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Erschienen in: Sprachreport Jg. 34 (2018), Nr. 3, S. 4-13 LAUDATIO Angelika Linke ist Professorin für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Zürich. Von 2010 bis März 2018 war sie Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim. Frau Ministerin, Frau Ministerialdirigentin, Herr Oberbürgermeister, Herren Präsidenten, Magnifizenzen, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, und vor allem: Sehr geehrter Herr Direktor, Lieber Ludwig! Wie für viele aus der Zunft germanistischer Linguistinnen und Linguisten hat auch für mich das IDS immer schon zu meinem wissenschaftlichen Leben gehört. Und zwar – auch das wie für viele – in Form seiner Jahrestagungen. Meine ‚erste‘ war die Jahrestagung zur Dialogforschung (schon dieser Bezeichnung merkt man im übrigen an, dass das lange her ist), das war 1980, ich war gerade in Zürich Assistentin geworden, und mit der Reise nach Mannheim hab ich mir damals wohl auch meine neue Rolle als Forscherin semiotisch angeeignet. Denn die Jahrestagungen vermittelten ja nicht nur Fachwissen aus erster Hand, sondern waren auch so etwas wie linguistisches Hollywood: Da sah man sie alle, die man nur von Buchdeckeln und Aufsatztiteln her kannte, da kriegte die Forschungsgemeinschaft, in die hineinzuwachsen man etwas unsicher im Begriff war, konkrete Gesichter. Mit den Jahren gehörte man dann immer ein bisschen mehr dazu, das war beinahe so etwas wie ein Indikator wissenschaftlichen Erwachsenwerdens, und die Jahrestagungen wurden im Takt damit ein Fixpunkt im akademischen Kalender. Denn in Mannheim hörte man nicht nur den Vorträgen der Kollegen und Kolleginnen zu, man traf diese auch: Die bilateralen Arbeitsgespräche und die kleineren und grösseren1 Sitzungen am Rande der Jahrestagungen gehörten und gehören zu deren speziellem Profil. Als dann nach der langen Ära Stickel – Gerhard Stickel war für mich wie wohl für viele so etwas wie die Inkarnation des IDS geworden – ein Nachfolger berufen werden sollte, wurde dem die entsprechend grosse Aufmerksamkeit zuteil: Da ging es ja nicht nur um eine Professur, sondern um die Leitung eines hochpotenten 4 IDS SPRACHREPORT 3/2018 Forschungsinstituts, das zudem eine Schnittstellenfunktion zwischen Wissenschaft, Bildungspolitik und Öffentlichkeit innehatte, die für die gesamte Zunft immens wichtig war und ist. 2002 war er dann da, der neue Chef, den ich bis dato nicht näher kannte – wir hatten wissenschaftliche Berührungspunkte, aber zum Grossteil bewegten wir uns in unterschiedlichen Feldern linguistischer Forschung. Trotzdem sollten wir relativ bald miteinander zu tun kriegen. Und das ging so: Ich sass in einem kleinen Büro an der Washington University in St. Louis, Missouri, wo ich eine Gastprofessur innehatte, mit amerikanischem Campusleben vor dem Fenster, als das Telefon klingelte: Am Draht war Ludwig Eichinger, der seinerseits in einem kleinen Büro an der University of Kansas in Lawrence sass, auch im Rahmen einer Gastprofessur, auch mit amerikanischem Campusleben vor dem Fenster, und der mich nun anfragte, ob ich bereit wäre, im Vorbereitungskomitee für die nächste Jahrestagung mitzuwirken, es gehe um Textlinguistik und den Textbegriff. Natürlich hab ich zugesagt. Anfragen aus dem IDS, und erst noch, wenn sie vom Direktor selber kommen, lehnt man nicht ab. Seitdem kennen wir uns. Und nach den langen Jahren meiner Mitarbeit im Wissenschaftlichen Beirat des IDS und unserer damit