EIN NEUES PARADIGMA DES VERHÄLTNISSES VON GLAUBE UND KULTUREN IN PNEUMATOZENTRISCHER SICHT Im akademischen Jahr 2004/2005 haben wir unsere Lizenzarbeit an der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana im Fach...
moreEIN NEUES PARADIGMA DES VERHÄLTNISSES VON GLAUBE UND KULTUREN
IN PNEUMATOZENTRISCHER SICHT
Im akademischen Jahr 2004/2005 haben wir unsere Lizenzarbeit an der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana im Fach Fundamentaltheologie eingereicht. Unser Anliegen war es, einen kohärenten und kritischen Überblick zum Inkulturationsparadigma der katholischen (lehramtlichen) Theologie vorzulegen, wobei theoretische und praktische Schwerpunkte und Schwächen deutlich werden sollten. Schon damals haben wir beim Schreiben des Fazits der Arbeit festgestellt, dass einerseits das von uns gesammelte Material die inhaltlichen Grenzen einer so gearteten Tesina überschreitet, andererseits die offen gebliebenen Fragen einer Antwort und die aufgezeigten Problemknoten einer Lösung bedürfen. Dass wir dieser Aufgabe mit dem Schreiben unserer Doktorthese in jeder Hinsicht gerecht geworden sind, wäre vor allem auf Grund des Mangels an Zeit und an praktischen Erfahrungen aus dem Bereich der Missiologie, Katechetik und Pastoraltheologie eine tendenziöse Behauptung. Doch schien es uns sinnvoll, als Doktorthese einen Versuch, eine Skizze zu erarbeiten, die unter allen möglichen Lösungsthesen die nach unserer Auffassung tragfähigsten herausstellt.
Der Weg bis zur konkreten Fragestellung und Problemidentifikation wird im ersten Teil der Doktorarbeit nachgezeichnet. Die beiden großen Richtungen der katholischen Theologie und der damit verbundenen Kulturtheorie haben unserer Meinung nach sehr oft dazu geführt, dass sich ein gewisses Miss- oder sogar Unverständnis zwischen der Welt des Glaubens und der Welt der Kultur entwickelt hat. Neuerdings hat die Postmoderne am klarsten und eindeutigsten aufgezeigt, dass die Kirche kaum noch fähig ist, als selbstständiges und ernst genommenes Subjekt am (inter)kulturellen Dialog teilzunehmen. Mit der elementarsten Kraft erscheint dieses Phänomen in den ehemals katholischen oder christlichen Kulturen des Abendlandes. Wir haben versucht deutlich zu machen, dass die Situation zum Teil auf systematische bzw. paradigmatische Fehler in der katholischen Kulturanschauung zurückzuführen ist. Die pragmatische Simplifikation oder die ethische Fokalisation der Fragen erwiesen sich als unadäquat (Kap. I.). Auch der christologische Durchbruch des II. Vatikanums steht und die darauf folgende christozentrische Neubewertung und paradigmatische Transposition stehen trotz vielfältiger Fortschritte und Entwicklungen letztlich machtlos vor den Herausforderungen der heutigen Zeit (Kap. II.). Beim Versuch, die wichtigsten Fragen zu beantworten und die größten Gefahren zu vermeiden, sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass die Lösung in einer pneumatozentrischen Relecture des Problemkreises, d.h. in einem neuen pneumatozentrischen Paradigma des Glaube- Kultur-Verhältnisses besteht (Kap. III.). Die Grundregel dieses Paradigmas besagt, dass es sich hier nicht um den Eintritt einer begnadeten, von Gott erfüllten Größe (Kirche, Glaube) in eine gnaden- und gottesgegenwartslose Wüste (Kultur) handelt, sondern dass das Glaube-Kultur-Verhältnis eine Art Kommunikation zwischen zwei verschiedenen Weisen bzw. Schichten der wirkenden Geistesgegenwart darstellt.
Im zweiten Teil unserer Arbeit haben wir die Grundlinien und Hauptakzente des von uns als pneumatozentrisch bezeichneten Paradigmas erarbeitet. Der erste Schritt war natürlich die Grundsteinlegung, in unserem Fall die dogmatische Begründung (Kap. I.). Dieses Kapitel will keinesfalls eine minuziöse Pneumatologie oder eine dogmatische Trinitätslehere „vom Geiste her” entwickeln, sondern vielmehr die pneumatologischen Grundlinien eines Paradigmas des Glaube-Kultur-Verhältnisses in der theologischen Tradition und der aktuellen Diskussion aufzeigen.
Wir mussten unser Interesse hauptsächlich auf die katholische Diskussion begrenzen, da die gesamtchristliche Fragestellung allzu heterogen und partiell ist und von einer Divergenz in den Grundeinstellungen zeugt, die kaum noch greifbar ist.
Die Ergebnisse haben es nahgelegt, unser Paradigma im Dreieck „Geist Gottes – Geist des Menschen – Welt“ durch die biblische, theologische und philosophische Untersuchung der drei elementaren Relationen (göttlicher Geist – menschlicher Geist; menschlicher Geist – Welt; göttlicher Geist – Welt) zu formulieren. So haben wir versucht, eine systematische Beschreibung unseres Paradigmas vorzulegen (Kap. II.).
Wir sind uns natürlich bewusst, dass es unmöglich ist, von einem Glaube- Kultur-Verhältnis zu reden, ohne die Kirche-Kultur-Beziehung in Betracht zu ziehen. Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer Analyse des pneumatozentrischen Paradigmas in ekklesiologischer Sicht (Kap. III.). Diese Untersuchung weist zwei fundamentale Schichten auf: eine innerkirchliche und eine außerkirchliche. Die erste Schicht führt zur Frage, wie sich die „transzendentale Subjektivität des Geistes“ (Y. Congar) in der Kirche verwirklicht, die zweite soll die Evidenz dieser Geistesgegenwart in der Kirche-Kultur-Beziehung, vor allem im Eintrittsprozess des kirchlich vermittelten Glaubens in die Verschiedenheit der menschlichen Lebenswelten hervorheben.
