel und Ludwigsburg: Druck und Verlag von Balmer u. Riehm, 1865.
»Der Tübinger Theologe Ferdinand Christian Baur (1792-1860) verstand die Einleitungswissenschaft
als Kritik der ntl. Verfasserangaben und der mit ihnen verbundenen historischen und dogmatischen
Implikationen.« (Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 1999, Seite 21).
Henry F. Ellenberger, Die Entdeckung des Unbewußten, 1996, Seite 117.
Henry F. Ellenberger, Die Entdeckung des Unbewußten, 1996, Seite 116.
Von »Strichen« spricht auch Justinus Kerner in seinem Buch über die Seherin von Prevorst.
Perspektiven einer neukirchlichen Lorberforschung
313
sogleich auf eine kurze Zeit wirkend in der Seele auf.« (GEJ 4,35,5). Jesus versetzte mehrere
Personen »in einen hellen magnetischen Zustand« (GEJ 7,58,10).
Karl Gottfried Ritter von Leitner (1800 -1890)
nennt Autoren, die Jakob Lorber gelesen hat:
»Und nun las er … manche Werke von Justinus
Kerner, Jung-Stilling, Swedenborg, Jakob Böhme,
Johann Tennhardt und J[ohann Baptist] Kerning,
von denen er insbesondere letzteren als denjenigen bezeichnete, dessen Schriften ihm wichtige Fingerzeige gegeben haben.« 130 Ich kann
diese Liste auf der Suche nach literarischen
Reminiszenzen in den Schriften Lorbers hier
nicht durcharbeiten. Aber ein Vergleich mit
Kerners »Seherin von Prevorst« ist mir an dieser Stelle immerhin möglich. Kerner veröffentlichte dieses berühmte Werk erstmals 1829, die
zweite Auflage erschien 1832 und die dritte
1838. Die Auflagen dieses Buches überschlugen sich also in dem Jahrzehnt, das der Berufung Lorbers durch die innere Stimme am 15.
März 1840 voranging. Daher nehme ich an,
dass Lorber es gelesen hat, zumal die folgende
Übersicht zeigt, dass mancherlei Berührungen
zwischen den von ihm empfangenen Texten
und Kerners Buch über Friederike Hauffe
(1801-1829) bestehen.131
Die Seherin von Prevorst und Jakob Lorber lehren
dieselbe geistige Anatomie des Menschen. Sie unterscheiden Geist, Seele, Nervengeist und Leib. Bei Justinus
Kerner lesen wir: »Durch den Leib ist der Nervengeist mit
der Welt, durch den Nervengeist die Seele mit dem Leib,
durch die Seele der (intellektuelle) Geist mit dem
Nervengeist und durch den Geist das Göttliche mit der
Seele vermittelt.« (SPr 1,283). »Innerhalb dieses Kreises
[= Lebenskreis] liegen drei Gebiete, welche durch die
wesentlichen Bestandtheile der Persönlichkeit, nämlich
Geist, Seele und Leib unterschieden sind.« (SPr 1,287).
Über das »Verhältniß der drei Bestandtheile von Geist,
Seele und Leib zu einander« äußert sich Kerner
ausführlich in SPr 1,289-291. Die Trichotomie von Geist,
Seele und Leib kennzeichnet auch das Menschenbild der
Neuoffenbarung durch Jakob Lorber: »Du bist ein
Friederike Hauffe
1801 - 1829
geschaffener Mensch; als solcher bestehst du aus einem
130
131
Briefe Jakob Lorbers: Urkunden und Bilder aus seinem Leben, 1931, Seite 13.
Ich zitiere aus der folgenden Ausgabe: Justinus Kerner, Die Seherin von Prevorst: Eröffnungen über das
innere Leben des Menschen und über das Hereinragen einer Geisterwelt in die unsere, Stuttgart und
Tübingen, 1829.
314
Thomas Noack
Leibe und aus einer lebendigen Seele, in welcher da wohnt der Geist der Liebe.« (HGt
2,250,10).
Leib und Seele sind durch den Nervengeist132 verbunden. Dazu Friederike Hauffe: »›Durch
diesen Nervengeist‹, sagte sie später, ›ist die Seele mit dem Leibe und der Leib mit der Welt
verbunden …‹« (SPr 1,263). Eine ähnliche Aussage finden wir bei Jakob Lorber: »Der Leib besitzt einen ganz eigentümlichen Nervengeist, welcher fürs erste höchst verwandt ist mit dem
magnetischen Fluidum , fürs zweite aber ebenso innigst mit der Seele, welche eben durch
diesen Nervengeist mit dem Leib zusammenhängt und mit demselben korrespondiert.« (Mond
5,17).133 Der Nervengeist bildet nach dem Tod den Leib. Daher heißt er später auch Ätherleib.
Dazu wieder Friederike Hauffe: »Dieser Nervengeist ist nach ihr [Frau Hauffe] das Bleibende
des Körpers, und umgibt auch nach dem Tode die Seele wie eine ätherische Hülle.« (SPr 2,7).
Dazu passen die folgenden Aussagen bei Jakob Lorber: »der Sohn aber nimmt den Geist des
Menschen, und dieser die Seele, und die Seele aber den Leib, das ist, den euch schon bekannten Nervengeist, denn alles übrige sind nur Exkremente desselben.« (HiG 3, 17.6.1840, Abs.
22). »… denn solange noch eine Wärme im Herzen ist, löst der Engel die Seele nicht vom Leibe.
Diese Wärme ist der Nervengeist, der zuvor von der Seele ganz aufgenommen werden muß,
bis die volle Löse vorgenommen werden kann.« (BM 1,7).
Der Mensch steht zwischen zwei Mächten. Diese Mittelstellung gibt ihm die Freiheit der Entscheidung zwischen dem einen oder dem anderen Weg. Friederike Hauffe beschreibt diese
Stellung so: »Die zwei einander am meisten entgegengesetzten Mächte sind einerseits das
Heilige und Christus, und andererseits die Sünde und der Fürst der Welt … Zwischen beiden
Mächten aber steht der Mensch frei und kann sich seine Richtung nach Oben oder nach Unten selbst bestimmen.« (SPr 1,291). »Ueberhaupt ist der Mensch nur ein Mittelglied zwischen
einer höhern Potenz (selige Geister) und einer tiefern Potenz (unselige Geister), oder zwischen
Engeln und Dämonen. Er steht aber nicht isoliert zwischen beiden, sondern auf mannigfache
Weise in ihrer Wirkungssphäre, jedoch so, daß seine Selbstständigkeit nicht dadurch verloren
geht.« (SPr 2,6). Auch die Neuoffenbarung durch Jakob Lorber thematisiert die Mittelstellung
des Menschen: »Die Seele des Menschen lebt sich entweder durch eine falsche Richtung in
ihr Fleisch hinein oder durch eine rechte Richtung in ihren Geist« (GEJ 2,132,8).
Das Angesiedeltsein des Menschen zwischen zwei Möglichkeiten oder Wegen bedeutet, dass
er in eine Situation der Entscheidung hineingestellt worden ist. Um sich in dieser Situation
bewähren zu können, ist er in die Freiheit entlassen worden. Friederike Hauffe thematisiert
132
133
»Nervengeist (lat. spiritus animalis), Lebensgeist, heißt bei älteren Philosophen das zwischen Leib und
Seele vermittelnde Medium. Schon die Stoiker reden davon im Anschluß an die ›Quintessenz‹ des Aristoteles (vgl. Äther), die Neuplatoniker, ferner die aristotelischen Scholastiker, Galenus [131-200] und
Thomas von Aquino [1225-1274] verwarfen diese Theorie, die aber durch Fr. Bacon [1561-1626] und
R. Descartes [1596-1650] wieder in Aufnahme kam … Auch N. Malebranche [1638-1715], Th. Hobbes
(1588-1679) und E. Platner [1744-1818] verteidigten diese Annahme, die auch in der Schellingschen
Schule gelehrt worden ist.« (Friedrich Kirchner u.a., Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Felix
Meiner: Hamburg, 1998, Seite 450f.). Swedenborg spricht vom Limbus. Grundlegend hierzu ist H. de
Geymüller, Swedenborg und die übersinnliche Welt, 1936. Darin heißt es: »In seinen theologischen
Schriften bejaht Swedenborg das Dasein einer Art subtiler ›Haut‹ oder Hülle, die die Seele umgibt. Es
ist dies der Limbus, den wir wohl mit Allan Kardec Perisprit nennen könnten (ein Name, der eben nur
allgemein das bezeichnet, was den Geist umgibt). Er beweist weiter in seinen wissenschaftlichen Werken die logische Notwendigkeit eines nexus (Verbindung) oder eines contiguum (eines zusammenhängenden Substrats) zwischen der übersinnlichen Seele und dem materiellen Körper, d. h. die unbedingt
notwendige Existenz einer Zwischensubstanz, einer organisierenden Gußform oder eines leitenden und
gestaltenden Dynamismus.« (Seite 114).
Die Mittelstellung des Nervengeistes geht auch aus HiG 3, 22.4.1858, Abs. 22; GEJ 6,111,5; HiG 3,
14.10.1848, Abs. 5; Erde 1,67,10; HiG 2, 28.2.1847, Abs. 7; Erde 1,67,13; Erde 1,70,19.
Perspektiven einer neukirchlichen Lorberforschung
315
sie mit den folgenden Worten: »Um dieses Gleichgewicht zu erhalten, ist der Seele die Freiheit
verliehen, deren Prinzip ursprünglich von Gott dem Geiste eingepflanzt und für das irdische
Daseyn mitgegeben ist. Das Prinzip der Freiheit wird in die Seele vom Geiste reflectirt und
geht im Willen als wirkliche Freiheit in seinem Wollen und Handeln hervor, und es ist nun
ganz Sache der menschlichen Seele, von der Freiheit einen guten oder einen schlimmen Gebrauch zu machen. Der gute Gebrauch ist, wenn sich die Seele beständig mit dem Wahren,
Schönen und Guten des Geistes im Einklang zu erhalten sucht und ihr Sinnenleben sammt
der Welt beherrscht. Der schlimme Gebrauch ist, wenn sie den Leidenschaften, Begierden,
Reizen, Wünschen und Genüssen, welche aus dem Leibe und der Welt stammen, sich hingibt
und zuletzt von denselben unterjocht wird, wodurch allmälig das Wahre in Irrthum, das Schöne in Mißgestalt und das Gute in Böses übergeht.« (SPr 1,289). Schon Swedenborg hatte gegenüber der Reformation den freien Willen gerade auch in geistigen Dingen gelehrt. Auch bei
Lorber finden wir dieses Lehre.
Das Ziel des Weges ist die Vergeistigung der Seele. In der »Seherin von Prevorst« heißt es
dazu: »Auch im unmächtigsten Geiste ist, wenn er nicht ganz zum Teufel geworden, nie der
Funke Gottes völlig erloschen. Dieser sucht immer die Seele an sich zu ziehen, die seine
Hülle so lange bleibt bis sie völlig gereinigt ist; dann geht sie wie in den Geist über und wird
selbst zum Geiste.« (SPr 2,17). »Läßt sich die Seele von dem Geiste ziehen, so entsteht das
Uebergewicht des Guten, wird sie aber mehr vom Leibe und der Welt gezogen, so entsteht das
Uebergewicht vom Falschen und Bösen.« (SPr 1,234). In der Neuoffenbarung durch Jakob Lorber begegnet uns das Ziel des Weges unter dem Stichwort »Wiedergeburt«, das schon Swedenborg gebrauchte. Dem Menschenbild bei Lorber entspricht es , dass hierbei wie bei Friedrike
Hauffe »der Funke Gottes« eine wichtige Rolle spielt.
Auch in der Jenseitslehre gibt es einige beachtenswerte Überschneidungen zwischen Friederike Hauffe und Jakob Lorber. Beide kennen sie das Zwischenreich oder den Hades. In der
»Seherin von Prevorst« gibt es ein Kapitel mit der Überschrift »Von einem Hades oder Mittelreiche« (SPr 2,41-51). Darin wird uns gesagt: Gerade »die christliche Lehre« ist es, »die für das
Daseyn eines solchen Mittelzustandes nach dem Tode, für einen Hades, wie ihn das neue
Testament ja selbst immer nennt, spricht. Es ist auch durchaus unbestreitbar, daß diese Lehre
vom Hades von den ersten Zeiten an, bis auf die Reformation, allgemeine Lehre der Kirche war.
Erst als die römische Kirche aus dem Hades ein Fegfeuer machte, und den Unfug bezahlter
Seelenmessen einführte, setzten sich die Reformatoren gegen diese Lehre, und Luther strich,
in seiner Uebersetzung der Bibel, die griechische Benennung Hades und die hebräische Scheol
… aus, und setzte für sie überall geradezu Hölle, zuweilen auch nur das Wort Grab.« (SPr
2,41f.). »Aber zwischen dem Reich des Lichts und der Finsterniß ist das Reich der Dämmerung, und so ist zwischen Himmel und Hölle das Zwischenreich.« (SPr 2,50). Schon einige
Seiten zuvor hieß es: »Viele Menschen, auch die nicht sogleich nach dem Tode verdammt,
aber auch nicht sogleich nach dem Tode selig werden können, kommen in verschiedenen, oft
hohen Stufen in dieses Reich [= Geister- oder Zwischenreich], je nach der Reinheit ihres Geistes.« (SPr 2,15). Übereinstimmend mit diesen Aussagen lesen wir bei Jakob Lorber: »Sehet an
die naturmäßig-geistige Sphäre eurer Erde oder das sogenannte ›Mittelreich‹, welches auch
den Namen ›Hades‹ führt, und ungefähr das ist, was ihr als Römischgläubige, freilich stark
irrig, unter dem ›Fegfeuer‹ verstehet. Am besten kann dieses Reich einem großen Eintrittszimmer verglichen werden, wo alle ohne Unterschied des Standes und Ranges eintreten und
sich dort zum ferneren Eintritt in die eigentlichen Gastgemächer gewisserart vorbereiten. Also
ist auch dieser Hades jener erste naturmäßig-geistige Zustand des Menschen, in den er gleich
nach dem Tode kommt.« (GS 2,120,2f.). Die Örtlichkeit des Mittelreiches ist die Luftregion der
Erde: Das »Mittelreich« ist »in unserm Luftraum« (SPr 1,259). Das Geisterreich ist »in unse-
316
Thomas Noack
rem Luftraume«, »in einem sogenannten Zwischenreiche« (SPr 2,14).134 Auch aus dem Lorberwerk »Erde und Mond« kann man schließen, dass die Luftregion der erste Aufenthaltsort
der Geister nach dem Tode ihres Leibes ist (siehe Kapitel 28).
Das Hervortreten einer herrschenden Liebe nach dem Tod hatte schon Swedenborg betont. Bei
Justinus Kerner heißt es in diesem Sinne: »Man glaube aber nicht, daß dort [im Geisterreich]
die Besserung leichter sey als hier, denn dort geht die Besserung einzig aus sich selbst. Der
Geist ist sich nun selbst anheimgestellt. Seine Grundneigung mußte heraus.« (SPr 2,15). »Der
moralische Werth oder Unwerth figurirt sich nun im Willensgeist nach Art und Weise, was die
Seele während des Lebens vorzugsweise geliebt hat; denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer
Herz.« (SPr 2,47). Auch die Lorberschriften kennen dieses Gesetz: »Nur ist zwischen einer
abgeschiedenen und einer noch im Leibe lebenden Seele der Unterschied: Die Seele im noch
lebenden Leibe kann eine Menge Leidenschaften durchwandern [vgl. Swedenborg: das Versetzen in unterschiedliche Geistervereine], und so ist der Mensch fast jeden Tag ein anderer …
Aber bei der abgeschiedenen Seele ist es anders: Bei dieser tritt gewöhnlich nur eine Hauptleidenschaft auf, beherrscht die Seele stets mehr und mehr und zieht nach und nach alle Intelligenzpartikel [aus denen nach Lorber die Seele zusammengesetzt ist] in ihr [sic!] Bereich;
darum auch ein Paulus [? Koh 11,3] spricht: ›Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen‹, — was
eben nicht sagen will, daß eine abgeschiedene Seele gewisserart unverbesserlich ist, sondern
nur, daß sie in einer ihrer Hauptleidenschaften gefangenbleibt, bis diese alle anderen Spezifikalintelligenzpartikel gewisserart aufgezehrt hat, was dann eine große Armut der Seele bewirkt, und diese dann in einen Zustand des Abödens [vgl. Swedenborg!] übergeht, wo sie sich
wie völlig nackt und in Nacht und Nebel befindet. In dieser Abödung kann dann erst der Geist
frei werden und seine Seele zu durchdringen anfangen …« (EM 30). Dieser Gesetzmäßigkeit
entsprechend ist eine jenseitige Weiterentwicklung nur aus den eigenen inneren Voraussetzungen möglich: »Da aber die falsche Erkenntnis und das falsche Gefühl schon im Willensgeiste steckt, so muß er jetzt in sich selber leben, da ihm alle Hülfsmittel neuer Erkenntnisse
und neuer Gefühle, die ihm während des Lebens offen standen, mit der Trennung entschwunden sind.« (SPr 2,47).
Das je eigene Profil der Offenbarungen durch Swedenborg und Lorber
In meinem Buch über Swedenborg und Lorber 135 konzentrierte ich mich auf die Gemeinsamkeiten. Die Frage nach dem je eigenen Profil der beiden Offenbarungen kündigte sich damals
jedoch schon an, indem ich schrieb: »Swedenborg und Lorber haben ihr eigenes Profil. Swedenborg ist nicht der Vorläufer Lorbers und Lorber nicht die Neuauflage Swedenborgs.« 136 Ich
konnte dieser Sichtweise aber damals nicht weiter nachgehen. Nun will ich es tun und damit
den Versuchen einer totalen Harmonisierung der beiden Offenbarungen etwas entgegensetzen.
Der Frage nach der Eigenart Swedenborgs und Lorbers kann man sich unterschiedlich nähern.
Erstens biographisch. Das sieht dann beispielsweise so aus: »Die geistigen und biographischen Voraussetzungen … waren sehr verschieden. Swedenborg war ein umfassend gelehrter
Mann, ausgerüstet mit reichem Wissen und hochentwickelter Denkkraft. Lorber war ein be134
135
136
»Jener kalte Ring (Mond) ist die Wohnung solcher, die selig werden, wohin Viele aus dem Mittelreiche
kommen« (SPr 1,227).
Thomas Noack, Der Seher und der Schreibknecht Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber im
Vergleich, 2004
Thomas Noack, Der Seher und der Schreibknecht Gottes, Seite 8. »Swedenborg ist keineswegs nur ein
Vorläufer Lorbers; und Lorber keineswegs nur eine Neuauflage Swedenborgs. Beide Werke sind von
ganz eigener Art. Der originäre Charakter darf nicht übersehen oder verwischt werden.« (AaO., Seite
11).
Perspektiven einer neukirchlichen Lorberforschung
317
scheidener Musiker mit einfacher Schulbildung. Swedenborg wurde durch ein umstürzendes
Bekehrungs- und Berufungserlebnis aus einer großen wissenschaftlichen Laufbahn herausgerissen und stellte nahezu von einem Tag zum anderen sein ganzes Denken, Leben und Streben in den Dienst des Herrn. Bei Lorber gab es keinen dramatischen Bruch; gleichsam wie von
selbst geschah es, daß er in sich den Ruf vernahm, zur Feder zu greifen und zu schreiben,
was ihm die innere Stimme diktierte.«137 Zweitens kann man zeitgeschichtlich herangehen.
Ergebnisse dieser Betrachtungsweise habe ich oben präsentiert. Drittens kann man auf die
unterschiedliche Art des Offenbarungsempfangs hinweisen. Während Lorber alles durch das
Herz empfing, musste Swedenborg es mit seinem geschulten Verstand eigenständig formulieren. Daher wird oft gesagt, dass Lorber aus der Liebe und Swedenborg aus der Weisheit
schrieb138. Außerdem wird von »Anhängern Lorbers« »darauf verwiesen, daß Swedenborg nur
mit Engeln und Geistern Verkehr hatte, während Lorbers Schriften von Christus selbst Wort
für Wort diktiert wurden, also einen höheren Rang haben.«139
Mich interessieren jedoch die inhaltlichen Unterschiede und vor allem die Frage: Lassen sie
sich auf einen einzigen Grundgedanken zurückführen? Kurt Hutten sah den Ursprung aller
Gegensätze »in der Lehre von der Schöpfung«140. Dabei hatte er Lorbers Lehre vom Fall Luzifers
im Auge: »Der Urfall Luzifers mit seinen Folgen bestimmt als das übergreifende Generalthema
das Neuoffenbarungswerk Lorbers von der Kosmogonie bis zur Eschatologie.« 141 Ein anderer
Vorschlag stammt von Alfred Dicker.142 Er will ausdrücklich die Unterschiede der beiden Offenbarungen auf eine Wurzel zurückführen. Unter Berufung auf EO 839 (»die Idee von Gott
dringt in alles ein, was zur Religion gehört«) geht er von den unterschiedlichen Gottesvorstellungen bei Swedenborg und Lorber aus. Leider ist ihm die Durchführung dieses Ansatzes meines Erachtens nicht überzeugend gelungen. Er hätte (statt auf GEJ 1,3,3-5) auf die lorbersche
Vorstellung des wesenhaften Gotteszentrums verweisen sollen, das Fleisch annahm, um in
Jesus ein schaubarer Gott zu werden. Von der theologischen Idee des Gotteszentrums führt
dann ein gerader Weg zur anthropologischen Idee des Geistfunkens. In der »Geistfunkentheorie«143 sah Alfred Dicker den entscheidenden Unterschied zwischen Swedenborg und Lorber,
denn damit sei »das Gott-sein des Menschen«144 ausgesagt, was Lorber mit dem »Gnostizis-
137
138
139
140
141
142
143
144
Kurt Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten, 1989, Seite 606.
»Aus der Tatsache nun, daß E. Swedenborg aus der Weisheit Gottes schrieb und J. Lorber aus der göttlichen Liebe, ergeben sich folgende Unterschiede: …« (Johann Gottfried Dittrich, Lorber - Swedenborg,
die zwei Zeugen der Endzeit …, in: Geistiges Leben: Zeitschrift für Freunde der Neuoffenbarung Jesu
durch Jakob Lorber, Heft 1, 1987, Seite 33).
Kurt Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten, 1989, Seite 608. Diese Gegenüberstellung wird jedoch den
Zeugnissen über Swedenborg in den Schriften Lorbers nicht gerecht, denn darin werden sowohl die Engel als auch der Herr als die Quellen der Offenbarungen durch Swedenborg genannt (siehe: Der Seher
und der Schreibknecht Gottes, Seite 6). Das deckt sich mit dem Befund aus den Schriften Swedenborgs,
die einesteils die Weisheit der Engel mitteilen und andernteils auf den Herrn zurückgeführt werden
(WCR 779, GV 135).
Kurt Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten, 1989, Seite 607.
Kurt Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten, 1989, Seite 608. Wahrscheinlich hat Hutten hier die Ansicht
von Friedemann Horn übernommen: »Ich sehe vor allem zwei Fragekomplexe, die zwischen uns abgeklärt werden müssten … Wer ist der Urheber der Lorber'schen Diktate … ? … Der andere Komplex ist
die Lehre von Luzifer mit all ihren unsagbar weitläufigen Folgeerscheinungen.« (Brief an Peter Keune
vom 1.9.1976). »In der Schöpfungslehre bestehen die größten Differenzen.« (OT 5 (1997) 192).
Ich beziehe mich auf seinen Aufsatz »Lorber und Swedenborg: Eine Gegenüberstellung« in OT 2 (1998)
75-100.
OT 2 (1998) 82.
OT 2 (1998) 82.
318
Thomas Noack
mus«145 vergleichbar mache. Ich kann mich an dieser Stelle mit dem Ansatz von Alfred Dicker
nicht befassen, verweise aber auf den in der Fußnote genannten Aufsatz von mir.146
Sowohl Kurt Hutten als auch Alfred Dicker haben Wahres gesehen. Mein Vorschlag geht dennoch in eine etwas andere Richtung. Er lautet: Lorber hat im Unterschied zu Swedenborg immer den (im swedenborgschen Sinne) natürlichen Grad im Auge. Diese Eigenart läßt sich auf
der ganzen Linie beobachten und eignet sich daher zur Beschreibung des eigenen Profils Lorbers gegenüber Swedenborg. Unter dieser These lassen sich auch die Wahrheitsmomente von
Hutten und Dicker eingliedern. Ich will nicht behaupten, dass sie der Weisheit letzter Schluss
ist, aber sie scheint mir doch weiterführend zu sein.
Diese These hatte schon vor über hundert Jahren Adalbert Jantschowitsch vertreten. »Lorber
schrieb … das innerlich von ihm, durch eine lebendige, in ihm gehörte Stimme, also wohl
durch Engel vom Herrn Vernommene genau so nieder, wie solche Offenbarungen Swedenborg
in der Nummer 5121 der himmlischen Geheimnisse in äußere und innere unterscheidet, aber
ausdrücklich bei ihm als durch Engel vom Herrn kommend bezeichnet. Lorber's Offenbarungen waren äußere, die Swedenborgs dagegen inwendige. Durch Lorber spricht der Herr in
erzählender Art, darum auch als Letzter (Apocalypse 1,11), im untersten Höhegrade, in natürlich göttlicher Weise, der Fassungskraft natürlicher Menschen angepaßt.«147 »Wir haben die
geistig Göttlichen Wahrheiten, in den durch Swedenborg uns vom Herrn gegebenen Göttlichen
Offenbarungen systematisch geordnet, zu einem himmlisch herrlichen Lehrgebäude, — und die
natürlich Göttlichen Wahrheiten, in den uns vom Herrn durch Jakob Lorber … gegebenen Göttlichen Offenbarungen …«148
Ein ganzes Bündel von Beobachtungen belegt meine These. Erstens: Während Swedenborg in
die geistige Welt schaut149, steht bei Lorber — ohne dass Werke über das Jenseits fehlen — die
natürliche Welt bzw. Schöpfung bei weitem mehr im Mittelpunkt. Schon sein Biograph Karl
Gottfried Ritter von Leitner schrieb: »Besonderes Interesse hegte er auch für die Astronomie …
An heiteren Sommerabenden, oft auch erst spät in sternhellen Nächten, wanderte er, seinen
Tubus an einem Bande zur Seite hängen habend, mit einem oder dem andern seiner Freunde
vor die Stadt hinaus und stellte das Instrument auf der freien Fläche des Glacis oder noch
lieber auf der aus der Mitte der Stadt aufragenden Felsenhöhe des Schloßbergs auf. Hier betrachtete er dann selbst und und zeigte auch seinen Begleitern mit immer erneutem Interesse
den narbenvollen Mondball, den Jupiter mit seinen Trabanten, den Saturn mit seinem Lichtringe, die übrigen Planeten und den sich wunderbar auftuenden Sternenhimmel von Miriaden
leuchtender Weltkörper, zu welchen sich die Milchstraße und die Nebelflecke vor dem Objektivglase seines Tubus in das Unendliche auseinanderbreiteten. Gern gewährte er den Genuß
dieses erhabenen Einblicks in die Unermeßlichkeit des Weltalls auch jedem vorüberwandel145
146
147
148
149
OT 2 (1998) 96.
Thomas Noack, Swedenborg und Lorber: Zum Verhältnis zweier Offenbarungen, in: Das Wort 4 (1998)
287-302 und OT 3 (1998) 140-155 und ders., Der Seher und der Schreibknecht Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber im Vergleich, 2004, 11-21.
Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche NeuTheosofie. Allen Wahrheitsfreunden besonders denen aus der Neuen Kirche wärmstens ams Herz gelegt von Adalbert Jantschowitsch, herausgegeben von Christoph Friedrich Landbeck, Bietigheim 1903,
Seite 4f.
Abwehr …, hg. v. Chr. Fr. Landbeck, Bietigheim 1903, Seite 5.
Hierbei ist nicht nur an Swedenborgs Klassiker »Himmel und Hölle« zu denken, sondern auch an seine
anderen Werke »ex auditis et visis« (nach Gehörtem und Gesehenem), an seine Werke aus der Weisheit
der Engel (»Sapientia angelica«) und an seine »Memorabilia« (Denkwürdigkeiten oder Visionsberichte). Bemerkenswert ist auch, dass Swedenborg seine Enthüllungen des inneren Sinnes auf den Himmel
zurückführt (HG 6597: »e caelo mihi dictatus«).
Perspektiven einer neukirchlichen Lorberforschung
319
den Spaziergänger, der etwa neugierig an sein Instrument herantrat. Und er empfand stets
eine genugtuende Freude, wenn es der fremde Schaugast dann mit der Miene oder wohl gar
mit einem Worte frommer Bewunderung dankend wieder verließ.«150 Dieses Interesse an der
materiellen Schöpfung zeigt sich dann auch in den durch die innere Stimme empfangenen
Werken Lorbers. So gibt es Werke über die natürliche Sonne, Erde und Mond und den Saturn.
Hinzu kommen Enthüllungen über den Aufbau des Weltalls; ich erinnere nur an die Hülsengloben und den großen materiellen Schöpfungsmenschen. Außerdem muss man in diesem
Zusammenhang an die naturkundlichen Werke über die Fliege und den Großglockner erinnern, an die Naturzeugnisse und an Konzepte wie zum Beispiel die Naturseelenentwicklung.
Und nicht zuletzt muss auch der Fall Luzifers an dieser Stelle genannt werden, denn das ist
bei Lorber der Ursprungsmythos für die Entstehung der Materie und der materiellen Schöpfung. Interessant ist ferner, dass Swedenborgs homo maximus nur den Himmel meint. Obwohl Swedenborg ein Entsprechungsverhältnis zwischen der geistigen und der natürlichen
Welt lehrt, finde ich bei ihm nirgends die Aussage, dass dann auch die materielle Schöpfung
in ihrer Gesamtheit einen Menschen darstellen muss.151 Es blieb Lorber vorbehalten, diese
Konsequenz zu ziehen und somit Swedenborgs Idee auf das materielle Universum auszuweiten. Wenn man all das hier nur stichwortartig Genannte in seiner gewaltigen Bedeutung für
das Lorberwerk ermessen kann, dann kommt man um die Einsicht nicht umhin, dass die
natürliche Welt bei dem Schreibknecht Gottes ein viel stärkeres Gewicht hat als bei dem nordischen Seher geistiger Welten.
