229
Internationale
Wertschöpfungsketten:
Akteurskonstellationen und
Auswirkungen im Globalen
Süden
Peter Dannenberg
20.1
Wertschöpfungsketten als Entwicklungsmotor – 230
20.2
Problembereiche: Ungleich verteilte Erlöse, Macht und
externe Effekte – 234
20.3
Ausblick – 236
Literatur – 237
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020
C. Neiberger, B. Hahn (Hrsg.), Geographische Handelsforschung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-59080-5_20
20
230
P. Dannenberg
Im Zuge der Globalisierung hat die internationale
Arbeitsteilung
verschiedener
Produktions- und Dienstleistungsschritte
(sogenannter
Wertschöpfungssegmente)
deutlich zugenommen. Hieraus haben sich
teilweise sehr komplexe, global organisierte
Wertschöpfungsketten gebildet (7 Kap. 5).
Wirtschaftliche, aber auch gesellschaftliche
und politische Prozesse in einem Land oder
einer Region beeinflussen damit nicht nur
das Geschehen vor Ort, sondern können
sich erheblich auf weit entfernte Regionen
entlang der Kette auswirken. Ob zum Beispiel die Entscheidung, in einem deutschen
Supermarkt Gemüse aus Afrika zu kaufen,
zu Umweltzerstörung und Ausbeutung der
dortigen Landbevölkerung führt oder vielleicht sogar eine nachhaltige Entwicklung
vor Ort unterstützt, hängt auch von der Art
der Wertschöpfungskette ab, aus der das
jeweilige Produkt stammt. Ausgehend von
praktischen Beispielen landwirtschaftlicher
Produkte werden im Folgenden wesentliche
Entwicklungspotenziale und Hemmnisse
von Wertschöpfungsketten diskutiert und die
besondere Bedeutung einzelner Akteure und
Wertschöpfungssegmente verdeutlicht.
20.1
20
Wertschöpfungsketten als
Entwicklungsmotor
Verschiedene Akteure aus Politik und Entwicklungszusammenarbeit sowie viele Bauern
im Globalen Süden sehen die Einbindung von
Obst- und Gemüsebauern in globale Märkte
als Möglichkeit, höhere Einkommen zu
erzielen und den hiervon abhängigen Haushalten eine Entwicklungsperspektive zu bieten (Hall et al. 2017). So ist zu beachten, dass
der Obst- und Gemüseanbau für den Export
auch für kleinbäuerliche Familien attraktiv sein kann, da viele Arbeitsschritte bislang
nicht mechanisiert werden können und somit
auch Betriebe unter fünf Hektar (je nach
Organisationsform) die Möglichkeit besitzen,
gegenüber Großbetrieben wettbewerbsfähig
zu bleiben. Aufgrund naturräumlicher Gunstlagen und niedriger Arbeitskosten können
gerade Betriebe im Globalen Süden besonders
günstig und saisonal unabhängig Produkte für
den Globalen Norden anbieten.
20.1.1
Globale
Wertschöpfungsketten
Unter einer Wertschöpfungskette wird die
Verbindung von Rohmaterial über die Verarbeitung bis zum Verkauf eines Produkts
verstanden (Kulke 2017, S. 76 ff.). Bei einer
einfachen Betrachtung von Wertschöpfungsketten lassen sich zunächst die unterschiedlichen eingebundenen Orte (zum Beispiel
vom Rohstofflager über den Ort der Verarbeitung über den Marktort) und die einzelnen Anteile am Wertschöpfungsprozess als
eine lineare Kette darstellen. Im Zuge von
Arbeitsteilung und Globalisierung kommt
es vielfach zu einer Aufteilung der einzelnen
Produktions- und weiteren Wertschöpfungsschritte an unterschiedlichen Standorten
weltweit. Insbesondere seit den 1990er-Jahren werden die immer komplexer werdenden
Wertschöpfungsketten in ihrer Bedeutung
und Wirkung für die beteiligten Akteure und
Regionen auf unterschiedlicher Ebene untersucht. Von besonderer Bedeutung sind vor
allem die Arbeiten zu global commodity chains
(GCC; Gereffi und Korzeniewicz 1994; Gereffi
1996), global value chains (GVC; Gereffi et al.
