Hermann Kamp | Martin Kroker (Hg.)
SCHWERTMISSION
Urheberrechtlich geschütztes Material! © 2013 Ferdinand Schöningh Paderborn
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Hermann Kamp | Martin Kroker (Hg.)
SCHWERTMISSION
Gewalt und Christianisierung im Mittelalter
Ferdinand Schöningh
Paderborn · München · Wien · Zürich
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Umschlagabbildung
Diese Buchmalerei aus der Apokalypse Heinrich von Heslers zeigt
Ritter des Deutschen Ordens an der Seite des Endkaisers
im Kampf gegen Gog und Magog
(Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, HB XIII 11, fol. 153v.).
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© 2013 Ferdinand Schöningh, Paderborn
(Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1,
D-33098 Paderborn)
Internet: www.schoeningh.de
Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler
Printed in Germany
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn
ISBN 978-3-506-77297-8
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INHALT
Vorwort .....................................................................................
7
HERMANN KAMP
Einleitung ..................................................................................
9
MATTHIAS BECHER
Der Prediger mit eiserner Zunge.
Die Unterwerfung und Christianisierung der Sachsen durch
Karl den Großen ........................................................................
23
MATTHIAS HARDT
Kirchenorganisation oder Aufstand:
Die Christianisierung von Sorben, Elb- und Ostseeslawen in
Ottonen- und Salierzeit ..............................................................
53
FELIX BIERMANN
Überzeugung und Zwang bei der Christianisierung Polens
unter den ersten Piasten .............................................................
67
DAVID CRISPIN
Herrschaft Christi von Meer zu Meer.
Eroberung, Gewalt und Mission im Rahmen der frühen
Kreuzzüge ..................................................................................
93
HERMANN KAMP
Der Wendenkreuzzug ................................................................ 115
KURT VILLADS JENSEN
Bring dem Herrn ein blutiges Opfer.
Gewalt und Mission in der dänischen Ostsee-Expansion
des 12. und 13. Jahrhunderts ..................................................... 139
JÜRGEN SARNOWSKY
Der Deutsche Orden, die Kumanen und die Prußen .................. 159
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6
INHALT
KATRIN BOURRÉE
Gewalt gegen Bekehrte?
Der Konflikt des Deutschen Ordens mit Polen-Litauen
nach 1386 .................................................................................. 181
Abkürzungsverzeichnis ............................................................. 205
Ausgewählte Literatur ............................................................... 207
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KURT VILLADS JENSEN
BRING DEM HERRN EIN BLUTIGES OPFER.
GEWALT UND MISSION IN DER DÄNISCHEN OSTSEEEXPANSION DES 12. UND 13. JAHRHUNDERTS
Im Jahre 1219 wurde Reval, das heutige Tallinn, das die stärkste
und wichtigste Festung der heidnischen estnischen Bevölkerung
bildete, von dem größten dänischen Kreuzzugsheer des ganzen
Mittelalters erobert. Die Esten hatten vorher ihre Ältesten zu den
Christen gesandt „mit Wörtern des Friedens“, aber in dolo waren
diese betrügerisch und besaßen böse Absichten.1 Und tatsächlich
ließen sich die Repräsentanten der Esten zwar taufen und kehrten
zu den ihren zurück, doch drei Tage später griff ein riesiges heidnisches Heer das dänische Lager aus fünf verschiedenen Richtungen
an. Die Esten töteten den vor kurzem geweihten Bischof Theodoric, wobei sie glaubten, er wäre der dänische König Waldemar II.
Während des Kampfes wurden die dänischen Soldaten von den
Heiden hart bedrängt, und nur das resolute Eingreifen des slawischen Kontingents unter der Leitung Fürst Jarimars von Rügen
verhinderte die vollständige Niederlage der Kreuzfahrer. Dann jedoch änderte sich das Kriegsglück, und die Dänen kämpften mit
ihren Hilfstruppen furchtlos und trieben die Esten zur Flucht, die
darauf, so berichtet unsere zeitgenössische Quelle Heinrich von
Lettland, von den Dänen, den Deutschen und den Slawen verfolgt
wurden. Dabei tötete eine geringe Anzahl von Christen mehr als
tausend Heiden. Nach der gewonnenen Schlacht dankten und priesen der König und die Bischöfe den Herrn, weil Er ihnen den Sieg
über die Heiden gegeben hatte.2
1
2
Heinrich von Lettland: Henrici Chronicon Livoniae, ed. von Leonid Arbusow /
Albertus Bauer (MGH SS rer. Germ. 31). Hannover 1955, XXIII, 2, S. 155.
Ebd., S. 155f.
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Kurt Villads Jensen
Fast drei Jahrhunderte später wiederholt eine andere Quelle diese Geschichte.3 Sie berichtet zudem, dass den Dänen auch vom
Anblick der dänischen Fahne mit dem weißen Kreuz auf rotem
Grund, die vom Himmel fiel, geholfen wurde. Hierbei handelt es
sich zwar um ein spätes Zeugnis, doch ist diese Episode insofern
aussagekräftig, als im frühen dreizehnten Jahrhundert allenthalben
im übrigen Europa Kreuze und Fahnen am Himmel gesehen wurden.4
Das heidnische Reval wurde am 15. Juni 1219 erobert, wobei es
sich um kein zufälliges Datum handelt. Ein halbes Jahrhundert zuvor, im Jahre 1168, war der größte heidnische Kultplatz in Nordeuropa, Arkona auf Rügen, von dem dänischen König Waldemar I.
ebenfalls am 15. Juni, dem Feiertag des heiligen Vitus, erobert
worden.5 Auch im Anschluss an diese Eroberung wurden Heiden in
den folgenden Jahrzehnten blutig abge-schlachtet.
Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Christianisierung und der Gewaltanwendung im Rahmen der dänischen
Ostsee-Expansion. Das gilt ebenso für die Expansion des 12. Jahrhunderts in die wendischen Gebiete wie für das Vordringen im 13.
Jahrhundert nach Estland. Wir haben zwei detaillierte, stilbewusste
und ideologisch durchdrungene Erzählungen dieser Expansion:
zum einen die Gesta Danorum, „Die Geschichte der Dänen“, verfasst vom Saxo Grammaticus in den Jahren um 1200,6 und zum
3
4
5
6
Die Noten des dänischen Franziskanerbruders Peder Olsen von 1527. In:
Scriptores minores historiæ danicæ medii ævi ex codicibus denuo, ed. von Martin Clarentius Gertz. Kopenhagen 1917-1922, 2 Bde., hier Bd. 1, S. 459f. Siehe
auch Bysted, Ane L. / Jensen, Carsten Selch / Jensen, Kurt Villads / Lind, John
H.: Jerusalem in the North. Denmark and the Baltic Crusades, 1100-1522.
Turnhout 2012, S. 205-209.
