Sand in der Kimme: Ostfriesland-Krimi
Von Micha Krämer
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Über dieses E-Book
Micha Krämer
„Mit Micha Krämer hat ein neues Talent die Szene betreten. Ich mag seine Schreibe. Er kann etwas, das langsam aus der Mode kommt: eine Geschichte erzählen und uns fesseln“, schrieb Bestsellerautor Klaus-Peter Wolf einst über Micha Krämer. Dieses Talent demonstriert der Kultautor und Musiker aus dem Westerwald nicht nur in seinen zahlreichen Romanen und Jugendbüchern, sondern auch bei seinen Lesungen, die mittlerweile ganze Hallen füllen. Wer einmal mit dem Mythos Nina Moretti angefixt ist, den lassen die Geschichten rund um die junge Kommissarin nicht mehr los.
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Sand in der Kimme - Micha Krämer
Prolog
Insel Langeoog
Herbst 1964
Was man nicht alles des lieben Geldes wegen tat. Er sah aus dem Fenster in die klare Herbstnacht. Wind heulte über das Dach des in die Jahre gekommenen Friesenhauses und schüttelte die letzten verwelkten Blätter von den Zweigen des alten Birnbaums. Der Baum zierte diesen Garten schon so lange er überhaupt denken konnte. Hier war er aufgewachsen. Hatte als Kind mit den Jungs aus dem Dorf Verstecken gespielt und war bis in die Krone des Birnbaums geklettert, von wo man einen wunderbaren Ausblick hinaus auf das Wattenmeer hatte. Die Birnen, von denen sie auch in diesem Jahr wieder körbeweise gepflückt, eingekocht oder anderweitig verarbeitet hatten, waren klein, aber zuckersüß. Er seufzte und rückte die Bettdecke von Vater Hein zurecht. Wie sollte es ihnen wohl ohne den alten Mann ergehen? Alle sprachen sie vom Wirtschaftswunder. Nur hier, an ihrer wunderschönen Insel, schien der Geldregen, der über dem Land herunterging, komplett vorbeizuziehen. Von den paar Pensionsgästen, die im Sommer auf die Insel kamen, würde auch in Zukunft kaum jemand leben können. Die Deutschen, die das Geld hatten, um in den Urlaub zu fahren, fuhren eben lieber in das sonnige Italien als an die Nordsee. Das war so und würde sich auch niemals ändern. Davon war er fest überzeugt. Improvisationstalent war in diesen Zeiten also so gefragt wie nie zuvor. Solange er denken konnte, waren all seine Vorfahren zur See gefahren, und auch er liebte die Nordsee über alles. Dennoch hatte er ein anderes Handwerk gelernt, eines, was ihm heute Nacht etwas nützen würde. Maurer war doch ein angesehener Beruf. Gerade jetzt, zwanzig Jahre nach dem verlorenen Krieg, gab es immer noch eine Menge wiederaufzubauen. Dumm nur, dass viele auf der Insel es sich nicht leisten konnten, ihn zu beschäftigen. Dieses Fleckchen Erde zu verlieren, es verlassen zu müssen, würde ihm das Herz brechen. Es musste also etwas passieren. Er zog die Vorhänge zu, löschte das Licht, tätschelte noch einmal die kalte Hand des alten Mannes und verließ dann das Zimmer. Er arbeitete bis zum Morgengrauen. Mischte eine Karre Mörtel nach der anderen und setzte Stein auf Stein. So wie er es gelernt hatte. Vater Hein wäre stolz auf ihn. Ganz bestimmt.
