Zwischen Schutt und Asche: Hamburg in Trümmern 1 (Kriminalroman)
Von Thomas Herzberg
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Über dieses E-Book
Hamburg, Mai 1946: In einer Ruine nahe dem Bahnhof Altona werden die Leichen von drei jungen Frauen gefunden. Die Bevölkerung ist anfänglich schockiert, regelrecht in Aufruhr. Doch in einer nahezu vollständig zerbombten Stadt, die sich nur sehr schleppend von ihren Wunden erholt, geraten selbst abscheuliche Verbrechen schnell wieder in Vergessenheit – Hunger und Elend beherrschen den Alltag fast aller.
Allein die Kommissare Thiesen und Pfeiffer suchen immer verbissener nach einem Mörder, der sich hinter Korruption, Gleichgültigkeit und Habgier bestens zu verstecken weiß. Als sich ausgerechnet den britischen Besatzern plötzlich ein Mann stellt, der die schrecklichen Taten gesteht, scheint der Fall gelöst zu sein.
Nur wenige ahnen, dass damit erst die wahren Verantwortlichen aus ihrer Deckung gezwungen werden. Die Ereignisse überschlagen sich, ein tödlicher Wettlauf beginnt, dessen Ausgang bis zum Schluss völlig ungewiss bleibt …
"Zwischen Schutt und Asche" ist der erste Band der Reihe "Hamburg in Trümmern". Jeder Band ist in sich abgeschlossen. 
Der zweite Band "Zwischen Leben und Tod" ist ebenfalls in allen Onlineshops erhältlich.
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Buchvorschau
Zwischen Schutt und Asche - Thomas Herzberg
1
»Ich weiß nicht, was Sie erwartet haben, Herr Thiesen. Einen roten Teppich?«
»Was erwartet man als zukünftiger Leiter der Mordkommission? Nicht viel, aber zumindest ein Büro mit Fenster.«
Hans Maler konnte ein Schnaufen nicht unterdrücken. Vor einigen Wochen erst hatte man ihn – nach einem nicht enden wollenden Prozedere – zum neuen Chef der Hamburger Kriminalpolizei gemacht.
1946. Es war Mai. Der Zweite Weltkrieg, also die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht, lag gerade mal ein gutes Jahr zurück. Die alliierten Sieger wollten um jeden Preis verhindern, dass Überbleibsel der Naziherrschaft Schlüsselpositionen im neu zu errichtenden Deutschland einnahmen. Viele Posten waren bis heute unbesetzt, weil es schlichtweg zu wenig Männer mit halbwegs reiner Weste gab.
»Wenn es nach mir gegangen wäre, dann säße ein anderer auf Ihrem Stuhl«, sagte Hans Maler in gleichgültigem Ton.
»Der hat übrigens nur dreieinhalb Beine«, protestierte Hermann Thiesen kopfschüttelnd.
»Und selbst für den habe ich zwei Tage lang gekämpft! Für Ihren Schreibtisch und ein paar weitere, noch brauchbare Exemplare bin ich ’ne halbe Woche kreuz und quer durch Hamburg gefahren.«
»Dann verraten Sie mir am besten, warum ich es bin, der den Posten am Ende bekommen hat.« Thiesen hatte beschlossen, lieber das Thema zu wechseln. Dieses erste Gespräch mit seinem neuen Chef sollte zumindest angenehmer enden, als es angefangen hatte. »Ich habe vorher nie etwas mit Mord zu tun gehabt.«
»Können Sie mit der Wahrheit umgehen, Kollege?«
»Ob Sie’s glauben oder nicht – aber mit der Wahrheit kann ich immer noch am besten umgehen.« Thiesen schaffte es sogar, ein halbwegs ehrliches Lächeln zu produzieren.
