Reform der Lehrerbildung:
Zwischen Zwängen der Praxis,
Erkenntnissen der Theorie und Evidenzen
der Empirie
Waltraud Schreiber
Stefanie Zabold
A. Die Quadratur des Kreises? Oder: Warum die Reform der Lehrerbildung eine besondere
Herausforderung für alle Akteure darstellt ......................................................................... 8
0. Zur Einordnung ........................................................................................................................ 8
I. Zwischen Schul- und Hochschulreformen: Herausforderungen an die Lehrerbildungsreform .. 13
1. Schulreformen der 2000-er Jahre .............................................................................................13
1.1. Deutsche Schulreformen nach PISA ................................................................................................. 15
1.2. Nationaler bildungspolitischer Konsens – was bedeutet das für die Schulen? ................................ 19
1.3. Resümee: Die Schulreformen gehen weiter .................................................................................... 23
2. Zwischen Euphorie und Abscheu: Hochschulreform der 2000er Jahre ....................................25
2.1. Der politische Kontext ...................................................................................................................... 25
2.2 Die Umsetzung an deutschen Hochschulen ...................................................................................... 27
2.3 Forschungen zur Hochschulreform ................................................................................................... 31
2.4 Resümee ........................................................................................................................................... 31
3. “Neue Lehrer braucht das Land?“ - Reform der Lehrerbildung aus der Perspektive der Schulund Hochschulreformen ...............................................................................................................32
3.1. Europäische und nationale Ausgangspunkte der Lehrerbildungsreform der 2000-er Jahre ........... 33
3.2 Vorgaben und Empfehlungen der KMK und HRK zur Reform der Lehrerbildung ............................. 36
II. Zwischen Kulturhoheit und universitärem Autonomieanspruch: Herausforderungen bei der
Realisierung von Lehrerbildungs-Reformen ............................................................................... 40
1. Kulturhoheit der Länder und universitäre Lehrerbildung .........................................................40
2. Staatsexamen in der Lehrerbildung ..........................................................................................41
3. Konkretisierungen zur Struktur-Reform der Lehrerbildung......................................................42
3.1 Strukturelle Lehrerbildungsreform: Das Beispiel Bayern .................................................................. 43
3.2 Strukturelle Lehrerbildungsreform: Das Beispiel NRW ..................................................................... 44
4. Lehrerbildung als Profilelement für Universitäten ...................................................................45
4.1 Das Lehrangebot als Indikator .......................................................................................................... 45
4.2 Schulbezogene Forschung als Profilelement..................................................................................... 46
5. Resümee ...................................................................................................................................48
III. „Non scholae, sed vitae discimus“: Lehrerbildung als lebenslanger Prozess .......................... 50
1. Erstausbildung an der Universität und im Studienseminar ......................................................50
2. Die universitäre Lehrerbildung als Grundstock für lebenslanges Lernen .................................52
2.1 Der Erwerb tiefen und flexiblen Wissens als Grundlage für die Entwicklung von Lehrerkompetenz
................................................................................................................................................................ 52
2.2 Herausforderung horizontale und vertikale Vernetzung .................................................................. 53
3. Gut vorbereitet oder Praxisschock? Der durch Studienseminare begleitete
Vorbereitungsdienst .....................................................................................................................55
3.1 Zum Ist-Zustand des Vorbereitungsdienstes ..................................................................................... 56
1
3.2 Vertikale Vernetzung ........................................................................................................................ 57
3.2.1 Herausforderungen für die vertikale Vernetzung (Vorbereitungsdienst Gymnasium) ............. 58
3.2.2 Herausforderungen für die vertikale Vernetzung (Vorbereitungsdienst Grundschule) ............ 60
3.3 Resümee ........................................................................................................................................... 61
4. Fort- und Weiterbildung: die Dritte Phase ...............................................................................62
4.1 Ausgangslagen vor den 2000er Reformen ........................................................................................ 64
4.2 Entwicklungen der 2000er Jahre ....................................................................................................... 64
4.3 Weiterer Handlungsbedarf ............................................................................................................... 67
4.3.1 Zur Freiwilligkeit von Fort- und Weiterbildung ......................................................................... 68
4.3.2 Inhaltlichkeit und Struktur der Fortbildungsangebote .............................................................. 69
4.3.2.1 Pflichtfortbildungen „Implementation kompetenzorientierter Lehrpläne” ...................... 70
4.3.2.2 Fortbildungsreihen zu Sonderthemen ............................................................................... 71
4.3.2.3 Feedbackstrukturen für die Teilnehmer ............................................................................ 72
4.4 Resümee ........................................................................................................................................... 73
IV. „Reduktion und Komplexität“: Herausforderung der inhaltlichen Ausgestaltung des
Lehramtsstudiums angesichts der Komplexität des Berufsfelds Schule ...................................... 74
1. Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften als Bezugsdisziplinen –
die drei Säulen der universitären Lehrerbildung ..........................................................................75
2. Fachdidaktiken ..........................................................................................................................76
2.1 Das Profil der Fachdidaktiken ........................................................................................................... 77
2.1.1 Fachdidaktiken und die Förderung von Unterrichtskompetenz .................................................... 78
2.1.2 Blickweitung von der schulischen auf die außerschulische Bildung .............................................. 80
2.1.3 Beiträge der Fachdidaktik zur Fachgrenzen überschreitenden Zusammenarbeit in der Forschung
................................................................................................................................................................ 82
2.1.4 Kooperation im Bereich der Pragmatik: Fachdidaktiken als Partner von Schulen und Vertretern
der Zweiten und Dritten Phase der Lehrerbildung ................................................................................. 83
2.2 Resümee: Herausforderung an die Fachdidaktiken ......................................................................... 84
3. Fachwissenschaften ..................................................................................................................85
3.1 In-Depth Content Knowledge............................................................................................................ 85
3.2 Polyvalente Nutzung fachwissenschaftlicher Module. Strukturelle Überlegungen .......................... 89
3.2.1 Ausgangslagen: Zur Struktur von Fach- und Lehramtsstudiengängen ...................................... 89
3.2.2 Vom Verhältnis von Schulfach und wissenschaftlichen Disziplinen .......................................... 90
3.2.3 Klassifizierung polyvalenter Angebote als Pflicht-, Wahlpflicht oder Wahlmodule .................. 92
3.2.3.1 Pflichtmodule .................................................................................................................... 92
3.2.3.2 Wahlpflichtbereich ............................................................................................................ 93
3.2.3.3 Wahlbereich ...................................................................................................................... 94
3.2.4 Modul-Niveaus und Ordnungen ................................................................................................ 94
3.3 Resümee. Herausforderung an die Fachwissenschaften .................................................................. 96
2
3.3.1 Studiengangsplanung ................................................................................................................ 96
3.3.2 Lehre ......................................................................................................................................... 98
4. Erziehungswissenschaften ........................................................................................................98
4.1 Ein Strukturproblem der Erziehungswissenschaften: ihre disziplinäre Heterogenität ..................... 99
4.2 Bildungswissenschaftliche Standards der KMK ................................................................................. 99
4.3 Institutionelle Lösungen .................................................................................................................. 101
4.4 Lehrerbildungszentren .................................................................................................................... 103
4.5 Resümee ......................................................................................................................................... 106
5. Theorie-Praxisbezug: Herausforderung und Problempotential für die Lehrerbildung ...........107
5.1 Berufsfeldbezug Schule: Chancen und Grenzen von Praktika/ Praxismodulen .............................. 108
5.1.1 „Allgemeine Berufsbefähigung“ als Ziel und Bestandteil aller reformierten Studiengänge ... 108
5.1.2 Schulbezug im akademischen Lehramtsstudium vor Bologna ................................................ 111
5.1.3 Herausforderungen für die aktuelle Reform der Lehrerbildung in Bezug auf den TheoriePraxiszusammenhang ....................................................................................................................... 112
5.2 Resümee ......................................................................................................................................... 114
5.3 Praxismodule statt isolierter Praktika ............................................................................................. 114
6. Lehrerkompetenzen als Querschnittkompetenz ....................................................................117
6.1 Situationsanalyse ............................................................................................................................ 117
6.2 Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenz strukturell aufbauen: der „Lehramtstrack” ...... 118
6.3 Konkrete Maßnahmen zur Entwicklung von Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenz ..... 119
6.3.1 Handlungsfelder Unterrichten und Erziehen – Förderung der Querschnittskompetenzen mit
Hilfe der Praxismodule ..................................................................................................................... 120
6.3.1.1 Kooperation der Fachdidaktiken in den Praxismodulen Unterrichten 1 und 2 ............... 121
6.3.1.2 Förderung der Querschnittskompetenzen über alle Praxismodule hinweg .................... 122
6.3.2 Handlungsfelder Unterrichten/ Beraten – Förderung der Querschnittskompetenzen mit Hilfe
von Kombimodulen .......................................................................................................................... 123
6.3.3 Handlungsfelder Innovieren/ Unterrichten: Förderung der Querschnittskompetenzen durch
fächerübergreifende Kooperationen in vernetzten Modulen ......................................................... 126
6. 4 Resümee......................................................................................................................................... 128
B. Für Schule und Leben kompetent – aber wie?: Ansatzpunkte, mit den
Herausforderungen der „Reform der Lehrerbildung” umzugehen ................................... 130
I. Ansatzpunkt: Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung....................................... 131
1. Begründung für den Ansatzpunkt „Kompetenzorientierung” ................................................132
2. Das zugrunde gelegte Kompetenzverständnis (Kompetenzorientierung 2.0) ........................135
2.1 Die Entwicklung von Lehrerkompetenz in horizontaler und vertikaler Vernetzung ....................... 136
2.2 Lehrerbildung „holistisch“ gesehen: Ein Kompetenz-Struktur-Modell für Lehrerkompetenzen als
Querschnittskompetenz........................................................................................................................ 139
2.2.1 Zur Entwicklung des Modells und zur Motivation, die dahinter stand.................................... 139
3
2.2.1.1 Methodisches Vorgehen.................................................................................................. 140
2.2.2 Zur Herausarbeitung der Kompetenzstruktur: Kompetenzbereiche ....................................... 141
2.2.3 Strukturelle Zusammenhänge ................................................................................................. 144
2.2.4 Das Kompetenzstruktur-Modell in den drei Phasen der Lehrerbildung .................................. 146
2.2.4.1 Kompetenzen zur fach- und sachbezogenen Analyse – „den Kern identifizieren“ ......... 146
2.2.4.1.1 Die universitäre Erste Phase der Lehrerbildung und ihre Bedeutung für die
Kompetenzentwicklung im Bereich „Kerne identifizieren” .................................................... 147
2.2.4.1.2 Die Zweite Phase der Lehrerbildung und ihre Bedeutung für die
Kompetenzentwicklung im Bereich „Kerne identifizieren” .................................................... 151
2.2.4.1.3 Die Dritte Phase der Lehrerbildung und die Bedeutung der Kompetenzen „Kerne zu