Kapitel 1
Juli 2017
Strand Insel Langeoog
Martin von Schlechtinger liebte die Wintermonate auf seiner Insel. Dann, wenn die Winterstürme über das alte Friesenhaus fegten und sich das Leben ein wenig verlangsamte, war seine Jahreszeit. Klar mochte er auch den Sommer. Früher, als er noch in Köln-Kalk lebte, hatte er ihn regelrecht herbeigesehnt. Weil … Winter am Rhein, das war ja überhaupt nicht schön, weil dann irgendwie alles so graubraun war. Dazu der ewige Nieselregen. Fürchterlich! Doch die Zeiten und Menschen änderten sich. Sogar ein Martin von Schlechtinger. Seit beinahe drei Jahren lebte und arbeitete er nun auf Langeoog. Er verließ die Insel nur selten, und das war auch in Ordnung so. Er brauchte die weite Welt nicht, um zufrieden zu sein. Die Winter hier auf seiner Insel waren, zumindest empfand er dies so, bei Weitem nicht so trostlos wie die in seiner alten Heimat. Doch Farben und Klima waren auch eher zweitrangig. Im Leben ging es doch um viel mehr als nur um das Wetter und ob die Bäume grün waren. Hier auf Langeoog zum Beispiel brach jedes Jahr mit dem Frühling nicht nur die warme Jahreszeit, sondern auch die Saison an. Regelrechte Scharen, Tausende von Touristen, brachten dann wieder Unruhe auf das kleine ostfriesische Eiland. Klar waren die Touristen auch wichtig für die Insel. Ohne diese und das Geld, das sie daließen, wären die Einheimischen ganz schön aufgeschmissen. Das war Martin schon klar. Langeoog lebte schließlich vom Tourismus. Dennoch musste Martin im Sommer beinahe täglich und sehr wehmütig an die gemütlichen Wintermonate denken, dann wenn die Urlauber nicht da waren. Aber es half nichts. Wenn er etwas im Leben gelernt hatte, dann war es das, dass man immer das Beste aus der jeweiligen Situation machen musste. Und die beste Zeit im Sommer war eindeutig der Sonnenaufgang.
Jeden Morgen schälten er und Annemarie sich deshalb bereits vor dem ersten Hahnenschrei aus den Federn und genossen die Zeit, in der die Urlauber noch in ihren Betten schlummerten. Dann wenn der Strand noch leer war und keine johlenden Kinder durch die Dünen streiften. Zu seinem Glück war Martin, genau wie Annemarie, ein Frühaufsteher. Während seine bessere Hälfte konsequent jeden Morgen eine Stunde am Strand entlangjoggte, radelte er mit dem Fahrrad über die Insel und genoss die frische Brise, die über das Meer aus fernen Ländern herbeiwehte. Einfach nur herrlich. Heute war er, wie so oft, früh morgens an den Strand geradelt. Natürlich nicht direkt am Dorf, da wo die ganzen Strandkörbe standen. Nein, er war zuerst bis zur Inselmitte an die Melkhörndüne gestrampelt und erst dort nach links zum Strand abgebogen. Er hatte sein Rad abgestellt, sich entkleidet und sich in die kalten Fluten gestürzt. Eine sehr erfrischende Angelegenheit. Er schwamm dann immer einige Meter hinaus aufs Meer und ließ sich von den Wellen zurück an den Strand tragen.
Auch heute saß er nach seinem Bad, wie Gott ihn geschaffen hatte, im feinen Sand und genoss die Ruhe. Mit geschlossenen Augen lauschte er der Brandung und dem Gekreische der Möwen. Neben ihm lag fein säuberlich der Stapel mit seiner Kleidung, und in der Hand ruhte seine Meerschaumpfeife. Er schätzte, dass es nicht später als sechs Uhr in der Früh war. Genau wusste er es nicht, da er weder eine Uhr noch ein Handy dabeihatte. Wozu auch. Seine innere Uhr funktionierte doch noch tadellos. Nach ihr waren es noch gut und gerne zwei Stunden Zeit, sich für die Arbeit fertigzumachen. Er zündete deshalb in aller Seelenruhe die Pfeife an, sog den Rauch ein und beobachtete die Wellen, die an den Strand rollten. So ein Sandstrand war schon etwas Schönes. Obwohl er natürlich auch Nachteile barg. Dann zum Beispiel, wenn der Sand sich in jede Ritze der nassen Haut setzte und dort wie Paniermehl auf einem Schnitzel klebte. Besonders unangenehm war es, wenn man, wie Martin, nachher noch auf dem Sattel des Fahrrades sitzen und bis zum Dorf radeln musste. Sand in der Kimme, wie man den Landstrich unterhalb des Rückens in Köln zu nennen pflegte, war eine äußerst unangenehme Sache. Da half nur eins. Gleich, vor der Abfahrt, noch einmal gut im Meer durchspülen, sorgfältig abtrocknen und dann bloß nicht noch mal in den Sand setzen, bevor man seinen Schlüpfer angezogen hatte.