Zweitens: Während Swedenborg den geistigen Sinn der Bibel auslegt, steht bei Lorber eindeutig
der natürliche bzw. historische Sinn im Mittelpunkt. Auch das läßt sich mit Hinweisen auf
einige Hauptwerke Lorbers einfach belegen. Swedenborg legte den geistigen Sinn der biblischen Urgeschichten aus und stufte sie als Mythen oder mit seinen Worten gesagt als gemachte Geschichten (HG 1020) ein. Lorber hingegen überrascht den Kenner der
swedenborgschen Auslegung dieser Mythen mit einem Werk, das die Urgeschichte der
Menschheit schildert; es trägt den Titel »Die Haushaltung Gottes«. Darin begegnen uns Adam
und Noah als geschichtliche Personen, obwohl es sich nach Swedenborg dabei nur um kollektive Größen (Kirchen) handelt und es einen Noah nie gegeben hat (HG 1025). Das Interesse an
der Geschichte oder den historischen Hintergründen ist dann auch in Bezug auf Jesus Christus offenkundig. Das bezeugen die Werke über die Jugend Jesu, die drei Tage im Tempel und
vor allem das Große Evangelium Johannis. Schon Friedemann Horn wies darauf hin, dass das
zuletzt genannte Werk mit einer gleichsam swedenborgschen Auslegung des inneren Sinnes
der biblischen Vorlage beginnt, dann aber sehr bald in eine freie Darstellung des Lebens Jesu
wechselt. Lorber legt also nicht den inneren Sinn des neutestamentlichen Johannesevangeliums aus, sondern macht uns mit den ursprünglichen, historischen Geschehnissen vertraut.
Wiederum ruht das Interesse ganz auf dem natürlichen Grad. In diesem Zusammenhang muss
man auch die Wiederoffenbarungen verschollener Schriften des Urchristentums erwähnen, die
schon genannte Jugend Jesu, den Brief des Paulus an die Gemeinde in Laodizea und den Briefwechsel Jesu mit Abgarus Ukkama von Edessa. Lorber ist an der Geschichte interessiert und
dazu passt es, dass er Geschichten erzählt, das heißt in den die Historie betreffenden Werken
die Form des Dialogs wählt. Hier, wo es um die geschichtliche Erscheinungsform der Werke
Lorbers geht, sind sogar auch die Jenseitswerke zu nennen, die zwar von Natur aus die geistige Welt betreffen müssen, aber diese Welt ganz anders als Swedenborgs »Himmel und Hölle«
150
151
Karl Gottfried Ritter von Leitner, Jakob Lorber, ein Lebensbild nach langjährigem persönlichem Umgang, Bietigheim 1969, Seite 16.
Swedenborg thematisiert lediglich Entsprechungen zwischen dem homo maximus und dem leiblichen
Individualmenschen.
320
Thomas Noack
im Form von Jenseitsbiographien historischer Persönlichkeiten beschreiben. Wir erleben die
jenseitigen Gesetzmäßigkeiten in den Sphären von Bischof Martin, Robert Blum, den Evangelisten Markus und Johannes usw.
Drittens: Auch eine ganze Reihe weiterer Beobachtungen zeigt, dass in den Offenbarungen
durch Lorber dem natürlichen Bereich eine besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. So findet
man in diesen Schriften viele Prophezeiungen, die die natürliche Welt betreffen.152 Während
Swedenborg bei seiner Auslegung der Johannesapokalypse das Gewicht auf den geistigen bzw.
theologischen Zusammenbruch und auf das Aufkommen einer neuen Theologie legte, versorgen uns die Offenbarungen durch Lorber mit konkreten Szenarien über die Auswirkungen des
geistigen Umbruchs auf die natürliche Welt. Lorber ist insofern eher ein Endzeitprophet nach
dem Geschmack des Publikums. Außerdem gibt es bei ihm zahlreiche Äußerungen, die ihn
mit den Natur- und Geschichtswissenschaften in Konkurrenz treten lassen. Ferner begegnet
uns im Lorberwerk eine Fülle von Ratschlägen zur praktischen Lebensführung. Es geht darin
um Kindererziehung, Sexualität, Ernährung und Gesundheitspflege. Sogar eine eigene Heilmethode, die Heiliopahie, wurde von Lorber angeregt.
Viertens: Schließlich sei auch noch darauf hingewiesen, dass Jakob, der Vorname des
Schreibknechtes Gottes, ebenfalls auf den natürlichen Grad hinweist, denn das ist auch der
Name des dritten der drei Erzväter. Von ihm sagt Swedenborg: »Jakob bildet im höchsten Sinn
im allgemeinen das Göttlich Natürliche des Herrn vor.« (HG 4538). Jakob bedeutet »die Lehre
des natürlichen Wahren« (HG 3305). Eine andere, ergänzende Aussage finden wir in HGt 1,2,1,
dort heißt es: »Du bist der Lot von Sodom«. Interessanterweise steht auch Lot, das hebräische
Wort für Hülle, für den äußeren Menschen. Lot steht für »das sinnliche Wahre« (HG 1431).
So ist also ausgerechnet die Offenbarung aus dem inneren Wort die äußerlichere, während die
Offenbarung aus dem äußeren Wort, Swedenborgs Offenbarung aus der Bibel , die innerlichere
ist.
152
Vgl. die Bücher von Kurt Eggenstein: Der unbekannte Prophet Jakob Lorber: Eine Prophezeiung und
Mahnung für die nächste Zukunft, 1990. Und: Der Prophet Jakob Lorber verkündet bevorstehende Katastrophen und das wahre Christentum, 1975.
NEUOFFENBARUNGSFREUNDE
AUSSERHALB DER NEUEN KIRCHE
BUCHSTABE UND GEIST DER NEUOFFENBARUNG
Karl Dvorak – 1978
Vorbemerkung von Thomas Noack: Aus dem Inhalt geht deutlich hervor, dass dieser Beitrag eine
Antwort auf die Offenbarungskritik von Friedemann Horn war.
April 1978 | Schrift Nr. 30
Der Mensch ist nach den Göttlichen Lehren ein äußerer und ein innerer. (Vgl. EQ153 140f.,
MM154 15,15, HG 10396, GEJ 5/61,5f.). Ebenso besteht Gottes Wort aus einem äußeren Buchstaben und einer inneren Wahrheit. (Vgl. die Werke Swedenborgs: »LS« und »WP«)
Obwohl Gottes Wort bis auf jedes Strichlein und Jota göttlich und heilig ist155‚ so erscheint die
reine Wahrheit dennoch nicht immer im äußeren Buchstabensinn.
Dazu Göttliche Wortdokumente:
»Das Wort ist im Buchstabensinne nicht übereinstimmend und scheint sich mitunter zu widersprechen.« (HG 9025)
»Das Wort Gottes ist seinem Buchstabensinn nach in bloßen Entsprechungen geschrieben.« (NJ
261)
»Die Wahrheiten des buchstäblichen Sinnes des Wortes sind zum Teil nicht nackte Wahrheiten,
sondern der äußere Schein des Wahren und wie die Gleichnisse und Vergleichungen. … Sie sind
daher der Fassungskraft der Einfältigen angemessen. Weil sie aber Entsprechungen sind, so sind
sie Behältnisse und Wohnungen des echten Wahren.« (LS 40)
»Der Buchstabe ist nicht das Wort, er ist nur eine Leiter und Unterweisung des Wortes: das Wort
ist lebendig und hat Geist.« (Böhme, Vom dreifachen Leben des Menschen 14,6)
»Weil das Geistige im buchstäblichen Sinne des Gottwortes, welcher natürlich ist, nicht erscheint,
so war der geistige Sinn bisher unbekannt.« (EO 1)
»Die volle, nackte Wahrheit aber kann im allgemeinen dem Menschen auch von Mir aus jetzt
nicht gegeben werden, sondern nur verhüllt in Gleichnissen und Bildern.« (GEJ 3/168,12)
»Vor Meinen Augen gibt es keine Materie, somit ist auch jede Gabe von Mir geistig und nicht materiell, wenn sie auch noch so materiell zu sein scheint. Ich tue, ob Ich es schon sage oder nicht,
Meinen Mund nur stets in Gleichnissen auf.« (EM 85,7)
»In diesem Sinne fasset demnach ihr auch dieses Werk (Erde und Mond) und benutzet es als lebenstätige Übung für euren Geist.« (EM 85,17)
»Äußerer Buchstabe« für Verstandesmenschen geschrieben, umhüllt schützend die Wahrheit.
Nur der Gottgeist in der Seele erschließt Göttlichen Innensinn. Der Herr allein kann diese
elementare Weisheit einprägsam verkünden:
»Augustinus sagt, daß der die Schrift am besten versteht, der alles Geistes entblößt, Sinn und
Wahrheit der Schrift in ihr selbst, d. h. in dem Geiste sucht, darin sie geschrieben und gesprochen
ist: in Gottes Geist.« (EQ 124,20f.)
»Das aufgeschriebene Wort Gottes ist nur ein Werkzeug, damit der Geist leitet: Das Wort, das da
lehren will, muß in dem Buchstabischen Worte lebendig sein. Der Geist Gottes muß in dem Buchstabischen Halle sein, sonst ist keiner ein Lehrer Gottes.« (Böhme, Wiedergeburt 8,6)
»Nur Erleuchtete verstehen daher das Wort.« (HG 10323, NJ 253)
»Je offener der Buchstaben-Sinn sich ausspricht, desto tiefer liegt der geistig-himmlische.« (Suppl.
319)
»Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.« (2. Kor 3,6)
153
154
155
EQ = Josef Quint (Hg.), Meister Eckehart: Deutsche Predigten und Traktate, München: Carl Hanser,
1955. In der Regel werden die Seiten und die Zeilen angegeben.
MM = Jakob Böhme, Mysterium Magnum.
Swedenborg »Himmlische Geheimnisse« bes. Nr. 9349.
324
Karl Dvorak
»Man muß das Wort Gottes, weil es durchgängig geistig ist, auch stets geistig nehmen, so man
zur Wahrheit gelangen will.« (RB 2/238,11)
Aus diesen Gott-Lehren kann man folgenden Schluß ziehen: Der Mensch hat zwei Erkenntnisvermögen:
1.) den äußeren Kopfverstand,
2.) das innere Geist-Empfinden.
Geistiges Herzempfinden gebiert »Göttliche Weisheit«. — Der Verstand sammelt und verarbeitet
Eindrücke und Bilder seiner Umwelt durch die fünf Sinne und gestaltet daraus seine Meinung.
Inneres Geistempfinden (auch Herzensdenken genannt) ist dagegen ein Göttlicher Gnadenakt,
d. h. mit anderen Worten gesagt:
Geistiges Denken ist Gott-Einfluß von den Empfänger-Seelen mehr oder minder abgewertet
nach der Reinheit ihrer Herzen. Was kein noch so scharfer Verstand begreift, das erschaut
gemütsvolles Herzensdenken. — Mit Schillers Worten:
»Was kein Verstand der Verständigen sieht,
das findet in Einfalt ein kindlich Gemüt.«
Gott bezeugt immer wieder diese Urwahrheit reiner Herzens-Erkenntnisse, so durch Bernhard
von Clairvaux:
»Kann ich erklären, was unaussprechlich ist? Es ist nicht die menschliche Zunge, sondern die
Gnade Gottes, die diese Dinge lehrt. Vor den Großen und Weisen dieser Welt sind sie verborgen,
aber kleinen Kindern macht sie Gott offenbar.«
So durch Jakob Lorber:
»Was der Herr, unser aller liebvollster Vater den Weisen vorenthalten hat, das gibt Er den
Schwachen und Kindern im reichsten Maße!« (HGt 1/153,5)
Wie der menschliche Verstand untauglich ist, innere Wahrheiten zu erfassen, ebenso ist es
ihm unmöglich »Göttliche Offenbarungs-Schriften« echt zu beurteilen. — In diesem Sinne soll
auch die Offenbarungskritik am Lorberwerk durch den bekannten Theologen der »Neuen Kirche« (Swedenborg-Kirche) Dr. Friedemann Horn verstanden werden. Hier sei sein ehrlich gemeinter Rat aus dem 4. Heft der »Offenen Tore« 1976, Seite 185 zitiert, wo er warnend
schreibt:
»Ich möchte auf die Gefahren hinweisen, die dann entstehen, wenn man die Schriften Lorbers unkritisch als eine unmittelbare, ganz und gar ungetrübte, irrtumsfreie Offenbarung des himmlischen Vaters selbst hinnimmt.«
Ja dies war vollkommen recht gesagt für den äußeren Kopfverstand; nicht so für einen geübten
Herzensdenker, der durch Gotteinfluß die Wahrheit hinter dem grauen Deckel des Buchstabens erschaut. —
Richtig erkennt auch Dr. Fr. Horn unter äußerer Buchstabenhülle das Korn der Wahrheit:
»Gottes Offenbarungen kommen niemals in absoluter Form zu uns, sondern stets in Anpassung
an den von Ihm gewählten jeweiligen Übermittler, und damit unwillkürlich auch an einen bestimmten Entwicklungsstand seiner Zeitgenossen.« (Offene Tore 1977/Heft 1, Seite 30)
»Eine absolute Offenbarung wäre also viel eher eine totale Verhüllung zu nennen. Wir erhalten
das Korn der göttlichen Offenbarung daher auf dem Halm menschlicher Anschauung und nicht
fix und fertig gedroschen und gemahlen, oder gar zu Brot gebacken, zu sofortigen Gebrauch.« (Offene Tore 1977/Heft 1, Seite 31+30)
Umso verwunderlicher erscheint Dr. Fr. Horns Behauptung über die Gottwort-Aufnahme, da
sagt er u. a. im Heft 1/1977 der »Offenen Tore« (Seite 31):
»Die Stimme, die sich durch Lorber offenbarte, will wörtlich genommen werden …«
Buchstabe und Geist der Neuoffenbarung
325
Ein gründlicher Herzenskenner der Lorberschriften weiß, da Gegenteiliges vom Herrn verlangt
wird: Gottes Wort will nicht wörtlich (buchstäblich) genommen werden. Vergleiche obige Zitate
aus dem Gottwort und folgende Swedenborgs:
»Die Engel der Himmel verstehen daher das Wort nicht nach seinem Buchstabensinn, welcher natürlich ist, sondern nach dem inneren Sinne, welcher geistig ist.« (HG 2899)
Die »nachprüfbaren Widersprüche«, die Hr. Fr. Horn dem Lorberwerk anschuldet und ungöttlich nennt156, können wir verglichen mit den Wortaussprüchen Lorbers und Swedenborgs
völlig in Ordnung finden:
»Der Buchstabensinn ist so beschaffen, daß er in mehreren Stellen des Gottwortes sich zu widersprechen scheint, aber die Ursache ist, weil in ihm Scheinbarkeiten des Wahren angepaßt sind
denen, welche in Äußerlichkeiten sind.« (HG 3451)
Durch Lorber: »Ich sage dir im voraus, daß da in der Veroffenbarung noch einige Beschaffenheitswidersprüche vorkommen werden. … Mit dem Verstande aber bleibe ein jeder hübsch fern
von Meiner Gabe. … Wer da äußerlich rein weltgeschichtlich, nach seinem Verstande urteilt, findet, so er recht spitzkritisch zu Werke gehen will, — Ich sage dir: Entweder den Tod seines Verstandes, oder den Tod seines Glaubens … Allein durch Liebe, Demut, Sanftmut und Geduld, wenn sie
eins werden im Menschen, da wird Licht werden im Herzen, in welchem sich alle Widersprüche
lösen werden! … So ihr aber mit eurem Verstande wollet Meine Schatzgräber sein, wahrlich, ihr
sollt nichts denn Unrat finden! — Denn Meine Gaben sind nur fürs Herz‚ nicht aber etwa vorerst
für den Verstand bemessen.« (NS 65,12)
Als Beispiel sei hier ganz kurz die Kritik des Hr. Horn aus den »Offenen Toren« Heft 1/1976
(Seite 54f) angeführt. Hier wird eine angeblich falsche Behauptung des Herrn durch Jakob
Lorber zitiert. Diese Stelle aus dem ersten Band des »Großen Evangelium Johannes«, Kap.12.
Vers 6.f. lautet:
»Aber man stelle sich das Osterfest der eigentlichen Juden nicht in der Zeit vor, wie sie nun in dieser Zeit in den verschiedenen christlichen Gemeinden für dies ähnliche Fest bestimmt wird,
manchmal schon sogar im Monat März, sondern um nahe ein ganzes Vierteljahr später hinaus!
…«
Diese Ausführung des Herrn widerlegte Hr. Horn mit der heute bestehenden These, die auch
in Bibelkreisen anerkannt wird157, worin man behauptet, daß das Jüdische Osterfest im Monat
März bzw. April (Abib / Nisan) läge.
Nun führt Hr. Horn weiter aus:
»Da aber irren menschlich, nicht göttlich ist, kann das behandelte Zitat (aus Lorber: GEJ 1/12,6f.)
nicht vom Herrn stammen.«
Schon vom verstandesmäßigen Standpunkt steht seiner These eine Antithese gegenüber.
Durch die Einführung des Julianischen Kalenders, im Jahre 46 v.Chr. (war das längste Jahr mit
444 Tagen)158 wurde der Jahresbeginn vom Monat März auf Jänner vorverlegt. Dadurch kam
das »Jüdische Osten« wirklich ein Vierteljahr später (wie bei Lorber richtig steht), also im
Monat Mai bzw. Juni zu liegen. Ganz abgesehen vom Buchstabensinn dieser Ausführung, soll
auch diese Stelle nicht wörtlich genommen werden.
Es liegt, wie überall im Gottwort hier ebenfalls ein tiefer Entsprechungssinn dahinter.
Vorher ein Wort des Herrn dazu:
»Wer die Evangelium-Offenbarung aber nach der materiellen Darstellung annimmt, der wird auf
die Erklärung und das Verstehen schon im großen Jenseits warten müssen; und dergleichen zu
warten habende gibt es ohne ihre Schuld gar viele. Daher wird ihnen solches auch nicht als ein
156
157
158
Dr. Friedemann Horn: »Offene Tore«, Heft 1/1977, Seite 27.
Lexikon zur Bibel v. Fritz Rienecker /Brockhaus V.
»Rekorde in der Natur« Verlag DAS BESTE‚ Seite 22.
326
Karl Dvorak
Übel angerechnet werden, sondern sie werden in einem helleren seelischen Zustande schon eines
Besseren inne werden.« (Suppl. 251,4.)
Nun hier eine kleine Entsprechungsandeutung.
»Ostern« bildet die innige Gottverbindung (vgl. Abendmahl) der Seele mit dem Herrn vor. Bei
den Juden erfolgte das Osterfest ein »Vierteljahr« später, das bedeutet eine Gottverbindung
kann nur dann erfolgen, wenn sie den Herrn (= 1) im Irdischen (= Viertel) erkennen.
Die Monate bezeichnen dann die verschiedenen Geisteszustände der Seelen (bei Christen wie
Juden). So bezeichnet »März« (3. Monat) die völlige Willenshingabe. »Mai« und »Juni« (5. u. 6.
Monat) die magische Hinneigung zu Gott die nur im äußeren Kultus ihren Niederschlag findet.
Mit dieser kurzen Andeutung können Entsprechungskundige mühelos die Gesamt-Deutung
der zitierten Lorberstelle im Innensinn durch Herzensdenken erfassen. — Es gehört durchaus
keine Voreingenommenheit dazu, wie Hr. Horn weiter behauptet159, die Bibel und Lorber in
Einklang zu bringen, gotterwecktes Herzensdenken schafft einen harmonischen Einklang
nicht nur im christlichen Offenbarungs-Schrifttum sondern auch in allen Gottschriften anderer Religionen. Darum sagte Jesus durch Johannes:
»Die Worte die Ich zu euch rede, sind Geist und Leben.« (Johannes 6,63)
Deswegen mahnt der Herr:
»Die menschliche Vernunft kann weder Göttliches, noch Geistiges erfassen, wenn sie nicht vom
Herrn erleuchtet wird.« (HG 2196, 2203, 2209, 2654)
»Wie es nicht möglich ist, Gott zu schauen mit irdischen Augen, also ists auch nicht möglich, daß
ein unerleuchtetes Gemüte himmlische Gedanken und Sinne aus dem Buchstaben erfasse, es muß
nur gleiches mit gleichem gefasset werden.« (Böhme, Von den drei Principien, Anhang 30)
»Der Buchstabe ist ein Instrument darzu, als eine Posaune, aber es gehöret ein rechter Hall darein,
der mit dem Halle im Buchstaben konkordiere.« (Böhme, Mysterium Magnum 28,56)
Diese Wahrheit muß endlich zur Kenntnis genommen und befolgt werden, will man ein gerechtes Urteil über Gottes Wort fällen!
»Willst du den Kern haben, so mußt du die Schale zerbrechen«, sagte der Herr durch Meister
Eckehart. »Und demnach: Willst du die Wahrheit unverhüllt finden, so müssen die Gleichnisse alle zerbrechen, und je weiter man eindringt, um so näher ist man der Wahrheit.« (EQ 265,3f.)
Bis jetzt wurde das innere »Wort der Ewigkeit« nur von wenigen Christen gehört.
Der Herr durch Eckehart:
»Mich wundert, daß die Schrift so gehaltvoll ist und doch niemand das allermindeste Wort darin
ergründen kann.« (EQ 258,5f.)
»Augustinus sagt, die Schrift sei ein tiefes Meer. … Ein jeglicher entnimmt daraus, was ihm genügt. … Mich wundert's, daß die Heilige Schrift so gehaltvoll ist und die Meister sagen, daß man
sie ihrem unverhüllten Sinn nach nicht auszudeuten vermöge. … Die Schrift lacht anfangs Kinder
an und lockt das Kind an sich, am Ende aber, wenn man die Schrift ergründen will, spottet sie
weiser Leute.« (EQ 262,20f.)
»Darum, das wahre Wort der Ewigkeit wird nur in der Einsamkeit (im eignen Herzen) gesprochen.« (EQ 434,35)
Buchstabe ohne inneren Wahrheitsgehalt, gebiert nur Irrlehren, Meinungen und Dogmen. (Vgl.
HG 10400, NJ 254)
Wenn auch der Buchstabensinn einfach und zeitgeprägt erscheint, so ist in ihm doch die Fülle
Göttlichen Lebens.
Der Herr:
159
»Offene Tore« Heft 4/1976, Seite 191.
Buchstabe und Geist der Neuoffenbarung
327
»Das Wort erscheint im Buchstaben wie eine gewöhnliche Schrift, in einer fremdartigen, weder
erhabenen noch lichtvollen Schriftart.« (LS 1)
»Das Wort Gottes konnte in keinem andern Stil geschrieben werden. … In großem Irrtum sind die,
welche das Wort seines einfältigen und scheinbaren ungebildeten Stiles wegen verachten, und
denken, sie würden es annehmen, wenn es in anderem Stil geschrieben wäre.« (NJ 261)
Nochmals betont: die Wahrheit bleibt äußerem Verstand versiegelt, nur der Geist entbindet
durch Herzensdenken »Göttlichen Innen-Sinn«, getreu der Rede Christi:
»Wer Mein Wort hält, der liebt Mich, und Ich werde ihn lieben und Mich ihm offenbaren.« (Joh
14,21)
So gesehen soll äußerer Menschen-Verstand zweifelsfrei und demütig sich dem Tempel
»Gottwort« nahen, — eintreten aber in das Heiligtum der Innenwahrheit darf nur der Geist. —
Nie maße sich der Sterbliche ein überlegenes Urteil am Unendlichen an! Menschliche Zwergenhirne können nimmer die unermeßlichen Riesenformen geistiger Gottes-Reiche überblicken.
Jedem das seine:
Dem Verstand »Irdisches und Stoffliches«,
dem Herzen »Geistiges und Göttliches«. —
Demutsvolle Leser stoßen sich nicht am plumpen Schreibstil, an scheinbaren Widersprüchen
und Irrtümern des Gottwortes, ihre flammende Gottliebe durchdringt reinen Herzens die Barrieren des Buchstabens.
Nur Geist erkennt Geistiges.
Gotterleuchtete Gemüter erschauen im Lorberwerk mehr als eine inspirierte Kundgabe160, für
sie ist der stille Schreibknecht ein zeitgemäßer Gottes-Bote.
Scheinbare Irrtümer, Falschbehauptungen und Widersprüche161 des äußeren Buchstabens
sind nur göttliche Zollwachen, die unreifen Verstandeshelden den Eintritt in Gottes Reich (=
innerer Wahrheits-Sinn des Wortes) verwehren.
Wie könnten auch solche innigen und liebeerweckenden Hochgedanken im Neuoffenbarungswerk nicht vom Vater der Liebe und des Lebens sein, wo doch alle Gedanken, selbst die
abgewerteten in ihrem Ursprung von Gott kommen.
Der Herr:
»Das Licht alles Lichtes ist der Urgedanke aller Gedanken und Ideen. … Dieses ist das Wort … und
im Grunde des Grundes Gott Selbst.« (GEJ 1/1,13)
»Sind denn nicht alle Dinge nichts anderes als allein nur Meine durch die Liebe festgehaltenen Gedanken.« (HGt 2/132,14)
»Denn jeder Gedanke war zuvor in Ihm, ehe er durch Seinen Willen einen außer Ihm bestehenden,
freien Willen auszumachen und zu bestimmen anfing.« (GEJ 2/38,3)
»Mir (Swedenborg) wurde gezeigt, daß Niemand weder im Himmel, noch in der Hölle und kein
Mensch aus sich denkt, sondern aus Andern, und so zuletzt Alle und Jeder aus dem allgemeinen
Einfließen des Lebens, welches vom Herrn ausgeht.« (S.K. 54)
Die einzige Prüfwaage, ob eine Offenbarung göttlich oder menschlich ist, kann darum nur die
»tätige Nachfolge« und die daraus erwachte »Gottliebe« im Herzen der Wort-Leser sein.
Zu dieser Beurteilung ist menschlicher Verstand nicht tauglich. Bescheidene Herzensbetrachtung gibt den Wortforschern das Recht und die Pflicht, alle Offenbarungen zu prüfen und das
Gute zu behalten.
160
161
»Offene Tore« Heft 1/1976, Seite 55-56.
»Offene Tore« Heft 1/1976, Seite 55-56.
328
Karl Dvorak
Die Seele glaube einstweilen die erkannte Buchstabenwahrheit, bis sie selbst zum Lichte geworden, »Göttliche Wahrheit« erschaut. (Vgl. EQ 426,15ff.)
Warnend sagt der himmlische Vater durch Böhme:
»O Babel! Du bist der Antichrist. … Du willst mit Buchstaben ohne das lebendige Wort in dir Gottes Worte lehren!« (Böhme, Mysterium Magnum 72,23.)
»Es ist wohl möglich, daß ein armer toter Sünder bekehrt werde, so er will von den Bildern (äußerer Buchstabe) stille stehen, und einen Augenblick hören was der Herrn ihme redet, aber der verstockte, verbitterte Geist will des Herrn Stimme in ihme selber nicht hören reden, sondern saget
nur: Buchstabe Buchstabe! das geschriebene Wort sei es allein, das zeucht er hin und her, und
rühmet sich dessen, aber das lebendige Wort will er nicht hören.« (Böhme, Gnadenwahl 11,34)
So gesehen ist, vom Standpunkt des Göttlichen Wortes, jede verstandesmäßige Offenbarungskritik grundsätzlich abzulehnen. Ebenso wie bei Dr. Horn, wäre auch die Beurteilung an der
Lorberoffenbarung durch den berühmten Theologen und Sektenforscher Dr. K. Hutten zu werten.162
Stellte Dr. Hutten die Lorberoffenbarung in seinem Buche: »Seher, Grübler und Enthusiasten«
noch als Phänomen und nicht als Göttliche Kundgabe hin (Seite 390f.), so redete er im Jahre
1975 (im SW-Funk, am 11. Nov.)163 bereits anders:
»Männer wie Jakob Böhme, Emanuel Swedenborg, Jakob Lorber und bis hin zu Teilhard de Chardin haben Weltentwürfe von einer ebenso großartigen inneren Geschlossenheit wie Weite und
Fülle geliefert. Und sie alle sind auf Christus hin geordnet. … Ich halte dafür, daß dies Geschenke
des fortwirkenden Heiligen Geistes sind, den Christen der modernen Welt angeboten, damit sie
ihre Hoffnungen neu formulieren können.«
Auch K. O. Schmidt, der kürzlich verstorbene Geistschriftsteller, änderte seine anfänglich
gehabte Meinung über Swedenborg und Lorber:
»Bedeutende Beispiele medialer Kundgebungen und solcherart gewonnener Erkenntnisse waren
die Gesichte und Berichte Emanuel Swedenborgs über Himmel und Hölle, … das JesusEvangelium Jakob Lorbers … und andere Offenbarungsschriften, die als Inspiration zu werten
sind.«164
Freudig können wir die bejahenden Aussagen, die über Neuoffenbarungen gemacht wurden
bewundern.
Besonders sei hier P. Keune erwähnt. Mit echter Offenbarungskenntnis weißt der Schriftsteller die harmonische Übereinstimmung der Lehrsätze bei Swedenborg und Lorber nach:
»Bei Lorber haben wir es mit einem ähnlich umfangreichen Schriftwerk zu tun, nur ist der Aufbau
der Werke anders als bei Swedenborg.« (Seite 13)165
In einer herrlichen Übersichtstabelle wies Hr. Keune »den weit gespannten Rahmen beider
Diener Gottes (= Swedenborg und Lorber) nach. Die Hauptlehren beider Offenbarungen wurden
einander gegenübergestellt: So die Lehre von Gott, die Schöpfung, die Erlösung, der Heilige
Geist und die Entsprechungen und dies alles mit Originaltexten treulich wiedergegeben. (Seite
13-17)166.
»Aus dieser Tabelle kann jeder Unvoreingenommene leicht schließen, daß beide Werke zumindest
in ihren Grundlehren völlig übereinstimmen.« (Seite 17)167
Sein Seherblick durchschaut die scheinbaren Widersprüche und sagt darüber:
162
163
164
165
166
167
Dr. Kurt Hutten. »Seher Grübler Enthusiasten« (Quell-Verlag Stuttgart 1966)
Dr. K. Hutten: »PSI und der christliche Glaube« »Offene Tore« Heft 5/1975. »Esotera« 1976, Seite 1093.
Zeitschrift »esotera« 6. Juni 1974, Seite 519.
Zeitschrift »Offene Tore« März 1977 (Heft 1), Seite 6-26.
Zeitschrift »Offene Tore« März 1977 (Heft 1), Seite 6-26.
Zeitschrift »Offene Tore« März 1977 (Heft 1), Seite 6-26.
