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Mammon-Dossier

Mammon-Dossier 2.0 Geld oder Geist? Die Schweiz auf dem Prüfstand der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. ChristNet Wir fördern Nächstenliebe in Politik und Gesellschaft. Die Nächstenliebe ist in der Gesellschat unter Druck. ChristNet orientiert sich an Jesus, der sie ins Zentrum seines Wirkens stellte (Mat. 22,39). Darum stehen wir als Bewegung für ihre Erneuerung in Politik und Gesellschat ein. Dies tun wir durch Gebet, Auklärung und Engagement. Wir erarbeiten politische und gesellschatliche Themen, organisieren Veranstaltungen und Aktionen, trefen uns in RegioGruppen und bilden ein Netzwerk von Gleichgesinnten. Auf unserer Webpage (www.christnet.ch ) indest Du alle unsere Texte (© copyfree: kopieren & weitergeben!). Möchtest Du unsere regelmässigen Infos erhalten? Dann melde Dich für unser Newsmail an. Möchtest Du aktiv mitarbeiten oder ChristNet inanziell unterstützen? Erwähne es bei Deiner Anmeldung. Wir freuen uns auf Deine Mitarbeit bei bestehenden und kommenden Aktivitäten. Gerade auch Deine Ideen und Textvorschläge sind willkommen! Nächstenliebe. Fundiert, engagiert. Kontakt ChristNet 23, rue Gourgas CH - 1205 Genf +41 (0)22 322 13 24 info@christnet.ch www.christnet.ch Mammon-Dossier 2.0 Geld oder Geist? Die Schweiz auf dem Prüfstand der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Inhalt 5 Vorwort 7 Einleitung 11 13 19 21 35 39 45 Teil I – Die Macht des Geldes 1. So regiert das Geld die Welt 2. Zahlen und Fakten zu Steuergeld in der Schweiz 3. Politikinanzierung : die heimliche Macht des Geldes 4. Der Stof aus dem (Alp-)Träume sind : Das grosse Geld mit dem Rohstohandel 5. Finanzplatz Schweiz : Fakten und Kritik 6. Zwischenfazit – Unselige Verstrickungen 49 51 61 63 65 67 Teil II – Dauerbrenner Bankgeheimnis 7. Das Bankgeheimnis kurz erklärt 8. Bankgeheimnis schadet armen Ländern 9. Ach du ethisches Bankgeheimnis!? 10. Aufweichung des Bankgeheimnisses : Recht des Stärkeren oder Barmherzigkeit? 11. Zwischenfazit – Thesen zum Bankgeheimnis 71 73 79 83 97 101 Teil III – Grundsatzfrage Steuern 12. «Nur die kleinen Leute zahlen Steuern»!? 13. Pauschalbesteuerung : dem Reichtum zu Diensten 14. Geld ohne Arbeit? Der Steuerwetbewerb im wirtschatshistorischen Licht 15. Genf gefangen in Gier : Die Folgen des Steuerdumpings 16. Zwischenfazit – Steuerpolitik : trocken, aber entscheidend 105 107 119 123 129 133 137 Teil IV – Got und die Schweiz 17. Das Jubeljahr in Bibel und Theologie 18. Genug ist genug! Gedanken zum christlichen Umgang mit Besitz 19. Der Löwe des Lichts : Eine Vision für die Schweiz? 20. Bussgebet : Die Schweiz, unser Land, und ihre Finanzen 21. Geld in der Schweiz : die sieben Thesen 22. Zwischenfazit – Geld oder Geist : Wem wollen wir dienen? 141 Schluss Barmherzig und gerecht leben 147 Anhänge Anhang I Bibliographie Anhang II Organisationen Anhang III Die Autoren Vorwort Was um das Geld so alles läuft… In der Bibel inden sich zum Umgang mit Geld viele Aussagen und Anweisungen. Sie beschreibt ein götliches Finanzsystem. Kritiker werden nun bemängeln, dass biblische Weisungen heute nicht mehr angewendet werden können, da unsere Welt viel komplizierter geworden sei. Unsere Welt mag in vielem sehr komplex sein, die klaren Rechtsordnungen der Bibel haben jedoch nichts von ihrer Gültigkeit und Aktualität verloren. Sie vermiteln uns Grundsätze. Was wir daraus machen, liegt in unserer Verantwortung. Nur, wenn wir die biblischen Finanzprinzipien kennen, sind wir in der Lage, auch in diesem Bereich nach Gotes Ordnungen zu leben. Lassen wir uns auf das götliche Finanzsystem ein, werden wir wieder inanzielle Freiheit erleben. Das Wort Mammon leitet sich vom aramäischen mamona (Vermögen, Besitz) ab. Geld und Besitz sind die Götzen unserer Zeit. Wenn es ums Geld geht, gibt es nur ein Schlagwort : «Mehr!» Nichts genügt demjenigen, denn das, was er schon hat, ist zu wenig. In Vermögen und Besitz steckt die verhängnisvolle Tendenz, den Menschen zu versklaven und von Got zu entfremden. Nicht erst der angehäute, sondern jeder Besitz kann zum Götzen werden : Auto, Haus, Bankkonto, Briefmarkensammlung. «Wer geldgierig ist, bekommt nie genug, und wer den Luxus liebt, hat immer zu wenig», schreibt der Prediger Salomo (Prediger 5,9). Paulus mahnt seinen jungen Freund Timotheus : «Denn alles Böse wächst aus der Habgier» (1. Timotheus 6,10). Geld- und Warenwerte versperren die Sicht auf die wahren Werte. «Ihr könnt nicht Got dienen und dem Mammon», sagt die Bibel an einer anderen Stelle (Mathäus 6,24b). Der Herausforderung, die dieser Vers in sich birgt, müssen wir uns täglich stellen. Und es geht noch weiter : «Wenn ihr bei weltlichem Besitz nicht vertrauenswürdig seid, wer wird euch die wahren Reichtümer des Himmels verwalten lassen?» (Lukas 16,11). Got fordert treue Haushalterschat – ohne Tricks, Schliche, ohne Täuschungen, Manipulationen oder List. Wir müssen nicht erinderisch sein und uns in Grauzonen bewegen, um vielleicht hier und da Steuern zu sparen. Wo und wie die Macht hinter dem Geld zuschlägt, zeigt das Mammon-Dossier transparent auf. Die Frage «Wie viel ist genug?» muss uns in der heuteigen Zeit beschätigen! Es tut gut, sich immer wieder bewusst zu machen, dass Got an der persönlichen Beziehung zu mir interessiert ist. Er ist nicht einfach hinter meinem Geld her. Letzt- 5 Wir leben in unsicheren Zeiten : Einigen Ländern droht der Bankrot, viele sind hoch verschuldet – einschliesslich führende Industrienationen wie Japan oder die USA. Christine Lagarde, Chein des Internationalen Währungsfonds (IWF), spricht von einem «verlorenen Jahrzehnt» und warnt vor einer «Abwärtsspirale der Unsicherheit und inanzieller Instabilität». Die Krise ist in aller Munde. Viele Bürger schimpfen auf «die da oben» und ihre Misswirtschat. Gleichzeitig lässt sich eine zunehmende Verschuldung von Privatpersonen feststellen. Nur noch wenige haben den richtigen und guten Umgang mit Geld gelernt. lich kommen wir nicht darum herum, zu deinieren, wie viel genug ist. Wo sind die Grenzen? Wo befriedigen wir «sinnlose Wünsche» oder wo ist es der Neid, der uns treibt? Das Steuerabkommen mit den umliegenden Ländern zeigt doch auf, wo der «Schuh» uns drückt. Das vorliegende Mammon-Dossier spiegelt transparent und klar, wo und wann die Macht hinter den Finanzen zuschlägt, wann wir uns in einem Graubereich tummeln und in der Gefahr stehen, uns vom Geld versklaven zu lassen. Ich wünsche mir, dass dieses Dossier dazu beiträgt, dass wir besser erkennen können, was um das von uns so geliebte Geld so alles abläut. Machen wir uns doch auf und suchen den Weg, wo wir wieder «inanzielle Freiheit» erleben und leben können. 6 Atilio Cibien, im Januar 2013 Einleitung Dominic Roser, Markus Meury, Samuel Ninck-Lehmann Seit 2001 am Ball Dabei war immer der Gedanke bestimmend, dass das Geld für die Schweiz und die Schweizer Christinnen und Christen eine besondere Herausforderung darstellt : Es kann uns zu Fall bringen, wenn wir uns seiner Eigendynamik, dem Streben nach immer mehr, der Angst vor Verlust und dem Verlassen auf falsche materielle Sicherheit hingeben. Das Geld kann aber auch zum Segen für uns und die Anderen werden, wenn wir bereit sind, uns von der Barmherzigkeit leiten zu lassen und uns nicht am Besitz festzuklammern, sondern sensibel für Gottes Gerechtigkeit, im Vertrauen auf Ihn verzichten lernen und den Überluss mit denjenigen teilen, die weniger haben. Geld oder Geist? Es ist schon interessant : Als Jesus seine Jünger vor einem falschen Gott warnt, nennt er keinen der zahlreichen Götzen des damals herrschenden griechisch-römischen Pantheon. Als einzigen Gott nennt er den einheimischen Mammon : «Niemand kann zwei Herren dienen : Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon» (Matthäus 6,24). Damit unterstreicht er, dass der Geldgötze, das götzendienerische Vertrauen auf materielle Werte, eine ganz besondere Herausforderung für uns Menschen darstellt. Wo viel Geld liegt, stellt sich diese Herausforderung in besonderem Mass. Und nirgends ist die Geldkonzentration grösser als in der Schweiz : Sowohl was das Vermögen -1-, als auch das Pro-Kopf-Einkommen -2- angeht, hält die Schweiz ganz vorne mit. Und wenn bei vielen Schweizern das Gefühl bleibt, zu wenig zu haben, weil wir uns gerne mit jenen vergleichen, die mehr haben, dann reicht ein Blick auf die «Global Rich List» -3-, um festzustellen, dass Herr und Frau Schweizer, die zur Hälfte über CHF 6000 pro Monat verdienen -4-, besser dastehen als 99% der Weltbevölkerung. Im globalen, 100-köpigen Dorf sitzen wir einsam in der Schatzkammer des Königs! 1. Tagesanzeiger, «Schweiz mit Abstand reichstes Land der Welt», 14.9.2011 (online). 2. OECD (2012), «Pro-Kopf-Nationaleinkommen», in : Die OECD in Zahlen und Fakten 2011-2012 : Wirtschat, Umwelt, Gesellschat, OECD Publishing. 3. globalrichlist.com 4. Bundesamt für Statistik BfS (2012), Schweizerische Lohnstrukturerhebung 2010, Neuchâtel, S. 24. 7 Finanzkrise, Weissgeldstrategie, automatischer Informationsaustausch und Abschaffung von Pauschalsteuern : Seit einigen Jahren ist Bewegung in die Schweizer Geldlandschaft gekommen. «Gott sei Dank», meinen wir bei ChristNet. Seit über 10 Jahren interessieren wir uns für die Macht des Geldes in unserem Land, ein Thema, das wir an verschiedenen Foren und Konferenzen aufgegriffen haben. In diesen Überluss hinein ruft uns Jesus sinngemäss zu : «Ihr müsst euch entscheiden : Wollt ihr mir dienen und meinem Liebesgebot folgen oder wollt ihr dem Geld und seiner knallharten Logik Untertan sein?» Wir bei ChristNet vermuten, dass dies für uns Schweizer Christinnen und Christen die zentrale Glaubensfrage sein könnte. In der Beschäftigung mit dem Thema Geld sind uns bei ChristNet drei Werte besonders wichtig geworden. Diese dämmen die Gewalt des Mammon ein : Das Gottvertrauen befreit uns vor der Angst vor Mangel ; die Genügsamkeit befreit uns vom Zwang zum ungebremsten Wachstum ; die Barmherzigkeit befreit uns von egoistischer Nabelschau. Mammon-Dossier 2.0 8 Im Herbst 2005 organisierte ChristNet die Konferenz «Geld oder Leben! Die Schweiz – eine Geisel des Mammon?». In diesem Zusammenhang brachten wir das «MammonDossier» heraus. Seither ist viel Geld über Schweizer Konten gelossen und neue Themen sind aufgetaucht. Dem wollen wir mit dieser ergänzten, vollständig überarbeiteten Neuaulage Rechnung tragen. Über ein Dutzend Autoren stellen die Macht des Geldes in der Schweiz aus politischer, wirtschaftlicher und geistlicher Sicht dar. Dabei kommen in vier Hauptteilen die folgenden Themen zur Sprache : 1. Die Macht des Geldes in der Schweiz : Politikinanzierung, Macht der Finanzmärkte und Rohstoffhandel. 2. Der Dauerbrenner Bankgeheimnis : ein geschichtlicher Abriss und die schädlichen Auswirkungen auf den Süden. 3. Die Steuerpolitik : die Pauschalbesteuerung reicher Ausländer und der Steuerwettbewerb. 4. Eine geistliche Sicht für die Schweiz : das biblische Gebot des Jubeljahrs, Gedanken zur Genügsamkeit, eine Vision, Thesen zum Geld und eine Anleitung zum Gebet. Es erstaunt wohl nicht, wenn die Schweiz in den ersten drei Teilen nicht besonders gut wegkommt. Doch die Kritik sollte kein Selbstzweck sein. Wir glauben, dass Gott für die Schicksalsgemeinschaft Schweiz mehr parat hat, als Geld zu scheffeln – geschweige denn dies mit undurchsichtigen Machenschaften zu tun. Darum präsentieren wir in Teil IV Ansätze einer biblischen Sicht auf das Thema. In der Arbeit von ChristNet haben wir nämlich erfahren, dass uns das Gebet einen Blick gibt, der weder naiv – Gott ermutigt uns, auch unsere Schattenseiten ungeschminkt wahrzunehmen, und bietet uns Vergebung an – noch zynisch ist – Gott hat Visionen und Hoffnung für uns Schweizerinnen und Schweizer. Wir möchten die Leserinnen und Leser mit diesem Dossier sachbezogen sensibilisieren und aufklären, gleichzeitig aber auch geistlich inspirieren. So ist dieses Dossier zwar durchaus als Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte gemeint, soll den Leserinnen und Lesern aber auch die Möglichkeit bieten, sich durch Gebet und das Leben christlicher Werte im persönlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Umfeld für die Freiheit von der Macht des Mammon zu engagieren. Teil I Die Macht des Geldes 1. So regiert das Geld die Welt Markus Meury, Dominic Roser, Samuel Ninck-Lehmann -5In diesem Text geht es nicht darum, die Schweiz als das Schlimmste aller Länder darzustellen. Die Schweiz kann der Welt in vielen Bereichen gute Dienste leisten. Doch stellen wir in den Bereichen Geld und Reichtum besonders grosse Probleme fest. Erst wenn wir uns vom Ersatz-Got «Mammon» lossagen, kann die Schweiz tatsächlich in die Berufung eintreten, wie sie Scot MacLeod in seiner Schrit Der Löwe des Lichts -6- beschreibt (Kap. 19). Bankgeheimnis und Steuerflucht -7- Schon seit vielen Jahren weisen ChristNet und andere Christen darauf hin, dass das Bankgeheimnis im Widerspruch zur Bibel steht. Es handelt sich dabei um eine Form der Hehlerei, denn die Schweizer Gesetzgebung schützt aktiv den Betrug, den die Steuerlüchtige an ihrem eigenen Gemeinwesen verüben. Die Schweiz proitiert massiv davon, einerseits mit Zehntausenden Arbeitsplätzen, andererseits mit tieferen Zinsen. Hier spricht uns ein Ausruf des Propheten Micha an : «Höret ihr Stämme und ihr Ratsleute! Noch immer bleibt unrecht Gut in des Gottlosen Haus und das verluchte falsche Mass. Oder sollte ich unrechte Waage und falsche Gewichte im Beutel billigen?» (6,9-11) Seit der Druck aus dem Ausland auf diese Schweizer Praxis zugenommen hat, beindet sich unsere Regierung und unser Parlament auf einem schrittweisen Rückzugsgefecht, statt einfach reinen Tisch zu machen und umzukehren. Zugleich ist Einiges in Gang gekommen : Der Bundesrat hat zugesagt, in begründeten Einzelfällen Rechtshilfe für Steuerhinterziehung an andere Industriestaaten zu gewähren. Doch hat er im Gegenzug das Bankgeheimnis aber gar noch verschärft und die Höchststrafe von einem halben auf drei Jahre Gefängnis angehoben. Abhängigkeit von den Banken Im Herbst 2008 wurde die UBS von der Schweizer Regierung in einer Nacht- und Nebel-Aktion mit 60 Milliarden Franken gerettet. Dabei wurden (im Gegensatz zu den USA oder Europa) keinerlei Bedingungen gestellt, obwohl die UBS weltweit von 5. Text von Juli 2010 in überarbeiteter und ergänzter Form. 6. Schleife Verlag, Neuaulage 2010 zum Christustag ; bei ChristNet erhältlich. 7. Mehr zu diesem Thema in Teil II «Dauerbrenner Bankgeheimnis». 13 Noch immer schlummern über 1000 Milliarden Franken Steuerluchtgeld aus dem Ausland in der Schweiz (Kap. 8). Gemäss einer Schätzung verlieren die Entwicklungsländer jedes Jahr mindestens 7 Milliarden Franken an Steuereinnahmen, während sie von der Schweiz (öffentlich und privat) gerade mal 3,1 Milliarden Franken Entwicklungshilfe erhalten. Teil I Die Macht des Geldes allen Banken die höchsten spekulativen Abschreiber hatte -8-. Das Signal war klar : «Macht nur weiter so wie bisher.» In einer Rede vor der Bankiervereinigung versicherte Bundesrat Merz als Finanzminister, dass er alles tun werde, um jegliche gesetzliche Einschränkungen zu verhindern. Die Schweiz ist wie kaum ein anderes Land der Welt vom Bankensektor abhängig : Die Aktiven der Banken in der Schweiz sind siebenmal grösser als unser ganzes Bruttosozialprodukt. Damit haben die Banken eine ungeheure Macht angehäuft, gegen die unsere gewählte Regierung kaum etwas ausrichten kann. Auch die Schweiz will sich deshalb des «Too-big-to-fail-Problems» -9- annehmen und überlegt sich, grosse Konzerne von Gesetzes wegen aufzuspalten. Diese wissen aber um ihre Macht und scheuen sie sich nicht davor, die Schweiz offen zu erpressen. Im November 2009 drohte der CEO der UBS, Oswald Grübel, dass die UBS die Schweiz verlassen würde, wenn das Parlament ein Too-big-to-fail-Gesetz verabschieden würde. Auch Nestlé und Novartis haben gedroht, sie könnten die Schweiz verlassen, wenn die Bevölkerung einem Gesetz zustimmen würde, das den Aktionärsversammlungen der Unternehmen eine Handhabe gegen zu hohe Boni-Vergütungen geben könnte. 14 Korruption in der Politik Oft nehmen wir die Schweiz als Land wahr, in dem Korruption kaum eine Rolle spielt. Bei näherem Hinsehen ändert sich aber das Bild (Kap. 3) : So werden seit langem die grossen Mitte- und Rechts-Parteien von den Grossbanken mit rund 5 Millionen Franken pro Jahr inanziert. Es überrascht deshalb nicht, wenn diese Parteien die Banken mit Samthandschuhen anfassten. Im Gegensatz zu den meisten anderen westlichen Ländern ist die Parteieninanzierung in der Schweiz geheim. Die den Banken nahe stehenden Parteien wollen das auch so behalten und begründen dies mit der Wahrung der Privatsphäre. Nach ihrer Wahl akzeptieren die meisten Parlamentarier Posten in den Verwaltungsräten grosser Unternehmen oder auch in Interessenverbänden. Dafür erhalten sie oft Hunderttausende von Franken, ohne gross etwas dafür zu tun. Es scheint offensichtlich, dass sie sich im Gesetzgebungsprozess für die Anliegen «ihres» Unternehmens oder Verbands einsetzen werden. Diese Vorgänge können als Korruption gewertet werden, weil mit Geldzahlungen die Meinung von Parteien und Volksvertretern zwar indirekt, aber nicht weniger effektiv als im Ausland beeinlusst wird. Bisher hat sich die Bevölkerung kaum für diese Fragen interessiert. Auch im Wahlverhalten ist keine Änderung in Sicht : Es werden noch immer diejenigen unterstützt, die dem Geld möglichst grosse Freiheit 8. Siehe ChristNet-Artikel «Die Finanzkrise ist eine Glaubenskrise» (christnet.ch/de/content/die-finanzkrise-isteine-glaubenskrise) und Fischer Weltalmanach 2009. 9. Ein Unternehmen ist dann «zu gross, um bankrot zu gehen», wenn der Staat praktisch gezwungen ist, den Bankrot zu verhindern, da er sonst in eine Wirtschatskrise gestürzt würde. Die Bevölkerung ist also praktisch dem Unternehmen ausgeliefert, weil es tun und lassen kann, was es will. 1. So regiert das Geld die Welt und Macht geben wollen. Wenn wir als Schweiz wirklich Gott dienen wollen, ist es an der Zeit, dass sich dies ändert! Geld in der Welt Regulierung des Finanzsektors Aber auch in anderen europäischen Ländern setzen die Wählerinnen und Wähler noch immer auf diejenigen Parteien, die dem grossen Geld nahe stehen. Und in den USA, wo die Grossinanz Republikaner und Demokraten gleichermassen unterstützt, haben die Wähler geldbezüglich nicht einmal die Wahl. Milliardengewinne auf dem Rücken des Volkes Allerdings wird eine solche Rettung erst in einer gewissen Zeit wieder möglich sein. Heute sind viele Staaten durch ihre Rettungsaktionen und die Krise so sehr verschuldet, dass sie kaum noch den Spielraum haben, um spekulativen Angriffen auf ihre Währung die Stirn zu bieten. So kommt es, dass Finanzinstitute 2010 mit Riesensummen gegen den Euro spekuliert haben -10- und dabei Europa an den Rand des Kollapses gebracht haben. Da die Europäische Zentralbank ihre eigene Währung zurückkaufen, also Euros «vernichten» und so das Volksvermögen vermindern musste, haben die Spekulanten mit ihrer Aktion auf Kosten der Bevölkerung Milliardengewinne gescheffelt. Ein solcher Grossangriff gegen ein ganzes Staatensystem, hatte es bis dahin noch nie gegeben. Dies zeigt, dass die Finanzindustrie heute in gewissen Situationen die Macht hat, ganze Völker auszusaugen. Im vorliegenden Fall wurden die Banken aus ihrem Schlamassel gerettet und haben sich danach gegen ihre Retter gewendet. Bei solchen Spielchen nehmen die Hedge Funds eine zentrale Rolle ein. Es handelt sich hierbei um Finanzinstitute, die als eigentliche Geldmaschinen geschaffen sind. Sie unterliegen kaum Regeln und verhalten sich wie Haie. In gewissen Fällen kaufen sie Unternehmen, saugen sie aus, zerstören sie dann und lassen einen Scherbenhaufen zurück. Oder sie spekulieren gegen Währungen oder Staaten. Trotz dieser zerstörerischen Wirkung tun sich die Staaten bis heute schwer, diesen Fonds Regeln aufzuerlegen und sich so gegen die Interessen der Kapitaleigner durchzusetzen. 10. NZZ am Sonntag, 7. März 2010, S. 37. 15 Aus diesem Grund scheiterten bisher auch alle Versuche der G20 (des informellen Rates der wirtschaftsstärksten Länder), die Finanzwelt stärker zu regulieren. Dies wäre nun aber dringend nötig. Die Volkswirtschaftler und Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugmann und Joseph Stiglitz, der früher auch Chefökonom der Weltbank war, mahnen, dass die Finanzinstitute heute noch mächtiger seien als vor der Krise. Heute wüssten sie nämlich genau, dass sie tun könnten, was sie wollten, weil sie im Notfall ja von den Staaten gerettet würden. Sie verfügen also faktisch über eine Staatsgarantie. Teil I Die Macht des Geldes Weitere Beispiele Es lassen sich ohne Weiteres zusätzliche Beispiele inden, in denen das Geld Macht ausübt und höher gewichtet wird als jegliche ethische Überlegungen : Vulture Funds («Geier-Fonds») : Dabei handelt es sich um Anlagefonds, die von anderen Finanzinstituten Staatsschulden verarmter Staaten aufkaufen und dann versuchen, die gesamte Schuld mit hohem Zins und Zinseszins vom betreffenden Staat zurückzufordern. Ihre Forderungen setzen sie bei Gerichten in London und New York durch und veranlassen gegenüber zahlungsunfähigen oder unwilligen Staaten einen eigentlichen Boykott durch die Finanzwelt. Selbstverständlich fehlt dieses Geld dann den armen Ländern für existentielle Bedürfnisse wie Gesundheitsversorgung und Bildung. 16 Nahrungsmittelspekulation : Viele Nahrungsmittelspekulanten operieren von der Schweiz aus (insbesondere in Genf). So war beispielsweise 2007–2008 nach Missernten und der Umnutzung grosser Agrarlächen für Biotreibstoffe das weltweite Nahrungsmittelangebot geschrumpft. Wegen Spekulationen schoss der Preis für Getreide und Reis in die Höhe, was Hunderte Millionen Menschen im Süden in den Hunger (und unzählige in den Tod) trieb. Klimablockade : Obwohl die wissenschaftliche Faktenlage heute eindeutig zeigt, dass die Zunahme der Klimagasausstösse mit enormen Risiken für unsere Nachwelt verbunden ist, hat das Wirtschaftswachstum in der weltweiten Politik immer noch Priorität. So verabschiedete der amerikanische Senat mit 95 :0 Stimmen die «Byrd-HagelResolution», die u.a. bestimmt, dass die USA kein Klimaprotokoll unterschreiben soll, das «die Wirtschaft der Vereinigten Staaten ernsthaft gefährden würde». Genauso plump klingt es aber in der Schweiz : «Die nationalrätliche Umweltkommission (Urek) lehnt wie auch der Bundesrat eine verbindliche CO2-Reduktion um 30 Prozent bis 2020 in der Schweiz ab. Als ‹nicht tragbar› für die Wirtschaft schätzt die Mehrheit der Urek die Folgen der Initiative ein, wie die Parlamentsdienste mitteilten.» -11Umdenken ist nötig Einige Volkswirtschaftler (u.a. Joseph Stiglitz) betonen, dass bisher noch kaum eines der Probleme gelöst ist, die zur Finanzkrise geführt haben. Im Gegenteil : Eine nächste Krise ist praktisch vorprogrammiert. Auch die von der Globalisierung geförderte Tendenz, dass grosse Banken und Unternehmen durch Wachstum und Fusionen immer grösser werden, ist bislang ungebrochen. Die Geschichte hat gezeigt, dass die grössten Wirtschaftskrisen dadurch ausgelöst wurden, dass die spekulative Gier überhandnahm und dem Mammon zu viel Handlungsfreiheit gelassen wurde. Darum ist es an der Zeit, umzukehren : 11. NZZ, 4. Februar 2010, Nr. 28, S. 12. 1. So regiert das Geld die Welt Die Bevölkerungen muss wieder die Kontrolle übernehmen und Regeln durchsetzen, damit die Wirtschaft dem Menschen dient und nicht umgekehrt. Heute haben wir noch die Möglichkeit, politisch zu agieren und die Sonderinteressen des Geldes in Schranken zu weisen. Gerade in der Schweiz haben wir die Instrumente der direkten Demokratie, die wir bei anderen Themen bereits erfolgreich genutzt haben. Dafür ist es aber unabdingbar, dass die Informationsquellen, sprich : die Medien, politisch unabhängig sind. Weiterhin brauchen wir auch die Einsicht, dass unser Wachstumsstreben, die Sucht nach immer mehr Reichtum, sich langfristig nicht nur zerstörerisch auf das Wohlergehen jedes einzelnen auswirkt, sondern auch auf das globale Gesellschaftsgefüge. Damit verbunden ist die Einsicht, dass die Anhäufung von Reichtum auch das Reich Gottes und seine Werte untergräbt, denn wo unser Schatz ist, da ist auch unser Herz. -12Die Folgen sind heute etwa in der Politik ersichtlich, wo die christlichen Werte immer wieder dem obersten Ziel «Wirtschaftswachstum» geopfert werden. So setzt der Bundesrat in seinen Legislaturzielen 2007–2011 klare Prioritäten, wenn er sie mit den Worten beginnt : «Der Standort Schweiz ist attraktiv, wettbewerbsfähig.» -13- Auch der wiederholte «Sturm auf den Sonntag», den wirtschaftsnahe Politiker alle paar Jahre führen, um Öffnungszeiten von Geschäften und Dienstleistungsangeboten auf den Sonntag auszudehnen, geht in dieselbe Richtung. Doch denken wir daran : Die Geldgier ist nach Paulus eine Wurzel allen Übels -14-. Das heisst : Nicht die Banken, die Politiker oder die Wirtschaftsvertreter sind an allem Schuld. Mitschuldig sind wir alle, wenn wir ihnen den Auftrag zur Gewinnmaximierung und zur Wohlstandsmehrung erteilen. Wann werden wir endlich begreifen, dass Mammon heute gegen uns (und gegen Gott) spielt? Rasche Umkehr tut Not. Die Zeit spielt für Mammon : Je weiter die Finanzund Schuldenkrise (und ihre Ursachen) aus den Köpfen der Menschen ist, desto kleiner wird der Druck zum Handeln. Müssen wir auf die nächste Krise warten, bis wir es endlich verstehen? Ein rechtzeitiges Umdenken könnte dafür sorgen, dass die Bevölkerung die Macht über das Geld wieder gewinnt, statt davon versklavt zu werden, und dass sie das Geld als Geschenk Gottes zum Wohl aller einsetzt. 12. Vgl. Mathäus 6,19-21 : «Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Moten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Moten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.» 13. Vgl. www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=43204. 14. 1. Tim. 6.10 17 Dies ist heute oft nicht mehr gegeben. Ein Beispiel dafür ist die Übernahme der Weltwoche und der Basler Zeitung durch Altbundesrat Christoph Blocher. Aber auch die Konzentration der Tageszeitungen in der Romandie, wo nur noch zwei kleine Tageszeitungen (Le Courrier und La Liberté) vom Medienkonzern Tamedia unabhängig sind, stellt eine Bedrohung für die Meinungsvielfalt und die Meinungsbildung dar. Kreative Initiativen wie die hauptsächlich leserinanzierte Tageswoche, die in Basel als Antwort auf den SVP-Ausverkauf der BaZ ins Leben gerufen wurde, können hier als Hoffnungszeichen eines erwachenden öffentlichen Bewusstseins gewertet werden. 2. Zahlen und Fakten zu Steuergeld in der Schweiz Markus Meury, Samuel Ninck-Lehmann -15Damit wir echte Busse tun können, müssen wir uns mit der busswürdigen Situation genau vertraut machen und sie anerkennen. Dabei geht es nicht darum, mit dem Anklageinger auf bestimmte Menschen oder Menschengruppen zu zeigen (Banker, Politiker usw.). Im Gegenteil : Gott kritisiert («züchtigt») uns ja, weil er uns liebt (Heb. 12,6). So wollen auch wir, weil wir die Schweiz lieben, unsere Augen nicht vor dem Unrecht unseres Landes verschliessen, sondern vielmehr in Liebe und Wahrheit Stellung beziehen. — Steuerhinterziehung (das «Vergessen», ein Einkommen zu deklarieren) gilt in der Schweiz im Gegensatz zu Steuerbetrug (Fälschung von Belegen) nur als Übertretung, nicht als strafbares Delikt. 19 — Geschätzte 5-10% der Steuern bzw. 5-10 Milliarden Franken werden in der Schweiz hinterzogen. -16- Dabei handelt es sich hauptsächlich um Kapitalgewinne und Vermögen, denn Löhne können kaum hinterzogen werden (Lohnausweis!). — Sogar die inanzplatznahe NZZ schätzt, dass «über 50%» der ausländischen Guthaben auf Schweizer Banken, also weit über 1 Billion Franken (tausend Milliarden!) unversteuert sind. -17— Wegen Steuerluchtgeldern, die in der Schweiz liegen, verlieren die Länder des Südens jährlich mindestens 7,35 Milliarden Franken an Steuereinnahmen. -18— Im Vergleich dazu ist die Entwicklungshilfe der Schweiz nicht einmal halb so gross und beträgt 3,114 Milliarden Franken (2011). -19«Höret ihr Stämme und ihr Ratsleute! Noch immer bleibt unrecht Gut in des gottlosen Haus und das verluchte falsche Mass. Oder sollte ich unrechte Waage und falsche Gewichte im Beutel billigen?» Micha 6,9-11 «Weh dem, der sein Gut mehrt mit fremdem Gut – wie lange wird’s währen? – Und häuft viele Pfänder bei sich auf.» Habakuk 2,6 15. Factsheet, das für das Bussgebet auf dem Bundesplatz – «Die Schweiz, unser Land, und ihre Finanzen» – vom 20. März 2010 (Kap. 20) erarbeitet wurde. Überarbeitet im Oktober 2012. 16. Christian Wanner in : «Es geht um Steuergerechtigkeit», Tagesanzeiger, 29. September 2012. 17. NZZ, 12. März 2012, S. 29. 18. Erklärung von Bern : «La Suisse doit s’ataquer à ce léau qui ruine le développement.» In : Solidaire. Nr. 223, 09.12. 19. a.a.O. 3. Politikfinanzierung : die heimliche Macht des Geldes Mathias Ninck, Mathias Binswanger -20Firmen und Verbände bezahlen ausgewählte Politiker. Was tun diese Politiker dafür, und um welche Summen geht es? Das soll der Bürger nie erfahren. Vielleicht denkst du, die Schweiz ist eine normale Demokratie. Das Volk wählt regelmässig seine Vertreter, die dann vier- bis fünfmal im Jahr nach Bern reisen und dort ein Hotelzimmer beziehen, jeden Morgen hinüberlaufen ins Bundeshaus und Gesetze erlassen oder abändern und Vorstösse einreichen. Abgesehen davon, sind sie Bauern und Lehrer und Anwälte und bringen ihr beruliches Fachwissen in die politische Arbeit ein. Der Sitz im Parlament ist für sie eine Nebentätigkeit, mehr als eine Vergütung bekommen sie dafür nicht. Sie gehören einer Partei an, weshalb jeder Bürger weiss, welche programmatischen Interessen sie vertreten. Sieht das nicht ganz nach dem perfekten System aus? Vielleicht denkst du sogar, wir haben die beste aller Demokratien. Und dann hörst du die folgende Geschichte. Es ist die Geschichte von Felix Gutzwiller. Er ist Ständerat der FDP, Vertreter des Kantons Zürich, seit gut zehn Jahren im Parlament, ein aus den Medien bekannter Politiker und Universitätsprofessor, dem der Ruf anhaftet, äusserst kompetent zu sein, und der beim Zuschauer Vertrauen erweckt, wenn er ihm in «10vor10» etwas erklärt. Dieser einnehmende Herr, so erfährst du, sass bis Herbst 2007 im Beirat der Credit Suisse. Dieser Beirat, inzwischen aufgelöst, wurde zweimal im Jahr einberufen. An den Sitzungen wurden «Einschätzungen zu Themen und Entwicklungen gemacht», wie der Pressesprecher der Bank sagt. Die Entschädigung dafür : 100 000 Franken. Viel Geld für zwei Sitzungen. Aber was aussieht wie ein wundersames Geschenk, ist ein gut kalkuliertes Geschäft : Wenn im Parlament zum Beispiel ein neues Aktienrecht geschaffen wird, darf die Credit Suisse damit rechnen, dass ihre Geschäftsinteressen angemessen berücksichtigt werden. Wenn sich viele Leute aufregen über den Bankgeheimnis-Deal mit der amerikanischen Steuerbehörde vom letzten August, geht Felix Gutzwiller in die «Arena» und verteidigt gleichmütig die Interessen der Grossbanken. Und während du dich fragst, ob du diese Verstrickung schon Korruption nennen sollst, hörst du, wie Felix Gutzwiller, der von dieser Recherche erfahren hat und von sich aus anruft, am Telefon sagt : «Es war mir nicht wohl dabei.» 20. Dieser Artikel erschien am 6. Februar 2010 unter dem Titel «Die heimliche Macht des Geldes» in Das Magazin. Mit freundlicher Genehmigung von Mathias Ninck (Urheberrechte vorbehalten). 21 Die perfekte Demokratie Teil I Die Macht des Geldes Das Unwohlsein vermehrt sich. Gerade erst, vor zwei Wochen, hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass der zur Beilegung des Steuerstreits abgeschlossene Staatsvertrag mit den USA illegal war. Die Schweiz verplichtete sich im letzten August, 4450 UBS-Kundendaten den US-Steuerbehörden auszuhändigen — sie tat dies in der Absicht, die Bank damit vor einer Strafklage und also vor dem Untergang zu bewahren. Nun kommt das Abkommen womöglich vors Parlament : Es soll dort nachträglich gutgeheissen werden. 22 Bisher konnte sich die UBS auf das Parlament verlassen. So hat etwa die FDP mit den «Freunden der FDP» einen potenten Gönnerverein — es ist ein Klub der Finanzwelt mit Peter Wufli, dem früheren UBS-Chef als Präsidenten ; mit dabei war auch Walter Kielholz, ehemaliger Präsident der Credit Suisse, oder Kaspar Villiger, heutiger Präsident der UBS. Bei der CVP heisst der entsprechende Finanzierungsklub «Verein zur Unterstützung des wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wirkens». Doch jetzt rebellieren die ersten bürgerlichen Politiker gegen die Umklammerung der Grossbanken. Der freisinnige Nationalrat Philipp Müller verlangt von seiner Partei, sie müsse den Bruch mit dem spendablen Verein wagen : «Der bisherige Weg war falsch.» Parteikollege Otto Ineichen fügt an : «In meiner Zeit als Parlamentarier habe ich noch nie so starke und konzertierte Lobby-Anstrengungen erlebt wie die derzeitige Kampagne der Grossbanken. Sie wollen dafür sorgen, dass bei der Bankenregulierung alles so läuft, wie sie es sich vorstellen.» Du beginnst jetzt Fragen zu stellen. Es sind alte Fragen, die Fragen, die sich wie Mehltau über unser System gelegt haben. Immer wieder einmal werden die Fragen laut erhoben, immer wieder verklingen sie unbeantwortet. Wer alles erhält solche Zahlungen? Wer leistet sie? Wie viel Geld muss für wie viel Einluss auf den Tisch gelegt werden? Niemand will etwas dazu sagen. Es wird abgewiegelt. Neinein, in der Schweiz ist alles in bester Ordnung. Immerhin gibt es einen Politikerschlag, der redet, Konkretes liefert. Es sind jene, die nichts zu verlieren haben : die Alten. Sie sind längst von der Bühne abgetreten, gehören nicht mehr der Öffentlichkeit, brauchen sich nicht um ihr Image zu sorgen. Sie sagen, was sie denken. Abhängigkeiten? «Natürlich gibt es die.» Und sie erzählen Geschichten. Zum Beispiel : die Geschichte von Flavio Cotti. Die Geschichte handelt von einem Mann, der als Gemeindepolitiker anfängt und es ganz hinauf in den Bundesrat schafft. Sie handelt von Kampf, Planung, Glück, Intrigen, von Verbündeten, die im richtigen Moment nachhelfen. Sie handelt von Geld. Und davon, wie man es einsetzt. Cotti macht 1959 im Benediktiner-Gymnasium in Sarnen die Matur, studiert in den Sechzigerjahren in Freiburg die Rechte, ist Mitglied in einer katholischen Studentenverbindung. Dort lernt er Franz Lusser kennen, Sohn des langjährigen Zuger Politikfinanzierung: die heimliche Macht des Geldes CVP-Ständerats Augustin Lusser. Später wird Franz Lusser Generalsekretär bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (die heute UBS heisst). Flavio Cotti ist 25 Jahre alt, als er in den Gemeinderat von Locarno einzieht, drei Jahre später schafft er es in den Tessiner Grossen Rat, 1975 in die Kantonsregierung. Acht Jahre später tritt Cotti ab mit einer Rente von 100 000 Franken. Er ist 44 Jahre alt und hat Grösseres im Sinn. Freunden sagt er, er wolle in den Bundesrat. Im Herbst 1983 erkämpft Flavio Cotti einen Sitz im Nationalrat. Kaum ist er im Parlament, wird er Präsident der CVP Schweiz und löst den Walliser Hans Wyer ab. Auf einmal ist der Neuling die Nummer eins in der Partei, der kaum bekannte Tessiner taucht ständig in den Medien auf. Jetzt hat er Chancen auf das höchste Amt. Wie ging das so schnell? In der Kasse der Partei gähnte ein Loch. Gleichzeitig mit der Wahl Cottis zum CVP-Präsidenten spendierte die Schweizerische Bankgesellschaft, auf Antrag ihres Generalsekretärs Franz Lusser, eine Sonderzahlung an die Partei von 350 000 Franken. Sowohl Lusser wie auch Philippe de Weck, Verwaltungsrat der Bank, waren Mitglieder der CVP. Dies alles sagt ein Zeuge, der nah an dem Vorgang dran war — und anonym bleiben will. Der Zeuge sagt, die SBG-Zahlung sei an die Bedingung geknüpft gewesen, Cotti zum Parteipräsidenten zu machen. «Für die Banken war Hans Wyer nicht der richtige Mann. Zu sozial. Zu stark mit Familienthemen befasst. Zu weit weg von der Wirtschaft.» Die Banken wollten den machthungrigen Tessiner. Eine Information ist das, mehr nicht. Aus einer glaubwürdigen, aber anonymen Quelle. Ist sie auch wahr? Eine Schweizer Grossbank soll einer Partei 350 000 Franken bezahlt haben, damit sie ihren Präsidenten auswechselt? Beweise gibt es nicht. Aber es gibt Beteiligte und das, was sie nach der langen Zeit noch erzählen. Hans Wyer, der ehemalige Parteipräsident, sagt : «Ich bin jetzt fast 84 Jahre alt, da hat man nicht mehr alles präsent. Ich kann das nicht mehr rekonstruieren. Kennen Sie eine Partei, die sich gewissen Einlüssen nicht unterziehen muss?» Arnold Koller, damals Präsident der CVP-Fraktion und später Bundesrat : «Ich muss leider sagen, dass ich nicht viel in Erinnerung habe. Was meine Rolle genau war bei der Ablösung von Wyer durch Cotti — nicht einmal daran kann ich mich mehr sicher erinnern. Es ist schon lange her. Eine Einlussnahme durch die SBG ist mir nicht bekannt. Aber natürlich, in der Politik ist vieles möglich.» Er lacht plötzlich schallend. Dann, wieder ernst, fügt er an : «Ich kann nur sagen, ich habe es nicht gewusst.» Flavio Cotti, der in der Nähe von Locarno wohnt, hoch über dem Lago Maggiore, ist telefonisch nicht erreichbar. Und derjenige, der alles weiss über die Spenden und Zahlungen der SBG jener Zeit, der langjährige Generalsekretär Franz Lusser, sagt im Gespräch, ja, die Bank habe schon damals Mittel geleistet an die CVP, aber nein, nie sei das an Bedingungen geknüpft gewesen. Nie? Würde er die Hand ins Feuer legen dafür, dass das Geld, das damals von der SBG zur CVP gelossen ist, nicht mit der Forderung verbunden war, die Partei solle Cotti als Präsidenten installieren? Lusser sagt weder Ja noch Nein. 23 3. Teil I Die Macht des Geldes Er antwortet im Konjunktiv : «Ich könnte mir das nicht vorstellen. Ich sähe auch nicht, warum. Wyer hat ausgewogen politisiert, hatte Verständnis für die Wirtschaftsfragen. Wyer wollte, Irrtum vorbehalten, von sich aus zurücktreten. Dass Cotti speziische Beziehungen hatte in die SBG, das ist mir neu.» Die Miliz am Ende Die vom Volk gewählten Politiker nennen wir Volksvertreter. Dass sie das sind, das ist zumindest die Wunschvorstellung. Das heisst, der Parlamentarier bemüht sich in seinem politischen Denken immer auch darum, das Volk zu sehen oder das, was du dir unter diesem schönen, windigen Wort vorstellst. Das, was uns zusammenhält. Natürlich weisst du, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Viele Politiker in Bern sind nicht nur Volksvertreter, sondern auch Interessenvertreter. Sie spielen eine Doppelrolle, die von unserem System gefördert wird. 24 «Das Schwerste in Bern ist, sich selber treu zu bleiben.» Diesen Satz hat ein Basler Politiker gesagt, nach zwanzig Jahren im Nationalrat. Der freisinnige Felix Auer, früherer Vizedirektor bei Ciba-Geigy, ist kein Träumer, sondern ein pragmatisch veranlagter Mann ; er weiss, was es heisst, den Spagat zu machen zwischen den gesellschaftlichen Interessen und den Eigeninteressen. Der Grossbrand bei Sandoz in Schweizerhalle am frühen Morgen des 1. November 1986 schreckte die ganze Schweiz auf, rückte der Bevölkerung die Verletzlichkeit der Natur vor Augen. Für Auer ein Dilemma. Sollte er nun im Parlament für die Bevölkerung reden oder für die chemische Industrie? «Es war ein heikler Moment», erinnert sich Felix Auer, der heute 84 Jahre alt ist. Er, der Ciba-Geigy-Mann, hat im Nationalrat dann kompromisslos Sandoz verteidigt. Es war, wie er sagt, eine einmalige Situation. Die Versuchungen hingegen waren vielfältig. «Als ich in den Nationalrat gewählt wurde, habe ich mehrere Berufungen in Verwaltungsräte bekommen. Ich habe alle abgelehnt. Ich wollte mich frei fühlen. Es ist eine Charakterfrage, wie stark einen solche Interessenbindungen beeinlussen beim Aushandeln von politischen Entscheiden — aber natürlich, sie tun es immer.» So reden die Alten. Die, die nichts zu verlieren haben. Und dann sprichst du mit den Jungen, die noch eine Karriere vor sich haben. Die sagen dann zum Beispiel : «Nicht jede Abhängigkeit schränkt die Entscheidungsfreiheit ein.» Das ist ein richtig schöner Politikersatz. Ein Satz, der zu Beat Walti passen würde ; der Politiker hält die Abhängigkeit von Spendern für eine Konstruktion. Walti ist Präsident der FDP des Kantons Zürich und hat 2007 um einen Sitz im Nationalrat gekämpft. Er soll sich, wie ein FDPGefährte sagt, seinen Wahlkampf von einer Zürcher Grossbank bezahlt haben lassen. Dazu sagt er nur : «Ich habe den Wahlkampf mit eigenen Mitteln, aber auch durch eine grosse Anzahl von Spenden bestritten. Ich mache keine Angaben zu einzelnen Beiträgen.» Wieder und wieder heisst es : Gerade weil sie keine Berufspolitiker sind, sind unsere Volksvertreter gegen ungehörige Einlussnahme geschützt. Sie üben das politische Mandat ja nur als Nebenamt aus. Es herrscht das Milizprinzip. Aber wie weit ist es heute eigentlich noch her mit der Nebenamtlichkeit? Politikfinanzierung: die heimliche Macht des Geldes Eine unverdächtige Auskunftsperson in dieser Sache ist Gerhard Pister, ein Bürgerlicher, der in der Wirtschaft gut verankert ist, die CVP seit 2003 im Nationalrat vertritt und als langjähriges Mitglied der staatspolitischen Kommission schon ein paar Debatten mitverfolgt hat über Geld und Politik. «Man spricht vom Milizcharakter unseres Systems und meint damit, dass eine Trennung von Politik und Wirtschaft nicht möglich ist.» Das Argument sei nun aber tatsächlich etwas fragwürdig geworden, meint Pister. «Es gibt fast keine Miliz-Parlamentarier mehr. Da ist kaum noch einer, der einem bürgerlichen Beruf nachgeht und dann ein paar Wochen pro Jahr im Parlament sitzt. Die meisten sind Vollzeit-Politiker, was man ihrem Einkommen ansieht. Es besteht, nebst dem Parlamentarier-Salär von rund 100 000 Franken, zu einem grossen Teil aus Vergütungen für den Einsatz, den sie für Interessengruppierungen leisten. Und für Verwaltungsratsmandate. Man sieht ja auch, wie die Politiker zu diesen Mandaten kommen. Sie werden nicht interessant, weil sie gut sind, sondern weil sie Parlamentarier sind. Firmen, Verbände, NGOs und Gewerkschaften haben durch sie den direkten Zugang zur gesetzgebenden Gewalt.» Otto Ineichen ist vom Schweizer Fernsehen vor Kurzem zum Politiker des Jahres gewählt worden. Der FDP-Nationalrat hat sich über die Parteigrenzen hinweg für ein günstigeres Gesundheitswesen eingesetzt und für mehr Lehrstellen für Jugendliche. Er sagt : «Der Einluss der Vertreter von Partikularinteressen hat im Parlament stark zugenommen in den letzten Jahren. Wir verlieren die Gesamtinteressen der Gesellschaft zunehmend aus den Augen.» Auch Marianne Kleiner gehört zu den Parlamentariern, die sich nicht freuen können an politischem Ränkespiel. «Die Tricks hintenherum, das Lügen und Taktieren — das will ich nicht lernen, nie», sagte sie einmal. Die Freisinnige, die in einer angesehenen bürgerlichen Familie im Appenzeller Hinterland aufgewachsen ist, mag die verdeckten Manöver nicht. Sie erzählt, wie es im Parlament zum Kontakt mit Lobbyisten kommt. «Als ich in die Gesundheitskommission kam, wurde ich angegangen», sagt sie. «Das geht so vor sich : In der Wandelhalle wird man angesprochen, jemand fragt, ob er einen zum Mittagessen einladen dürfe. Man fragt, worum es gehe, und dann erfährt man es meistens schon. Wenn man zusagt, wird das so gemacht, dass man Mitglied wird in einem Beirat oder Verwaltungsrat, wo man vielleicht 50 000 oder 80 000 Franken bekommt im Jahr, also eine Menge Geld.» Ob sie Namen nennen könne von solchen Anwerbern? «Das mache ich nicht. So loyal bin ich dann schon», sagt Kleiner. Sie respektiert das Schweigegebot. Die Angebote aber hat sie alle abgelehnt. «Ich will unabhängig politisieren.» Hilmar Gernet, der frühere Generalsekretär der CVP Schweiz, sagt : «Jeder, der in einen Verwaltungsrat oder einen Beirat kommt, weiss, was von ihm verlangt wird — nämlich Interessenvertretung im Parlament.» Gernet wird im Frühling ein Buch über Politikinanzierung veröffentlichen. Heute arbeitet er als Direktor Politik & Gesellschaft bei der Raiffeisenbank, das heisst, er ist ihr Chelobbyist. Das Schulbeispiel eines Interessenvertreters ist Eugen David. Der CVP-Politiker sitzt seit zweiundzwanzig Jahren im Parlament. Nachdem er gewählt worden war, zog er in Verwaltungsräte ein, in Beiräte, Stiftungsräte ; derzeit sind es sechzehn solche Mandate. Für das Verwaltungsratspräsidium der Krankenkasse Helsana allein bezog er letztes Jahr 126 000 Franken (laut Geschäftsbericht). Eugen David, auf seine multiplen und hoch dotierten Bindungen angesprochen, sagt etwas, das er dann später nicht 25 3. Teil I Die Macht des Geldes gedruckt sehen will. Gedruckt sehen will er etwas, das er nicht gesagt hat. «Andernfalls ersuche ich Sie, auf die Zitate zu verzichten», schreibt er in einem Mail. Vorher hat er verlangt, alle Zitate kontrollieren zu dürfen (was ein übliches Vorgehen ist). Wir verzichten. 