[go: up one dir, main page]

Entdecken Sie mehr als 1,5 Mio. Hörbücher und E-Books – Tage kostenlos

Ab $11.99/Monat nach dem Testzeitraum. Jederzeit kündbar.

Evas Mann: Roman
Evas Mann: Roman
Evas Mann: Roman
eBook219 Seiten2 Stunden

Evas Mann: Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

»Die brutalste, ehrlichste und schmerzhafteste Offenbarung dessen, was in den Seelen schwarzer Männer und Frauen passiert ist und passiert.« James BaldwinEva Medina Canada sitzt im Knast, schweigsam und ohne Reue. Sie hat ihren Liebhaber ermordet, warum, bleibt ihr Geheimnis. Ihre Erinnerungen kreisen um die Begegnungen mit den Männern in ihrem Leben – den Schuljungen, den Freund ihrer Mutter, den Cousin, ihren Ehemann, einen Fremden im Bus. Solange sich Eva erinnern kann, wurde sie bedrängt, überhört und missbraucht. Es sind singuläre Erlebnisse, die aufgehen in einer universellen weiblichen Erfahrung: der vermeintlichen Verführerin. – Die unmittelbaren Gedanken und Gefühle einer schwarzen Frau, der die Selbstermächtigung auf tragische Weise gelingt. Gayl Jones ist damit ein grandioses literarisches Kunststück gelungen. Diesen Roman vergisst man nicht. »Eine literarische Gigantin und eine meiner absoluten Lieblingsautorinnen« Tayari Jones
SpracheDeutsch
HerausgeberKanon Verlag
Erscheinungsdatum27. Feb. 2025
ISBN9783985680535
Evas Mann: Roman
Autor

Gayl Jones

Gayl Jones wurde 1949 in Kentucky geboren, wo sie auch heute noch zurückgezogen lebt. Sie hat am Wellesley College und der University of Michigan gelehrt. »Evas Mann« aus dem Jahr 1976 ist ihr zweiter Roman. Ihr erster Roman »Corregidora« aus dem Jahr 1975, erschien 2022 bei Kanon. Zuletzt erschienen von Gayl Jones der Roman »Palmares« (2021), der auf der Shortlist für den Pulitzer Prize stand, sowie »The Birdcatcher« (2022), der für den National Book Award nominiert war.

Ähnliche Autoren

Ähnlich wie Evas Mann

Ähnliche E-Books

Fiktion für Sie

Mehr anzeigen

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Evas Mann

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Evas Mann - Gayl Jones

    TEIL EINS

    1

    Die Polizei kam und fand Arsen in dem Glas, da war ich aber schon weg. Entdeckt hatte ihn die Wirtin in dem Hotel. Sie war ins Zimmer gegangen, um ihm die Sonntagszeitung zu bringen und die Miete zu kassieren. Es heißt, sie hätte geschrien und geschrien und das ganze Haus geweckt. Und das hätte jetzt einen schlechten Ruf, vor allem dieses Zimmer. Ich hab aber auch gehört, dass viele Leute da extra hingehen, mal kucken, wo das war mit dem Verbrechen. Stand sogar ein Artikel dadrüber in so einer Polizeiillustrierten. Das ist aber üblich. Ich hab den Artikel nie gesehen. Ich hatte erfahren, dass da ein Bild von ihm drin ist, wodrauf man sieht, was ich gemacht hatte, und das hat mich geärgert. Dass auch eins von mir drin ist, hat mich nicht so geärgert. Elvira hatte mir erzählt, die haben da ein Bild von mir drin, und ich hab dadrauf total ungekämmte Haare und seh aus wie eine Wilde.

    Elvira sitzt in einer Zelle mit mir, Gefängnispsychiatrie. Sie darf öfter raus als ich, die sagen, sie hätte sich mehr unter Kontrolle als ich. Dabei hab ich gar nichts gemacht, seit ich hier drin bin. Es liegt dadran, was ich gemacht habe, bevor ich hier reinkam, an der Art meines Verbrechens, dass ich drinbleiben muss. So wie die mich ansehen. Die lassen mich nicht raus mit den andern Frauen. Elvira liest immer Zeitungen, wenn sie raus darf, und wenn sie wieder da ist, erzählt sie mir, was drinstand. Sie wollte mir den Artikel mitbringen, aber sie durfte ihn mir nicht mitbringen. Erst wollte ich den selber sehen, aber als Elvira ihn in der Unterwäsche reingeschmuggelt hatte, hab ich nicht mal draufgekuckt. Ich hab gesagt, sie soll ihn zerreißen und im Klo runterspülen.