Buchstabe und Geist der Neuoffenbarung
329
»Was die scheinbaren Widersprüche betrifft, sollte man sich nicht daran stoßen. Im Geist sind sie
keine Widersprüche. … Das Kriterium der Wissenschaftlichkeit ist ein sehr schwankendes.« (Seite
19)168
»Erschreckend« findet Hr. Keune die »Unkenntnis des Gesamtwerkes Lorbers bei denen, die
sich zu einer Kritik berufen fühlen.« (Seite 25.)169
Mit folgenden Worten würdigt er die Neuoffenbarung:
»So ist z. B. ›Robert Blum‹ ein grandioses Werk, welches in weitem Maße jeden bisherigen Versuch, jenseitige Entwicklungen zu schildern, in den Schatten stellt.« (Seite 13)
»Gibt Swedenborg gewissermaßen das Gerippe jeder geistigen Weltschau, so füllt sie Lorber mit
geistigem Leben aus, und dies in einer so anschaulichen und einprägsamen Weise, daß es unvergessen bleibt.« (Seite 22)
»Wo in aller Welt will man denn eine ähnliche Literatur finden?!« (Seite 25)
»Lernen wir in Swedenborg und Lorber Künder und Mittler einer neuen Kirche zu sehen, deren
Stifter allein unser Herr und Vater ist. … Aus dieser Liebe laßt uns leben und wirken im Sinne einer Erneuerung und Erweiterung der Kirche des Herrn.« (Seite 26)170
Wie Hr. Keune erkannte auch Hr. E. Bötow die tiefe Übereinstimmung Göttlicher Neuschriften,
er sagte:
»Die Schriften Jakob Lorbers sind von besonderer Tiefe, aber sie müssen auch recht verstanden
werden. Sie sind ein Teil der Wiederkunft Christi im Wort und Geist. … Sie gehören damit zur Gesamtsphäre der universellen christlichen Mystik der Neuzeit mit ihrem Dreigestirn Böhme —
Swedenborg — Lorber.«171
Neben vielen anderen huldigte auch G. Steinhäuser, der bekannte Autor des vielgelesenen
Buches: »Der Tod und was dahinter ist« den Propheten Swedenborg und Lorber.172
Auch die weltberühmte, blinde Dichterin H. Keller gedenkt der Offenbarung Swedenborgs:
»Swedenborg aber vernahm die Göttliche Harmonie des Alls und hörte tatsächlich, wie er sagte,
die lieblichste Musik der engelischen Heerscharen.«173
Der sorgfältigen und würdigen Betrachtung des Marburger Theologen Ernst Benz sei besonders gedacht. Hier einige Zitate aus seinem meisterlichen Buch »E. Swedenborg, Naturforscher
und Seher« (Swedenborg-Verlag Zürich 1969):
»Bei Swedenborg erneuert sich das alte Grundanliegen der Seelenmetaphysik eines Meister Eckehart.« (Seite 146)
»So wird z. B. der Grundgedanke des Urmenschens (Adam) bei Swedenborg in derselben Form
ausgesprochen, in der er sich bei Böhme und seinen englischen Schülerkreis findet.« (Seite 147)
»Swedenborg wie Böhme empfinden ihre Berufung als göttlichen Auftrag, ihre Gesichte und Erkenntnisse schriftlich niederzulegen, beide sind bis zum Ende diesem Auftrag treugeblieben.« (Seite 503.)
»Swedenborg war ein echter Visionär, … wollte man seine Offenbarung als Wahnsinn ablehnen
weil sie sich auf Visionen berufen, so müßte man gleichermaßen alle christlichen Visionäre einschließlich des Autors der Johannes-Offenbarung als Wahnsinn ablehnen.« (Seite 535)
»Swedenborg erwies sich als ein echter christlicher Visionär«. (Seite 536)174
168
169
170
171
172
173
174
Zeitschrift »Offene Tore« März 1977 (Heft 1), Seite 6-26.
Zeitschrift »Offene Tore« März 1977 (Heft 1), Seite 6-26.
Zeitschrift »Offene Tore« März 1977 (Heft 1), Seite 6-26.
Zeitschrift »Das Wort« Nr.1 aus 1972: »Jakob Lorber und Teilhard de Chardin«. v. Eberhard GilkaBötzow.
Gerhard R. Steinhäuser: »Neue Kronen Zeitung« Wien Nr. 5835 vom 28.8.1976, Seite 13, Titel: »Der
Prophet aus Graz«.
Helen Keller: »Licht in mein Dunkel« Swedenborg Verlag, Zürich, Seite 49.
Ernst Benz: »E. Swedenborg … « Zürich 1969.
330
Karl Dvorak
Einesteils begrüßenswert finde ich die Ausführungen des bekannten »Esotera-Schriftstellsers«
M. Heuer175 bezüglich der Übereinstimmung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Lorberaussagen, betreffend unseres Sonnensystems.
Andernteils aber könnte das kleine Versteckenspiel wegen der Widersprüche Lorber'scher
Mondtheorie zur astronomischen Zeitmeinung das Ansehen der Neuoffenbarung sehr trüben.
Völlig berechtigt erscheint hier wiederum dem Menschen-Verstand die »Mondkritik« eines Dr.
Fr. Horn.176
Die Lorberbefürworter schweigen darüber. —
Ebenso hat auch der bekannte Autor Kurt Eggenstein in seinem vortrefflichen Millionenauflagebuch »Der Prophet Jakob Lorber verkündet bevorstehende Katastrophen und das wahre Christentum« dieses heikle Problem den Lesern vorenthalten.
Würdigungen der Lorberschriften dürften nicht an diesen unverstandenen Wort-Aussagen
vorbeigehen, wenn weitreichende Befürwortungen segensreich sein sollen.
Ich möchte an dieser Stelle erinnern, daß dieses heiße Eisen bereits im Jahre 1952 manche
Finger vorwitziger Lorber-Verkünder verbrannt hat. So wollte damals der Privatastronom Dipl.
Ing. G. Bueren und der Berliner Dr. H. Fricke die Bewohnbarkeit unserer natürlichen Sonne
vor dem Forum der deutschen »Astronomischen Gesellschaft« beweisen. Beide setzten dabei
50.000 DM als Prämie für denjenigen aus, der diese Theorie wissenschaftlich widerlegen
könnte. Selbstverständlich wurde die buchstäbliche Sonnenlehre Lorbers dementiert und die
beiden Wagemutigen verloren nicht nur ihr Geld, sondern schädigten auch das Ansehen der
Lorberschriften in der astronomischen Fachwelt. (Seite 126 f.)177
Hätte man aber Lorbers Weltraumlehre demütigen Herzens, buchstabendurchdringend im
Geiste verarbeitet, dann wäre nie diese absurde Behauptung gemacht worden. —
Auch hierbei gilt, was teilweise oben gesagt wurde: Die Aussagen Lorbers sind »Gottgeistige
Wahrheit«, dürfen aber nicht irdisch-wörtlich genommen werden! Auch die Aussagen bzw.
Offenbarungen über unser Sonnensystem und die Bewohnbarkeit der Planeten fallen unter
diese Gesetzmäßigkeit.
Man vergleiche dazu obige Aussagen und Wortzitate und weiters die Originalstellen: RB
2/238,11, EM 85, NS 65, Hg 2/134,6, HGt 2/134,24, EB178 1/114,10, NS 68-70, Sch 3.
Bemerkenswert ist die schöne Darstellung der Lorberwerke im ersten Wörterbuch dieser Welt,
welches den Schreibknecht endlich erwähnt. Im »Lexikon des Geheimwissens« von H. E.
Miers (Verlag H. Bauer, Freiburg i. Br. 1970) steht unter dem betreffenden Stichwort folgendes:
»Jakob Lorber verfaßte eine ganze Reihe von evangelischen Schriften, die heute von zahlreichen
Anhängern als Neuoffenbarungswerk bezeichnet werden. … Seine Werke überragen an Tiefe der
Einsicht noch die Schauungen eines Jakob Böhme, Emanuel Swedenborg und der großen mittelalterlichen Mystiker.« (S. 260)
Kalte Verstandesbefürwortung wird aber immer wieder den Löwen kühner Gegenbehauptungen aus der Kritiker-Höhle hervorlocken. Jede These ruft ihre Antithese auf den zeitlichen
Kampfplatz der Wissenschaften.
Darum ein Gebot der Stunde: Gottes Neuwort wird nur vom Gottgeist der Seele erkannt, gemessen und gewogen.
Die gerechte Beurteilung bleibt allein gottlebendigem Herzensdenken vorbehalten! —
175
176
177
178
Hans Manfred Heuer : »Esotera« 1976, Seite 1087.
Dr. Friedemann Horn: »Offene Tore« Heft 1/1977, Seite 40ff.
Joachim Herrmann: »Leben auf anderen Sternen« C. Bertelsmann Verlag 1963.
EB = Hermann Büttner, Meister Eckehart: Schriften, Düsseldorf, Köln: Eugen Diederichs 1959.
Buchstabe und Geist der Neuoffenbarung
331
Wer mit guter Absicht, aber doch eigenwillig ohne Gott-Auftrag den berufenen Sendboten »Göttlicher Neuoffenbarungen« einen Vorverkünder machen will, wird keinen Dauererfolg buchen
können. Der Allgütige bedarf keiner menschlichen Hilfe, Er kann sich aus Steinen Seine
Nachfolger erwecken:
»Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken.« (Matth. 3,9)
»Wo diese werden schweigen, so werden die Steine schreien.« (Luk. 19,40)
»Auch ihr, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistigen Hause und zum heiligen Priestertum.« (1.Petr. 2,5)
»Dieses merket wohl alle die ihr wollet lehren und meinet ihr seid dazu berufen, sehet euren Beruf
in euch wohl an, ob ihr auch von Gott berufen seid? Ob euch Christus in euch mit seiner Stimme
hat berufen? Wo nicht, so seid ihr anders nichts als nur falsche Propheten.« (Böhme, Gnadenwahl
12,67)
»Du mußt das Wort im Geiste der Wahrheit erkennen, … sonst bist du ein blinder Frevler im selben! Wehe dir, so du deinen Bruder willst etwas lehren, das du nicht verstehst.« (HGt 2/243,7f.)
Der aufmerksame Leser stellt hier die berechtigte Frage: »Wie komme ich zum Herzensdenken? Wie stelle ich fest, ob ein Wort von Gott geoffenbart wurde oder nicht?«
Darüber antwortet der Herr an vielen Stellen Seiner Göttlichen Lehre. Davon jedoch in einen
späteren Aufsatz. —
Hier sei vorerst kurz zusammengefaßt:
1.) Suche im ledigen Buchstaben nicht die Wahrheit, sondern das Gute nach dem Worte Pauli:
»Prüfet alles und das Gute (= Liebe) behaltet!« (1.Thess 5,21)
Weiters der Herr:
»Den toten Buchstaben kennt ihr wohl, aber darin ist Gott nicht, und so könnet ihr auch aus der
Schrift Gott nicht erkennen! Denn die Schrift zeigt euch den Weg zu Gott, und das nur darin, so ihr
unabweichbar auf diesem Wege wandelt.« (GEJ 1/119,7.)
»Am Buchstaben aber liegt ja ohnehin nichts, sondern nur an einem und demselben Geiste. … Also
ist es auch bei den Nachschriften Meines Wortes der Fall. Mögen sie sich äußerlich noch so unähnlich sehen, so sind sie aber im Innersten dennoch von ein und demselben Geiste erfüllt.« (GEJ
1/134,15.f.)
(Vgl. weiters auch: GEJ 5/272,7.f; EO 1)
2.) Betrachte daher den äußeren Buchstabensinn nur als Hilfsmittel zur Findung der Wahrheit
(= Entsprechungssinn) in dir!
Vgl. obige Ausführungen und dazu wie wir das Wort lesen sollen, vgl.: HGt 3/365, Hg 1/22-23,
EQ 124,20f.
3.) Nur eifriges Tatleben und daraus erwachende Gottes- und Nächstenliebe beweisen die
Echtheit der Neuoffenbarungen im eigenen Herzen.
Der Herr: »Sonach nützt euch Mein Wort wenig, so eure Herzen nicht voll Liebe sind zu Mir und
daraus zu euren Brüdern.« (HGt 1/169,19)
»Denn die Liebe ist der Schlüssel, mit dem jeder alle die verschlossenen Gemächer Meines Wortes
öffnen kann.« (HGt 2/135,24)
»Meine Worte, so sie von einem Menschen tatsächlich erfüllt werden, sind Leben und Gotteskraft.«
(GEJ 9/82,13)
(Vgl. weiters GEJ 3/207,14)
4.) Jeder übe daher das Denken im Herzen! Darüber der Herr:
»Siehe, der pure Gedanke im Kopf ist gerade also zu betrachten, als wollte ein Mann dem Manne
eine lebendige Frucht zeugen also, wie er solches tun kann in dem Weibe, was zugleich auch die
größte sündigste Hurerei wäre! Wenn du aber deine Gedanken gefangennimmst aus Liebe deines
Herzens zu Mir, so hast du in geistiger Beziehung das getan, als wenn du dich mit einem Weibe in
lebendiger Art verbunden hättest. … Auf diese Weise wird dein noch stummer Gedanke in deiner
332
Karl Dvorak
Liebe zu Mir dann gleich einer lebendigen Frucht. … Und wird der Gedanke dann lebendig aus der
Liebe neu geboren, dann erst auch wird er dir sein in der lebendigen Fülle der ewigen Wahrheit,
was er dir eigentlich urgrundsächlich sein sollte, ein Licht nämlich aus Mir lebendig!« (HGt
3/31,13-15)
»Ich habe doch schon oft zu euch gesagt, daß ihr nicht im Kopfe, sondern im Herzen sollet Gedanken zu fassen anfangen, um zur Wahrheitsfülle zu gelangen. … Übet euch darin, so werdet ihr
bald dahin gelangen, im Herzen der tiefsten und freiesten Gedanken fähig zu sein!« (GEJ 3/184,9f.)
»Um im Herzen denken zu können, muß man eine eigene Übung haben; und diese Übung besteht
in der stets erneuerten Erweckung der Liebe zu Gott.« (RB 1/35,6)
5.) Erst im Selbsterleben wird die Wahrheit erkannt und damit Gott geschaut:
»Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.« (Matth. 5,8)
»Das geistige Schauen ist zuerst nur ein Erkennen der äußeren und inneren Entsprechungsverhältnisse, so man sich aber dann gleichfort übt mit einem reinen, möglichst sündenfreien Gemüte
in der reinen Liebe zu Gott und daraus zum Nächsten, so geht dann das Erkennen und Verstehen in
ein helles Schauen über und liefert dann dem Seher den Beweis, daß er eins geworden ist in sich
und die wahre Wiedergeburt seines Geistes und die Auferstehung der Seele aus dem materiellen
Totengrabe ihres Fleisches erreicht hat. — « (GEJ 5/266,11)
»Das Allereigentlichste, was man dann von Gott aussagen kann, das ist Wort und Wahrheit.« (EQ
199,15f.)
Gott allein wirkt und bezeugt alles in allem. So auch hier, allein nur Gottes lebendiges Innenwort im Menschenherzen bürgt für die Echtheit neuer Offenbarungsschriften.
Der Herr: »Es können darum zehntausend falsche Evangelien geschrieben werden, so wird immer
nur das das einzig wahre sein und verbleiben, das sich im Menschen, so er nach Meinen Worten
leben und handeln wird, nach Meiner Verheißung lebendig offenbaren wird, — und dieses lebendige Evangelium wird auch bis ans Ende aller Zeiten der einzige Prüfstein sein und bleiben, ob ein
geschriebenes Evangelium echt oder falsch ist.« (GEJ 8/79,18)
(Eckehart von Hochheim): »Der versteht am besten Gottes Wort, der alles eigenen Geistes entblößt, Sinn und Wahrheit der Schrift in ihr, d. h. in dem Geiste sucht, darin sie geschrieben und
gesprochen ist: in Gottes Geist. … Und dies ist immerfort und meine ganze Klage, daß grobsinnige
Leute, die Gottes Geist bar sind und nichts davon besitzen, nach ihrem groben menschlichen Verstande beurteilen wollen, was sie hören oder lesen in den Göttlichen Lehren, die gesprochen und
geschrieben sind vom und im Heiligen Geiste, und nicht bedenken, daß geschrieben steht: Was
unmöglich ist bei den Menschen, das ist möglich bei Gott. (Matth. 19,26).« (EQ 124,20f.)
Selig die Gottes Innenwort im Herzen hören, denn sie sind dem Grabe ihres kleinen Menschenverstandes entstiegen und erhoben in die ewige Schatzkammer »Göttlicher Weisheit«. —
Was du im Herzen vernimmst,
das ist schon dein Eigentum;
was du aber von außen her vernimmst,
das mußt du dir erst zu eigen machen
durch die Tat
nach dem vernommenen Worte.
Großes Evangelium Johannes, Band II 39,6
SWEDENBORG UND LORBER,
DIE DIOSKUREN GÖTTLICHER NEUOFFENBARUNG
Karl Dvorak – 1985 od. 1986
Die Zwillingssöhne des Zeus, Kastor und Polydeukes, die Dioskuren aus dem griechischen
Mythos, erinnern mich an die unzertrennlichen, christlichen Seher, Emanuel Swedenborg und
Jakob Lorber. Warum unzertrennlich? Ich meine, weil man die Gottlehren des einen ohne die
Vaterkundgaben des anderen nicht voll verstehen kann. Beide wurden von Jesus Christus
visionär berufen, wie zur Jesuszeit Paulus. Beide lehrten im alleinigen Auftrag Gottes, verkündeten die Wiederkunft Christi und das Heruntersteigen der »Stadt Gottes«, das »Neue Jerusalem«. Unter dem »Neuen Jerusalem« verstand man in der Christenheit die »Lichtlehre« Jesu
Christi. Beide schauten, erlebten und schrieben das von Gott geoffenbarte Lehrwissen in vielen
Büchern nieder. Übereinstimmend erkannten und verkündeten beide den himmlischen Vater,
der in seinem Sohne »Jesus von Nazareth« Mensch geworden war. Damit wurde die bis dahin
mißverstandene Dreifaltigkeitslehre zur Dreieinheit verherrlicht. In dem Menschen Jesus war
die Fülle des Vaters, und wirkt seit seiner Himmelfahrt als »Heiliger Geist« in allen gottzugewandten Christen. Der »Jüngste Tag« ist keine Zukunftserwartung mehr. Der Himmel ist jetzt,
das Jenseits steht nun jedem offen. Die Vollendung oder geistige Wiedergeburt ist keine Illusion, sondern erlebbar jetzt und heute.
Swedenborg wie Lorber bezeugten eidlich und dies bis zu ihrem irdischen Tode, daß Gott Jesus
sie unterrichtet hat und ihnen den Auftrag gab, Gehörtes und Gesehenes für Christen niederzuschreiben. Wenn aber die beiden Geistdioskuren gottberufene Visionäre waren gleich dem
Paulus, warum negiert, verschweigt und verdammt das übrige Christentum diese wertvollen
und herrlichsten Gottoffenbarungen? Nur einige Denker, Theologen und Geisterweckte erkannten die charismatische Berufung Swedenborgs und Lorbers. Hier möchte ich den berühmten Marburger Theologen Dr. Ernst Benz zitieren: »Bisher hat weder die Theologie noch die
Philosophie Prinzipien für eine wirklich stichhaltige Prüfung Swedenborgs aufgestellt, die es
ermöglichen, die Spreu vom Weizen zu sondern. In der Philosophie hat Kant von seinen Prämissen her die Möglichkeit eines visionären Einblicks in die transzendente Welt grundsätzlich negiert. Die protestantische Theologie hat Kants Philosophie akzeptiert, hat aber
vergessen, die Folgerung daraus zu ziehen: da die Anfänge der Kirche und die Anfänge der
Theologie auf Visionen des Auferstandenen vor den Jüngern zurückgehen und der Apostel
Paulus im besonderen seine Berufung zum Apostelamt und sein Evangelium auf eine Christusvision zurückführt, so müßte die Kirche Kants konsequenterweise ihre Evangelisten und
Apostel demselben Irrenhaus zuweisen, dem Kant Swedenborg zugewiesen hat. Sie muß dies
entweder nachholen, oder sie muß versuchen, zu dem Phänomen charismatischer Begabung,
wie es Propheten und Visionäre darstellen, eine neue Stellung zu erarbeiten, die diese so
wichtigen und offenbar für ihren Ursprung wie ihr Ziel maßgeblichen Phänomene verständlich macht und eine Handhabung zu ihrer Beurteilung liefert.«179
Stellen wir uns die Gewissensfrage: Was hindert manche, die so wertvollen Lehren des Herrn
Jesus, geoffenbart durch Swedenborg und Lorber, anzunehmen? Ist es nicht eine festgefahrene
Glaubensmeinung, die den Geist der Wahrheit in uns blockiert? Werden nicht selbst die Bibel
und der Glaube an buchstäbliche Schriftauffassung zur unumwindlichen Hindernismauer
einer freien, universellen Wahrheitsfindung? Bei nur sachlich trockener Verstandesbeurteilung des Schrifttums beider Dioskuren stößt man freilich auf krasse Widersprüche; doch nicht
so, wenn man den Geist der Wahrheit durch sich klingen läßt. Im gütigen Einfluß den Heiligen
179
Ernst Benz, Emanuel Swedenborg: Naturforscher und Seher, Zürich 1969, Seite 539.
334
Karl Dvorak
Geistes erschauen staunende Wahrheitsliebhaber die harmonische Ergänzung, ja notwendige
Übereinstimmung beider Prophetenschriften.
Doch wenden wir uns vorerst dem Berufungszeugnis über und von Emanuel Swedenborg zu!
Ich will hier nicht das Leben und die Wirksamkeit Swedenborgs erzählen, sondern der Gottberufung des Sehers das Wort sprechen. Hören wir dazu einige Belegstellen aus dem Werk »Leben und Lehre«. Zunächst aus Swedenborgs Autobiographie: »Es gibt etwas, was all mein
Erlebtes übertrifft, es ist das, daß ich zu einem heiligen Amte berufen worden bin von dem
Herrn Jesus Christus selbst, welcher sich vor mir, seinem Knecht, auf das gnädigste in Person
offenbarte im Jahre 1743, und mir dann zugleich auch das Gesicht in die geistige Welt öffnete,
und zu reden gab mit Geistern und Engeln«.180 In Robsahms Memoiren heißt es: »In der Nacht
stellte sich mir (Swedenborg) noch einmal derselbe Mann (der Herr Jesus) vor, den ich vordem
gesehen hatte. Der Mann sagte: Er sei Gott, der Herr, der Welt Schöpfer und Erlöser. Und daß
er mich erwählt habe, den Menschen den geistigen Sinn der Heiligen Schrift auszulegen; und
daß er mir selbst diktieren werde, was ich schreiben solle über diesen Gegenstand.«181 An
Prälat Oetinger schrieb Swedenborg: »Ich kann heilig beteuern, daß der Herr selbst mir erschienen ist, und daß er mich gesandt hat, zu tun, was ich tue, und daß er zu dem Ende das
Innere meines Geistes, das heißt meines Geistmenschen, aufgeschlossen hat, damit ich die
Dinge, welche in der geistigen Welt sind, sehen, und diejenigen, welche sich daselbst befinden,
hören mögen, und dies nun schon 22 Jahre hindurch.«182 Und dem Landgrafen Ludwig IX von
Hessen-Darmstadt schrieb Swedenborg: »… und so wie der Herr Jesus mich von meiner Kindheit an hiezu zubereitet hatte, so offenbarte er sich auch in Person vor mir, seinem Diener:
dies geschah im Jahre 1743«.183 »Alle diese Erzählungen sind bloß Zeugnisse, welche beweisen, daß ich meinem Geiste nach vom Herrn in die geistige Welt eingeführt worden bin, und
mit den Engeln umgehe.«184
Man kann selbstverständlich diese Selbstzeugnisse des gottberufenen Swedenborg ablehnen
und die dabei geschehenen Wunder dem Zufall unterordnen. Alles ist beweisbar und nichts
kann bewiesen werden, wenn unsere Liebe es nicht will. Einige Christen meinen, sie hätten
die Bibel und das sei genug. Andere Neuoffenbarungsfreunde bekennen, sie hätten ihren Lorber und das genüge. Jedes Mehr-dazu-Erforschen sei nicht nötig. Sie haben Recht, wenn sie die
Offenbarung durch Swedenborg nicht verteufeln. Aber wie stehen sie dann zu der folgenden
Aussage aus dem Mund Jesu Christi, gesprochen durch Emanuel Swedenborg: »Die zweite
Ankunft (oder Wiederkunft Christi) des Herrn wird durch einen Menschen bewirkt, vor welchem er sich in Person geoffenbart, und den er mit seinem Geist erfüllt hat, die Lehre der
Neuen Kirche durch das Wort aus ihm zu lehren. Da der Herr, wie so eben gezeigt worden ist,
sich nicht in Person offenbaren kann, und doch vorausgesagt hat, daß er kommen, und eine
neue Kirche, welche das ›Neue Jerusalem‹ ist, gründen werde, so folgt, daß er solches durch
einen Menschen bewirken wird, der die Lehre dieser Kirche nicht bloß mit dem Verstande
auffassen, sondern sie auch durch den Druck bekannt machen kann. Daß der Herr Jesus sich
180
181
182
183
184
Emanuel Swedenborgs Leben und Lehre: eine Sammlung authentischer Urkunden über Swedenborgs
Persönlichkeit und ein Inbegriff seiner Theologie in wörtlichen Auszügen aus seinen Schriften, herausgegeben von J. G. Mittnacht, Frankfurt am Main, 1880, Seite 3.
Leben und Lehre, Seite 13.
Swedenborg an den württembergischen Prälaten Oetinger, Stockholm, den 23. September 1766, in:
Leben und Lehre, Seite 59.
Swedenborg an den Landgrafen Ludwig IX von Hessen-Darmstadt, Amsterdam 1771, in: Leben und
Lehre, Seite 63.
Swedenborg an den Landgrafen Ludwig IX von Hessen-Darmstadt, Amsterdam, den 13. Juli 1771, in:
Leben und Lehre, Seite 64.
Swedenborg und Lorber: Die Dioskuren der göttlichen Neuoffenbarung
335
vor mir, seinem Knecht (Swedenborg) geoffenbart, und mich zu diesem Amt ausgesandt, und
daß er nach diesem das Gesicht meines Geistes geöffnet, und so mich in die geistige Welt
eingelassen, und mir gestattet hat, die Himmel und die Hölle zu sehen, und auch mit Engeln
und Geistern zu reden, und dies nun schon ununterbrochen viele Jahre hindurch, bezeuge ich
in Wahrheit; und ebenso, daß ich von dem ersten Tage jener Berufung an gar nichts, was die
Lehre jener Kirche betrifft, aus irgendeinem Engel, sondern vom Herrn selbst, als ich das Wort
las, empfangen habe.« (WCR 779).
Nach dieser Aussage des Herrn Jesus sind also die Schriften der Neuoffenbarung durch Swedenborg und Lorber die lange erwartete »Wiederkunft Christi«. Wenn wir diesem Schriftdokument Glauben schenken, dann kommen wir dadurch zu einer großen Verantwortung. Diese
Worte Jesu Christi an uns sind dann eine ernstzunehmende Aufforderung, ein Gebot der Liebe
Gottes, in seine Geistkirche, die eine innere ist, einzutreten. Wahres Christentum fordert von
seinen Gläubigen, neben der selbstlosen Liebe auch die reine Wahrheit zu erkennen. Je wahrheitsvoller eine Seele erleuchtet ist, desto tatkräftiger kann die Liebe Gottes durch sie wirken.
Es dünkt mich, als hätte sich der von der »Gnadensonne Gottes« ausgehende »Heilige Geist«
geteilt in »göttliche Liebe« und »göttliche Weisheit«. Da scheint es mir, als hätte sich die
»Weisheit Gottes« (als ein Flügel des Heiligen Geistes) durch Swedenborg offenbart und die
»Liebe Gottes« (als der andere Flügel) durch Lorber kundgegeben. Die Weisheit aber beflügelt
den Verstand, die Liebe unser Wollen. Mit Verstand und Willen aber wirken wir unsere christlichen Werke. Ich erschaue in den beiden Großoffenbarungen der Dioskuren die »Himmelsleiter Jakobs«. Hat sie nicht zwei Holme, die den Sprossen Halt geben? Der eine Holm heißt Liebe,
der andere Weisheit. Über der Leiter Sprossen klimmen wir himmelan. Mit nur einem Holme
könnte man keine sichere Himmelsleiter schaffen.
Swedenborg gehorchte nur seinem göttlichen Auftrag, als er die vielen religiösen Bücher niederschrieb. Dazu eine Bestätigung: »Da mir (Swedenborg) vom Herrn gegeben worden ist, die
Wunderdinge zu sehen, die in den Himmeln und unter den Himmeln sind, so muß ich dem
Befehle gemäß erzählen, was ich gesehen habe.« (EO 962). »Ich (Swedenborg) versichere in
Wahrheit, daß meine Visionen keine Erfindungen, sondern wirklich Gesehenes und Gehörtes
sind, nicht gesehen und gehört in irgendeinem Zustand des eingeschläferten Gemütes, sondern im Zustand des vollen Wachens; denn es hat dem Herrn gefallen, sich selbst mir zu offenbaren und mich auszusenden, die Dinge zu lehren, welche zu seiner Neuen Kirche (dem
Neuen Jerusalem) gehören.« (WCR 851). Mit dem Begriff »Neues Jerusalem« oder »Neue Kirche« wurden die neuen Lehren (der Neuoffenbarung), hauptsächlich geoffenbart durch Swedenborg und Lorber, verstanden. Selbstforscher mögen dazu folgende Stellen nachlesen: Bei
Jakob Böhme: Aurora, Vorrede § 68; Mysterium Magnum 46,32; bei Emanuel Swedenborg: HH
187; NJ 1ff.; EO 879ff.; HG 402, 3654, HG 9166, 2943, 4478, 9643 und bei Jakob Lorber: HGt
I,25,7; GEJ III,162,4; GEJ IX,69,13; 90,2f.; GEJ IX,94,14–15; GEJ V,270,5; GEJ VI,13,3–6; GEJ
VII,54,3–5; GS I,16.
Einige Lorberfreunde halten dem Swedenborg vor, daß er niederschrieb, was Engel ihm offenbarten, und deshalb seien seine Schriften nicht rein göttlich. Dagegen spricht jedoch das folgende göttliche Zeugnis: »Es wird keinem Geist und keinem Engel gestattet, irgendeinen
Menschen dieser Erde in göttlichen Wahrheiten zu unterrichten, sondern der Herr Jesus Christus selbst unterrichtet jeden.«185 »Kein Geist wagte es, und kein Engel wünschte es, mir etwas zu sagen, noch weniger Belehrungen zu geben über etwas im göttlichen Worte, oder über
eine Lehre aus dem Worte, sondern es lehrte mich allein der Herr Jesus Christus, der sich mir
offenbarte.« (GV 135). Warum leugnen einige Jünger der Neuoffenbarungen diese Tatsache?
185
S.S. Post. 13, in: Leben und Lehre, Seite 587.
336
Karl Dvorak
Warum wird aus einer gewissen Bequemlichkeit weiterhin diese herrliche Gottoffenbarung
abgelehnt? Warum lügen einige und sagen: Swedenborg schrieb nur nieder, was ihm die Engel
sagten? Diesen Swedenborgverleugnern redet der Gottesmund folgende Worte durch den Weisheitsdioskuren zu: »… was vom Herrn kam, das wurde von mir (Swedenborg) niedergeschrieben, und was von Engeln kam, wurde nicht geschrieben.« (E.O. 1183). Ich meine es ist
Glaubenshärte und Trotz, wenn man nach solchem Wissen noch immer die Offenbarung des
Herrn Jesus, gegeben durch seinen Diener Swedenborg, ablehnt.