verbundenen Zusammenarbeit kann man heute wohl sagen: Wir kennen uns gut! Wenn ich nun versuche, Ihnen – und damit ja auch Dir, lieber Ludwig – im Folgenden Ludwig Eichinger als die Person und die Persönlichkeit, die ihn zum Zentrum und Adressaten dieses Festaktes macht, vor Augen zu führen, so ist diese Verdoppelung von Präsenz zwar merkwürdig – und nach der langen Reihe von Grussworten zudem in Teilen unvermeidlich redundant – aber gleichzeitig ist genau diese rituelle Verdoppelung, sind genau diese Redundanzen und Abundanzen das Eigentliche, das, was diesen Festakt performativ zu dem macht, was er ist: eine öffentliche Ehrung. Publikationsserver des Instituts für Deutsche Sprache URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:mh39-82929 Prof. Dr. Arnulf Deppermann (IDS) führt durch das Programm In meiner Skizze zu Ludwig Eichinger stelle ich die folgenden drei Facetten in den Vordergrund: Ludwig Eichinger, den Sprachwissenschaftler, Ludwig Eichinger, den IDS-Direktor und Ludwig Eichinger, die Person. Und natürlich lässt sich, wie immer bei Trinitäten, das eine nicht scharf vom anderen trennen. I Das wird schon deutlich, wenn man, um einen Anfangseindruck von Ludwig Eichinger als Wissenschaftler zu bekommen, zur Dissertation greift, mit der er 1980 promoviert wurde und die sich mit den syntaktischen und semantischen Aspekten der deutschen Adjektive auf -isch befasst.2 Im Vorwort zu dieser Arbeit dankt der Autor „Herrn Dr. M. Hellmann von der Aussenstelle Bonn des IDS“, dass dieser ihm „vom IDS zusammengestellte Texte“3 als Material für eben diese Dissertation zur Verfügung gestellt hat. Nun könnte man bei entsprechender Geneigtheit diesen frühen Forschungskontakt zwischen Ludwig Eichinger und dem IDS als biographisches Omen lesen. Doch auch wenn man das nicht tut – denn die Linguistik versteht sich als eher nüchterne Wissenschaft – dokumentiert diese kleine Passage, dass eine der wichtigen Funktionen des IDS, nämlich im Haus erarbeitete Forschungs- Musikalische Untermalung, Christian Zimmermann Ministerialdirigentin Dr. Angelika Willms-Herget (Unterabteilungsleiterin Forschungsorganisationen, Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF) ressourcen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, eine Grunderfahrung des Doktoranden Eichinger darstellt. Die Dissertation, 1982 publiziert, steht im Übrigen exemplarisch für den weiteren Forschungsbereich der Wortbildung im Deutschen, der, zusammen mit Fragen der Syntax, einen Schwerpunkt in Ludwig Eichingers Schaffen bildet. Dazu kommen als weitere Forschungsschwerpunkte die Regionalsprachforschung, die Sprachgeschichte des Deutschen, die Soziolinguistik und Sprachminderheitenforschung, die Sprachwissenschaftsgeschichte sowie Stilistik und Textlinguistik. Zu all diesen Themen hat Ludwig Eichinger breit publiziert – die Schaffenskraft, die sich in den insgesamt weit über 300 Titeln seiner Publikationsliste dokumentiert, erschreckt auch gestandene Kolleginnen und Kollegen. Mein Versuch, mich ein bisschen – ein bisschen! mehr ist da ja nicht möglich – in die Arbeiten dieser Liste einzulesen, um Ihnen hier den Sprachwissenschaftler Eichinger detaillierter vorstellen zu können, hatte einen unerwarteten Effekt. Wenn man erst einen Aufsatz zur pränominalen Attribuierung im Deutschen liest Dr. Peter Kurz (Oberbürgermeister der Stadt Mannheim) und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ludwig M. Eichinger IDS SPRACHREPORT 3/2018 5 Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner (Präsident der LeibnizGemeinschaft) und zu den Verstehensproblemen, die sich aus dieser Struktur systematisch ergeben,4 gefolgt von einem Text, der sich mit dem wunderbaren bairischen Präfix /der-/ befasst – also zu /der-/ wie in derschlagn5 –, nochmals gefolgt von Beiträgen, die sich mit Deutsch als Wissenschaftssprache auseinandersetzen6 und einem weiteren zur Darstellung von Emotionen im Text und ihrer Präsenz im Stil,7 so lernt man aus diesen und weiteren Texten zunächst ungemein viel, auch gerade, weil man sich für einmal nicht selektiv nur mit solchen Themen befasst, die zum eigenen Forschungsradius gehören. die deutsche Sprache in ihrer einzelsprachlichen Charakteristik zu verstehen und sie dem Leser, der Leserin als solche vor Augen zu stellen. Plakativ formuliert: Für Ludwig Eichinger bietet die deutsche Sprache nicht in erster Linie das Material, um grammatische Strukturen, Wortbildungsmuster oder Variationsdynamiken zu verstehen, sondern er nutzt das linguistische Wissen zu diesen Bereichen, um möglichst ganzheitlich zu erfassen, wie das Deutsche in seinen grammatischen, semantischen und pragmatischen Facetten und in seinen unterschiedlichen Varietäten funktioniert. Bei zunehmender Lektüre und der ungebräuchlichen Zusammenschau, die sich daraus ergab, verschob sich meine Aufmerksamkeit allerdings zunehmend weg von den einzelnen linguistischen Fragen und Problemen, die Ludwig Eichinger in seinen Beiträgen behandelt, und hin zur Art und Weise, wie er diese Fragen und Probleme behandelt. Ich hab letztlich nicht mehr Linguistik, sondern Eichinger gelesen. Wenn man etwa Ludwig Eichingers Beiträge liest, die sich mit dem Adjektiv befassen – und die Dissertation ist nur einer davon – dann lernt man zwar auch viel über die Wortart an sich, aber man lernt vor allem die Adjektive des Deutschen kennen – und das auf eine Weise, dass man geneigt ist, das Deutsche um seiner Adjektive willen zu lieben. Was aus Ludwig Eichingers Arbeiten Beitrag für Beitrag entsteht, ist ein komplexes Portrait der deutschen Sprache. Und von Lektüre zu Lektüre wurde deutlicher, dass Eichingers Forschungsbeiträge allesamt Instrumente für dasselbe Ziel sind, nämlich Sprache in ihrer Ausdrucksund Formungskraft und in diesem Rahmen wiederum Insofern ist das, was Ludwig Eichinger als Wissenschaftler macht, nicht ‚Deutsche Sprachwissenschaft‘, wie unsere Fachbezeichnung oft lautet, sondern: Sprachwissenschaft des Deutschen. Prof. Dr. Mechthild Habermann (Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des IDS) 6 Prof. Dr. Sunhild Kleingärtner (Sprecherin der Sektion A der Leibniz-Gemeinschaft) IDS SPRACHREPORT 3/2018 Bernhard Jorek (Vorsitzender des Vereins der Freunde des IDS) Norbert Volz (Vorsitzender des Betriebsrats des IDS) Und dieser auf die Ganzheit einer Sprache gerichtete Blick hat wiederum den Effekt, dass so nebenbei die selbstbeschränkenden Spezialisierungen, welche in einer so ausgebauten Disziplin wie der Sprachwissenschaft schon rein forschungspraktisch an der Tagesordnung sind, in Eichingers Arbeiten der Tendenz nach aufgebrochen werden: Wo ihn die Bedeutungsentfaltung von Wörtern interessiert, sieht er diese immer in deren Zusammenspiel mit Syntax und Textstrukturen, und das Faszinosum grammatischer Strukturen liegt für ihn nicht zuletzt darin, dass sie auch die Biotope semantischen Lebens sind. Ludwig Eichingers wissenschaftliche Beiträge tragen zudem oft Titel, die den Erwartungen an Titelformulierungen