2005) und global production networks (GPN;
Henderson et al. 2002) einschließlich ihrer
Erweiterung GPN 2.0 (Yeung und Coe 2015).
Langfristig kann die Einbindung in internationale
Wertschöpfungsketten
zudem
durch Zusammenarbeit, Wissenstransfer
und Investitionen innerhalb der Ketten
zu verschiedenen Aufwertungsprozessen
(upgrading) führen. Dies gilt einerseits für
das ökonomische upgrading, bei dem durch
die Verbesserung der Produktionsprozesse
(process upgrading), der Produktqualität oder
des Produktspektrums (product upgrading)
231
Internationale Wertschöpfungsketten: Akteurskonstellationen …
. Abb. 20.1
Hartmann)
20
Kontrolle, Zuschneiden und Verpacken von grünen Bohnen für den Exportmarkt. (Foto: G.
die Erweiterung der Wertschöpfungsbereiche/-funktionen innerhalb der Kette
(functional upgrading) oder durch Diversifizierung (intersectoral upgrading) die ökonomische Leistungsfähigkeit und die hieraus
erzielten Erlöse erhöht werden können (Humphrey und Schmitz 2000; Schamp 2008).
Studien zur Einbindung von Obstund Gemüseproduzenten in Exportwertschöpfungsketten in Kenia zeigen zum
Beispiel, dass die integrierten Bauern durch
Trainingsmaßnahmen und finanzielle Unterstützung seitens ihrer Abnehmer (kenianische
Exporteure) ihre Bewässerungssysteme verbessern und weitere Produktionsabläufe effektiver gestalten konnten (process upgrading;
Dannenberg 2008; Dannenberg und Nduru
2013; Ouma 2010). Zudem erfolgte eine Neuausrichtung der Produktion auf spezielle und
relativ hochpreisige Exportprodukte, unter
anderem grüne Bohnen und Kaiserschoten
(product upgrading). Den Exporteuren
und einigen großen Produktionsbetrieben
gelang es darüber hinaus, auch nachgelagerte
Produktionsbereiche wie das Zuschneiden
und Verpacken der Produkte zu übernehmen
und somit den eigenen Anteil der Wertschöpfung innerhalb der Kette zu erhöhen
(functional upgrading) (. Abb. 20.1; Dannenberg 2012).
Aus einer geographischen Entwicklungsperspektive ist zu beachten, dass diese Form
des Wirtschaftens vor allem in ländlichen
Räumen stattfindet, die sonst meist durch
Strukturschwäche, Arbeitslosigkeit und geringe
Einkommen geprägt sind (Dannenberg und
Kulke 2015). Eine besondere Rolle kommt
internationalen Produkt- und Prozessstandards
zu (Bernzen und Dannenberg 2011). So regelt
zum Beispiel der private Standard GlobalG.A.P.
(Global Agricultural Praxis), wie die wesentlichen Wertschöpfungsprozesse – etwa der
Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Hygiene,
Kühlkette, Arbeitsbedingungen, Buchführung
– vom Bauern bis zum Endverbraucher (from
field to fork) organisiert werden. Gleichzeitig
dient ein solcher Standard innerhalb der Kette
als Garant für Qualitätssicherung (wobei es
durchaus zu Schwachstellen kommen kann),
sodass Betriebe, die hiernach zertifiziert sind,
leichter Abnehmer finden. Dies gilt gerade
auch in anspruchsvolleren und strenger kontrollierten Märkten wie Europa.
