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REVOLUTIONEN
UND
RENOVATIONEN
DIE BEWEGTE
GESCHICHTE
DES VOLKSHAUS/
HOTEL BERN
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1890–2020
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VON DER RENAISSANCE
EINES GROSSEN HAUSES
Im Berner Volkshaus machten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts illustre Köpfe Weltgeschichte. Heute wird das Hotel Bern neu
geboren, als Ort der Begegnung und des freien Wortes, radikal dem
21. Jahrhundert zugewandt.
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«WILLKOMMEN IM HAUS DER FREIEN»
S. 11
I.
WIE ALLES BEGANN
Was ist ein Volkshaus?
Die Entstehung der Berner Arbeiterbewegung
Das alte Volkshaus
Wachsende Ambitionen: Der Weg zum Neubau von 1914
S. 23
S. 30
S. 31
S. 38
S. 45
II.
EIN HAUS GEGEN KRIEG UND ELEND
Weltgeschichte im Volkshaus
Die sozialistischen Frauen öffnen den Weg
Weltpolitik auf dem Dorfe
Gewerkschaften, über die Fronten hinweg
Wie sich die Arbeiterbewegung spaltet
Hunger und Willkür
Der Kampf der Frauen gegen die Teuerung
Im Oltener Aktionskomitee
Die Armee gegen das Volk
Der Landesstreik
S. 55
S. 58
S. 61
S. 65
S. 67
S. 67
S. 70
S. 73
S. 76
S. 76
S. 78
III.
VON KRISE, NAZI-STAHLRUTEN UND BEINAHE-KONKURS
Eine Schlägerei im Volkshaus
Das Haus der gelebten internationalen Solidarität
Knapp am Bankrott vorbei
S. 85
S. 94
S. 98
S. 105
IV.
VOM LANGEN BOOM, ARTHUR STEINER UND
DEN WEINPREISEN
Am Marshallplan scheiden sich die Lager
Von der Migration lernen
Arthur Steiner, der Mann, der Gewerkschaften
und Volkshaus regierte
«Revolverküche» statt Arbeiterbildung
Der Neuanlauf mit der Gleichstellung
S. 109
V.
DA STAND NUR NOCH DIE FASSADE
In 7 Stuben hocken
Der Saal-Streit mit den «68ern»
Der grosse Umbau
S. 131
S. 134
S. 139
S. 145
VI.
GLORIA, ARTHUR UND DIE RENAISSANCE
«Das Volkshaus/Hotel Bern ist ein Teil
von uns – und wir von ihm»
S. 159
S. 161
ANHANG
S. 181
S. 113
S. 115
S. 116
S. 120
S. 125
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ABB. 1
Das Gemälde «Der Redner» des Berner Malers Eduard Boss.
Die Hauptfigur soll gemäss mündlichen Überlieferungen vom «Weberpfarrer»
Howard Eugster (1861–1932) inspiriert sein. Der Gewerkschafter,
Nationalrat und Appenzeller Regierungsrat Eugster kämpfte u. a. für
die Revision des Fabrikgesetzes.
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Wo sich Geschichte und Gastfreundschaft Guten Morgen sagen:
Verwaltungsratspräsident Corrado Pardini über die Renaissance eines grossen Hauses mit hundertjähriger Historie, über Beton und
Biederkeit und den starken Eigensinn eines Ortes der Begegnung:
«WILLKOMMEN
IM HAUS DER FREIEN»
Lenin hat hier mit Clara Zetkin über die Weltrevolution gestritten.
Kluge Köpfe versuchten in diesen Räumen, dem Völkerschlachten
des 1. Weltkriegs ein Ende zu setzen. 1918 riefen wütende Arbeiterinnen und Arbeiter im Grossen Saal um ein Haar die Schweizer
Revolution aus. In den 1930er-Jahren holten sich Stahlruten schwingende Faschisten im Volkshaus-Restaurant blutige Nasen. In der
Neuzeit waren in diesem Haus Bundesrätinnen und internationale
Staatsgäste untergebracht.
Das konnten Sie nicht ahnen, als Sie beschlossen, in unserem behaglichen, neu gestalteten First-Class-Haus in der betulichen
Hauptstadt der Schweiz einzukehren. Wahrscheinlich hat Ihnen
niemand gesagt, dass Sie sich auf historischem Boden betten. Das
Hotel Bern war das Volkshaus. Und wird es gerade wieder.
Hier wurde und wird Geschichte geschrieben. Die grosse
vom Weltentumult und vom Ringen um die Emanzipation des Menschen. Die kleine von täglichen Nöten, den Freuden gelebter Solidarität und vom ruhigen Gang der Dinge.
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ABB. 2
Dieses Steinrelief weist seit 106 Jahren den Weg.
EIN WEITER BLICK VORAUS
Manche erspüren etwas davon, wenn sie auf unserer Dachterrasse den weit greifenden Blick auf das Bundeshaus (Sitz der Regierung und des Parlamentes), auf das reformierte Münster, die
Universität, den Zytgloggeturm (das Wahrzeichen von Bern) und
die weiss bleckende Alpendreifalt Eiger-Mönch-Jungfrau geniessen: Die Berner Arbeitervereine haben ihr Haus des Volkes zu Beginn des 20. Jahrhunderts mitten ins Herz bürgerlicher Herrlichkeit
gepflanzt, als mächtige Wortmeldung einer aufsteigenden Klasse.
Sie tat mit diesem Bau kund, die Geschicke der Nation fortan mitbestimmen zu wollen. Es war ein in Beton gegossenes Ausrufezeichen einer kühnen Moderne in einer alten Stadt aus Sandstein.
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In den Nachbarpalästen war die erste Bundesverfassung geschrieben und das erste Parlament einberufen worden, und dort hatte das
Bürgertum beschlossen, die feudale Ordnung des Adels mit einem
kurzen Bürgerkrieg («Sonderbundskrieg» 1847) zu beenden, in zeitlichem Einklang mit den bürgerlichen Revolutionen in Frankreich
und Deutschland.
Die Köpfe der Arbeiterbewegung jener Zeit waren sich dieser Kontinuitäten bewusst, daraus leiteten sie ihren politischen Anspruch ab. Das Volkshaus eröffnete zwei Monate nach Beginn des
1. Weltkriegs. Die Gewerkschaften hatten das enorme Projekt mit
einer waghalsigen Finanzkonstruktion auf die Beine gestellt.
Warum ich Sie mit diesen alten Geschichten belästige, statt
einfach die Annehmlichkeiten der neuen Zimmer im «Hotel Bern»
zu loben, die zentrale Lage oder den vorzüglichen Service? Weil das
eine mit dem anderen zusammenhängt. Besonders bei uns.
«Ein gutes Hotel ist das Kondensat
ungezählter Lebensgeschichten, auch
der flüchtig vorüberziehenden.»
Als wir vor einer Weile in frohem Kreis bei einer Fischsuppe sassen,
empfahl uns Freund Hans ein preisgünstiges Hotel im Pariser SaintGermain-Quartier mit den Worten: «Das ‹Louisiane› hat Talent.»
Eigentlich ist Talent lebendigen Wesen vorbehalten, und
doch verstanden alle am Tisch, was dieser Satz meinte. Ein Hotel
mit starker Persönlichkeit. Ein Ort, der seine eigene Geschichte atmet, die Geschichte des Quartiers, der Stadt, auch wenn man sein
Zimmer bloss für ein paar Stunden Schlaf aufsucht. Hans hat in jener Pariser Herberge ein paar Monate lang gelebt, er hat auch mal
Botengänge in die umliegenden Buchhandlungen für einen älteren
ägyptischen Dauergast gemacht, der die Rückkehr des Boten jeweils zum Anlass nahm, vor einer Schar junger Verehrerinnen oder
vor der Rezeptionistin die wilden Begebenheiten in der Existenzialisten-Szene und den Jazzklubs zum Besten zu geben. Hans wurde
selbst ein klein wenig Teil dieser Geschichte. Das «Louisiane» hatte sehr gute Betten, aber keine Fernseher. Geht das? Eine Wohltat,
sagt Hans, das brodelnde Leben war gleich hinter der Zimmertür.
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[OBEN] Die neue
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Attika-Bar und ihre Terrasse mit dem
atemberaubenden Panorama ist
ein Must in Bern.
[RECHTS] Blick aus
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der Bar auf die Berner Alpen mit Eiger
(links), Mönch und Jungfrau.
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Ein gutes Hotel, das wussten wir, als wir den Umbau anpackten, ist
ein Kondensat von ungezählten Lebensgeschichten, selbst den
flüchtig vorüberziehenden. Hotels sind Orte kleiner Freiheiten.
Manchmal auch grosser Lebensentscheide. Man ist aus der eigenen
biografischen Zeit genommen, in der Fremde, aber umsorgt und
geschützt, der Alltag ist in Klammer gesetzt. Nun scheint alles möglich, das Foyer wird zum Vestibül einer weiten offenen Welt. Das
Buch unseres Hauses ist reich an solchen Geheimnissen.
«Hotels sind Orte kleiner Freiheiten.
Manchmal auch grosser Lebensentscheide.»
INTRIGEN, BÜNDNISSE, VERRAT
Regelmässige Gäste, wie die zahlreichen Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die hier zwölf oder mehr Wochen im Jahr
verbringen, haben Spuren hinterlassen. Nicht nur, weil in Restaurant
und Sälen Intrigen gesponnen, Bündnisse geschmiedet und alte Allianzen gebrochen, die Welt auseinandergenommen und neu zusammengesetzt wird. Manches, was hier gedacht wurde, ist heute konkrete Politik. Manche Brandrede hallt lange nach. Einiges davon
erzählen wir auf den folgenden Seiten.
Das Private und das Öffentliche sagen sich hier Guten
Abend. Gloria und Arthur Pereira, die seit drei Jahrzehnten im
Hotel Bern arbeiten, erinnern sich, wie die unkonventionelle Genfer Sozialdemokratin, Aussenministerin und Bundespräsidentin
Micheline Calmy-Rey zum Jahresende jeweils einen ChampagnerCocktail für das Personal ausrichtete. Mehr erzählen sie nicht. Sie
sind die Hüter der Diskretion. Für die Gäste meist unsichtbar, sind
Menschen wie Gloria und Arthur die heimlichen Helden unseres
Hauses. Sie machen das Hotel Bern/Volkshaus 1914. Ihnen gilt unsere besondere Sorge. Während Covid-19 uns zum Lockdown zwang,
haben sie und das ganze Personal selbstverständlich den ganzen
Lohn bezogen. Nicht nur, weil wir Gewerkschafter sind, sondern
weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unser grösstes Kapital
sind und wir sie ins Zentrum stellen. Sie machen die Qualität unseres Empfangs und unserer Dienstleistungen aus. In diesem Buch
kommen sie für einmal zu Wort, ab Seite 159.
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Eigentlich hätte dieses Haus also mit seinem «Talent» glänzen müssen, als zentraler Ort der Berner Gesellschaft und der Geschichte der
Arbeiterbewegung, die das 20. Jahrhundert bewegt hat. Wir standen
vor einem Rätsel, als wir mit der Arbeit begannen. Das Volkshaus
wirkte wie ein unscharfes Foto. Ohne klare Konturen. Eine verwischte Persönlichkeit. Nichts mehr von der selbstbewussten Ambition
seiner Erbauer. Man hatte sich in eine graue Geschäftsmässigkeit
geduckt, als wolle man die Spuren der eigenen Vergangenheit löschen. Die Schätze waren versteckt. Oder schienen verloren. Schätze wie das Wandbild «Der Redner», das Arthur Pereira vor der Zerstörung gerettet hat, indem er ihm ein vorläufiges Exil bot. Vergebens
haben wir nach einer Chronik gesucht. Das Hausarchiv erwies sich
als lückenhaft.
«Architektur ist nie unschuldig.
Sie ist ein Psychogramm.»
Was Wunder, glich der Eingang zum Hotel Bern einer Bunkerschleuse, wie Freund Hans sagte, die Rezeption einer Kontroll- und Passierstelle und der Weg dahin einem Hindernisparcours. Architektur ist
nie unschuldig. Sie ist wie ein Psychogramm. Mit viel Beton war da
jedes Selbstbild verbaut. Getilgt.
DIE SEDIMENTE
EUROPÄISCHER SOZIALGESCHICHTE
Dieser Zustand war keiner blossen Architektenlaune geschuldet. In jedem der vielen Umbauten, die über ein Jahrhundert
notwendig wurden, äusserte sich, Schicht um Schicht, der jeweilige
Zeitgeist, vor allem aber das Selbstverständnis und die gesellschaftliche Verortung der Bauherren. Wir standen vor den Sedimenten der
Schweizer Sozialgeschichte. Also baten wir den Historiker Adrian
Zimmermann um eine Recherche. Die Frucht seiner Arbeit bildet
den Kern dieses Buches.
Mit dem Volkshaus hatten sich die Gewerkschaften nicht
nur endlich ein eigenes Gehäuse mit Sälen, Bühne, Bibliothek, Lesesaal, Kino, Speiseanstalt, Frauen- und Männerbad geschaffen, sie
brachten auch die gesellschaftliche Modernisierung der Schweiz vo16
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Viele kleine Fische sind gemeinsam stärker als der (Finanz-)Hai.
Gewerkschaftliche Aktion auf dem Zürcher Paradeplatz.
ran: Den Gesprächsraum forderten sie nicht für sich allein, sondern
für alle. Auf einem Flugblatt von 1893 zum «Käfigturmkrawall» lesen
wir: «In einem wahrhaft demokratischen Staat ist es notwendig und
selbstverständlich, dass den Bürgern Räumlichkeiten zur Verfügung
stehen müssen, in denen sie die sie bewegenden Fragen besprechen
können.» Dies sollte für Parteien aller Couleur gelten, für Vereine,
Gruppen der Zivilgesellschaft, Arbeitgeberverbände, kurzum für den
aktiven Teil der Gesellschaft.
«In der Baugeschichte des Hotel
Bern liest sich die Sozialgeschichte
der arbeitenden Klasse.»
Im Rückblick sind mindestens zwei Dinge bemerkenswert. Die Gewerkschaften hatten nicht nur Löhne und den materiellen Fortschritt
im Blick, sondern das ganze Leben der Lohnarbeitenden. Sie pflegten eine eigene Kultur. Und in diesem mächtigen Gebäude war nicht
bloss ein Machtanspruch angemeldet, sondern schon der künftige
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soziale Kompromiss, die «Sozialpartnerschaft» vorweggenommen,
samt der Einbindung der Sozialdemokratie in die permanente Grosse Koalition, welche die Schweiz regiert.
Der Kompromiss wurde nach dem 2. Weltkrieg und zahllosen Arbeitskonflikten Realität. Nun schien der soziale Fortschritt
gleichsam als Automatismus in das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Kapitalismus eingeschrieben. Hin und wieder brauchte es
allenfalls einen milden Anstupfer durch die organisierten Arbeitnehmenden.
DIE LUST AM EIGENEN VERSCHWINDEN …
Als der Schock kam, erwischte er die Gewerkschaften kalt.
Ende der 1970er-Jahre begannen die Besitzenden, den neoliberalen
Abrissbagger an den sozialen Kompromiss zu setzen. Wer ums Jahr
1983 das Volkshaus frequentierte, wurde gewahr, was die Gewerkschaften in drei Jahrzehnten Fülle verloren hatten. Das Haus atmete
imitierte Bürgerlichkeit und Duldungsstarre, die frühere historische
Klarsichtigkeit war biederem Korporatismus gewichen. Es hatte gerade den vorletzten grossen Umbau erfahren und war in «Hotel
Bern» umbenannt worden. Man saldierte die eigene Geschichte.
Architektonisch hatte sich das Volkshaus/Hotel Bern in sich selbst
verkrochen. Sie hatten ihm die Seele geraubt.
… UND DIE WIEDERGEBURT IN RAUM,
LICHT UND FARBE
Das war unsere Hypothek, als wir nun die Renaissance dieser Berner Institution angingen. Sie bemisst die Herausforderung
dieses Total-Umbaus. Er soll in Raum, Material, Licht und Farbe die
tiefgreifende Wandlung der Gewerkschaften in den letzten drei Jahrzehnten fassen. Wir wollten dem Haus seine Geschichte zurückgeben. Ich halte den Umbau für ausserordentlich geglückt. Und sagen
Sie nicht, ich sei befangen. Befangenheit ist das Mindeste, was Sie
von mir erwarten dürfen: Ich war als ein leitender Gewerkschaftssekretär und Nationalrat Teil dieses Prozesses.
Nach dem neoliberalen Schock arrangierten sich Teile der
Sozialdemokratie erst einmal mit der neuen Leitideologie. Doch
dann begannen die Gewerkschaften, sich aufzurappeln. Sie stellten
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sich neu auf, fusionierten, demokratisierten ihre Entscheidungsprozesse, schufen konfliktfähige Strukturen. Die Hemmungen des absoluten Arbeitsfriedens wurden abgelegt. Wir fanden zur eigentlich
nie bestrittenen Einsicht zurück, dass Kapital und Arbeit fundamentale Interessengegensätze trennen. Und dass nicht fiktive Harmonie
und reale Unterordnung, sondern die Energie dieses Konfliktes die
Gesellschaft vorantreiben. Der Kompromiss mit den Arbeitgebern
soll immer auf Augenhöhe eingegangen werden.
«Wir haben unser Haus sperrangelweit
geöffnet. Wir wollten es lichtdurchflutet
und radikal unserer Zeit zugewandt.»
Diese Einsicht gab den Gewerkschaften Kraft, Vision und Einfluss
zurück. Wir haben mit den Instrumenten der direkten Demokratie
und mit harten Verhandlungen den Kern der sozialen Sicherheit
und des Service public gerettet und den Lohnschutz ausgebaut. Und
wir haben die Abschottungstendenzen der mitregierenden extremen
Rechten zurückgedrängt.
Heute wäre also ein weiteres Kapitel unserer kleinen Sozialund Baugeschichte zu schreiben, das Kapitel vom wiedergewonnenen Selbstverständnis der Gewerkschaften als gestaltende gesellschaftliche Kraft. Wahrscheinlich wird ein Historiker ihre Tragweite
im Jahre 2120 besser zu würdigen wissen. Doch so lange müssen Sie
nicht warten. Kommen Sie einfach ins Hotel Bern und ins Volkshaus –
unsere Metamorphose wird sich Ihnen ohne lange Rede unvermittelt eröffnen: Wir haben Restaurant, Hotel und Veranstaltungsräume
sperrangelweit zur Stadt und zur Welt und zu allen Akteur*innen
hin geöffnet. Weltoffenheit und Gastfreundschaft. So sehen wir
die Schweiz.
«Unser Haus hat Talent. Das Talent,
unerwartete Begegnungen herbeizuführen und
die offene, aufgeklärte Rede zu fördern.»
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DAS RECHT AUF LEBENSQUALITÄT
Heute bekennen wir uns zu unserer Geschichte. Hier wird
ein zentraler Begegnungsort wachsen, die Bühne für den Austausch
neuer Ideen und gesellschaftlicher Entwürfe. Lichtdurchflutet, der
offenen, aufgeklärten Rede verpflichtet, radikal unserer Zeit zugewandt. Das beginnt oft mit einer zufälligen Plauderei. Die neue
Dachterrasse mit dem schönsten Ausblick Berns ist bereits heute ein
solcher Treffpunkt. Eine gewisse Eleganz befördert den lockeren
Gedankenfluss. Kein Protz, kein Kitsch, keine Imitation. Es geht um
Qualität für alle. Wir schliessen den Kreis zu unseren Anfängen. Im
Zentrum stand schon immer Lebensqualität als Anspruch und Recht.
Der offene Gesprächsraum ist unser starkes Bekenntnis zur
Stadt Bern. Die Begegnung ist unser Talent.
Herzlich willkommen!
Corrado Pardini,
Verwaltungsratspräsident Hotel Bern/Volkshaus
Corrado Pardini, 55, hat bei der Firma Wifag
in Bern Maschinenschlosser gelernt. Sie
stellte die weltbesten Maschinen für Zeitungsdruck her. Von 1987 bis 2020 arbeitete er
als Gewerkschafter, zuletzt als Mitglied der
nationalen Geschäftsleitung der grössten
Gewerkschaft, Unia, verantwortlich für die
Industrie. Über zwei Legislaturen (2011
bis 2019) war er eine gewichtige Stimme im
Nationalrat, der grossen Kammer des
Parlaments, etwa in der einflussreichen
Kommission für Wirtschaft.
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Offen zur Welt, Tor zu lukullischer Behaglichkeit: Der neu
gestaltete Empfang.
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I.
WIE ALLES BEGANN
1888–1913
In den Jahren des grossen Umbruchs vor 1918 pflanzte die Berner Arbeiterbewegung ihr Volkshaus mitten ins Herz bürgerlicher Macht. Es war eine kräftige Wortmeldung aus «Dreck und
Eisen», aus Beton. Hier ist ihre bewegte Vorgeschichte.
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Der 1914 eröffnete Neubau des Volkshauses setzte in der Berner
Innenstadt einen markanten städtebaulichen Akzent. Robert Grimm,
ein Anführer des späteren Landesstreiks, schrieb im «Grütlikalender
1915», die Arbeiterbewegung habe mit dem Neubau ihren Aufstieg
und Machtanspruch in einer historisch symbolträchtigen Umgebung demonstriert.
Gegenüber dem Volkshaus befindet sich die Französische Kirche, ursprünglich ein Dominikanerkloster, das die Reformation
aufgehoben hatte. Das östliche Nachbargebäude ist das «Zunfthaus zu Schmieden», im Westen schliesst das «Gesellschaftshaus
zum Äusseren Stand» an das Volkshaus an.
Besonders in diesem Gebäude hatten sich zentrale Ereignisse
der Geschichte der Schweiz abgespielt. Es war Schauplatz wichtiger
Auseinandersetzungen zwischen der Aristokratie und dem aufsteigenden Bürgertum. Ursprünglich diente das Haus jungen Männern
aus dem Berner Patriziat als eine Art «Jugendparlament». Von 1804
bis 1848 versammelte sich im «Äusseren Stand» jeweils die Tagsatzung, eine Art Kongress von Kantonsvertretern, vor 1848 das einzige
gemeinsame Entscheidungsorgan auf schweizerischer Ebene.
1831 kam es im Kanton Bern und in vielen anderen Kantonen
zu einer unblutigen Revolution. Europa brodelte. Die französische
Julirevolution hatte im Jahr zuvor die Bourbonen vom Thron gefegt,
in Belgien, Polen und einigen italienischen Stadtstaaten rüttelten
bürgerliche Revolutionäre an der Macht, in Deutschland begann
1830 der Vormärz. Auch in Bern übernahm das aufstrebende Bürgertum die Macht, der Abstieg der alten Aristokratie beschleunigte sich. Im «Äusseren Stand» wurde damals die erste liberale Verfassung des Kantons Bern ausgearbeitet, und hier wurden die Weichen
gestellt, um die bürgerliche Revolution in der ganzen Schweiz durchzusetzen. Die Tagsatzung von 1847 beschloss, den reaktionären
Sonderbund gewaltsam aufzulösen. Nach dem kurzen Bürgerkrieg
vom November 1847 («Sonderbundskrieg») schrieben die Sieger
hier die Bundesverfassung von 1848. Sie machte die Schweiz vom
Staatenbund zum Bundesstaat, in dessen Anfängen sich die kleine Kammer des Parlamentes, der Ständerat, ebenfalls in diesem
Haus versammelte.
So erinnerten die drei Nachbarhäuser des Volkshauses, notiert
Grimm, an die Kämpfe der mittelalterlichen Zunfthandwerker gegen
das Patriziat, an die Reformation und an die bürgerliche Revolution:
«Jeder dieser Zeitabschnitte bedeutet den Sieg der einen Klasse
über die andere, mit dem jeweiligen Endresultat der Etablierung
der wirtschaftlich fortgeschritteneren Schicht als politisch herrschende Klasse. Alle geschichtlichen Gründe sprachen daher für
die Beibehaltung der bisherigen Lage, indem hier auf engem Raume die historische Entwicklung, die den endlichen Sieg der Arbei-
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terklasse verbürgt, wie durch die Überreste des Dominikanerklosters und durch das Standesratshaus nun auch im neuen Volkshaus
ihre sinnbildliche Darstellung auf Jahrhunderte hinaus erfährt.»1
Grimm verwies auch darauf, dass «im nachmaligen Volkshause (…)
vor der zweiten bernischen Verfassung von 1846 die revolutionären
Radikalen ihren Sitz aufgeschlagen hatten» und ihr Anführer, der
spätere Bundesrat Jakob Stämpfli (1820–1879) dort sein Organ drucken liess. 1848 gründete sich zudem die Landesorganisation der
deutschen Arbeitervereine in der Schweiz ebenfalls in diesem Gebäude.2 Als Delegierter des deutschen Arbeitervereins in Lausanne
nahm an dieser Versammlung auch Friedrich Engels (1820–1895) teil.3
Der Drucker Robert Grimm hatte
seinen Marx gelesen. Im revolutionären
Aufstieg des Bürgertums gegen die
Aristokratie erkannte er ein Modell für
die Revolution der Arbeiter*innen.
1
Grimm, Robert:
«Das neue Volkshaus in
Bern», in: Grütlikalender
23 (1915), S. 26 f.
2
Ebd., S. 26.
[Mandat des
3
Lausanner Arbeitervereins für Friedrich Engels
zum Arbeiterkongress
in Bern], in: Marx-EngelsWerke, Bd. 6, Berlin:
Dietz 1961, S. 574–575.
Grimms Betrachtungen zum Volkshaus und seiner geschichtsträchtigen Umgebung belegen, dass er Karl Marx (1818–1883) und Friedrich
Engels gelesen hatte und deren Historischen Materialismus in seinen eigenen Schriften anwandte. Die Arbeiterklasse, davon war
Grimm überzeugt, werde in absehbarer Zeit die Macht im Staat
übernehmen und den Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft einleiten, so wie zwischen 1798 und 1848 sich das damals
revolutionäre Bürgertum gegen die Aristokratie durchgesetzt und
dem Industriekapitalismus und der liberalen Demokratie zum
Durchbruch verholfen hatte. Grimms Blick in die Zukunft erscheint
mehr als hundert Jahre später gewiss als zu optimistisch. Allerdings
erlebte die Arbeiterbewegung in den Jahrzehnten vor 1914 in ganz
Europa tatsächlich einen spektakulären Aufstieg.
Gerade in der Stadt Bern war diese Entwicklung offensichtlich. Die in der Arbeiterunion zusammengeschlossenen Berner Sektionen der Gewerkschaftsverbände und der Sozialdemokratischen
Partei waren in den Jahrzehnten vor 1914 zu einem zentralen Machtfaktor in der Stadt geworden. Gehörten 1891 nur drei von insgesamt
80 Mitgliedern des Berner Stadtrats (Parlament) der Sozialdemokratischen Partei an, waren es im Jahr 1900 bereits 25, und 1913 war
die sozialdemokratische Vertretung im Berner Stadtparlament auf
35 Mitglieder angewachsen. Erstmals 1909, und dann wieder ab
1915 bildeten die Sozialdemokraten im Berner Stadtparlament die
stärkste Fraktion. Auch in die damals neunköpfige Stadtregierung
(Gemeinderat) hielt bereits 1895 ein Sozialdemokrat Einzug, der
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[OBEN] Faksimile: Robert Grimms Artikel im «Grütlikalender 1915».
[UNTEN] VOR DEM VOLKSHAUS WAR DAS … VOLKSHAUS.
ABB. 8
1893 gelang es den Berner Arbeiter*innen, das erste Haus des Volkes in
der Schweiz einzurichten, wo sie sich ungestört versammeln konnten. Am Tag
der Arbeit, wie hier am 1. Mai 1910, zogen sie mit Fahnen und Tafeln durch
die Stadt zur Zeughausgasse 9. An derselben Stelle, erweitert um Nachbarliegenschaften, entstand 1914 das neue, grosse Volkshaus.
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DAS VOLKSHAUS IM HERZEN
BÜRGERLICHER MACHT
Die Stadt Bern um 1907
1 Volkshaus
2 Bundeshaus
3 Französische Kirche
4 Äusserer Stand
5 Zunfthaus zu Schmieden
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Notar und spätere Stadtpräsident Gustav Müller (1860–1921). Vier Jahre
später stellte die SP schon zwei, und ab 1911 drei Regierungsmitglieder.4
Zudem verfügte die Berner Sozialdemokratie mit der «Berner
Tagwacht» seit 1893 über ein eigenes Presseorgan, das ab 1906
täglich erschien. Gedruckt wurde die «Tagwacht» in der eigenen
Unions druckerei. Derweil trug die Bäckereigenossenschaft der
Arbeiterunion Bern wesentlich dazu bei, dass dieses Grundnahrungsmittel zu erschwinglicheren Preisen erworben werden konnte. Auch
die Gewerkschaften konnten bereits vor 1914 beträchtliche Erfolge
im Kampf für Arbeitszeitverkürzungen, bessere Löhne und Arbeitsbedingungen vorweisen. Im Unterschied zur zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts waren damals Streiks auch in der Schweiz recht
häufig. Allein in der Region Bern kam es zwischen 1880 und 1914
zu 136 Arbeitskämpfen.5
WAS IST EIN VOLKSHAUS?
Das erste bekannte Volkshaus entstand 1872 in Jolimont in der von
der Montanindustrie geprägten belgischen Provinz Hainaut. Von
Belgien aus breitete sich die Institution der Volkshäuser in andere
Länder aus, vor allem nach Italien, Skandinavien und in die Schweiz.
Kino, Dampfbad, Bibliothek:
Volkshäuser sind im besseren Fall
viel mehr als Sitzungssäle plus
Restaurant. Sie sind Lebenszentren,
Orte der Arbeiter*innenkultur.
4
Bähler, Anna,
et. al (Hg.): Bern – die
Geschichte der Stadt
im 19. und 20. Jahrhundert.
Stadtentwicklung,
Gesellschaft, Wirtschaft,
Politik, Kultur, Bern:
Stämpfli 2003, S. 338–342.
5
Hirter, Hans: «Die
Streiks in der Schweiz
in den Jahren 1880–1914:
Quantitative Streikanalyse», in: Gruner, Erich
(Hg.): Arbeiterschaft und
Wirtschaft in der Schweiz
1880–1914, Bd. 2, S. 861.
Zweck aller Volkshäuser war es, für die unterschiedlichen Organisationen der Arbeiterbewegung und ihre Mitglieder ein lokales Zentrum zu schaffen. In so gut wie allen Volkshäusern fanden sich Versammlungsräume und ein Restaurant. Darüber hinaus variierten die
Angebote von Ort zu Ort stark. Oft befanden sich zudem die Sekretariate der lokalen Gewerkschaftssektionen und eine Bibliothek im
Volkshaus. Kulturelle Einrichtungen konnten von Übungsräumen für
Kulturvereine bis hin zu Theaterbühnen und Kinos reichen. In einigen Volkshäusern hatten sich Ladenlokale und Lagerräume genossenschaftlicher Betriebe etabliert. Mancherorts, so auch im Volkshaus Bern, konnte man nächtigen und eine öffentliche Badeanstalt
mit Duschen und Badewannen benutzen – in jener Zeit waren solche
Installationen nur sehr selten in Wohnungen anzutreffen, die für die
breite Bevölkerung erschwinglich waren.
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In Volkshäusern wurden nicht nur Pläne für eine gerechtere Welt
geschmiedet. Sie waren der Ort, wo die Arbeiterschaft ihre eigene
Kultur lebte und wo sie sich ihres gemeinsamen Klassenbewusstseins versicherte.
DIE ENTSTEHUNG DER BERNER
ARBEITERBEWEGUNG
Auf den ersten Blick überrascht, dass in der Stadt Bern eine starke
Arbeiterbewegung entstanden war. Bern gilt als eine Beamtenstadt
und Zentrum eines landwirtschaftlich geprägten Kantons. Dieses
Klischee hält keiner Prüfung stand.
So kann man irren: Bern wuchs
als Stadt der Industrie. Und das Berner
Proletariat wusste, was es wollte.
6 Lüthi, Christian:
«Wachstum in
schwierigem Umfeld.
Die wirtschaftliche
Entwicklung im Spiegel
der wichtigsten Branchen
und Firmen», in: Bern –
die Geschichte der Stadt im
19. und 20. Jahrhundert.
Stadtentwicklung,
Gesellschaft, Wirtschaft,
Politik, Kultur, Bern:
Stämpfli Verlag AG 2003,
S. 58–77.
7
Cronin, James E.:
«Labor Insurgency
and Class Formation.
Comparative Perspectives on the Crisis of
1917–1920 in Europe»,
in: Social Science History
4,1 (1980), S. 130 und
137–144.
8
Fritzsche, Bruno:
«Bern nach 1800»,
in: Berner Zeitschrift für
Geschichte 53,1–2 (1991),
S. 79–98; Lüthi, Christian:
«Die Spinnerei Felsenau
1864–1975. Ein wichtiges
Kapitel der industriellen
Vergangenheit Berns», in:
Berner Zeitschrift für
Geschichte 64,2 (2002),
S. 49–99.
Tatsächlich arbeitete seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Bern
ein ähnlich hoher Anteil der Bevölkerung in Industriebetrieben wie
in allen anderen grossen Schweizer Städten. Die frühen, von Wasserkraft angetriebenen Fabriken waren vor allem entlang von
Wasserläufen und damit häufig auf dem Land entstanden. Mit dem
Ausbau des Eisenbahnnetzes, das den Kohleimport verbilligte, und
vor allem mit der beginnenden Elektrifizierung verringerte sich die
Abhängigkeit der Industrie von Flüssen, Bächen und Stauseen.
Neue, stärker mechanisierte und grössere Fabriken siedelten sich
in den städtischen Zentren oder in deren Nähe an. Fabriken der
Textilbranche, der Maschinen- und Metallindustrie sowie der Nahrungs- und Genussmittelindustrie machten bald Berns neuen Reichtum. Mit Ausnahme des überwiegend bürgerlichen Stadtteils Kirchenfeld-Schosshalde waren alle neuen Aussenquartiere Berns
stark von Fabriken und den dort arbeitenden Arbeiterinnen und
Arbeitern geprägt.6 Aus den Fabriken wurden Firmen mit klingenden Namen wie Hasler, Tobler, Wander oder Wifag. Arbeitende aus
der Bauindustrie, dem handwerklichen Gewerbe und den Verkehrs-,
Kommunikations- und Infrastrukturbetrieben mehrten dieses oft
schlecht bezahlte, aber selbstbewusste Proletariat.
Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert trieb
die Industrialisierung überall in Europa das starke Wachstum der
Städte an.7 Die Bevölkerung der Stadt Bern verdoppelte sich zwischen 1880 und 1910 von 44 087 auf 90 937 Einwohnerinnen und
Einwohner.8 Just in dieser Zeit rasanter wirtschaftlicher und
sozialer Umbrüche konnte sich in der Bundesstadt auch eine
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[OBEN] Männer conchieren die SchokoladeABB. 10
Masse mithilfe einer Walzenreibmaschine, 1906.
[LINKS] Frauen wickeln die fertige
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Schokolade unter Aufsicht einer Vorarbeiterin ein (1910).
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Ihre Geschäftstätigkeit
begonnen hat die Firma Wander 1865 in einem Laboratorium in der Berner Altstadt. Dem Apotheker
Georg Wander gelang es als Erstem, Malzwürze durch
ein spezielles Vakuumverfahren haltbar zu machen.
Aus diesem Malzextrakt entstand 1904 die berühmte
Ovomaltine, welche bis 1927 am Standort an der Holzikofenstrasse in Bern produziert wurde [LINKS].
Am selben Standort befand sich auch die Verpackungsabteilung [OBEN].
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Die 1.-Mai-Demonstration 1892 auf dem Berner Waisenhausplatz.
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eigenständige, starke und schlagkräftige sozialistische Arbeiterbewegung etablieren.
Ihre ersten Vorläufer waren schon in den 1840er-Jahren aktiv.
Damals entstanden in Bern lokale Ableger der deutschen Arbeiterbildungsvereine und des Grütlivereins. Auch von ersten gewerkschaftlichen Berufsvereinen finden sich Spuren in jenen Jahren.
Von der Gründung der Ersten Internationale oder Internationalen
Arbeiterassoziation in London 1864 gingen auch auf die schweizerische und bernische Arbeiterbewegung wichtige Impulse aus. Die
Berner Sektion der Ersten Internationale regte die Gründung der
Allgemeinen Arbeitergesellschaft Bern an. Sie war ein lokaler Dachverband verschiedener Arbeitervereine. Dieser Vorläufer der späteren Arbeiterunion Bern geriet aber bald unter den Einfluss des
sozialreformerischen Flügels des Freisinns. Dass die frühen Arbeiterorganisationen oft den linken Flügel des Freisinns bildeten, erklärt sich unter anderem damit, dass der Kampf für die politische
Demokratisierung und die bürgerlichen Freiheitsrechte gerade auf
kommunaler Ebene noch lange nach der Gründung des Bundesstaats 1848 weiterging. Erst Ende der 1880er-Jahre gelang es einem
Bündnis von Freisinnigen und Arbeitervereinen, die Vormacht der
konservativ-aristokratischen Kräfte in der Stadt Bern zu brechen
und das kommunale Stimmrecht auf den Grossteil der niedergelassenen männlichen Schweizerbürger auszuweiten.9 Danach trennten sich die Wege von Freisinn und Sozialdemokratie endgültig.