in der Sprachwissenschaft nur bedingt entsprechen, also etwa: „Warum Frühling? Von einer dynamischen Jahreszeit“.8 Oder: „Praktiken: etwas Gewissheit im Geflecht der alltäglichen Welt“.9 Oder: „Wer fest steht, kann sich freier bewegen – Freiheit im Rahmen standardsprachlicher Normen“.10 In der oft wenig attraktiven Rhetorik deutscher Wissenschaftssprache sind solche Titel zunächst einmal belebend und könnten vielleicht sogar Nicht-Fachleute zur Lektüre bewegen. Sie stellen aber auch einfach gezielt heraus, was für Ludwig Eichinger über thematisch sehr unter- Prof. Dr. Dr. h.c. Bernhard Eitel (Rektor der Universität Heidelberg) Prof. Dr. Ernst-Ludwig von Thadden (Rektor der Universität Mannheim) schiedliche Beiträge hinweg das gleichbleibende, zentrale Anliegen ist: zu zeigen, dass Sprache, auf all ihren Rängen, in ihren semantischen wie ihren morphosyntaktischen Strukturen, in ihren lexikalischen wie in ihren interaktiven Mustern, nicht nur ein Informations-, sondern auch ein Lebens- und Erlebensmedium ist. Sprachwissenschaft ist so betrachtet, auch wenn man sich mit Wortbildung oder Valenzstrukturen befasst, eine Wissenschaft vom Menschen. Ludwig Eichingers Blick auf die Sprache wie auf die Sprachwissenschaft erscheint mir im Licht seiner Arbeiten zudem – das muss allerdings Hypothese bleiben – bayrisch geprägt. Damit meine ich weniger die Tatsache, dass der Niederbayer Ludwig Eichinger sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit auch immer wieder mit dem Bairischen als Varietät11 und mit Bayern als Dialektlandschaft12 und in mehreren wissenschaftsgeschichtlichen Beiträgen auch mit Johann Andreas Schmeller befasst hat, Mit-Bayer, einflussreichem Sprachgelehrten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Begründer der modernen Dialektologie.13 Denn man muss natürlich nicht Bayer sein, um Sprachgelehrter zu werden, das galt schon für Schmel- Staatssekretär a.D. Dr. Josef Lange (Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung) IDS SPRACHREPORT 3/2018 7 Prof. Dr.-Ing. Reiner Anderl (Präsident der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz) ler und gilt auch für Eichinger. Es ist aber vielleicht, dafür liesse sich sprachbewusstseinstheoretisch durchaus argumentieren, eine spezielle Voraussetzung dafür. Denn als Sprecher einer ausgeprägten Dialektvarietät hat man gegenüber mehr standardsprachlich aufgewachsenen Menschen den Vorteil, dass man die eine Varietät immer schon durch die Brille der anderen betrachten kann und aus dieser Distanz- und Vergleichserfahrung heraus kontrastlinguistische Einsichten sowie die Erfahrung der alltagskulturellen Konstitutionskraft von Sprache sozusagen zum sprachlichen Grunderleben gehören. Einen Dialekt zu sprechen, macht nicht nur das eigene (Sprach-)Leben auf ganz spezielle Art reich, es ist, so betrachtet, auch tatsächlich eine gute Basis für sprachwissenschaftliche Forschung. II Womit ich bei meiner zweiten Perspektive angekommen bin: Ludwig Eichinger als Direktor des IDS. Dem neuen Direktor sind bei seinem Amtsantritt viele Erwartungen entgegengebracht worden. Und ganz bestimmt, vielleicht auch Gott sei Dank, hat er nur einen Teil davon erfüllt. Heute, 16 Jahre später, ist festzustellen, dass das 1964 gegründete IDS, das auch schon beim Amtsantritt von Ludwig Eichinger die ausseruniversitäre Wissenschaftsinstitution zur Erforschung der deutschen Sprache und Treffpunkt der internationalen sprachgermanistischen Forschungsgemeinschaft war, unter Ludwig Eichingers Direktion diese Position massgeblich ausgebaut hat und seine Ausstrahlungskraft stärker ist denn je, kurz: dass die vergangenen 16 Jahre eine Erfolgsgeschichte sind. Deren Antriebsfaktoren sind vielfältig, und sie ruhten auf vielen Schultern. Das darf nicht vergessen gehen. Im Zentrum dieser Entwicklung steht aber eben Ludwig Eichinger. 