Die Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten kann neben dem ökonomischen upgrading aber auch zu sozialem
und ökologischem upgrading führen. So
zeigt sich im Bereich der Obst- und Gemüsewertschöpfungsketten nach Europa, dass
aufgrund der privaten Standards wie Glo-
232
P. Dannenberg
Akteure und Ziele
NGOs und Donor:
- Einhaltung von
Sozial- und
Umweltstandards
Konsument:
- Qualität und Sicherheit
- Sozial- und Umweltverträglichkeit
- geringe Kosten
Lebensmitteleinzelhandel:
- Transparenz,
Rückverfolgbarkeit
- Verringerung der
Lebensmittelskandale
- Erhalt der Reputation des
Lebensmitteleinzelhandels
- billige Zulieferproduktion
in hohen Mengen
GlobalGap/Foodplus:
- Erhalt und Ausbau
von Reputation,
Glaubwürdigkeit, Seriosität
- schnelles Wachstum
Medien:
- Aufklärung der
Steigerung der
Medien
NGOs und
Donor
Konsument
Europäische
Produzenten
Lebensmitteleinzelhandel
legislative governance
GlobalGap/Food Plus
Instrument der
legislative governance
Importeur
judical governance
Exporteur/Großfarmen
executive governance
Exporteur:
- Existenzsicherung
- Erfüllung der Nachfragequoten
Broker:
- Existenzsicherung
- Verbleib in der Kette
- Gewinn
Staat:
- Lebensmittelsicherheit
- Nachhaltigkeit
des Konsums
Staat
Marktregion EU
(Vernetzung in räumlicher, institutioneller, zeitlicher Nähe)
Importeur:
- Umsatz, Flexibilität
- begrenztes Wissen
über Zulieferer
- kostendeckendes Wirtschaften
- Wachstum
Europäische
Produzenten:
- eigene Rentabilität
- Vermeidung
ausländischer
Konkurrenz
B B
B B B
Broker
B B B
B B B
B B B B
Produzentenregion Kenia
(Vernetzung in räumlicher, institutioneller, zeitlicher Nähe)
Bauer:
- Existenzsicherung
- Verbleib in der Kette
- Gewinn
Steuerung
B Bauer Kompetenzniveau:
niedrig
informeller Fluss
mittel
hoch
. Abb. 20.2 Die Wertschöpfungskette für Obst und Gemüse von Kenia nach Europa im Kontext weiterer einflussnehmender Akteure. (Quelle: Dannenberg 2012, S. 254)
20
balG.A.P., strikterer staatlicher Regularien und einer kritischeren Gesellschaft
(hohe Bedeutung von Berichten von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Medien
und dadurch erhöhtes Verbraucherbewusstsein) die einzelnen Akteure einschließlich der
Produzenten im Globalen Süden gezwungen
sind, strengere Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen umzusetzen, als dies für den
Heimatmarkt der Fall ist – zum Beispiel hinsichtlich Wasserverbrauch, Schutzkleidung,
Geschlechtergleichheit oder Kinderarbeit
(. Abb. 20.2; Dannenberg 2012).
Die große Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten für ganze Regionen wird
insbesondere bei der Betrachtung von GPN
betont (Yeung und Coe 2015). Im Gegensatz
zu der eher linearen Perspektive der Wertschöpfungskette bezieht sich der GPN-Ansatz
explizit auf Netzwerkstrukturen, die besonders
auch horizontale Verflechtungen, also zum
Beispiel die Verknüpfung von Bauern untereinander sowie mit weiteren wirtschaftlichen
und nichtwirtschaftlichen Akteuren beachten
(etwa aus Politik, Bildung, Gewerkschaften).
Generell kann es zu positiven wechselseitigen
233
Internationale Wertschöpfungsketten: Akteurskonstellationen …
Wirkungen (zum Beispiel Wissensaustausch,
spillover-Effekte) kommen, durch die Wachstum und Beschäftigung generiert werden können (Coe et al. 2004).