Einige Lorberfreunde berufen sich bei ihrer Ablehnung auf das direkte Vaterwort, gegeben in
Ichform durch Jakob Lorber, welches bei Swedenborg nicht so zum Ausdruck kommt. Und
dann noch auf die Herrenworte durch Lorber in den Himmelsgaben, wo manche herauslesen,
daß die Lorberoffenbarung höher steht als Swedenborgs Offenbarung. Doch lauschen wir dem
Originalzitat des Herrn gegeben durch Lorber. Die Frage Lorbers und seiner Freunde an den
Herrn lautete: »Sollen wir den Büchern Emanuel Swedenborgs vollen Glauben schenken?«
Darauf antwortete der Herr durch Lorber: »Ich will den Fragestellern eine harte Antwort geben,
da sie fragen, ehe es an der Zeit ist, und dadurch bereichern wollen ihr Wissen eher als die
Liebe zu mir, die doch höher steht als alles Wissen. Sie bedenken nicht das, was zuerst not tut.
Die Gabe der Weisheit kommt jeglichem nach dem Grade der Liebe zu mir, welches ist das
wahre Brot, … von dem alle Propheten, von Moses an bis auf den Johannes und den Emanuel
Swedenborg, und alle aus meiner Liebe gelehrten Weisen zeugen. … Was den Emanuel Swedenborg betrifft, so sollen sie (die Fragesteller) es versuchen, ob auch sie ohne meine Weisheit
etwa solches zu sagen vermögen! Er ward von mir erweckt und wurde von meinen Engeln
geführt in alle ihre Weisheit aus mir, je nach Graden ihrer Liebe. Und was er sagt, ist gut und
wahr. Meine Lehre und mein lebendiges Wort aber, das zu euch kommt aus meinem Munde
durch die Liebe in euch, steht höher denn alle Propheten und alle Weisheit der Engel! – Denn
die Liebe ist das Erste und Höchste, hernach kommt die Weisheit.«186 Warum gibt der Herr hier
eine »harte Antwort«? Weil die Fragesteller das Wissen der Liebe vorzogen! Warum negieren
einige Lorberleser die göttliche Bestätigung über Swedenborg? Da steht ja, von Jesu Mund ausgesprochen: Swedenborg war in meiner Weisheit. »Er ward von mir erweckt«. Seine Weisheit
war »aus mir«. Alles, was Swedenborg sagt, »ist gut und wahr.« Mit anderen Worten: Göttliche
Weisheit, von Jesus erweckt, aus dem Vatermund kundgegeben, und deshalb göttlich gut und
wahr, kam durch Swedenborg. Deshalb ist Swedenborg ein göttlich bestätigter Prophet, gleich
dem Moses und Johannes, und damit gleichgesetzt mit dem Schreibknecht Jakob Lorber.
Der Nachsatz in der zitierten Stelle aus den Himmelgaben hat einige Nur-Lorber-Anerkenner
verwirrt und falsche Begründungen hervorkommen lassen. Er lautet: »Meine Lehre und mein
lebendiges Wort, das zu euch kommt aus meinem Munde durch die Liebe in euch, steht höher
denn alle Propheten und alle Weisheit der Engel!« Sie meinen, daß damit die prophetische
Lorberoffenbarung allein bezeichnet wurde. Doch bedenke, geliebter Leser, mit dem »lebendigen Wort« aus Jesu Mund durch die »Liebe in euch«, wird keinesfalls ein äußeres Wort - auch
nicht das von Lorber - verstanden, sondern ausschließlich das innere Wort, durch die »Liebe in
uns« eingesprochen. Für den Schreibknecht Jakob Lorber war sein inneres, lebendiges Liebewort des Jesuvaters freilich mehr als alle anderen Prophetenworte, also auch mehr als diejenigen Swedenborgs. Dies gilt aber nicht zur Unterscheidung, Qualifizierung oder Bewertung
der beiden Gottwortoffenbarungen durch Swedenborg und Lorber. Wir müßten denn selbst ein
inneres, lebendiges Liebewort aus dem Vater in uns hören, das stünde dann über alle Propheten, auch über Swedenborg und Lorber. Es ist auch so, daß am Ende alle von Gott selbst direkt
belehrt werden müssen (vgl. Joh. 6,45). Keinesfalls, wie leider vielfach irrtümlich angenommen wird, beziehen sich obige Lorberworte über Swedenborg auf die göttliche Qualität des
186
Himmelsgaben, Band I, Seite 16,1 und 17,10f.
Swedenborg und Lorber: Die Dioskuren der göttlichen Neuoffenbarung
337
Gottwortes, kundgegeben durch Swedenborg. Keinesfalls wollte Jesus hier die Offenbarung
Lorbers über die Swedenborgs setzen. Hätte Jesus das getan, dann müßte er seinen eigenen
Worten, durch Lorber offenbart, widersprechen.
Nur unsere Einfalt setzt Grenzen. Wir schieben allzugerne ab, was uns unbequem dünkt oder
unserer Seele nicht munden will. Es ist bedeutend einfacher Swedenborgs Gottlehren abzulehnen, als sich mit den nur scheinbaren Widersprüchen gegenüber Lorber auseinanderzusetzen. Ich darf hier als langjähriger Swedenborg- und Lorberforscher bemerken, daß ich keinen
echten Widerspruch zwischen den Lehren Swedenborgs und Lorbers entdecken konnte. Im
Gegenteil, ich fand in den Gottschriften der Dioskuren eine beglückende harmonische Übereinstimmung, die sich wunderbar ergänzt. Es ist immer unsere menschliche Einfalt, die Grenzen setzt. Wir schieben allzugerne ab, was angelernte Glaubensmodelle stürzen könnte. Die
Kühnheit, für neue Gottwahrheitsimpulse offen zu sein, ist nur tapferen Herzen eigen. Deshalb, allein die selbstlose heilige Liebe des himmlischen Vaters in uns steht über jede Prophetenoffenbarung. So enthüllt im Erleuchteten sein inneres Wort den äußeren Buchstaben, und
das äußere Wort bestätigt den inneren Sinn.
Doch lauschen wir, was der Herr durch Lorber über Swedenborg sagt: »Swedenborg ist wahr
und gut, solches kannst du glauben. – Aber solches glaube auch: Die Liebe ist über alles erhaben und heilig! Wer demnach diese hat, der hat alles; denn er hat wahrhaft mich selbst. Und
siehe, das ist mehr denn alle Propheten, alle Apostel samt Petrus, Paulus und Johannes und
so auch mehr denn Swedenborg!« (Hg II,53,21). Jede äußere Offenbarung ist nur Hilfsmittel zur
Erweckung der Gottliebe in uns. Deshalb steht diese Liebe »über alles erhaben«. Darum sollen
auch nur Lieberweckte, aus dem Lichte der Neuoffenbarung erleuchtet, im oder am Gottwort
tätig sein. So meine ich, ist das Gottwort der vier Großseher gleich den vier Stadtmauerseiten
des »Neuen Jerusalems«. Allein innerhalb der sicheren Mauern der »Stadt Gottes« findest du
Sicherheit vor den Wölfen der falschen Propheten. Deshalb gab auch Jesus durch Lorber ein
Gebot und bevorzugte darin die Swedenborgjünger: »Vorsicht mit dem himmlischen Lichte. …
Mit dem Abschreiben der Sonne (gemeint sind die Lorberwerke: ›Natürliche Sonne‹ und ›Geistige Sonne‹) durch einen Uneingeweihten tut es sich auf keinen Fall! … Niemand soll dergleichen innere Eröffnungen zur Abschrift nehmen, außer er ist ein Sohn Swedenborgischen
Lichtes.« (Hg II,187,3). So gesehen ist das äußere Gottwort der vier Großseher eine gottgnädige
Weihe, die uns befähigt, im heute neu angebotenen Gottwort (Vaterkundgaben) den reinen
Weizen von der Spreu zu sondern. In folgenden Stellen rühmt der Herr seinen Swedenborg: »…
Swedenborg hat in Rom manches erfahren, was ihm erst die Pforte zum inneren Leben ganz
bedeutend zu öffnen geholfen hat; denn er war einer, der sich aus allem die Quintessenz zu
verschaffen wußte und tatsächlich davon den Nutzen zog.« (Hg I,99,14). Eines Tages erschien
dem Lorber Hüttenbrenners verstorbener Sohn »Hansi« und sagte über Swedenborgs Schriften
folgendes: »Du hast mir ein gedrucktes Himmelreich (Swedenborgs Werke) wie zum Erbe
vermacht.«187 In den Supplementen sagte Jesus sinngemäß zu Lorber: Die Priesterschaft aller
bekannten Sekten legen die Bibel nach ihren Gunsten aus, ausgenommen die in der Lehre
Swedenborgs Stehenden.188
Auch Lorber hat die Schriften Swedenborgs und Böhmes teilweise gelesen.189 Bemerkenswert
ist, daß dem fündigen Leser bereits ein herrlicher Hinweis auf Swedenborg in den Schriften
Jakob Böhmes auffällt: »Wiewohl es ist, daß es (= das innere Verstehen) dem historischen
Menschen von der Schule dieser Welt verborgen ist, aber dem von Gott erleuchteten gar be187
188
189
Briefe Jakob Lorbers, Urkunden und Bilder aus seinem Leben, Bietigheim, 1931, Seite 79.
Siehe »Anhang zum Johanneswerk«, Seite 236, in: Das große Evangelium Johannis, Band XI, kundgegeben durch Leopold Engel, Bietigheim, 1959.
Briefe Jakob Lorbers, Seite 13.
338
Karl Dvorak
greiflich, der dann auch die Qual (= die Quelle) der Geister im Buchstaben verstehet, welches
jetzt zur Zeit allhier noch nicht zu setzen ist, und doch wird zum Verstande gebracht werden.«190 Die Offenbarung des Entsprechungssinnes wurde erst durch Swedenborg dem Menschenverstande ermöglicht. Ein weiterer Hinweis Böhmes auf die neuen Offenbarungen lautet:
»Jedoch wisset, daß euch mitternächtigen Ländern191 eine Lilie192 blühet! So ihr dieselbe mit
dem sektiererischen Zanke der Gelehrten nicht werdet zerstören, so wird sie zum großen
Baum bei euch werden. Werdet ihr aber lieber wollen zanken als den wahren Gott erkennen,
so gehet der Strahl vorüber und trifft nur etliche. So müsset ihr hernach Wasser für den Durst
eurer Seelen bei fremden Völkern holen.193 Werdet ihr das recht in acht nehmen, so werden
euch meine Schriften großen Anlaß und Anweisung dazu geben, und der Signatstern über
eurem Pol wird euch helfen, denn seine Zeit ist geboren.«194 Zum Signatstern vergleiche man
bei Lorber: »Schon steht im Osten ein Stern, welcher dem Orion die Bahn brichen wird« (HGt
I,1,12). Was ist die Bedeutung dieses Sterns? Darauf die Antwort Jesu durch Jakob Lorber: »Der
›Stern‹ ist das Liebelicht in diesem Worte (der Neuoffenbarungen) selbst.« (Hg II,121,2).
Wer obige Stellen demütig liest und darüber im Herzensdenken nachsinnt, wird freudig beglückt über dieses wunderbare Zusammenspiel der Neuoffenbarungskundgaben durch drei
verschiedene Gottesboten. Man kann nur staunen, wortlos himmelan blicken, und im Gemüte
jubeln über diese innigste Verquickung der Neuwortoffenbarung. Lebendigst fühlen da Herz
und Verstand: »Ja, der Herr ist unter uns, und gibt sich kund durch seine Propheten.«
Doch, geneigter Leser, staune weiter! Im Lorberwerk »Geistige Sonne« führt uns der Herr in die
Sphäre Swedenborgs ein. Wir lesen von der großen Weltenuhr (GS I,16), die schon in der Aurora durch Jakob Böhme offenbart wurde. Im gleichen Abschnitt wird auch vom »Neuen Jerusalem« gesprochen, dem Swedenborg ja ein eigenes Werk gleichen Namens gewidmet hat. Wie
schon oben bemerkt, verstanden die beiden Dioskuren mit dem »Neuen Jerusalem« die »Neue
Lehre«, die Neuoffenbarung also.
Geradezu herausfordernd sind die Gleichheiten und Parallelen Böhme, Swedenborg, Lorber, die
nicht übersehen werden können. So schrieb Dr. Adrian G. Vreede195 dazu folgendes: »Der Geist
weht, wo er will. Auch außerhalb der Kirche offenbart sich dieser universelle Geist manchen
Sehern und Inspirierten, wie z. B. in etwas schwer verständlichen Eingebungen bei Jakob
Böhme, in Schauungen unsichtbarer Welten durch Emanuel Swedenborg oder in den ausführlichen Berichten durch Jakob Lorber.«196 Auch der bereits verstorbene Mystiker Carl Welkisch,
Autor des Buches »Im Geistfeuer Gottes«, stellte die Geistverwandtschaft von Böhme, Swedenborg und Lorber fest, die auch der Sektenforscher Kurt Hutten erkannte.
190
191
192
193
194
195
196
Jakob Böhme, De tribus principiis, oder Beschreibung der Drey Principien Göttlichen Wesens, im
Anhang Abschnitt 24.
Gemeint sind die nördlichen Ländern und somit auch Schweden, das Land Swedenborgs, des nordischen Sehers (Anmerkung Th. Noack).
Bei Jakob Böhme bezeichnet die Lilie die innere Christusgeburt, das heißt die Wiedergeburt und das
Licht aus dem göttlichen Geiste (siehe aus der Christosophia das Buch von der wahren Gelassenheit
2,46, und die erste Schutzschrift wieder Balthasar Tilken 297). Somit deutet die Lilie auch auf die neue
Geistlehre Christi. (Anmerkung Th. Noack).
So sucht das christliche Abendland beispielsweise im Buddhismus Wasser für den Durst der Seelen,
weil es die Theosophie oder die innere Weisheit Gottes verschmäht und stattdessen die dürre »iustificatio sola fidei« zum »articulus stantis et cadentis ecclesiae« erklärt hat (Anmerkung Th. Noack).
Jakob Böhme, Theosophische Sendbriefe 55,13-15.
Dr. Adrian G. Vreede war Regional-Bischof der freien katholischen Kirche St. Michael N. H. / Holland.
Aus »Das geistige Reich« Nr. 5/1952.
Swedenborg und Lorber: Die Dioskuren der göttlichen Neuoffenbarung
339
Für manche Lorberleser bleibt das Schaubild und Gleichnis aus der »Geistigen Sonne«, in der
Sphäre Swedenborgs gänzlich unverstanden. Hier die sinngemäße Wiedergabe aus GS I,16. In
der Sphäre Swedenborgs wurde folgendes Gesicht gesehen: Da stand ein viereckiges Gebäude
gleich einem großen Würfel. Auf seinen vier Ecken stehen vier riesige Menschengestalten, zu
ihren Füßen vier verschiedene Tiere. Inmitten der Oberfläche des großen Würfels befindet sich
ein kleiner Würfel auf dem ein entsiegeltes Buch (vermutlich die Bibel) liegt. Die vier Riesengestalten haben große Posaunen. Bei jedem Posaunenstoß kommt ein großer Geist aus der
Posaune. Der eine trägt eine große Geißel, der zweite einen feurigen Besen, der dritte hat allerlei Samenkörner und beim vierten Posaunenstoß entsteigt ein leuchtendes Gewölk. Auf dem
Gewölk erblickt man ein leuchtendes Kreuz. Auf dem Kreuz steht ein Mensch sanft und mild
wie ein Lamm: es ist das Zeichen des Menschensohnes.
Obbeschriebener »Würfel« wurde in ähnlicher Art auch schon bei Jakob Böhme in einer Figur
zu »De signatura rerum« dargestellt. In diesem Werk erscheint er über der Stadt Gottes, dem
»Neuen Jerusalem«. Was bedeutet der viereckige Würfel? Was die vier Riesen? Ich erkenne in
diesem Gleichnis die vier Großseher, die die Bibel inmitten des Würfels auslegen. Dem Eckehart kommt die Geißel zu, der feurige Besen dem Böhme, die »allerlei Samenkörner« ist die
Offenbarung durch Swedenborg und das »leuchtende Gewölk« die herrliche Kundgabe durch
Lorber. Das »Zeichen des Menschensohnes« ist dann die »Wiederkunft Christi«, die im »Neuen
Jerusalem« erfolgte.
Wenn der Leser obige Aussagen unvoreingenommen betrachtet, dann ist er vielleicht geneigt,
meine Vermutungen zu überdenken. Irgendwie fühlen unbefangene Leser: Swedenborgs Gottoffenbarung ist sehr wichtig, und für die innere, entsprechungskundliche Entdeckung geradezu unumgänglich nötig. Darum finden wir auch in allen Lorberwerken, die das Jenseits
beschreiben, Hinweise auf Swedenborgs Schriften. So im »Bischof Martin«: Die Schriften Swedenborgs leisten dem Buchhändler großen Vorschub in seiner geistigen Entwicklung (vgl. BM
52,1). Im »Robert Blum« finden wir die Mahnung: Ja, hättest du Swedenborg studiert, dann
könntest du Paulus besser verstehen. (RB I,32.10). Und weiter im 2. Band des gleichen Werkes: »Dir hat das Lesen der Bücher des Weisen Immanuel Swedenborg sehr genützet«, also
»das, was ich (der Herr) dem Immanuel Swedenborg über mein Wort veroffenbart habe«
(RB II,254,4). Schließlich wird auch in den »Sterbeszenen« ein Swedenborganhänger vom
Herrn Jesus selbst begünstigt, der ihm in einem Scheinweib erscheint und ihn weiterführt.197
Nun aber wenden wir uns dem zweiten Dioskuren zu: Jakob Lorber! Den wenigsten Lorberfreunden dürfte bekannt sein, daß die Offenbarung »Haushaltung Gottes«, durch Lorber kundgegeben, bereits von Swedenborg angekündigt wurde: »Bei den Alten, bei denen die Kirche des
Herrn war, gab es auch ein Wort … welches heutzutage nicht mehr vorhanden ist; das historische Wort wurde das Buch der Kriege Jehovas (Liber Bellorum Jehovae) und das prophetische
Wort Aussprüche (Enuntiata) genannt.« (HG 8273). »In der ältesten Kirche, mit welcher der
Herr von Angesicht zu Angesicht sprach, erschien der Herr wie ein Mensch, wovon vieles
berichtet werden kann, aber es ist noch nicht an der Zeit.« (HG 49). Das im obigen Text angekündigte Wort der Henochzeit, »Kriege Jehovas« benannt, wurde hundert Jahre später in der
Lorberschen »Haushaltung Gottes« geoffenbart. Man vergleiche dazu die Lorberaussage aus
»Erde und Mond«, Kapitel 76.198 War es zu Swedenborgs Zeiten noch nicht möglich, die Er197
198
Jakob Lorber, Jenseits der Schwelle, Bietigheim 1959, dort die dritte Szene auf den Seiten 10 bis 13.
Die Stelle lautet: »Ganz in der Mitte von Asien, im hohen Thibet, lebt noch ein Volk, welches die uralte
patriachalische Verfassung hat. Unter allen alten Religionen der sogenannten Parsen und Gebern ist
die Religion dieses Volkes noch die am meisten ungetrübte. Sie haben noch die eigentliche Sanskrit, in
welcher von der Zenda vesta gehandelt wird; denn die Sanskrit ist die heilige Schrift der Urzeit, und
die in dieser Schrift enthaltenen Geheimnisse Namens Zenda vesta, in eurer Sprache: die heiligen Gesichte, sind historische Ueberlieferungen von den mannigfaltigen göttlichen wunderbaren Führungen
340
Karl Dvorak
scheinungen des Herrn zu offenbaren, so war dies nun durch Lorber in schönster Art in der
»Haushaltung Gottes« geschehen. Der Herr erschien als Mensch im »Asmahael« (HGt I,57ff.),
als »Abedam« (HGt I,146ff.), als »Emanuel« und »Abba« (HGt I,137,11). Wie schade, daß Swedenborgfreunde dies nicht wahrhaben wollen. Wie bedauerlich, daß Lorberfreunde der herrlichen Voraussage Swedenborgs abweisend gegenüberstehen. Wie soll aus solcher Intoleranz
einmal eine Herde Christi werden? Wie selig sind jedoch die, die im Schrifttum der beiden
göttlich berufenen Dioskuren die eine Stimme ihres himmlischen Vaters erkennen konnten.
Notwendig ergänzt eine Offenbarung die andere und es finden die Weisheitsoffenbarungen Jesu
Christi durch Swedenborg ihren Niederschlag, und die Liebesworte des himmlischen Vaters
durch Lorber ihre Erfüllung.
Wenige erkennen den Zusammenhang. Doch es durften schon zu Jesu Zeiten einige die Neuoffenbarungen im voraus enthüllt erfahren. Hören wir die Voraussage Jesu Christi über das
Neuwort, die er zu Cyrenius und anderen Jüngern sprach! Der Herr: »Es wird aber alles das
dennoch nicht verlorengehen, und wenn da tausend und nicht ganz tausend Jahre von nun an
verflossen sein werden und meine Lehre nahe ganz in die schmutzigste Materie begraben sein
wird, so werde ich in jener Zeit schon wieder Männer erwecken, die das, was hier von euch
und von mir verhandelt ward und geschehen ist, ganz wortgetreu aufschreiben und in einem
großen Buche der Welt übergeben werden, der dadurch vielseitig die Augen wieder geöffnet
werden!« (GEJ IV,112,4).
Solchen Geistfreunden aber, die als nachbiblische Gottwortoffenbarung nur Lorber anerkennen, möchte ich die folgende Frage stellen: Wer sind die erweckten Männer, die neben Lorber
die urchristliche Lehre der Welt übergeben? Dem Lorber (wie auch damals dem Cyrenius)
wurden mehrere Namen angegeben (siehe GEJ IV,112,4). Wer dürfen diese sein, wenn man
nur Lorber anerkennt? Es ist hier nur von Männern die Rede, deshalb scheiden hier alle Frauen mit ihren Offenbarungen aus. Ich denke da an Kundgaben durch Frauen wie Anita Wolf,
Bertha Dudde und andere neuzeitliche Vatermedien. Ich will hier keinesfalls das Vaterwort
dieser Frauen in Frage stellen, nur auf Lorber können sich diese Neuprophetinnen nicht berufen. Großpropheten können nach obiger Lorberstelle keinesfalls Frauen sein. Trotzdem werden viele weibliche Offenbarungsschriften von manchen langjährigen Lorberfreunden
bedingungslos angenommen und sogar über die wertvolle Großseheroffenbarung gestellt.
Menschlichem Wollen steht alles frei.
Eines steht aber fest, dem nordischen Seher Emanuel Swedenborg und dem österreichischen
Schreibknecht Jakob Lorber wurde wohl »das meiste geoffenbart«. Dazu eine Belegstelle aus
dem »Großen Evangelium Johannes«. So sprach Jesus: »Dem wohl das meiste geoffenbart wird,
der wird in männlicher Linie abstammen von Josephs ältestem Sohne (= Joel) und wird sonach
auch ein rechter Nachkomme Davids sein. … Es werden aber auch die anderen Großerweckten
zumeist von David abstammen. Denn solche Dinge können nur solchen gegeben werden, die
sogar fleischlich von dort herstammen, von wannen auch ich fleischlich abstamme. … Es
werden in jener Zeit sich diese Davidsnachkömmlinge zumeist in Europa aufhalten, … und sie
des Menschengeschlechtes in der Urzeit. Es ist darum falsch, so hie und da manche die Sanskrit und die
Zenda vesta als gewisserart zwei Bücher annahmen; das Ganze ist nur ein Buch, und dieses ist abgetheilt in das Buch der Kriege Jehova's und in das Buch der Propheten. Da aber eben die Propheten
durch ihre heiligen Gesichte die Thaten Gottes beschrieben, so sind diese scheinbaren zwei Bücher eigentlich nur ein Buch, welches sich bei den obbenannten Bewohnern des hohen Thibet noch ziemlich
unverfälscht vorfindet, und ungefähr dasselbe enthält, was Ich euch im von euch sogenannten Hauptwerke aus der Urzeit mitgetheilt habe; - nur ist dort Alles noch in der Ursprache in lauter geheimnißvolle Bilder eingehüllt, die für die neue Zeit schwer oder gar nicht zu enträthseln sind.«
(Außerordentliche Eröffnungen über die natürliche und methaphysische oder geistige Beschaffenheit
der Erde und ihres Mittelpunctes …, herausgegeben von Johannes Busch, Meißen 1856, Seite 229).
Swedenborg und Lorber: Die Dioskuren der göttlichen Neuoffenbarung
341
werden ganz reine und echte Nachkommen des Mannes nach dem Herzen Gottes sein. …«
(GEJ IV,112,7.8 teilweise). Ich finde, obiger Jesustext weist nicht nur vortrefflich auf Jakob
Lorber hin, sondern auch auf Emanuel Swedenborg. Beide waren Davidsnachkömmlinge, beide
Europäer und in beiden war der gleiche unverkennbare Feuergeist Jesu Christi.
Zu obigen Jesusworten hat der Herr dem Jakob Lorber noch ein besonderes Nota bene beigefügt: »Du, mein Knecht und Schreiber, meinst nun wohl, als hätte ich damals dessen kaum
erwähnt?! (Nämlich, daß auch Lorber namentlich genannt wurde als gottberufener Schreiber.)
… Siehe, ich sage es dir, daß ich dem Cyrenius und dem Kornelius sogar deinen und mehrere
andere Namen angegeben habe und sie nun auch die erfreulichsten Zeugen alles dessen sind,
was ich dir nun in die Feder sage.« (GEJ 4,112,5). Mit diesem Nota bene bestätigt Jesus nicht
nur seinen Schreibknecht Lorber, sondern weist auch auf »mehrere andere Namen« hin, die
Zeugen der Christlehre sein werden. Meine Frage an die Nur-Lorber-Anerkenner: Wer waren
oder sind die anderen männlichen Gottberufenen?
Eine andere Frage aber lautet: Wie will einer ohne die von Gott gegebene Entsprechungskunde
durch Swedenborg die heiligen Gottworttiefen im Lorberwerk oder anderen Gottworten ergründen wollen? Wie viele schreiben, reden und urteilen über die Lorberschriften in erschreckender Unkenntnis der Tiefenaussagen. Hier kann ich im geistigen Kniefall meines Herzens nur
betend stammeln: »Herr Jesus Christus, Du unser geliebter Vater, erbarme Dich unser! Erwecke Deine Liebe und Weisheit durch Dein alleiniges heiliges Wort, durch Deine Dioskuren, und
rette unsre Seelen! Behüte uns vor menschlichen Begründungen, Meinungen und Irrlehren!
Bewahre uns vor uns selbst! Deine Liebe geschehe in uns und Deine Weisheit durchstrahle
uns, damit unsre Seelen eins werden mit dem Gottgeist des eigenen Herzens und damit eins
mit Dir und Deinem göttlichen Leben, welches in allen Menschen erwachen will!«
Wer wenigstens einmal den heiligen Innensinn der Neuoffenbarung empfinden durfte, der
blickt nur noch mit demütiger Ehrfurcht auf die Gottessonne, die da hinter der Wortwolkendecke im ewigen Morgen der Liebe aufgeht. Die solches Erwartenden lauschen beim Lesen des
Gottwortes nach innen, hören den »Donner« der Innewerdung, sehen den »Blitz« der Erleuchtung und empfinden die Liebe des himmlischen Vaters: Sie erst verstehen die Lobworte des
Herrn über Lorber: »Mein Knecht (Lorber) hat einen starken Donner in seiner Brust.« (Hg
I,47,15). »Mein armer Knecht kann aus sich nichts wissen, was er aber weiß, weiß er nur aus
mir durch eine besondere, unverdiente, große Gnade.« (Hg I,192,28). »Siehe, wärest du ein
Schreiblustiger, dann hätte ich dich nie erwählt! Denn die Schreiblustigen schmuggeln gern
und verkaufen unter meiner echten Ware auch ihre eigene auf meine Rechnung! – Eben darum aber erwählte ich dich, weil du kein Schreiblustiger bist, um eben dadurch meine Ware
einmal ganz rein vor die Welt zu bringen! – Wird sie aber auch noch in dieser Reinheit verkannt, dann wehe in jüngster Zeit der Welt!« (Hg II,251,4-5). Die »unverdiente, große Gnade«
wird auch dem Leser zuteil, der bereit ist, die Innenaussagen des Gottwortes zu ergründen. Der
Davidsnachkomme Jakob Lorber war nicht schreiblustig. Durch seine geistige Abstammung
war sein Geist empfänglich für das Einfließen der geistigen Entsprechungssprache, von der
sein Außenmensch nur dürftige Anschauungen hatte. Deshalb bezieht sich die oben zitierte
»Reinheit« auf den »Geistsinn« des buchstäblichen Wortes.
Der äußere Buchstabe des Wortes ist nur rein durch den Geist. So spricht der Herr durch
Swedenborg: »Das Wort erscheint im Buchstaben wie eine gewöhnliche Schrift, in einer
fremdartigen, weder erhabenen noch lichtvollen Schreibart, dergleichen man dem Anschein
nach bei den Schriften der Welt findet.« (LS 1). Deshalb ist auch der äußere Buchstabe nur die
Form, der Behälter zur Aufnahme der göttlichen Wahrheit. So ist das Gottwort in seinem Inneren geistig, himmlisch und göttlich, im Buchstaben aber in lauter Entsprechungen geschrie-
342
Karl Dvorak
ben (vgl. LS 8). Darum sind die Wahrheiten des Buchstabens nicht immer nackte Wahrheiten,
sondern der äußere Schein des Wahren (vgl. LS 40).199
Leser, die geschult durch Swedenborg der Entsprechungswissenschaft kundig geworden sind,
entdecken im gesamten Lorberschriftwerk immer wieder die herrlichen Tiefenaussagen, die
man in den anderen sogenannten Neuoffenbarungswerken nach Lorber vermißt. Laut Swedenborg gehören zum Gottwort nur solche Worte, die einen inneren geistigen Entsprechungssinn
tragen. Die Großkundgaben durch Eckehart, Böhme, Swedenborg sind voll erfüllt vom geistigen
Entsprechungssinne und ganz besonders und vorzüglich die Gottworte durch Jakob Lorber.
Deshalb ist die Lorberoffenbarung von besonderer Tiefe und bleibt Entsprechungsunkundigen
ein versiegeltes Buch. Darum ist die Lorberkundgabe »wahr«, »getreu« und »gewiß« (HGt I,1,1);
und Lorber wurde der »Lot« (HGt I,2,1) genannt, der uns aus dem Sodom menschlicher Begründung führen kann.200
Beim entsprechungskundigen Leser wird der Geist in der Seele des Lesers geweckt. Der Erweckung folgt eine Innewerdung; der Innewerdung die Verklärung und Einswerdung mit dem
himmlischen Vater. Hören wir dazu eine Belegstelle: »So sprach der Herr zu und in mir (Jakob
Lorber) für jedermann, und das ist wahr, getreu und gewiß: Du bist der Lot von Sodom, … denn
du bist wie keiner vor dir und nach dir. … über deinen Geist werden Ströme des Lichtes ausgegossen; … ich habe mir in deines Geistes Herzen eine Wohnung errichtet. … und dein Auge
überstrahlt die Sonnen. Daher reinige dein Fleisch und werde eins mit mir, damit ich eins mit
dir werde!« (HGt I,2,1 teilweise).