8 IDS SPRACHREPORT 3/2018 Dr. Dorothea Rüland (Generalsekretärin des DAAD) Nun werden Erfolgsgeschichten gern in Zahlen ausgedrückt. Für das IDS heisst das etwa, dass sich die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeitenden vom Jahr 2002 bis heute ziemlich genau verdoppelt hat und dass dem Jahresbudget von damals in der Höhe von gut 7 Millionen Euro heute eines von rund 14 Millionen Euro entgegensteht. Doch Zahlen und Quantifizierungen sind nur das eine. Das andere sind die weniger messbaren Leistungen, wie etwa die beständige Weiterentwicklung des Instituts als unikates Biotop ausseruniversitärer Forschung, der Ausbau seiner Funktion als vielseitige Ressource der internationalen Sprachgermanistik, die stete Sicherung seiner Qualität als Arbeitsort, der in seiner Konzentration auf die Forschung allen universitär arbeitenden Linguistinnen und Linguisten als eine Art Linguistikhimmel auf Erden erscheinen muss, der aber, auch das wissen wir alle, seine eigenen schwierigen Seiten hat. Quantität und Qualität zusammenzubringen, ist hier eine Kunst. Aber auf die versteht sich Ludwig Eichinger. So ist das IDS bei seinem beträchtlichen personellen und budgetären Ausbau nicht etwa stärker in Einzelbereiche zerfallen, sondern eher zusammengewachsen: abteilungsübergreifende Projekte gehören heute zur Charakteristik des Instituts. Natürlich stehen und fallen solche Strukturen mit dem Engagement der beteiligten Forscherinnen und Forscher. Aber die Erfahrung lehrt: Ohne entsprechende Leitungskonzepte und ohne deren umsichtige, aber konsequente Anwendung wird in der Regel kein Schuh daraus. Ludwig Eichinger hat den am Institut tätigen Forschenden stets Freiräume für Entfaltung gegeben, manchmal sogar da, wo gar nicht damit gerechnet wurde. Er hat Projekte, die aus dem Interesse von Einzelnen oder auch von Abteilungen erwachsen sind, wo Prof. Dr. Angelika Linke und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ludwig M. Eichinger immer er eine Zukunftsperspektive gesehen hat, unterstützt – und durch kluge Steuerung verhindert, dass es dabei zu einem Flickenteppich von im Einzelnen interessanten, aber wenig verbundenen Projekten gekommen wäre. Die Devise war: Dinge möglich machen! Aber kritisch begleiten. Dabei findig sein, mögliche Synergien entdecken, Drittmitteleinwerbung initiieren. Ludwig Eichinger hatte – das lässt sich aus der Perspektive des Wissenschaftlichen Beirats heraus mit Nachdruck festhalten – immer klare Vorstellungen davon, wo das IDS hinsollte, und er hat diese Vorstellungen nachhaltig umgesetzt. Dies sowohl mit Empathie für das bereits Vorhandene wie mit einem sicheren Gespür für aktuelle Entwicklungen in der germanistischen wie auch in der internationalen Linguistik und für die Möglichkeiten des Instituts, diese Entwicklungen mitzugestalten. Exemplarisch hierfür steht etwa der Bereich der Multimodalitätsforschung, mit der die Abteilung Pragmatik sich als wichtiger Knotenpunkt in einem internationalen Forschungsnetzwerk etabliert hat, oder die konsequente korpuslinguistische Ausrichtung der Grammatikforschung am Institut, welche grammatisches Wissen auf