Vor diesem Hintergrund wurden in
den letzten Jahrzehnten verschiedene Programme und Initiativen der Regionalentwicklung gegründet, die aktiv die Einbindung
von Betrieben des Globalen Südens in globale Wertschöpfungsketten fördern (Devaux
et al. 2016). Der ursprünglich analytische
und durchaus kritische Ansatz der Wertschöpfungsketten wurde genutzt, um konkrete
20
Handlungsempfehlungen abzuleiten, wie eine
Einbindung in globale Wertschöpfungsketten
gelingen und Regionalentwicklung gefördert
werden kann. Ein Beispiel für eine solche
Entwicklung ist der Entwicklungskorridor
SAGCOT (Southern Agricultural Growth
Corridor of Tanzania) im Süden Tansanias:
Hier sollen über öffentlich-private Partnerschaften (Public Private Partnership) multinationale Unternehmen strategisch in den
Planungsprozess eingebunden werden, um
die Wertschöpfungsketten vor Ort aufzubauen
und den ländlichen Raum aufzuwerten.
Globale Wertschöpfungsketten in der Regionalentwicklung – SAGCOT in Tansania
Wertschöpfungskettenansätze
Entlang der
im Korridor bedeuten kann,
erfahren in jüngster Zeit auch
Lebensmittelkette werden
ist noch unklar, inwiefern die
im Rahmen der Regionaldemnach die Segmente der
breite Masse der dortigen
entwicklung afrikanischer
Zulieferung und Produktion,
Bevölkerung tatsächlich
Länder viel Beachtung. So hat
Verarbeitung und Logistik
profitieren wird und ob
mit SAGCOT die Regierung
sowie des Brandings durch
negative externe Effekte
Tansanias fast ein Drittel des
nationale und internationale
auftreten werden (Paul
Landes als eine Fokusregion
Unternehmen gestützt und
und Steinbrecher 2013).
für die Entwicklung
organisiert (. Abb. 20.3).
Durch die große Zahl und
von hochwertigen
Der Einsatz moderner
Vielfalt der eingebundenen
Agro-Food-WertInputs (Saatgut, Dünger,
Akteure ist zum Beispiel mit
schöpfungsketten
Pestizide) und Technik
Zielkonflikten zu rechnen.
bestimmt. Dazu werden
(Traktoren, VerarbeitungsDas gilt unter anderem für
gezielt öffentlich-private
und Lagerungstechnik) sowie
die beiden Ziele „möglichst
Partnerschaften mit dem Staat
neuer Vermarktungsansätze
große Exporterlöse“ und
Tansania, internationalen
(wie z. B. dem Vertragsanbau
„Stärkung der heimischen
Organisationen wie der
nach kenianischem
Lebensmittelversorgung“.
Weltbank oder der deutschen
Beispiel) soll zum einen die
Auch kann der geplante
Gesellschaft für internationale
heimische LebensmittelEinsatz von chemischen
Zusammenarbeit (GIZ)
versorgung stärken und zum
Zulieferprodukten durch
und einigen der weltweit
anderen eine Integration
große strategische Partner
größten Agrarunternehmen
in exportorientierte
wie Yara gegebenenfalls
geschlossen. Die
Wertschöpfungsketten
mit erheblichen negativen
Agrarunternehmen agieren
ermöglichen. Die Initiatoren
ökologischen Folgen
nicht nur als Geldgeber,
hoffen, dass die Partnerschaft
einhergehen. Schließlich
sondern sind aktiv in die
zwischen multinationalen
ist ungewiss, inwiefern
strategischen Entscheidungen
und tansanischen
größere upgrading-Effekte
bei der Korridorentwicklung
Unternehmen sowie dem
erzielt werden können,
eingebunden. Dieser Ansatz
Staat wirtschaftliches
wenn die meisten
soll die Realisierbarkeit der
Wachstum induziert (SAGCOT
Kontrollfunktionen und
durchaus ambitionierten
2011).
wissensintensiven Segmente
Projekte wesentlich
Obwohl SAGCOT
der Wertschöpfungsketten bei
verbessern (SAGCOT 2011;
Wachstumsanstöße und eine
ausländischen Unternehmen
Zunahme des Wohlstands
liegen.
