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Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege · Deutsche Limeskommission C. Sebastian Sommer, Suzana Matešić (Hrsg.) Limes XXIII Proceedings of the 23rd International Congress of Roman Frontier Studies Ingolstadt 2015 Akten des 23. Internationalen Limeskongresses in Ingolstadt 2015 B E I T R Ä G E Z U M W E LT E R B E L I M E S Sonderband 4 / I 2018 · In Kommission: Nünnerich-Asmus Verlag · Mainz ALEXANDRA SCHUBERT Die Müllentsorgung an römischen Militärstandorten – Ein Überblick ALEXANDRA SCHUBERT Die Müllentsorgung an römischen Militärstandorten – Ein Überblick SUMMARY Waste is a very common finds category for archaeological data analysis. When dealing with Roman settlements, whether military or civilian, lots of finds can usually be obtained from the vicinity. As there is a diverse picture of waste accumulation, the paper tries to give an overview of the different models of waste accumulation inside and outside Roman forts and the different approaches in their interpretation. The suggestions are that in general the main part of the waste was dumped outside the fort and that accumulations within are the result of specific situations. EINLEITUNG Abfallansammlungen gehören zu den reichhaltigsten Fundkomplexen und ermöglichen über eine Darstellung und chronologische Einordnung hinaus ein weites Feld an Auswertungsmöglichkeiten . Gerade in römischen Militäranlagen und in deren Umfeld wurden bei Grabungen etliche solcher Müllkippen aufgefunden . Da Müll bzw . dessen Entsorgung und Vermeidung aktuell mehr in den Fokus des Interesses rücken, bietet es sich an, auch im Zusammenhang mit militärischen Fundplätzen der römischen Zeit einen genaueren Blick auf die Entstehung von und den Umgang mit Müll zu werfen . Bei einer Analyse von Abfallansammlungen, die mit römischen Militäranlagen zusammenhängen, muss zwischen unterschiedlichen Entstehungsprozessen unterschieden werden . Sind diese während der Benutzung des Kastells oder während Umbauphasen entstanden? Stehen sie in Zusammenhang mit Zerstörungshorizonten? Möglich ist sowohl eine Abfallsammlung als primäre Deponierung an dem Ort, an dem der Abfall entstanden ist, als auch eine sekundäre Deponierung . In letzterem Fall werden Abfälle an dafür vorgesehenen Punkten gesammelt und an einen Deponierungsort verbracht . In dieser Befundlage können sich zusätzliche Gegenstände finden, die eher als persönlicher Verlust zu werten sind, wie zum Beispiel Münzen . Ein weiterer Eingriff in die abgelegten Materialien durch dritte Personen, die den Abfall nach noch Brauchbarem durchsuchen, ist möglich und lässt sich in größeren Befundkomplexen gelegentlich an einer Störung der bereits abgelagerten Schichten auch archäologisch belegen . MÜLLENTSORGUNG BEI DER RÖMISCHEN ARMEE – DIE BEFUNDE Über den langen Zeitraum der archäologischen Erforschung des römischen Militärs und seiner Stützpunkte sind Archäologen sowohl innerhalb als auch außerhalb militärischer Einrichtungen immer wieder auf Spuren der Müllentsorgung gestoßen . Wenn man davon ausgeht, dass der gesamte Abfall einer fest stationierten Einheit an einer Stelle gesammelt und entsorgt wird, dann sollte er folgende Komponenten enthalten: Essensreste, menschliche und tierische Ausscheidungen oder Spuren von deren Entsorgung, wie z. B. Reste von Kalkeinstreuungen, Produktionsabfälle handwerklicher Tätigkeiten, beschädigte Ausrüstung, Bauschutt, Verpackungen (Keramik und organisches Material) und persönliche Gegenstände – sowohl in gebrauchsfähigem