26 Christoph Blocher, der einst im Verwaltungsrat der Schweizerischen Bankgesellschaft sass, sagte einmal (1993 in der Zeitung «Cash») : «Heute sind Parlamentarier, die in Verwaltungsräten grosser Konzerne sitzen, viel stärker unter Druck als früher. Die müssen heute Instruktionen entgegennehmen, als ob sie Marionetten wären. Früher war der Respekt gegenüber der Unabhängigkeit von National- und Ständeräten viel grösser.» Gilt dies auch für Caspar Baader, den Präsidenten der SVP-Bundeshausfraktion? Baader ist Mitglied der Verwaltung von Fenaco und des Vorstandes von Swissoil. Erstere ist ein milliardenschwerer Landwirtschaftskonzern, der vom politisch festgelegten Schutz der Bauern inanziell proitiert ; er hat also starke Interessen gegen die derzeit angestrebte Marktöffnung. Swissoil, der Dachverband der Heizölhändler, ist selbstredend ein Akteur im hart umkämpften Feld der Energiepolitik. Baader, der mit diesen beiden Mandaten einen Teil seiner Einkünfte erzielt, sagt : «Die Entschädigungen bei Fenaco und Swissoil sind im Vergleich zu andern Unternehmen und Verbänden relativ bescheiden. Eine Zahl nenne ich nicht. Die meisten Parlamentarier sind Interessenvertreter, sei es von der Wirtschaft, sei es von NGOs und anderen Organisationen. Diese Interessen sind im Parlamentsregister deklariert, jeder sieht, wer welche Beziehungen hat. Bei korrekter Interessendeklaration sind solche Einkünfte kein Problem für unsere Demokratie. Eine Bekanntgabe der Entschädigungen dient nur dem Voyeurismus.» Omertà Es ist eine besondere Erfahrung, wenn du in der Schweiz zum Thema Politikinanzierung recherchierst : Überall wird geschwiegen. Es ist, als wäre es anstössig, in unserem Land von den inanziellen Eigeninteressen in der Politik zu reden. Wortreich wird nur die Diskretion gelobt. Stefan Brupbacher, Generalsekretär der FDP Schweiz, sagt : «Wir geben keine Auskunft über unsere Spender, denn Vertraulichkeit ist ein zentrales Element unseres politischen Systems. Da nur der Parteipräsident und ich die Finanzen kennen, ist damit auch das zweite wichtige Element sichergestellt, die Unabhängigkeit der Fraktion. Wer welche Politiker — beispielsweise — im Wahlkampf unterstützt, wissen wir nicht. Wer hier Transparenz verlangt, versucht, Politiker in die Nähe dubioser Machenschaften zu rücken. Niemand will sie diesem Generalverdacht aussetzen. Als Folge werden sich noch weniger Unternehmer im Milizsystem engagieren. So züchten wir aber Hors-sol-Politiker.» Tim Frey, Generalsekretär der CVP Schweiz, sagt : «Im Milizsystem wird ein Kandidat ja gerade auch wegen seiner Tätigkeiten und Interessenbindungen gewählt. Nachträglich kaufen kann man einen Politiker nicht oder nur selten. Ich kenne jedenfalls niemanden, der sein Entscheidungsverhalten im Parlament anpasst, nur weil er in Lohn und Brot einer politischen Organisation steht. Das ist völlig abstrus. Er hat seine politische Meinung vor der Wahl gemacht.» Abstrus? Ist es nicht im Gegenteil plausibel? Hätten diese Bezahlungen keine Wirkung, würden die Firmen und Verbände sie wohl nicht leisten. Und wäre die Höhe der Vergütung unproblematisch, könnte man sie transparent machen. Politikfinanzierung: die heimliche Macht des Geldes Transparent machen? Nein, sagt Tim Frey. «Wir haben praktisch keine Berufspolitiker in der Schweiz, und unsere Parlamentarier sind in erster Linie Bürger mit einem zivilen Beruf. Bürger mit dem Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre — dazu gehören auch ihre Einkommensverhältnisse.» Informiert wählen zu können : Das ist die Grundlage jeder Demokratie. Das hast du in der Schule gelernt. Und das sagst du jetzt auch. «Der informierte Wähler war ein Konzept der Politikwissenschaft der Siebzigerjahre», antwortet Tim Frey. «Viele empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass die meisten Wählentscheide aufgrund von symbolischer Kommunikation und von Gefühlen gefällt werden und nicht aufgrund rationaler Überlegungen.» Die CVP indet also nicht, dass die Wähler wissen sollten, in welchen Abhängigkeiten sich Politiker beinden? «Die Abhängigkeiten sind sichtbar. Alle Beiräte, Verwaltungsräte, Stiftungsräte sind im Parlamentsregister aufgeführt. Das genügt. Wie viel die Politiker mit den Mandaten verdienen, das interessiert doch niemanden. Wenn der Wähler das Gefühl hat, einer ist gekauft, dann schiesst er ihn ab. Er wählt ihn nicht mehr. Punkt.» Das ist doch genau das Problem. Die Gefühle. Denken nicht viele Bürger, es laufe in Bern oben etwas schief, es gebe diesen wie auch immer gearteten Filz? Dieses schattenhafte Gefühl beschädigt das Vertrauen in die Politik. «Wir haben das Vertrauen unserer Wähler», antwortet Tim Frey von der CVP. «Sonst würden sie uns nicht wählen. Ich kenne unsere Wähler. Wie die Politiker inanziert werden, ist einfach kein Thema, es wird von zwei, drei Journalisten aufgebauscht.» Und dann sagt Tim Frey, ein Parteiengesetz wäre für ihn schon denkbar und also ein professionelles Parlament und das damit verbundene Verbot für die Politiker, Geld anzunehmen. Gleichzeitig sagt er : «Aber das brächte keinen Gewinn an Demokratie. Diese Erfahrung habe ich zum Beispiel als Wahlbeobachter in Mali gemacht : Solche Regelungen werden oft umgangen. In der Schweiz wäre das mit dem liberalen Vereinsrecht auch sehr einfach. Unser System erscheint vielleicht diffus, es hat etwas Gebasteltes, Amateurhaftes an sich. Aber mir ist das sympathischer, weil man nicht eine Transparenz suggeriert, die es nicht gibt.» Die Schweiz ist also anders als Mali. Aber wie läuft es denn nun in der Schweiz? Es gibt einen Bericht des Bundesrates mit dem Titel «Moneypulation…?» Der Bericht war die Reaktion auf ein Postulat des Sozialdemokraten Andreas Gross, der 1995 verlangt hatte, dass endlich einmal geklärt werde, wie der Einsatz von Geldmitteln die Politik beeinlusse, sprich : ob «die Demokratie käulich» sei. «Es ist für unser Staatswesen existenziell wichtig zu wissen, ob diese These zutrifft», schrieb Gross. Es war nicht der erste linke Vorstoss in dieser Sache, und es wird, wie die SP schreibt, nicht der letzte sein. Der Bundesrat beauftragte also die Bundeskanzlei, eine Studie auszuarbeiten ; drei Jahre später lag der «Bericht zur Rolle des Geldes in der direkten Demokratie» vor. Er war 126 Seiten stark und enthielt — nichts. Die Bundeskanzlei hatte eine eigene Umfrage organisiert, und zwar bei sechzehn Parteien und acht Verbänden und einundzwanzig weiteren politischen Organisati- 27 3. Teil I Die Macht des Geldes onen. Mit dem Fragebogen sollten die politischen Ereignisse der Jahre 1994 und 1995 wie auch die Nationalratswahlen im Herbst 1995 auf den Einsatz von Geld hin untersucht werden. Den Adressaten wurde eine streng vertrauliche Behandlung zugesichert und versprochen, die Ergebnisse würden anonymisiert. Das Resultat : Von den fünfundvierzig angeschriebenen Organisationen antworteten nur zwölf (zu der schweigenden Mehrheit gehörte auch die SP Schweiz). Der Bericht schliesst mit der Bemerkung : «Angesichts der Vielzahl zitierter Geldbeträge, Budgets und Werbemittel schiene es vermessen zu behaupten, Geld spiele in der direkten Demokratie keine Rolle. Allerdings bleibt unklar, welcher Stellenwert den inanziellen Anstrengungen (…) zukommt.» Als im Jahr 2001 der damalige SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard mit einer Interpellation nachfasste und die «gefährlichen Verstrickungen von Geld und Demokratie» geklärt haben wollte, antwortete der Bundesrat, indem er Bezug nahm auf den ernüchternden Bericht der Bundeskanzlei : «Der Bundesrat bezweifelt, dass eine weitere Untersuchung etwas bringt, wenn offensichtlich allenthalben die Bereitschaft zur Transparenz fehlt.» 28 Das ist also die Lage der Nation : Die höchste Autorität, die Landesregierung, möchte wissen, wer bei uns die Politik bezahlt. Aber sie ist chancenlos. Die Omertà ist nicht zu durchbrechen. Die politische Debatte um die Offenlegung der Geldlüsse folgt heute dem Muster Linke gegen Bürgerliche. Die Linke ist für Transparenz, die Bürgerlichen sind dagegen. Das war nicht immer so. In der Vor-Blocher-Ära kämpfte die SVP in dieser Frage an der Seite der Sozialdemokraten und argumentierte absolut deckungsgleich : Wenn man ständig Geld auftreiben müsse, sagte die Partei, binde man sich an die Geldgeber und werde unfrei. Deshalb müsse der Staat die Politik inanzieren. Heute hält gerade die SVP ihre Geldquellen streng geheim. Die Haltung einer Partei bezüglich Transparenz scheint also immer nur von einem abzuhängen : wie sehr sie selber im Verborgenen von Spenden proitiert. Zahlen und Schätzungen Die Frage, woher das Geld kommt, ist unbeantwortet. Du versuchst also, die Sache von der anderen Seite anzupacken : Wo geht es hin? Ein Teil geht direkt auf die Konten von Politikern. Ein Teil geht in die Parteizentralen (Parteiinanzierung). Ein Teil geht in Abstimmungskämpfe. Ein Teil geht in den Wahlkampf. Dazu gibt es Schätzungen. Fangen wir mit den Wahlen an, nehmen wir den Nationalratswahlkampf 2007, den bisher teuersten. Hilmar Gernet beschreibt ihn in seinem Buch. Die Parteien haben für Plakate, Inserate und Broschüren rund 50 Millionen Franken ausgegeben. Die Wahlkampfbudgets der Bundesratsparteien (plus Grüne) betrugen zusammen 16,6 Millionen Franken. Das heisst, es gibt einen Fehlbetrag von etwa 34 Millionen Franken. Diese Millionen haben die Kandidaten offensichtlich selber beschafft. 3. Politikfinanzierung: die heimliche Macht des Geldes Bei wem? Wir wissen es nicht. Die Parteieninanzierung lässt sich ebenfalls abschätzen. Gemäss den Angaben der Generalsekretariate ergibt sich folgendes Bild : Umsatz der SVP Schweiz im Jahr 2009 : rund 2,5 Millionen Franken (Christoph Blocher zahlt nichts in die Parteikasse, sein Geld geht direkt in Abstimmungs- und Wahlkampagnen). Die SP Schweiz hat im letzten Jahr 4,83 Millionen Franken verbraucht, darin eingerechnet sind 1,2 Millionen Franken für Abstimmungskampagnen. Umsatz der FDP Schweiz im Jahr 2009 : etwa 3 Millionen Franken. Die CVP Schweiz hat ein Jahresbudget von 2,5 Millionen Franken, das in den Wahljahren jeweils um eine Million erhöht wird. Diese 12 Millionen sind wenig Geld — verglichen mit den Summen, die im Wettbewerb um politische Macht sonst ausgegeben werden. Die Firma Media Focus wertet jedes Jahr aus, wie viel Werbung die Politik in den Medien schaltet und was die kostet. Im Jahr 2007 hat die Politik demnach für 58 Millionen Franken Inserate geschaltet, im Jahr 2008 für 53 Millionen, letztes Jahr etwa gleich viel. Dieser hohe Betrag von 50 bis 60 Millionen Franken jährlich beinhaltet allerdings auch die kantonalen und städtischen Abstimmungskämpfe und Wahlen. Betrachtest du allein die nationalen Vorlagen, sind jährlich etwa 25 Millionen Franken im Spiel. Wer bezahlt diese ganzen Abstimmungs- und Wahlkampfmillionen? «Die interessierten Kreise», heisst es. Du denkst vielleicht an Christoph Blocher und Walter Frey von der SVP, was nicht falsch ist, ausser, dass Walter Frey «seit acht Jahren ein bisschen weniger macht», wie er sagt. Früher hätten er und Christoph Blocher denselben Anteil an den Ausgaben getragen, heute sei Blocher stärker beteiligt. Blocher selber sagt, er wolle nichts zum Thema sagen. Dann fällt dir Economiesuisse ein, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft. Economiesuisse ist die professionellste politische Kampagnen-Agentur der Schweiz. Und weiter in der Rangliste der mächtigsten Interessengruppen folgen hinter Economiesuisse — ein gutes Stück abgeschlagen — die Gewerkschaften und die vielen anderen Verbände : Arbeitgeberverband, Gewerbeverband, Bauernverband, Umweltverbände. Sie haben weniger Geld, verfügen aber dank ihren vielen Mitgliedern auch über Schlagkraft. Der Verband Eines Tages sitzt du einem Mann gegenüber, der ein rundes, freundliches Gesicht hat und eine modische Krawatte trägt und in gelassenem Konversationston deine Fragen beantwortet. Urs Rellstab heisst er. Er ist stellvertretender Direktor von Economie- 29 Rund 12 Millionen Franken also kostet die immer aufwendiger werdende Arbeit in den Zentralen der Bundesratsparteien, wenn du sie zusammenrechnest. Während die SP mehrheitlich von Mitgliederbeiträgen lebt, inanzieren sich die bürgerlichen Parteien vor allem über Spenden. Die sechs wichtigsten Spender sind laut Hilmar Gernet : Credit Suisse, Novartis, Roche, Nestlé, ein grosser Baukonzern und bis vor einem Jahr auch die UBS. Teil I Die Macht des Geldes suisse. Bei einem Budget von 15 Millionen Franken beschäftigt der Verband mehr als fünfzig Mitarbeiter. Damit weist Economiesuisse ein grösseres Budget auf als alle politischen Parteien zusammen — das allein zeigt, wie die Machtverhältnisse liegen. 30 Aber das eigentliche Instrument für den politischen Kampf ist der KampagnenFonds von Economiesuisse. Über seine Grösse schweigt sich Rellstab aus, der Fonds ist aber gross genug, damit Economiesuisse bei allen wichtigen Fragen in die Schlacht ziehen kann. Bei kleinen Kampagnen setzt Economiesuisse 1 bis 2 Millionen Franken ein, bei mittleren 2 bis 5 Millionen Franken und bei den ganz grossen wie jener um die Personenfreizügigkeit bis 10 Millionen Franken. Economiesuisse stehen jedes Jahr schätzungsweise 15 Millionen Franken zur Verfügung für politische Kampagnen. Seit dem Votum über das Steuerpaket vor knapp sechs Jahren hat der Wirtschaftsverband keine Abstimmung mehr verloren, in der er mitgekämpft hat. Daraus lässt sich ableiten : Geld ist wichtig. Sehr wichtig. Urs Rellstab bestreitet das nicht : «Wenn es in einem Abstimmungskampf knapp wird, kann das Geld in den letzten Wochen zum relevanten Faktor werden. In dieser Phase ist es wichtig, die Botschaft mit Anzeigen in den Zeitungen zu wiederholen.» Du bittest den Mann, dir eine Liste auszuhändigen aller Volksabstimmungen und der jeweiligen Summe, mit der Economiesuisse in den Kampf eingegriffen hat. Urs Rellstab lächelt verbindlich und sagt : «Wie viel Geld wir bei einem bestimmten Abstimmungskampf einsetzen, geben wir nicht bekannt. Als Dachverband der Wirtschaft können wir nicht lügen. Oft spielen unsere Gegner das David-Goliath-Spiel und setzen zu Beginn einer Kampagne Zahlen in die Luft, die im Nachhinein nichts mit der Realität zu tun haben.» Der Politologe Hans-Peter Kriesi von der Universität Zürich hat vor mehr als zwanzig Jahren die Rolle der Wirtschaftsverbände in der Schweiz untersucht. In dem Buch, das heute noch über weite Strecken Gültigkeit hat, bestätigt Kriesi die starke Stellung der Wirtschaftsverbände : Die Schweiz könnte gut eine Zeit lang ohne Parteien funktionieren, nicht aber ohne die Interessengruppen. «Die faktische Einbindung der Verbände in die Politik geht in der Schweiz weit über ihre rechtliche Anerkennung hinaus.» Gemäss Bundesverfassung sollten die Verbände bei der Gesetzgebung nämlich nur «anzuhören» sein, beim Vollzug allenfalls «herangezogen» werden. Sie operieren aber wie Parteien, als seien sie Organe der Willensbildung und hätten Anspruch auf Mitwirkung. «Es zeigt sich, dass die Verbände in der Schweiz nicht nur in der Lage sind, Interessen zu artikulieren, sondern dass sie diese auch in bindende Entscheide umsetzen können.» Natürlich musst du die grossen internationalen Firmen hier mitdenken. Denn die brauchen heute die Verbände nicht mehr und gelangen mit ihren Forderungen direkt an die Regierung, wie der Fall UBS gezeigt hat. 3. Politikfinanzierung: die heimliche Macht des Geldes In der Kommission Viel Geld wird also in Abstimmungskämpfe gesteckt. Sie sind aber bloss das letzte Glied in einer langen Kette von politischen Entscheidungen. Eine Kampagne im Abstimmungskampf, ist für Interessengruppen die allerletzte Möglichkeit, Einluss zu nehmen. Wirkungsvoller ist es, die Operation früher anzusetzen. Am Anfang der Gesetzgebung, in den Kommissionen. Nicht nur bürgerliche Kommissionsmitglieder stehen im Dienst von Firmen und Verbänden, auch linke Parlamentarier haben bezahlte Mandate, zum Beispiel die sozialdemokratische Ständerätin Simonetta Sommaruga. Sommaruga präsidierte bis im Juni 2008 den Stiftungsrat des Hilfswerks Swissaid, und im Parlament war sie gleichzeitig Mitglied der Aussenpolitischen Kommission. In dieser Kommission hat sie mitentschieden darüber, dass die Gelder des Bundes für die Entwicklungshilfe von 0,4 auf 0,5 Prozent angehoben wurden — wovon das Hilfswerk unmittelbar proitierte. Und vom Hilfswerk wiederum bezog sie einen Teil ihrer Einkünfte. Sommaruga sagt : «In einem Milizparlament ist es legitim, weitere Einkünfte aus dem politischen Umfeld zu haben. Dank einem solchen Mandat kann man auch Fachkenntnisse einbringen. Allerdings sollte man die Höhe all dieser Einnahmen offenlegen. Ob Sie ein Hilfswerk präsidieren oder in einem Verwaltungsrat sitzen und dort das Zehn- oder gar Fünfzigfache bekommen, ist ein Unterschied.» Von Swissaid hat Sommaruga 4800 Franken im Jahr erhalten. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen Linken und Bürgerlichen : Linke Politiker legen offen, wie viel Geld bei ihnen im Spiel ist. Auf Anfrage nennt der Generalsekretär der SP Schweiz «alle SP-Parlamentarier, die bei einem Verband angestellt sind» und liefert später auch deren Einkommen nach. Es sind fünf Parlamentarier, ihre Einnahmen aus der Verbandsarbeit reichen von 5000 Franken jährlich (Evi Allemann) bis zu 50 000 Franken (Paul Rechsteiner). Spielt die Höhe der Vergütungen überhaupt eine Rolle? Wahrscheinlich denkst du : Ja, schon. Denn je mehr Geld ein Politiker aus seinen Interessenbindungen einnimmt, je grösser der Anteil seines Einkommens ist, der aus solchen Mandaten gedeckt wird, desto stärker dürfte seine Abhängigkeit vom politisch interessierten Geldgeber sein. Oder nicht? Auf der anderen Seite des politischen Spektrums triffst du auf Roland Borer, den Nationalrat der SVP, der seit Jahren in der Sicherheitspolitischen Kommission politisiert. In dieser Kommission kämpfte er gegen ein nationales Waffenregister, er kämpfte für die Privatisierung des bundeseigenen Rüstungsbetriebes Ruag — gleichzeitig sass er im Verwaltungsrat einer Konkurrenzirma, der Micro Technology Hérémence SA, in der Borer auch eigenes Geld hatte (bis sie im Jahr 2008 nach Norwegen verkauft wurde). 31 Die Kommissionen sind die Werkstätten des Parlaments, die Scharniere zwischen Gesellschaft und Staat. Hier geschieht das Wesentliche. Hier werden die Gesetzesvorlagen formuliert und also vorentschieden. Das Parlament wird zwar über die Vorschläge der Kommissionen abstimmen, aber die Weichen sind gestellt. Gleichzeitig entzieht sich der Meinungsbildungsprozess der Kontrolle, denn die Verhandlungen sind geheim und die Protokolle vertraulich. Mit anderen Worten : Die Kommissionen sind das perfekte Terrain für die Interessenvertreter. Teil I Die Macht des Geldes Roland Borer sagt : «Ich habe es immer offengelegt, als ich im Verwaltungsrat der MTH SA sass. Und in den entscheidenden Momenten habe ich mich in der Kommission der Stimme enthalten. Es war für mich aus diesem Grund auch klar, dass ich nicht Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission wurde.» Es gibt für dich keine Möglichkeit, selber zu besichtigen, wie die Einlussnahme in den Kommissionen vonstatten geht, denn wie gesagt : Alles ist streng geheim. Einmal aber hat ein Journalist, der welsche Reporter Titus Plattner, eine schöne Episode ans Tageslicht befördert. Sie zeigt, was Interessenvertretung konkret bedeutet. 32 Am 10. Februar 2004 tagte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats, um die Totalrevision des Zollgesetzes vorzubereiten. Gregor Kündig, damals Mitglied der Geschäftsleitung des Wirtschaftsverbandes Economiesuisse, hatte ausgewählten Parlamentariern ein Bündel Papier mitgegeben, dreissig Punkte der Gesetzesvorlage, teilweise neu formuliert nach den Wünschen von Economiesuisse und für jeden erkennbar nach Wichtigkeit klassiert. Mit einem Stern versehen, bedeutete «wichtig» für die Wirtschaft, zwei Sterne standen für «sehr wichtig» und drei Sterne hiessen «absolut vital». In der Beratung der Vorlage nun macht Eugen David, der Kommissionspräsident, bei jedem von Economiesuisse markierten Artikel eine lange Pause. Jede Änderung des Gesetzesentwurfs muss nämlich von einem Kommissionsmitglied beantragt werden. Jedes Mal meldet sich einer. Aber auf einmal gerät die Maschine ins Stocken. «Hat jemand etwas anzufügen?», fragt Eugen David. Stille. «Niemand?» Anhaltende Stille. «Also hört mal, das ist ein Drei-Sterne-Vorschlag. Jemand sollte den Economiesuisse-Antrag stellen.» Schliesslich folgt ein Ständerat der Aufforderung des Kommissionspräsidenten. Es ist eine bezeichnende Episode, deren Darstellung von Economiesusisse als «absolut korrekt» bezeichnet wird. Urs Rellstab erklärt : «Wenn man den Parlamentariern, die einem nahestehen, vorher nicht gesagt hätte, was zentral ist, hätte man etwas Grundlegendes falsch gemacht. Interessen müssen sich im politischen Prozess artikulieren. Dafür sorgen wir.» Rudolf Strahm, Sozialdemokrat, der dreizehn Jahre lang Nationalrat und dort auch zeitweilig Präsident der Kommission für Wirtschaft und Abgaben war, hat festgestellt, dass die bürgerlichen Kommissionsmitglieder häuig mit vorgefertigten Positionspapieren erscheinen, wie er sagt. Er hat ein amüsantes Katz-und-Maus-Spiel beobachtet zwischen der Bundesverwaltung und den Interessengruppen. Bevor neue Gesetze in der Kommission vorberaten werden können, müssen ja eine Botschaft und ein Entwurf vorliegen. Das machen die Fachleute der Verwaltung. Strahm erzählt : «Wenn verschiedene Anträge aus der Kommission vorliegen, die eine Chance haben, kommt die Verwaltung gelegentlich im letzten Moment mit Änderungsvorschlägen. Die parlamen- 3. Politikfinanzierung: die heimliche Macht des Geldes tarischen Interessenvertreter in der Kommission werden von solchen Last-minute-Vorstössen manchmal kalt erwischt und sind dann nicht in der Lage zu entscheiden, ob die Änderung auch im Sinne der Wirtschaftsinteressen ist, die sie vertreten. Wir haben erlebt, dass nach einem Überraschungsvorstoss der Verwaltung eine dringliche Pause der Kommissionssitzung beantragt wurde. WAKMitglieder litzten dann auf den Gang, griffen zum Handy und holten zu den vorgebrachten Änderungen bei einem Lobbyisten des betreffenden Wirtschaftsverbandes oder Konzerns die Beurteilung ein.» Allein in Europa Vielleicht denkst du, die Schweizer Demokratie ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber du weisst ja, dass perfekte Demokratien nicht existieren. Politikinanzierung ist kein speziisch schweizerisches Problem. Auch in anderen Ländern nimmt Geld im öffentlichen Leben einen wichtigen Platz ein. Und häuig einen ungebührlichen. Haben sich nicht in vielen Ländern gewaltige Skandale ereignet? Die Schwarzgeld-Affäre in Deutschland, die ein politisches Erdbeben auslöste und Helmut Kohl den Ehrenvorsitz der CDU kostete? Gab es nicht die Elf-Aquitaine-Affäre in Frankreich, wo einer unerschrockenen Untersuchungsrichterin der Beweis gelang, dass ein Ölkonzern 300 Millionen Euro für politische Begünstigungen investiert hatte, unter anderem, um dem damaligen Aussenminister Roland Dumas eine kostspielige Geliebte zu inanzieren? Ist nicht die erste Amtszeit von Tony Blair beinahe daran gescheitert, dass die Labour-Partei von Motorsport-Veranstaltern eine Million Pfund an Spenden erhielt — und dann dafür sorgte, dass bei Formel-1-Rennen Zigarettenwerbung erlaubt blieb? Nur in der Schweiz gab es noch nie einen richtigen Parteispendenskandal. Gelegentlich hörst du das Argument, darin zeige sich die Überlegenheit des helvetischen Systems. Ist das nicht Zynismus? In der Schweiz gibt es keine Spendenskandale, weil das Kaufen politischer Entscheide nicht verboten ist. Kein Untersuchungsrichter kann Untersuchungen anstellen. Keine Partei muss sich in die Bücher schauen lassen. Was im Ausland zu politischen Verwerfungen führt, wird von unserem Rechtssystem geschützt. 33 Das Parlament ist in gewisser Hinsicht schwach. Und wer schwach ist, lässt sich gern an der Hand nehmen von Starken. Das sagt sinngemäss Xavier Comtesse, der welsche Direktor von Avenir Suisse, der Denkfabrik der Schweizer Grossunternehmen. «Das Hauptproblem der Parlamentarier ist nicht, dass sie käulich wären oder dem einen oder anderen Wirtschaftsverband auf Gedeih und Verderb ausgeliefert», meint Comtesse. «Das Hauptproblem ist : Sie sind häuig sachlich überfordert. Es ist fast unmöglich, über die ganze Bandbreite der meist komplexen Geschäfte einigermassen den Überblick zu haben. Auch die leissigsten und klügsten Politiker stossen irgendwann an eine Grenze. Das eröffnet eine Chance für Lobbyisten — einfach, weil der Parlamentarier froh ist, dass jemand Hilfestellung bietet.» Seiner Meinung nach proitiert aber am stärksten die Verwaltung von dieser Schwäche : «Sie hat die personellen Ressourcen, um die Sachgeschäfte zu beherrschen. Sie kann relativ ungestört die Strippen ziehen.» Teil I Die Macht des Geldes Die Schweiz ist tatsächlich ein Sonderfall. Nur bei uns ist Politikinanzierung praktisch unreguliert. Zwar müssen Parlamentarier ihre Interessenbindungen deklarieren, aber die Höhe der Bezüge bleibt geheim. Völlig im Dunkeln bleiben zudem alle Anwaltsmandate, Beratungsverträge und sonstigen Formen der indirekten Bezahlung von guten Diensten. 34 In den meisten Demokratien sind in den letzten Jahrzehnten Massnahmen ergriffen worden, damit inanzstarke Gruppierungen es schwerer haben, politische Entscheide zu beeinlussen. Das zentrale Kriterium ist überall die Transparenz. Zu den letzten europäischen Ländern, welche die Offenlegung zur Plicht machten, gehören die Niederlande und Grossbritannien. So müssen seit dem Jahr 2000 alle britischen Parteispenden offengelegt werden. Trotzdem kommen die Briten, die auf eine stolze liberale Tradition zurückblicken, mit geringer staatlicher Politikinanzierung aus. Pro Kopf liegt sie wesentlich tiefer als der Betrag, den jeder Schweizer Steuerzahler für die Fraktionsbeiträge zu berappen hat. Transparenz und eine minimale staatliche Parteieninanzierung lassen sich also durchaus verbinden. Die Schweizer Politikinanzierung wird im Ausland heute als Relikt angesehen. Die OSZE, deren Mitglied die Schweiz bekanntlich ist, hält in ihrem Bericht zu den Parlamentswahlen 2007 fest, dass die hiesigen Offenlegungsplichten ungenügend seien. Der Global Corruption Report der Uno von 2004 vermerkt trocken, dass die Schweiz bezüglich der Transparenzregeln für die Politikinanzierung auf einer Stufe stehe mit Albanien, den Bahamas und Sri Lanka. Schweizer Politiker sind weder bessere noch schlechtere Menschen als die Politiker anderer Länder. Das weisst du natürlich, und du bist auch gerne bereit zu glauben, dass sich viele nach bestem Wissen und Gewissen darum bemühen, den Wählerauftrag umzusetzen. Trotzdem nimmt das Ansehen unserer Volksvertreter ab. Trotzdem leiden die Politiker an einem Autoritätsverlust. Der Korruptionsverdacht zersetzt die Glaubwürdigkeit unseres Systems. 4. Der Stoff aus dem (Alp-)Träume sind : Das grosse Geld mit dem Rohstoffhandel Benjamin Gräub Ein fragwürdiger Wirtschaftszweig Diese Episode steht beispielhaft für einige der Problematiken des globalen Rohstoffhandels. Eine grosse Konzentration im Markt führt dazu, dass die vier grossen Agrarhändler zwischen 75% und 90% des globalen Getreidehandels kontrollieren -23-, sowie zu intransparenten Unternehmensstrukturen und Unternehmungen mit über 140 Mrd. USD Umsatz (z.B. Glencore). -24- Die sehr intransparenten Strukturen werden auch dazu benutzt, möglichst wenig Steuern bezahlen zu müssen, speziell in den Entwicklungsländern. Ein grosser Teil des Handels wird mit Ländern betrieben, die politisch instabil oder sogar extrem instabil sind. -25- Korruption ist gerade in dieser Umgebung ein gravierendes Problem und die Frage, wie viel Geld im Land bleibt und der Bevölkerung schliesslich zu Gute kommt, kann leider oft nicht beantwortet werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die Spekulationen, gerade im Bereich der Agrarrohstoffe. Die genaue Rolle der Finanzspekulation bei den Preissteigerungen für Nahrungsmittel in den letzten Jahren ist zwar nicht abschliessend geklärt, doch erscheint es sehr plausibel, dass die Spekulation die Preisbewegungen verstärkt. Diese reinen Preiswetten sind v.a. für die Armen dieser Welt ein Problem, da sie im Schnitt rund 50% ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. -26- Es ist wohl nur schwer vorstellbar, wie ein Mensch im Sudan, welcher von weniger als 2 USD 21. Erklärung von Bern (2012). Rohstof. S. 203. 22. a.a.O., S. 204. 23. The Guardian, «The global food crisis : ABCD of food – how the multinationals dominate trade», 2.6.2011. guardian.co.uk/global-development/poverty-matters/2011/jun/02/abcd-food-giants-dominate-trade 24. Erklärung von Bern. Rohstof. S. 129. 25. a.a.O., S. 27. 26. Für weitere Infos hierzu : youtube.com/watch?v=ike0urdBJgo. 35 Der Tages-Anzeiger titelte die Geschichte mit «Afrikanische Stadt als Müllkippe». -21Es ging um giftigen und übelstriechenden Chemieabfall. Dieser war vom in der Schweiz ansässigen Unternehmen «Traigura» an ein lokales Entsorgungsunternehmen weitergegeben und von diesem schlicht auf der örtlichen Mülldeponie entsorgt worden. Die Folgen für die Anwohner gemäss dem Buch Rohstoff der Erklärung von Bern : «… die Atemwege brennen, die Augen tränen, das Atmen fällt schwer. Sobald sie einen starken Geruch wahrnehmen, werden die Menschen von Brechreiz überwältigt, auch noch Monate nach dem Unfall.» -22- Schliesslich bezahlt Traigura der Regierung der Elfenbeinküste rund 198 Mio. USD ohne Anerkennung irgendeiner Schuld und zusätzlich jeweils 1000 USD für die direkt Betroffenen. Teil I Die Macht des Geldes pro Tag lebt, eine Preissteigerung für sein Grundnahrungsmittel Sorghum von 180% über das letzte Jahr verkraften kann. -27Der eingangs beschriebene Giftmüllskandal lässt aber auch aufhorchen, weil den involvierten Unternehmen scheinbar jegliche moralische Grundwerte fehlen. Dass die Gefährdung der Gesundheit von Tausenden von Menschen offenbar in Kauf genommen wird, um eine Kosteneinsparung zu erlangen, darf schlicht nicht sein. 36 Beheimatet in der Schweiz Insgesamt scheint der Rohstoffhandel ein sehr intransparenter und in seiner Praxis ethisch sehr fragwürdiger Wirtschaftszweig zu sein. Genau dieser Wirtschaftszweig hat nun in letzter Zeit in der Schweiz seine neue Heimat gefunden. Genf ist einer der grossen «Hubs» des Rohstoffhandels. Alle grossen «Player» des Ölhandels sind hier vertreten und ein Drittel (!) des weltweiten Rohölhandels wird über Genf abgewickelt. Über die Unternehmen, die in der Genfersee-Region zu Hause sind, laufen rund 22% des weltweiten Rohstoffhandels, darunter rund 50% des global gehandelten Kaffees und Zuckers. -28- Auch im Goldhandel hat die Schweiz eine führende Rolle inne. Im Kanton Zug sind die Branchenschwergewichte Glencore (145$ Mia. Umsatz (2010)) und Xstrata (30$ Mia Umsatz, 2010) angesiedelt, deren Fusion im Herbst 2012 eingeleitet wurde, was die oben erwähnte Marktkonzentration noch verschärft. Diese Bewegungen in die Schweiz hängen mit unterschiedlichen Standortvorteilen der Eidgenossenschaft zusammen. Wichtig ist sicher die Diskretion und die nur sehr geringfügige Regulierung für solche internationalen Unternehmen. Es ist gerade in sozialer Hinsicht erschreckend, dass eine effektive Regulierung dieser Firmen in der Schweiz kaum für nötig befunden wird, wo sie doch so riesige Handelsvolumen umsetzen. Als Teil unserer Wirtschaftsordnung tragen sie zur Wohlstandsvermehrung in der Schweiz bei, doch geschieht dies stark auf Kosten der Entwicklungsländer und deren Bevölkerung. Eine stärkere Regulierung der Unternehmen könnte durchaus zum Wegzug der Rohstoffirmen oder zu anderweitigen wirtschaftlichen Einbussen für die Schweiz führen. Das Richtige oder das Profitable? Die Frage nach einer weitergehenden Regulierung dieses Wirtschaftszweig ist also aus moralischer Sicht mit Ja und aus wirtschaftlicher Sicht eher mit Nein zu beantworten. Es läuft schliesslich darauf hinaus, uns zwischen dem Richtigen und dem Proitablen zu entscheiden. Aus christlicher Sicht – und dabei stütze ich mich auf die Aussagen vieler Propheten im Alten Testament und auf das Leben Jesu selbst -29- 27. Die Weltbank. Food Price Watch. August 2012. worldbank.org/poverty. 28. Le Courrier, «Singapour ne pourra pas remplacer Genève», 19. Oktober 2012, S. 9. 29. Siehe z.B. Jesaja 1,16-17 ; 58,4-7 ; Jeremia 22,13-17 ; Mathäus 5,42 ; für eine weiterreichend Liste siehe : christnet.ch/de/content/armut-der-bibel. 4. Der Stoff aus dem (Alp-)Träume sind : Das grosse Geld mit dem Rohstoffhandel – erscheint es relativ klar, dass Gerechtigkeit und der Schutz der Schwachen höher gewichtet wird als das Proitstreben multinationaler Konzerne. 37 Was also kann ich tun, wenn ich mit dieser Feststellung übereinstimme? Da die in der Schweiz angesiedelten Firmen in erster Linie «Business-to-Business»-Geschäfte abwickeln – also Unternehmen als Kunden haben – ist ein Boykott durch die Konsumenten nur schwer möglich. Es bietet sich jedoch an, auf politischer Ebene für eine strengere Regulierung einzustehen. Hierzu läuft im Moment die SpekulationsstoppInitiative der JUSO, welche die Spekulation mit Nahrungsmitteln verbieten will. -30- 30. juso.ch/spekulationsstopp. 5. Finanzplatz Schweiz : Fakten und Kritik Mikael Huber -31Die beiden Weltkriege haben die Schweiz unversehrt gelassen, weshalb sich das Alpenland im 20. Jahrhundert rasch zum Banker Europas heraufarbeiten konnte. So positionierte der damalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) Max Iklé schon in den 1960er Jahren den Finanzplatz Schweiz weltweit an driter Stelle gleich hinter New York und London. -32- Dies zeigt, wie bedeutend die Rolle der Schweiz auf den internationalen Finanzmärkten war und ist. Die Schweiz : ein bedeutender Finanzplatz Heute ist der Schweizer Finanzstandort zwar im Vergleich mit den Schwergewichten New York, London, Tokio, Frankfurt und Paris zweitrangig. Doch gemessen an der kleinen Grösse unseres Landes ist seine Bedeutung riesig. Mit den beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse agiert die Schweiz auf Augenhöhe mit den einlussreichsten Akteuren. Ein Forschungsteam der ETH Zürich hat eine weltweite Rangliste der Grosskonzerne nach ihrem inanziellen Einluss erstellt. -33- Die UBS liegt auf Rang 9, die Crédit Suisse folgt auf Rang 14. Interessant dabei : Alle Spitzenplätze werden von Finanzkonzernen belegt. Während der Finanzkrise 2008 gerieten die beiden Grossbanken in grosse Schwierigkeiten und stolperten über ihre unersättliche Finanzgier. Global tätige Finanzkonzerne hatten als Geschäftsbanken im Investment Banking riesige Gewinne erzielt. Dabei spielen sie an der Börse Roulette und spekulierten für eigene Rechnung oder für handverlesene Grosskunden. Angesichts der riesigen Gewinne dieser Banken erlagen UBS und Crédit Suisse der Verlockung des einfachen Geldes. Während etwa zehn Jahren stiegen die Gewinne ins Unermessliche, bis die Akteure an den Finanzmärkten die Glaubwürdigkeit eines Marktes zu hinterfragen begannen, dessen Preise ständig in die Höhe schnellten. In Tat und Wahrheit hatten einfach erhältliche Kredite eine Spekulationsblase aufgeblasen, die schliesslich platzte. Im Endeffekt mussten die SNB und der schweizerische Bundesrat der UBS mit 6 Milliarden Franken zu Hilfe eilen und eine «Bad Bank» gründen, in die Schrottkapital von 38,7 Milliarden Dollar ausgelagert wurde, um die Bilanz der Grossbank aufzupolieren. 31. Aus dem Französischen von Samuel Ninck-Lehmann. 32. Iklé, Max (1972), Switzerland an International Banking and Finance Center, Washington : Dowden, Hutchison and Ross Inc., S. 1. 33. Stefania Vitali, James B. Glatfelder, Stefano Batiston (2011) : «The Network of Global Corporate Control». In : PLoS ONE, 6, S. 33. 39 UBS und CS : zwei Top-Player Teil I Die Macht des Geldes «Offshore»-Vermögen 40 Die Schweiz nimmt auch bei der Vermögensverwaltung ausländischer Kundinnen und Kunden («Offshore Banking») einen Spitzenplatz ein. Die so verwalteten Gelder belaufen sich auf 2000 Milliarden Dollar, was einem Marktanteil von weltweit 37% entspricht. -34- Dies bedeutet, dass ein Drittel des weltweiten Offshore-Privatvermögens in der Schweiz verwaltet wird. Die Schweiz ist für solche Geldanlagen so attraktiv wegen der Stabilität ihrer Währung, ihrer Weltoffenheit und ihrer politischen Stabilität. Dabei wollen wir nicht die steuerlichen Vorteile ausser Acht lassen, die dank dem altbekannten Bankgeheimnis und der dadurch ermöglichten Steuerhinterziehung erzielt werden können. Die Schweiz verfügt über einen Kapitalmarkt, dessen Volumen für unser kleines Land unglaublich gross ist. Die Finanzintermediäre schöpfen aus diesem riesigen Pool, um das Geld an verheissungsvolle Orte weiter zu exportieren. Dabei fällt aber auch ein gar nicht so kleines Scherlein für die einheimische Wirtschaft ab, was zum Wohlstand von Herrn und Frau Schweizer beiträgt. Die Kehrseite dieses Glücks : In unserem Land liegen auch riesige Geldmittel mit dubioser Herkunft. Auch ist die Schweiz weiterhin eine beliebte Destination für Steuerluchtgelder. Darum leiten ausländische Behörden regelmässig gerichtliche Verfahren gegen Schweizer Banken ein. Eine von ihnen ist wegen einer US-amerikanischen Klage denn auch gescheitert : die Bank Wegelin. Wichtigster Wachstumsmotor Der Finanzplatz ist in Tat und Wahrheit der wichtigste Motor für das Wirtschaftswachstum in der Schweiz. So trug er zwischen 1990 und 2009 mit einem Drittel zum gemessenen Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) bei und spielt eine wesentliche Rolle bei der Bildung unseres Wohlstands. Ausserdem schafft er 6,2% aller Arbeitsplätze. Auch die Staatsinanzen proitieren vom Erfolg der Finanzbranche, die 2008 trotz Krise 8% aller Steuereinnahmen bestritten haben. -35- Oft wird vergessen, dass die Finanzbranche nicht nur den Bankensektor umfasst ; die Versicherungen stehen nämlich keineswegs hintan. Auch sie erbringt eine Leistung, die für die Schweizer Wirtschaft alles andere als vernachlässigbar ist. So gilt die Schweiz als grösste Versicherungsexporteurin Europas. Seit dem Zweiten Weltkrieg konnten sich die Schweizer Rückversicherer (die «Versicherungen der Versicherungen») ebenfalls auf dem Weltmarkt etablieren. -36- Swiss Re belegt im weltweiten Vergleich Rang 2. Es gibt in der Schweiz also allerlei Finanzintermediäre, die das Geld dort aufheben, wo sie es inden, aber auch den leidigen Ruf haben, illegale Vermögen zu verwalten 34. Schweizerische Bankiervereinigung (2011), Das Schweizer Vermögensverwaltungsgeschät – Eine Bestandesaufnahme und Entwicklungstrends. Basel. swissbanking.org/20110107-brovermoegensverwaltungsgeschaeft-rva.pdf 35. Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF (2011), Finanzstandort Schweiz – Kennzahlen, Schweizerische Eidgenossenschat, Bern. www.sif.admin.ch/dokumentation/00514/00515/00516/index.html?lang=de 36. Historisches Lexikon der Schweiz (2011), «Schweizerische Rückversicherungs-Gesellschat», Bern. hls-dhs-dss.ch/ textes/d/D41818.php 5. Finanzplatz Schweiz: Fakten und Kritik oder Fluchtgelder aus Steuerhinterziehung oder Steuerbetrug zu horten. -37- Übrigens ist es äusserst unklar und kaum zu beziffern, welchen Mehrwert der Finanzsektor dem Standort Schweiz bringt. Sicher ist aber, dass er sich durch vielfältigen Nutzen im Portemonnaie der Schweizer niederschlägt : massenhaft eingelagertes Kapital, eine reiche Kundschaft vor Ort, Status eines internationalen Finanzplatzes usw. Einige Gedanken Die Suche nach immer grösserer inanzieller Sicherheit – anders gesagt : das ewige Gewinnstreben – ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Die Wirtschaftsakteure streben nicht einfach nach materiellem Wohlbeinden und einer mehr oder weniger gesunden Wirtschaftslage, was sich ja noch rechtfertigen liesse. Nein, sie haben Hunger und Durst nach raschem Gewinn zu jedem Preis. Dies betrifft Banken, aber auch andere Unternehmen. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Phänomen, dass man sofort, mit möglichst geringer Anstrengung möglichst viel erhalten will. Unsere weltweite Gesellschaft ist äusserst stolz auf ihren Erfolg. Doch ein solcher Blick blendet die schauerlichen und hässlichen Seiten unseres Wirtschaftssystems aus. Unsere Führungskräfte blicken wie gebannt auf die Wachstums- und Beschäftigungsraten, denn sie ermöglichen es bei guten Prognosen, die Staatskasse zu füllen und billigere Kredite zu erhalten. Die Schweiz ist ein Vorzeigemodell für wirtschaftlichen Erfolg. Und das ist sicher besser als am Rand des Bankrotts zu stehen… Doch obwohl wir alle mehr oder weniger reich sind, haben wir nicht genug und werden nie genug haben. Der Druck ist gross, auf dem Rücken immer gestressterer Mitarbeiter immer grössere Gewinne zu erzielen. Die Situation hat sich mit dem verschärften Konkurrenzkampf und dem Entscheid zu immer grösserer Flexibilität grundlegend verändert. Heute kann es jeden treffen. Aber Reichtum hat ja auch noch nie jemand geschützt… Doch tendieren wir dazu, uns mit Reichtum immer grössere Sicherheiten zu verschaffen, und meinen, wir könnten uns damit ein ganz privates Paradies auf Erden errichten und uns selbst verwirklichen. Wenn dieses Besitzstreben im Leben eine Priorität ist, kann es uns nur zu einer Niederlage bei Gott führen. Unser Reichtum beschränkt sich aber nicht auf Güter in der Schweiz. Die Wirtschaft ist heute weltweit vernetzt. In diesem internationalen Gefüge stammen auch unsere Konsumgüter längst nicht mehr nur aus dem Inland ; der ausländische Anteil ist riesig. Es ist gut und recht, die Umwelt in der Schweiz zu schützen -38- und alles daran zu setzen, dass wir uns in unserer schönen Natur wohl fühlen können. Eine Umfrage des Bundesamts für Statistik belegt, dass «95 Prozent der Wohnbevölkerung der Schweiz 37. Bericht der Geschätsprüfungskommissionen des National- und Ständerats (2010), Die Behörden unter dem Druck der Finanzkrise und der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA, Parlamentsgeschät 10.054. parlament.ch/d/mm/2010/seiten/mm-gpk-2010-05-31.aspx 38. Bundesamt für Umwelt BAFU und Bundesamt für Statistik BFS (2011), Umwelt Schweiz 2011, Umweltbericht des BAFU und des BFS, Schweizerische Eidgenossenschat. Bern/Neuenburg. www.bafu.admin.ch/publikationen/ publikation/01608/index.html?lang=de 41 Immer mehr… Teil I Die Macht des Geldes […] die Umweltqualität in ihrer Wohnumgebung als sehr gut oder eher gut» -39- einschätzen. Wir sollten aber auch die Umweltverschmutzung berücksichtigen, die wir durch unseren Konsum ausländischer Produkte mitverantworten. -40Der Reichtum eines Landes wird gemeinhin in der inanziellen Grösse des Bruttoinlandprodukts (BIP) dargestellt, dem Reichtum, den ein Land in einem Jahr schafft. Ist dies überhaupt zulässig? Zwar mag es sich nur um eine Zahl handeln, doch hat ihr Gewicht! So gibt das BIP keine Auskunft über die Verteilung des Reichtums, über die Kosten der verursachten Umweltschäden, über die Lebensqualität, über das soziale Gefälle usw. Das Wirtschaftswachstum hat in der Schweiz denn auch nicht dazu geführt, das Gefälle zwischen Arm und Reich zu verringern. Caritas meldet, dass trotz unserem Reichtum immer noch jeder zehnte Mensch bei uns arm ist. -41- 42 «Dieses Mal ist alles anders…» Nun rühmen sich alle Länder dieser Welt des koplosen Wettlaufs um Gewinn und Wachstum. In den entwickelten Ländern meinten einige Ökonomen und politische Führer gar, wir hätten das Stadium der Krisen deinitiv hinter uns gelassen. Krisen seien nur in aufstrebenden Volkswirtschaften zu erwarten, die wirtschaftlich, politisch und rechtlich unstabil seien. Diese Annahme ist seither an der Wirklichkeit zerbrochen : Die amerikanische Immobilienkrise 2007, die Bankenkrise 2008 und die Schuldenkrise der Staaten 2010 wirft ein grelles Licht auf unseren fehlgeleiteten Glauben, wonach unser Wirtschaftssystem optimal funktioniere. 2009 veröffentlichten zwei renommierte Ökonomen ein Buch, das die Naivität der Wirtschaftsakteure, die an ein ungebremstes Wirtschaftswachstum glauben, anhand eines eingängigen Ausdrucks darstellt. Sie sprechen vom Syndrom «Dieses Mal ist alles anders». -42- In ihrem Buch erklären sie, wie die Menschen seit 800 Jahren immer wieder gemeint haben, der herrschende wirtschaftliche Aufschwung gehe unbegrenzt weiter. Wenn zu dieser euphorischen Phase das anmassende Syndrom des «Dieses Mal ist alles anders» kam, führte dies unaufhaltbar zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Systemkrise. Während der Euphorie gehen die Wirtschaftsakteure nämlich unbedachte Risiken ein und nehmen massiv Investitionskredite auf in der Meinung, die Entwicklungsprognosen blieben für immer positiv. Ebenso denken die Staaten und verschulden sich zusätzlich, weil sie meinen, das kommende Wachstum ermögliche weitere Anleihen. So geht es weiter, bis die Akteure realisieren, dass sie Luftschlösser gebaut haben. Nun geraten sie bei der Rückzahlung der Kredite in Engpässe und fahren immer öfter Verluste ein, bis es zum Systemkrach kommt. Die grosse Mehrheit der 39. Bundesamt für Statistik BFS (2012), «Omnibus-Erhebung 2011 : Umweltqualität und Umweltverhalten». (bfs.admin.ch, 17.1.2012). 40. Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP (2007), Geo 4 Environment for Development. 41. Es handelt sich um Haushalte, die trotz einem kumulierten Beschätigungsgrad von mindestens 90% nicht über ein Einkommen oberhalb der Armutsgrenze gemäss Deinition der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) verfügen. www.caritas-pauvrete.ch, 13.2.12 (auf Französisch). 42. Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogof (2010), Dieses Mal ist alles anders : Acht Jahrhunderte Finanzkrisen, FinanzBuch Verlag, München. 5. Finanzplatz Schweiz: Fakten und Kritik Akteure verkauft in panischer Angst alles, was sie können, um inanziell wieder lott zu werden. Das Problem ist nur, dass die Preise bei Massenverkäufen sinken und nur wenige auf ihre Kosten kommen. Damit tritt die Krise ein. Es gibt eine interessante Hypothese, die besagt, dass es die wirtschaftliche Stabilität ist, welche die Wirtschaftsakteure in eine Art Erfolgswahn stürzt und aus Gewinnsucht zu unbedachten Risiken verleitet. Dies mache die Wirtschaft unstabil, so dass beim geringsten Problem eine Finanz- und Wirtschaftskrise erwachse. Die Geschichte lehrt uns, dass es kein System gibt, das unendlich hält. Krisen, Niedergänge sowie der Aufstieg und die Herrschaft eines neuen Systems sind normal. Bedenken wir doch nur, dass alle grossen Reiche untergegangen sind… Folgen und Überwindung der Gewinnsucht In unserem System, das auf zügellosem Gewinnstreben beruht, die internationale Konkurrenz anstachelt und Leistungssteigerungen belohnt, werden Menschen, die schwächer sind oder nicht in die Schablone der Wirtschaft passen, an den Rand gedrängt. Dies führt dazu, dass unsere Gesellschaft sie als Bürde und Belastung wahrnimmt. Auch wer leistungsfähiger ist, kommt mit den weltweiten Finanzproblemen der Wirtschaft zunehmend unter Druck. Kurzfristiges Denken Eine der Ursachen für dieses Chaos ist das kapitalisierte Geld, für das die Akteure immer höhere Renditen einfordern. Da es schrankenlos dahin liessen kann, wo das Gras am grünsten ist (und dabei Risiken ausblendet), werden die Unternehmen, die auf langfristige produktive Investitionen angewiesen sind, geschwächt. Dieses Geld sucht nämlich oft kurzfristige Erfolge und beschränkt sich auf extrem hohe Renditen, womit zahlreiche Unternehmens- und Entwicklungsprojekte, die zwar interessant, aber nicht rentabel und rasch genug sind, ausgeblendet werden. Korrupte Strukturen Der überreizte Konkurrenzkampf, dem diese oberlächliche Idee des «soviel wie möglich, und zwar sofort» zugrunde liegt, hat die Wirtschaft dazu gebracht, ihre Strukturen zu verändern : Für kurzfristigen Gewinn blähen die Akteure den Ertrag der Firmen künstlich auf, schieben die Schwachen beiseite, fordern von den Mitarbeitern (die oft nur als Kostenfaktor gelten) immer mehr, konzentrieren die Macht in wenigen Händen, kurbeln die Wirtschaft mit Anleihen und Verschuldung an statt mit fairen Löhnen und übernutzen die Natur. 43 Kein Platz für die Schwachen Teil I Die Macht des Geldes Unter Gottes Blick leben 44 Der Geist der Welt ist in unserer Gesellschaft (und in der Gemeinde!) quicklebendig. Lassen wir Christen uns von Gott verändern, aus diesem Schlamassel befreien -43und leben wir im Blick auf die Sicherheit, die Gott uns in Christus gibt. -44- Wir müssen vom Oberlächlichen ablassen, um wieder das Wesentliche zu entdecken, das sinnlose Erfolgsstreben unserer Gesellschaft beiseite schieben, um unserem Gott und Seinem Wort, der Bibel, treu zu bleiben. Wenn wir uns dann als Gäste auf Erden verstehen, die sich auf das ewige Leben nach dem Tod freuen -45-, dann erhalten wir die nötige Zuversicht, um mit langfristiger Perspektive zu arbeiten. So können wir Mitgefühl für die Schwächsten entwickeln, Grosszügigkeit statt Geiz lernen, Hilfsbereitschaft am Arbeitsplatz üben, Sorge zu Gottes Schöpfung, der Natur, tragen und vor allem bereit werden, den Menschen, die auch Gottes Geschöpfe sind, die Liebe Jesu Christi zu bezeugen. 43. Vgl. Römer 12,2. 44. Vgl. Römer 8,37-39. 45. Vgl. Hebräer 11,13-14. 6. Zwischenfazit – Unselige Verstrickungen Samuel Ninck-Lehmann, Markus Meury In den letzten Jahren ist Geld in der Schweiz endlich vermehrt zum Thema geworden. Otmals mit Erstaunen hat die Bevölkerung entdeckt, wie sehr sich unser Land in der Geldlogik und in unseligen Geschätsformen verstrickt hat. In diesem Teil I haben wir einige der heiklen Themenbereiche angeschniten, die aber längst nicht erschöpfend sind. Das Bankgeheimnis : Heute bestreitet noch kaum jemand, dass dank Bankgeheimnis Milliardenbeträge an Steuerluchtgeldern auf Schweizer Konten liegen. Es ist offensichtlich, dass dieses Geld in den Ursprungsländern für wesentliche staatliche Aufgaben wie Bildung und Gesundheitswesen fehlen. Dies umso mehr in den armen Ländern des Südens, deren Fluchtkapital in der Schweiz unsere öffentliche und private Entwicklungshilfe bei weitem übersteigt. Dieses komplexe Thema wird in Teil II «Dauerbrenner Bankgeheimnis» vertieft. Abhängigkeit von Finanzsektor und Grosskonzernen : Der Finanzsektor übt aufgrund seines grossen Gewichts als Wirtschaftsakteur sowie als Steuerzahler grossen politischen Einluss aus. Durch direkte Erpressung, sich vom Standort Schweiz zu verabschieden, oder durch Lobbying-Manöver hinter den Kulissen lässt sich die Regierung manipulieren und garantiert heute beispielsweise den Grossbanken de facto eine bedingungslose Staatsgarantie. Eine ähnliche Abhängigkeit ist bei den Grosskonzernen (Rohstoffe, Pharma, Lebensmittel usw.) zu beobachten. Intransparente Politikinanzierung : Mangelhafte Transparenz prägt auch die Finanzierung von Parteien und Politikern. Dies wird so bleiben, solange keine grifigere Offenlegungsplicht besteht. Die Abhängigkeiten, die sich aus diesen undurchsichtigen Geldlüssen ergeben, machen die Parteien und Politiker erpressbar. Die Geldgeber würden ja nicht so grosse Beträge «investieren», wenn sie nicht ein entsprechendes Resultat erwarten dürften. Eine solche Einlussnahme kann als indirekte, aber nicht weniger wirksame Korruption gewertet werden. Hort skrupelloser Rhostoffirmen : In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Konzerne im Umfeld des Rohstoffhandels in der Schweiz, insb. in Zug und Genf angesiedelt. Dank dem Buch Rohstoff der Erklärung von Bern -46- wurden die Machenschaften dieser normalerweise diskreten und intransparenten Branche öffentlich bekannt. Die Schweiz bietet sich dank ihrer Kultur der Diskretion (oder eben : Intransparenz) und ihrem geringen Regulierungsgrad als Hort an, wenn wirtschaftlicher Nutzen konse- 46. Erklärung von Bern. (2012). Rohstof, Zürich. 45 Geld zum Thema geworden Teil I Die Macht des Geldes quent über moralische Bedenken gestellt werden soll. So hat es der Bundesrat kürzlich abgelehnt, zwingende Bestimmungen zu erlassen, damit hiesige Konzerne für ihre weltweiten Geschäftspraktiken in der Schweiz haftbar sind. Legislaturziel Wachstumsförderung : Seit Jahren ist die Wachstumsförderung eines der ersten Legislaturziele des Bundesrats. Die Schweiz soll also immer noch reicher werden, und dies, obschon sie seit langem eines der reichsten Länder der Welt ist. Weil wir nicht zum Teilen bereit sind, fordern wir Wachstum, um den Minimalstandard eines genügenden Einkommens für die Meisten (nicht einmal für alle) erreichen zu können. Dieser auf Mammon zentrierten Einstellung opfern wir, wie wir gesehen haben, biblische Werte wie Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Die Geschichte wiederholt sich 46 Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die Wurzeln der heutigen Abhängigkeit von Mammon tief in die Geschichte reichen. Dazu nur zwei Beispiele : Söldnerwesen : Das Söldnertum hat die schweizerische Sozial- und Wirtschaftsgeschichte während Jahrhunderten geprägt. Generationen junger Männer wurden von Schweizer Herren an fremde Herren «ausgeliehen», um für diese Krieg zu führen. Bereits damals stand die Finanzkraft des Auftraggebers im Vordergrund, nicht die Gerechtigkeit seines Anliegens. Nachrichtenlose Vermögen : Noch heute ist zu hören, «die Juden» hätten uns in den 1990er Jahren zur Rückgabe der nachrichtenlosen Vermögen «erpresst». Das ist schon befremdend! Nach dem Zweiten Weltkrieg hätte die Schweiz über 40 Jahre lang Zeit gehabt, um die Vermögen hingerichteter Juden an ihre rechtmässigen Erben zu erstatten. Wenn wir erst auf Druck des Jüdischen Weltkongresses reagiert haben, dann wirft dies ein schlechtes Licht auf uns, nicht auf «die Juden». Erwähnenswert ist dabei, dass Wachmann Meili, der damals verhindert hatte, dass die Schweizerische Bankgesellschaft gewisse Akten vernichten konnte, noch heute als Gesetzesbrecher verfolgt wird! Und wir Christen? Wir haben gesehen, dass die Schweiz in verschiedenen geldmässigen Bereichen eine zentrale Stellung in der Welt einnimmt, insbesondere im Finanzsektor, bei der Steuerlucht von Privaten und Konzernen, bei der Anhäufung von Reichtum durch Konzerne und bei den intransparenten Geschäften in der Rohstoffbranche. Darum wäre hier ein Engagement der Schweizer Christinnen und Christen besonders wichtig. Im freikirchlichen Umfeld ziehen seit einigen Jahren Redner wie Earl Pitts und die Crown Ministries durchs Land und lehren, dass wir uns in unserem persönlichen Leben nicht vom Geld abhängig machen sollen. Auf gesellschaftlich-politischer Ebene hat ChristNet 2005 das Mammon-Dossier mit den «Sieben Thesen zum Geld in der Schweiz» (Kap. 21) herausgegeben und im Rahmen des Christustags 2010 das Büchlein Der Löwe des Lichts 7000-mal verteilt (Kap. 19). Weitere prophetische Botschaften aus dem Ausland haben die Schweiz ermutigt, vom Mammon abzulassen. Doch bis heute haben wir Mühe, der biblischen Lehre zum Geld auch gesellschaftlich und politisch Sinn zu geben. Oft kommt die Erwähnung dieses Themas einem Zwischenfazit – Unselige Verstrickungen Stich ins Wespennest oder einem Schlag ins Wasser gleich. Offenbar schweigen die Gemeinden lieber, als sich die Finger zu verbrennen. Wir sind dringend auf Gott angewiesen, damit er uns den Schleier von den Augen nimmt. Eigentlich sind die unseligen Verstrickungen der Schweizer Politik mit dem Mammon doch augenfällig! Doch verstehen wir uns recht : Wir glauben auch nicht, dass wir Schweizerinnen und Schweizer ein schlechteres Volk wären als andere. Ebenso wenig, dass unser Wohlstand nur durch Unrecht und nicht auch durch Fleiss und Arbeit entstanden ist. Aber wie jedes andere Land haben wir unsere dunklen Flecken und Sünden. Gott will uns helfen, uns ihnen zu stellen und umzukehren, damit Er uns heiligen und reinigen kann. Wenn die Christinnen und Christen beginnen, der Geldlogik konkret abzusagen, für die Übermacht des Geldes in ihrem Leben und in unserem Land Busse zu tun und sich auch öffentlich für eine Schweiz einzusetzen, die den Menschen dient und nicht dem Geld, dann besteht Hoffnung für unser Land. 47 6. Teil II Dauerbrenner Bankgeheimnis 7. Das Bankgeheimnis kurz erklärt Elisabeth und Lienhard Roser-Brunner -47Geschichtliches Zwar hatte das Bankwesen in der Schweiz bereits Tradition, war aber im Vergleich zu anderen Ländern bis 1900 sehr bescheiden. Dies änderte sich rasch, als wegen des Rüstungswettlaufs im umliegenden Ausland die Steuern dort erhöht wurden, weshalb reiche Bürger versuchten, ihr Geld auf einer der für ihre Diskretion bekannten Schweizer Banken zu deponieren. Diese machten bereits damals aktiv für dieses Schluploch Werbung. In der Wirtschaftskrise nach dem ersten Weltkrieg war der Schweizer Franken und mit ihm auch das Schweizer Konto ein Fluchthafen vor dem inlationsbedingten Verfall des Vermögens reicher Ausländer. Das Schweizer Bankenwesen bekam durch solche Geldzulüsse einen riesigen Schub. Im Jahr 1934 wurde das Bankgeheimnis von einem Berufsgeheimnis zu einem Bundesgesetz heraufgestuft. Damit durften die Bankiers gar unter Strafandrohung (bis zu Gefängnis) keine Auskunft mehr über ihre Kundenbeziehungen geben. Ursprung davon war die Aufdeckung einer riesigen organisierten Steuerlucht aus Frankreich in die Schweiz. Da die französischen Kunden verunsichert waren und die Schweizer Banken nicht mehr als sicherer Hort angesehen wurden, wurde das Bankgeheimnis verstärkt. Wer die Geschichte unseres Bankgeheimnisses verfolgt, muss zugeben, dass es geradezu einlädt, missbraucht zu werden. Manche argumentieren, es sei nicht unsere Verantwortung, wenn jemand sein Geld verstecken wolle. Doch die Ausgestaltung und Praxis unseres Bankgeheimnisses war von Anfang an darauf ausgelegt, Geld zu verstecken und damit auch Steuern zu sparen. Auf Druck des Auslandes und um einen Imageverlust der Schweizer Banken zu vermeiden, wurden ab Ende der 1980er Jahre nach und nach Gesetze eingeführt, die vor Allem der Geldwäscherei einen Riegel schieben sollten : Die Herkunft jeglichen Geldes muss deklariert werden, und in Verdachtsfällen von Geldwäscherei wird das Bankgeheimnis gelüftet. Doch knüpft die Schweiz Amtshilfe an andere Staaten an möglichst restriktive Bedingungen. Eine sol- 47. Dieser Text beruht auf folgenden Quellen : - ChristNet (2005), Mammon in der Schweizer Politik, Genf. - Alliance Sud/Erklärung von Bern (2012), Steuern und Entwicklung, Alliance Sud, Bern/Erklärung von Bern, Zürich. evb.ch/cm_data/EvB_SteuernundEntwicklung_Info.pdf 51 Im Bundesgesetz wurde das Bankkundengeheimnis, besser bekannt unter der Bezeichnung Bankgeheimnis, 1934 verankert. Ziel ist der Schutz von Kundeninformationen. Damit die Privatsphäre der Kunden gewährleistet bleibt, dürfen Angestellte von Banken sowie Effektenhändler keine vertraulichen Informationen an Dritte weitergeben. Wer es trotzdem tut, wird mit Gefängnis oder Busse bestraft. Teil II Dauerbrenner Bankgeheimnis che Rechtshilfe zu beantragen und die eingeforderten Fakten dafür bereit zu stellen, ist sehr aufwändig, zeitintensiv und oft fast unmöglich für Länder, die sich keine teuren Untersuchungen leisten können oder nach einem Umsturz alles neu aufbauen müssen (wie z.B. Libyen 2011). Faktisch hat die Schweiz heute eines der besten Gesetze gegen die Geldwäscherei. Allerdings ist die Umsetzung in der Realität oft mangelhaft, und es gibt nach wie vor Möglichkeiten, diese Bestimmungen zu umgehen. Unrechtes Geld schmiert den Finanzplatz Schweiz a) Steuerflucht Nach Angaben des schweizerischen Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) ist die Schweiz mit 27% Marktanteil der wichtigste Finanzplatz in der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung -48-. 2011 verwaltete die Schweiz 2100 Milliarden Dollar ausländischer Vermögen. Die grossinanzfreundliche NZZ bezeichnete den davon unversteuerten Schwarzgeldanteil für 2009 auf «über 50%». -49- 52 b) Steuervermeidung Unsere Kantone haben das Recht, im Rahmen einer Pauschalbesteuerung internationalen Konzernen eine Reihe massgeschneiderter günstiger Steuerregeln anzubieten zur Minimierung ihrer weltweiten Zahlungen. So locken sie Firmensitze an. Steuervermeidung ist traditionell der wichtigste Grund dafür, dass jemand sein Geld ausserhalb seines Herkunftslandes anlegt. Geheime Steuerabsprachen gibt es weltweit, nicht nur in der Schweiz. Jährlich erwachsen den Entwicklungsländern dadurch bis zu unvorstellbaren 160 Milliarden Dollar Verlust. Zum Vergleich : 2011 betrug die Entwicklungshilfe weltweit 125 Milliarden Dollar. Es mehren sich die Fälle, in denen Unternehmen den Standort Schweiz nutzen, um Steuervermeidung auf Kosten von Entwicklungsländern zu betreiben. So prangert die Erklärung von Bern beispielsweise Ungereimtheiten beim Rohstoffkonzern Glencore in Zug an : «Trotz rekordhohen Kupferpreisen hat die sambische Tochterirma Mopani des Zuger Rohstoffkonzerns Glencore von 2000 bis 2008 immer nur Verluste ausgewiesen und deshalb nie Gewinnsteuern bezahlt. Externe Auditoren fanden eine ganze Reihe von Unregelmässigkeiten, darunter grundlos aufgeblasene Betriebskosten.» -50- Der weltweit zweitgrösste, englische Brauereikonzern SABMiller nimmt grosse Zahlungen an Tochtergesellschaften in Zug vor, wodurch afrikanischen Ländern fast 12 Millionen Franken an Steuereinnahmen entgehen -51-. Und der brasilianische Rohstoffkonzern Vale 48. Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF, Bericht des Bundesrates über internationale Finanz- und Steuerfragen 2012, Eidgenössisches Finanzdepartement, Bern, S.11. www.sif.admin.ch/00714/index. html?lang=de. 49. NZZ, 12. März 2012, S. 29. 50. Pilot Audit Report - Mopani Copper Mines Plc., Grant Thornton / Econ Pöyry, 2010, op. cit. in Alliance Sud/ Erklärung von Bern (2012), S. 15. 51. Action Aid, Calling time, 2010, S.6, zitiert in : Alliance Sud/Erklärung von Bern (2012), S. 15. 7. Das Bankgeheimnis kurz erklärt sammelt in seiner steuerbegünstigten Tochtergesellschaft in St. Prex (VD) einen Teil seiner weltweiten Einkünfte. c) Geldwäscherei Wir kennen es : Wird irgendwo in der Welt ein Diktator gestürzt, wird bekannt, dass er und seine Entourage grosse Summen Geld auf Schweizer Banken versteckt haben. So geschehen mit Marcos (Philippinen), Mobutu (Kongo), Duvalier (Haiti), Abacha (Nigeria), Mubarak (Ägypten), Gaddai (Libyen) usw.. Wie kommt das? Unser Bankgeheimnis ermöglicht Diktatoren und maiösen Organisationen (v.a. aus dem Drogenbereich), ihr Geld in der Schweiz zu waschen und auf unverdächtigen Konten zu verwahren. Nach jedem Skandal wird beteuert, es handle sich um einen einmaligen Fehler, man habe nun alles im Griff, bis der nächste Skandal aufliegt. Von Anfang an gab es Gegner (z.B. die EVP), die sich öffentlich gegen das Bankgeheimnis aussprachen. 1984 kam sogar eine Eidgenössische Volksinitiative zur Abstimmung, die das Ziel hatte, den Missbrauch des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht einzudämmen. Diese Abstimmung wurde jedoch mit grosser Mehrheit abgelehnt. Offensichtlich wollten wir Schweizer nicht auf das viele Geld verzichten, das vom Bankgeheimnis angelockt bei uns liegt und von dem unsere Wirtschaft proitieren kann. Wie bis heute wurde das Argument vorgeschoben, es gehe darum, mit dem Bankgeheimnis die Privatsphäre zu schützen. Doch scheint es offensichtlich, dass der wahre Grund der Proit ist. So steuerte der Finanzsektor 2011 ganze 10,5% zum Bruttoinlandprodukt und einen Drittel zum inländischen Wirtschaftswachstum bei. -52Steuerhinterziehung und Steuerbetrug Im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis ist ein weiterer höchst problematischer Punkt hervorzuheben : Das Schweizer Gesetz macht eigenartigerweise eine Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Von Steuerbetrug spricht das Gesetz, wenn die Steuerhinterziehung mittels gefälschter Unterlagen begangen wurde. Steuerbetrug ist strafbar. Wenn ein Land nachweisen kann, dass in einem Fall Steuerbetrug vorliegt, gibt die Schweiz Rechtshilfe. Von Steuerhinterziehung wird dann geredet, wenn bei der Steuererklärung ein Einkommen oder Vermögen nicht angegeben wurde. Dies wird höchstens mit einer Busse geahndet und gilt nicht als strafbar. Hier gab die Schweiz bis vor Kurzem in keinem Fall Rechtshilfe, weil nach unserem Recht Steuerhinterziehung kein strafrechtliches Delikt ist. Bei der Steuerhinterziehung wird erstaunlicherweise vom «Guten im Menschen» und von der Eigenverantwortung ausgegangen. Es wird davon ausgegangen, dass der Steuerplichtige einfach vergessen habe, ein weiteres 52. Credit Suisse (2012), Finanzplatz Schweiz, Zürich, S. 16 53 Frühe Gegner Teil II Dauerbrenner Bankgeheimnis Konto zu deklarieren. Dies selbst bei Geldtransaktionen, die offensichtlich der Steuerhinterziehung dienen… Trotz vieler Beweise des Missbrauchs, die im Lauf der Jahre aufgedeckt worden sind, hat die Schweiz diese zweifelhafte Unterscheidung bis in die jüngste Zeit weitergeführt. Doch für das Ausland besteht kein Unterschied zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug ; beide sind strafrechtliche Delikte. So ist denn der Druck aus dem Ausland auf die Schweiz in letzter Zeit massiv gestiegen und vieles ist in Bewegung geraten. Politiker und Medien vermeiden es seit einiger Zeit tunlichst, in ihrem Sprachgebrauch die Unterscheidung Steuerbetrug / Steuerhinterziehung zu verwenden. Wie lange wir als Schweiz an der Unterscheidung festhalten wollen/können, ist fraglich. 54 2009 setzte die durch die Industrieländer geprägte Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Schweiz vorübergehend auf eine schwarze Liste, gleich gestellt mit den Steueroasen. Um diesen Reputationsmakel zu beseitigen, willigte die Schweiz ein, nicht mehr nur bei Steuerbetrug, sondern neu auch bei Steuerhinterziehung Bankkundendaten auszuhändigen. Erfreulich ist zu erwähnen, dass verdächtige Gelder in der nahen Vergangenheit schneller blockiert wurden (so geschehen beim ägyptischen Präsidenten Mubarak und dem libyschen Staatschef Gaddai), und dass es für die jeweils betroffene Bevölkerung nicht mehr einen fast unmöglichen administrativen Aufwand bedeutet, die Rückführung der Gelder zu veranlassen. Doch bleibt es dabei : Bis heute liegt dank (besser : undank!) dem Bankgeheimnis und der damit verbundenen Verschwiegenheit sowie der Bereitschaft, Steuerschluplöcher zu inden, sehr viel unrechtes Geld in der Schweiz. Begünstigt wird diese Praxis durch den Leistungsdruck auf unsere Finanzinstitute und ihre Angestellten, die im Dilemma sind : Soll wirklich nachgefragt, ja nachgeforscht werden, wenn jemand verdächtiges Geld anlegen will? Wer will schon seine Kunden vergraulen?! Auch das sehr forcierte Mitarbeiter-Bonus-System verleitet dazu, beide Augen zuzudrücken oder gar aktiv nach «eleganten» Lösungen zu suchen. Festklammern oder loslassen und Lösungen suchen? Obschon unser Bankgeheimnis bereits viele Risse aufweist, klammern wir uns noch immer so weit wie möglich an unser Bankgeheimnis. Wir sind bestrebt, die unversteuerten ausländischen Vermögen in der Schweiz anonym zu behalten, also den Kunden zu «schützen». Dass es sich zu einem grossen Teil um Steuerluchtgeld handelt oder um Geld, das durch die aggressive Steuervermeidung multinationaler Konzerne gewonnen wird, wird heute von kaum jemand ernsthaft bestritten. Das bedeutet, dass die betroffenen Staaten so um riesige Geldsummen betrogen werden. Wenn wir von neuen Studien hören, die belegen, dass vor allem der obere Mittelstand und die Reichen in Griechenland ihr Geld immer noch in hohem Mass nicht versteuern und beispielsweise 30% der Arzt- und Ingenieureinnahmen an den Steuern 7. Das Bankgeheimnis kurz erklärt vorbeigeschleust werden -53-, drängt sich uns die unangenehme Frage auf, wohin das Geld wohl geht? Noch immer stehen eine Reihe von Mitarbeitern von Credit Suisse und UBS unter der Bedrohung, in den USA wegen «Beihilfe zur Steuerhinterziehung» angeklagt zu werden. Selbst hohe Banker wie Bär geben missbräuchliche Tatbestände öffentlich zu. -55- In der Schweiz, aber auch in den übrigen Ländern, die ausländischen Steuerhinterziehern Geheimhaltung bieten und Unternehmen, die vor allem im Ausland tätig sind, besondere Steuervorteile anbieten, müssen Gegenmassnahmen ergriffen werden. Gemäss Bundesrat arbeitet die Schweiz auch tatsächlich daran. -56Von der Schwarzgeld- zur Weissgeldstrategie Unter massivem Druck aus dem Ausland haben sich die Schweizer Regierung und Politiker zunehmend zur Weissgeldstrategie bekannt, allerdings mit dem Bemühen des Bundesrates, diese Strategie mit der Wahrung des Bankgeheimnisses zu verbinden. Um den automatischen Informationsaustausch, der faktisch einer Abschaffung des Bankgeheimnisses gleich käme, zu verhindern, hat die Schweiz mit den wichtigsten Industrienationen bilaterale Steuerabkommen ausgehandelt. Unterscheidung teilweise abgeschafft 2009 wurde die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung in den Beziehungen zum Ausland aufgegeben. Die Schweiz hat sich bereit erklärt, Art. 26 des OECD-Musterabkommens zur internationalen Amtshilfe in den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zu übernehmen. Kernpunkt ist die 53. SF DRS, Tagesschau, 22. August 2012. 54. Tagesanzeiger, 7. Juli 2012. 55. Hans Julius Bär (2004), Seid umschlungen, Millionen! Orell Füssli, Zürich. 56. SIF, Bericht des Bundesrates über internationale Finanz- und Steuerfragen 2012. 55 Bis heute gibt es Banken und Vermögensverwalter, die den Kunden aktiv helfen, ihr unversteuertes Geld anzulegen. Als die UBS deswegen von den USA angeklagt wurde, bewegten sich die zur Last gelegten Beträge in so riesigen Grössenordnungen, dass sie die Existenz der Bank und unserer Volkswirtschaft bedrohte und der Bundesrat unter Notrecht geheime Daten auslieferte. Und als der Verkauf einer CD mit geheimen Daten die Banken in Liechtenstein in die Krise stürzte und die Geldinstitute bereit waren, alles offen zu legen, gab es nervöse Reaktionen auf Schweizer Seite wegen unserer engen Zusammenarbeit mit Stiftungen und verschiedenen liechtensteinischen Finanzkonstrukten. Unter dem Titel «Enge Verbindung zwischen Schweiz und Liechtenstein» war im Tagesanzeiger zu lesen : «Mit keinem Finanzplatz sind die Verbindungen der Liechtensteiner so eng wie mit der Schweiz. Die Kunden landen in Kloten, verbringen die Nacht im Dolder oder einem der Luxushotels in Zürich, haben meist ein Konto bei einer Schweizer Bank und eine ‹Steuerstruktur› in Liechtenstein, sprich eine Privatstiftung, bei der früher keiner wusste, wer dahintersteht. So hat es Bradley Birkenfeld, der Verräter aus der UBS, geschildert...» -54- Teil II Dauerbrenner Bankgeheimnis 56 «Abgeltungssteuer», die in der Schweiz Verrechnungssteuer genannt wird. Weiter gewährt die Schweiz erleichterte Rechtshilfe sowie Pauschalzahlungen. Es ist eine Amnestie-artige Vergangenheitsbewältigung. Aus Schweizer Sicht ist die Abgeltungssteuer (eine Art Quellensteuer) dem automatischen Informationsaustausch von Bankdaten vorzuziehen. Sie führt den Staaten die geschuldeten Steuern direkt zu und schützt gleichzeitig die Privatsphäre der Kundinnen und Kunden. Bei ausländischen Kunden zieht die Bank in der Schweiz den Steuerbetrag direkt ab und leitet diesen anonym an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) weiter. Die ESTV übermittelt den Betrag an die ausländische Steuerbehörde, womit für den Kunden die Steuerplicht im Herkunftsland erfüllt ist. Quellensteuerabkommen mit Österreich und Grossbritannien wurden in der Sommersession 2012 vom Parlament verabschiedet und sollen Anfang 2013 in Kraft treten, während Frankreich und Italien zu dieser Möglichkeit Nein sagten. In Deutschland sorgten Sozialdemokraten und Grüne für ein Scheitern des Abkommens mit dem Argument, es hätte Steuerhinterzieher besser gestellt als ehrliche Steuerzahler. Das Eidgenössische Finanzdepartement formuliert seine Verhandlungsposition wie folgt : «Der Bundesrat ist bestrebt, das legitime Interesse ausländischer Staaten auf Durchsetzung ihrer Steuergesetzgebung mit dem ebenso legitimen Interesse des Schutzes der Privatsphäre von Bankkunden in Übereinstimmung zu bringen. Deshalb soll im Rahmen von bilateralen Verhandlungen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden. Im Gegenzug erwartet die Schweiz einen verbesserten Marktzugang für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen und die Regularisierung von undeklarierten Konti gegenüber den Steuerbehörden der Drittstaaten.» -57Ohne Bankgeheimnis geht’s auch Zu wenig wird gehört, dass der automatische Informationsaustausch nicht zum «gläsernen Bürger» führen würde, denn die Informationen würden ja nur zwischen Bank und Steuerbehörde liessen. Somit bliebe schnüffelnden Nachbarn, Arbeitgebern und anderen neugierigen Dritten der Zugang zu diesen Daten verwehrt. Die ausländischen Bankkunden würden ebenso wenig zu gläsernen Bürgern wie wir Schweizer, wenn wir unsere Steuererklärung ehrlich ausfüllen und so die Steuerämter über unser Einkommen und Vermögen informieren. In Wirklichkeit hat die Schweiz mit Zugeständnissen beispielsweise gegenüber den USA bereits jetzt das Bankgeheimnis weitgehend aufgeweicht. Statt unter allen Umständen zu versuchen, das Bankgeheimnis zu retten, indem wir mühsam und nur mit einzelnen Staaten, die für uns wirtschaftlich von Bedeutung sind, Steuerabkommen aushandeln, sollte die Schweiz rasch für umfassende Steuertransparenz sorgen, auch und besonders gegenüber den Entwicklungsländern. Damit ist nichts anderes gemeint als ein «automatischer Informationsaustausch». Dies wäre nichts als gerecht und würde der Schweiz die notwendige Glaubwürdigkeit verleihen, damit sie sich international gegenüber anderen Finanzplätzen für eine konsequente Bekämpfung der Steuerlucht einsetzen könnte. 57. Webseite des Eidgenössischen Finanzdepartementes (14.11.12). www.efd.admin.ch 7. Das Bankgeheimnis kurz erklärt Von Hehlerei, Splitter und Balken In der Schweiz sprechen wir von der jetzt verfolgten Weissgeldstrategie. Damit gestehen wir indirekt ein, dass wir vorher ganz ofiziell bereit waren, mit Schwarzgeld, ungerechtem Geld zu arbeiten. Trotzdem empören wir uns über den Kauf von CDs mit gestohlenen Daten und bezichtigen Deutschland der Hehlerei. Ist der Kauf einer solcher CD wirklich Hehlerei? Eigentlich schon : Der Kauf von gestohlenen Daten erfüllt den Straftatbestand der Hehlerei. Nur hat diese Medaille eine Kehrseite : Ist denn Steuerhinterziehung nicht auch Diebstahl, nämlich Diebstahl am eigenen Staat? Irgendjemand wird das fehlende Geld doch berappen müssen. Ist somit der Handel mit diesen unversteuerten Vermögen nicht auch Hehlerei? Und genau das tun doch die Banken, die mit unversteuertem Geld Gewinne erzielen. Und zwar mit ungleich viel grösseren Beträgen, als die Deutschen für besagte CDs bezahlt haben. Pro und kontra Bankgeheimnis Im Folgenden gehen wir auf einige der meistgehörten Argumente für das Bankgeheimnis ein : «Wenn wir das Bankgeheimnis aufgeben, gefährden wir damit Tausende von Arbeitsplätzen.» Das ist verräterisch : Wenn die ausländischen Gelder nur wegen der Kompetenz unserer Banken oder wegen unserer Stabilität in die Schweiz kommen würden, dann würde der Wegfall des Bankgeheimnisses ja nicht zu einem Abwandern des Geldes führen. Tatsächlich verfügt unser Finanzplatz ja anerkannterweise über sehr positive Stärken wie hohe Beratungsqualität, ein stabiles politisches, wirtschaftliches und soziales Umfeld, ausgezeichnete Infrastruktur und hoch qualiizierte Arbeitskräfte. -59- In jedem Fall müssen wir die Frage beantworten, ob wir wirklich weiterhin mit unrecht erworbenem Geld unsere Arbeitsplätze, unseren Reichtum und unsere (Finanz-) Wirtschaft sichern wollen. 58. Mathäus 7,3. 59. Vgl. Credit Suisse (2012) : Finanzplatz Schweiz. September, S. 16. 57 Es sagte einmal ein Berühmter : «Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders und den Balken im eigenen Auge nicht?» -58- Warum fällt es uns in der Schweiz so schwer, unser Fehlverhalten als Land im Bereich Bankgeheimnis, Schwarzgeld und ungerechten Gewinnen klar zuzugeben und echt umzukehren? Ein zentraler Begriff der alttestamentlichen Propheten und ebenso von Jesus (z.B. in Markus 1,15) ist die «Busse». Damit ist ein Umsinnen, eine Umkehr gemeint. Teil II Dauerbrenner Bankgeheimnis «Die ausländischen Regierungen sind selber schuld, wenn sie so hohe Steuern verlangen.» Die Steuerpolitik der anderen Länder steht nicht in unserer Verantwortung und ist erst recht nicht ein Argument für Steuerhinterziehung. Ausserdem wurden diese Regierungen demokratisch gewählt und könnten jederzeit abgewählt werden, wenn die Bevölkerung indet, die Steuern seien zu hoch. «Wenn wir bei uns reinen Tisch machen, fliesst das Geld einfach in andere Steuerparadiese ab.» Unrecht mit Unrecht aufrechnen ist kein ethisches Argument. Populär ausgedrückt : Wir kaufen ja auch kein Raubgut mit der Begründung, der Räuber würde seine Beute sonst ja nur einem anderen Hehler verkaufen... «Andere Länder, auch solche, die auf uns Druck ausüben, haben noch viel grössere und schlimmere Schlupflöcher.» 58 Die Ausrede «Andere tun es ja auch» zählt vor Gott nicht! Wer sich Gott verantwortlich weiss, sollte nicht unrechtes Geld akzeptieren oder den Umgang damit gar mit diversen Begründungen verharmlosen und entschuldigen. «Die anderen Staaten erpressen uns und machen uns zu ihren Steuereinziehern!» Der zunehmende Druck aus dem Ausland weckt in der Schweiz eine kämpferische Stimmung. Es wird gesagt, wir müssten uns gegen diese Erpressungsversuche wehren. Doch der Vorwurf der Erpressung ist ein Pseudo-Argument. Die anderen Staaten haben kein Interesse, die Schweiz unter Druck zu setzen. Was sie wollen ist, dass ihre Staatsbürger ihre Steuern bezahlen. Deshalb setzen sie diejenigen unter Druck, die Steuern hinterziehen oder dazu Beihilfe leisten. Das ist legitim. Hätten wir das Geschäft mit Schwarzgeld, dem Missbrauch des Bankgeheimnisses gar nie angefangen oder längst aufgegeben, könnte und müsste uns niemand «erpressen». Aber da wir nur unter Druck Schritte in Richtung Weissgeldstrategie getan haben, bleibt der Druck erhalten. Wenn wir als Schweiz nicht «erpresst» werden wollen, können wir das mit Taten beweisen : Der einzig richtige Weg wäre dann, auch den Staaten, die keinen Druck ausüben können (z.B. Entwicklungsländer), die ihnen zustehenden Informationen freiwillig zukommen zu lassen. Fazit Was gewinnt die Schweiz? Was verliert sie? Was gewinnt, was verliert die Schweiz mit dem Festhalten an der Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung? Die Schweiz lebt fest mit dem Prinzip : Von Geld spricht man nicht, man hat es. Wie erwähnt, schieben viele, wenn sie das Festhalten am Bankgeheimnis verteidigen, den Schutz der Privatsphäre als Topargument vor. Aber genauso wie ein ehrlicher Steuerzahler nichts zu verstecken braucht, gilt das auch für ehrliche ausländische Bankkunden. 