DFID 2015).
234
P. Dannenberg
. Abb. 20.3 Akteure der Entwicklung von Wertschöpfungsketten im SAGCOT-Korridor. (Quelle: Berguis 2014;
SAGCOT 2016)
20.2
20
Problembereiche: Ungleich
verteilte Erlöse, Macht und
externe Effekte
Obwohl viele Argumente für eine Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten sprechen, offenbaren sich bei näherer
Betrachtung auch Probleme. Diese lassen sich
insbesondere in den Bereichen ungleich verteilter Erlöse der Wertschöpfungsprozesse,
Machtasymmetrien und externer Effekte feststellen.
Mit Bezug auf ungleiche Wertschöpfungsprozesse und Machtverteilungen lassen sich
gerade aus analytisch-konzeptioneller Perspektive
verschiedene
Problembereiche
besonders für kleine Produzenten und Regionen des Globalen Südens aufzeigen (Ouma
et al. 2013; Mudambi 2008; Kaplinsky 2000).
Grundsätzlich wird angenommen, dass entlang der jeweiligen Segmente von Wertschöpfungsketten unterschiedliche Prozesse
der Wertschöpfung bestehen. Die Schaffung
(value creation), Verteilung und Bindung
(value capture oder auch appropriation) von
Werten ist daher ungleich auf die einzelnen
Akteure verteilt (Kaplinsky und Morris 2001).
Akteure einer Kette schaffen nicht im gleichen Maße Wert und ebenso binden sie Werte
zu unterschiedlichen Anteilen. Da Wertschöpfungsketten und deren Akteure räumlich fragmentiert sind, bedeutet dies auch,
dass Regionen sehr unterschiedlich von den
Erlösen aus den Wertschöpfungsprozessen
profitieren (Kaplinsky 2000; Mudambi 2008).
. Abb. 20.4 zeigt, dass insbesondere
wissensintensive Segmente am Anfang des
Wertschöpfungsprozesses
(zum
Beispiel
bei landwirtschaftlich basierten Ketten, die
Forschung und Entwicklung von landwirtschaftlichen Inputs wie neuem Saatgut oder
Pestiziden) und an deren Ende (Vermarktung,
Branding) den höchsten Anteil an der Wertschöpfung haben und entsprechend hohe
235
Wertschöpfung/Erlös
Internationale Wertschöpfungsketten: Akteurskonstellationen …
Grundlagen- und angewandte
Forschung & Entwicklung,
Design, Kommerzialisierung
spezialisierte Logistik, Marketing,
Branding, Kundenbindung und
-management, Kundendienst
WETTBEWERBSDRUCK
standardisierte
Produktion und
Verarbeitung
Wissensintensiv
Wissensintensiv
wertschöpfende
Schritte
20
Standort 1
Standort 2
Standort 3
Standort 4
Standort 5
Märkte
SEGMENTIERUNG DER WERTSCHÖPFUNGSKETTE
. Abb. 20.4 Wertschöpfung entlang einer räumlich fragmentierten Wertschöpfungskette. (Quelle: eigene Darstellung basierend auf Kaplinsky 2000, S. 123; Mudambi 2008, S. 707)
Erlöse erbringen. Diese Segmente der Ketten erfordern ein hohes Kompetenzniveau
der Arbeitskräfte sowie weitreichende finanzielle Mittel, etwa um in Forschung und Entwicklung zu investieren. Infolgedessen sind
diese Teile der Ketten zumeist in Ländern des
Globalen Nordens sowie wenigen Schwellenländern verortet. Standardisierte Produktion
und Verarbeitung wie etwa der Anbau sowie
das Konservieren und Verpacken bedürfen
hingegen weniger komplexe Kompetenzen
und Fähigkeiten. Diese Wertschöpfungsprozesse können daher auch in den meisten
Ländern des Globalen Südens verrichtet werden. Gleichzeitig stehen entsprechend aber
auch besonders viele Regionen im Wettbewerb
um diese einfacheren Wertschöpfungssegmente, was die Gewinnspanne senkt.