Hans Maler schnaufte und schaute zur Decke, als er von Neuem begann: »Die Anweisung kam von oben – von den Engländern.«
»Warum?«
»Das wollte ich eigentlich Sie fragen. Wenn Sie es auch nicht wissen, dann kommt mir die Sache noch komischer vor.«
Thiesen rutschte vorsichtig auf seinem Stuhl herum. Zuerst wollte er nicht mehr nachhaken, dann siegte aber doch seine Neugier über die Vernunft: »Gibt es noch andere Gründe, die in Ihren Augen gegen mich sprachen?«
»Allerdings! Ihre Akte ist blitzsauber, und das, obwohl Sie schon seit acht Jahren der Hamburger Polizei angehören.«
»Ich würde das eher als positives Vorzeichen werten. Zumindest habe ich mir nichts zu Schulden kommen lassen.«
»Waren Sie Mitglied in der Partei?«
»Natürlich! Sie etwa nicht?«
»Zeigen Sie mir mal einen Polizisten, der heute noch im Dienst oder auch nur am Leben ist, der nicht Teil dieser braunen Einheitssch…« Den Rest verschluckte Hans Maler gepflegt.
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Die meisten, von denen man nichts gehört hat, hatten Freunde in der Partei. Sie verstehen …?«
»Immer noch nicht! Aber vielleicht sollten wir das lieber lassen.« Hermann Thiesen hatte sich erhoben und schob den klapprigen Stuhl vorsichtig mit dem Fuß ein Stück beiseite. »Wahrscheinlich wäre es empfehlenswert, wenn wir uns offiziell darauf einigen, dass Sie mir die Leitung der Mordkommission übertragen haben, weil Sie keinen Besseren für diesen Posten gefunden haben. Jede andere Variante würde zu Irritationen führen.«
Hans Maler nickte nur und griff nach seiner Kaffeetasse, deren Henkel abgebrochen war. Er nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. »Zichorienkaffee, ich könnt kotzen«, presste er heraus. »Mittlerweile werden echte Kaffeebohnen fast mit Gold aufgewogen.«
»Wenn es nur Kaffee wäre! Ich habe das Gefühl, als ob es an allem mangelt, womit wir ein halbwegs komfortables Leben verbinden.« Thiesen stieß den Atem geräuschvoll aus. »Wenigstens ist der endlose Winter vorbei und damit auch ein großer Teil der schlimmsten Hungersnot.«
»Sei’s drum … noch Fragen?«
»Kann ich davon ausgehen, dass ich regelmäßig Bezugsscheine für die wichtigsten Dinge bekomme?« Thiesen setzte ein schräges Grinsen auf. »Mit Geld können Sie mich kaum bezahlen, solange man dafür nirgends etwas bekommt.«
»Das Einzige, wovon Sie ausgehen können, ist, dass ich alles versuchen werde, um meine Leute mit dem Nötigsten zu versorgen.« Hans Maler ließ seinen Kopf hängen und schüttelte ihn mechanisch. Plötzlich sah er wieder auf und musterte sein Gegenüber mit seltsamem Blick. »Sie wollten doch die Wahrheit, also bekommen Sie ein gutes Stück davon!« Der Kripochef lachte über seine Ankündigung und fuhr noch lauter fort: »Ich habe keine Ahnung, wie es überhaupt weitergehen soll. Aber wenn jemand in unserer Stadt herumlaufen und wahllos Menschen umbringen kann, dann brauchen wir wiederum einen anderen, der ihm auf die Finger klopft.«
»Klingt aufregend, wenn der Magen vor Hunger knurrt und die Beine weich wie Pudding sind.«
»Hören Sie auf, von Pudding zu reden! Da läuft mir sofort das Wasser im Munde zusammen.«
Eine weitere Sackgasse, musste Thiesen feststellen. Zeit für ein anderes Thema: »Aus wie vielen Männern wird die neue Mordkommission denn bestehen?« Sein Gesicht verriet, dass er die Antwort bereits kannte und nur eine Bestätigung seiner Vermutung einforderte.
»Sie bekommen einen Assistenten.« Hans Maler schob eine dünne Mappe über seinen Schreibtisch und nickte zufrieden, als Thiesen sofort danach griff und sie aufschlug.
»Johann Pfeiffer«, nuschelte der Oberkommissar vor sich hin. »Der Kerl ist gerade mal vierundzwanzig!«, entfuhr es ihm dann erstaunt, nachdem er die ersten Zeilen überflogen hatte. »Hat der Bursche überhaupt einen Schulabschluss?«
»Einen besseren als Sie, falls Sie’s genau wissen wollen.«
»So genau wollte ich es eigentlich nicht wissen«, gab Thiesen leise zurück und blätterte weiter. »Ich sehe hier zwei Einträge. Er hat Schwarzmarktware an seine Kollegen verteilt.«
»Und Sie werden lange suchen müssen, um einen zu finden, in dessen Akte so etwas nicht steht.« Hans Maler lächelte gequält. »Natürlich abgesehen von Ihrem Musterexemplar.« Sein Ton verdeutlichte, was er, in schweren Zeiten wie diesen, über allzu gesetzestreue Polizisten dachte.
