Frieden schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter / Faire la paix et se défendre à la fin
du Moyen Âge
Frieden schaffen und sich verteidigen im
Spätmittelalter / Faire la paix et se
défendre à la fin du Moyen Âge
Veranstalter: Fondation Maison des Sciences
de l’homme (FMSH)Paris; in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Institut Paris (DHIP) und mit Unterstützung des
DAAD; wissenschaftliche Koordination: Gisela Naegle
Datum, Ort: 11.01.2010-12.01.2010, Paris
Bericht von: Gisela Naegle
Am 11. und 12. Januar 2010 fand in Paris die
internationale Tagung „Frieden schaffen und
sich verteidigen im Spätmittelalter / Faire
la paix et se défendre à la fin du Moyen
Âge“ statt, die von der FMSH in Zusammenarbeit mit dem DHI Paris und der Unterstützung des DAAD veranstaltet und wissenschaftlich von Gisela Naegle organisiert wurde. Die Auswahl der behandelten Regionen
orientierte sich in erster Linie an möglichen
Ansatzpunkten eines Vergleiches und an Interaktionsbeziehungen. Dabei spielten überregionale Konflikte wie der Hundertjährige
Krieg und der katalonische Bürgerkrieg eine wichtige Rolle, deren Befriedung auch die
Nachbarländer betraf und einen bedeutenden
Beitrag zur Entwicklung von Verhandlungstechniken und frühen Formen der Diplomatie
leistete. In Frankreich, in Burgund, im mittelalterlichen Reich, in italienischen Städten wie
Florenz, in Katalonien und Kastilien bestand
eine enge Verbindung zwischen der Friedenssicherung und einer effektiven Verteidigungsorganisation. In mehreren europäischen Ländern stehen seit einigen Jahrzehnten die Bewahrung des Friedens, Friedensverhandlungen und -diskurse, gerichtliche und außergerichtliche Regelung und Austragung von
Konflikten, Rache, guerres privées, Fehden,
Städte- und Landfriedensbünde, aber auch
städtische Parteikämpfe im Mittelpunkt zahlreicher wissenschaftlicher Studien. Für Befriedungsverfahren und Konfliktaustrag konnten
Faktoren wie der Ehrbegriff oder die sozialen Werte der politischen Akteure eine entscheidende Rolle spielen, die interessante Vergleichsmöglichkeiten eröffnen. Gab es erhebliche Unterschiede zwischen städtischen und
adeligen Befriedungsformen oder spielte das
adelige Vorbild durchweg eine entscheidende
Rolle? Auf welches „Modell“ des Konfliktaustrages griffen „Partner“ von sehr unterschiedlicher sozialer und geografischer Herkunft
zurück? Zu den Zielen der Tagung gehörte,
die Ergebnisse neuerer, aus unterschiedlichen
historiografischen Traditionen und Methoden
hervorgegangener Forschungen miteinander
in Kontakt zu bringen.
Nach der Begrüßung durch ROLF GROSSE (DHIP) und FALK BRETSCHNEIDER
(FMSH) führte der Einleitungsvortrag von GISELA NAEGLE (Gießen/Paris) in die Fragestellung der drei Sektionen ein. Als Ausgangspunkt dienten Überlegungen von Marc
Bloch, der bereits 1928 auf dem Congrès international des sciences historiques die Frage stellte: „Qu’est-ce, tout d’abord, dans notre
domaine, que comparer ?” Seine Antwort,
vergleichen bedeute nicht nur, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, sondern auch Unterschiede zu akzeptieren und bewusst in die
theoretischen Überlegungen zu integrieren,
hat bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Für die behandelten Regionen gibt es
zahlreiche Ansatzpunkte einer vergleichenden Betrachtung. Die lateinische Terminologie der Quellen, im Mittelalter viel gelesene
Autoren theoretischer und juristischer Traktate und die Konzilien als „Ideenmessen“ und
Diskussionsforen von europäischem Rang
stellten überall Ausgangsmaterialien für die
mittelalterliche Auseinandersetzung mit dem
Thema Frieden bereit. In allen genannten Gebieten spielten eine mehr oder weniger ausgeprägte Rezeption des römisch-kanonischen
Rechts und das Verhältnis zum einheimischen
Gewohnheitsrecht eine wichtige Rolle. Sätze
wie vim vi repellere licet oder Non pax queritur, ut bellum exerceatur, sed bellum geritur, ut pax acquiratur (Decretum Gratiani,
Causae C. 23 q. 2 c.3) beeinflussten die nicht
an die politischen Grenzen der Zeit gebundene theoretisch-juristische Reflexion. Der Umgang mit Militär, entwurzelten ehemaligen
Soldaten des Hundertjährigen Krieges, adeliger Gewalt, Fehde und Kriegsverbrechen und
die Suche nach effektiven Formen der Friedenswahrung waren Herausforderungen, die
zu einer ständeübergreifenden Zusammenarbeit oder zur Entstehung kollektiver Verteidigungssysteme wie Städte- , Adels- oder Land-
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friedensbünden führen konnten.
