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229 Internationale Wertschöpfungsketten: Akteurskonstellationen und Auswirkungen im Globalen Süden Peter Dannenberg 20.1 Wertschöpfungsketten als Entwicklungsmotor – 230 20.2 Problembereiche: Ungleich verteilte Erlöse, Macht und externe Effekte – 234 20.3 Ausblick – 236 Literatur – 237 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Neiberger, B. Hahn (Hrsg.), Geographische Handelsforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59080-5_20 20 230 P. Dannenberg Im Zuge der Globalisierung hat die internationale Arbeitsteilung verschiedener Produktions- und Dienstleistungsschritte (sogenannter Wertschöpfungssegmente) deutlich zugenommen. Hieraus haben sich teilweise sehr komplexe, global organisierte Wertschöpfungsketten gebildet (7 Kap. 5). Wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche und politische Prozesse in einem Land oder einer Region beeinflussen damit nicht nur das Geschehen vor Ort, sondern können sich erheblich auf weit entfernte Regionen entlang der Kette auswirken. Ob zum Beispiel die Entscheidung, in einem deutschen Supermarkt Gemüse aus Afrika zu kaufen, zu Umweltzerstörung und Ausbeutung der dortigen Landbevölkerung führt oder vielleicht sogar eine nachhaltige Entwicklung vor Ort unterstützt, hängt auch von der Art der Wertschöpfungskette ab, aus der das jeweilige Produkt stammt. Ausgehend von praktischen Beispielen landwirtschaftlicher Produkte werden im Folgenden wesentliche Entwicklungspotenziale und Hemmnisse von Wertschöpfungsketten diskutiert und die besondere Bedeutung einzelner Akteure und Wertschöpfungssegmente verdeutlicht. 20.1 20 Wertschöpfungsketten als Entwicklungsmotor Verschiedene Akteure aus Politik und Entwicklungszusammenarbeit sowie viele Bauern im Globalen Süden sehen die Einbindung von Obst- und Gemüsebauern in globale Märkte als Möglichkeit, höhere Einkommen zu erzielen und den hiervon abhängigen Haushalten eine Entwicklungsperspektive zu bieten (Hall et al. 2017). So ist zu beachten, dass der Obst- und Gemüseanbau für den Export auch für kleinbäuerliche Familien attraktiv sein kann, da viele Arbeitsschritte bislang nicht mechanisiert werden können und somit auch Betriebe unter fünf Hektar (je nach Organisationsform) die Möglichkeit besitzen, gegenüber Großbetrieben wettbewerbsfähig zu bleiben. Aufgrund naturräumlicher Gunstlagen und niedriger Arbeitskosten können gerade Betriebe im Globalen Süden besonders günstig und saisonal unabhängig Produkte für den Globalen Norden anbieten. 20.1.1 Globale Wertschöpfungsketten Unter einer Wertschöpfungskette wird die Verbindung von Rohmaterial über die Verarbeitung bis zum Verkauf eines Produkts verstanden (Kulke 2017, S. 76 ff.). Bei einer einfachen Betrachtung von Wertschöpfungsketten lassen sich zunächst die unterschiedlichen eingebundenen Orte (zum Beispiel vom Rohstofflager über den Ort der Verarbeitung über den Marktort) und die einzelnen Anteile am Wertschöpfungsprozess als eine lineare Kette darstellen. Im Zuge von Arbeitsteilung und Globalisierung kommt es vielfach zu einer Aufteilung der einzelnen Produktions- und weiteren Wertschöpfungsschritte an unterschiedlichen Standorten weltweit. Insbesondere seit den 1990er-Jahren werden die immer komplexer werdenden Wertschöpfungsketten in ihrer Bedeutung und Wirkung für die beteiligten Akteure und Regionen auf unterschiedlicher Ebene untersucht. Von besonderer Bedeutung sind vor allem die Arbeiten zu global commodity chains (GCC; Gereffi und Korzeniewicz 1994; Gereffi 1996), global value chains (GVC; Gereffi et al. 2005) und global production networks (GPN; Henderson et al. 2002) einschließlich ihrer Erweiterung GPN 2.0 (Yeung und Coe 2015). Langfristig kann die Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten zudem durch Zusammenarbeit, Wissenstransfer