In den grösseren Städten und Industrieorten der Schweiz
schlossen sich die verschiedenen gewerkschaftlichen, politischen
und kulturellen Arbeitervereine zu Arbeiterunionen zusammen. Sie
bildeten auf lokaler Ebene bis nach dem 1. Weltkrieg den organisatorischen Kern der Arbeiterbewegung. Erst 1932 teilte sich die
Arbeiterunion in der Stadt Bern in das Gewerkschaftskartell und die
Sozialdemokratische Partei der Stadt Bern auf.10
9 Tanner, Albert:
Arbeitsame Patrioten –
wohlanständige Damen.
Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Schweiz
1830–1914, Zürich: Orell
Füssli 1995, S. 574–622
und 691–693; Rieder,
Katrin: Netzwerke
des Konservatismus.
Berner Burgergemeinde und
Patriziat im 19. und
20. Jahrhundert, Zürich:
Chronos 2008, S. 58–60;
Aemmer, Robert Walter:
Die Sozialdemokratie im
Kanton Bern 1890–1914,
Zürich: Juris 1973,
S. 261–263.
10 Keller, Willy:
175 Jahre Geschichte der
schweizerischen und
bernischen Arbeiterbewegung, 1800–1975.
Wegleitung, Bern:
Arbeiterbildungsausschuss der Stadt
Bern 1975, S. 54–55.
11 Gruner, Erich:
Die Arbeiter in der Schweiz
im 19. Jahrhundert.
Soziale Lage, Organisation,
Verhältnis zu Arbeitgeber
und Staat, Bern: Francke
1968, S. 791–792; ders.:
«Die Arbeiterunionen
(AU) als gewerkschaftlich-parteipolitische
Zwittergebilde», in: ders.:
Arbeiterschaft und
Wirtschaft in der Schweiz
1880–1914, Bd. 2,
S. 779–781, 803–805.
In der Schweizer Hauptstadt bestand seit 1875 eine Dachorganisation, die verschiedene Gewerkschaften und politische Arbeitervereine umfasste. Allerdings war sie in den ersten Jahren organisatorisch noch wenig gefestigt, was auch in ihren wechselnden Namen
zum Ausdruck kam. Zwischenzeitlich nannte sich die Arbeiterunion auch Sozialdemokratische Partei Bern und Allgemeiner Arbeiterverein Bern, bevor sie ab Juni 1890 definitiv als Arbeiterunion
auftrat. Sie stellte mit dem Arzt Nikolaus Wassilieff (1857–1920) den
ersten vollamtlichen lokalen Arbeitersekretär an.11
Dass Berner Arbeiter einen aus Russland geflüchteten Intellektuellen zu ihrem Sekretär wählten, mag zunächst überraschen.
Doch Migrantinnen und Migranten spielten in der schweizerischen
Arbeiterbewegung von Anfang an eine wichtige Rolle. Vorläufer der
modernen Arbeiterbewegung waren die seit den 1830er-Jahren in
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DER ERSTE SEKRETÄR
DER BERNER ARBEITERUNION
Nikolaus Wassilieff wuchs in St. Petersburg als Sohn eines
Sinologen auf. Er begann ein Studium der Agronomie und
schloss sich der revolutionären Bewegung gegen den Zaren
an. Während eines Textilarbeiterstreiks wurde er 1878 verhaftet und in den hohen Norden Russlands verbannt. Doch
es gelang ihm, aus der Verbannung in die Schweiz zu fliehen,
wo er in Bern ein Medizinstudium abschloss und 1888 in
Muri (BE) eingebürgert wurde. 1890 wählte ihn die Arbeiterunion Bern auf den neu geschaffenen Posten eines Arbeitersekretärs. In dieser Funktion unterstützte Wassilieff ratund hilfesuchende Arbeiterinnen und Arbeiter, organisierte
Weiterbildungskurse und gründete zahlreiche Gewerkschafts- und sozialdemokratische Parteisektionen. Er war
massgeblich an der Entstehung des Berner Volkshauses beteiligt. 1893 wurde er für den Käfigturmkrawall verantwortlich gemacht und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. 1900
zog Wassilieff nach Basel, wo er ebenfalls das lokale Arbeitersekretariat leitete. Nach den blutig niedergeschlagenen
Aufständen in Russland (1905–1907) kehrte er nach St.
Petersburg zurück. 1917 fiel die Zarenherrschaft. Wassilieff
bekleidete Leitungsfunktionen in der russischen Konsumgenossenschaftsbewegung und stand als Anhänger der
Gruppe «Einheit» um den Mitgründer der russischen Sozialdemokratie, Georgi Plechanow, in Opposition zur Regierung
von Lenin und Trotzki.
ABB. 15
NIKOLAUS WASSILIEFF
* 10. August 1857 (St. Petersburg)
† April 1920 (St. Petersburg)
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der Schweiz tätigen deutschen Arbeitervereine. So stammte etwa
Herman Greulich (1842–1925), die prägendste Gestalt der frühen
Jahre, ursprünglich aus Deutschland. Vor dem 1. Weltkrieg bestand
in Europa eine weitgehende Personenfreizügigkeit. Die Schweiz
wandelte sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts vom Aus- zum
Einwanderungsland. Gemäss der Volkszählung von 1910 waren
14,7 % der Wohnbevölkerung des Landes ausländische Staatsangehörige, ein Wert, der erst 1970 wieder überschritten wurde. Da in
dieser Zahl die Saisonarbeitenden nicht inbegriffen waren und die
Schweiz damals eine weit offenere Einbürgerungspraxis kannte als
heute, dürfte der Wert von 1910 zudem eher zu tief angesetzt sein.
Migranten spielten in der Schweizer
Arbeiterbewegung immer eine wichtige Rolle.
Das hat die Gewerkschaften stark gemacht.
Bern wies als einzige der grösseren Städte 1910 einen unterdurchschnittlichen Ausländeranteil von 10,8 % auf. Dies lag wohl daran,
dass Bern weiter von den Landesgrenzen entfernt lag als andere
Städte, und dass Arbeitskräfte auch in der noch stark landwirtschaftlich geprägten weiteren Umgebung der Stadt rekrutiert werden konnten. In Zürich lag der Ausländeranteil dagegen bei 33,8 %,
in Basel bei 37,8 % und in Genf sogar bei 42,0 %.
Der grösste Teil der ausländischen Wohnbevölkerung stammte aus den Nachbarstaaten der Schweiz.12 Deutsche arbeiteten oft
in Metall- und Holzberufen, Italiener im Bauhauptgewerbe und
besonders im Eisenbahn- und Tunnelbau. Aus dem russischen Zarenreich kam die fünftgrösste Ausländergruppe in der Schweiz. Sie
wanderten meist nicht aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz
ein. Rund ein Viertel von ihnen studierten an einer schweizerischen Universität. So waren 1913 fast ein Fünftel der an der Universität Bern eingeschriebenen Studierenden russischer Herkunft.
Viele von ihnen waren politische Flüchtlinge, die häufig einer der
russischen sozialistischen Parteien nahestanden.13 Wie Wassilieff
wurden einige der Flüchtlinge aus dem Zarenreich auch in der
schweizerischen Arbeiterbewegung aktiv.
Diese aktive Rolle immigrierter Arbeitender sollte auch in
späteren Jahren eine prägende Konstante der Schweizer Gewerkschaftsbewegung bleiben. Immigrierte Werktätige brachten vielfach ein hohes politisches Bewusstsein und viel Organisationserfahrung in die Gewerkschaften ein. Das führte vor allem in den
Boomjahren nach dem 2. Weltkrieg mitunter zu Spannungen und
Konflikten innerhalb der schweizerischen Gewerkschaftsbewegung. Aber das ist eine andere Geschichte.
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12 Gruner, Erich,
Wiedmer, Hans-Rudolf:
Arbeiterschaft und
Wirtschaft in der Schweiz
1880–1914, Bd. 1, Zürich:
Chronos 1987, S. 239–272;
Bähler, Anna, Lüthi,
Christian: «Unterschiedliche Lebensweisen auf
engstem Raum. Aspekte
des gesellschaftlichen
Wandels», in: Bern –
die Geschichte der Stadt im
19. und 20. Jahrhundert.
Stadtentwicklung,
Gesellschaft, Wirtschaft,
Politik, Kultur, Bern:
Stämpfli Verlag AG 2003,
S. 236–241.
13 Gruner, Erich:
«Anarchismus,
Emigranten und die
Zweite Internationale»,
in: ders., Arbeiterschaft
und Wirtschaft in
der Schweiz 1880–1914,
Bd. 3, Zürich: Chronos
1988, S. 461–486.
37
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DAS ALTE VOLKSHAUS
Von Anfang an war in der Arbeiterunion die Suche nach geeigneten
Vereinslokalen ein Dauerthema. Manchmal verweigerten Berner
Wirte den Arbeiterorganisationen ihre Säle aus politischen Gründen. In der Praxis noch hemmender waren finanzielle Hindernisse.
Die dauerhafte Miete von Vereinslokalen stellte eine erhebliche
Belastung für die Finanzen der noch wenig gefestigten Organisationen dar. Nutzte ein Verein ein Versammlungslokal in einer Gastwirtschaft nur punktuell, bestand dagegen in der Regel ein Konsumationszwang. Also unternahmen die Arbeiterunion Bern und ihre
Vorläuferorganisationen verschiedene Anläufe, ein eigenes Gebäude
zu kaufen. Vorerst aber scheiterten diese allesamt.14 Erst als sich die
Arbeiterbewegung gegen Ende der 1880er-Jahre organisatorisch
etwas gefestigt hatte, gelang es ihr, die Suche nach eigenen Lokalitäten auf eine solidere Grundlage zu stellen.
Die Gründung begann mit einem Idyll
an der Aare. Drei Sozialdemokraten
schlenderten nach Hause und fassten den
Plan für ein Volkshaus. Sie legten ihr
Geld zusammen – es wurden 1½ Franken.
1888 begann im Allgemeinen Arbeiterverein, der späteren Arbeiterunion Bern, eine Geldsammlung für einen Baufonds. Darf man
Robert Grimm glauben, ging der Grundstock für diesen Fonds auf
eine spontane Idee von drei heute weitgehend vergessenen Pionieren der Berner Sozialdemokratie zurück:
«Die Gründungsgeschichte des Berner Volkshauses (…) beginnt mit
einer kleinen Idylle, der etwas Romantisches anhaftet. In einer
lauen Sommernacht, eben von einer Versammlung heimkehrend,
schlenderten drei Genossen dem rechten Aareufer entlang, ihrer
Wohnung zu. Man unterhielt sich über die kommenden Aufgaben
und über die Mittel zu ihrer Erfüllung. Immer wieder kehrte der
eine Gedanke in den Gesprächsstoff: ‹Wir brauchen einen Zentralpunkt, von dem alle Kräfte ausströmen, wenn wir mit unserer
Arbeiterbewegung in Bern vorwärts kommen wollen.› Man riet
hin und her, wie das Ziel wohl zu erreichen wäre und verhehlte
sich keineswegs die enormen Schwierigkeiten. Dann nahmen alle
drei Kopf und Herz fest zusammen und der glühenden Liebe zur
gemeinsamen Sache entsprang der Vorschlag, noch am gleichen
Abend den ersten Schritt zu tun, den Stein ins Rollen zu bringen.
14 Zingg, Karl:
Das Berner Volkshaus
1914–1964. Jubiläumsschrift, Bern 1964, S. 6 ff.
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ABB. 16
An der Zeughausgasse 9 entstand 1893 in Bern das erste
Volkshaus der Schweiz.
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DER VORDENKER DER
SCHWEIZER ARBEITERBEWEGUNG
ABB. 17
ROBERT GRIMM
* 16. April 1881 (Wald ZH)
† 8. März 1958 (Bern)
40
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Robert Grimm war während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der wichtigste Anführer und Vordenker der Arbeiterbewegung in Bern und in der Schweiz. Grimm wuchs in
einer Arbeiterfamilie im Zürcher Oberländer Industriedorf
Wald auf. Nach einer Buchdruckerlehre in Oerlikon arbeitete er während seiner Wanderjahre als Schriftsetzer und
Maschinenmeister an verschiedenen Orten in der Schweiz
und den umliegenden Ländern. Dabei geriet er als gewerkschaftlicher Aktivist auf die «schwarze Liste». Er machte
die Arbeiterbewegung zu seinem Beruf. Nach einigen Jahren als Basler Arbeitersekretär leitete er von 1909 bis 1918
die Redaktion der «Berner Tagwacht». Von 1911 bis 1919
und wieder von 1920 bis 1955 gehörte er dem Nationalrat,
der grossen Kammer des Parlamentes, an. Im Ersten Weltkrieg machte er die «Tagwacht» zum international beachteten Organ der sozialistischen Opposition gegen den Krieg,
denn Grimm war der organisatorische Kopf der Zimmerwalder Bewegung. 1918/19 präsidierte er das Oltener Aktionskomitee, das den Generalstreik anführte. Wegen einer
Passage im Streikaufruf, welche die Soldaten aufforderte,
nicht auf Streikende zu schiessen, verurteilte ihn ein Militärgericht im Landesstreikprozess vom Frühling 1919 zu
einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe. Die Haftzeit nutzte
er zum Verfassen seiner «Geschichte der Schweiz in ihren
Klassenkämpfen». 1918–1938 gehörte er dem Berner Gemeinderat an, 1938–1946 zusammen mit Georges Moeckli
als erste Sozialdemokraten dem Regierungsrat des Kantons
Bern. Während des Zweiten Weltkriegs leitete er die Sektion
«Kraft und Wärme» der schweizerischen Kriegswirtschaft,
1946–1953 war er Direktor der Bern-Lötschberg-SimplonBahn. Auf internationaler Ebene war er von 1920 bis 1923
Mitglied des Exekutivkomitees der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien (IASP) und 1926–1940
des Exekutivkomitees der Sozialistischen Arbeiterinternationale (SAI).
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Jeder steuerte ein Scherflein bei und so gering die Summe war, begab man sich andern Tages doch freudig zum Vorstand der Arbeiterunion und überbrachte ihm als ersten Baustein für das zu
gründende Volkshaus den Ertrag der nächtlichen Dreierkollekte.
Es waren anderthalb Franken, aber es war der Anfang und die
Genossen Samuel Scherz, Grossrat, Friedrich Schmied, Stadtrat,
und Emil Wyss, Beamter der bernischen Staatskanzlei, – das waren also die eigentlichen Gründer des Volkshauses – hatten damit
den Grundstock gelegt, nicht nur für das alte Volkshaus, das die
bernische Arbeiterschaft jahrelang recht und schlecht beherbergte, sondern auch für den neuen stolzen Bau, dessen trutzige Fassade schon von weitem grüsst.»15
Ob der Grundstock zur Finanzierung des Volkshauses wirklich auf
diese Weise zustande kam, lässt sich heute nicht mehr überprüfen.
Fest steht, dass am 24. Februar 1889 ein Baufonds Tatsache war und
bereits einen Betrag von 1100 Franken enthielt. Damals sprach der
spätere städtische Arbeitersekretär Nikolaus Wassilieff vor den vereinigten Vorständen der Arbeitervereine. Wassilieff regte an, dass
die Arbeiterorganisationen ein gemeinsames Vereinshaus gründen
sollten. Ihm schwebte die Übernahme eines Gebäudes mit einem
grossen Saal für mindestens 1000 Personen, einer Wirtschaft, einer Bibliothek mit Lesezimmer sowie Klubzimmern vor. Dem Baufonds flossen unter anderem Mittel aus Vereinsfesten und dem
«Konsum der Arbeiterunion» zu, einem Geschäft, das Zigarren,
Seife und Papeteriewaren verkaufte.16
Für ihr grosses Vorhaben, ein Haus des Volkes zu schaffen,
unternahm die Arbeiterunion auch Vorstösse auf politischer Ebene.
Die leerstehende Alte Kavalleriekaserne am Bollwerk erschien als
geeignetes Gebäude. Eine entsprechende Eingabe der Baufondskommission verlief im Sommer 1892 allerdings erfolglos.17
Im Herbst 1892 lancierte die Arbeiterunion eine Volksinitiative
für ein Volkshaus. Interessanterweise verlangte die Initiative nicht,
das künftige Volkshaus solle allein den Arbeitervereinen dienen.
Vielmehr schlug sie eine auf beide Arbeitsmarktparteien abgestützte Trägerschaft vor: Neben dem Arbeitersekretariat sollten im künftigen Volkshaus auch das Gewerbesekretariat und die paritätischen
Arbeitsgerichte untergebracht werden. Trotz dieser auf die Beruhigung der sozialen Konflikte abzielenden Stossrichtung wurde dieses ambitionierte Projekt in der Volksabstimmung vom 4. März 1894
allerdings deutlich mit 2508 Nein- gegen 1483 Ja-Stimmen abgelehnt.
Eigentlich kam dies wenig überraschend. Denn inzwischen
hatte der Käfigturmkrawall vom 19. Juni 1893 zu einer starken Polarisierung zwischen der Arbeiterbewegung und den bürgerlichen
Kräften in der Stadt Bern geführt. So kündigte die Stadt unter anderem den Mietvertrag des Arbeitersekretariats, das in einer städ-
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15 Grimm:
Volkshaus, S. 24.
16 Zingg: Berner
Volkshaus, S. 11 f.
17 Grimm:
Volkshaus, S. 24 f.
41
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ABB. 18
Im Schweizer Bürgerkrieg (Sonderbundskrieg) erstürmten
Zürcher Bataillone 1847 den Rooterberg bei Gisikon.
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DER KÄFIGTURMKRAWALL
ABB. 19
Vierzig teils schwer Verletzte forderte 1893
die Niederschlagung des Berner Käfigturmkrawalls durch
Armee, Polizei und Bürgerwehr.
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Am 19. Juni 1893 versammelten sich auf dem Berner Bahnhofplatz um die 50 Männer, grösstenteils arbeitslose Bauhandlanger. Sie marschierten ins Kirchenfeldquartier, das
gerade gebaut wurde. Dort begannen sie, mit Gewalt italienische Arbeiter von den Baustellen zu vertreiben.
Die Polizei griff ein und verhaftete 14 Demonstranten,
darunter auch einige, die sich nicht an den Ausschreitungen
beteiligt hatten. Sie wurden in den Käfigturm gebracht,
damals noch ein städtisches Gefängnis. Eine aufgebrachte
Menge versuchte sie zu befreien. Es folgten heftige Zusammenstösse mit der Polizei, mit einer Bürgerwehr und der
von der Stadtregierung zur Unterstützung angeforderten
Armee. 40 Personen wurden zum Teil schwer verletzt,
80 weitere Personen verhaftet.18
Die Bürgerlichen und vor allem ihr rechter Flügel, der im
«Einwohnerverein» organisiert war, schoben der Arbeiterbewegung und in erster Linie Arbeitersekretär Nikolaus
Wassilieff die Schuld an den Unruhen zu. Wassilieff wurde
zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt, in zweiter Instanz wurde die Strafe auf drei Monate Gefängnis reduziert. Tatsächlich waren die Proteste aber von nicht organisierten Arbeitern ausgegangen, und Wassilieff hatte sich wiederholt
gegen Angriffe auf italienische Arbeiter ausgesprochen. Er
machte die bürgerliche Stadtratsmehrheit für den Krawall
verantwortlich. Sie habe die gewerkschaftliche Organisation der Bauhandlanger und deren Arbeitslosenkasse durch
die Gründung einer städtischen Arbeitslosenkasse bewusst
geschwächt.19
Der Krawall und seine einseitige juristische Aufarbeitung vertieften die Gegensätze zwischen Arbeiterschaft und
Bürgertum in der Stadt Bern.
tischen Liegenschaft an der Predigergasse untergebracht war. Bereits im Oktober 1893 konnte das Arbeitersekretariat allerdings an
der Zeughausgasse 9, also an der Adresse des künftigen Volkshauses, neue Büroräumlichkeiten beziehen. Möglich wurde dies, weil
diese Liegenschaft seit kurzem dem Grütliverein der Stadt Bern gehörte, der damals finanzstärksten Mitgliedsorganisation der Arbeiterunion. Der Grütliverein suchte seit langem nach einem ständigen
Vereinslokal. Nachdem ihr das bisherige Vereinslokal im «Metropol» gekündigt worden war, entschloss sich die Sektion im Frühjahr
1892, ein eigenes Haus zu erwerben. Ein Mitglied schrieb dazu:
18 Budminger,
Samuel: Die «Italienerfrage» um 1893. Analyse
der zeitgenössischen
Diskussion über die
italienischen Arbeitskräfte
in der Schweiz im Anschluss
an den Käfigturmkrawall
von Bern 1893, Bern:
Masterarbeit 2010.
«Es existiert zwar bereits ein Baufonds der Arbeiterunion Bern
zur Erwerbung eines eigenen Vereinshauses mit grossem Saal,
wozu auch der Grütliverein erhebliche Beiträge liefert. Aber die
Realisierung dieses Unternehmens steht noch in weiter Ferne.
Und da die Sektion Bern während dieser Zeit vielleicht noch
19 Wassilieff, Nikolaus:
Die Arbeiterunion Bern,
das stadtbernische
Arbeitersekretariat und die
Vorgänge am 19. Juni 1893/
Vortrag […] gehalten
am 25. und 30. August und
5. September [1893],
Bern: Neukomm &
Zimmermann 3. Aufl.
1894, S. 20.
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43
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einige Mal den Bündel schnüren könnte, ist für sie die Vertröstung auf jenes allgemeine Arbeiter-Vereinshaus ein Wechsel auf
allzu lange Sicht.»20
Schliesslich erwarb der Grütliverein Bern am 28. April 1893 die Liegenschaft an der Zeughausgasse 9, von der in diesem Buch die
Rede ist, vom freisinnigen Nationalrat Rudolf Häni (1833–1896)
und dessen Schwester. Der Kaufpreis betrug 195 000 Franken. Berücksichtigt man die seitherige Lohnentwicklung, entspricht dies
einem Wert von 9 345 000 Franken im Jahr 2009.21 Von Anfang an
dabei war ein auch in Zukunft wichtiger kommerzieller Partner:
Johann Juker (1839–1896), Gründer und Besitzer der Gurtenbrauerei, übernahm einen Teil der Kosten für den Kauf und den geplanten Umbau des Gebäudes.
Vorerst betrieb der bisherige Pächter die bereits bestehende
Wirtschaft weiter. Als Vereinslokale standen ein relativ kleiner Versammlungsraum und einige Zimmer zur Verfügung. Dies sollte
sich schnell ändern. Im Grütliverein setzte sich die jüngere, sozialdemokratisch orientierte Richtung um Notar Gottfried Borle
(1860–1948) durch. Diese wollte im Unterschied zur älteren freisinnigen Fraktion um Arnold Lang nicht eine «Heimstätte für den
Grütliverein allein» errichten, sondern «die Erstellung eines Hauses, in dem eine möglichst grosse Zahl Arbeitervereine untergebracht werden könnte».22
Um dieses Ziel zu realisieren, begann im Herbst 1894 der Umbau. In der zuständigen Baukommission war neben dem Grütliverein auch die Arbeiterunion vertreten. Zudem wurde der Betrieb des
Volkshauses, wie es sich jetzt offiziell nannte, auf eine breitere Basis gestellt. Zu diesem Zweck gründeten die Träger am 30. Juni 1895
die «Aktiengesellschaft für ein Arbeitervereinshaus», die sich 1905
in «Aktiengesellschaft Volkshaus Bern» umbenannte. Hauptaktionäre waren der Grütliverein und die Arbeiterunion, die ihren Baufonds in die neue Gesellschaft einbrachte.
Es war eine historische Tat: 1893–95
entstand das erste Volkshaus der Schweiz
in Bern.
20 «Aus dem
Vereinsleben. Bern»,
in: Grütlianer 41
(17.5.1892), Nr. 57, S. 2
[Rechtschreibung
an die heutigen Regeln
angepasst].
21 Berechnet mit
dem Historischen
Lohnindex (HLI) auf der
Seite www.swistoval.ch.
22 Borle, Gottfried: Das
neue Volkshaus in Bern.
Geschichtliches, Finanz-,
Bau- und Betriebsberichte,
Bern: Unionsdruckerei
1917, S. 3 f.
Wie bei jedem Projekt dieser Grösse und Bedeutung stellten sich
nach kurzer Zeit die alltäglichen Schwierigkeiten ein. Das Volkshaus im Pachtbetrieb zu führen, erwies sich als unbefriedigend. Mit
dem ersten Pächter musste die Volkshaus-Gesellschaft nach seinem
Abgang sogar einen jahrelangen Rechtsstreit führen. Deshalb ging
man Anfang 1896 zum Regiebetrieb über. Die ersten angestellten
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Geranten kamen selbst aus der Arbeiterbewegung. Sie brachten
keine oder nur wenig Erfahrung im Führen eines Gastwirtschaftsbetriebs mit.
Zur Ökonomie gesellte sich die Politik. Spannungen innerhalb
der Arbeiterbewegung bewegten das Volkshaus. 1896 kam es zur
Spaltung der Arbeiterunion. Um den Grütliverein bildete sich der
konkurrierende Arbeiterbund Vorwärts. Doch im Volkshaus arbeiteten die beiden Dachorganisationen weiterhin zusammen und
schliesslich kam es 1898 zur Wiedervereinigung. Dann wütete der
Feuerteufel: Ein Brand im Jahre 1900 richtete erhebliche Schäden
am Gebäude an. Danach besserte sich die Lage, das Volkshaus
machte für einige Jahre bescheidene Gewinne.
Das Ringen um die Subventionierung durch die Stadt jedoch
hielt an. Mehrere Anläufe scheiterten. Eine Mehrheit für eine städtische Subvention versuchte man 1897 darüber zu erreichen, dass
Subventionen gleichzeitig ans Volkshaus als auch an das von der
Burgergemeinde geplante Casino fliessen sollten. Vergebens, Ende
1900 wurde eine Subvention in einer städtischen Volksabstimmung
abgelehnt. Schliesslich kam 1903/04 erstmals eine städtische Subvention zustande. Sie wurde in der Form eines nicht verzinslichen
Hypothekardarlehens von 50 000 Franken ausgerichtet.23
WACHSENDE AMBITIONEN:
DER WEG ZUM NEUBAU VON 1914
Mit dem steigenden Bedarf der rasant wachsenden Arbeiterbewegung nach Sitzungs- und Sekretariatsräumen drängte sich das Projekt eines weit grösseren Betriebs auf. Zu klären war zuerst die
Frage, ob ein Neubau an der Zeughausgasse oder einem weniger
zentralen Ort mit tieferen Bodenpreisen errichtet werden sollte.
Schliesslich fiel der Entscheid für den bisherigen Standort, der dafür aber erweitert werden musste. Die Volkshaus AG erwarb 1906
ein Vorkaufsrecht auf die Nachbarliegenschaft an der Zeughausgasse 11 («Continental»). Von dort aus sollte der Ausbau über den
Erwerb weiterer Nachbarliegenschaften Richtung Marktgasse weitergeführt werden. So war es geplant, doch der schöne Plan scheiterte. Nun fasste die Volkshaus AG die auf der anderen Seite des
Schützengässchens gelegenen Nachbarliegenschaften ins Auge.
1910 konnten vorerst die Häuser an der Zeughausgasse 11 und 13
erworben werden.
Die Finanzierung des ambitionierten Projekts wurde eine komplexe Operation. Den Grundstock bildete eine Vervielfachung des
Aktienkapitals von bisher 32 000 auf 250 000 Franken. Den grössten
Teil der neuen Aktien übernahm die Arbeiterunion. Die Konsumgenossenschaft, die Unionsdruckerei, die Bäckereigenossenschaft, die
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23
Borle: Volkshaus, S. 5.
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24 Borle:
Volkshaus, S. 8–16.
Maler- und Gipsergenossenschaft sowie der Arbeiterunion nahestehende Einzelpersonen zeichneten weitere Aktien. Auch die Gurtenbrauerei, die ein Hypothekardarlehen für den Neubau übernahm,
und weitere Lieferanten stiegen ins Aktienkapital ein.
All dies reichte noch nicht. Die Stadt wurde um eine Beteiligung gebeten. Am 23. April 1911 genehmigten die Stadtberner
Stimmbürger mit 6265 gegen 3219 Stimmen eine Vorlage, die vorsah, den Neubau des Volkshauses über eine Verdoppelung des bisherigen zinslosen Darlehens und eine mit 4½ % verzinsliche Hypothek von 300 000 Franken zu unterstützen. Da über dieselbe
Vorlage auch das bürgerliche Projekt Kursaal Schänzli mit der Übernahme einer gleich hohen Hypothek bedient wurde, liess sich eine
Mehrheit für beide Projekte gewinnen. 1915, das Haus war schon
eröffnet, bewilligten die Stimmberechtigten ein weiteres verzinsliches Darlehen. Auch diesmal stimmte man gleichzeitig über die
Unterstützung eines bürgerlichen Projekts ab. Es ging um das 1913
eröffnete, von den Gewerbeverbänden und der freisinnigen Partei
getragene Bürgerhaus. Wie beim Volkshaus war es auch bei diesem
Bauprojekt zu massiven Kostenüberschreitungen gekommen.
Der Neubau 1914 verlangte
eine hochkomplexe und
kühne Finanzoperation.
Nur: All dies aber war nur der Beginn einer Zitterpartie. Man hatte
hoch gepokert. Da weigerten sich unerwartet und trotz Unterstützung durch die Gurtenbrauerei und die Stadt drei Berner Banken –
die Kantonalbank, die Volksbank und die Spar- und Leihkasse –, die
weiteren Hypothekarkredite zu sprechen. Die Bauarbeiten hatten
bereits begonnen, als sich die Volkshaus AG auf die Suche nach weiteren Kreditgebern machte. Diverse Anfragen für Hypotheken, sowohl bei nahestehenden Kreisen (schweizerische und deutsche
Konsumgenossenschaften, beim Parteivorstand der SPD in Berlin)
als auch bei Privatkapitalisten in Frankreich, der Westschweiz und
Zürich, verliefen erfolglos. Schliesslich war die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt bereit, zusammen mit der
Schweizerischen Rückversicherungsanstalt einen Kredit von 1 Million Franken zu riskieren – und nun fanden auch die Berner Banken
ihren Mut wieder, mit einem Kredit über 570 000 Franken. Die Genossenschaftsbäckerei, die Unionsdruckerei, die am VolkshausNeubau beteiligten Bauunternehmen und die Gurtenbrauerei mussten aber noch Bürgschaften leisten.24 Im Rückblick erscheint dieser
Finanzierungsplan als kühn, vor allem wenn man bedenkt, dass mit
den Bauarbeiten begonnen wurde, bevor alle Kredite standen.
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ABB. 20
Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers
Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie Chotek am 28. Juni 1914 in Sarajewo
diente als Vorwand, den 1. Weltkrieg zu entfesseln.
Die ersten Entwürfe für das neue Volkshaus wurden von den Architekten Paul Lindt und Max Hofmann ausgearbeitet. Im Herbst 1912
legten sie ein Projekt vor. Doch einige Mitglieder der zuständigen
Instanzen der Volkshaus AG stellten sich quer, sie verlangten ein
Projekt in modernerem Stil. Der junge Architekt Otto Ernst Ingold
(1883–1943) präsentierte im Dezember 1912 einen Gegenentwurf.
Ingold bekam den Zuschlag für die Planung und die Bauleitung des
Neubaus. Die Bauausführung ging an ein Konsortium der drei Baufirmen Kästli, Glauser & Stucki und Müller. Anfang Mai 1913 begann der Abbruch der bisherigen vier Gebäude an der Zeughausgasse 9–15. Am 18. August 1913 konnte der Grundstein für den
Neubau gelegt werden.25
Also knapp ein Jahr bevor sich grosse europäische und globale Verwerfungen mit Kanonendonner ankündigen sollten.
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25 Borle: Volkshaus,
S. 16–25, Crottet, Regula:
Das Volkshaus in Bern.
Architektur als
Gesamtkunstwerk,
phil.-hist. Liz.arb. Univ.
Bern 2007, S. 15–18.
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EXKURS ZUR ARCHITEKTUR (I):
DER NEUBAU DES VOLKSHAUSES 1914
UND SEINE REZEPTION
Bei der Eröffnung 1914 wird das Volkshaus als Denkmal und
Musterbeispiel moderner Architektur gefeiert – kritische Einwände gibt es bezüglich der städtebaulichen Eingliederung.
Nach dreijähriger Bauzeit wird das Volkshaus im Oktober 1914 feierlich eröffnet. Die Architektur des Neubaus ist
ungewohnt und passt auf den ersten Blick nicht richtig ins
Stadtbild – «für Bern ein künstlerisches Wagnis», schreibt
etwa das «Berner Intelligenzblatt»26. In den vorangehenden
Jahrzehnten hat man in der Berner Innenstadt vor allem mit
Sandstein gebaut und auch moderne Bürogebäude im heimatlichen Stil alter Patrizierhäuser errichtet. Die Arbeiter
bauten ihr Haus nun vollständig aus Eisenbeton, mit einer
Fassade aus «Dreck und Eisen», wie es spöttisch hiess, und
in einem Stil, der für Modernität stand und als mutige Reformarchitektur bezeichnet werden kann. Dreck und Eisen?
Ja, schreibt die «Berner Tagwacht» und kontert:
«Jawohl, aus Dreck und Eisen, aber das Eisen ist vorwiegend.
Es hält den starken Bau zusammen, gleichsam als Symbol der
Solidarität der starken Arbeiterschaft. So wie dieser Bau aus
einem einzigen Guss besteht, muss auch die Arbeiterorganisation einig und geschlossen dastehen.»27
Die Architektur des Volkshauses wird nicht nur als bedeutende und identitätsstiftende Errungenschaft der Berner
Arbeitervereine wahrgenommen, sondern auch als eine
ausserordentliche technische und künstlerische Leistung.
«(Ein) Werk des Friedens, bei dem der Wettstreit dahin ging,
alles in ihm zu vereinigen, was Wissenschaft und Technik,
Kunst und Handwerk schafften konnten»28 – mit diesen
Worten lobt der Vizepolizeidirektor Karl Z´graggen den
Neubau anlässlich der Pressebesichtigung von 1914. Auch
aus Architekturkreisen erhalten der Bau und die architektonische Leistung viel Lob und Anerkennung. In der Zeitschrift «Das Werk» wird das Volkshaus gar als «Idealbeispiel
moderner Architektur» präsentiert29. Das Neuartige bestand insbesondere in der Verwendung von Eisenbeton,
einem damals nicht üblichen Baustoff im Hochbau. Die
Fassade veredelte der Architekt Otto Ernst Ingold (1883–
1943) mit einer Schicht Vorsatzbeton, bevor er sie steinmetzartig bearbeiten liess, so dass der Eindruck einer Steinfassade entstand.30 Die Steinmetzarbeit an der Fassade und
die vier aus Muschelkalkstein gegossenen Figuren stammen vom Bildhauer Bernhard Hoetger (1874–1949).
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Der Berner Architekt Otto Ernst Ingold gehört zu den wichtigsten Vertretern der Reformarchitektur, die Anfang des
20. Jahrhunderts den Historismus zu überwinden versuchte.
Die Gewerkschaften setzten also auch architektonisch auf
Fortschritt. Ingold behandelte Architektur als Gesamtkunstwerk. So zeichnet sich auch das Berner Volkshaus 1914
durch ein einheitliches, den Aussen- und Innenraum umfassendes Gestaltungskonzept aus, bei dem Elemente der
Fassade im Innern an Wänden und Decken der grosszügigen
Säle wieder auftauchen. Die künstlerische Ausstattung, für
die Ingold vorwiegend Berner Maler, Bildhauer und Handwerker aus der GSMBA (Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten) beauftragte, ist beachtlich.
Die «Nationalzeitung» schreibt, aus dem Volkshaus sei
«während des Baus ein Palast geworden»31. Zur Innenausstattung gehört unter anderem das bis heute erhalten gebliebene Gemälde «Der Redner» von Eduard Boss.
26 «Bei der Eröffnung
des Volkshauses», in:
Berner Intelligenzblatt,
25.10.1914, S. 3.
27 «Die Volkshauseinweihung», in: Berner
Tagwacht, 02.11.1914, S. 3.
28 «Bei der Eröffnung
des Volkshauses, in:
Berner Intelligenzblatt,
25.10.1914, S. 2–3.
29 «Das neue
Volkshaus in Bern»,
in: Das Werk 2, 1915b,
Nr.5, S. 73–80
30 Vgl. Regula Crottet,
«Dreck und Eisen».
Die Fassadengestaltung
des Berner Volkshauses
und ihre Rezeption.
In: Kunst + Architektur in
der Schweiz, 2009/1,
S. 18–24
31 «Kantone. Bern»,
in: National-Zeitung,
27.10.1914, S. 2
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ABB. 21
Die monumentale Hauptfassade des Volkshauses 1914 wurde kritisch diskutiert. Das lag auch an
ihrer symbolischen Wucht: Sie stand für die Einigkeit und
Stärke der aufsteigenden Arbeiterklasse.
[OBEN] Die vier aus Muschelkalkstein
ABB. 22
gegossenen Figuren symbolisieren die Fruchtbarkeit der
Arbeitervereinigung. Geschaffen wurden sie vom Bildhauer Bernhard Hoetger (1874–1949).