»Wo ist der Kollege?« Thiesen hielt es erneut für besser, das Thema zu wechseln. In absehbarer Zeit dürften sein neuer Chef und er vermutlich keine Freunde werden.
»Sollte bereits in Ihrem Büro auf Sie warten. Zumindest hat er die Anweisung.«
»Gut!« Thiesen nahm Haltung an und war im Begriff, sich zu verabschieden. »Gibt es sonst noch etwas?«
»Ihren ersten Fall. Die Akte liegt auf Ihrem Schreibtisch.«
»Worum geht’s?«
»Sie werden es nicht glauben – um Mord!«
»Sehr witzig! Was ist passiert?«
»Soll ich Ihnen vielleicht auch gleich den Mörder auf einem Silbertablett servieren?« Hans Maler schüttelte den Kopf und gab ein leises Stöhnen von sich. »Sie sind der neue Chef der Mordkommission und es ist Ihre Aufgabe, einen Täter schnellstmöglich zu finden und ihn hinter Schloss und Riegel zu bringen. Haben Sie das verstanden?«
»Natürlich, Chef!« Thiesen zog die Mundwinkel hoch und nickte angedeutet. »Schönen Tag noch, Herr Maler.«
Auf dem Weg in sein fensterloses Büro begegnete der Oberkommissar auf den Fluren nur vereinzelt ein paar Kollegen, die es offensichtlich allesamt eilig hatten. Die wenigsten schauten überhaupt auf und nahmen Notiz von ihrer Umgebung oder möglichen Details. Wegschauen, das hatte dieses Volk gründlich gelernt. Und es schien so, als würde diese zweifelhafte Fähigkeit das Kriegsende noch viele Jahre überdauern. Die meisten hatten einfach nur Angst und hofften, dass man sie nicht mit irgendeinem Kriegsverbrecher verwechselte und womöglich kurzerhand an einem Laternenmast aufknüpfte. Wobei davon auszugehen war, dass es in der Hamburger Polizei unverändert von NS-Verbrechern nur so wimmelte. Manche hatten falsche Namen angenommen und sogar mühevoll ihr Äußeres verändert, um selbst einer Gegenüberstellung mit Überlebenden des Wahnsinns standzuhalten. Trotzdem flogen jede Woche ein bis zwei Kollegen auf, denen man – sei’s zu Recht oder zu Unrecht – alle möglichen Gräueltaten vorwarf.
Hermann Thiesen musste seiner Bürotür einen kräftigen Tritt verpassen, bevor die sich widerwillig vor ihm auftat. Erneut schlug ihm sofort der muffige Geruch von Akten entgegen, die sich bergeweise in verschimmelten Holzkisten an den Wänden und mitten im Raum auftürmten: Überreste aus über einem Jahrzehnt an Mordermittlungen im Nazideutschland. Vermutlich hätte man den ganzen Stapel in den Hof fahren und anzünden können, ohne dabei etwas Werthaltiges zu zerstören. Thiesen zweifelte daran, dass er eine dieser Akten jemals wieder in die Hand nehmen, geschweige denn darin blättern würde.
Das einzige Licht im Raum stammte von einer trüben Glühlampe, die am Ende eines uralten Kabels in einer Keramikfassung von der Decke baumelte. Dieses muffige Loch hatte absolut nichts von einem Büro, dafür umso mehr von einem Archiv, besser noch: einem Akten-Friedhof. Und auch dieser Pfeiffer hatte sich noch nicht wie erwartet eingefunden. Ein perfekter Anfang! Gleich am ersten Tag unpünktlich zu erscheinen, warf einen dunklen Schatten auf die künftige Zusammenarbeit.
Thiesen schob sich vorsichtig zwischen zwei Reihen Kisten hindurch und ließ sich am Ende ganz behutsam auf seinem dreieinhalbbeinigen Stuhl nieder. Den Höhenunterschied hatte er schon bei seiner ersten Inspektion mit ein paar dicken Büchern ausgeglichen. Trotzdem kippelte er fortwährend von einer Seite zur anderen. Das machte es schwer, sich auf etwas Sinnvolles zu konzentrieren.