7. Das Bankgeheimnis kurz erklärt Wenn Steuerhinterziehung als Delikt anerkannt und geahndet würde, wäre das ein Schritt Richtung Steuergerechtigkeit und somit ein Gewinn. Wer die Doppelbesteuerungsabkommen nur unterstützt, weil er damit die Schweiz schützen und den Ast nicht absägen will, auf dem er selber sitzt, handelt immer noch aus egoistischen und rein diplomatischen Überlegungen. Wer politisches Gespür hat und vorausblickt, der weiss, dass das Bankgeheimnis auf längere Sicht keinen Bestand haben kann. Verplichten wir uns mit Klarheit und entschiedenem Handeln zu einer konsequenten Weissgeldstrategie! Viel wichtiger : Was ist gerecht? Die Frage, was uns Vor- und was Nachteile bringt, ist nicht die letzte Frage. Viel wichtiger ist die Frage, was gerecht und was ungerecht ist. Ganz pointiert steht es schon in der Bibel, z.B. in Sprüche 16,8 : «Besser wenig mit Gerechtigkeit als viel Einkommen mit Unrecht.» Und Hosea weist uns an : «Sät Gerechtigkeit und erntet nach dem Mass der Liebe! Plügt ein Neues, solange es Zeit ist, den Herrn zu suchen, bis er kommt und Gerechtigkeit über euch regnen lässt!» (10,12) Jede ungerechte Situation führt in eine Sackgasse… Nur wer den gerechten Weg geht, geht in eine gute Zukunft. Das gilt auch für Staaten. 59 Zum Weitergehen Wenn das Geld zum Hauptargument wird und oberste Priorität erhält, wird es zum Götzen, den die Bibel Mammon nennt. Wo uns – auch als ganze Schweiz – Schutz und Erfolg wichtiger sind als Gerechtigkeit und Ehrlichkeit, erliegen wir diesem Geldgötzen. Jeder Götze verspricht und gibt scheinbar sehr viel. So haben auch die Schweiz und wir SchweizerInnen durch das Bankgeheimnis sehr viel gewonnen. Aber der Götze verwandelt seine Verheissungen ins Gegenteil : Das viele Geld macht uns unfrei, und wir werden zu Handlungen im Grau- bis Schwarzbereich bereit. Daran können wir scheitern. Kein Götze ist ein guter Herr. So spricht Jesus sehr scharf vom Gift des Mammon -60-. Somit lautet die Frage nicht : Was nützt mir am meisten? Sondern : Was hat oberste Priorität vor Gott? An der Geschichte vom reichen jungen Mann sehen wir, wie gross die Gefahr ist, dass etwas in meinem Leben sich neben oder gar über Gott stellt. -61- Damit verstossen wir gegen das erste Gebot «Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.» -62Wollen wir uns tatsächlich lieber dem gierigen Götzen Mammon unterstellen und das Angebot Gottes, unser alleiniger Gott zu sein, ausschlagen? Er ist unser Schöpfer, der uns kennt, der uns durch Jesus Christus eine vertrauensvolle Beziehung zu ihm als liebendem Vater ermöglicht, der unserem Leben Sinn gibt. Er ist unser Versorger. Unter seiner Leitung sollen und wollen wir verantwortlich arbeiten, auch als Schweiz, auch mit dem Geld! 60. Vgl. Lukas 12,15. 61. Mathäus 19, 16-22. 62. 2. Mose 20,3. 8. Bankgeheimnis schadet armen Ländern Markus Meury Natürlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Fluchtgeld bei Wegfall des schweizerischen Bankgeheimnisses nicht in andere «sichere Häfen» liessen würde. Doch erstens würde sich dann dank dem Wegfall des Gegendrucks der Schweiz (vor allem innerhalb der OECD) der Druck auf die restlichen Steuerparadiese erhöhen. Und vor Allem zweitens : Wir müssen für uns selber entscheiden, ob unsere Handlungsweise vor Gott richtig ist oder nicht! Wir würden genauso wenig Raubgut kaufen mit der Begründung, sonst würde der Räuber seine Beute ja nur einem anderen Hehler verkaufen... Die Ausrede «Andere tun es ja auch!» zählt vor Gott nicht. Ein riesiger Beitrag zur Entwicklungshilfe Im Vergleich dazu gibt die Schweiz ca. 3,114 Milliarden Franken an Entwicklungshilfe pro Jahr aus. Wir würden also einen riesigen Beitrag zur Entwicklungshilfe leisten, wenn das Bankgeheimnis zumindest bei Steuerhinterziehung gelockert würde. Der Bundesrat sagt, dass die Gelder aus dem Süden nur wegen der Willkür der dortigen Steuerbehörden und wegen der Mängel im dortigen Bankensystem zu uns kommen. Tatsächlich gibt es gewisse Länder, wo ehrlich arbeitende Menschen ungerecht behandelt werden und ein legitimes Schutzbedürfnis haben. Diese sind aber eine verschwindend kleine Minderheit unter all denjenigen, die der korrekten Besteuerung durch demokratisch gewählte Regierungen entgehen wollen. Wessen Schutz ist nun höher zu gewichten? Wir meinen, dass bei der Rechtshilfe an ausländische Behörden im Fall von Steuerhinterziehung ein Unterschied zwischen Rechtsstaaten und Willkür-Regimes gemacht werden kann und dass das Bankgeheimnis (oder zumindest die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug) zum Schutz nicht nötig ist. 63.Alliance Sud/Erklärung von Bern. Steuern und Entwicklung. 2012, S. 5. 64. http ://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Bruttoinlandsprodukt, 25. Oktober 2012 61 Oxfam hat im Jahr 2009 errechnet, dass die Länder des Südens wegen Steuerlucht jährlich 284 Milliarden Dollar mögliche Steuereinkünfte verlieren -63-. Zum Vergleich : das Bruttosozialprodukt von Burkina Faso beträgt ca. 9,981 Milliarden Dollar (2012) -64-. Da ca. 27% aller Gelder der Welt, die auf eine ausländische Bank gebracht werden, in der Schweiz liegen, und 70-90% der Gelder aus dem Süden unversteuert sind, kann man davon ausgehen, dass das Bankgeheimnis im Zusammenhang mit der schweizerischen Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug dafür verantwortlich ist, dass der Süden pro Jahr mehrere Milliarden Dollar an Steuereinnahmen verliert. Teil II Dauerbrenner Bankgeheimnis Schutz korrupter Regimes Im Gegenteil schützt unser Bankgeheimnis bzw. unsere Rechtshilfepraxis gerade vor Allem die korrupten Regimes selber : Die führende Wirtschaftsrevue The Economist schrieb schon 1999, dass schätzungsweise 20 Milliarden Dollar an Potentatengelder, d.h. von Diktatoren durch Korruption oder Veruntreuung aus der Staatskasse einverleibte Gelder, in der Schweiz lägen. Der Abacha-Clan habe insgesamt 55 Milliarden Dollar im Ausland liegen. Diese Diktatoren wurden durch unsere Regierung sogar gestützt und konnten, wie zum Beispiel Mobutu, bei uns ein- und ausgehen... Schwierige Rückforderung 62 Die Rückforderung solcher Gelder ist für nachfolgende Regierungen vor allem der ärmsten Länder sehr schwierig : Die Tatbestände könnten oft erst dann bewiesen werden, wenn die Schweiz Informationen über die Kunden herausgeben würde, was sie aber wegen des Bankgeheimnisses nicht tut. Die Untersuchung verläuft deshalb oft im Sande. Besonders arme Länder haben ohne Einsicht auf die Bankkonten enorm Schwierigkeiten, alle für ein Rechtshilfegesuch nötigen Daten über die von ihren Ex-Diktatoren entwendeten Gelder zusammenzutragen, da sie sich die dafür nötigen, extrem teuren Untersuchungen nicht leisten können. Das Rechtshilfegesuch scheitert deshalb oft bereits in diesem Stadium. Wir stellen fest, dass das Bankgeheimnis für die Länder des Südens viel mehr Schaden als Nutzen bringt. Für diese Länder wäre es deshalb das Beste, wenn das Bankgeheimnis aufgehoben würde. Gleichzeitig kann als Schutz für Personen, die von missbräuchlichen Behörden willkürlich verfolgt werden, eine Klausel im Rechtshilfegesetz eingesetzt werden, nach der nur auf rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien geführten Regierungen Rechtshilfe gewährt wird. Die Kriterien müssten genauer deiniert werden. 9. Ach du ethisches Bankgeheimnis!? Markus Meury Hier einige ot genannte Argumente zugunsten des Bankgeheimnisses, die sich auf ethische Gründe berufen, sowie unsere Antworten darauf. 1) «Das Bankgeheimnis ist ein wichtiges Element für den Schutz unserer Privatsphäre und für den Datenschutz.» Vor willkürlichen Behörden? Wir meinen, gerade in der demokratischen Schweiz brauchen wir uns davor keine Sorgen zu machen. Wir fragen uns auch, weshalb gerade in diesem Bereich der Schutz so viel höher sein soll als in anderen Lebensbereichen. Vielleicht gilt hier auch das Jesuswort : «Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.» (Lukas 12,34) 2) «Das Bankgeheimnis schützt ausländische Menschen, die ihr Hab und Gut vor willkürlichen Behörden oder korrupten Regierungen in Sicherheit bringen wollen.» Tatsächlich gibt es gewisse Länder, in denen ehrlich arbeitende Menschen ungerecht behandelt werden und ein legitimes Schutzbedürfnis haben. Sie stellen aber eine verschwindend kleine Minderheit neben all denjenigen dar, die der korrekten Besteuerung durch demokratisch gewählte Regierungen entgehen wollen. Wessen Schutz ist nun höher zu gewichten? Der Schutz der Völker des Südens, denen über 1 Billion Franken an Steuern verloren gehen, für welche die ehrlichen Menschen umso höhere Steuern bezahlen müssen oder aber am Mangel an öffentlicher Infrastruktur leiden? Oder der Schutz derjenigen, deren inanzielles Gut gefährdet ist? Wir meinen, dass bei der Rechtshilfe an ausländische Behörden ein Unterschied zwischen Rechtsstaaten und Willkür-Regimes gemacht werden kann und dass das Bankgeheimnis (oder zumindest die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug) zum Schutz nicht nötig ist. 3) «Das Bankgeheimnis ist ein wichtiges Disziplinierungsinstrument für die ausser Rand und Band geratenen europäischen Politiker, die ihre Bürger immer mehr auspressen.» Wir stellen fest, dass die mittel- und westeuropäischen Regierungen allesamt demokratisch legitimiert sind und die «auspressenden Politiker» deshalb jederzeit abgewählt werden könnten. Dabei gilt zu bedenken, dass Steuerlucht vor allem von wohlhabenden Personen begangen werden kann. Ein «disziplinierender Effekt» heisst deshalb im 63 Braucht es einen besonderen Schutz in diesem Bereich? Vor wem müssen wir geschützt werden? Vom Einblick neugieriger oder neidischer Privatpersonen, Nachbarn oder gar Verbrechern? Hierzu genügt die bis 1934 bereits bestehende Selbstverplichtung und Berufspraxis der Banken, keine Auskünfte an Dritte zu erteilen. Teil II Dauerbrenner Bankgeheimnis Wesentlichen Steuersenkungen für diejenigen, die Steuern aus ihrem «Überluss» zahlen, und nicht für diejenigen, die wirklich unter der Last der Steuern leiden könnten. -65- Im Gegenteil werden letztere durch den Wegfall von staatlichen Leistungen oder durch die Umlagerung von Einkommenssteuern auf Mehrwertsteuern zusätzlich geschädigt. Progressive Steuern sind Teil einer demokratisch ausgehandelten Gesamtvereinbarung : Wir haben ein System mit freier Marktwirtschaft festgelegt, welches es erst möglich macht, so viel zu verdienen, und wo hohe Löhne nur noch zum Teil auf Leistung beruhen. Eine gewisse Umverteilung ist deshalb Teil der Abmachung, wo sich niemand einfach so ausklinken darf. 64 Darum können wir nur staunen, wenn von «schwerem Eingriff in die Privatsphäre durch die Steuerbehörden» die Rede ist. Oder wenn in massivem Überluss lebende Menschen von «Auspressung» oder gar «Sklaverei» reden. Offenbar ist hier jeglicher Sinn für Relationen verloren gegangen… 4) «Die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug ist Teil der bewährten schweizerischen Philosophie der Eigenverantwortung des Bürgers, hier angewendet auf die Steuererklärung. Dies bringt mehr als Strafgesetze, vor allem grössere Freiheit.» Wir inden es interessant, dass die gleichen Kreise, die bei Arbeitslosen, Sozialhilfebezügern und IV-Rentnern prinzipiell jegliche «falsche Anreize» eliminieren wollen bei der Steuererklärung von einem Grundvertrauen ausgehen. Und dies obwohl nach einer Untersuchung von Bruno S. Frey zu befürchten ist, dass 23% des Einkommens der Schweizer vor dem Fiskus verheimlicht wird. Wir müssen in diesen Fällen also grossmehrheitlich davon ausgehen, dass es sich nicht um ein «Vergessen», sondern um bewusstes Hinterziehen handelt. Wo das System der Freiwilligkeit nicht funktioniert, da braucht es Gesetze. Dies ist hier klar der Fall : Wenn in so grossem Mass hinterzogen wird, müssen Andere entsprechend mehr bezahlen. Dies lässt sich moralisch nicht rechtfertigen. Somit stellen wir fest, dass die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug keine sachliche Legitimierung hat und deinitiv, auch für Inländer abgeschafft werden muss. 65. Hier kann uns die Geschichte von der armen Witwe und ihrem Scherlein neu inspirieren (Markus 12,41-44). Jesus kommentiert sie so : «Diese arme Witwe hat mehr in den Goteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überluss eingelegt ; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hate.» 10. Aufweichung des Bankgeheimnisses : Recht des Stärkeren oder Barmherzigkeit? Dominic Roser, Samuel Ninck-Lehmann Dieser Kommentar wurde am 14. März 2009 verfasst, kurz nachdem der Bundesrat beschlossen hate, bei der Amtshilfe in Steuersachen küntig den OECD-Standard zu übernehmen, und somit in solchen Fällen die typisch schweizerische Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug abzuschafen. Wir sind dankbar In Zukunft können Steuerhinterzieher in aller Welt ihr Geld viel schlechter hinter dem Bankgeheimnis verstecken! In kurzer Zeit ist so viel in Bewegung geraten wie vorher über Jahre hinweg nicht. Vor allem ärmere Länder haben Mühe, einen minimalen Rechtsstaat und Armutsbekämpfung über Steuern zu inanzieren. Rund um die Welt fehlten Steuergelder der reichen Oberschicht für wichtige Aufgaben, weil diese wegen des Bankgeheimnisses abliessen konnten. Besonders dankbar macht uns, dass nicht nur die Schweiz die völlig unfairen Aspekte ihres Bankgeheimnisses lockert, sondern dass in einer konzertierten Aktion verschiedene Steueroasen gleichzeitig ihren Geheimnisschleier etwas lüften. Wir sind nachdenklich Gleichzeitig sind wir aber auch nachdenklich : Als ChristNet haben wir das Bankgeheimnis für Steuerhinterzieher seit Jahren angeprangert. Warum? Es ist das offensichtlichste Beispiel einer Politik, die wir Schweizer allein deshalb verfolgen, weil wir damit Millionen und Milliarden scheffeln können, obwohl sie anderen schadet. Wenn die Angst um unseren Reichtum sogar in diesem klarsten aller Fälle grösser ist als unsere Bereitschaft, mit unseren Mitmenschen in andern Ländern fair umzugehen – wo ist sie es dann nicht? Was kann uns jetzt noch Hoffnung geben, dass in anderen Bereichen, wie z.B. dem internationalen Steuerwettbewerb, Schritte hin zu einer Politik der Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe eine Chance haben? Keine Umkehr Im Jahr 2005 hat ChristNet die Konferenz «Geld oder Leben? Die Schweiz – eine Geisel des Mammon?» organisiert, an der besonders das Bankgeheimnis thematisiert und die Vision, dass die Schweiz für ihre Barmherzigkeit bekannt werden soll, skizziert wurde. Die Konferenz umfasste einen Ruf zur Umkehr, Informationen, Diskussionen und Gebet. Obschon das Echo in der christlichen Medienlandschaft relativ gut war und das Dossier «Mammon in der Schweiz» Verbreitung fand, hat nicht die erhoffte, breite Umkehrbewegung stattgefunden. 65 Was wir in den letzten Tagen erlebt haben, macht uns als ChristNet dankbar : Teil II Dauerbrenner Bankgeheimnis Heute aber genügt der Druck von ein paar mächtigen, reichen Nationen, um mit unheimlicher Wucht das Bankgeheimnis zum Einstürzen zu bringen. Das macht uns nachdenklich : Wenn nur dann etwas in Bewegung kommt, wenn die Mächtigen etwas einfordern – was bleibt dann für Länder ohne Geld und Einluss übrig, um ihr Recht in der internationalen Politik durchzusetzen? Sie sind ohnmächtig. Die Ereignisse nach 2009 haben dann tatsächlich gezeigt, dass es für Länder wie die USA, Deutschland oder Grossbritannien viel einfacher ist, die Schweiz zu einer fairen Zusammenarbeit zu bewegen. So meinte sogar der frühere CEO der CS und der UBS, Oswald Grübel : «[B]eschränken wir die Weissgeldstrategie nur auf die Deutschen und die USA? Für Leute aus Afrika oder Asien würde das dann nicht gelten? Das geht nicht.» Es bleibt allein die Hoffnung, dass in diesen Machtspielen der globalen Politik der Allmächtige zu Gunsten «Seiner Geringsten» einschreiten wird. 66 Gier vor Gerechtigkeit Wir leben nicht in einer heilen Welt, wo Anstand und Fairness regieren. Wenn man sieht, wie im Fernsehen angesehene und als rechtschaffen akzeptierte Männer und Frauen im Anzug und mit einem Lächeln in plumper Weise Geldgier vor Gerechtigkeit stellen, dann macht uns das nachdenklich. Wenn respektierte Mitglieder unserer Gesellschaft das Bankgeheimnis mit Argumenten verteidigen, die normalerweise Kinder bringen – «Andere tun es auch!» oder : «Die USA haben ihren Druck auch nicht nur in sauberer Weise ausgeübt!» –, dann ist klar, dass bei uns etwas ganz faul ist. Unsere Vision Wir bei ChristNet setzen uns seit jeher dafür ein, dass die Schwächsten ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt werden. In diesem Sinn wünschen wir uns eine Schweiz, die sich nicht hinter anderen versteckt und den Schwarzen Peter weitergibt, sondern die mutig den ersten Schritt wagt, wenn es um die Ausmerzung von Ungerechtigkeit geht. Wir wollen ein Land sein, das aus innerem Antrieb und einer Umkehrhaltung heraus das Bankgeheimnis abschafft. Wir wollen als Land eine grössere, schönere, verlockendere Vision vor Augen haben, als möglichst viel Geld zu verdienen : Damit die Schweiz für ihre Barmherzigkeit bekannt wird. Dass Gott diese Vision unter uns Schweizer Christen und Nichtchristen wachsen lässt, dafür beten und arbeiten wir. 11. Zwischenfazit – Thesen zum Bankgeheimnis Markus Meury, Dominic Roser In diesem Teil II haben wir dargestellt, wie die Schweiz seit Jahren mit dem Ausland um das Bankgeheimnis ringt. Dabei haben wir gesehen, dass die Schweizer Vertreter einzig der Logik des Rückzugkampfes folgen und nur gerade so viel preisgeben, wie die internationalen Kräteverhältnisse verlangen. Ein grundsätzliches Umdenken, dass Steuerhinterziehung als Betrug auf Kosten der ehrlichen Steuerzahler zu verwerfen sei, hat bisher nicht statgefunden. So bleiben die Thesen, die ChristNet 2005 formuliert hat, auch heute noch aktuell. Können wir überhaupt objektiv argumentieren? Glauben wir nicht sowieso denjenigen Argumenten und Theorien, die uns ein gutes Gewissen geben, damit wir nicht von unseren Vorteilen ablassen müssen – in diesem Fall von den Geldern auf unseren Banken, die uns wirtschaftliche Vorteile verschaffen? Haben wir nicht im Grunde Angst davor, reinen Tisch zu machen, weil uns das etwas kostet, und inden wir nicht deshalb Scheinrechtfertigungen und Schluplöcher? Warum empören wir uns öffentlich, dass deutsche Regierungen gestohlene Daten-CDs kaufen – und sehen gleichzeitig den «Balken» in unseren eigenen Augen nicht? These 2 : Wir vertrauen selektiv. Beispielsweise rühmen wir unsere Rechtsordnung im Bereich der Steuergesetzgebung, die grundsätzlich vom «Guten im Menschen» ausgehe und deshalb Steuerhinterziehung grundsätzlich nur als «Versehen» deklariert. Dies scheint uns inakzeptabel, wenn man bedenkt, dass… ...wir diese Praxis des Vertrauens vielen anderen Bevölkerungsgruppen nicht zugestehen (Arbeitslose, Sozialhilfebezüger, IV, etc.) ; ...Bruno S. Frey zum Schluss gekommen ist, dass 23% der Einkommen der SchweizerInnen vor dem Fiskus verschwiegen werden ; ...es gleichzeitig kaum mehr bestritten ist, dass mindestens 50% der ausländischen Guthaben bei Schweizer Finanzinstituten unversteuert sind ; ...wir im Rechtshilfegesetz die Rechtshilfe an ausländische Behörden bei Verdacht auf Steuerhinterziehung bewusst ausgenommen haben ; ...das Bankgeheimnis 1934 gerade zur Ermöglichung der Steuerlucht eingeführt worden ist. Wenn heute noch immer behauptet wird, die ausländischen Gelder kämen nur wegen des Know-hows unserer Banken und der Stabilität der Schweiz hierher, während gleichzeitig vor Arbeitsplatzverlusten im Falle der Aufweichung des Bankgeheimnisses gewarnt wird, tritt die Inkonsequenz solcher Argumente deutlich zutage. Dasselbe gilt für die Behauptung, dass die Gelder aus dem Süden nur wegen der Instabilität der Herkunftsländer und der Mängel des dortigen Bankenplatzes hierher 67 These 1 : Wir glauben, was uns in den Kram passt. Teil II Dauerbrenner Bankgeheimnis kommen, obwohl es auch bis in die neuste Zeit immer wieder die Gelder der Potentaten selber sind, die in der Schweiz liegen. These 3 : Wir stellen Eigeninteressen vor das Wohl der Schwächeren. 68 Wir rühmen die Wichtigkeit der Privatsphäre und des Datenschutzes. Wir sagen, hier bestehe ein Interessenkonlikt zwischen dem ethischen Umgang mit dem Geld und den gerechtfertigten Bedürfnissen nach Privatsphäre und Schutz. Bisher haben wir unsere eigenen Bedürfnisse (nach Privatsphäre) höher gewichtet als diejenigen der anderen Völker, denen Steuereinnahmen riesigen Ausmasses verloren gehen, die nicht einmal von der Entwicklungshilfe wettgemacht werden. Diese Ausfälle müssen sodann von den ärmeren Bürgern mit höheren Steuern und schlechterer Infrastruktur bezahlt werden. Zudem werden die Steuern in den meisten andern Ländern demokratisch festgesetzt. Unser Versuch, von Steuerhinterziehung in den andern Ländern zu proitieren, widerspricht somit dem Respekt vor dem Volkswillen. Wir haben unsere eigenen Bedürfnisse sogar höher gewichtet als den Schutz vor Verbrechen in anderen Ländern, denn die Schweiz war erst dann zu einer Geldwäschereigesetzgebung bereit, als das Ausland Druck machte und der Ruf der Banken Schaden nahm. Auch beim Bankgeheimnis bewegte sich erst dann etwas, als mächtige Länder wie die USA und Deutschland Druck ausübten. Länder ohne wirtschaftliche Macht und politischen Einluss haben es viel schwieriger, uns zur Umkehr zu bewegen. Die eigene Einsicht hat noch viel weniger bewirkt. Wenn wir wirklich umkehren wollten, könnten wir auch einmal einen Schritt nach vorne machen – und beispielsweise schnell auf die Karte des Automatischen Informationsaustausches setzen – statt uns in Rückzugsgefechten zu verheddern. These 4 : Angst prägt unser Schutzbedürfnis. Warum nur ist uns also unser Schutz derart wichtig, dass wir ihn über Alles stellen? Vor was oder wem haben wir denn Angst? Erstaunlicherweise wollten gerade wir Schweizer am «Schutz» des Bankgeheimnisses festhalten, obwohl die Schweiz eine sehr tiefe Verbrechensrate hat und obwohl gerade in der Schweiz die «staatliche Willkür» minimal ist. Leben wir in einer Angstkultur? Als Indiz hierfür könnten die weltweit kaum übertroffenen Pro-Kopf-Ausgaben für Versicherungen gelten. -66Sicherlich ist es auch die Angst vor Verlust, die uns zu unserer Gewichtung führt. Es ist dringend, dass wir uns konkret mit unseren Ängsten auseinander setzen! 66. Schweizerischer Versicherungsverband (2011), Versicherungsprämien pro Kopf, svv.ch/de/zahlen-und-fakten/ versicherungspraemien-pro-kopf Teil III Grundsatzfrage Steuern 12. «Nur die kleinen Leute zahlen Steuern»!? Dominic Roser, Markus Meury -67«Nur die kleinen Leute zahlen Steuern», behauptete Leona Helmsley, eine US-amerikanische Milliardärin, und gibt damit der heutigen Mode Recht, Leute, die plichtgemäss Steuern zahlen, als Trotel zu belächeln. Steuerlucht und Steuerhinterziehung gelten heutzutage als Kavaliersdelikt, wenn nicht sogar als Menschenrecht. -68Steuern – eine freiwillige Angelegenheit? Ein christlicher Nationalrat wurde gefragt, was er an der Schweiz besonders schützenswert inde. Als Antwort pries er das Schweizer Steuersystem, das den Bürger nicht einfach zum Steuern Zahlen zwinge, sondern ihm erlaube, soviel zu zahlen, wie er gerne möchte. -69- Gänzlich verantwortungslos ist es, wenn sogar Bundesräte und andere Führungspersönlichkeiten ins selbe Horn blasen und Steuern als etwas darstellen, das man nur zahlt, wenn es einem gerade entspricht. So sagte z.B. Kaspar Villiger : «Wenn der Preis für die Dienstleistungen eines Staates fair ist, dann sind die Leute willig, Steuern zu bezahlen.» Und wenn der Staat mal nicht exakt nach meinem Fairness-Verständnis handelt – bin ich dann gerechtfertigt, meine Steuern zu verweigern? Mit allen Mitteln versuchen bürgerliche Politiker, es einfacher zu machen, den Steuern auszuweichen. 67. Text aus Mammon in der Schweizer Politik (ChristNet, Genf, 2005), geringfügig überarbeitet im Oktober 2012. 68. So meinte beispielsweise der amerikanische Ex-Senator Phil Gramm, der einen Top-Posten bei der UBS hat : «Schweizer Bankiers sind grosse Wohltäter der Menschheit (...). Sie haben nicht nur das Vermögen der Menschen geschützt, sondern auch ihre Freiheit. Die Möglichkeit der Menschen, ihr Geld zu verschieben, um es zu schützen (...), ist eine der Grundfreiheiten der Menschen auf diesem Planeten.» (S. 2 der Wegleitung zur Steuerhinterziehung, Erklärung von Bern. evb.ch/cm_data/public/Wegleitung_q.pdf). Aus christlicher Perspektive ist anzumerken, dass diese Aussage in grosser Spannung zur biblischen Lehre steht. Das Gesetz, das Mose gegeben wird, schützt zwar das Eigentum, aber überhaupt nicht absolut. 69. Auf die Frage «Was ist das Besondere unseres Schweizer Staates, das Sie erhalten wollen?» antwortete der damalige EDU-Nationalrat Markus Wäler : «Wir haben eine Heimat, die zu erhalten sich lohnt. Wir haben hier immer noch weltweit einmalige Regelungen. Dies zeigt sich auch im Steuerrecht : In der Schweiz traut der Staat dem Bürger zu, dass er in seiner Steuererklärung selbst angibt, was er verdient und an Vermögen hat. Aufgrund dieser Daten wird er nachträglich besteuert, gemäss Steuersätzen, die er auch selbst beschliesst. Kurz : Der Staat lässt dem Bürger das Einkommen, und dieser sagt : Soviel will ich an Steuern zahlen. In anderen Ländern nimmt der Staat dem Bürger von seinem Einkommen weg, was er meint brauchen zu müssen, und die Steuersätze werden nicht direktdemokratisch vom Volk bestimmt.» (jesus.ch/index.php/D/article/151-Schweiz/26051-30_Jahre_-_ und_kein_bisschen_heiser :_Die_EDU_ersehnt_eine_bessere_Demokratie) 73 Traurig ist, dass sogar Christen in diesen Chorus miteinstimmen. So wird beispielsweise das Bankgeheimnis für steuerhinterzogenes Geld mit der Begründung verteidigt, dass die andern Länder selbst an der Steuerhinterziehung ihrer Bürger schuld seien – schliesslich müssten sie ja nicht so hohe Steuern verlangen! Ist es nicht anmassend und unfair, an den Steuerhinterziehern anderer Länder zu verdienen, wenn diese Länder ihre Steuersätze demokratisch bestimmt haben? Teil III Grundsatzfrage Steuern Zu diesen Mitteln gehören : — Das Anheizen des Steuerwettbewerbs (zwischen Gemeinden, Kantonen und Nationen). — Das Gewähren von Steuererleichterungen, um Multimillionäre und Firmen anzuziehen. Dies ist oft eine sehr intransparente Angelegenheit -70- und verletzt elementare Grundsätze der Gleichheit vor dem Gesetz. -71— Die Weigerung, stossende Steuerschluplöcher zu stopfen. — Das Bankgeheimnis : Es stellt eine besondere Ungerechtigkeit dar, weil wir damit den Bürgern anderer Länder die Steuerhinterziehung ermöglichen. 74 Was steckt für eine Einstellung hinter diesem Herumhacken auf einer minimal anständigen Steuermoral? Zuerst einmal, dass es allen – Armen wie Wohlhabenden – schwer fällt, Steuern zu zahlen. Das ist verständlich und darf nicht kritisiert werden. Aber es spielt auch noch ganz anderes mit. Da ist ein krampfhaftes Streben nach Geld – eine Sucht, die keine Lockerheit und Grosszügigkeit kennt. Eine grundsätzliche Ursache für die gegenwärtige Steuerverachtung ist, dass die Bürger sich nicht mehr als Teil einer Gemeinschaft empinden : Sie spüren nicht mehr, dass sie zu ihrem Land gehören und dass ihr Reichtum ohne das Zusammenspiel vieler Menschen nicht zustande gekommen wäre und dass sie enorm von den Dienstleistungen des Staates proitieren. Hier kommt das ganze Staatsverständnis hinein, das sich verändert hat. Also müssen wir einmal ganz von vorne anfangen... Steuern – gemeinsame Lösungen ermöglichen Wir sind nicht einfach unabhängige Individuen, sondern alle anderen sind unsere Nächsten, auf die wir Rücksicht nehmen müssen, die genau die gleichen Rechte haben und vor Gott gleich viel wert sind. Alle unsere Handlungen haben Auswirkungen auf die Nächsten. Deshalb braucht es Gesetze und Regeln, die das Zusammenleben regeln. Damit wir zusammenleben können, müssen wir viel Grundsätzliches gemeinsam festlegen : wieviel sollen wir gemeinsam machen, wieviel jeder einzeln, welches Wirtschaftssystem sollen wir haben, etc. So braucht es eine gemeinsame Organisation, in der jede und jeder gleich viel zu sagen hat : den Staat. Der Staat ist also nicht ein böses fernes Gebilde, sondern dazu gehören wir alle! 70. Im Kanton Bern sorgte im Herbst 2005 für einiges Aufsehen, dass selbst die Kantonsparlamentarier Mühe haten, in Erfahrung zu bringen, welche Firmen unterstützt werden. Als sie dann an die Liste herankamen, staunten selbst bürgerliche Politiker über die grosse Zahl an gewährten Steuererleichterungen (Der Bund, 8.9.2005). 71. Vgl. christnet.ch/de/content/pauschalbesteuerung-werben-um-millionenschweresteuerfl%C3%BCchtlinge. 12. «Nur die kleinen Leute zahlen Steuern»!? Da wir diese Regeln gemeinsam festgelegt haben, gelten sie auch für alle gleich, und wir dürfen uns nicht einfach zu unserem Vorteil hinausschleichen. Den Stärksten wäre dies vielleicht recht, aber die christliche Nächstenliebe weist uns an, auch die Rechte der Schwächsten zu respektieren. Zur gemeinsamen Organisation gehört auch eine gemeinsame Finanzierung des Beschlossenen, und eine Regel, wer wieviel beitragen soll. Da Reichtum nur zu einem kleinen Teil auf Leistung beruht, ist es normal, dass Reiche mehr beitragen müssen als Arme, und dass eine Steuerprogression die vom Markt extrem ungleich vorgenommene Verteilung wieder ein klein wenig abmildert. Es kann sich also niemand beschweren, er müsse für andere arbeiten : denn er proitiert genauso von den gemeinsamen Leistungen und er proitiert von einem gemeinsam festgelegten System, das es ihm erst möglich macht, so viel zu verdienen. Also muss er auch für durch das System verursachte Schäden aufkommen und andere unterstützen, die vom System benachteiligt werden oder die vom heutigen Wirtschaftssystem schlicht rausgeworfen werden, weil sie nicht genügend leistungsfähig sind. Wenn jemand sagt, es lohne sich bei höheren Steuern nicht mehr zu arbeiten, dann muss die Arbeitsmoral in Zweifel gezogen werden. Arbeiten wir denn nur, um noch reicher zu werden? Manche meinen, Umverteilung sei unbiblisch. Wie weit diese Ansicht danebengreift, haben wir im Text Biblische Steuerpolitik dargelegt. -72- Andere sagen, die Steuerprogression sei unbiblisch. In der Bibel habe es nur eine Flat Tax gegeben. Auch das ist falsch. Erstens : die Flat Tax der Bibel muss im Zusammenhang mit anderen Umverteilungen gesehen werden. Alle sieben Jahre wurden die Schulden erlassen und alle 50 Jahre gab es das Jubeljahr, in dem aller Grundbesitz (also das Hauptkapital aller) wieder an den ursprünglichen Besitzer zurückging. Akkumulation von Ungleichheiten wie heute war also nicht möglich. Heute wird die (minimale) Erbschaftssteuer im Gegenteil aber abgeschafft. Unter diesen Umständen kann nicht gleichzeitig eine «christliche» Flat Tax eingeführt werden. Zweitens : in der biblischen Zeit waren die möglichen Einkommensunterschiede zwischen den mehrheitlich als Bauern oder Handwerker tätigen Menschen viel kleiner. Deshalb war eine ausgleichende Progression gar nicht nötig. Es steht uns also frei, dies heute anders zu machen, wenn die Umstände dies erfordern, um dem ursprünglichen biblischen Sinn Genüge zu tun. 72. christnet.ch/de/content/biblische-steuerpolitik. 75 Insofern müssen Steuersätze so gestaltet sein, dass jeder beiträgt, was er beitragen kann, und gleichzeitig auch einen Teil der Frucht seiner Anstrengungen behalten kann. Das muss gut austariert sein. Es ist jedoch absurd, wenn sich jemand beklagt, dass er nur 60 von seinen 100 Millionen Franken Einkommen pro Jahr behalten kann. Das hat nichts mehr mit Leistung zu tun und er kann deshalb auch nicht von «Ungerechtigkeit» sprechen. Teil III Grundsatzfrage Steuern Und schliesslich inden manche sogar, dass wir heute in derselben Situation seien wie die Propheten, welche darüber geklagt haben, dass die Machthaber die Untertanen mit hohen Steuern drückten. Dieser Vergleich ist grotesk : Damals ging diese Klage von Menschen in Existenznot aus, heute kommt diese Klage vor Allem von Menschen mit Haus, Auto und Fernreise-Ferien. Als Christen wollen wir denjenigen, die das Steuerzahlen lächerlich machen, eine andere Einstellung gegenüberstellen. Wir freuen uns, zur Schweiz zu gehören und sind bereit, unsern Teil beizutragen – sprich : wir sind bereit, Steuern zu zahlen. Wir wissen, dass der Staat eine notwendige Institution ist. Der Staat – das sind wir! Nicht zuletzt hat uns Jesus gelehrt, dass Steuern Zahlen eine Selbstverständlichkeit ist. Als die Pharisäer ihn danach fragten, verlangte er eine Münze, zeigte auf den darauf abgebildeten Kaiser und meinte : «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!» (Matthäus 22,21) In letzter Zeit ist besonders der Steuerwettbewerb zum Königsweg geworden, den Steuern auszuweichen. Deshalb noch einige Worte dazu. 76 Steuerwettbewerb in der Schweiz Immer wieder hören wir vom Umzug einer Wirtschaftsführerin oder eines reichen Promis in einen «steuergünstigeren Kanton oder Gemeinde». Steuern sollten ja eigentlich dort bezahlt werden, wo der «Lebensmittelpunkt» liegt. Dies ist beim neuen Wohnort kaum der Fall. Es handelt sich also oft um Betrug. Dies ist umso verwerlicher, als die die Betroffenen genau wissen, dass ihre 20 Millionen pro Jahr nicht alles Eigenleistung sind und sie somit nicht behaupten können, es sei ungerecht, wenn «zu viel» Steuern verlangt würden. Die Steuervermeider spielen damit die Kantone und Gemeinden gegeneinander aus. Diese werden gezwungen, vor allem die Steuersätze der Reichen zu senken und die Erbschaftssteuern abzuschaffen, um nicht viel Geld zu verlieren. Die Reichen werden damit übermässig politisch bestimmend. Es gilt nicht mehr «eine Stimme pro Person». Gleichzeitig werden dabei die Ungleichheiten zwischen den Kantonen immer grösser, denn durch Zuzüge reicher gewordene Kantone können die Steuersätze weiter senken und locken damit weitere Reiche an. In der umgekehrten Richtung passiert dasselbe mit den ärmeren Kantonen. Diese können nicht ohne Härte gegenüber den Bedürftigen die Steuern senken. Damit geraten die Kantone in einen Teufelskreis : Die Reicheren werden automatisch reicher - die Ärmeren automatisch ärmer. Die Steuerunterschiede haben ursprünglich aber vor allem mit ungleichen Bedingungen zu tun : — Bergkantone haben höhere Ausgaben (z.B. weite Wege) und kleinere Einkommen (z.B. Distanz zu wirtschaftlichen Zentren oder niedrige Standortattraktivität). — Städtische Zentren haben höhere Ausgaben wegen vermehrter Konzentration von sozialen Problemen und weniger Einnahmen aufgrund einer «schlechteren» Bevölkerungsstruktur (viele Arme, Alte, Ausländer, Studierende, etc.). Familien ziehen wegen des Verkehrs, der Krankenkassenprämien und der Lebensqualität weg. Gleichzeitig haben Städte weitere Zentrumsleistungen zu erbringen für eine ganze Region, vor allem in den Bereichen Kultur, Infrastruktur und Verkehr. «Nur die kleinen Leute zahlen Steuern»!? — Am besten haben es zentrumsnahe Kantone mit guter Wohnlage : so ist es nicht verwunderlich, dass Baselland, Zug, Schwyz, Aargau und Nidwalden viele zuziehende Pendler mit vollem Portemonnaie verzeichnen konnten und heute steuergünstig sind. Die Mär, dass es diesen Kantonen vor allem wegen «guter Amtsführung» gut gehe, wird leider trotz allem noch gerne verbreitet. Manche nutzen den Steuerwettbewerb mit gutem Gewissen aus. Sie sagen sich : «Wettbewerb zwischen Firmen ist doch ein gutes Prinzip. Es schafft Efizienz. Wenn Wettbewerb zwischen Firmen gut ist, dann ist er doch sicher auch zwischen Kantonen und Staaten gut.» Diese Leute missachten die simple ökonomische Tatsache, dass der Wettbewerb – der Markt – oft versagt. Und genau dort, wo man mit dem Wettbewerb nicht weiterkommt, braucht es den Staat (Justiz, Umwelt, Infrastrukturprojekte, Gerechtigkeit, ...). Wenn nun das Wettbewerbsprinzip auch auf den Staat angewandt wird, der ja genau dazu da ist, die Mängel des Wettbewerbs zu beheben, so beisst sich die Katze in den Schwanz. Der Staat ist das Ergänzungsstück zum Wettbewerb. Er darf nicht auch noch dem Wettbewerb geopfert werden. Was heisst das für den Einzelnen? Will ich wegen tieferer Steuern in den Nachbarkanton umziehen oder gar den «ofiziellen Wohnsitz» nach Zug verlegen? Wir schlagen vor, aus Solidarität zu bleiben, wo man ist, auch wenn es etwas kostet, und nicht zu dieser elenden Spirale beizutragen. Es braucht Leute, die gegen den Strom schwimmen. 77 12. 13. Pauschalbesteuerung : dem Reichtum zu Diensten Markus Meury -73Die Bibel lehrt uns, dass alle Menschen gleich zu behandeln sind : Wir sollen die Reichen nicht besser behandeln als die Armen. Jakobus 2,3 sagt : Diese Ermahnung stösst heutzutage auf taube Ohren : Während die Schweizer Politik diskutiert, mit welchen Gnadenlosigkeiten verzweifelte Flüchtlinge am besten abgewimmelt werden könnten, überlegt sie gleichzeitig, mit welchen millionenschweren «Zückerchen» superreiche Steuerlüchtlinge angezogen werden können. Am deutlichsten wird das bei der Pauschalbesteuerung sehr wohlhabender Ausländer. Die Schweiz vollzieht hier einen wahren Tanz um das goldene Kalb. Im Oktober 2012 wurde nun eine eidgenössische Volksinitiative zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung eingereicht. Die Abstimmung über diese Initiative bietet eine Chance, die Gleichheit vor dem Gesetz für Reiche und Arme wiederherzustellen. Die Pauschalbesteuerung Die Schweiz (aber nicht sie alleine) kennt ein Gesetz, das es Kantonen und Gemeinden erlaubt, reichen Ausländern, die hier wohnen ohne zu arbeiten, niedrigere Steuern als den Schweizern «anzubieten». Der Kanton schliesst mit diesen Ausländern ein Pauschalsteuer-Abkommen, bei dem nicht das reale Einkommen und Vermögen als Steuerbasis zählt, sondern nur der «Lebensaufwand». Damit zahlen die schwerreichen Zuzüger einen Bruchteil dessen, was sie im Ausland bezahlen würden oder was ein gleich reicher Schweizer bezahlen würde. Ende 2010 lebten über 5000 Pauschalbesteuerte in der Schweiz, was gegenüber 2003 mehr als einer Verdoppelung gleichkommt. -74Verschiedene Kantone locken aktiv schwerreiche Ausländer an und haben entsprechende Strategien entwickelt. Teils werden sie in ihren Ferien in der Schweiz angesprochen (besonders aktiv ist das Wallis), teils werben gar Informationsbüros im Ausland um Steuerlüchtlinge. Im Herbst 2004 hat die Zeitschrift Der Beobachter einen Test gemacht : Ein iktiver schwerreicher Ausländer richtete an gut 30 Schweizer Gemeinden die schriftliche Anfrage, ob sie ihm eine Wohnsitznahme mit 73. Text aus Mammon in der Schweizer Politik (ChristNet, Genf, 2005), überarbeitet im Januar 2013. 74. tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Die-Pauschalbesteuerung-geraet-ins-Stocken/story/20495356 und pauschalsteuer-nein.ch. 79 Wenn ihr nun dem mit der vornehmen Kleidung besondere Aufmerksamkeit schenkt und zu ihm sagt : «Hier ist ein bequemer Platz für dich!», während ihr zu dem Armen sagt : «Bleib du dort drüben stehen oder setz dich hier bei meinem Fussschemel auf den Boden!» –messt ihr da nicht in euren eigenen Reihen mit zweierlei Mass? Teil III Grundsatzfrage Steuern Pauschalbesteuerung, Helikopterlandeplatz und Mithilfe bei der Grundstücksuche gewähren würden. Etwa die Hälfte der Gemeinden warben in der Antwort mit diesem Steuerschluploch für sich und boten auch sonst grosszügige Hilfe an. Welcher arme Schlucker würde so behandelt? 80 Zum Beispiel… Berühmtestes Beispiel ist der Autorennfahrer Michael Schumacher. Er hat ein jährliches Einkommen von 100 Millionen Franken und ein Vermögen von nahezu einer Milliarde. Trotzdem zahlt er in Vuflens-le-Château (VD) nur gerade mal 2 Millionen Franken Steuern pro Jahr. Er sagte offen : «An der Schweiz hat mich gereizt, dass ich ein vernünftiges Steuerabkommen aushandeln konnte. In Deutschland sind sie ja selber dumm, wenn sie mir kein Angebot machen und dafür gänzlich auf meine Steuergelder verzichten.» Die Gleichheit vor dem Gesetz wurde hier durch die Macht des Geldes ausser Kraft gesetzt. Michael Schumacher indet es offensichtlich unvernünftig, wenn er statt 98 Millionen Franken pro Jahr nur noch 60 Millionen zur Verfügung hätte... Gier kennt offensichtlich keine Grenzen mehr. Gewisse Politiker meinen ja, durch zu hohe Steuern würde «Leistungsbereitschaft» behindert. Da müssen wir ernsthaft fragen, ob wir denn nie genug haben können, müssen aber auch feststellen, dass solche Löhne nichts mehr mit Leistung, sondern nur noch mit Marktwert zu tun haben. Klar soll Leistung belohnt werden, aber wir gehen ebenfalls davon aus, dass Steuern danach bemessen werden müssen, wie viel jemand bezahlen kann. Und bei solchen Löhnen bleibt den Steuerzahlern noch längst genug. Nicht zuletzt machen sich die Pauschalbesteuerten auch selbst zu Sklaven ihrer Steueroptimierung. Auf die mögliche Abschaffung der Pauschalsteuer angesprochen, musste Michael Schuhmacher in einem Zeitungsinterview sogleich betonen, dass er zwar sehr gerne in der Schweiz wohne, aber beim Wohnort durchaus lexibel sei. -75Die Getriebenheit von der Aussicht auf niedrigere Steuern lässt einem keine Ruhe : Als der Kanton Zürich 2009 die Pauschalbesteuerung abgeschafft hat, verliessen fast die Hälfte der Pauschalbesteuerten bis Ende 2010 den Kanton. -76Jetzt abschaffen! Im Jahr 2003 hat Susanne Leutenegger von der SP eine parlamentarische Initiative zur Abschaffung der Pauschalsteuer eingereicht. ChristNet hat damals in einem Brief an verschiedene Nationalrätinnen und Nationalräte zur Unterstützung dieser – letztlich erfolgslosen – Initiative aufgerufen. 