Die Vorträge der ersten, von PIERRE MONNET (Paris, UFA) und ROLF GROSSE (DHIP)
geleiteten Sektion „Chercher la paix et se
défendre“ standen im Zeichen von „Friedenssuche und Verteidigung“. JEAN-MARIE
MOEGLIN (Paris) beschäftigte sich mit den
Schwierigkeiten der Suche nach einem endgültigen Frieden im Hundertjährigen Krieg
zwischen Frankreich und England. Er präsentierte eine Typologie von Grundmodellen
diplomatischer Verhandlungen, die sich unter anderem an hierarchisch definierten Vasallitätsbeziehungen und den daraus abgeleiteten Ansprüchen orientierte. Die englische Seite vertrat das Modell eines egalitären Friedens zwischen beiden Königreichen. Im Zuge der Kreuzzugsbestrebungen und der Versuche zur Überwindung des Schismas gewann eine universalistische Friedensdefinition an Bedeutung, die die Begriffe des Gemeinwohls und des christlichen Volkes und
die Vermeidung des Vergießens von Christenblut ins Zentrum rücke. Schließlich spiele
die Idee eines Ehebündnisses zwischen den
beiden Herrscherhäusern eine wichtige Rolle.
Im Sinne der Wiederherstellung gegenseitiger
Liebe und Eintracht komme der symbolischen
Seite der Terminologie eine zentrale Bedeutung zu.
CHRISTINE REINLE (Gießen) ging von der
Feststellung aus, im Gegensatz zu westeuropäischen Monarchien, die sich in erheblichem Umfang mit äußeren Feinden auseinanderzusetzen hatten, sei es im mittelalterlichen Reich nicht gelungen, Eigenmacht wirksam zu unterbinden und Versuche zur Beschränkung der Fehde seien auf erhebliche
Schwierigkeiten gestoßen. Die Terminologie
eines „Privatkrieges“ werde den deutschen
Realitäten nicht gerecht, da auch die Herrscher selbst in kleinteilige Konflikte mit anderen Herrschaftsträgern verstrickt gewesen seien. Ergänzend untersuchte die Referentin die
Behandlung der Fehde in normativen Quellen (Sachsenspiegel, Magdeburger Schöppensprüche, Oppenheimer Weistum von 1419)
und bei Autoren wie Heinrich von Gorkum, Heinrich von Langenstein, Stephan von
Landskron und Bruder Berthold. Sie stellte die These auf, dass die popularisierende
Rezeption des Kirchenrechts über Kateche-
se und Bußsummen eine wichtige und bislang unterschätzte Rolle für die Vermittlung
der Ideen gelehrter Theologen und Juristen an
den Adel und weitere Bevölkerungskreise gespielt habe.