Zustand als auch beschädigt . Nicht alle der erwähnten Elemente bleiben bis zur Ausgrabung erhalten und können analysiert werden, jedoch sollten sie bei einer längeren Nutzungsdauer des Garnisonsortes jeweils in größerer Menge anfallen . Möglich ist sowohl, dass alle Sorten Abfall an einer Stelle gemeinsam vorkommen als auch, dass Abfall aus unterschiedlichen Prozessen an verschiedenen Stellen abgelegt wird . Wenn man die theoretischen Überlegungen zu Müllentstehung, -vermeidung und -ablagerung auf den archäologischen Befund anwendet und einen Blick in die verfügbare Literatur zu römischen Standorten wirft, so begegnen unterschiedliche Szenarien des Fundaufkommens, die alle in den Kontext der Abfallentsorgung gestellt werden . Nachweisbar ist ebenfalls ein fast völliger Mangel an Funden innerhalb römischer Lager, der eine gezielte Entsorgung an einem Ort nahelegt, welcher jedoch nicht bei der Ausgrabung und Erforschung erfasst wurde . Belegbare Deponierungen von Abfall finden sich in den Lagergräben römischer Kastelle . Dabei gibt es sowohl Nachweise für Abfall in den Grabenköpfen direkt im Bereich der Tore als auch für Ansammlungen, die von der Umwehrung aus in den Gräben und vermutlich auch im Bereich der Berme gelandet sind . Außerhalb von Lagern wurden größere Abfallhalden angelegt . Dabei gibt es sowohl die Variante einer Müllhalde in direkter Nachbarschaft zum Lager als auch einer Deponierung in größerer Entfernung . In Fällen von Militärlagern auf einer Erhöhung kann die Entsorgung über die steilste Stelle erfolgen . An den Wall angelagert wurden Ansammlungen von Abfall in Form von Haufen auch innerhalb der Lagerumwehrung dokumentiert . 249 Limes XXIII · Kapitel 5 · Session 4 – Waste Not, Want Not? Rubbish Disposal and the Roman Army Abb. 1: Umzeichnung des Südprofils der Krefelder Grube (Museum Burg Linn, Krefeld. Umzeichnung A. Schubert). 250 Große Gruben außerhalb der Militärlager dienten in einigen Fällen nachweislich als Sammelstelle der Müllentsorgung . Ein Zusammenhang ausschließlich mit der Besatzung des Kastells bzw . ein Ausschluss der Nutzung durch die Einwohner des jeweiligen zivilen vicus sind nicht für alle Gegenstände in der Deponie herstellbar . Innerhalb von Kastellen wurden an verschiedenen Stellen Abfallsammlungen angetroffen . Zu nennen sind sowohl großräumige als auch kleinere Gruben in den Straßen, größere Deponierungen innerhalb nicht mehr genutzter Räume oder Gebäude ebenso wie kleinräumige, aber langfristig angesammelte Schmutzschichten in den schmalen Gassen zwischen eng beieinanderstehenden Gebäuden . Angelagert an den Wall konnten Ansammlungen von Abfall in Form von Haufen und kumulierenden, zum Teil die Breite der via sagularis verkleinernden Schichten gelegentlich dokumentiert werden1 . Nach diesem ersten Blick auf Abfalldeponierungen in und um römische Kastelle wäre somit ein diversifizierter Umgang mit der Abfallentsorgung zu vermuten . Dieser Rückschluss scheint sich zu bestätigen, wenn man die Daten für die Hauptstadt Rom zurate zieht . Dort existierte nachweisbar keine spezialisierte, durch eine Stadtverwaltung organisierte Müllabfuhr wie in heutigen Städten und Gemeinden . Die wenigen Hinweise auf die Ausfuhr von Karren mit Abfall aus der Stadt beziehen sich vermutlich auf organische (Garten?)Abfälle und Fäkalien zur Düngung sowie auf den Abtransport von Bauschutt bei öffentlichen Bauaufträgen 2 . Für den militärischen Bereich existiert ein Papyrus des späten 1. Jahrhunderts n. Chr., der die Tätigkeiten des „Ausfegers“ (scoparius) und „Unratbeseitigers“ (ad stercus centuriae) anführt 3 . Ob mit „Unrat“ lediglich Fäkalien aus Latrinen oder auch anderer Abfall gemeint sind, bleibt unklar . Daher lohnt es sich, einen etwas genaueren Blick auf militärische Stützpunkte zu werfen, einige Beispiele herauszugreifen und die Umstände zu beleuchten, in denen sich Abfallansammlungen beobachten lassen . Der Fokus liegt hierbei auf den Nordwestprovinzen . Die bekannteste Abfallhalde des römischen Militärs erstreckt sich unzweifelhaft in Vindonissa . Sie liegt direkt außerhalb des Legionslagers am Ufer der Aare. Ein signifikanter Teil der Müllhalde ist bis heute erhalten und nicht ausgegraben, wird aber durch aktuellere Untersuchungen weiter erforscht4 . Ans Tageslicht kamen die Funde hier Ende des 19. Jahrhunderts beim Bau einer Eisenbahnverbindung . Es wurden zahlreiche Funde geborgen und publiziert . Deutlich ist, dass der Abfall über einen längeren Zeitraum dort abgelagert wurde; es gibt eine Vielzahl von kleineren Deponierungen in unterschiedlichen Schichtungen . Es ist keine Trennung der Ablagerungen nach Materialien erkennbar. Zusätzlich zu den häufig in größerer Stückzahl anzutreffenden Fundgattungen haben auch organische Materialien wie Holz, Leder oder Stoffreste bis zur Ausgrabung überdauert 5 . Gleichzeitig wurde vor wenigen Jahren eine deutlich kleinere Sammlung von Abfall im Inneren des Legionslagers aufgedeckt . Entlang einer der Lagerstraßen konnte eine Reihe von tabernae freigelegt werden . Eine Stichstraße führt zu einem größeren Haus, das als Tribunenhaus ange- ALEXANDRA SCHUBERT Die Müllentsorgung an römischen Militärstandorten – Ein Überblick Abb. 2: Dormagen. Gruben unterhalb der Stallungen: vorne und hinten der anstehende Boden, in der Mitte die Grubenfüllungen (A. Schubert, archaeologie.de). sprochen wird . Das Haus ist über einen schmalen Weg zugänglich, der von der Hauptstraße rechtwinklig abzweigt . Hinter den tabernae führt ein weiterer Weg zum Küchentrakt des Hauses, der durch einen glücklichen Umstand gut erhalten blieb6 . Direkt vor einem Fenster und neben dem Hintereingang zur Küche konnte eine wenige Zentimeter starke Schicht von Küchenabfällen dokumentiert werden7 . Das Legionslager von Vindonissa wurde um 100 n. Chr. aufgegeben . Gerade durch den großräumigen sog . Schutthügel direkt vor dem Legionslager wird im Vergleich mit der kleinen Abfallschicht vor der Küchentür deutlich, dass diese eben nicht über die gesamte Nutzung des Lagers sukzessive dort entstanden ist, sondern dass der enge Zugang vor der Hintertür vielmehr der Ort für eine temporäre Deponierung bis zum Transport auf die Halde war . Wäre über den gesamten Nutzungszeitraum von Haus und Küche der gesamte Küchen- und Hausabfall dort entsorgt worden, müsste die Menge an archäologischem Material dort deutlich größer sein . Es erscheint daher wahrscheinlicher, dass dieser Zwischenraum in gewissen Abständen gereinigt wurde und die übrigen Abfälle außerhalb auf dem Schutthügel anzutreffen sind . Gerade solche Restschichten dürften vor allem dann erhalten bleiben, wenn ein Standort geplant aufgegeben wird und sich die Reinigung kleinerer Ansammlungen von Abfall nicht mehr lohnte . 