Über dieses E-Book
Der ehemalige Verfassungsschützer glaubt nicht an einen tragischen Unfall. Er beginnt zu recherchieren und fliegt deshalb zurück in seine Heimatstadt Kassel.
Die Stimmung vor Ort ist aufgeheizt. Bei einer Demonstration gegen den Verkauf von Drohnen an die Bundeswehr kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Gibt es etwa eine Verbindung zu dem mysteriösen Todesfall auf den Kanaren?
Jäger enthüllt weitere schockierende Details. Dabei gerät er selbst zunehmend in Gefahr und bemerkt nicht, dass die Schlinge um seinen Hals immer enger wird …
Daniel Wehnhardt
Daniel Wehnhardt, Jahrgang 1984, hat in Kassel Spanisch und Politikwissenschaften studiert. Heute schreibt er zeitgeschichtliche und zeitgenössische Spannungsromane und lebt als freier Autor in Kassel. Doch nicht nur dort arbeitet er an seinen Büchern, sondern auch auf Gran Canaria, wo er selbst eine Zeit lang gelebt und unterrichtet hat. In seiner Freizeit stöbert er gerne durch Buchhandlungen und trainiert leidenschaftlich verschiedene asiatische Kampfkünste. Mehr über den Autor: www.danielwehnhardt.de
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Buchvorschau
Das Maven-Projekt - Daniel Wehnhardt
PROLOG
Er ließ sie nicht aus den Augen. Seit einer gefühlten Ewigkeit kreiste er nun schon über ihnen. Ein weit entfernter, leise surrender Punkt. Unermüdlich zog er seine Schleifen, als würde er liegende Achten in den Himmel malen.
Adnan blieb stehen und blinzelte in die Sonne. Der Achtjährige hatte schon viele von ihnen gesehen. Von den grauen Vögeln, wie er sie nannte.
Hier, in seiner Heimat, gehörten sie zum Alltag. Aus den Erzählungen seines Vaters wusste Adnan, wie alles begonnen hatte. Damals hatten die Menschen noch nach den grauen Vögeln geschaut und sich ängstlich vor ihnen verkrochen. Heute nahmen sie sie nur noch zur Kenntnis. Wie ein natürliches Phänomen, gegen das sie zwar machtlos waren, vor dem sie jedoch niemals den Respekt verloren. Für Adnan hatten die grauen Vögel hingegen von Anfang an dazugehört, er war mit ihnen aufgewachsen. Die Vorstellung, dass sie vielleicht eines Tages nicht mehr da sein, dass sie nicht mehr über seinem Kopf kreisen würden, kam ihm merkwürdig vor.
Doch nicht nur er war von ihnen fasziniert. Auch sein bester Freund Omran schaute jedes Mal staunend zum Himmel, wenn sie einen von ihnen erspähten. Wann immer sie konnten, schlichen Adnan und er sich an die Steinmauer heran, die den Stützpunkt umschloss, und beobachteten die grauen Vögel mit leuchtenden Augen. Solange, bis eine Patrouille auf sie aufmerksam wurde und sie von dem Gelände verscheuchte. Weil sie zu jung waren, waren sie bisher noch nie dabei festgenommen worden. Trotzdem bekamen sie dafür jedes Mal zuhause mächtig Ärger. Omran sogar noch mehr, weil seine Mutter besonders große Angst um ihn hatte und deshalb sehr streng mit ihm war. Adnan hingegen hatte Glück. Bisher hatte sein Vater ihm nur ein paar halbherzige Standpauken gehalten. Nichts, das ihn davon abgehalten hätte, es wieder zu tun.
Bei diesem Gedanken schaute Adnan nach oben.
Komisch, dachte er, dieser graue Vogel war irgendwie anders als die, die er kannte.
Vor allem war er größer. Aber auch gewaltiger. Rätselhafter.
Außerdem: Warum kreiste er überhaupt so lange über ihnen? Wofür interessierte er sich? Was war so spannend an Adnan und seiner Familie? Was war schon dabei, dass sie sich gerade auf dem Heimweg befanden?
Es war die Idee seines Vaters gewesen, mal wieder etwas Zeit zusammen zu verbringen. Ein paar Tage lang hatten sie hin und her überlegt und sich schließlich für ein gemeinsames Picknick entschieden. Dann, am frühen Nachmittag, waren sie zum Fluss Kabul aufgebrochen und hatten sich dort ein gemütliches Plätzchen gesucht.