Was Lorber hörbar und schaubar mit seinem Gott und Vater erleben durfte, ist auch für uns zu
erwarten. Und gleichermaßen spricht der Herr auch zu uns die folgenden Worte: »Dafür komme ich doppelt zu dir, wie für's Ohr, also auch für's Auge; siehe: hier bin ich! – Und so
schreibe denn nun, in dieser meiner für dich sichtbaren Gegenwart.« (Psalmen und Gedichte,
105). »Und hast du mich aus der Hölle gefragt, so antworte ich dir. … Was du hier schriebst,
schreibst du ja nur nach deiner Zeit und Muße, und mir ist es allezeit ganz recht, und solange
du es willst, und wieviel du willst, und siehe, mir ist es recht so!« (HGt I,3,17.) Diese Worte
sprach Jesus zu Lorber. Im Innensinn aber sprach der Herr sie auch zu uns. Wenn Jesus sagte: »schreibe!«, dann heißt dies nicht, daß auch wir berufen sind zu schreiben. »Schreiben«
heißt eintragen ins Buch des Lebens. Denke daran! Was du liebend erkennst, das wird eingetragen in Dein Seelen- und Geistgehirn und geht ewig nie mehr verloren. Darum sollen wir
»schreiben«, eingraben mit Liebe, das gehörte und gelesene Wort.
Über das äußere Gottwort gegeben durch Lorber, berichtet uns der Herr ganz was anderes. Der
verstorbene Robert Blum sagte jenseits zum Herrn über Lorber: »Ja, da (unten auf Erden) ist so
ein schwaches irdisches Knechtlein von Dir und schreibt, was Du (Jesus) ihm durch irgendeinen Engel in Deinem Namen in die Feder diktierst. –« (RB 2,261,5). Die Worte »durch irgendeinen Engel … diktierst« geben uns zu denken. Da der Herr Jesus die Worte Roberts, nicht
dementiert, so ist obiger Ausspruch als richtig zu erkennen. Im stillen Nachsinnen über das
Gottwort wurde ich einer zweifachen Bedeutung inne, die das Wort »Engel« betreffen: 1.) Einmal könnte man darunter den Geist Gottes (= Geburtsgeist) in der Seele Lorbers verstehen. 2.)
Zum zweiten könnte damit der Urerzengel »Raphael« gemeint werden, der ja in der Adamszeit
als inkarnierter Henoch Hohepriester und Wortführer des gesamten Schriftwortes war. Laut
»Haushaltung Gottes« wurde Henoch vom Herrn selbst zum Überwacher des gesamten Gottwortes bestellt.
199
200
Man siehe dazu meine Schrift Nr. 30 »Buchstabe und Geist der Neuoffenbarung«, abgedruckt in »Wille
und Wahrheit« Nr. 3 aus dem Jahre 1978.
Vgl. dazu meine Schrift Nr. 24 »Jakob Lorber, der Lot des zwanzigsten Jahrhunderts«, abgedruckt in
der Zeitschrift »Wille und Wahrheit« Nr. 1 aus dem Jahre 1977.
Swedenborg und Lorber: Die Dioskuren der göttlichen Neuoffenbarung
343
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einen kleinen Irrtum bezüglich des direkten Vaterwortes hinweisen. Viele, ja die meisten Lorberleser meinen, daß die diktierten Worte Jesu, die
Lorber im Herzen vernahm (oder auch andere), so aus dem Gottesmund ausgesprochen wurden, wie sie da stehen. Das stimmt meines Erachtens nur bedingt. Wer jedoch die Geschichte
der großen Mystiker kennt, der weiß, daß der unmittelbare Gotteinfluß »unverbal« ist. Das
heißt, Gottes Worte, die im Herzen oder sonstwo in der Seele des Hörmediums erklingen, sind
»göttliche Liebe und Weisheit«. »Göttliche Liebe und Weisheit« fließen von Gott dem Vater als
Kräfte oder Wesenheiten aus, die auch »Heiliger Geist« genannt werden. (HGt I,9,26; GLW 146,
EO 852; Aurora 3,31; WCR 139; GEJ IV,1,3f.). Erst in der Sphäre des Menschen wird der göttliche Liebeweisheitseinfluß zum verbalen Wort unserer Zungensprache. Die Menschen bekommen also Gottes Vaterworte immer nur über den Engel (= den Gottgeist der Seele) in ihr
Herz gesprochen.
Auf unsere Propheten übersetzt heißt das: Gott gibt die Fülle seiner Liebe und Weisheit dem
Berufenen ein, und der Geist im Propheten übersetzt diesen heiligen Gotteinfluß in die Landessprache des Wortempfängers. Dies bestätigt uns der Herr durch Lorber mit folgenden Worten: »Sehet, mein Knecht ist klein und einfältig und hat ein sanftes Herz. … Wenn ich ihm nun
ein kleines Licht meiner Gnade gegeben habe, so glaubet es, … da alles dieses in der geradesten Richtung zuallernächst unmittelbar von mir in ihm kommt, und das zwar, weil er es so
hat haben wollen. … (Hg I,61,4). »Ich (Jesus) rede durch deinen Geist mit deiner Zunge. … Also
ist das gegenwärtige Wort, welches ich durch dich nun zur Erde hinabsenke gleich … dem
welches ich zur Zeit Moses gab. …« (Psalmen und Gedichte, 107f. teilweise). In obiger Lorberstelle steht: »ein kleines Licht meiner Gnade«; dies bedeutet, daß die innere Fülle der Gottwortgnade im äußeren Buchstabenwort nur »klein« zum Ausdruck kommen kann. Darum nannte
der Herr durch Swedenborg das Buchstabenwort nur das »göttlich natürlich Wahre«, während
der Innensinn das »göttlich himmlisch Wahre« genannt wurde. Paulus formulierte die Wortunterscheidung wie folgt: »Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.« (2. Kor. 3,6).
Nach obigem Lorbertext sagte Jesus zu Lorber: »Ich rede durch deinen Geist mit deiner Zunge.«
Das heißt mit anderen Worten, Jesus sprach über den Gottgeist Lorbers, und sein Geist (=
Geburtsgeist) übersetzte erst den unverbalen Gott-Liebe-Weisheits-Einfluß in die deutsche
Sprache. Im obigen Text vergleicht der Herr das Lorberwort auch mit dem des Moses. Auch
Moses Gottwort war gleich dem Lorbers verbal. In alten Zeiten war Moses berufen, das verlorengegangene Henochsche Urwort Gottes neu zu verkünden.
In der neuen Zeit sind die Dioskuren erwählt, die vergessenen Urlehren des himmlischen
Vaters neu zu offenbaren. Die Dioskuren kamen. Wer ihren Donner hört und ihre Blitze sieht,
ist vom Schlafe erwacht. Die Finsternis wird das Licht nicht begreifen so wie die Nacht nicht
den Tag. Doch manche erwachte Seele entlarvt, durch die Neujerusalemslehren erleuchtet,
den Antichrist, und sammelt aus erstarktem Geiste die Gotteskraft von Liebe und Licht. Der
»Heilige Geist« flutet aus göttlicher Gnadensonne Weisheit und Liebe, wie Licht und Wärme.
Geschaffenen unfaßbar, teilen sich Liebe und Licht in mannigfache Gegensätze, bis des himmlischen Vaters Dioskurenjünger die Zerstreuten sammeln. Was Verstand und Wille entzweiend im Menschen trennte, das bündelt liebend-einfältige Demut. Ein kindlich Gemüt lauscht,
hört die Herzensgedanken niedersinkend aus göttlicher Weisheit, es erglüht ein Gottkind und
fühlt die Liebe des Vaters. Es singen, loben und preisen die Erwachten, danken dem Vater und
seinen Dioskuren, die mit himmlischem Wasser die Felder erquickten und aus heiligem Feuer verhärtete Steine schmolzen.
Karl Dvorak schrieb diesen Text 1985 oder 1986. Veröffentlicht wurde er ca. 20 Jahre später in:
Offene Tore, 2005, Seiten 64-84.
LORBER — SWEDENBORG, DIE ZWEI ZEUGEN DER ENDZEIT
(JOH. OFFB.11,3.4)
Johann Gottfried Dittrich – 1987
Liebe und Weisheit bilden in Gott eine unzertrennbare Ehe, die Sein Wesen ausmachen und
aus denen alles Geschaffene hervorgeht. Die Liebe
ist dabei der allmächtige Vater, die Weisheit der
eingeborene Sohn oder das Wort, das im Anfange
bei Gott war.
Da aber die Liebe oder der Vater in Gott größer ist
als der Sohn, d. h. inwendiger, weil das Feuer, aus
dem allezeit erst zweitrangig das Licht oder die
Weisheit hervorgeht, ist der HERR in Seiner Liebe
der allmächtige Vater, der größer ist denn alle und
denn alles.
Dennoch aber tut der Vater nichts ohne den Sohn,
denn alles, was geschaffen wurde, entstand durch
den Sohn, durch die göttliche Weisheit, welcher
sich dem Vater voll und ganz übergeben hat, und
der Mensch wurde in dem Gottessohne Jesus
Christus, unserem HERRN!
In der Offenbarung des Joh. ist von zwei Ölbäumen
die Rede, die auch zwei Zeugen und Leuchter
genannt werden.
Diese zwei Zeugen und Ölbäume sind zunächst einmal die göttliche Liebe als das Feuer in
Gott und die göttliche Weisheit als das aus dem Feuer hervorgehende Licht! Im weiteren Sinne
bedeuten sie die beiden großen Offenbarungen durch Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg,
den Verkünder der Neuen Kirche, welche als Leuchter der Endzeit vom Himmel zu uns Menschen herabgekommen sind.
Zur neuen Kirche, welche geistig zu verstehen ist, gehören alle, welche in Jesus Christus
ihren alleinigen Gott, HERRN und Vater sehen, IHN unmittelbar anbeten und angehen und im
Geiste Seines Evangeliums ernsthaft zu Leben gewillt sind. — Das sind also auch wir Lorberfreunde.
Swedenborg und Lorber entsprechen in ihren Offenbarungen den beiden Hauptjüngern Jesu,
nämlich dem Schlüsselträger Petrus, als der Erschließer des inneren Sinnes der Heiligen
Schrift und dem Lieblingsjünger Johannes, gemäß seinem Hauptwerke, dem »Großen Evangelium des Johannes«! Wobei dieser, obwohl er nicht der Sprecher und Verheissungsempfänger
für die Jünger war und als zweitrangig gegenüber Petrus erscheint, eigentlich der Erste, d. h.
der Bedeutendste oder der dem HERRN am nächsten Stehende war. Und zwar deswegen, weil
er die göttliche Liebe repräsentierte, während Petrus als der Fels den Glauben darstellte, welcher der sehenden Weisheit entspricht, die aber der inwendigeren Liebe gegenüber zweitrangig
ist.
Und so ist denn auch analog Emanuel Swedenborg, der große Seher aus der Weisheit des
Himmels, der zuerst Erscheinende, der erste Zeuge Gottes in seiner Verkündung der Neuen
Kirche, des himmlischen Jerusalems, das sich in der Aufschlüsselung des inneren Sinnes der
Lorber – Swedenborg, die zwei Zeugen der Endzeit …
345
Heiligen Schrift wie eine schöngeschmückte Braut zu ihrem Manne, d. h. zu den gläubigen
Menschenkindern unserer Erde herniedersenkte. Offb. 21,2
In einer Gottesvision in London wurde ihm mitgeteilt, daß ihn der HERR erwählt habe, den
Menschen den geistigen Sinn der Hlg. Schrift auszulegen. In der selbigen Nacht wurden ihm
die Geisterwelt, die Hölle und der Himmel geöffnet. Und von diesem Tage an entsagte er aller
weltlichen Gelehrsamkeit. Dies geschah Mitte April des Jahres 1745, also 95 Jahre vor der
Berufung Jakob Lorbers.
Diese erfolgte, wie wir wissen, am 15. März des Jahres 1840, an welchem Tage ihm zwar der
HERR nicht in Person erschien, also von außen her; aber an dem er nach Verrichtung seines
Morgengebetes um 6 Uhr früh (vgl. bei Sw. nachts) in seinem Herzen die Stimme des HERRN
hörend wahrnahm, der ihm befahl:
»Steh auf, nimm deinen Griffel und schreibe! — So spricht der HERR für jedermann, und das ist
wahr und gewiß …«
Während nun der Berufung Swedenborgs in seiner Gottesschau ein Reinigungserlebnis vorausgehen mußte, indem er von seinen fleischlichen Begierden befreit wurde, war ein solches
bei J. L. nicht notwendig! Nämlich deswegen, weil er dem Lieblingsjünger Johannes in seiner
Liebesoffenbarung entsprach.
Und der göttlichen Liebe ist es, wie wir wissen, auch möglich, selbst das Unreinste zu berühren, während dies der Weisheit Gottes dann möglich ist, wenn die Liebe dieses vorher gereinigt
hat. — So wie dies bei Swedenborg, dem Offenbarungsträger aus der Weisheit Gottes, der Fall
war. — Und so mußte auch der Apostel des sehenden Glaubens Petrus zuerst in die tiefste
Demut und Buße geführt werden, bevor er vom HERRN den Befehl erhielt: »Weide Meine Lämmer, weide Meine Schafe!«
Jakob Lorber hingegen entsprach, wie schon gesagt, dem Geheimschreiber aus der Liebe des
HERRN, dem Johannes, von dem Jesus der HERR zu Petrus gesagt hatte, als dieser Ihn frug:
»HERR, was wird aber mit diesem?« — »Wenn Ich will, daß er bleibe, bis Ich komme, was geht
es dich an! Folge du Mir nach!« Joh.21‚22
Und seht, meine Geschwister im HERRN! Dieser Ausspruch des HERRN, den die Jünger damals mißverstanden haben und meinten, Johannes stürbe nicht als Person! Er galt seinem
Evangelium als Liebegeheimschreiber und betrifft entsprechungsweise den Offenbarungen des
HERRN durch Jakob Lorber, dem einfachen Musiker aus Graz, der 24 Jahre an der Liebebrust
des HERRN lag und dessen Hauptwerk das »Große Johannesevangelium« heißt! Und dieses
wird auch bleiben bis der HERR kommt! D. h., es wird zusammen mit den anderen Neuoffenbarungen durch Jakob Lorber die maßgeblichste sein, so wie das Herz als der Sitz des Lebens
und der Liebe, der Sitz sein und bleiben wird bis in alle Ewigkeit — wohin aber Petrus und im
weiteren Sinn der Glaube und auch die Nur-Swedenborg-Bekenner erst finden müssen.
Die Weisheit des erleuchteten Verstandes eines Petrus muß auf den Kopf gestellt werden und
hat nur eine vorbereitende Aufgabe, so wie sie auch der Bußprediger Johannes als Vorläufer
des HERRN und enthauptet werden mußte, … welches Ereignis uns die Lorberoffenbarung
dahingehend deutet, daß unser Kopfverstand enthauptet werden und in die goldene Schüssel
des Herzens gelegt werden müsse. Welcher Vorgang zugleich die Spannenreise vom Kopf in
das Herz bedeutet.
Aus diesem Grunde sagte der HERR zu Petrus, nachdem er ihn zum Hirtenamte berufen hatte:
»Wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausbreiten und ein anderer wird dich gürten und
führen, wohin du nicht willst. Er deutete ihm seinen Gewalttot an. Petrus wurde mit dem Kopf
nach unten gekreuzigt, welches Bild obige Ausführungen bestätigt und besagt, daß unser
Kopfverstand unter die Herzensliebe gehört und dieser dienen, nicht aber sie beherrschen
346
Johann Gottfried Dittrich
solle. Dies, meine Freunde, ist dann das, was Jesus mit Seinen Worten meinte, so Er zu Petrus
sagte: »Folge du Mir nach!«
Der Lieblingsjünger Johannes hatte dies als einziger Apostel schon getan, lag also schon an
Jesu Brust und konnte bleiben wie er war und bedurfte des Märtyrertodes nicht, er wurde davor bewahrt!
Aus der Tatsache nun, daß E. Swedenborg aus der Weisheit Gottes schrieb und J. Lorber aus
der göttlichen Liebe, ergeben sich folgende Unterschiede:
1) Swedenborg war Bergwerksingenieur, Physiker und Philosoph, studierte im fortgeschrittenen Alter noch Anatomie und genoß ein großes Ansehen, wurde sogar geadelt und erhielt sein
Gehalt weiter, wenngleich er sich nach seiner Berufung durch den Herrn in den Ruhestand
versetzen ließ. Er wurde 1689 als Sohn eines angesehenen evangelischen Bischofs in Stockholm, der Hauptstadt Schwedens geboren.
Er ist geistig gesehen nach seinen Werken der große Klassiker der göttlichen Neuoffenbarung
und gewisserart der getreue Schwarzweiß-Fotograph der himmlischen Geheimnisse, mit welchem Namen er auch sein Hauptwerk bezeichnete. Er schrieb seine Offenbarungen in lateinischer Sprache, welche eine sogenannte tote, oder unveränderliche, also konservative,
bewahrende Sprache ist. Sein Leben fiel in die Zeit der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Alle
diese Dinge, bzw. Umstände haben Bezug auf die Weisheit und Verstandeserkenntnis!
2) Lorber hingegen war Musiker, Sohn einfacher Eltern katholischen Glaubens, wurde in einer
kleinen Ortschaft der Steiermark in Österreich geboren und schrieb seine Werke in deutscher
Sprache, welche eine dynamisch lebendige ist. Er fällt mit seinem Leben 1800-1864 in die
Zeit der Romantik und kann in seiner mehr erzählenden als belehrenden Schreibart, als
himmlischer Farbphotograph bezeichnet werden. Und während Swedenborg seine Schriften
von der Weltstadt London aus verbreitete, nehmen die Lorberschriften von dem kleinen Städtchen Bietigheim ihren Ausgang, nunmehr auch schon in die weite Welt. Lorber ist also der
große geistige Lieberomantiker, der sich von dem abstrakt denkenden großen geistigen Klassiker Swedenborg durch die Wärme seiner persönlichen Gestaltungskraft unterscheidet.
Diese persönliche Gestaltungskraft wurzelt in der vom HERRN gewählten »Ich-Form«, in der
sich die Liebe des Vaters offenbart. Und als Kind seiner Zeit, der Zeit der Romantik, welche lt.
Volksbrockhaus im Unterschied zur Aufklärung und Klassik von Gemüt und Phantasie bestimmt wird und strenge Gesetzlichkeit in drängende Bewegung wandelt, bringt auch Jakob
Lorbers gewaltige Offenbarung die strenge Gesetzlichkeit der Swedenborg-Offenbarung in
drängende Bewegung, indem sie die dort verankerte »Ewige Verdammnis« abmildert und zur
Erlösungsfähigkeit wandelt!
Auch Tiefsinnigkeit und Unendlichkeitsdrang sind Charakteristiken der Zeit Jakob Lorbers.
Und so übersteigt denn auch diese durch ihn gegebene Offenbarung in der Darstellung des
großen geistigen und materiellen Schöpfungsmenschen weit die Vorstellungen des Weltbildes,
das uns durch die göttliche Offenbarung des Weisheitssehers Emanuel Swedenborg zuteil
wurde.
Da aber die Liebe des Herzens die allerschärfste Schauwaffe ist, wie wir Lorberfreunde wissen,
so blieb denn auch der Weisheit des Sehers Swedenborg gar manches verborgen, was der
Lorberoffenbarung fortschreitend vorbehalten war.
Und das ist vor allem die Enthüllung der Wesenheit und Gestalt des gefallenen Lichtgeistes
»Luzifer-Satana«, und der damit verbundenen Enträtselung des Wesenskernes aller Materie als
gefallenes Geistiges und ihre Rückführung zu ihrem Ursprung in Gott.
Lorber – Swedenborg, die zwei Zeugen der Endzeit …
347
Zweitens, die Swedenborg verborgen gebliebene unmittelbare Erschaffung der Engels- und
Geisterwelt aus Gott und die damit verbundene Inkarnierung auf den Erden und Sonnen des
Weltalls.
3) Das Geheimnis des göttlichen Liebe-Geistfunkens als das Heiligtum des Vaters oder der
Vater in unserem Herzen, der das Kind Gottes von einem bloßen geschöpflichen Aufnahmegefäß zu einem wahrhaftigen Bruder des HERRN und zu einem Gotteskinde erhebt!
Nun haben wir die eingangs erwähnten zwei Zeugen, Leuchter oder Offenbarungsträger der
Endzeit, in kurzen Umrissen beschrieben und wollen die vergleichende Betrachtung in den
zwei großen Aposteln am Grabe Jesu, der Verwandlungsstätte Seines Leibestempels ausklingen lassen.
In Johannes 20 lesen wir, daß Petrus und Johannes, der andere Jünger, den Jesus lieb hatte, am
ersten Tage der Woche zum Grabe des Auferstandenen liefen, wobei Johannes schneller lief
als Petrus und zuerst am Grabe ankam; aber nicht hineinging, sondern dem Petrus den Vortritt ließ, der dann als Erster das Grab betrat.
Wir wissen bereits, daß Johannes deshalb schneller lief und jünger war, weil er die göttliche
Liebe und die Liebe zu Gott darstellt, welcher Liebe, oder welchem Liebegeist auch die Lorberoffenbarung entspricht mit dem persönlichen Worte des HERRN, wahrgenommen im Herzen.
Petrus, der Fels des sehenden Glaubens — wer kennte nicht sein Messiasbekenntnis — »Du
bist der Sohn des lebendigen Gottes!« — entspricht dem Seher des Nordens aus der Wahrheit
Gottes als der neue Fels und Grundleger der Neuen Kirche der Endzeit in seiner von Gott empfangenen Lehre, welche da ist die himmlische Stadt, das Neue Jerusalem, welches in der Aufschlüsselung des inneren Sinnes des Wortes Gottes sich wie eine schöne geschmückte Braut
zur Erde herniedersenkte. Der sehende Glaube ist also das Erste und der Grundstein (Fels) der
zu errichtenden Kirche, der Kirche in einem jeden Menschen, und auch der Neuen Kirche der
Endzeit, der erste Zeuge und Leuchter!
Aus diesem tiefen Entsprechungsgrunde betrat Petrus als erster das Grab, die Verwandlungsstätte des Auferstandenen, der Ordnung Gottes gemäß. Diese Verwandlungsstätte, in der sich
die Vergöttlichung oder Verklärung des menschlichen Leibes mit Fleisch und Gebein vollzog,
entspricht dem Neuen Gottestempel, von dem Jesus gesprochen hat, daß Er ihn in drei Tagen
aufbauen werde, oder auch der Neuen Kirche, welche ja auch im Grunde eine Verwandlungsstätte des natürlichen zum geistigen Menschen sein soll, in der Wiedergeburt zum wahren,
ewigen Leben.
Da aber kein Tempel mit den Grund- und Seitenmauern einer Wahrheitslehre vollendet ist, so
mußte Johannes, den Jesus lieb hatte, und der die göttliche Liebe darstellt, dem Petrus in das
Grab nachfolgen.
Und so erfolgte in Entsprechung die Vollendung des Tempelbaues, der Neuen Kirche des wiederkommenden HERRN in den Wolken des Himmels, in Seinem lebendigen Liebewort durch
den zweiten Offenbarungsträger Jakob Lorber, 95 Jahre später. Welcher, obwohl er, wie Johannes nachfolgend wirksam wurde, dennoch der hauptwirkende Offenbarungsträger ist und dem
Ölbaume der göttlichen Liebe entspricht.
Ihm war es vorbehalten, den Grundmauern der Wahrheiten Swedenborgs in seinen Lehren der
Neuen Kirche das goldene, weltumspannende Kuppeldach der LIEBE aufzusetzen! Welches
Kuppeldach als das Höchste, zugleich auch das Innerste oder Allerheiligste dieses Tempels,
der Verwandlungsstätte in der Wiedergeburt zum ewigen Leben ist. Diese Wiedergeburt, die
dann ewig fortdauert, haben wir — um mit Swedenborg zu reden — erst am siebenten inneren
Schöpfungstage, welcher da ist der erste Tag der Neuen Woche der Christenheit erreicht, und
zwar nach sechs vorangegangenen Werk- oder Kampfestagen! Wobei wir wie Jesus Selbst vom
348
Johann Gottfried Dittrich
anfänglich Glaubens — Wahren zum Liebe — Guten fortschreiten müssen; d. h. vom anfänglichen Wahrheitsdenken zum vollendenden Liebedenken!
Lorber bezeichnet diesen langen Weg kurz umrissen mit der »Drei-Spannen-Reise« vom Kopf
zum Herzen; also vom Kopfdenken zum Herzdenken.
Wir sehen also, daß der erste »Ölbaum« im Grunde das gleiche aussagt, wie der zweite! —
Denn im Grunde, d. h. in Gott, sind Liebe und Wahrheit, — völlig eins! — Wie wir eingangs gesagt haben, eine Ehe! — Wenngleich die Liebe als der Vater, größer ist als der Sohn!
Quelle: Geistiges Leben: Zeitschrift für Freunde der Neuoffenbarung Jesu durch Jakob Lorber, Lorber-Gesellschaft e. V. (Hg.), Heft 1, 1987, Seiten 31-36.
WAHRNEHMUNGEN VON EVANGELISCHER SEITE
BRIEFE VON KURT HUTTEN AUS DEN JAHREN 1975 UND 1977
352
Kurt Hutten
Briefe von Kurt Hutten aus den Jahren 1975 und 1977
353
OFFENBARUNGEN? ODER WAS SONST?
Kurt Hutten – 1989
1. Im Kreis der zahlreichen Empfänger jenseitiger und himmlischer Kundgaben, die in den
letzten 250 Jahren aufgetreten sind, erscheinen Swedenborg und Lorber gewissermaßen als
zwei Riesen. Sie sind einander ebenbürtig im geistigen Volumen ihrer Werke. Sie versichern,
daß sie diese aus Quellen empfingen, die außerhalb des menschlichen Bereichs liegen; sie
haben durch ihren Charakter und ihren Lebensweg bewiesen, daß diese ihre Gewißheit nicht
bezweifelt werden darf. Die geistigen und biographischen Voraussetzungen, die sie mitbrachten, als sie zu Werkzeugen himmlischer Botschaften wurden, waren sehr verschieden, Swedenborg war ein umfassend gelehrter Mann, ausgerüstet mit reichem Wissen und
hochentwickelter Denkkraft. Lorber war ein bescheidener Musiker mit einfacher Schulbildung. Swedenborg wurde durch ein umstürzendes Bekehrungs- und Berufungserlebnis aus
einer großen wissenschaftlichen Laufbahn herausgerissen und stellte nahezu von einem Tag
zum anderen sein ganzes Denken, Leben und Streben in den Dienst des Herrn. Bei Lorber gab
es keinen dramatischen Bruch; gleichsam wie von selbst geschah es, daß er in sich den Ruf
vernahm, zur Feder zu greifen und zu schreiben, was ihm die innere Stimme diktierte.
Beide lebten in verschiedenen Zeiten und Umwelten: Swedenborg als Angehöriger einer geistigen Elite im lutherischen Schweden, Lorber als schlichter Kleinbürger im katholischen Österreich. Zwischen beiden lag ein Jahrhundert bedeutsamer geschichtlicher und
geistesgeschichtlicher Entwicklungen: In der Zeit Swedenborgs stand die siegreich vordringende Aufklärung noch im Kampf mit den hergebrachten Mächten in Gesellschaft und Kirche;
in der Zeit Lorbers hatte sie sich durchgesetzt und die Epoche der revolutionären Umbrüche
und naturwissenschaftlich-technischen Triumphe eingeleitet. Das bestimmte auch ihre Vorstellungswelt. So konzentrierte sich z. B. in der Zeit Swedenborgs das Interesse der Astronomen hauptsächlich auf die Planeten und ihre Bewegungen. Erst nach seinem Tod entwickelte
sich die Stellarastronomie, als Friedrich Wilhelm Herschel 1775 begann, mit selbstgebauten
Spiegelteleskopen die Sternenwelt systematisch zu durchmustern, um den »Bau des Himmels« zu untersuchen. Während man mit dem bloßen Auge nur etwa 6'000 Sterne in beiden
Hemisphären wahrnehmen kann, schätzte er aufgrund seiner Beobachtungen die Gesamtzahl
der Gestirne schon auf mehr als 20 Millionen. Der Astronom Friedrich Wilhelm Bessel (17841846) konnte mit dem Fraunhoferschen Heliometer 1836 erstmals die Parallaxe eines Fixsterns bestimmen und ermöglichte es damit, die nur noch nach Lichtjahren zu bemessenden
Entfernungen der Sterne zu errechnen. In der Zeit Lorbers hatte sich also das Bild, das man
sich vom Kosmos und seiner Größe machte, tiefgreifend geändert.
2. Alle diese biographischen und zeitgeschichtlichen Verschiedenheiten schlugen sich natürlich auch in den Werken der beiden Offenbarungsempfänger nieder Vergleicht man sie miteinander, dann entdeckt man wichtige Gemeinsamkeiten. Dazu gehören die universale Weite
ihrer Schau, ihre Lehre von Gott und seiner liebenden Herablassung und von Christus als der
Inkarnation Gottes. Beide verwerfen die Trinität. Beide setzen der kirchlichen Lehre von Kreuz,
Buße und Gnade eine andere Auffassung von Christi Erlösungswerk entgegen. Bei beiden ist
das sakramentale Element christlichen Glaubens verkümmert. Aber diesen Gemeinsamkeiten
stehen auch ebenso große Gegensätze gegenüber. Ihr Ursprung liegt in der Lehre von der
Schöpfung. Swedenborg richtet sich nach den Aussagen der Bibel: Die Schöpfung ist Gottes
Werk. Darum gilt hier: »Und Gott sah, daß es gut war.« Nach Lorber war die Entstehung des
Alls eine Folge von Luzifers Fall. Darum trägt hier die materielle Schöpfung ein negatives
Vorzeichen — sie ist mit Schuld behaftet.
Die Vorstellung von Luzifers Fall als Ursache des Bösen beschäftigte Visionäre und Grübler
immer wieder. So »sah« die Augustinerin Anna Katharina Emmerick (1774-1824) in einem
Offenbarungen? Oder was sonst?
355
unbegrenzten Raum eine Lichtkugel gleich einer Sonne; aus ihr entstand eine Lichtwelt aus
leuchtenden Kreisen, Ringen, Chören voll Geistern, die sich alle »wie in Liebe aus der höheren
Sonne« bewegten. Auf einmal standen Teile von ihnen still, versenkt in eigene Schönheit: »Sie
empfanden eigene Lust, sahen alle Schönheit in sich.« Im selben Augenblick stürzten sie
nieder und verfinsterten sich, und in der Tiefe entsprang ein Schattenring, als sei dies ihr
Aufenthalt. »Gleich nach dem Sturze sah ich, daß die Geister der leuchtenden Ringe sich vor
dem Gotteskreise demütigten, untertänig wurden und flehten, das Niedergestürzte möge wieder hergestellt werden.« Alsbald war neben dem Schattenring eine dunkle Kugel, sie wuchs
und bekam Konturen und wurde licht und füllte sich mit Leben: die Erde, das Paradies, Adam
und Eva201.