251 252 Limes XXIII · Kapitel 5 · Session 4 – Waste Not, Want Not? Rubbish Disposal and the Roman Army Im Lager von Vindolanda konnten mehrere übereinanderliegende Kastelle ausgegraben werden . Bereits während der Ausgrabungen ergaben sich immer wieder zum Teil gravierende Probleme mit dem Grundwasser, das von unten in die Schnitte drückte . Diese Probleme haben anscheinend bereits in der Antike existiert . Die Phasen in Vindolanda sind gut voneinander zu trennen, weil beim Neubau der Baugrund durch eine verdichtete Packung aus Bauschutt und Müll erhöht wurde . Diese Packung wurde mit einer Lehmschicht zusätzlich versiegelt8 . Aus diesem Grund ist die Erhaltung organischer Materialien sehr gut . Neben den berühmten Schreibtäfelchen aus Vindolanda befand sich auch eine variantenreiche Kollektion von Schuhtypen9 . Der Mix aus Bauschutt und Abfall weist darauf hin, dass möglichst viel Material zusammengetragen wurde, um den Baufortschritt zu gewährleisten . Eine Sammlung des täglichen Abfalls in der Nähe des Kastells ist daher denkbar . Direkt neben dem Alenlager von Krefeld-Gellep wurde im Jahr 2004 eine große Grube entdeckt und untersucht (Abb. 1). Da in den unteren Bereichen der Grubenfüllung noch mit Sand vermischtes lehmiges Material erfasst werden konnte, diente die Grube vermutlich ursprünglich als Lehmentnahmegrube zum Bau des ersten Kastells, das nach dem Bataver-Aufstand in Krefeld errichtet wurde . Der größte Teil des Rheinufers besteht dort noch heute aus einer Kies-Sand-Mischung; lehmiger Boden kommt nur in kleineren Linsen vor10 . Nach der Lehmentnahme erfolgte eine Wiederverfüllung mit Abfall, welcher aufgrund seiner Zusammensetzung wahrscheinlich aus dem Kastell stammt11 . Auch wenn das Gefüge der zahlreichen, zum Teil recht schmalen und bandförmigen Schichten hauptsächlich in den Randbereichen der Grube dokumentiert werden konnte, ist eher von einer schrittweisen Häufung der Schichten und nicht von einem schnellen Verfüllungsprozess auszugehen . Die Datierung der frühesten Funde korrespondiert mit der ersten Phase des Kastells in neronischer Zeit; der Hauptteil der Funde lässt sich in die zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. datieren. Nur wenige Stücke lassen sich in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts setzen . Das Kastell selbst existierte sicher bis in die Spätantike12 . Somit liegt die Vermutung nahe, dass nach der kompletten Verfüllung der Grube der Abfall woanders entsorgt wurde . Es ist möglich, dass nicht der gesamte Lagerabfall in die Grube gelangte . Im Hinblick auf die Zusammensetzung der Funde ist das Fehlen von Metall sehr auffällig13 . Zwei weitere Beispiele für Abfallhalden außerhalb von Auxiliarlagern stammen mit Gomadingen und Donnstetten von der Schwäbischen Alb . Beide liegen direkt an einem Abhang, der sich als einfachster Weg zur Entsorgung anbot14 . Für die Legionslager von Mainz und vom Kops Plateau in Nijmegen existieren ebenfalls Hinweise zu einer Entsorgung auf Halden15 . In Carnuntum wurde zumindest ein Teil des Abfalls fast 700 m vom Kastell entfernt auf einer Halde deponiert16 . Eine andere, vermutlich eher unorganisierte Form der Müllentsorgung zeigt sich innerhalb des Lagers von Caister-on-Sea . In der Nähe einiger Gebäude wurde am Fuß der Wallböschung eine kleine Menge Abfall angeschüttet . Ein Schnitt durch den Wall an dieser Stelle zeigte deutlich, dass hier nicht nur einmal, sondern mehrfach kleinere Mengen Abfall deponiert wurden . Die insgesamt recht kleinräumigen Schichten wurden nicht entfernt, sondern der Abfall wurde mit neuem, sauberem Erdmaterial überdeckt17 . Dieser Vorgang des Überdeckens zeigt, dass zumindest zu bestimmten Zeitpunkten die Sichtbarkeit dieses Abfalls einen Störfaktor darstellte . Ein ähnliches Vorgehen konnte in Portchester dokumentiert werden18 . Abfall in den Gräben trat im Lager von Barburgh Mill auf . Dort wurde eine kleinere Menge