    »Also, die dachten ja, wegen dir hat das Hotel jetzt n schlechten Ruf«, sagte sie. »Ich meine, so n schlechten Ruf, dass kein Mensch mehr da hin und da bleiben will. Und jetzt stellt sich raus, dass es n paar schräge Leute in der Welt gibt.«

    »Was meinst du?« Mein Blick wurde finster.

    »Ich meine, gibt so Leute, die wollen da extra hin, die wollen mal wo schlafen, wo sowas passiert ist, die nehmen ihre Huren da mit hin und so. Mal im selben Bett schlafen, wo du den umgebracht hast. Denken ja manche, dass du das auch bist, ne Hure.«

    Mein Blick war immer noch finster.

    »Bin nicht ich, die sowas sagt.«

    Ich lag auf meiner Pritsche und starrte an die Decke. Es gab auch Leute, die meinten, ich hätte das gemacht, weil ich das mit seiner Frau rausgekriegt hatte. Das haben sie beim Prozess vorgetragen, war die einfachste Erklärung, die sie finden konnten. Aber ich hab seine Frau gesehen. Erst wollte ich die gar nicht sehen, weil ich nicht wusste, wie ich mich dann fühle. Sie kam mal auf Besuch, wie der Prozess noch lief. Eine dürre, verlottert aussehende Frau mit einem schwarzen Hut. Aus irgendeinem Grund hatte ich eine üppige, gutaussehende Frau erwartet. Sie hat kein Wort gesagt. Bloß vor der Zelle gestanden und mich angestarrt, und ich hab zurückgestarrt. Ich musste die ganze Zeit nur dran denken, wie er wohl sie behandelt hatte. Sah nämlich ganz so aus, als hätte er sich an ihr übler vergangen als an mir. Ich meine, falls sie innen drin so übel drauf war, wie sie von außen aussah. Sie hat da bestimmt fast eine Viertelstunde gestanden, dann ist sie gegangen. Da war absolut nichts in ihren Augen – kein Hass, kein gar nichts. Oder ich hab das, was immer da drin war, nicht sehen können. Als sie weg war, hab ich überlegt, was sie wohl in meinen gesehen hatte.

    Sogar jetzt kommen noch Leute an und wollen wissen, wie es passiert ist. Wollen, dass ich das nochmal und nochmal erzähle. Also, nicht nur die Psychiater, auch Zeitungsleute und sowas. Sie haben irgendwo was dadrüber gelesen oder gehört und wollen es einfach wachhalten. Anfangs hab ich mit niemandem geredet. Den ganzen Prozess lang hab ich mit niemandem geredet. Erst als ich hier drin war, hab ich doch an zu reden gefangen. Jetzt erzähl ich so viel, dass ich selber nicht mehr durchfinde. Ich erzähl denen Sachen, die mit dem, was ich gemacht hab, überhaupt nichts zu tun haben, aber die sagen, das wollen sie auch hören. Was zwischen meiner Mutter und meinem Vater los war, wollen die genau so hören wie, was zwischen mir und dem Mann da los war. Es war sogar mal einer hier, der wollte was über meine Großmutter und meinen Großvater hören. Ich merke immer, wenn ich nicht mehr durchfinde, dann sag ich auch, dass ich da gerade selber nicht richtig durchfinde, aber die finden das in Ordnung, ich soll einfach weitermachen. Manchmal glauben sie allerdings, ich lüge ihnen was vor. Dann sag ich, nicht ich lüge, die Erinnerung lügt. Das glaube ich zwar nicht, denn die Vergangenheit ist noch genauso heftig da wie die Gegenwart, aber ich sag ihnen das trotzdem. Sie erzählen immer, sie wollen mir helfen. Ich bin jetzt dreiundvierzig, aber ich hab noch nichts mitgekriegt von irgendner Hilfe.