Heute war es relativ windstill. Wobei der Wind hier am Strand immer ein bisschen wehte, auch wenn man ihn im von den Dünen geschützten Inneren der Insel kaum noch wahrnahm. Martin blies den aromatisch nach Vanille schmeckenden Rauch in den klaren Morgenhimmel und lauschte wieder dem Gezeter einiger Möwen. Er stutzte: War da nicht noch ein anderes Geräusch? Etwas, das klang wie ein klägliches Jaulen? Er konzentrierte sich auf die Misstöne, die hier definitiv nichts zu suchen hatten. War das vielleicht ein Seehundbaby, ein Heuler, der von seiner Mutter getrennt worden war und jetzt um Hilfe rief? Also jetzt nicht so wie ein Mensch, sondern in der Sprache der Seehunde eben.
Martin klopfte seine Pfeife aus und griff sich seine Latzhose. Nachdem er sie angezogen hatte, ging er langsam in die Richtung, aus der das Klagen kam. Den Sand, der jetzt in seiner Hose scheuerte, würde er später noch unbedingt entfernen müssen, bevor er sich da was wund scheuerte. So etwas ging rapzap und war nicht zu unterschätzen. Jetzt interessierte ihn erst einmal nur, welches Geschöpf sich da gerade so zu quälen schien. Nein, ein Heuler war das nicht, die klangen anders. Vielleicht eine ausgewachsene Robbe, die sich in einem alten Fischernetz verheddert hatte? Ja, das könnte schon eher sein. Da stellte sich allerdings die Frage, wie das Tier und das Netz zwischen die Dünen geraten waren, die ja schon einige Meter von der Wasserlinie entfernt waren. Auf allen vieren kraxelte er durch den losen Sand eine sehr steile Düne empor und staunte nicht schlecht, als er in das Tal dahinter blicken konnte.
„Ja, wat bist du denn für einer?", fragte er den pechschwarzen Hund mit dem Zottelfell, den Schlappohren und der schneeweißen Zeichnung auf der Schnauze bis hoch zu den Augen.
Natürlich konnte er nicht verstehen, was das Hundchen ihm antwortete. Doch egal was es war: Es klang äußerst jämmerlich. Vorsichtig rutschte Martin die Düne herunter, bis kurz vor das struppige Etwas. Durch das Wimmern des Tieres hörte er das Klappern von Metall. Als er die Ursache des metallischen Klirrens herausfand, fühlte er plötzlich eine unermessliche Wut in sich aufsteigen. Die rechte Vorderpfote des armen Tieres steckte in einem rostigen Eisending, das an einer Kette hing, die wiederum an einem Pflock im Sand befestigt war.
„Ja, wo gibt dat denn sujet", schimpfte er und näherte sich vorsichtig dem armen Hund, der tatsächlich in einer Tierfalle steckte. Martin kannte diese Art von Fallen nur aus dem Fernsehen. Mit solchen Dingern fingen die Trapper im Wilden Westen Bären und anderes Getier. Wer zum Teufel stellte so ein Mistding bloß hier zwischen den Dünen auf Langeoog auf? Hier gab es doch weder Bären noch Wölfe. Er musste handeln.