Sie bauten ihre mitgebrachten Sonnenschirme auf und machten es sich auf bunten Decken bequem. Sie teilten alles, was ihre Mutter für sie gekocht hatte. Während die anderen über Mantu, die kleinen Teigtaschen mit Kichererbsen, herfielen, verdrückte Adnan sein Lieblingsessen: Kabuli Palau, ein Reisgericht mit Lamm, Rosinen, Möhren und verschiedenen Gewürzen. Sie unterhielten sich, lachten, und als Überraschung holte ihr Vater ein Kartenspiel heraus, das er auf dem Markt ergattert hatte. Stunden, die sich friedlich anfühlten, und still, als verdrängten sie alles, womit sie als Familie tagtäglich kämpften.
Die Stimme seines Vaters holte Adnan zurück in die Gegenwart. In die trockene, bergige und steinige Landschaft, die ihn umschloss und sich bis zum Horizont erstreckte. Es war sein Zuhause.
„Nun komm schon, Junge, rief sein Vater erneut aus der Ferne, „wir wollen weiter!
Sein hellgrauer Kaftan flatterte sanft im Wind. „Was guckst du so in die Luft?"
Trotz der Entfernung, die sie trennte, glaubte Adnan den für seinen Vater so typischen Ausdruck in seinem Gesicht zu erkennen: eine Mischung aus Verärgerung, dass sie schon wieder auf ihn warten mussten, und Verständnis für die träumerische Art seines Sohnes, mit der er ihm doch so sehr ähnelte. Schon oft hatte sein Vater ihn in Schutz genommen, wenn seine Mutter einmal mehr wegen seiner Trödeleien mit ihm geschimpft hatte. Hinterher hatte Adnan sich dann immer bei ihm bedankt. Sein Vater hatte daraufhin nur gelächelt und ihm durchs Haar gewuschelt. Sie hatten schon immer eine enge Beziehung zueinander gehabt, und manchmal, wenn sein Vater ihn ansah, glaubte Adnan, dass er ihn von seinen Kindern besonders liebte. Auch wenn er immer sagte, dass jeder von ihnen einen gleich großen Anteil in seinem Herz einnahm.
Schließlich setzte Adnan sich wieder in Bewegung. Vor lauter Staunen über diesen neuen grauen Vogel hatte er seine Familie völlig aus den Augen verloren, und das hatte er nun davon. Mit Sicherheit würde er sich deshalb von seinen Geschwistern wieder etwas anhören müssen. Vor allem von seinen beiden großen Brüdern, die ohnehin bereits während des Picknicks darauf gedrängt hatten, endlich nach Hause zu gehen. Adnan rechnete damit, dass sie ihm zur Strafe in einem unbeobachteten Moment gegen die Schulter boxen würden. So, wie sie es immer taten, um die Dinge unter sich zu regeln. Wann immer Adnan das seinen Eltern erzählte, bekam er hinterher gleich wieder ein paar Schläge verpasst. Wahre Geschwisterliebe eben.
Dann plötzlich ein Zischen.
Adnan zuckte zusammen. Was war das nur für ein Geräusch?
Erneut sah er nach oben.
War das etwa … ein Pfeil? Ein langer, dünner Strich rauschte vom wolkenlosen Himmel herab. Direkt auf den Hügel zu, an dem Adnans Familie auf ihn wartete.
In den Augen seines Vaters funkelte mit einem Mal nacktes Entsetzen. Er rollte seine Hände zusammen und legte sie an seinen Mund.
„Junge, geh in –", konnte er gerade noch rufen.
Adnan sah, wie der Pfeil direkt vor seinen Füßen einschlug.
EINS
Der Fund
1
Erfolg ist kein Glück
Sondern nur das Ergebnis von Blut, Schweiß und Tränen
Das Leben zahlt alles mal zurück
Es kommt nur ganz darauf an, was du bist
… rappte David das Lied mit, das aus den Lautsprechern seines Laptops dröhnte. Kontra K, der Titel: Erfolg ist kein Glück. Währenddessen überprüfte er zum hoffentlich letzten Mal seine Liste. Auf ihr hatte er alle Dinge notiert, die er für die nächsten zweieinhalb Wochen brauchen würde.