Der vorwiegend auf die Auswertung unedierter und bisher wenig erschlossener
Quellen gestützte Vortrag von BERTRAND
SCHNERB (Lille) widmete sich Kapitulationsverhandlungen in Städten und befestigten
Plätzen der Normandie. Dabei ging es um den
chronologischen Ablauf und die verschiedenen Verhandlungsetappen, aber auch um die
soziale Zusammensetzung und Anzahl der
Verhandlungspartner. Der soziale Status dieser Personen hatte konkrete Folgen für den
Verlauf der Kapitulation und Übergabe. Frauen konnten eine wichtige Vermittlerrolle spielen. Ein besonders interessanter Aspekt des
Vortrags betraf das Schicksal und die Behandlung von Geiseln. Die Analyse der Verhandlungspraxis wurde durch Informationen
zum Inhalt der Kapitulationsverträge, wie Bestimmungen zur Rettung von Leben und Besitz, zur Auslieferung von Mobilien, Pferden, Rüstungen, Kleidung usw. ergänzt. Verhandlungsziel war eine dauerhafte Sicherung
des „Überwechselns“ auf die Seite der anderen Kriegspartei: Der König präsentierte sich
dementsprechend als legitimer Erbe der normannischen Herzöge und die Unterwerfung
konnte auch zum Anlass von Privilegienbestätigungen werden. Der englische König vermied es, als Eroberer zu erscheinen und wählte ortskundige Personen aus, um seine Interessen zu vertreten.
HORST CARL (Gießen) untersuchte Landfrieden als Konzept und Realität kollektiver
Sicherheit im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Reich. Er unterstrich den engen Zusammenhang zwischen der föderalen Reichsstruktur und der Entwicklung der
Landfrieden. Landfriedenseinungen kompensierten die Freiräume von schwachen und
miteinander konkurrierenden Herrschaftsträgern. Die Übergänge zwischen adeligen Einungen und landständischer Repräsentation
waren fließend. Die Einung sei kein Spezifikum der Entwicklung im mittelalterlichen
Reich und daher im Gegensatz zu der von Otto von Gierke vertretenen Auffassung nicht
als die zentrale Verfassungsform anzusehen.
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Adelsorganisationen im Reich zeigten vielmehr die Vereinbarkeit von genossenschaftlichen Organisationsformen und hierarchischen Ordnungen. Die Funktionsweise einer
ständeübergreifenden Zusammenarbeit zur
Friedenssicherung wurde anhand des Schwäbischen Bundes (1488-1534) dargestellt, der
1525 gegen die aufständischen Bauern einschritt und es nach der Konfessionsspaltung
verstand, Landfriedensangelegenheiten strikt
von der religiösen Wahrheitsfrage zu trennen.
MÁXIMO DIAGO HERNANDO (Madrid)
sprach ebenfalls über Formen kollektiver Friedenssicherung. Wie im mittelalterlichen Reich
entstanden in Kastilien regionale und überregionale Städtebünde (Hermandades). Ähnlich wie für den Rheinischen Städtebund von
1254 begünstigten Herrschaftskrisen des Königtums, wie die Minderjährigkeit Ferdinands IV. (1295), die Aktivität von Bünden und
verstärkten das politische Gewicht der Städte. Anders als in Deutschland und Norditalien
kam es jedoch schon seit dem 13. Jahrhundert
zur Ausbildung eines zentralistisch orientierten Herrschaftsmodells und der König wurde als Hauptverantwortlicher der Friedenswahrung angesehen. Durch die Verteidigung
des Kronbesitzes (Realengo) gegen Übergriffe des Adels trugen Städtebünde zum Beispiel 1464 zur Herrschaftsstabilisierung bei.
Die Hermandad general war ein von den katholischen Königen eingesetztes Instrument
zur Friedenswahrung mit Polizeifunktionen.
Städtebünde traten jedoch auch als Instrument der Verteidigung lokaler Interessen und
der durch die Fueros garantierten Autonomie
gegen königliche Zentralisierungsbestrebungen auf und wurden 1520 zum Modell für die
aufständischen Comuneros.
Die zweite, von CLAUDE GAUVARD (Paris) geleitete Tagungssektion trug den Titel
„Faire la paix / Frieden schaffen“ und wurde durch den Vortrag von STÉPHANE PÉQUIGNOT (Paris) zu Verhandlungen, Bündnissen und Friedensprojekten im katalonischen Bürgerkrieg von 1462-1472 eröffnet.
