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Franz Josef Czernin und die Metapher
Als Frauke Tomczak 2008 in einem Gespräch mit Franz Josef Czernin die
Beobachtung äußerte, dass die Figur der Metapher in seiner Dichtung offenbar keine Rolle spiele, wurde ihr entschieden widersprochen:
Eher im Gegenteil: ich glaube, die Metapher ist etwas Zentrales in meinen
Gedichten. Aber es sind […] häufig Wendungen, die sowohl als metaphorisch
als auch als wörtlich gelesen werden können. Oder Wendungen, die den Prozess der Metapher vollziehen lassen wollen. Ein Prozess, der von Wörtlichem
zu Metaphorischem und von Metaphorischem zu Wörtlichem führen kann.
Dieser Prozess ist für mich das Wesentliche an der poetischen Metapher.1
Tatsächlich ist Czernin ein Dichter, der sich jahrelang intensiv mit der Metapher befasst und diese Trope auch in Aufsätzen eingehend behandelt hat2.
Trotzdem scheint mir, dass Frauke Tomczak (jedenfalls in Hinblick auf
einen beträchtlichen Teil von Czernins Dichtung) nicht ganz Unrecht hat
und dass Czernins gegenteilige Ansicht zum Teil darauf beruht, dass er den
Begriff der Metapher ungewöhnlich weit fasst.
Metaphern sind implizite Vergleiche. Diese traditionelle Auffassung ist
zwar in der Sprachphilosophie der letzten Jahrzehnte arg aus der Mode
gekommen, bei Lichte besehen ist es jedoch3 mit den dagegen vorgebrachten Einwänden nicht weit her. Wie dem auch sei, da, wo es nicht um
gescheites Theoretisieren geht, sondern darum, eine interessante Metapher
zu verstehen und zu erklären, kommen wir allemal darauf zurück, den
jeweils zugrunde liegenden Vergleich zu bestimmen. Insofern ist diese
hausbackene Erklärung p rakt i sch nach wie vor ganz unumstritten.
1 Frauke Tomczak: »Matrose oder Albatros? Im Gespräch mit Franz Josef Czernin«. In: Volltext, Heft 5, (2008), S. 22–23 (= »›Literaturkritik ist eine Erkenntnisform‹. Gespräch«. http://
www.poetenladen.de/frauke-tomczak-josef-czernin.htm. Zuletzt aufgerufen am 21.11.2016).
2 Vgl. Franz Josef Czernin: »Legende von der poetischen Bedeutung« bzw. »Metaphern und
die Ersetzbarkeit von Ausdrücken in literarischen Texten«. In: Franz Josef Czernin und Thomas
Eder (Hg.): Zur Metapher. Die Metapher in Philosophie, Wissenschaft und Literatur. München: Fink
2007, S. 15–19 bzw. 75–91. Diesem Interesse verdanke ich übrigens unsere persönliche
Bekanntschaft und eine Reihe von höchst anregenden und erfreulichen Gesprächen.
3 Wie ich andernorts ausführlich argumentiert habe; vgl. Severin Schroeder: »Why Juliet
is the Sun«. In: Mark Siebel und Mark Textor (Hg.): Semantik und Ontologie. Frankfurt / M.: Ontos
2004, S. 63–101, und ders.: »Metapher und Vergleich«. In: Czernin und Eder (Hg.): Zur Metapher
(Anm. 2), S. 45–55.
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Severin Schroeder
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Zu einem Vergleich, explizit oder metaphorisch, gehört aber immer
zweierlei, Verglichenes und Vergleichsobjekt, was bei Metaphern zuweilen
als Bildspender und Bildempfänger (oder »focus« und »frame«) bezeichnet
wird. Damit ein Ausdruck zur Metapher wird, muss er als Bild oder Vergleich auf etwas angewendet werden, auf das er nicht buchstäblich zutrifft.
Mein Ausruf »Was für ein Saustall!« beispielsweise ist nur dann eine Metapher, wenn er sich auf etwas bezieht, das nicht wirklich ein Saustall ist,
sondern einem solchen nur in erwähnenswerter Weise ähnelt (z. B. eine
verwahrloste Küche).
