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www.claudia-wild.de: [neoAvantgarden_07]__Eder_Czernin____[Erstumbruch]/23.05.2017/Seite 191 Franz Josef Czernin und die Metapher Als Frauke Tomczak 2008 in einem Gespräch mit Franz Josef Czernin die Beobachtung äußerte, dass die Figur der Metapher in seiner Dichtung offenbar keine Rolle spiele, wurde ihr entschieden widersprochen: Eher im Gegenteil: ich glaube, die Metapher ist etwas Zentrales in meinen Gedichten. Aber es sind […] häufig Wendungen, die sowohl als metaphorisch als auch als wörtlich gelesen werden können. Oder Wendungen, die den Prozess der Metapher vollziehen lassen wollen. Ein Prozess, der von Wörtlichem zu Metaphorischem und von Metaphorischem zu Wörtlichem führen kann. Dieser Prozess ist für mich das Wesentliche an der poetischen Metapher.1 Tatsächlich ist Czernin ein Dichter, der sich jahrelang intensiv mit der Metapher befasst und diese Trope auch in Aufsätzen eingehend behandelt hat2. Trotzdem scheint mir, dass Frauke Tomczak (jedenfalls in Hinblick auf einen beträchtlichen Teil von Czernins Dichtung) nicht ganz Unrecht hat und dass Czernins gegenteilige Ansicht zum Teil darauf beruht, dass er den Begriff der Metapher ungewöhnlich weit fasst. Metaphern sind implizite Vergleiche. Diese traditionelle Auffassung ist zwar in der Sprachphilosophie der letzten Jahrzehnte arg aus der Mode gekommen, bei Lichte besehen ist es jedoch3 mit den dagegen vorgebrachten Einwänden nicht weit her. Wie dem auch sei, da, wo es nicht um gescheites Theoretisieren geht, sondern darum, eine interessante Metapher zu verstehen und zu erklären, kommen wir allemal darauf zurück, den jeweils zugrunde liegenden Vergleich zu bestimmen. Insofern ist diese hausbackene Erklärung p rakt i sch nach wie vor ganz unumstritten. 1 Frauke Tomczak: »Matrose oder Albatros? Im Gespräch mit Franz Josef Czernin«. In: Volltext, Heft 5, (2008), S. 22–23 (= »›Literaturkritik ist eine Erkenntnisform‹. Gespräch«. http:// www.poetenladen.de/frauke-tomczak-josef-czernin.htm. Zuletzt aufgerufen am 21.11.2016). 2 Vgl. Franz Josef Czernin: »Legende von der poetischen Bedeutung« bzw. »Metaphern und die Ersetzbarkeit von Ausdrücken in literarischen Texten«. In: Franz Josef Czernin und Thomas Eder (Hg.): Zur Metapher. Die Metapher in Philosophie, Wissenschaft und Literatur. München: Fink 2007, S. 15–19 bzw. 75–91. Diesem Interesse verdanke ich übrigens unsere persönliche Bekanntschaft und eine Reihe von höchst anregenden und erfreulichen Gesprächen. 3 Wie ich andernorts ausführlich argumentiert habe; vgl. Severin Schroeder: »Why Juliet is the Sun«. In: Mark Siebel und Mark Textor (Hg.): Semantik und Ontologie. Frankfurt / M.: Ontos 2004, S. 63–101, und ders.: »Metapher und Vergleich«. In: Czernin und Eder (Hg.): Zur Metapher (Anm. 2), S. 45–55. 191 sChroEdEr Czernin und die Metapher Severin Schroeder www.claudia-wild.de: [neoAvantgarden_07]__Eder_Czernin____[Erstumbruch]/23.05.2017/Seite 192 192 Zu einem Vergleich, explizit oder metaphorisch, gehört aber immer zweierlei, Verglichenes und Vergleichsobjekt, was bei Metaphern zuweilen als Bildspender und Bildempfänger (oder »focus« und »frame«) bezeichnet wird. Damit ein Ausdruck zur Metapher wird, muss er als Bild oder Vergleich auf etwas angewendet werden, auf das er nicht buchstäblich zutrifft. Mein Ausruf »Was für ein Saustall!