Im Vergleich zum Vortag – Thiesen hatte nur einen kurzen Blick in sein zukünftiges Büro geworfen und es danach wieder fluchtartig verlassen – hatte sich jedoch eine Sache verändert. Mitten auf seinem verstaubten Schreibtisch lag eine Akte, die vorher noch nicht dort gelegen hatte. Da war er sich ganz sicher. Gerade als er die erste Seite aufschlug, klopfte es energisch. Einen Atemzug später steckte ein junger Mann den Kopf durch die Tür und presste ein viel zu lautes »Moin!« heraus. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, schob sich der Kerl zwischen zwei anderen Stapeln hindurch und nahm auf einem davon Platz. »Pfeiffer, Johann!« Der Eindringling grinste und nickte dazu aufmunternd. »Schätze, wir müssen es in Zukunft miteinander aushalten.«
»Müssen wir?« Auch Thiesen war um ein Lächeln bemüht. Er wollte nicht gleich jede Chance auf ein freundliches Kennenlernen zunichtemachen. »Ist das so, ja?«
»So ist es, Chef!« Pfeiffer sprang auf und streckte seine riesige Pranke aus. Erst jetzt stellte Thiesen fest, dass es sich bei seinem zukünftigen Kollegen um einen wahren Riesen handelte. Von der Statur her könnte es dieser Bär in Menschengestalt vermutlich mit einem halben Dutzend ausgewachsener Raufbolde zugleich aufnehmen. Und das mit Sicherheit, ohne dabei selbst ernsthafte Blessuren davonzutragen.
»Wie groß sind Sie … zwei Meter?« Für Thiesen, der es – gut gemeint – auf rund einen Meter siebzig brachte, dürfte diese Zusammenarbeit in erster Linie mit Nackenschmerzen vom ständigen Hochschauen verbunden sein.
»Ein bisschen mehr als zwei.«
»Eltern, Kinder?«
»Mein Vater ist tot, meine Mutter …« Pfeiffer verschluckte den Rest. Für solche Informationen schien es ihm offenbar zu früh zu sein. »Und was Kinder betrifft: negativ, Kapitän.«
»Und wie sind Sie zur Polizei gekommen?« Hermann Thiesen deutete auf den Kartonstapel, was bedeutete, dass Pfeiffer sich wieder setzen sollte. »Erzählen Sie – was hat Sie in diesen Laden verschlagen?«
»Hab gehört, hier gibt es Arbeit und zumindest was zwischen die Zähne.«
»Das bekommen Sie als Dachdecker auch«, erwiderte Thiesen viel zu nüchtern. »Wahrscheinlich sogar noch besser, weil die meisten seit Kriegsende auf ein paar halbwegs unversehrte Dachziegel und trockene Füße hoffen.«
»Ist Ihr Dach auch kaputt, Chef?«
»Und wenn’s so wäre?« Thiesen blieb misstrauisch.
»Mein Vetter Waldemar hat ganz gute Kontakte. Falls Sie irgendwann was brauchen, dann besorgt er’s …«
»Das habe ich schon gehört!«
»Was haben Sie gehört?«
»Die Sache mit der Schwarzmarkt-Ware.«
»Welche Schwarzmarkt-Ware?« Pfeiffer schaute möglichst empört und schüttelte den Kopf. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass ich …«
»Ich will gar nichts sagen!« Thiesen war aufgesprungen und beugte sich über seinen Schreibtisch. Die Platte ächzte bedrohlich unter seinen Händen. »Wir sind hier, um Hamburg sicherer zu machen … Mörder zu finden.« Er zog die Mundwinkel hoch und fixierte Pfeiffers Augen mit eisigem Blick. »Es ist mir völlig egal, was Sie in Ihrer Freizeit treiben. Und wenn Sie der Schwarzmarkt-König vom Dammtor wären – solange Sie im Dienst sind, will ich davon nichts sehen und nichts hören.« Thiesen beugte sich noch ein weiteres Stück vor. Sein Schreibtisch war kurz davor zusammenzubrechen. »Haben wir uns verstanden, Kollege Pfeiffer?«
»Haben wir!« Der junge Kommissar hatte sich ebenfalls erhoben und klatschte in die Hände. Er deutete auf die Akte, die noch immer geöffnet vor Thiesen lag. »Ist das unser erster Mordfall?«
»Das ist mein erster Mordfall! Sie haben vorher etwas anderes zu tun.«
»Und das wäre?« Johann Pfeiffer schien regelrecht vor Energie und Schaffensdrang zu sprühen.