Auch Jakob Böhme (1575-1624) war der Fall Luzifers vertraut, und er schilderte in ergreifenden Sätzen das Leid, das durch diesen Fall über die Schöpfung kam: »Wenn alle Bäume
Schreiber wären und alle Äste Schreibfedern und alle Berge Bücher und alle Wasser Tinten, so
könnten sie den Jammer und Elend nicht genugsam beschreiben, den Luzifer mit seinen Engeln in seinen Locum gebracht hat. Denn er hat aus dem Hause des Lichts ein Haus der Finsternis gemacht und aus dem Hause der Freuden ein Trauerhaus.«202 Durch ihn mag Lorber
mit dem kosmischen Verhängnis von Luzifers Fall bekannt geworden sein. Aber seine Neuoffenbarungen gehen noch weit darüber hinaus: War nach Böhme die Schöpfung ursprünglich
gut und erst durch den Fall verdorben worden, so war sie bei Lorber von Anfang an eine Folge
des Falls und wurde erst nachher durch Gottes Güte in eine Anstalt zur Besserung und Rückkehr verwandelt.
Swedenborg verwarf den ganzen Mythus von den urgeschaffenen Engeln und vom Engel des
Lichts, der wegen seiner Empörung gegen Gott »mit seiner Rotte hinabgestoßen worden sei,
und daher stamme die Hölle«; daß dies in der Christenheit geglaubt werde, »darüber wundern
sich die Engel gar sehr«, und »sie wollen, daß ich aus ihrem Munde versichere, daß im ganzen
Himmel nicht ein Engel ist, der von Anbeginn erschaffen und hinabgestoßen worden wäre,
sondern daß alle, sowohl im Himmel als in der Hölle, aus dem menschlichen Geschlechte
sind«. Folgerichtig kennt Swedenborg auch keinen persönlichen Teufel als Widerpart Gottes.
Bei ihm ist er lediglich ein Sammelbegriff: »Teufel« für den hinteren Teil der Hölle, der böse
Engel beherbergt, und »Satan« für den vorderen Teil, in dem böse Geister hausen.203
Der Urfall Luzifers mit seinen Folgen bestimmt als das übergreifende Generalthema das Neuoffenbarungswerk Lorbers von der Kosmogonie bis zur Eschatologie. Bei Swedenborg dagegen
sind Schöpfung, Erlösung und Vollendung viel stärker in den biblischen Rahmen eingebunden.
Lorber zeichnet einen unvorstellbar langen Weg, den die in die Materie gefesselten Geistfunken zurücklegen müssen, bis sie die Stufe des Menschen erreicht haben. Dieses ganze Kapitel entfällt bei Swedenborg. Und wenn für diesen »der Endzweck der Schöpfung des Weltalls
ist, daß ein Engelshimmel existiere«, der sich aus dem menschlichen Geschlecht bildet204, so
ist nach Lorber das Ziel der aus dem Aufruhr Luzifers entstandenen Schöpfung dann erreicht,
wenn die gefallenen Urfunken aus ihrer Gottferne zurückgekehrt sind, so daß der ganze Kosmos aus seiner materiellen Erstarrung gelöst und wieder vergeistigt wird.
3. Die Schau der beiden Offenbarer läßt sich nicht harmonisieren. Das ist für die Anhänger
ärgerlich, denn jedem der beiden wird höchste Autorität zuerkannt, da ihre Botschaften zugestandenermaßen nicht menschlicher, sondern himmlischer Herkunft sind. Wer zu Sweden201
202
203
204
Emmerick-Visionen, hrsg. von P.C.E.Schmöger, Immaculata-Verlag Reußbühl, Bd. I, S. 130 ff.
Jakob Böhme, Morgenröte im Aufgang, S. 26 f.
Swedenborg, Himmel und Hölle, 311
Swedenborg, Göttliche Liebe und Weisheit, 329
356
Kurt Hutten
borg hält, kann Lorbers Neuoffenbarungen nicht uneingeschränkt als Diktate des Herrn anerkennen, und umgekehrt ist es ähnlich. So verlaufen die (nicht gerade häufigen) Diskussionen
zwischen Swedenborgianern und Lorberianern auf einer mittleren Linie: Man sucht nachzuweisen, daß dem Kundgabenwerk der anderen Seite Mängel anhaften, die es zwar nicht disqualifizieren, es aber doch in manchen Punkten korrekturbedürftig machen.
Von Anhängern Lorbers wird darauf verwiesen, daß Swedenborg nur mit Engeln und Geistern
Verkehr hatte, während Lorbers Schriften von Christus selbst Wort für Wort diktiert wurden,
also einen höheren Rang haben. Eine gewisse Abwertung Swedenborgs findet sich schon in
Lorbers »Himmelsgaben« (Bd. II, S. 53), wo Jesus die Frage beantwortet, ob man den Büchern
Swedenborgs vollen Glauben schenken solle: »Swedenborg ward von Mir erweckt und wurde
von Meinen Engeln geführt in alle ihre Weisheit aus Mir, je nach dem Grade ihrer Liebe. Und
was er sagt, ist gut und wahr. Solches kannst du glauben. Aber solches glaube auch: Die Liebe
ist über alles erhaben und heilig! Wer demnach diese hat, der hat alles; denn er hat wahrhaft
Mich Selbst, und siehe, das ist mehr denn alle Propheten, alle Apostel samt Petrus, Paulus
und Johannes, und so auch mehr denn Swedenborg.«
Deutlicher ist die Distanzierung von Franz Schumi ausgesprochen (in: »Die Führung Immanuel Swedenborgs im Jenseits, empfangen durch Franz Schumi, 18.-28. Juli 1901«). Da nannte
Jesus den Grund, weshalb Swedenborg nach seinem Tod zwar von einer »großen Schar guter
Geister«, aber nicht von ihm selbst empfangen worden ist: »Swedenborg war zwar ein hoher
Geist, aber trotzdem nicht so hoch, wie die heutigen Medien es sind (d. h. Lorber und andere
Empfänger der inneren Stimme); außerdem hatte er seine Schwächen, die er nicht mit Ernst
bekämpfte, und so konnte Ich (Jesus) nicht mit ihm direkt verkehren, sondern überließ diese
Arbeit Meinen Engeln.« Daß er trotzdem eine innere Erleuchtung empfing, war »eine Ausnahme der Gnade«. Er kam denn auch nach seinem Tod nur in das »Mittelparadies« und mußte noch mancherlei Menschliches ablegen, bevor er in das »oberste Paradies« eingelassen
wurde. Auf diesem Weg wurde er sogar einmal in die Hölle versetzt, weil er sich gegen einen
Mann, der eine schwere Last trug, lieblos verhalten hatte. In schweren Prüfungen mußte er
Demut und selbstlose Liebe lernen und konnte dann aufwärts steigen. Er leistete erfolgreiche
Bekehrungsarbeit und durfte schließlich, von »Vater-Jesus« zusammen mit Luther mit der
»Krone der Märtyrer« ausgezeichnet, unter Hochrufen ins himmlische Jerusalem einziehen,
wo er »in die Schar der Großen Fürsten aufgenommen« wurde.
Vertreter der »Neuen Kirche« wiederum verweisen auf die gefährlichen Konsequenzen der für
die Neuoffenbarungen Lorbers in Anspruch genommenen Verbalinspiration: Sie müssen bis in
alle Einzelheiten stimmen; sollten sich irgendwelche Widersprüche oder sachlich falsche
Behauptungen in ihnen finden, dann kann der, der Lorber die Diktate gab, nicht irrtumsfrei
gewesen sein.
Tatsächlich lassen sich mancherlei fehlerhafte Äußerungen nachweisen. So wird nach dem »Großen Evangelium« Christus auf der erneuerten Erde eine Pflanzschule für wahre Menschen errichten; in »Bischof Martin« dagegen ist zu lesen, daß nicht die Erde, sondern die Sonne diese
Pflanzstätte sein wird. Pfarrer Dr. Friedemann Horn hat in einer verdienstvollen Untersuchung in
»Offene Tore« 1975, Nr. 5ff., eine Reihe irriger Aussagen im »Großen Evangelium« genannt. So
ruft eine jüdische Frau aus: »O Jehova, wie gut bist du!« und meint damit Jesus. Aber kein Jude hätte gewagt, den Gottesnamen auszusprechen, und nie haben die Jünger den Messias mit Jehova
gleichgesetzt. Oder: Das jüdische Osterfest habe »nahezu ein ganzes Vierteljahr später« stattgefunden als das heutige. Tatsächlich fiel es aber in den Frühlingsmonat Nisan, der zwischen Mitte
März und Mitte April lag. Oder da soll Jesus gesagt haben: »Ob ihr einer Sau Maiskörner oder die
edelsten Perlen vorwerfet, so wird sie den Perlen dennoch gerade das tun, was sie tut den Maiskörnern.« Der Mais war damals in Palästina jedoch völlig unbekannt: Sein Ursprungsgebiet liegt
in den Anden; er wurde von den Inkas, Mayas und Azteken angebaut und kam erst Anfang des 16.
Jahrhunderts nach Europa, später nach Asien und Australien.
Offenbarungen? Oder was sonst?
357
Wird damit nicht die Glaubwürdigkeit der Neuoffenbarungen insgesamt erschüttert? Swedenborg nahm die Mitteilungen der Geister und Engel nicht unkritisch hin. Er betonte, daß der
Buchstabe der Schrift ernst genommen werden müsse, denn er diene »zur Wache« darüber,
daß der Text richtig verstanden wird. Freilich, in den Buchstabensinn ist der geistige Sinn
eingebettet, und der kann nur von einem »erleuchteten« Menschen erfaßt werden. Swedenborg
bekam ihn durch den Herrn »enthüllt«. Darum hat das, was er auf diese Weise aus der Schrift
entnahm, höchste Autorität: »Die Lehre der Neuen Kirche ist aus dem Himmel, weil sie aus
dem geistigen Sinne des Wortes ist; und der geistige Sinn des Wortes ist ein und dasselbe mit
der Lehre, die im Himmel ist.«205 Sie beansprucht also den gleichen Rang, den die Lorberkreise
den Neuoffenbarungen zuerkennen.
4. Aber zu der Art, wie Swedenborg aus dem buchstäblichen den geistigen Sinn des Worts
erhob, muß einiges Kritische bemerkt werden. Ein paar Beispiele: Offb. 12,1-6 berichtet vom
Weib mit der Sonne bekleidet, das schwanger war, und von einem Drachen mit sieben Häuptern und zehn Hörnern und sieben Kronen, der mit seinem Schwanz den dritten Teil der Sterne des Himmels hinwegfegte und auf die Erde warf; er trat vor das Weib, um ihr Kind zu
fressen, und sie gebar einen Sohn und floh in die Wüste. Nach dem »geistigen Sinn« bezeichnet der Drache die Protestanten, welche die falsche Christologie und die Trinität vertreten und
lehren, daß Glaube und Werke zu trennen sind. Wie der Drache das Kind, so versuchen sie,
»die Lehre der Neuen Kirche gleich bei ihrem Entstehen zu vernichten«. Und die Geburt des
Knaben bedeutet »die Lehre des Neuen Jerusalems, zu London 1758 herausgegeben«206. Frage:
Ist diese Verteufelung angeblicher Irrlehren und die Gleichsetzung einer Publikation von 1758
mit der apokalyptischen Geburt des Knaben durch das Sonnenweib wirklich als »geistiger
Sinn« vom Herrn eingegeben? Oder entstammt das nicht dem Sendungsbewußtsein und der
zeitgeschichtlich gebundenen Perspektive Swedenborgs?
Oder: Er schreibt, daß der geistige Sinn »weniger deutlich« in den historischen als in den prophetischen Teilen der Schrift erscheine. »Das Historische wurde deshalb gegeben, damit die
Kinder und Knaben durch dasselbe in das Lesen des Wortes eingeleitet würden, denn es enthält ergötzliche Geschichten, die in ihrer Seele haften.«207 Frage: Ist eine solche Abwertung des
Historischen erlaubt? Die Bibel ist vom ersten bis zum letzten Kapitel »Heilsgeschichte«, und
nähme man das Historische weg, dann gliche sie einem menschlichen Körper ohne Skelett.
Oder: Um zu beweisen, daß Christus nicht buchstäblich »in den Wolken des Himmels mit
großer Kraft und Herrlichkeit« wiederkommen wird (Matth. 24,30), gibt Swedenborg zu verstehen, daß die »Wolken« das Wort im buchstäblichen Sinn bedeuten und daß mit der »Herrlichkeit« das Wort im geistigen Sinn, mit der »Kraft« die Macht des Herrn durch das Wort gemeint
ist. Zwischen dem buchstäblichen und dem »geistigen« Sinn besteht hier jedoch keinerlei
innerer Bezug. Um ihn bei den »Wolken« zu gewinnen, verweist Swedenborg auf
5.Mose. 33,26, Ps. 68,35 und Jes. 19,1. Hier wird von irgendeiner Verbindung zwischen Gott
und den Wolken geredet, und es gibt noch zahlreiche weitere Bibelstellen ähnlicher Art. Aber
daß da mit den Wolken das buchstäbliche Wort gemeint sei, läßt sich ihnen nicht entnehmen.208 Und selbst wenn diese Deutung zuträfe, so wäre es schwer oder unmöglich, sie auf
alle die »Wolken« anzuwenden, die in der Bibel vorkommen (z. B. Jes. 44,22; Hes. 32,7; Joel. 2,2; Zeph.11, Hiob. 3,5). Swedenborg unterlegt auch vielen anderen Worten eine je eigene
»geistige« Bedeutung, etwa den verschiedenen Frucht- und Nutzholzbäumen, Himmelsrichtun205
206
207
208
Vom Neuen Jerusalem und seiner Himmlischen Kirche, S. 7
Enthüllte Offenbarung, 541; 543
Himmlische Geheimnisse, 6333
Wahre christliche Religion, 776
358
Kurt Hutten
gen, Zahlen, Ländernamen, Tempelteilen, Edelsteinen.209 Auch hier zeigt sich, wieviel Gekünsteltes dies im Gefolge hat.
Und schließlich: Nach Sach. 8,22f. wird in der messianischen Zeit viel Volks nach Jerusalem
kommen, um den Herrn zu suchen, und zehn heidnische Männer »werden einen jüdischen
Mann beim Rockzipfel ergreifen und sagen: Wir wollen mit euch gehen; denn wir hören, daß
Gott mit euch ist«. Swedenborg konnte das nicht akzeptieren, da er von den Juden und der
»Israelitischen Kirche« eine geringe Meinung hatte. So bedeutete nach seiner Auslegung der
geistige Sinn dieses Textes, daß »durch den Juden nicht die Angehörigen jenes Volkes verstanden werden, sondern daß durch Jerusalem verstanden wird eine vom Herrn herzustellende
neue Kirche, und durch einen Juden jeder, der im Guten der Liebe zum Herrn ist«.210 Die Beispiele ließen sich vermehren. Sie bestätigen nicht gerade Swedenborgs Wertung des buchstäblichen Worts als »Unterlage für den Himmel«211. Der unvoreingenommene Leser jedenfalls hat
den Eindruck, daß Swedenborg bei der Interpretation der Texte sehr stark, wenn auch unbewußt, durch seine Überzeugungen und Wertungen bestimmt war.
Zweifel melden sich, in anderer Form, auch bei Jakob Lorber, wenn man sein Großes Evangelium mit den biblischen Evangelien vergleicht. Schon das ganze Bild Jesu ist hier und dort
verschieden. In den Evangelien ist es eine verhüllte Hoheit und Würde, und erst spät, als die
Zeit der Passion herannahte, ließ Jesus die Jünger wissen, daß er der verheißene Messias ist
(Matth. 16,13 ff.). Im »Großen Evangelium« dagegen sind die Jünger schon am Anfang von
seiner göttlichen Würde unterrichtet und im Lauf seines Wirkens überzeugen sich davon auch
viele andere, denen er begegnet. Ja, sogar schon in seiner frühen Kindheit soll Jesus gewußt
haben, daß Gott sich in ihm inkarniert hat, und er soll auch seine Spielgefährten darin eingeweiht haben. Bei jeder Gelegenheit trägt er seine göttliche Macht zur Schau. In den Evangelien
spricht er schlicht, knapp und anschaulich. Im »Großen Evangelium« doziert er breit und
wortreich, als säße er auf einem Katheder. Er verwendet naturwissenschaftliche und philosophische Fremdwörter und spricht Sätze wie: »Die Seele als ein Gemengtes und sich ergreifend
Zusammengesetztes ist durch und durch ätherisch-substantieller Beschaffenheit.« Die Berichte von seinen Wundertaten zeigen eine ausgesprochene Steigerung ins Mirakelhafte.
So wird etwa im »Großen Evangelium« erzählt, daß »der nun weltberühmte Heiland Jesus« auf
Bitten eines 90-jährigen Juden dessen ganze kranke Sippe, insgesamt 57 Personen, durch Fernheilung gesund machte; daß er einen bis auf die stärkeren Knochen gänzlich verwesten Knaben auferweckte; daß er eine ganze Schar von Menschen auf der Wasseroberfläche umhergeben ließ. Des
Jairus Töchterlein Sarah erweckte er ein zweites Mal vom Tod, als die Leiche schon sehr stark
stank; nach der ersten Auferweckung soll sie wegen übergroßer Liebe zu ihm wieder gestorben
sein. Oder es wird erzählt, daß er einen Stein in die freie Luft stellte, ohne daß er zu Boden fiel, und
ein morsches Stück Feigenholz belebte, so daß es alsbald Blätter, Blüten und Früchte trug. Grund:
»Ich will dir zeigen, wie mir diese Dinge möglich sind durch die Kraft des Vaters in Mir!«
Der Jesus der Evangelien hat solche Schauwunder zur Demonstration seiner Göttlichkeit
schroff abgewiesen (Matth. 4,5-7). Er verhielt sich auch anders zu den Sündern als der Jesus
der Neuoffenbarungen. Er suchte sie auf; es jammerte ihn, und er liebte sie und erbarmte sich
über Zöllner und Dirnen. Der Jesus der Neuoffenbarungen aber schalt über die »Hurenhelden«
aus der Gegend der Gadarener, beschrieb ihre sexuellen Exzesse und kam zu dem Urteil: »Ihr
209
210
211
In seinem Buch »Die Sprache der Gleichnisse, ein Schlüssel zur Bibel« hat William L. Worcester eine
umfangreiche Liste solcher Worte zusammengestellt und ihre Auslegung bei Swedenborg erläutert
und begründet.
Apokalypsis Explicata, 433
»Der buchstäbliche Sinn des Wortes ist deshalb sehr heilig; ja er ist sogar mächtiger als sein geistiger
Sinn, was mir durch viele Erfahrung in der geistigen Welt bekannt geworden ist.« (a.a.O. 816.
Offenbarungen? Oder was sonst?
359
Tun und Lassen stellt sie tief unter die Schweine, und es wird mit ihnen schwer etwas auszurichten sein.«212
Schmerzhaft ist der Gegensatz zwischen der Leidensverkündigung Jesu in den Evangelien und
seinen Voraussagen über sein Sterben und Auferstehen bei Lorber. Dort knapp andeutende
Worte über die bevorstehende Passion und als Antwort die Betroffenheit der Jünger, die sich in
Widerspruch und Betrübnis äußert. Hier aber verbindet Jesus die Leidensverkündigung gleich
mit der Drohung an seine Gegner: »Aber da wird ihre Rechnung zum Ende gelangen!« Denn
»der für sie höchst fatale Umstand wird darin bestehen, daß der Getötete nach kaum drei Tagen als ein mächtigster Überwinder des Todes und aller Seiner Feinde zum ewigen Trost seiner Freunde und Brüder unversehrt, vollkräftig und durch und durch vom Leben durchglüht
aus dem Grabe hervorgehen wird!« Kein Wunder, wenn einer der Jünger darauf antwortet:
»Wenn also, dann ist es wahrlich nicht zu schwer, sich gewissermaßen pro forma töten zu
lassen! Unter solchen Umständen kannst du dann schon nach Jerusalem wandeln, wenn du
willst; denn dir kann nichts geschehen!« Nach diesem Gespräch aber mahnt Jesus, daß es Zeit
zum Mittagessen sei: »darum wollen wir uns wieder hinab begeben und wollen eine Leibesstärkung zu uns nehmen«213. Kann man angesichts solcher Diskrepanzen dem Urteil zustimmen, daß das Große Evangelium »in wunderbarer Weise die kargen Mitteilungen der vier
Evangelien der Bibel« ergänzt?214
Auch sonst findet sich allerlei Fragwürdiges in den Neuoffenbarungen Lorbers. Dazu gehören
z. B. Fabeleien über die Entstehung des neutestamentlichen Kanons: Weil die Aufzeichnungen
der Apostel ein »guter Handelsartikel« waren, nützten »falsche Evangelisten« die Konjunktur
aus und schrieben »Evangelien zu Tausenden«. Um sich der Irrlehre des Arius zu erwehren,
prüften die Bischöfe die umlaufenden Schriften, und der Bischof von Rom »ließ daraus eine
Vulgata zusammenschreiben«, welcher der rivalisierende Patriarch von Konstantinopel eine
»griechische Bibel« entgegensetzte. Und um die Gegenseite zu verunsichern, ließ der Bischof
von Rom seine Vulgata ins Griechische, der Patriarch seine griechische Bibel ins Lateinische
übersetzen und im anderen Lager verbreiten. Den wahren Glauben gegen die Irrlehre des Arius zu sichern, kamen die Bischöfe zum Konzil in Nicäa 325 zusammen. Aber das war »eine
entsetzliche Kirchenversammlung«. Denn »der Heilige Geist kam nicht, und so stritt die Versammlung statt um die Wahrheit des Evangeliums nur um den bischöflichen Primat (Papstposten), dem zufolge dann auch der Patriarch von Konstantinopel und der Bischof von Rom
einander in die Haare gerieten, welche Haarreißerei dann auch das bisher fortdauernde
Schisma der Kirchenspaltung zur Folge hatte«215. Mit dem geschichtlichen Tatbestand hat das
alles freilich nichts zu tun. Rom und Konstantinopel fochten nicht mit eigengefertigten Bibelübersetzungen gegeneinander; denn das Alte Testament gab es schon vor Christus in einer
Übersetzung aus dem Hebräischen ins Griechische, nämlich die »Septuaginta«; und das Neue
Testament wurde in griechischer Sprache geschrieben. Hieronymus übersetzte dann die beiden Testamente aus dem hebräischen bzw. griechischen Urtext ins Lateinische; diese Version
ist unter dem Namen »Vulgata« bekannt; sie war im Jahr 405 fertig, also erst lange Zeit nach
Nicäa. Dort gab es auch keinen Streit zwischen Rom und Konstantinopel um den Primat, weil
diese Frage damals noch gar nicht zur Verhandlung stand. Welcher Quelle diese Geschichte
Lorbers vom Streit um die Bibel entstammt, ist unbekannt; aus dem Himmel jedenfalls wurde
sie ihm nicht eingegeben.
212
213
214
215
Großes Evangelium Bd. II, Kap. 154,3
a.a.O. Bd. II, Kap. 182
Das Wort 1974, Nr. 3
Kundgabe vom 23. März 1843 als Antwort auf die Frage, ob die Vulgata oder die Lutherbibel die richtige sei; zitiert aus: Die geistige Sonne 1977, 20.
360
Kurt Hutten
Auch die Weltbeschreibungen der Neuoffenbarungen, so erstaunliche Treffer sie enthalten,
können keine Unfehlbarkeit beanspruchen. Wieder einige Beispiele: In Lorbers Kosmologie
spielen die »Zentralsonnen«‚ um die riesige Sternenheere kreisen, eine große Rolle. Es mag
sein, daß er zu dieser Vorstellung durch Friedrich Wilhelm Herschel angeregt wurde: Dieser
suchte nach einer Zentralsonne des Milchstraßensystems, die von den Sternen in ähnlicher
Weise umkreist wird wie unsere Sonne von den Planeten. Seine Vermutung aber wurde nicht
bestätigt. Oft ergehen sich die Neuoffenbarungen in maßlosen Übertreibungen, wenn sie die
kosmischen Dimensionen beschreiben. Darauf machte auch Dr. Friedemann Horn aufmerksam. So habe Jesus zu dem griechischen Stoiker Philopold gesagt, daß dieser bis jetzt schon
auf 20 Weltkörpern gelebt habe, und sein gesamtes »fleischliches Alter« betrage an Erdenjahren »eine solch große Zahl, die die Zahl des feinsten Sandes in allen Meeren der Erde bei weitem übertrifft«. Horn rechnete: Aufs Liter gehen schon mindestens 1 Milliarde Sandkörnchen;
ein einziger Kubikmeter würde 1 Trillion Körner umfassen. Aber was ist schon ein Kubikmeter gemessen am Sand »aller Meere der Erde«? Und hätte Philopold auf jedem der 20 Erdkörper tausendmal gelebt und jedes Leben 10'000 Jahre lang gedauert, dann entspräche die damit
erreichte Gesamtlebenszeit von 200 Millionen Jahren erst dem Inhalt von 0,2 Liter Sand.
»Kann man dem Herrn die Neigung zu derartigen Übertreibungen zutrauen? Die Evangelien
jedenfalls haben nichts dergleichen überliefert.« Der Jesus des »Großen Evangeliums« aber
wußte vom Alter der Zentralsonnen zu sagen: Wenn man es in Erdenjahren ausdrücken wollte, dann wäre deren Zahl so groß, daß die Erde nicht genug Raum böte, um sie niederzuschreiben; und setzte man 1 Million Erdenjahre einem einzigen Sandkörnchen gleich, so würde der
Sand der ganzen Erde nicht ausreichen, um die Lebenszeit der Sonnen zu erschöpfen. Dr.
Horn meinte dazu, schon auf einer einzigen Druckseite könnte man eine Eins mit 2182 Nullen bequem unterbringen, und diese Zahl überstiege bereits alles, was in der Natur vorkommt.
Darum: Die Behauptung des Lorberschen Herrn »enthält die gigantischste Übertreibung, die je
ausgesprochen werden konnte«.216 Die Leitung der Lorber-Gesellschaft wäre gut beraten, wenn
sie solche Übertreibungen mit dem einschränkenden Kommentar versähe: es handle sich
dabei nur um symbolische Zahlen.
Ein solcher Hinweis wäre auch deshalb wichtig, weil im Großen Evangelium (II, 23 f) behauptet
wird, daß die Ursonnen »ungefähr das Alter, wie die Periode vom Falle der Urgeister bis auf diese
Zeiten herab haben. So lange also wären schon die gefallenen Geister in der Materie erstarrt und
müßten warten, bis sie endlich die menschliche Stufe erreichten! Das ist schwer denkbar. Denn
selbst wenn ihr Fall in der Gefolgschaft Luzifers nicht bloß Mitläufertum, sondern schwerster
Frevel gewesen wäre, dann stünde die ihnen auferlegte Wartezeit bis zur Möglichkeit der Umkehr
in keinem Verhältnis zu ihrer Schuld. Ein Gott aber, der sie Ewigkeiten lang draußen läßt, wäre
ein Gott der Härte, nicht der Liebe. Das Schlimmste aber ist, daß den gefallenen Geistern jede Erinnerung an ihren Fall und damit auch jedes Schuldbewußtsein fehlt — nicht einmal auf der Entwicklungsstufe des Menschen ist es vorhanden.
Die Lorbersche Version von Luzifers Fall ist gewiß eine fruchtbare Konzeption zur Deutung
der Kosmogonie. Sie versucht, die Fragen nach dem Ursprung des Bösen, nach dem Woher,
Warum und Wozu des Universums, der Erde und des Menschen in einer Weise zu beantworten, die der Vernunft einleuchten kann. Aber sie bietet auch Anlaß zu sehr kritischen Einwänden.
5. Was soll man nun von den Werken Swedenborgs und Lorbers halten? Prinzipielle Skeptiker
bestreiten natürlich ihre Herkunft aus einer himmlischen Welt und sind überzeugt, daß sie
216
Offene Tore, Mai 1976. — Nebenbei sei erwähnt, daß die Mondlandung 1969 den Anhängern Swedenborgs und Lorbers gleichermaßen Schwierigkeiten bereitete. Denn die von Swedenborg geschauten
Zwerge auf dem Mond wurden nicht gefunden. Und in Lorbers Neuoffenbarungen (»Natürliche Sonne« 9,9) war kategorisch Festgestellt worden: Kein Mensch könnte die Erde verlassen, auch »wenn es
sich noch so sehr gelüsten möchte, eine Reise in den Mond zu machen«.
Offenbarungen? Oder was sonst?
361
»bloß« aus dem Unbewußten stammen. Den Beweis dafür sind sie bis jetzt schuldig geblieben.
Die Theologen wiederum neigen zu einer summarischen Verwerfung der beiden wegen ihrer
Gegensätze zu zentralen Punkten der kirchlichen Glaubenslehre. Diese Gegensätze sind offenkundig. Doch sollte man sich um eine differenziertere Beurteilung bemühen. Der folgende
Versuch einer solchen Beurteilung gibt die persönliche Auffassung des Verfassers wieder und
will den Leser zur eigenen Überlegung anregen.
Zunächst sollte man die beiden Männer in ihren Motiven zu verstehen suchen. Beide hatten
ihren Standort in der Aufklärung. Diese mächtige Bewegung erfaßte alle Gebiete menschlichen Denkens, Glaubens, Strebens und ersetzte überkommene Werte und Ziele durch neue
Ideale, Hoffnungsträume und Maßstäbe, brachte aber auch ganz neue Probleme mit sich. Ein
Beispiel: Die Menschen früherer Jahrhunderte hatten sich noch aufgehoben und geborgen
gefühlt in einem wohlbekannten, übersehbaren Welthaus: oben der Himmel, in der Mitte die
Erde, unten die Hölle. Als die Erkenntnis von Nikolaus Kopernikus (1473-1543), daß die Erde
nicht der Mittelpunkt der Welt sei, die lange Zeit nur Gesprächsthema im Kreis der Astronomen war, durch die Erfindung des Fernrohrs (1608) allmählich zum Bestandteil des allgemeinen Wissens wurde, sah sich der Mensch »unbehaust« in eine Welt versetzt, die sich in die
Unendlichkeit dehnte. Wer diesen Übergang bewußt erlebte, mußte sich als ein Wesen fühlen,
das den Boden unter den Füßen und die Heimat für die Seele verloren hatte und sich in einen
grenzenlosen Raum hinausgeschleudert sah. Die Erde war ihm nicht mehr der Mittelpunkt
der Welt und des göttlichen Waltens, sondern nur noch Teilchen eines großen Sternenheers;
den Thronsitz Gottes konnte er nicht mehr droben im Himmel suchen — die Schlünde des
Kosmos gähnten ihn an.