identifizieren” ......................................................................................................................... 153
2.2.4.2 Kompetenzen zur Selbst- und Fremdwahrnehmung und Selbst- und Fremdreflexion .. 154
2.2.4.2.1 Die Ausbildung der Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung, zur Selbst- und
Fremdreflexion an der Universität.......................................................................................... 155
2.2.4.2.2 Die Ausbildung der Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung, zur Selbst- und
Fremdreflexion im Studienseminar ........................................................................................ 156
2.2.4.2.3 Die Ausbildung der Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung, zur Selbst- und
Fremdreflexion in der dritten Phase ....................................................................................... 158
2.2.4.3 Kompetenzen zu situationsadäquaten Synthesen und Konkretisierungen .................... 159
2.2.4.3.1 Synthesen erstellen lernen: Die Ausbildung an der Universität .............................. 160
2.2.4.3.2 Synthesen erstellen lernen: Die Ausbildung im Studienseminar ............................. 161
2.2.4.3.3 Den Fort- und Weiterbildungszielen angemessene Synthesen erstellen lernen ..... 162
2.2.5 Resümee .................................................................................................................................. 162
II. Brückenschlag zwischen akademischer Wissenschaft und schulischer Praxis: Das
Selbstverständnis von Lehrkräften als scientist practitioner .................................................... 164
1. Das Konzept des scientist practitioner ...................................................................................164
2. Herausforderung, in den einzelnen Phasen ein Selbstverständnis als scientist practitioner
aufzubauen bzw. zu bewahren ...................................................................................................166
2.1 In der Universität zum scientist practitioner werden? ................................................................... 166
2.2 Im Studienseminar und in der Berufsphase scientist practitioner bleiben? ................................... 168
2.2.1 Scientist practitioner und Zweite Phase .................................................................................. 168
2.2.2 Scientist practitioner und Dritte Phase ................................................................................... 170
2.3. Resümee ........................................................................................................................................ 171
III Ausgangspunkt Evidenzbasierung. Schul- und Lehrerbildungsbezogene Studien und die
Reform der Lehrerbildung ....................................................................................................... 172
1. Zur Einordnung: Empirische Wende der Lehrerbildungsforschung ........................................172
2. Ansatzpunkt Evidenzbasierung? Überlegungen zur Relevanz der Studien für bereits laufende
Reformen der Lehrerbildung ......................................................................................................175
4
3. Ansatzpunkt Evidenzbasierung, konkretisiert an vier Studien ...............................................178
3.1 PaLea -Panel zum Lehramtsstudium (vgl. www.PaLea.uni-Kiel.de) ................................................ 178
3.1.1 Kurzvorstellung der Studie ...................................................................................................... 178
3.1.2 Zusammenhang mit Lehramt
plus
: Ansatzpunkte für die Beurteilung; Anregungen zur
Optimierung ..................................................................................................................................... 180
3.2 COACTIV: Professionswissen von Lehrkräften, kognitiv aktivierender Mathematikunterricht und die
Entwicklung mathematischer Kompetenz bei Schülern (vgl. www.mpibberlin.mpg.de/coactiv/index.html) ....................................................................................................... 182
3.2.1 Kurzvorstellung der Studie und ihrer Ergebnisse .................................................................... 182
3.2.2 Zusammenhang mit Lehramt
plus
: Ansatzpunkte für die Beurteilung; Anregungen zur
Optimierung ..................................................................................................................................... 185
3.3 BilWiss: Bildungswissenschaftliches Wissen und der Erwerb professioneller Kompetenz in der
Lehramtsausbildung .............................................................................................................................. 187
3.3.1 Kurzdarstellung der Studien und ihrer Ergebnisse .................................................................. 187
3.3.2 Zusammenhang mit Lehramt
plus
: Ansatzpunkte für die Beurteilung; Anregungen zur
Optimierung ..................................................................................................................................... 190
3.4. HiTCH („Historical Thinking – Competencies in History“): Beispiel einer Studie, die auf
Schülerkompetenzen fokussiert ........................................................................................................... 191
3.4.1 Kurzvorstellung des HiTCH-Tests und seiner Ergebnisse ......................................................... 191
3.4.2 Zusammenhang mit Lehramt
plus
: Ansatzpunkte für die Beurteilung; Anregungen zur
Optimierung ..................................................................................................................................... 195
3.5 Resümee ......................................................................................................................................... 196
C Konkretisierungen: Vor Ort mit den Herausforderung einer „Reform der Lehrerbildung“
umgehen. Das Beispiel Lehramtplus ................................................................................. 197
I. Das Konzept Lehramtplus – ein Überblick................................................................................ 197
1. Zur Einordnung in die bayerische Lehrerbildungspolitik ........................................................198
2. Das Konzept Lehramtplus: Landesvorgaben, Bologna-Strukturen und Universitätsprofil im
Einklang ......................................................................................................................................199
3. Struktur des Studienmodells Lehramtplus ................................................................................201
3.1 Idealtypische Studienpläne ............................................................................................................. 202
3.2 Detaillierung zu den Studienphasen ............................................................................................... 206
3.2.1 Sockelstudium ......................................................................................................................... 206
3.2.2 Vertiefungsphase .................................................................................................................... 208
3.2.3 Profilphase .............................................................................................................................. 209
3.2.3.1 Lehramtsstudium Gymnasium......................................................................................... 210
3.2.3.2 Lehramtsstudium Realschule .......................................................................................... 211
3.2.3.3 Lehramtsstudium Grund- und Mittelschule .................................................................... 212
5
3.2.4 Lehramtstrack ......................................................................................................................... 212
3.2.4.1 Lehramtstrack Realschule/ Gymnasium .......................................................................... 212
3.2.4.2 Lehramtstrack Grund- und Mittelschule ......................................................................... 214
4. Resümee .................................................................................................................................215
II. Konkretisierungen ............................................................................................................... 221
1. Kompetenzorientierung als Paradigma, um auf die tiefgreifenden Veränderungen der Welt zu
reagieren ....................................................................................................................................222
1.1 Schritte der Entwicklung, Überarbeitung und Optimierung ........................................................... 222
1.1.1 Reform der Reform: Kompetenzorientierte Modulbeschreibungen ....................................... 223
1.1.2 Überarbeitung der Ordnungen................................................................................................ 224
1.2 Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenzen; Maßnahmen zur Unterstützung der
Kompetenzförderung ............................................................................................................................ 224
2. Modellversuch „Kooperation Erste und Zweite Phase Lehrerbildung“ ..................................226
2.1 Projektstruktur ................................................................................................................................ 227
2.1.1 Fachgruppen............................................................................................................................ 227
2.1.2 Plenartage ............................................................................................................................... 227
2.1.3 Koordinatorentreffen .............................................................................................................. 228
2.1.4 Projektleitung .......................................................................................................................... 228
2.2 Klären des Ist-Zustands der Kompetenzförderung in den beiden Phasen ...................................... 228
2.3 Maßnahmen und Konzepte zur Optimierung einer auf das Paradigma Kompetenzorientierung
ausgerichteten Lehrerbildung ............................................................................................................... 229
2.3.1 Seminarlehrkräfte an die Universität ...................................................................................... 230
2.3.2 Dozenten ins Seminar ............................................................................................................. 231
2.3.3 Tandems zwischen Studierenden und Referendaren ............................................................. 231
2.3.4 Gemeinsame Ausbildung von Praktikumslehrkräften ............................................................. 231
2.4 Mehrwert der Vernetzung zwischen Universität und Studienseminar ........................................... 232
2.5. Kostenneutral? ............................................................................................................................... 233
3. Zur Beteiligung der KU an der Lehrerfortbildung für die Dritte Phase ...................................233
3.1 Grundsätzliche Überlegungen ......................................................................................................... 233
3.2. Erläuterung an konkreten Beispielen ............................................................................................. 236
3.2.1 Sichtbarmachen der KU als Akteur in der Fortbildung der Dritten Phase ............................... 236
3.2.2 Von der Einzelveranstaltung zu Fortbildungsreihen und begleitendem Coaching der
Teilnehmenden ................................................................................................................................ 237
3.2.3 Kompetenzorientiertes Geschichtslernen und digitale Lehr-Lernmittel ................................. 240
D. Resümee .................................................................................................................... 243
Bibliographie .................................................................................................................. 246
Literaturverzeichnis ................................................................................................................. 246
6
Literaturangaben ........................................................................................................................246
Internetangaben .........................................................................................................................261
7
A. Die Quadratur des Kreises? Oder:
Warum die Reform der Lehrerbildung
eine besondere Herausforderung für alle
Akteure darstellt
0. Zur Einordnung
Lehrer bzw. Lehrerin1 zu sein zählt zu den verantwortungsvollsten Berufen in einer
Gesellschaft und Lehrerbildung zu den größten Herausforderungen des Bildungssystems:
Lehrkräfte tragen dazu bei, der kommenden Generation das Rüstzeug mitzugeben, ihr Leben
mit seinen sich ständig wandelnden Situationen zu meistern. Der indirekt auf Seneca
zurückgehende Aphorismus „Non scholae, sed vitae discimus“ fasst dies zusammen.2 Weil es
das Leben ist, für das Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler vorbereiten sollen, müssen
Lernen und Lehren, muss Schule als Ganze sich daran orientieren, was zu einem erfüllten
Leben notwendig ist. Was, wie und warum gelernt werden soll, ist deshalb ständigen
Änderungen unterworfen. Kontextgebundenheit und Komplexität kennzeichnen demzufolge
auch die Lehrerbildung. Ihre Institutionalisierung ist eine daraus sich ergebende Konsequenz;
Institutionalisierung wiederum führt zur Notwendigkeit, Lehrerbildung in Reformen an je
neue Bedingungen anzupassen.
1
Im Sinn der Geschlechtergerechtigkeit vermeidet der vorliegende Text das generische Maskulinum
weitgehend. Er sieht jedoch dort, wo sich eine geschlechtsneutrale Pluralbildung nicht sinnvoll vollziehen lässt
bzw. den Lesefluss hemmt, von der genderkorrekten Sprachregelung ab.
2
In Senecas Kritik an den Philosophenschulen seiner Zeit lautet der Satz ursprünglich: „Non vitae, sed scholae
discimus“. Vgl.: Seneca. Epistulae morales ad Lucilium. 106, 12, zit. nach: Fink, G., Holzberg, N., Nickel, R.,
Zimmermann, B. (wiss. Ber.) (2007): Seneca. Epistulae morales ad Lucilium. In: Sammlung Tusculum.
Düsseldorf: Artemis & Winkler. Wer die Satzglieder aus welchem Grund umgestellt hat, ist nicht mehr
nachzuvollziehen. Aus dem Briefwechsel Senecas mit Lucilius über Ethik geht aber hervor, dass bereits Seneca
die mangelnde Lebensorientierung von Schule kritisiert. In der Umkehrung „non scholae, sed vitae discimus” ist
die Forderung zu einem geflügelten Wort geworden, das zur Kritik an Schule wie auch als Orientierung für
Schule genutzt wird.