Dieser Konflikt, der auf ein zunehmendes Interesse der Forschung stößt, weist eindeutig „internationale“ Dimensionen auf. Unter
vergleichenden, diplomatie- und kommunikationsgeschichtlichen Gesichtspunkten gibt
er als multilateraler Konfliktfall Anlass zu
einer Reihe von Neubewertungen. In einer
wichtigen Grenzregion zwischen Frankreich
und Katalonien beziehungsweise Aragon intervenierten unterschiedlichste Akteure, die –
wie der französische König Louis XI. – zwar
von den örtlichen Konfliktparteien um Unterstützung gebeten wurden, aber auch eigene Interessen anmeldeten und manchmal sehr
weitgehende Ansprüche erhoben. Besonders
interessante Aspekte des Vortrages betrafen
die mehrsprachige Terminologie und Rhetorik der diplomatischen Verhandlungen (unter
anderem Gemeinwohl-Argument, Feindbild
des Tyrannen) und die Entwicklung und Radikalisierung des Diskurses in den verschiedenen Konfliktphasen.
Die
Vorträge
von
CHRISTIANE
KLAPISCH-ZUBER (Paris) zum Florenz des
14. Jahrhunderts und von JULIE CLAUSTRE
(Paris) zum Paris des 14. und 15. Jahrhunderts bildeten, wie die Beiträge zu kollektiven
Formen der Friedenssicherung, eine thematische Untereinheit. Als Ergänzung des
diplomatiegeschichtlichen
Schwerpunkts
ging es hier um die Ebene der Befriedung
von Konflikten zwischen Individuen und
Familien im (groß-)städtischen Kontext.
Beide Vorträge verdeutlichten eindrucksvoll,
dass sie Grenzen zwischen individuellen
und kollektiven Konflikten, zwischen zivilrechtlichen Streitigkeiten und Prozessen
und einem gewaltsamen Konfliktaustrag mit
einer strafrechtlichen Eskalation fließend sein
konnten. Dies gilt besonders für Florenz,
da hier Familienbeziehungen erhebliche
Auswirkungen auf politische Strukturen und
die Machtverhältnisse hatten. Beide Referentinnen erwähnten Schuldrechtskonflikte
und notarielle Friedensvereinbarungen, wodurch eine unmittelbare thematische Brücke
gegeben war.
Christiane Klapisch-Zuber verwies zunächst auf die Tätigkeit von Vermittlern
(Médiateurs), die ganz bewusst aus einem
Personenkreis außerhalb der Stadt ausgewählt wurden und auf Beziehungen zur
mittelalterlichen
Gottesfriedensbewegung
und den Friedensbemühungen der Päpste. In
Florenz griff man zudem auf lokale Friedensvermittler, die sogenannten Pacieri zurück.
Das Feindbild des Tyrannen bekämpfte man
argumentativ mithilfe stadtrepublikanischer
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Tugenden. Friedensvereinbarungen wurden
von Mitgliedern der Familien beziehungsweise Geschlechtern beschworen und entfalteten
dadurch ihre verpflichtende Wirkung. Adelige Formen der Konfliktregelung seien
auch innerhalb der übrigen Bevölkerung
akzeptiert gewesen. Die „Einrahmung“ der
Vendetta durch die Regierenden schuf zusätzliche Garantien, sodass nach Ansicht der
Referentin eine strenge Trennung zwischen
„privater“ und „öffentlicher Sphäre“ der
Konfliktregelung wenig sinnvoll erscheint.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Vorstellungen gab es demnach, wie dies im Vortrag
von Julie Claustre ebenfalls deutlich wurde,
ein „droit civil de la paix“ (Zivilrecht des Friedens). Sie untersuchte schuldrechtliche Konflikte einschließlich von Druckmitteln wie der
Schuldhaft, die dazu dienten, Verhandlungen
zwischen Gläubiger und Schuldner in Gang
zu setzen. Ihren Ergebnissen nach dauerte die
Schuldhaft im Gegensatz zu gängigen Vorstellungen in der Regel nur sehr kurz, oft sogar weniger als 48 Stunden, was die verhandlungsfördernde Funktion unterstreicht. Kredit, Verschuldung und die daraus entstehenden Konflikte waren in der städtischen Bevölkerung des Spätmittelalters weit verbreitet. Jenseits der heute üblichen Bankgeschäfte
gab es zahlreiche „private“ Formen von Kreditbeziehungen. Entsprechend groß war das
Spektrum der Beilegungs- und Befriedungsformen, zu denen auch gemeinsame Mahlzeiten, gerichtliche und außergerichtliche Vergleiche oder notarielle Verpflichtungen gehörten. Über diese Aspekte hinaus enthielt
der Vortrag Fallbeispiele zur gewaltsamen Eskalation von Schuldrechtsbeziehungen und
Hinweise zu normativen Quellen.