« beispielsweise ist nur dann eine Metapher, wenn er sich auf etwas bezieht, das nicht wirklich ein Saustall ist, sondern einem solchen nur in erwähnenswerter Weise ähnelt (z. B. eine verwahrloste Küche). Was es einem Leser von Czernins Gedichten aber zuweilen schwermacht, darin Metaphern zu finden, ist die Art, wie in ihnen Sprache selbst zum Hauptgegenstand wird, derart, dass der außersprachliche Inhalt, auf den sich die Ausdrücke beziehen könnten, oft sehr unbestimmt bleibt. Wo aber der Bezug eines Ausdrucks unbestimmt bleibt, kann dieser Ausdruck auch nicht (oder nicht eindeutig) als metaphorisch erkannt werden – so wie man von einem kontextlosen Ausruf »Was für ein Saustall!« nicht sagen könnte, dass es sich um eine Metapher handelt. Die Sonette der Sammlung elemente, sonette4 etwa sind poetische Erkundungen semantischer Felder, welche häufig im Titel kurz bezeichnet sind. Zum Beispiel die erste Strophe des »sonett, natur«: ins grüne lassen schwärmen uns, vielfach verzweigen, erspriesslich himmelstürmend hügel-, fern waldsäumen, dass üppig kraut nah überschiesst in uns, hochsteigen die säfte reichlich, wohlergangen weit einräumen.5 Hier ist von Natur d i e Re de , d. h., es geht nicht eigentlich um Natur, sondern um die Rede über Natur. Ein bestimmter Bereich der Sprache entfaltet und zelebriert sich. Dadurch aber, dass sich die Sprache selbst Thema ist, ›gerät sie gleichsam außer sich‹ (wie Martin Mosebach es formuliert6): Durch das Fehlen eindeutiger außersprachlicher Inhalte werden die Gedichte offen und vieldeutig. Darin liegt ihre Faszination, aber diese Bezugsoffenheit oder -vagheit macht es auch weitgehend unmöglich, b e s t i m m t e (lebende) Metaphern im üblichen Sinne zu verorten. Freilich haben viele dieser Ausdrücke ein offenkundiges metaphorisches Potenzial. Ein von Czernin in diesen Sonetten gern verwandtes Stilmittel ist es, den buchstäblichen Sinn konven- 4 Franz Josef Czernin: elemente, sonette. München: Hanser 2002. 5 Ebd., S. 38. 6 Vgl. Martin Mosebach: »Zum Werk von Franz Josef Czernin«. In: Franz Josef Czernin: staub.gefässe. gesammelte gedichte. München: Hanser 2008, S. 223–252, hier S. 242. www.claudia-wild.de: [neoAvantgarden_07]__Eder_Czernin____[Erstumbruch]/23.05.2017/Seite 193 stich ach, wir kreuzen unsere blicke und das haut die sicht in stücke, und das reizt auch unsere haut, heizt uns ein und rauht uns auf; ja, so schneuzt uns jede mücke aus der weiten welt hinaus, bis der reine himmel wieder blaut.8 Auch hier ist der Ausgangspunkt eine konventionelle Metapher: Blicke kreuzen sich. Die Wendung ist so abgenutzt, dass man sie gewöhnlich kaum 7 Tomczak: »Matrose oder Albatros? Im Gespräch mit Franz Josef Czernin« (Anm. 1). 8 Czernin: staub.gefässe. (Anm. 6), S. 34. 193 sChroEdEr Czernin und die Metapher tionell metaphorisch gebrauchter Ausdrücke wieder anklingen zu lassen. So erinnern uns die zitierten Verse an den ursprünglichen botanischen Sinn der toten Metaphern »verzweigt« und »ersprießlich«, während »himmelstürmend« sowohl heißen kann, dass man gen Himmel stürmt, als auch, dass am Himmel ein Sturm weht. Derlei meint Czernin wohl, wenn er in seiner Entgegnung auf Frauke Tomczak von Wendungen spricht, »die sowohl als metaphorisch als auch als wörtlich gelesen werden können«, und davon, dass der »Prozess der Metapher« in beide Richtungen verläuft, also auch »von Metaphorischem zu Wörtlichem«7. Tomczaks Beobachtung ist aber damit nicht wirklich widersprochen. Denn das Auftauen einer konventionellen Metapher würde man ja gewöhnlich nicht selbst als Metapher bezeichnen. Vor allem aber besteht ein Unterschied zwischen Dichtung wie dieser, die uns das metaphorische Potenzial ihrer Sprache