[UNTEN] Der Unionssaal mit dem Wandbild
ABB. 23
«Der Redner» von Eduard Boss. Die halbrunden
Stabprofile der Fassade sind in der Deckengestaltung
wieder aufgenommen.
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ABB. 24
1. Obergeschoss, 1914
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2. Obergeschoss, 1914
Erdgeschoss, 1914
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Korridor und Treppenaufgang im 1. und 2. Stock.
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ABB. 29
[OBEN] Esssaal mit Blick in den Grossen Saal.
ABB. 30
[UNTEN] Restaurant mit Gewölbe und keramischen Verkleidungen.
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ABB. 31
Im Grossen Saal. Die Malereien an der Brüstung der Galerie
stammen von Viktor Surbek, Bern.
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II.
EIN HAUS GEGEN
KRIEG UND ELEND
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Wo Clara Zetkin sich mit Lenin streitet: Während des
1. Weltkriegs wurde im Volkshaus Bern Geschichte geschrieben. Die
kleine Geschichte der Menschen in Not, die grosse von Weltenbrand,
sozialistischer Antikriegsbewegung und Landesstreik. Und von der
Spaltung der Linken.
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Eigentlich sollte das neue Volkshaus seinen Betrieb rechtzeitig zur
Eröffnung der Landesausstellung in Bern am 15. Mai 1914 aufnehmen. Doch die Finanzierungsschwierigkeiten und das Bewilligungsverfahren schoben den Baubeginn hinaus, dann traten Probleme am Bau auf. Schliesslich verzögerte der Ausbruch des Ersten
Weltkriegs die Vollendung nochmals um mehr als zwei Monate, wie
sich Gottfried Borle, Verwaltungsratspräsident und treibende Kraft
hinter dem Volkshausneubau, drei Jahre später erinnerte:
«Gegen Ende Juli waren wir überzeugt davon, dass in der zweiten
Hälfte des August die Betriebseröffnung möglich sein werde, und
wir trafen hierzu bereits die nötigen Vorbereitungen, als plötzlich,
wie ein Blitz aus heiterem Himmel, die Weltereignisse ihr Machtwort sprachen. Es war ein wahrer Jammer mitanzusehen, wie
während einigen Wochen nach dem Kriegsausbruch die vorher im
ganzen Hause fieberhaft betriebenen Schlussarbeiten vollständig
ruhten und der Bau gänzlich verlassen dastand. Allmählich erst
fand man sich wieder zurecht und nur mit der grössten Mühe gelang es in der Folge, die Beendigung der Arbeiten sukzessive zu
erreichen. Aber der Arbeitsgang blieb ein äusserst schleppender;
das Räderwerk wollte nicht wieder zusammengreifen, und es hatte den Anschein, als ob alles aus Rand und Band wäre. Erst am
23. Oktober, also bloss noch eine Woche vor dem Schluss der Landesausstellung, konnte endlich die Eröffnungsfeier abgehalten und das
Unternehmen zum Teil dem Betriebe übergeben werden.»32
Der Stillstand der Bauarbeiten traf nicht nur das Volkshaus. Die
gesamte Baubranche litt unter den Militäraufgeboten im In- und
Ausland. Besonders die Abreise ausländischer Arbeiter, die in der
schweizerischen Bauwirtschaft vor dem Ersten Weltkrieg grosse
Teile der Belegschaften stellten, machte sich bald bemerkbar.
Die politische Bedeutung des
Volkshauses war wohl nie grösser
als in den Jahren während und
unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg.
Der Krieg und seine auch in der neutralen Schweiz stark spürbaren
wirtschaftlichen und sozialen Erschütterungen führten nicht nur zu
einer verzögerten Eröffnung des neuen Hauses, auch seine Geschäftsergebnisse lagen in den ersten vier Jahren weit unter den Erwartungen.
Umgekehrt hatte das Volkshaus vom ersten Tag an eine starke
politische Bedeutung und sie war wohl nie grösser als in den Jahren
während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg.
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EIN HAUS GEGEN KRIEG UND ELEND
32 Borle, Gottfried:
Das neue Volkshaus in Bern.
Geschichtliches, Finanz-,
Bau- und Betriebsberichte,
Bern: Unionsdruckerei
1917, S. 27.
57
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33 Brief von Albert
Berner an Robert Grimm,
28.07.1914, in: IISG,
Robert Grimm Papers, B.
Briefe an Robert Grimm/
ISK, Brief B 13; Haupt,
Georges: Le congrès
manqué. L’Internationale
à la veille de la première
guerre mondiale, étude et
documents, Paris:
François Maspero 1964.
Im städtischen Arbeitersekretariat und bei den übrigen Gewerkschaften und Arbeitervereinen, die im Volkshaus ihre Büros und
Versammlungslokale hatten, suchten Menschen, die unter den
wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Kriegs litten, Rat und
Hilfe. Hier beriet die Arbeiterbewegung in kleinen Sitzungen und
grossen Versammlungen über die Massnahmen gegen Verdienstausfall, Teuerung und mangelnde Versorgung.
Doch das Haus der Arbeiterbewegung in der Hauptstadt eines
neutralen Landes, das geografisch zwischen den wichtigsten
Kriegsparteien lag, wurde auch zu einem zentralen internationalen
Treffpunkt. In den Jahren von 1915 bis 1920 war das Volkshaus der
Schauplatz einer ganzen Reihe von Ereignissen, deren Bedeutung
weit über die Landesgrenzen hinausreichte. Hier gingen Frauen
und Männer ein und aus, die eine prominente Rolle in den damaligen historischen Ereignissen spielten.
Das lag namentlich an Robert Grimm, der als Redaktor der
Zeitung «Tagwacht» und Präsident der kantonalen Sozialdemokratischen Partei eine prägende Figur der Schweizer Arbeiterbewegung
in diesen Jahren war. Er machte Bern zu einem der internationalen
Zentren der sozialistischen Antikriegsopposition.
WELTGESCHICHTE IM VOLKSHAUS
Ende Juli 1914 nahm Grimm an der letzten Sitzung des Internationalen Sozialistischen Büros (ISB) in Brüssel vor dem Ausbruch des
Ersten Weltkriegs teil. Das ISB war das Exekutivorgan der 1889 in
Paris gegründeten Zweiten Internationale. Ein zentraler Diskussionspunkt war die Vorbereitung des grossen Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses, der für den 23. bis 29. August 1914
in Wien angesetzt war. Schon vor der Kriegserklärung ÖsterreichUngarns an Serbien vom 29. Juli wurde immer deutlicher, dass der
Kongress in Wien nicht stattfinden konnte. Das ISB schlug zunächst
vor, nach Bern auszuweichen. Vor seiner Abreise hatte Grimm beim
Casino angefragt, ob der dortige Saal für einen Kongress der Internationale zur Verfügung stehen würde. Der Casinowirt gab Grimm
eine Zusage, die er dann aber wieder zurückzog. Albert Berner
(1870–1944), der Geschäftsleiter der Unionsdruckerei, schrieb an
Grimm, dass auch das noch nicht eröffnete Volkshaus für den Kongress verwendet werden könne. Das war, wie wir heute wissen, zu
optimistisch. Zudem ohne praktische Bedeutung, denn das ISB beschloss, den Kongress statt in Wien nicht in Bern, sondern in Paris
durchzuführen. Auch dort konnte er allerdings wegen der schnellen Eskalation zum Weltkrieg nie stattfinden.33
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ABB. 32
LENIN
Wladimir Iljitsch Uljanow (1870–1924), der zum Anführer der russischen
Revolution aufstieg, lebte lange Jahre in Verbannung und Exil, davon
sechseinhalb Jahre in der Schweiz, auch in Bern. Nach dem Sturz des Zaren
(Februarrevolution) reiste er 1917 via Deutschland nach Russland
zurück. Im November 1917 übernahm seine bolschewistische Partei die
Macht in Russland (Oktoberrevolution).
Der 1. Weltkrieg übertraf an Opfern und Zerstörungen alle vorherigen Kriege. Seit langem vor ihm gewarnt hatte die sozialistische
Arbeiterbewegung. So beschlossen die Internationalen SozialistenKongresse in Stuttgart (1907), Kopenhagen (1910) und Basel (1912),
mit allen Mitteln gegen einen drohenden Krieg einzustehen. Falls
er dennoch ausbrechen sollte, wollten die Sozialisten «für dessen
rasche Beendigung» kämpfen.
Doch als das Gemetzel in den ersten Augusttagen 1914 tatsächlich begann, war die Internationale gelähmt. Die feierlichen
Antikriegs-Erklärungen schienen vergessen. Alle Regierungen behaupteten, einen reinen Verteidigungskrieg zu führen. Die meisten
sozialistischen Parteien stellten diese nationalistische Propaganda
nicht in Frage. Sie waren bereit, für die Dauer des Kriegs einen
«Burgfrieden», eine «union sacrée» mit den Regierungen und den
Kapitalbesitzern ihrer Länder zu schliessen. Am 4. August 1914 bewilligte die Reichstagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands (SPD) die Kriegskredite. Belgische und französische
Sozialisten traten in die Regierungen ein. In den kriegführenden
Staaten blieben allein die Sozialdemokraten in Russland und
Serbien, wo sie verfolgte, kleine Parteien waren, auf einem klaren
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ABB. 33
Bauernopfer. Preussen und Franzosen spielen ihr infernalisches
Völkermorden-Schach (zeitgenössische Karikatur).
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Antikriegskurs. Auch in Italien, das erst im Frühling 1915 in den
Krieg eintrat, kämpfte die Sozialistische Partei weiter konsequent
gegen das Völkerschlachten.34
In dieser aufgeheizten Lage begannen die sozialdemokratischen
Parteien in den neutralen Staaten und die Oppositionsbewegungen
in den kriegführenden Staaten, die den «Burgfrieden» ablehnten, die
abgerissenen internationalen Verbindungen neu zu knüpfen. Dabei
spielte auch Bern und das Berner Volkshaus seine Rolle.
34 Braunthal, Julius:
Geschichte der Internationale, Bd. 2, Bonn: J.H.W.
Dietz Nachf. 3. Aufl. 1978,
S. 17–49.
35 «Internationale
Sozialistische Frauenkonferenz in Bern»,
in: Berner Tagwacht 23
(3.4.1915), Nr. 77.
DIE SOZIALISTISCHEN FRAUEN
ÖFFNEN DEN WEG
Ein halbes Jahr nach Kriegsausbruch fanden im Volkshaus Bern
zwei bedeutende internationale Konferenzen statt: die Internationale Sozialistische Frauenkonferenz vom 26. bis 28. März 1915
und die Internationale Sozialistische Jugendkonferenz vom 4. bis
6. April 1915.
Die sozialistischen Frauen der Welt gingen
voran. Sie riefen in Bern zu einer «allgemeinen Bewegung der werktätigen Massen
für die Beendigung des Brudermordes» auf.
Zur Frauenkonferenz eingeladen hatte Clara Zetkin (1857–1933), die
Redaktorin der deutschen Arbeiterinnenzeitschrift «Die Gleichheit», die seit 1907 zugleich auch das Internationale Sozialistische
Frauensekretariat leitete. Organisatorisch unterstützt wurde die
Konferenz von Angelica Balabanoff (1869–1965) von der italienischen sozialistischen Partei und von Robert Grimm. Es kamen
Sozialistinnen aus Grossbritannien, Deutschland, Russland,
Frankreich, Polen, Italien, den Niederlanden und der Schweiz.
Die Konferenzteilnehmerinnen verabschiedeten eine Resolution, die die Kriegsursachen benannte und von den sozialistischen Parteien die Einhaltung der Antikriegs-Beschlüsse der sozialistischen Konferenzen von Stuttgart, Kopenhagen und Basel
einforderte. Ziel der Konferenz war, so die Resolution, eine «Friedensaktion der sozialistischen Frauen» als «Vorläuferin einer allgemeinen Bewegung der werktätigen Massen für die Beendigung
des Brudermordes». Das einstimmig verabschiedete Manifest rief
die Arbeiterinnen aller Länder zum Kampf gegen den Krieg auf:
«Die ganze Menschheit blickt auf euch, ihr Proletarierinnen
der kriegführenden Länder. Ihr sollt die Heldinnen, ihr sollt die
Erlöserinnen werden!»35
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36 Balabanoff, Angelica:
Lenin. Psychologische
Beobachtungen und
Betrachtungen, Hannover:
Verlag für Literatur
und Zeitgeschehen 1961,
S. 35–41.
37 Münzenberg,
Willi: «Sie ist nicht tot!»
Bericht über die
internationale Konferenz
der sozialist. Jugendorganisationen, abgehalten
zu Bern am 4., 5. und
6. April 1915, Zürich.
Mit einem Teil der russischen Delegation kam es dabei allerdings
zu Reibungen: Die Vertreterinnen der Fraktion der Bolschewiki
stellten der von Clara Zetkin vorgelegten Resolution einen eigenen
Entwurf gegenüber. Dieser war massgeblich von Wladimir Iljitsch
Lenin (1870–1924) konzipiert worden und enthielt eine scharfe
Polemik gegen die Parteiführungen der kriegsbeteiligten Länder
und deren Zustimmung zu den Kriegskrediten. Die Rednerinnen
der Mehrheit erwiderten, dass sie das Verhalten der Parteiführungen und die Kreditbewilligungen ebenfalls missbilligten. Aber die
Friedenskonferenz der Frauen sei nicht der geeignete Ort für die
Auseinandersetzung mit dem Versagen der Parteien, eine einheitliche Friedensaktion werde durch derartige Abrechnungen nur
geschwächt. Erst nach komplizierten Verhandlungen stimmten
schliesslich auch die bolschewistischen Delegierten der Resolution
zu, womit die symbolisch wichtige Einstimmigkeit erreicht werden
konnte. Zuvor mussten sie, so erinnert sich Angelica Balabanoff,
Lenins Zustimmung einholen.
Der Anführer der Bolschewiki war kurz nach Kriegsausbruch
in die Schweiz eingereist und wohnte damals in Bern. Er sass während der Frauenkonferenz in einem nahen Café. Nicht ganz klar ist,
ob es sich dabei um das Restaurant im Volkshaus selbst gehandelt
hat – von wo aus der 45-jährige Lenin gemäss Balabanoff eine Woche später die Delegierten seiner Fraktion an der Sozialistischen
Jugendkonferenz instruieren sollte.36
Die Frauenkonferenz setzte ein starkes Zeichen gegen den
Krieg und für die internationale Solidarität der Arbeiterinnen und
Arbeiter. Allein in Deutschland sollen trotz Zensur rund 200 000
Exemplare des Manifests verbreitet worden sein. Den Behörden
der kriegführenden Staaten erschien die sozialistische Frauenbewegung nun zunehmend als Bedrohung: Clara Zetkin wurde im Juli
1915, die französische Delegierte Louise Saumoneau (1875–1950),
eine Lehrerin, im Herbst 1915 verhaftet.
Treibende Kraft hinter der nachfolgenden Jugendkonferenz
war Willi Münzenberg (1889–1940), der ursprünglich aus Deutschland stammende Sekretär der Sozialdemokratischen Jugendorganisation der Schweiz. 14 Delegierte aus 10 Ländern kamen nach Bern.
Sie forderten in ihrer Resolution die sozialdemokratischen Parteien
auf, den Klassenkampf wieder aufzunehmen, statt den Krieg zu unterstützen. Das Sekretariat der Internationalen Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen wurde für die Dauer des Kriegs nach
Zürich verlegt, Münzenberg mit seiner Leitung beauftragt.37
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EIN HAUS GEGEN KRIEG UND ELEND
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DIE VIELSPRACHIGE
INTELLEKTUELLE
Angelica Balabanoff wuchs im ukrainischen Tschernigow
in einer Grundbesitzer- und Kaufmannsfamilie auf. Der
Gegensatz zwischen dem Reichtum ihrer Familie und der
Armut der breiten Bevölkerung empörte sie schon als Kind.
Gegen den Widerstand ihrer Eltern studierte sie in Brüssel,
Leipzig, Berlin und schliesslich in Rom, wo sie sich der italienischen Sozialistischen Partei (PSI) anschloss. Bald übernahm die für ihre Vielsprachigkeit bekannte Intellektuelle
eine führende Rolle in der gewerkschaftlichen Organisation
der italienischen Migrantinnen und Migranten in der
Schweiz. Im Kampf gegen den Ersten Weltkrieg organisierte Angelica Balabanoff zusammen mit Robert Grimm die
im Volkshaus Bern stattfindenden Jugend- und Frauenkonferenzen (Frühling 1915) und schliesslich die Konferenzen
von Zimmerwald und Kiental. Kurz vor dem Landesstreik
im November 1918 wurde sie unter falschen Anschuldigungen mit den Mitgliedern der offiziösen diplomatischen Vertretung Sowjetrusslands aus der Schweiz ausgewiesen. Nach
der Gründung der Kommunistischen Internationalen in Moskau
im Frühling 1919 war sie kurze Zeit Sekretärin dieser Organisation. Doch der zunehmend repressivere Kurs der Sowjetregierung veranlasste sie, Russland 1921 erneut zu verlassen.
Es folgten Exiljahre in Stockholm, Wien, Paris und New
York. Bis ins hohe Alter blieb sie politisch aktiv. Ernst Nobs,
der erste sozialdemokratische Bundesrat, liess ihr Einreiseverbot in die Schweiz aufheben. Als sie 1949 erstmals seit
1918 wieder nach Bern kam, übernachtete sie im Volkshaus,
wo ihr Nobs persönlich ein Zimmer hatte reservieren lassen.
ABB. 34
ANGELICA BALABANOFF
* 8. Mai 1869 (Tschernigow)
† 25. November 1965 (Rom)
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EIN HAUS GEGEN KRIEG UND ELEND
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ABB. 35
MARGARETHE FAAS-HARDEGGER
Mit 23 Jahren gründete die Berner Telegrafistin Margarethe
Hardegger ihre erste Gewerkschaft. 1909 warf der SGB
die Arbeiterinnensekretärin wegen politischer Differenzen hinaus. Die begnadete Rednerin, Organisatorin,
Feministin, Pazifistin, Anarchistin war Anhängerin freier
Liebe, gründete Zeitschriften und Kommunen. Ein
kämpferisches Leben für die Rechte der arbeitenden
Frauen. Sie starb 1963 in Menusio.
64
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ABB. 36
CLARA ZETKIN
Clara Zetkin (1857–1933) war vor dem Ersten Weltkrieg
die wohl bekannteste Exponentin der sozialistischen
Frauenbewegung. Sie gründete die marxistische, feministische Zeitschrift «Die Gleichheit» und gehörte zu den
Vorbereiterinnen der Zweiten Internationale. Von 1920 bis
1933 vertrat sie die Kommunistische Partei Deutschlands
(KPD) im Reichstag.
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WELTPOLITIK AUF DEM DORFE
Die beiden bekanntesten Treffen der sozialistischen Bewegung gegen den Krieg fanden allerdings aus Sicherheitsgründen nicht im
Volkshaus Bern, sondern in zwei abgelegenen Berner Dörfern statt,
in Zimmerwald (September 1915) und in Kiental (April 1916). Dennoch war das Volkshaus für die Zimmerwalder Bewegung unentbehrlich. Hier fand am 15. Juli 1915 eine erste vorbereitende Sitzung
statt. Unmittelbar vor der Zimmerwalder Konferenz versammelten
sich im Volkshaus die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, und auch
ein erster Teil der Kiental-Konferenz fand noch in Bern statt.
Zimmerwald (1915) und Kiental (1916)
stehen für den Versuch der
Arbeiterbewegung, den 1. Weltkrieg
rasch zu beenden.
In Zimmerwald konstituierte sich die Internationale Sozialistische
Kommission (ISK). Anlässlich ihrer ersten Sitzung am 8. Februar
1916 im Volkshaus wurde ein internationales Massenmeeting angesetzt. Redner waren der rumänische Sozialist Christian Rakovsky (1873–1941), Lenin, der Italiener Giuseppe Emanuele Modigliani (1872–1947) und Grimm. Die perfekt mehrsprachige Angelica
Balabanoff übersetzte.38
Doch auch jene Teile der sozialistischen Bewegung, die den
Burgfrieden mit ihren Regierungen unterstützten, nutzten das Volkshaus. So organisierten der Elsässer Sozialdemokrat Salomon Grumbach (1884–1952), der aus der Schweiz für die Tageszeitung der französischen Sozialisten, «L’Humanité», korrespondierte, und der
ebenfalls ursprünglich aus dem Elsass stammende Alt-Nationalrat
und Anwalt Arthur Brüstlein (1853–1924) hier am 3. Juni 1916 eine
Tagung. Grumbach hielt dabei einen später – mitsamt der Zwischenrufe von Karl Radek (1885–1939) und Grigori Sinowjew (1883–1936),
zwei Mitstreitern Lenins – in Broschürenform veröffentlichten Vortrag mit dem Titel «Der Irrtum von Zimmerwald und Kiental». Er
nahm darin Partei für den Einsatz der Mehrheit der französischen
Sozialisten für die Kriegsanstrengungen und warf der Zimmerwalder
Bewegung vor, die Hauptschuld der Regierungen Deutschlands und
Österreich-Ungarns am Krieg zu verschweigen.39
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38 Rakovsky
(Racovsky), C.:
Das Wiedererwachen der
Internationale. Rede
gehalten am internationalen Massenmeeting
vom 8. Februar 1916 im
Volkshaus in Bern,
hg. v. Internationale
Sozialistische Kommission, Bern 1916.
39 Grumbach,
Salomon: Der Irrtum
von Zimmerwald-Kiental.
Rede, gehalten am 3. Juni
1916 im Unionssaale
des Volkshauses zu Bern,
Bern-Bümpliz, Benteli,
1916.
65
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KLASSENKAMPF STATT BURGFRIEDEN:
DIE KONFERENZEN VON
ZIMMERWALD (SEPTEMBER 1915)
UND KIENTAL (APRIL 1916)
Im Austausch zwischen italienischen, schweizerischen und
– meist im schweizerischen Exil lebenden – russischen und
polnischen Sozialistinnen und Sozialisten entstand die Idee,
eine internationale Konferenz der Kriegsgegner zu organisieren. Diese Konferenz war nur in einem neutralen Land
denkbar. Robert Grimm übernahm die Organisation. Grimm
verfügte über gute internationale Verbindungen und bot als
Redaktor der «Berner Tagwacht» pazifistischen Stimmen
aus ganz Europa eine publizistische Plattform. Aus Sicherheitsgründen konnte die Konferenz nicht im Berner Volkshaus tagen. Mit den Dörfern Zimmerwald und Kiental (für
die zweite Konferenz) wählte Grimm bewusst abgelegene
Tagungsorte, die im Vorfeld geheim gehalten wurden.
Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner aus ganz Europa kommen zusammen: Das Protokoll der Zimmerwalder Konferenz
(September 1915) verzeichnet 38 Teilnehmende aus Frankreich, Deutschland, Italien, dem russischen Zarenreich, den
Niederlanden, Schweden, der Schweiz, Bulgarien, Rumänien und dem damals zwischen Deutschland, ÖsterreichUngarn und dem Russischen Reich aufgeteilten Polen. Zwei
britische Sozialisten konnten nicht teilnehmen, weil ihnen
die Regierung in London Pässe verweigert hatte. Erst im
Rückblick – nach der russischen Revolution von 1917 – erschienen Lenin und Trotzki als bekannteste Teilnehmer der
Konferenz. In Zimmerwald blieb Lenin mit seiner Auffassung in der Minderheit, der Weltkrieg müsse zwingend zur
Weltrevolution führen, und dass darum eine Spaltung der
internationalen Arbeiterbewegung notwendig sei.
Das einstimmig verabschiedete «Zimmerwalder Manifest»
bezeichnete den Krieg als «Folge des Imperialismus, des
Strebens der kapitalistischen Klassen jeder Nation, ihre
Profitgier durch die Ausbeutung der menschlichen Arbeit
und der Naturschätze des ganzen Erdballs zu nähren». Der
Text kritisierte diejenigen Arbeiterorganisationen scharf, die
zu Kriegsbeginn einen «Burgfrieden» mit den herrschenden
Klassen ihrer Länder geschlossen hatten. Es rief die Arbeiterinnen und Arbeiter auf, für einen «Frieden ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen» zu kämpfen.
In Zimmerwald konstituierte sich die Internationale Sozialistische Kommission zu Bern (ISK). Das Präsidium der ISK
übernahm Robert Grimm, weiter gehörten ihr der Neuenburger Nationalrat Charles Naine sowie zwei Mitglieder der
italienischen sozialistischen Partei an, Oddino Morgari und
Angelica Balabanoff, die ursprünglich aus der Ukraine
stammte. Neben Grimm war sie die wichtigste Organisatorin der Zimmerwalder Bewegung. Die ISK setzte den Kampf
gegen den Krieg fort, verbreitete Informationen über die
Friedensaktionen in den einzelnen Ländern und organisierte
zwei weitere Konferenzen in Kiental (April 1916) und Stockholm (September 1917).
ABB. 37
«Jetzt für die eigene Sache kämpfen»: Im
September 1915 rief die «Berner Tagwacht» die Arbeiterinnen und Arbeiter Europas auf, den Krieg zu beenden.
66
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GEWERKSCHAFTEN,
ÜBER DIE FRONTEN HINWEG
Deutlich weniger bekannt sind die Aktivitäten der internationalen
Gewerkschaftsbewegung während des Kriegs. Auf Einladung des
Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) fand im Volkshaus vom
1. bis 4. Oktober 1917 eine internationale Gewerkschaftskonferenz
statt. Allerdings fanden sich dafür nur Delegierte aus den Zentralmächten40 und den neutralen Staaten ein. Den französischen und
italienischen Gewerkschaftern hatten ihre Regierungen die Pässe
verweigert, während der belgische, britische, US-amerikanische
und kanadische Gewerkschaftsbund jede gemeinsame Konferenz
mit den Gewerkschaften aus den feindlichen Staaten ablehnten.
Trotz dieser Absenz trug die Berner Konferenz entscheidend zu
einer zukunftsweisenden Stellungnahme der internationalen Gewerkschaftsbewegung bei. Zwar hatte der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) nach Kriegsausbruch die Unterstützung der Gewerkschaften in den Entente-Staaten41 verloren, weil der IGB seit
1913 vom deutschen Gewerkschaftsführer Karl Legien (1861–1920)
präsidiert wurde, der die Kriegspolitik der Reichsregierung unterstützte. Doch der niederländische Gewerkschaftsbund sorgte dafür,
dass die Kontakte nicht ganz abrissen. Nachdem die Gewerkschaften der Entente-Staaten am 5. Juli in Leeds ein Programm verabschiedet hatten, leiteten es die Niederländer an die übrigen IGBMitglieder weiter und legten es in überarbeiteter Form auch der im
Volkshaus tagenden Konferenz vor. Die Konferenzteilnehmer diskutierten die Beschlüsse von Leeds und bauten sie mit weiteren
Forderungen zum «Berner Programm» aus.
Somit konnte die internationale Gewerkschaftsbewegung
trotz Schlachtenlärm gemeinsame Forderungen für sozialpolitische und arbeitsrechtliche Mindestnormen an eine zukünftige
Friedenskonferenz ausarbeiten. Die Resolutionen der Gewerkschaftstreffen von Leeds und Bern hatten nach dem Krieg denn
auch einen gewissen Einfluss auf die Gründung der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO).42 Nach Kriegsende fand wiederum im
Volkshaus Bern eine internationale Gewerkschaftskonferenz statt
(5. bis 9. Februar 1919), an der erstmals wieder Gewerkschaften aus
Staaten beider Kriegsparteien teilnahmen.
WIE SICH DIE ARBEITERBEWEGUNG SPALTET
Anfang Februar 1919 trat im Volkshaus Bern erstmals seit Kriegsausbruch die Zweite Internationale zusammen. Doch viele Anhänger
der «Zimmerwalder Bewegung» sprachen dieser Konferenz die
Berechtigung ab. Auch die SPS hatte kurz zuvor an einem Parteitag
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40 Zentralmächte:
Das aus dem Deutschen
Reich, ÖsterreichUngarn, Bulgarien
und dem Osmanischen
Reich bestehende
Kriegsbündnis.
41 Entente:
Das Kriegsbündnis aus
Frankreich, Grossbritannien, Russland (bis 1917),
Italien (ab 1915) und
den USA (ab 1917).
42 Fimmen, Edo: Der
Internationale Gewerkschaftsbund. Ein Überblick
seiner Entwicklung und
seiner Ziele (Schriftenreihe des Internationalen
Gewerkschaftsbundes
Heft 1), Amsterdam 1922,
S. 4 f; Tosstorff, Reiner:
«The International
Trade-Union Movement
and the Founding of
the International Labour
Organization», in:
International Review of
Social History 50 (2005),
Nr. 3, S. 402–413.
67
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im Volkshaus mit 238 zu 147 Stimmen beschlossen, wegen der Präsenz von Delegierten, die den Kriegskurs ihrer Regierungen unterstützt hatten, auf eine Teilnahme zu verzichten. Gustav Müller, der
Berner Stadtpräsident, trat aus Protest gegen diesen Entscheid als
Parteipräsident zurück.43 Wie er in einem Begrüssungsschreiben
an den Präsidenten der Konferenz, den schwedischen Sozialdemokraten Hjalmar Branting (1860–1925) schrieb, hielt er den Beschluss
der SPS für «einen schweren politischen Fehler und eine internationale Blamage der schweizerischen Partei».44 Ein von Robert
Grimm organisiertes inoffizielles Gegentreffen der «Zimmerwalder» fand dagegen nicht im Volkshaus, sondern im der Typographia Bern gehörenden «Gesellschaftshaus Maulbeerbaum»
(heute Hotel National) statt.
43 Sozialdemo kratische Partei der
Schweiz: Protokoll
über die Verhandlungen
des ausserordentlichen
Parteitages vom
2. Februar 1919 im
Volkshaus in Bern,
Bern: Unionsdruckerei
1919, S. 77–79.
44 «Brief des Stadtpräsidenten von Bern,
Gustav Müller, an
Hjalmar Branting»,
in: Ritter, Gerhard Albert,
Zwehl, Konrad von
(Hg.): Die II. Internationale 1918/1919. Protokolle,
Memoranden, Berichte
und Korrespondenzen,
Berlin/Bonn: J. H. W. Dietz
1980, S. 194.
Versuchte die Berner Konferenz bruchlos an der Vorkriegsentwicklung der 1889 gegründeten Zweiten Internationale anzuknüpfen, forderten die Anhänger Lenins einen radikalen Bruch und den Aufbau
einer neuen, Dritten Internationale. Seit den Konferenzen von Zimmerwald und Kiental, als sie mit dieser Forderung noch klar in der
Minderheit blieben, hatte sich vieles verändert. Lenin war nun nicht
mehr der Führer einer relativ unbekannten Untergrund- und Exilpartei, sondern stand an der Spitze Sowjetrusslands, das eine Führungsrolle in der internationalen revolutionären Bewegung beanspruchte. Gleichzeitig unterdrückten in Deutschland rechtsradikale
Freikorps mit Billigung der von den Mehrheitssozialdemokraten
(MSPD) geführten Regierung die radikaleren Strömungen der deutschen Arbeiterbewegung. Die bekanntesten Köpfe der Opposition
gegen den 1. Weltkrieg, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, wurden am 15. Januar 1919 gefangen genommen und ermordet.
Die Bewunderung für die Oktoberrevolution einerseits, die
Abscheu vor der Politik des rechten Flügels der SPD andererseits
führten dazu, dass Lenins altes Projekt einer neuen Internationale
Anhänger gewann. Auch äusserlich vollzog Lenin den Bruch mit
der Vorkriegszeit, indem er seine Partei ab 1918 nicht mehr «sozialdemokratisch», sondern «kommunistisch» nannte. Damit erhob er
den Anspruch, der eigentliche Erbe des «Kommunistischen Manifests» (1848) von Karl Marx und Friedrich Engels zu sein. Unter
Marxisten blieb diese Erbfolge umstritten: Marx und Engels hatten
immer eine demokratische Massenorganisation der Arbeiterschaft
postuliert und elitäre Organisationen von Berufsrevolutionären,
wie sie die Bolschewiki darstellten, abgelehnt.
Als am 2.–6. März 1919 in Moskau die Kommunistische Internationale («Dritte Internationale» oder «Komintern») gegründet wurde,
waren daran nur wenige und – mit Ausnahme der russischen Delegierten – für die Bewegungen ihrer Länder kaum repräsentative
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Delegierte beteiligt. Weit besser besucht war dann der im Sommer
in Moskau tagende 2. Kongress der Komintern. Er besiegelte die Spaltung endgültig: Mit 21 Beitrittsbedingungen zur neuen Internationale
machte er die Komintern zu einer zentralistischen, von Moskau geführten Struktur. Faktisch wurde sie danach immer stärker zum
aussenpolitischen Instrument der sowjetischen Regierung.45
Über die 21 Bedingungen wurden gerade diejenigen Parteien
auseinandergerissen, die besonders konsequent für die Prinzipien
der Zimmerwalder Bewegung eingestanden waren, wie die 1917
von der deutschen Antikriegsopposition gegründete Unabhängige
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), die italienische
und die schweizerische Partei.
Die Spaltung der SPS wurde am folgenschweren Parteitag
vom 10. bis 12. Dezember 1920 im grossen Volkshaussaal besiegelt.
Die Delegierten lehnten mehrheitlich den Beitritt zur Kommunistischen Internationalen ab, weil sie nicht bereit waren, sich den aus
Moskau diktierten Bedingungen zu fügen. Unter Protest verliess
darauf die Minderheit, die den Beitritt zur Komintern wollte, das
Volkshaus, zog ins Restaurant «Du Pont» im Kirchenfeld-Quartier
und begann mit den Vorbereitungen zur Gründung der Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS)46.
Bereits zuvor hatten weitere Parteitage der SPS im Volkshaus
Beschlüsse gefällt, die mit der internationalen Lage zusammenhingen. Zu nennen ist hier der ausserordentliche Parteitag zur
Militärfrage vom Juni 1917, bei dem die SPS beschloss, zukünftig
grundsätzlich gegen alle Militärausgaben zu stimmen.
45 Braunthal, J.:
Geschichte der Internationale Bd. 2, S. 180–198.
46 Sozialdemokratische Partei
der Schweiz: Protokoll
über die Verhandlungen
des ausserordentlichen
Parteitages vom 10. und
12. Dezember 1920 im
Volkshaus in Bern, Zürich:
Genossenschaftsdruckerei 1921, S. 162–164.
47 «Internationale
Gäste», in: Berner
Tagwacht 28 (4.12.1920),
Nr. 284, S. 1; «Die
Vorkonferenz», in: Berner
Tagwacht 28 (6.12.1920),
Nr. 285, S. 1.
Kurz vor dem Spaltungsparteitag hatte die SP Schweiz mit der britischen Independent Labour Party (ILP) und der Unabhängigen
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) zu einer internationalen Vorkonferenz ins Volkshaus eingeladen. An der Konferenz
im Dezember 1920 nahmen linke Sozialdemokraten aus Frankreich, der Schweiz, Grossbritannien, Russland, Österreich, den
deutschsprachigen Teilen Tschechiens und den USA teil.47 Die
Konferenz legte den Grundstein zur Internationalen Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien (IASP), die schliesslich im Februar
1921 in Wien offiziell gegründet wurde.
In Fortschreibung der Zimmerwalder Konferenzen verfolgte
die IASP einen konsequent internationalistischen und klassenkämpferischen Kurs. Sie kritisierte die Haltung der in den Resten
der Zweiten Internationale organisierten Parteien als nationalistisch
und reformistisch. Gleichzeitig lehnte sie aber auch die am Vorbild
der Sowjets orientierte Organisationsform der Komintern als zentralistisch ab. Die IASP wird gelegentlich spöttisch als «zweieinhalbte» Internationale bezeichnet – ursprünglich ein vom Komintern-Funktionär Karl Radek geprägter Spottname. Tatsächlich erhob
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48 «An die sozialistischen Parteien aller
Länder», in: Berner
Tagwacht 28 (9.12.1920),
Nr. 288, S. 1.
49 Braunthal, J.:
Geschichte der
Internationale Bd. 2,
S. 249–272.
50 Sozialdemokratische Partei der
Schweiz: Protokoll
über die Verhandlungen
des ordentlichen
Parteitages vom 6. und
7. November 1926 im
Volkshaus in Bern, Luzern:
Unionsdruckerei 1926,
S. 175–178.
51 Arbeiterunion
Bern: Bericht für das Jahr
1914, Bern 1915, S. 12–18.
die IASP aber nicht den Anspruch, eine neue Internationale darzustellen. Vielmehr wollte sie durch gemeinsame Aktionen der ganzen Arbeiterbewegung die Spaltung überwinden. Nur auf diesem
Weg könne es schliesslich zur «Bildung einer wirklichen Internationale des klassenbewussten Proletariats» kommen.48 Nachdem
entsprechende Bemühungen gescheitert waren, schloss sie sich 1923
mit den Resten der Zweiten Internationale zur Sozialistischen ArbeiterInternationale (SAI) zusammen.49 Die SPS war anfänglich gegen die
Auflösung der IASP und schloss sich der SAI erst 1926 an. Der Beitrittsbeschluss und die anschliessende Wahl Grimms als Vertreter
der SPS in der Exekutive der SAI erfolgten ebenfalls an einem Parteitag im Volkshaus Bern.50
HUNGER UND WILLKÜR
Der Erste Weltkrieg führte überall zu wachsender sozialer Polarisierung und Ungleichheit: Banken, Rüstungsindustrie und Grosskonzerne erzielten bedeutende Kriegsgewinne, während Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte zunehmend in soziale Notlagen
gerieten. Diesen Folgen des Kriegs konnten sich auch neutrale Länder wie die Schweiz nicht entziehen. Bereits kurz nach Ausbruch
des 1. Weltkriegs entstand die Zentrale Notstandskommission der
Schweizerischen Arbeiterschaft, an der sich neben Gewerkschaftsbund
und Sozialdemokratischer Partei anfänglich auch die Konsumvereine
beteiligten.