Für Nordeuropa, siehe Richard, Jean: The Crusades c. 1071 – c. 1291. Cambridge 1999, S. 287ff.; für Portugal siehe O’Callaghan, Joseph F.: Reconquest
and Crusade in Medieval Spain (The Middle Ages Series). Philadelphia 2003,
S. 198f.
Für das Datum der Eroberung siehe Bysted / Jensen / Jensen / Lind: Jerusalem
in the North (wie Anm. 3), S. 70. Für 1169 argumentieren viele andere Historiker, z.B. Riis, Thomas: Das mittelalterliche dänische Ostseeimperium (University of Southern Denmark Studies in History and Social Sciences 256 = Studien
zur Geschichte des Ostseeraumes 4). Odense 2003, S. 28 und anderswo.
Vgl. Saxo Grammaticus: Gesta Danorum, ed. von Karsten Friis-Jensen, übersetzt von Peter Zeeberg (Danmarkhistorien), 2 Bde., Bd. 1: Lateinischer Text,
Bd. 2: Dänische Übersetzung. Kopenhagen 2000 und 2005, mit weiteren Literaturhinweisen, und Heinrich von Lettland: Chronicon Livoniae (wie Anm. 1).
Zum Saxo Grammaticus siehe auch Riis, Thomas: Einführung in die Gesta
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GEWALT UND MISSION IN DER DÄNISCHEN OSTSEE-EXPANSION
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Karte 6: Baltikum während der dänischen Expansion
zweiten „Die livländische Chronik“ von Heinrich von Lettland, die
im Jahre 1227 vollendet wurde. Auf diese beiden Werke gestützt
sollen denn auch im Folgenden die Vorstellungen von Christianisierung und Gewalt so, wie sie sich im 12. und 13. Jahrhundert im
Ostseeraum zeigten, erörtert werden.
Die Plünderungen der Wikinger und die Kreuzzüge
Zunächst sei kurz ein Blick auf die größeren historischen Zusammenhänge geworfen, in denen die dänischen Kreuzzüge standen.
Diesen voraus gingen die vielen Angriffe und Plünderungszüge,
die viele Jahrhunderte lang von den Wikingern regelmäßig in West
und Ost, gegen England ebenso wie im Baltikum durchgeführt
wurden. Diese Züge verliefen aber nicht nur in eine Richtung. Zumindest die Völker, die an der südlichen Ostsee lebten, griffen
ebenfalls immer wieder, vermutlich sogar jährlich, die dänische
Küste an. Um 1100 veränderte sich aber die Lage, nachdem die
Herrscher in Dänemark und in Südskandinavien zum Christentum
bekehrt worden waren. Jetzt waren sie Mitglieder eines europäiDanorum des Saxo Grammaticus (University of Southern Denmark Studies in
History and Social Sciences 276). Odense 2006.
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Kurt Villads Jensen
schen Netzwerkes christlicher Könige, die Missionskriege führten,
was jedoch nicht ausschloss, dass ihre Kriege auch politischen und
ökonomischen Zwecken dienten. Der Glaubenswechsel aber bot
ihnen neue Möglichkeiten, um politische Bündnisse zu schließen,
vor allem aber lieferte er Ideen, mit denen man die Kriege und die
Anwendung von Gewalt ideologisch rechtfertigen konnte.7
Nach der Eroberung Jerusalems im Jahr 1099 während des ersten Kreuzzugs stieß die Idee des gottgefälligen Krieges im Ostseeraum sofort auf breitere Resonanz. Dänische Könige und viele
Adelige unternahmen die lange Reise ins Heilige Land und kämpften mit anderen lateinischen Christen gemeinsam gegen die Muslime. Aber auch die Expeditionen über die Ostsee gegen die
slawischen Heiden wurden jetzt als wahre Kreuzzüge verstanden
und mobilisierten noch mehr Dänen.
Die dänischen Kreuzzüge wurden von verschiedenen Stützpunkten aus in unterschiedliche Regionen geführt. Jeden Frühling ritten
bewaffnete Krieger von der Stadt Schleswig aus nach Holstein, um
dort gegen die Heiden zu kämpfen, Land zu erobern und Kirchen
zu gründen.8 Jeden Sommer segelten andere Krieger von den dänischen Inseln aus nach Süden, landeten in Mecklenburg oder Vorpommern und kämpften gegen andere slawischen Stämme.
Während der 1120er Jahre versuchte der schleswigsche Herzog
Knut Lavard in einer Allianz mit dem pommerschen Herzog
Wartislaw diese beiden Missionsgebiete zu vereinen. Dies geschah
durch heftige Kriege gegen die lokalen Stämme;9 spätere christliche dänische Quellen fassten zusammen, Knut habe „Frieden den
Dänen gebracht und Glauben den Heiden, die er gezwungen hat
7
8
9
Vgl. Bysted / Jensen / Jensen / Lind: Jerusalem in the North (wie Anm. 3).
Saxo Grammaticus: Gesta Danorum (wie Anm. 6), 13, 3, 2-13, 3, 8, Bd. 2, S.
94-98; Helmold von Bosau: Chronica Slavorum / Slawenchronik. Neu übertragen und erläutert von Heinz Stoob (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. FSGA 19). Darmstadt 1963, cap. 49, S. 186-190; cap.
53, S. 198ff. Der hier zugrundegelegte Text basiert im Wesentlichen auf der
kritischen Ausgabe von Bernhard Schmeidler: Helmold von Bosau: Helmoldi
presbyteri Bozoviensis chronica Slavorum, hrsg. vom Reichsinstitut für Ältere
deutsche Geschichtskunde, 3. Auflage bearbeitet von Bernhard Schmeidler
(MGH SS rer. Germ. 32). Hannover 31937. Vgl. Jensen, Kurt Villads: Korstog
ved verdens yderste rand. Danmark og Portugal ca. 1000 til ca. 1250 (University of Southern Denmark Studies in History and Social Sciences 418). Odense
2011, S. 328f., S. 374.
Vgl. Bysted / Jensen / Jensen / Lind: Jerusalem in the North (wie Anm. 3), S.
34ff.