und Investitionen innerhalb der Ketten zu verschiedenen Aufwertungsprozessen (upgrading) führen. Dies gilt einerseits für das ökonomische upgrading, bei dem durch die Verbesserung der Produktionsprozesse (process upgrading), der Produktqualität oder des Produktspektrums (product upgrading) 231 Internationale Wertschöpfungsketten: Akteurskonstellationen … . Abb. 20.1 Hartmann) 20 Kontrolle, Zuschneiden und Verpacken von grünen Bohnen für den Exportmarkt. (Foto: G. die Erweiterung der Wertschöpfungsbereiche/-funktionen innerhalb der Kette (functional upgrading) oder durch Diversifizierung (intersectoral upgrading) die ökonomische Leistungsfähigkeit und die hieraus erzielten Erlöse erhöht werden können (Humphrey und Schmitz 2000; Schamp 2008). Studien zur Einbindung von Obstund Gemüseproduzenten in Exportwertschöpfungsketten in Kenia zeigen zum Beispiel, dass die integrierten Bauern durch Trainingsmaßnahmen und finanzielle Unterstützung seitens ihrer Abnehmer (kenianische Exporteure) ihre Bewässerungssysteme verbessern und weitere Produktionsabläufe effektiver gestalten konnten (process upgrading; Dannenberg 2008; Dannenberg und Nduru 2013; Ouma 2010). Zudem erfolgte eine Neuausrichtung der Produktion auf spezielle und relativ hochpreisige Exportprodukte, unter anderem grüne Bohnen und Kaiserschoten (product upgrading). Den Exporteuren und einigen großen Produktionsbetrieben gelang es darüber hinaus, auch nachgelagerte Produktionsbereiche wie das Zuschneiden und Verpacken der Produkte zu übernehmen und somit den eigenen Anteil der Wertschöpfung innerhalb der Kette zu erhöhen (functional upgrading) (. Abb. 20.1; Dannenberg 2012). Aus einer geographischen Entwicklungsperspektive ist zu beachten, dass diese Form des Wirtschaftens vor allem in ländlichen Räumen stattfindet, die sonst meist durch Strukturschwäche, Arbeitslosigkeit und geringe Einkommen geprägt sind (Dannenberg und Kulke 2015). Eine besondere Rolle kommt internationalen Produkt- und Prozessstandards zu (Bernzen und Dannenberg 2011). So regelt zum Beispiel der private Standard GlobalG.A.P. (Global Agricultural Praxis), wie die wesentlichen Wertschöpfungsprozesse – etwa der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Hygiene, Kühlkette, Arbeitsbedingungen, Buchführung – vom Bauern bis zum Endverbraucher (from field to fork) organisiert werden. Gleichzeitig dient ein solcher Standard innerhalb der Kette als Garant für Qualitätssicherung (wobei es durchaus zu Schwachstellen kommen kann), sodass Betriebe, die hiernach zertifiziert sind, leichter Abnehmer finden. Dies gilt gerade auch in anspruchsvolleren und strenger kontrollierten Märkten wie Europa. Die Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten kann neben dem ökonomischen upgrading aber auch zu sozialem und ökologischem upgrading führen. So zeigt sich im Bereich der Obst- und Gemüsewertschöpfungsketten nach Europa, dass aufgrund der privaten Standards wie Glo- 232 P. Dannenberg Akteure und Ziele NGOs und Donor: - Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards Konsument: - Qualität und Sicherheit - Sozial- und Umweltverträglichkeit - geringe Kosten Lebensmitteleinzelhandel: - Transparenz, Rückverfolgbarkeit - Verringerung der Lebensmittelskandale - Erhalt der Reputation des Lebensmitteleinzelhandels - billige Zulieferproduktion in hohen Mengen GlobalGap/Foodplus: - Erhalt und Ausbau von Reputation, Glaubwürdigkeit, Seriosität - schnelles Wachstum Medien: - Aufklärung der Steigerung der Medien NGOs und Donor Konsument Europäische Produzenten Lebensmitteleinzelhandel legislative governance GlobalGap/Food Plus Instrument der legislative governance Importeur judical governance Exporteur/Großfarmen executive governance Exporteur: - Existenzsicherung - Erfüllung der Nachfragequoten Broker: - Existenzsicherung - Verbleib