Keramik in den Grabenköpfen nahe des Eingangs geborgen . Im Kastell Osterburken wurde ein Graben mit Abfall aufgefüllt, nachdem der Annex errichtet worden war und der betreffende Grabenabschnitt hierdurch seine Funktion verloren hatte19 . Eine ähnliche Situation ließ sich in Haltern nachweisen . Auch hier wurde das Kastell erweitert und ein Großteil des Abfalls danach in den offenstehenden, nicht mehr genutzten Graben gefüllt 20 . In Barburgh Mill wird der Abfall in den Grabenköpfen so interpretiert, dass bei der endgültigen Aufgabe des Kastells Ausrüstungsgegenstände und Inventarteile, die nicht mehr genutzt oder mitgenommen werden konnten, ohne Aufwand entsorgt wurden 21 . In Oberstimm wurde das Kastell gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. nahezu komplett umgestaltet 22 . Innerhalb des Lagers entstand eine große Grube, die möglicherweise der Materialentnahme diente . Da das Gelände um die Grube zum Zeitpunkt der eigentlichen Umgestaltung nicht dicht bebaut war, wurde die Senke hauptsächlich als Sammelstelle für Bauschutt genutzt und so wieder aufgefüllt 23 . Reiterkastelle sind in den letzten Jahrzehnten gründlich untersucht und erforscht worden . In den Stallungen wurden unterhalb des Fußbodens Rinnen nachgewiesen, in denen die flüssigen Bestandteile der Fäkalien nach außen geleitet wurden. In Heidenheim finden sich direkt vor den Baracken größere rechteckige Gruben, die möglicherweise als temporärer Entsorgungsplatz dienten 24 . Möglich sind auch eine Entwässerung in einen Kanal unter der Lagerstraße oder ein einfaches Versickern der Fäkalien im Boden . Dass die genannten Rinnen in den Gebäuden tatsächlich Urin ableiteten, lässt sich anhand deutlicher grünlicher oder rostroter Verfärbungen des Bodens und durch Analysen der Phosphatwerte nachweisen 25 . Gelegentlich kann noch vorhandene Kalkstreu in den Rinnen dokumentiert werden 26 . In Dormagen hatte bereits G . Müller herausgefunden, dass vor der ersten Bauphase der Ställe unterhalb des späteren Laufniveaus tiefe Gruben ausgehoben worden waren, die eine fast sterile Füllung enthielten, die sich vom anstehenden hellbraunen Löss kaum in der Farbe unterschied (Abb. 2)27 . Allerdings enthielten die Gruben deutlich mehr Sand und gelegentlich Tuffabschläge . Vergleichbare Befunde konnten bei neueren Ausgrabungen 2014 erneut aufgedeckt werden 28 . G . Müller vermutete zunächst eine Art erster Soldatenunterkunft in Grubenhäusern, die dann später durch Ställe in gleicher Größe und Ausrichtung ersetzt wurden 29 . Aus der jetzigen Sicht der Dinge erscheint es plausibler, dass der Boden unter den Stallungen und den Rinnen bewusst entfeuchtet und hierdurch saugfähiger gemacht wurde, um den Urin durch den sandigen Untergrund leichter in den Boden abführen zu können . In Kastellen augusteischer Zeit lässt sich vor allem im ALEXANDRA SCHUBERT Die Müllentsorgung an römischen Militärstandorten – Ein Überblick Bereich der via sagularis eine Vielzahl kleiner, relativ flacher Gruben nachweisen30 . Die Grubenfüllungen enthalten zum Teil Fundmaterial . Da die Beschreibungen regelmäßig Sand und Asche als Bestandteile der Füllung erwähnen, ist zu vermuten, dass der Inhalt dieser Gruben mit Reinigungsarbeiten an Herdstellen in Verbindung zu bringen ist . Für die Entsorgung des gesamten Abfalls ist die Menge an Müll in den Gruben zu gering – im Fall von Haltern ermöglicht die oben erwähnte Füllung des Grabens aber einen guten Hinweis auf den Verbleib der restlichen Abfallmengen . Bei Kastellen, die an einem Fluss liegen, ergibt sich