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GEWALT UND MISSION IN DER DÄNISCHEN OSTSEE-EXPANSION
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von ihren inhalts- und gottlosen Riten zu lassen und unter der
Übereinkunft des Friedens an Christus zu glauben”.10 Auf ähnliche
Weise wurde Knuts Sohn, König Waldemar I., in seiner Grabschrift von 1182 als der „Wiederhersteller des Friedens“ bezeichnet – pacis restaurator. Er hatte jedes Jahr gegen die Heiden
Missionskriege geführt – inwieweit diese als wahre Kreuzzüge bezeichnet werden können, ist vieldiskutiert.11
Trotz der Bürgerkriege zwischen verschiedenen Königen in den
Jahren 1131 bis 1157 wurden die Kreuzzüge weitergeführt, manchmal von brüchiger Waffenruhe unterbrochen, so als sich einer der
dänischen Könige mit heidnischen Fürsten verbündete, um gegen
rivalisierende Könige zu kämpfen. Im Jahr 1147 koalierten König
Knut und König Sven eine gewisse Zeit, um zusammen während
des zweiten Kreuzzugs und im Bündnis mit einem sächsischen
Reiterheer gegen die Slawen bei Dobin zu kämpfen.12
1157 war Waldemar I. der einzige Überlebende, er hatte im
Bürgerkrieg gesiegt und herrschte nun allein. Er verstärkte seinen
Kriegseinsatz gegen die Heiden und in den folgenden 15 Jahren
leitete er mit insgesamt rund 20 Kreuzzügen mehr als einen pro
Jahr. Manchmal führten die dänischen Krieger eine Frühlingsexpedition durch und kehrten danach zurück auf ihre eigenen Ländereien um zu ernten. Im Spätsommer folgte dann die nächste Expedition, bei der sie die Ernten der Heiden zerstörten.13
Ein Höhepunkt der dänischen Kreuzzüge war die Eroberung
Arkonas auf Rügen im Jahr 1168. Arkona war das bedeutendste
heidnische Kultzentrum im Ostseeraum und wohl die stärkste
10
11
12
13
Aus der Heiligsprechungsliturgie 1170. In: The Offices and Masses of St. Knud
Lavard (+ 1131) (Kiel, Univ. Lib. MS S.H. 8 A.8o), reproduced in facsimile,
transcribed and edited by John Bergsagel. With an essay on the historical background by Thomas Riis (Wissenschaftliche Abhandlungen [Institute of Medieval Music] 65), Bd. 1: Facsimile, Bd. 2: Edition. Kopenhagen 2010, hier Bd. 2,
S. 16: Pacem Danis et paganis fidem sanctus contulit/ quos a vanis et
prophanis ritibus recedere/ et in Christum credere compulit sub pacis federe.
Dafür argumentieren Bysted / Jensen / Jensen / Lind: Jerusalem in the North
(wie Anm. 3); eine nuanciertere Haltung repräsentiert Fonnesberg-Schmidt,
Iben: The Popes and the Baltic Crusades 1147-1254 (The Northern World 26).
Leiden 2007.
Saxo Grammaticus: Gesta Danorum (wie Anm. 6), 14, 3, 6-14, 3, 9, S. 162ff.;
Helmold von Bosau: Chronica Slavorum / Slawenchronik (wie Anm. 8), cap.
65, S. 228.
Saxo Grammaticus: Gesta Danorum (wie Anm. 6), 16, 6, 8, S. 536; vgl. 16, 5,
10 und 16, 6, 1, S. 530.
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Kurt Villads Jensen
heidnische Festung in ganz Nordeuropa. Rügen wurde christianisiert und dem Bistum Roskilde unterstellt, Kirchen wurden erbaut
und neue zisterziensische Missionsklöster gegründet.14 Als Anerkennung für den Einsatz König Waldemars wurde dessen Vater,
Knut Lavard, 1170 von Papst Alexander III. heiliggesprochen und
dessen Gebeine feierlich in die Kirche von Ringsted auf Seeland
überführt, wo sie in einem neuen Schrein auf dem Hochaltar ihren
Platz fanden.15 Im Jahr 1171 erweiterte der Papst das Zielgebiet der
nördlichen Kreuzzüge und rief in mehreren Briefen Dänen,
Schweden, und Norweger zu Kampf und Verteidigung gegen die
im östlichen Teil der Ostsee lebenden Heiden, vornehmlich die
Finnen und Esten, auf.16 Von unmittelbaren Auswirkungen des
päpstlichen Aufrufs finden wir keine Spuren. Die Kreuzzüge in
slawische Gebiete wurden aber weitergeführt bis König Knut VI.
in den 1180er Jahren die Unterwerfung des ganzen Gebietes erreicht zu haben glaubte und zu seinen übrigen Titeln auch den des
„Königs der Wenden“ hinzufügte.17 Bis 1972 blieb diese Bezeichnung Teil des offiziellen Titels des dänischen Königs.
Um 1200 fand überall im Europa eine technologische und militärische Revolution statt, die den Aktionsradius der Heere beträchtlich erweiterte. Vor diesem Hintergrund konnte König Waldemar
II. im Jahr 1203 die ersten Vorbereitungen der Estland-Kreuzzüge
vornehmen. Schon drei Jahre später folgte 1206 die Eroberung
Ösels, des heutigen Saaremaa.18 Vor dem Winter mussten sich die
dänischen Kreuzfahrer zwar zurückziehen, aber in den folgenden
Jahren wurden mehrere dänische Kreuzzüge nach Estland durchgeführt, öfters unter der Leitung des Neffen des Königs, Albrecht von
14
15
16
17
18
Bysted / Jensen / Jensen / Lind: Jerusalem in the North (wie Anm. 3), S. 66-81,
mit einem Vergleich der verschiedenen Darstellungen bei Saxo Grammaticus
und Helmold von Bosau.
Vgl. die Einleitung in The Offices and Masses (wie Anm. 10).
Diplomatarium Danicum. Udg. Ved Det Danske Sprog- och Literaturselskab.
Kopenhagen 1938, hier 1. Reihe, Bd. 3, Teil 1: Diplomer 1170-1199, Nr. 2628. Vgl. Fonnesberg-Schmidt: The Popes and the Baltic Crusades (wie Anm.
11), S. 52-65.
Zum ersten Mal belegt in einer Urkunde vom 22. Januar 1193 (Diplomatarium
Danicum [wie Anm. 16], 1/3, Nr. 189). Zwischen dem 20. November 1187, als
Knut sich lediglich als König der Dänen bezeichnete (ebd., 1/3, Nr. 143), und
1193 sind keine königlichen Urkunden aus Dänemark bekannt.
Wichtigste Quelle ist Heinrich von Lettland: Chronicon Livoniae (wie Anm. 1),
X, 13, S. 43.
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Orlamünde. Das Verhältnis zum Missionsbistum Riga und dem
kleinen, aber militärisch erfolgreichen Schwertbrüderorden war
kompliziert und oft konkurrenzbetont, aber am Ende wurden die
Liven und Esten von beiden Seiten so hart bedrängt, dass eine dauerhafte Eroberung im Bereich des Möglichen lag.
1219 segelte die größte dänische Kreuzzugsflotte des ganzen
Mittelalters nach Estland. Von 1.500 Schiffen berichten zeitgenössische Quellen, was vielleicht übertrieben ist, aber doch mit der
damaligen dänischen Heeresorganisation möglich gewesen wäre.19
Die Hauptfestung Reval wurde nach harten Kämpfen erobert, wie
oben bereits berichtet. Damit einhergehend wurde ein Kreuzfahrerstaat gegründet, der bis 1346 unter der Herrschaft des dänischen
Königs stand und danach an den Deutschen Orden verkauft wurde.