8
Der Band „Reform der Lehrerbildung: Zwischen Zwängen der Praxis, Erkenntnissen der
Theorie und Evidenzen der Empirie“ fokussiert die Situation der 2000-er Jahre. Dabei werden
drei Aspekte als wesentlich betrachtet:
1. Der eigentliche Bezugspunkt jeder Lehrerbildung sind die Schülerinnen und Schüler,
und das, was sie als Rüstzeug für ihr Leben brauchen. Reformen der Lehrerbildung
müssen sich auf die Welt beziehen, in der sie leben und lernen werden.
2. In den die aktuelle Welt maßgeblich prägenden Wissensgesellschaften erfolgt die
Erstausbildung von Lehrkräften als akademische Ausbildung an Hochschulen; sie
schafft die Grundlage für das lebenslange Weiter-Lernen im Beruf. Reformen der
Lehrerbildung müssen ein wissenschaftsbasiertes lebenslanges Lernen zum Ziel
haben.
3. Lehrerbildung muss Theorie und Praxis in ein Verhältnis setzen, das Lehrkräfte
befähigt, ihre Aufgaben im Rahmen der Schule zu erfüllen; alle an den
unterschiedlichen Phasen der Lehrerbildung beteiligten Institutionen müssen dazu
ihren Beitrag leisten. Reformen der Lehrerbildung müssen das Theorie-PraxisVerhältnis neu denken.
Der vorliegende Band ist dreigeteilt: Im ersten Teil werden zuerst die Herausforderungen
dargestellt, mit denen eine Reform der Lehrerbildung konfrontiert ist. Daran anschließend
werden in Teil zwei Ansatzpunkte
Herausforderungen
zu
meistern.
herausgearbeitet, die es erlauben könnten, die
In
Teil
drei
wird
als
Konkretisierung
das
Lehrerbildungskonzept der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt vorgestellt. Am
konkreten Beispiel verdeutlicht sich der komplexe Zusammenhang zwischen Zwängen der
Praxis, Erkenntnissen der Theorie und Evidenzen der Empirie. Ein Resümee schließt den
Band ab, das vor dem Horizont, dass sich die Reformen der Lehrerbildung notwendig
fortsetzen werden, optimistisch machen will, u.a. auch, indem auf vermeidbare Probleme
aufmerksam gemacht wird.
In Teil A wird als erste „Herausforderung” die Ausgangslage dargestellt: Schul- und
Hochschulreformen haben längst begonnen. Erste Etappen sind abgeschlossen, die nächsten
Schritte sind geplant, dabei muss auf neue Situationen reagiert, Kritik muss berücksichtigt
werden. Schul- und Hochschulreformen unterscheiden sich auf den ersten Blick beträchtlich;
der zweite Blick offenbart auch Gemeinsamkeiten. Kritiker machen als gemeinsame Basis
9
z.B. eine zunehmende Ökonomisierung der Bildung aus.3 Mitträger der Reformen negieren
die Bedeutung der Bildungsökonomie zwar nicht, sehen sie aber nur als einen Motor unter
mehreren an. Durch die Reformen an den Schulen und den Hochschulen werden auf jeden
Fall Fakten geschaffen. Die Reform der Lehrerbildung ist gezwungen, sich daran zu
orientieren. Die Herausforderung für die Reform der Lehrerbildung besteht darin, sich im
Reagieren auf geschaffenen Fakten dennoch Spielräume zu bewahren, um Impulse für eine
Weiterentwicklung der Lehrerbildung und damit der Schule zu setzen.
Ebenfalls unter „Macht des Faktischen” ist die zweite der dargestellten Herausforderungen zu
subsumieren. Sie wendet sich der Realisierung von Lehrerbildungsreform an deutschen
Hochschulen zu und betrachtet das Spannungsverhältnis, das notwendig zwischen der
Kulturhoheit der Länder über Schule und Lehrerbildung auf der einen und der Profilbildung
und Autonomisierung4 der einzelnen Hochschule auf der anderen Seite entsteht. An zwei
Beispielen (Bayern und Nordrhein-Westfalen) werden unterschiedliche Wege der
Realisierung skizziert. Abschließend wird schulbezogene Forschung als Chance aufgezeigt,
Lehrerbildung als Profilelemente von Hochschulen zu etablieren.
Eine andere Ausrichtung kommt mit der dritten Herausforderung ins Spiel: Reformen müssen
sich auch auf „Lehrer-Bildung als lebenslangem Prozess” beziehen. Auf die Erstausbildung
an Hochschulen und im Studienseminar folgt die Fort- und Weiterbildung während der
Berufstätigkeit. Die Phasen werden vorgestellt und in Bezug zueinander gesetzt, wobei betont
wird, dass die Herausforderung darin besteht, dass es in allen Phasen nicht nur um das
„Lernen von” gehen darf, sondern jeweils auch um das „Verfügen Können über” das Gelernte
in je neuen Situationen. Das durch die Verknüpfung der Phasen angestrebte Lebenslange
3
Nach Thomas Höhne ist Ökonomisierung „ein vielfältiges Phänomen der Transformation auf verschiedenen
Ebenen, die von Feldern, Akteuren, Organisationen über Praktiken und Interaktionen bis hin zu
Subjektivierungsformen reichen“. In: Höhne, T. (2015). Ökonomisierung und Bildung. Zu den Formen
ökonomischer Rationalisierung im Feld der Bildung. Wiesbaden: Springer, S. 13. Vgl. hierzu auch Rekus, J.
(Hrsg.) (2005). Bildungsstandards, Kerncurricula und die Aufgabe der Schule. Münster: Aschendorff.
4
Bezogen auf „Autonomie” wird an dieser Stelle auf eine ausführlichere theoretische Kontextualisierung
verzichtet. Sie müsste die Forderung Humboldts auch nach der Autonomie der Bildungsinstitutionen kritisch
reflektieren (vgl.: Humboldt, W. (1810/1964). Über die innere und äußere Organisation der höheren
wissenschaftlichen Anstalten in Berlin. In A. Flitner & K. Giel. (Hrsg.), Wilhelm von Humboldt, Schriften zur
Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt.), sie mit der im deutschen Grundgesetz (Art. 7, Abs. 1) festgelegten
Rolle des Staats als Garant für Bildung in Bezug setzen, auch auf die damit verbundene Rolle des Staats
Kontrolleur des Bildungssystems eingehen, dabei den Bezug zu transnationalen Reformträgern (wie EU, OECD,
UNESCO) herstellen sowie zum deutschen Föderalismus. Dabei müsste auch auf Pierre Bourdieus kritische
Perspektive auf die Möglichkeit der Autonomie von Bildung eingegangen werden (vgl.: Bourdieu, P. &
Passeron, J.-C. (1971). Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens
am Beispiel Frankreichs. Stuttgart: Klett.).
10
Lernen wird dabei als Ausdruck eines Bildungsprozesses gesehen, der die Lehrkraft zu einem
wissensbasierten, eigenständigen Agieren in den Handlungsfeldern der Schule befähigt.5
Der vierte Zugriff stellt die Komplexität des Berufsfelds als Herausforderung für die
universitäre Lehrerbildung im Zentrum. Dafür werden drei Zugriffen gewählt: (1) In der
Auseinandersetzung mit Fachdidaktiken, Fachwissenschaften und Erziehungswissenschaften
als Bezugsdisziplinen universitärer Lehrerbildung werden Prinzipien, Methoden und Inhalte
in den Blick genommen, die jeweils vermittelt werden sollten, damit Lehramtsstudierende
ihre Professionalität grundlegen können, die sie später als Lehrkräfte kontinuierlich
weiterentwickeln müssen. (2) Mit dem Theorie-Praxisbezug wird ein Problemfeld der
universitären Lehrerbildung beleuchtet, das über „employment” als Ziel aller Bachelor- und
Masterstudiengänge
deutliche
hinausreicht.
Dabei
wird
u.a.
herausgestellt,
dass
Lehrerbildungsreformen unter Berufsfeldbezug mehr als Praktika verstehen müssen; zudem
werden strukturelle Maßnahmen diskutiert, um den Theorie-Praxiszusammenhang als
Aufgabe des gesamten Studiums zu verdeutlichen. Abschließend wird verdeutlicht, (3) worin
die Herausforderung für Hochschulen besteht, die Entwicklung von Lehrerkompetenz als
Querschnittskompetenzen zu fördern. Strukturelle Maßnahmen und konkrete Beispiele
werden vorgestellt.
Bei der Suche nach Ansatzpunkten, die bestehenden Herausforderungen für eine Reform der
Lehrerbildung zu meistern, modellieren wir im zweiten Teil des Bandes auf einer Metaebene
drei Lösungsansätze: den Paradigmenwechsel hin zu einer „Kompetenzorientierung 2.0”, das
Konzept
der
Lehrkraft
als
„scientist
practitioner”
und
die
Chancen,
die
eine
„Evidenzbasierung durch empirische Forschung” bergen kann. Die Lösungsansätze setzen
jeweils an vorfindlichen Forschungs- und Entwicklungsständen an sowie an der daran
geäußerten Kritik und führen die Konzepte so aus, dass ihr Potenzial innerhalb einer Reform
der Lehrerbildung sichtbar wird.
Kompetenzorientierung 2.0 wird zuerst als das Paradigma herausgearbeitet, mit dem auch im
Bildungsbereich auf die tiefgreifenden Veränderungen der Welt reagiert werden kann; eine
Abgrenzung gegenüber einer verkürzten, ausschließlich unter „Ökonomisierung von Bildung”
subsumierten Rezeptionen erfolgt. Zum Konkretisierung werden Ansätze skizziert, die die
Entwicklung von Lehrerkompetenzen in horizontaler und vertikaler Vernetzung unterstützen.
Die Überlegungen zum Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung werden
5
Lebenslanges Lernen wird dezidiert abgegrenzt von der von Peter Kossack im online-Glossar Ökonomisierung
der Bildung vorgetragenen Sicht, Lebenslanges Lernens als politische und ökonomische Machtstrategien zu
verstehen, die Expansionslogiken folgt, „die pädagogisch rationalisiert werden”. Vgl. Kossak, P. (2013).
Lebenslanges Lernen, URL http://www.gloeb.de/index.php?title=Lebenslanges_Lernen.
11
abgeschlossen mit einem Vorschlag zur Modellierung eines phasenübergreifenden
Kompetenzstrukturmodells
Lehrerkompetenzen
in
für
der
Kompetenzmodellierungen
Lehrkräfte,
ganzen
üblich,
Breite
wurde
an
dem
sich
ausrichten
das
die
könnte.
Förderung
Anders
Strukturmodell
von
als
bei
„Holistische
Lehrerkompetenzen“ nicht im Rahmen eines Forschungsprojekts erarbeitet, sondern in
Kooperation zwischen Wissenschaftlern und Praktikern. Um den Mehrwert einer Orientierung
an einem fach- und phasenübergreifenden Kompetenzstrukturmodell zu verdeutlichen, wird
gezeigt, wie die Kompetenzentwicklung in den ausgewiesenen Kompetenzbereichen in den
drei Phasen der Lehrerbildung gefördert werden könnte.