Die letzte von CLAUDE GAUVARD (Paris)
und ROBERT JACOB (Paris/Liège) geleitete
Sektion widmete sich dem Spannungsverhältnis zwischen „Friedensgedanken und Kriegsplänen / Penser la paix ou faire la guerre ?”
JEAN DEVAUX (Dunkerque/Boulogne) stellte die Friedensthematik im Werk des burgundischen Geschichtsschreibers Georges Chastellain dar. Der Abschluss des berühmten
Friedens von Péronne (14. Oktober 1468) veranlasste Chastellain gleichermaßen zur Abfassung eines theoretischen Traktats, des Livre de Paix und eines dramatischen Werks
von pessimistischer Grundtendenz, der Moralité de la Paix de Péronne, sodass in diesem
Fall die äußerst reizvolle Untersuchung der
Beziehungen zwischen einem literarischen
und einem nichtliterarischen Text desselben
Verfassers möglich wird. Diese Untersuchung
ist umso aufschlussreicher, da das umfangreiche chronikalische Werk Chastellains einen
weiteren Vergleichspunkt bietet. Trotz seiner
langen Erfahrungen mit politischen Wechselfällen und enttäuschten Friedenshoffnungen
bemühte sich Chastellain, dem Fürsten Hilfestellung zu einer dauerhaften Bewahrung des
Friedens zu leisten. Zugleich enthalten die
präsentierten Werke eine Synthese der seit etwa der Mitte des 14. Jahrhunderts im burgundischen Raum entwickelten Friedensreflexion.
JACQUES PAVIOT (Paris) beschäftigte sich
mit dem Zusammenhang zwischen Friedensbemühungen und Kreuzzugsplänen. Er ging
dabei auf die Bezüge zwischen der Genese des Ersten Kreuzzuges und der Gottesfriedensbewegung ein. Kreuzzugsbestrebungen zeigen besonders stark die ambivalenten Beziehungen zwischen Frieden und Krieg
und die „gesamteuropäische“ Dimension des
Themas: Eine effektive Befriedung der Konflikte zwischen den europäischen Fürsten
und die Überwindung innerchristlicher Spaltungen wurde von zahlreichen mittelalterlichen Autoren als unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen eines neuen Kreuzzuges angesehen. Methoden und Wege zur
Beilegung des Schismas und zur Rückeroberung der verlorenen christlichen Gebiete waren im französisch-burgundischen Raum Gegenstand einer Reihe von Traktaten, literarischen Werken und mehr oder weniger utopischen Friedensplänen (zum Beispiel bei Autoren wie Pierre Dubois, Philippe de Mézières,
Jean Germain oder Eustache Deschamps). Die
Erfahrungen von Friedenskonferenzen wie
Arras, das Modell der Konzilien, Endzeiterwartungen, die Diskussion über die Kirchenreform und zahlreiche, oft in mehreren Ländern zirkulierende Prophezeiungen spielten
ebenfalls eine wichtige Rolle.
In seinem Beitrag zur Diplomatie im Umfeld der Zurückweisung Margaretes von Österreich und der Hochzeit Charles’ VIII.
mit Anne de Bretagne sprach FRANCK
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du Moyen Âge
COLLARD (Paris) ein wichtiges Thema der
französisch-deutschen Beziehungen zur Zeit
Kaiser Maximilians I. an: Die doppelte Ehrverletzung durch Zurückweisung der Tochter
und „Brautraub“ wurde bereits von Zeitgenossen als Kriegsgrund angesehen. Auf deutscher und auf französischer Seite kam es zu
intensiven diplomatischen Bemühungen. Die
vergleichende Analyse der Argumente beider
Seiten erwies sich auch deshalb als besonders
interessant, weil die beteiligten Protagonisten
über die akute politische Krise hinaus eine
wichtige Rolle für das intellektuelle Leben der
Zeit spielten. Bei den Verhandlungen kam es
damals zu einem „Schlagabtausch“ zwischen
dem zur Beschwichtigung nach Deutschland
entsandten Robert Gaguin und dem für den
deutschen Humanismus bedeutenden Autor
Jakob Wimpfeling.