„Jetzt pass mo uff, liebes Hundchen. Mir zwei, mir machen jetzt ene Geschäft. Der liebe Onkel Maddin, der befreit dich jetzt aus dem Dingens da, und dafür tust du den nit beissen tun. Verstanden?", schlug er dem Vierbeiner vor. Martin konnte nicht sagen warum, aber er hatte tatsächlich das Gefühl, das Hundchen würde ihn verstehen. Er ging in die Hocke und krabbelte dann auf allen vieren, ganz vorsichtig, weiter auf das Tier zu. Als Kind hatte Martin sich immer einen Hund gewünscht, doch seine Eltern waren strikt dagegen gewesen. Einmal hatte er einen Dackel, den er am Rheinufer gefunden hatte, mit nach Hause gebracht und ihn in seinem Zimmer versteckt. Als sein Vater es rausbekam, hatte er dem kleinen Martin wie so oft die Hosenbeine stramm gezogen. Aber so etwas von heftig. Er hatte zwei Tage nicht sitzen können, so weh hatte sein Hinterteil getan, nachdem der hölzerne große Kochlöffel darübergetanzt war. Dagegen war das bisschen Kratzen an seinem Popo, von dem feinen Sand in seiner Latzhose, heute beinahe eine wahre Wohltat. Die fuffzig Mark Finderlohn, die der Besitzer des Dackels damals springen ließ, hatte sein alter Herr aber dann doch gerne eingesteckt und sofort in der nächsten Kneipe versoffen. Alles in allem ein Kindheitserlebnis, das sich in Martins Hirn förmlich eingebrannt hatte. Vorsichtig streckte Martin dem Hund seine Hand hin. Das Tier knurrte kurz, schnüffelte dann aber interessiert und begann schließlich wieder zu winseln. Der erste Schritt war also schon mal getan. Vorsichtig näherte er sich dem Kopf des Tieres und strich nun über das lange flauschige Fell. Erst jetzt sah er, dass nicht nur ein Teil des Kopfes zwischen den Augen weiß war, sondern auch alle vier Pfoten. Er überlegte, was das wohl für eine Rasse war. Er hatte keine Ahnung. Es war jetzt im Moment auch vollkommen egal.
„Ja, der Onkel Maddin … der tut dir nix. Der will dir nur helfen", beruhigte er das Hundchen und besah sich die blutende Wunde oberhalb der Hundepfote. Das sah ja gar nicht gut aus.
„Lumpi, du musst jetzt ganz tapfer sein", erklärte er dem Tier, das er soeben auf den Namen getauft hatte,
den er vor vierzig Jahren schon einmal dem Funddackel gegeben hatte. Dann fasste er mit beiden Händen die
rostige Bärenfalle und drückte sie mit aller Kraft auseinander. Das Hundchen fiepte und machte einen Satz nach hinten.
„Siehste, Lumpi, dat war doch gar nit so schlimm", meinte er zu dem Hund, der nun sogar mit dem Schwanz wedelte. Martin betrachtete noch einmal die Wunde am Vorderlauf des Hundes. Also, gut sah das nicht aus. Nein, ganz und gar nicht. Es wäre wohl das Beste, wenn er den Hund zu einem Tierarzt brächte. Dumm war nur, dass es auf der Insel keinen Veterinär gab. Die nächste Praxis befand sich auf dem Festland in Esens.
„Lumpi, et hilft nix, mir müssen einen finden, der sich dein Füßchen mo angucken tut", entschied er und versuchte sich dem Hund zu nähern. Doch der schien von dem Gedanken nicht allzu begeistert zu sein, drehte sich um und hinkte schwerfällig durch den Sand davon. Als der Vierbeiner die Kuppe der nächsten Düne erreicht hatte, legte er sich dort hin und beobachtete Martin misstrauisch.
„Na gut, wer net will, der hat schon", entschied Martin und widmete seine Aufmerksamkeit der Bärenfalle. Dass die tatsächlich für einen Bären ausgelegt war, glaubte er nicht. Nein, so ein Bär hatte sicherlich eine wesentlich größere Pfote als so ein Hund. Selbst für den Fuß eines erwachsenen Menschen schien ihm das Ding noch zu klein. Wobei, nein, für einen Menschen könnte es gerade noch so reichen. Doch ausprobieren würde er es nicht wollen.