Nicht nur seine Lautsprecher stellte David mit diesem Song vor eine Herausforderung. Wenn seine Uni-Freunde von früher schon damals gewusst hätten, dass er heute die Lieder des Deutsch-Rappers aus Berlin hoch und runter hörte, hätten sie ihm wahrscheinlich nahegelegt, den Studiengang zu wechseln. Und wenn sie dann auch noch gewusst hätten, dass er heute sogar Listen fürs Kofferpacken schrieb, hätten sie womöglich auf dem Campus für seine sofortige Exmatrikulation demonstriert. Denn Listen zu schreiben galt in den Kreisen, in denen er sich damals bewegte, als faschistoid. Das betraf natürlich vor allem Anwesenheitslisten in Seminaren, jedoch auch Listen im Allgemeinen.
Bei diesem Gedanken musste David schmunzeln. Dabei setzte er einen Haken hinter den letzten Punkt – den schönsten von allen, nämlich die kurzen Hosen – und ging sicherheitshalber auch noch einmal die übrigen Punkte durch. Schließlich würde er eine ganze Weile weg sein, sogar so lange wie seit dem Ende seines Studiums nicht mehr, und deshalb war es ihm besonders wichtig, nichts zu vergessen.
Geschlagene sieben Jahre war es nun bereits her, dass er der Uni den Rücken gekehrt und bei der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen angeheuert hatte. Sieben fucking Jahre. In einer Psychologie-Zeitschrift hatte er gelesen, dass die Persönlichkeit eines Menschen sich angeblich genau in diesem Intervall veränderte.
Auf David traf das unzweifelhaft zu. Dass er seit seinem Abschluss einen Wandel durchlebt hatte, ließ sich nicht bestreiten. Dieser zeigte sich auch äußerlich, denn im Gegensatz zu früher, als er seine langen, dunklen Haare noch zusammengebunden in einem hochgesteckten Dutt trug, sah seine heutige Frisur um Lichtjahre konventioneller aus. Kurz geschnitten, meistens um die acht Millimeter lang, und mit etwas Gel zum Seitenscheitel frisiert. Zudem hatte David angefangen, ein bisschen Sport zu treiben, wenn auch widerwillig und eigentlich nur, um bei Dieter Naumann, seinem Ressortleiter, ein paar Sympathiepunkte zu sammeln. Doch inzwischen genoss er es sogar, ein wenig zumindest. Das Joggen am frühen Morgen verschaffte ihm ein vitaleres Lebensgefühl. Wenn auch zu einem hohen Preis, denn anstrengend blieb es allemal, um diese Uhrzeit bereits die Laufschuhe zu schnüren.
Auch Davids Weltbild hatte seitdem ein paar Risse bekommen. Früher, vor allem jedoch während des Studiums, war er noch ein überzeugter Kämpfer für die Interessen der so genannten Arbeiterklasse gewesen. Bei den Wahlen zum Hochschulparlament hatte er sein Kreuz bei der sozialistischsten Gruppe gesetzt, die er auf dem Zettel fand. Auch heute betrachtete er sich selbst noch als links, was auch sonst. Aber ein Mao, wie dieser Stinkstiefel Borowski ihn damals während seines Praktikums stets genannt hatte, war David auf keinen Fall mehr. Denn heute hegte er ernsthafte Zweifel daran, dass die Welt sich tatsächlich in Gut und Böse, in Arbeiter und Kapitalisten, einteilen ließ. Das Älterwerden hatte ihm gezeigt, dass die einfachen Antworten meistens vor allem eins waren: falsch. Dieser Erkenntniswandel war alles andere als reibungslos verlaufen, denn an nichts hielten die Menschen so eisern fest wie an ihren Weltbildern, und David stellte in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Es verhielt sich wie mit Kindern: Die eigenen waren immer die schönsten. Doch entweder man fühlte sich einer Ideologie verpflichtet, oder eben der Suche nach der Wahrheit. Für David galt zweifelsohne Letzteres, dafür hatte er sich irgendwann entschieden, und so fragte er sich heute manchmal, wie kurzsichtig und unreflektiert er zentrale Fragen des Lebens früher beantwortet hatte. Ob das seiner Sozialisation geschuldet gewesen war? Ein Ergebnis der Umstände, unter denen er aufgewachsen war?