Eine zweite, vieldiskutierte Erklärung
für eine ungleiche Verteilung von Wertschöpfungsprozessen und -erlösen sind
Machtasymmetrien innerhalb der Kette.
Generell ist Macht, also zum Beispiel die
Entscheidungsgewalt über die Koordination
der Kette, die Bestimmung von Preisen,
die Auswahl der Geschäftspartner in Wertschöpfungsketten, oft ungleich verteilt (Gereffi
et al. 2005). So nutzen zum Beispiel große
internationale Abnehmerunternehmen, die
aufgrund ihrer Oligopolstruktur großen Einfluss besitzen (sogenannte lead firms), dieses
Gefüge, um sich einen möglichst hohen Teil
der Erlöse anzueignen. Für weniger einflussreiche Produzenten bedeutet dies im Umkehrschluss geringere Erlöse. Auch in diesem
Sinne sind deshalb insbesondere standardisiert ausführende Produktions- und Verarbeitungsunternehmen schwächer gestellt,
was sich in einer ungünstigen Verhandlungsposition widerspiegelt, zum Beispiel bei Preisverhandlungen.
Diese Machtasymmetrie zwischen lead
firms und Produzenten kann zudem dazu
führen, dass die lead firms verhindern, dass
andere Akteure ihre Wertschöpfungsbereiche
oder -funktionen (functional upgrading)
erweitern (Gereffi et al. 2005; Porter und
Phillips-Howard 1997). Im Hinblick auf landwirtschaftliche Produzenten in Afrika zum
Beispiel finden sich meist Ungleichheiten zwischen Bauern und Exporteuren: Bauern etwa
sind oft davon abhängig, mit einem Exportunternehmen zu kooperieren, um Zugang
zu notwendigem Wissen und Vermarktungswegen zu haben. Umgekehrt sind Exporteure
nicht von einzelnen Bauern abhängig, da sie
236
P. Dannenberg
in der Regel neue Bauern unter Vertrag nehmen und anlernen können. Dies kann sich auf
die Preisfestlegung zuungunsten der Bauern
auswirken.
Neben den ungleichen Wertschöpfungsprozessen und Machtverhältnissen werden
internationale Wertschöpfungsketten des
Weiteren als Träger externer Effekte diskutiert. Externe Effekte äußern sich dadurch,
dass sie räumlich, zeitlich oder auch nach
Betroffenen losgelöst von ihren Verursachern
wirken (Rogall 2009). Im Falle globaler
Wertschöpfungsketten kann dies bedeuten,
dass die negativen Effekte des Vertriebs
und Konsums einer Ware lediglich in den
Produzentenregionen wirken. Deutlich wird
dies am Beispiel afrikanischer Landwirtschaft beim Einsatz von Düngemitteln und
Pestiziden: Für die Exportproduktion nutzen
Bauern chemische, teils umweltschädigende
Inputs, um ihre Ernte zu schützen und eine
hohe Produktqualität zu erzielen. Die daraus
resultierende Umweltbelastung verbleibt in
der Produzentenregion, ohne dass der Endverbraucher im deutschen Supermarkt davon
betroffen ist.