An der Falle hing eine Kette, die wiederum mit einem Karabiner an einem Eisen befestigt war, das ziemlich fest im Sand steckte. Auch die Kette würde so ein richtiger Grizzlybär bestimmt zerreißen wie einen Wollfaden. Aber mal egal, das Ding musste hier weg. Martin zog also, so fest er konnte, an dem Eisen, das in den Boden eingeschlagen war. Doch leider ohne Erfolg. Dieser blöde Bodenanker bewegte sich keinen Millimeter. Er beschloss deshalb, morgen früh noch einmal herzukommen, um das Ding auszugraben. Nicht auszudenken, wenn sich an dem Eisen jemand verletzen würde. Er löste fürs Erste lediglich den Karabiner von der Kette und trug die Falle dann zu seinem Fahrrad. Suchend sah er sich nach dem Hund um. Er entdeckte ihn an der Stelle, wo der Weg die lange Dünenkette durchbrach.
„Lumpi, mein letztes Angebot: Komm mit, und ich bring dich zum Onkel Doktor", bot er dem Schlappohr an und glaubte dann zu sehen, wie der Hund den Kopf schüttelte, als würde er Martin verstehen. Ja, vermutlich verstand das schlaue Tier ihn sogar ziemlich genau. Nur, ob es tatsächlich auch schlau war, mit einer solchen Verletzung weiter hier im Sand herumzurennen, da war Martin sich nicht so sicher. Da, wo die Wunde und das Blut waren, sah die Pfote nämlich schon aus wie ein Wiener Schnitzel. Kein schöner Anblick … also, die Wunde jetzt und nicht das Schnitzel.
*
Onno Federsen liebte seinen Job als Inselpolizist. Seit beinahe drei Jahren lebte er nun das ganze Jahr auf Langeoog. Zuvor war er lediglich während der Saison auf der Insel gewesen. Im Winterhalbjahr musste er dann im Raum Wittmund Streife fahren. Das war weniger schön gewesen. Den endgültigen Wechsel zur Inselpolizei hatte er deshalb noch keinen Tag bereut.
Da er bisher noch keine Wohnung gefunden hatte, wohnte er noch immer zur Untermiete bei Tine Humbold, einer ehemaligen Lehrerin aus Dortmund. Tine war, genau wie Onno, keine Einheimische. Sie hatte spontan, nach dem Tod ihres Mannes vor einigen Jahren, ihre Zelte an der Ruhr abgebrochen und war auf die Insel gezogen.
Onno wurde jedoch in letzter Zeit irgendwie das Gefühl nicht los, dass Tine mehr von ihm wollte als die monatliche Miete. Seit drei Wochen fing sie ihn regelmäßig jeden Morgen, wenn er aus seinem kleinen Apartment hinunterstieg, am Fuße der Treppe ab, um ihm einen schönen Tag zu wünschen und ihm dabei eine Papiertüte mit geschmierten Broten und etwas Obst zu überreichen. Ein Service, der so im Mietpreis nicht enthalten war, den er aber dennoch, der Bequemlichkeit wegen, dankend annahm. Wenn er dann am Abend nach Hause kam, erwartete sie ihn bereits an der Haustür, um ihn mit in ihre gute Stube zu schleppen, wo sie dann jedes Mal auftischte, als sei ein Feiertag. Tine konnte hervorragend kochen. Es war Onno auch nicht wirklich lästig, dass sie ihn so dermaßen umgarnte, nein, das nicht. Im Grunde mochte er Tine ja auch. Doch die Frage war, wo das noch hinführen könnte. Onno und die Frauen, das passte irgendwie nicht. Seine letzte feste Freundin Gisela, von der er sich bereits vor sieben Jahren getrennt hatte, hatte es zuvor ziemlich treffend auf den Punkt gebracht. Onno war nicht beziehungstauglich. Er selbst würde es ein wenig anders formulieren. Er sah sich mehr als den Typ „einsamer Wolf". So ein Wolf zog auch lieber frei wie der Wind durch die Steppe, anstatt sich an die Leine legen zu lassen. Onno genoss seine Freiheit. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Wenn er abends schon mal einen über den Durst trank – dann war das eben so. Auch wenn er gelegentlich mal mit einer einsamen Touristin flirtete, war es so, wie es war.