Davids Motivation hatte sich hingegen nicht verändert. Der Grund, warum er es liebte, als Journalist zu arbeiten, war immer noch derselbe. Immer war es seine Absicht gewesen, die Welt zu verändern, zum Besseren natürlich. Damals, während er seine ersten Schritte als Redakteur gemacht hatte, hatte er auch noch eine Vorstellung davon gehabt, wie dieses besser genau aussehen sollte. Heute war diese Vision jedoch verschwommen, als sei sie vor seinen Augen zerlaufen wie ein verwässertes Aquarell. Wäre die Welt, wie er sie sich früher vorgestellt hatte, wirklich eine bessere? Besser für wen? Wollten die Menschen überhaupt, dass sich die Dinge in diese Richtung veränderten? Lauter Fragen, auf die es bei genauer Betrachtung keine schnellen und schon gar keine einfachen Antworten gab.
Dann riss ihn plötzlich ein Klingelton aus seinen Gedanken. Erschrocken drehte David sich zu seinem Laptop herum. Auf dem Bildschirm ploppte das Videokonferenz-Programm auf. Dazu ein gesichtsloser Avatar mitsamt Benutzername: The Wife.
Irritiert verzog David das Gesicht. Deutete der Name darauf hin, dass es sich bei dem Anrufer womöglich um eine Frau handelte? Untergekommen war er David jedenfalls noch nie. Abgesehen davon, dass die Liste seiner Kontakte kürzer war als die zum Kofferpacken, kannte David auch alle Personen darauf. Er benutzte das Programm ausschließlich für dienstliche Zwecke, vor allem fürs Arbeiten im Homeoffice, und somit zählten auch nur jene Menschen, mit denen er beruflich zu tun hatte, zu seinen Kontakten. Vor allem natürlich seine Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion.
David legte Block und Stift beiseite und ging hinüber zum Küchentisch, auf dem sein Laptop stand. Noch immer drängte The Wife sich auf. Unentwegt vibrierte ein Telefonhörer neben dem Programmsymbol. Wer auch immer das war, dachte David, es mangelte ihm nicht an Hartnäckigkeit. Es war auch nicht das erste Mal, dass eine unbekannte Person versuchte, ihn zu erreichen. Für gewöhnlich reagierte David immer gleich darauf, nämlich, indem er das Klingeln einfach ignorierte. Doch dieser Anruf interessierte ihn. Irgendetwas in seinem Inneren befahl ihm, da ranzugehen.
Als seine Neugierde ihn schließlich überkam, beugte David sich über die Tastatur und nahm den Anruf entgegen. Die Verbindung wurde aufgebaut, und schon wenige Augenblicke später erschienen zwei Fenster auf seinem Bildschirm. In einem war er selbst zu sehen, im Out-of-Bed-Look mit strubbeligen Haaren, zerknautschtem Gesicht und verschlafenen Augen, und im anderen … nichts. Eine tiefschwarze Fläche, der digitale Ausdruck eines absoluten Anonymitätswunsches. David reagierte gedankenschnell und schaltete seine Kamera ebenfalls aus. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich an den Tisch.
„Hallo? Wer ist da?"
Stille. Keine Geräusche im Hintergrund, nicht mal ein Rauschen oder Brummen.
Dann plötzlich eine kraftvolle Stimme.
„Spreche ich mit David Wächter? Dem Redakteur?"
Sofort fiel David auf, dass etwas Seltsames in dieser Stimme lag. Auch wenn dieses Etwas schwer zu definieren war.
Dass die Stimme zu einer Frau gehörte, war hingegen eindeutig. Vermutlich war sie zwischen dreißig und fünfzig Jahre alt. Außerdem hörte sie sich an wie eine Deutsche, oder zumindest wie eine Person, die Deutsch perfekt beherrschte. Denn alles, was sie sagte, war absolut fehlerfrei. Es war vielmehr der leichte Akzent, der David irritierte. Als ob die Sprecherin es einfach nicht mehr gewohnt sei, diese Sprache zu sprechen. Als würde es ihr an Übung fehlen, wie nach einer langen Auszeit.
„Ja, der bin ich", bestätigte David nun. „Und wer möchte das wissen? The Wife? Ich nehme doch an, dass Sie nicht wirklich so heißen."
„Nennen Sie mich Mrs. Sears", antwortete die Frau knapp. Entweder, weil es tatsächlich ihr richtiger Name war, oder aber, weil sie ihn sich als Tarnnamen ausgedacht hatte. Auf jeden Fall klang er amerikanisch, und bei dieser Erkenntnis klingelte es bei David. Jetzt wusste er den Akzent zuzuordnen: Vereinigte Staaten. Diesem nach zu urteilen, musste die Frau schon ziemlich lange auf der anderen Seite des Atlantiks leben.