die zusätzliche Möglichkeit der Entsorgung des Abfalls im Fluss . Während in Vindonissa trotz der Nähe zum Fluss die Abfallhalde davor angelegt wurde, lässt sich im Kastell von Oberstimm eine Anschüttung von Abfall im Flussbett der Brautlach archäologisch nachweisen31 . In Krefeld ist eine solche Lösung ebenfalls wahrscheinlich32 . Selten tendiert das Fundaufkommen an römischen Militärplätzen gegen null. Mit Nersingen und Burlafingen an der Donau aber wurden zwei Fundplätze ergraben, an denen nur sehr wenige Kleinfunde angetroffen wurden 33 . Ein Grund dafür könnte sein, dass beide Plätze in claudischer Zeit nur für relativ kurze Kampagnen genutzt wurden . Ein zweiter Ansatz dürfte aber darin zu sehen sein, dass beide Kastelle in den Kiesterrassen der Donau liegen . Somit fehlt lehmiger Boden, der für den Bau von Unterkünften hätte dienen können . Die Zweitverwendung von Materialentnahmegruben zur Abfallsammlung entfällt somit . Der während der Nutzung entstandene Abfall muss daher aus dem Lager gebracht worden sein . Offenbar wurde auch sorgfältig darauf geachtet, beim Abzug der Truppen möglichst wenig zurückzulassen . ZUSAMMENFASSUNG Ein Blick auf die bisher vorgestellten Beispiele lässt annehmen, dass eine Systematik im Umgang mit Abfall nicht direkt zu erkennen ist . Aber trifft das wirklich zu? Es erscheint eher wahrscheinlich, dass ein größerer Anteil des Abfalls, der in kleineren Sammlungen innerhalb der Kastelle angetroffen wird, erst dann entsteht, wenn das Kastell kurz vor der Auflassung steht – und somit gerade dann, wenn möglicherweise ein Teil der Truppen bereits auf dem Marsch ist, das Kastell geordnet aufgegeben werden soll und ohnehin alle Gegenstände aussortiert werden, die nicht mitgenommen werden sollen . Das würde – wie bereits von den Ausgräbern vermutet – auch die Fundansammlungen in den Grabenköpfen erklären . Innerhalb von Kastellen gäbe es dann nur wenige Szenarien, bei denen sich größere Mengen Abfall innerhalb der Mauern ansammeln . Zum einen wären dies Zerstörungshorizonte . Falls das Kastell nach einer Zerstörung wieder aufgebaut wird, würden diese Schichten vor der Erneuerung der Gebäude nivelliert und verblieben vor Ort im Boden . Eine zweite Möglichkeit ist die Auffüllung von Materialentnahmegruben mit Bauschutt . Auch normale Umbauten innerhalb der Kastellzeit können ähnliche Befundsituationen erzeugen . Fundkonzentrationen außerhalb von römischen Kastellen, die direkt mit den Militäreinrichtungen in Verbindung gebracht werden können, treten deutlich häufiger auf als sol- che innerhalb der Kastelle . Ausnahmen sind Planierschichten, die von Umbaumaßnahmen herrühren . Es entsteht der Eindruck, dass trotz zahlreicher Befunde, die für eine Müllentsorgung innerhalb des Militärlagers sprechen, dennoch der Großteil des Abfalls außen entsorgt wurde . Entstanden durch Materialentnahme passende Hohlräume, wurden sie sukzessive mit Abfall verfüllt . Ließ es die Geländesituation zu, wurde der Müll über die Mauern den Hang hinuntergeworfen oder direkt in oder neben dem nächsten Fluss entsorgt . Betrachtet man die großen Abfallmengen bekannter Halden außerhalb der Kastelle, dann ist wahrscheinlich, dass eine geregelte Müllentsorgung innerhalb eines römischen Kastells eine gängige Praxis war – spätestens ab dem Zeitpunkt, zu dem dauerhafte, längerfristig bewohnte Gebäude und feste Dienstzeiten zur allgemeinen Routine gehörten . Dazu passt die zum Teil aufwendige und sorgfältige Vorbereitung bei der Anlage von Latrinen, Ställen und einer Frischwasserversorgung . Somit