Für die lohnarbeitende Bevölkerungsmehrheit bedeutete der
lange Militärdienst erhebliche Verdienstausfälle. Die Erwerbsersatzordnung wurde erst 1940 eingeführt, nicht zuletzt aufgrund der
im 1. Weltkrieg erlittenen Not. Zwar gab es seit 1907 eine Unterstützung für «Angehörige von Wehrmännern, die durch deren
Militärdienst in Not geraten», doch ihre konkrete Ausrichtung war
Sache der Wohngemeinden. Das im Volkshaus angesiedelte Berner
Arbeitersekretariat half Mitgliedern der angeschlossenen Vereine
bei der Gesucheingabe. Gemäss Jahresbericht der Arbeiterunion
Bern von 1914 wurde die Unterstützung in der Stadt Bern weitgehend korrekt ausbezahlt, wogegen auf dem Land «und hauptsächlich in den der Stadt Bern benachbarten Gemeinden […] ein wahres
Willkürregiment» herrsche. «Frauen von weit abgelegenen Landgemeinden» kamen in die Stadt, «um im Arbeitersekretariat Rat
und Beistand zu holen».51
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ABB. 38
KUNDGEBUNG GEGEN HOHE LEBENSMITTELPREISE
AM 15. MAI 1915 IN BERN.
Schon im zweiten Jahr des Kriegs wächst der Unmut über die Verknappung
und Teuerung von Nahrungsmitteln, Brennmaterialien und Waren des
täglichen Gebrauchs. Er entlädt sich in Strassenprotesten und Streiks, die
sich gegen untätige Behörden, Profiteure der Kriegswirtschaft und
fehlende politische Mitsprache richten.
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ABB. 39
Nachdem sie am Parteitag vom Dezember 1920 in der Minderheit
blieben, spalteten sich die Anhänger des Beitritts zur Kommunistischen
Internationalen von der Sozialdemokratischen Partei ab und gründeten die
Kommunistische Partei der Schweiz (KPS). Das Bild zeigt einen Wahlkampfauftritt der KPS in Zürich 1926. In Bern blieb die KP weitgehend bedeutungslos.
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DER KAMPF DER FRAUEN GEGEN DIE TEUERUNG
Obschon ab Frühjahr 1915 eine eigentliche Kriegskonjunktur einsetzte, liessen sich diese Einkommenseinbussen der arbeitenden
Bevölkerung nicht wettmachen. Vor allem aber stiegen während
der ganzen Kriegsdauer die Preise für Nahrungsmittel und weitere
Güter des täglichen Bedarfs massiv. Die Grafik auf Seite 75 zeichnet
diese Entwicklung für die Stadt Bern nach. Wegen der Teuerung
sank der Lebensstandard eines grossen Teils der Bevölkerung. Sie
führte zudem zu einem neuen Stadt-Land-Konflikt: Viele Bauern
konnten militärdienstbedingte Einkommenseinbussen über die
gestiegenen Nahrungsmittelpreise kompensieren und dank der
Inflation ihre teilweise drückende Schuldenlast abbauen.52 Daher
standen sie der Protestbewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter
meist verständnislos oder gar ablehnend gegenüber.
Am 15. Mai 1915 veranstalteten die Berner Arbeiterorganisationen eine erste Teuerungsdemonstration, die Teil einer nationalen Protestaktion war.53 Im folgenden Jahr 1916 verschärfte sich
die Lage weiter. Im Sommer 1916 führten stark steigende Kartoffelund Gemüsepreise zu Protesten, die vorwiegend von Frauen getragen wurden. Die sozialdemokratischen Arbeiterinnenvereine organisierten am 1. Juli Marktdemonstrationen in Bern, später auch in
Biel, Zürich, Grenchen und Thun. Ihre Proteste waren teilweise
erfolgreich: So übernahmen die Gemeinden selbst die Aufgabe,
Lebensmittel verbilligt zu verkaufen, und der Bundesrat setzte erstmals Höchstpreise für Kartoffeln fest.54
Vorläufer des Landesstreiks waren
massive Proteststreiks gegen die Verteuerung
der Lebensmittel.
Forderungen nach einem Teuerungsausgleich, die wegen der rasanten Preisentwicklung oft mehrmals pro Jahr aktuell waren, standen
im Zentrum vieler Streiks auf Betriebs- und Branchenebene. Ab dem
zweiten Kriegsjahr nahmen sie stark zu. 1917 bis 1919 kam es – selbst
wenn man den Landesstreik und mehrere lokale Generalstreiks nicht
mitzählt – zur wohl grössten Streikwelle in der Geschichte der Schweiz.
Der Kampf gegen die vom Krieg ausgelöste Verschlechterung des
Lebensniveaus erreichte am 30. August 1917 einen ersten Höhepunkt mit landesweiten Teuerungsdemonstrationen. Sie fanden
während der Arbeitszeit statt und können daher durchaus als eine
erste, wenn auch nur einige Stunden dauernde, generalstreikähnliche Aktion gesehen werden.
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52 Guex, Sébastien:
L’inflation en Suisse
pendant la Première
Guerre mondiale – Causes,
réactions, discussion
historiographique,
in: Traverse 24,3 (2017),
S. 81–96.
53 AU Bern:
Bericht 1915, S. 4f.
54 Pfeifer, Regula:
Frauen und Protest. Marktdemonstrationen in
der deutschen Schweiz
im Kriegsjahr 1916, in:
Tanner, Albert,
Head-König, Anne-Lise
(Hg.): Frauen in der Stadt,
Zürich 1993, S. 93–109.
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Zwischen 1916 und 1918 verzeichneten
die Gewerkschaften ein rasantes
und massives Wachstum: Die Zahl ihrer
Mitglieder verdoppelte sich.
Den ersten Anstoss zu diesen Revolten gab die im Unionssaal des
Volkshauses stattfindende Delegiertenversammlung der Arbeiterunion Bern vom 31. Juli 1917, die einstimmig einen Antrag von
Grimm annahm, nach schwedischem Vorbild Teuerungsdemonstrationen während der Arbeitszeit zu organisieren. Eine gemeinsame Konferenz der Leitungen von SPS und SGB beschloss,
derartige Demonstrationen am 30. August 2017 gleichzeitig in
allen grösseren Schweizer Städten abzuhalten. Die grössten
Demonstrationen mit je rund 15 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern fanden in Bern und Basel statt.55 Begeistert berichtete
die «Berner Tagwacht»:
«Der 30. August 1917 wird in der Geschichte der stadtbernischen
Arbeiterschaft unvergesslich bleiben. Denn an diesem Tag war der
eherne Tritt der proletarischen Massenbataillone mit einer Wucht
vernehmbar, wie noch niemals in den Jahrzehnten des ruhmreichen Aufstiegs der Arbeiterbewegung in der Mutzenstadt.»56
55 Delegiertenversammlung 31.7.1917, Ar
SGB, Arbeiterunion Bern,
PE 1748, Protokollbuch
7.6.1915–23.5.1918, S. 177f;
«Die Teuerungsdemonstrationen am 30. August»,
in: Berner Tagwacht 25,
Nr. 203 (31.8.1917), S. 1–2.
56 Ebd.
So war die Sprache jener Zeit. In diesen heftigen Auseinandersetzungen erstarkte die gewerkschaftliche und politische Arbeiterbewegung. Nach einem kurzen Einbruch der Mitgliederzahlen zu
Beginn des Kriegs verzeichneten die Gewerkschaften ab 1916 ein
rasantes und massives Wachstum. Zwischen 1916 und 1918 verdoppelte sich die Zahl der Mitglieder der im SGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften. Auch die politische Macht der Arbeiterbewegung nahm zu. Das galt besonders für die Stadt Bern. Bei
den Stadtratswahlen vom Dezember 1917 errang die Sozialdemokratische Partei mit 42 von 80 Sitzen die absolute Mehrheit. In
mehreren Ersatzwahlen verschoben sich darauf auch in der Stadtregierung die Mehrheitsverhältnisse. Zwischen Ende 1918 und
1920 wurde Bern – wenn auch nur relativ kurz – damit als erste der
grösseren Städte der Schweiz von einer roten Mehrheit regiert.
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ZWISCHEN TEUERUNG UND KRIEGSDIENST
PREISSTEIGERUNGEN IN %
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0
0
-20
-20
100
80
80
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1915
60
1916
0
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1916
1919
1919
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0
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1917
40
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1918
100
1915
100
60
1919
100 kg Gaskoks
100 kg Kartoffeln
(inländische)
1917
1 kg Teigwaren
1918
1919
1918
20
1918
0
40
1917
60
1916
60
1917
80
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1919
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1916
40
1915
60
100
1915
80
1918
1917
100
1 Liter Vollmilch
1 kg Vollbrot
1915
½ kg Speck
(geräuchert, mager)
ABB. 40
Im 1. Weltkrieg explodieren die Preise für lebensnotwendige
Güter. Das war einer der Gründe für den Generalstreik von 1918.
Quelle: Schweizerischer Metall- und Uhrenarbeiterverband, Bern: Jahresbericht 1918/1919.
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IM OLTENER AKTIONSKOMITEE
Im letzten Kriegsjahr nahmen die sozialen Spannungen weiter zu.
Im Dezember 1917 und im Januar 1918 wurden Pläne des Bundesrats bekannt, eine Zivildienstpflicht für den Mehranbau von Nahrungsmitteln einzuführen. In einer landesweiten Versammlungswelle protestierte die Arbeiterschaft gegen dieses Projekt, worauf
der Bundesrat Truppen in Bereitschaft stellte. Die Leitungen von
Partei und Gewerkschaftsbund antworteten am 4. Februar 1918 mit
der Einsetzung des Oltener Aktionskomitees. Der Name verweist allein auf den Gründungsort, der Sitz des Komitees befand sich in
Bern, im Sekretariat des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
Anfang März 1918 verabschiedete eine weitere gemeinsame
Sitzung von Partei und Gewerkschaften im Volkshaus Bern ein Konzept für die Vorbereitung eines befristeten Generalstreiks als Druckmittel. Bereits in der Kampagne gegen die Erhöhung des Milchpreises vom April 1918 kam diese Konzeption mit einem Teilerfolg zum
Einsatz. Als noch wirksamer erwies es sich im Sommer 1918. Am 27.
und 28. Juli 1918 fand in Basel der Erste Allgemeine Arbeiterkongress
statt. Er versammelte Delegierte der Partei- und Gewerkschaftssektionen. Der Kongress beschloss, seine Forderungen nach einer
verbesserten Lebensmittelversorgung, der Aufhebung verschiedener repressiver Massnahmen der Behörden und einer Nachteuerungszulage für das Bundespersonal notfalls mit einem allgemeinen
Landesstreik durchzusetzen. Die Drohung wirkte – der Bundesrat
machte bald weitgehende Zugeständnisse.
DIE ARMEE GEGEN DAS VOLK
57 Memorial des
Generals vom
4. November 1918.
In: Gautschi, Willi
(Hg.), Dokumente zum
Landesstreik 1918,
Zürich 1971, S. 170–174.
Zur Eskalation kam es erst später, gleichzeitig mit dem Ende des
1. Weltkriegs und den Revolutionen in Deutschland und Österreich:
Am 4. November 1918 schrieb General Ulrich Wille (1848–1925),
dessen Sympathie für das nun untergehende preussisch-deutsche
Kaiserreich allgemein bekannt war, an den Leiter des Militärdepartements, Bundesrat Camille Decoppet (1862–1925), er glaube
«an die Möglichkeit eines plötzlichen, unerwarteten Ausbruchs
einer Revolution». Wille drängte auf ein präventives Truppenaufgebot.57 Nach Gesprächen mit der Armeeleitung und einer Delegation der Zürcher Kantonsregierung beschloss der Bundesrat, auf
den 6. November Truppen für die militärische Besetzung Zürichs
und auf den 8. November für die Besetzung Berns aufzubieten.
Begründet wurde dies äusserst vage mit «bolschewistischen Umsturzplänen». Eine vom Bundesrat eingeleitete Untersuchung, welche nachträglich die Beweise für diese Behauptung liefern sollte,
wurde nach zwei Jahren ergebnislos eingestellt.
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ABB. 41
General Ulrich Wille, 1848 in Hamburg
geboren und mit einer Gräfin von Bismarck
verheiratet, leitete die Schweizer Armee im 1. Weltkrieg.
Das von ihm durchgesetzte provokative Truppenaufgebot war der unmittelbare Auslöser des Generalstreiks vom November 1918.
Zum Platzkommandanten in Bern ernannte der Bundesrat Oberstkorpskommandant Eduard Wildbolz (1858–1932). Im Gegensatz
zum provozierend auftretenden Zürcher Platzkommandanten Emil
Sonderegger (1868–1934), suchte Wildbolz aktiv die Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden und vor allem mit dem sozialdemokratischen städtischen Polizeidirektor Oskar Schneeberger
(1868–1945), der im Nebenamt auch Präsident des Schweizerischen
Gewerkschaftsbundes war.
Für das Oltener Aktionskomitee kam das Truppenaufgebot
überraschend: Noch am 6. November hatte das Komitee beschlossen, neue Aktionen zu prüfen, aber mit einem viel längeren
Zeithorizont. Schon am 7. November trat das Komitee erneut zusammen – diesmal im Volkshaus Bern – und beschloss, für den
9. November 1918 zu einem 24-stündigen Proteststreik gegen das
Truppenaufgebot aufzurufen. Der Streik am Samstag wurde von
der Arbeiterschaft in der Stadt Bern so gut wie geschlossen befolgt.
Während des Protests war die Armee in Bern – ganz im Gegensatz
zur Situation in Zürich – noch wenig präsent.
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DER LANDESSTREIK
Nach dem erfolgreichen 24-Stunden-Proteststreik beschloss die
Arbeiterunion Zürich gegen die Weisung des Aktionskomitees, den
Streik auf eigene Faust weiterzuführen. Nach ergebnislosen Verhandlungen mit dem Bundesrat und der gewaltsamen Auflösung
einer Demonstration in Zürich beschloss in der Nacht vom 10. auf
den 11. November das Oltener Aktionskomitee in einer Sitzung mit
den Leitungen von Gewerkschaftsbund, Partei und Parlamentsfraktion, den allgemeinen Landesstreik auszulösen. Der Streik
begann um Mitternacht des 11. November. Wie der Proteststreik,
setzte auch der eigentliche Landesstreik in Bern am 12. November
mit voller Wucht ein:
«Im Volkshaus tagte das lokale Streikkomitee in Permanenz, Boten
kamen und gingen nach allen Seiten; mustergültig war die Disziplin und Solidarität der Arbeiterschaft.»58
Doch auch Bern war nun vollständig militärisch besetzt und es kam
zu einigen Zwischenfällen: So räumten am ersten Streiktag Kavallerieeinheiten in der Nähe des Volkshauses mit gezogenem Säbel den
Kornhausplatz, wobei sie auch in die Lauben ritten.59 Am letzten
Streiktag preschten erneut Kavalleristen in eine Menge auf dem
Kornhausplatz, wobei ein Junge durch einen Huftritt verletzt wurde.60
Im abgeriegelten Bundeshaus tagte in Permanenz eine ausserordentliche Session der Bundesversammlung. Das Parlament zeigte sich noch weniger verhandlungsbereit als der Bundesrat. Sozialdemokratische Anträge, auf die Forderungen der Streikenden
einzutreten, wurden sehr deutlich abgelehnt. Am frühen Morgen
des 13. November liess der Bundesrat die Druckerei der «Berner
Tagwacht» an der Kapellenstrasse 6 militärisch besetzen. In diesem
Gebäude befanden sich auch das Zentralsekretariat des Metall- und
Uhrenarbeiterverbandes (SMUV) und die landesweite Streikleitung.
Bern war militärisch vollständig besetzt.
Die Kavallerie knüppelte Demonstrationen
der Gewerkschaften nieder.
58 Arbeiterunion Bern:
Jahresbericht 1918–1921,
Bern 1923, S. 11.
59 Der LandesstreikProzess gegen die
Mitglieder des Oltener
Aktionskomitees vor dem
Militärgericht III vom
12. März bis 9. April 1919,
Bern: Unionsdruckerei
1919, S. 385 f.
60 Aussage
Schneeberger, Landesstreik-Prozess, S. 375.
So gut der Streik von der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft befolgt wurde, so zeigte sich nun, dass vor allem auf dem
Land sowie in den französisch- und italienischsprachigen Landesteilen die Ablehnung des Streiks vorherrschte. In der Nacht vom 13.
zum 14. November beschloss das Oltener Aktionskomitee, wiederum
gemeinsam mit Spitzenvertretern von Partei, Fraktion und Ge-
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[OBEN] Robert Grimm, einer der treibenden Köpfe des LandesABB. 42
streiks, spricht an der Maifeier 1922 vor dem Bundeshaus.
[UNTEN] Eine Viertelmillion Lohnarbeitende legt vom 12. bis
ABB. 43
14. November 1918 die Arbeit nieder. Sie streikten unter anderem für
eine Alters- und Invalidenrente, bessere Arbeitsbedingungen, das Frauenstimmrecht und Proporzwahlen.
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ABB. 44
Die Teilnehmer der Vorkonferenz zur Gründung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien (IASP) auf der Terrasse
(3. Stock) des Volkshauses Bern, anfangs Dezember 1920 (Aufnahme von
Jacques Zehnder).
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werkschaftsbund, den Streik am 14. November um Mitternacht abzubrechen. Ihr Beweggrund: Sie schätzten das Risiko einer gewaltsamen Eskalation als zu hoch ein – und die Arbeiterschaft könne
sie nicht gewinnen.
Grosse Teile der Streikenden verstanden diesen Beschluss
zunächst nicht. So war in einer grossen Versammlung der Streikenden im Volkshaus die Stimmung sehr erbittert. Grimm, der selber
gegen den Streikabbruch gestimmt hatte, versuchte dort, die Arbeiterinnen und Arbeiter von der Notwendigkeit des Streikabbruchs
zu überzeugen.61 Doch die Versammlung beschloss zunächst, einen Arbeiterrat zu gründen, der den Streik auf eigene Faust weiterführen sollte.62
Ein Grund für diese Spannungen zwischen dem Aktionskomitee und einem Teil der Streikenden war auch die stark behinderte Kommunikation zwischen dem Aktionskomitee und den
lokalen Streikkomitees. Die Armee hielt bis am Morgen des letzten Streiktags das Gebäude der «Tagwacht»-Druckerei besetzt.
Am Nachmittag konnten die Komiteemitglieder das Gebäude
zwar betreten, doch nachdem sie sich geweigert hatten, den Aufruf zum Streikabbruch einer militärischen Vorzensur zu unterstellen, wurden sie dort unter Hausarrest gestellt. Dasselbe
Schicksal traf wenig später Stadtpräsident Müller, der sich an die
Kapellenstrasse begeben hatte, weil er das Aktionskomitee auffordern wollte, die immer erregtere Stimmung an der Versammlung im Volkshaus zu beruhigen.63 Selbst ein Beamter der Bundesanwaltschaft, der mit demselben Auftrag gekommen war,
wurde an der Kapellenstrasse festgehalten.64 Erst um 18 Uhr gab
der Bundesrat die Anweisung, die Besetzung des «Tagwacht»Gebäudes aufzuheben. Nun endlich konnte der Aufruf zum Streikabbruch ungehindert gedruckt werden.65
Im Volkshaus blieb die Stimmung angespannt. Polizeidirektor und Gewerkschafter Schneeberger erinnerte sich in seiner Aussage vor dem Landesstreikprozess ein halbes Jahr später an die
Stimmung im Grossen Saal des Volkshauses am Abend des letzten
Streiktages so:
61 Landesstreik-Prozess,
S. 782.
62 Sitzung vom
15. November 1918,
Mitteilung Grimm,
Auszüge aus
den Gemeinderatsprotokollen. In: StAB
BB XIIIb 93016.
63 Landesstreik-Prozess,
S. 782.
64 Ebd., S. 515 f.
65 Ebd., S. 440;
Theophil Sprecher:
«Tagebuch Nr. 12, 1–28.
November 1918
(gekürzt)», in: Gautschi,
Willi (Hg.): Dokumente
zum Landesstreik 1918,
Zürich: Benziger 1971,
S. 331.
66 Landesstreik-Prozess,
S. 376 f.
«Der Saal war gedrängt voll Leute. Einer nach dem andern, die
geschimpft haben über das Aktionskomitee und für Weiterstreiken gesprochen haben, die haben ein tausendstimmiges Bravo bekommen. (…) Es hat alle Mühe gekostet, die Versammlung (…)
schliesslich doch dazu zu bringen, dass sie dem Streikabbruch,
der vom Aktionskomitee verfügt worden ist, zustimmte.»66
Neben Schneeberger waren es vor allem SMUV-Zentralpräsident
Konrad Ilg (1877–1954), SGB-Sekretär Karl Dürr (1875–1928) und
August Huggler (1877–1944), der Sekretär des Zugpersonalver-
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67 AU Bern: Jahresberichte 1918–21, S. 11.
68 Protokoll des II.
Allgemeinen Schweizerischen Arbeiterkongresses. Sonntag, den 22., und
Montag, den 23. Dezember
1918, im Volkshaus
Bern, Bern: Unionsdruckerei 1919, S. 107.
bands, die es schliesslich schafften, die Versammlung im Volkshaus umzustimmen: Gegen 0.30 Uhr beschlossen die Berner Streikenden nach langer und heftiger Diskussion mit grosser Mehrheit,
aber «mit Zorn im Herzen, noch immer kampfbereit, einzig dem
eisernen Gebot strengster Disziplin folgend», die Wiederaufnahme der Arbeit am Freitagmorgen, dem 15. November.67
«Mit Zorn im Herzen, noch immer
kampfbereit, einzig dem eisernen Gebot
strengster Disziplin folgend» stimmte
die Versammlung im Volkshaus schliesslich
dem Streikabbruch zu.
Mit der zeitlichen Distanz wuchs das Verständnis für den Entscheid
des Aktionskomitees. Die Delegierten des zweiten Allgemeinen
Schweizerischen Arbeiterkongresses, der am 22. und 23. Dezember
1918 Bilanz über den Landesstreik zog, genehmigten den Bericht
des Oltener Aktionskomitees deutlich mit 201 zu 79 Stimmen.68
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Durch diese Passage gelangt man, wie das barocke Kinderpaar
kündet, von der zentralen Marktgasse zum Volkshaus 1914.
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III.
VON KRISE,
NAZI-STAHLRUTEN UND
BEINAHE-KONKURS
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Die Welt taumelt, das Volkshaus (wider-)steht. In der
Weltwirtschaftskrise finden Arbeiterinnen und Arbeiter hier Notgeld
und Wärme. Und wie die braune Diktatur ganz Europa mit Massenmord überzieht, wird es zum Ort von faustfestem Widerstand und
internationaler Solidarität.
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Der 1. Weltkrieg destabilisierte die Weltwirtschaft und Europas Gesellschaften nachhaltig. Schon zwischen 1920 und 1923 kam es zu
einer schweren Wirtschaftskrise. Die kurze Hochkonjunktur der
«Goldenen Zwanzigerjahre» dauerte nur gerade von 1924 bis 1928.
1929 begann die Weltwirtschaftskrise, mit ihrem Gefolge von Massenarbeitslosigkeit und zerstörten Lebenshoffnungen.
In vielen Ländern hatten sich nach 1918 erstmals demokratische Verfassungen durchgesetzt. Doch in der Krise erstarkten gewalttätige, autoritäre und ultranationalistische Gruppierungen. Sie
lehnten die Demokratie grundsätzlich ab und forderten eine aggressive, kriegerische Aussenpolitik. Ihr Vorbild war die in Italien
schon ab 1922 herrschende faschistische Partei Benito Mussolinis.
Besonders aggressiv richteten sich die faschistischen Bewegungen
gegen die Arbeiterbewegung. So führten 1920 und 1921 von Grossgrundbesitzern finanzierte faschistische Milizen einen Terrorfeldzug gegen die italienischen Landarbeitergewerkschaften, töteten
Vertrauensleute und brannten Volkshäuser nieder. An der Macht
angekommen, zerschlugen faschistische Regimes die unabhängige
Gewerkschaftsbewegung und beseitigten sämtliche demokratischen Rechte.
In Deutschland kam mit Hitlers NSDAP 1933 eine besonders
brutale Form einer faschistischen Bewegung an die Macht, in Österreich 1934 (ähnlich wie zuvor in Portugal und später in Spanien) ein
autoritär-reaktionäres Regime, das teilweise faschistische Methoden übernahm. Alle faschistischen Regime jagten die Mitglieder der
Gewerkschaften und der Arbeiterparteien. In Deutschland wurden
bereits 1933 Tausende von ihnen ohne Gerichtsurteil in Konzentrationslager verschleppt. Einigen gelang die Flucht ins Ausland. Der
wohl bekannteste politische Flüchtling aus Deutschland in Bern war
Georg Ledebour (1850–1947). Seine Frau Minna und er wohnten
nach ihrer Ankunft in Bern für einige Zeit im Volkshaus.
Die Weltwirtschaftskrise dauerte in der
Schweiz länger als anderswo. Der Grund
dafür war die Abbaupolitik der Regierung.
In der Schweiz brach die Weltwirtschaftskrise später durch als anderswo, aber dauerte dann auch besonders lange. Viele Lohnarbeitende verloren Arbeitsplatz und Brot. Eine obligatorische Arbeitslosenversicherung existierte noch nicht. Umso wichtiger waren die
gewerkschaftlichen Arbeitslosenkassen. Sie erhielten öffentliche
Subventionen. Verwaltet wurden die Kassen auf lokaler Ebene in
den Gewerkschaftssekretariaten, die sich in Bern damals grösstenteils im Volkshaus befanden. Für die Erwerbslosen war das Lese-
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ABB. 46
GUERNICA
Picassos Protest gegen den faschistischen Terror. Während Europas Demokratien der spanischen Republik ihre Hilfe versagten, unterstützten NaziDeutschland und das faschistische Italien den Militärputsch des späteren
Diktators Franco. Am 26. April 1937 flogen 131 deutsche Kampfflugzeuge der
Legion Condor und 13 italienische Flugzeuge einen Luftangriff auf die
baskische Stadt Guernica. Es war das erste Terrorbombardement gegen eine
Zivilbevölkerung der modernen Kriegsgeschichte. Zuerst wurden Sprengbomben, dann Brandbomben abgeworfen. Voller Zorn begann Pablo Picasso
in Paris nur Tage später mit den Vorstudien zu einem Monumentalgemälde
(3,5 mal 7,8 Meter). Er stellte «Guernica» im Juni 1937 fertig. Heute ist es eines
seiner bekanntesten Werke.
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zimmer der Arbeiterbibliothek im Volkshaus vor allem in den kälteren Jahreszeiten ein beliebter Aufenthaltsort.
Arbeitslose Arbeiterinnen und Arbeiter
bezogen im Volkshaus ihr Stempelgeld. Und
wärmten sich in der Bibliothek.
Verantwortlich dafür, dass die Krise in der Schweiz länger dauerte,
war nicht zuletzt die Politik des Bundesrats, der die Krise durch
eine harte Sparpolitik zu überwinden suchte, die im Gegenteil krisenverschärfend wirkte. In rechtsbürgerlichen Kreisen mehrten
sich Stimmen, die forderten, diese Politik nach dem Vorbild der
faschistischen Diktaturen gewaltsam durchzusetzen.
Gegen diese Radikalisierung des Klassenkampfs von oben
entwickelten die Gewerkschaften eine neue Strategie. Gegen Krise
und Faschismus setzten sie nun auf ein breites Bündnis mit den
Angestelltenverbänden und Teilen der Bauernschaft. Die antifaschistische Zeitschrift «Die Nation» war das Organ dieser breiten
Allianz. Gemeinsam lancierten diese Kräfte die «Kriseninitiative».
Sie postulierte eine Wirtschaftspolitik, die sich an der Förderung
der Massenkaufkraft orientieren sollte. In der Abstimmung vom
2. Juni 1935 scheiterte die Volksinitiative relativ knapp. Im Kanton
Bern wurde sie – wie in den beiden Basel, Schaffhausen und Solothurn – angenommen. Angesichts der aggressiven Aussenpolitik
der faschistischen Staaten änderte die Sozialdemokratische Partei
1935 zudem ihre bisherige Haltung zur Armee. Sie war nun bereit,
die schweizerische Demokratie auch mit militärischen Mitteln zu
verteidigen und die entsprechenden Mittel zu bewilligen.
Mit dieser strategischen Konzeption, die den Kampf gegen
die Krise und den Faschismus eng verband, zog die schweizerische
Linke auch die Lehren aus dem Untergang der ersten deutschen
Demokratie, der «Weimarer Republik». Ab 1930 hatte dort die
Regierung von Kanzler Brüning mit ausserordentlichen Vollmachten eine harte Abbaupolitik betrieben. Grosse Teile der Bevölkerung verloren den Glauben an die Demokratie. Vor allem in den
Mittelschichten gewann Hitlers NSDAP an Boden. Die deutsche
Arbeiterbewegung war gespalten. Die SPD tolerierte die BrüningRegierung trotz ihrer Abbaupolitik, denn sie sah diese immer noch
als «kleineres Übel» gegenüber Hitler.
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ABB. 47
Georg Ledebour wurde 1850 in Hannover
geboren und starb 1946 mit 97 Jahren in Bern. Als
SPD-Abgeordneter im deutschen Reichstag (ab 1900)
kritisierte er das Kaiserreich und den preussischen
Militarismus scharf. Als prominentestes Mitglied
der deutschen Delegation an der Zimmerwalder Konferenz war er federführend für die deutsch-französische
Erklärung gegen den Krieg. Kurz darauf, im Dezember
1915, stimmte er im Reichstag gegen die Kriegskredite.
Wie andere Kriegsgegner wurde er darauf aus der
SPD-Fraktion ausgeschlossen und gehörte 1917 zu den
Initianten der Unabhängigen Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands (USPD). 1919 stand er mit
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg an der Spitze
des Berliner Januar-Aufstandes. Doch im Unterschied zu
ihnen überlebte er die Repression. 1933 floh Georg
Ledebour mit seiner Frau Minna vor den Nazis nach Bern.
Robert Grimm kümmerte sich um ihre Aufenthaltserlaubnis. Ihr erster Wohnsitz in Bern war das Volkshaus.
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[OBEN] Am 13. März 1936 demonstrierten über 10 000
ABB. 48
Arbeitslose auf Aufruf des kantonalen Gewerkschaftskartells in Bern.
[UNTEN] Arbeitslos! Das bestimmende Thema jener Jahre,
ABB. 49
hier als vom bekannten Fotoreporter Paul Senn (vor dem Volkshaus)
aufgenommenes Titelbild von «Der Aufstieg», der von der gewerkschaftseigenen Unionsdruckerei herausgegebenen «Illustrierten Familienzeitschrift für das arbeitende Volk der Schweiz».
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ABB. 50
Im Abonnement gut und billig essen – das Restaurant des
Volkshauses spielte in Krisenjahren eine entscheidende Rolle für die Versorgung
der Arbeitenden.
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[OBEN] Arbeitslose finden im städtischen Arbeitsamt
ABB. 51
Speis und Trank.
[UNTEN] Ausschnitt aus dem Menübuch des Küchenchefs von
ABB. 52
1944, verfasst in französischer Sprache, so wie es für ambitionierte Köche
üblich war. Am 4. Mai 1944 gab es trotz eidgenössischer Lebensmittelrationalisierung etwa Hecht auf Marseiller Art, indische Reistafel oder eine
«Charlotte diplomate».
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EINE SCHLÄGEREI IM VOLKSHAUS
1933, im sogenannten «Frontenfrühling», schossen unter dem Eindruck der Machtübertragung an Hitler in Deutschland auch in der
Schweiz faschistische Gruppen und Grüppchen wie Pilze aus dem
Boden. Die «Frontisten» oder «Fröntler», wie man die schweizerischen Faschisten nach der grössten derartigen Gruppierung («Nationale Front») nannte, konnten bei Wahlen nur an einigen wenigen
Orten vorübergehend Erfolge verbuchen, vor allem in den Kantonen Schaffhausen, Zürich und Genf. In Bern blieben sie schwach.
Aus der Krise wuchs der Faschismus.
Auch in der Schweiz. Doch in Bern blieb
er immer schwach.
Erstmals öffentlich in Erscheinung trat die Nationale Front in Bern
am 13. und 26. Juni 1933 mit zwei Versammlungen im Casino. An
der zweiten Versammlung waren die Führer der Zürcher und Genfer Faschisten, Robert Tobler und Georges Oltramare, die Hauptredner. Oltramare hatte bereits traurige Berühmtheit erlangt: Auf
eine Gegendemonstration der Genfer Arbeiterbewegung zu einer
Oltramare-Versammlung am 9. November 1932 hatte die Armee
das Feuer eröffnet. Bilanz: 13 Todesopfer und 65 Schwerverletzte.
Bei der «Genfer Blutnacht» handelt es sich um den tödlichsten innenpolitischen Zusammenstoss in der Geschichte der Schweiz seit den
revolutionären Umbrüchen Mitte des 19. Jahrhunderts. Für die
«Berner Tagwacht» war deshalb eine Versammlung mit einem Auftritt Oltramares, «in dem die Arbeiterschaft einen der Hauptschuldigen am Genfer Arbeitermord erblickt, (…) eine Provokation an
sich».69 Im Vorfeld von Oltramares Auftritt kam es am 24. Juni 1933
auch zu einem bezeichnenden Zwischenfall im Volkshaus. Nach elf
Uhr abends betraten vier Frontisten das Restaurant des Volkshauses.
Wie die «Berner Tagwacht» berichtete, hielten sie
«den erstaunten und bald empörten Gästen Flugzettel für die Oltramare-Versammlung unter die Nase. Ausgerechnet im Volkshaus. Und zwar nach Aussagen der Gäste sehr unanständig, die
Zettel wurden den Gästen geradezu aufgedrängt.»70
69 «Planmässige
Provokation. Oltramareleute dringen ins Berner
Volkshaus ein. Blutige
Schlägerei», in: Berner
Tagwacht 41 (26.6.1933),
Nr. 146, S. 1.
Eine Gruppe Metallarbeiter forderte die ungebetenen Gäste auf,
das Volkshaus sofort zu verlassen.
«Da zog einer der Provokateure eine Stahlrute und hieb dem Genossen Fritz Hügli über den Kopf, dass sofort das Blut aufspritzte.
Aber jetzt! Die vier wurden von kräftigen Metallarbeiterfäusten
70 Ebd.
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Sie schalteten die Gewerkschaften aus: Nazi-Milizen
besetzen am 2. Mai 1933 das Gewerkschaftshaus am Berliner Engelufer.
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Schweizer Faschisten sammelten sich unter
dem Etikett «Nationale Front». 1961 nannte sich
die Nachfolgepartei «Nationale Aktion». Das Plakatmotiv
«Wir säubern» wurde seither von den Rechtsextremen
immer wieder aufgenommen. Mit einer ähnlichen Ikonografie arbeitet auch die Schweizer Volkspartei SVP,
derzeit (2020) wählerstärkste Partei im Land.
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Die Auftritte des Genfer Faschisten
und Antisemiten Georges Oltramare waren regelmässig
als Provokationen organisiert. In der «Genfer Blutnacht»
1932 erschoss die Armee 13 Demonstranten, die
gegen eine Oltramare-Veranstaltung protestierten.
Im Vorfeld von zwei Auftritten in Bern überfielen
die Faschisten auch das Volkshaus.
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zusammengehauen, die Stahlrute wurde ihnen entrissen, später
fand man sie am Boden.»71
Nach Beginn der Schlägerei stürmten weitere Frontisten in das Lokal.
«Sie wurden empfangen und behandelt wie ihre Kollegen, die Empörung der Metallarbeiter über den hinterlistigen Überfall war
angesichts der Stahlrutenarbeit aufs höchste gestiegen, blutig
geschlagen, die Kleider ‹z’Hudle und z’Fätze› zerrissen, flogen
die Oltramaretruppen zum Volkshaus hinaus.»72
71 «Planmässige
Provokation. Oltramareleute dringen ins Berner
Volkshaus ein. Blutige
Schlägerei», in: Berner
Tagwacht 41 (26.6.1933),
Nr. 146, S. 1..
72
Ebd.
73
Ebd.
Die mitgebrachte Stahlrute und die draussen wartenden Hilfsmannschaften wiesen darauf hin, dass es sich um eine bewusste
Provokation handelte – eine von faschistischen Gruppen immer
wieder angewandte Taktik.
Faschistische Schläger aus den «besten
Kreisen» griffen das Volkshaus an.
Metallarbeiter schlugen sie zurück.
Die Rechnung ging allerdings in diesem Fall nicht auf, alle am
Überfall beteiligten Frontisten wurden von der Polizei angehalten.