augenfällig macht, und Dichtung, die neue Metaphern schafft und tatsächlich auf einen bestimmten Gegenstand anwendet. Czernins Lyrik deutet immer wieder an, wie sehr sich ihr sprachliches Material – das ihren eigentlichen Inhalt ausmacht – zum metaphorischen Reden eignet, ohne doch eine solche metaphorische Anwendung der betreffenden Ausdrücke wirklich vorzunehmen: ohne sich darauf einzulassen und darauf festlegen zu lassen, dass ein Ausdruck A metaphorisch auf einen bestimmten andersartigen Gegenstand B zu beziehen ist. Metaphern werden zwar beiläufig vorgeschlagen, aber sozusagen nicht ernsthaft durchgeführt. Daran hindert eben die wesentliche Bezugsoffenheit dieser Gedichte. Die Sprache arbeitet nicht, sie feiert ihre eigene Polyphonie. Das trifft freilich nicht auf alle Gedichte Czernins zu. Von etwas anderer Art als die Sonette, aber nicht weniger eindrucksvoll ist das folgende: www.claudia-wild.de: [neoAvantgarden_07]__Eder_Czernin____[Erstumbruch]/23.05.2017/Seite 194 194 als Metapher wahrnimmt. Insbesondere entgehen einem leicht die darin mitschwingenden Assoziationen von Schwertkampf, die man dieser Wendung in konventionellen Vergleichen oft angehängt hat: Die Blicke beider Männer kreuzten sich wie blanke Schwerter. (Marie von Ebner-Eschenbach) Aber beider Frauen Blicke, die sich wie giftige Dolche kreuzten, verrieten ihm ihren Haß. (Carl Spitteler) Czernin taut die gefrorene Metapher auf, nimmt sie beim Wort und malt sich die Folgen aus, die es hätte, wenn Blicke zu Schwertern würden: ach, wir kreuzen unsere blicke und das haut die sicht in stücke, Da stellt sich aber sofort die Frage, ob es denn jetzt überhaupt noch eine Metapher ist: Ist es nicht vielmehr eine Wendung, die zwar gewöhnlich metaphorisch verwendet wird, die der Dichter hier jedoch in ergötzlicher Weise wörtlich nimmt, also nicht metaphorisch? Metaphern erkennt man bekanntlich daran, dass die wörtliche Lesart keinen zufriedenstellenden Sinn ergibt, sei es, dass sie etwas offenkundig Falsches sagen würde oder sei es, dass sie sogar unsinnig wäre. Nun sind die Standards eines akzeptablen Sinnes aber kontextabhängig. Was in nüchterner Berichterstattung nicht ernst gemeint sein kann, mag in einem literarischen Text ohne Weiteres durchgehen. Wenn ich beispielsweise über meinen Pudel berichte, dass er plötzlich ein Teufel wurde, so kann das nur eine Metapher sein; wenn Faust dagegen eine solche Verwandlung beobachtet, nehmen wir das buchstäblich hin. Das Erscheinen des Mephistopheles ist eine veritable Metamorphose und keine Metapher. Ebenso wäre es in einer fiktionalen Welt möglich, dass Blicke ganz buchstäblich Zerstörung anrichten, gar die Sicht anderer kaputt machen. So ist es hier jedoch nicht. Czernins Gedicht »stich« ist (pace Frauke Tomczak) tatsächlich eminent metaphorisch. Metapher und Metamorphose schließen einander nämlich nicht aus. Denn Metaphern sind zwar vor allem implizite Vergleiche, poetische Metaphern jedoch sind häufig noch mehr: nicht nur Vergleiche, sondern gleichzeitig imaginäre Metamorphosen. Unter solchen poetischen VerwandlungsMetaphern lassen sich mindestens zwei Typen unterscheiden: (i) Metaphern, die auf einer willkürlichen imaginären Metamorphose beruhen, die dem metaphorischen Vergleich dann sozusagen als Prämisse dient. (ii) Metaphern, die durch eine vorgestellte Identität eine Ähnlichkeit hervorheben. www.claudia-wild.de: [neoAvantgarden_07]__Eder_Czernin____[Erstumbruch]/23.05.2017/Seite 195 Where care lodges, sleep will never lie. (Shakespeare, Romeo & Juliet) Hier