sind archäologische Nachweise von Müllansammlungen innerhalb römischer Lager als Abweichung von der Routine zu werten, deren Ursachen ebenfalls untersucht werden sollten . Die Suche nach den Müllabladeplätzen außerhalb der Kastelle sollte ebenfalls in die Erforschung eines römischen Militärplatzes miteinbezogen werden, um den Standort in seiner Gesamtheit besser erfassen zu können . Alexandra Schubert M. A. Blücherstraße 18 50733 Köln Deutschland Alex.Richt@gmx.de 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Thüry 2001, 43. Thüry 2001, 5–8. Thüry 2001, 43 Anm. 66. Dort Verweis auf Pap. Gen. Lat. 1 verso V (Chartae latinae antiquiores 1,1954, 7). S. hierzu den Beitrag von J. Trumm im vorliegenden Band, 239–248. Thüry 2001, 40. Unter dem Tribunenhaus lag der Graben der Vorgängersiedlung. Die Füllung des Grabens sackte nach und die Mauern des Tribunenhauses versanken zum Teil darin. In der Küche konnte deren Aufteilung komplett ergraben werden. Pauli-Gabi 2005, 595–608. Pauli-Gabi 2005, 595–608. Details des Küchenfundes wurden auf dem Limeskongress in Ingolstadt von St. Reuter in der Session 3 „Food and Drink“ im Rahmen des Vortrages: „‘Non satis est ars sola coco…‘ – Die Untersuchungen zur sog. Offiziersküche im Legionslager von Vindonissa/ Windisch“ vorgestellt. Birley 1994, 10–14. van Driel-Murray 2001, 185–195. Reichmann 2004, 84–86. Ein Hinweis darauf sind zum Beispiel etliche Terra sigillata-Teller mit Namensgraffiti, außerdem wenige kleinformatige militärische Ausrüstungsgegenstände. Bei der Grobkeramik konnten nur wenige große Dolien und Amphorenbruchstücke identifiziert werden; es überwiegen mittelgroße und kleinere Kochtöpfe, kleine Dolien und Reibschüsseln. Die Bearbeitung der Funde erfolgte durch die Verf. (unpubl.). Reichmann 1998, 153–173. Bei den Arbeiten an der Erweiterung des Krefelder Hafens Ende der 1970er- 253 254 Limes XXIII · Kapitel 5 · Session 4 – Waste Not, Want Not? Rubbish Disposal and the Roman Army 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 Jahre wurde ein Teil des Kastells entfernt. Im Zuge der Arbeiten wurden von Sammlern unzählige Metallobjekte geborgen und später teilweise publiziert (Stüben o. J.). Somit ist auch in Krefeld eine Abfallhalde zum Flussufer hin denkbar. Da jedoch nicht alle Schichten in den Profilen der beschriebenen Grube ungestört sind, ist ebenso denkbar, dass nach der Abfallablagerung von weiteren Personen gezielt nach Brauchbarem gesucht wurde. Heiligmann 1990, 71–79 (Gomadingen), 80–87 (Donnstetten). Thüry 2001, 42, tab. 3 (Mainz). Für Nijmegen erfolgte ein mündlicher Hinweis von J. Thijssen. Grünewald 1983, 6–9. Darling 1993, 13. Cunliffe 1975, 423, Abb. 19. Schallmeyer 1991, 120–123. von Schnurbein 1974, 50. Breeze 1974, 130–162. Schönberger 1989, 248. Schönberger 1978, 73–76, Abb. 33. Zwischen dem Bauschutt wurden holzkohlehaltige Schichten dokumentiert. Scholz 2009, 49. Scholz 2009, 61; Müller 1979, 129 (Beitrag von O. Schröder). Müller 1979, 28. Müller 1979, 27. OV 2014/1042 (A. Schubert) und OV 2014/1023 (I. Grohmann-Troll). Beide Grabungsberichte im Ortsarchiv des LVR. Müller 1979, 27. Kühlborn 1992, 32 für Oberaden; dort auch der Verweis auf Haltern und Dangstetten. Außerdem Hofheim im Taunus: Ritterling 1913, 22. Schönberger 1989, 248. Vgl. Anm. 13. Mackensen 1987, 47 (Nersingen), 103–104 (Burlafingen). LITERATURVERZEICHNIS Birley 1994 · R. Birley, The early wooden forts. Reports on the auxiliaries, the writing tablets, inscriptions, brands and graffiti. 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