Heute Morgen war es nicht wie sonst. Tine wartete erst gar nicht, bis er nach unten kam, sondern hämmerte bereits an die Tür seines Zimmers, als er sich gerade ankleidete.
„Onno, du hast Besuch", hörte er ihre Stimme trällern. Onno stutzte. Wer sollte ihn morgens um zehn nach sieben besuchen wollen?
„Einen kleinen Moment, Tine, ich bin in einer Minute fertig", beschied er ihr und wollte schon nach seinem Jackett greifen, das zusammen mit dem Gürtel, an dem die Pistole, die Handschellen und der ganze andere Krempel befestigt waren, über dem einzigen Stuhl hing. Das meiste von dem Zeugs an dem Gürtel waren Dinge, die man als Inselpolizist eigentlich gar nicht brauchte, die aber nun einmal zur Ausrüstung eines Polizisten gehörten. Zum Beispiel die Pistole. Onno konnte sich nicht erinnern, wann er die zuletzt aus dem Holster gezogen hatte. Trotzdem schleppte er das Ding immer mit sich herum. Geladen war sie aus Gewichtsgründen nicht. Oder die Handschellen. Er hatte keine Ahnung, ob die überhaupt noch funktionierten. Den Schlüssel dazu hatte er schon länger nicht mehr gesehen. Doch Vorschrift war nun mal Vorschrift, und er musste diesen Kram eben mit sich herumschleppen.
Doch auf die Uniformjacke würde er zumindest heute verzichten können. Die im Fernsehen hatten gestern in der Wettervorhersage etwas von hochsommerlichen Temperaturen erzählt. Da reichte es, lediglich im kurzärmligen Hemd auf die Wache zu radeln. Er schnappte sich also nur den Gürtel, band ihn sich um und war gespannt, wer so früh am Morgen schon etwas von ihm wollte.
Als er die Treppe hinunterstieg, vernahm er bereits Stimmen aus Tine Humbolds guter Stube. Er musste lächeln, als er den Kölner Dialekt erkannte.
„Moin, Maddin", begrüßte er das Kölner Urgestein, als er die hübsch eingerichtete Friesenstube betrat. Martin saß am Tisch und trank Kaffee. Wie immer trug er seine blaue Arbeitslatzhose. Darunter ein T-Shirt mit dem Logo des 1. FC Köln und an den Füßen die bunten Nike-Turnschuhe. Rechts einen mit blauem und links einen mit rot- gelbem Logo. Onno war überrascht, Martin hier so früh anzutreffen. Was der wohl von ihm wollte?
„Moin moin, Onno", erwiderte das Kölner Unikat friesisch echt und prostete ihm mit einem Kaffeepott zu. Tine besaß nur solch große Tassen. Die meisten davon waren mit den gängigen Nordseemotiven bedruckt, wie Leuchttürmen, Seehunden und so einem Zeugs. Eben solche Becher, wie man sie in den diversen Souvenir- und Kitschläden überall entlang der Küste und auch auf den Inseln fand. Auf dem Pott in Martins Hand prangten allerdings eine Sonne und der Slogan ATOMKRAFT NEIN DANKE. Vermutlich ein Relikt aus Tines früherem Leben.