Als zweiter Ansatzpunkt, um die mit der Reform von Lehrerbildungen verbundenen
Herausforderungen zu meistern, wird das Konzept des „scientist practitioners” vorgestellt
und wiederum in seiner Relevanz für alle Phasen der Lehrerbildung diskutiert. Es geht dabei
darum,
Wissenschaftsbasiertheit
und
Forschungsnähe
als
Chance
für
die
Praxis
herauszuarbeiten, die einschließt, dass der „scientist practitioner” auch praxisgetriebene
Forschung initiieren und mittragen kann.
Schließlich wird die durch empirische Forschung eröffnete Evidenzbasierung als Ansatzpunkt
für die Bewältigung der Reformansprüche herausgearbeitet. Dies wird an vier Studien
verdeutlicht: der PaLea-Studie, einer Panel-Studie, die explizit auf die aktuellen
Reformansätze fokussiert und nach deren Wirkungen für Lehramtsstudierende fragt; den
COACTIV-Studien,
die
horizontal
wie
vertikal
die
Vernetzung
zwischen
fachwissenschaftlichen und fachbezogenen Kompetenzausprägungen im mathematischen
Bereich untersuchen; den BilWiss-Studien, die der Rolle der bildungswissenschaftlichen
Kompetenzen in der Erstausbildung angehender Lehrkräfte nachgehen und der HiTCHStudie,
an
der
zuerst
gezeigt
wird,
dass
auch
geisteswissenschaftliche
Kompetenzausprägungen im Large-Scale-Format erfasst werden können, ehe in einem
zweiten Schritt die Bedeutung von Schulforschung für die Lehrerbildung heraus gestellt wird.
Teil drei des Bandes zeigt an einem konkreten Lehrerbildungsmodell die Komplexität auf, die
sich aus dem Zusammentreffen von Zwängen der Praxis, Erkenntnissen der Theorie und
Evidenzen der Empirie ergibt. Als Beispiel wird die Katholischen Universität EichstättIngolstadt gewählt, eine Universität, die Lehrerbildung nicht als lästige Pflicht, sondern als
Profilelement versteht. Das Modell Lehramtplus wurde im Rahmen der Ausschreibung der
bayerischen Staatsministerien für Unterrichts und Kultus bzw. Wissenschaft, Forschung und
Kunst als staatlich anerkannter Modellversuch entwickelt. Als solcher war Lehramtplus
12
einerseits verpflichtet, die bestehenden landesspezifischen und nationalen Vorgaben zu
berücksichtigen, andererseits konnten die durch die Modellversuchsklausel eröffneten
Spielräume genutzt werden, um sowohl bei der Entwicklung als auch im Optimierungsprozess
auf Veränderungsbedarfe einzugehen. Damit ist der Modellversuch in besonderem Maße
geeignet, Zwänge und Möglichkeiten herauszuarbeiten, vor denen die Reform der
Lehrerbildung steht. Dazu wird Lehramtplus zuerst im Überblick vorgestellt. Dann werden drei
Maßnahmen skizziert, die darauf zielen den Paradigmenwechsel zur Kompetenzorientierung
zu unterstützen. Dabei geht es zunächst um Maßnahmen zur Optimierung des Studiums,
sodann um die Kooperation mit der Zweiten Phase und schließlich um die Mitwirkung an
Fortbildungsmaßnahmen für die Dritte Phase.
Der Band schließt mit einem Resümee, das abwägend Problemlagen und positive Ansätze
einander gegenüberstellt und abschließend Entwicklungen herausstellt, die als Macht des
Faktischen die Reformen der Lehrerbildung vorantreiben könnten.
I.
Zwischen
Schul-
und
Hochschulreformen:
Herausforderungen an die Lehrerbildungsreform
1. Schulreformen der 2000-er Jahre
Die seit den frühen 2000-er Jahren initiierten Schulreformen waren nicht zuletzt die Folge der
unerwartet schwachen Ergebnisse deutscher Schülerinnen und Schüler bei internationalen
Vergleichsuntersuchungen zur Schulleistung. Die Schwächen, die TIMSS 19956 bezogen auf
6
TIMSS steht als Akronym bis 2003 für „Third International Mathematics and Science Study“; seitdem für
„Trends in International Mathematics and Science Study“. Seit 1995 werden im vierjährigen Turnus von der
International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) die Schulleistungen in
Mathematik und Naturwissenschaften in der Grundschule und in der Sekundarstufe I und II untersucht. 1995
13
Mathematik bei Schülerinnen und Schülern der 7. und 8. Klassen bzw. der Sekundarstufe II
offen gelegt hatte, traten in den Ergebnisse der PISA-2000-Studie für 15-Jährige noch
deutlicher zu Tage: In den dort untersuchten Schwerpunkten Lesekompetenz, mathematische
und naturwissenschaftliche Grundbildung lagen die deutschen Schülerinnen und Schüler unter
dem OECD7-Durchschnitt. Ebenso unerwartet und gegenläufig zu den Zielen eines
gegliederten Schulsystems war die großer Heterogenität der Ergebnisse. Außerdem stach
hervor, dass die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler kaum über die
Kompetenzausprägungen verfügten, die als grundlegend für ihre individuelle Entwicklung,
die gesellschaftliche Teilhabe und das berufliche Fortkommen eingeschätzt werden.8
Die Empfehlungen, die OECD und KMK aufgrund der Ergebnisse aussprachen, brachten
Reformprozesse in allen Bundesländern in Gang, die bis heute nicht abgeschlossen sind.
Diese Entwicklung stößt nicht nur auf Zustimmung. Gegner kritisieren an PISA und den
darauf fußenden Reformen z.B. den dort vertretenen Kompetenzansatz und das zugrunde
liegende Bildungsverständnis, die als zutiefst ökonomisch ausgerichtet wahrgenommen
nahm Deutschland erstmals an der Erhebung teil. Zum Einsatz kamen neben Fragebögen für Schülerinnen und
Schüler auch Fragebögen für Lehrkräfte und die Schulleitungen, dazu im 3-Länder-Vergleich zwischen
Deutschland, den USA und Japan Videographien. Zu den Ergebnissen der „paper and pencil“-Erhebungen vgl.
z.B. Baumert, J., Bos, W. & Lehmann, R. (2000). TIMSS/III Dritte Internationale Mathematik- und
Naturwissenschaftsstudie — Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn.
Band 1 Mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung am Ende der Pflichtschulzeit. Wiesbaden: VS;
Baumert, J., & Lehmann R., (2000). 2. TIMSS/III, Dritte Internationale Mathematik- und
Naturwissenschaftsstudie - Mathematische und naturw. Mathematische und physikalische Kompetenzen am
Ende der gymnasialen Oberstufe. Opladen: Leske+Budrich; Reusser, K., Pauli, C. & Waldis, M. (2010).
Unterrichtsgestaltung und Unterrichtsqualität. Ergebnisse einer internationalen und schweizerischen Videostudie
zum Mathematikunterricht. Münster: Waxmann.
7
OECD ist das Akronym für The Organisation for Economic Cooperation and Development. Dass eine
Wirtschaftsorganisation, die dafür keine demokratische Legitimation hat, zu einem der zentralen
bildungspolitischen Akteure wird, erfährt insbesondere unter den Kritikern der Ökonomisierung von Bildung
deutliche Kritik (vgl.; Henry, M., Lingard, B., Rizvi, F. & Taylor, S. (2001). The OECD, globalization and
education policy. Amsterdam: Pergamon; vgl. hierzu auch die Kritik, die in mehreren Beiträgen des onlineGlossars Ökonomisierung der Bildung geäußert wird: Beiträge des online-Glossars Ökonomisierung der
Bildung. URL http://www.gloeb.de/index.php?title=Glossar.
8
PISA steht als Akronym für „Programme for International Student Assessment“ und untersucht Schülerinnen
und Schüler einer Altersstufe (15-Jährige) in Bezug auf ihre Lesekompetenz, mathematische Kompetenz und
naturwissenschaftliche Grundbildung, also auf Fertigkeiten zur Bewältigung von lebensweltlichen Problemen.
Die OECD schätzt die untersuchten Kompetenzen als „relevant [...] für persönliches, soziales und ökonomisches
Wohlergehen“ ein (OECD, 1999). Zugrunde liegt das angelsächsische literacy- und numeracy-Konzept. Die
Studie wird alle 3 Jahre wiederholt; in Deutschland wurde sie erstmals 2000 durchgeführt; nationale
Erweiterungen haben sich inzwischen eingebürgert. Nicht zuletzt wegen der weltweit hohen bildungspolitischen
Bedeutung werden das Konzept, die Ergebnisse und deren Interpretation kontrovers diskutiert. (vgl. OECD.
(1999). URL http://www.oecd.org/berlin/themen/pisa-internationaleschulleistungsstudiederoecd.htm. Während
die Einschätzungen von PISA-affinen Wissenschaftlern über Homepages der Träger-Institutionen (BMBF, IPN,
TUM, DIPF, IPN) gut zu erschließen sind, gilt dies für die Kritik erst in Ansätzen. Einen Zugang eröffnet der
wirksame offene Brief der Gegner an die OECD: Vgl. Offener Brief an die OECD. (2014). URL http://bildungwissen.eu/wp-content/uploads/2014/05/offener-brief-schleicher-autoriserte-fassung.pdf. Zunehmend sammeln
die Kritiker sich unter dem Stichwort der „Ökonomisierung von Bildung”. Vgl. u.a. Beiträge des online-Glossars
Ökonomisierung der Bildung. URL http://www.gloeb.de/index.php?title=Glossar; vgl. Höhne, T. (2015); Krautz,
J. (2007). Pädagogik unter dem Druck der Ökonomisierung. Zum Hintergrund von Standards, Kompetenzen und
Modulen. Pädagogische Rundschau, 1, S. 81-93.
14
werden.9 Die Aufgabenkonstruktion wird aus den Fächern heraus teilweise kritisch gesehen.10
Insbesondere Pädagoginnen und Pädagogen kritisieren die Machtverschiebungen in der
Bildungsforschung und Bildungsberatung auf das „PISA-Regime” und auf diejenigen, die zur
Evidenzbasierung mit Hilfe von Large-Scale-Assessments beitragen.11 Heftige Kritik an PISA
äußern auch die Protagonisten von materialen Bildungscanones.12
Um vor diesem Hintergrund zu einer Einschätzung der aktuellen deutschen Schulreformen
gelangen und Konsequenzen für Reformen der Lehrerbildung bedenken zu können, werden
die Reformmaßnahmen im Folgenden entlang der für Deutschland bindenden Beschlüsse der
KMK vorgestellt.
1.1. Deutsche Schulreformen nach PISA
Eine Grundlage der laufenden Reformen bildet der Konstanzer Beschluss der KMK aus dem
Jahre 199713: Er leitete die so genannte empirische Wende in der Bildungspolitik ein. Die
9
Vgl. u.a. Hartong, S. (2012). Basiskompetenzen statt Bildung? Wie PISA die deutschen Schulen verändert hat.