neue Fundamente stellt, oder der gemeinsam mit der Universität Heidelberg aufgebaute Leibniz-WissenschaftsCampus, an dem korpus- und computerlinguistische Expertise zusammengebracht und neue Arbeitsinstrumente sowie Datenbasen für die digital humanities entwickelt werden. In Kombination mit solchen theoretischen und methodischen Entwicklungen stellt das IDS heute zudem ein Paradeexempel mit Blick auf den Umbau der Forschungskultur in den Geisteswissenschaften dar. Dieser Umbau bedeutet, dass sich neben der SolitärForschung verstärkt die Projektforschung etabliert hat, dass neben die Gelehrtenstube als ikonischem Bild geisteswissenschaftlicher Arbeit nun auch das ‚Labor’ und die Teamarbeit getreten sind, und neben Buch oder Aufsatz aus der Feder eines Einzelnen die Publikationen mit zwei, drei oder mehr Autoren und Autorinnen. Zu sehen, in welchen Kontexten welche Arbeitsformen produktiv(er) sind und vor allem auch: Welche Innovationen in der Forschungsinfrastruktur für einen solchen strategischen Umbau unabdingbar sind, wie man die Balance zwischen eigenem Engagement und der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen herstellt und dabei Claims ohne absolutes Konkurrenzdenken sichert – der Leibniz-WissenschaftsCampus in Heidelberg ist ein gutes Beispiel dafür – : Auch das gehört zur Kunst Ludwig Eichingers, kombiniert mit grossem Vertrauen in das Forschungspotenzial und das Innovationsvermögen aller Beteiligten. Wo Ludwig Eichinger selbst neue Bereiche entwickeln oder bestehende vermehrt fördern wollte – exemplarisch hierfür ist der Bereich ‚Deutsch im öffentlichen Raum’, für den das Institut bereits heute die feste Referenzadresse darstellt und dessen Ausbau aktuell vorangetrieben wird –, so ging das nicht zu Lasten anderer, sondern es wurden jeweils alle Anstrengungen unternommen, neue Ressourcen zu erschliessen: Vorstellung und Überreichung einer Buchpublikation: Prof. Dr. Andreas Witt, Prof. Dr. Angelika Wöllstein, Prof. Dr. Stefan Engelberg, Prof. Dr. Arnulf Deppermann, Dr. Albrecht Plewnia, Dr. Marc Kupietz, PD Dr. Roman Schneider IDS SPRACHREPORT 3/2018 9 Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ludwig M. Eichinger Wissen Sie, was ein „Kleiner strategischer Sondertatbestand“ ist? Nein, das ist nichts Kriminelles, auch wenn das in meinen an helvetische Verwaltungsterminologien gewöhnten Ohren zunächst so geklungen hat, sondern ein Fördergefäss der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern, mit dem der Kernhaushalt einer Wissenschaftsinstitution beträchtlich gestützt werden kann. Dass der Direktor des IDS mit seinen Argumenten für den Ausbau des Bereichs „Deutsch im öffentlichen Raum“ im Rahmen eines solchen Sondertatbestands vor zwei Jahren entsprechend erfolgreich war, hat nicht nur für das IDS grosse Bedeutung: Tatsächlich existiert so gut wie keine auf repräsentative Daten gestützte Forschung zu Fragen von öffentlicher Sprachund Varietätenpolitik sowie zu Sprachkritik, zu den mit der deutschen Sprache verbundenen Einstellungen ihrer Sprecherinnen und Sprecher oder zur internationalen Stellung des Deutschen – obwohl es sich gerade hier um Bereiche handelt, denen von und in der Öffentlichkeit selbst grösstes Interesse entgegengebracht wird. Der Plan zur Einrichtung eines „Hauses für die deutsche Sprache“, den das IDS und sein Direktor seit einigen Jahren verfolgen und dessen Konkretisierung nun auch in finanzieller Hinsicht in konkrete Reichweite gerückt ist, gehört ebenfalls in