„Magst du auch einen Kaffee oder lieber einen Tee?", erkundigte Tine sich, die wie jeden Morgen bereits adrett gekleidet und ordentlich frisiert war. Sie trug eine beige Hose, dazu passende braune Schuhe mit halbhohen Absätzen und eine helle Bluse. Gerade so, als müsse sie gleich zur Schule. Onno hatte Tine noch nie im Nachthemd oder in bequemer Hauskleidung gesehen. Nein, so wie sie ihm da jeden Morgen am Fuße der Treppe auflauerte, erinnerte sie ihn ständig an seine Deutschlehrerin Frau Lieselotte Schnäbelchen. Eine fürchterliche Person, zumindest hatte Onno sie so in Erinnerung. Vermutlich lag es tatsächlich nur an Onnos düsteren Erinnerungen an seinen alten Schuldrachen, dass er sich so gar nicht auf die Flirtversuche seiner Vermieterin einlassen konnte. Weil, direkt hässlich war Tine Humbold eigentlich nicht. Nein, ganz im Gegenteil. Sie hatte die richtigen Rundungen an genau den Stellen, wo sie sein sollten, und auch ihr Gesicht würde Onno durchaus als hübsch bezeichnen. Sogar menschlich gefiel sie ihm. Neulich hatte er sich einmal die Mühe gemacht und seine alten Schulfotos herausgesucht. Auf einem der Klassenfotos war auch Lieselotte Schnäbelchen zu sehen gewesen. Das Ergebnis seiner Recherche war ernüchternd. Die alte Schnäbelchen und Tine ähnelten sich optisch noch nicht einmal im Ansatz. Die waren zwei vollkommen verschiedene Paar Schuhe. Dennoch erinnerte Tine ihn an die alte Lehrerin. Eine sehr seltsame Sache, die sich vermutlich darin begründete, dass Onno von Tines beruflicher Vergangenheit wusste.
Onno lehnte dankend sowohl den Kaffee als auch den Tee ab. Wobei er schon gerne einen ordentlichen Tee getrunken hätte. Doch das müsste warten, bis er in seinem Büro war. Pünktlich um halb acht musste er schließlich erst einmal die Dienststelle aufsperren. Da hatte er jetzt keine Zeit mehr für ein Kaffeekränzchen und schon gar nicht für einen ordentlichen Friesentee. So ein traditioneller Tee brauchte schließlich seine Zeit. Den musste man in Ruhe genießen. Was halfen die dicksten Kluntje darin, wenn der Zucker keine Zeit bekam sich aufzulösen? Nein, er wollte jetzt endlich wissen, weshalb Martin von Schlechtinger schon so früh hier war.
Onnos Blick fiel auf ein rostiges Eisending, das neben Martins Kaffeetasse auf dem Tisch lag und nach dem der Kölner nun griff.
„Ich hatte gedacht, ich bring dir dat noch kurz vorbei, bevor ich uf die Maloche muss, Onno", meinte der und hielt ihm das Ding hin.
Onno betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen.
„Und was soll ich damit anstellen, wenn die Nachfrage erlaubt ist?", äußerte er sich skeptisch.
Das Metallding erinnerte ihn an ein altes Fangeisen, wie man sie gelegentlich in diesen Dokumentationen im Fernsehen aus Alaska und dem Wilden Westen sah. Aber was zum Teufel sollte er damit hier auf Langeoog fangen? Für Gauner und Verbrecher war so ein Fangeisen eher ungeeignet. Außerdem gab es hier auf der Insel überhaupt keine großen Verbrechen. Onnos Tagesgeschäft bestand in der Hauptsache aus der Aufnahme von Fahrradunfällen mit und ohne Personenschäden.
„Stell dir vor, Onno, Martin hat diese grässliche Falle draußen in den Dünen gefunden. Irgendwer hat sie da aufgestellt, ein Hund ist hineingetreten und hat sich ganz schlimm an der Pfote verletzt", mischte sich Tine ein.
„Ein Hund … verletzt … wo?", fragte Onno erstaunt, nahm nun doch das Fangeisen von Martin entgegen und betrachtete es genauer. Deutlich waren noch Spuren von Blut und einige Haare daran zu erkennen. Das war ja mal ein Ding! So etwas war ihm noch gar nicht untergekommen. Schon gar nicht hier auf seiner Insel. Onno spürte, wie