in der Kette - Gewinn Staat: - Lebensmittelsicherheit - Nachhaltigkeit des Konsums Staat Marktregion EU (Vernetzung in räumlicher, institutioneller, zeitlicher Nähe) Importeur: - Umsatz, Flexibilität - begrenztes Wissen über Zulieferer - kostendeckendes Wirtschaften - Wachstum Europäische Produzenten: - eigene Rentabilität - Vermeidung ausländischer Konkurrenz B B B B B Broker B B B B B B B B B B Produzentenregion Kenia (Vernetzung in räumlicher, institutioneller, zeitlicher Nähe) Bauer: - Existenzsicherung - Verbleib in der Kette - Gewinn Steuerung B Bauer Kompetenzniveau: niedrig informeller Fluss mittel hoch . Abb. 20.2 Die Wertschöpfungskette für Obst und Gemüse von Kenia nach Europa im Kontext weiterer einflussnehmender Akteure. (Quelle: Dannenberg 2012, S. 254) 20 balG.A.P., strikterer staatlicher Regularien und einer kritischeren Gesellschaft (hohe Bedeutung von Berichten von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Medien und dadurch erhöhtes Verbraucherbewusstsein) die einzelnen Akteure einschließlich der Produzenten im Globalen Süden gezwungen sind, strengere Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen umzusetzen, als dies für den Heimatmarkt der Fall ist – zum Beispiel hinsichtlich Wasserverbrauch, Schutzkleidung, Geschlechtergleichheit oder Kinderarbeit (. Abb. 20.2; Dannenberg 2012). Die große Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten für ganze Regionen wird insbesondere bei der Betrachtung von GPN betont (Yeung und Coe 2015). Im Gegensatz zu der eher linearen Perspektive der Wertschöpfungskette bezieht sich der GPN-Ansatz explizit auf Netzwerkstrukturen, die besonders auch horizontale Verflechtungen, also zum Beispiel die Verknüpfung von Bauern untereinander sowie mit weiteren wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Akteuren beachten (etwa aus Politik, Bildung, Gewerkschaften). Generell kann es zu positiven wechselseitigen 233 Internationale Wertschöpfungsketten: Akteurskonstellationen … Wirkungen (zum Beispiel Wissensaustausch, spillover-Effekte) kommen, durch die Wachstum und Beschäftigung generiert werden können (Coe et al. 2004). Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahrzehnten verschiedene Programme und Initiativen der Regionalentwicklung gegründet, die aktiv die Einbindung von Betrieben des Globalen Südens in globale Wertschöpfungsketten fördern (Devaux et al. 2016). Der ursprünglich analytische und durchaus kritische Ansatz der Wertschöpfungsketten wurde genutzt, um konkrete 20 Handlungsempfehlungen abzuleiten, wie eine Einbindung in globale Wertschöpfungsketten gelingen und Regionalentwicklung gefördert werden kann. Ein Beispiel für eine solche Entwicklung ist der Entwicklungskorridor SAGCOT (Southern Agricultural Growth Corridor of Tanzania) im Süden Tansanias: Hier sollen über öffentlich-private Partnerschaften (Public Private Partnership) multinationale Unternehmen strategisch in den Planungsprozess eingebunden werden, um die Wertschöpfungsketten vor Ort aufzubauen und den ländlichen Raum aufzuwerten. Globale Wertschöpfungsketten in der Regionalentwicklung – SAGCOT in Tansania Wertschöpfungskettenansätze Entlang der im Korridor bedeuten kann, erfahren in jüngster Zeit auch Lebensmittelkette werden ist noch unklar, inwiefern die im Rahmen der Regionaldemnach die Segmente der breite Masse der dortigen entwicklung afrikanischer Zulieferung und Produktion, Bevölkerung tatsächlich Länder viel Beachtung. So hat Verarbeitung und Logistik profitieren wird und ob mit SAGCOT die Regierung sowie des Brandings durch negative externe Effekte Tansanias fast ein Drittel des nationale und internationale auftreten werden (Paul Landes als eine Fokusregion Unternehmen gestützt und und Steinbrecher 2013). für die Entwicklung organisiert (. Abb. 20.3). Durch die große Zahl und von hochwertigen