diesen Kontext. Ludwig Eichinger hat bei der Entwicklung und Formung des Instituts auf vielem aufbauen können. Die offene und einladende Institution, die das IDS heute darstellt und zu der neben den Jahrestagungen ein zu- 10 IDS SPRACHREPORT 3/2018 Der IDS-Chor setzte den musikalischen Schlusspunkt. nehmender Strom einmaliger wie wiederkehrender, grösserer wie kleinerer Tagungen und Workshops gehört, zu denen das IDS Forschende von aussen einlädt und mit denen es sich für eine ganze Reihe von spezialisierten Forschungsbereichen als Forschungszentrum etabliert hat, trägt aber sehr deutlich seinen Stempel. III Damit komme ich schliesslich zu meiner dritten und letzten Facette, zu Ludwig Eichinger persönlich, zu seinem Umgang nicht mit institutionellen Strukturen, sondern mit den Menschen in diesen Strukturen. Also zu dem, was man heute Führungskultur nennt. Als Ludwig Eichinger sein Leitungsamt nach der Jahrtausendwende angetreten hat, grassierte das Schlagwort vom New Public Management als Heilskonzept für die Führung öffentlicher Institutionen, und nicht zuletzt in wissenschaftspolitischen Zusammenhängen haben sich viele viel von diesen neuen Konzepten versprochen. Ludwig Eichinger nicht. Er hat im Gegenteil und ein bisschen unmodern eine – seine – recht spezifische Kombination aus hierarchisch bewusstem Leitungsverständnis und sorgendem Paternalismus eingerichtet. Der Direktor Ludwig Eichinger ist die Inkarnation des Patrons, der herrscht, der sich aber in erster Linie verantwortlich fühlt: für grosse wie für kleine Probleme, für grosse wie für kleine Leute im Haus, für das Jahresbudget ebenso wie dafür, dass in der Sitzungs- Die Gäste des Festakts im Rittersaal des Mannheimer Schlosses pause alle zu ihrem Brötchen kommen. Es soll allen gut gehen in seinem Haus. Das mit dem Possessivpronomen – Ludwig Eichinger sprach auch stets von „seinem“ Beirat – muss deshalb weniger besitzergreifend als emotionssemantisch gelesen werden. Wissen Sie, Frau Linke, der Herr Eichinger, der nimmt sich für uns alle Zeit, ich weiss nicht, wie er das macht, eigentlich geht das ja gar nicht, aber der kennt sogar mich und fragt mich nach meiner Arbeit und ist wirklich interessiert, da ist man nicht nur irgendeiner von vielen. Harmonie war und ist Ludwig Eichinger wichtig, vielleicht kann man sogar sagen, dass sie ihm persönlich letztlich über alles geht. Mit Leiten und Herrschen ist das natürlich schlecht vereinbar. Ja, eigentlich geht das ja gar nicht. Die Eichinger’sche Lösung für das Dilemma war: Auch mal donnern, mal dazwischenfahren, auch mal anfahren. Das konnte aus sonst heiterem Himmel kommen. Aber eben: Das Gewitter war dann auch wieder vorbei. Nachhaltigkeit hat Ludwig Eichinger in vielen Kontexten an den Tag gelegt, nie bei Auseinandersetzungen. Und: Ludwig Eichingers Interesse an ‚seinen’ Leuten prägt die Atmosphäre im Haus, es ist ein freundlicher, ein guter Arbeitsort – und das heisst konkret: Gleichstellungsbestrebungen, Diversität nicht nur als Schlagwort, Arrangements für Mitarbeitende, die für Kinder oder pflegebedürftige Eltern da sein müssen, Doktorierende am Institut, Neustrukturierung der Leitungsstruktur und vermehrte Aufstiegsmöglichkeiten im Haus selbst, so dass Sprünge aus den Universitäten ans Institut und aus dem Institut an die Universitäten heute zum Bild des IDS gehören. Und all das trägt die Handschrift Ludwig Eichingers. Die Äusserung, die bei einem angelegentlichen Gespräch in den Gängen des Instituts einem jungen