Frankfurt am Main: Campus-Verlag; Flitner, E., (2006). Pädagogische Wertschöpfung. Zur Rationalisierung von
Schulsystemen durch public-private-partnerships am Beispiel von PISA. In J. Oelkers, R. Horlacher, R. Casale
(Hrsg.), Rationalisierung und Bildung bei Max Weber. Beiträge zur Historischen Bildungsforschung (S. 245266). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.; Liebau, E. (2005). Nach PISA: Die Kultivierung des Lernens. In: V.
Frederking, H. Heller, A. Scheunpflug, (Hrsg.), Nach PISA. Konsequenzen für Schule und Lehrerbildung nach
zwei Studien (S. 51-61). Wiesbaden: VS.
10
Fachliche Kritik z.B. an den Aufgaben zur mathematischen Kompetenz kommt u.a. vom
Mathematikdidaktiker Wolfram Meyerhöfer (Vgl. Meyerhöfer, W. (2005). Tests im Test: Das Beispiel PISA.
Opladen: Budrich); vgl. auch die Beiträge zu Mathematik im Sammelband Hopmann, S. (Hrsg.) (2007). PISA
zufolge PISA. Hält PISA, was es verspricht? PISA according to PISA. Does PISA keep, what it promises? Wien:
LIT-Verlag. Vgl. Klein H.-P., Jahnke Th., Kühnel W., Sonar T. & Spindler M. (2014). Sind Hamburgs
Abiturienten mathematisch und naturwissenschaftlich klüger geworden? Nach welchen Maßstäben übertrifft das
achtjährige Gymnasium das neunjährige? Qualitative Analyse der in den Studien KESS 12 und KESS 13
eingesetzten Testinstrumente im Bereich Mathematik/Naturwissenschaften. Vierteljahrsschrift für
wissenschaftliche Pädagogik, 89.
11
Kritik am „PISA-Regime” äußern z.B. der Pädagoge Andreas Gruschka, (vgl. Gruschka, A. (2011). Verstehen
lehren. Ein Plädoyer für guten Unterricht. Stuttgart: Reclam); der Soziologe Richard Münch (vgl.: Münch, R.
(2009). Globale Eliten, lokale Autoritäten: Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey &
Co. Frankfurt am Main: Suhrkamp); der Erziehungswissenschaftler Heinz-Dieter Meyer (Meyer, H.-D. &
Benavot, A. (2013). PISA, Power, and Policy: the emergence of global educational governance. Didcot:
Symposium; dies.: Global Benchmarking in Education. Who Succeeds at PISA and Why? in press).
12
Die Liste reicht von Manfred Fuhrmann (Fuhrmann, M. (2004). Der europäische Bildungskanon. Frankfurt am
Main u.a.: Insel-Verlag), über Dietrich Schwanitz (Schwanitz, D. (2002). Bildung. Alles, was man wissen muß.
München: Goldmann) zu Josef Kraus (Kraus, J. (2005). Der PISA Schwindel. Unsere Kinder sind besser als ihr
Ruf. Wie Eltern und Schule Potentiale fördern können. Wien, München: Signum).
13
„Die Durchführung regelmäßiger länderübergreifender Vergleichsuntersuchungen zum Lern- und
Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern ausgewählter Jahrgangsstufen an allgemeinbildenden Schulen ist
dabei eine wichtige Ergänzung der länderbezogenen Qualitätssicherungsmaßnahmen und ermöglicht für jedes
Land Rückschlüsse im Hinblick auf die jeweils gewählten Methoden und Maßnahmen zur Qualitätssicherung.”
Vgl. Grundsätzliche Überlegungen zu Leistungsvergleichen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland –
15
KMK bezeichnet dies als „Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik in Deutschland im
Sinne von Ergebnisorientierung, Rechenschaftslegung und Systemmonitoring“14: Das Ziel ist,
u.a. mit Hilfe länderübergreifender Vergleichsstudien15 „Stärken und Schwächen des
Bildungssystems in Deutschland insgesamt und in den 16 Ländern“ zu identifizieren sowie
geeignete Reformmaßnahmen umzusetzen”.16
Nach den desaströsen Ergebnissen bei den ersten Vergleichsstudien einigten Länder und
KMK sich schnell auf relevante Handlungsfelder für eine als geboten angesehene
Schulreform.17 Die in den einzelnen Ländern zu realisierenden Maßnahmenpakete zielen auf:
•
die Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im vorschulischen Bereich,
•
die enge Verzahnung vorschulischer Erziehung mit der Grundschule,
•
die Verbesserung der Grundschulbildung,
•
die
durchgängigen
Verbesserung
der
Lesekompetenz
und
des
grundlegenden
Verständnisses mathematischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge,
•
die wirksame Förderung bildungsbenachteiligter Kinder, insbesondere auch mit
Migrationshintergrund, u.a. durch den Ausbau von Ganztagsangeboten,
•
die Entwicklung verbindlicher Standards,
•
kontinuierliche ergebnisorientierte Evaluation als Grundlage für die Weiterentwicklung
und Sicherung der Qualität von Unterricht und Schule.
Die KMK sah die Notwendigkeit, die in den Ländern eingeleiteten Maßnahmen zu
koordinieren. Unter anderem sollte die Input-Orientierung, wie im Konstanzer Beschluss
bereits angelegt, durch eine konsequente Outcome-Orientierung ersetzt werden. Die
entscheidende Maßnahme war die Vereinbarung, länderübergreifende Bildungsstandards18 für
Konstanzer
Beschluss
(1997).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/1997/1997_10_24-Konstanzer-Beschluss.pdf.
14
Vgl. Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring, 2006, S. 5.
15
Der Terminus „länderübergreifend” umfasst wegen des deutschen Föderalismus und der Kulturhoheit der
Bundesländer neben den internationalen Studien auch ländervergleichende Studien innerhalb Deutschlands.
16
Beschluss der 350. Kultusministerkonferenz vom 11.06.2015: Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz
zum Bildungsmonitoring (2015) S. 3. URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_06_11-GesamtstrategieBildungsmonitoring.pdf.
17
Beschluss der 299. Kultusministerkonferenz vom 17./18.10.2002: PISA 2000 – Zentrale Handlungsfelder.
Zusammenfassende Darstellung der laufenden und geplanten Maßnahmen in den Ländern. Vgl. Beschluss der
299. Kultusministerkonferenz. PISA 2000 – Zentrale Handlungsfelder. Zusammenfassende Darstellung der
laufenden
und
geplanten
Maßnahmen
in
den
Ländern
(2002).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2002/massnahmen.pdf.
18
Klieme E., Avenarius, H., Blum, W., Döbrich, P., Gruber H., Prenzel, M., Reiss, K., Riquarts, K., Rost, J.,
Tenorth, H.-E., & Vollmer H. J. (2003). Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, Bonn/Berlin. URL
https://www.bmbf.de/pub/zur_entwicklung_nationaler_bildungsstandards.pdf); Brenner, D. (Hrsg.) (2007).
16
als zentral erachtete Fächer19 und verschiedene Phasen der schulischen Ausbildung zu
erarbeiten und dann systematisch zu überprüfen, inwiefern die Standards erreicht würden.20
Die Arbeit an den Bildungsstandards setzte noch 2002 ein; die Standards werden sukzessive
optimiert. Verabschiedet wurden
A. einheitliche Prüfungsanforderungen (EPA) für die Abiturprüfung (2002; 200821).
Kompetenzorientierte EPAs wurden ab 2002 zuerst für die in den Ländervergleichen
überprüften Fächer vorgelegt, ab 2004 auch für die weiteren Abiturfächer;22 2012
wurden in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch
Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife verabschiedet, die die EPAs in
diesen Fächern ersetzen und ab 2016/17 für die Gestaltung der Abiturprüfungen in
allen Bundesländern grundlegen werden.
B. Vereinbarung
über
Bildungsstandards
für
den
Mittleren
Schulabschluss
(Jahrgangsstufe 10, für Deutsch, Mathematik, Erste Fremdsprache (2003); für
Biologie, Physik, Chemie (2004)). Vereinbarung über Bildungsstandards für den
Primarbereich (Jahrgangsstufe 4, für Deutsch und Mathematik (2004); vgl. dazu
auch: Empfehlungen zur Arbeit in der Grundschule in der letzten Aktualisierung von
2015).
C. Vereinbarung über Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss (Jahrgangsstufe
9, für Deutsch, Mathematik, Erste Fremdsprache (2004)).
Trotz der Optimierungsmaßnahmen verstummt die Kritik an Bildungsstandards nicht. Die
Kritiken setzen an unterschiedlichen Stellen an: Zum Teil wird diskutiert, inwiefern
Standardsetzung nicht per se unvereinbar mit „Bildung” sei23 und Ausdruck ihrer als
wesensfremd empfundenen Ökonomisierung; zum Teil wird jede Form einer auf Standards
Bildungsstandards. Instrumente zur Qualitätssicherung im Bildungswesen. Chancen und Grenzen - Beispiele und
Perspektiven. Paderborn: Schöningh.
19
Wie im internationalen Vergleich wurde der Fokus auf Mathematik, Naturwissenschaften, Deutsch und die
erste Fremdsprache gelegt.
20
Die empirische Überprüfung der angezielten Kompetenzen ist eines der Forschungsfelder, das durch die
Reformdebatte starke Impulse erfahren hat: Vgl. z.B. Prenzel, M., Gogolin, I. & Krüger, H.-H. (Hrsg.) (2007).
Kompetenzdiagnostik. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft Sonderheft 8; vgl. die Ausschreibungen von
Forschungsförderungsprogrammen durch DFG und BMBF. URL http://www.empirische-bildungsforschungbmbf.de/de/1367.php).
21
Vgl.
Einheitliche
Prüfungsanforderungen
(EPA)
für
die
Abiturprüfung
(2008).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2008/2008_10_24-VB-EPA.pdf;
22
Die EPA der einzelnen Fächer von der KMK. URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/1989/1989_12_01-FACH. veröffentlicht.
23
Vgl. u.a. Euler, P. (2011). 10 Thesen zu Bildungsstandards. URL http://www.abpaed.tudarmstadt.de/anu/forschung12/10thesen/10thesen.de.jsp) oder Herzog, W. (2013). Bildungsstandards. Eine
kritische Einführung. Stuttgart: Kohlhammer.
17
bezogenen Messung/ Testung grundsätzlich abgelehnt,24 manchmal sogar unter Ideologieund Manipulationsverdacht gestellt. Andere Kritiken beziehen sich präziser auf die in den
Testungen eingesetzten Messinstrumente und kritisieren die derzeit damit einhergehende
kognitivistische Verengung, die damit verbundene Normsetzung und die Art der
Niveaubestimmung. Eine weitere Gruppe von Kritikern moniert, dass der Standardsetzung
keine fach- und sachbezogene Kompetenzmodellierung vorausgegangen sei,25 erst Recht
keine empirische Überprüfung der Modellierung; damit mangele es an einer belastbaren
wissenschaftlichen Basis. Wieder andere üben „nur” Detailkritik.