Während dieser Zeit kam es zu mehreren Aufständen gegen die
dänischen Herrscher, die sowohl religiös als auch sozial begründet
waren.20
Die dänische Kreuzzugsexpansion war aber mit der Eroberung
Estlands 1219 bis 1223 in der Praxis zum Erliegen gekommen.
1223 wurden König Waldemar und sein Sohn von seinem Vasall
Heinrich von Schwerin gefangengenommen. Nach lange dauernden Verhandlungen wurde der König freigesetzt, worauf er sofort
versuchte sich zu rächen und sein politisches Prestige mit militärischen Mitteln wiederherzustellen. Allerdings verlor er die entscheidende Schlacht bei Bornhöved im Jahr 1227.21 Danach
mussten dänische Kreuzzugsversuche im Baltikum für Jahrzehnte
aufgegeben werden.
Wenden wir uns jetzt wieder den zeitgenössischen Berichten zu,
um zu sehen, wie die dänischen Kreuzzüge im 12. und frühen 13.
Jahrhundert faktisch durchgeführt wurden. Warum waren sie so
grausam?
19
20
21
Annalen aus Ribe und aus Rudekloster. In: Danmarks middelalderlige annaler,
ed. von Erik Kroman. Kopenhagen 1980, S. 170, S. 232, S. 259.
Bysted / Jensen / Jensen / Lind: Jerusalem in the North (wie Anm. 3), S. 205209, S. 291-302, bes. S. 321f.
Riis: Dänisches Ostseeimperium (wie Anm. 5).
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Kurt Villads Jensen
Saxo Grammaticus und Heinrich von Lettland – Zwei
überzeugte Vertreter des Kreuzzugsgedankens
Saxos Werk ist ein hervorragendes Beispiel der aristokratischen
gelehrten Literatur des Hochmittelalters. Es ist durchdrungen von
Totschlag, Grausamkeiten, Blutvergießen und ähnlichen Heldentaten, die sowohl von Christen an ihresgleichen als auch an Heiden
begangen werden. Wenn Saxo aber über die Feldzüge gegen die
heidnischen Wenden berichtet, scheinen die Kriege gewalttätiger
gewesen zu sein als diejenigen gegen christliche Völker. Als die
Dänen auf einer der regelmäßigen Sommerex-peditionen gegen
Vorpommern eine so große Menge an Vieh gestohlen hatten, dass
sie täglich neue Hirten finden mussten, um die Haustiere zu den
Schiffen zu treiben, fügte Saxo hinzu, dass die Wenden für die Dänen keine Gefahr mehr darstellten. Das ganze Land sei nämlich
jetzt öde, weil alles so vollständig niedergebrannt sei, dass die Vögel kein Strohdach mehr finden könnten und es nötig hätten, ihre
Nester in die Takelage der dänischen Schiffe zu bauen.22
An anderer Stelle berichtet Saxo von systematischen Jagden auf
Sklaven oder die Köpfe der Heiden. Die Köpfe wurden an den dänischen Stränden auf Stäben als abschreckendes Beispiel aufgestellt. Die Furcht vor den Dänen war so verbreitet und so
wohlbegründet, dass viele Heiden ins Meer sprangen und lieber ertrinken wollten, als in die Hände der Dänen zu fallen.23 An einer
Stelle stellt Saxo in einer kurzen Charakterisierung König Waldemars fest, dass der König während dieser Jahre viel Beute im Land
der Wenden gewonnen habe, aber keinen richtigen Kampf ausgefochten hätte, der seine ‚Lust am Blutvergießen‘ hätte zufriedenstellen können.24
Heinrichs Chronik von Livland mit ihren ausführlichen Beschreibungen von Feldzügen könnte wohl auch als aristokratisch
bezeichnet werden, aber sie ist – im Gegensatz zu Saxo – in einer
von der Bibel und der Liturgie geprägten Sprache abgefasst und
behandelt ausschließlich religiöse Kriege im Baltikum.25 Die
22
23
24
25
Saxo Grammaticus: Gesta Danorum (wie Anm. 6), 14, 57, 4, S. 470.
Ebd., 16, 5, 5, S. 526.
Ebd., 14, 39, 1, S. 354.
Vgl. zu Heinrich von Lettland: Tamm, Marek / Kaljundi, Linda / Jensen, Carsten Selch (Hrsg.): Crusading and Chronicle Writing on the Medieval Baltic
Frontier. A Companion to the Chronicle of Henry of Livonia. London 2011.
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Schilderungen von Ausrottungen der Heiden finden sich auf fast
jeder Seite. „Die Kreuzfahrer marschierten Tag und Nacht und
kamen nach Sakkala und fanden in allen Dörfern Männer und
Frauen und Kinder in ihren Häusern, und sie töteten alle von morgens bis abends, sowohl Frauen als auch deren Kinder und 300 von
den besten und ältesten Männern und viele andere ohne Zahl, bis
Hände und Arme müde waren vom Töten.“26 Oder später: „Sie kamen zu den Gebieten am Meer und teilten das Heer in kleinere
Gruppen und drängten auf verschiedenen Wegen in das Land hinein und plünderten, und sie töteten alle Männer, die sie trafen, alle
Frauen und Kinder wurden versklavt, viel Vieh nahmen sie mit als
Beute, und alle Dörfer und Häuser überließen sie dem Feuer. Das
Heer sammelte sich jetzt in der Mitte des Landes und genoss einige
Tage lang die Ruhe.“27 Diese Truppen umfassten sowohl deutsche
als auch dänische Kreuzfahrer.
Wie sollte man diesen systematischen Völkermord und diese
Massentötung verstehen? Es geht um Krieg gegen Heiden und um
die Bekehrung zum Christentum, aber warum mussten so viele
Menschen ihr Leben verlieren, warum musste das Land so grundsätzlich zerstört und verwüstet werden? Es gibt dazu verschiedene
Deutungsmöglichkeiten, die hier kurz vorgestellt werden sollen.
Zynische oder vielleicht eher praktisch orientierte Historiker haben vorgeschlagen, dass das Töten in mittelalterlichen Kriegen
grundsätzlich von praktischen Überlegungen diktiert war.28 Es war
unmöglich eine große Anzahl von Gefangenen mitzunehmen oder
jedenfalls größere Mengen von männlichen Gefangenen zu bewachen, um Aufruhr zu vermeiden. Das könnte wohl richtig sein,
aber es wird selten direkt ausgedrückt in den mittelalterlichen
Quellen, und erfolgsreiche Expeditionen mit manchmal mehreren
hundert Gefangenen und mit Vieh und anderer Beute konnten im
Feindesland für längere Zeit operieren, wie es auch Saxo und
Heinrich an mehreren Stellen bezeugen.