wissenschaftlichen Mitarbeiter aus der Seele sprang, war dafür wohl symptomatisch und ist mir geblieben – ich zitiere dem Sinn nach: Bei Ludwig Eichinger aber eben schon. Obwohl der Sekretariatskalender des Jahres 2017 neben allen anderen Verpflichtungen 50 Reisetermine ausweist, von solchen nach Tübingen, Bonn und Berlin bis zu solchen nach Rom und Peking. Ludwig Eichingers Tage haben 30 Stunden. Das ist eines seiner Geheimnisse. Ein anderes ist, dass Ludwig Eichinger im Grunde seines Herzens ein barocker Mensch ist – nicht umsonst ist ihm das 18. Jahrhundert so nahe –, dem das Decorum, die Aussenwirkung des Instituts, seine Repräsentation in der akademischen wie in der ausserakademischen Öffentlichkeit – auch in Rom und in Peking – ebenso am Herzen liegt wie die flüchtigen und vergänglichen Alltäglichkeiten direkt vor seinem Dienstbüro. Ein drittes ist, dass Ludwig Eichinger all das einfach gerne tut und genau daraus, in einem wundersamen Perpetuum mobile, wieder Energie schöpft. Und schliesslich und endlich: Wenn Ludwig Eichinger in seiner Dankesrede zur Verleihung des Konrad-Duden-Preises an das IDS im März 2010 feststellt, ich zitiere: „Welche Gefühle ein Linguist gegenüber seinem IDS SPRACHREPORT 3/2018 11 Objekt entwickelt oder entwickeln sollte, ist [...] eine nicht explizit geklärte Frage“,14 so hat er im allgemeinen vielleicht recht und er spricht hier ja auch generisch. Mit Blick auf den Linguisten Eichinger hingegen erscheint mir diese Frage aufgrund einer Vielzahl von Indizien absolut geklärt: Bei dem Gefühl, das Ludwig Eichinger gegenüber der deutschen Sprache hegt, handelt es sich um Liebe. Hätte er im 18. Jahrhundert gelebt, hätte er vielleicht eine Sprachgesellschaft gegründet. Zum Schluss: Die Redensart sagt: Niemand ist unersetzbar. Aber natürlich ist der Satz falsch, wenn man ihn auf den einzelnen besonderen Menschen bezieht. Der ist nicht ersetzbar. Niemals. Doch Menschen in Amtsrollen sind als solche, in dieser Amtsrolle, natürlich ersetzbar. Das gilt auch für die Rolle als Direktor des IDS. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ludwig M. Eichinger und seine Festschrift 12 IDS SPRACHREPORT 3/2018 Allerdings: Niemand, der die Rolle übernimmt, kann sie so ausfüllen, wie Ludwig Eichinger sie ausgefüllt hat. Da bleibt einem nichts anderes übrig, als es anders zu machen. Damit es dann auch wieder gut wird. I Anmerkungen 1 Die Schweizer Orthografie wurde belassen. 2 Eichinger (1982). 3 Eichinger (1982, S.VI). 4 Eichinger (1992). 5 Eichinger (1999). 6 Eichinger (2010a, 2017). 7 Eichinger (2015). 8 Eichinger (2018). 9 Eichinger (2016). 10 Eichinger (2005a). 11 Eichinger (1985). 12 Eichinger (1981, 2005); Eichinger / Maiwald (2008); Eichinger / Lau (2008a); Eichinger / Krieg-Holz (2009). 13 Eichinger (1988); Eichinger / Naumann (1988); Eichinger (1991); Eichinger (2009). 14 Eichinger (2010, S. 17). Literatur Eichinger, Ludwig M. (2018): Warum Frühling? Von einer dynamischen Jahreszeit. In: SPRACHREPORT 1 / 2018. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache, S. 10-15. Eichinger, Ludwig M. (2017): Deutsch als Wissenschaftssprache. In: Moraldo, Sandro (Hg.): Die deutsche Sprache in Italien – Zwischen Europäisierung und Globalisierung. (= Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 120). Frankfurt a. M. u. a.: Lang, S. 45-69. Eichinger, Ludwig M. 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Bildnachweise Alle Fotos: Gülay Keskin (keskin-arts.com). I IDS SPRACHREPORT 3/2018 13