»Aufräumen! Sie können hier erst mal gründlich aufräumen, Kollege.«
2
»Das ist das letzte Teil von meiner Mutter.« Anna Thiesen hielt ihrem Mann die offene Hand entgegen, in der sich ein zierlicher Goldring befand. »Für ihre Kette habe ich heute kaum genug zu essen bekommen, um die Kinder und mich für den Rest der Woche sattzukriegen.«
Direkt nach Feierabend war Hermann Thiesen mit seinen Bezugsscheinen fast bis zum anderen Ende der Stadt gelaufen. Aber nirgends gab es mehr etwas. Selbst sein Dienstausweis und die Aussicht auf kleinere Vorteile hatten am Ende nicht geholfen. Die Geschäfte waren leergeräumt. Nicht mal mehr ein Brotkrümel, für den sich gefräßige Tauben gegenseitig umgebracht hätten, war irgendwo zu finden.
»Wie geht es Marie?«, erkundigte sich Thiesen mit vorsichtiger, fast zitternder Stimme. Deutlich war seine Angst herauszuhören, denn er konnte sich die Antwort bereits vorstellen. »Ist wenigstens das Fieber etwas heruntergegangen?«
»Ihr Kopf glüht noch mehr als gestern«, gab Anna ebenso leise zurück. Sie kämpfte mit Tränen. »Wenn wir nicht schnell irgendwo Penicillin auftreiben, dann bleiben uns nur noch die beiden Jungs.« Mit jedem Wort wurde ihre Stimme kraftloser. »Ich hab solche Angst, Hermann.« Mittlerweile liefen Sturzbäche über ihre Wangen und tropften auf den staubigen Boden zu ihren Füßen.
»Wenigstens hat es nicht geregnet, sonst würde wieder alles unter Wasser stehen.«
»Manchmal wünsche ich mir, dass eine der Bomben unser Haus getroffen hätte. Ein Volltreffer! Nur ein kleiner Moment Angst und man hat es hinter sich.«
»So was darfst du nicht sagen, Anna. Nicht mal denken!«
»Vielleicht kannst du mir verraten, welchen Sinn es hat, dass wir diesen ganzen Wahnsinn überlebt haben.« Anna schnaufte, sie klang verbittert. »Du hast immer gesagt, dass wir auf Gott vertrauen sollen, wenn es Bomben geregnet hat.« Sie funkelte ihren Mann wütend an. Ihre Angst und ihre Verzweiflung schienen ein Stück weit verflogen zu sein. »Auf Gott vertrauen! Und das, obwohl du nicht mal an ihn glaubst.« Sie deutete zur Zimmerdecke, durch die man nicht nur die oberen Stockwerke der Beinahe-Ruine, sondern an manchen Stellen sogar den Himmel sehen konnte. »Wo war dein Gott eigentlich, als die Engländer ihre Bomben geworfen haben?«
Thiesen keuchte und es war deutlich zu sehen, dass er seine Wut herunterschlucken musste, bevor er den Rest des Abends durch etwas Unüberlegtes zum Stummfilm degradierte. »Ich gehe jeden Tag dort raus und kämpfe dafür, dass diese Welt wieder besser wird. Eine bessere Welt und ein besseres Leben«, fuhr er noch ein Stück energischer fort. »Für unsere Kinder, für dich und am Ende vielleicht auch für mich.«
»Und was soll aus dieser Welt werden, wenn Marie stirbt? Hast du darüber mal nachgedacht?«, brüllte Anna. Ihre Spucke segelte quer durch den Raum. »Was ist, wenn sie es nicht schafft«, schluchzte sie, bis ihre Stimme zum ersten Mal kurz versagte. »Wo ist dann deine bessere Welt? Sag schon!«
»Ich mache mir in jeder Minute über nichts anderes Gedanken.« Auch Thiesen schien am Ende seiner Kräfte zu sein. »Vielleicht kann ich …«
»Was kannst du, Hermann? Was?« Anna zitterte vor Wut. »Und warum nur vielleicht?«
»Warte ab! Mir fällt schon was ein ...«
»Dann solltest du dich damit lieber beeilen. Viel Zeit bleibt uns nämlich nicht mehr.«
Den Rest des Abends hatten die beiden eng umschlungen auf dem winzigen Sofa gehockt. Die kleine Marie lag seit Stunden auf Thiesens Schoß und rührte sich kaum. Ihr Atem ging nur ganz flach, ihre Haut war kreidebleich. Nur ihr Kopf glühte und sah aus, als ob man ihn in rote Farbe getunkt hätte.