Jakob Böhme beschrieb die »harte Melancholei und Traurigkeit« und »der Seele Entsetzen vor
dem dunklen Abgrunde«: »Als ich anschaute die große Tiefe dieser Welt, war ich dererwegen
ganz melancholisch und hoch betrübet, und konnte mich keine Schrift getrösten, welche mir
doch fast wohl bekannt war.« Von dieser Melancholie war auch Friedrich Christoph Oetinger
angefochten und er suchte sich ihrer zu erwehren: »Ich erschrecke über meine Kleinheit in
der unermeßlichen Natur und gegen die noch unermeßlichere Gottheit. Dieser Sonnenwirbel
ist ein Sandkorn, diese Erde ist ein Staub, ein Punkt, und ich auf dieser Erde — was bin ich?
Nur das macht mich noch zu etwas, daß ich die Ordnung empfinden und in derselben bis zu
dem Anfang aller Ordnungen hinaufsteigen kann. Zu einer solchen Hoheit bin ich bestimmt,
und dieser will ich immer näher zu kommen suchen.« Das ist ein mühsamer Trost. Der Vater
ist in die Ferne gerückt und zum »Anfang aller Ordnungen« verblaßt. Und bald drohte er der
menschlichen Sicht ganz zu entschwinden. In seinem Werk »L'homme machine« (1748) erklärte der französische Philosoph Julien Offray de Lamettrie (1709-1751), daß das mechanistische Prinzip nicht nur für die unbelebte Materie, sondern auch für die Welt des Lebendigen
gültig sei. Mit dem Siegeszug dieser Auffassung wurde die Welt in ihrer ganzen Tiefe und
Breite in ein Produkt des nüchternen Kausalgesetzes umgewandelt und von einem göttlichen
Lenker abgenabelt. Der Thron Gottes schien leer zu sein. Viele jubelten, daß nun der Mensch
endlich seine Freiheit gewonnen habe und Herr über sein Leben geworden sei. Andere sahen
sich mit dem Verlust Gottes um ihre Heimat gebracht und um ihres Daseins Sinn und Ziel.
Denn gemessen an den kosmischen Dimensionen, ist der Mensch winziger als ein Atom. Mit
keinem Elektronenmikroskop könnte er entdeckt werden. Sein Leben, mag es auch 70 oder
80 Jahre währen, ist kürzer als ein Blitz. Alles, was ihn erfüllt, bewegt, aufwühlt — sein Streben nach Glück, sein Lieben und Hassen, seine Ideale und Verrücktheiten und auch seine
Schuld —‚ das alles ist wesenlos. Und die Menschheitsgeschichte mit ihren politischen und
gesellschaftlichen Konflikten, ihren Kämpfen um Land, Wohlstand, Macht und Rohstoffe, ihren
Kulturblüten und Massengreueln, Helden, Genies und Märtyrern? Sie umfaßt nur ein paar
Sekunden auf der Weltenuhr und spielt sich auf einer Erde ab, die als ein Sandkorn durch den
362
Kurt Hutten
unendlichen Raum treibt, eines Tages kahl und kalt wird und irgendwann einmal in die Sonne
stürzt und verglüht217. Und kein Wesen ist da im ganzen Kosmos, das erschrocken sich umdreht und darüber schaudert, daß da einmal eine dichte Ballung von Leben, Geist, Geschichte
und himmelstrebender Sehnsucht gewesen war, die plötzlich spurlos verschwand.
Die »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei« im »Siebenkäs« (1790)
von JEAN PAUL (1763-1825) gab der Klage über die tiefe Verlassenheit des Menschen einen ergreifenden Ausdruck: »Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, soweit das Sein seine
Schatten wirft, und schaute in den Abgrund und rief ›Vater, wo bist du?‹ aber ich hörte nur den
ewigen Sturm, den niemand regiert; und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und als ich aufblickte zur unermeßlichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen
Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag über dem Chaos und zernagte es und wiederkäute sich.« »Alles wurde leer. Da kamen, schrecklich für das Herz, die gestorbenen Kinder, die im Gottesacker
erwacht waren, in den Tempel und warfen sich vor die hohe Gestalt am Altare und sagten: ›Jesus!
haben wir keinen Vater?‹ und er antwortete mit strömenden Tränen: ›Wir sind alle Waisen, ich
und ihr, wir sind ohne Vater‹.«
Für die Kirchen wurde das Thema: Vernunft und Offenbarung, biblischer Glaube und wissenschaftliche Erkenntnis zu einer Quelle schwerer Anfechtungen und Entzweiungen. Die einen
gaben bereitwillig Gelände preis, das nach ihrer Auffassung unhaltbar geworden war, und
suchten den Verlust durch Anleihen bei wissenschaftlichen Erkenntnissen und säkularistischen Ideologien zu ersetzen; aber was sie dadurch an »Vernunft — und Zeitgemäßheit« gewannen, büßten sie an geistlicher Substanz ein. Andere kämpften verzweifelt um den
Freiraum, den der biblische Glaube braucht, um atmen zu können; aber ihre Kämpfe endeten
meist in verquälten Kompromissen oder Rückzugsgefechten. Wieder andere igelten sich ein,
indem sie der Bibel mit der Lehre von der Verbalinspiration den Charakter einer bis in den
Buchstaben unantastbaren göttlichen Wahrheit verliehen und die Erkenntnisse der Vernunft
und Forschung als kleine, kurzatmige Menschenweisheiten abtaten; aber sie gaben damit die
Chance eines lebendigen Gesprächs mit der Welt auf und verfielen einem rechthaberischen
und unfruchtbaren Monolog. Die Theologie hat meistenteils den zweiten Weg eingeschlagen.
Sie hat dabei redliche Arbeit geleistet; aber sie hat es nicht vermocht, der kausalmechanistichen Weltauffassung, die naturwissenschaftlich gesichert und philosophisch ausgebaut wurde, eine eigene Weltkonzeption entgegenzustellen, die ebenso geschlossen und einsichtig
gewesen wäre wie diese, ja sie an Tiefe und Weite übertroffen hätte. — Was berechtigt den
Menschen, sich selbst ernst zu nehmen? Welchen Ort und Wert hat seine Person und sein
Erdenleben im endlosen und riesigen Bewegungsablauf des Kosmos? Welches ist der Zweck
der Menschheitsgeschichte? Und wie ist von dieser Sicht her die biblische Zukunftserwartung
— das Auftreten des Antichrists, die Wiederkunft Christi, das Tausendjährige Reich, das Endgericht und die Herabkunft des himmlischen Jerusalem — zu verstehen? Diese Fragen pflegen
von den Verfassern theologischer Lehrbücher nicht beantwortet, kaum gestellt zu werden. Es
scheint, als wäre ihr Horizont immer noch geozentrisch und anthropozentrisch beschränkt
und als hätten sie nicht zur Kenntnis genommen, daß die Konfrontierung mit dem Universum
217
Ein paar schlichte Zahlen mögen die »Größe« des Planeten Erde und seiner Bewohner illustrieren: Die
Sonne übertrifft nach ihrem Volumen die Erde um 1 Million, nach ihrer Masse um 330'000 mal. Durch
die Umwandlung ihrer Wasserstoffkerne in Helium verliert sie in jeder Sekunde eine Masse von 4 Millionen Tonnen die sich in Energie verwandelt. Diese Energie wird als Licht und Wärme in den Weltraum abgestrahlt. Davon empfängt das winzige Scheibchen Erde ein Milliardstel aus einer Entfernung
von 150 Millionen km. Von diesem lächerlich kleinen Bruchteil lebt die ganze Biosphäre der Erde
samt dem Menschen. Die Sonne aber hat trotz dieser enormen Verschwendung, die seit Jahrmilliarden
anhält, erst etwa ein Tausendstel ihrer Masse verloren.
Offenbarungen? Oder was sonst?
363
eine tödliche Gefahr für den Menschen bedeutet, die seine ganzen geistigen und religiösen
Lebensfundamente vernichten kann.
Auf diesem Hintergrund sind die Schriften Swedenborgs und Lorbers zu sehen. Man sollte sie
als Aufklärungswerke verstehen. Sie treten damit in unmittelbare Konkurrenz zu den Weltbildern der zeitgenössischen Forscher und Philosophen. Während deren Weltauffassungen aus
wissenschaftlichen Erkenntnissen, Schlüssen und Kombinationen entsprungen sind, behaupten sie, daß ihre Erkenntnisse der himmlischen Welt entstammen. Darum können diese
himmlischen Aufklärungswerke den Blick auch auf Wirklichkeiten eröffnen, die weit jenseits
der menschlichen Griffweite liegen. Sie schauen in die fernste Vergangenheit bis zum Ursprung des Seins. Sie bändigen die unermeßliche Weite und Fülle des Kosmos: Wo der
Mensch nur die Oberfläche sehen kann, da dringen sie in die Tiefe. Wo der Forscher bei den
Gründen stehen bleiben muß, da enthüllen sie die »Hinter-Gründe«. Wo er sich mit den Ursachen begnügen muß, da zeigen sie die großen Zusammenhänge, in die alles eingeordnet ist.
Auch ihnen sind, wie den Astronomen, die kosmischen Dimensionen vertraut. Aber sie versichern und begründen es, daß das Stäubchen »Erde« einen besonderen Rang hat, weil es der
zentrale Schauplatz des Handelns Gottes mit dem gefallenen Menschen ist. Und sie machen
deutlich, warum der Mensch nicht nur eine Eintagsfliege ist, sondern als Schöpfung Gottes
eine Bestimmung hat, die über Raum und Zeit hinausweist. Ihre himmlischen Aufklärungswerke bilden eine wirksame Hilfe für den Christen, der durch die rationalistischsäkularistische Aufklärung verunsichert ist. Sie bieten ihm eine universale Weltkonzeption,
die nicht aus der begrenzten menschlichen Perspektive, sondern »sub specie aeternitatis«
entworfen ist. Sie orientieren ihn über sein Woher und Wohin, zeigen ihm seinen Weg und
Auftrag hier und jetzt, geben ihm Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Lebens, öffnen
ihm die Sicht auf die Erfüllungen und Vollendungen, die Gottes Liebe mit ihm und der ganzen
Menschenwelt vorhat, und schenken ihm damit eine Hoffnung, die weit über die Flüchtigkeiten und Dunkelheiten des Erdendaseins hinausträgt. Sie machen einsichtig, daß das irdische
Schicksal nicht als Lohn oder Strafe zu verstehen ist, sondern als Frucht des eigenen Strebens. Und sie leiten daraus eindringliche Mahnungen ab, das Erdenleben nicht der Selbstsucht
und der Gier nach irdischen Gütern zu widmen, sondern der Gottes- und der Nächstenliebe.
Aber sind die Bücher Swedenborgs und Lorbers wirkliche himmlische Aufklärungswerke?
Das ist die Gretchenfrage, an der sich ihre Glaubwürdigkeit entscheidet. Wer in ihnen bloße
Phantasien spekulationsfreudiger frommer Gemüter sieht, wird dem Charakter der beiden
Männer und der Entstehungsweise wie dem Inhalt ihrer Werke nicht gerecht.
Die Christenheit bekennt sich im Apostolikum zum Glauben an den Heiligen Geist, der in der
Gemeinde Christi fortwirkt, sie in der Verfolgung stärkt, in der Verirrung zurechtweist, in der
Dürre nährt, in der Ratlosigkeit erleuchtet. Er bedient sich dabei menschlicher Werkzeuge, und
die Kirchengeschichte kennt zahlreiche Werkzeuge dieser Art: Propheten, Seher, Heilige, Mystiker, aber auch manche begnadete Theologen und Kirchenführer. Auch Swedenborg und
Lorber rechne ich dazu. Sie hatten in der mit der Aufklärung beginnenden Epoche den Auftrag,
den Christen, die aus ihrem altvertrauten Weltgehäuse herausgerissen und in eine streng
naturgesetzlich regierte kalte Welt ohne Geheimnisse, ohne Grenzen und ohne Gott hineinversetzt wurden, eine Schau zu erschließen, die dieses entmythologisierte Weltbild aufnimmt,
erweitert, überhöht, aus der Weisheit und Liebe Gottes verstehen lehrt und in das Erlösungswerk Christi einfügt. Freilich, so genau die Weltschau der beiden in ihren zentralen Aussagen
übereinstimmt, so verschieden sind ihre Linien, die zu diesen Aussagen hinführen. Darum
sollte man sie nicht kanonisieren und gegeneinander ausspielen, sondern beide Weltentwürfe
als Angebote sehen, dem suchenden Christen Orientierungshilfe zu geben. Sie dürfen nicht als
naturwissenschaftliche, astronomische und historische Lehrbücher betrachtet werden, die bis
364
Kurt Hutten
in die Einzelheiten stimmig seien, sondern als Wegweiser, die zum Verständnis der sichtbaren
und unsichtbaren Gottesschöpfung und der Stellung des Menschen in ihr anleiten wollen.
Eine wichtige Einschränkung muß gemacht werden: Swedenborg und Lorber waren keine
mechanischen Lautsprecher himmlischer Kundgaben, sondern drückten sie in den ihnen zur
Verfügung stehenden Worten und Vorstellungen aus. Und es lag nahe, daß diese Verdolmetschung auch zu sachlichen Veränderungen führte, ja, daß eigene Auffassungen und »VorUrteile« in ihre Werke einflossen. Die Elemente und Motivationen der Aufklärung begegnen
uns auch in ihren Werken. Hatte die Aufklärung die unbedingte Geltung des vernünftigen
Denkens proklamiert, so kehrt dieser Grundsatz auch in den himmlischen Aufklärungswerken wieder: alle Enthüllungen, Beschreibungen, Folgerungen usw. sind hier so dargestellt, daß
sie der Vernunft einleuchten218. Die kirchliche Trinitätslehre zum Beispiel hatte bei den Rationalisten ebenso wie bei Swedenborg und Lorber Anstoß erregt, weil sie vernunftwidrig sei. Mit
der Aufklärung teilten auch sie die Ablehnung der »Erbsünde«, der Verlorenheit des Menschen
und der Erlösung »sola gratia«. Darum war ihnen die biblische Botschaft vom Kreuz verschlossen. Zwar suchten sie dem Kreuzestod Christi einen tieferen Sinn zu geben als die rationalistischen Theologen; aber daß er etwas mit der Versöhnung (Kol. 1,20) und überhaupt mit dem
Verhältnis zwischen Gott und Mensch zu tun habe, blieb ihnen fremd. Die Ausführungen über
das Kreuz gehören denn auch zu den schwächsten Teilen ihrer Kundgaben.
Diese und manch andere Punkte haben dazu geführt, daß sie von den Kirchen abgelehnt wurden. Daß sie dem, was sie aus der himmlischen Welt empfingen, den Rang einer unumstößlichen Wahrheit zuerkannten, die als eine »nette« Offenbarung die gleiche Autorität besitzt wie
die »alte« Offenbarung der Bibel, verschärfte diese Ablehnung. Nun ist es psychologisch wohl
verständlich, daß die Offenbarungsempfänger unter der Wucht ihrer Visionen und inneren
Erfahrungen sich als bloße Werkzeuge empfanden und überzeugt waren, daß ihre als Einbrüche aus einer anderen Welt empfundenen Erleuchtungen und Stimmen unmittelbar von göttlicher Herkunft seien. Aber sie der biblischen Offenbarung ebenbürtig zur Seite zu stellen, war
ein unmögliches Unterfangen, denn es wurde dabei der grundsätzliche Unterschied zwischen
beiden verkannt. Die Werke Swedenborgs und Lorbers sind groß angelegte Aufklärungswerke,
die biblische Offenbarung dagegen handelt von der Heilsgeschichte. Diese Geschichte ist bis
zum Rand gefüllt von Gottes Handlungen, Zeichen und Worten. In ihr hat sich Gott selbst vergegenwärtigt, zuletzt und auf ihrem Höhepunkt in der Person Christi. Und Christus hat nicht
nur eine Lehre gebracht und menschliche Daseinsfragen beantwortet; er hat Dämonen besiegt,
Kranke geheilt, Sünden vergeben. Mehr noch, er ist gekreuzigt worden und auferstanden. Er
hat damit ein Faktum: die Feindschaft des Menschen gegen Gott und gegen das Gericht, das er
verdient, auf der anderen Seite die Liebe und Gnade Gottes, die ihm angeboten wird, in der
Mitte der Geschichte Ereignis werden lassen. So will die biblische Offenbarung verstanden
werden als Zeugnis von einem Drama Gottes, das einzigartig in der Menschheitsgeschichte ist
— nach allen Seiten und in allen Einzelheiten transparent und über die Jahrtausende hinweg
gegenwärtig und aktuell. Diese Heilsgeschichte faßt in sich und löst zugleich die ungeheure
Problematik der menschlichen Existenz aller Völker, Kulturen und Zeitalter in ihrer Konfrontierung mit dem heiligen Gott. Die Lösung geschieht nicht in Worten und Weisheitslehren,
sondern in Taten Gottes. Sie ist also nicht bloß Literatur. Die biblische Offenbarung ist Leben
und zeugt Leben.
Es wären viele Mißverständnisse vermieden worden, wenn die Werke Swedenborgs und Lorbers von vorneherein gegen die biblische Offenbarung klar abgegrenzt und ihrem Maßstab
218
Es tritt allerdings ein Unterschied zutage: Während bei den rationalistischen Theologen die Vernunft
als Richterin über die Wahrheit des überkommenen Glaubens vielfach destruktiv wirkte, diente sie bei
Swedenborg und Lorber als positive Gestaltungskraft bei der Entfaltung ihrer Weltbilder.
Offenbarungen? Oder was sonst?
365
unterworfen worden wären. Swedenborg und Lorber haben Antworten zu geben versucht. Ich
halte dafür, daß sie, jeder in seiner Weise, vom Heiligen Geist gebraucht wurden zur Bewältigung einer Epoche schwerer innerer Krisen. Gewiß, sie waren irrende Menschen. Sie entrichteten dem Zeitgeist ihren Tribut. Aber sie waren zugleich vom Himmel Erleuchtete und
erschlossen befreiende Horizonte. Man sollte mit ihnen nach dem bewährten Rat verfahren:
»Prüfet alles, und das Gute behaltet« (1. Thess 5,21).
Quelle: Kurt Hutten, Seher Grübler Enthusiasten: Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen
Sonderbewegungen, Stuttgart: Quell Verlag, 1989, S. 606-619.
DIE OFFENBARUNG IST NOCH NICHT ZU ENDE
Albrecht Strebel – 1994
Vorbemerkung der Schriftleitung [Fr. Horn]: Von befreundeter Seite wurde uns der folgende Beitrag zugeschickt. Der Verfasser ist evang. Pfarrer in Stuttgart. Er war viele Jahre Ressortleiter an
der bekannten Evangelischen Akademie in Bad Boll (Blumhardt!) und hat sich als solcher einen
Namen gemacht. Die folgenden Gedanken hat Pfr. Strebel einem Freundeskreis vorgetragen, zu
dem auch Jörg Zink, der evangelische Theologe und Autor zahlreicher, auch in unseren Kreisen
gern gelesener Bücher gehört. Wir sind Pfr. Strebel für die Abdruckerlaubnis dankbar.
Das Problem
Wir gehen aus von der allseits anerkannten Voraussetzung aller christlichen Theologie: Unsere Religion gründet auf Offenbarung. Der an sich verborgene Gott tritt aus Verborgenheit und
Anonymität heraus, er tut seinen Willen kund, er stiftet damit ein Verhältnis zwischen Gott
und Mensch, zwischen Zeitlichem und Ewigem.
Damit ist unsere Religion durchaus kein Sonderfall. Beruht nicht jede Religion auf solch einer
Selbstkundgabe eines Gottes? Man kann nur staunend stehen vor dem Strom von Offenbarung,
der sich durch die Menschheitsgeschichte zieht, und man kann sich durchaus fragen: Gibt es
je eine Zeit in der »Gott« sich unbezeugt gelassen hat?
Aber hier stocke ich schon! Habe ich nicht gelernt, daß in Jesus Christus die abschließende
Offenbarung geschehen sei? Und daß diese Offenbarung ihren endgültigen Niederschlag im
Kanon der neutestamentlichen Schriften gefunden habe? Dann kann es also prinzipiell keine
weiterführende Offenbarung geben. Selbst der bescheidene Ausweg der katholischen Theologie, die im Lehramt der Kirche eine Weiterentwicklung der offenbarten Wahrheit postuliert, ist
uns Protestanten verwehrt. Ich zitiere aus dem 2. Vatikanum aus der »Konstitution über die
Offenbarung«:
»Diese apostolische Überlieferung kennt in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes
einen Fortschritt … denn die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen« (K. Rahner/H. Vorgrimler: Kleines
Kompendium S. 371).
Hier wird wenigstens nach vorne geschaut. Die Fülle der Wahrheit ist noch nicht erschienen,
auch nicht in der Kirche. Sie strebt ihr vielmehr entgegen. Da waltet noch Dynamik.
Ich jedoch, als evangelischer Pfarrer und Theologe, bin gezwungen, ständig zurückzuschauen
und die Fülle der Wahrheit in der Vergangenheit zu suchen. Das zeigt sich z. B. daran, daß
nicht nur jeder Predigt, sondern jeder Trauansprache, jeder Beerdigungsrede, ja womöglich
jeder simplen kleinen Andacht ein Bibelwort zugrunde liegen muß, das man dann mehr oder
weniger gekonnt variiert. Ist es verwunderlich, wenn im Hörer der Eindruck entsteht: »Ach ja,
damals, zur Zeit der Propheten, der Evangelisten und Apostel — damals gab es noch eine viva
vox Dei, lebendiges Gotteswort.« Wir aber leben nur von Wiederholungen, mühsam darauf
bedacht, uns nicht zu weit vom Wortlaut des Originals zu entfernen, denn damit könnte ich
mir den Vorwurf zuziehen, nicht »schriftgemäß« zu reden — das Schlimmste, was man einem
evangelischen Theologen nachsagen kann!
Kein Wunder, daß sich da ein Geist der Erstarrung über die Gemüter legt. Wie kann da noch
Enthusiasmus aufkommen — zu deutsch: Begeisterung. An die Stelle des Propheten ist der
Schriftgelehrte getreten — und man lese und beherzige alles, was Jesus zum Thema »Schriftgelehrte« sagt. An die Stelle des Priesters, der noch lebendige Gottesbeziehung vermittelt, ist der
Gelehrte im schwarzen Talar getreten219‚ der nur noch über das Wort Gottes redet. Der Hirte ist
219
Alle folgenden Anmerkungen stammen vom Schriftleiter: Der Verfasser spielt hier darauf an, daß die
Reformatoren die beeindruckenden priesterlichen Gewänder als sichtbaren Ausdruck der Sonderstel-
Die Offenbarung ist noch nicht zu Ende
367
arm dran, denn er muß seine Schäflein immer wieder auf die abgegrasten Weiden der Vergangenheit führen. Keine frische Aue in Sicht! 220
Karikiere ich? Aber irgendwo muß es doch seinen Grund haben, daß es schlicht langweilig
geworden ist in unserer Kirche — und dies nicht mangels Betrieb, sondern mangels Substanz.
Muß das so sein? Wer hat uns denn in eine Zwangsjacke gesteckt? Gibt es einen Ausweg? Gilt
es da eine theologische Umkehr?
So hat sich in mir seit Jahren schon die Gewißheit verdichtet: Die Offenbarung ist noch nicht
zu Ende. Natürlich wurde mir auch bewußt, daß diese These eine Fülle neuer Probleme birgt
und mich sozusagen in ein Meer von Unsicherheiten hinauswirft.
Ich möchte Sie im folgenden an meinen Überlegungen teilnehmen lassen — oder genauer: ich
habe mich durch dieses Referat selbst gezwungen, meine Überlegungen etwas zu präzisieren.
1. Hinweise auf eine »fortlaufende Offenbarung« im Neuen Testament
Die Wurzeln einer fortlaufenden Offenbarung liegen im Neuen Testament selbst — also just in
der Schrift, aus der eine gewisse Theologie den Abschluß aller Offenbarung dekretiert. Ich
meine nicht nur die bekannte Stelle aus den johanneischen Abschiedsreden, die von dem
»Parakleten« sprechen, von dem Geist, der »in alle Wahrheit leiten wird«. Ich zitiere:
»Ich habe euch noch viel zu sagen. Aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der
Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Der wird nicht von sich
selbst reden, sondern: Was er hören wird, das wird er reden, und das zukünftig ist, wird er euch
verkündigen. Derselbe wird mich verklären …!« (Joh.16,13 f.)
Dieses letzte Sätzlein wird uns noch beschäftigen! Am Schluß des Evangeliums lesen wir die
Bemerkung, daß Jesus noch viele Dinge getan habe und daß die ganze Welt die Bücher nicht
fassen könne, die zu schreiben wären (Joh.21,25; vgl. 20,30).
Ich denke auch an die berühmte Weissagung aus Joel, auf die sich Petrus in seiner Pfingstpredigt beruft:
»Ich will ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Ältesten sollen Träume haben« (Apostelgesch.2,17 f; vgl. Joel 3,1ff.).
Geist, Weissagung, Gesichte: das alles klingt doch nicht nach Abschluß und Ende der Offenbarung, sondern nach Anfang und Zukunft. Die pfingstliche Weissagung stößt das Tor auf und
sagt uns: Jetzt fängt's erst an! Und tatsächlich ergießt sich von daher ein breiter Strom von
christlicher Prophetie, von christlichem Enthusiasmus in die Kirchengeschichte. Gemeinsam
ist die Überzeugung, daß die Offenbarung noch nicht am Ende sei, daß die Fülle der Wahrheit
noch ausstehe und auf Verwirklichung warte. Daß alle diese Bewegungen von der Amtskirche
an den Rand gedrängt, bekämpft, ja ausgerottet wurden, ist ein sehr schwieriges Kapitel der
Kirchengeschichte, das noch aufgearbeitet werden muß. Walter Nigg hat hier schon Bahnbrechendes geleistet (»Das Buch der Ketzer« oder »Heimliche Weisheit«).
Aber es sind nicht nur einige Bibelstellen, die auf eine fortlaufende Offenbarung hindeuten. Es
ist vielmehr die Gestalt dieses Christus Jesus selbst. Er ist — und das ist unbestreitbare Grundlage der christlichen Offenbarung — das Wort des Vaters, das Abbild des Vaters im Fleisch.
Insofern muß sich alles, was christlicherweise Offenbarung des Ewigen Gottes heißt, an ihm
messen lassen.
220
lung des Priesters zwischen Gott und Mensch, ablegten und stattdessen die zeitgenössische, auf die römische Tunika zurückgehende Amtstracht der Gelehrten trugen.
Erst die Erschließung des inneren Schriftsinns durch Swedenborgs Entsprechungslehre, oder neuerdings durch die sogen. symbolische Bibelauslegung (Drewermann u.a.) läßt auf solchen abgegrasten
Weiden frisches Grün sprossen.
368
Albrecht Strebel
Der Christus im Fleisch ist zugleich der Kulminationspunkt aller Offenbarung. aber gerade als
solcher hat er eine Geschichte von Ewigkeit her und entfaltet seine Geschichte in die Äonen
hinein, bis ER sein wird alles in allem. Das heißt: Das Ewige Evangelium, von dem die Johannes-Apokalypse spricht, ist nicht identisch mit dem, was die Evangelien vom Leben, von den
Worten und Taten des irdischen Jesus aufgezeichnet haben.
Hier ist die typische Engführung bei Luther und der reformatorischen Theologie: Hier gilt nur
als Offenbarung im engsten Sinne, was auf diesen Jesus im Fleisch zurückzuführen ist. Alles
andere gilt — grob gesagt — als Teufelswerk und Menschentrug. Das wirkt, als ob diese Christusoffenbarung »im Fleisch« wie ein erratischer Block anstößig, unverdaulich herumliege. Wo
bleibt der Glaube an den Ewigen Christus, ohne den nichts ist, was ist, der von Anbeginn die
Welt und alle Überlieferung durchwirkt und sozusagen auf ein letztes Ziel hin organisiert?
Könnte es nicht sein, daß dieser erratische Block — Jesus von Nazareth — der Eckstein ist, der
den ganzen Bau der Menschheit trägt?
Das hat Konsequenzen nach rückwärts und vorwärts — wenn wir die Christusoffenbarung im
Fleisch als Mitte nehmen. Das bedeutet — nach rückwärts — daß die ganze Überlieferung der
Menschheit (und nicht nur das Alte Testament) von dem Einen zeugt, von IHM inspiriert und
auf IHN hinweist. Der Religionsphilosoph Leopold Ziegler nennt das (mit René Guénon)221 die
»integrale Überlieferung«. Ich zitiere nur zwei Sätze von ihm, um das Problem deutlich zu
machen:
»Seither ist es nicht mehr statthaft, I Ging und Tao te king, Upanishaden und Vedanta, Yogasutra
und Bhagavad Gita, Awesta und Koran mit christlicher Überheblichkeit kurzerhand als heidnisch beiseite zu schieben … Wir mögen uns drehen und wenden, so kommen wir heute nicht länger um die Tatsache herum, daß die Integrale Tradition als solche durchweg auf Gottes
Selbstoffenbarung in Geist und Wahrheit beruht.« (Leopold Ziegler, Überlieferung, S.441)
Man ahnt, was für eine ungeheure Aufgabe auf die Theologie zukommt, wenn sie diese
Menschheitsüberlieferung aufzunehmen versucht — aber auch welche Bereicherung, welche
Differenzierung sich für das Christus-Bild ergeben könnte!
Dasselbe gilt nun auch nach vorne. Kann es anders sein, als daß die Christusoffenbarung im
Fleisch eine ganze Welle von neuen Offenbarungen Gottes anregt und inspiriert, wahrhaft
neue Enthüllungen über Gott und Mensch und ihr Verhältnis zueinander?
»Der Geist wird euch in alle Wahrheit leiten, und er wird mich verherrlichen.«
So haben wir bereits den johanneischen Christus zitiert (Joh 16,13). Alle Offenbarung nach
Ihm wird sein Bild vertiefen, erweitern — kurz: verherrlichen. Der erste, der ihn in dieser Weise verherrlicht, ist Paulus! Gerade er ist das erste und durchschlagende Beispiel der fortlaufenden Offenbarung. Denn er schöpft unmittelbar aus dem Geist. Er nimmt nicht das Leben
und die Worte des irdischen Jesus zum Gegenstand seiner Auslegung. Im Gegenteil. Er sagt
ausdrücklich, daß der Christus im Fleisch ihn nicht interessiere (2. Kor 5,17), was ihn in
schroffen Gegensatz zum Anspruch der Augenzeugen gebracht hat.222 An wenigen Stellen —
221
222
Guénon, ein französischer Religionswissenschaftler, hat in seinen bahnbrechenden Werken immer
wieder auch auf Swedenborg, namentlich auf das verwiesen, was er über das »Alte Wort« und über die
uralte Entsprechungslehre sagt. Man vgl. S.33 f. in »Er sprach mit den Engeln, ein Querschnitt durch
das religiöse Werk Em. Swedenborgs«, hrsg. 1993 von F. Horn im Swedenborg Verlag Zürich. Im übrigen hat auch Swedenborg immer wieder darauf hingewiesen, daß sich Gott nicht nur den Juden und
Christen offenbart hat und daß Er alle annimmt, die wirklich nach den Geboten ihrer Religion leben.