Eine viel interessantere praktische Überlegung ist die prekäre
Balance zwischen Schrecken und Großmütigkeit. Auf der einen
Seite sollte der Feind mit Macht besiegt und gezwungen werden,
26
27
28
Heinrich von Lettland: Chronicon Livoniae (wie Anm. 1), XII, 6, S. 64f.
Ebd., XXI, 5, S. 145.
Siehe McGlynn, Sean: By Sword and Fire. Cruelty and Atrocity in Medieval
Warfare. London 2008.
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Kurt Villads Jensen
sich und sein Land den Kreuzfahrern zu übergeben. Dazu war die
Bedrohung mit dem Tod hilfreich. Auf der anderen Seite sollte der
Feind aber auch die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Kreuzfahrer
auch Gnade walten lassen konnten und ihn vielleicht am Leben
ließen. Das war wichtig, um den Feind zur Kapitulation zu bewegen.
Ein solches Dilemma zeigt sich ganz deutlich, als die heidnischen Verteidiger Arkonas aufgrund der Bedrohung durch Feuer
und die dänischen Waffen den Widerstand aufgaben. Der dänische
König verlangte, dass die Wenden alle christlichen Gefangenen
freigäben, dass sie den christlichen Glaube nach dänischer Art –
danico ritu – annähmen, dass sie alles Eigentum ihres heidnischen
Gottes Swantewit den neuen christlichen Kirchen übergäben und
dass sie des Weiteren dem König Militärdienst leisteten. Unter diesen Bedingungen würde ihr Leben verschont werden.29
Die Reaktion unter den dänischen Kreuzfahrern war Erstaunen
und Wut. Sie führten an, dass sie dann ihr Blut vergebens vergossen hätten und dass sie ohne die ‚Prämie des Siegers‘ einer befriedigenden Rache beraubt würden. Sie drohten dem König damit,
ihn zu verlassen, falls es ihnen verboten werden würde, die Stadt
und Festung Arkona zu plündern.30
Was die ‚Prämie des Siegers‘ faktisch war, ergibt sich sofort aus
Saxos Erzählung. König Waldemar überlegte nämlich nun mit den
Befehlsmännern und Reitern, ob er die Kapitulation Arkonas akzeptieren oder ob er vielmehr die Festung erobern und vollständig
ausplündern lassen solle. Darauf folgte eine interessante Diskussion: Bischof Absalon argumentierte, dass, obwohl es für die Dänen
möglich wäre Arkona zu erobern, es ein langwieriger und teurer
Sieg wäre; denn die übrigen heidnischen Städte auf Rügen würden
sich dann mit allen Mitteln und bis zum letzten Mann gegen die
Dänen verteidigen, weil sie nach dem Schicksal Arkonas alle
Hoffnungen auf eine milde Behandlung verloren haben würden.
Aber wenn der König das Angebot der Kapitulation annähme,
könnte er auch hoffen, die anderen Städte auf Rügen ohne
Schwertschlag zu unterwerfen. Hier handelt es sich also ausschließlich um strategische Überlegungen.31
29
30
31
Saxo Grammaticus: Gesta Danorum (wie Anm. 6), 14, 39, 25, S. 366.
Ebd., 14, 39, 25, S. 366.
Ebd., 14, 39, 27, S. 368.
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Der nächste Ratgeber des Königs war Erzbischof Eskil, ebenfalls aus vornehmer aristokratischer Familie. Er bemerkte zum einen, dass hohe Männer den niedriger gestellten niemals gehorchen
sollten, und zum anderen, dass der größte vorstellbare Sieg über
ein heidnisches Volk Tributzahlungen und eine Unterordnung unter die christliche Kirche beinhalten würde. Erst als drittes Argument fügte er hinzu, dass es ehrenvoller sei, die Feinde zu unterwerfen als sie abzuschlachten und zu töten, weil Barmherzigkeit
besser als Strenge sei. Dann stimmte er Absalon zu, dass es einfacher sei, die Übergabe Arkonas zu akzeptieren, um so die anderen
heidnischen Städte zu gewinnen.32 Offenkundig waren die Ratschläge Absalons und Eskils vor allem praktischer Natur. Sie nahmen Rücksicht auf militärische Umstände, nur als dritter Aspekt
wurde kurz das christliche Barmherzigkeitsgebot erwähnt.
Die Bekehrung der Heiden zum Christentum wurde häufig als
ein wichtiges Ziel der erwähnten dänischen Kreuzzüge hingestellt,
hier durch Absalon und Eskil, oft aber auch von anderen Personen
an anderer Stelle in Saxos Bericht. Es bleibt unklar, inwieweit
Saxo überhaupt einen Gegensatz zwischen Mission und Gewalt
sieht – ein solcher wird zumindest nicht direkt von ihm angesprochen und ist in den Dialogen Absalons und Eskils nicht zu erkennen.
Der fehlende Widerspruch ist aber theologisch bedenklich, weil
die Kirche ständig und auch in Kreuzzugszeiten festgehalten hat,
dass erzwungene Bekehrung unmöglich und ungültig sei.33 Nichtsdestoweniger ist vorstellbar, dass es im Ostseeraum um 1200 noch
immer Reminiszenzen an die bernhardinische Lehre gab. Bernhard
von Clairvaux hatte in seinen Predigten zum zweiten Kreuzzug in
den Jahren 1146 bis 1147 auch zum Krieg gegen die slawischen
Heiden aufgerufen. Die Christen im Norden sollten sich bewaffnen
und gegen diese Heiden kämpfen, „um diese Völker vollständig zu
vernichten oder sie mit Sicherheit zum Christentum zu bekehren“.34
32
33
34
Ebd., 14, 39, 28, S. 368.
Augustinus: Tractatus in Ioannis Evangelium. In: Patrologia latina 35, ed. von
Jacques Paul Migne, col. 1379-1976, hier lib. 26, cap. 2, col. 1607. Gratian:
Decretum magistri Gratiani, ed. von Emil Friedberg (Corpus iuris canonici 1).
Leipzig 1879, col. 939, pars 2, c. XXXIII, q. 5, c. 33.
ad delendas penitus aut certe convertendas nationes illas, Bernhard von
Clairvaux: Brief 457. In: Mecklenburgisches Urkundenbuch, ed. vom Verein
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Kurt Villads Jensen
Wie genau man die diese Formulierung verstehen sollte, ist unter
den Forschern sehr umstritten, aber meiner Meinung nach bedeutet
sie ganz einfach ‚Taufe oder Tod‘. Im Wissen um die Vorstellungen einer Autorität wie Bernhard könnte Saxo mit gutem Gewissen
auch von der Christianisierung der Wenden berichten, ohne sich
von der Gewaltanwendung zu distanzieren.