„Wieso geben Sie sich nicht zu erkennen, Mrs. Sears?", fragte David weiter.
„Es ist sicherer, antwortete sie kryptisch. „Für mich, und vor allem für Sie.
Damit war Davids Neugier nun endgültig entfacht. Gleichzeitig verfluchte er sich dafür, dass er auf diese Masche hereinfiel. Aber so war er nun mal, immer interessiert an neuen Informationen, und bisher hatte sich diese Eigenschaft in seinem Leben auch als nützlich erwiesen, vor allem natürlich in seinem Beruf. Denn in diesem Punkt ähnelte die Arbeit als Journalist durchaus jener eines polizeilichen Ermittlers. Eine gute Spürnase machte den Unterschied aus, trennte die Gewöhnlichen von den Spitzenleuten. Zweifellos wollte David zu den Letzteren gehören, und er selbst zählte sich auch bereits zu ihnen. Einzig seine Vorgesetzten galt es noch davon zu überzeugen.
Gerade als er Luft holte und zu seiner nächsten Frage ansetzte, kam die Anruferin ihm zuvor.
„Ich habe Material für Sie."
„Material? Was für Material?"
„Etwas, das Sie interessieren wird."
„Wie kommen Sie darauf?"
„Weil Sie damit einen riesigen Skandal aufdecken können."
David schmunzelte. Die Frau ließ wahrlich nichts unversucht.
„Ach, wissen Sie, von solchen hatten wir hier in den letzten Jahren genug, antwortete er. Er verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. „Ich bezweifle, dass die Menschen schon wieder bereit für einen neuen sind.
„Das klingt aber gar nicht nach dem David Wächter, den ich kenne."
„Mit Verlaub, Mrs. Sears, und bei allem Respekt: Sie kennen mich nicht."
„Stimmt. Aber ich kenne Ihre Beiträge."
Zum ersten Mal, seitdem er das Gespräch angenommen hatte, vernahm David nun ein Hintergrundgeräusch in der Leitung. Er erkannte es sofort, denn in der Redaktion hörte er es ständig: ein unverkennbares Rascheln, als ob die Anruferin einen Stapel Zeitungen durchblätterte. Hatte sie in diesem Moment etwa eine oder mehrere Ausgaben der HNA neben sich liegen?
„Vor allem Ihr Artikel über diese Verbrecher-Firma ist mir im Gedächtnis geblieben. Wie hieß die doch gleich?"
„Vermutlich meinen Sie WerraSalz."
„Genau! Ist ja unglaublich, was Sie damals aufgedeckt haben. Chapeau, damit haben Sie denen echt das Handwerk gelegt! Ausgezeichnete Arbeit war das."
„Vielen Dank, aber den Beitrag habe ich zusammen mit meinem Kollegen geschrieben."
„Ich weiß, ich weiß, ich erinnere mich. Aber wir wissen doch beide, welchen Anteil Sie in Wahrheit geleistet haben."
„Ich bin mir nicht sicher, ob Sie das beurteilen können."
Die Anruferin nahm sich eine kurze Auszeit.
Dann, wenige Augenblicke später, meldete sie sich wieder zurück.
„Damit haben Sie vermutlich recht. Dennoch muss es Sie doch höllisch geärgert haben, dass Sie dafür nicht den Wächterpreis erhalten haben. Oder täusche ich mich?"
David zuckte zusammen. Der hatte gesessen. Treffer und versenkt.
Doch woher wusste sie überhaupt davon? Wer auch immer sich hinter dieser mysteriösen Mrs. Sears verbarg, sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht. Nur die wenigsten Menschen wussten, worum es sich bei dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse handelte.
„Ein Unding, wenn Sie mich fragen, fügte die Anruferin hinzu. „Sie hätten ihn verdient gehabt.
David räusperte sich. Er griff nach dem Wasserglas, das vor ihm auf dem Tisch stand, und nahm einen kräftigen Schluck. Er bemühte sich, so emotionslos wie möglich zu klingen.
„Die Jury hat das anders gesehen."
„Hmh-hmh. Offensichtlich."
Wieder eine Unterbrechung. David trank das Glas in einem Atemzug aus, wischte sich anschließend den Mund ab und schob es von sich weg.