Was es einem Leser von Czernins Gedichten aber zuweilen schwermacht, darin Metaphern zu finden, ist die Art, wie in ihnen Sprache selbst
zum Hauptgegenstand wird, derart, dass der außersprachliche Inhalt, auf
den sich die Ausdrücke beziehen könnten, oft sehr unbestimmt bleibt. Wo
aber der Bezug eines Ausdrucks unbestimmt bleibt, kann dieser Ausdruck
auch nicht (oder nicht eindeutig) als metaphorisch erkannt werden – so wie
man von einem kontextlosen Ausruf »Was für ein Saustall!« nicht sagen
könnte, dass es sich um eine Metapher handelt. Die Sonette der Sammlung
elemente, sonette4 etwa sind poetische Erkundungen semantischer Felder,
welche häufig im Titel kurz bezeichnet sind. Zum Beispiel die erste Strophe
des »sonett, natur«:
ins grüne lassen schwärmen uns, vielfach verzweigen,
erspriesslich himmelstürmend hügel-, fern waldsäumen,
dass üppig kraut nah überschiesst in uns, hochsteigen
die säfte reichlich, wohlergangen weit einräumen.5
Hier ist von Natur d i e Re de , d. h., es geht nicht eigentlich um Natur, sondern um die Rede über Natur. Ein bestimmter Bereich der Sprache entfaltet
und zelebriert sich.
Dadurch aber, dass sich die Sprache selbst Thema ist, ›gerät sie gleichsam außer sich‹ (wie Martin Mosebach es formuliert6): Durch das Fehlen
eindeutiger außersprachlicher Inhalte werden die Gedichte offen und vieldeutig. Darin liegt ihre Faszination, aber diese Bezugsoffenheit oder -vagheit macht es auch weitgehend unmöglich, b e s t i m m t e (lebende) Metaphern im üblichen Sinne zu verorten. Freilich haben viele dieser Ausdrücke
ein offenkundiges metaphorisches Potenzial. Ein von Czernin in diesen
Sonetten gern verwandtes Stilmittel ist es, den buchstäblichen Sinn konven-
4 Franz Josef Czernin: elemente, sonette. München: Hanser 2002.
5 Ebd., S. 38.
6 Vgl. Martin Mosebach: »Zum Werk von Franz Josef Czernin«. In: Franz Josef Czernin:
staub.gefässe. gesammelte gedichte. München: Hanser 2008, S. 223–252, hier S. 242.
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stich
ach, wir kreuzen unsere blicke
und das haut die sicht in stücke,
und das reizt auch unsere haut,
heizt uns ein und rauht uns auf;
ja, so schneuzt uns jede mücke
aus der weiten welt hinaus,
bis der reine himmel wieder blaut.8
Auch hier ist der Ausgangspunkt eine konventionelle Metapher: Blicke
kreuzen sich. Die Wendung ist so abgenutzt, dass man sie gewöhnlich kaum
7 Tomczak: »Matrose oder Albatros? Im Gespräch mit Franz Josef Czernin« (Anm. 1).
8 Czernin: staub.gefässe. (Anm. 6), S. 34.
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tionell metaphorisch gebrauchter Ausdrücke wieder anklingen zu lassen.