Die festgestellten Personalien enthüllten, dass ein Teil der Provokateure aus den «besseren» Kreisen stammte: Mit der Stahlrute
zugeschlagen hatte ein aus Deutschland stammender und im neuenburgischen Les Verrières wohnhafter Arzt namens Sutter. Weiter befand sich der Jusstudent Hans Ulrich von Erlach (1910–2005)
unter den Angreifern – ein Enkel von General Ulrich Wille. Erlach
brachte es später im Militär ebenfalls bis nach ganz oben. Identifiziert wurde auch der erfolgreiche Architekt Ernst Walter Ebersold (1894–1968). Für die «Berner Tagwacht» war die handfeste
Antwort der Metallarbeiter auf die Provokation der Frontisten
wenig überraschend:
«Die Arbeiterschaft wird die Frontenversammlungen nicht stören.
Sie wird kämpfen wie bisher mit allen legalen Mitteln für die Interessen der lohnarbeitenden Klasse. Aber wenn sie von Leuten,
die den schweren Existenzkampf der Arbeiter nicht kennen, in
ihrem eigenen Heim aufgesucht und provoziert, wenn sie von den
Herrschaften belästigt und im eigenen Kreis herausgefordert werden, dann wird jedesmal die Antwort so erfolgen wie am Samstagabend. Das ist keine Drohung, das ist ganz einfach eine nüchterne Feststellung.»73
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DAS HAUS DER GELEBTEN
INTERNATIONALEN SOLIDARITÄT
Teil eines grösseren Ganzen zu sein, prägte das Bewusstsein der
Berner Arbeiterbewegung. Bei wichtigen Ereignissen im Ausland
fanden regelmässig öffentliche Protestversammlungen im grossen
Saal des Volkshauses statt. Diese demonstrativen Veranstaltungen
waren Ausdruck der internationalen Solidarität. Gerade während
der von der Krise und der faschistischen Bedrohung geprägten Jahre wurden einige dieser Anlässe zu eindrücklichen Massenveranstaltungen. Bereits am 19. Juni 1924 organisierte die Arbeiterunion
Bern im Volkshaus eine grosse Protest- und Gedenkveranstaltung
für den italienischen Sozialistenführer Giacomo Matteotti, der
neun Tage zuvor in Rom von Faschisten ermordet worden war. Bei
dieser Gelegenheit charakterisierte Robert Grimm den italienischen Faschismus:
«Am Anfang der faschistischen Bewegung steht das Verbrechen,
das Banditentum.»74
Besonders gross war der Andrang am 15. Februar 1934 zu einer
«Sympathie- und Protestkundgebung der Berner Arbeiterschaft»
für den bewaffneten Aufstand der österreichischen Arbeiterinnen
und Arbeiter gegen die Diktatur von Kanzler Dollfuss.
«Der grosse Volkshaussaal erwies sich als zu klein, obgleich alle
Tische ausgeräumt waren. Der Speisesaal wurde angefügt und
füllte sich im Nu. Lange vor 8 Uhr. Der Unionssaal wurde freigemacht von Tischen und Stühlen, im nächsten Moment war auch
da kein Platz mehr zu finden, dicht gedrängt standen die Massen.
Die Türen wurden geöffnet und bis in die Korridore standen die
Menschen in dichten Klumpen. Und hunderte, die zu spät kamen,
mussten trübselig wieder umkehren, es war einfach kein Platz
mehr zu finden.»75
74 Rede Grimm,
10.6.1924, zit. n. Adolf
McCarthy: Robert Grimm.
Der schweizerische
Revolutionär, Bern:
Francke 1989, S. 273.
75 «Zu Ehren
des österreichischen
Proletariates. Nie
gesehener Aufmarsch
im Volkshaus»,
in: Berner Tagwacht 42
(16.2.1934), Nr. 39.
Neben der angekündigten Rede von Robert Grimm im vorgesehenen Grossen Saal zum «Kampf in Österreich» sprach im Unionssaal zusätzlich «Tagwacht»-Redaktor Ernst Bütikofer. Der Grossandrang überraschte nicht: Die österreichische Sozialdemokratie
war in der Zwischenkriegszeit eine der weltweit stärksten Arbeiterparteien. Das «Rote Wien» mit seiner Wohnbau-, Bildungs- und
Sozialpolitik galt international als Vorbild für eine fortschrittliche
Kommunalpolitik.
Doch im März 1933 liess der christlich-soziale österreichische
Bundeskanzler Engelbert Dollfuss unter fadenscheinigen Vorwänden das Parlament auflösen. Danach drängte er die Sozialdemo-
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kratie immer mehr in die Illegalität. Dollfuss orientierte sich aussen- und innenpolitisch zunehmend am Vorbild Mussolini. Am
12. Februar 1934 wehrte sich in Linz die dortige Einheit des «Republikanischen Schutzbundes» – der sozialdemokratischen Parteimiliz –
spontan mit der Waffe in der Hand gegen eine Polizeirazzia im
«Hotel Schiff», dem dortigen Volkshaus. Die Kämpfe breiteten sich
schnell auf Wien und andere städtische und industrielle Zentren
Österreichs aus. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften
Österreichs riefen den Generalstreik aus. Doch die Arbeiterschaft,
durch die hohe Arbeitslosigkeit demoralisiert, folgte dem Aufruf
nicht massenweise. Mehrere Tage lang kämpften die Schutzbündler,
bevor sie der Übermacht der Armee, der Polizei und der faschistischen Heimwehren unterlagen. Zum Zeitpunkt der Veranstaltung
im Berner Volkshaus waren die Kämpfe zwar noch im Gang, es war
allerdings bereits klar, dass sie nicht mit einem Sieg der Arbeiterinnen und Arbeiter enden würden.
Das Dollfuss-Regime nahm blutige Rache. Mehrere Schutzbundführer wurden standrechtlich hingerichtet, Tausende Gewerkschafts- und Parteimitglieder verhaftet. Die Sozialdemokratie, die
Gewerkschaften und ihnen nahestehende Organisationen wurden
verboten. Trotzdem war der Verzweiflungskampf der österreichischen Arbeiter ein Hoffnungszeichen im internationalen Kampf
gegen den Faschismus. Nur ein Jahr zuvor war die gespaltene deutsche Arbeiterbewegung weitgehend kampflos der brutalen Repression der Nazis unterlegen. Hingegen zeige der militante Widerstand
in Österreich, so sagte Grimm in seiner Rede im Volkshaus,
«… dass die Arbeiterschaft nicht wehrlos ist und nicht wehrlos
untergehen muss, wenn der Untergang schon nicht zu vermeiden
ist. ‹Er hat gezeigt, dass man in Ehren und in Anstand untergehen
kann.› (…) Der Eindruck dieses Heldentums auf das Weltproletariat ist ein unvergesslicher. Es ist kein Sieg errungen worden,
dennoch geben die Kämpfe in Österreich der Arbeiterschaft in
allen Ländern einen neuen Impuls.»76
Damit sollte Grimm Recht behalten. In den folgenden Jahren gelang es Linksbündnissen, den weiteren Vormarsch des Faschismus
in Westeuropa vorerst zu stoppen. Ebenfalls im Februar 1934 demonstrierten in Frankreich rund eine Million Menschen gegen
einen gescheiterten faschistischen Putschversuch. Spontan vereinigten sich dabei die anfangs getrennt formierten kommunistischen und sozialistischen Demonstrationszüge. Sie stellten damit
die Spaltung der Arbeiterbewegung in Frage, die in Deutschland
so verhängnisvoll gewirkt hatte.
Inspiriert vom österreichischen Vorbild erhoben sich im Oktober 1934 in Spanien die asturischen Bergarbeiter gegen den Eintritt einer rechtsradikalen Partei in die Regierung. Wie in Österreich
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77 «Die Spanien-Feier
im Berner Volkshaus»,
in: Berner Tagwacht 46
(19.7.1938), Nr. 167.
ging der Kampf verloren. Doch erneut hatten Arbeiter bewiesen,
dass sie bereit waren, dem Faschismus unter Einsatz ihres Lebens
entgegenzutreten. 1936 gewannen in Spanien und Frankreich
Volksfronten, Bündnisse aus sozialistischen, kommunistischen und
linksbürgerlichen Parteien, die Parlamentswahlen. In Frankreich
kam es kurz nach dem Wahlsieg des Front populaire zu einer massiven spontanen Welle von Streiks und Betriebsbesetzungen. Nach
einem Monat konnten die Gewerkschaften in tripartiten Verhandlungen mit den Unternehmerverbänden und der Regierung bedeutende Lohnerhöhungen, die Vierzigstundenwoche und zwei
Wochen bezahlte Ferien durchsetzen.
Stattliche 1000 Personen kamen am 16. Juli 1936 zu einer Kundgebung ins Berner Volkshaus, um sich gegen die Verbrechen des
Hitler-Regimes und die Politik der Schweizer Regierung zu stellen.
Robert Grimm kritisierte das Festhalten der Landesregierung an
der Deflationspolitik und die mangelnde Arbeitsbeschaffung. Und
er griff den Kurs von Aussenminister Giuseppe Motta an, der einerseits die Aufnahme der Sowjetunion in den Völkerbund bekämpfte und andrerseits Sanktionen gegen Mussolinis Italien ablehnte –
Italien führte in Äthiopien gerade einen Eroberungs- und
Ver nichtungskrieg. Der Sekretär der SP des Kantons Bern, Fritz
Giovanoli (1898–1964), geisselte in seiner Rede das Todesurteil der
Nazi-Justiz gegen den Hamburger Kommunisten Edgar André.
Rund 800 Schweizer Sozialisten, Kommunisten und Demokraten
wählten in jener Zeit ein radikales Engagement. Sie verteidigten
als «Spanienkämpfer», die Waffe in der Hand, die Republik gegen
die spanischen Faschisten. Am 18. Juli 1938 drückten im grossen
Volkshaussaal mehr als 1200 Berner Arbeiterinnen und Arbeiter an
der Veranstaltung «2 Jahre Krieg in Spanien» ihre Solidarität
mit der spanischen Republik aus. Hauptreferentin war Regina
Kägi-Fuchsmann (1889–1972), die Leiterin des zwei Jahre zuvor von
SP und Gewerkschaften gegründeten Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH). Sie erklärte Vorgeschichte und Ursachen des spanischen Bürgerkriegs, berichtete vom Leiden der Zivilbevölkerung
und der Kampfbereitschaft des spanischen Volks für die Verteidigung der Demokratie gegen die Putschisten um General Franco
und dessen Verbündete in Rom und Berlin. Unterstrichen wurden
die Ausführungen der Referentin durch den anschliessend gezeigten Tonfilm «Cœur d’Espagne», der die Versammelten mit seinen
erschütternden und realistischen Bildern stark bewegte:
«Es waren nicht nur Schweisstropfen, die auch harte, schwielige
Männerhände, gestern, im heissen Saal vom Gesicht wischten …»77
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Im Schweizer Bürgertum, in der Armee und sogar in der Regierung
sympathisieren etliche Figuren mit Nazi-Deutschland. Am 1.-Mai-Umzug 1939
in Zürich verlangten die Gewerkschaften, die Hitler-Freunde unter den
Offizieren aus der Armee zu entfernen. Der 2. Weltkrieg stand unmittelbar bevor.
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Der Kongress der Gewerkschaft SMUV tagte 1927 im Berner
Volkshaus. Im SMUV als der damals mit Abstand grössten Einzelgewerkschaft
waren die Arbeitenden der Metall-, Maschinen- und Uhrenindustrie organisiert.
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«Für eine Regierung der Werktätigen»: Der Wahlparteitag der
SPS vom Herbst 1935 stand ganz im Zeichen des Kampfs gegen die Krise und
den Faschismus. Der Parteitag fand im grossen Saal des Volkshauses statt.
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78 «Freiheitskundgebung», in: Berner
Tagwacht 46 (24.10.1938),
Nr. 250.
79 «Hinaus mit den
Verrätern!», in: Berner
Tagwacht 46 (25.10.1938),
Nr. 251, S. 1
Die Referentin kritisierte an diesem Anlass auch die Nichtinterventionspolitik der Westmächte scharf. Frankreich und Grossbritannien hatten die Republik im Stich gelassen. Sie verboten Waffenlieferungen an die spanische Regierung, während die faschistischen
Diktaturen die Putschisten mit Truppen, Waffen und Bombardierungen unterstützten. Nur die Sowjetunion hielt der spanischen
Republik die Stange. Sie nutzte dies auch dazu, über die Komintern
ihren politischen Einfluss in Spanien zu verstärken. Es kam zu selbstzerstörerischen Auseinandersetzungen innerhalb des republikanischen Lagers und in einigen Fällen sogar zum Export stalinistischer
Terrormethoden nach Spanien.
Auch anderswo gaben die demokratischen Westmächte vor den
Drohungen der faschistischen Diktaturen nach. An der Münchner
Konferenz von Ende September 1939 liessen Frankreich und Grossbritannien die demokratische Tschechoslowakei fallen, NaziDeutschland besetzte mit ihrer Billigung die deutschsprachigen
Grenzgebiete Tschechiens. Die Empörung über den «Verrat von
München» war auch in der Berner Arbeiterschaft gross. Am 23. Oktober 1938 nahmen überraschend 1200 Frauen und Männer an einer
Protestversammlung der relativ unbekannten Organisation «Freunde der Sowjetunion» im Grossen Saal des Volkshauses teil. Otto
Pünter (1900–1988), sozialdemokratischer Journalist und Koordinator eines klandestinen antifaschistischen Nachrichtendienstes,
leitete die Versammlung. Fritz Giovanoli, Parteisekretär der SP des
Kantons Bern, hielt das Referat. Bei der Verabschiedung der Schlussresolution versuchten drei Fröntler, die Veranstaltung zu stören.78
Die Reaktion der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war eindrücklich, wie Augenzeugen in der «Berner Tagwacht» berichteten:
«Der eigentlichen Aktion voraus ging ein kleiner Disput zwischen
den Nazis und den in der Nähe sitzenden Teilnehmern, plötzlich
fiel der Ruf: ‹Hinaus mit den Verrätern!› Wie ein Mann erhob sich
die Versammlung und der Ruf schwoll an. Die Nazis wurden durch
die Türen gedrängt, und als einer ‹Heil Hitler› rief, gab es einige
Hiebe; die Erregung wuchs noch, als der eine Nazi, aus der Nase
blutend, in schnarrendem Hochdeutsch rief: ‹Ihr werdet mit uns
noch zu tun bekommen!› Die Polizei rettete ihn, indem sie ihn in
Empfang nahm und die erzürnten Versammlungsteilnehmer auf
gute Bernerart beruhigte: ‹Löt ne jtz, mir nähme’ne itz mit!›»79
Anschliessend wurde der Film «Helden der Luft» über die sowjetische Luftfahrt gezeigt. Die Sowjetunion galt damals weit über die
Anhänger der kommunistischen Parteien hinaus als einziges verlässliches Bollwerk gegen den Faschismus. Der Bericht über die
Versammlung in der «Tagwacht» vertrat ebenfalls diese Haltung,
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merkte allerdings auch an, dass Sowjetrussland «bittere Rätsel»
aufgebe.80 Stalins «Grosser Terror» gegen echte und vermeintliche
Oppositionelle war damals noch in vollem Gang. Die Hoffnung wurde vorerst enttäuscht: Kurz bevor der Zweite Weltkrieg am 1. September 1939 mit dem Angriff Nazi-Deutschlands auf Polen begann,
schloss Stalin überraschend einen Pakt mit Hitler. Lange hielt der
nicht: Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion
am 23. Juni 1941 kam schliesslich das Bündnis der westlichen Demokratien mit der Sowjetunion zustande. Unter gewaltigen Opfern
trugen die Völker der Sowjetunion entscheidend dazu bei, dass der
Krieg 1945 mit dem Sieg der Alliierten über die faschistischen Achsenmächte endete.
KNAPP AM BANKROTT VORBEI
Viele Hotelgäste blieben in jenen Jahren aus. Ab 1932 ging der Umsatz des Volkshaus-Betriebes deutlich zurück. Die Krise schlug sich,
leicht verzögert, auch in den Betriebsergebnissen nieder. Eine personelle Fehlbesetzung in der Direktion verschlimmerte die Probleme. Auch als nach der Abwertung des Schweizer Frankens 1936
die Konjunktur wieder anzog, besserte sich die finanzielle Lage des
Volkshauses nicht: In den Jahren 1936 bis 1940 schloss seine Rechnung mit Verlusten ab.81
1938 kam es zu einem heftigen Konflikt im Verwaltungsrat.
Albert Berner (1870–1944), Direktor der Unionsdruckerei Bern,
machte den Verwaltungsratspräsidenten Ferdinand Steiner (1888–
1957), der auch die Geschäfte der Berner SMUV-Sektion führte, für
die missliche Lage des Volkshauses mitverantwortlich. Steiner trat
zurück und reichte eine Ehrverletzungsklage ein. Der Zwist endete
schliesslich mit einer aussergerichtlichen Einigung.82
Politisch war das Volkshaus ein Magnet.
Aber finanziell ging es in den 1940er-Jahren
beinahe bankrott.
Doch der Konkurs rückte bedrohlich näher. Am 30. Juli 1940 sah
sich die Volkshaus AG gezwungen, ein Nachlassverfahren zu beantragen. Auf Druck der Stadt Bern übernahm am 1. Februar 1941
eine Sanierungskommission die Leitung und Verwaltung der
Volkshaus-Gesellschaft. Diese Sanierungskommission bestand
mehrheitlich aus Vertretern der Gläubiger. Durch Preiserhöhungen
im Hotel und Restaurant, höhere Mietzinse für die Sekretariate und
das Kino konnten die Betriebsergebnisse wieder verbessert werden.
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80 «Freiheitskundgebung», in: Berner
Tagwacht 46 (24.10.1938),
Nr. 250.
81 Zingg, Karl:
Das Berner Volkshaus
1914–1964. Jubiläumsschrift, Bern 1964,
S. 32 ff.; Haari, Erwin,
Schweizer, Kurt:
Das Berner Volkshaus und
das neue Hotel Bern,
1914–1989, Gümligen:
Wefo Verlag 1989, S. 9.
82 SMUV Sektion Bern:
Bericht über die Jahre 1937
und 1938, S. 11–22.
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83 Zingg, K.: Volkshaus
1914–1964, S. 34–44.
Die Schuldenlast aber blieb hoch. Eine solidarische Bürgschaft der
grossen Berner Gewerkschaften ermöglichte schliesslich die Aufnahme eines Kredits bei der Genossenschaftlichen Zentralbank.
Die finanzielle Sanierung kam erst 1945 zu einem Abschluss. Das
Haus der Arbeitenden war nur knapp am Bankrott vorbeigeschrammt. Dabei musste unter anderem auch das ganze alte Aktienkapital abgeschrieben werden. Die neuen Aktien zeichneten die
Gewerkschaften, die Unionsdruckerei und die Einwohnergemeinde
Bern. Diese solidere Ausstattung mit Eigenkapital ermöglichte die
Aufnahme von Krediten für längst notwendige Umbauten.83
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WER DRUCKT, HAT MACHT
Dass neben dem Volkshaus eine Druckerei zu einem anderen zentralen Ort der Berner Arbeiterbewegung wurde, sollte nicht verwundern. Zeitungs- und Buchdruck waren Voraussetzungen für die demokratische Emanzipation. Und
nur eigene Druck- und Verlagskapazitäten sicherten im 19.
und 20. Jahrhundert die politische Einflussnahme. Davon
zeugt nicht zuletzt die militärische Besetzung der Unionsdruckerei während des Landesstreiks 1918. Um ihre Zeitung
«Berner Tagwacht» zu drucken, hatte die Arbeiterunion
1898 die Genossenschaft Unionsdruckerei Bern gegründet. Ab
1902 wurden dort auch die SMUV-Zeitung, dann weitere
Organe der Gewerkschaften hergestellt. 1915 übernahm die
Unionsdruckerei die Sozialdemokratische Presseunion und
gab die «Tagwacht» nun in Eigenregie heraus. Das enge
Verhältnis sollte bis 1987 halten: Die «Tagwacht» trennte
sich von der Unionsdruckerei, zehn Jahre später wurde das
Blatt im Rahmen des Sterbens der SP-Presse endgültig eingestellt. 2002 verwandelte sich die Druckerei-Genossenschaft in eine Aktiengesellschaft, und die Gewerkschaftsblätter, wie das 2001 gegründete «work», wurden nun
anderswo gedruckt.
Im 1922 erworbenen grossen Gebäude der Unionsdruckerei an der Monbijoustrasse 61 sind heute unter anderem
der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB, diverse lokale
Gewerkschaftssektionen, das lokale Sekretariat der SP und
der Mieterverband untergebracht.
[OBEN] 1922 zog die Unionsdruckerei
ABB. 59
in den Neubau an der Monbijoustrasse 61.
[UNTEN] Schriftsetzer bei der
ABB. 60
Arbeit in der Setzerei der neuen Unionsdruckerei
an der Monbijoustrasse, 1925.
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IV.
VOM LANGEN BOOM,
ARTHUR STEINER UND
DEN WEINPREISEN
1945–1967
Nach dem Krieg hatten die Gewerkschaften Zulauf,
die Lohnarbeitenden kamen zu ein wenig Wohlstand und sozialer
Sicherheit. Doch der Weg vom Arbeitsfrieden zur Sozialpartnerschaft stellte mit den Gewerkschaften, der Sozialdemokratie und
dem Volkshaus einiges an.
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In den Jahren vor, während und nach dem 2. Weltkrieg wurden die
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse neu geordnet.
Vorerst stärkte die Niederlage der faschistischen Diktaturen die
politischen Kräfte, die für den sozialen Fortschritt einstanden. Mit
radikalen Reformen wollten sie die Ursachen von Krise, Faschismus und Krieg beseitigen. So wurde etwa in Frankreich das Programm der Résistance vorübergehend zur Richtschnur politischen
Handelns. Es forderte einen starken Ausbau der Sozialversicherungen und eine «echte soziale und wirtschaftliche Demokratie»
durch die «Rückführung an die Nation» der «grossen monopolisierten Produktionsmittel, Früchte der Arbeit aller, der Energiequellen und der Bodenschätze, der Versicherungskonzerne und der
grossen Banken». Dieses Programm, das heute, nach dem neoliberalen Bruch, wie ein revolutionäres Traktat wirken kann, war die
Frucht langer Konsultationen und eines breiten Kompromisses
von links bis rechts. Ähnliche Programme standen damals auch
in Grossbritannien, Italien, Österreich und im besetzten, bald geteilten Deutschland auf der Tagesordnung.
Der Kalte Krieg und höhere Löhne
dämpften die sozialistische Aufbruchsstimmung nach dem 2. Weltkrieg rasch.
Zwar dämpfte der Kalte Krieg die demokratisch-sozialistische Aufbruchsstimmung der unmittelbaren Nachkriegsjahre rasch. Dennoch setzte sich die Einsicht durch, dass der Kapitalismus über eine
aktive Wirtschaftspolitik, soziale Sicherheit und kollektive Arbeitsverträge (in der Schweiz: «Gesamtarbeitsverträge») reguliert werden musste. Diese Erkenntnis wurde durch massive Streiks, starke
Wahlergebnisse der Kommunistischen Parteien in Italien, Frankreich und weiteren Ländern und durch die Konkurrenz mit dem
Sowjetblock befördert.
Wichtige sozial- und wirtschaftspolitische Errungenschaften
aus dieser Zeit blieben bis zum neoliberalen Bruch in den 1980er-Jahren erhalten. Das Kapital liess sich auf einen Kompromiss mit der
Arbeit ein, zu beiderseitigem Nutzen. Umgekehrt rückte auf sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Seite das weitergehende Ziel,
den Kapitalismus zu überwinden, zunehmend in den Hintergrund.
In der Schweiz war im Jahr 1950 rund die Hälfte der Lohnarbeitenden Gesamtarbeitsverträgen (GAV) unterstellt. Eine grosse Streikwelle in den Jahren 1945–1947 hatte das Prinzip GAV auch gegenüber
den Textil-, Chemie- und Bekleidungsindustriellen durchgesetzt, die
bis dahin besonders hartnäckig am «Herr im Haus»-Standpunkt festgehalten hatten. Damit fügten sie sich in ein System institutionell
1945–1967
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VOM LANGEN BOOM, ARTHUR STEINER UND DEN WEINPREISEN
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geregelter Beziehungen mit den Gewerkschaften ein. Bald wurde
dieses System «Sozialpartnerschaft» genannt. Trotz dieses harmonisch tönenden Begriffs blieben die Beziehungen zwischen Kapital
und Arbeit von grundlegenden Interessengegensätzen geprägt.
Mit der Annahme der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) wurde 1947 ein Grundstein zum Sozialstaat gelegt. Sie
war eine alte Forderung des Generalstreiks von 1918. Eine andere
wichtige Forderung, das Frauenstimmrecht, liess dagegen noch
weitere 24 Jahre auf sich warten – die Schweiz räumte den Frauen
dieses Grundrecht 1971 als eines der weltweit letzten Länder ein.
Im Jahr der AHV-Gründung nahmen die Stimmberechtigten
auch die neuen Wirtschaftsartikel in der Bundesverfassung an. Mit
dem Vollbeschäftigungsziel und der Kontrolle von Kartellen und
Trusts griffen die Wirtschaftsartikel zwei zentrale sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Forderungen der letzten Jahrzehnte auf.
Überdies garantierten sie den Einbezug der Gewerkschaften und
übrigen Wirtschaftsverbände in den Gesetzgebungsprozess.
Eine weitere Komponente dieses Kompromisses zwischen
den grossen gesellschaftspolitischen Kräften war die Eingliederung der Sozialdemokratischen Partei in die Regierungsverantwortung. Seit 1938 war die SP im Berner Regierungsrat vertreten. In
der Landesregierung, dem Bundesrat, wurde ihr erst 1943 ein Sitz
eingeräumt, als nach den Schlachten von Stalingrad und El-Alamein
absehbar war, dass die faschistischen Achsenmächte den Krieg verlieren würden. Die damals klar wählerstärkste Partei SPS war mit
nur einem von sieben Sesseln im Bundesrat allerdings deutlich
untervertreten. Nach einem Zwischenspiel ohne Sozialdemokraten
in den Jahren 1953–1959 stellte die SP schliesslich im Rahmen der
«Zauberformel» immer zwei Bundesratsmitglieder.
Über den Ausbau der GAV und Sozialversicherungen gelang es, den
in der langen Prosperitätsphase der 1950er- und 1960er-Jahre geschaffenen Reichtum breiter zu verteilen. Grosse Teile der arbeitenden Bevölkerung kamen zu einem bescheidenen Wohlstand.
Gleichzeitig verlor aber die Arbeiterbewegung viel von ihrem Charakter als eigenständiges Milieu. Gewerkschaften und Partei, aber
auch die eigenen Sport- und Kulturvereine und Genossenschaften
büssten zunehmend ihre prägende Rolle im Alltag der Arbeiterinnen und Arbeiter ein. Deren Bewusstsein, Teil einer Klasse mit gemeinsamen Interessen und Zielen zu sein, schwand.
Die regelmässige Mobilisierung der Basis schien den Gewerkschaftsfunktionären nun kaum mehr nötig zu sein, konnten sie
doch bessere Arbeitsverhältnisse und Löhne und mehr freie Zeit
meist in institutionalisierten Verhandlungen mit den Arbeitgeberverbänden erreichen. War dies nicht möglich, fühlten sich die Gewerkschaften in der Regel durch die «Friedenspflicht» gebunden.
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Die neuen Möglichkeiten der Konsumgesellschaft werteten die
Attraktivität der kulturellen und sportlichen Angebote der Arbeiterbewegung ab. Vor diesem Hintergrund verlor auch der ursprüngliche Volkshausgedanke seinen Glanz. Bezeichnend dafür ist, dass
das Volkshaus Brüssel, die weltweit wohl berühmteste Institution
dieser Art, 1965 trotz Protesten abgebrochen wurde.
AM MARSHALLPLAN SCHEIDEN SICH DIE LAGER
Mit dem Zweiten Weltkrieg war die Welt ins US-amerikanische Zeitalter eingetreten. In Europa stand dafür symbolisch der «MarshallPlan», das US-Programm zum wirtschaftlichen Wiederaufbau. Am
22. Januar 1949 trafen sich im Berner Volkshaus die Mitglieder des
ständigen Beratungsausschusses der Internationalen Gewerkschaftskonferenz für den Europäischen Hilfsplan. Dieses «Trade Union
Advisory Committee» besteht bis heute weiter in der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), die
aus dem Marshallplan entstanden ist. An der Volkshaus-Sitzung
nahmen führende Gewerkschafter aus Grossbritannien, den USA,
den Benelux-Staaten, Skandinavien und Westdeutschland teil.
SGB-Sekretär Giacomo Bernasconi (1905–1972) vertrat neben den
schweizerischen auch die österreichischen Gewerkschaften. Aus
Frankreich und Italien erschienen Delegierte von erst kurz zuvor
entstandenen Gewerkschaftsbünden. Sie hatten sich von den in
diesen beiden Ländern mehrheitlich kommunistisch orientierten
Dachverbänden abgespalten.
Der Marshallplan war einer von mehreren Konfliktpunkten,
die schliesslich zur Spaltung des 1945 in Paris gegründeten Weltgewerkschaftsbundes (WGB) führten. Hinter dem von Washington
lancierten Plan witterten die Regierung der Sowjetunion und die
kommunistischen Parteien Westeuropas ein Manöver mit dem Ziel,
die US-amerikanische Dominanz zu sichern. Die sozialdemokratischen Strömungen der Gewerkschaftsbewegung hingegen sahen
im Marshallplan neue Möglichkeiten, die Wirtschaftspolitik in
ihrem Sinn zu beeinflussen.
Vier Teilnehmer der Berner Sitzung – der Niederländer Evert
Kupers (1886–1965), die Briten Arthur Deakin (1890–1955) und
Vincent Tewson (1898–1981) sowie der US-Amerikaner James B.
Carey (1911–1973) – hatten nur drei Tage zuvor eine Sitzung des
WGB-Exekutivbüros in Paris unter Protest verlassen. Neben eher
technischen Fragen war daher an der Sitzung im Volkshaus der sich
abzeichnende Austritt der sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften aus dem zunehmend kommunistisch dominierten
WGB das bestimmende Thema. Intensiv diskutiert wurde die
Gründung einer neuen gewerkschaftlichen Internationale. Wenige
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STREITFALL MARSHALLPLAN
1947 initiierte US-Präsident Harry Truman vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Kriegs ein Wiederaufbauprogramm für Europa, das
nach General George Marshall benannt wurde. Siebzehn europäische Länder,
darunter auch die Schweiz, bekamen Kredite über 16,5 Milliarden Dollar
(2020 wären dies 173 Milliarden). Der Plan leistete einen wesentlichen Beitrag
zum Nachkriegsboom in Europa, sicherte aber auch die dominante
Stellung der USA und förderte die US-Exporte.
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Monate später, im Dezember 1949, wurde in London schliesslich
der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) gegründet,
dem auch der SGB beitrat. Der Kalte Krieg fand im Konflikt zwischen WGB und IBFG seine Fortsetzung auf dem gewerkschaftlichen Terrain.84
VON DER MIGRATION LERNEN
84 Bernasconi,
Giacomo: «Die Berner
Sitzung des Gewerkschaftlichen Beratungsausschusses für den
Europäischen Hilfsplan»,
in: Gewerkschaftliche
Rundschau 41 (1949),
Nr. 2, S. 49–51; Carew,
Anthony: American
Labour’s Cold War Abroad.
From Deep Freeze to
Détente, 1945–1970,
Edmonton: AU Press
2018, S. 68–75.
Ab den späten 1940er-Jahren nahm die Arbeitsmigration in die
Schweiz stark zu. Sie wurde aktiv organisiert, mit Anwerbungsbüros
der Unternehmer vor allem in südeuropäischen Ländern. Dennoch
begann die Gesellschaft in den 1960er-Jahren, die Zuwanderung
zunehmend kontrovers zu diskutieren. Die Gewerkschaften fanden
sich dabei rasch vor einem Dilemma.
In der Schweiz der Baracken erkannten
die Gewerkschaften, dass nicht die
Migration die Löhne drückte, sondern
die rechtliche Diskriminierung der ins
Land geholten Arbeiter*innen.
Einerseits nahmen sie an, die Einwanderung führe zu mehr Lohndruck. Im damaligen System der Einwanderungskontingente setzten sich die Gewerkschaften daher wiederholt für eine restriktive
Bewilligungspraxis ein. Erst einige Zeit später erkannten sie, dass
der Lohndruck nicht von der Migration ausging, sondern von der
gesetzlichen Schlechterstellung dieser Arbeitenden, die eine Form
von Subproletariat mit minderen Rechten schuf (Saisonnier-Statut,
«Baracken-Schweiz»).
Andererseits ging es den Gewerkschaften darum, auch die
Eingewanderten in ihren Reihen zu organisieren. Insbesondere in
der Auseinandersetzung mit dem grundrechtswidrigen SaisonnierStatut, das unter anderem einen Stellenwechsel untersagte und
den Nachzug der Familie verbot, setzte ein Lernprozess ein, der
von einer neuen Generation progressiver Gewerkschafterinnen
und Gewerkschafter angetrieben wurde. Oft stammten sie selbst
aus der Migration.
Vor allem die fremdenfeindliche Schwarzenbach-Initiative
von 1970, die von den Gewerkschaften bekämpft, von Teilen ihrer
Basis aber befürwortet wurde, war eine harte Belastungsprobe. Am
Ende wurde die Volksinitiative verworfen. Die Gleichstellung der
Arbeitskollegen mit fremdem Pass wurde zu einem zentralen Thema
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85 Zingg, S. 51.
der Schweizer Arbeiterbewegung – und im Rückblick zur grossen
Integrationsleistung.
Es war offensichtlich, dass die Schweizer Wirtschaft auf die
Einwanderung angewiesen war. Das galt auch für das Volkshaus
Bern, wie Verwaltungsratsmitglied Karl Zingg 1964 in seiner Festschrift zum 50-Jahr-Jubiläum des Gebäudes schrieb:
«Die überbordende Konjunktur hat die Personalfrage zum Problem Nummer eins gemacht. Die langen Präsenzzeiten sind im
Jahre des Volkshausjubiläums nicht mehr beliebt, und in dieser
Zeit ist ein enormer Personalwechsel festzustellen. Für Küchenund Putzarbeiten sind schweizerische Arbeitskräfte nicht mehr
zu haben, so dass sich der Personalbestand zu einem grossen Teil
aus Ausländern zusammensetzt.»85
Gewerkschaftliche Migrantengruppen hielten ihre Sitzungen im
Volkshaus ab. Wichtige Ausländerorganisationen aber, etwa die
Colonie Libere Italiane, die sich links von den schweizerischen Gewerkschaften positionierten, gaben sich ihre eigenen Treffpunkte.
ARTHUR STEINER, DER MANN,
DER GEWERKSCHAFTEN
UND VOLKSHAUS REGIERTE
Ab 1945 präsidierte Arthur Steiner (1896–1958) den Verwaltungsrat
der Volkshaus AG. Er vertrat im Verwaltungsrat die Unionsdruckerei, der er zeitweise ebenfalls vorstand. Der gelernte Feinmechaniker war einer der einflussreichsten Schweizer Gewerkschaftsführer
der Nachkriegszeit. Bereits 1933 war Steiner zum Zentralsekretär
und Vizepräsidenten der grössten Einzelgewerkschaft SMUV aufgestiegen. Von 1954 bis zu seinem überraschenden Tod im September 1958 präsidierte er sowohl den SMUV als auch den Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Dem Parlament gehörte er seit 1947 an.
Im Gespann mit seinem bekannteren Amtsvorgänger Konrad
Ilg (1877–1954) hatte Steiner 1937 die erste Kollektiv-Vereinbarung
in der Maschinenindustrie, das «Friedensabkommen», unterzeichnet. Dieses Abkommen war noch kein eigentlicher Gesamtarbeitsvertrag, sondern legte ein mehrstufiges Verfahren zur Schlichtung
von Arbeitskonflikten unter Ausschluss von Kampfmassnahmen
fest. Die damit verbundene «sozialpartnerschaftliche», allein auf
Verhandlungslösungen mit den Unternehmern setzende gewerkschaftliche Linie vertrat Steiner konsequent.
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Italienische Arbeiter*innen warten 1956 in Brig auf den Weitertransport. Hunderttausende «Gastarbeiter» bauten nach dem 2. Weltkrieg die
moderne Schweiz und hielten sie am Laufen. Sie haben das Land kulturell
geöffnet und tiefgreifend verändert. Das machte sie zur Projektionsfläche, die
rechte nationalistische Parteien zum Aufstieg nutzten.
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Arthur Steiner war ab 1945 nicht nur
Präsident der Volkshaus AG, sondern auch der einflussreichste Gewerkschafter der Nachkriegszeit. Er
präsidierte die Gewerkschaft SMUV und den Gewerkschaftsbund (SGB). Politisch gilt er als Schöpfer
der Konsumentenpolitik – auch im Volkshaus.
Seinen wichtigsten Kampf focht Steiner gegen die Teuerung:
«Der Arbeiter muss aufpassen. Wenn er glaubt, nur der Kampf
um besseren Lohn sei für ihn zur Hebung des Lebensstandards
notwendig, dann täuscht er sich. Wer dem Preis keine Beachtung
schenkt, der wird Verlierer sein (…).»86
86 «Die Zukunftsaufgaben der schweizerischen Gewerkschaften.