    Als es passiert ist, war ich achtunddreißig. Kommt mir nicht vor wie fünf Jahre her, ist aber so. Kommt mir nicht mal vor wie fünf Monate her. Ich kann den Kohl noch schmecken, den ich gerade aß. Ich saß in einem Lokal und aß Schmorkohl mit Wurst und trank Bier und hörte einer Frau zu, die auf einer Bühne Blues sang. Damals war ich gerade in Upstate New York. Ich hab schon in Kentucky gelebt, ich hab in New York City gelebt. Ich war in West Virginia, in New Orleans. Gerade kam ich aus New Mexico. Als sie mich in Wheeling entlassen haben, bin ich einfach los und runter nach New Mexico. Tabak wird ja auch in Connecticut angebaut. Sogar da war ich. Ich bin früher gar nicht so viel rumgereist, erst als ich geheiratet hatte und das schiefgegangen war, danach hab ich beschlossen, ich bleib einfach allein. Als Frau allein sein ist leichter an verschiedenen Orten als an ein und demselben. Mit einem Mann hatte ich seit ewigen Zeiten nicht mehr auch nur geredet … der Kohl war lecker, ziemlich fettig. Wohl gleich mit der Wurst zusammen geschmort. Ich saß in der dunkelsten Ecke. Ich sah ihn, bevor er mich sah. Hochgewachsen, dunkelhäutig, sieht gut aus, der Mann. So könnte mein Mann in jungen Jahren ausgesehen haben, fiel mir ein. Ich kannte ihn nicht in jungen Jahren. Als ich ihn kennenlernte, war er alt. Aber das könnte der Grund gewesen sein, dass ich den da drüben wollte – ich meine, die Erinnerung an den Mann, mit dem ich mal verheiratet war. Er hat mich einfach an den erinnert, jedenfalls bis er an den Tisch kam, danach war er bloß noch er selbst. Er hatte sich nach einem Platz umgekuckt, und als er mich gesehen hat, ist er zu mir an den Tisch gekommen.

    »Allein hier?«

    Er kam hörbar aus dem Süden. Ich bin auch aus dem Süden. Ich hatte es mir schon irgendwie gedacht, bevor er den Mund aufmachte.

    »Jetzt nicht mehr«, sagte ich.

    Er zog den Stuhl vor und setzte sich. Ich war nervös, versuchte aber, es nicht zu zeigen.

    »Wie heißt du?«, fragte er.

    »Medina. Eva Medina.«

    »Medina is der Nachname?«

    »Nah. Ist mein mittlerer Name.«

    »Du hast doch kein Schiss vor mir, was?«

    »Nah.

    »Ich bin Davis. Wo bist du her?«

    »Von überall, wo ein Zug mich hinfährt.«

    »Was machst du so?«

    »Jetzt gerade nichts.«

    »An dich kommt man wohl schwer ran, was?«

    »So schwer nicht.«

    Meine Hände waren schweißnass. Ich ließ die eine unter dem Tisch und hielt die Gabel mit der anderen. Aß aber nicht.

    »Bist grad unterwegs?«, fragte er.

    Ich sagte: »Nah, bin grad hier.«

    Er lachte. Die Bluessängerin kam wieder auf die Bühne. Eine schmale kleine Bühne dicht an den Tischen. Er schwieg, und wir hörten ihr zu. Sie sang »The Evil Mama Blues« und »Stingaree Man«, »See See Rider« und »Wild Women Don’t Get the Blues«. Während sie sang, sah er zu mir rüber, schließlich sagte er: »Die ist gut, was?« Ich nickte. Er erzählte weiter, obwohl sie noch sang. Er sagte, er ist aus Kentucky irgendwo. Arbeitet mit Pferden. Hat sein Leben lang mit Pferden gearbeitet. Ist auch wegen Pferden hier nach Norden rauf gekommen.

    Ich hab ihm nicht erzählt, dass ich alles weiß über Männer, die mit Pferden arbeiten, dass ich in Kentucky drei Jahre meines Lebens verbracht habe. Ich ließ ihn weiterreden.

    »Hab ne Anzeige in der Zeitung gesehn, da wurde wer gesucht, der n paar Pferde rauf nach New Hampshire bringt, und das hab ich gemacht. Inzwischen bin ich fast ein Jahr nicht mehr zu Hause gewesen. Kennst du dich mit Rennen aus?«

    »Nah.«

    »Ich selber wette nie auf die Pferde«, fuhr er fort. »Das letzte Mal, wo ich auf n Pferd gesetzt hab, sind bloß hundertachtzig Dollar rumgekommen. Das kann man ja nicht Geld nennen. Ich wollte nämlich n bisschen Geld nach Hause schicken, aber da hätt ich ja bloß den Scheck vom Lohn und hundertachtzig Dollar schicken können, also, das kann man ja nicht Geld nennen. Wenn man Geld nach Hause schickt, will man doch nicht bloß n Appetithappen schicken, weißt du, was ich meine? Da wartet man doch, bis man n bisschen richtiges Geld zusammen hat.«

    »Ich weiß, was du meinst«, sagte ich.