„Mit dem, was ich für Sie habe, lassen Sie denen keine Wahl mehr, sagte Mrs. Sears. „Das verspreche ich Ihnen.
„Soso. Das klingt ja zu schön, um wahr zu sein."
David glaubte ihr kein Wort. Allzu lange würde er sich diese Spinnerei auch nicht mehr anhören, denn bevor es morgen früh losging, stand noch einiges auf seiner Agenda. Sein Blick wanderte hinüber zu seinem Koffer und seiner Liste.
„Und was für … Material … haben Sie für mich?"
„Wie ich sagte, das kann ich Ihnen leider noch nicht verraten. Es würde uns nur in Gefahr bringen. Denn vielleicht, ihre Stimme wurde gedämpft, „hören die uns ab.
David unterdrückte ein Lachen. „Die? Wer sind denn die?"
„Sie werden es verstehen, sobald Sie es gesehen haben."
Er winkte ab. Langsam verging ihm die Lust an diesem Spielchen. Es wurde Zeit, dem Treiben ein Ende zu setzen.
„Einverstanden, Mrs. Sears, Sie haben gewonnen. Dann schicken Sie doch mal rüber, was Sie haben. Ich gebe Ihnen gleich meine E-Mail-Adresse durch."
„Das geht nicht. Ich kann Ihnen das Material nicht per E-Mail schicken."
„Lassen Sie mich raten: zu gefährlich?"
„Hmh-hmh", brummte sie bestätigend.
Das wurde ja immer abenteuerlicher. Davids Geduldsfaden war jetzt endgültig gerissen. Zwar hatten sich im Laufe seiner bisherigen Karriere schon viele Spinner bei ihm gemeldet, und darunter waren auch einige gewesen, deren Geisteszustand er nicht mehr als gesund bezeichnet hätte. Aber diese Anruferin mit dem merkwürdigen amerikanischen Akzent setzte noch einen obendrauf.
„Und was schlagen Sie stattdessen vor?, fragte David schnippisch. „Brieftauben?
Er schmunzelte über seinen eigenen Witz. „Oder haben die etwa auch Tiere unter ihrer Kontrolle?"
„Ich muss Ihnen das Material persönlich geben, antwortete sie nüchtern. „Von Angesicht zu Angesicht.
„Da muss ich Sie enttäuschen, Mrs. Sears. Dabei war David selbst ein wenig enttäuscht, dass sie auf seine Provokation nicht angesprungen war. „In ein paar Stunden fliege ich nach Gran Canaria. Sie wissen schon, Sonne, Meer, gute Laune. Alles, woran es uns hier in Nordhessisch-Sibirien so mangelt.
Obwohl er seine Kamera ausgeschaltet hatte, drehte er sich instinktiv herum und zeigte auf seinen aufgeklappten Koffer. „Sie werden sich also noch zweieinhalb Wochen gedulden müssen, fürchte ich, bis ich wieder zurück bin. Oder Sie wenden sich an meine Kollegen in der Redaktion."
„Wo auf Gran Canaria?"
Ihr Nachhaken brachte David aus dem Konzept. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Wollte Sie damit etwa tatsächlich andeuten, dass …
„Vermutlich im Süden, nicht wahr?, ließ sie ihm keine Zeit zu antworten. „Maspalomas?
„Sie kennen sich gut aus. David schnalzte mit der Zunge. „Aber ich muss Sie leider erneut enttäuschen. Ich werde in einem Hotel in den Bergen unterkommen, weit weg vom Trubel.
„Gut, dann komme ich eben zu Ihnen, wenn’s sein muss."
„Sie meinen, dass Sie –?"
„Wegen des Treffpunkts melde ich mich wieder bei Ihnen."
David verschlug es die Sprache. Hatte er es etwa mit einer Durchgeknallten zu tun? Sie konnte doch nicht wirklich vorhaben, zu ihm nach Gran Canaria zu fliegen? Wer nahm eine solche Reise auf sich, nur um einem jungen Redakteur einer überregionalen Tageszeitung irgendwelche Dokumente zu übergeben? Worum handelte es sich dabei bloß? Was hatte er sich da nur wieder eingebrockt?
„Also, wir hören uns, sagte sie zum Abschied. „Und bis dahin gebe ich Ihnen einen Rat: Erzählen Sie niemandem von unserem Gespräch.
„Ich … ich weiß nicht, was –"
„Niemandem, haben Sie verstanden?"