Der Einsatz moderner Vielfalt der eingebundenen Agro-Food-WertInputs (Saatgut, Dünger, Akteure ist zum Beispiel mit schöpfungsketten Pestizide) und Technik Zielkonflikten zu rechnen. bestimmt. Dazu werden (Traktoren, VerarbeitungsDas gilt unter anderem für gezielt öffentlich-private und Lagerungstechnik) sowie die beiden Ziele „möglichst Partnerschaften mit dem Staat neuer Vermarktungsansätze große Exporterlöse“ und Tansania, internationalen (wie z. B. dem Vertragsanbau „Stärkung der heimischen Organisationen wie der nach kenianischem Lebensmittelversorgung“. Weltbank oder der deutschen Beispiel) soll zum einen die Auch kann der geplante Gesellschaft für internationale heimische LebensmittelEinsatz von chemischen Zusammenarbeit (GIZ) versorgung stärken und zum Zulieferprodukten durch und einigen der weltweit anderen eine Integration große strategische Partner größten Agrarunternehmen in exportorientierte wie Yara gegebenenfalls geschlossen. Die Wertschöpfungsketten mit erheblichen negativen Agrarunternehmen agieren ermöglichen. Die Initiatoren ökologischen Folgen nicht nur als Geldgeber, hoffen, dass die Partnerschaft einhergehen. Schließlich sondern sind aktiv in die zwischen multinationalen ist ungewiss, inwiefern strategischen Entscheidungen und tansanischen größere upgrading-Effekte bei der Korridorentwicklung Unternehmen sowie dem erzielt werden können, eingebunden. Dieser Ansatz Staat wirtschaftliches wenn die meisten soll die Realisierbarkeit der Wachstum induziert (SAGCOT Kontrollfunktionen und durchaus ambitionierten 2011). wissensintensiven Segmente Projekte wesentlich Obwohl SAGCOT der Wertschöpfungsketten bei verbessern (SAGCOT 2011; Wachstumsanstöße und eine ausländischen Unternehmen Zunahme des Wohlstands liegen. DFID 2015). 234 P. Dannenberg . Abb. 20.3 Akteure der Entwicklung von Wertschöpfungsketten im SAGCOT-Korridor. (Quelle: Berguis 2014; SAGCOT 2016) 20.2 20 Problembereiche: Ungleich verteilte Erlöse, Macht und externe Effekte Obwohl viele Argumente für eine Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten sprechen, offenbaren sich bei näherer Betrachtung auch Probleme. Diese lassen sich insbesondere in den Bereichen ungleich verteilter Erlöse der Wertschöpfungsprozesse, Machtasymmetrien und externer Effekte feststellen. Mit Bezug auf ungleiche Wertschöpfungsprozesse und Machtverteilungen lassen sich gerade aus analytisch-konzeptioneller Perspektive verschiedene Problembereiche besonders für kleine Produzenten und Regionen des Globalen Südens aufzeigen (Ouma et al. 2013; Mudambi 2008; Kaplinsky 2000). Grundsätzlich wird angenommen, dass entlang der jeweiligen Segmente von Wertschöpfungsketten unterschiedliche Prozesse der Wertschöpfung bestehen. Die Schaffung (value creation), Verteilung und Bindung (value capture oder auch appropriation) von Werten ist daher ungleich auf die einzelnen Akteure verteilt (Kaplinsky und Morris 2001). Akteure einer Kette schaffen nicht im gleichen Maße Wert und ebenso binden sie Werte zu unterschiedlichen Anteilen. Da Wertschöpfungsketten und deren Akteure räumlich fragmentiert sind, bedeutet dies auch, dass Regionen sehr unterschiedlich von den Erlösen aus den Wertschöpfungsprozessen profitieren (Kaplinsky 2000; Mudambi 2008). . Abb. 20.4 zeigt, dass insbesondere wissensintensive Segmente am Anfang des Wertschöpfungsprozesses (zum Beispiel bei landwirtschaftlich basierten Ketten, die Forschung und Entwicklung von landwirtschaftlichen Inputs wie neuem Saatgut oder Pestiziden) und an deren Ende (Vermarktung, Branding) den höchsten Anteil an der Wertschöpfung haben und entsprechend hohe 235 Wertschöpfung/Erlös Internationale Wertschöpfungsketten: Akteurskonstellationen … Grundlagen- und angewandte Forschung & Entwicklung, Design, Kommerzialisierung spezialisierte Logistik, Marketing, Branding, Kundenbindung und -management, Kundendienst WETTBEWERBSDRUCK standardisierte Produktion und Verarbeitung Wissensintensiv Wissensintensiv wertschöpfende Schritte 20 Standort 1 Standort 2 Standort 3 Standort 4 Standort 5 Märkte SEGMENTIERUNG DER WERTSCHÖPFUNGSKETTE . Abb. 20.4 Wertschöpfung entlang einer räumlich fragmentierten Wertschöpfungskette. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf Kaplinsky 2000, S. 123; Mudambi 2008, S. 707) Erlöse erbringen. Diese Segmente der Ketten erfordern ein hohes Kompetenzniveau der Arbeitskräfte sowie weitreichende finanzielle Mittel, etwa um in Forschung und Entwicklung zu investieren. Infolgedessen sind diese Teile der Ketten zumeist in Ländern des Globalen Nordens sowie wenigen Schwellenländern verortet. Standardisierte Produktion und Verarbeitung wie etwa der Anbau sowie das Konservieren und Verpacken bedürfen hingegen weniger komplexe Kompetenzen und Fähigkeiten. Diese Wertschöpfungsprozesse können daher auch in den meisten Ländern des Globalen Südens verrichtet werden. Gleichzeitig stehen entsprechend aber auch besonders viele Regionen im Wettbewerb um diese einfacheren Wertschöpfungssegmente, was die Gewinnspanne senkt. Eine zweite, vieldiskutierte Erklärung für eine ungleiche Verteilung von Wertschöpfungsprozessen und -erlösen sind Machtasymmetrien innerhalb der Kette. Generell ist Macht, also zum Beispiel die Entscheidungsgewalt über die Koordination der Kette, die Bestimmung von Preisen, die Auswahl der Geschäftspartner in Wertschöpfungsketten, oft ungleich verteilt (Gereffi et al. 2005). So nutzen zum Beispiel große internationale Abnehmerunternehmen, die aufgrund ihrer Oligopolstruktur großen Einfluss besitzen (sogenannte lead firms), dieses Gefüge, um sich einen möglichst hohen Teil der Erlöse anzueignen. Für weniger einflussreiche Produzenten bedeutet dies im Umkehrschluss geringere Erlöse. Auch in diesem Sinne sind deshalb insbesondere standardisiert ausführende Produktions- und Verarbeitungsunternehmen schwächer gestellt, was sich in einer ungünstigen Verhandlungsposition widerspiegelt, zum Beispiel bei Preisverhandlungen. Diese Machtasymmetrie zwischen lead firms und Produzenten kann zudem dazu führen, dass die lead firms verhindern, dass andere Akteure ihre Wertschöpfungsbereiche oder -funktionen (functional upgrading) erweitern (Gereffi et al. 2005; Porter und Phillips-Howard 1997). Im Hinblick auf landwirtschaftliche Produzenten in Afrika zum Beispiel finden sich meist Ungleichheiten zwischen Bauern und Exporteuren: Bauern etwa sind oft davon abhängig, mit einem Exportunternehmen zu kooperieren, um Zugang zu notwendigem Wissen und Vermarktungswegen zu haben. Umgekehrt sind Exporteure nicht von einzelnen Bauern abhängig, da sie 236 P. Dannenberg in der Regel neue Bauern unter Vertrag nehmen und anlernen können. Dies kann sich auf die Preisfestlegung zuungunsten der Bauern auswirken. Neben den ungleichen Wertschöpfungsprozessen und Machtverhältnissen werden internationale Wertschöpfungsketten des Weiteren als Träger externer Effekte diskutiert. Externe Effekte äußern sich dadurch, dass sie räumlich, zeitlich oder auch nach Betroffenen losgelöst von ihren Verursachern wirken (Rogall 2009). Im Falle globaler Wertschöpfungsketten kann dies bedeuten, dass die negativen Effekte des Vertriebs und Konsums einer Ware lediglich in den Produzentenregionen wirken. Deutlich wird dies am Beispiel afrikanischer Landwirtschaft beim Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden: Für die Exportproduktion nutzen Bauern chemische, teils umweltschädigende Inputs, um ihre Ernte zu schützen und eine hohe Produktqualität zu erzielen. Die daraus resultierende Umweltbelastung verbleibt in der Produzentenregion, ohne dass der Endverbraucher im deutschen Supermarkt davon betroffen ist. In den extremen Fällen solch