Referat gehalten
von Arthur Steiner am
Jubiläumskongress
des Schweizerischen
Gewerkschaftsbundes
vom 30. September /
1. Oktober 1955 in
Zürich», in: SMUV (Hg.):
Arthur Steiner zu Ehren,
Bern: Unionsdruckerei
1959, S. 280.
Dieser Ansatz zeitigte Folgen. Die Gewerkschaften dehnten ihre
Aktivitäten während Steiners Amtszeit als SGB-Präsident vermehrt
auf die Konsumentenpolitik aus. Im Herbst 1955 gründeten der
Schweizerische Gewerkschaftsbund, der Föderativverband des Personals öffentlicher Verwaltungen und Betriebe im Gespann mit der Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände (VSA) die «Arbeitsgemeinschaft für Vollbeschäftigung und gegen Teuerung». Später
wurde dieser Zusammenschluss zur «Aktionsgemeinschaft der
Arbeitnehmerverbände» umbenannt, und nach dem Beitritt der
Konsumvereine (dem heutigen Coop-Konzern) zur Aktionsgemeinschaft der Arbeitnehmer und Konsumenten, AGAK. 1964 gründeten
sie die bis heute bestehende Stiftung für Konsumentenschutz (SKS).
Die AGAK selbst wurde 1999 aufgelöst.
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Das Selbstverständnis gewerkschaftlicher Konsumentenpolitik
beschrieb Steiner wie folgt:
«Unter Konsumentenpolitik verstehen wir nicht Preisschinderei.
Wir halten es nicht mit dem ‹Billigen Jakob›. Wenn der Jakob zu
billig ist, bezieht der Heiri ganz sicher einen Hungerlohn. Wir
können daher nicht jene egoistische Konsumentenpolitik unterstützen, nach welcher das, was wir kaufen, ausnahmslos billig
sein soll, das, was wir aber herstellen, ungerechtfertigt teuer sein
müsse. (…) Wir sind ein teures Land geworden, unsere Teuerung
ist mehr inland- als auslandbedingt, was nach geeinter Konsumentenpolitik ruft.»87
Steiner setzte sich nicht nur politisch für die Rechte der Konsumentinnen und Konsumenten ein. Er wandte diese Grundsätze auch in
der Leitung des Volkshauses an. Wiederholt betonte er die Bedeutung eines ausgeglichenen Verhältnisses von Preis und Qualität:
«Wir zweifeln nicht daran, dass es noch Leute gibt, die finden, ein
Volkshaus hätte sich unbedingt bei den Häusern niedrigsten Ranges einzureihen. Ein Heraustreten aus diesem Rahmen würde nicht
mehr dem Arbeiterstande entsprechen und sei unproletarisch. Als
unser Volkshaus erstellt wurde, haben seine Erbauer eine solche
Auffassung abgelehnt. Sie haben, der damaligen Zeit entsprechend,
dem werktätigen Gaste ein anständiges Heim geboten. Seither hat
sich manches geändert. Auch die Arbeiterwohnung ist mit jener
vor ungefähr 39 Jahren kaum mehr zu vergleichen. Der ‹kleine
Mann› wohnt nicht mehr so primitiv wie früher. (…) Wenn der
Arbeiter von heute mit seiner Familie eine Gaststätte aufsucht,
dann möchte er dort nicht weniger angenehm aufgehoben sein als
zu Hause.»88
Das Volkshaus sollte somit der Verbesserung der wirtschaftlichen
Lage der Arbeiterschaft Rechnung tragen. Bereits im Jahresbericht
1947 meldete Steiner, das Volkshaus habe eine «Revision der Weinpreise» vorgenommen:
«Sie möchte ihren Gästen ermöglichen, vor allem unsere Schweizer Weine zu mässigen Preisen konsumieren zu können. So sind
die Preise für erstklassige Weine namhaft herabgesetzt worden.
Dass diese Aktion im Kreise des lokalen Gastwirtschaftsgewerbes
nicht allgemein mit Genugtuung begrüsst wurde, verstehen wir.
Wenn wir aber anderseits feststellen müssen, zu welchen Preisen
der Weinbauer in der welschen Schweiz seine Produktion absetzen
muss, dann finden wir es grotesk, welche Zuschläge der Wirt auf
diesen Weinen heute noch erhebt.»
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87 Ebd., S. 281.
88 Zit. n. Zingg, S. 46.
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Explizit stellte Steiner die Reduktion der Weinpreise im Volkshaus
in einen breiteren wirtschaftspolitischen Kontext:
«Da und dort bestünde Gelegenheit, Preissenkungen vorzunehmen, für die der Konsument sehr dankbar wäre und die der
Volkswirtschaft nicht den geringsten Schaden zufügen würden.
Sie könnten aber verhüten, aus unserem Lande jene Preisinsel
werden zu lassen, für welche die ganze Bevölkerung die Opfer
nachher um so empfindlicher tragen muss. (…) Eine teure Schweiz
ist eine arme Schweiz.»89
«REVOLVERKÜCHE»
STATT ARBEITERBILDUNG
Nach Abschluss der notwendigen finanziellen Sanierung leitete die
Volkshaus AG in den Jahren 1945 bis 1950 die grössten Umbauarbeiten seit der Eröffnung des Neubaus 1914 ein. Sie veränderten die
innere Erscheinung des Gebäudes stark, wie Arthur Steiner im Jahresbericht 1954 festhielt:
«Wer heute unser Volkshaus betritt, der kennt sich in seinen Räumen nicht mehr zurück. (…) Das Volkshaus steht im neuen Kleide
da. Nicht äusserlich, die nicht an bernische Bauart erinnernde
Fassade bleibt leider.»90
Der letzte Satz zeigt, dass die nun tonangebende Generation von
Gewerkschaftsführern einen konventionelleren Geschmack hatte
als ihre Vorgänger. Ästhetik ist auch Politik.
Nach dem Umbau von 1950 schrieb
der oberste Gewerkschafter: «Die nicht an
bernische Bauart erinnernde Fassade
bleibt leider.» Ästhetik ist auch Politik.
89 Jahresbericht 1947,
zit. n. Zingg, S. 47 f.
90 Jahresbericht 1954,
S. 16 f.
Erklärtes Ziel der Umgestaltung des Volkshauses war, Hotel und
Restaurant attraktiver zu gestalten. Vor allem der Hotelbetrieb gewann an Bedeutung. Ferienreisen waren für Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte kein unerreichbarer Luxus mehr. Wie Karl Zingg
berichtet, trugen vor allem die Reisegruppen, die vom Reisedienst
der Popularis vermittelt wurden, zur erhöhten Frequenz im Hotel
bei. Gemeint war damit die 1945 von verschiedenen gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen und touristischen Organisationen
aus den Niederlanden, Luxemburg, Grossbritannien und der
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KOOPERATIVER KONSUM
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Coop-Verkäuferin, um 1955.
Die Verkäuferin in einem Coop-Geschäft (das Bild stammt
aus der Mitte des 20. Jahrhunderts) stand in einer bewährten
Tradition: Bereits in den 1830er-Jahren hatten Weber begonnen, sich in Konsumvereinen zusammenzuschliessen. Ziel
dieser Selbsthilfeorganisationen war die Beschaffung von
Brot, später die sichere und preisgünstige Versorgung mit
allen Nahrungsmitteln und Gütern des Grundbedarfs (etwa
Kohle). Andere Berufsgruppen und industrialisierte Regionen folgten. In Bern wurde 1890 die Konsumgenossenschaft
Bern (KGB) gegründet, nach dem Vorbild von Rochdale, England (1844): offene Mitgliedschaft, Verkauf gegen Bargeld,
Rückvergütung an die Genossenschaftsmitglieder. Im selben Jahr organisierten sich Dutzende von Konsumvereinen
in einem landesweiten Verband (VSK).
1914 beteiligte sich die KGB am Aktienkapital der Volkshaus AG und richtete im Volkshaus ein Schuhgeschäft ein. Aus
der KGB wurde 1966 «Coop Bern», aus dem VSK drei Jahre
später «Coop Schweiz». Die Zusammenarbeit zwischen Coop
und Volkshaus blieb eng. Nach 1974 pachtete das Volkshaus
das Hotel «Continental», das der Coop gehörte. Coop übernahm 2002 die Warenhauskette EPA. Damit wurde auch die
seit dem Grossumbau anfangs der 1980er Jahre im Volkshaus
eingemietete EPA-Filiale zu einem «Coop City»-Geschäft.
Schweiz gegründete Popularis Internationale Genossenschaft für
Sozialtourismus. Während sich die Popularis International 1966
auflöste, blieb ihre schweizerische Tochter bis zum Verkauf an den
Kuoni-Konzern im Jahr 1990 bestehen.
Die Gewerkschaften kämpften für bezahlte Ferien. Und sie errichteten eigene Ferienheime. Walter Baumann, der als Gerant den
Kurs des Volkshauses gemeinsam mit Steiner im ersten Nachkriegsjahrzehnt prägte, war zuvor als Verwalter des Ferienheims «Sonloup»
des Schweizerischen Eisenbahnerverbands tätig gewesen. 1939
gehörten die Gewerkschaften zu den Mitgründern der Schweizer
Reisekasse (Reka). Diese half mit, die Folgen der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs in der schweizerischen Tourismusbranche zu überwinden. Ihre «Reka-Checks» werden von Gewerkschaften bis heute den Mitgliedern vergünstigt angeboten.
Die Ausrichtung der Volkshaus AG auf Bett und Essen war nicht
allein der Ökonomie geschuldet. Sie zeigte das gewendete Selbstverständnis der Gewerkschaften in jenen Jahren an.
Früher zentrale Angebote des Volkshauses verloren an Bedeutung. So opferte Steiner den Lesesaal einem Ausbau des Sekretariats
des Bau- und Holzarbeiterverbandes. Im Rückblick begründete er
diesen Schritt von 1954 damit, dass der Saal kaum mehr genutzt und
sogar von Handwerksburschen als Übernachtungsmöglichkeit
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zweckentfremdet worden sei. Die Bibliothek des Arbeiterbildungsausschusses zog 1955 in ein neues Lokal an der Gurtengasse um.
Schliesslich verlor die Berner Arbeiterbibliothek sogar ihre Selbständigkeit und ging in der Volksbücherei Bern auf.
Verkleinert wurde auch der Bäderbetrieb, der mit der Verbesserung der Wohnverhältnisse und der hygienischen Einrichtungen in den Betrieben an Bedeutung verloren hatte. Das bisherige Männerbad im Parterre wurde aufgehoben. An seiner
Stelle entstanden Ladenlokalitäten, die vermietet werden konnten. Das Frauenbad im ersten Stock wurde für einen gemischten
Betrieb umgebaut.
Die Arbeiterbibliothek weg, das Männerbad zu, im Grossen Saal schiessen
Pistoleros: Das Volkshaus wird zum
Hotel- und Gastrobetrieb.
Doch die wirklich einschneidende Veränderung geschah durch die
kommerzielle Umnutzung des Grossen Saals, der historische Reden, die aufgewühlten letzten Stunden des Landesstreiks und Momente im Kampf gegen den Faschismus gesehen hatte. Das Prunkstück des Volkshauses, in dem früher auch Filme gezeigt wurden,
wandelte sich zur «Revolverküche», zu einem Lichtspieltheater,
das vor allem Krimis und Western zeigte. Betrieben wurde das Kino
vom Unternehmer Karl Friedrich Huber, der auch Kinos in Basel
und Luzern bespielte.
Das Volkshaus-Management war in erster Linie an den Mietzinsen interessiert. Auf die Programmgestaltung nahm es keinen
Einfluss. Die Filme, die das «Cinéma Forum» zeigte, hatten mit der
früher noch angestrebten Verbindung von Kino und Arbeiterbildung
nichts mehr zu tun.
Diese Beschränkung des Grossen Saals auf den Kinobetrieb bedeutete auch, dass Grossanlässe wie sozialdemokratische Parteitage
und Gewerkschaftskongresse nicht mehr im Volkshaus stattfinden
konnten. Für Versammlungen dieser Grössenordnung musste man
nun in «bürgerliche» Lokale wie den «Kursaal», das «Bierhübeli»
oder das Casino ausweichen. Wehmütig erinnerte die Journalistin
Emmy Moor (1900–1979) in ihrem Nachruf für Robert Grimm an die
verlorene politische Bedeutung des grossen Volkshaussaals:
«Ist es wirklich wahr, dass dies alles vergangen sein soll? Dieser
immer zum Bersten volle Volkshaussaal, in dem hundert und hundert Hände geschüttelt worden sind und man oben, auf der übervollen Empore nach so und so viel vertrauten Gesichtern gespäht
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hat. Versammlungen, in denen sich alle Etappen unserer Bewegung abgespielt haben. Wie viel Kämpfe, wie viel Siege und wie
manche Niederlage auch fanden dort ihren bewegten, unvergesslichen, sichtbaren Höhepunkt.»91
91 Moor, Emmy:
«Der Redner», in: VPOD
(Hg.) Robert Grimm.
Revolutionär und
Staatsmann, Zürich
1958, S. 116.
1947 kam das Aus für die «Volkshausabende» im Grossen Saal.
Meist samstags, nach Kinoschluss, tanzte hier Bern bis in die
Morgenstunden. Organisiert wurden die Volkshausabende von
Sektionen der Gewerkschaften und von den Arbeitersport- und
Arbeiterkulturvereinen. Sie konnten sich auf diese Weise zusätzliche finanzielle Mittel beschaffen. Wegen der langen Arbeitszeiten
waren diese Anlässe beim Personal des Volkshauses unbeliebt.
Zudem mischten sich immer wieder ungebetene Gäste unters Publikum, Schlägereien und andere Zwischenfälle häuften sich.
Aus dem Prunkstück der Berner
Arbeiterbewegung wurde ein Kino.
Die Programmierung überliess
die Volkshaus AG einem Unternehmer.
Zwar wurden 1945/46 noch die Räumlichkeiten des Lokalsekretariats des Bau- und Holzarbeiterverbands im Volkshaus ausgebaut,
aber danach begann der allmähliche Rückzug der meisten Gewerkschaftssekretariate aus dem Volkshaus. Die Arbeiterorganisationen wuchsen, und sie brauchten mehr Raum. Der fehlte im Haus
des Volkes. Schliesslich blieben nur noch das Gewerkschaftskartell
Bern und die Berner SMUV-Sektion im dritten Stock übrig. Vorübergehend: Nach dem Umbau des Gebäudeinnern im Jahr 1980
fanden sie noch bis 1994 Unterschlupf im vom Volkshaus verwalteten Nachbargebäude am Schützengässchen 5.
Die Gewerkschaften zogen sich zunehmend
aus dem Volkshaus zurück. Sie brauchten
mehr Raum.
Im Oktober 1948 beschloss das Zentralkomitee des Internationalen Metallarbeiterbunds (IMB) an einer Tagung im Volkshaus, die
Metallergewerkschaften der drei westlichen Besatzungszonen
Deutschlands unter ihr Dach, die «Eiserne Internationale», zu nehmen. Wenig später vereinigten sich diese drei Zonen-Gewerkschaften zur Industriegewerkschaft Metall – der grösste Mitgliedsverband des IMB war geboren.
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[OBEN] Das Volkshaus der Belgischen Arbeiterpartei (POB)
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in Brüssel war, wie viele Volkshäuser, ein Werk von markanter Architektur. Die
POB liess es von Victor Horta (1861–1947) bauen, dem Meister des Art
Nouveau. Es wurde 1899 eingeweiht. Gegen seinen Abriss 66 Jahre später erhob
sich internationaler Protest, unter anderem von bekannten Architekten.
Vergebens. Immerhin erreichte der Widerstand, dass die Bauteile nummeriert
und eingelagert wurden. Doch der Wiederaufbau fand nie statt.
[UNTEN] Der lichtdurchflutete, in die Geländeneigung gebaute
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Hauptsaal des Brüsseler Volkshauses.
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DER NEUANLAUF MIT
DER GLEICHSTELLUNG
1959 kam im Volkshaus ein Thema auf den Tisch, das 50 Jahre zuvor für die Gewerkschaften eine besondere Bedeutung hatte und
50 Jahre später wieder bekommen sollte. Am 15. November gründeten
16 Gewerkschafterinnen die Frauenkommission des Schweizerischen
Gewerkschaftsbundes. SGB-Präsident Hermann Leuenberger (1901–
1975) begrüsste sie. Als SP-Nationalrat hatte er regelmässig Vorstösse für die Gleichberechtigung der Geschlechter eingereicht.
VHTL-Sekretärin Maria Zaugg (1916–2003) wies in ihrem Referat
auf die «speziellen Probleme der berufstätigen Frau» hin. Die
Schlechterstellung der Frauen bei den Löhnen – sie lagen damals
durchschnittlich 35 Prozent tiefer als Männerlöhne – und die Diskriminierung in der Ausbildung seien zwei Ursachen geschuldet:
der schwachen gewerkschaftlichen Organisation der Frauen und
der verbreiteten, aber überholten Auffassung, die Erwerbstätigkeit von Frauen sei nur als vorübergehende Erscheinung zu betrachten. Danach wählte die Kommission die VHTL-Sekretärin
und spätere Coop-Managerin Edith Rüefli (1931–2017) zur Präsidentin.92 Mit der Einsetzung der Frauenkommission verstärkte der
SGB seine Aktivitäten für eine Mitgliedergruppe, die er in den vorangegangenen Jahrzehnten vernachlässigt hatte. So war 1924 die
seit 1905 bestehende Stelle einer Arbeitersekretärin des SGB gestrichen worden. Kurz nach dem Landesstreik, dem die Teuerungsdemonstrationen der Frauen vorausgegangen waren, hatte der Anteil weiblicher Mitglieder in den SGB-Gewerkschaften einen
Höhepunkt von 19,6 Prozent erreicht. 1959 lag der Anteil nur noch
bei 12,2 %. In den kommenden Jahren sollte er trotz Einsetzung der
Frauenkommission weiter sinken. Erst bis Mitte der 1970er stieg
das zahlenmässige Gewicht der Frauen in den Gewerkschaften
wieder. Der Anteil von 1919 wurde erst Ende der 1990er wieder
erreicht und danach überschritten.
Das Volkshaus Bern spielte trotz Auszug der Gewerkschaftssekretariate weiter seine Rolle als Treffpunkt der Arbeiterbewegung,
international wie national. Zwar war der Grosse Saal Geschichte,
aber auch der Unionssaal bot Platz für immerhin 400 Personen.
Gewerkschaften, die Sozialdemokratische Partei und andere Organisationen aus ihrem Umfeld führten im Volkshaus den Grossteil
ihrer lokalen und regionalen Versammlungen, Bildungsanlässe und
Sitzungen durch. Von «Versammlungen» sprach man nun seltener,
das Wort «Sitzung» trat an seine Stelle. Und geschah irgendwo in
der Hauptstadt politisch Aufregendes, strömten die Arbeitenden
nicht mehr spontan ins Volkshaus.
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VOM LANGEN BOOM, ARTHUR STEINER UND DEN WEINPREISEN
92 «Die Frauenkommission des SGB
nimmt ihre Tätigkeit
auf», in: Der VHTL 45
(27.11.1959), Nr. 48, S. 3.
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Diese Veränderungen stellten sich allmählich, über die Jahre ein. In
der Nutzung des Hauses des Volkes spiegelten sich die Häutungen
der Arbeiterbewegung in Zeiten realwirtschaftlichen Wachstums
und eines gesellschaftlichen Kompromisses, den wir später als das
«sozialdemokratische Zeitalter» identifizieren sollten.
Doch Ende der 1960er-Jahre kündigten sich neue Verwerfungen an, die das Volkshaus Bern vor unerwartete Herausforderungen
stellen sollten.
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EXKURS ZUR ARCHITEKTUR (II):
DIE ERNEUERUNGSPROJEKTE 1945–1950
WERTEN DEN HOTELBETRIEB AUF
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Volkshaus etappenweise umgebaut und modernisiert. Am
29. September 1945 ersuchte die Volkshaus AG die Schweizerische Hotel-Treuhand AG um eine entsprechende Empfehlung zur Subventionierung – mit Erfolg. Noch im gleichen Jahr konnten die ersten Umbauarbeiten beginnen.
1945–1946: Lesesaal und Bibliothek: Dank einer neuen
Raumgestaltung entstanden zusätzliche Sitzungszimmer.
1946–1947: Erneuerung der Hotelzimmer und Korridore,
neue Heizung und «Anschaffung modernster Maschinen»93,
wie etwa einer Bügelmaschine [VGL. KAPITEL VI].
1947: Renovation des Eingangsbereichs und des Unionsund Speisesaals. Durch die Neugestaltung des Osttreppenhauses entstanden vier zusätzliche Hotel- und zwei Angestelltenzimmer.
1947–1949: Der Bühnenraum im Grossen Saal im ersten
Stock wurde zu einem Restaurant umgebaut, 1949 feierlich
eingeweiht. Verwaltungsrat Karl Zingg hatte in seiner Jubiläumsschrift zum 50-jährigen Bestehen des Volkshauses
geschrieben: «Die Bühne des Grossen Saales blieb jahrelang
unbenützt, sie war toter Raum und damit auch totes Kapital.
Hier pulsiert nun Tag für Tag Leben.»94 Der Umsatz des Restaurants im ersten Stock wurde im ersten Betriebsjahr mit
rund 300 000 Franken ausgewiesen.
93 Zingg, Karl:
Das Berner Volkshaus
1914–1964. Jubiläumsschrift, Bern 1964, S. 46.
94 Ebd., S. 48.
ABB. 69
Das Schreiben, in dem das Volkshaus
1945 die Hotel-Treuhand um eine Empfehlung für die
Subventionierung des Umbaus bat. Das Volkshaus
firmierte damals als «Hotel, Restaurant, Bäder».
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ABB. 70
[OBEN] Das neue Sitzungszimmer im früheren Lesesaal (1946).
[UNTEN] Die Zimmer wurden neu möbliert und waren nun
ABB. 71
mit einem Telefon ausgestattet (1946).
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ABB. 72
[OBEN] Das Hauspersonal verfügte neu über eine Bügelmaschine.
[UNTEN] Neugestaltung des Eingangsbereichs vor den Kinosälen
ABB. 73
und dem Restaurant (1947).
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V.
DA STAND NUR NOCH
DIE FASSADE
1968–1989
Der Mai 68 rebellierte, Revolutionen befreiten Südeuropa von Diktaturen, das Volkshaus verkroch sich erst einmal in
die «7 Stuben». Bis die Krise Abbruch und Neubau erzwang. Das
Haus nannte sich nun «Hotel Bern». Doch bald war Ende mit dem
Frieden zwischen Arbeit und Kapital …
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Die lange wirtschaftliche Wachstumsphase der Nachkriegszeit
brach an der tiefen Krise des Kapitalismus Mitte der 1970er-Jahre.
Sie stellte auch das nach dem 2. Weltkrieg etablierte System der
Interessenvermittlung zwischen Arbeit, Kapital und Staat in Frage.
Die Aktionäre und ihre Manager wollten nun Produktivitätsfortschritte nicht mehr in Form von höheren Löhnen und verkürzter
Arbeitszeit teilen. Die neoliberale Rechte griff die sozialen Errungenschaften, die soziale Sicherheit, die öffentlichen Dienste und
die vermittelnde Rolle des Staates an.
Generell veränderte sich das Gesicht der Arbeitswelt der Industriestaaten grundlegend. Die beschleunigte Rationalisierung,
die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer und der Ausverkauf der Industriekonzerne durch die Banken leiteten eine
scharfe Deindustrialisierung der Schweiz ein.95 1972 waren erstmals
mehr Personen im Dienstleistungssektor beschäftigt als in Industrie und Gewerbe. Auch in der Region Bern schlossen traditionsreiche Industriebetriebe ihre Fabriktore für immer. Zu den ersten
gehörten 1974 die Zentralheizungsfabrik Zent AG in Ostermundigen und 1975 die Spinnerei Gugelmann in der Felsenau.
Derweil machte sich die «68er»-Bewegung unter anderem mit
Demonstrationen zu internationalen Themen bemerkbar. Auf
Berns Strassen wurde gegen den Krieg der USA in Vietnam, gegen
die Kolonialkriege Portugals in Afrika, die Niederschlagung des
«Prager Frühlings» durch sowjetische Panzer und die blutigen
Diktaturen in Spanien, Portugal, Griechenland und Lateinamerika protestiert. Einige Anlässe fanden im Volkshaus statt. So wurde im Anschluss an eine Demonstration zum 1. Jahrestag des
Militärputsches in Chile (11. September 1973) ein Film im Volkshaus gezeigt.96 Die Freiplatzaktion, die dafür sorgte, dass über
2000 chilenische Flüchtlinge in der Schweiz Asyl fanden, organisierte am 8. April ein Podium über die Asylpolitik. Staatsrechtsprofessor und Sozialdemokrat Richard Bäumlin kreuzte dabei die
Klinge mit Valentin Oehen, Nationalrat der fremdenfeindlichen
«Nationalen Aktion».97
Nachdem die «Nelkenrevolution» am 25. April 1974 die Diktatur in Portugal und die Kolonialkriege beendet hatte, wankte auch
die Diktatur Francos in Spanien. Noch zwei Monate vor Francos Tod
im November 1975 liess das Regime fünf baskische Widerstandskämpfer hinrichten. Am 2. Oktober 1975 rief der Europäische Gewerkschaftsbund zu einem Tag der Solidarität mit dem spanischen
Volk auf. In der Schweiz ruhte die Arbeit in vielen Betrieben und
Baustellen für zwei Schweigeminuten. Busse und Trams in Bern
und anderen Schweizer Städten standen still.98 Am 12. Oktober 1975
forderte eine Versammlung mit ca. 100 Teilnehmern ein Ende der
Waffenausfuhr nach Spanien. Neben einem spanischen und italie-
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DA STAND NUR NOCH DIE FASSADE
95 Oliver Fahrni:
«Epilog: Die nächste
Industrialisierung
der Schweiz», in:
Bärtschi, Hans-Peter,
Aufgebaut und Ausverkauft. Die industrielle
Schweiz vom 18. bis ins
21. Jahrhundert, Zürich:
Hier und Jetzt 2011.
96 «ChileKundgebungen»,
in: Die Tat, 13.9.1974,
Nr. 214, S. 22.
97 «Asylpolitik am
Beispiel Chiles. Nicht
einmal Wilhelm Tell
könnte hereingelassen
werden», in: Walliser
Bote, 10.4.1974, S. 2.
98 Troxler, Ferdinand:
«Druck auf brutales
Franco-Regime
fortsetzen!», in: Der
VHTL, 22.10.1975, S. 10.
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99 «Waffenausfuhrverbot für Spanien
gefordert», in: Walliser
Bote, 13.10.1975, S. 12.
100 «Le lotte operaie
in Spagna dopo la morte
di Franco», in: Lotta
sindacale, 13.2.1976, S. 2.
101 [Zeitung der]
Gewerkschaft Textil
Chemie Papier,
22.12.1976, S. 8.
102 Bonnot, Paul W.:
«Die Verwandlung
eines Volkshauses»,
in: SMUV-Zeitung 70
(24.11.1971),
Nr. 47, S. 11–12.
nischen Arbeiter sprachen an dieser Versammlung zwei bekannte
linke Sozialdemokraten aus Biel: Der Grossrat und ehemalige Spanienkämpfer Ernst Stauffer (1914–1997) und der Nationalrat Arthur
Villard (1917–1995).99 Am 15. Februar 1976 orientierte die schweizerische Exilorganisation des spanischen Gewerkschaftsbunds UGT
im Volkshaus über «Arbeiterkämpfe in Spanien nach Tod Francos».100
Ehemalige Schweizer Spanienkämpfer kamen im Volkshaus am
10. Januar 1977 zu Wort.101
IN 7 STUBEN HOCKEN
1970 fiel der Entscheid, das Volkshaus-Restaurant grundlegend umzubauen und die Küchen zu modernisieren. Gleichzeitig musste
eine neue Heizung eingebaut werden. Diese Investitionen wurden
im Wesentlichen über Kredite der gewerkschaftsnahen Genossenschaftlichen Zentralbank (GZB) finanziert. Die Generalversammlung vom November 1970 beschloss eine massive Erhöhung des
Aktienkapitals, es wurde beinahe vervierfacht. Die neuen Aktien
zeichneten zu grossen Teilen die Gewerkschaften. Sie beauftragten
den Architekten Robert Künzli mit der Leitung der Umbauarbeiten.
Ende April 1971 schlossen das Restaurant und die Express-Cafébar,
viereinhalb Monate später, am 17. November 1971, konnte das neue
Restaurant offiziell eingeweiht werden. Es trat unter dem Namen
«Zu de 7 Stube» auf.
Jede der sieben «Stuben» des Restaurants stand für ein Handwerk beziehungsweise eine Branche und war mit den entsprechenden
Werkzeugen dekoriert: Die «Isige» (Metallberufe), die «Hölzige»
(Holzberufe), Sattlerstube (Tapezierer eingeschlossen), Gutenbergstube (Drucker), Braustube, Steinmetze und die Kurierstube. Einige der Stuben wurden von den gewerkschaftlichen Berufsgruppen
in Fronarbeit dekoriert. Besonders originell ausgestattet war die
Kurierstube, die dem Bahn-, Post- und Telekommunikationspersonal gewidmet war. Dort konnte man von der Gruppe Bern der
PTT-Union eingebaute Telefon-Übertragungselemente sehen. In
dieser Form bestand die «Kurierstube» allerdings nur knapp ein
Jahrzehnt – bis zum grossen Umbau des ganzen Gebäudes.
Auch im «7 Stuben» galt das Volkshaus-Prinzip, gute Speisen und
Getränke zu bezahlbaren Preisen anzubieten. Möglich wurde dies
auch durch eine starke Rationalisierung des Restaurantbetriebs.102
Während das neugestaltete Restaurant beim Publikum gut
ankam, hatten die übrigen Sparten mit Problemen zu kämpfen.
Im Jahr nach der Eröffnung des neuen Restaurants kam das endgültige Aus für die Bäder. Damit verschwand eine in den Anfängen
des Berner Volkshauses wichtige Dienstleistung.
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1971 erfolgte der komplette Umbau des alten Restaurants.
Gleichzeitig wurde die Küche modernisiert und im Erdgeschoss ein Kiosk
eingebaut. Das neue Restaurant «7 Stube» wurde am 17. November 1971 eröffnet.
Im Geschäftsbericht 1972 ist dazu Folgendes vermerkt:
«Unsere Bäder entsprechen in keiner Weise mehr den heutigen
Anforderungen an eine solche Anlage. Nach der Eröffnung der
öffentlichen Bäder im Bahnhof Bern ist die Frequenz derart gesunken, dass wir uns entschliessen mussten, den Bäderbetrieb
per 1. Juni 1972 einzustellen.»103
Der Hotelbetrieb hatte seit 1970 mit einem Rückgang der Übernachtungen zu kämpfen. Dies hing vor allem mit dem nicht mehr
zeitgemässen Komfortstandard der Zimmer zusammen. Sie waren
weder mit WC noch Dusche oder Bad ausgestattet. Darum pachtete die Volkshaus AG 1974 von der Coop Bern das benachbarte «Hotel
Continental», dessen Zimmer diesen Anforderungen genügten.104
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103 Geschäftsbericht
1972, S. 7.
104 Haari/Schweizer,
S. 12.
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ABB. 75 / ABB. 76
Jede der 7 «Stuben» stand für ein Handwerk und war
entsprechend dekoriert. [OBEN] Blick am Kiosk vorbei auf die Sattlerstube mit
Werkzeugen zur Lederverarbeitung, [UNTEN] Kurierstube mit Telefonmasten.
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[OBEN] Die «Stube» der holzverarbeitenden Berufe
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(«Di Hölzige») war komplett in Holz gekleidet.
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[UNTEN] Die Braustube mit einem Bierfass als Tischlampe.
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Musikanten spielen in der Sattlerstube auf.
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Lampenvariationen in der Braustube:
diesmal aus leeren Bierflaschen.
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Mitte der 1970er Jahre setzte eine tiefe Wirtschaftskrise ein. Auch
im Restaurant gingen die Umsätze zurück. Ende 1976 eröffnete
zudem die Grossverteilerin Migros ihre stark ausgebaute Filiale
Marktgasse neu. Dieses innerstädtische Shoppingcenter umfasste nun auch ein grosses Selbstbedienungsrestaurant. Die stark auf
ein preisbewusstes Publikum ausgerichteten «7 Stuben» erhielten damit in unmittelbarer Nachbarschaft einen noch günstigeren
Konkurrenten.105
Unterm Strich hatten sich für das Volkshaus also widrige Verhältnisse eingestellt. Dazu kamen politische Spannungen. Neue
Kräfte forderten die gewerkschaftlichen Trägerorganisationen und
die SP heraus.
105 «Drei Prozent
Dividende für Aktionäre.
Die Volkshaus AG hat
ein bewegtes Jahr hinter
sich», in: Der Bund,
23.5.1977.
DER SAAL-STREIT MIT DEN «68ERN»
In den Jahren nach 1968 traten auch in Bern zunehmend Gruppierungen der Neuen Linken und der Neuen sozialen Bewegungen in Erscheinung. Was man später unter dem missverständlichen Begriff
«Die 68er» zusammenfassen sollte, war in Wahrheit eine breit gefächerte Sammlung von Bewegungen. Ihnen gemeinsam war das
emanzipatorische Vorhaben, mit den alten Macht verhältnissen
und gesellschaftlichen Verkrustungen zu brechen.
Die Neue Linke fasste das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Kapitalismus ins Auge («Bruch mit dem Kapitalismus»). Andere Gruppen, für die man den Begriff Neue soziale Bewegungen prägte, konzentrierten sich auf einzelne Themen wie
Militarismus und Rüstung, die Atomindustrie, das wachsende ökologische Problem, die Emanzipation der Frauen, die Diskriminierung von Schwulen, Lesben oder Migranten, die Ausbeutung der
Dritten Welt, die Menschenrechte, die US-Dominanz oder die Demokratisierung der Institutionen (und dies ist eine keineswegs erschöpfende Aufzählung).
Das Verhältnis zwischen diesen Bewegungen und den Organisationen der klassischen Arbeiterbewegung war häufig angespannt. Etliche dieser neuen Gruppierungen beanspruchten für
sich, in der Tradition der Arbeiterbewegung zu stehen, und warfen
den Gewerkschaften, der sozialdemokratischen Partei, aber auch
der kommunistischen Partei der Arbeit vor, ihre ursprünglichen
Ziele verraten zu haben und inzwischen als Pfeiler des «Systems»
(so der damalige Sprachgebrauch) zu agieren. Umgekehrt empfanden viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die von den
hart errungenen gesellschaftlichen Kompromissen und den materiellen Fortschritten der Nachkriegszeit geprägt waren, die Neuen
Linken als weltfremde Intellektuelle ohne Bezug zu den sozialen
Realitäten. Ein Bruch mit dem Kapitalismus schien den meisten
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106 «Rückblende auf
einen wichtigen
Wahltag», in: SMUVZeitung, 11.4.1973, S. 5.
107 Arbeitsgemeinschaft
Demokratisches
Manifest: Dossier
Volkshaus. 23.09.1977,
Firmenarchiv Volkshaus Bern, S. 2–4.
108 Ebd., S. 5–6.
Gewerkschafts-Leitungen schon lange als undenkbar, wenn nicht
gar unerwünscht.
Doch die gesellschaftlichen Veränderungen und die neuen
Debatten taten ihre Wirkung auch in den Gewerkschaften. Mit der
1971 lancierten und 1976 in der Volksabstimmung abgelehnten Mitbestimmungs-Initiative setzten sie die Demokratisierung der Wirtschaft auf die politische Tagesordnung, auch ein wichtiges Anliegen
der 68er. Die Gewerkschaften verstärkten ihre Bemühungen, Frauen, Jugendliche und ausländische Arbeitende zu organisieren und
ihre Interessen zu vertreten. Die in den Nachkriegsjahren zeitweise als sakrosankt geltende absolute Friedenspflicht in den meisten
Gesamtarbeitsverträgen wurde gewerkschaftsintern durch oppositionelle Strömungen vermehrt in Frage gestellt. Für diese gewerkschaftliche Öffnung generell und für die Solidarität zwischen
ausländischen und schweizerischen Werktätigen im Besonderen
stand besonders der langjährige Präsident der Gewerkschaft Bau
und Holz (GBH), Ezio Canonica (1922–1978). Am 3. April 1973 wählte der Gewerkschaftsausschuss den Tessiner im Unionssaal des
Volkshauses Bern zum neuen Präsidenten des SGB.106
Der «Saalstreit» begann damit, dass
die Volkshaus-Leitung der Homosexuellen
Arbeitsgruppe Bern einen Saal verweigerte.
Einige Berner Gruppen dieses «schönen Brodelns», wie der Journalist Niklaus Meienberg den 1968er-Aufbruch genannt hatte, wollten auch Veranstaltungen im Volkshaus organisieren. Anfänglich
scheinen sie dabei nicht auf grosse Probleme gestossen zu sein.