Von staatlicher Seite findet die Generalkritik keine Beachtung; auf andere Kritiken wird von
Fall zu Fall Rücksicht genommen. Weil die KMK und die Länder die Überprüfung, inwiefern
die gesetzten Bildungsstandards erreicht werden, nicht auf das Ende der schulischen
Laufbahn26 bzw. eine Altersgruppe (die der 15-Jährigen) konzentriert sehen wollen, kamen
die Kultusminister bereits 2002 überein, länderübergreifende Aufgabenpools zu entwickeln,
die auch in anderen Altersgruppen zum Einsatz kommen können. Zur Qualitätssicherung und
Begleitung von Lernprozessen werden die Aufgaben u.a. für die interne und externe
Evaluation von Schulen, für Orientierungs- oder Vergleichsarbeiten innerhalb einzelner
Länder und über einzelne Länder hinaus oder für die Curriculum-Entwicklung in den Ländern
genutzt.27 Mit der Entwicklung von Testaufgaben, darüber hinaus mit der Vorbereitung/
Durchführung/ Auswertung28
des deutschen Ländervergleichs (VERA) wurde 2004 das
Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) beauftragt.29
2006 verabschiedete die KMK ein Gesamtkonzept zum Bildungsmonitoring. In Reaktion auf
neue Herausforderungen wie auf die geäußerte Kritik wurde 2015 eine Überarbeitung
24
Vgl. u.a. Schwaetzer, H., Hueck, J. & Vollet, M. (Hrsg.) (2014). Der andere Blick: Fragendes Denken zum
theoretischen Rahmen der empirischen Bildungsforschung. COINCIDENTIA - Zeitschrift für europäische
Geistesgeschichte, Beiheft 4; Gruschka, A. (2006). Bildungsstandards oder das Versprechen, Bildungstheorie in
empirischer Bildungsforschung aufzuheben. Pädagogische Korrespondenz, 35, S. 5-22 oder Klein H.- P. (2010).
Die neue Kompetenzorientierung. Journal für Didaktik der Biowissenschaften, 1, S. 1-11.
25
Vgl. exemplarisch Körber, A.: (2010²) Grundbegriffe und Konzepte: Bildungsstandards, Kompetenzen und
Kompetenzmodelle. In Körber, A., Schreiber, W., Schöner, A. (Hrsg.): Kompetenzen historischen Denkens. Ein
Struktur-Modell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik (54-85). Neuried: Ars-Una.
26
Das Ende der Primarstufe ist eine Zäsur, die hier mit umfasst ist.
27
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit „Aufgaben” zur Messung, aber auch zur Förderung von
Kompetenzen ist ein weiteres Forschungsfeld, das im Zuge der Reformbemühungen einen Aufschwung erlebt.
28
Vgl. exemplarisch: Köller, O., Knigge, M. & Tesch, B. (2010). Sprachliche Kompetenzen im Ländervergleich.
Befunde des ersten Ländervergleichs zur Überprüfung der Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss
in den Fächern Deutsch, Englisch und Französisch. Berlin: Waxmann; Stanat P., Pant H. A., Böhme K. &
Richter D. (Hrsg.) (2012). Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe in
den Fächern Deutsch und Mathematik. Münster: Waxmann; Pant H. A., Stanat P., Schroeders, U., Roppelt, A.,
Siegle, T. & Pöhlmann C. (Hrsg.) (2013). IQB-Ländervergleich 2012. Mathematische und
naturwissenschaftliche Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I. Münster u.a.: Waxmann.
29
Kernanliegen des IQB sind die Weiterentwicklung, Operationalisierung, Normierung und Überprüfung von
Bildungsstandards. URL https://www.iqb.hu-berlin.de.
18
vorgelegt.30 Erste Schritte für die Überarbeitung wurden bereits 2009 bzw. 2013 gemacht,
durch die „Konzeption zur Nutzung der Bildungsstandards für die Unterrichtsentwicklung“31
und durch die „Konzeption zur Implementation der Bildungsstandards für die Allgemeine
Hochschulreife“.32 Das Ziel der Überarbeitung ist es, mit Hilfe eines Geflechts von
Maßnahmen dazu beizutragen, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler die in den
Bildungsstandards gesetzten Ziele erreichen.33 Eingeschlossen sind deshalb nunmehr auch
Maßnahmen der Förderung.
1.2. Nationaler bildungspolitischer Konsens – was bedeutet das für die
Schulen?
Die Übersicht über die bis 2015 erfolgte Teilnahme an internationalen Studien und die bis
dahin zusätzlich durchgeführten nationalen Vergleichsstudien verdeutlicht, mit welcher
Konsequenz in Deutschland die evidenzbasierte Qualitätssicherung verfolgt wird.
30
Vgl.
KMK
ein
Gesamtkonzept
zum
Bildungsmonitoring
(2006).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2006/2006_01_01-Gesamtstrategie-Endf.pdf.
31
Vgl. Konzeption zur Nutzung der Bildungsstandards für die Unterrichtsentwicklung (2010). URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2010/2010_00_00-KonzeptionBildungsstandards.pdf.
32
Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10.10.2013: Vgl. Konzeption zur Implementation der
Bildungsstandards
für
die
Allgemeine
Hochschulreife
(2013).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2013/2013-1010_Konzeption_Implementation_Bildungsstandards-AHR.pdf.
33
Als zu verfolgende Monitoringkonzepte werden im Gesamtkonzept Bildungsmonitoring aufgeführt:
Internationale Schulleistungsuntersuchungen; zentrale Überprüfungen des Erreichens der Bildungsstandards in
einem Ländervergleich; Vergleichsarbeiten in Anbindung oder Ankoppelung an die Bildungsstandards zur
landesweiten oder länderübergreifenden Überprüfung der Leistungsfähigkeit aller Schulen; gemeinsame
Bildungsberichterstattung von Bund und Ländern. Als Implementationskonzepte kommen dazu: standardbasierte
Lehrpläne/ Bildungspläne und Prüfungsordnungen; standardbasierte Lern- und Lehrmittel; Aus- und Fortbildung
von Lehrkräften; Schul- und Unterrichtsentwicklung; Bereitstellung von standardbasierten Aufgaben.
19
Abb.
1:
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_06_11-
Gesamtstrategie-Bildungsmonitoring.pdf, S. 8
Abb.
2:
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_06_11-
Gesamtstrategie-Bildungsmonitoring.pdf, S. 11.
Zu den Vergleichsstudien treten weitere länderbezogene Maßnahmen. Sie adressieren zum
einen umfassende landesspezifische Entwicklungen (u.a. bei Schulformen und Curricula),
20
zum anderen beziehen sie sich auf Schul- und Unterrichtsentwicklung auf Ebenen bis hinunter
zu Einzelschulen. Grundsätzlich gilt: Obwohl die Länder ihre Kulturhoheit im Blick behalten
und aufrecht erhalten wollen (vgl. hierzu auch Kapitel A, I, 2), werden der Geist und die
Richtung der kompetenzbezogenen, am Outcome orientierten und evidenzbasierten
Schulreformen weitgehend akzeptiert.
Die landesspezifischen Reformmaßnahmen werden über die Schulministerien und deren
nachgeordneten Behörden realisiert. In den meisten Ländern wurden dafür eigenständige
Institutionen (zumindest Abteilungen) für Qualitätssicherung eingerichtet. Bei den
Maßnahmen, die auf die Entwicklung der einzelnen Schulen zielen, werden Formen der
internen und externen Evaluierung aufgebaut sowie der Entwicklung von FeedbackStrukturen an die Akteure. Unterstützend werden dafür z.B. Internetportale erarbeitet34 oder
Broschüren angeboten35.
Wie weit in Bezug auf Schulentwicklung die Autonomie der einzelnen Schule reicht,
entscheiden im föderalen System Deutschlands die Länder. Legt man als Bezugspunkt die
Kriterien zugrunde, nach denen die Eurydice, also das Informationsnetz zum Bildungswesen
in Europa, 2007 die Schulautonomie in Europa untersucht und verglichen hat,36 ergeben sich
Unterschiede in Bezug auf Unterricht, Finanzmittel oder Humanressourcen,37 konkret im
Umfang der Verlagerung von Zuständigkeiten für das Personal, für Finanzen/ Sachmittel oder
für Unterrichtsorganisation/ pädagogische Ausrichtungen auf die einzelne Schule.
Unterschiede zeigen sich auch in Bezug auf die Instanzen oder Einzelpersonen, an die
Befugnisse übertragen werden: Zuständigkeit, damit Verantwortung können die Organe der
Schulverwaltung, die betreffenden Schulleiter oder Lehrpersonen erhalten. Die Regel ist, dass
in Deutschland eine Erweiterung der Spielräume in Modellversuchen erprobt wird. Diese
können landesbezogen38 oder deutschlandweit angelegt sein39 oder als Teil internationaler
Initiativen.40
34
http://www.interneBezogen
auf
das
Land
Bayern
vgl.
z.B.
Broschüren.
URL
evaluation.isb.bayern.de/download/150/interne_evaluation_2010_online.pdf.
35
Bezogen
auf
das
Land
Bayern
vgl.
z.B.
http://www.interneevaluation.isb.bayern.de/download/150/interne_evaluation_2010_online.pdf
36
Vgl. Eurydice. Schulautonomie in Europa Strategien und Maßnahmen (2007). URL
http://eacea.ec.europa.eu/education/Eurydice/documents/thematic_reports/090DE.pdf.
37
Vgl. jeweils die Gesetzgebung der Länder in den Bereichen Finanz- und Personalverwaltung und in Bezug auf
die Regelungen der pädagogischen Autonomie.
38
So z.B. der hessische Modellversuch Q2E – Qualität durch Evaluation und Entwicklung (vgl.
http://selbstverantwortungplus.bildung.hessen.de/material/SVplus_Materialband_3.pdf) oder die auf Bayern
bezogenen Modus-Projekte: Das Modus 21-Projekt (MODell Unternehmen Schule im 21. Jahrhundert) zielt auf
Selbstständigkeit und unternehmerisches Denken an Schulen; 30 der zwischen 2002 und 2007 erprobten
Maßnahmen wurden inzwischen für alle interessierte Schulen freigegeben. Modus F (MODell Unternehmen
21
Inwiefern Schul- und Unterrichtsentwicklung ihre Ziele erreicht, insbesondere inwiefern sie
den Schulen, den Lehrkräften und Schülern wirklich „Autonomie” bringt, ist umstritten.41 Die
Auseinandersetzung mit Schul- und Unterrichtsentwicklung ist weit verzweigt und von großer
Vielfalt; sie wird in unterschiedlichen Fokussierungen geführt: Einerseits werden die
Maßnahmen der insbesondere auf Unterricht bezogenen Umgestaltung von Schule betrachtet,
wobei hier die empirische Bildungsforschung zunehmend Raum einnimmt.42 In den
Fachdidaktiken43 erfahren nach wie vor „Kompetenzorientierung” – aktuell insbesondere
auch im Umgang mit Heterogenität und Inklusion – hohe Aufmerksamkeit. Hoch bleibt dabei
weiterhin das Interesse an Unterrichtsentwicklung in den MINT-Fächern; zunehmend treten
aber auch die kulturwissenschaftlichen Fächer in den Fokus der Bildungsforschung.