sind Sorge und Schlaf in Menschen verwandelt – nicht weil sie an sich Menschen ähnelten, sondern weil man unter der Voraussetzung dieser willkürlichen Personifikation ihr Verhältnis zueinander gefällig ausdrücken kann: Der Schlaf bleibt aus, wo die Sorge herrscht, so wie ein Mensch es vermeidet, mit einem andern, den er nicht mag, dieselbe Unterkunft zu teilen. Ein Beispiel der zweiten Art von VerwandlungsMetaphern findet sich in Goethes »Willkommen und Abschied«: Schon stand im Nebelkleid die Eiche, Ein aufgetürmter Riese, da, Wo Finsternis aus dem Gesträuche Mit hundert schwarzen Augen sah.9 In der Nacht kann eine Eiche so bedrohlich aussehen wie ein Riese, und wenn man sich gerade bedrückt und unsicher fühlt, mag man geneigt sein, sich momentan vorz u ste l le n , dass man tatsächlich einen Riesen vor sich sieht. Der Baum ähnelt einem Riesen – das ist der metaphorische Vergleich; aber darüber hinaus stellt das lyrische Ich ihn sich als Riesen vor, erlebt ihn als Riesen – das ist die metaphorische Verwandlung. Zur zweiten Kategorie von VerwandlungsMetaphern gehören auch die Anfangsverse von Czernins »stich«. Die Verwandlung der Blicke in Stich- und Schlagwaffen ist nämlich keine willkürliche Erfindung, sondern die bildliche Entfaltung wirklicher Erfahrungen. Blicke können tatsächlich verletzen. Sie können verwirren, sodass man momentan nicht mehr klar sieht (»haut die sicht in stücke«); sie können ein prickelndes Gefühl der Peinlichkeit, des Ertapptseins verursachen (»reizt auch unsere haut«) oder sexuell aufreizend sein (»heizt uns ein«); sie können verwunden (»rauht uns auf«), dadurch aber letztlich zur Abhärtung führen. So beschreibt die erste Strophe mit kraftvoller Metaphorik die Wirkungen menschlichen Augenkontakts. Das folgende Couplet zieht Bilanz: ja, so schneuzt uns jede mücke aus der weiten welt hinaus, 9 Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Bd. 1–16], Bd. 1, Berlin: Aufbau 1960 ff., S. 48. 195 sChroEdEr Czernin und die Metapher Ein typisches Beispiel der ersten Art von VerwandlungsMetaphern sind Personifikationen. Zum Beispiel: www.claudia-wild.de: [neoAvantgarden_07]__Eder_Czernin____[Erstumbruch]/23.05.2017/Seite 196 196 Anders als in manchen von Czernins Sonetten sind diese bildlichen Wendungen leicht als Metaphern zu verstehen, da nämlich die Eingangsstrophe einen narrativen Hintergrund geschaffen hat, auf den man diese Ausdrücke metaphorisch beziehen kann. Blicke sollten eigentlich etwas Leichtes, Harmloses sein, sprichwörtlich wie Mücken (und nicht etwa Elefanten), ja geringfügiger noch: wie das bloße Schnäuzen einer Mücke; und doch können sie uns hart treffen: aus dem Gleichgewicht bringen, aus der Bahn werfen – ja, nicht nur aus der Bahn, geradezu (als metaphorischer Superlativ) aus der Welt hinaus. Das Kleinste bewirkt in uns das Allergrößte. Jedoch, und das ist der versöhnliche Schluss des kleinen Gedichts, nicht endgültig, sondern nur, bis wir uns wieder gefangen haben und die Welt wieder im Lot ist: bis der reine himmel wieder blaut. Franz Josef Czernin ist ein Dichter, für den Metaphern eine ungemein wichtige Rolle spielen. Dabei findet man in manchen seiner Gedichte freilich nicht so sehr bestimmt ausgeführte Metaphern als vielmehr die schiere überbordende Metaphernträchtigkeit sich entfaltender Sprachsegmente. Andernorts wird dieses metaphorische Potenzial geläufiger Wendungen in kraftvollen VerwandlungsMetaphern vorgeführt. In jedem Fall regen uns Czernins Gedichte fortwährend an, über Metaphern nachzudenken.