2009 wurde dann aufgrund von neuerlichen Vorstössen die Möglichkeit zur Pauschalbesteuerung leicht eingeschränkt. Natürlich gab es sogar dagegen Widerstand und es wurde betont, dass die Schweiz ja von der Pauschalsteuerpraxis proitiere und Reiche verliere, wenn das Gesetz leicht verschärft würde. 75. Tagesanzeiger, «Michael Schumacher droht, die Schweiz zu verlassen», 22.10.2012. tagesanzeiger.ch/schweiz/ standard/Michael-Schumacher-droht-die-Schweiz-zu-verlassen/story/10971983 76. Tagesanzeiger, « Die Pauschalbesteuerung gerät ins Stocken», 14.6.2011. tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/ Die-Pauschalbesteuerung-geraet-ins-Stocken/story/20495356 Pauschalbesteuerung: dem Reichtum zu Diensten Dennoch : Die Zeit scheint reif für eine Änderung. Nicht nur wurde im Herbst 2012 eine Volksinitiative zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung eingereicht, sondern einige Kantone – allen voran Zürich – haben die Pauschalsteuern bereits abgeschafft. In anderen Kantonen – wie beispielsweise in St. Gallen oder Bern – wurden Volksinitiativen zur Abschaffung zwar abgelehnt, aber es wurden immerhin Einschränkungen akzeptiert. Weitere kantonale Unterschriftensammlungen sind am Laufen. Dazu kommt, dass unsere Nachbarn – insbesondere Frankreich – erwägen, ihre Pauschalbesteuerten in der Schweiz durch Besteuerung zuhause daran zu hindern, ihrem Beitrag ans Staatswesen auszuweichen. Die im Herbst 2012 eingereichte Volksinitiative gibt uns nun die Möglichkeit, dieses einseitige Steuerprivileg für die wohlhabendsten Mitglieder unserer Gesellschaft gänzlich Vergangenheit sein zu lassen. Wir wollen aufhören, die Gleichheit vor dem Gesetz preiszugeben, um an mehr Geld zu kommen. Man könnte das auch Korruption nennen. Um Reiche anzulocken, hat sich die Schweiz hier der Mithilfe zur Steuerlucht – und oft genug auch zum Steuerbetrug – schuldig gemacht, ganz offen und unverschämt. Wie lange wollen wir diesen elenden Tanz um das goldene Kalb noch tolerieren? Wollen wir diesen Schandleck vor Gott nicht endlich loswerden? Denn ausser der Anlockung von Steuerlüchtlingen gibt es keinen anderen Grund für die Pauschalbesteuerung. Ob wir proitieren oder nicht, darf nicht das Kriterium sein. Denn wir proitieren ja nur auf Kosten der anderen Länder – ja, wir schaden ihnen sogar. Beten wir also dafür, dass die Schweiz hier Gerechtigkeit und nicht den Mammon wählt! 81 13. 14. Geld ohne Arbeit? Der Steuerwettbewerb im wirtschaftshistorischen Licht Conrad Krausche Als ich noch ein Kind war, erhielt ich nicht einfach so Taschengeld, sondern ich musste mir dieses erarbeiten. Auf diese Weise war mir schon früh klar, dass Geld aus Arbeit entsteht. Geld ist nicht einfach da, es muss geschafen werden. Eine simple Erklärung für Kinder? Die Frage stellt sich für uns alle : Was ist Geld überhaupt? Dass man darüber unterschiedlich gedacht hat, zeigt ein Blick auf die Geschichte. Für Furore hat in dieser Hinsicht das Buch von David Graeber, Debt : The irst 5000 years -77-, gesorgt, das ich wärmstens zur Lektüre empfehlen kann. Im Verlauf dieses Aufsatzes werde ich mich an vielen Stellen auf David Graebers Erkenntnisse und sein herausragendes wirtschaftshistorisches Werk beziehen. Was ist Geld? Was also ist nun Geld? Für viele Menschen ist es in erster Linie ein Zahlungsmittel. Wir brauchen Geld, um Waren zu kaufen. Wir leisten Arbeit, um besagtes Geld zu kriegen. Sprich, ein Kreislauf : Wir arbeiten, verdienen Geld und geben es aus, um das zu kaufen, was wir brauchen. Wenn wir diesen Gebrauch des Geldes anschauen, so stellen wir fest, dass das Geld in erster Linie einen Massstab darstellt und zwar den Massstab für ökonomischen Wert von Waren. Wie viel Arbeit ist ein Pack Spaghetti wert? Geld hilft uns, derartige Sachverhalte zu messen. Genauso gut könnten wir dazu Hühner, Messingknöpfe oder getrockneten Kuhmist verwenden. Schlussendlich ist es für diesen Zweck gleichgültig, was als Geld fungiert. Geld ist also eine Art Abstrahierung von Ware und Arbeit. Dahingehend macht es Sinn, eine Ware als Geld zu benutzen, die ansonsten keinen praktischen Nutzen erfüllt und lange haltbar ist. Dementsprechend verwundert es nicht, dass fast alle Völker, die Geld benutzten, dafür Edelmetalle verwendeten. -78Es läuft auf folgendes hinaus : Wir könnten eigentlich auf konkretes Geld verzichten und auf eine Messtabelle zurückgreifen. Dieses Verfahren wurde in unterschiedlichen Kulturen auch so angewandt, so zum Beispiel im europäischen Mittelalter oder im antiken Mesopotamien. Hier wurden Zahlungen und Schulden auf 77. Graeber, David (2011) : Debt : The first 5000 years ; Melville House. 78. Die Abstraktion der Ware und der Arbeit führte auch zur Abstraktion des Denkens und somit zum Beginn dessen, was wir heute «Philosophie» nennen. Warum tauchen zeitgleich mit der Erindung des Geldes auch Gedanken über die Substanz des Universums auf? Warum werden plötzlich althergebrachte Vorstellungen von Götern und deren Erschafung der Welt hinterfragt? Mit dem Aukommen des Geldes und seinen Begleitumständen (zentralisierte Staaten, ausgerichtet auf militärische Expansion mit Berufsheeren) entdeckte der Mensch auch die Wissenschat. Überall dort, wo Geld in den Umlauf kam, siegte der Logos über den Mythos : In China, in Indien und im Mitelmeergebiet. 83 Geld als Tauschmittel Teil III Grundsatzfrage Steuern Tontäfelchen notiert – Massstab war der Wert von Silber, obwohl niemand damit zahlte. Zwar wurden dort die Preise in Geld ausgedrückt (im europäischen Mittelalter in römischen Münzen), doch in Wirklichkeit wurden Gebrauchswaren mit äquivalentem ökonomischem Wert statt mit Geld getauscht. Dies ist aus praktischen Gründen aber nur dort möglich, wo das Warenangebot übersichtlich und klein genug ist. Eine weitere Möglichkeit ist es, dies mit Schuldscheinen zu tun. Nehmen wir eine iktive Gesellschaft, in der man für seine Arbeit statt Geld als Ware wie heute einen Schein in die Hand gedrückt bekommt, auf dem steht, wie viel Wert die geleistete Arbeit hat, sprich, wie viel einem der Arbeitgeber nun schuldet. Derartige Papiere kursieren nun als Zahlungsmittel, ähnlich wie heute Noten aus Papier. Stellen wir uns nun vor, dass wir diesen Wert elektronisch erfassen und ein Computer automatisch ausrechnet, wie viel von unserem «Arbeitswert» wir ausgeben, wenn wir etwas kaufen. Dann sind wir fast beim modernen bargeldlosen Zahlen. 84 Kapitalismus Warum erläutere ich diese Zusammenhänge? Um den Gegensatz dieser Sichtweise des Geldes zum kapitalistischen Denken über Geld darzustellen. In kapitalistischen Wirtschaftsformen wird Geld wie eine weitere Ware behandelt. Sprich, ich kann Geld kaufen und verkaufen. Geld kann an Wert gewinnen, genauso wie jede andere Ware (wobei Waren an Wert gewinnen, wenn sie mit Arbeit vermengt werden – sei es durch Transport oder weitere Verarbeitung). Dieses Denken betrifft die meisten Menschen im Alltag nicht direkt, doch indirekt ist es das Alpha und Omega des modernen Wirtschaftens. Wir müssen uns vor Augen halten, dass eine solche Denkweise für die meisten Menschen in den meisten Kulturen und Zeitaltern völlig absurd erscheint. Für viele Menschen war und ist Geld nichts Weiteres als ein Massstab für ökonomischen Wert (für Tauschwert, nicht Gebrauchswert – eine wichtige Unterscheidung ; siehe dazu die Ausführungen von Karl Marx in Das Kapital), wenn es denn überhaupt gebraucht wird. Schenkwirtschaft So gibt es auch so genannte «Schenkwirtschaften». In diesen wird nichts bezahlt, es käme niemandem in den Sinn, von jemandem etwas einzufordern, sondern man beschenkt sich gegenseitig. Dazu gehören aber einige Regeln, so müssen wohlhabendere Leute mehr schenken als arme. Unter anderem besteht in solchen Gesellschaften die Aufgabe des Häuptlings darin, möglichst viel zu schenken und damit alle zu überbieten. In diesen Gesellschaften ist eine äquivalente Bezahlung strikt verboten und wird nur bei Leuten aus anderen Stämmen durchgeführt. Innerhalb des Stammes wird eine konstante Situation der gegenseitigen «Schenkschuld» aufrecht erhalten. Dies, um das komplexe Netz aus (besondere hierarchischen) Beziehungen aufrecht zu erhalten. Jemand gleichwertig auszahlen bedeutet in diesen Kulturen nichts anderes als : «Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben, wir sind jetzt quitt.» Das kommt einer Erklärung der Feindschaft oder zumindest dem Aufkündigen der Freundschaft oder sonstigen Banden gleich. Schulden und Zinsen Zinsverbot und Schuldenerlass 14. Geld ohne Arbeit? Der Steuerwettbewerb im wirtschaftshistorischen Licht Ähnliches kannten auch die Israeliten des Alten Testaments. Es war es ihnen verboten, Zinsen von anderen Israeliten zu erheben. Vorgesehen war auch eine Annullierung aller Schulden im so genannten Sabbatjahr (jedes siebte Jahr) sowie die Rückerstattung jeglichen verkauften oder verpfändeten Landes und die Freilassung aller in Schuldknechtschaft und Sklaverei geratenen Israeliten im so genannten Jubeljahr (jedem fünfzigsten Jahr – sprich, das Jahr nach sieben Mal sieben Jahren) -79-. Dazu muss man wissen, dass es in der Antike gang und gäbe war, sich in Schuldknechtschaft zu geben – freiwillig oder gezwungenermassen. Dies führte im antiken Rom und in Griechenland mehrmals zu sozialen Unruhen, genauso in den mesopotamischen Stadtstaaten und im Laufe der Jahrhunderte zu zahllosen chinesischen Bauernaufständen. Unter anderem war diese Praxis und ihre negativen Auswüchse eine der Gründe für die Solonischen Reformen in Athen. Diese Reformen wurden von Solon von Athen im Jahre 594 v. Chr. durchgeführt (nach Plutarch, der einzigen Quelle zum Leben Solons). Athen befand sich damals in einer grossen sozialen Krise, da viele eigentlich freie Bauern sich in Schuldknechtschaft hatten begeben müssen (oftmals inklusive ihrer Familien). Er führte eine so genannte Seisachtheia durch (Lastenabschüttelung). Die Ländereien der Bauern wurden von allen Hypotheken befreit und der Wucher auf und die Pachtung von Land verboten. Die Schuldknechtschaft wurde ebenfalls verboten und Solon liess alle in die Sklaverei verkauften Athener zurückkaufen (auf Kosten des Staates). Von nun an durften nur noch Fremde als Sklaven verkauft werden. Unter anderem aufgrund dieser Reformen, die Athen womöglich vor einem Bürgerkrieg bewahrten, wurde Solon als einer der «sieben Weisen von Griechenland» bezeichnet. 79. Siehe im Alten Testament, 3. Mose (Leviticus) 25,1-31. 85 Was unterscheidet den Kapitalismus von anderen Formen des Wirtschaftens wie der obig beschriebenen Schenkwirtschaft? Inzwischen sind uns diese Denkweisen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir uns kaum etwas anderes vorstellen können. Der Knackpunkt beindet sich bei den Schulden und Zinsen. In vielen nicht-kapitalistischen Wirtschaftsformen gibt es ein Verbot von Zinsen oder, wenn sie erlaubt sind, Verfahren für die Schulden-Annullierung. Im Islam ist das Erheben von Zinsen gänzlich verboten, im chinesischen Mittelalter ging die Regierung mehrmals gegen buddhistische Klöster vor, welche diese von umliegenden Bauern erhoben. Im europäischen Mittelalter verbot die katholische Kirche lange das Zinswesen – es war nur den Juden erlaubt. In den mesopotamischen Kulturen der Antike gab es regelmässig Annullierungen von Schulden, beispielsweise beim Regierungsantritt eines neuen Königs. Teil III Grundsatzfrage Steuern Der Lohn der Gläubiger 86 Zurück zum Kapitalismus, der dadurch gekennzeichnet ist, dass in ihm Geld wie eine weitere Ware behandelt wird. Wenn ich Geld ausleihe, damit jemand eine Investition tätigen kann, erwarte ich, dass mir dieses Geld etwas einbringt. Deshalb erhebe ich Zinsen darauf, damit ich durch das Ausleihen auch verdiene. In Kulturen, die Zinsen nicht kannten, war der Ruf des Schuldners und Gläubigers zentral : Ich wette meinen Ruf, wenn ich dich um Geld bitte – sprich : Ich verspreche dir, das Geld zurückzuzahlen. Und du glaubst mir, weil ich einen guten Ruf habe. Vielleicht verspreche ich dir als Anreiz auch eine Gewinnbeteiligung. Das Schuldenverhältnis war also stark von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Das Erheben von Zinsen hingegen ist gewissermassen ein Zeichen des Misstrauens in einer Kultur, in der Ehre und Ruf nicht länger relevant sind. In der Antike war einer der Hauptgründe für die Einführung von Münzgeld (also Geld als Ware) die Notwendigkeit, Söldnerheere zu bezahlen. Dies war der Fall in der so genannten «Achsenzeit» -80- der Periode von ca. 500 v. Chr. bis ca. 500 n. Chr. (je nach Weltregion beginnt und endet diese Zeit aber unterschiedlich, in Indien beginnt sie bereits 800 v. Chr., in Europa endet sie dafür erst 500 n. Chr. mit dem Ende der Spätantike), die überall in der Alten Welt durch ähnliche Wirtschafts– und Regierungssysteme geprägt ist. Diese Zeit ist in vielen relevanten Punkten dem heutigen kapitalistischen Zeitalter sehr ähnlich (oder «Age of Capitalistic Empires», wie David Graeber es nennt). Fast die gleichen «unmoralischen» Gründe für die Einführung von Münzgeld standen am Beginn des kapitalistischen Zeitalters mit seinen Landknechten, Konquistadoren und anderen zwielichtigen Gestalten. Der Kapitalismus trat bezeichnenderweise zuerst in den italienischen Stadtstaaten auf (genau wie die Achsenzeit durch die Stadtstaaten Griechenlands nach Europa kam), die sich ständig mithilfe ihrer Söldnerheere gegenseitig bekriegten. Natürlich hat das Erheben von Zinsen auch Vorteile. Es ermöglicht Geschäfte zwischen Leuten, die sich nicht persönlich kennen. Dies führt dann zu einem gänzlich anderen Kreislauf als dem zu Beginn erwähnten : Ich investiere Geld, um die Produktionskosten zu decken. Dafür kriege ich mehr Geld, wenn ich die Ware verkauft habe und Gewinne erziele. Um derartige Projekte zu unterstützen entsteht ein vollkommen neuer Berufszweig : derjenige des Bankiers, des professionellen Geldleihers. Auch diese Entwicklung erscheint zuerst in Italien. Die ersten Kunden sind die italienischen Stadtstaaten, nicht Privatleute. Die Gewinne, die sich die Geldleiher versprechen, entstehen durch Eroberung und Plünderung sowie Handelsprivilegien, nicht durch das «friedliche» Aufbauen von Firmen und Einfahren von Gewinnen durch Verkauf. Diese Form der Investition kommt erst später auf. 80. Dieses Konzept stammt ursprünglich von Karl Jaspers aus seinem Buch Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, wird aber inzwischen auch von anderen angewandt, so auch von David Graeber – obwohl Graebers Konzeption sich von derjenigen Jaspers unterscheidet und auf wirtschatliche und politische Aspekte (nicht nur geistesgeschichtliche) ausgedehnt worden ist. 14. Geld ohne Arbeit? Der Steuerwettbewerb im wirtschaftshistorischen Licht Arbeitendes Geld Würde man zum Beispiel einen arabischen Händler des Mittelalters in unsere Zeit befördern und ihm erklären, wie die moderne Börse funktioniert, wie reiche Menschen heute zu ihrem Reichtum kommen, wie sie ihn erweitern und plegen und welchen sozialen Status sie heute geniessen, würde er wohl entsetzt zurückweichen und uns als völlig moralisch degenerierte Menschen betrachten. Er habe schliesslich seinen Reichtum durch harte Arbeit und geschickten Handel erworben, zu Recht sei er stolz darauf. Doch Geld allein durch «arbeitendes Geld» zu schaffen sei ja der Gipfel des Wahnsinns! Zinsen sollten verboten sein! Und dass wir derartige Menschen noch bewundern würden, das zeige nur, wie tief wir selbst gefallen seien! Ein schönes literarisches Beispiel für diese Art von Händler indet sich in den Geschichten über Sindbad den Seefahrer. Dabei ist es interessant zu beobachten, wie heroisch die Darstellung dieses Kaufmannes ist. Er begibt sich in Gefahr und erntet Ruhm und Reichtum. Reichtum als Tugend Vielleicht ist es notwendig, unseren Umgang mit Geld durch den Blick eines Menschen aus einer anderen Zeit und Kultur zu sehen, um zu erkennen, wie moralisch verwerlich wir denken und handeln, wie pervers unser Umgang mit Geld eigentlich geworden ist. Wenn Geld an sich für wertvoll gehalten wird und nicht als Ausdruck von Arbeit und als Mittel, um sich Waren zu kaufen, die man benötigt, dann ist es nicht verwunderlich, wie sehr wir den Reichtum bewundern und ihm nacheilen. Die reiche Person ist unser Held, unser Idol. Viele Menschen sehen das Reich-Sein an sich als grosse Leistung und wollen ebenso sein. Nicht länger ist bewundernswert, wer etwas leistet, sondern wer Reichtum besitzt. Steuerwettbewerb Marktliberale rufen nach dem Staat Der Steuerwettbewerb ist die logische Folge dieses Denkens. Reichtum an sich ist wertvoll. Man kann Geld aus Geld erschaffen. Also, locken wir reiche Personen an und proitieren von ihrem Reichtum durch erhöhte Steuereinnahmen. Zur Hölle mit allen anderen, wir wollen das Geld! Klar, es scheint, als würden wir durch die Senkung des Steuersatzes Geld verlieren, doch da deshalb die Reichen zu uns kommen, gewinnen wir unter dem Strich. 87 Das Konzept der Investition war allen Händlern in jedem Zeitalter wohlbekannt. Doch was im Kapitalismus neu dazu kommt, ist dies : Da Zinsen nicht länger mit moralischen oder sonstigen Verboten belegt sind, kann ich Geld machen, einfach indem ich Geld leihe und das geliehene Geld inklusive Zinsen zurück kriege. Dies bedingt natürlich, dass die Person, welcher ich das Geld geliehen habe, Gewinne erzielt. Zentral ist aber der völlig neue Gedanken, dass Geld aus sich selber Geld erschaffen kann und zwar ohne Arbeit! Das führt nun auch zur Haltung, dass Geld an und für sich wertvoll ist und nicht länger nur aufgrund seines Nutzens, weil man damit Waren kaufen kann. Teil III Grundsatzfrage Steuern Dies führt zu einer weiteren paradoxen Situation. Die Befürworter des Steuerwettbewerbs sind mehrheitlich klassische Marktliberale, die einen freien Markt ohne grosse Einmischung des Staates befürworten. Genau sie aber benutzen hier direkt die Mittel des Staates, um den Markt anzukurbeln. Ein viel genanntes Argument ist es, dass die Anwesenheit reicher Menschen und Firmen Arbeitsplätze schaffe – sowohl direkt durch deren Gründung von Firmen als auch durch ihren erhöhten und teureren Konsum (Trickle-Down-Effekt). Notabene gibt es für diesen vorausgesagten Effekt kaum Beweise, da reiche Menschen heutzutage fast nur noch im Finanzmarkt investieren, durch den kaum viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Um es mit den Worten des renommierten Ökonomen Paul Krugman zu sagen : «Wir warten auf diesen Trickle-down-Effekt nun seit 30 Jahren – vergeblich.» -81- 88 Markt oder Staat? Wenn wir die Theorie der klassischen Marktliberalen betrachten, inden wir einige Ungereimtheiten. So denken sie sich, dass Staat und Markt unvereinbare Gegensätze seien, die sich dazu noch unabhängig voneinander entwickelt haben. Natürlich ist für sie das Wirken der «unsichtbaren Hand» des Marktes positiv, während staatliche Eingriffe nur negativ sein können, da sie die Efizienz des Marktes stören. Die Sozialdemokraten vertreten auch keine viel überzeugendere Position, sondern versuchen, den Staat zu benutzen, um die vermeintlich schlimmen Exzesse des Marktes einzudämmen – sie rufen nach mehr Staat, wo die Marktliberalen nach weniger rufen. Beide Seiten tappen in die Falle, wenn sie Markt und Staat voneinander trennen und als Konkurrenten darstellen wollen. Fakt ist : Ohne Staat kein Markt, ohne Markt kein Staat. Dies ist eine historische Korrelation : Staaten in ihrer modernen Form traten zeitgleich mit der kapitalistischen Marktwirtschaft auf. Es ist auch aus der sozialhistorischen Entwicklung ersichtlich. Exkurs : Von monetären Pendelbewegungen Finsteres, armes Mittelalter? Die Menschen im Mittelalter – und damit meine ich nicht nur das europäische, sondern auch das arabische und asiatische – lebten unter ganz anderen Umständen als wir heute. Kleine Bauernkommunen sind überall auf dem Land verstreut, die Städte im Vergleich zur Antike geschrumpft, die meisten Menschen leben auf dem Land. Marktwirtschaft ist in diesem Umfeld eingeschränkt, da fast alle Selbstversorger sind. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass die Menschen weniger arbeiten : Um sich und die Familie zu versorgen, ist gar nicht so viel Arbeit nötig. Der neue Tenor ist materielle Bescheidenheit, zumindest wird dies von den Bauern verlangt. Trotzdem leben die meisten Menschen nicht schlecht – was viele überraschen mag, die dem falschen Bild des «insteren Mittelalters» anhängen. Zusätzlich zu den Arbeiten auf dem 81. «Die USA sind kein Vorbild», Interview mit Paul Krugman, Manager-Magazin, 26. Mai 2008. manager-magazin. de/unternehmen/artikel/0,2828,554651,00.html. Geld ohne Arbeit? Der Steuerwettbewerb im wirtschaftshistorischen Licht eigenen Hof müssen viele Bauern ihren Lehnsherren zu Diensten sein und deren Felder bestellen. Bemerkenswert ist die grosse Anzahl von Feier- und Fastentagen, an denen nicht gearbeitet werden darf. Den zeitgenössischen Beschreibungen können wir entnehmen, dass diese freien Tage üppig gefeiert werden. Aber auch bei Hochzeiten und ähnlichen Anlässen feiert man tüchtig und oftmals mehrere Tage lang. In den Städten besteht eine gewisse Form von Marktwirtschaft. Hier geben Handwerks- und Händlerzünfte den Tarif durch. Doch auch hier ist die Marktwirtschaft streng geregelt. Es gibt sogar Bestimmungen, wie viel produziert werden darf. Der Mensch soll arbeiten, um sich sein Brot zu verdienen, nicht um Gewinn abzuschöpfen. Er soll sein Leben geniessen und Freude an den Früchten seiner Arbeit haben. Er soll arbeiten, um zu leben, nicht umgekehrt. Die zeitgenössischen Quellen sind denn auch voll von Klerikern, die über das «zügellose und ausschweifende Treiben» der Bauern schimpfen – insteres, armes Mittelalter? Nirgends zu erblicken! Dies trifft vor allem auf das Hochmittelalter (ca. 1000 bis 1300 n. Chr.) und das 15. Jahrhundert zu. Im 15. Jahrhundert verarmte der Landadel, während die Bürger der Städte und die Bauern auf dem Land wohlhabend wurden. Um die ständischen Privilegien zu wahren, wurden unter anderem Gesetze erlassen, die es Nicht-Adeligen verboten, Kleider aus gewissen edlen Stoffen und Farben zu tragen, damit man sie von Adeligen unterscheiden konnte. Dies vor allem, weil die Nicht-Adeligen plötzlich so wohlhabend geworden waren, dass sie sich besagte Kleider leisten konnten! Neuzeit : Viel Geld für Kriege Was ändert sich also zu Beginn der Neuzeit? Wie bei so vielen Entwicklungen geht es auch hier um Wechselwirkungen. Zentralere Staaten entstehen aufgrund der Notwendigkeit eines grösseren militärischen Aufwands. Überall in Europa (mit Ausnahme des Heiligen Römischen Reiches) arbeiten Königshäuser Stück für Stück daran, den Adel zu entmachten. Das feudale Ritterheer ist Vergangenheit, aufgrund grösserer Kriege (Reconquista in Spanien, Hundertjähriger Krieg zwischen Frankreich und England, zahllose Kriege zwischen italienischen Stadtstaaten) sowie technischer Neuerungen (ein Ritterheer ist dadurch viel zu teuer und zu inefizient). Die Infanterie tritt ihren Siegeszug an, es kommen Feuerwaffen auf. Aufgrund der Seeblockade im Mittelmeer durch die Osmanen müssen neue Handelswege gefunden werden. Die neuen Heere und Handelslotten müssen ausgerüstet und bezahlt werden. Steuern werden erhoben und es wird verlangt, dass man diese in Geld bezahlt. Da liegt der Knackpunkt : Geld. Im Mittelalter benutzte es kaum jemand, doch jetzt will man Söldner bezahlen, Waffen einkaufen, Festungen und Flotten bauen. Staaten verschulden sich bei Banken und Privatpersonen, die ihre Schulden in Geld oder Wertpapieren zurückerhalten wollen – oder, wie im Fall der Familie Fugger aus Deutschland, in wirtschaftlichen Privilegien und Adelstiteln (eine Zeitlang waren die Fugger die reichste Familie Europas und verfügten über ein gewaltiges Wirtschaftsimperium, obwohl sie zuerst keine Adeligen waren). Der Zyklus ist ähnlich wie in der genannten «Achsenzeit». Da nun Geld zu zahlen ist, müssen auch die selbst versorgten Bauern neue Einkünfte inden. So entsteht unter anderem auch eine erste Proto-Industrialisierung. Zudem indet eine Abwanderung in die Städte statt, da weniger Arbeitskräfte auf dem Land nötig sind, technische Neuerungen sei 89 14. Teil III Grundsatzfrage Steuern Dank (oder, im Falle der enteigneten Bauern, auch nicht – so werden z. Bsp. die Schottischen Highlands stark entvölkert in den so genannten «Highland Clearances» im 18. und 19. Jahrhundert). Söldner, Entdecker und Grossschuldner 90 Um ihre Kriege (sowie weitere Ausgaben) zu inanzieren, verschulden sich viele Staaten bei Privatpersonen – so zum Beispiel Kaiser Karl der Fünfte bei der Familie Fugger, der mit dem geliehenen Geld die Stimmen der Kurfürsten für seine Kaiserkrönung kauft. Zusätzlich sucht man nach neuen Absatzmärkten aufgrund der osmanischen Seeblockade im Mittelmeer (die den Zugang zu Indien und China versperrt), woraus die Entdeckungsfahrten entstehen. So entsteht die paradoxe Situation, dass sich die Konquistadoren hoch verschulden, um ihre Expeditionen zu bezahlen. Gutes Beispiel ist Hernando Cortez. Total verschuldet begibt er sich auf seine mexikanische Expedition – und wälzt netterweise all seine Schulden auf seine Soldaten ab, welche darauf die eroberten Indianervölker zu schrecklichen Bedingungen in Silberminen arbeiten lassen, um diese Schulden zu bezahlen. Wie man sieht waren bereits die Anfänge unseres modernen kapitalistischen Wirtschaftssystems äusserst blutig. Verfolgt man die Spur weiter, muss man sich fragen, warum denn all das Silber überhaupt abgebaut worden ist – mehr Silber auf dem Markt (also mehr Münzgeld) führt doch zur Inlation! Aber nicht, wenn alles Silber vom Kaiserreich China aufgekauft wird. Es gab tatsächlich eine Inlation im Europa des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, doch, wie man heute weiss, nicht aufgrund der Flutung des europäischen Marktes mit Silber aus Amerika. China wechselte nämlich genau zur gleichen Zeit von Papiergeld (eigentlich Schuldscheinen) zurück zum Münzgeld und kaufte den Grossteil des Silbers auf. David Graeber bemerkt in seinem Buch richtigerweise, dass wir es hier stets mit globalen Pendelbewegungen zu tun haben. Die «Achsenzeit» brach weltweit fast gleichzeitig aus, ebenso das Mittelalter (teilweise versetzt um ein, zwei Jahrhunderte). Genau gleich sollte es mit dem kapitalistischen Zeitalter sein. Wer war zuerst : Staat oder Markt? Was war also zuerst? Das Huhn oder das Ei? Der Staat oder der Markt? Märkte entstehen im Zuge der Einführung von Steuern, die mit Geld bezahlt werden müssen. Ganz anschaulich wird dies in Kolonien, in denen die Kolonialherren Steuern einführten, um Märkte zu erzwingen. So führte die französische Kolonialmacht in Madagaskar, damals ein Land von Selbstversorgern, eine «erzieherische Steuer» ein. Man muss sich vor Augen halten, dass in einer mittelalterlichen Gesellschaft die meisten Menschen selbst versorgende Bauern sind, die kaum oder sogar nie Geld benutzen. Sie produzieren so viel, dass sie davon leben können, nicht für den Verkauf oder für die Erzielung von Gewinn. Wird nun von ihnen verlangt, dass sie Steuern in Form von Geld zahlen müssen, sind sie plötzlich in der Situation, dass sie einen Mehrbetrag erzielen müssen, den sie für Geld verkaufen können (um damit wieder ihre Steuern zu bezahlen). Dies führt zu einer grundlegenden Umwälzung der Gesellschaft – viele Bauern verarmen aufgrund der Steuerlast, verkaufen ihr Land (oder werden Pächter bei Grossbauern und Adeligen) und ziehen in die Städte. Die Städte wachsen ab der Geld ohne Arbeit? Der Steuerwettbewerb im wirtschaftshistorischen Licht Neuzeit (insbesondere ab der Industriellen Revolution), die ehemalige Bauernschaft wird zum Proletariat, das für Lohn arbeitet. Dort entstehen Arbeitsplätze aufgrund technischer Neuerungen wie der Manufaktur, in der zum ersten Mal eine fortgeschrittene Form der Arbeitsteilung angewandt wird. Die Manufaktur könnte man als Vorläuferin der Fabrik bezeichnen, doch beruhte sie grösstenteils immer noch auf Handarbeit. Selbst die auf dem Land verbliebenen Bauern müssen nun nebst ihrer Arbeit auf dem Hof weiteren Berufen nachgehen. So entsteht die Proto-Industrialisierung, viele Bauern arbeiten im Nebenerwerb z. Bsp. in der Textilindustrie und verkaufen ihre Waren. Die durchschnittliche Arbeitszeit steigt im Vergleich zum Mittelalter, weil ein Gewinn erzielt werden muss und Selbstversorgung nicht länger reicht. In der Schweiz (die lange eine mittelalterlich anmutende Agrargesellschaft blieb) war die Proto-Industrialisierung weit fortgeschritten, im Gegensatz zur eigentlichen Industrialisierung, die eher spät ihren Lauf nahm. Staaten, die Steuern im grossen Stil erheben können, entstehen ab der frühen Neuzeit (im Mittelalter gab es – mit Ausnahme der chinesischen, arabischen und byzantinischen Reiche – nichts, das heutigen Staaten glich) aufgrund von äusserem Druck (oft eine militärische Bedrohung), der Zentralisierung und das Erheben von Steuern notwendig macht. Dieser Prozess sollte noch bis weit ins 19. Jahrhundert andauern. Erst dann waren langsam aber sicher alle Menschen auf die neue Geldwirtschaft eingeschworen. Und selbst dann hielt sich in vielen Dörfern weiterhin hartnäckig so etwas wie eine Schuldwirtschaft, in der Menschen nicht mit Geld zahlen, sondern sich beieinander gegenseitig verschulden. Dies vor allem in abgelegenen Gegenden, kleinen ländlichen Kommunen, in denen sich alle kannten. Staat und Markt : Die profitable Symbiose Wenn dann einmal ein Staat etabliert ist, der alle in den Bann der Marktwirtschaft zwingt, und diese Marktwirtschaft wächst, dann wächst der Staat mit. Staatliche Aufträge werden an Firmen vergeben, Kriege werden geführt (für gewisse Firmen ein äusserst proitables Unterfangen), die Verwaltung bläht sich auf, Infrastruktur muss gebaut und inanziert werden (was Privatirmen meistens nicht selber können, weshalb der Staat beauftragt wird – wobei die Firmen natürlich davon proitieren). Die Staatsquote nimmt weltweit zu, nicht ab. Dies lässt sich sogar unter marktliberalen PolitikerInnen wie Ronald Reagan und Margaret Thatcher beobachten. Dass Staat und Privatwirtschaft so sehr aufeinander angewiesen sind und eine Art symbiotische Beziehung bilden, war natürlich nur so lange der Fall, als die Wirtschaft mehrheitlich aus dem produzierenden Sektor bestand. In den entwickelten Industrieländern verschwindet dieser mehr und mehr und wird in die Entwicklungsländer ausgelagert, weil dort Produktion und Arbeitskräfte billiger sind. Das ist übrigens von Anfang an ein Merkmal der kapitalistischen Marktwirtschaft, was sich nicht zuletzt am oben genannten Beispiel der versklavten Indianer zum Zweck der Edelmetallgewinnung zeigt. Heute entsteht der Grossteil des Proits in der Finanzwirtschaft. Dieser Trend hat in den 1970er-Jahren begonnen und hält bis heute an. Dafür braucht es natürlich weniger Infrastruktur als im produzierenden Sektor und Steuern sind da nur lästig. Also fährt man sie herunter, wo man nur kann, damit die Proite umso grösser ausfallen. 91 14. Teil III Grundsatzfrage Steuern Wer braucht schon öffentliche Ausbildungsstätten, Strassen, öffentlichen Verkehr, Sozialwerke, öffentliche Gesundheitssysteme? Wir sind reich, es lebe der Reichtum, nieder mit allen Hindernissen! Das Volk ist uns doch egal, sollen die doch auch am Finanzmarkt investieren, dann werden sie auch reich und können tun, was immer sie wollen! Hm... wirklich? Der Steuerwettbewerb : Eine Abwärtsspirale 92 Genau hier kommt das Märchen vom Steuerwettbewerb zum Zug. Wenn sich reiche Menschen und Firmen bei uns ansiedeln, weil sie durch günstige Steuern angelockt werden, dann proitieren wir durch höhere Einnahmen. Diese können wir natürlich dort investieren, wo wir wollen. Also eine Win-Win-Situation? Dummerweise beinden wir uns in einer Abwärtsspirale, wenn alle anderen dies ebenso tun. Verrückterweise können wir dieses Verhalten in unterschiedlichen Bereichen des modernen Kapitalismus beobachten. Was war denn der Run auf marode Wertpapiere, der zur Finanzkrise führte, anderes? Die Mentalität hinter dem Verhalten der Banken vor der Krise war nichts anderes als was die Schweizer Kantone in Bezug auf den Steuerwettbewerb tun. Wir stürzen uns auf die Quellen schnellen Reichtums und versuchen, uns diese gegenseitig wegzuschnappen. Wenn man sich zurückerinnert, wie insbesondere in den USA Kredite an völlig kreditunwürdige Personen vergeben wurden, nur um noch mehr Geld einzusacken, scheint die darauf folgende Krise nicht mehr so verwunderlich. Wohin könnte der Steuerwettbewerb führen? Nun, es gibt nur eine endliche Summe an reichen Menschen. Weiterhin haben nicht alle die Möglichkeit, sich auf gleiche Weise am Steuerwettbewerb zu beteiligen. Viele Kantone brauchen eine teure Infrastruktur, unter anderem die Städte und die Randregionen. Dies führt dazu, dass viele Kantone und Gemeinden sich in Armut begeben, nur auf die Hoffnung hin, dass sich Firmen und reiche Menschen ansiedeln. Es wird mehr und mehr eine klare Einteilung in Gewinner und Verlierer geben. Trotzdem machen alle weiter munter mit, weil sie hoffen, irgendwann doch zu den Gewinnern zu gehören. Dies entspricht dem «Amerikanischen Traum» : Jeder kann reich werden, wenn man nur genug leistet. Beides, der Amerikanische Traum sowie der Steuerwettbewerb, beruht natürlich auf Lügen. Im Zuge der Ansiedlung reicher Individuen und Firmen steigen auch die Bodenpreise und die Spekulation nimmt zu – Verlierer sind mehrheitlich die Einheimischen, die sich das Wohnen in diesen Gegenden nicht länger leisten können und wegziehen müssen. Und da sich viele Gebiete das Mitmischen nicht leisten können, sind es vor allem «Agglomerations-Kantone» wie Zug, die davon proitieren. Es gibt nicht nur Kantone, sondern auch einzelne Regionen, die davon proitieren, wie im Kanton Bern die Gemeinden im Saanenland. Wenn man schaut, wie es den anderen Gemeinden des Berner Oberlands geht, so sieht man, wohin der Steuerwettbewerb schlussendlich führt – zu einem völligen Ungleichgewicht zwischen Gemeinden und Kantonen. Viele ländliche Gemeinden im Kanton Bern können sich nur noch durch den kantonsinternen Finanzausgleich über Wasser halten, so schreiben viele oberländische Gemeinde seit Jahren tiefrote Zahlen und beziehen den Grossteil ihres Budgets aus dem Finanzausgleich, nicht den gemeinde-internen Steuern. Und weil alle dem vermeintlichen Goldesel am Schwanz ziehen wollen, rasen wir alle 14. Geld ohne Arbeit? Der Steuerwettbewerb im wirtschaftshistorischen Licht munter weiter in das, was für viele der inanzielle Abgrund sein wird. Denn selbst, wer nicht will, muss sich im Endeffekt an der Abwärtsspirale der Steuersenkungen beteiligen. Sobald in einem Kanton die Steuern gesenkt werden, wird im anderen gejammert, dass man dies nun eben auch tun solle. Der Druck, insbesondere seitens der rechten Parteien, nimmt zu, man gibt nach und das Volk stimmt sogar dann für Steuersenkungen, wenn dies aufgrund der örtlichen und zeitlichen Lage völlig unangebracht ist. Neue Tugenden : Arbeit und Solidarität Um eine detaillierte Aufzählung der wirtschaftlichen und inanziellen Folgen des Steuerwettbewerbs geht es mir weniger. Mir ist es wichtiger aufzuzeigen, woher diese absurde Idee überhaupt kommt. Und zu erläutern, wie wir dies irgendwann ändern können : Indem wir unsere Einstellung zu Geld und Reichtum überdenken. Diese Einstellungsänderung zu skizzieren ist mein Anliegen am Schluss dieses Aufsatzes. Würden wir uns nämlich darauf besinnen, was Geld einmal bedeutet hat, wäre es nie so weit gekommen. Auch würden wir sofort den Steuerwettbewerb stoppen. Ironischerweise behaupten genau die rechten Parteien, die den Steuerwettbewerb ankurbeln, sie würden diese alten Werte hochhalten. Es geht natürlich darum, dass Geld aus Arbeit entsteht, und dass wir unser Land vorwärts bringen können, indem wir uns leissig engagieren und uns dabei gemeinsam helfen. Wir sollten wieder Respekt vor arbeitenden Menschen entwickeln, gleichgültig, was sie tun, denn jede Form von Arbeit ist nötig – selbst diejenigen, die wir als minderwertig einschätzen. Dazu gehört auch die Solidarität mit jenen, die nicht so viel Glück im Leben haben. Diese Solidarität ist nicht zuletzt deswegen angesagt, weil wir alle proitieren, wenn alle wirtschaftlich eingebunden sind, zum Beispiel aufgrund niedrigerer Kriminalität (deren Hauptursachen weiterhin Armut und Nicht-Existenz von Perspektiven sind). Oder, ökonomisch ausgedrückt, weil wir damit kein Humankapital verschwenden. Diese Einstellungsänderung hätte mehrere Konsequenzen. Einerseits müssten Erbschaften wieder besteuert werden, denn Geld ohne Arbeit wäre moralisch anrüchig. Darum sollte es – zumindest teilweise – der Gemeinschaft gehören. Auch besteht kein Anrecht auf mehr Geld als nötig. Deswegen ist eine hohe Besteuerung der Reichen richtig und gut. Wir sollten auch wieder anerkennen, dass die Lohnschere zu weit auseinander gegangen ist. Niemand hat so viel besser und so viel mehr gearbeitet, dass derartige Lohnunterschiede gerechtfertigt wären. Aus diesem Grund sollten sie, wenn sie denn existieren, abgeschöpft und erneut der Gemeinschaft zugute kommen. Weiterhin würden wir uns daran erinnern, dass der Staat viel Arbeit leistet, von der wir proitieren. Oder, um es mit den Worten des Republikaners (!) Oliver Wendell Holmes auszudrücken : «Ich zahle gern meine Steuern. Mit ihnen kaufe ich mir Zivilisation.» Opfer Randregionen? Man könnte das Argument vorbringen, dass der Steuerwettbewerb der einzige Weg für die Randregionen sei, überhaupt zu Geld zu kommen. Falls man ihn abschafft, müssen Menschen von dort abwandern. Da stellt sich die Frage, ob es denn wirklich so schlimm ist, dass weniger Menschen in den Randregionen leben. 93 «Ich zahle meine Steuern gern...» Teil III Grundsatzfrage Steuern Abwanderung aus wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten geschah schon immer und wird es immer geben. Vielleicht gäbe es sogar Vorteile, wenn weniger Menschen in den Randregionen lebten, wie zum Beispiel eine intaktere Natur und damit Erholungsgebiete oder – aufgrund des verdichteten Wohnens – weniger Verkehr. Dazu muss man auch sagen, dass es selten Randregionen sind, die vom Steuerwettbewerb proitieren, sondern Kantone wie Schwyz oder Zug, die sicherlich keine Randregionen sind. Ein Negativsummenspiel 94 Wettbewerb kann sinnvoll sein. Er kann sinnvoll sein, wenn es sich um ein Positivsummenspiel handelt, so zum Beispiel bei Wissenschaft, Technologie und Kultur. Dies ist deshalb ein Positivsummenspiel, weil Wissen und andere «geistige Waren» sich (theoretisch) unendlich steigern lassen. Es gibt Bereiche, in denen Wettbewerb zu einem Nullsummenspiel führt, weil wir über endlich viele, aber erneuerbare Ressourcen verfügen (z. Bsp. bei Nahrungsmitteln). Und dann gibt es die Bereiche, die ein Negativsummenspiel zur Folge haben – dies insbesondere bei nicht oder kaum erneuerbaren Ressourcen wie Metallen oder Erdöl. Der Steuerwettbewerb führt dazu, dass es eine immer klarere Einteilung in Verlierer und Gewinner gibt. Unter dem Strich führt er an vielen Orten zu einem Abbau der Verwaltung öffentlicher Güter und Infrastruktur sowie lankierender Massnahmen wie Sozialstaat und Bildung. Dies verschärft die Problematik nur weiter, weil sich der Graben zwischen Arm und Reich noch stärker öffnet und wirtschaftliche Verdrängung stattindet. Proitieren tun nur die paar wenigen Orte, die tatsächlich erfolgreich reiche Leute und grosse Firmen anlocken können. Da dies viele nicht können, haben wir es hier tatsächlich mit einem Negativsummenspiel zu tun, denn, wie vorhin schon erwähnt, selbst die Regionen, in denen Steuersenkungen momentan gar keinen Sinn ergeben, werden dazu gezwungen, die Steuern zu senken. In diesen Regionen führt es zu einem zunehmenden Abbau auch der wirtschaftlichen Attraktivität, da die notwendige Infrastruktur nicht gebaut oder erhalten werden kann. Weiterhin führt es vielerorts zu einem Abbau des öffentlichen Bildungsangebots, was katastrophal ist, da die Schweiz, aufgrund Ermangelung natürlicher Ressourcen, nur Humankapital zur Verfügung stellen kann. Längerfristig führt dies dazu, dass wir immer mehr gut verdienende Fachkräfte aus dem Ausland anheuern müssen, während Teile der Bevölkerung mit Armutsrisiken konfrontiert sind. Arbeit, nicht Geld, schafft Wohlstand! Sollten wir uns dazu durchringen, unsere Einstellung zu Geld, Wirtschaft und Reichtum zu überdenken, könnten wir womöglich diese unschönen Tendenzen aufhalten. Wir würden wieder Respekt vor der Arbeit an sich inden, was wohl auch zu einer Aufwertung vieler als «minderwertig» betrachteten Arbeiten führen wird. Es ist meine Hoffnung, dass dieser Respekt auch auf Hausarbeit und Kindererziehung ausgedehnt wird. Diese Arbeiten stellen einen grossen Teil der geleisteten Wertschöpfung dar, obwohl sie nicht inanziell honoriert werden und immer noch zum grössten Teil von Frauen geleistet werden (besonders in der Schweiz). Unter diesem Aspekt müssen wir wohl auch das Bedingungslose Grundeinkommen diskutieren. Geld ohne Arbeit? Der Steuerwettbewerb im wirtschaftshistorischen Licht Dies wird aber nur geschehen, wenn wir unsere Einstellung in vieler Hinsicht ändern. Wenn wir uns nicht länger verführen lassen vom kurzfristigen Gewinn dank Steuersenkungen und dem leeren Versprechen höherer Steuereinnahmen durch den Zuzug reicher Individuen und Firmen. Wenn wir wieder anerkennen, dass wir ohne die Leistungen des Staates, für die wir unsere Steuern zahlen, keinen Wohlstand besässen und dieser auch in Zukunft nicht gesichert wäre. Wenn wir erneut feststellen, dass Arbeit Wohlstand schafft und erhält – nicht die Anwesenheit von Geld. 95 14. 