Einen weiteren Arbeitsschwerpunkt bilden theoretische Grundlegungen zu Schul- und
Unterrichtsentwicklung;44 hier werden die Fragen der empirischen Überprüfung und
Überprüfbarkeit unterschiedlich gewichtet. Diesem Schwerpunkt zuzuordnen sind auch
Metabetrachtungen, u.a. solche, die die Maßnahmen der Schulentwicklung letztlich als
Schule – Führung; Beginn 2007 mit gut 50 Schulen) ist das Fortsetzungsprogramm und zielt auf die
Verbesserung der Führungsqualität der Schulleitungen.
39
Vgl. z.B. den von Baden-Württemberg ausgehenden Modellversuch „Selbstständige Schule” (BadenWürttemberger Modellversuch „Selbständige Schule”. URL https://www.selbstständige-schule.de/projekt.html.)
40
Vgl. u.a. SINUS und SINUS-Transfer. SINUS steht für „Steigerung der Effizienz des mathematischnaturwissenschaftlichen Unterrichts”, die erste Welle begann in Deutschland 1996 mit 180 Schulen; inzwischen
sind über 2000 Schulen beteiligt.
41
Vgl. John-Ohnesorg, M., Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) (2011). Schulentwicklung zwischen Autonomie und
Kontrolle. Wie verändern wir Schule wirklich? Berlin.
42
Vgl. hierzu die weiterführenden Hinweise einerseits auf den Homepages wichtiger Forschungsinstitute der
empirischen
Bildungsforschung
(Forschungsinstitut
der
empirischen
Bildungsforschung.
URL
https://www.mpib-berlin.mpg.de;
Forschungsinstitut
der
empirischen
Bildungsforschung.
URL
http://www.dipf.de; Forschungsinstitut der empirischen Bildungsforschung. URL https://www.iwmtuebingen.de), wichtiger universitärer Institute und Einrichtungen zur empirischen Bildungsforschung (z.B. der
Technischen Universität München, der Ludwigs-Maximilians-Universität München, der Universität Tübingen,
der Universität Karlsruhe, der Universität Göttingen, der Humboldt Universität zu Berlin, der Universität
Konstanz, der Universität Duisburg-Essen), wichtiger Verbände (z.B. Verbände. URL http://www.gebfev.de.) und Förderer (z.B. Förderer. URL https://www.bmbf.de/de/bildungsforschung-1225.html).
Zu weiterführenden Hinweisen zur Kritik an der empirischen Bildungsforschung in der aktuellen Ausrichtung ist
es weitaus schwieriger, auf Knotenpunkte zu verweisen. Dies liegt an der geringeren Institutionalisierung (vgl.
Aljets, E. (2014). Der Aufstieg der Empirischen Bildungsforschung: Ein Beitrag zur institutionalistischen
Wissenschaftssoziologie, Wiesbaden: Springer). Als Verbände bündeln die Kritik z.B. die Gesellschaft für
Bildung und Wissen die Positionen (Gesellschaft für Bildung und Wissen. URL http://bildung-wissen.eu.),
die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft. URL
http://www.gew.de), dazu in Teilen die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (Deutsche
Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. URL http://www.dgfe.de.). An Universitäten sind es eher einzelne
Vertreter, als ganze Institute oder Lehrstühle auf die verwiesen werden müsste.
43
Vgl. hierzu die weiterführenden Hinweise auf der Homepage der Gesellschaft für Fachdidaktiken
(Gesellschaft für Fachdidaktik. URL http://www.fachdidaktik.org/Home.html.), des Leibniz-Instituts für die
Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (Leibniz-Instituts für die Pädagogik der
Naturwissenschaften und Mathematik. URL http://www.ipn.uni-kiel.de .)
44
Vgl. z. B. Rolff, H.-G. (2007). Studien zu einer Theorie der Schulentwicklung. Weinheim u.a.: Beltz;
Blömeke, S., Herzig, B. & Tulodziecki, G. (2007). Gestaltung von Schule. Eine Einführung in Schultheorie und
Schulentwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
22
Ausdruck der Ökonomisierung der Bildung45 betrachten, welche u.a. durch New Public
Management realisiert und legitimiert wird, also z.B. durch Standardisierung, externe
Evaluation oder ein auf den Wettbewerb um Schüler ausgerichtetes Schulprofil.46 Diese
Arbeiten sehen naturgemäß die Autonomie von Schule in Gefahr und fordern Wenden ein, die
ein „Zurück zu Humboldt“ ebenso umfassen können wie Konsequenzen aus einer
personalisierten Radikalkritik, z.B. am Einfluss quantitativ arbeitender Bildungsforscher oder
eine Generalkritik an der Ökonomisierung aller Lebensbereiche.
1.3. Resümee: Die Schulreformen gehen weiter
Auch wenn der Handlungsbedarf für Schulreformen recht unterschiedlich eingeschätzt wird,
mehr noch die Maßnahmen, die bislang ergriffen wurden, auch wenn über Möglichkeiten und
Formen der empirische Überprüfung Uneinigkeit herrscht, eine Neuorientierung ist nicht in
Sicht. Dagegen spricht auch, dass die gewählten Reformansätze erste Fortschritte mit sich
bringen: Die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler in den Vergleichsstudien werden
besser47, Schulen beginnen bei ihrer Weiterentwicklung konstruktiv mit den Instrumenten und
Ergebnissen der internen und externen Evaluierung umzugehen,48 die evidenzbasierten
Aussagen schulbezogener Forschungsarbeiten schaffen zunehmend Grundlagen, die auch für
gezielte
Fördermaßnahmen
genutzt
werden
können;49
mehr
und
mehr
konkrete
Unterstützungsmaßnahmen für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler werden angeboten,
45
Lohr, K., Peetz, T. & Hilbrich, R. (2013). Bildungsarbeit im Umbruch. Zur Ökonomisierung von Arbeit und
Organisation in Schulen, Universitäten und in der Weiterbildung. Berlin: Sigma; Peetz, T. (2014). Mechanismen
der Ökonomisierung ; theoretische und empirische Untersuchungen am Fall "Schule". Konstanz: UVK;
Altrichter, H., Brüsemeister, T. & Wissinger, J. (Hrsg.) (2007). Educational governance. Handlungskoordination
und Steuerung im Bildungssystem. Wiesbaden: VS; Altrichter, H. & Maag Merki, K. (2010). Handbuch Neue
Steuerung im Schulsystem. Wiesbaden: VS.
46
Die Kritik an der Bürokratisierung der Schule, wie sie seit den 1950-er Jahren z.B. von Hellmut Becker
(Becker, H. (1956). Kulturpolitik und Schule ; Probleme der verwalteten Welt. Stuttgart: Deutsche
Verlagsanstalt), Horst Rumpf (Rumpf, H. (1966). Die administrative Verstörung der Schule ; drei Kapitel über
den beamteten Erzieher und die verwaltete Schule. Essen: Neue Dt. Schule), oder Ludwig von Friedeburg
(Friedeburg, L. (1992). Bildungsreform in Deutschland ; Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch.
Frankfurt am Main: Suhrkamp) geäußert wird, kann als Vorläufer der Ökonomisierungskritik gesehen werden.
47
Vgl. z.B. die Präsentation und wissenschaftliche Diskussion der Ergebnisse u.a. von PISA, IGLU, TIMSS;
vgl. hierzu auch die Bildungsberichte von Bund und Ländern.
48
Vgl. hierzu z.B. die Präsentationen der Ergebnisse der Modellversuche zur Schulentwicklung.
49
Vgl. exemplarisch den 48. Seminartag des Bundesarbeitskreises der Seminar- und Fachleiter/innen e.V.
(BAK) aus dem Jahr 2014, der zusammen mit der Freien Universität Berlin ausgerichtet wurde und Aufgaben a)
im Leistungskontext und b) in Schule und Lehrerausbildung in den Blick nahm. (Der 48. Seminartag des
Bundesarbeitskreises (2014).URL http://www.bak-online.de/kongresse/berlin/documents/programm.pdf)
23
z.B. in Bezug auf kompetenzorientiertes Lernen und Lehren;50 die Überprüfung der
Wirksamkeit dieser Maßnahmen setzt ein.51
Die Weiterführung der Reform erfolgt nicht nur im Sinne von Fortführung und
Nachsteuerung, sondern auch, weil Bedarf für weitere Reformmaßnahmen durch neue äußere
Zwänge entsteht (wie den demographischen Wandel oder aktuell die massiven Flucht- und
Migrationsbewegungen) und durch Entscheidungen in politischen Handlungsfeldern (z.B. für
Inklusion als gesellschaftliches Leitbild, für die Ganztagsschule oder für nachhaltige
Entwicklung).
Die geäußerte Kritik an den bisherigen Maßnahmen wird wahrgenommen, teilweise
berücksichtigt oder zumindest diskutiert. Für die Versachlichung der Diskussion sind
insbesondere wissenschaftliche Arbeiten von Bedeutung, die langfristigere Zusammenhänge
herstellen, weil sie Kontinuitäten sichtbar machen, Veränderungen einordnen, einseitige
Interpretationen und überzogene Hoffnungen relativieren, kurz Forschung und Praxis,
Wissenschaft und Politik sowie Bildung und Gesellschaft zusammendenken.52 Dafür leisten
nicht nur Autoren wie Jürgen Oelkers,53 Heinz-Elmar Tenorth,54 Ewald Terhart,55 Rudolf
50
Bezogen auf den Geschichtsunterricht vergleiche z.B. die Entwicklung eines kompetenzorientierten
multimedial-digitalen Schulbuchs (mBook) für die Sekundarstufen I und II (vgl. Entwicklung eines multimedialdigitalen Schulbuches.URL http://mbook.institut-für-digitales-lernen.de).
51
Vgl. bezogen auf das mBook exemplarisch die vom BMBF geförderte Studie „Erklärung der
Kompetenzentwicklung im Fach Geschichte mithilfe von Indikatoren zur Quantität und Qualität der Nutzung
eines elektronischen Schulbuchs” (2015-2017).
52
Vgl. u.a. Reinhard, F. & Oelkers, J. (Hrsg.) (2014). Das Selbstverständnis der Erziehungswissenschaft.
Geschichte und Gegenwart. Weinheim u.a.: Beltz Juventa.
53
Vgl. Oelkers, J. (2014). Praxis und Wissenschaft. Überlegungen zur Forschungsstruktur der
Erziehungswissenschaft. In Reinhard, F. & Oelkers, J. (Hrsg.), Das Selbstverständnis der
Erziehungswissenschaft. Geschichte und Gegenwart (S. 85-101). Weinheim u.a.: Beltz Juventa.