Das vierte Kapitel des zweiten Teils besteht aus zwei großen Einheiten. Die erste Einheit betrachtet, R. Niebuhr folgend, den theoretischen bzw. praktischen Christozentrismus im Bereich des Glaube-Kultur-Verhältnisses (die fünf christozentrischen Modelle der theologischen Tradition). Nach dem Versuch, die Stärken und Schwächen des Christozentrismus zusammenzufassen, soll die zweite Einheit die Ansprüche und Grundideen des von uns empfohlenen Pneumatozentrismus an die heutige Lebenspraxis anpassen. Wir haben drei zentrale Themenbereiche ausgewählt:
Der Dialog. Seit Paul VI. und dem II. Vatikanischen Konzil wird sich die Kirche immer mehr bewusst, dass sie nicht einfach nur dialogisieren darf, sondern sich selbst zum Dialog, zum Wort machen muss (vgl. die Enzyklika Ecclesiam suam von Papst Paul VI.). Ein besonderes Feld des Dialogs stellt die (inter)kulturelle Kommunikation dar. Ihr innerer Kraftgeber und Vollzieher ist der Geist Gottes selbst, der Geist der Kommunikation und des Dialogs.
Das Zeugnis. In der heutigen Diskussion wird immer mehr die theologische Relevanz des Zeugnisses betont, in dem die eigentliche Fundamentalkategorie der Glaubensvermittlung gesehen wird. So muss die Kirche der Aufgabe des kulturellen Zeugnisgebens selbstverständlich gerecht werden. Dabei ist es aber essentiell und existentiell, dass die unentbehrliche Rolle des Geistes Gottes, des Geistes des Zeugnisses, im Kontext der kulturellen Interaktion des Glaubens bzw. des Glaubensträgers klar gesehen wird.
Pluralismus. Eine der wichtigsten, konditionierenden Gegebenheiten der heutigen Welt ist der Pluralismus, der nicht nur eine gewisse Pluralität der Mentalitäten, Denkweisen und Lebensformen, sondern auch eine Art Ideologie der Vielfalt, der Differenz und des anderen bedeutet. Das Konzept der Einheit wird heutzutage entweder zu abstrakt philosophisch, oder ganz materiell ökonomisch und politisch verstanden. Die weltweite menschliche Suche nach Communio, nach Einheit und Solidarität ist eine kulturelle Fragestellung, auf die das Christentum mit der Hilfe des Geistes Gottes, des Geistes der Einheit und der Gemeinschaft, antworten kann.
Nachdem wir dieses curriculum vollzogen haben, müssen wir uns (selbst)kritisch fragen: Führt uns die pneumatozentrische Transposition und Relecture weiter als das alte christozentrische Inkarnationsparadigma? Wo liegen die Gewinne und wo die Verluste? Das am meisten ins Auge springende Proprium des pneumatozentrischen Paradigmas zählt gleichzeitig zu seinen Schwächen: Es ist nicht hierarchisch konstruiert. Die Offenheit des Paradigmas, der mögliche Mangel an klaren Strukturelementen sowie das unbegrenzbare und manchmal unsichtbare Wirken des Geistes lassen es auf den ersten Blick gegenüber dem christozentrischen Paradigma schwach und formlos erscheinen.
Doch eben in dieser Schwäche steckt die Stärke des Paradigmas. Es ist nämlich fähig, in der ganzen Schöpfung eine grenzenlos wirkende Gegenwart des Heiligen Geistes, des Pneuma, Wind und Hauch Gottes, evident zu machen, der die Welt der Kultur und die Kirche selbst in einer gewissen Unbedingtheit durchweht. Dieses Wirken des Geistes ist spürbar, vernehmbar und in seinen Früchten erfahrbar, bleibt aber immer mysteriös und unberührbar wie der Wind selbst. In einer pneumatologischen Sicht erscheint die Kultur in ihrem ursprünglichen Begnadet-Sein, in der Kraft der wirkenden Geistesgegenwart. Diese pneumatologische Fundamentalwahrheit bestimmt die Art und Weise, wie die Kirche in den (inter)kulturellen Dialog einsteigen und in das Fleisch der kulturellen Realität eindringen muss. Statt als Schiedsrichterin oder autoritäre Lehrerin sollte sie als kommunizierendes Subjekt, d.h. als Partnerin bzw. Teilnehmerin auftreten, die nicht nur vermittelt und übergibt, sondern auch sich selbst aufs Spiel setzt. In dieser Begegnung berührt die Kirche die Kultur, wird aber gleichermaßen auch von ihr berührt. Die Kirche, die Braut Christi, die von dem Bewusstsein des oben genannten pneumatologischen Prinzips bewegt wird, tritt voller Enthusiasmus in die Welt der Kultur ein, weil sie in ihr die logoi spermatikoi, die Spuren der wirkenden Geistesgegenwart, zu finden hofft.
Diese innere Haltung, die positive Zuneigung, die Selbstöffnung auf die Kulturen hin (mutatis mutandis könnten wir sagen: homo sum, nihil culturae a me alienum puto) und das neue Selbstbild im Glaube-Kultur-Verhältnis sind die größten Ziele, die die Kirche, die Glaubensträgerin- und vermittlerin, die als Braut Christi den Geist in der Welt sucht, durch das neue pneumatozentrische Paradigma erreichen kann.