15. Genf gefangen in Gier : Die Folgen des Steuerdumpings Markus Meury Die EU duldet das Steuerdumping der Kantone nicht mehr. Um nicht Zehntausende Arbeitsplätze zu verlieren, die dank individuellen Steuerabkommen mit internationalen Firmen geschafen wurden, muss der Kanton Genf nun die Unternehmenssteuern für alle Firmen senken und verliert Steuereinnahmen von jährlich fast 500 Millionen Franken. Dabei steht Genf exemplarisch für Aufstieg und Fall einer weit verbreiteten Steuerlogik in der Schweiz. In den letzten 20 Jahren hat der Kanton Genf wie auch andere Kantone versucht, die Sitze von internationalen Konzernen mit Steuervergünstigungen bis hin zur Steuerbefreiung anzulocken. Damit sollte die Wirtschaft angekurbelt und Arbeitsplätze geschaffen werden. In der Tat hat der Kanton wirtschaftlich insgesamt proitiert, und die Regierung rühmte sich des eingeleiteten Booms. So zeigt eine Studie des Instituts CREA, welche die Kantonsregierung stolz präsentiert hat -82-, dass die kantonalen 945 Steuerstatus, mit denen der ausländische Umsatz international tätiger Konzerne tiefer besteuert wird als der inländische Umsatz, in der Rhonestadt knapp 20 000 Vollzeitstellen, über 1 Milliarde Franken Steuereinnahmen und knapp 10% der kantonalen Wertschöpfung generiert haben. In den letzten Jahren zeigten sich aber auch die Kehrseiten dieser Politik : Oft brachten die Konzerne ihre Kader und zahlreiche weitere Mitarbeiter gleich selber mit. Darum stieg die Nachfrage nach Wohnraum viel schneller an, als gebaut werden konnte, und die Wohnungspreise explodierten. Innert 10 Jahren stiegen die publizierten Mieten der ausgeschriebenen Wohnungen um 70%. Tausende von Einheimischen inden keine bezahlbaren Wohnungen mehr und müssen ins grenznahe Frankreich auswandern. Die neu geschaffenen Arbeitsstellen trugen kaum zu einer Senkung der Arbeitslosigkeit bei, da die Konzerne gar nicht diejenigen Arbeitsplätze anboten, welche die Arbeitslosen brauchten. So wurde eine Wirtschaftsförderung an den realen Bedürfnissen vorbei betrieben. 82. Medienmiteilung des Genfer Regierungsrats, «Fiscalité cantonale des entreprises : un enjeu capital pour Genève». 11.10.2012. ge.ch/conseil_etat/2009-2013/communiques/20121011.asp 97 Licht-und Schattenseiten Teil III Grundsatzfrage Steuern Ethisch kaum vertretbar Neben dem zwiespältigen Erfolg dieses kantonal organisierten Steuerdumpings ist für uns Christen vor allem ein zweiter Punkt relevant : Ist diese Art Wirtschaftsförderung ethisch vertretbar? Denn insgesamt handelt es sich beim Steuerdumping nicht um die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern um eine Verschiebung : Der Herkunftsort des Konzerns (oder seines europäischen Sitzes) verliert ja gleichzeitig die entsprechenden Arbeitsplätze. Diese egoistische Haltung, sich gegenseitig die Firmen «abzujagen» ist nicht nur insgesamt ein Nullsummenspiel, es schadet sogar dem Gesamtinteresse, weil die Konzerne ja dorthin ziehen, wo der Steuerstatus am interessantesten ist. So gehen den Kantonen und Ländern immer mehr Steuereinnahmen verloren, die schlussendlich bei grundlegenden staatlichen Leistungen wie Bildung und Gesundheit eingespart werden. 98 Viele Regierungen und Bevölkerungen sind aber in diesem Konkurrenz- und Siegesdenken gefangen : Wenn Firmen zu uns ziehen, haben wir gewonnen und sind besser. Das verschafft uns eine Form von Selbstwert. Aber wir sind berufen, diese kriegerische Perspektive zu überwinden, weil sie ausblendet, dass die Interessen der anderen Völker vor Gott genauso zählen und darum unsere Solidarität gefragt ist. Auch im heiklen Bereich der Steuern sollen wir nämlich tun, was vor Gott richtig ist, und nicht nur «zuerst für uns schauen», wie gar Christen mancherorts verlangen. Immer mehr… Offenbar wirkt im Kanton Genf aufgrund der Wirtschaftskonkurrenz durch andere Standorte eine derart grosse Angst um das eigene Wohl, dass er sich verloren wähnt, wenn er nicht immer mehr Einnahmen generieren kann. Ich wurde schon gefragt, wie wir denn sonst die Wirtschaft fördern sollen, wenn nicht mit Dumping. Diese Leute merken nicht, dass diese Denkweise gar nicht aufgeht : Wenn wir tatsächlich verloren wären, wenn wir nicht immer mehr haben, was wäre denn erst recht mit den anderen Kantonen und Ländern, die ebendiese Konzerne verlieren? Stossen wir sie mit unserem Steuerdumping denn nicht in den Abgrund? Hier scheint eine wahnhafte Niedergangsangst mitzuspielen. Im gleichen Sinne rief der Zuger Wirtschaftsminister bereits vor 12 Jahren aus, der Kanton könne sich als Wirtschaftsstandort vergessen, wenn er seine Unternehmenssteuern nicht ein weiteres Mal senke… Andere Kantone wie Basel und Luzern haben aber gezeigt, dass man auch ohne Steuerdumping eine solide Entwicklung erleben kann. Die Angst ist also nicht gerechtfertigt. Dabei wäre es viel besser für alle, die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu fördern, die viel mehr Arbeitsplätze schaffen als die Grosskonzerne, und diese übertriebene Konkurrenz zu stoppen. 15. Genf gefangen in Gier : Die Folgen des Steuerdumpings Es kommt noch dicker Die Angst um das eigene Wohl hat zu einer Gier nach immer mehr Konzernen geführt. Ein Teil der Bevölkerung musste bereits den Preis dafür berappen, insbesondere in Form überteuerter Wohnungen. Nun kommt es aber noch dicker : Die EU duldet das schädliche Steuerdumping von Schweizer Kantonen nicht mehr und verlangt die Abschaffung solcher Steuergeschenke. So werden die Kantone also von aussen gezwungen, für alle Firmen gleiche Steuern einzuführen. Nun will der Kanton Genf, um die Abwanderung der Konzerne und die Vernichtung Zehntausender Arbeitsplätze zu vermeiden, die Unternehmenssteuern für alle so tief ansetzen, dass die Konzerne bleiben : und zwar auf die Hälfte des bisherigen Satzes! Somit plant der Kanton Genf jährliche Mindereinnahmen von fast 500 Millionen Franken. Diese Summe wird irgendwo eingespart werden müssen, im aktuellen politischen Klima wohl am ehesten bei Bildung und Gesundheit. Dies trifft also genau diejenigen Bevölkerungsteile, die bereits heute von den hohen Mieten betroffen sind. 99 So ist Genf in der eigenen Gier gefangen : Der Kanton hat die Konzerne mit Steuergeschenken geködert kann sich ihre Abwanderung nun nicht mehr leisten und ist gezwungen, der eigenen Bevölkerung zu schaden. «Das Dumping, das ich rief, werd‘ ich nicht mehr los…» Oder wie hiess es schon wieder bei Goethes Zauberlehrling? PS : Ein Grieche in der Schweiz Wie pervers die Entwicklung des Steuerdumpings auf internationaler Ebene sein kann, zeigt der Fall Coca Cola Hellenic : Drei Tage nach Bekanntgabe des 500 Milliarden Euro schweren Stabilitätsmechanismus der EU, der Krisenländer wie Griechenland vor der Pleite schützen soll, kündigte der weltweit zweitgrösste Abfüller von Coke seinen steuerbedingten Umzug nach Zug an. Zuvor hatte sich der Konzern über die zu hohen griechischen Unternehmenssteuern beklagt… Fazit : Die EU buttert Geld ins Finanzloch, die Schweiz spielt internationales Steuerschluploch. -83- 83. Alliance Sud : «Coca Cola Griechenland zügelt ins Steuerparadies Schweiz.» alliancesud.ch/de/ep/ steuerpolitik/coca-cola-griechenland, 25.10.2012. 16. Zwischenfazit – Steuerpolitik : trocken, aber entscheidend Dominic Roser Steuerpolitik ist eine trockene Angelegenheit. Und dazu eine komplexe Sache. Aus reinem Spass vertiefen wir uns kaum in dieses Thema. Andere wichtige Gerechtigkeitsfragen – wie Menschenhandel oder Kinderarbeit – sprechen uns leichter an und motivieren uns einfacher zum politischen Engagement. Steuerpolitik : Enorm gerechtigkeitswirksam In den Erzählungen der Bibel sehen wir immer wieder, wie Gott für die Menschen Gutes will. Und : Er will ein Leben in Frieden und Fülle nicht nur für ein paar Wenige, sondern für sein ganzes Volk. Niemand soll unterdrückt werden, niemand soll Hunger haben, niemand soll rechtlos sein. Wie Mose das Volk Israel aus der Sklaverei geführt hat, so kam auch Jesus, um die Menschen von Unterdrückung, Hunger, Ungerechtigkeit und Sünde zu befreien. Gerechtigkeit ist in der Bibel also ein zentraler Wert. Im kleinräumigen, bäuerlichen Zusammenleben zu Zeiten der Bibel war der Staat aber ein weniger wichtiges Instrument für die Gerechtigkeit als heute. Gerechtigkeit konnte damals teilweise auch auf direkteren Wegen erreicht werden als mittels eines steuerinanzierten Sozialstaats. Allerdings waren auch damals Steuern ein Instrument, um gemeinsame Aufgaben zu erledigen und die Sorge für die Mittellosen zu erfüllen. Die Menschen sollten bis zu drei Zehnten pro Jahr abliefern, von denen ein Teil auch den Armen zu Gute kam. Alle fünfzig Jahre sollte eine grosse Umverteilung des Landes an ihre ursprünglichen Besitzer erfolgen (Kap. 17). Steuern : Das Mittel für Gerechtigkeit In heutigen Gesellschaften sind progressive Steuern für die Finanzierung des Staats ein noch wichtigeres Mittel, um Gerechtigkeit zu bewirken. In unseren hoch technologisierten, global verbundenen, von komplexen Regeln gesteuerten Marktwirtschafen sind Steuern sogar das zentrale Instrument zur Schaffung von Gerechtigkeit. Ja, oftmals müssen Steuern sozusagen als «Gegenmedizin» die Schäden und Ungleichheiten ausgleichen, die von den entfesselten Marktkräften überhaupt erst geschaffen werden. Gleichzeitig sind progressive Steuern diejenige soziale Massnahme, die im Vergleich zu anderen Institutionen des Wohlfahrtsstaats besonders kompatibel mit dem freien Markt ist. 101 Aber wir sollten uns von dieser grauen Materie nicht abschrecken lassen. Steuerpolitik ist heute eines der entscheidendsten Themen! In der Steuerpolitik können kleine Änderungen riesige Gerechtigkeitsfortschritte bewirken. Bereits geringe Änderungen des Steuersatzes oder leichte Abschwächungen des Steuerwettbewerbs können für Menschen ein Entliehen aus der Armut oder eine Stärkung ihrer Lebenschancen bedeuten. Teil III Grundsatzfrage Steuern Steuern erlauben uns, Aufgaben unserer Gemeinschaft gemeinsam zu erledigen und einen Ausgleich zwischen Reich und Arm zu schaffen. Indem wir ein Ja zu Steuern haben, drücken wir aus, dass wir uns zu unserer Gemeinschaft zugehörig fühlen. Indem wir uns der üblichen, teils fanatischen Hetze gegen Steuern widersetzen, engagieren wir uns für die Menschen, denen in der Bibel besondere Aufmerksamkeit gilt : den Mittellosen. Schaffen wir also die Pauschalbesteuerung ab! Prangern wir Steuergeschenke zum Anködern von Unternehmen an! Bremsen wir den Steuerwettbewerb! Stopfen wir Steuerschluplöcher und heben wir den Bankgeheimnisschutz für steuerhinterzogenes Geld auf! Mit dem zwanghaften Kampf um niedrigere Steuern versklaven wir uns dem Mammon. Davon wollen wir uns freimachen lassen. 102 Zukunft : pro Erbschaftssteuer, kontra Steuerwettbewerb Neben den bereits erwähnten Themen tauchen für uns am Horizont zwei neue Einsatzgebiete im Kampf für gerechte Steuern auf : Erstens steht in der Schweiz die Abstimmung über eine eidgenössische Erbschaftssteuer bevor. ChristNet gehört zu den Trägerorganisationen dieser Initiative. Manch kantonale Erbschaftssteuer ist Opfer des Steuerwettbewerbs geworden. Mit der Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer könnte dieser Verlust behoben werden. Die Erbschaftssteuer ist eine der gerechtesten Steuern überhaupt : Sie gleicht die Startchancen der Menschen im Leben ein Stück weit aus, weil nur Vermögen besteuert werden, für welche die Eigentümer nichts geleistet haben. Dazu ist die Erbschaftssteuer der Initiative so ausgestaltet, dass dank einem Freibetrag von 2 Millionen Franken nur extrem hohe Erbschaften besteuert würden. Das zweite Thema am Horizont ist die Suche nach Instrumenten, um den Steuerwettbewerb nicht nur innerhalb der Schweiz, sondern auch zwischen den verschiedenen Ländern zu bremsen. Auf der globalen Ebene ist es noch wichtiger, den Steuerwettbewerb zu mildern. Den ökonomisch schwachen Staaten darf die Freiheit nicht geraubt werden, mittels Staatseinnahmen den Rechtsstaat, öffentliche Güter und die Unterstützung der Menschen am Rand der Gesellschaft zu inanzieren. Steueroasen entziehen ihrem Umfeld die Einnahmequellen. Bleiben wir an diesen Zielen dran. Steuerpolitik ist eine trockene Sache, aber die Nächstenliebe spornt uns an, ihr trotzdem unsere volle Aufmerksamkeit zu widmen. Teil IV Gott und die Schweiz 17. Das Jubeljahr in Bibel und Theologie Lukas Amstutz -84«Noch einmal von vorne anfangen können» – wer einschlägige Suchmaschinen im Internet mit diesen Worten fütert, merkt schnell : Diesen Wunsch teilen viele Menschen. Vor allem die ominöse Midlife-Krise weckt ofensichtlich vielfach den Wunsch nach einem umfassenden Neubeginn. Wer nun das Suchfeld noch mit dem Stichwort «Jesus» ergänzt, merkt ebenso rasch : «Noch einmal von vorne anfangen können» – dies scheint so etwas wie eine Zusammenfassung des Evangeliums zu sein. Wer sich die Suchresultate etwas genauer ansieht, wird feststellen, dass sich diese gute Nachricht vorwiegend auf eine spirituelle Dimension konzentriert : Es ist die Sündenvergebung Gottes durch Jesus Christus, die Menschen einen Neuanfang ermöglicht. Zumindest auf die Schnelle indet sich jedoch kein Link, der das Heil mit einem materiellen Neuanfang für in Schulden geratene Menschen in Verbindung bringt. Vor allem aus einer traditionell freikirchlich-evangelikalen Perspektive scheint klar : Gott ist für den geistlich-moralischen Neuanfang zuständig – bei einem inanziellen Bankrott braucht es einen Konkursverwalter. Diese Zweiteilung mag pragmatisch sinnvoll sein, biblisch ist sie jedoch nicht. -85Das Evangelium ist keineswegs apolitisch, noch spielen ökonomische Fragen darin keine Rolle. Gerade das Jubeljahr zeigt : Gottes gute Nachricht umfasst auch sozialwirtschaftliche Aspekte – nicht zuletzt in diesem Bereich sollen (theologisch begründete!) Neuanfänge möglich sein. Darauf weisen Vertreter der friedenskirchlich-täuferischen Tradition seit Jahrzehnten hin (z.B. Trocmé 1961 ; Sider 1978 ; Yoder 1981 ; Ott 2007). Dass diese sozialethischen Perspektiven der zuweilen argwöhnisch beachteten «Radikalen Evangelikalen» (vgl. Schnabel 1993 :28–82) nun auch in neueren Publikationen als inspirierend aufgegriffen werden (z.B. Faix 2012 ; Hardmeier 2009 :162–179 ; Tan 2011), stimmt mich hoffnungsvoll. Meine Ausführungen zum Thema «Das Jubeljahr in Bibel und Theologie» stehen denn auch in dieser Linie. Sie sind vom Glauben und der Hoffnung an die neuschaffende und gesellschaftsverändernde Kraft des Evangeliums getragen (vgl. Faix & Künkler 2012). Noch ein Hinweis zur Gliederung dieses Artikels : Nach einer kurzen Klärung der Begriflichkeit, skizziere ich die alttestamentlichen Bestimmungen zum Jubeljahr im Kontext der damaligen Sozialstruktur. Anschliessend wende ich mich Jesus und 84. Vortrag am ChristNetForum zum Thema «Ein Jubeljahr für die Schweiz?» vom 23. Juni 2012, EGW Bern. Für die vorliegende schritliche Fassung wurde das Manuskript leicht überarbeitet, der mündliche Vortragsstil wurde weitgehend beibehalten. 85. Diese falsche Dichotomie ist (war?) auch Teil der ökumenisch-evangelikalen Polarisierung in der Frage nach einem biblisch-theologisch angemessenen Missionsverständnis (vgl. dazu Ot 2001). 107 Einführung Teil IV Gott und die Schweiz seinem Verhältnis zum Jubeljahr zu. Von der Apostelgeschichte ausgehend, folgen schliesslich einige Beobachtungen zur christlichen Rezeption des Jubeljahres quer durch die Geschichte. Mit einigen Schlussbemerkungen soll dann die Brücke zur Gegenwart geschlagen werden. Zur Begrifflichkeit Auch wenn die alttestamentlichen Bestimmungen des «Jubeljahres» bei manchen tatsächlich überschwängliche Freude auslösen dürfte, lässt sich von der hebräischen Sprache keine direkte Verbindung zum deutschen Verb «jubeln» herstellen. Es handelt sich vielmehr um eine Ableitung des Wortes «Jobeljahr». Der hebräische Ausdruck jôbel bezieht sich dabei auf das Widderhorn, mit dem das Jobeljahr jeweils eröffnet wurde (Lev 25,9). Im Lateinischen hat sich schliesslich die Übersetzung iubilaeus durchgesetzt, wovon der deutsche Begriff «Jubeljahr» abgeleitet wurde. Martin Luther übersetzte Widderhorn mit «Posaune», leitete davon seinerseits den Begriff «Halljahr» ab und sprach vom «Frei- beziehungsweise Erlassjahr» (Kessler 2009b). 108 Welche Terminologie auch immer verwendet wird, letztlich handelt es sich – zumindest für die Armen in Israel – um gute Nachricht, weswegen ich im Folgenden gerne den Begriff «Jubeljahr» weiter verwende. Das Jubeljahr im Alten Testament Die zentralen Bestimmungen zum Jubeljahr inden sich in Leviticus 25 und gehören damit zum sogenannten Heiligkeitsgesetz (Lev. 17-26). -86- Bemerkenswert ist bei dieser Gesetzessammlung, dass in der vorliegenden Endgestalt der biblischen Texte, einst möglicherweise voneinander unabhängige kultische und soziale Gesetze nun ineinander verwoben sind und gerade so den einen Willen des einen Gottes ausdrücken. -87- Dabei ist zu bedenken, dass die geforderte Heiligkeit im Kontext der gnädigen Befreiungstat Gottes im Exodusgeschehen zu interpretieren ist. Der Alttestamentler Eckhart Otto sagt es so : «JHWH hat Israel geheiligt, indem er es aus Ägypten geführt hat […] Der Exodus wird als Heiligung Israels durch JHWH verstanden, die Israel in die Lage versetzte, die Gebote zu erfüllen und darin JHWH zu heiligen» (Otto 1994 :239). Anders gesagt : Das Einhalten der Weisungen Gottes soll für Israel eine Antwort auf Gottes vorausgehendes Handeln sein. Auf diesem Hintergrund kann es nun auch nicht erstaunen, dass die zentrale Bedeutung des Jubeljahres in Leviticus 25,10 mit den Worten «Befreiung» 86. Der Name leitet sich von der in Lev. 17-22 mehrfach vorkommenden Heiligkeitsformel ab : «Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Got, bin heilig.» 87. Ich gehe dabei von einem hermeneutisch-exegetischen Ansatz aus, der unter dem Stichwort «kanonische Schritauslegung» subsumiert werden kann (vgl. Oeming 2007 :75–82). Damit werden die Einsichten der bibelwissenschatlichen Forschung keinesfalls naiv ignoriert, aber im Gegensatz zu einer ausschliesslich historischkritischen Auslegung, die Spannungen und Widersprüche im Endtext durch hypothetische Rekonstruktionen von textlichen Vorstufen aufzulösen versucht, fragt eine kanonische Interpretation danach, wie die vom Verfasser des Endtextes ofensichtlich gewünschten oder zumindest akzeptierten Spannungen zu verstehen sind. 17. Das Jubeljahr in Bibel und Theologie oder «Freiheit» (hebräisch : derôr) wiedergegeben wird. Das Befreiungshandeln Gottes im Exodus wird damit zum Vorbild für die Sozialethik Israels. Salopp formuliert : Wie Gott mir, so ich dir. Dies gilt auch für die einschlägigen Jubeljahrbestimmungen. Bevor wir uns diese etwas genauer anschauen, widmen wir uns zunächst in aller Kürze der sozial-ökonomischen Struktur im alten Israel. Leben in Gemeinschaft Sowohl der moderne Individualismus, wie auch die heute gängige Kleinfamilie sind der alttestamentlichen Lebenswelt fremd. Der einzelne Mensch ist vielmehr in ein vielfältiges Beziehungsgelecht eingebunden, das weitgehend auf verwandtschaftlichen Beziehungen basiert. In der Literatur wird diesbezüglich von einer dreiteiligen Stammesstruktur gesprochen (vgl. Wright 1995 :197–198 ; Tan 2011 :50–51) : — Die zweitgrösste Einheit bildet die Sippe (hebr. : mishpahah). In Israel dürfte es rund 60 Sippen gegeben haben, die je eine durchschnittliche Grösse von etwa 10 000 erwachsenen Männern aufwies. — Die kleinste Einheit ist das «Vaterhaus» (hebr. : bethav), die von Soziologen auch als 3-G(enerationen) Familie bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um eine Grossfamilie (10-30, ev. gar 100 Erwachsene), die mehrere Generationen, Verwandte, Knechte, Mägde und gelegentlich auch Fremde umfasst. Als Produktionseinheit muss sich diese Grossfamilie wirtschaftlich selbstständig versorgen und benötigt daher genügend fruchtbares Land, das eine ausreichende Ernte ermöglicht. Zusammenfassend lässt sich festhalten : Diese verwandtschaftlichen Beziehungen und Strukturen sollen gemeinsam mit dem zugeteilten Land die nötigen Grundlagen schaffen, damit sich alle einen gewissen Wohlstand erwirtschaften können. Die (theologische) Bedeutung des Landes Seit dem göttlichen Ruf an Abraham in Genesis 12, gehört die Landverheissung zu den zentralen Elementen der biblischen Heilsgeschichte. Auch wenn in der Forschung die im Buch Josua geschilderte Landnahme in vielerlei Hinsicht umstritten ist -88-, kommt das biblische Zeugnis in der theologischen Relexion derselben zu einem eindeutigen Schluss : Das Land ist für Israel eine verheissene Gabe Gottes (Jos. 21,43-45). Das sollte Israel niemals vergessen! 88. Eine leicht verständliche Darstellung der heute in der altestamentlichen Wissenschat gängigen Erklärungsmodelle bietet Jericke (2008). 109 — Die grösste Einheit bildet dabei der Volksstamm (hebr. : shevet), der eine Grösse von einigen tausend Menschen aufweist. Die maximale Grösse wies möglicherweise Juda während der Monarchiezeit auf, mit einer Gesamtzahl von bis zu 100 000 Menschen. Teil IV Gott und die Schweiz Denn mit der Gabe ist auch eine Aufgabe verbunden : Im Land soll Israel das Leben nach den Weisungen Gottes gestalten und so ein Licht für die Völker sein (vgl. Dtn. 4,6-8 ; Jes. 42,5-7 ; 58,6-10). Das Leben im Land ist damit ganz eng an die Bundesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk gekoppelt (Wright 1995 :200). Es erstaunt daher auch nicht, dass bereits in der Landverteilung deutlich wird, welche Art von Gemeinschaft Gott gründen wollte. Kim Tan (2011 :52f.) fasst dies summarisch in den folgenden vier Prinzipien prägnant zusammen : — Solidarität : Josua ermahnte die Stämme östlich des Jordans zur Mithilfe bei der Landnahme jenseits des Jordans (Jos. 1,12-15) ; — Fairness : die Landverteilung basiert auf der Grösse der Stämme (Num. 33,54) ; 110 — Gnade : Auf jeder Seite des Jordans wurden je drei Freistädte (Asylstätten) für Menschen eingerichtet, die versehentlich einen Menschen getötet haben und denen dadurch Blutrache droht (Jos. 20) ; — Grosszügigkeit : die Leviten erhielten von jedem Stamm eine Anzahl von Städten und Weideland, verzichteten ihrerseits aber auf ein materielles Erbe (Num. 35,1-8). Mit diesen Prinzipien kann der Landverteilung durchaus ein sakramentaler Charakter zugesprochen werden : alle sollen an Gottes grosszügiger Gabe Anteil haben (Janzen 1982 :160). Soziales Leben im Land Trotz diesen idealen Startbedingungen geht die alttestamentliche Gesetzgebung davon aus, dass sich im Land aufgrund unterschiedlicher Faktoren erhebliche wirtschaftliche und soziale Spannungen ergeben haben. Dies wird jedoch nicht einfach hingenommen. Ganze Gesetzessammlungen widmen sich diesen Problemkreisen, die an dieser Stelle nicht näher erläutert werden können. Gewissermassen als cantus irmus ist jedoch durchgängig zu hören, dass Gott Eigentümer des Landes bleibt (Lev. 25,23 ; Ps. 24,1). Damit erhält die gesamte alttestamentliche Sozialordnung eine theologische Begründung. Weil das Land Gott gehört, dürfen weder Land noch Menschen endgültig verkauft werden. Und weil Gott als Eigentümer die sozialen Randgruppen in besonderer Weise am Herzen liegen, begrenzt er zum Beispiel die Rechte von Kreditgebern dahingehend, dass Schuldner nicht ausgebeutet werden dürfen (vgl. Ex. 22,24 ; Lev. 25,35-37 ; Dtn. 23,19). Weiter bleibt der Schutz und die Würde eines Schuldners dadurch gewahrt, dass weder lebensnotwendige Dinge gepfändet werden dürfen (Ex. 22,25f. ; Dtn. 24,6) noch eine eigenmächtige und wahllose Pfändung erfolgen darf (Dtn. 24,10f.). Zusammen mit einer Reihe weiterer Gesetze formulieren diese Texte aus unterschiedlichsten Perspektiven Antworten auf die Frage : Wie lebt ein Volk, dessen Identität von Gottes Heiligkeit geprägt ist? Wie bei einem Puzzle entsteht dadurch ein Bild einer lebensfördernden Gesellschaft, die sich durch Solidarität und Gemeinschaftstreue auszeichnet, die dem einzelnen Menschen das Gelingen in einer 17. Das Jubeljahr in Bibel und Theologie Gemeinschaft ermöglicht. Die soziale Verantwortung wird dadurch für Israel zu einer Aufgabe um seiner selbst willen. Denn werden die sozialen Randgruppen vernachlässigt, verliert Israel seine Identität als Bundesvolk. Der Umgang mit dem Land – und dazu gehört die Solidarität mit den sozial schwachen Menschen – ist daher so etwas wie das «geistliche Thermometer», das anzeigt, wie es um die Bundesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk steht (Wright 1983 :59). In diesem Sinne sind auch die Regelungen betreffs Jubeljahr zu interpretieren. Das Jubeljahr (Leviticus 25) Die umfassendsten Regelungen bezüglich Jubeljahr inden sich in Leviticus 25 und gehören in den Kontext der teils radikalen sozialwirtschaftlichen Gebote im Alten Testament. Dazu gehören : — das Sabbatgebot (Dtn. 15 ; Lev. 25), das alle sieben Jahre zu den folgenden Massnahmen aufruft : — Einen ganzjährigen Feiertag ausrufen (Lev. 25). Ein Jahr lang sollen alle, einschliesslich Diener, Angestellte, Tiere und das Land ruhen! Verbunden ist dies mit der Verheissung, dass die vorangehenden Ernten ausreichen, um die Bevölkerung zu ernähren. — Alle Schulden werden annulliert (Dtn. 15). Mit Hilfe dieser Regelung soll vermieden werden, dass einzelne Menschen in eine verhängnisvolle Schuldenspirale geraten, die zur totalen Verarmung führt. Und schliesslich sollen — Alle Sklaven entlassen werden (Dtn. 15). Dieses Verhalten ist letztlich eine direkte Antwort auf Israels eigene Befreiung aus der Sklaverei. Neben Abgabe- und Sabbatgebot ist nun — das Jubeljahr zu nennen. Die Anweisungen zu einer einjährigen Brache, dem Schuldenerlass -89- und der Sklavenbefreiung sind mit jenen aus dem Sabbatgebot identisch. -90- Daneben erwartete Gott von seinem Volk nun aber auch, dass alle fünfzig Jahre die in der Zwischenzeit erworbenen Häuser und Felder wieder ihren ursprünglichen Besitzern zurückgegeben werden. -91- 89. Ben Ollenburger (2001 :214f.) macht richtigerweise darauf aufmerksam, dass im Gegensatz zu Dtn. 15,1-5 der Schuldenerlass in Lev. 25 nicht erwähnt wird und daher möglicherweise nicht Teil der Jubeljahrregelung war. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass das Jubeljahr (50. Jahr) jeweils direkt auf einen Schuldenerlass im Sabbatjahr (49. Jahr) folgt. Zudem waren Schulden in einer agrarischen Gesellschat ot mit Naturalien und dem dazugehörigen Land verbunden, weswegen die im Jubeljahr erfolgte Landrückgabe faktisch ot auch einem Schuldenerlass gleichkam. 90. Diese Nähe erinnert daran, dass das Jubeljahr ganz grundsätzlich im Kontext des Sabbats zu verstehen ist (vgl. Janzen 1999). 91. Für Häuser in den Städten, levitische Städte und Fremde und Halbbürger gelten aus diversen Gründen Ausnahmeregelungen (vgl. Ollenburger 2001 :215f.). 111 — das Abgabegebot (Dtn. 14,28 ; 26,12), das vorschreibt, dass die Israeliten alle drei Jahre im jeweils nächsten Stadtzentrum den zehnten Teil ihrer Ernte zugunsten der armen Bevölkerung abgeben. Teil IV Gott und die Schweiz Dabei muss bedacht werden, dass Familien ihr Land in der Regel nicht freiwillig verkauft haben, sondern aufgrund von Schulden, die ganz unterschiedliche Ursachen haben konnten. In der Folge wurde der Besitz verkauft und anschliessend meist in den Städten nach (Sklaven)Arbeit gesucht. Da das Jubeljahr nur alle fünfzig Jahre praktiziert werden soll, ist es aufgrund einer Lebenserwartung von ca. 35 Jahren (Lang 2007) eher unwahrscheinlich, dass jemand, der sein Land verkaufen musste, auch wieder selbst dahin zurückkehren kann. Die Konsequenzen der Verschuldung werden daher nicht unmittelbar aufgehoben. -92- 112 Aber : das Jubeljahr will verhindern, dass Familien und Sippen unwiderrulich an den Folgen wirtschaftlicher Misserfolge ihrer Vorfahren zu leiden haben. Stattdessen sollen Familien alle fünfzig Jahre die Chance auf einen umfassenden Neubeginn erhalten. -93- Deshalb werden Familienbeziehungen und Landbesitz wiederhergestellt, um die neuerliche wirtschaftliche Selbstständigkeit zu ermöglichen. Diese regulierenden Massnahmen verhindern das wirtschaftliche Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich und wirken damit auch präventiv gegen politische und gesellschaftliche Unruhen. In seinem anregenden Buch Das Erlassjahr-Evangelium nennt Kim Tan (2011 :41–45) wiederum summarisch sechs grundlegende Prinzipien, die hinter dem Jubeljahr stehen. — Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit : Es ist letztlich Gott selbst, der nach einer Gesellschaft strebt, die sich ganzheitlich um Gerechtigkeit bemüht. In der Fürsorge für die sozialen Randgruppen soll sein Charakter und sein Wesen erkennbar werden. — Glaube und Vertrauen : Anstelle einer gnadenlosen Ertragsmaximierung, basiert das Jubeljahr auf dem Vertrauen in die anhaltende Fürsorge Gottes. — Freiheit : Nicht nur die Armen und Gefangenen sollen befreit werden, auch die Reichen sollen ihrerseits von Habsucht und Proitgier befreit werden. — Haushalterschaft : Israel ist «nur» mit der Verwaltung des Landes beauftragt. Gott bleibt der Eigentümer und fordert einen sorgfältigen und nachhaltigen Umgang mit den anvertrauten Ressourcen. — Familie : Das Jubeljahr hilft mit, die für die soziale Sicherheit überlebenswichtigen Familien-, Sippen- und Verwandtschaftsstrukturen zu erhalten. 92. Das Jubeljahr bietet daher kaum Anreize für risikoreiche ökonomische Experimente, noch werden Faulheit und Schmarotzertum per se belohnt. Trotzdem kann selbstredend nicht ausgeschlossen werden, dass in einzelnen Fällen das Jubeljahr – wie alle sozialen Einrichtungen und Bestimmungen – ausgenutzt und missbraucht wird. Dieses Risiko soll Israel aber um der Sache willen ofensichtlich in Kauf nehmen. 93. Diese Regelung wird auch beim Verkaufspreis des Landes berücksichtigt, der sich an der Dauer bis zum nächsten Jubeljahr orientierten soll (Lev 25,14-17). 17. Das Jubeljahr in Bibel und Theologie — Grosszügigkeit : Das Jubeljahr zielt nicht auf Almosen zugunsten der Armen, sondern sorgt sich systematisch um eine gerechte Gesellschaft. Grosszügigkeit muss daher als unverdiente und zurechtbringende Gnade verstanden werden, die Leben ermöglicht. Gute Idee – schlechte Praxis Die Forschung hegt insgesamt grosse Zweifel, ob das Jubeljahr in Israel je einmal konsequent praktiziert worden ist (vgl. Wright 1995 :206–208). Die Gründe dafür mögen vielschichtig sein, aber wahrscheinlich hat Stuart Murray schon recht, wenn er die fehlenden Jubeljahre mit den kernigen Worten begründet : «Es handelt sich um gute Nachricht für die Armen – und um schlechte Nachricht für die Reichen» (Murray 2000 :199). Einer der prominentesten Texte diesbezüglich dürfte Jesaja 61 sein. Wenn dort gleich zu Beginn von der Entlassung und der Befreiung der Gefangenen und Gefesselten die Rede ist, wird damit wörtlich die Sprache von Leviticus 25 aufgegriffen. -94- Und wenn Jesaja 60-62 vom Anbruch eines neuen Reiches spricht, das von einem grosszügigen Herrscher regiert wird, -95- lässt dies daher durchaus an das Jubeljahr denken. -96- Diese Verbindung wird nun auch an der Schwelle zum Neuen Testament bedeutsam. Denn nach dem Bericht des Evangelisten Lukas, liegen der Antrittspredigt von Jesus in Nazareth Verse aus Jesaja 61 (und 58,6) zugrunde. -97Jesus und das Jubeljahr Die wirtschaftlichen Verhältnisse zur Zeit Jesu unterscheiden sich grundlegend von jenen, die in Leviticus 25 vorausgesetzt werden. Unter der Herrschaft der Römer war die Mehrheit der Menschen längst ohne Grundbesitz, die Cäsaren trieben Steuern ein und niemand hatte die Amtsbefugnis ein Jubeljahr auszurufen. Trotzdem besteht unter den Theologen ein zunehmender Konsens, dass Jesus seine Antrittspredigt 94. Diese Verbindung wird besonders in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der sogenannten Septuaginta (LXX), deutlich, verwendet sie doch das griechische Wort «aphesis», um sowohl jôbel (Lev 25 und 27) als auch derôr (Lev 25) zu übersetzen. Zu den exegetischen Einzelheiten, vgl. Ollenburger (2001 :224–229). 95. Im Alten Orient war es durchaus üblich, dass Herrscher anlässlich ihrer Thronbesteigung umfassende Schulderlasse verfügten, um das soziale Gefüge im Land wieder herzustellen (Kessler 2009a). Handelt es sich in diesen Fällen um einen königlichen Gnadenakt, sind die altestamentlichen Jubeljahrbestimmungen dagegen fest im kultischen Kalender verankert und damit unabhängig vom Wohlwollen der herrschenden Elite. 96. Auch wenn Ollenburger (2001 :227) bezweifelt, dass Jes. 61 ursprünglich ein Jubeljahrtext darstellt, gesteht er doch zu, dass die Verbindung zum Jubeljahr exegetisch deutlich hergestellt werden kann. 97. Ob Jesus die Jesajastelle selbst gewählt hat oder ob sie ihm zur Lesung zugeteilt wurde (vgl. Bovon 1989 :211), spielt an dieser Stelle keine Rolle. 113 Es ist wohl in gewisser Weise auch bezeichnend, dass der Untergang Jerusalems nach Jeremia 34 ganz eng mit der Missachtung gegen die Sabbatjahrverordnungen zusammenhängt. Trotzdem wird in der prophetischen Literatur die Erinnerung an das Jubeljahr wach gehalten und nun zunehmend mit dem Anbruch einer neuen Heilszeit in Verbindung gebracht. Das Jubeljahr wird dabei immer stärker zu einem Handeln Gottes für sein Volk. Teil IV Gott und die Schweiz – und damit seinen ganzen Dienst – im Blick auf das Jubeljahr interpretierte. -98Dabei hatte Jesus nicht die buchstäbliche Umsetzung der Anweisungen aus Leviticus 25 vor Augen – aber sie stellen so etwas wie «Bilder der Verheissung» (Yoder 2011 :61) dar, die Jesus dazu dienten, seine Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes auch politisch und wirtschaftlich zu verankern. Der Bezug zum Jubeljahr spielt daher eine besondere Rolle, wie der renommierte mennonitische Theologe John Howard Yoder in seinem epochalen Werk Die Politik Jesu -99- dargelegt hat. Neben der bereits erwähnten Antrittspredigt illustriert er dies an weiteren Aussagen Jesu (Yoder 1981 :59–69). — Wenn sich die Jünger bei ihrem Engagement für das Reich Gottes Sorgen um Essen und Trinken machen (Lk 12,29-31), entspricht dies exakt der Sorgen jener, die mit Blick auf die Bracheregelung im Jubeljahr fragen, was sie denn essen sollen, wenn nicht gesät wird (Lev. 25,20). 114 — Die Gleichnisse Jesu, die sich mit den Fragen von Schuld und Befreiung beschäftigen (Matt. 18,23-35 ; Luk. 16,1-12). Ihre Botschaft : Nur wer Gnade praktiziert, erfährt Gnade. Die Erlösung Gottes wird zunichte, wenn die in materielle Schuld geratenen Geschwister nicht erlöst werden. — In diesem Sinn ist auch die Bitte um Vergebung im Vaterunser zu verstehen, wird doch auch hier exakt das gleiche Wort aus Leviticus 25 verwendet (aphiemi). Yoder (1981 :61) folgert daraus : «Im Vaterunser empiehlt uns Jesus also nicht einfach vage, denen zu vergeben, die uns geärgert oder Leid zugefügt haben, sondern er sagt uns einfach und klar, dass wir denen, die bei uns in der Kreide stehen, ihre Schuld erlassen sollen ; anders ausgedrückt : wir sollen das Jubeljahr praktizieren.» — Die Anweisung Jesu an seine (potentiellen) Nachfolger «Verkauft alles und gebt es den Armen» (Luk. 12,33 ; 18,22) entspricht den Anweisungen zur Neuverteilung gemäss dem Jubeljahr. Doch Jesus predigt nicht bloss im Sinne des Jubeljahres, er praktiziert es in gewisser Weise auch. Sein Jüngerkreis plegt offensichtlich eine gemeinsame Kasse (Luk. 8,2f.). In seinen Tischgemeinschaften erweist er sich als ein Freund der sozial Ausgestossenen (Luk. 7,34). Er richtet das gnadenlose religiöse System (Luk. 7,45-48), speist die Hungrigen (Luk. 9,10-17), macht Blinde sehend (Luk. 18,35-43), führt die Zerschlagenen in die Freiheit (Luk. 7,34-50 ; 8,26-39 ; 13,10-17 ; 17,11-19) und verkündigt den Armen gute Nachricht (Luk. 14,15-24 ; 15,1-32). 98. «Sollte [Jesus], wie manche Historiker vermuten, im Jahr 26 in Galiläa dem verarmten, verschuldeten und versklavten Landvolk ein Jubeljahr verkündet haben, dann muss dies im Zusammenhang seiner Reichsverkündigung als reales Vorzeichen des nahenden Reich Gotes verstanden werden. Auf jeden Fall aber wird klar, dass Gotes nahendes Reich in der Geschichte Jesu die konkrete Form der messianischen Erfüllung der Erlass- und Freijahrgesetze Israels annimmt» (Moltmann 1989 :141). 99. Christianity Today setzte dieses Buch auf Platz 5 der 100 wichtigsten theologischen Bücher des 20. Jahrhunderts. Die deutsche Übersetzung der umfangreich ergänzten zweiten Aulage erscheint im Herbst 2012 im Neufeld Verlag. 17. Das Jubeljahr in Bibel und Theologie Kurz : «Mit seinen Worten und Taten interpretierte Jesus die Bedeutung des Erlassjahres radikal neu. Statt eines Ereignisses, das alle 50 Jahre stattindet, sollte es jetzt eine tägliche Plicht im Leben der Jünger sein» (Tan 2011 :133). Und in der Tat gehört das Ringen um eine alternative Wirtschaftsform denn auch zu den bemerkenswerten Kennzeichen der Jerusalemer Gemeinde als direkte Folge des Pingstgeschehens. Das Jubeljahr im Leben der Kirche Die zuweilen als «Liebeskommunismus» -100- belächelte Gütergemeinschaft in Apostelgeschichte 4,32 war kein kommunistisches Ideal, wurde das Privateigentum gemäss den Überzeugungen des Jubeljahres ja gerade nicht abgeschafft. Worauf es ankam, war aber die radikale Bereitschaft zum Teilen. Dabei ist klar : die frühe Kirche praktizierte nicht eine wörtliche Umsetzung des Jubeljahres. Die Kirche wurde weit mehr vom Geist des Jubeljahres erfasst – ein Reich voller Hoffnung auf Gerechtigkeit und Solidarität. Und dies war offensichtlich keine Eintagsliege. Noch bis ins dritte Jahrhundert lehrt der Kirchenvater Irenäus : Deswegen hat der Herr […] stat des Zehnten die Verteilung der gesamten Habe unter die Armen geboten und befohlen, nicht nur den Nächsten, sondern auch die Feinde zu lieben, nicht nur gute Geber und Verteiler zu sein, sondern freiwillige Geber gegen die, welche uns das Unsrige nehmen (Irenäus, um 200 nach Christus, Gegen die Häresien IV, xiv. 3 ; zitiert in Tan 2011 :153). Auch Clemens von Alexandrien schreibt : Alle Dinge sind daher gemeinsames Eigentum, und die Reichen sollen für sich nicht mehr in Anspruch nehmen als die anderen […] Es ist aber verkehrt, wenn ein einzelner im Überluss lebt und viele in Not sind. Denn wie viel rühmlicher ist es, vielen wohlzutun, als prunkvoll zu wohnen! Und wie viel verständiger ist es, sein Vermögen auf Menschen als auf Edelsteine und Gold zu verwenden! (Clemens von Alexandrien, um 200 nach Christus, Paidagogos II, xii.20.6 ; zitiert in Tan 2011 :153). Und geradezu resigniert klingt es, wenn Kaiser Julian beim Versuch, das Christentum mit repressiven Massnahmen zu schwächen, konstatieren muss : «Diese elenden Galiläer speisen nicht nur ihre eigenen Armen, sondern auch unsere» (zitiert in Tan 2011 :146). 100. Zu diesem von Ernst Troeltsch eingeführten Begrif, vgl. Hengel (1973 :39–42). Zur Gütergemeinschat in Apg. 4,32-37 und ihrer Wirkungsgeschichte, siehe auch den informativen Exkurs von Rudolf Pesch (2005 :184–194). 115 Wenn Lukas in seinem Bericht festhält, dass dies dazu führte, dass keiner unter ihnen Mangel litt (Apg. 4,34), muss dies als Erfüllung der Sozialgesetzgebung aus Dtn. 15,4f. gelesen werden, wo es heisst, dass es in Israel keine Armen geben soll. Was in Israel schmerzlich vermisst wurde, praktiziert demnach die durch den Geist Gottes befähigte Gemeinde. Teil IV Gott und die Schweiz Eine Veränderung dieser Praxis bewirkte die sogenannte konstantinische Wende (4. Jahrhundert) mit ihrem folgenreichen Schulterschluss zwischen Kirche und Staat. Der Geist des Jubeljahres wurde dadurch zunehmend gedämpft. Anstelle der Sorge um den wirtschaftlichen Ausgleich propagierte die Kirche nun ein System mit einem erheblich geringeren Anspruch : der Zehnte als eine einkommensabhängige Kirchensteuer. Obwohl dafür durchaus biblische Belege angeführt werden können, deckt Stuart Murray die dahinterliegenden Überlegungen und damit verbundenen Fehlentwicklungen schonungslos auf (Murray 2000 :129f.) : — Das tatsächliche Vermögen eines Individuums spielt keine Rolle mehr. Reichtum muss längst nicht mehr geteilt werden, solange man (angeblich) innerlich nicht daran gebunden ist. 116 — Motivation für das Geben ist das eigene Seelenheil. Nicht die materiellen Bedürfnisse der Empfänger stehen im Vordergrund, sondern die himmlische Belohnung des Gebers. — Geben wird damit als lohnende Investition dargestellt. Die Logik lautet : Wer gibt, wird von Gott in Form von noch grösserem Wohlstand gesegnet. — Spenden werden zu Almosen, die keine systemische Gerechtigkeit herbeiführen. Das Geld wird für den Unterhalt des Kirchenvermögens, - personals und - verwaltungsapparates verwendet, statt Menschen in Not direkt zu helfen. Wie sich die Akzentsetzung des Jubeljahres in der Lehre der Kirche veränderte, zeigt die päpstliche Bulle Antiquorum habet ida relatio vom 22. Februar 1300. Das darin von Papst Bonifatius VIII. initiierte – und in der Folge bis in die Gegenwart praktizierte – Jubeljahr stellt nun hauptsächlich eine besondere Form des Sündenablasses dar (vgl. Wikipedia 2012). Quer durch die Jahrhunderte gab es jedoch immer wieder Bewegungen, die ihre Stimme für das alttestamentliche Jubeljahr erhoben. Exemplarisch sei hier lediglich auf die mir am besten bekannte täuferisch-mennonitische Tradition verwiesen. -101Als im 17. Jahrhundert den Täufern im Zuge der obrigkeitlichen Repressionen mitunter der ganze Besitz konisziert wurde, beklagt sich etwa der Pfarrer von Zoingen über den fehlenden Nutzen dieser Massnahme. Als Grund nennt er die weitreichende Solidarität der Täufer untereinander, die den mittellosen Geschwistern nicht bloss aus der Schweiz, sondern auch aus dem Elsass und den Niederlanden 101. Die Mennoniten haben ihre historischen Wurzeln in der Reformationszeit des 16. Jahrhunderts und gehören zu den Historischen Friedenskirchen. Zur Situierung in der freikirchlichen Landschat, vgl. Geldbach (2005 :198–211). 