Doch im März 1977 weigerte sich die Volkshaus-Leitung, der Homosexuellen Arbeitsgruppe Bern (HAB) den Unionssaal für die
Vorführung des Films «Rosa Winkel? Das ist doch schon lange vorbei …» über die Schwulenverfolgungen in Nazi-Deutschland zu
vermieten. Vor dem Volkshaus hatten schon die Verantwortlichen
anderer Lokale diese Projektion abgelehnt. Die HAB schrieb darauf
einen offenen Brief an das Gewerkschaftskartell. Kritisch kommentiert wurde die Verweigerung des Saals auch in der «Berner
Tagwacht». Die HAB warf den Volkshaus-Verantwortlichen zudem
Doppelmoral vor: Das Kino «Forum», im früheren Grossen Saal,
das dem Volkshaus stattliche Mieteinnahmen brachte, zeigte in diesen Jahren so gut wie ausschliesslich Pornofilme.107
Kurz darauf wollte die Direktion auch dem antimilitaristischen
Soldatenkomitee keinen Saal mehr vermieten. Noch im Januar hatte
das Soldatenkomitee problemlos einen Vorbereitungskurs für künftige Rekruten im Volkshaus durchgeführt.108
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Nach langem Ringen gab sich die Berner Jugend das autonome
Kulturzentrum Reitschule. Es ist eine wichtige Struktur für oppositionelle
Kultur und vielbesucht – auch von der Polizei. Obschon sie regelmässig
Gegenstand von Abstimmungen und politischen Konflikten ist, konnte sich
die Reitschule bis heute halten.
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Vor der aufkommenden Kritik an der verschärften Praxis, teilweise
auch aus den eigenen Reihen, beschloss der Verwaltungsrat am
15. Juni 1977 mit 9 Stimmen bei einer Enthaltung, Räume in Zukunft
nur noch an Trägerorganisationen (also an die Gewerkschaften) und
befreundete Organisationen (SP, kulturelle und genossenschaftliche Organisationen) zu vermieten. Damit zog der Verwaltungsrat
eine scharfe Linie zwischen dem Volkshaus und den neuen Bewegungen. Direktion und Verwaltungsrat begründeten die restriktivere Vermietungspraxis vor allem damit, dass die Gewerkschaften als
Trägerorganisationen häufig auf andere Lokale ausweichen müssten, weil im Volkshaus die Sitzungszimmer bereits von anderen
Organisationen belegt seien.109
«Ausgerechnet das Volkshaus, das sich
die Arbeiterbewegung zur Verteidigung der
Versammlungs- und Meinungsfreiheit
geschaffen hat, beteiligt sich nun am Abbau
der demokratischen Rechte.»
109 Erwin Haari: Notiz
Fernsehen/Bigler.
12.12.1977, Firmenarchiv
Volkshaus/Hotel Bern.
110 «‹Politischer
Skandal›. Gründungsversammlung Demokratisches Manifest Bern»,
in: Thuner Tagblatt,
10.12.1976, S. 16.
Aus Protest gegen diesen Entscheid formierte sich um die Arbeitsgemeinschaft Demokratisches Manifest ein Komitee offenes Volkshaus.
Das Demokratische Manifest war eine recht breite Bewegung gegen politisch motivierte Entlassungen. Zu den Erstunterzeichnern
des Manifests gehörten unter anderem SGB-Präsident Ezio Canonica
und der Schriftsteller Max Frisch. Bekannt wurde das Manifest vor
allem in der Folge der Cincera-Affäre. Der spätere Zürcher FDPNationalrat Ernst Cincera (1928–2004) hatte als «Subversivenjäger» (Deckname «Cäsar») in Zusammenarbeit mit Staatsschutz
und Militärischem Nachrichtendienst Linke, Gewerkschafterinnen
und Gewerkschafter, Schriftsteller und Künstlerinnen, Lehrer,
Professorinnen und andere profilierte Köpfe bespitzelt. Seine meist
abenteuerlichen «Befunde», heimlich der Polizei, Personalchefs
und anderen Verantwortlichen zugeleitet, kosteten viele den Job.
Unter anderem hatte Cincera auch drei minderjährige Berner Gymnasiasten mit Spionagekameras ausgerüstet und an die kommunistischen Weltjugendfestspiele nach Ostberlin geschickt, um Informationen über Schweizer Teilnehmende zu beschaffen. 1976 wurde
Cincera von einer Gruppe um den Journalisten Jürg Frischknecht
(1947–2016) enttarnt. Auch in Bern entstand eine Sektion des
Demokratischen Manifests: Am 9. Dezember 1976 nahmen im
Unionssaal über 300 Personen an der Gründungsversammlung teil,
die der Staatsrechtsprofessor und künftige SP-Nationalrat Richard
Bäumlin leitete.110
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Das Komitee offenes Volkshaus forderte nun den Verwaltungsrat
der Volkshaus AG in einem von 26 Organisationen und 140 Einzelpersonen unterzeichneten Brief dazu auf, den Beschluss zu den
Saalvermietungen rückgängig zu machen:
«Dieser Beschluss ist folgenschwer. Er nimmt vielen Organisationen
und Gruppierungen, in denen nicht zuletzt Gewerkschafter sowie
Mitglieder und Sympathisanten der SP aktiv sind, eine der letzten
übrigbleibenden Versammlungsgelegenheiten. Nachdem ihnen die
bürgerlichen Wirte oft die Säle verweigern, sollen sie nun auch im
Volkshaus vor verschlossenen Türen stehen. Ausgerechnet das Volkshaus, das sich die Arbeiterbewegung seinerzeit zur Verteidigung
der Versammlungs- und Meinungsfreiheit geschaffen hat, soll nun
einen Beitrag zum Abbau der demokratischen Rechte leisten.»111
111 Offener Brief an
den Verwaltungsrat der
Volkshaus AG Bern
[Entwurf mit leerem
Unterschriftenbogen]
1.10.1977, Firmenarchiv
Volkshaus/Hotel Bern.
112 Gastrecht im
Volkshaus. Beschluss des
Verwaltungsrats vom
19. Oktober 1977.
7.11.1977, Firmenarchiv
Volkshaus/Hotel Bern.
Doch die Verwaltungsräte zeigten sich wenig beeindruckt: An einer
weiteren Sitzung am 19. Oktober 1977 konkretisierten und bestätigten sie ihren Beschluss mit 8 gegen 2 Stimmen. Er war nun auch
mit einer Liste von unerwünschten Organisationen versehen. Explizit aufgeführt waren darin weiterhin das Soldatenkomitee und die
Homosexuelle Arbeitsgruppe. Daneben sollten etwa die Progressiven Organisationen der Schweiz (POCH), die der POCH nahestehende Organisation für die Sache der Frau (OFRA), die kommunistische
Partei der Arbeit, die maoistische Kommunistische Partei der Schweiz
(KPS) und die trotzkistische Revolutionäre Marxistische Liga (RML),
aus der später etliche führende Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter kommen sollten, keine Räume im Volkshaus mehr mieten
können. Ebenfalls nicht erwünscht waren rechtsextreme Parteien
(«Nationale Aktion» und «Republikaner»). Diese hatten in Zürich
gelegentlich das dortige Volkshaus genutzt. Das Demokratische
Manifest, die Jungsozialisten, die mit einem Boykott des Volkshauses
gedroht hatten, und der Schweizerische Friedensrat, dem irrtümlich
ein Saal verweigert worden war, sollten dagegen «bis auf weiteres
Gastrecht» erhalten.112 An der Geschäftsleitungssitzung der SP der
Stadt Bern vom 14. November 1977 rechtfertigte Verwaltungsratspräsident Erwin Haari (1921–2000) die restriktivere Saalvermietungspraxis einerseits mit dem Eigenbedarf der Gewerkschaften:
«Die Vertreter der Trägerorganisationen mussten sich sehr oft beklagen, dass sie bei uns keine Sitzungen durchführen konnten. In
der heutigen Zeit müssen die einzelnen Verbände sehr kurzfristig
zu Sitzungen einladen. Diese Sitzungen mussten leider zu oft im
Bürgerhaus, im KV oder im Bahnhofbuffet stattfinden.»
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ERWIN HAARI
Bis 1973 Finanzverwalter des Schweizerischen Eisenbahnerverbandes,
danach Direktor der Coop-Lebensversicherung. Er trieb als langjähriger
VR-Präsident der Volkshaus AG den Neubau des Volkshauses 1981–1983
voran. 1977 geriet er in eine öffentliche Kontroverse, nachdem die
Volkshaus-Direktion sich geweigert hatte, Säle an mehrere Gruppierungen
aus der 1968er-Bewegung zu vermieten.
Zudem habe man sehr «schlechte Erfahrungen mit einzelnen Splittergruppen» machen müssen:
«Es wird ein Saal für 80 Personen reserviert, es erscheinen jedoch
plötzlich 120 oder mehr Personen. Die ‹Gänge› und das Treppenhaus werden ebenfalls benützt und was übrig bleibt ist öfters
ein Schlachtfeld.»
Veranstaltungen linksradikaler Gruppen seien eine schlechte Publizität für das Volkshaus, meinte Haari. Einmal sei es wegen einer
POCH-Veranstaltung sogar zu einer Bombendrohung gekommen,
welche die «Polizei (…) sehr ernst genommen» habe.
«Diese extremen Gruppierungen sind darauf angewiesen, ihre
Anlässe durch eine Propaganda bekannt zu geben, die uns missfällt. Es werden sehr schlechte Vervielfältigungen erstellt und
diese Blätter werden über Nacht überall angeklebt. Auffällig
gross ist natürlich darauf vermerkt, dass diese Versammlung im
Volkshaus abgehalten wird.»
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Dabei seien die Mieteinnahmen sehr bescheiden, rechnete Haari
vor. So hätten etwa die POCH 1976 im Volkshaus 9 Anlässe durchgeführt, dafür aber nur 405 Franken bezahlt. Die Präsenz der neuen
Gruppierungen im Volkshaus habe dazu geführt, dass sich viele
Stammgäste «bei uns nicht mehr wohl» fühlten.113
Im Herbst 1979 kam die Saalvermietungspraxis im Volkshaus
noch einmal – diesmal von rechts – unter Beschuss: Die starke und
seit langem eher sozialdemokratische Positionen vertretende italienische kommunistische Partei hatte eine Veranstaltung zu den
italienischen Wahlen im Volkshaus durchgeführt, ohne die damals
für ausländische Referenten vorgeschriebenen Redebewilligungen
einzuholen.114
Die Suche oppositioneller Organisationen nach Räumlichkeiten
sollte in den kommenden Jahren in Bern und der Schweiz immer
wieder Anlass zu Konflikten sein. Bei den Jugendunruhen von 1980
stand die Forderung nach selbstverwalteten, von kommerziellen
und staatlichen Einflüssen befreiten Begegnungs- und Kulturlokalen im Zentrum. Die bekannteste und umstrittenste derartige
Institution entstand in Bern in der ehemaligen Reitschule bei der
Schützenmatte. Ein erster Versuch, dort ab Oktober 1981 ein «Autonomes Bewegungszentrum» zu eröffnen, endete im April 1982 mit
einer polizeilichen Räumung. Nach der erneuten Besetzung im
Herbst 1987 entstand dann das bis heute bestehende alternative
Kulturzentrum Reithalle. Es verfügt über einen offiziellen Mietvertrag mit der Stadt Bern, wird aber immer wieder in Frage gestellt.
Seit seiner Gründung haben allerdings fünf Volksabstimmungen
seine Existenz bekräftigt.
DER GROSSE UMBAU
Ökonomisch geschwächt und in seiner gesellschaftlichen Rolle
verunsichert, musste sich das Volkshaus neu definieren. 1976 begannen Betriebskommission und Verwaltungsrat grundsätzliche
Überlegungen über die Zukunftsperspektiven anzustellen. Dabei
stand vor allem eine Modernisierung und Erweiterung des Hotels
im Mittelpunkt. Eine Studie des bekannten Architekturbüros Hans
und Gret Reinhard kam zum Schluss, dass eine Totalsanierung des
alten Hotelgebäudes nicht möglich sei. Die Studie prüfte auch die
Option eines Neubaus. Doch diesen konnte die Volkshaus AG allein
nicht finanzieren.
Otto Flückiger (1914–2005), Verwaltungsratsmitglied und Vizepräsident des SMUV, vermittelte schliesslich einen Kontakt zur
Neuen Warenhaus AG (EPA). Diese plante, ihre an das Volkshaus
angrenzende Filiale an der Marktgasse 24 auszubauen. Flückiger
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113 Erwin Haari: Referat
GL SP Bern. 14.11.1977,
Firmenarchiv Volkshaus/
Hotel Bern.
114 «Ist das erlaubt?
PCI-Wahlveranstaltung
im Volkshaus», in: Berner
Zeitung, 14.5.1979.
145
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ABB. 83
1973 wurde Ezio Canonica (rechts), der langjährige Chef der
Gewerkschaft Bau und Holz, im Volkshaus als Nachfolger von Ernst Wüthrich
(links) zum SGB-Präsidenten gewählt. Canonica brachte neue soziale
Impulse in die Gewerkschaftsbewegung, relativierte den Arbeitsfrieden und
erzwang die Öffnung in der Frage der ausländischen Arbeitenden.
146
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kannte diese Firma aus seiner Tätigkeit für das ebenfalls gewerkschaftsnahe Hotel Freienhof in Thun. In Zusammenarbeit mit der
EPA, die dort eine Filiale eröffnete, war der Freienhof 1973 grundlegend umgebaut worden.115
Der Umbau war in Wahrheit
ein Abbruch und Neubau hinter einer
geschützten Fassade. Ein monumentales
und kompliziertes Unterfangen.
115 Haari/Schweizer,
S. 13.
116 Haari/Schweizer,
S. 16–18. Crottet, Regula:
Das Volkshaus in
Bern. Architektur als
Gesamtkunstwerk,
Lizenziatsarbeit
phil.-hist. Univ. Bern
2007, S. 78.
Die Verhandlungen zwischen Volkshaus (vertreten durch Verwaltungsratspräsident Erwin Haari und Otto Flückiger) und EPA führten
schliesslich zu einer Einigung. Die EPA konnte im Rahmen eines
langfristigen Mietvertrags im Volkshaus Laden- und Lagerräume
erstellen. Die Mehreinnahmen aus den von der EPA bezahlten Mieten bildeten die finanzielle Basis für einen gross angelegten Umbau
des Volkshauses. In Wahrheit war es ein Neubau.
Im November 1978 segnete eine ausserordentliche Generalversammlung den Plan einstimmig ab, erhöhte das Aktienkapital
von 2 auf 2,8 Millionen Franken und billigte den Vertrag mit der EPA
(Neue Warenhaus AG). Den bisherigen Mietern, dem Kino «Forum»,
der Balli Hut AG und der Universal-Sport AG, wurde auf Ende 1979
gekündigt. Der Universal-Sport AG, die ebenfalls aus der Arbeiterbewegung entstanden war, konnte im Erdgeschoss des «Hotel Continental» ein neues Ladenlokal angeboten werden. Am 31. August
1979 wurde der Mietvertrag mit der EPA schliesslich unterzeichnet.
Abbruch und Neubau konzipierte das Architekturbüro Hans
und Gret Reinhard. Im Oktober 1980 schlossen das Hotel und das
Restaurant für mehr als zwei Jahre. Am 3. April 1981 beschloss die
Generalversammlung mit 85,6 % der Stimmen, das Hotel künftig
unter dem Namen «Hotel Bern» und auf Vierstern-Standard weiterzuführen. Den Namenswechsel – zuvor war schon das Winterthurer Volkshaus in «Hotel Winterthur» umbenannt worden – begründete die Volkshaus AG namentlich damit, dass ein Hotel mit
einem vorne im Alphabet liegenden Namen bei einer Suche im
Telefonbuch schneller zu finden sei.
Doch nicht nur der Name änderte sich: Vom ursprünglichen
Gebäude blieb nur wenig übrig: die als Denkmal eingestufte monumentale Frontfassade, der Durchgang zum Schützengässchen
und der ursprünglich zum Treppenhaus gehörende Erker auf der
Rückseite. Die Stützung der Frontfassade erwies sich als sehr aufwendig, der Erker wurde verschoben. Auch die Decke des Restaurants musste schliesslich, anders als ursprünglich geplant, ersetzt
werden.116 Nach dieser Auskernung entstand ein vollkommen
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ABB. 84
Im Westen der Stadt Bern wurden Mitte der 1960er-Jahre
verdichtete Grosssiedlungen wie der «Gäbelbach» im traditionellen Arbeiterquartier Bümpliz hochgezogen. Sie stehen für die Jahre des Wachstums,
sollten billiges Wohnen und Gemeinschaftseinrichtungen anbieten. Führend
an diesen Wohnbauprojekten beteiligt war das Architektenpaar Hans und
Gret Reinhard. Ihr Architekturbüro konzipierte auch den Neubau des Volkshauses anfangs der 1980er-Jahre.
148
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OTTO STICH
Der Solothurner SP-Politiker (1927–2012) war Dauergast im Volkshaus Hotel
Bern. Nach 20 Jahren im Nationalrat wählte ihn 1983 die bürgerliche Mehrheit
gegen die Kandidatin der eigenen Partei, Lilian Uchtenhagen, in die Landesregierung. Dies führte zu einer heftigen Debatte in der Sozialdemokratischen
Partei über einen möglichen Austritt aus der Dauer-Regierungskoalition der
Schweiz. Stich war elf Jahre lang Finanzminister, 1994 und 1998 auch Bundespräsident. In seiner Amtszeit trat die Schweiz den Bretton-Woods-Institutionen
(Weltbank etc.) bei. Im Volkshaus klopfte er gerne einen Jass. Das Bild zeigt
ihn 1991 beim Empfang von Gewerkschafter*innen.
neues Gebäude. Obschon der Palast der Arbeiterbewegung von
1914 äusserlich weitgehend erhalten blieb, war der Neubau des
Gebäudeinnern denkmalpflegerisch problematisch. So wies etwa
der Kunsthistoriker Alex Claude darauf hin, dass für «das Schaffen» des Architekten Otto Ingold «gerade die innere Gestaltung
des Volkshauses typisch» gewesen sei. Besonders bedauerte er
die Zerstörung des – seit langem nur noch als Kino dienenden –
Grossen Saals:
«Dass noch in unseren Tagen eine qualitätvolle Raumschöpfung
eines der bedeutendsten Schweizer Architekten des frühen 20. Jahrhunderts zerstört wird, ist besonders bedauerlich. Dies um so mehr,
als der grosse Saal weiterhin funktionsfähig gewesen wäre und mit
gutem Willen seitens der Bauherrschaft in ein entsprechendes
Umbauprojekt (…) hätte einbezogen werden können.»117
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117 Claude, Alex:
«Volkshaus – ein
Kulturdenkmal in Gefahr.
Notizen zu einer wenig
beachteten Bauaufgabe
des 20. Jahrhunderts
am Beispiel von Bern
und Biel», in: Kunst +
Architektur in der
Schweiz 34 (1983), Nr. 3,
S. 349.
149
13.10.20 15:21
In den oberen Etagen wurde das Hotel mit rund doppelt so vielen
und weit komfortableren Zimmern ausgestattet. Im zweiten Stock
entstand die Saaletage mit neun Sitzungs-, Bankett- und Versammlungsräumen. Der neue Unionssaal konnte in zwei Räume aufgeteilt
werden und wurde mit moderner Kongresstechnik ausgestattet. Im
Erdgeschoss, im 1. Stock und in Teilen der Untergeschosse entstanden langfristig an die EPA vermietete Verkaufs- und Lagerräume.118
Das Volkshaus hiess nun «Hotel Bern».
Das hatte ökonomische Gründe.
Aber die Umbenennung spiegelte auch
das Selbstverständnis der Leitung.
Sie wurden 1982 in Betrieb genommen, im Februar 1983 öffnete
das Restaurant «7 Stuben» und einen Monat später begrüsste das
«Hotel Bern» die ersten Gäste.119
Was hatte das «Hotel Bern» noch mit dem Volkshausgedanken zu
tun? Die Situierung als Geschäfts- und Kongresshotel wirkte wie ein
Bruch. Andrerseits blieben die Gewerkschaften Eigentümerinnen.
Sie und ihnen nahestehende Organisationen nutzten weiterhin die
Versammlungsräume zu vergünstigten Preisen. Kritik an der Neugestaltung konterten die Verantwortlichen der Volkshaus AG mit
dem Hinweis auf mehrere Volkshäuser, die von Gewerkschaften
verkauft werden mussten, namentlich in Basel und Biel. Der kommerziell erfolgreiche Betrieb von Hotel und Restaurant garantiere
den Besitz.
Die kommerzielle Umorientierung stellte
sicher, dass das Volkshaus in Händen
der Gewerkschaften blieb – anders als
beispielsweise die Volkshäuser in
Basel und Biel.
118 Haari/Schweizer,
S. 15, 19–28.
119 Ebd., S. 26 ff.
Seit der Krise der 1970er-Jahre gerieten die Gewerkschaften vermehrt in die Defensive. Der Abwehrkampf für die Verteidigung der
sozialen Errungenschaften rückte in den Vordergrund. Die mörderische Militärdiktatur in Chile diente den neoliberalen «Chicago
Boys» als Versuchslabor, 1979 übernahm Margaret Thatcher in
Grossbritannien und Anfang 1981 Ronald Reagan in den USA – der
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MICHELINE CALMY-REY
Als SP-Bundesrätin und Aussenministerin stand Calmy-Rey (1945 geboren)
für eine offene, sich aktiv um Frieden bemühende Schweiz. In ihrer neunjährigen Amtszeit knüpfte sie unter anderem die bilateralen Abkommen II mit
der EU. Gegen innen sorgte die von rechten Männern zum Feindbild stilisierte
Politikerin für mehr Gleichstellung. Das Bild zeigt sie auf einem Staatsbesuch
in Indien mit Premierminister Manmohan Singh und Präsidentin Pratibha
Devisingh Patil. 2007 und 2011 amtete Calmy-Rey als Bundespräsidentin.
Sie liebte das Volkshaus. Zum Jahresende gab sie dem Personal jeweils einen
Cocktail aus.
weltweite neoliberale Umbau des Kapitalismus begann. In der
Schweiz gewann 1979 ausgerechnet die alte Staatspartei FDP die
Wahlen mit dem Slogan «Mehr Freiheit, weniger Staat».
In der Schweiz gewann 1979 ausgerechnet
die alte Staatspartei FDP die Wahlen mit
dem Slogan «Mehr Freiheit, weniger Staat».
Auch das nun als «Hotel Bern» auftretende Haus bot Raum für
Veranstaltungen, die sich mit diesen für die Arbeiterbewegung bedrohlichen Entwicklungen beschäftigten. Am 25. Januar 1985 fand
im Volkshaus ein Solidaritätskonzert für die britischen Miners statt.
Es stand unter dem Patronat des Gewerkschaftsbunds der Stadt
Bern.120 Die Bergleute streikten unter hohen Opfern (7 Tote, 3000
Verletzte) ein Jahr lang gegen Thatchers Politik («Gewerkschaften
zerschlagen, Industrie abbauen, Finanzmärkte entfesseln»).
Kurz nach der endgültigen Niederschlagung des Streiks machte
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120 Es traten die
Songgruppen «Cosa
Nostra» und «Linggi
Schnurre» aus Bern und
«Schattentöne» aus
Zürich auf.
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ANNY KLAWA-MORF
Die Kämpferin für Frauenrechte Anny Klawa (1894–1993, Mitte), die
den Zusammenbruch der Münchner Räterepublik erlebt hatte und später
die sozialdemokratische Kinderorganisation Rote Falken gründete,
zusammen mit den Journalistinnen Cornelia Wermuth und Margrit Graf
an der Eröffnungsfeier des neuen Volkshaus Hotel Bern 1983.
121 [Zeitung der]
Gewerkschaft Textil
Chemie Papier,
7.3.1985, S. 1.
122 SMUV-Zeitung,
18.1.1984, S. 13.
am 13. März 1985 eine Delegation der britischen Bergarbeiter auch
im Volkshaus/Hotel Bern Halt.121
Anfang 1984 hatte der Arbeiterbildungsausschuss einen Vortragszyklus zum alten, beinahe vergessenen Thema internationale
Solidarität organisiert. In diesem Rahmen orientierten unter anderem Exilgewerkschafterinnen und -gewerkschafter der chilenischen CUT und der polnischen Solidarność über die in den Untergrund gedrängten gewerkschaftlichen Kämpfe in ihren Ländern.122
Selbst in der Schweiz blies der neoliberale Gegenwind immer
rauer. Die Gewerkschaften mussten sich umorientieren. Die veränderte Situation erforderte neue, kämpferische Antworten.
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Deftige Küche wird in den «7 Stube» gross geschrieben:
Menükarte am Tag des «Zibelemärit» (Zwiebelmarkt), dem traditionellen
Berner Volksfest im November.
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EXKURS ZUR KUNST AM BAU:
KÜNSTLERISCHE AUSSTATTUNG ALS BINDEGLIED
ZWISCHEN DEM ALTEN VOLKSHAUS UND
DEM NEUEN HOTEL BERN (1983)
ABB. 89
Auch das Putti-Geschwisterpaar vom
Süddurchgang wurde restauriert.
123 Haari, Erwin,
Schweizer, Kurt:
Das Berner Volkshaus und
das neue Hotel
Bern, 1914–1989,
Gümligen: Wefo Verlag
1989, S. 19–20.
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Beim Neubau unter Beibehaltung der Hauptfassade fanden
die aufwendige Restauration der Fassade und die künstlerische Ausstattung des Innenraums besondere Beachtung.
Die Front mit den Halbsäulen und dem runden Dachgiebel
konnte in der ursprünglichen Form, so wie sie der Architekt
Otto Ingold 1914 bauen liess, erhalten bleiben. Die Fassadenverzierungen und Fassadenbänder wurden wiederhergestellt, die vier Statuen und der Gründungsstein mit den
beiden Engeln restauriert. Die Restauration der Hauptfassade und des Durchgangs des Schützengässchens kostete
rund 350 000 Franken. Ein Betrag, der die finanziellen
Möglichkeiten der Volkshaus AG überstieg und nur dank
Spenden von Unternehmen, befreundeten Verbänden, Banken und Privatpersonen und zahlloser Fronarbeitsstunden
der Handwerker aufgebracht werden konnte.123
Auch im Hotelinnern wurde der Kunst ein hoher Stellenwert
beigemessen. Besonders die vom Maler und Grafiker Hans
Erni (1909–2015) entworfenen und von der Firma Kröner
handgeknüpften Wandteppiche drückten den Räumlichkeiten ihren unverkennbaren Stempel auf.
Dass bei der künstlerischen Ausstattung die Wahl auf den
Luzerner Hans Erni fiel, war kein Zufall. Dieser hatte schon
mit seinem berühmten Plakat zur AHV-Abstimmung bewiesen, dass er den Gewerkschaften und ihren Anliegen nahestand. Mit seinen Arbeiten bot sich die Möglichkeit, eine
Brücke zu schlagen zwischen dem neu ausgerichteten Hotel
Bern und dem früheren Volkshaus. Im Auftrag der Direktion
entwarf Erni in der Folge fünf Wandteppiche («Rast»,
«Arbeiter», «Tanz», «Vier Elemente», «Union»), die im
Treppenhaus und in den Kongresssälen angebracht wurden.
Später gelang es der Volkshaus AG durch Vermittlung der
Firma Kröner, weitere Teppiche von Erni für das Hotel Bern
zu erwerben («Pferde», «Weisen», «Denker»). Ernis Teppiche sind dekorativ, sollen gleichzeitig aber auch zum
Nachdenken anregen. So verstand Erni sein Schaffen als der
Tradition der klassischen Moderne verpflichtet, welche die
Gattungsgrenzen zwischen Hochkunst und Gestaltung zu
überwinden versuchte. Er wollte, dass seine Werke den geschützten Raum des Museums verlassen, um in der und auf
die Gesellschaft zu wirken.
Für Hotelzimmer wurden Bilder der Berner Grafiker Karl
Tanner, Heinz Inderbitzin, Max Berger und Adolf Rawyler
erworben.
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Von aussen war nichts zu
sehen, im Innern wurde das Volkshaus ausgekernt und
neu hochgezogen.
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ABB. 92
Hans Ernis Plakat zur AHV-Abstimmung 1947. ABB. 93
156
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Hans Erni: «Arbeiter».
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ABB. 94
[OBEN] Hans Erni: «Union».
[UNTEN] Der Unionssaal mit den beiden Wandteppichen
ABB. 95
«Vier Elemente» (links) und «Union» von Hans Erni.
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VI.
GLORIA, ARTHUR UND
DIE RENAISSANCE
1990–2020 Seit mehr als 30 Jahren arbeitet das Ehepaar Gloria
und Arthur Pereira im Volkshaus/Hotel Bern. Sie erzählen, wie
Arthur das Wandbild «Der Redner» vor der Zerstörung gerettet
hat, wie Gloria mit Prominenz und Ministerinnen verkehrte und
wie sie den grossen Umbau von 2018 bis 2020 erlebt haben.
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«DAS VOLKSHAUS/HOTEL BERN IST EIN TEIL
VON UNS – UND WIR VON IHM»
Sie arbeiten seit 1987 im Volkshaus/Hotel Bern. Wie ist es dazu
gekommen?
ARTHUR PEREIRA
Peter Schiltknecht, der das Volkshaus/Hotel Bern im April 1986 als
Direktor übernommen hat, rief mich jede Woche an und versuchte
mich zu überreden, zu ihm nach Bern zu kommen. Gloria und ich
arbeiteten damals als Wirte in Brienz – ebenfalls in einem Betrieb
von Herrn Schiltknecht – und hatten keine Lust auf eine Veränderung. Doch Herr Schiltknecht liess nicht locker. Ich willigte schliesslich ein, ihn zum Mittagessen zu treffen. Danach gab es kein Zurück
mehr: Tage später stand ich als Hilfskoch in der Küche.
GLORIA PEREIRA
Bis du Streit hattest mit dem Küchenchef …
ARTHUR (LACHT)
Ja, nach einem Jahr hatte ich die Nase voll vom Küchenchef und beschloss, mir eine andere Arbeit zu suchen. Doch Herr Schiltknecht
war dagegen. Er sagte, ich sei ein guter Handwerker und er brauche
mich in der Werkstatt. Der Werkstattleiter stand kurz vor der Pensionierung – und als ich aus meinen Ferien zurückkam, drückte mir
Herr Schiltknecht den Schlüssel in die Hand und sagte, so, ab heute bist du der Chef da unten. Da habe ich zuerst nur leer geschluckt.
Danach habe ich den Gesamtplan vom Hotel mit nach Hause genommen und diesen jeden Abend so lange studiert, bis ich Bescheid
wusste. Es hat sich gelohnt: In den letzten dreissig Jahren musste
ich nie einen Servicemann für die Heizung oder die Lüftung kommen lassen. Ich habe immer alles selber gemacht.
GLORIA
Inzwischen waren wir mit unserem Sohn nach Bern gezogen und
ich arbeitete als Zimmermädchen ebenfalls im Volkshaus/Hotel
Bern. Damals hätten wir uns nicht vorstellen können, dass daraus
einmal mehr als 30 Jahre werden würden. Allerdings sind wir nicht
die Einzigen: Gerade in der Zimmerreinigung gibt es im Hotel Bern
nur wenige Wechsel. Die meisten Mitarbeitenden bleiben bis zur
Pensionierung.
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Sie kommen aus Portugal. Warum haben Sie sich entschieden, in
der Schweiz zu leben und zu arbeiten?
GLORIA
Es war der Wunsch meines Mannes – schon früher war es nicht leicht,
ihn von seinen Ideen abzubringen. Kurz nach der Geburt unseres
Sohnes beschloss er, in der Schweiz Arbeit zu suchen. Als er für
Ferien nach Hause kam, sagte er, er habe für mich auch eine Stelle
gefunden und ich müsse mich entscheiden, ob ich in Portugal bleiben oder ihn nach Grindelwald begleiten wolle. Natürlich wollte
ich mit meinem Mann zusammenleben, doch das bedeutete auch,
dass ich unseren Sohn bei meinen Eltern in Portugal zurücklassen
musste. In der Schweiz hätte niemand auf ihn aufpassen können.
Das war sehr hart für mich. Nach drei Jahren konnten wir unseren
Buben in die Schweiz holen. Unsere Tochter wurde geboren, als wir
bereits im Hotel Bern arbeiteten.
ARTHUR
Wir hatten ein gutes Leben in Portugal, doch ich war jung und hatte
den Drang, Neues auszuprobieren und kennenzulernen. Ich wollte
die Welt entdecken. Als ich dann hier war, empfand ich die Schweiz
innert kurzer Zeit als meine Heimat und wollte nicht mehr weg. Ich
habe viele Freunde und kenne halb Bern. Das kommt auch daher,
dass ich in meiner Freizeit lange für die beiden Berner Fussball- und
Eishockeyclubs YB und SCB gearbeitet und mir so ein grosses Netzwerk aufgebaut habe.
Seit über 30 Jahren arbeiten Sie im Volkshaus/Hotel Bern.
Wie schwer wird es Ihnen fallen, in zwei Jahren in Pension zu gehen?
ARTHUR
Unglaublich schwer. Nach meiner Pensionierung werde ich sechs
Monate lang einen grossen Bogen machen müssen um das Volkshaus/Hotel Bern. Jetzt denkt mein Kopf: Das ist mein Haus, das
Hotel gehört mir. Aber das ist ein Fehler, es gehört mir ja nicht. Ich
werde mir diesen Gedanken abgewöhnen müssen. Früher arbeitete ich von sechs Uhr morgens bis spät am Abend. Gab es nachts ein
Problem, kam ich sofort her. Das mache ich auch heute noch. Insgesamt arbeite ich seit einiger Zeit etwas weniger, aber es ist mir
wichtig, dass alles in Ordnung ist und schön aussieht. Niemand
schreibt mir vor, dass ich so viel arbeiten muss, im Gegenteil. Ich
habe viele Freiheiten: wenn ich gehen will, kann ich gehen. Aber
ich will nicht. Denn am liebsten bin ich hier. Falls es mir nach meiner Pensionierung gelingt, die nötige Distanz zum Volkshaus/
Hotel Bern zu schaffen, werde ich ab und zu auf ein Bier vorbeikommen – auf Kosten des Hauses wohlverstanden!
162
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GLORIA
Auch für mich wird es nicht einfach. Einerseits weil ich mit Ausnahme der Zeit nach der Geburt meiner Kinder immer Vollzeit gearbeitet habe und andererseits, weil ich mich dem Volkshaus/Hotel
Bern und den Mitarbeitenden sehr verbunden fühle. Es ist ein langer
Lebensabschnitt, der zu Ende gehen wird.
Wie sehen Ihre Pläne aus für nach der Pensionierung?
GLORIA
Ich freue mich darauf, mehr Zeit mit meinen Enkeln zu verbringen.
Wir haben eine sehr enge Beziehung zu unseren Kindern und Grosskindern. Es war für uns immer klar, dass wir auch nach der Pensionierung in der Schweiz bleiben werden. Unser Leben mit unserer
Familie und unseren Freunden ist hier.
ARTHUR
Ich habe keine konkreten Pläne. In den letzten Jahren hatte ich einige körperliche Beschwerden und Operationen, es wird mir gut
tun, etwas auszuruhen. Ich arbeite, seit ich acht Jahre alt bin. Nach
dem frühen Tod meines Vaters gab es keine andere Option. Wir waren zehn Geschwister und hatten nichts zu essen – staatliche Hilfe
existierte damals noch nicht. Immer wenn ich frühmorgens von
der Nachtschicht nach Hause kam, begegnete ich Gloria. Sie stand
draussen und wusch die Wäsche – für ihre sechzehn Geschwister.
Wir sind im gleichen Dorf als Nachbarn aufgewachsen, haben gemeinsam Erstkommunion gefeiert. Sie hat den Tod meines Vaters
miterlebt. Ein Paar wurden wir erst kurz vor zwanzig: Aus meiner
Sicht bis heute eine hervorragende Wahl!
ABB. 96
Ein eingespieltes Team:
Gloria und Arthur Pereira. Am
gleichen Ort zu arbeiten, fällt ihnen
nicht schwer. «Er macht seine
Arbeit und ich meine», sagt Gloria
Pereira. «Zudem ist das Hotel
so gross, dass sich unsere Wege an
manchen Tagen gar nie kreuzen.»
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GLORIA, ARTHUR UND DIE RENAISSANCE
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Sie haben die Entwicklung des Volkshaus/Hotel Bern miterlebt
und geprägt. Wie hat sich die Arbeit verändert?
ARTHUR
Gloria hat als Zimmermädchen angefangen, heute ist sie die Leiterin der Hauswirtschaft – und ich bin als Haustechniker verantwortlich für ein grosses Hotel. Und das, obwohl wir in Portugal keinen
Beruf gelernt haben. Das gefällt mir in der Schweiz: Wenn du wirklich willst und zeigst, was du drauf hast, kannst du aufsteigen. Es ist
ein Geben und ein Nehmen. Wir haben uns das Vertrauen unserer
Vorgesetzten erarbeitet – und sind dafür belohnt worden. Das Team
im Volkshaus/Hotel Bern ist einzigartig. Ich übertreibe nicht, wenn
ich sage, dass wir eine grosse Familie sind.
GLORIA
Es hat immer viele Veränderungen gegeben. Mein Aufgabenbereich
hat sich vergrössert. Deshalb ist mir auch nie langweilig geworden.