»Es ist eine Schande, dass wir nicht mal Medikamente für eine Lungenentzündung bekommen«, flüsterte Anna, die aufgestanden war und sich in der anderen Ecke des Zimmers auf einen Stuhl gesetzt hatte, um Socken zu stopfen. »Der Krieg hat alles kaputtgemacht, alles …«
»Nicht uns, Anna! Er hat uns nicht geschafft.«
Thiesens Frau schüttelte müde den Kopf und lächelte ihn mitleidvoll an. »Noch nicht, Hermann … noch nicht. Der nächste Winter kommt bestimmt, und wenn alles so bleibt, wie es ist, dann wird es spätestens im Dezember vorbei sein.«
Weil Hermann Thiesen darauf nichts zu antworten wusste, kraulte er weiter Maries Kopf. Gedankenversunken betrachtete er den winzigen Ofen, den er im vergangenen Winter einem alten Mann abgekauft hatte. Dafür waren die goldene Uhr von Annas Vater und sogar der Ehering ihrer Mutter draufgegangen. Danach hatte er tagelang altes Möbelholz in den Ruinen gesammelt, um es anschließend, mitten im Wohnzimmer, bis unter die Decke aufzuschichten. In seltenen Momenten – das Tauwasser lief ausnahmsweise nicht die Wände hinab – hatten sie es manches Mal fast ein bisschen kuschelig gehabt. Augenblicke des Glücks, in denen er unter der dicken Wolldecke seine Anna mal wieder richtig in den Arm genommen hatte – und weit mehr als das.
»Wie ist dein neuer Chef eigentlich?« Zum ersten Mal an diesem Abend sprach Anna über seine Arbeit. Ein Funken Normalität füllte ihre Stimme – jenseits von Maries Krankheit, Hunger und all den übrigen Problemen.
»Scheint ganz nett zu sein«, log Thiesen, ohne mit der Wimper zu zucken. Er wollte seine Frau keinesfalls noch weiter beunruhigen und damit womöglich eine zusätzliche Baustelle eröffnen, die ihr Sorgen bereitete. »Ich hab sogar mein eigenes Büro. Mit Aussicht in Richtung …«
»Hast du auch Mitarbeiter – Untergebene?«
»Einen!« Thiesen grinste breit. »Auch ein Johann, wie unser Kleiner. Nur dass der Kerl mindestens zwei Meter groß ist und aussieht, wie ein Kleiderschrank. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, der Kollege kann bestens auf mich aufpassen.«
Anna lächelte vorsichtig. Schließlich wusste sie, dass ihr Mann sehr empfindlich reagierte, wenn es um seine schmächtige, geradezu knabenhafte Statur ging. »Johann also ... und wie weiter?«
»Pfeiffer! Übrigens mit drei F ... falls du fragen willst.« Jetzt lachten sie beide. »Und dazu ein ausgewachsenes Schlitzohr, wie’s scheint. Gerade mal vierundzwanzig, aber …«
»Also genau zehn Jahre älter als du«, stellte Anna mit süffisantem Lächeln fest. »Ich weiß noch, wie du damals …«
»Du hast nächste Woche auch Geburtstag!«, unterbrach Thiesen sie etwas zu grob. Plötzlich wirkte sein Gesicht traurig. »Dann hast du mich wieder eingeholt! Aber ich überlege noch, ob ich dir in diesem Jahr ein Brillantcollier oder einen neuen Pelzmantel schenke.«
»Erwarten würde ich beides!«, prustete Anna heraus und nahm ihrem Mann damit gleichzeitig seine Schwermut. »Ich wäre schon zufrieden mit einem Paar warmer Socken.«
Thiesen nickte zuerst, schüttelte dann aber wieder den Kopf, um endlich die trüben Gedanken zu vertreiben.