David schluckte. „In Ordnung."
Dann verschwand mit einem Mal das schwarze Fenster, so plötzlich, wie es aufgetaucht war. Mit ihm der Avatar und das Logo des Programms. David war wieder allein mit sich und der Stille.
Und mit jeder Menge Fragen.
Den Start in seinen Sommerurlaub hatte er sich definitiv anders vorgestellt.
2
Markus Oster war zum ersten Mal in dieser Stadt. Bisher hatte es allerdings auch keinen Anlass für ihn gegeben hierherzukommen, und außerdem hatte er noch nicht viel Gutes über sie gehört. Eine Stadt mitten in der Provinz, umgeben von mehr oder weniger großen Dörfern, Bergen und Feldern. Dazu eine Straßenbahn, und Menschen, die kaum mürrischer sein könnten. Das war es, was man sich über Kassel und seine Bewohner erzählte. Immerhin gab es in der einzigen Großstadt Nordhessens einen IC-Bahnhof – den, an dem Oster vor einer Stunde angekommen war – und sogar einen Flughafen. Wegen des Bombenanschlags vor einem Jahr liefen dort allerdings immer noch die letzten Reparaturarbeiten.
Normalerweise wäre er unter keinen Umständen hierhergefahren. Bisher hatte er seine Kunden ausschließlich an Orten getroffen, die er selbst bestimmt hatte. Meistens waren das Parkplätze im Nirgendwo gewesen, aber auch Wohnungen von Vertrauenspersonen oder sonstige abgelegene Plätze, an die sich für gewöhnlich keine Menschenseele verirrte. Das galt vor allem zu Osters eigener Sicherheit. Zwar existierten in seinem Beruf nur wenige Regeln, aber auf diese hatte er bisher immer gesteigerten Wert gelegt.
Bis heute. Der Grund: die aberwitzige Summe, die sein Kontaktmann ihm am Telefon genannt hatte. Zuerst war Oster davon ausgegangen, dass er sich verhört oder aber sein Gegenüber sich versprochen hatte. Doch beides war nicht der Fall, und außerdem war es bereits Juli, zu spät also für einen Aprilscherz. Auf seinen Wunsch hin wiederholte sein Kontaktmann die Summe, und danach wusste Oster, dass sein Gehör nach wie vor prächtig funktionierte.
Diese Zahl hatte seine Zukunftspläne auf den Kopf gestellt. Maximal fünf Jahre wollte er in diesem Spiel noch mitmischen. Danach lockte ihn Lateinamerika. Am besten ein Land, das nicht nur mit gutem Wetter und schönen Frauen aufwartete, sondern auch ein Herz für untergetauchte Männer wie ihn hatte. Er dachte an Paraguay, Venezuela, Chile. Wohlklingende Namen von Orten, die ihm Sicherheit versprachen.
Doch dieses neue Angebot veränderte alles. Wenn Oster es akzeptierte, würde er keine fünf Jahre mehr arbeiten müssen. Dann würde er sich gleich zur Ruhe setzen, direkt nach dem erfolgreichen Abschluss dieses Auftrags. Worin genau dieser bestand, darüber hatte sein Kontaktmann ihn im Unklaren gelassen. Deshalb hatte Oster mit seiner Regel gebrochen und war nach Kassel gekommen. Um sich anzuhören, was diese Männer als Gegenleistung von ihm verlangten. Es würde mehr sein als nur eine Überwachung von unliebsamen Mitarbeitern, so viel ahnte Oster schon jetzt. Es würde schmutzig werden, vermutete er, und blutig sowieso. Doch blutig war sein Leben schon seit Langem. Seitdem er damals in diese Transall gestiegen war, Flugziel Afghanistan. Der Krieg, das Töten, die ständige Begegnung mit dem Tod – mit diesem Flug hatte alles angefangen.
Oster rückte seine Krawatte zurecht und betrat das Gebäude. Das Gelände, auf dem es stand, lag im Zentrum der Stadt, nur einen kurzen Fußmarsch vom Hauptbahnhof entfernt. Trotzdem wurde es durch einen hohen und blickdichten Zaun weiträumig von der Außenwelt abgeschirmt. Es wurde bewacht durch eine Armada von Kameras, die im Abstand von nur wenigen Metern um die Anlage herum angebracht waren. Elektronische Türsteher, die jede Bewegung in einem gewissen Umkreis erfassten.
Auf dem