einer Externalisierung negativer Effekte wird deshalb oft auch von sogenannten pollution havens gesprochen. Einige Länder des Globalen Südens nehmen im globalen Wettbewerb bewusst externe Kosten in Kauf, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen und sich als Produktionsstandort globaler Wertschöpfungsketten zu etablieren. Die Lockerung von Umwelt- und Produktionsauflagen führt dabei dazu, dass die besonders „schmutzigen“ Segmente der Wertschöpfungskette in jene Regionen ausgelagert werden. Dieser Prozess wird deshalb auch als race to the bottom bezeichnet und bedeutet, dass verschiedene pollution havens einen Wettbewerb darüber führen, wer die höchsten negativen externen Effekte 20 akzeptiert (Braun 2010). Neben der Inkaufnahme von Umweltbelastungen kann sich diese Strategie ebenfalls auf sozialer Ebene auswirken: So werden zum Beispiel Arbeitsschutzregelungen fallengelassen, um einen Produktionsstandort attraktiver zu machen. Ob es in einer Region eher zu sozialen und ökologischen upgrading-Prozessen oder zu einem race to the bottom kommt, hängt von vielen Faktoren ab – etwa dem politisch-institutionellen Rahmen und Machtverhältnissen in der Kette. 20.3 Ausblick Die gezeigten Beispiele aus der Lebensmittelproduktion in Afrika zeigen die Potenziale und Risiken für Regionen und Akteure aus dem Globalen Süden bei der Einbindung in globale, käuferdominierte Wertschöpfungsketten. Den Chancen wirtschaftlichen, sozialen und ggf. sogar ökologischen upgradings stehen die Gefahren eines race to the bottom, Abhängigkeitsverhältnisse und eine Marginalisierung bei der Verteilung der Erlöse des Wertschöpfungsprozesses gegenüber. Ob die Integration in Wertschöpfungsketten insofern zu einer nachhaltigen Entwicklung führen kann und inwiefern regionale Entwicklungsprogramme wie etwa der Wachstumskorridor SAGCOT dazu beitragen können, bleibt umstritten und hängt stark vom jeweiligen Kontext in der Region und in der Kette ab. In Rückbesinnung auf die eingangs gestellte Frage hinsichtlich der Auswirkung unseres Kaufs von Obst oder Gemüse aus Afrika im heimischen Supermarkt ist die Antwort deshalb gleichfalls schwierig: Produkte, die mittels globaler Wertschöpfungsketten hergestellt und vermarktet werden, sind mit einer Vielzahl an Akteuren und Regionen verknüpft und hinterlassen ihren Fußabdruck – im positiven wie negativen Sinne. 237 Internationale Wertschöpfungsketten: Akteurskonstellationen … Definition Global production network (GPN)-Ansatz: Im Gegensatz zu der eher linearen Perspektive der Wertschöpfungskette bezieht sich der GPN-Ansatz explizit auf Netzwerkstrukturen, die neben Unternehmen auch die Verknüpfung mit regionalen und nationalen Institutionen beinhalten, unter anderem Staat, Gewerkschaften oder Verbänden. Die dynamische Verknüpfung von Netzwerk und Region kann die regionale Entwicklung in unterschiedlicher Art prägen. Produkt- und Prozessstandards: Während Produktstandards die Beschaffenheit eines Produkts regeln (Merkmale und Qualität), ist der Herstellungsprozess oft am Endprodukt (ex post) nicht mehr nachzuvollziehen. Hierfür bedarf es Prozessstandards – zum Beispiel Umwelt- oder Arbeitsschutzstandards –, die den Produktionsprozess entlang der Wertschöpfungskette regulieren. Wertschöpfungskette: Verbindung von Rohmaterial über die Verarbeitung bis zum Verkauf eines Produkts. Zunehmende Arbeitsteilung, Komplexität und Globalisierung haben zu einer Aufteilung der einzelnen Produktions- und weiteren Wertschöpfungsschritte, aber auch von Kompetenzbereichen und Steuerungsfunktionen an unterschiedlichen Standorten geführt. Literatur Berguis, M. (2014): Tanzania Allows GMO Research. Telemark: Department of International Development und Environment Studies (Noragric). Bernzen, A. und Dannenberg, P. 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