So erinnern uns die zitierten Verse an den ursprünglichen botanischen Sinn
der toten Metaphern »verzweigt« und »ersprießlich«, während »himmelstürmend« sowohl heißen kann, dass man gen Himmel stürmt, als auch,
dass am Himmel ein Sturm weht. Derlei meint Czernin wohl, wenn er in
seiner Entgegnung auf Frauke Tomczak von Wendungen spricht, »die
sowohl als metaphorisch als auch als wörtlich gelesen werden können«,
und davon, dass der »Prozess der Metapher« in beide Richtungen verläuft,
also auch »von Metaphorischem zu Wörtlichem«7. Tomczaks Beobachtung
ist aber damit nicht wirklich widersprochen. Denn das Auftauen einer konventionellen Metapher würde man ja gewöhnlich nicht selbst als Metapher
bezeichnen. Vor allem aber besteht ein Unterschied zwischen Dichtung wie
dieser, die uns das metaphorische Potenzial ihrer Sprache augenfällig
macht, und Dichtung, die neue Metaphern schafft und tatsächlich auf einen
bestimmten Gegenstand anwendet. Czernins Lyrik deutet immer wieder an,
wie sehr sich ihr sprachliches Material – das ihren eigentlichen Inhalt ausmacht – zum metaphorischen Reden eignet, ohne doch eine solche metaphorische Anwendung der betreffenden Ausdrücke wirklich vorzunehmen:
ohne sich darauf einzulassen und darauf festlegen zu lassen, dass ein Ausdruck A metaphorisch auf einen bestimmten andersartigen Gegenstand B
zu beziehen ist. Metaphern werden zwar beiläufig vorgeschlagen, aber sozusagen nicht ernsthaft durchgeführt. Daran hindert eben die wesentliche
Bezugsoffenheit dieser Gedichte. Die Sprache arbeitet nicht, sie feiert ihre
eigene Polyphonie.
Das trifft freilich nicht auf alle Gedichte Czernins zu. Von etwas anderer
Art als die Sonette, aber nicht weniger eindrucksvoll ist das folgende:
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als Metapher wahrnimmt. Insbesondere entgehen einem leicht die darin
mitschwingenden Assoziationen von Schwertkampf, die man dieser Wendung in konventionellen Vergleichen oft angehängt hat:
Die Blicke beider Männer kreuzten sich wie blanke Schwerter. (Marie von
Ebner-Eschenbach)
Aber beider Frauen Blicke, die sich wie giftige Dolche kreuzten, verrieten ihm
ihren Haß. (Carl Spitteler)
Czernin taut die gefrorene Metapher auf, nimmt sie beim Wort und malt
sich die Folgen aus, die es hätte, wenn Blicke zu Schwertern würden:
ach, wir kreuzen unsere blicke
und das haut die sicht in stücke,
Da stellt sich aber sofort die Frage, ob es denn jetzt überhaupt noch eine
Metapher ist: Ist es nicht vielmehr eine Wendung, die zwar gewöhnlich
metaphorisch verwendet wird, die der Dichter hier jedoch in ergötzlicher
Weise wörtlich nimmt, also nicht metaphorisch?
Metaphern erkennt man bekanntlich daran, dass die wörtliche Lesart
keinen zufriedenstellenden Sinn ergibt, sei es, dass sie etwas offenkundig
Falsches sagen würde oder sei es, dass sie sogar unsinnig wäre. Nun sind die
Standards eines akzeptablen Sinnes aber kontextabhängig. Was in nüchterner Berichterstattung nicht ernst gemeint sein kann, mag in einem literarischen Text ohne Weiteres durchgehen. Wenn ich beispielsweise über meinen Pudel berichte, dass er plötzlich ein Teufel wurde, so kann das nur eine
Metapher sein; wenn Faust dagegen eine solche Verwandlung beobachtet,
nehmen wir das buchstäblich hin. Das Erscheinen des Mephistopheles ist
eine veritable Metamorphose und keine Metapher. Ebenso wäre es in einer
fiktionalen Welt möglich, dass Blicke ganz buchstäblich Zerstörung anrichten, gar die Sicht anderer kaputt machen.
So ist es hier jedoch nicht. Czernins Gedicht »stich« ist (pace Frauke
Tomczak) tatsächlich eminent metaphorisch. Metapher und Metamorphose
schließen einander nämlich nicht aus. Denn Metaphern sind zwar vor allem
implizite Vergleiche, poetische Metaphern jedoch sind häufig noch mehr:
nicht nur Vergleiche, sondern gleichzeitig imaginäre Metamorphosen.
Unter solchen poetischen VerwandlungsMetaphern lassen sich mindestens zwei Typen unterscheiden:
(i) Metaphern, die auf einer willkürlichen imaginären Metamorphose
beruhen, die dem metaphorischen Vergleich dann sozusagen als Prämisse
dient.
(ii) Metaphern, die durch eine vorgestellte Identität eine Ähnlichkeit
hervorheben.