Früher, als das Hotel Continental mit dem Volkshaus/Hotel Bern
verbunden war, haben wir dort die Zimmer gereinigt und die Wäsche gewaschen. Auch die Wäsche von der «Schmiedstube» nebenan haben wir hier im Haus gemacht. Heute wird mit Ausnahme der
Arbeitskleidung der Mitarbeitenden alles extern gewaschen …
ARTHUR
… an einem 31. Dezember vor etwa zwanzig Jahren brannte es in der
Waschküche! Ich sehe es noch heute vor mir: Ich war im Restaurant
mit Dekorieren für die Silvesterfeier beschäftigt, als plötzlich alle
durcheinander riefen, in der Waschküche im 6. Stock sei ein Feuer
ausgebrochen. Ich alarmierte sofort die Feuerwehr und schickte
die Leute nach draussen. Ich hatte Angst, dass es zu einer Explosion kommen würde. Besser, es stirbt nur eine Person und nicht
deren sechs, dachte ich, schaltete den Strom aus und begann, das
Feuer selber zu löschen. Als wenig später die Feuerwehr eintraf,
hatte ich bereits alles unter Kontrolle. Das Feuer war gelöscht – und
ich ziemlich stolz. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ein Kabel
durchgebrannt war und ein Schlauch Feuer gefangen hatte.
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GLORIA, ARTHUR UND DIE RENAISSANCE
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ABB. 97
In der Waschküche im 6. Stock wurde lange Zeit die Wäsche
von mehreren Hotels gewaschen. Da heute nur noch die MitarbeitendenUniformen intern gewaschen werden, wurde die Waschküche verkleinert und
im Zuge des Umbaus ins Untergeschoss verlegt. An die Bügelmaschine
(links im Bild) erinnert sich Arthur Pereira gut: Er hat sie mehrere Male auseinandergenommen und selber repariert.
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GLORIA, ARTHUR UND DIE RENAISSANCE
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Auch äusserlich hat sich im Volkshaus/Hotel Bern und im Restaurant Volkshaus einiges verändert …
GLORIA
O ja. Als wir hier angefangen haben, hat das Hotel ganz anders ausgesehen. In den Zimmern gab es Teppichböden, die Möbel waren
rustikaler und dunkler. Es folgten viele kleinere Umbauten, auch
das Inventar wurde insgesamt drei Mal ausgewechselt. Der letzte
Umbau mit den zusätzlichen Zimmern, der Dachterrasse und dem
neuen Eingangsbereich war der grösste.
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[LINKS] 1988: Die Zimmer waren nun
ABB. 98
zeitgemäss möbliert und mit Teppichböden versehen.
Die Möbel wurden in den letzten dreissig Jahren
mehrere Male komplett ausgewechselt. Nach 1983 sind
alle Zimmer mit einem eigenen Bad ausgestattet.
[OBEN] 2020: Helle Zimmer mit ParkettABB. 99
böden, Rosetten-Elementen und einem luftigeren
Interieur. Vor dem letzten Umbau gab es auf drei Stockwerken jeweils 33 Zimmer. Nun sind es insgesamt 108.
Da der achteckige Innenhof verkleinert wurde, sind heute
die Hotelzimmer bis zu fünf Quadratmeter grösser.
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ABB. 100 [OBEN] 1988: Der Wandteppich «Ländliche
Szene» von Hans Erni schmückte den Eingangsbereich.
Eine kleine Treppe führt zum Restaurant mit dem damaligen Namen «7 Stuben».
[RECHTS] 2020: Die Lobby ist nun
ABB. 101
barrierefrei und fünf Meter tiefer. Während des Umbaus
wurden die Gäste im zweiten Stock empfangen.
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ABB. 102
Die Kurierstube war eine der «7 Stuben»
des Restaurants. Mit dem Eisenbahnrad (links) verbindet
Arthur eine besondere Geschichte.
ARTHUR
Das Restaurant wurde einige Male renoviert und umgebaut. 2014,
als dann auch der Name von «7 Stuben» in «Restaurant Volkshaus»
wechselte, haben wir alles selber abgerissen. Einige Souvenirs aus
dieser Zeit sind geblieben. Früher hat jede gewerkschaftliche Berufsgruppe ihre eigene Stube dekoriert. In der Kurierstube, in der
unter anderen die Bähnler zu Hause waren, befand sich ein Eisenbahn-Rad. Dieses habe ich nach Portugal transportiert, um es als
Andenken in unseren Garten zu stellen. Auch das Gewerkschaftsbild mit dem Redner drauf, das heute im Restaurant Volkshaus
hängt, habe ich einst vor der Zerstörung gerettet. Im Nachhinein
eine lustige Geschichte: Vor vielen Jahren gab man mir den Auftrag,
das Bild zu entsorgen. Doch ich hatte ein ungutes Gefühl dabei
und beschloss, das Bild in Leintücher einzuwickeln und auf dem
Dachboden hinter einer Zwischenwand zu verstecken. Wäre ich
gestorben, hätte es niemand gefunden! Als die Direktion wechselte, fragte der neue Hoteldirektor, was eigentlich mit dem besagten
Gemälde passiert sei … Ich war natürlich sehr glücklich, als ich es
aus dem Versteck hervorholen konnte – und dass es heute einen so
prominenten Platz einnimmt!
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Das Volkshaus/Hotel Bern hat eine lange Geschichte und Tradition als Volkshaus. Ist der Charakter des Volkshauses heute auch
noch spürbar? Und was bedeutet Ihnen das?
ARTHUR
Für ein Volkshaus im klassischen Sinn ist es natürlich etwas luxuriös. Nichtsdestotrotz ist und bleibt es ein Volkshaus, wo Menschen
zusammenkommen und politische Diskussionen führen. Viele Politikerinnen und Politiker gehen ein und aus, und die Gewerkschaften halten ihre Versammlungen und Zusammenkünfte hier ab. Ich
bringe den Gewerkschaften viel Sympathie entgegen. Als junger
Mann in Portugal war ich in der Direktion einer Gewerkschaft aktiv
und sehr engagiert. Gloria und ich sind Unia-Mitglieder – der Kampf
für die Arbeiterschaft und faire Arbeitsbedingungen scheint mir
richtig und wichtig.
GLORIA
Politik interessiert mich. Wenn ich auf der Strasse Politikerinnen
oder Politikern begegne, weiss ich in der Regel, wie sie heissen.
Gerade während der Session wohnen ja einige von ihnen hier, da
kennt man sich. Sie bekommen immer das gleiche Zimmer zugewiesen, damit sie sich bei uns zu Hause fühlen.
Manchmal beherbergt das Hotel Bern ja auch Bundesräte. Manche
sogar über viele Jahre hinweg. Alt-Bundesrat Otto Stich hat 13 Jahre und Alt-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey hat 11 Jahre im Hotel
Bern gewohnt …
GLORIA
Zwei unserer liebsten Gäste! Ausgesprochen nette Menschen. Während einer so langen Zeitspanne entsteht eine persönliche Beziehung; wir haben uns gegenseitig sehr geschätzt. Zum Jahresende
hat Frau Calmy-Rey jeweils die ganze Abteilung zu Champagner
eingeladen. Eine schöne Geste.
ARTHUR
Otto Stich war mein Freund. Er hat sich dem Hotel als Genosse verbunden gefühlt. Wenn wir einander begegneten, was oft vorkam,
haben wir uns auf die Schultern geklopft, gescherzt und viel gelacht.
Ich mochte Otti sehr, ein intelligenter und herzlicher Mensch, der
mit allen das Gespräch suchte. Meistens war er mit einem Buch und
einer Pfeife unterwegs – und donnerstags sass er unten in der Gaststube beim Jassen.
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Wegen des ausgerufenen Notstands im Zusammenhang mit
Covid-19 musste das Volkshaus/Hotel Bern für mehrere Wochen
geschlossen bleiben. Dies war die erste Schliessung in der Geschichte des Volkshauses. Wie haben Sie diese erlebt?
ARTHUR
Der Beginn der Schliessung fiel exakt mit der Woche zusammen,
in der wir die Fertigstellung des Umbaus feiern wollten. Lange haben wir diesem Tag entgegengefiebert – doch dann mussten alle
Feierlichkeiten abgesagt und das Hotel vorübergehend geschlossen werden. Das war schlimm. Auch für mich persönlich: Wenn ich
nicht hier sein kann, geht es mir nicht gut.
GLORIA
In solchen Situationen fühlen wir besonders stark, wie sehr wir am
Volkshaus/Hotel Bern hängen. Das Hotel ist ein Teil von uns – und
wir von ihm. In guten wie in schwierigeren Zeiten. Nach der Wiedereröffnung blicken wir jetzt wieder zuversichtlich nach vorne.
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DAS VOLKSHAUS/HOTEL BERN
ALS ARBEITGEBER
Das Volkshaus/Hotel Bern ist gewerkschaftlich geführt und
dies zeigt sich bereits in der wertschätzenden Arbeitskultur.
Die Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber ist gross – viele Mitarbeitende bleiben bis zur Pensionierung im Betrieb.
Drei Beispiele gewerkschaftlicher Fürsorge:
– Das Personalhaus generiert Pensionskassen-Beiträge.
1981 kaufte die Personalstiftung des Volkshaus/Hotel
Bern am Pappelweg 38 in Bern eine Wohnliegenschaft.
Diese diente viele Jahre als Personalhaus. Mit den Einnahmen wurden Pensionen für ehemalige Mitarbeitende finanziert. Als die Liegenschaft 30 Jahre später verkauft wurde, ging der Erlös als Extra-Sparprämie an alle
Mitarbeitenden, die länger als 6 Jahre im Volkshaus/
Hotel Bern gearbeitet hatten.
– Garantierter Arbeitsplatz während des Umbaus durch
laufenden Betrieb: Um während der Bauphase keine Mitarbeitenden entlassen zu müssen, blieb das Hotel während des Umbaus 2018–2020 die ganze Zeit geöffnet.
Direktor Daniel Siegenthaler weiss seine langjährigen
Angestellten zu schätzen: «Ohne unser tolles Team hätten
wir den Umbau in dieser Form niemals meistern können.»
– Keine Lohneinbusse während Covid-19: Obwohl das
Volkshaus/Hotel Bern aufgrund der Corona-Krise im
Frühjahr 2020 auf Kurzarbeit umstellen musste und nur
80 % des Verdienstausfalls versichert waren, wurde der
volle Lohn ausgezahlt.
ABB. 103 / ABB. 104 / ABB. 105
Ein eingespieltes
Team: Viele Mitarbeitende arbeiten bis zu ihrer Pensionierung im Volkshaus / Hotel Bern.
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EXKURS ZUR ARCHITEKTUR (III):
NEUER GLANZ IM ALTEN GEMÄUER
Einblicke in das vom Architekturbüro Jordi + Partner AG Als eigentliches Highlight kann die neue Attika-Bar mit Dachausgeführte Umbauprojekt mit Dachterrasse und Attika-Bar terrasse bezeichnet werden. Die hochglänzend dunkelroten
Wände und Decke sowie der grosse Leuchter verleihen dem
(2018–2020).
Raum einen edlen Charakter. Das wesentlichste und prägenMit dem Ziel, dem Bau wieder eine klare Identität mit einer de Element ist jedoch die Aussicht auf die Sehenswürdigkeiarchitektonischen Handschrift zu geben, beschloss die ten der Stadt Bern, ihre Umgebung und das Alpenpanorama.
Während des gesamten Umbaus blieben Hotel und ResVolkshaus Bern AG für 2018–2020 eine umfassende Modernisierung. Da die gesamte Gebäudestruktur, die Raumauf- taurant geöffnet. Dies bedeutete viel Lärm und Herausforteilung und die architektonischen Details der Innenräume derungen für alle Mitarbeitenden – etwa in der Küche, die
während des Umbaus Anfang der 1980er-Jahre zerstört über längere Zeit als Provisorium betrieben wurde. Im Frühwurden, gab es im Innern des Hauses keine Elemente aus ling 2020 wurde der Umbau termingerecht abgeschlossen.
seiner Entstehungszeit, die als Basis für ein architektonisches Konzept dienen konnten. Es ging deshalb hauptsächlich darum, die bestehenden Räume den aktuellen Bedürfnissen anzupassen und zu versuchen, mit heutigen
Materialien und Bautechniken an die lange Geschichte des
Volkshauses anzuknüpfen. Die Fassade – als einziges überlebendes Element des alten Volkshauses von 1914 – diente
der Inspiration zur Neugestaltung der Innenräume.
Die Hotellobby und Reception wurden zulasten der zuvor überdimensionierten Küche grösser und offener gestaltet. Durch die neue Eingangsrampe wurde die Lobby nicht
nur barrierefrei und für Gäste mit Gepäck besser erreichbar,
sondern wirkt auch deutlich einladender. Der grobkörnige
Terrazzo nimmt durch seine Farbe und Materialität die Gestaltung der Fassade auf und ist dabei ein traditionelles und
zeitloses Element. Die Schreinerarbeiten aus massivem
Eichenholz erinnern an die alte Handwerkskunst und die
Stilelemente des Altbaus.
Die Treppe als Zugang zum Seminargeschoss konnte
durch L-förmiges Abwinkeln des Antritts in die Lobby hinein
und Belegen der Stufen mit dem gleichen Terrazzo deutlich
aufgewertet werden. Der Seminarbereich entspricht mit seinen technischen Installationen nun den aktuellen Anforderungen und erscheint hochwertig mit schlichter, farblich nuancierter Möblierung auf Fischgrat-Eichenparkett.
Bei der Neugestaltung der Hotelzimmer wurde darauf
geachtet, dass praktisch alle Zimmer die Mindestfläche von
18 m2 (inkl. Nasszellenbereich) einhalten. Die zu den Innenhöfen orientierten Zimmer wurden zulasten des Lichthofes
erweitert, um auch diese Zimmer mit Doppelbetten ausstatten zu können. Die oftmals engen Bäder wurden vergrössert oder zum Zimmer geöffnet. Alle Zimmer verfügen
über sämtliche Ausstattungsmerkmale, die einem 4-SternStandard entsprechen. Das Material- und Farbkonzept der
öffentlichen Bereiche wurde in den Hotelzimmern weitergeführt, sodass für den Gast ein kontinuierliches Raumerlebnis entsteht. Durch die Umorganisation der Haustechnik
konnten im 6. OG zwei Long-Stay-Apartments und sechs ABB. 106 Der achteckige Innenhof wurde verkleinert.
zusätzliche Hotelzimmer realisiert werden, sodass nun total Dadurch gewannen die Hotelzimmer bis zu fünf Quadrat107 Einheiten zur Verfügung stehen.
meter Fläche.
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± 0.00 = 540.80 m ü. M.
(1396)
735 734
733
732
5
736
Schützengä
sschen
738
Zu Schmiede
n
Situation:
731
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(1318)
725
852
5
1509
853
1341
727
9
1454
17
19
8
Zeughausg
asse
813
N
BAUHERRSCHAFT
Volkshaus AG Bern
Hotelbern
Zeughausgasse 9
3011 Bern
BAUOBJEKT
Ausführung
Hotel Bern
Bestand, Abbruch, Neu
PLAN
3. Obergeschoss
(Regelgeschoss)
Nutzung Coop City
17.04
PROJEKT-Nr.
Mst
1:150
Planformat
A3
Dat/Gez/PL 04.09.2019/sse/cw/mb
Rev/Dat/PL
06 AN
Revidiert
Jordi + Partner AG
dipl. Architekten ETH/SIA
Mülinenstrasse 23
CH - 3006 Bern
Telefon +41 31 357 03 03
Telefax +41 31 357 03 04
www.jordiarch.ch
office@jordiarch.ch
3. Obergeschoss, 2020
(1396)
735 734
733
732
5
736
731
Schützengä
sschen
738
Zu Schmiede
n
Situation:
± 0.00
540.80 m ü. M.
Zertifiziert nach
ISO=9001
729
(1318)
725
852
01.07.2020
Plan Nr.
A
Gedruckt am
ABB. 107
Phase
5
1509
853
1341
727
9
1454
17
19
8
Zeughausg
asse
813
RÜSTEN
N
aut
Schiebetüre
WANDTABLARE FÜR UTENSILIEN
VARIO COOKING
BESTEHEND
211
ABWASCHEN
CASSEROLLEN
UTENSILIEN-WASCHMASCHINE
Volkshaus AG Bern
Hotelbern
Zeughausgasse 9
3011 Bern
RÜCKGABE
KALTE KÜCHE
Stütze sondieren
SAUCIER
ENTREMETIER
BRÜSTUNGSWAND CNS
BRÜSTUNGSWAND CNS
VORBEREITEN
BAUHERRSCHAFT
DESSERT
AUSGABE WARM
AUSGABE KALT
BAUOBJEKT
Ausführung
FRÜHSTÜCK
GESCHIRR- GLÄSER
MISE EN PLACE
GETRÄNKEVITRINEN
KAFFEE
KASSE
GETRÄNKE
REINIGUNGSMASCHINE
SCHREIBPLATZ
WAGENPARK
Hotel Bern
Bestand, Abbruch, Neu
PLAN
Erdgeschoss
Nutzung Coop City
PROJEKT-Nr.
17.04
1:150
Mst
A3
Planformat
Dat/Gez/PL 04.09.2019/sse/cw/mb
Rev/Dat/PL
03 AN
Jordi + Partner AG
dipl. Architekten ETH/SIA
Mülinenstrasse 23
CH - 3006 Bern
Telefon +41 31 357 03 03
Telefax +41 31 357 03 04
www.jordiarch.ch
office@jordiarch.ch
Erdgeschoss, 2020
Zertifiziert nach ISO 9001
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Revidiert
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Plan Nr.
A
Gedruckt am
ABB. 108
Phase
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ABB. 109 [OBEN] Von der Attika-Bar blickt man direkt auf Parlament
und Regierung der Hauptstadt.
[UNTEN] Ein «Deluxe»-Zimmer in der 6. Etage.
ABB. 110
Neben 107 Standard- und 12 Deluxe-Zimmern stehen auch Suiten und
Long-Stay-Apartments für Dauergäste zur Verfügung. Auf die hohe
Qualität der Betten wurde Wert gelegt.
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[OBEN] Der Unionssaal ist teilbar. Verbunden bietet er
ABB. 111
200 Personen Platz. Die 7 Räume der 800 Quadratmeter grossen Seminaretage sind flexibel nutzbar. Restauriert wurden auch die Wandteppiche
des Künstlers Hans Erni.
[UNTEN] Mit seinen 45 m2 eignet sich der Saal Inauen
ABB. 112
für kleinere Workshops oder Sitzungen. Benannt wurde der Saal nach Josef
«Sepp» Inauen, der ab 1947 auf dem Berner Sekretariat des Schweizerischen
Bau- und Holzarbeiterverbands tätig war. Auch andere Räume erhielten
Namen von renommierten Handwerkern, Künstlern und engagierten Berner
Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
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Der Eingangsbereich mit der Lobby ist nun von Hindernissen befreit.
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CHAPEAU!
Wie gibt man den Gästen eines Hotels das Gefühl von «Heim»,
wenn der Betonmischer rumpelt, der Schlagbohrer brüllt und
die Kreissäge kreischt? Dies war eine der Herausforderungen, die sich den Frauen und Männern stellte, die das Hotel
Bern am Laufen halten. Ein ambitionierter Umbau ist immer
eine besondere Anstrengung, geschieht er aber am lebenden
Objekt, wie in unserem Fall, wird er zur extremen Übung. Und
dies gilt nicht nur für die Leute, die im Direktkontakt mit den
Gästen stehen. Wie kocht man in einer provisorischen Küche?
Sämtliche unsichtbaren, aber für den Komfort so wichtigen
Abläufe der Intendanz mussten dauernd neu organisiert werden. Ich ziehe meinen Hut vor den Mitarbeitenden, die das
mit Flexibilität und Engagement angepackt haben.
Nur indirekt angesprochen ist damit die planerische Leistung. Was sich dabei herausstellte, gehört in jedes Management-Lehrbuch: Es wäre keine vernünftige Organisation
möglich gewesen ohne die Erfahrung und Kompetenz sehr
vieler Mitarbeitender.
Mein anderer Dank gilt den Leuten vom Bau. Sie mussten
den Umbau in vielen kleinen Etappen meistern. Das glich
manchmal einer Form von Mikrochirurgie – minimalinvasiv
mit maximalem Effekt. Fast täglich haben sie neue Wege
erfunden, dies zu leisten. Und was wir am Ende mit besonderer Genugtuung registriert haben: Sie haben das bei jahrelanger Bauzeit ohne schweren Arbeitsunfall geschafft. Das
ist Qualität. – Corrado Pardini
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ANHANG
181
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13.10.20 15:23
VERZEICHNIS
DER DIREKTOREN
GERANTEN/DIREKTOREN
1896–1899
1899–1909
1909–1911
1911–1911
1911–1913
1913–1918
1918–1922
1922–1934
1935–1937
1938–1945
1945–1958
1959–1971
1971–1976
1976–1986
1986–2010
2010–2015
ab 2015
ANHANG
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Heinrich Wehn
Hans Schmid
Arnold Calame
Wilhelm Rysler
A. Taeschler
Hermann Studer
Karl Oetiker
Jacques Pfeiffer
Peter Meisser
Walter Wagner
Walter Baumann
Arthur Guntern
Franz Huber
Peter Eggermann
Peter Schiltknecht
Philipp Näpflin
Daniel Siegenthaler
VR–PRÄSIDENTEN
1895–1897
1897–1917
1917–1928
1928–1938
1938–1945
1945–1958
1959–1968
1969–1971
1971–1994
1994–2010
2010–2018
ab 2018
Friedrich
Schmid-Dällenbach
Gottfried Borle
Karl Dürr
Ferdinand Steiner
Fritz Mader
Arthur Steiner
Rudolf Messer
Karl Zingg
Erwin Haari
Werner Funk
Werner Bernet
Corrado Pardini
183
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QUELLEN- UND
LITERATURVERZEICHNIS
UNGEDRUCKTE QUELLEN
Archiv der sozialen Demokratie
der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
– Archiv des Internationalen
Metallarbeiterbunds (IMB), 1208
B. Protokoll der Sitzung des
Zentralkomitees, 10.–12. Oktober
1948 in Bern (Schweiz).
Archiv des Internationalen
Metallarbeiterbunds (IMB)
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel Bern
Internationaal Instituut voor
Sociale Geschiedenis, Amsterdam
– Anželika Balabanova Papers
– Robert Grimm Papers
– Theodor Liebknecht Papers
Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich
– Ar SMUV 02F-0001, Diverse
genossenschaftliche Verwaltungsratsunterlagen: Büchergilde
Gutenberg; Coop Lebensversicherung; GZB; Volkshaus Bern,
1938-1958 (Akten Arthur Steiner).
Schweizerisches Wirtschaftsarchiv,
Basel
– PA 554 Archiv Schweizerische
Hotel-Treuhand-Gesellschaft
(SHTG), Gesuche Serie 1, 88.
Hotel Volkshaus Bern, 1945–1948
– SWA H + I E 312 Volkshaus Bern,
Dokumentensammlung (Broschüren, Zeitungsausschnitte).
Staatsarchiv des Kantons Bern, Bern
– BB XIIIb 93016 Verwaltungsarchive, amtliche Untersuchung
betreffend den Generalstreik,
1919.
PROTOKOLLE
Internationaler Gewerkschaftsbund: Protokoll der Internationalen
Gewerkschafts-Konferenz vom 1.
bis 4. Oktober 1917 in Bern, Bern:
Unionsdruckerei 1917.
Internationaler Gewerkschaftsbund: Protokoll der Internationalen
Gewerkschafts-Konferenz vom 5.
bis 9. Februar 1919 in Bern, Bern:
Unionsdruckerei 1919.
Oltener Aktionskomitee (Hg.):
Der Landesstreik-Prozess
gegen die Mitglieder des Oltener
Aktionskomitees vor dem Militärgericht 3 vom 12. März bis 9. April
1919, Bern: Unionsdruckerei 1919.
184
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Protokoll des II. Allgemeinen
Schweizerischen Arbeiterkongresses.
1918 im Volkshaus Bern, Bern:
Unionsdruckerei 1919.
Sozialdemokratische Partei
der Schweiz: Protokoll über die
Verhandlungen des ausserordentlichen Parteitages vom 9. und
10. Juni 1917 im Volkshaus in Bern,
Bern: Unionsdruckerei 1917.
ZEITUNGEN UND
ZEITSCHRIFTEN
Berner Woche
Der Aufstieg
Schweizerisches Handelsamtsblatt
Schweizer Hotel-Revue
ZEITGENÖSSISCHE LITERATUR
Bericht der städtischen Bau- und
Finanzdirektion und Vortrag des
Gemeinderates über Initiativbegehen
für eine steinerne Aarebrücke und für
ein Volkshaus und Anträge betr.
Ausführung der Kornhausbrücke,
Bern: Stämpfli 1893.
Grumbach, Salomon: Der Irrtum
von Zimmerwald-Kiental. Rede,
gehalten am 3. Juni 1916 im
Unionssaale des Volkshauses zu
Bern, Bern-Bümpliz: Benteli 1916.
Münzenberg, Willi: «Sie ist nicht
tot!» Bericht über die internationale
Konferenz der sozialist. Jugendorganisationen, abgehalten zu Bern
am 4., 5. und 6. April 1915, Zürich.
Racovsky, C. [Christian Rakowski]:
Das Wiedererwachen der Internationale. Rede gehalten am internationalen Massenmeeting vom 8. Februar
1916 im Volkshaus in Bern, hg.
v. Internationale Sozialistische
Kommission, Bern 1916.
Wassilieff, Nikolaus: Die
Arbeiterunion Bern, das stadtbernische Arbeitersekretariat und die
Vorgänge am 19. Juni 1893, Bern:
Neukomm & Zimmermann
3. Aufl. 1894.
LITERATUR
Arber, Catherine: «Frontismus und
Nationalsozialismus in der Stadt
Bern. Viel Lärm, aber wenig
Erfolg», in: Berner Zeitschrift Für
Geschichte 65 (2003), Nr. 1., S. 2–62.
Bähler, Anna, Barth, Robert, Lüthi,
Christian, Erne, Emil, Bühler,
Susanna (Hg.): Bern – die Geschichte
der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Stadtentwicklung, Gesellschaft,
Wirtschaft, Politik, Kultur, Bern:
Stämpfli Verlag AG 2. Aufl. 2003.
Borle, Gottfried: Das neue Volkshaus in Bern. Geschichtliches,
Finanz-, Bau- und Betriebsberichte,
Bern: Unionsdruckerei 1917.
Budminger, Samuel: Die
«Italienerfrage» um 1893. Analyse
der zeitgenössischen Diskussion
über die italienischen Arbeitskräfte
in der Schweiz im Anschluss an
den Käfigturmkrawall von Bern 1893,
Bern: Masterarbeit 2010.
Claude, Alex: «Volkshaus – ein
Kulturdenkmal in Gefahr. Notizen
zu einer wenig beachteten Bauaufgabe des 20. Jahrhunderts am
Beispiel von Bern und Biel», in:
Kunst + Architektur in der Schweiz
34 (1983), Nr. 3, S. 346–354.
Collart, Yves: Le Parti Socialiste
Suisse et l’Internationale 1914–1915.
De l’Union nationale à Zimmerwald,
Genève 1969.
Crottet, Regula: Das Volkshaus in
Bern. Architektur als Gesamtkunstwerk, Lizenziatsarbeit phil.-hist.
Univ. Bern 2007.
Degen, Bernard: «Berner
Tagwacht», in: Richers, Julia,
Degen, Bernard (Hg.), Zimmerwald
und Kiental. Weltgeschichte auf
dem Dorfe, Zürich: Chronos 2015.
Degen, Bernard: «Der Niedergang
der Zimmerwalder Bewegung»,
ebd.
Degen, Bernard: «Ein Zürcher
prägte die Berner Politik: Robert
Grimm», in: Klassenkampf(rhetorik)
und Reformpolitik. 100 Jahre
SP des Kantons Bern, Bern 2005,
S. 114–129.
Degen, Bernard: «Die Schweiz als
Zentrum des internationalen Sozialismus. Grimm und die ‹Berner
Tagwacht› im Ersten Weltkrieg»,
in: Jacob, Frank, Altieri, Riccardo
(Hg.), Krieg und Frieden im Spiegel
des Sozialismus 1914–1918, Berlin:
Metropol 2018, S. 154–174.
ANHANG
13.10.20 15:23
Degen, Bernard, Schäppi, Hans,
Zimmermann, Adrian (Hg.):
Robert Grimm. Marxist, Kämpfer,
Politiker, Zürich: Chronos 2012.
Degen, Bernard, Joris, Elisabeth,
Keller, Stefan, Tanner, Albert,
Zimmermann, Rolf, Boillat, Valérie
(Hg.): Vom Wert der Arbeit.
Schweizer Gewerkschaften –
Geschichte und Geschichten, Zürich:
Rotpunktverlag 2006.
Donneur, André: Histoire de l’Union
des partis socialistes pour l’action
internationale (1920–1923), Sudbury
Ontario: Libr. de l’Université
Laurentienne 1967.
Eigenheer, Susanne: Bäder,
Bildung, Bolschewismus. Interessenkonflikte rund um das Zürcher
Volkshaus 1890–1920, Zürich:
Chronos Verlag 1993.
Gautschi, Willi: Der Landesstreik
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Hermann, Gruner, Erich,
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Staat und Gesetzgebung, Politik
und Kultur, Zürich: Chronos 1988,
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Keller, Stefan, Näpflin, Philipp:
Volkshaus 1914. Hundert und viele
weitere Jahre. Aus der Geschichte des
Hotel Bern, Bern 2014.
ANHANG
200809_HoBe_Layout_DE_EN_RZ_201013.indd 185
Keller, Willy: 175 Jahre Geschichte
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2011, S. 211–217.
185
13.10.20 15:23
BILDVERZEICHNIS
ABB. 1–2
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
ABB. 3–4
Alexander Gempeler
ABB. 5
Mirjam Graf, Unia
ABB. 6
Alexander Gempeler
ABB. 7
Grimm, Robert: «Das neue
Volkshaus in Bern», in:
Grütlikalender 23 (1915), S. 24–35.
ABB. 8
StuB, Kp VII 49 (4), Keller-Schütz,
Emil: Album von Bern, S. 112.
ABB. 9
Geodaten Stadt Bern, Amt für
Geoinformation des Kantons Bern
ABB. 10–11
Musée d’art et d’histoire,
Neuchâtel (Suisse)
ABB. 12–13
Archiv Wander AG, Neuenegg
ABB. 14–15
International Institute of Social
History, Amsterdam
ABB. 16
Burgerbibliothek Bern,
FN_G_C_987
ABB. 17
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_Fa-0007-033
ABB. 18
Schweizerisches Nationalmuseum,
DIG-42505_LM-144936
ABB. 19
Stadtarchiv Bern
ABB. 20
Alamy
ABB. 21
Ringier Zofingen,
Schweizer Illustrierte 1919
ABB. 22–23
Abgebildet in: Jakob Bührer: «Das
Volkshaus in Bern II», in: (Das)
Werk: Architektur und Kunst. Band
(Jahr) 2 (1915), Heft 5.
ABB. 24–26
Otto Ingold, Grundriss des
Kellergeschosses, 1914, Bern,
Volkshaus (in: Borle 1917,
unpaginiert).
186
200809_HoBe_Layout_DE_EN_RZ_201013.indd 186
ABB. 27–31
Abgebildet in: Jakob Bührer: «Das
Volkshaus in Bern II», in: (Das)
Werk: Architektur und Kunst. Band
(Jahr) 2 (1915), Heft 5.
ABB. 32
Encyclopædia Britannica, Inc.
ABB. 33
General-Anzeiger Bonn
ABB. 34
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_Ka-0002-040
ABB. 35
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5008-Fc-005
ABB. 36
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_Fb-0011-025
ABB. 37
Berner Tagwacht (Jg. 23, Nr. 218),
18.9.1915
ABB. 38
Staatsarchiv Kanton Bern,
T.137_03
ABB. 39
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_Fb-0013-011
ABB. 40
komform GmbH
ABB. 41
Bundesarchiv
ABB. 42
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5048-Fx-001-021
ABB. 43
Bundesarchiv
ABB. 44
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_Fd-0003-18,
Jacques Zehnder
ABB. 45
Abgebildet in: Jakob Bührer: «Das
Volkshaus in Bern II», in: (Das)
Werk: Architektur und Kunst. Band
(Jahr) 2 (1915), Heft 5.
ABB. 46
Museo National Centro de Arte,
Reina Sofia
ABB. 47
U.S. National Archives and Records
Administration
ABB. 48
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5031-Fb-0524,
Paul Senn
ABB. 49
Paul Senn Archiv,
Gottfried Keller Stiftung, Bern
ABB. 50
Staatsarchiv Kanton Bern,
FN Jost N 10303
ABB. 51
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5096-Fx-004
ABB. 52
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
ABB. 53
Deutsches Historisches Museum,
Berlin, BA 95/952
ABB. 54–55
Zürcher Hochschule der
Künste / Museum für Gestaltung
Zürich / Plakatsammlung
ABB. 56
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_Fb-0017-014
ABB. 57
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5032-Fb-0041
ABB. 58
Staatsarchiv Kanton Bern,
StAB_FN_Jost_N_0906
ABB. 59
Heeb, Friedrich: Albert Berner und
die Unionsdruckerei Bern. Ein
Lebenswerk, hg. v. Unionsdruckerei Bern, Bern: Unionsdruckerei
1946 (nicht nummerierte Bildtafeln
zwischen S. 28 und S. 29).
ABB. 60
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_Fc-0001-26
ABB. 61–63
U.S. National Archives and Records
Administration
ABB. 64
Schweizerisches Nationalmuseum,
LM-118306.12
ABB. 65
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5032-Fb-0094
ABB. 66
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5030-Fc-0113
ABB. 67–68
Horta Museum
ANHANG
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ABB. 69
Wirtschaftsarchiv Basel
ABB. 101
Ruben Sprich
ABB. 70–80
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
ABB. 102
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
ABB. 81
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5107-Na-11-119-010
ABB. 103–105
Manu Friederich
ABB. 82
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5032-Fc-1588
ABB. 83
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5032-Fb-0110
ABB. 84
Sebastian Heeb,
Schweizer Heimatschutz
ABB. 85
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5030-Fc-0298
ABB. 86
Press Information Bureau
on behalf of Prime Minister's
Office, Government of India
ABB. 106
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
ABB. 107–108
Jordi + Partner AG
ABB. 109–112
Ruben Sprich
ABB. 113
Heinz Schelhammer
EINSTIEGSBILD KAPITEL I
Burgerbibliothek Bern,
Sammlung_Suter_ 782
EINSTIEGSBILD KAPITEL II
Abgebildet in: Jakob Bührer: «Das
Volkshaus in Bern II», in: (Das)
Werk: Architektur und Kunst. Band
(Jahr) 2 (1915), Heft 5.
EINSTIEGSBILD KAPITEL III
Abgebildet in: Jakob Bührer: «Das
Volkshaus in Bern II», in: (Das)
Werk: Architektur und Kunst. Band
(Jahr) 2 (1915), Heft 5.
EINSTIEGSBILD KAPITEL IV
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
EINSTIEGSBILD KAPITEL V
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
EINSTIEGSBILD KAPITEL VI
Manu Friederich
PORTRÄT CORRADO PARDINI
Sozialdemokratische Partei
Schweiz
ABB. 87
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_ 5040-Fb-117
ABB. 88–91
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
ABB. 92
Schweizerisches Sozialarchiv,
Sozarch_F_Pe-0646
ABB. 93–94
Abgebildet in: Haari, Erwin,
Schweizer, Kurt: Das Berner
Volkshaus und das neue Hotel
Bern, 1914–1989, Gümligen:
Wefo Verlag 1989.
ABB. 95–98
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
ABB. 99
Alexander Gempeler
ABB. 100
Firmenarchiv Volkshaus/Hotel
Bern
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IMPRESSUM
AUTOR
Der Historiker Adrian Zimmermann,
Hauptautor dieses Buches, forscht
mit einem vergleichenden und transnationalen Ansatz zur Arbeiterbewegung und Wirtschaftspolitik,
zu industriellen Beziehungen und
politischen Ideologien.
TEXT
Adrian Zimmermann, Regula
Portillo (Interview mit dem Ehepaar
Gloria und Arthur Pereira), Patrick
Jordi, Architekturbüro Jordi + Partner
AG (Exkurs zur Architektur (III):
Neuer Glanz im alten Gemäuer).
BILDER
Die Bildrechte für die im Buch
verwendeten Bilder sind geklärt.
Sollten Sie sich, trotz aller Sorgfalt
unserer Arbeit, in einem Bildrecht verletzt fühlen, wenden Sie
sich bitte an die Projektleitung,
komform GmbH in Liebefeld.
ANHANG
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HERAUSGEBER
Volkshaus AG Bern,
Zeughausgasse 9, CH-3011 Bern
PROJEKTLEITUNG, KONZEPT
UND GESTALTUNG
komform GmbH, Liebefeld
KORREKTORAT
Ulrike Krüger
ÜBERSETZUNG
Apostroph Group, Bern
DRUCK UND BINDUNG
Ast & Fischer AG, Wabern
AUFLAGE
1250 Exemplare
© 2020 Volkshaus AG Bern
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur
mit schriftlicher Genehmigung des
Herausgebers.
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