Gleicherweise ist diskutiert worden, ob eine friedliche Mission
am Ende des zwölften Jahrhunderts im Ostseeraum um eine
Schwertmission ergänzt wurde und die Gegensätze zu den Heiden
also stärker geworden waren.35 Mit so wenigen frühen Quellen ist
die Frage schwer zu beantworten, aber der allgemeine Eindruck ist,
dass Gewalt gewöhnlich in Missionskriegen Praxis war, aber theologisch unterschiedlich beurteilt wurde.
Wenden wir uns jetzt wieder Heinrich von Lettland zu, der im
Gegensatz zu Saxo seine Stellung zu Gewalt und Mission von Anfang an deutlicher formuliert. Für ihn konnten die ehemaligen Heiden, wenn sie erst einmal getauft worden waren, mit allen Mitteln
gezwungen werden, dem Christentum zugehörig zu bleiben und
dem christlichen Glauben nicht wieder den Rücken zu kehren. Als
die ersten Liven zum wahren Glauben bekehrt waren, reiste Bischof Theodoric zu Papst Cölestin II., erzählte vom Erfolg der
Mission und „[a]ls dieser [der Papst] die Zahl der Getauften vernommen hatte, erachtete er es als richtig, diese nicht zu verlassen,
sondern entschied sich dafür, sie zum Bleiben in dem Glauben, den
sie freiwillig gelobt hatten, zu zwingen“.36 So schreibt es Heinrich
von Lettland. Dafür versprach der Papst den baltischen Kreuzfahrern den gleichen Ablass wie denen, die nach Jerusalem fuhren.37
Durften die Heiden nach Heinrich auch zur Taufe gezwungen
werden? Vermutlich nicht. Heinrich gibt eine Diskussion zwischen
35
36
37
für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde. Schwerin 1863, Bd. 1,
Nr. 31.
Fonnesberg-Schmidt: The popes and the Baltic Crusades (wie Anm. 11), S.
73ff.; Jensen, Carsten Selch: The Nature of the Early Missionary Activities and
Crusades in Livonia, 1185-1201. In: Bisgaard, Lars / Jensen, Carsten Selch /
Jensen, Kurt Villads / Lind, John (Hrsg.): Medieval Spirituality in Scandinavia
and Europe. A Collection of Essays in Honour of Tore Nyberg. Odense 2001,
S. 121–137.
Heinrich von Lettland: Chronicon Livoniae (wie Anm. 1), I, 12, S. 6f.
So Heinrich von Lettland, ebd.: Remissionem quippe omnium peccatorum
indulsit omnibus, qui ad resuscitandam illam primitivam ecclesiam accepta
cruce transeant. Es ist keine Kreuzzugsbulle erhalten.
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heidnischen Liven und Bischof Bertold wieder. Der Bischof kam
mit seinen Kreuzfahrern nach Livland, und die Liven fragten warum. Bertold erklärte, dass neue Christen öfters, wie Hunde zum
Gespienen, zum Heidentum zurückgekehrt seien. Die Liven antworteten: „[N]ötige jene, die den Glauben annahmen, ihn zu bewahren, die anderen gewinne für ihn durch Worte, nicht durch
Schläge.”38 Diese Aussage ist gute christliche mittelalterliche Theologie und sollte wohl, auch wenn sie den Heiden in den Mund gelegt wurde, als Ausdruck der Auffassung Heinrichs verstanden
werden.
Spirituelle Gewalt: zelus und Rache
Viele der Kriege und Feldzüge in den Werken Heinrichs und Saxos
waren aber weder gegen Apostaten gerichtet noch Mittel zu einer
gewaltsamen Bekehrung. Sie waren vielmehr Ausdruck eines Verständnisses anderer, eher geistlicher oder spiritueller Verbindungen
zwischen Mission und Gewalt.
Vor kurzem hat die amerikanische Historikerin Susanna Throop
Wörter und Begriffe in Kreuzzugstexten, die in unserem heutigen
Verständnis wohl ausschließlich als von ‚emotionaler Natur‘ anzusehen sind, als zentrale Elemente der mittelalterlichen systematischen Theologie untersucht.39 Ihren Ansatz hat kürzlich der finnische Historiker Mikka Tamminen in einer noch nicht veröffentlichten Doktorarbeit weiterentwickelt.40
Ein Beispiel für solche Begriffe ist das lateinische Wort zelus,
das ‚Begeisterung‘ oder eher ‚Eifer‘ meint. Viele Kreuzfahrer hatten ‚mit Eifer‘ die Feinde angegriffen und Blut vergossen, schreiben die mittelalterlichen Autoren, und der moderne Leser meint
sofort zu wissen, was damit gemeint ist. Aber für die mittelalterlichen Leser, die auch nur eine oberflächliche Kenntnis der Bibel
besaßen, erweckte das Wort ganz andere Assoziationen. Zelus
meinte auch die heilige Wut oder den heiligen Zorn, der den alttes38
39
40
Ebd., II, 5, S. 9f.
Throop, Susanna A.: Crusading as an Act of Vengeance, 1095–1216. Farnham
2011.
Vgl. Tamminen, Miikka: Ad crucesignatos et crucesignandos. Crusade Preaching and the Construction of the ‘True’ Crusader in the 13th Century. Unveröffentlichte Dissertation, Universität Tampere 2013.
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tamentlichen Priester Pinehas dazu bewog, den Israeliten und die
Midianiterin, die Geschlechtsverkehr miteinander hatten, mit seinem Speer durch den Bauch zu stoßen.41 Diese Handlung gefiel
dem Herrn und sie wandte den Zorn oder Grimm Gottes von den
Israeliten ab.
Das Wort zelus kommt überhaupt nicht vor in Saxos archaisierendem Stil, obwohl er viele andere Bezeichnungen für Eifer wie
etwa ardor und aemulatio oder aber Verbindungen mit cupiditas
verwendet, die er manchmal auch mit religiösen Konnotationen
benutzt.42 Heinrich verwendet nur einmal zelus, aber in einem signifikanten Zusammenhang. Als die Kreuzfahrer erfuhren, dass die
vor kurzem bekehrten Liven zum Heidentum zurückgekehrt waren,
wurden sie vom Eifer für Gott inspiriert und verfolgten die Liven.
Als es aber unmöglich war diese zu töten, brannten sie all ihre
Häuser nieder.43 Der Eifer für Gott war hier also direkt ein Grund
für die Anwendung von Gewalt.
Andere Autoren im Ostseeraum benutzen den Begriff zelus, einige davon sehr häufig. Saxos Zeitgenosse Helmold von Bosau
verwendet ihn nur zweimal, wobei er das eine Mal gerade Bischof
Vizelin, den Missionar unter den Slawen, charakterisiert.44 Ihn erfasste ein glühender Eifer, das Wort Gottes zu verbreiten. Da Herzog Heinrich der Löwe mit Erfolg gegen die Heiden gekämpft
hatte, war dies jetzt möglich.