    »They call it the devil blues«, sang die Frau gerade, jetzt leise. Davis sah hin. »Die ist echt gut«, sagte er, dann kuckte er wieder zu mir. »Ich kann dir was über dich erzählen«, sagte er. »Du hast es schon lange nicht mehr gekriegt, was?«

    Ich dachte erst, das hat er jetzt nicht gesagt, hatte er aber. Ich wusste nicht, was ich antworten soll.

    Er kuckte mich weiter an. »Du musst jetzt gar nichts sagen. Ich kann deine Augen lesen.«

    »Ach, ja?«

    »Yah. Deswegen bin ich rübergekommen.«

    »Von da konntest du meine Augen gar nicht sehen.«

    Er nickte. »Doch, konnt ich.«

    Die Kellnerin kam und fragte, ob er etwas bestellen will.

    »Ich nehm dasselbe.« Er zeigte auf meinen Teller. »Aber ohne Senf auf der Wurst.«

    Als die Kellnerin weg war, erklärte er, Senf sehe immer aus wie Kacke, Babykacke, dann lächelte er und sagte, das sei mir hoffentlich nicht auf den Magen geschlagen.

    »Nein, mein Magen kann was ab.«

    »Da wett ich drauf«, sagte er. Er sah mich aufmerksam an. »Eine Frau wie du. Was machst du bei dir selber?«, fragte er.

    Ich sagte nichts. Und dann: »Nichts, wovon du keine Ahnung hast.«

    Er lachte. »Du rückst wohl gar nichts raus, was? Mich hat ne alte Frau drauf gebracht. Für mich alt damals. Sie war neununddreißig und ich vierzehn, und sie wohnte nebenan und hat mich drauf gebracht.«

    Ich schwieg. »Hätte gedacht, du wärst von selber drauf gekommen«, sagte ich schließlich.

    »Du bist auch hart im Nehmen, was? Ich weiß genau, du bist selber drauf gekommen.«

    Ich antwortete nicht. Ich dachte an einen Jungen, der mir mit einem klebrigen Lutscherstiel in der Pussy rumgestochert hat, und dann sollte ich seinen Schwanz anfassen, und das war, wie wenn man einen Wolfsmilchstängel ausdrückt.

    »Ich bin drauf gekommen, wie alle drauf kommen«, erklärte ich ihm. »Ich hab die Beine breit gemacht. Meine Mutter hat immer gesagt, wenn mans ein Mal gemacht, ist man erst richtig zufrieden, wenn mans wieder macht.«

    »Warst du überhaupt schon mal richtig zufrieden?«

    »Na, was denkst du?«

    »Lass uns hier weg.«

    »Und wo gehen wir hin?«

    »Komm mit zu mir.«

    »Ich kann heut Abend nicht. Ich blute.«

    »Dann warten wir.«

    Er fuhr mir mit der Hand durch die Haare und aß seinen Teller leer, dann bezahlte er, und wir gingen.

    Was Elvira gesagt hat, wofür die Leute mich halten, dafür hat Davis mich wahrscheinlich auch gehalten. Komisch, wie einen jemand an jemanden erinnern kann, den man nicht mochte oder irgendwann nicht mehr mochte, sondern fürchtete – fürchtete ist das bessere Wort –, aber … Ich hatte lange Zeit kein Wort mehr gesagt, zu keinem Mann. Und Setz dich doch hatte ich noch nie gesagt. Vermutlich dachte er, das wär meine Angewohnheit, in dunklen Ecken rumzusitzen, damit Männer da … Yah, die würden da hinkommen, wo ich saß. »Scheißflittchen. Bleib doch zu Hause, wenn du von keim Mann nich angesprochen wern willst.«

    »Wo bist du her, Schätzchen?«

    »Scheiße, ich weiß genau, du hast ne Zunge. Hab noch nie n Flittchen gesehen, wo keine Zunge nich hat.« Und das eine Mal, als ich an einer Ecke stehe, kommt so ein Mann ganz dicht an den Bordstein gefahren und drückt die Tür auf. Ich steh bloß da und kuck ihn an, und dann reißt er die Tür zu und rast vom Bordstein weg. »Scheiße, bist das arschkälteste Flittchen, wo ich je im Leben gesehen hab.«

    »Wenn du von keim Mann nich angesprochen wern willst, musst du …«

    »Bist einsam?«

    »Nah.«

    »Willst mitfahren?«

    »Nah.«

    »Denkst wohl, ich will dich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1