»Und du bist tatsächlich Leiter der Mordkommission?« Auch Anna schien bemerkt zu haben, dass ein Themenwechsel anstand.
»So ist es, mein Schatz.« Thiesen flüsterte nur. Zum ersten Mal seit Stunden räkelte sich die kleine Marie zaghaft auf seinem Schoß. Er strich ihr sanft über das verschwitzte Haar und wickelte die Decke noch ein Stück fester um ihren dürren, völlig entkräfteten Leib.
»Hat das auch irgendwelche Vorteile, außer mehr Arbeit?« Anna war eine schlaue Frau. Sie hatte bis kurz vor Kriegsende an einem Gymnasium Deutsch und Mathematik unterrichtet. Als Lehrerin hatte sie ihre Freiheiten lange Zeit genutzt, um wie am Fließband Flugblätter für den Widerstand herzustellen. Irgendwann wurde die Sache zu heiß und sie musste Thiesen versprechen, sofort damit aufzuhören. In Sippenhaft hätte ihnen vermutlich nicht einmal mehr ein Schutzengel helfen können. Und das, während ihre Kinder in irgendeinem Heim verhungert oder als Flakhelfer verheizt worden wären.
»Was ist jetzt? Ist so ein Chefposten auch mit Vorteilen verbunden, oder nicht?«
Thiesen kannte seine Frau und wusste, dass er ihr nur selten etwas vormachen konnte. Außerdem ging sie mit der Wahrheit oft viel nüchterner um, als wenn sie ihn beim Lügen ertappte und danach zur Strafe völlig ignorierte.
»Ich kann es dir noch nicht sagen, Anna. Aber wenn nicht alles restlos kopfsteht, dann sollte doch mehr Verantwortung am Ende auch entsprechend belohnt werden. Ich hoffe es zumindest!« Thiesen war nicht mal selbst von dieser Vermutung überzeugt und auch das Gesicht seiner Frau wirkte eher skeptisch. »Ich denke, das Zauberwort lautet Geduld.«
»Geduld«, wiederholte Anna nachdenklich. Kurz darauf verriet ihre trotzige Miene, dass jeden Augenblick etwas Neues folgen würde: »Ich gehe morgen auf den Schwarzmarkt und versuche, den Ring meiner Mutter gegen Penicillin einzutauschen. Geduld ist ein Luxus, den wir uns nicht erlauben können, Hermann!«
»Das tust du nicht!«, erwiderte Thiesen viel zu laut und bereute es im nächsten Moment schon, weil die kleine Marie auf seinem Schoß leise protestierte. »Ich will nicht, dass du zwischen all diesen Banditen herumschleichst. Am Ende zieht dir womöglich noch einer was über den Schädel. Danach ist im günstigsten Fall nur der Ring passé …«
»Dann nimm du ihn«, gab Anna flüsternd zurück. Mit wütender Miene und zitternden Fingern hielt sie ihrem Mann das winzige Schmuckstück entgegen. »Wenn du morgen Abend nicht mit Penicillin nach Hause kommst, dann gehe ich übermorgen los. Wer weiß, vielleicht bin ich sogar froh, wenn mir einer den Schädel einschlägt.«
»Wo sind unsere Jungs?«, fragte Thiesen eine Weile später. Manchmal war es besser, Dinge nicht bis zum Ende zu diskutieren. Insbesondere dann nicht, wenn das Ergebnis ohnehin feststand.
»Karl hat sich nach dem Essen Johann geschnappt. Sie wollten zu den Ruinen runter und Feuerholz sammeln. Der nächste Winter kommt bestimmt«, fügte Anna in verbittertem Ton hinzu.
»Ich will nicht, dass die beiden im Schutt rumklettern und ihr Leben für ein paar Bretter riskieren.«
»Das will ich auch nicht, Hermann, aber ich denke, wir sollten ihnen zumindest das Gefühl geben, etwas Wichtiges zu tun – ein Teil der Sache zu sein.« Anna schnaufte wie eine Dampflok. »Unser Großer wird nächsten Monat zwölf. Da wird es …«
»Mein Gott!« Jetzt keuchte auch Thiesen. »Die Jahre sind wie