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Where care lodges, sleep will never lie. (Shakespeare, Romeo & Juliet)
Hier sind Sorge und Schlaf in Menschen verwandelt – nicht weil sie an sich
Menschen ähnelten, sondern weil man unter der Voraussetzung dieser
willkürlichen Personifikation ihr Verhältnis zueinander gefällig ausdrücken kann: Der Schlaf bleibt aus, wo die Sorge herrscht, so wie ein Mensch
es vermeidet, mit einem andern, den er nicht mag, dieselbe Unterkunft
zu teilen.
Ein Beispiel der zweiten Art von VerwandlungsMetaphern findet sich in
Goethes »Willkommen und Abschied«:
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.9
In der Nacht kann eine Eiche so bedrohlich aussehen wie ein Riese, und
wenn man sich gerade bedrückt und unsicher fühlt, mag man geneigt sein,
sich momentan vorz u ste l le n , dass man tatsächlich einen Riesen vor sich
sieht. Der Baum ähnelt einem Riesen – das ist der metaphorische Vergleich;
aber darüber hinaus stellt das lyrische Ich ihn sich als Riesen vor, erlebt ihn
als Riesen – das ist die metaphorische Verwandlung.
Zur zweiten Kategorie von VerwandlungsMetaphern gehören auch die
Anfangsverse von Czernins »stich«. Die Verwandlung der Blicke in Stich- und
Schlagwaffen ist nämlich keine willkürliche Erfindung, sondern die bildliche Entfaltung wirklicher Erfahrungen. Blicke können tatsächlich verletzen.
Sie können verwirren, sodass man momentan nicht mehr klar sieht (»haut
die sicht in stücke«); sie können ein prickelndes Gefühl der Peinlichkeit, des
Ertapptseins verursachen (»reizt auch unsere haut«) oder sexuell aufreizend
sein (»heizt uns ein«); sie können verwunden (»rauht uns auf«), dadurch aber
letztlich zur Abhärtung führen. So beschreibt die erste Strophe mit kraftvoller Metaphorik die Wirkungen menschlichen Augenkontakts.
Das folgende Couplet zieht Bilanz:
ja, so schneuzt uns jede mücke
aus der weiten welt hinaus,
9 Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Bd. 1–16], Bd. 1, Berlin: Aufbau 1960 ff., S. 48.
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Ein typisches Beispiel der ersten Art von VerwandlungsMetaphern sind
Personifikationen. Zum Beispiel:
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Anders als in manchen von Czernins Sonetten sind diese bildlichen Wendungen leicht als Metaphern zu verstehen, da nämlich die Eingangsstrophe
einen narrativen Hintergrund geschaffen hat, auf den man diese Ausdrücke metaphorisch beziehen kann. Blicke sollten eigentlich etwas Leichtes,
Harmloses sein, sprichwörtlich wie Mücken (und nicht etwa Elefanten), ja
geringfügiger noch: wie das bloße Schnäuzen einer Mücke; und doch können sie uns hart treffen: aus dem Gleichgewicht bringen, aus der Bahn
werfen – ja, nicht nur aus der Bahn, geradezu (als metaphorischer Superlativ) aus der Welt hinaus. Das Kleinste bewirkt in uns das Allergrößte.
Jedoch, und das ist der versöhnliche Schluss des kleinen Gedichts, nicht
endgültig, sondern nur, bis wir uns wieder gefangen haben und die Welt
wieder im Lot ist:
bis der reine himmel wieder blaut.
Franz Josef Czernin ist ein Dichter, für den Metaphern eine ungemein wichtige Rolle spielen. Dabei findet man in manchen seiner Gedichte freilich
nicht so sehr bestimmt ausgeführte Metaphern als vielmehr die schiere
überbordende Metaphernträchtigkeit sich entfaltender Sprachsegmente.
Andernorts wird dieses metaphorische Potenzial geläufiger Wendungen in
kraftvollen VerwandlungsMetaphern vorgeführt. In jedem Fall regen uns
Czernins Gedichte fortwährend an, über Metaphern nachzudenken.