Heinrich von Lettlands Zeitgenosse Arnold von Lübeck benutzt
den Begriff zelus verhältnismäßig sehr häufig, manchmal ganz allgemein, aber meistens in Verbindung mit einer Mission und einem
Kreuzzug. Er berichtet über den zweiten und den dritten Kreuzzug
nach Palästina und den zelus der europäischen Kreuzfahrer für das
Haus Gottes, aber auch über den zelus justicie, den Eifer für Gerechtigkeit, in den Streitigkeiten in Sachsen und in Holstein. Besonders interessant ist seine Charakterisierung von Bischof
Absalon, der war zelo iusticie accensus et armatura Dei procingtus
41
42
43
44
Die Bibel: 4. Mos 25, 8.
Z.B. vindicandae religionis cupientissimi, Saxo Grammaticus: Gesta Danorum
(wie Anm. 6), 14, 3, 6, S. 162.
Heinrich von Lettland: Chronicon Livoniae (wie Anm. 1), IX, 8, S. 30.
Helmold von Bosau: Chronica Slavorum / Slawenchronik (wie Anm. 8), cap.
46, S. 180.
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in promovenda religione45: „Er war glühend von Eifer in Gerechtigkeit und mit der Bewaffnung Gottes ausgerüstet, um die Religion zu verbreiten.“ Aus dem vorhergehenden Abschnitt bei Saxo
geht klar hervor, dass es sich hier um die Mission im slawischen
Gebiet des Ostseeraums handelt.
Andere zentrale und viel häufiger benutzte Begriffe waren
vindicta und ultio, beide im Sinne von ‚Rache‘ oder ‚Vergeltung‘.
„Der Tag der Rache des Herrn und das Jahr der Vergeltung“,46 davon spricht der Prophet Jesaja, und Psalm 149 berichtet von den
Heiligen mit scharfen Schwertern in den Händen, dass sie Rache
an den Heiden nahmen.47 Sicher hat Gott gesagt: „die Rache ist
mein, ich will vergelten“,48 aber Kreuzzugstheologen argumentierten, dass Gott diese Rache oft durch seine Kreaturen, seine Geschöpfe ausüben konnte.
Susanna Throop behauptet, dass das Thema Rache erst gegen
Ende des zwölften Jahrhunderts allgemein in den Kreuzzugsgedanken einfloss.49 Darüber lässt sich streiten, wobei auf frühere
Beispiele verwiesen werden kann. Auf jeden Fall aber ist die Idee
der Rache sehr wichtig, sowohl für Saxo als auch für Heinrich.
Als der zweite Kreuzzug gepredigt wurde, wütete ein langer
Bürgerkrieg in Dänemark, aber die kämpfenden Könige legten ihren Streit bei, schlossen Frieden und verwendeten ihre Schwerter
zur Rache des Göttlichen – sacrorum vindicta.50 Die Sachsen waren cupientissimi – d.h. vom Eifer erfüllt –, die christliche Religion
zu rächen.51 Die Rache erfolgte teilweise in Bezugnahme auf Gott,
teilweise in Bezugnahme auf seine Heiligen. Als die Heiden auf
Rügen ein Abbild des christlichen Missionars Vitus schufen, hatte
der Heilige Vitus Anspruch auf ihre Bestrafung, so schreibt Saxo.52
Manchmal vermischten sich göttliche und menschliche Rache. In
der vorhergenannten Episode, während der Belagerung Arkonas,
argumentierten die gemeinen Kreuzfahrer zudem gegen den König,
45
46
47
48
49
50
51
52
Arnold von Lübeck: Arnoldi Chronica Slavorum, ed. von Johann Martin Lappenberg und Georg Heinrich Pertz (MGH SS 21). Hannover 1868, III, 5.
Die Bibel: Jesaja 34, 8.
Die Bibel: Psalm 149, 6-7.
Die Bibel: Römer 12, 19.
Vgl. Throop: Crusading (wie Anm. 39), S. 74f. und passim.
Saxo Grammaticus: Gesta Danorum (wie Anm. 6), 14, 3, 5, S. 160.
Ebd., 14, 3, 6, S. 162.
Ebd., 14, 39, 13, S. 360.
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dass sie ohne die blutige Eroberung die Möglichkeit der willkürlichen, grenzenlosen Rache verlören – injuriarum ultio proprio
arbitrio – und damit auch die ‚schönste Rache‘ – speciosissima
vindicta – für die heidnischen Übergriffe und Plünderungen in Dänemark.53 Am Ende werden alle diese Gedanken von Saxo zusammengefasst, als er die ersten Wunder unter den kürzlich bekehrten
Wenden als Ausdruck der Taten des Herrn deutet. Gott selbst gebe
denen, die an Ihn glaubten, eine Belohnung, und Gott selbst räche
sich an denen, die Ihn und seinen Kult verachteten, erklärt Saxo.54
Heinrich von Lettland wird noch deutlicher, wenn es um dieses
Thema geht: Er berichtet, wie Erzbischof Andreas Sunesen während des ersten dänischen Kreuzzuges in Ösel in Estland eine zahllose Menge von Kriegern mit dem Kreuz auszeichnete und ihnen
Ablass versprach, um „Rache zu üben an den Völkern und die
Heiden dem Christenglauben zu unterwerfen“.55 Rache und Unterwerfung sind hier eng verbunden und beschreiben in aller Kürze
die Missionsauffassung Heinrichs.
Rache ist ein fortwährendes Thema in Heinrichs Bericht, und
das Wort vindicta findet sehr häufig Verwendung. Es besteht kein
Gegensatz zwischen Rache und Beute: „[S]ie töteten alles, was
männlich war, führten Weiber und Kinder als Gefangene weg und
kehrten, nachdem sie Rache an ihren Feinden genommen hatten,
fröhlich mit all ihrer Beute wieder heim.“56
Manchmal wurde die Rache ganz gemütlich gefeiert. Heinrich
erzählt, dass, nachdem alle Männer erschlagen worden waren, es
großen Jubel gab und ein Spiel der Christen auf Pauken und Pfeifen und Musikinstrumenten, da sie Rache an dem Bösen geübt und
alle daselbst versammelten Verräter aus Livland und Estland getötet hatten“57.
Diese wiederholte Ausübung von Gewalt ist nicht nur Vergeltung für die Angriffe der Heiden, sie hat auch eine starke religiöse
Betonung. Die Kreuzfahrer lobten und dankten immer Gott, wenn
sie Rache geübt hatten, denn Rache war überhaupt nur möglich,
wenn der Herr Kriegsglück schenkte oder Er einen günstigen Weg
53
54
55
56
57
Ebd., 14, 39, 26, S. 366.
Ebd., 14, 39, 47, S. 378.
Heinrich von Lettland: Chronicon Livoniae (wie Anm. 1), X, 13, S. 43.
Ebd., XIX, 3, S. 126.
Ebd., XXVIII, 6, S. 190.
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gewährte, und schließlich wird Gott in Heinrichs Chronik auch
selbst direkt als Rächer dargestellt.