Das Ideal der in den Texten vom Ende des
15. Jahrhunderts noch sehr lebendigen Vorstellung des rex pacificus spielte auch im anschließenden Vortrag von NICOLAS OFFENSTADT (Paris) zu Historiografie und Methoden der Friedensforschung zum Hundertjährigen Krieg eine Rolle. Hier wurde erneut
das Spannungsverhältnis zwischen Krieg und
Frieden deutlich, da es notwendig war, sich
als friedliebend zu präsentieren, wurden Reden über den Frieden besonders in Zeiten
erhöhter Aggression gehalten. Der Referent
wies zunächst auf gemeinsame methodische
Anliegen der neueren deutschen und französischen Forschung zu Ritualen und symbolischen Verhaltensweisen hin. Anschließend
wandte er sich der Frage „Wie lernte man am
Ende des Mittelalters, Frieden zu schließen?”
und neuen Ansätzen der Friedensforschung
zu. Als modellhafte Ausgangpunkte der Ritualgeschichte politischer Akteure schlug er
eine Liste von „Kompetenzen“ (compétences)
vor: liturgische Kompetenz (zum Beispiel
die Regelung der Interaktion der Teilnehmer an Messen), protokollarische Kompetenz
(als Kontrolle des „rituellen Balletts“ diplomatischer Verhandlungen), Darstellungskompetenz (competence publicitaire, zum Beispiel [Selbst-]darstellung des Herrschers als
rex pacificus, der die von den Zeitgenossen erwarteten Gesten vollzieht, symbolischer
Ritt auf demselben Pferd als Friedenssymbol). Am Ende des Vortrags stand die Auf-
forderung zur genaueren Untersuchung des
„Friedens der Objekte“ (paix des objets), das
heißt der Rolle und der „Einsatzmethoden“
von Gegenständen bei Friedensverhandlungen (beispielsweise demonstrativ präsentierte oder geschwenkte Schriftstücke, Austausch
von Kleidern). Dabei ginge es vor allem um
die Frage, inwieweit solche Objekte stabilisierende oder destabilisierende Wirkungen auf
den Ausgang von Verhandlungen ausüben
konnten.
Diese interessanten Betrachtungen leiteten
zu zusammenfassenden Beobachtungen von
PIERRE MONNET (Paris, UFA) und GISELA NAEGLE und einer sehr angeregten Abschlussdiskussion über, wobei einige Punkte
und Erweiterungsmöglichkeiten der Thematik hervorgehoben wurden. Dazu gehörten
- die Ambivalenz von Frieden, Krieg und Verteidigung: Im Falle der Kreuzzugsbestrebungen konnte Frieden als Voraussetzung des
Krieges angesehen werden, oder Krieg als
notwendiges Mittel auf dem Weg zum Frieden;
- die wichtige Rolle von Rhetorik, Symbolik und Ritualen, die Untersuchung von Wegen und Prozessen der Vermittlung und Rezeption von Wertvorstellungen, theoretischen
Konzepten und Konstruktionen des gelehrten
Rechts an breitere Bevölkerungsschichten,
- wünschenswerte Erweiterungen wie die
Rolle und Entwicklung des entstehenden Völkerrechts, die kirchenrechtliche und theologische Dimension der Friedensthematik,
- eine genauere Untersuchung der Funktion von schiedsgerichtlichen Einigungen, Accords und der Tätigkeit von Friedensvermittlern in weiteren Regionen und Städten,
- der Austrag von Fehden oder fehdeähnlichen Auseinandersetzungen vor Institutionen
wie dem französischen Parlement oder dem
deutschen Reichskammergericht,
- die Untersuchung von Friedensplänen wie
dem Projekt des böhmischen Königs Georg
Podiebrad oder kollektiven Sicherheitssystemen in weiteren geografischen Regionen und
die Einbeziehung ähnlicher Phänomene in anderen Kulturkreisen,
- die Friedensvermittlungsbemühungen der
Kirche, die Verbindungen zur mittelalterlichen Gottesfriedensbewegung und so weiter.