17. Das Jubeljahr in Bibel und Theologie sofort umfassende inanzielle Hilfe zukommen lässt. -102- Auch mit den sogenannten Armenkassen reagierten viele täuferische Gemeinden lange vor einem staatlichen Sozialfürsorgesystem auf inanzielle Schwierigkeiten innerhalb und teilweise auch ausserhalb der eigenen Gemeinde. -103Daneben könnten nun selbstredend eine ganze Reihe weiterer Beispiele genannt werden : Von den mönchischen Bettelorden über die verschiedenen Kommunitätsbewegungen bis hin zu den Initiativen wie Erlassjahr 2000, die Micha-Initiative beziehungsweise die StopArmut-Kampagne oder die Erbschaftssteuerinitiative -104- lassen sich in diesen Reigen einfügen. Damit komme ich zu einigen abschliessenden Bemerkungen. Der bereits mehrfach erwähnte Theologe John Howard Yoder schrieb einst mit Blick auf das Jubeljahr : «Eine solche Neuverteilung des Kapitals […] wäre auch heute nichts Utopisches» (Yoder 1981 :69). Daran hat sich meines Erachtens nichts geändert. Natürlich lässt sich das Jubeljahr nicht buchstäblich umsetzen, aber derart naiv sollten wir die Bibel auch gar nicht lesen. Wesentlich angemessener scheint mir, das Jubeljahr paradigmatisch zu verstehen -105- – als Teil eines alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsdenkens und -handelns. Oder wie es der Unternehmer Kim Tan (2011 :20) formuliert : «Es geht um Gottes Menschenfreundlichkeit, Gottes Gerechtigkeit und seine Vision einer gerechten Gesellschaft.» Die biblisch-theologische Beschäftigung mit dem Jubeljahr ist daher herausfordernd, denn sie reduziert Christsein nicht auf eine lediglich privat ausgeübte Frömmigkeit, sondern stellt kritische Anfragen an die Denk- und Lebensweise in der westlichen Konsumgesellschaft. -106- Sie regt aber offensichtlich auch zu neuen Wegen an, wie die oben genannten Initiativen und Projekte zeigen. Hier zeigt sich, wie alte biblische Texte eine neue Relevanz für unsere heutige Gesellschaft entfalten können. Lässt sich jedoch die biblische Sozialgesetzgebung erfolgreich in Politik und Wirtschaft transferieren oder bleiben Jubeljahr und ähnliche Einrichtungen nicht eher eine soziale Utopie? Diese Frage scheint mir berechtigt, auch wenn z.B. innovative Projekte mit Mikrokrediten zeigen, dass inanzielle und soziale Renditen sich nicht zwingend ausschliessen müssen (vgl. Grifiths & Tan 2012). Trotzdem muss die kritische Frage zur gesellschaftlichen Realisierbarkeit biblischer Prinzipien nicht zuletzt auch aus einer biblisch-theologischen Perspektive gestellt werden. 102. «So mag man mit der Coniscation [der Güter bei den Teüfern] so gar vil auch nit ußrichten, sitenmal Inen uf der stet die Collectae werden zugsandt, alß dan auch in theüwrer Zyt beschicht, alß uß dem Oberlandt, Emmenthal, Zürich und Schahusergebiet, uß dem Elsaß, und Niderlandt [=Regionen rheinabwärts!], ja von Amsterdamischen Kauherren selbs, wie dan ein gwüßer Kirchendiener sölches im grund erfahren.» Pfr. Adam Forrer von Zoingen (1629). Dieses Zitat verdanke ich meinem Kollegen am Theologischen Seminar Bienenberg (Liestal), Dr. Hanspeter Jecker, Dozent für Kirchengeschichte und Ethik. 103. Einen Einblick in dieses Sozialhilfesystem am Beispiel der Täufergemeinden im Jura gewährt der Beitrag von Pierre Zürcher (2010). 104. erlassjahr.de ; micha-initiative.de ; stoparmut2015.ch ; erbschaftssteuerreform.ch 105. Zum paradigmatischen Ansatz der altestamentlichen Ethik, vgl. Janzen (1994), Wright (1983). 106. Dass zuweilen die Gefahr relativ gross ist, dass die Konsumgesellschat ihrerseits das Christsein bestimmt, zeigt die lesenswerte Schrit von Thomas Weißenborn (2010). 117 Abschliessende Bemerkungen Teil IV Gott und die Schweiz 118 Ich habe in diesem Artikel zu zeigen versucht, dass die Reglungen zum Jubeljahr in den Kontext des Bundes zwischen Gott und seinem Volk gehören. Diese Bundesbeziehung spielt denn in der Umsetzung dieser radikalen Ideen eine eminent wichtige Rolle. Das Jubeljahr zu praktizieren, braucht Glaube und Vertrauen in die Fürsorge Gottes. Wer sich nicht auf diesen Gott verlassen kann oder will, fragt wohl mit Recht : Wie soll das gehen? Oder um es mit dem Credo von Media Markt zu sagen : Ich bin doch nicht blöd. -107- Es stellt sich daher meines Erachtens die Frage, inwiefern dieses biblische Paradigma von einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft erwartet werden kann. Oder müssten hier nicht gerade auch Kirchen und Gemeinden stärker im Sinne einer «Kontrastgesellschaft» -108- als Modelle dienen, um vor den Augen dieser Welt wirtschaftliche und gesellschaftliche Alternativen zu illustrieren? -109Oder erwarten kirchliche Kreise am Ende gar von den Reichen ihres Landes mehr, als sie selbst je zu praktizieren bereit wären? Abschliessend sei noch kurz auf eine letzte Herausforderung hingewiesen. Das Jubeljahr war einst eine Anweisung für das alttestamentliche Bundesvolk. Die Aufforderung zur wirtschaftlichen Solidarität bezog sich damit auf eine überschaubare Gruppe. Diese Lokalität wird im Neuen Testament bereits insofern gesprengt, dass der Leib Christi nun als eine transnationale und transkulturelle Grösse verstanden wird (vgl. Eph. 2,11-22). Daneben hat auch die wirtschaftliche Entwicklung dazu geführt, dass wir uns heute in einem globalen Dorf bewegen. Ob kirchlich oder wirtschaftlich begründet : die Menschheit ist heute quer durch die Kontinente miteinander verknüpft und wirtschaftlich vielfältig voneinander abhängig. Damit gewinnt das biblische Jubeljahr aber auch eine globale Dimension. Ohne die (drohende) Armut in den westlichen Ländern zu verharmlosen, zwingt uns diese Perspektive danach zu fragen, inwiefern «Jubeljahre» nicht nur der eigenen Volksgruppe zugutekommen, sondern einen Beitrag zur Bekämpfung der weltweiten Armut leisten können. Wie wir gesehen haben, geht es dabei nicht bloss um Spendengelder und Entwicklungshilfe, sondern um nachhaltige strukturelle Veränderungen, die Menschen ermöglicht, den Unterhalt für ihr Leben selbst zu erwirtschaften. Vielleicht ist dies zuweilen gesellschaftlich und wirtschaftlich weniger konsensfähig, da dies die Säulen unserer Wohlstandsystems einer radikalen Kritik unterzieht. -110- Aber das Jubeljahr fordert zumindest aus einer christlichen Perspektive heraus, weiterhin nach kreativen Wegen Ausschau zu halten, die der Forderung Gottes nachkommen : «Eigentlich sollte es bei [euch] gar keine Armen geben» (Dtn 15,4). 107. Kurz vor dem einsetzenden Weihnachtsverkauf hat der Konzern die rhetorische Frage zugunsten einer Art «Seligpreisung» ersetzt : «Den Unblöden gehört die Welt.» 108. Zu diesem Begrif und dessen Bedeutung für das Wesen der christlichen Gemeinde, vgl. Lohink (1982). 109. Zur Bedeutung der Kirche und ihrer Praxis als Modell für die Gesamtgesellschat, vgl. die Studie von John Howard Yoder (2011). 110. Eine pointierte Darstellung des westlichen Wohlstandsystems sowie eine vom Neuen Testament inspirierte Kritik, liefert Brian McLaren (2008 :150-176). 18. Genug ist genug! Gedanken zum christlichen Umgang mit Besitz Dominic Roser -111Viele Christen fragen sich, ob es besser ist, reich zu sein oder arm zu sein. Auf diese Frage gibt es eine Antwort, die uns einen klaren Orientierungspunkt in die Hand gibt : Wir sollen weder arm noch reich sein ; wir sollen genug haben. Der Grundsatz Dazu sagt Sprüche 30,7-9 : Das Motto des «Genug» kommt auch in der Geschichte über das Manna in der Wüste zum Ausdruck : Wenn die Israeliten mehr Manna als genug für einen Tag sammeln wollten, so verdarb das Überlüssige. Auch heisst es : Die Leute gingen und sammelten, die einen mehr, die andern weniger. Als sie es aber abmassen, haten die, die viel gesammelt haten, nicht zu viel, und die, die wenig gesammelt haten, nicht zu wenig. Jeder hate gerade so viel gesammelt, wie er brauchte. (2. Mose 16,17+18). Dieser Manna-Lebensstil spiegelt sich auch in der materiellen Bitte des Unservaters wider : «Unser tägliches Brot gib uns heute.» Genug zum Teilen Wieviel ist genug? Genug ist für alle Menschen ungefähr gleichviel, und zwar soviel, dass sie ein anständiges, rechtes Leben führen können. Wenn wir von der Idee des Genug überzeugt sind, bringt uns das sehr schnell zu einer zweiten wichtigen Idee : zur Idee des Teilens. Als Leitvers für diese simple Tatsache kann z.B. 2. Korinther 8,14 dienen : «Euer Überluss soll ihrem Mangel abhelfen.» Darin taucht zwar das Wort «genug» nicht auf, aber indem nicht von Armut/Reichtum, sondern von Mangel/ Überluss gesprochen wird, wird klar, dass hier eine Messlatte im Spiel ist. Diese Messlatte ist «Genug». 111. Dieser Text ist die gekürzte Form der Broschüre Genug. Gedanken zum christlichen Umgang mit Besitz (Dominic Roser, ChristNet, Genf, 2007). christnet.ch/de/content/genug 119 Mein Got, ich bite dich nur um zwei Dinge ; gib sie mir, solange ich lebe : Bewahre mich davor, zu lügen, und lass mich weder arm noch reich sein! Gib mir nur, was ich zum Leben brauche! Habe ich zu viel, so sage ich vielleicht : «Wozu brauche ich den Herrn?» Habe ich zu wenig, so fange ich vielleicht an zu stehlen und bringe deinen Namen in Verruf. Teil IV Gott und die Schweiz Teilen ist aus zwei völlig unabhängigen Gründen wunderbar. Erstens dient Teilen denjenigen, die mehr als genug haben. Wenn wir nämlich mehr als genug haben, so warnt uns die Bibel, dass wir unser Herz an den Wohlstand hängen werden. Geldliebe aber bringt Unfreiheit. Das Fazit ist : Wenn wir frei von Überluss sind, so haben wir mehr Kapazität, um Jesus nachzufolgen, uns auf das Glücklichsein zu konzentrieren und uns von Gott abhängig zu machen -112-. Seit einigen Jahren haben die Ökonomen endlich begonnen, empirisch und vorurteilslos zu untersuchen, ob Geld wirklich glücklich macht. Das klare Fazit ist : Wirtschaftswachstum, die Anhäufung von Geld, macht nicht glücklicher. -113Teilen ist aber auch aus einem zweiten Grund gut ; nicht nur, weil es dem Wohl derjenigen dient, die Besitz abgeben. Es dient natürlich auch denjenigen, die weniger als genug haben und somit zur empfangenden Seite gehören. (Nicht zuletzt verbindet das Teilen und der Ausgleich die zwei Gruppen.) Ein englischer Satz drückt die Aufforderung an diejenigen, die mehr als genug haben, schön aus : «Living simply so that others may simply live». («Einfach leben, damit andere zumindest leben können.») ug h en ab .. . W n G enu e h r a ls G en W o h l d e re r, g habe Zu ... M m die ... 120 Teilen e niger a ls Man kann fast nicht überbetonen, welches Gewicht die Bibel den Armen gibt. Es gleicht einem immer wiederkehrenden Refrain vom mosaischen Gesetz, über Hiob, Psalmen, Sprüche und die Propheten bis hin zu Jesus, der ersten Gemeinde, Paulus und den anderen Briefeschreibern : Gott hat ein Herz für die Armen, und auch wir sollen das haben. Jim Wallis hat einmal sämtliche Stellen über Armut aus einer Bibel herausgeschnitten ; die Bibel war danach durch und durch verlöchert. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Teilen wollen wir also aus zwei Gründen : sowohl weil es den Gebenden als auch weil es den Empfangenden gut tut. Der zweite Grund kann wiederum auf zwei verschiedenen Fundamenten stehen : Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Wenn wir aus Gerechtigkeit teilen, dann tun wir es, weil wir das Geteilte richtiggehend schulden. Zum Beispiel ist die Macht in den internationalen Wirtschaftsinstitutionen wie WTO 112. Zum Gedankengang dieses Abschnits : Mathäus 6,24 ; 1. Timotheus 6,6-10 ; Markus 10,21 ; Hebräer 13,5 113. vgl. Easterlin, R. (Hrsg.) : Happiness in Economics, Cheltenham 2002 18. Genug ist genug! Gedanken zum christlichen Umgang mit Besitz oder IWF auf unfaire Weise zu Gunsten der reichen Länder verteilt. Dadurch können diese Länder die Spielregeln so ausgestalten, dass sie ihnen am meisten Vorteile bringen. Wir können nun mit den südlichen Ländern teilen, um damit dieses Unrecht wieder gut zu machen. Beim Teilen aus Barmherzigkeit hingegen wird davon abgesehen, wer an der Armut schuld ist ; es mag der Reiche sein, der Arme selbst oder keiner von beiden. Beim Teilen aus Barmherzigkeit wird einfach festgestellt : Mein Nächster leidet Mangel, also teile ich. Beide Arten von Motiven sind wichtig, und beide sind in der Bibel vielfältig vorhanden. In konzentrierter Form zum Beispiel bei Zachäus, der sagte : «Herr, ich verspreche dir, ich werde die Hälfte meines Besitzes den Armen geben. Und wenn ich jemand zu viel abgenommen habe, will ich es ihm vierfach zurückgeben» (Lukas 19,8). Er gibt von seinem Vermögen weg, weil er einerseits ungerecht handelte, aber auch weil er die Mittel hat, um mit den Armen zu teilen. Wie können wir die Idee des Genug im Persönlichen und Politischen umsetzen? Im Persönlichen können wir beginnen, mit einem geschlossenen Genug-Kreis zu leben : -114- c ht u n ge n Offener Genug-Kreis Notwe nd ig Notwe nd ig che üns W Ver p li es che üns W es Ver p li c ht u n ge n Geschlossener Genug-Kreis Bei einem geschlossenen Genug-Kreis haben wir mit uns selbst und mit Gott abgemacht, wieviel für uns genug ist. Dadurch kann das Einkommen in zwei Töpfe aufgeteilt werden : in den Genug-Topf und in den Überluss-Topf. Wenn man mit einem offenen Genug-Kreis lebt, in dem nicht deiniert ist, wie viel genug ist, passen sich die Wünsche und Bedürfnisse elastisch dem wachsenden Einkommen an. 114. Dieses Konzept geht zurück auf Earl Pits und Craig Hill. Ihr Buch Mäuse, Moten und Mercedes ist bei Campus für Christus erhältlich (cfc.ch). 121 Umsetzung : persönlich und politisch Teil IV Gott und die Schweiz CUKUP – Genug zum Leben, genug zum Teilen Für die persönliche Umsetzung ist auch wichtig, dass wir uns zum Teilen mit allen Sinnen auf die Armen einlassen, durch Begegnung, Bibelstudium, Filme etc. Ein paar dieser Aspekte haben wir in einer Gruppe namens «cukup» aufgegriffen, die wir in Bern gegründet haben (cukup ist Indonesisch und bedeutet «genug»). Während des Zeitraums von einem Jahr versuchen wir als 8-köpige Gruppe bewusst nach dem Grundsatz des «Genug» zu leben und das Überlüssige wegzugeben. Miteinander ist das einfacher. Dazu treffen wir uns einmal pro Monat, um gemeinsam Znacht zu essen und auszutauschen. Besonders wichtig ist uns, dass wir uns in Stille, Singen und Input auf das Thema Armut und Wohlstand einlassen. Als Leitmotto haben wir Verse aus Jesaja 58,7+8 genommen : 122 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte. An unseren monatlichen Treffen haben wir auch schon das Jubeljahr und die Seligpreisungen angeschaut oder uns mit biblischen Finanzprinzipien beschäftigt. Höhepunkt war ein «Cukup-Beneiz-Fest», wo bei Essen, Boule, Flohmarkt und Tanzkurs eingenommenes Geld einem Slum-Projekt in den Philippinen zu Gute kam. Genug – die politische Umsetzung Genauso wichtig ist aber auch die politische Umsetzung. Leider hat der Bundesrat Wohlstandsmehrung in seiner Legislaturplanung als erstes Ziel genannt. Demgegenüber setzt die Idee des «Genug» die Bekämpfung von Armut, und insbesondere der absoluten Armut, an allererste Stelle und sieht eine weitere Wohlstandsmehrung für Menschen, die sowieso schon mit mehr als genug leben, eher als gefährlich und nicht als hilfreich an. Eine wichtige Art, wie wir Armut bekämpfen können, besteht darin, dass wir das Problem an der Wurzel packen und den südlichen Ländern bei der Bestimmung der Weltwirtschaftsordnung mehr Macht geben. Eine weitere politische Utopie, die mit der Idee des Genug in Verbindung gebracht werden kann, ist die Idee des Grundeinkommens -115-. Diese Idee, nämlich dass jeder unabhängig von der Lebensführung eine Grundausstattung an Ressourcen haben sollte, kann auch mit dem grossartigen Gebot des Jubeljahres aus 3. Mose 25 in Verbindung gebracht werden. 115. Siehe grundeinkommen.info oder bien-ch.ch 19. Der Löwe des Lichts : Eine Vision für die Schweiz? Zum Christustag 2010 brachte ChristNet eine Sonderausgabe des Büchleins Der Löwe des Lichts – Ein Wort für die Schweiz von Scot MacLeod heraus. Zusammen mit Campus für Christus wurden 7000 Exemplare auf Deutsch und Französisch verteilt. In einem ersten Teil drucken wir einen Auszug daraus ab, sowie die Einleitung von Hanspeter Nüesch. Am Schluss gehen wir kurz auf die theologische Kritik ein, die an diesem Text geübt wurde. Die SchweizerInnen – Missionare der Barmherzigkeit? Scot MacLeod -116Berufen, Barmherzigkeit zu lieben Einem anderen Barmherzigkeit zu erweisen, ist die tiefste und authentischste Art, die Liebe Gottes zu zeigen. Gott erwartet nicht nur von uns, Barmherzigkeit zu erweisen, sondern er beiehlt uns sogar, Barmherzigkeit zu lieben : «Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist. Und was fordert der Herr von dir? Gerecht handeln, Barmherzigkeit lieben und demütig sein vor deinem Gott.» (Micha 6,8) Mammon : die Liebe zu Dingen Der Gott Mammon muss in der Schweiz endlich konfrontiert werden. Das geschieht zunächst dort, wo die Gemeinde selbst aufhört, das Geld anzubeten und ihm zu dienen, und anfängt, in einem entgegengesetzten Geist zu wandeln. Die «Liebe zum Geld» ist rafiniert mit der Selbstsucht und dem Geiz verwoben, die in der verzerrten Theologie des Materialismus so weitverbreitet sind. Materialismus ist ein zerstörerischer Geist, der Dinge über Menschen stellt. Alle, die unter seine Macht und seinen Einluss geraten, werden kaltschnäuzig die Schwachen übergehen, sie bedrücken und über sie hinweg trampeln, nur um eine vorübergehende Befriedigung zu erreichen. Jesus : die Liebe zu Menschen Materialismus, oder die Liebe zum Geld, ist der zentrale Beweggrund und die Motivation für den grössten Teil unserer modernen Kultur – und leider auch eines grossen Anteils der christlichen Gemeinde. Der Tag kommt, an dem der Geist des Antichristen die Zuneigung der ganzen Welt gewinnen wird, weil er das kontrolliert, 116. Scot MacLeod (2010), Der Löwe des Lichts, Schleife Verlag, Winterthur, S. 36-37. Urheberrechte vorbehalten. schleife.ch 123 Die Gemeinde der Schweiz wird weltweit als eine Gemeinde der Barmherzigkeit bekannt sein. Teil IV Gott und die Schweiz was sie am meisten liebt – Geld. Das Evangelium Jesu Christi ist diesem verunreinigenden Geist genau entgegengesetzt... denn dort geht es allein um Menschen, nicht um Besitz. Die Botschaft und das Beispiel, die Jesus uns hinterlassen hat, drehen sich vollständig darum, zerbrochene Menschen wieder hochzuheben, und denen zu geben, die es uns nie zurückzahlen können... besonders den Armen, Verstossenen und Schwachen. Jesus hat die verachteten Aussätzigen seiner Tage persönlich berührt ; und nun beiehlt er uns, hinzugehen und genau das gleiche zu tun. «Wer sagt, dass er in ihm bleibt, der soll auch leben, wie er gelebt hat.» (1. Johannes 2,6) Wenn wir die Botschaft predigen, dann müssen wir auch danach leben! Barmherzigkeit oder Geld? Das echte Evangelium dreht sich um Seelen... nicht Zahlen! Der Geist der Barmherzigkeit ist dem Geist des Geldes genau entgegengesetzt. Heute stehen viele Menschen, auch in der Gemeinde, an einem kritischen Scheidepunkt. Sie müssen sich entscheiden : 124 Wollen sie dem Gott der Barmherzigkeit dienen oder dem Gott des Geldes? Wir müssen uns entscheiden! Jesus legt uns die Entscheidung noch einmal ganz klar vor : «Niemand kann zwei Herren dienen : entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.» (Matthäus 6,24) Gottes Turbo : Missionare der Barmherzigkeit Hanspeter Nüesch -117Gottes Bestimmung für die Schweiz Ich wurde gebeten, zur vorliegenden Christustag-Sonderausgabe des Büchleins Löwe des Lichts ein einleitendes Wort zu schreiben. Ich mache das gerne, insbesondere nachdem ich den Autor als integren Christen persönlich kennen lernen konnte. Ende der Siebziger Jahre – wir nahmen gerade die «Aktion Neues» Leben in Angriff, die in den folgenden zehn Jahren in grossen Teilen der Schweiz durchgeführt werden sollte – empfanden wir Gottes starkes Reden, dass ebenso wichtig wie die Evangelisierung unseres eigenen Landes das Teilen unserer Schweizer Gaben mit der Welt ist. Vor unserem geistigen Auge sahen wir, wie Ströme von Gottes Liebe in Form von Menschen, Know-how, Gebet und Finanzen von der Schweiz aus in alle vier Himmelsrichtungen in die Welt hinaus liessen und überall, wo sie hingelangen, Leben bringen. Personen ausserhalb unseres Landes bestätigten diesen Eindruck in der Folge. Wir gewannen die Überzeugung, dass eine Erneuerung unseres Landes eng damit 117. a.a.O., S. 6-10. Autorenrechte vorbehalten. Der Löwe des Lichts: Eine Vision für die Schweiz? verknüpft ist, dass die Schweiz, und insbesondere die Schweizer Kirche, ihre reichen, von Gott erhaltenen Gaben mit der Welt teilt. Jemand drückte es so aus : «Reaching Switzerland by reaching the world» («Die Schweiz erreichen, indem wir die Welt erreichen»). Ja noch mehr : Wir empfanden, dass es für uns Schweizer mindestens so wichtig ist, zu geben, wie für die ärmeren Länder zu empfangen. In die Tat umgesetzte Barmherzigkeit und Grosszügigkeit würde uns vom Fluch des Götzen Mammon befreien, sodass wir als Schweizer in unsere gottgegebene Bestimmung hineingelangen könnten. Echte Freunde, glaubwürdige Christen In den folgenden Jahren habe ich auf meinen Projektreisen im Ausland gesehen, wie viel bleibender Segen durch einen relativ kleinen Schweizer Beitrag ausgelöst werden kann. Immer wieder erlebte ich, dass uns Schweizern im Ausland wegen unserer politischen Neutralität und unserem Qualitätsbewusstsein viel Goodwill entgegengebracht wird, gerade auch in ehemals kommunistischen Ländern und im Nahen Osten. Ich spürte etwas von Gottes grosser Liebe für die Menschen, in Russland, Nepal, Ruanda, Kuba, China und Nordkorea. Ja, Nordkorea. Nachdem wir die Bibel, eine Kuhglocke mit Schweizer Kreuz und ein auf Christus hinweisendes prophetisches Wort an die Verantwortlichen weitergeben hatten, gab ein Vertreter der Regierung in seiner Ansprache seine Dankbarkeit zum Ausdruck, dass wir Schweizer ihnen als erstes Land in ihrer Not beigestanden hätten. Die Schweizer hätten sich als echte Freunde und glaubwürdige Christen erwiesen. Echte Freunde, glaubwürdige Christen – ich denke, darum geht es. Das muss immer neu bei uns zu Hause beginnen. Die Vision hinter dem Christustag ist ein schweizweites Netz von offenen Häusern, in denen unsere Mitmenschen echte Freundschaft und Zuneigung erleben. «Häuser der Hoffnung – Orte der Freundschaft» sollen Gottes Liebe erfahrbar machen und Menschen auf den Einzigen hinweisen, der nachhaltig helfen kann : Jesus Christus. Ich stimme mit dem Autor des vorliegenden Büchleins überein, dass wir Schweizer uns zu diesem Zweck der Knechtschaft des Geldes entledigen müssen. Wir tun dies am besten, indem wir gegenteilig handeln und unseren Reichtum mit den Bedürftigen teilen, den Nahen und den Fernen. So werden wir aus Knechten des Mammon Missionare der Barmherzigkeit. Aus Söldnern und Hehlern (Stichwort Bankgeheimnis) werden Friedensstifter und Brückenbauer. Wir Schweizer haben die Gabe des Verwaltens von uns anvertrauten Gütern. Nutzen wir diese Gabe, um Schätze im Himmel anzuhäufen! Wenn wir nur erkennen könnten, welch grosser Segen durch einen einzigen Fünliber in der Welt ausgelöst werden kann! Ein kubanischer Evangelist und Gemeindegründer verdient durchschnittlich fünf Fünliber im Monat, ein nepalesischer 15 Fünliber, ein russischer 25 Fünliber. Als Gottes Verwalter zum Segen für die Welt Auf dem Rand unseres Fünlibers ist ein starkes christliches Bekenntnis eingeprägt : «Dominus providebit» («Der Herr wird versorgen»). Gott ist der Eigentümer des Besitzes, wir sind nur dessen Verwalter. Wir verwalten die uns anvertrauten Güter nur dann gut, wenn wir uns immer neu bewusst werden, dass letztlich Gott unser Versorger ist. Aber wir haben die Aufgabe, als Haushalter der Gaben Gottes diese zum Wohl der Menschen einzusetzen. 125 19. Teil IV Gott und die Schweiz Wir Schweizer haben besonders viel anvertraut bekommen. Das bedeutet Verantwortung, aber auch die Chance, ein grosser Segen für die Welt zu sein. Es ist aber nicht damit getan, dass wir nur etwas von uns mit den Bedürftigen dieser Welt teilen. Es geht darum, dass wir unser ganzes Leben mit ihnen teilen : «… so hatten wir Herzenslust an euch und waren bereit, euch nicht allein am Evangelium Gottes teil zu geben, sondern auch an unserem Leben ; denn wir hatten euch lieb gewonnen.» (1. Thess. 2,8) Die meisten von uns werden diesen Auftrag in der Schweiz leben. Mehr und mehr von uns werden aber als Botschafter von Gottes Barmherzigkeit in die Welt hinaus gesandt werden, um den Menschen dort in Tat und Wort Gottes Liebe zu bezeugen. 126 Der Gründer des Roten Kreuzes, der Genfer Henry Dunant, dessen Todestag sich 2010 zum 100. Mal jährt, hat als Banker den Fluch des Mammon erlebt : Seine Grossinvestition in ein Kornmühlenprojekt in Algerien ging verloren und mit ihr sein Hab und Gut. Er hat aber auch erlebt, was für ein Segen es bringt, wenn wir zuerst an andere denken und ihnen gegenüber Gottes Mitgefühl zeigen und leben. Das Rote Kreuz ist zu einem weltweiten Synonym für gelebte Barmherzigkeit geworden. Kürzlich hat das kommunistische Nordkorea Henry Dunant mit einer Sondermarke geehrt. Dabei ging es Henry Dunant in seinen eigenen Worten nur darum, «ein Jünger Jesu wie im ersten Jahrhundert zu sein und sonst nichts». Aus der Jesusbegegnung Barmherzigkeit leben Ich glaube zutiefst, dass von der Schweiz aus bald Erweckungsströme in alle Teile der Welt hinausliessen werden. Im zunehmenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Chaos werden wir gleichzeitig eine wachsende geistliche Ernte einbringen helfen. Je dunkler es in der Welt wird, desto heller wird das Licht Christi scheinen. Verstecken wir dieses Licht nicht! Legen wir den Turbo ein ; und zwar nicht, indem wir noch mehr als schon bisher in rein menschlicher Kraft rotieren, sondern indem wir täglich die Begegnung mit Jesus Christus und seinem Wort suchen. Täglich, mit weniger geht es nicht. «Kneel to God : Stand up to Life» («Knie nieder vor Gott ; erhebe dich zum Leben»), so lautet ein bekannter Buchtitel von Don Summers. In der Begegnung mit Christus werden wir immer neu vom Heiligen Geist zum Dienst ausgerüstet werden. Unser göttlicher Auftraggeber wird uns leiten und uns zeigen, wie wir wann welchen Menschen Gottes Liebe zeigen können. Dieses Büchlein ist eine grosse Ermutigung, um angetan mit der göttlichen Waffenrüstung Botschafter der Liebe und Barmherzigkeit zu sein. Ich habe diese prophetischen Worte von Scott MacLeod mehrmals gelesen und wurde dabei immer neu ermutigt, im geistlichen Kampf um wertvolle Menschenleben nicht nachzulassen, sondern mit Gottes Hilfe neu den Turbo einzulegen. Wenn Sie durch die Lektüre dieses Büchleins gesegnet wurden, dann geben Sie es an andere weiter, sodass bald eine wachsende Bewegung von Missionaren der Barmherzigkeit einen heilenden Gegentrend in vielen Teilen der Welt setzt. Das wird nicht zuletzt auch zum Segen für unser Land werden und uns von der Knechtschaft der Gier und des Materialismus’ befreien. Abschliessend ein weiteres Wort von Henry Dunant, den die Schweizer Familie kürzlich als «grössten Schweizer» bezeichnet hat : «Wacht aus Eurer Trägheit auf, aus Eurer schuldhaften Gleichgültigkeit, aus Euren nichtigen, provinziellen Streitereien, die häuig absolut spitzindig sind. Es gibt erhebende Stunden auf dem Zifferblatt der Geschichte. Verpasst nicht die Gunst des Augenblicks und dieses günstige Jahr! Denkt daran! Die Utopie von heute wird häuig morgen zur Realität!» 19. Der Löwe des Lichts: Eine Vision für die Schweiz? Theologische Kritik am Löwen des Lichts Samuel Ninck-Lehmann In der Folge haben sich verschiedene evangelische Theologen kritisch zum Löwen des Lichts geäussert. Besonders deutlich wurde dazu der freikirchliche Theologe Robin Reeve mit seinem Blog-Eintrag «Für einen christlichen Anarchismus?» -118- Darauf reagierte ChristNet im März 2011 wie folgt : -119Eine gerechtfertigte Kritik Robin Reeve greift in seinem Artikel aktuelle Tendenzen im freikirchlichen Umfeld auf, die er heftig kritisiert : christlicher Nationalismus, das Sehnen nach einer christlichen Theokratie und das Machtstreben gewisser Christen. Wir sind mit dem Autor einverstanden, dass diese Entwicklungen heikel sind, diskutiert und auch kritisiert werden müssen. Dies hat ChristNet in den letzten Jahren verschiedentlich getan. -120Darum begrüssen wir den Text von Robin Reeve grundsätzlich und sind der Meinung, dass er Beachtung verdient. Leider stützt sich Robin Reeve zur Veranschaulichung der kritisierten Tendenzen auf einen einzigen Satz des Löwen des Lichts und reisst ihn aus dem Zusammenhang. -121So wird die Botschaft des Autors, Scott MacLeod, in ihr Gegenteil verdreht. Wir sind einverstanden, dass diese Aussage, die den Reformator Zwingli dafür zu loben scheint, Menschen um des Evangeliums willen umgebracht zu haben, ausser Kontext zumindest ungeschickt, wenn nicht gar inakzeptabel ist. Indes nennt MacLeod noch im selben Abschnitt den Zweck dieses Kampfes : für «eine Reformation der Liebe und der Wahrheit». Überdies stellt er seine bildhafte, oft kriegerische Sprache im ganzen Buch immer wieder in ihren wahren Zusammenhang : den geistlichen Kampf, den wir gegen geistliche Mächte und Gewalten und gegen unsere eigenen Neigungen führen. 118. Robin Reeve, «Pour une anarchie chrétienne?», Témoins, 26.02.2011, temoins.com/societe/pour-uneanarchie-chretienne.html 119. Der Löwe des Lichts. Nationalistisch, theokratisch, konstantinisch und Gewalt verherrlichend? christnet.ch/ de/content/der-l%C3%B6we-des-lichts-nationalistisch-theokratisch-konstantinisch-und-gewaltverherrlichend 120. Vgl. Dominic Roser, Die Schweiz, ein christliches Land? 2004, christnet.ch/de/content/die-schweiz-einchristliches-land ; Thomas Tichy, Die nationale rechtskonservative Verführung der evangelikalen Christen (2005), ChristNet, Genf. christnet.ch/de/content/die-nationale-rechtskonservative-verf%C3%BChrung-derevangelikalen-christen 121. Der fragliche Satz erscheint in der deutschen Ausgabe nicht. Doch die Thematik ist durchaus eine Diskussion wert. Der stritige Abschnit lautet : «Es lohnt sich zu wissen, dass Zwingli, der Vater der Reformation in der Schweiz, mit dem Schwert in der Hand starb, als er für die Verkündigung der Wahrheit und des biblischen Glaubens kämpte. Eine Vielzahl Schweizer Märtyrer haben ihr Leben mutig für das Evangelium Jesu Christi hingegeben und uns dieses reiche Erbe hinterlassen.» (S. 40.) 127 Die tatsächliche Botschaft des Löwen des Lichts Teil IV Gott und die Schweiz Stimmen also die Vorwürfe gegen den Löwen des Lichts, er rufe auf... … zum Nationalismus? Im Gegenteil : Er spricht auch die Schattenseiten der Schweizer Geschichte an (z. B. Söldnertum und Mammon-Gläubigkeit), die uns bis in die Gegenwart verknechten und beeinlussen können. Er ruft die Schweizer Christen auf, sich davon abzuwenden und vielmehr weltweit für Barmherzigkeit bekannt zu werden (S. 36)! … eine Theokratie zu errichten? Im Gegenteil : Er ruft die christlichen Leiter dazu auf «Knechte aller» zu werden (S. 42) und sich für «Seelen … nicht Zahlen» zu interessieren (S. 37). … nach weltlicher Macht zu streben? Im Gegenteil : Die oft kriegerischen Bilder werden klar auf den geistlichen Kampf bezogen (S. 26+27). Er ruft die Leser auf, gegen die verknechtenden geistlichen Mächte (Mammon, Macht des Geldes) und gegen die eigenen Neigungen zu kämpfen. … zur Waffengewalt zu greifen? Im Gegenteil : Er ruft die Christen vielmehr dazu auf, ihrem Herrn radikal zu dienen und bereit zu sein, ihr Leben hinzugeben, um schliesslich für gelebte Barmherzigkeit bekannt zu werden. 128 Dies zeigt, dass der Löwe des Lichts selbst eine Kritik der negativen Tendenzen darstellt, die Robin Reeve in seinem Artikel anprangert. Eine spezifisch schweizerische Botschaft Als Forum von ChristInnen für Gesellschaft und Politik hat uns bei ChristNet der Löwe des Lichts berührt. Wir sehen darin ein «Wort für die Schweiz», das insgesamt eine positive, nicht-nationalistische (weil kritisch für die Schweiz und offen für die Welt) und für die Schweizer Christen konstruktiv herausfordernde Botschaft darstellt. Es ist ein Bussruf, uns von unserem Lieblingsgötzen abzuwenden, dem Geld (oder Mammon) und so Barmherzigkeit, praktische Nächstenliebe, zu lernen. Bedenkt man, dass auf Schweizer Bankkonten ein Drittel des weltweiten grenzüberschreitend angelegten Vermögens schlummert (CHF 3,0 Billionen!), inkl. illegale und gestohlene Guthaben in nicht zu vernachlässigender Höhe, und dass der Finanzsektor in der Schweiz 11 % des BIP ausmacht, so erhält diese Warnung vor Mammon in der besonderen Situation der Schweiz auch eine besondere Bedeutung. ChristNet setzt sich denn auch seit mehreren Jahren dafür ein, die Aufmerksamkeit der Schweizer ChristInnen auf unsere verilzten Beziehungen zur Hochinanz zu lenken, und somit auf die Macht, welche die Geldlogik auf unser Land, unser Leben und unseren Glauben ausübt. -122Gewiss ist dieses Büchlein nicht vollkommen. Darum empfehlen wir das Merkwort von Paulus : «Prüft aber alles und das Gute behaltet.» (1. Thess. 5,21) Das Büchlein kann bei ChristNet bestellt werden. 122. Vgl. Online-Dossier «Die Schweiz und das liebe Geld», christnet.ch/de/content/dossier-die-schweiz-unddas-liebe-geld ; ChristNet, Mammon in der Schweizer Politik (2005), Genf. 20. Bussgebet : Die Schweiz, unser Land, und ihre Finanzen Werner Ninck Im Zusammenhang mit den Steuerlucht- und Bankafären der Vormonate organisierte ChristNet am 20. März 2010, zusammen mit der Berner Sektion der Schweizerischen Evangelischen Allianz und der Apostolisch-prophetischen Initiative, ein Bussgebet auf dem Bundesplatz in Bern. Hier die Liturgie, die wir dafür verwendet haben. Sie kann beliebig angepasst und weiterverwendet werden. Liturgie für ein Bussgebet «Wie oft erliegen Menschen, die um jeden Preis reich werden wollten, den Versuchungen des Teufels, wie oft verfangen sie sich in seinen Netzen! Solche unsinnigen und schädlichen Wünsche stürzen die Menschen in den Untergang und ins Verderben. Denn alles Böse wächst aus der Habgier. Schon so mancher ist ihr verfallen und hat dadurch seinen Glauben verloren. Wie viel Not und Leid hätte er sich ersparen können!» (1. Timotheus 6,9.10) Lieber Beter, liebe Beterin Wir sind hier zusammen gekommen, weil wir über den Umgang mit inanziellen Fragen in unserem Land beunruhigt sind. Wir haben den Bundesplatz zum Gebet gewählt, weil wir auf der einen Seite das Bundeshaus sehen, wo die Schweizerische Politik gemacht wird, auf der andern Seite folgende Finanz-Institute : Nationalbank, Crédit Suisse, Valiant-Bank, Postinance, UBS und Kantonalbank von Bern. In dieser Gebetszeit werden wir uns an Daniel 9,4-19 und 2. Chronik 7,13-16 orientieren. Uns ist gezeigt worden, dass unser Volk seit geraumer Zeit inanzielle Probleme als höchste Priorität behandelt. Der Finanzplatz wurde uns von unsern Politikern als etwas Besonderes vor Augen geführt. Zu seinem Schutz haben wir sogar ein Bankgeheimnis bewilligt, sodass grosse Summen dem Recht entzogen werden konnten. In unsern Tagen ist etwas Licht in dieses Dunkel gefallen. Wir wünschen, dass Christus, das Licht der Welt, ganz neu seinen zentralen Platz in unserem Volk einnimmt und über alles Finstere triumphiert. 129 Jesus rief : «Niemand kann gleichzeitig zwei Herren dienen. Wer dem einen richtig dienen will, wird sich um die Wünsche des andern nicht kümmern können. Genauso wenig könnt ihr zur selben Zeit Gott dienen und dem Mammon!» (Matthäus 6,24) Teil IV Gott und die Schweiz Ablauf der Gebetszeit Wir werden unsere Gebetszeit wie folgt gestalten : — Wir geben Gott die Ehre in Lobpreis und Anbetung : 2. Chronik 7, 13-16 — Wir bekennen unsere Schuld : Daniel 9 — Persönlich : Jeder prüfe sich, wie er mit seinen Finanzen umgeht, wie weit er sich selber der Gier hingegeben hat. Wir haben uns auf unseren Besitzstand verlassen — und darüber Gott übergangen. Damit haben wir uns und unsere Kinder in schwere Gefahren gebracht. — In unseren Gemeinden : Wie gehen wir in den Gemeinden mit den Finanzfragen um — In unserem Volk : Wir haben Unrecht ermöglicht, indem wir Gesetzen zugestimmt haben, die unrechte Geschäfte gedeckt haben. 130 — Zuspruch der Vergebung — Fürbitte für die Verantwortlichen, d.h. Bitte um Segen und Weisheit. — Für uns selber : Wir haben Weisheit nötig, damit wir mit den inanziellen Fragen zurechtkommen. Bittet um neues Vertrauen in den, der uns versorgt. Absage an ein unrealistisches Verhältnis zu Geldgeschäften. — Für die Gemeinden, die SEA : Wachheit und Mut, die inanziellen Fragen anzupacken und darüber offen auszutauschen. Segen für ihre Arbeit. — Für die Politik : — Für den Bundesrat, besonders die Bundesräte Hansrudolf Merz, Doris Leuthard, Micheline Calmy-Rey — Für die Berater der Politiker — Für die Parlamentarier — Für die Banken und Versicherungen : — Für die Verwaltungsräte und ihre Präsidenten — Für die CEOs — Für die Mitarbeiter auf allen Stufen — Proklamation : Lied : «Wir brauchen deine Hilfe, Herr» ; Kolosser 2 — Stille und auf Gott hören : — Was sagst du uns, Herr? — Aufschreiben und nach vorne bringen. — Unser Vater und Segen 20. Bussgebet: Die Schweiz, unser Land, und ihre Finanzen Texte Verheissung Wenn ich es einmal lange Zeit nicht regnen lasse, wenn ich Heuschrecken ins Land schicke, damit sie die Ernte vernichten, oder wenn ich in meinem Volk die Pest ausbrechen lasse und sie rufen zu mir, dann will ich im Himmel ihr Gebet erhören. Wenn dieses Volk, das meinen Namen trägt, seine Sünde bereut, von seinen falschen Wegen umkehrt und nach mir fragt, dann will ich ihnen vergeben und ihr Land wieder fruchtbar machen. Ich werde jeden beachten, der hier zu mir betet, und auf seine Biten hören. Denn ich habe diesen Tempel als einen heiligen Ort erwählt, an dem ich für immer wohnen will. Mein Blick wird stets auf ihm ruhen, denn mein Herz hängt an ihm. 2. Chronik 7,13- 16. Daniel bekannte dem Herrn die Schuld seines Volkes : «Ach Herr, du mächtiger und ehrfurchtgebietender Got! Du hältst deinen Bund mit uns und erweist Gnade denen, die dich lieben und nach deinen Geboten leben. Doch wir haben gegen dich gesündigt und grosses Unrecht begangen! Was du wolltest, war uns gleichgültig! Ja, wir haben uns gegen dich aufgelehnt und deine Gebote und Weisungen umgangen. ... Unser ganzes Volk hat dir die Treue gebrochen. Herr, wir haben schwere Schuld auf uns geladen : unsere Regierung, die führenden Männer und auch unsere Vorfahren. Dafür schämen wir uns in Grund und Boden. Doch du, Herr, unser Got, bist barmherzig und vergibst uns, obwohl wir von dir nichts mehr wissen wollten. Wir haben uns taub gestellt, wir haben nicht auf die Propheten gehört, die uns auforderten, nach deinen Geboten zu leben. Dein Volk hat deine Weisungen missachtet und deine Worte in den Wind geschlagen. Deshalb hat uns nun dein Fluch getrofen, den du im Gesetzbuch ... allen angedroht hast, die sich gegen dich aulehnen. ... Wir haben auch nichts unternommen, um dich wieder gnädig zu stimmen. Wir sind nicht von unseren falschen Wegen umgekehrt zu dir, dem wahren Got. Darum lässt du uns nun die Folgen tragen. Wir haben die gerechte Strafe bekommen, Herr, unser Got, denn wir wollten nicht auf dich hören. Herr, wir haben gesündigt und dir den Rücken gekehrt. Du bist unser Got, du hast uns, dein Volk, durch deine grosse Macht ... befreit. Bis zum heutigen Tag machst du deinen Namen überall bekannt. Immer wieder hast du gezeigt, dass du dich an deine Zusagen hältst. Sei nicht länger zornig über dein Volk… Jetzt ist Bern und unser ganzes Volk zum Gespöt aller Nachbarvölker geworden. Herr, höre doch jetzt, wenn ich zu dir lehe! Unser Got, erbarm dich über dein verwüstetes Heiligtum! Es geht um deine Ehre! Erhöre mich, du, mein Got, und sieh, wie es um uns steht… Wir lehen zu dir, nicht weil wir deine Hilfe verdient häten, sondern weil du uns schon so ot gnädig gewesen bist. Herr, vergib uns! Greif ein und handle! Zögere nicht, denn deine Ehre steht auf dem Spiel! Es geht um dein Volk.» Daniel 9,4-19. Proklamation Ihr habt Jesus Christus als euren Herrn angenommen ; nun lebt auch in der Gemeinschat mit ihm. Wie ein Baum in der Erde, so sollt ihr in Christus fest verwurzelt bleiben, und nur er soll das Fundament eures Lebens sein. Haltet fest an dem Glauben, den man euch lehrte. Für das, was Got euch geschenkt hat, könnt ihr gar nicht dankbar genug sein. Fallt nicht auf Weltanschauungen und Hirngespinste herein. 