In den extremen Fällen solch einer
Externalisierung negativer Effekte wird deshalb oft auch von sogenannten pollution
havens gesprochen. Einige Länder des Globalen Südens nehmen im globalen Wettbewerb bewusst externe Kosten in Kauf,
um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen
und sich als Produktionsstandort globaler
Wertschöpfungsketten zu etablieren. Die
Lockerung von Umwelt- und Produktionsauflagen führt dabei dazu, dass die
besonders „schmutzigen“ Segmente der
Wertschöpfungskette in jene Regionen ausgelagert werden. Dieser Prozess wird deshalb auch als race to the bottom bezeichnet
und bedeutet, dass verschiedene pollution
havens einen Wettbewerb darüber führen,
wer die höchsten negativen externen Effekte
20
akzeptiert (Braun 2010). Neben der Inkaufnahme von Umweltbelastungen kann sich
diese Strategie ebenfalls auf sozialer Ebene
auswirken: So werden zum Beispiel Arbeitsschutzregelungen fallengelassen, um einen
Produktionsstandort attraktiver zu machen.
Ob es in einer Region eher zu sozialen und
ökologischen upgrading-Prozessen oder zu
einem race to the bottom kommt, hängt von
vielen Faktoren ab – etwa dem politisch-institutionellen Rahmen und Machtverhältnissen
in der Kette.
20.3
Ausblick
Die gezeigten Beispiele aus der Lebensmittelproduktion in Afrika zeigen die Potenziale
und Risiken für Regionen und Akteure aus
dem Globalen Süden bei der Einbindung in
globale, käuferdominierte Wertschöpfungsketten. Den Chancen wirtschaftlichen, sozialen und ggf. sogar ökologischen upgradings
stehen die Gefahren eines race to the bottom,
Abhängigkeitsverhältnisse und eine Marginalisierung bei der Verteilung der Erlöse des
Wertschöpfungsprozesses gegenüber. Ob die
Integration in Wertschöpfungsketten insofern
zu einer nachhaltigen Entwicklung führen
kann und inwiefern regionale Entwicklungsprogramme wie etwa der Wachstumskorridor
SAGCOT dazu beitragen können, bleibt
umstritten und hängt stark vom jeweiligen
Kontext in der Region und in der Kette ab.
In Rückbesinnung auf die eingangs gestellte
Frage hinsichtlich der Auswirkung unseres
Kaufs von Obst oder Gemüse aus Afrika im
heimischen Supermarkt ist die Antwort deshalb gleichfalls schwierig: Produkte, die mittels globaler Wertschöpfungsketten hergestellt
und vermarktet werden, sind mit einer Vielzahl an Akteuren und Regionen verknüpft
und hinterlassen ihren Fußabdruck – im positiven wie negativen Sinne.
237
Internationale Wertschöpfungsketten: Akteurskonstellationen …
Definition
Global production network (GPN)-Ansatz:
Im Gegensatz zu der eher linearen
Perspektive der Wertschöpfungskette
bezieht sich der GPN-Ansatz explizit
auf Netzwerkstrukturen, die neben
Unternehmen auch die Verknüpfung mit
regionalen und nationalen Institutionen
beinhalten, unter anderem Staat,
Gewerkschaften oder Verbänden. Die
dynamische Verknüpfung von Netzwerk
und Region kann die regionale Entwicklung
in unterschiedlicher Art prägen.
Produkt- und Prozessstandards:
Während Produktstandards die
Beschaffenheit eines Produkts regeln
(Merkmale und Qualität), ist der
Herstellungsprozess oft am Endprodukt
(ex post) nicht mehr nachzuvollziehen.
Hierfür bedarf es Prozessstandards – zum
Beispiel Umwelt- oder Arbeitsschutzstandards –, die den Produktionsprozess
entlang der Wertschöpfungskette
regulieren.
Wertschöpfungskette: Verbindung von
Rohmaterial über die Verarbeitung bis
zum Verkauf eines Produkts. Zunehmende
Arbeitsteilung, Komplexität und
Globalisierung haben zu einer Aufteilung
der einzelnen Produktions- und weiteren
Wertschöpfungsschritte, aber auch von
Kompetenzbereichen und Steuerungsfunktionen an unterschiedlichen
Standorten geführt.
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