Wie die lebhafte Abschlussdiskussion zeig-
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te, bietet das Thema „Frieden schaffen und
sich verteidigen im Spätmittelalter“ zahlreiche Erweiterungs- und Ergänzungsmöglichkeiten, die im Rahmen einer anderthalbtägigen Tagung nicht angesprochen werden
konnten, aber sehr vertiefenswert sind. Im
Sinne der Warnung Marc Blochs, der in der
„Jagd nach Ähnlichkeiten“ eine der Hauptgefahren der vergleichenden Methode erblickte, war die Beschreibung von Unterschieden
ebenso wichtig wie die Feststellung von Gemeinsamkeiten. Die Vorträge haben zahlreiche neue Perspektiven eröffnet und unterschiedliche historiografische Traditionen und
Methoden in einen sehr anregenden und interessanten Kontakt gebracht. Die Tagung endete mit einem von MICHEL WIEVIORKA,
Administrateur de la FMSH, veranstalteten
Empfang. Eine Veröffentlichung der Tagungsbeiträge ist geplant.
Konferenzübersicht:
Ouverture / Eröffnung: ROLF GROSSE, Institut historique allemand / FALK
BRETSCHNEIDER, FMSH
GISELA NAEGLE, Justus-Liebig-Universität,
Gießen: Introduction
Sektion I.: Chercher la paix et se défendre /
Friedenssuche und Verteidigung
Présidence de séance: ROLF GROSSE, Institut
historique allemand, Paris
JEAN-MARIE MOEGLIN, Université Paris
XII: À la recherche de la ‘paix finale’ pendant
la guerre de Cent Ans
CHRISTINE
REINLE,
Justus-LiebigUniversität, Gießen: Legitimation und
Delegitimation von Fehden in juristischen
und theologischen Diskursen des Spätmittelalters
Présidence de séance: PIERRE MONNET,
EHESS / UFA
BERTRAND SCHNERB, Université Charlesde-Gaulle, Lille III: Sauver les meubles. À propos de quelques traités de capitulation de villes de la première moitié du XVe siècle
HORST CARL, Justus-Liebig-Universität,
Gießen: Landfrieden als Konzept und Realität
kollektiver Sicherheit im Heiligen Römischen
Reich
MÁXIMO DIAGO HERNANDO, CSIC Madrid: Le rôle des ligues urbaines – Hermandades dans la préservation de la paix dans la
Castille du Moyen Âge
Sektion II.: Faire la paix / Frieden schaffen
Présidence de séance: CLAUDE GAUVARD,
Université Paris I Panthéon-Sorbonne
STÉPHANE PÉQUIGNOT, EPHE, Paris: Négociation, alliances et projets de paix durant
la guerre civile catalane (1462-1472). Premiers
éléments de relecture d’un conflit international
CHRISTIANE KLAPISCH-ZUBER, EHESS,
Paris: Le prince et la paix de familles à Florence, XIVe siècle
JULIE CLAUSTRE, Université Paris I
Panthéon-Sorbonne: Assurer la paix des
‘ménages’. De la dette à la paix (Paris
XIVe-XVe siècle)
Sektion III.: Penser la paix ou faire la guerre ?
/ Friedensgedanken oder Kriegspläne?
JEAN DEVAUX, Université du Littoral, Côte
d’Opale: ‘Paix ne vault dite de la bouche / Se
au cœur ne sert point et touche’ : les discours
sur la paix en pays bourguignon
JACQUES PAVIOT, Université Paris XII: Faire
la paix pour faire la guerre
Présidence de séance: ROBERT JACOB,
CNRS, Université de Liège
FRANCK COLLARD, Université Paris X: Se
défendre de provoquer la guerre en invoquant la paix. La royauté française et le renvoi
de Marguerite d’Autriche ou la rhétorique de
la paix dans les relations diplomatiques
NICOLAS OFFENSTADT, Université Paris I
Panthéon-Sorbonne: La paix pendant la guerre de Cent Ans, méthodes et enjeux de recherche
PIERRE MONNET, EHESS, UFA / GISELA
NAEGLE, Justus-Liebig-Universität, Gießen:
Discussion finale / Abschlussdiskussion
Tagungsbericht Frieden schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter / Faire la paix et se
défendre à la fin du Moyen Âge. 11.01.2010-
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Frieden schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter / Faire la paix et se défendre à la fin
du Moyen Âge
12.01.2010, Paris, in: H-Soz-u-Kult 18.03.2010.
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