131 Schuldbekenntnis Teil IV Gott und die Schweiz 132 All das haben sich Menschen ausgedacht ; aber hinter ihren Gedanken stehen dunkle Mächte und nicht Christus. Nur in Christus ist Got wirklich zu inden, denn in ihm lebt er in seiner ganzen Fülle. Deshalb lebt Got auch in euch, wenn ihr mit Christus verbunden seid. Er ist der Herr über alle Mächte und Gewalten. Durch euren Glauben an Christus habt ihr euer altes, sündiges Leben aufgegeben, seid auch ihr Beschnitene. Zwar nicht durch eine Beschneidung, wie sie der Priester im Tempel durchführt, sondern durch die Beschneidung, wie ihr sie durch Christus erfahren habt. Denn durch die Taufe ist euer altes Leben beendet ; ihr wurdet mit Christus begraben. Aber ihr seid auch mit ihm zu einem neuen Leben auferweckt worden durch den Glauben an die Krat Gotes, der Christus von den Toten auferstehen liess. Früher wart ihr unbeschnitten, denn eure Schuld trennte euch von Got. In seinen Augen wart ihr tot, aber er hat euch mit Christus lebendig gemacht und alle Schuld vergeben. Got hat den Schuldschein, der uns mit seinen Forderungen so schwer belastete, eingelöst und auf ewig vernichtet, indem er ihn ans Kreuz nagelte. Auf diese Weise wurden die insteren dämonischen Mächte entmachtet und in ihrer Ohnmacht blossgestellt, als Christus über sie am Kreuz triumphierte. Kolosser 2,6-15. 21. Geld in der Schweiz : die sieben Thesen ChristNet -123Im November 2005 hat ChristNet sieben sich logisch folgende Thesen zur Problematik des Geldes in der Schweiz aufgestellt, die nichts an Aktualität eingebüsst haben. Analyse der gesellschatlichen Strömungen, Konsequenzen und Alternativen für eine nicht mehr vom Geld beherrschten Schweiz! Wir stellen vor allem in der westlichen Welt einen Wandel hin zu einer Angst- und Misstrauenskultur fest : Angst vor dem Verlust der eigenen Güter und der materiellen Sicherheit, sowie Angst vor dem unbekannten Nächsten. Wachsender Wohlstand hat die Angst vor dem Verlust unserer Güter verstärkt. Das wirtschaftliche Wettbewerbsdenken nimmt im privaten Bereich überhand und sorgt dafür, dass der Nächste mehr und mehr als Konkurrent wahrgenommen wird. Ausserdem hat uns der zunehmende Individualismus aus sozialen Zusammenhängen herausgerissen, die uns früher Geborgenheit erfahren liessen. Die Angst um das eigene Wohl hat die Sorge um das Wohl des Nächsten gedämpft. Wir bringen dies mit der Aussage Jesu zusammen, die Liebe bei vielen werde erkalten (Matthäus 24,12). Gerade in der Schweiz sind wir stark von der Angstkultur geprägt, wie wir an der besonders hohen Anzahl Versicherungsabschlüsse pro Einwohner sehen. These 2 Wir haben ein Problem mit dem Teilen, weil wir Angst um das eigene Wohl haben und weil wir mit immer höheren Folgekosten unserer Art des Wirtschaftens konfrontiert sind. Aus Angst um das eigene Wohl und aus dem Misstrauen gegenüber dem Nächsten erwächst eine Desolidarisierung. «Freiheit» steht als Konzept hoch im Kurs, da wir versuchen, uns aus jeglicher Verplichtung gegenüber dem Nächsten zu befreien. Wir sind nicht bereit, die wachsenden Schäden aus unserer Art des Wirtschaftens zu bezahlen : Obwohl für schwächere Menschen keine Arbeitsplätze mehr angeboten werden und sie zu Sozialfällen werden, haben wir die Tendenz, ihnen die alleinige Schuld für ihre Situation zuzuschreiben oder wir nennen sie «Proiteure des Sozialsystems». Wir schenken deshalb den Theorien, wonach «jeder selber alles erreichen 123. Text von Markus Meury, Werner Ninck, Dominic Roser und Mike Vökt in : Mammon in der Schweizer Politik (2005), ChristNet, Genf ; geringfügig überarbeitet. 133 These 1 Christen wie Nichtchristen lassen sich von der Angstkultur anstecken. Teil IV Gott und die Schweiz kann, wenn er sich nur anstrengt», gerne Glauben. Christen sind gegen diese kulturellen Strömungen nicht immun, weshalb uns das Wohlstandsevangelium und der Compassionate Conservativism attraktiv erscheinen. These 3 Weil wir nicht teilen können, sind wir zum Wachstum verdammt. 134 Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Eigentlich ist genug für alle da. Wir haben alles, was wir brauchen. Trotzdem bemühen wir uns unermüdlich um weiteres Wirtschaftswachstum, also darum, unseren Reichtum zu vermehren (und opfern christliche Werte dafür), obwohl die Bibel uns sagt, wir sollen keine Reichtümer anhäufen (Jakobus 5). Dies gilt nicht nur für das persönliche Leben, sondern auch für ganze Nationen, denn wir sehen in der Folge, wohin das führt. Wofür also Wachstum? Wir sagen, es brauche Wachstum, um genügend Arbeitsplätze zu schaffen. Haben wir uns ein System geschaffen, wo nur dann jeder Arbeit hat, wenn das BIP wächst? Sind wir ansonsten unfähig, jedem Menschen eine sinnvolle Arbeit zu verschaffen? Wir sagen auch, es brauche Wachstum, um unsere Altersvorsorge zu inanzieren. Aber könnten wir dies mit einem verbesserten Teilen nicht auch anders organisieren? Drittens sagt der Bundesrat, brauche es Wachstum, damit es weniger Verteilkämpfe gebe. Sind wir nur fähig, vom Überluss abzugeben? Bringen wir es nicht fertig, dass jeder vom Erschaffenen für seine Anstrengungen genug erhält? Diese Probleme wären unseres Erachtens mit Gemeinsinn und Sinn fürs Teilen anders lösbar. Da wir hierzu noch nicht bereit sind, ist auch die Schweiz «zum Wachstum verdammt». Zudem glauben wir auch im persönlichen Leben immer noch daran, dass mehr Reichtum glücklicher macht. Immer mehr Konsum ist wirtschaftspolitisch deshalb sehr willkommen und wird gefördert. Der Konsumismus wird zum ideologischen Zwang für die Gesellschaft, obwohl wir eigentlich schon alles haben. Wie kann die Volkswirtschaft trotz gesellschaftlichem Überluss noch wachsen? Der Suche nach Wachstumsmöglichkeiten werden zwangsläuig auch Werte und Ideale geopfert. These 4 Wir klammern uns an unrechte Güter. Die Schweiz war nur unter massivem Druck des Auslandes dazu bereit, die nachrichtenlosen Vermögen von Juden zurückzugeben. Heute klammern wir uns an das Bankgeheimnis, auch wenn wir wissen, dass der grösste Teil der ca. 2,5 Billionen Franken Vermögen aus dem Ausland auf Schweizer Konten den Steuern hinterzogen wurden. Wir versuchen immer noch, uns zu rechtfertigen und uns aus der Verantwortung zu stehlen, obwohl das Bankgeheimnis 1934 gerade zum Anziehen von Steuerluchtgeldern gesetzlich verankert wurde. Dazu kommt uns Micha in den Sinn : «Höret Ihr Stämme und ihr Ratsleute! Noch immer bleibt unrecht Gut in des gottlosen Haus und das verluchte falsche Mass. Oder sollte ich unrechte Waage und falsche Gewichte im Beutel billigen?» (6,9-11) 21. Geld in der Schweiz: die sieben Thesen These 5 «Mammon» hat Macht in der Schweiz und beherrscht unser Denken und unsere Politik. Wir müssen uns tatsächlich entscheiden. Kehren wir also als ganzes Land um, reinigen wir unser Leben, unsere Politik, unsere Wirtschaft und unsere Banken. «Denn eine Wurzel allen Übels ist die Geldliebe.», (1. Timotheus 6,10) Es scheint, dass wir die Folgen unserer Geldliebe heute zu spüren bekommen. Hingegen verspricht uns Gott, für uns zu sorgen, wenn wir in Gerechtigkeit wandeln und ihn (statt Mammon) anbeten. Wir brauchen also keine Angst vor Verlust des Reichtums oder der Arbeitsplätze zu haben, wenn wir die nötigen Schritte gehen und uns vom ungerechten Mammon trennen. Gottes Vorsorge und Friede wird uns tragen. These 6 Gott wird in der Gesellschaft durch unsere praktische Liebe zu den Schwächsten – im Persönlichen wie im Politischen – sichtbar. Jesus hat uns neben der Errettung durch den Glauben radikale Nächstenliebe gepredigt und uns angewiesen, in unserem ganzen Handeln das Wohl des Nächsten (und damit das Allgemeinwohl) ins Zentrum zu stellen. Wir wollen diese Nächstenliebe, diese Agape, wieder neu erwecken, d.h. dazu aufrufen und beitragen, dass die Welt von der Liebe Jesu geprägt wird. Dadurch soll Gott in unserer Gesellschaft sichtbar werden. Dies beginnt mit den Christen, die neu für das Wohl des Nächsten sensibilisiert und dadurch zu kraftvollen Multiplikatoren von Gottes Liebe werden. Oft vergessen wir aber, dass Nächstenliebe nicht nur den persönlichen Bereich prägen soll, sondern wir genauso auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene Nächstenliebe üben müssen. Insbesondere die schwächsten Glieder der Gesellschaft scheinen uns heute gefährdet, da sie keine Macht und kaum eine Lobby haben. Doch schon Jesus predigt uns den Schutz der Schwächsten, indem er sich ganz mit ihnen identiiziert : «Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben ; [...] ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt ; [...] ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.» (Matthäus 25,35-36) Hier müssen wir in unserem eigenen Leben anfangen, das Gottvertrauen zu plegen, dass Er uns versorgen wird, wenn wir gerecht handeln. 135 «Niemand kann gleichzeitig zwei Herren dienen. Wer dem einen richtig dienen will, wird sich um die Wünsche des andern nicht kümmern können. Genauso wenig könnt ihr zur selben Zeit für Gott und das Geld leben.» (Matthäus 6,24) Uns scheint, dass das Wirtschaftlichkeitsdenken und die Sorge um unsere Güter auf Kosten von Gott und der Nächstentenliebe übermässig gewichtet werden. Unsere Werte werden deshalb mehr und mehr vom «Mammon» bestimmt. Hierfür scheint die Schweiz auch zahlreiche christliche Werte wie Familie, Sonntag, Barmherzigkeit gegenüber den Schwachen, Gerechtigkeit und Moral zu opfern. Teil IV Gott und die Schweiz These 7 Wir brauchen eine neue biblische Barmherzigkeit. 136 Das Thema Solidarität nimmt in der Bibel einen breiten Raum ein. Zentral ist der Begriff der Armen, der einerseits für die materielle Armut und Unterdrückung (auch «Elende, Geringe», etc.) aber auch für geistlich Arme, d.h. Demütige, gebraucht wird. Die Stellen, in der Armut mit Selbstverschulden in Verbindung gebracht wird, sind rar. Sie inden sich nur im Buch der Sprüche und in der Aussage im Neuen Testament, wer nicht arbeiten wolle, auch nicht essen solle. Ansonsten wird Armut als gesellschaftliches Übel, oft in Verbindung mit sozialer Benachteiligung, beschrieben. Natürlich kann man deshalb noch nicht behaupten, die Armen seien heute generell unschuldig an ihrer Situation, aber wir müssen bereit sein, genauer hinzuschauen. Deshalb ist das Alte wie das Neue Testament voll von Aufrufen, die Armen zu schützen (physisch und rechtlich), mit ihnen zu teilen und Gerechtigkeit herzustellen. Wir sollten nicht im Glauben hängen bleiben, dass wir unseren Wohlstand ja selber erschaffen hätten und deshalb nichts zu teilen bräuchten. Denn erstens ist auch unsere Leistungsfähigkeit eine Gnade Gottes und alles, was wir haben, kommt von Gott. So sind wir gehalten, nach seinem Willen mit dem Erhaltenen umzugehen. Zweitens hat jeder Mensch unterschiedliche Gaben, die auch unterschiedlich in Lohn umsetzbar sind. Deshalb sollten wir allen Menschen ein würdiges Leben ermöglichen. Gewisse Umverteilung ist deshalb bereits im Alten Testament vorgesehen. Der Nächste, das ist spätestens heute auch der Arme in anderen Teilen der Welt. Wir sind aufgefordert, uns auch ihnen zu widmen. Auch für die Schweiz gilt : «Brich dem Hungrigen dein Brot und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! … Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten…» Jesaja 58,7+8 22. Zwischenfazit – Geld oder Geist : Wem wollen wir dienen? Samuel Ninck-Lehmann In diesem Teil IV haben wir gesehen, dass sich Got in Geldfragen etwas ganz anderes für die Schweiz ersehnt als die Missstände, die in den ersten drei Teilen zu Tage getreten sind. Diese «Hungerangstkultur» treibt uns auch dazu, dem ungebremsten Wirtschaftswachstum zu frönen. Wächst die Wirtschaft, können wir vom neu gewonnenen Überluss abgeben und brauchen nicht althergebrachten Besitzstand zu teilen. Wir geraten auch in die Versuchung, Geld, das unrecht durch Steuerlucht, unfaire Handelsregeln und ausbeuterische Rohstoffgewinnung erworben wird, unkritisch zu akzeptieren. Überdies basteln wir Theorien, die diesem Verhalten einen ethischen Anstrich verleihen sollen : «Die Anderen tun ja dasselbe.» So lassen wir es zu, dass Mammon uns beeinlusst, und merken nicht, wie wir damit unseren Mitgeschöpfen (Mensch und Umwelt) schaden. «Überhaupt kein Armer unter euch…» Gott ersehnt sich aber etwas ganz anderes für die Schweiz. Das Jubeljahr zeigt uns, dass für Gott wahre Anbetung untrennbar mit sozialer Verantwortung verbunden ist (Kap. 17). So wie wir unsere Mitmenschen (hier und im Süden) behandeln, so behandeln wir auch Ihn. Darum sind wir Christinnen und Christen aufgerufen, uns vom Wesen Gottes, wie es im Jubeljahr offenbart wird, durchdringen zu lassen : Wenn wir ganz auf die Fürsorge Gottes vertrauen, werden wir bereit, uns von unserer Habsucht und Proitgier befreien zu lassen. Darum wollen wir sorgfältig mit dem uns anvertrauten Wohlstand umgehen und grosszügig davon weggeben. So können wir als Gemeinde der Schweiz zu einem alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsdenken und handeln beitragen und Gottes Leitmotiv für Israel erfüllen : «Es sollte überhaupt kein Armer unter euch sein» (5. Mose 15,4). Verzichten und teilen Dies geht nicht, wenn wir uns nicht vom Gedanken des anhaltenden Wirtschaftswachstums abwenden, der unsere Gesellschaft prägt (Kap. 18). Einerseits macht uns auf unserem Wohlstandsniveau die Anhäufung von immer noch mehr Geld gar nicht glücklicher. Andererseits und noch wichtiger : Nur dann können wir mit Anderen teilen, wenn wir auf einen Teil unseres Besitzes verzichten. So hilft unser Überluss tatsächlich ihrem Mangel ab, damit «ein Ausgleich geschehe» (2. Korinther 8,14). Dafür müssen wir aber lernen, uns nicht mehr mit denjenigen zu vergleichen, die mehr 137 Dort hatten wir gesehen, dass das Geld in der Schweiz wegen dem schieren Reichtum, intransparenten Strukturen und einem übermässigen Marktglauben ein besonders heikles Thema ist. Weil wir Angst vor Mangel und Verlust haben, klammern wir uns an dem fest, was wir besitzen. Wir haben Mühe, unseren Überluss als solchen wahrzunehmen und mit Menschen zu teilen, die darauf angewiesen wären. Darum verkommt die Politik immer wieder zu einer Arena der Verteilkämpfe, in der jeder versucht, die Decke möglichst weit auf die eigene Seite zu ziehen. Teil IV Gott und die Schweiz haben als wir, sondern mit der erdrückenden Mehrheit weltweit, die weniger hat. Wir haben also die Mittel in der Hand, für die Ärmeren (und für uns selber) zum Segen zu werden, indem wir uns von Gott abhängig machen und der Mammon-Logik ein Schnippchen schlagen. Eine folgerichtige Ergänzung zu dieser Wiedergutmachung von Armut und strukturellem Unrecht besteht darin, das Problem an der Wurzel zu packen und den südlichen Ländern bei der Bestimmung der Weltwirtschaftsordnung mehr Macht zu geben. 138 Gott und die Schweiz In der Vergangenheit haben verschiedene Christen im In- und Ausland Gottes Reden zu unserem Umgang mit Reichtum empfunden (Kap. 19) : Bereits Ende der 1970er Jahren, im Rahmen der Aktion «Neues Leben», wuchs die Überzeugung, dass neben der Evangelisation auch das Teilen der Schweizer Gaben mit der Welt zentral sei und die Schweiz vom Fluch Mammons und zu ihrer gottgewollten Bestimmung befreien könnte. 1997 äusserte sich Bobby Connor (USA) an der Schleife-Konferenz «Feste Speise III» dahingehend, dass über der Schweiz ein Fluch im Zusammenhang mit unrechter Bereicherung hänge (vgl. Micha 6,7-14). Scott MacLeod (Kanada, USA) erhielt 2000 in Luzern ein Wort für die Schweiz, Der Löwe des Lichts, welches die Schweiz und die Schweizer Gemeinden vor die Entscheidung stellt, dem Gott der Barmherzigkeit zu dienen oder aber dem Gott des Geldes. Bestimmt gibt es weitere Beispiele, die zeigen, dass die grosse Bedrohung, die das Geld für die geistliche Gesundheit der Schweiz darstellt, von verschiedenen Seiten wahrgenommen wird. Die Gemeinde ist gefragt Somit steht die christliche Gemeinde der Schweiz vor einer schwierigen Frage : Ist sie bereit, sich 100%ig dem Gott der Gerechtigkeit hinzugeben und diese neue Barmherzigkeit konkret vorzuleben? Oder macht sie auch weiterhin nur halbe Sache? Wenn sie bereit ist, sich Gottes Gerechtigkeit hinzugeben, wird sie sich deinitiv von der Liebe zu Dingen, von Habsucht und Geiz sowie von jeder Form des Wohlstandsevangeliums verabschieden. Die Texte in diesem Teil IV machen uns Mut, dass Gott einen Ausweg sieht für die Schweiz : Unser Geld braucht kein Fluch (für uns und andere) zu sein, sondern kann zum Segen für die Welt werden. Nicht unser Geldproblem hat das letzte Wort, sondern Sein Wort der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit! Schluss Barmherzig und gerecht leben Dominic Roser, Samuel Ninck-Lehmann Wir sind ja berufen, «in der Welt» zu sein : die Menschen zu lieben –, aber nicht «von der Welt» : dem Zeitgeist zu frönen. -124- Was können wir also konkret tun? Wie wir in diesem Dossier gesehen haben, können wir das Streben nach Mammon bewusst lassen und uns nach Gott ausstrecken. So öffnen wir uns für unseren Nächsten, besonders für die Schwächsten, und setzen uns für Gerechtigkeit, gerade auch auf struktureller Ebene ein. Wir bemühen uns im Privaten, in der Gemeinde und in der Öffentlichkeit um Gottvertrauen, Genügsamkeit und Barmherzigkeit. Bei ChristNet haben wir die Erfahrung gemacht, dass ein solches Engagement in drei Schritten erfolgt : sich informieren, beten, handeln. Sich informieren Es macht nicht viel Sinn, sich für Gerechtigkeit einzusetzen, wenn wir nicht wissen, wo Unrecht tatsächlich geschieht! Darum besteht der erste Schritt darin, unser Verständnis für gesellschaftliche Mammon-bezogene Realitäten zu schärfen. Dies ist ein Ausdruck unserer Liebe zur Welt und unseres Interesses für die Menschen, mit denen wir zusammen leben. Von den vielen Organisationen, die sich kritisch mit dem Thema Geld in der Schweiz befassen (s. Anhang II), seien hier nur drei genannt. Es besteht die Möglichkeit, ihre Newsmails und Publikationen zu abonnieren : — ChristNet : Forum von ChristInnen, das gesellschaftliche und politische Fragen im Licht der christlichen Nächstenliebe diskutiert und umsetzt. christnet.ch — StopArmut 2015 : Kampagne der Evangelischen Allianz zur Erreichung der Millenniumsziele. stoparmut.ch — Erklärung von Bern : Eine ursprünglich von Theologen gegründete Nichtregierungsorganisation, die sich für eine gerechtere Globalisierung einsetzt. evb.ch 124. Vgl. Johannes 17,11+18 ; Römer 12,2. 141 Got sieht einen Ausweg für die Schweiz. Dass die Schweizer Christinnen und Christen beim Umsetzen von Gotes Sicht eine Rolle zu spielen haben, scheint ofensichtlich. Schluss Beten Der nächste Schritt ist das Gebet. Dieses Gespräch mit Gott (alleine oder in der Gruppe) schafft Gelegenheit, uns klar zu Gott und gegen Mammon zu stellen. Im Hören auf Gott inden wir auch heraus, wie, wo und wann wir uns engagieren sollen. 142 Im Gebet suchen wir Gottes Gegenwart, um Seine Sicht der Dinge zu erhalten und uns von Ihm in Sein Bild verwandeln zu lassen. An Seinem Herz erfahren wir Seine unendliche Liebe zu uns und unserer Welt. Nicht ein moralisierendes Gesetz («Du musst gerecht und barmherzig handeln!») begegnet uns hier, sondern brennende Liebe, die sich in Jesus mit Leib und Seele für die Schwächsten hingibt. So werden auch wir dank der empfangenen Liebe befreit, Barmherzigkeit zu leben. Unsere Erfahrung bei ChristNet zeigt, dass wir im Gebet von Ohnmacht und Allmacht befreit werden : Die ungerechten Strukturen unserer Welt sind bisweilen so vertrackt und machtvoll, dass wir uns ganz klein vorkommen. In solchen Momenten kann uns ein Ohnmachtsgefühl lähmen und am Handeln hindern. Im gläubigen Gebet erhalten wir die Gewissheit, dass Gottes Möglichkeiten jede Ungerechtigkeit bei weitem übersteigen. Dies gibt uns Hoffnung für unser eigenes Engagement. Handkehrum können wir angesichts der schreienden Ungerechtigkeit und der tausend möglichen Engagements in Übereifer und Hyperaktivität verfallen und meinen, wir könnten die Welt selber erlösen. Im Gespräch mit dem allmächtigen Gott realisieren wir schnell, dass dieser Allmachtwahn nicht Bestand hat, weil wir ohne Ihn nichts tun können. -125In unserem Gebet wollen wir neben der persönlichen nun eben die gesellschaftliche Ebene nicht vernachlässigen. Hier hilft uns eine Vorlage wie diejenige des «Bussgebets» (Kap. 20) : In Lobpreis und Anbetung leiten uns die unzähligen Texte aus den Psalmen und Propheten, die Gott als «Vater der Schwachen» (Jes. 25,4), «Schutz des Armen» (Ps. 9,10), der «den Waisen Recht schafft» (Ps. 10,18) darstellen. Im Schuldbekenntnis nennen wir konkrete Fakten, die wir zusammengetragen haben und die uns besonders betroffen machen. In der Fürbitte haben wir Gelegenheit, für uns selber sowie für die Verantwortungsträgerinnen und träger in Gemeinde, Politik und Wirtschaft konkret einzutreten. Mit der biblischen Proklamation stellen wir uns zum Abschluss noch einmal klar unter die Herrschaft Christi. Handeln Informiert und im Gebet verankert sind unseren Handlungsmöglichkeiten wie gesagt kaum Grenzen gesetzt. So komplex die menschliche Realität und die Berührungspunkte mit Geld und Besitz sind, so zahlreich sind unsere Möglichkeiten, unsere Haltung zu ändern und andere zu ermutigen, dasselbe zu tun. 125. Vgl. Johannes 15,5. Barmherzig und gerecht leben Persönlich Im persönlichen Umgang mit Geld lernen wir, aus Gottvertrauen zu leben und der Angst vor Mangel abzusagen. Wir können z.B. in Anlehnung an Sprüche 30,8+9 -126Gott täglich um Vertrauen bitten oder Ihm unser Vertrauen aussprechen, dass Er uns «genug», d.h. weder zuwenig noch zuviel, gibt (Kap. 18). Ein ganzer weiterer Themenbereich ist unser Konsumverhalten, das von Werbung, geplanter Obsoleszenz -129- und technologischem Wettrüsten geprägt ist. Nehmen wir uns hier die Freiheit, vermehrt Gebrauchtwaren zu kaufen, grössere Anschaffungen zusammen mit Nachbarn oder Freunden zu tätigen, Tauschbörsen zu organisieren, Fairtrade (Max Havelaar) zu kaufen und uns immer wieder die Frage zu stellen, was eigentlich unsere Kaulust motiviert -130-. Kirchlich Wie wir gesehen haben, sind unsere Gemeinden oft in einem Evangelium befangen, das sich nur auf das persönliche Leben der Gläubigen beschränkt. Der Blick auf unsere Gesellschaft ist oft von Misstrauen statt von Liebe geprägt. In diesem Umfeld tut es Not, dass wir Geldthemen gerade auch im gesellschaftlichen Zusammenhang theologisch aufarbeiten und in Lehre und Predigt vermitteln. Eine Ermutigung dafür stellt der «Predigt-Preis» von StopArmut -131- dar. Dieser zeichnet Predigten über soziale Gerechtigkeit aus. Auch im Lobpreis sind neue Akzente gefragt : Wie wir gesehen haben, sind die Psalmen voll von Liedern, die Gott als den Beschützer der Schwachen loben. Leider schlägt sich diese Realität heute kaum in unserem Liedgut nieder. Die Liedermacher 126. «Falschheit und Lüge lass ferne von mir sein ; Armut und Reichtum gib mir nicht ; lass mich aber mein Teil Speise dahinnehmen, das du mir beschieden hast. Ich könnte sonst, wenn ich zu sat würde, verleugnen und sagen : Wer ist der HERR? Oder wenn ich zu arm würde, könnte ich stehlen und mich an dem Namen meines Gotes vergreifen.» 127. Vgl. Lukas 21,1-4. 128. abs.ch 129. Produktstrategie, bei der schon während des Herstellungsprozesses bewusst Schwachstellen in das betrefende Produkt eingebaut, Lösungen mit absehbarer Haltbarkeit und/oder Rohstofe von minderer Qualität eingesetzt werden, die dazu führen, dass das Produkt schneller schad- oder fehlerhat wird und nicht mehr in vollem Umfang genutzt werden kann. (de.wikipedia.org, 5.4.2013) 130. ChristNet hat als Hilfe dazu einen «Fragebogen zur Vereinfachung des Einkaufszetels» veröfentlicht : christnet. ch/sites/default/files/Fragebogen.pdf. 131. stoparmut2015.ch/aktionen/stoparmut-preis/predigt-preis 143 Wir können uns für Genügsamkeit und einen bescheidenen Lebensstil entscheiden und z.B. eine Teilzeitanstellung wählen. Die frei gewordene Zeit können wir für Menschen und Gerechtigkeitsengagements einsetzen. Bei der Kollekte können wir uns von einer engen Auslegung des «Zehnten» verabschieden und uns für die von Jesus gepredigte Grosszügigkeit entscheiden, die auch gerade Spenden für die Ärmsten beinhaltet. -127- Unser Geld können wir bei Finanzinstituten ein- und anlegen, für welche ethische Kriterien wichtiger sind als Gewinnmaximierung, z.B. die Alternative Bank Schweiz -128-. Schluss und Anbetungsleiter sind hier gefragt, damit unsere Erkenntnis und unser Erleben von Gott vollständiger werden können. In Kleingruppen und Hauskreisen kann die Sensibilisierung mit Hilfsmitteln wie diesem «Mammon-Dossier 2.0» oder dem «Just People»-Kurs -132- vertieft werden. Praktische Aktionen helfen dabei den Gläubigen, ihr Verständnis für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu konkretisieren. Als Vorbild können hier die Aktionen «cukup – genug zum Leben, genug zum Teilen» (Kap. 18) und «Eine Schale Reis» -133- dienen. Politisch und gesellschaftlich 144 Politisch können wir Initiativen, Referenden und Petitionen unterschreiben (lassen), sowie bei Abstimmungen und Wahlen kritische Akzente zugunsten von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit bzw. gegen das ungebremste Wirtschaftswachstum setzen. Wir können auch für ein politisches Amt kandidieren sowie Leserbriefe und Briefe an Volksvertreter schreiben. Bei politischen Diskussionen im Freundeskreis und in der Gemeinde können wir konsequent die Sicht der Schwachen und derjenigen ohne Stimme einbringen. Folgende Abstimmungen stehen in den nächsten Jahren im Zusammenhang mit Geldfragen an. Beteiligen wir uns am Abstimmungskampf oder zumindest an der Diskussion, abonnieren wir den Newsletter und melden wir uns als Freiwillige! — Eidgenössische Volksinitiative für die Abschaffung der Pauschalbesteuerung : pauschalsteuer-nein.ch — Eidgenössische Volksinitiative «Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)» : erbschaftssteuerreform.ch — Eidgenössische Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln!» : juso.ch/spekulationsstopp — Eidgenössische Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» : bedingungslos.ch Auf gesellschaftlicher Ebene können wir uns bei den genannten Organisationen (Anhang II) engagieren und auch an Demonstrationen mitmachen. Strassenaktionen mit starken Symbolen sind ein gutes Mittel, um unsere Mitmenschen anzusprechen und mit ihnen über gelebte Barmherzigkeit ins Gespräch zu kommen. So organisiert ChristNet seit über zehn Jahren am letzten Novembersamstag Aktionen zum «Choufnüt-Tag», um unser Konsumverhalten konstruktiv und positiv zu hinterfragen. -134- 132. stoparmut2015.ch/justpeople 133. Aktion, welche die «Weihnachtsrevoluzzer» in der Adventszeit 2012 in der Romandie lanciert haben und die Christinnen und Christen ermutigt, während einer Woche eine Schale Reis pro Tag zu essen, in Kleingruppen darüber auszutauschen und zu beten und das gesparte Geld für einen guten Zweck einzusetzen. bolderiz.ch. 134. christnet.ch/de/tags/buynothingday. Barmherzig und gerecht leben Gemeinde der Barmherzigkeit 145 Das ist nur eine kleine Auswahl unserer Möglichkeiten. Die Liebe ist ja kreativ. Unserer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. So können wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass es bei uns «gar keine Armen mehr gibt» -135- und dass, wie Scott MacLeod geschrieben hat, die Gemeinde der Schweiz «weltweit als eine Gemeinde der Barmherzigkeit bekannt sein» wird (Kap. 19). So können wir auch für die Schweiz hoffen, dass unser Licht «wie die Morgenröte» hervorbrechen und «unsere Heilung schnell voranschreiten» -136- wird. Bist du dabei? 135. Vgl. Kap. 17 ; 5. Mose 15,4. 136. Nach Jesaja 58,7+8. Anhänge Anhang I Die Autoren Benjamin Gräub (1986) studiert im Master Internationale Beziehungen sowie Internationales Management, arbeitet als Projektmanager bei der Stitung Biovision und ist Mitglied der Freien Missionsgemeinde Zürich «Elim». Ausgehend von seinem Glauben beschätigen ihn im Studium, im Beruf und in der Kirche die Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und nach dem Beitrag, den die Wirtschat hierzu leisten kann. Conrad Krausche (1986) studiert Politik- und Wirtschatsphilosophie an der Universität Bern und ist Mitglied des Leitungsteams der Bibelgruppe für Studierende (BGS). Er ist fast seit ihrer Gründung bei der Vineyard Thun dabei, die er für ihr soziales Engagement sehr schätzt. Politisch engagiert er sich in der SP Thun und der Juso Thun-Berner Oberland, was wohl auch seine thematischen Schwerpunkte (globale Gerechtigkeit, Kapitalismuskritik und Sozialismus) zu einem gewissen Grad erklärt. Dominic Roser (1976) ist ursprünglich Ökonom und arbeitet jetzt als Ethiker zu Fragen der Klimapolitik und der Generationengerechtigkeit an der Universität Oxford. Er ist verheiratet und gehört zur Evangelisch-Methodistischen Kirche. Er möchte sich selbst und andern ermöglichen, weder mit mehr noch mit weniger als «genug» Geld leben zu müssen. Elisabeth und Lienhard Roser-Brunner (1950 bzw. 1945), Pfarrerehepaar der Evangelisch-methodistischen Kirche, seit Kurzem pensioniert, vier Kinder. Nebst dem Gemeindeaubau war die Arbeit mit Ausländern und in der Politik immer ein Teil ihres Engagements: So ist Elisabeth Mitglied der Kommission «Kirche und Gesellschat» der EMK und Lienhard ist Leiter des Trefpunkts für Asylsuchende und Immigranten in Aarau, «Marhaba», sowie Mentor von Pfarrvikaren. Lukas Amstutz (1973) ist Dozent am Theologischen Seminar Bienenberg, Liestal (BL) und Mitglied der Evangelischen Mennonitengemeinde «Schänzli» in Mutenz (BL). Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Als mennonitischer Theologe steht er in der Tradition der ältesten protestantischen Freikirche, die seit der Reformation das Evangelium immer wieder mit Fragen rund um Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung verbindet. 147 Atilio Cibien (1948) ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und drei Enkelkinder. Als Finanzchef des Gemeindeverbands Pilgermission St. Chrischona gelang es ihm, diesen inanziell und organisatorisch zu sanieren und zu reorganisieren. Seit 2010 ist er Geschätsführer des Instituts für Finanzethik, das sich für einen biblisch inspirierten, klugen Umgang mit Geld einsetzt. Als Referent im deutschsprachigen Europa setzt er sich für die inanzielle Freiheit der Menschen ein. Anhänge Markus Meury (1970), Soziologe, ist Gründungs- und Leitungsmitglied von ChristNet. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er engagiert sich für die Sensibilisierung der Kirchen zu sozialen und ökologischen Themen und gibt entsprechendes Wissen gerne weiter. Mikael Huber (1982), Ökonom, arbeitet an einer Doktorarbeit zur Geschichte der Finanzmärkte, ist Mitglied der Église évangélique libre «La Rochete» in Neuenburg. Er ist verheiratet. Er interessiert sich für Fragen der christlichen Gerechtigkeit im Bereich Globalisierung, Finanz und Wirtschat. 148 Samuel Ninck-Lehmann (1973), dipl. Übersetzer, ist Koordinator von ChristNet und Mitglied der Eglise évangélique libre «Les Buis» in Genf. Er ist verheiratet und hat eine kleine Tochter. Die Frage nach dem (fehlenden) sozialen und ökologischen Engagement seines freikirchlichen Umfelds beschätigt ihn seit Langem und hat ihn zur Mitgründung von ChristNet bewegt. Werner Ninck (1934), Theologe, Seelsorger, war 27½ Jahre als Pfarrer in der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Bern tätig. Dann wurde er Mitarbeiter in einem Therapiezentrum und Leiter der Schule für Christliche Sozialtherapie. Heute ist er Mitglied der Vineyard Bern und aktives Mitglied der Evangelischen Volkspartei (EVP). Seit langer Zeit engagiert er sich für soziale Fragen im In- und Ausland. Er ist seit 50 Jahren verheiratet und Vater von sechs Kindern. Anhang II Bibliographie ChristNet (2005), Mammon-Dossier: Mammon in der Schweizer Politik. Genf. christnet.ch/de/content/mammon-der-schweizer-politik Teil I – Die Macht des Geldes Erklärung von Bern (Hrsg.) (2012), Rohstof: Das gefährlichste Geschät der Schweiz, Zürich: Salis. evb.ch/p25019141.html Geschätsprüfungskommissionen des National- und Ständerats (2010), Die Behörden unter dem Druck der Finanzkrise und der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA, Parlamentsgeschät 10.054. parlament.ch/d/mm/2010/ seiten/mm-gpk-2010-05-31.aspx Reinhart Carmen M., Rogof Kenneth S. (2010), Dieses Mal ist alles anders: Acht Jahrhunderte Finanzkrisen, FinanzBuch Verlag, München. Schweizerische Bankiervereinigung (2011), Das Schweizer Vermögensverwaltungsgeschät – Eine Bestandesaufnahme und Entwicklungstrends. Basel. swissbanking. org/20110107-bro-vermoegensverwaltungsgeschaeft-rva.pdf Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF (2011), Finanzstandort Schweiz – Kennzahlen, Schweizerische Eidgenossenschat, Bern. www.sif.admin. ch/dokumentation/00514/00515/00516/index.html?lang=de Vitali Stefania, Glatfelder James B., Batiston Stefano (2011): «The Network of Global Corporate Control». In: PLoS ONE, 6. Ziegler, Jean (2012), Wir lassen sie verhungern, München: C. Bertelsmann. Teil II – Dauerbrenner Bankgeheimnis Alliance Sud/Erklärung von Bern (2012), Steuern und Entwicklung, Zürich. evb. ch/cm_data/EvB_SteuernundEntwicklung_Info.pdf Bär Hans Julius (2004), Seid umschlungen, Millionen! Orell Füssli, Zürich. Credit Suisse (2012), Finanzplatz Schweiz, Zürich, S. 16. infocus.credit-suisse. com/data/_product_documents/_articles/364039/Finanzplatz_30082012_ FINAL_DE3.pdf Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF, Bericht des Bundesrates über internationale Finanz- und Steuerfragen 2012, Eidgenössisches Finanzdepartement, Bern. www.sif.admin.ch/00714/index.html?lang=de . 149 Iklé, Max (1972), Switzerland an International Banking and Finance Center, Washington: Dowden, Hutchison and Ross Inc. Anhänge Teil III – Grundsatzfrage Steuern Graeber David (2011): Debt: The irst 5000 years; Melville House. Jaspers Karl (1994), Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, Piper Verlag. Teil IV – Gott und die Schweiz ChristNet, Die Schweiz und das liebe Geld. Online-Dossier: christnet.ch/de/ content/dossier-die-schweiz-und-das-liebe-geld Ditmar M., Divernois E., Giolo A.-S. et al. (2008). Umweltfragen? Christliche Antworten! Klimawandel, Nachhaltigkeit, Bekehrung und Genügsamkeit. ChristNet, Genf. christnet.ch/de/content/umweltfragen-christliche-antworten-0 Easterlin R. (Hrsg.; 2002): Happiness in Economics, Cheltenham. 150 Hill Craig, Pits Earl, Ebertseder Johann (2002). Mäuse, Moten und Mercedes: Biblische Prinzipien für den Umgang mit Geld. Campus für Christus. MacLeod Scot (2010). Der Löwe des Lichts. Schleife Verlag, Winterthur. Roser Dominic (2007). Genug – Gedanken zum christlichen Umgang mit Besitz. ChristNet, Genf. christnet.ch/de/content/genug Kapitel 17 – Das Jubeljahr in Bibel und Theologie Bovon François (1989). Das Evangelium nach Lukas. Zürich, Neukirchen-Vluyn: Benziger Verlag; Neukirchener Verlag. (EKK, Bd. III/1). Faix Tobias (2012). Exodus, Jubeljahr, Kreuz und die Gemeinde heute: Biblische Aspekte der Befreiung, Erlösung und Transformation, in Faix, Tobias & Künkler, Tobias (Hrsg.): Die verändernde Krat des Evangeliums: Beiträge zu den Marburger Transformationsstudien. Marburg an der Lahn: Francke. (Transformationsstudien, 4), 68–95. Faix Tobias & Künkler Tobias (Hrsg; 2012). Die verändernde Krat des Evangeliums: Beiträge zu den Marburger Transformationsstudien. Marburg an der Lahn: Francke. (Transformationsstudien, 4). Geldbach Erich (2005). Freikirchen: Erbe, Gestalt und Wirkung. 2., völlig neu bearbeitete Aul. Götingen: Vandenhoeck & Ruprecht. (Bensheimer Hete, 70). Griiths Brian & Tan Kim (2012). Unternehmen Armutsbekämpfung: Die Bedeutung von Social Venture Capital. Schwarzenfeld: Edition Wortschatz. Hardmeier Roland (2009). Kirche ist Mission: Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Missionsverständnis. 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Das Erlassjahr-Evangelium: Ein Unternehmer entdeckt Gotes Gerechtigkeit. Schwarzenfeld: Neufeld. Trocmé André (1961). Jésus-Christ et la révolution non violente. Genève: Labor et Fides. 152 Weißenborn Thomas (2010). Christsein in der Konsumgesellschat: Nachdenken über eine alltägliche Herausforderung. Marburg an der Lahn: Francke. Wikipedia (2012). Jubeljahr. Online im Internet: URL: de.wikipedia.org/wiki/Jubeljahr [Stand 15.06.2012]. Wright Christopher J. (1983). An eye for an eye: The place of Old Testament ethics today. Downers Grove, Ill: InterVarsity Press. Wright Christopher J. (1995). Walking in the ways of the Lord: The ethical authority of the Old Testament. Leicester, England: Apollos. Yoder John H. (1981). Die Politik Jesu - der Weg des Kreuzes. Maxdorf: Agape. Yoder John H. (2011). Die Politik des Leibes Christi: Als Gemeinde zeichenhat leben. Schwarzenfeld: Neufeld. Zürcher Pierre (2010). Die Armengutbücher aus Täufergemeinden im Jura, in Schweizerischer Verein für Täufergeschichte (Hrsg.): Mennonitica Helvetica 32/33 (2009/2010). Lyss: Lyssbach Druck, 291–296. Anhang III Organisationen Hier eine kleine, nicht erschöpfende Auswahl von Organisationen, die sich für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in Geldfragen einsetzen. -137— Actares: Organisation von AktionärInnen für nachhaltiges Wirtschaten. actares.ch — Alliance Sud: Entwicklungspolitische Lobbyorganisation der sechs grossen Schweizer Hilfswerke. alliancesud.ch — ChristNet: Forum von ChristInnen, das gesellschatliche und politische Fragen im Licht der Nächstenliebe diskutiert und umsetzt. christnet.ch — erlassjahr.de: Bündnis von Kirchen und Organisationen, das einen Schuldenerlass für Entwicklungsländer fordert. erlassjahr.de — Ethos: Stitung für nachhaltiges Investment und aktives Aktionariat. ethosfund.ch — StopArmut 2015: Kampagne der Evangelischen Allianz zur Erreichung der 8 Millenniumsziele. stoparmut.ch — Tax Justice Network: Expertengruppe, die sich für Transparenz und gegen Geheimniskrämerei in der globalen Finanz einsetzt. taxjustice.net — Transparency International: Nichtregierungsorganisation, die sich für die Korruptionsprävention und bekämpfung in der Schweiz einsetzt. transparency.ch 137. Eine ständig ergänzte Liste findet sich auf: christnet.ch/de/content/anhang-iii-organisationen. 153 — Erklärung von Bern: Eine ursprünglich von Theologen gegründete Nichtregierungsorganisation, die sich für eine gerechtere Globalisierung einsetzt. evb.ch Impressum © copyfree! ChristNet, Genf, 2013. Kopieren und weitergeben: Wo nicht anders vermerkt, können alle Texte dieses Dossiers unter Nennung der Quelle frei verwendet werden. Herausgeber ChristNet, Genf. christnet.ch. Illustrationen Daniel Roser, Amsterdam. Layout Vincent Gobet, Genf. pica-21.ch. Druck Trajets Imprimeries, Genf. Verdankung Mit herzlichem Dank an alle Autoren, die ihre Beiträge mit viel Engagement geschrieben haben und kostenlos zur Verfügung stellen. Zitierweisen Kurzform: «ChristNet (2013), Mammon-Dossier 2.0, Genf.» Langform: «ChristNet (Hrsg.), Mammon-Dossier 2.0: Geld oder Geist? Die Schweiz auf dem Prüfstand der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. ChristNet, Genf, 2013.» Online Dieses Dossier gibt es auch online: christnet.ch/de/content/mammon-dossier-20 Geld oder Geist? Das Mammon-Dossier 2.0 Seit einigen Jahren ist Bewegung in die Schweizer Geldlandschaft gekommen. In diesem Umfeld bringt ChristNet eine vollständig überarbeitete und ergänzte Neuaulage seines «Mammon-Dossiers» heraus. Über ein Dutzend Autoren stellen die Macht des Geldes in der Schweiz aus politischer, wirtschaftlicher und geistlicher Sicht in vier Hauptteilen dar : 1. Die Macht des Geldes. 2. Der Dauerbrenner Bankgeheimnis. 3. Die Steuerpolitik. 4. Eine geistliche Sicht für die Schweiz. Geistliche und theologische Aspekte ergänzen die sachbezogene Sensibilisierung und Aufklärung. Neben Anregungen zur kritischen Auseinandersetzung mit unserer geldgeprägten Schweizer Gesellschaft erhalten die LeserInnen so Möglichkeiten, sich im persönlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Umfeld gegen die Macht von Mammon zu stellen: durch Gebet, christliche Werte, sowie persönliches, gesellschaftliches Engagement. «Das vorliegende Mammon-Dossier spiegelt transparent und klar, wo und wann die Macht hinter den Finanzen zuschlägt, wann wir uns in einem Graubereich tummeln und in der Gefahr stehen, uns vom Geld versklaven zu lassen.» Aus dem Vorwort von Atilio Cibien, Leiter Institut für Finanzethik «Als Nachfolger von Jesus Christus müssen wir Christen bestrebt sein, auch in seine Fussstapfen zu treten, wo es um unseren Umgang mit den Schwachen, Handicapierten, den zu kurz Gekommenen, den Ausgegrenzten und Vertriebenen, den, wie sie Jesus nennt, ‹Geringsten› geht. Ich bin dankbar, dass ChristNet vom Studium der gesellschatlichen und wirtschatlichen Zusammenhänge her auf der Basis von Gotes Wort praktische Anstösse gibt, wie das auf persönlicher wie gesellschatlicher Ebene geschehen kann.» Hanspeter Nüesch, lic. oec. HSH, Leiter von Campus für Christus Preis Dieses Dossier wird ohne Verkauf abgegeben. Kostendeckender Richtpreis: CHF 12.00. Freiwillige Zahlungen auf IBAN CH61 0900 0000 3072 3995 2. ChristNet, CH-1200 Genf. Vermerk: «Mammon-Dossier». www.christnet.ch