Hier liegt einer der Gründe, weshalb Swedenborg die überwiegend auf Paulus zurückgehende Briefliteratur des Neuen Testaments nicht zum biblischen Kanon zählt. Eben weil Paulus sich um den »Christus
im Fleisch« und die von ihm überlieferten Worte nicht kümmert, kann er dann zu Auffassungen, ja zu
»Offenbarungen« kommen, die im klaren Widerspruch zur Lehre des Herrn stehen. Ein Beispiel: Paulus
beruft sich für seinen Glauben, bei der Wiederkunft Christi noch am Leben zu sein, ausdrücklich auf
Die Offenbarung ist noch nicht zu Ende
369
z. B. wo er die Abendmahlsworte weitergibt — beruft sich Paulus auf die Tradition. Aufs Ganze
aber muß auffallen, in welcher Selbständigkeit Paulus neben Jesus steht. (Albert Schweitzer:
»unbegreiflich selbständig«.) Damit bildet Paulus keineswegs den Abschluß der Offenbarung.
Im Gegenteil: Er ist der erste in der langen und prinzipiell unabgeschlossenen Reihe derer, die
den »Christus verherrlichen«. Er fügt dem Bild, das wir aus den Evangelien kennen, ganz neue
Züge zu (z. B. Gemeinde als »Leib Christi«). Gerade er ist Zeuge, daß die Christusoffenbarung
nicht auf Buchstaben, auf Geschriebenes, auf ein Buch zu reduzieren ist. Das Christentum ist
keine Buchreligion, sondern die Religion des lebendig wirkenden Geistes, genauer des Christusgeistes, der nicht nur die frühe Überlieferung durchwirkt, sondern alle Überlieferung
gleichsam »tingiert«. Die Offenbarung wächst mit der Menschheit zur Fülle der Wahrheit. (Vgl.
dazu Schleiermacher, der in seinen Reden kühn behauptet: »Nicht der hat Religion, der an eine
heilige Schrift glaubt, sondern der, welcher keiner bedarf und wohl selbst eine schreiben
könnte.«)
2. Einige Beispiele fortlaufender Offenbarung
Ich nenne drei Namen als Beispiele, wie die Selbstoffenbarung des Ewigen Gottes sich bis in
unsere Zeit fortsetzt:
Emanuel Swedenborg (1688 - 1772)
Rudolf Steiner (1861 - 1925)
Pierre Teilhard de Chardin (1881 - 1955)
Was berechtigt uns, diese drei bei aller Verschiedenheit in die Reihe christlicher Offenbarungsträger einzureihen?
Alle drei sind Kinder der modernen Zeit, geprägt durch Aufklärung und Materialismus. Zwei —
Swedenborg und Teilhard — kommen aus der Naturwissenschaft und haben dort Namhaftes
und Anerkanntes geleistet, von Steiner kann man Ähnliches sagen.
Wenn Gott durch seinen Geist (wie wir im 3. Glaubensartikel bekennen) in der Zeit wirkt, so
muß er sich in einer veränderten Zeit auch neu aussprechen — wie er das ja schließlich im
Alten Testament auch getan hat.
Und dies geschah in der Tat in diesen Dreien:
Sie haben alle drei dem Christusbild wesentliche Dimensionen — nämlich kosmische Dimensionen — zugefügt, haben ganz neue Perspektiven für eine Entwicklung der christlichen Lehre
eröffnet — ja, sie haben den Entwicklungsgedanken erst recht in das Christentum hineingestellt. So haben diese drei Gewährsmänner eben nicht aus der Tradition geschöpft, sondern
unmittelbar aus dem Geist223, sonst wären sie Gelehrte, Philosophen oder Theologen geblieben.
Aber ich glaube sagen zu können: Alle drei sind echte Propheten, d. h. sie schöpfen aus der
Unmittelbarkeit des Geistes. Und das ist ja genau das, was durch das kirchliche Dogma eigent-
223
eine ihm persönlich zuteil gewordene Offenbarung, 1.Thess.4,15. Aber die Verheißung hat sich nicht erfüllt, kann also nicht echt gewesen sein. Freilich, der Mensch ist erfinderisch, wenn es darum geht, ihm
lieb gewordene Propheten oder Prophetien gegen so kleinliche Zweifel in Schutz zu nehmen. Als in den
50-er Jahren der Stammapostel der Neuapostolischen Kirche das Zeitliche segnete, obwohl er immer
wieder gepredigt hatte, er habe eine Verheißung vom Herrn, er werde seine Wiederkunft noch persönlich erleben, da verkündete schon anderntags das Apostelkollegium, nicht der Stammapostel habe sich
geirrt, sondern Gott habe seinen Plan geändert … Dies Beispiel zeigt vielleicht am besten, warum das
Kapitel der Neuoffenbarung sehr heikel ist.
Hierzu muß aber doch gesagt werden, daß sich namentlich Swedenborg für alles, was die Lehre des
Herrn für das neue christliche Zeitalter betrifft, auf ungezählte Schriftstellen beruft. Er weiß offensichtlich um die Gefahren »frei schwebender« Offenbarungen (was nicht heißt, daß es die bei ihm nicht gibt).
Hierin unterscheidet er sich sowohl von Steiner als auch von Teilhard, bei denen die biblische Basis
unvergleichlich schwächer ist.
370
Albrecht Strebel
lich verhindert wird, das uns auf den Wortlaut und das altkirchliche Dogma festlegt. Alle drei
haben sich intensiv mit der Heiligen Schrift auseinandergesetzt, die für sie selbstverständlich
die Mitte der Offenbarung markiert, und alle haben ihr Werk als Fortführung, Entfaltung des
im Keim (in »Jesus im Fleisch«) Angelegten empfunden.
Alle drei fühlten sich berufen. Ausdrücklich bezeugt ist das bei Swedenborg. Nachdem er seit
1736 (also im 49. Lebensjahr) ständig Visionen, vor allem Christusvisionen224 hatte, wird aus
dem Jahr 1745 eine Berufungsvision in London berichtet, die Ernst Benz in seiner Swedenborg-Biographie als echtes prophetisches Berufungserlebnis einreiht. (Ernst Benz: Swedenborg, S. 516, 571 u. a.) Seither lebt Swedenborg in einem ständigen Verkehr mit der geistigen
Welt und bekommt von dort Aufschluß über den geistlichen Sinn der Heiligen Schrift.
Bei Teilhard fehlt ein zeitlich datierbares Berufungserlebnis. Er ist durch und durch ein Mann
der Wissenschaft (als Paläontologe und Theologe). Und doch bezeichnet er sich selbst als
»Stimme eines Rufenden in der Wüste« und nimmt damit den Anspruch des Täufers Johannes
auf. Hören wir ihn selbst aus einer autobiographischen Skizze (Die geistige Macht der Materie):
»Die Sache ist nicht als ein persönlicher Einfall, sondern eher als Offenbarwerden einer Wahrheit
geschrieben worden. Einen Namen darunter zu setzen, hieße nach meiner Meinung sie vollständig
herabsetzen. Stimme eines Rufenden in der Wüste — wenn ich so sagen darf.«
Oder in seiner programmatischen Schrift »Mein Universum« schreibt Teilhard:
»Wirklich — ich fühle es, nicht ich habe diese Seiten entworfen, sondern in mir ein Mensch, der
größer ist als ich … Ich würde dem Leben … untreu sein, wenn ich nicht versuchte, die Grundlinien
der leuchtenden Gestalt zu übermitteln, die sich vor mir im Lauf von 25 Jahren des Nachdenkens
und der Erfahrungen aller Art im Universum enthüllt hat.« (Wissenschaft und Christus, S. 65)
Ähnlich bei Rudolf Steiner: Kein Berufungserlebnis, sondern ein dauerndes Ringen um Zugang
zur geistigen Welt, die für ihn so real ist wie die physische. Doch was Mitte und Ziel und zugleich Methode dieses Verkehrs mit der geistigen Welt für ihn ist, beschreibt er kurz und nur
andeutend in seinem »Lebensgang«:
»Auf das geistige Gestanden-Haben vor dem Mysterium von Golgatha in innerster ernstester Erkenntnisfeier kam es bei meiner Seelen-Entwicklung an.« (S. 259)
Vielleicht kündigt sich hier ein neuer Typ des Sehers und Propheten an, den die Visionen aus
der geistigen Welt nicht einfach überfallen, sondern der durch vernünftige und logische Arbeit
(und sehr viel Selbstdisziplin!) sich selbst zum Verkehr mit der geistigen Welt heranbildet.
Daß seit der Aufklärung die Vernunft eine ganz neue Rolle spielte, ist jedem klar, der sich mit
Geistesgeschichte befaßt. Der Mensch nach der Aufklärung kann sich nicht mehr einem unbegriffenen, prinzipiell unbegreifbaren Dogma ausliefern nach dem Motto:
»Selig seid ihr, die gehört und nicht verstanden habt, denn daraus kommt euer Heil.«
So hört Swedenborg in einer Vision einmal einen ironischen Chor im Himmel, und er sagt
dazu:
»Die Mysterien des Glaubens sind wie Schränke, die mit drei Riegeln verschlossen sind. Wenn du
diese nicht öffnest und hineinsiehst — was durch den Verstand geschehen muß — so weißt du nicht,
was drin ist!«
224
Der Verfasser setzt in seinem Manuskript die Geburt Swedenborgs ins Jahr 1698 und schreibt daher
konsequent, er sei 39 Jahre alt gewesen, als sich bei ihm »ständige Visionen« einstellten. Wir haben das
korrigiert. 1688 geboren, begann bei dem im 49. Lebensjahr Stehenden die etwa sieben Jahre dauernde
religiöse Krise, die sich vor allem in Zweifeln und in sogen. Evidenzerlebnissen äußerte und nach einer
ersten Christusvision zu Ostern 1744 ein Jahr später zur eigentlichen göttlichen Berufung führte. Damit beginnt erst die Zeit der ständigen Visionen.
Die Offenbarung ist noch nicht zu Ende
371
Und das will Swedenborg — vielmehr: das wird ihm geschenkt. Er versteht, was er sieht. Er
entwirft daraus ein Weltbild, in dem auch die Wissenschaft ihren Platz hat. Wenn das Weltbild
sich drastisch verändert, so muß Gottes Offenbarung damit Schritt halten — oder besser: Unser
Verständnis der Offenbarung muß damit Schritt halten. Teilhard hat dieses Problem am
schärfsten gesehen und sich damit auseinandergesetzt, weil er als katholischer Theologe ja
am stärksten der Tradition verbunden war. So stellt sich für ihn theologisch die Frage:
»Was muß aus unserer Christologie werden, damit sie in einer neuen Welt sie selbst bleibt? … Die
Formeln haben sich verengt und verhärtet, sie behindern uns und erregen nicht mehr. Wir müssen
uns häuten.« (Mein Glaube, S. 99, 114).
Man kann christlichen Glauben nicht mehr bloß in Begriffen des Familienrechts oder in dem
Raster von Schuld und Sühne ausdrücken. (Gott der Vater, wir die Kinder, die gehorsam sind
oder auch nicht … Teilhard nennt das »neolithische Begriffe«.) Wir leben in einem unendlichen
Kosmos, in einer rasanten Veränderung (»Evolution«). Was hat Gott damit zu tun? Was haben
wir damit zu tun?
So zeigt sich dem Seher Swedenborg in seinen Visionen eine Welt, die Himmel, Geisterreich
und Erde umfaßt, in der Sonne und Planeten ihren Sinn haben. Durch die Entsprechungen der
unteren und oberen Welt erfassen wir die Struktur des Geistigen und verstehen, daß der
Mensch das Bild der Schöpfung ist (weil er Gottes Bild ist).
Bei Steiner entwickelt sich das Sonnenwesen Christus auf die Erde zu. Das zentrale Ereignis,
das »Mysterium von Golgatha«, bekommt kosmische Bedeutung, weil sich dieses Christuswesen durch sein Blut mit der Erde verbindet. Dadurch wird die Erdsubstanz verändert.
Auch bei Teilhard steht der Christus am Anfang und am Ende der gesamten kosmischen Evolution. Er ist nicht ein Quereinsteiger in eine an sich schon fertige Welt (das ergäbe keinen
Sinn), sondern selbst die Schubkraft der Evolution, die sich in immer komplexeren Verbindungen neu zusammenschließt zum Ewigen Menschen. Hier versteht man, was mit A und O,
Anfang und Ende gemeint sein könnte. Was wäre das für eine Christenheit, die durch eine
solche kosmische Schau offen würde für die ungeheure Aufgabe einer zusammenwachsenden
Menschheit, anstatt sich (mittelalterlich) um ein privates Seelenheil zu kümmern?225 Es versteht sich, daß alle drei in Konflikt mit ihrer Kirche gekommen sind — Los der Propheten! Dies
vor allem wegen der Rechtfertigungslehre. Die Rechtfertigungslehre ist heute nicht mehr ausreichend, um das Problem zu umschreiben, das zwischen Gott — Kosmos — Mensch entsteht.
Zum Schluß ein selbstkritischer Gesichtspunkt: Öffne ich mit dieser These von der fortlaufenden Offenbarung nicht Tür und Tor für alle möglichen Scharlatane und dubiosen Gestalten?
Es sind nicht alle so seriös wie die von mir genannten Kronzeugen.
Doch: auch in der Bibel ist nicht alles Gold. Es gibt große und kleine Propheten (nicht nur dem
Umfang nach), sehr Zeitbedingtes neben absolut Gültigem.
Da kommt eine große Aufgabe auf die Theologie zu — nämlich Kriterien zu schaffen für eine
fortlaufende Prophetie. Bei Tillich ist da viel zu lernen. Man kann sich aber mit einem Problem nicht auseinandersetzen, wenn man es nicht sieht.226 Deshalb frage ich: Wo ist eine
gediegene theologische Auseinandersetzung mit den genannten Kronzeugen? Bei Swedenborg
und Steiner ist praktisch Fehlanzeige zu konstatieren (mit den rühmlichen Ausnahmen Ernst
225
226
Sicherlich will der Verfasser damit nicht sagen, daß das Seelenheil des Einzelnen keine Rolle spiele,
sondern eher, daß es nur im Zusammenhang mit dem Heil des Ganzen gesehen werden kann.
Man vergleiche hierzu auch die Ausführungen des Herausgebers in Nr. 5/93 dieser Zeitschrift über
Neuoffenbarungen (S. 211-220) sowie in den Jahrgängen 1975 (S. 126, 187), 1976 (S. 31, 65, 145, 180)
und 1977 (S. 27, 132).
372
Albrecht Strebel
Benz und Adolf Köberle). Teilhard hat zeitweise einige theologische Federn in Bewegung gesetzt, im Ganzen wird er jedoch viel stärker von New Age beachtet und aufgenommen.
Genügt es, solche Namen unter einem Etikett in der Rumpelkammer der Geschichte abzustellen? So entzieht man sich nicht nur der Auseinandersetzung, sondern beraubt sich auch des
weiterführenden Impulses, der so dringend nötig wäre.
Das würde je nicht bedeuten, neue »Propheten« kritiklos zu übernehmen. Um nur ein Problem
zu nennen: Die größte Gefahr aller — mindestens der neuen — Propheten liegt wohl darin, sich
selbst absolut und als endgültige Offenbarung zu setzen. Swedenborg z. B. ist dieser Gefahr
erlegen227‚ während Steiner oft darauf hinweist, daß seine Botschaft konkret auf seine Zeit
gemünzt sei und keine Absolutheit beanspruche.
Halten wir zum Schluß noch einmal den Grundgedanken fest: Die Kirche verwaltet nicht eine
fertige Wahrheit, sondern sie strebt im Gang der Jahrhunderte der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen und wird jede Stimme dankbar begrüßen, die den Christus »verherrlicht«.
Quelle: Offene Tore, 1994, Seiten 64-77.
227
So hat es Ernst Benz gesehen, auf den sich der Autor bezieht. Freilich war Swedenborg davon durchdrungen, daß die ihm offenbarten Wahrheiten mit der Zweiten Ankunft des Herrn zusammenhingen.
Was er als ein demütiger »Diener des Herrn Jesus Christus« in göttlicher Erleuchtung als »Lehre des
Herrn für die neue Kirche« niederschrieb, konnte er gelegentlich sogar als die Zweite Ankunft bezeichnen, vor allem an folgender Stelle der WCR:
»Da der Herr sich nicht in Person offenbaren kann, wie soeben gezeigt wurde, dennoch aber vorausgesagt hat, daß er kommen und eine neue Kirche, nämlich das Neue Jerusalem gründen werde, so folgt,
daß er dies mittels eines Menschen bewirken wird, der die Lehren dieser Kirche nicht allein mit dem
Verstand auffassen, sondern auch durch den Druck veröffentlichen kann. In der Kraft der Wahrheit bezeuge ich, daß der Herr sich mir, Seinem Diener, geoffenbart und mich zu diesem Dienst ausgesandt
hat, daß er danach das Gesicht meines Geistes öffnete, mich so in die geistige Welt einließ, mir gestattete, die Himmel und Höllen zu sehen und auch mit Engeln und Geistern zu reden, und zwar unausgesetzt schon viele Jahre hindurch. Ebenso bezeuge ich, daß ich vom ersten Tage jener Berufung gar
nichts von dem, was die Lehren jener Kirche betrifft, von irgendeinem Engel empfangen habe, sondern
vom Herrn allein, während ich das Wort las.« (WCR 779)
Swedenborgs Überzeugung, daß er ein Werkzeug der Zweiten Ankunft des Herrn sei, wurde auch dadurch gestärkt, daß er im Jahre 1757 Zeuge gewaltiger Umwälzungen in der geistigen Welt geworden
war, als deren Folge er die gegenwärtige Lage der Christenheit klar voraussah: »Was den Zustand der
Kirche betrifft, so wird er in der Folge (d. h. nach den von Swedenborg als »Jüngstes Gericht« beschriebenen Umwälzungen in der geistigen Welt) nicht mehr derselbe sein — derselbe zwar im Blick auf die
äußere, nicht aber im Blick auf die innere Erscheinung. Der äußeren Erscheinung nach werden die Kirchen wie zuvor geteilt sein, ihre Lehren wie zuvor gelehrt werden. Ebenso die Religionen bei den Heiden. Allein der Mensch der Kirche wird sich nun, da (durch das Gericht) die geistige Freiheit
wiederhergestellt ist, in einem freieren Zustand befinden, über die Gegenstände des Glaubens, also über
das Geistige, das zum Himmel gehört, nachzudenken …« JG 73; vgl auch 74).
Jeder einigermaßen objektive Beobachter der religiösen Szene wird bestätigen müssen, daß das eine
verblüffende Beschreibung unserer gegenwärtigen Situation ist.
Abgesehen davon aber war sich Swedenborg gerade aufgrund seiner Schau völlig klar darüber und
hat es immer wieder zum Ausdruck gebracht: Nur der Herr allein ist die Wahrheit. Engel und Menschen — selbst die höchsten und weisesten unter ihnen — haben nur »Scheinbarkeiten des Wahren« (wir
würden sagen: relative, ihrem Zustand angemessene Wahrheiten.) Und in diesem Sinne ist auch das,
was Swedenborg als Lehre des Herrn für die neue Kirche beschreibt, selbstverständlich relativ und
nicht absolut.
ANHANG
LITERATURVERZEICHNIS
Anonym, Neue Kirche: Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Swedenborg und Lorber: Materialdienst der EZW (1966) 153-156.
Brief von Johann CZERNY an (Chr. Fr. Landbeck) vom 9. August 1903. (Quelle unbekannt).
Alfred DICKER, Lorber und Swedenborg: Eine Gegenüberstellung, in: Offene Tore, 1998, Seite 75-100.
Johann Gottfried DITTRICH, Lorber – Swedenborg, die zwei Zeugen der Endzeit (Joh. Offb. 11/3,4), in: Geistiges
Leben, 1987, Seiten 31–36.
Christian DÜBERG , Leben und Wirken von Dr. Joh. Fr. Immanuel Tafel … Ihm zum lebendigen Denkmal, zugleich
allen Freunden der Wahrheit gewidmet , Wismar 1864, Seiten 65 – 71.
Karl DVORAK, Buchstabe und Geist der Neuoffenbarung , 1978.
Karl DVORAK, Swedenborg und Lorber, die Dioskuren göttlicher Neuoffenbarung , (1985 oder 1986), in: Offene
Tore, 2005, Seiten 64 - 84.
Adolf Ludwig GOERWITZ , »Lorber und Swedenborg«: Bemerkungen zu einem Vortrag, in: Die Neue Kirche:
Monatblätter für fortschrittliches religiöses Denken und Leben, Januar / Februar 1945, Seiten 13-17.
(Fedor GÖRWITZ), Aus dem Leben (des Adolph Thieme) , in: Monatblätter für die Neue Kirche, Zürich, November 1892, Seiten 172-174.
( Fedor GÖRWITZ ), Theosophische Schriften, in: Monatblätter für die Neue Kirche, Dezember 1898, Seiten 183187.
( Fedor GÖRWITZ ), Theosophische Schriften, in: Monatblätter für die Neue Kirche, Mai 1899, No. 5, S. 76-79.
(Fedor GÖRWITZ), Pseudo-Offenbarungen, in: Monatblätter für die Neue Kirche, Dezember 1902, Seiten 195200.
(Fedor GÖRWITZ), Pseudo-Offenbarungen, in: Monatblätter für die Neue Kirche, März 1903, Seiten 41-43.
(Horand GUTFELDT ), Jakob Lorber und Emanuel Swedenborg, in: Offene Tore, 1965, Seiten 161-181.
Friedemann H ORN , Zum Problem der Offenbarungskritik: Insbesondere bei Swedenborg und Lorber, in: Offene
Tore (1975) 126–130, 187–191, (1976) 31–56, 65–66, 103–112, 145–147, 180–197, (1977) 27–38, 132–
140. Ders., Zum Problem der Offenbarungskritik: Am Beispiel von Swedenborg und Lorber, Zürich 1984, Separatdruck aus der Zeitschrift Offene Tore (1975-77).
Friedemann H ORN, Gedanken zum Gottesbild bei Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber, in: Offene Tore,
1990, Seiten 176-192 und Begegnung mit dem prophetischen Werk Jakob Lorbers: Gedenkschrift des
Lorber-Verlags zum 150. Jahr der Berufung Jakob Lorbers zum »Schreibknecht Gottes«, Bietigheim
1990, Seiten 30 – 36.
Friedemann H ORN, Neuoffenbarungen, in: Offene Tore, 1993, Seiten 211-220.
Friedemann H ORN, Grundsätzliches zum Verhältnis Swedenborg / Lorber, in: Offene Tore, 1997, Seiten 186195.
Brief von Kurt H UTTEN an Elisabeth Saam vom 29. September 1975.
Brief von Kurt H UTTEN an Friedemann Horn vom 22. Oktober 1975.
Brief von Kurt H UTTEN an Elisabeth Saam vom 26. Januar 1977.
Kurt H UTTEN, Offenbarungen? Oder was sonst?, in: ders., Seher, Grübler, Enthusiasten: Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen, Stuttgart 1989, Seiten 606-619.
Adalbert JANTSCHOVITSCH , Eine Frauen-Heilsbotschaft vom Herrn, in: Bote der Neuen Kirche, St. Louis, 1.
Oktober 1902, Seite 15; 1. November 1902, Seite 30; 1. Dezember 1902, Seiten 47-48; 1. Februar 1903,
Seiten 71-72.
Adalbert JANTSCHOVITSCH , Zur Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen Generalpastors – wider die
christliche, neutheosophische Literatur, in: Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen GeneralPastors gegen die christliche Neu-Theosofie. Allen Wahrheitsfreunden besonders denen der neuen Kirche
dargereicht von Adalbert Jantschowitsch, herausgegeben von Christoph Friedrich Landbeck, Bietigheim
1903, Seiten 1-26.
Adalbert JANTSCHOWITSCH , Mein Pater peccavi!, in: Monatblätter für die Neue Kirche, Dezember 1904, Seiten
193-194.
Peter KEUNE , Eine Gegenüberstellung : Swedenborg und Lorber, (1977). Eine gekürzte Fassung erschien in:
Offene Tore, 1977, Seiten 6-26.
Peter KEUNE, Stellungnahme zur »Offenbarungskritik« von Dr. Horn, (vermutlich 1976 oder 1977).
Peter KEUNE, Die Sache mit Luzifer, Berlin 1998.
Bernd-Rüdiger KÖSSLER, Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber: Gemeinsamkeiten und Unterschiede, 2008,
in: Offene Tore, 2009, Seiten 112–117.
Jürgen KRAMKE , Jakob Lorber und oder Emanuel Swedenborg, 2001.
Christoph Friedrich LANDBECK , Geschichtlicher Vorbericht, in: Abwehr des falschen Zeugnisses eines neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche Neu-Theosofie. Allen Wahrheitsfreunden besonders
denen der neuen Kirche dargereicht von Adalbert Jantschowitsch, herausgegeben von Christoph Friedrich Landbeck, Bietigheim 1903, Seiten XVI-XX.
Brief von Johann Friedrich Immanuel Tafel an Fräulein Julie Conring vom 13. Mai 1863, in: J. G. MITTNACHT
( Hg.), Briefe von Dr. J. F. Immanuel Tafel an Fräulein Julie Conring. Nebst einem Auszug aus den Aufzeichnungen der sel. Julie Conring, über ihr Bekanntwerden mit Swedenborgs Schriften, und über die
letzten Tage von Dr. Im. Tafel, Frankfurt am Main 1881, Seiten 9-15.
Viktor MOHR, Lorber und Swedenborg, in: Das Wort 6, 1966, Seiten 146-152; Offene Tore 1966, Seiten 155162.
Thomas N OACK, Offenbarungskritik: Ein Problem der Wahrheitserkenntnis, in: Das Wort 3, 1994, Seiten 138152.
Thomas N OACK, Swedenborg und Lorber: Zum Verhältnis zweier Offenbarungen, in: Das Wort 4, 1998, Seiten
287–302; Offene Tore, 1998, Seiten 140–155.
Thomas N OACK, Der Seher und der Schreibknecht Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber im Vergleich,
Zürich 2004.
Thomas N OACK , Die Neue Kirche und das Phänomen Jakob Lorber, 2008.
Thomas N OACK, Perspektiven einer neukirchlichen Lorberforschung, 2009.
Der Dialog zwischen Swedenborgianern und Lorberianern im Spiegel kirchlicher Sektenbeobachter, zusammengestellt von Thomas Noack am 8. Mai 2009.
Ch. Aug. N USSBAUM, Brief an Chr. F. Landbeck vom 20. Juli 1903, in: Abwehr des falschen Zeugnisses eines
neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche Neu-Theosofie. Allen Wahrheitsfreunden besonders denen der neuen Kirche dargereicht von Adalbert Jantschowitsch, herausgegeben von Christoph
Friedrich Landbeck, Bietigheim 1903, Seiten 99f.
Ch. Aug. N USSBAUM, Brief an Chr. F. Landbeck vom 1. September 1903, in: Abwehr des falschen Zeugnisses
eines neukirchlichen General-Pastors gegen die christliche Neu-Theosofie … Bietigheim 1903, Seiten
103f.
Brief von Adolph ROEDER an Chr. Fr. Landbeck vom 17. Juli 1903. (Quelle unbekannt).
Brief von Adolph ROEDER an Chr. Fr. Landbeck vom 31. August 1903. (Quelle unbekannt).
Wilfried SCHLÄTZ, Verwerfen Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber die Trinität? Eine Antwort: Das Wort,
1983, Seiten 156-164.
Wilfried SCHLÄTZ, Existiert ein urgeschaffener, persönlicher und gefallener Luzifer? Das Wort, 1999, Seiten
135-159, Das Wort, 1999, Seiten 228-247.
Albrecht STREBEL, Die Offenbarung ist noch nicht zu Ende, in: Offene Tore, 1994, Seiten 64-77.
(L. H. TAFEL), Die christliche Neu-Theosophie, in: Neukirchenblatt , 1. September 1903, Seiten 45-46; 1. Oktober
1903, Seiten 52-54; 1. Januar 1904, Seiten 76-78.
(R. L. TAFEL), Der moderne Spiritismus betrachtet im Lichte der Neuen Kirche, in: Wochenschrift für die Neue
Kirche, Stuttgart, 30. Juli 1873, Spalten 481- 491.
Thomas Noack
Der Seher und der Schreibknecht Gottes:
Emanuel Swedenborg
und Jakob Lorber im Vergleich
226 Seiten, Paperback
Die Werke Emanuel Swedenborgs und Jakob Lorbers gelten als die Klassiker der
Neuoffenbarung. Zwischen ihren Lehren
gibt es zahlreiche, wesentliche Gemeinsamkeiten. Gleichwohl sind die beiden
Offenbarungen vollkommen eigenständig
und originell. Swedenborg ist nicht nur ein
Vorläufer Lorbers und Lorber nicht bloß
eine Neuauflage Swedenborgs.
Das Buch dokumentiert anhand sorgfältig
ausgewählter Zitate das außergewöhnlich
hohe Maß an Übereinstimmungen . Zugleich wird aber auch auf das je eigene
Profil der beiden Offenbarungen hingewiesen. So schließt das Buch eine Lücke. Denn
derart ausführlich ist die schon immer
gesehene nahe Verwandtschaft noch nie
dargestellt worden.
Im Zuge dieses Vergleiches kommen die
wichtigsten Themen der Neuoffenbarung
zur Sprache: die Gotteslehre, die Erlösung
und die Wiedergeburt, das Menschenbild,
die Entsprechungskunde, das Jenseits und
die Hoffnung auf die Geistkirche Christi.
Der Autor kennt die Offenbarungen durch
Swedenborg und Lorber seit 1977. Heute
leitet er als Pfarrer der Neuen Kirche das
Swedenborg Zentrum und den Swedenborg
Verlag in Zürich.
Das Buch ist aus der Überzeugung entstanden, dass Jesus Christus durch beide Gottesboten gesprochen hat. Die Posaunen der
Neuoffenbarung wollen uns aus den Gräbern der Nacht befreien und zu Bürgern des
neuen Jerusalems machen. Deswegen sollte
zwischen den Lorberfreunden und den
Swedenborgianern ein geschwisterliches
Miteinander herrschen. Das Buch möchte
dazu einen Beitrag leisten und weitere Forschungen zum Verhältnis der beiden Neuoffenbarungen anregen.
Das Buch ist beim Swedenborg Verlag
(Postfach 1205, CH - 8032 Zürich ) und
beim Autor (www.orah.ch) erhältlich .
Die Neue Kirche (Swedenborgianer) im deutschsprachigen Raum
musste sich im Unterschied zu allen anderen Swedenborgkirchen auf
der Welt schon im 19. Jahrhundert mit den Neuoffenbarungen durch
Jakob Lorber und den Lorberfreunden auseinandersetzen. Dieses Buch
dokumentiert diese lange und wechselvolle Geschichte, indem es im
wesentlichen die führenden Köpfe der neukirchlichen Organisationen
in der Schweiz und in Deutschland zu Wort kommen lässt.