Gewalt und Töten galt als Vergeltung für die physischen Angriffe der Heiden auf die Christen, aber sie funktionierten damit auch
als Vergeltung für die geistigen Angriffe von Heiden auf Christus
selbst. Die Kreuzzüge waren von Anfang an von der Idee der
Nachahmung Christi durchdrungen – der Imitatio Christi.58 Durch
Leiden und Tod konnten die Kreuzfahrer das ewige Leben erlangen und Märtyrer werden. Umgekehrt galt, wann immer Kreuzfahrer angegriffen wurden, wurde auch Christus selbst angegriffen.
Um 1170 sah ein dänischer Priester am Altar plötzlich im Kelch
wirkliches Fleisch und Blut. Das war er nicht gewohnt,59 fügt
Helmold von Bosau hinzu, und er habe sich mit dem Wunder an
seinen Bischof gewandt. Der Bischof aber deutete es als ein
schlechtes Zeichen und sagte voraus, dass der Kirche eine schwere
Heimsuchung drohe und viel Christenblut fließen werde. „Denn
immer wenn ein Märtyrer sein Blut vergießt, wird der Leib Christi
von Neuem ans Kreuz genagelt.“60
Livland hat Heinrich von Lettland zufolge viele Märtyrer hervorgebracht. In der ersten Missionsperiode waren 17 Kreuzfahrer
aus der Stadt und Burg Üxküll gegangen, um Weizen zu ernten,
wurden aber von den Heiden überfallen und kurz danach in ihren
grausamen Ritualen den heidnischen Göttern geopfert.61 „Doch
weder durch diese noch durch ähnliche Taten brachten die Feinde
die Stimme der Christen für die Predigt des Wortes Gottes zum
Schweigen“,62 erklärt Heinrich. Zwei der kürzlich Bekehrten erlebten ein ähnliches Schicksal, als sie die heidnischen Mitglieder ihrer
Sippe von der Wahrheit des christlichen Glaubens zu überzeugen
versuchten.63 „Daher kam es, dass sie auf gemeinsamen Beschluss
der Liven, mit Stricken um die Füße gefesselt, mitten durchgerissen wurden; sie taten ihnen die schwersten Martern an, zerrten ihnen die Eingeweide heraus, zerfleischten ihnen Arme und Beine.
58
59
60
61
62
63
Purkis, William J.: Crusading Spirituality in the Holy Land and Iberia. c. 1095
– c. 1187. Woodbridge 2008.
Helmold von Bosau: Chronica Slavorum / Slawenchronik (wie Anm. 8), cap.
109, S. 376ff.
Ebd.
Heinrich von Lettland: Chronicon Livoniae (wie Anm. 1), IX, 12, S. 31.
Ebd.
Ebd, X, 5, S. 35f.
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Es kann kein Zweifel bestehen, dass sie für dieses Martyrium das
ewige Leben mit den heiligen Märtyrern empfangen haben.“64 Eine
Menge ähnlicher Beispiele könnte hinzugefügt werden, die alle
dasselbe zeigen: Durch Leiden und Tod erreichten die Kreuzfahrer
das ewige Leben. So gesehen war Grausamkeit gegen die Christen
etwas Positives, aber auch Grund für Vergeltung an den Heiden.
Saxo ist mit seiner altmodischen, die klassischen römischen Autoren nachahmenden Sprache nicht so direkt und einfach zu deuten, da er zum Beispiel den Begriff Märtyrer nicht einmal in seinem Werk verwendet. Das Märtyrertum ist also nie ein bedeutendes Thema bei Saxo, womit er in scharfem Gegensatz zu der
späteren ritterlichen Literatur des vierzehnten Jahrhunderts wie der
Peter von Dusburgs oder der Geschichte des Deutschritter-ordens
von Nicolaus von Jeroschin steht. Hier laufen Mühlbäche voll mit
dem Blut der Märtyrer oder mit dem Blut der Heiden, und zusammen haben die Toten das Land für die späteren Generationen der
Christen geheiligt. So auch bei Heinrich. Jeder Tote, jeder Gewaltakt ist geographisch lokalisiert, so dass sie als Erinnerungs-orte
oder als Sakralorte fungieren konnten.
Notwendige Verteidigung oder Blutopfer?
In der Sprache der Geschichtsschreiber der Kreuzzüge war die
Gewaltanwendung gleichbedeutend mit der Verteidigung vor und
der Vergeltung an den Heiden. Einige Historiker haben diesen Zusammenhang ganz buchstäblich verstanden und argumentiert, dass
die Heiden in diesen nördlichen Gebieten in anarchischen und gewalttätigen Gesellschaften lebten und es deshalb für die Kreuzfahrer notwendig gewesen wäre, die gleiche Taktik anzuwenden.65 Ein
anderer Historiker beklagte im Jahre 1975 die christlichen Grausamkeiten, fügte aber hinzu, dass sie als Antworten auf heidnische
Angriffe notwendig gewesen wären und auch auf Dauer positiv, da
64
65
Ebd.
Ekdahl, Sven: Die Rolle der Ritterorden bei der Christianisierung der Liven
und Letten. In: Gli Inizi del Christianesimo in Livonia-Lettonia. Atti del
Colloquio Internazionale di Storia Ecclesiastica in occasione dell’VIII
centenario della chiesa in Livonia (1186-1986), Roma 24-25 Giugno 1986
(Pontifico Comitato di Scienze Storiche. Atti e Documenti 1). Città del
Vaticano 1989, S. 203-243, hier S. 223.
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sie den Heiden Religion, Kultur und Zivilisation beibrachten hätten.66
Meiner Meinung nach handelt es sich jedoch um etwas ganz anderes. Während einem dieser Kreuzzüge zelebrierte Bischof
Absalon die heilige Messe in seinem Zelt, als er plötzlich den
Lärm der angreifenden Feinde hörte. Er brach die Messe ab und
verließ das Zelt, um die Schlacht gegen die Heiden zu leiten, mit
den Worten: „Welches Opfer ist dem Herrn wertvoller als der Tod
des Sünders.“67 Gewalt, Plünderungen, Sterben und Töten, ethnische Vernichtung, all dies war nicht nur in militärischen Überlegungen begründet, sondern auch theologisch als ein dem Herrn
wohlgefälliges und blutiges Opfer notwendig.68
66
67
68
Urban, William L.: The Baltic Crusade. Dekalb 1975, S. xi-xii.
Saxo Grammaticus: Gesta Danorum (wie Anm. 6), 16, 5, 1, S. 524.
Nach der Fertigstellung dieses Artikels wurde publiziert Althoff, Gerd: ”Selig
sind, die Verfolgung ausüben”. Päpste und Gewalt im Hochmittelalter. Darmstadt 2013. Dieses Buch bietet eine hervorragende Übersicht des Hintergrundes der mittelalterlichen Vernichtungstheologie.
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