54
Vgl. Tenorth, H.-E. (2007). Lehrpläne, Rahmenrichtlinien – Bildungsstandards, 1974 – 2004: Viel Aufwand,
wenig Ertrag ? In I. Graudenz, H.-E. Tenorth, & H. Krollmann (Hrsg.), Lehrpläne - Rahmenrichtlinien Bildungsstandards: Viel Aufwand, wenig Ertrag? Symposion zum 75. Geburtstag von Hans Krollmann. 25.
November 2004 (S. 7-28). Frankfurt am Main: Dt. Inst. für Internationale Pädag. Forschung; Tenorth H.-E.
(2014). Politikberatung und Wandel der Expertenrolle oder: Die Expertise der Erziehungswissenschaft. In R.
Fatke, J. Oelkers (Hrsg.), Das Selbstverständnis der Erziehungswissenschaft: Geschichte und Gegenwart (S.139171). Weinheim u.a.: Beltz Juventa.
55
Vgl. Terhart, E. (2013). Erziehungswissenschaft und Lehrerbildung. Münster u.a.: Waxmann.
24
Tippelt56 oder Hans-Christoph Koller57 wichtige Beiträge, sondern zunehmend auch Vertreter
der empirischen Bildungsforschung58.
Ein Aspekt der Weiterführung besteht im Anspruch, die konkrete Relevanz der Maßnahmen
besser zu berücksichtigen. Dies gilt für Forschungsarbeiten wie für Praxiskonzepte.
Steuergeld-finanzierte Förderer wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF)
oder
die
Deutsche
Forschungsgemeinschaft
(DFG)59
fordern
die
Anwendungsrelevanz zunehmend ein, ebenso private Stiftungen, die sich auf den
Bildungsbereich konzentrieren. Für die breitere Implementation z.B. von erprobten
Maßnahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist wesentlich, dass sie zumindest
langfristig ohne Zusatzbelastung für die Akteure realisierbar sind.
2. Zwischen Euphorie und Abscheu: Hochschulreform der 2000er
Jahre
2.1. Der politische Kontext
Ebenfalls politisch begründet ist die Hochschulreform als zweite umfassende Reform, die
Fakten schafft und bei der Reform der Lehrerbildung zu berücksichtigen ist. Für die
Hochschulreform spielt die europäische Ebene die entscheidende Rolle. Sie zielt auf die
Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums und ist deshalb transnational
ausgerichtet. Dass es dabei nicht nur um Hochschulpolitik geht, sondern um Wissenschafts-,
56
Vgl. Gogolin, I. & Tippelt, R. (Hrsg.) (2003). Innovation durch Bildung. Beiträge zum 18. Kongress der
Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: VS, S. 81-103; Tippelt, R, Deutsche
Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (2012). Erziehungswissenschaft im Fächervergleich. W. Thole, H.
Faulstich-Wieland, K.-P. Horn, H. Weishaupt & I. Züchner (Hrsg.), Datenreport Erziehungswissenschaft 2012.
Opladen u.a.: Budrich, S. 215 – 226.
57
Vgl. Koller, H.-C. (2012). Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer
Bildungsprozesse. Stuttgart: Kohlhammer.
58
Vgl. z.B. Reinders, H., Ditton, H., Gräsel, C. & Gniewosz, B. (Hrsg.) (2012). Empirische Bildungsforschung.
Gegenstandsbereiche. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Selbst zum Forschungsgegenstand wird die
empirische Bildungsforschung bei: Aljets, E. (2014).
59
Vgl. exemplarisch: Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Richtlinien zur
Förderung von Forschungsvorhaben in Ankopplung an Large-Scale-Assessments (2014). URL
https://www.bmbf.de/de/bekanntmachung.php?B=955.
25
Kultur-, Sozial-, und Wirtschaftspolitik,60 machen die drei Erklärungen deutlich, auf denen
die aktuelle Hochschulreform fußt. Die Magna Charta Universitatum61, die 1988 anlässlich
des 900-jährigen Jubiläums der ältesten europäischen Universität von mehr als hundert
führenden Universitätspräsidenten unterzeichnet wurde, die Sorbonne-Erklärung62, die zum
800-jährigen Jubiläum der Sorbonne die Bildungsminister Frankreichs, Deutschlands, Italiens
und des Vereinigten Königreichs abgegeben haben sowie die Bologna-Erklärung von 1999,
damals gezeichnet von knapp 30 europäischen Bildungsministern. Inzwischen (2015) haben
sich der Erklärung knapp 50 Länder angeschlossen, die sich, vertreten durch ihre
Bildungsminister, im zwei- neuerdings dreijährigen Turnus zu resümierenden und
vorausblickenden Bologna-Konferenzen treffen.
Die Hochschulreform ihrerseits ist eingebunden in weitere, Europa zum Teil überschreitende
Konzepte. Zwei werden im Folgenden kurz skizziert:
1. Von der UNESCO63 mitinitiiert und vom Europarat mitgetragen wurde das
völkerrechtliche Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Studienabschlüssen
von 1997 (Lissabon-Konvention64). Aktuell (2015) ist das Abkommen von knapp 50
europäischen und außereuropäischen Staaten (u.a. USA, Kanada, Australien)
ratifiziert.
Darin
wird
Hochschulzugangsberechtigungen,
die
prinzipielle
Studienleistungen,
Anerkennung
von
Studienzeiten
und
Studienabschlüssen der Unterzeichnerstaaten untereinander vereinbart.
2. Außerdem wird das Konzept des Lebenslangen Lernens von der Europäischen Union
als grundlegend für Europas Rolle in der Welt angesehen.65 Ebenfalls in Lissabon
60
Mit Blick auf die Stellung Europas in der Welt heißt es in der von den europäischen Bildungsministern
unterzeichneten Bologna-Erklärung: „We need to ensure that the European higher education system acquires a
world-wide degree of attraction equal to our extraordinary cultural and scientific traditions.” The Bologna
Declaration of 19 June 1999. Joint declaration of the European Ministers of Education, S. 2/3.
Declaration
of
the
European
Ministers
of
Education
(1999).
URL
http://www.ond.vlaanderen.be/hogeronderwijs/bologna/documents/mdc/bologna_declaration1.pdf.
Zur
Vertiefung vgl. u.a.: Brändle, T. (2010). 10 Jahre Bologna-Prozess. Chancen, Herausforderungen und
Problematiken. Wiesbaden: VS.
61
Unter Wahrung der Freiheit von Forschung und Lehre fordern sie Kooperation und gegenseitigen Austausch.
Vgl. Magna-charta. URL http://www.magna-charta.org/resources/files/the-magna-charta/german.
62
Die Sorbonne-Erklärung gibt der Magna Carta und der Lissabon-Erklärung einen konkreteren Rahmen, indem
Handlungsfelder festgelegt werden, die zu einem europäischen Hochschulraum führen sollen. Vorgeschlagen
wurde die Gestaltung eines Rahmens für Lehren und Lernen in Europa, ein System von „Credit-Points“ als
Grundlage für die Anerkennung von Studienleistungen (ECTS: „European Credit Transfer and accumulation
System“), ein zweistufiges System für berufsqualifizierende Abschlüsse („undergraduate and graduate“, i.d.R.
Bachelor und Master). Betont wurde zudem die Bedeutung von Sprachkenntnissen und Kenntnissen der
Informationstechnologie.
63
Das Akronym UNESO steht für „The United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization“.
64
Vgl. Lissabon-Konvention. URL http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/165.htm.
65
Vgl. die Grundlinien des Europäischen Jahrs des lebenslangen Lernens 1996 (Bericht der Kommission über
die Durchführung, die Ergebnisse und die Gesamtbewertung des Europäischen Jahres des lebensbegleitenden
Lernens (1996), KOM(1999) 447 endg., 15. September 1999) sowie das konkretisierende Memorandum über
26
formulierte der Europäische Rat im Jahr 2000 das Ziel, die Europäische Union (EU)
zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum
weltweit werden zu lassen (Lissabon-Strategie). Lebenslanges Lernen wird darin zum
angestrebten Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft in
Bezug
gesetzt.
Als
Ziele
werden
insbesondere
die
Förderung
Beschäftigungsfähigkeit und der aktiven Staatsbürgerschaft genannt.
66
der
Damit liegt
auch für die Hochschulreformen der Vorwurf einer wesensfremden Ökonomisierung
nahe, die dem Humboldtschen Ideal einer grundlegenden Allgemeinbildung bei
möglichst großer Unabhängigkeit von Individuen und Institutionen widerspricht (vgl.
oben).
2.2 Die Umsetzung an deutschen Hochschulen
Die Maßnahmen zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums (und zur
„Schaffung eines europäischen [Raums] des lebenslangen Lernens“67) müssen von den
Mitgliedsstaaten realisiert werden. Im Folgenden werden die nationalen Maßnahmen, die im
Zuge der Bologna-Reform ergriffen wurden, kurz erläutert, da sie den Rahmen auch der
Reform der universitären Lehrerbildung bilden:
Lebenslanges Lernen, das 2000, nach der Tagung des Europäischen Rats in Lissabon, als Arbeitsdokument der
Kommissionsdienststellen entwickelt wurde (Memorandum über Lebenslanges Lernen (2000). URL.
http://www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/memode.pdf.) und die Mitteilung der Kommission vom 21.
November 2002 über die Schaffung eines europäischen Raums des lebenslangen Lernens (Europäischer Raum
des Lebenlangen Lernens. URL http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv:c11054).
66
„In Europa ist die wissensbasierten Gesellschaft und Wirtschaft entstanden. Mehr als jemals zuvor sind der
Zugang zu aktuellen Informationen und Wissen sowie die Motivation und Befähigung zur intelligenten Nutzung
dieser Ressourcen – zum eigenen Wohl und zu dem der Gemeinschaft – der Schlüssel zur Stärkung von Europas
Wettbewerbsfähigkeit und zur Verbesserung von Beschäftigungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit der
Arbeitskräfte. Europäer von heute leben in einem komplexen sozialen und politischen Umfeld. Mehr als jemals
zuvor möchte der Einzelne sein Leben selbst planen, wird erwartet, dass er einen aktiven Beitrag zur
Gesellschaft leistet, und muss er lernen, positiv mit kultureller, ethnischer und sprachlicher Vielfalt umzugehen.
Bildung im weitesten Sinne ist der Schlüssel, um zu lernen und zu begreifen, wie diesen Herausforderungen zu
begegnen ist.” Vgl. Memorandum über Lebenslanges Lernen (2000), S. 5f.).
67
Vgl. Entschließung des Rates vom 27. Juni 2002 zum lebensbegleitenden Lernen (Entschließung des Rates
http://eur-lex.europa.eu/legalzum
lebensbegleitenden
Lernen
(2002).
URL
content/DE/TXT/?uri=celex:32002G0709(01)). Dort wird u.a. festgehalten: Der europäische Rat „weist darauf
hin, dass lebensbegleitendes Lernen im Vorschulalter beginnen und bis ins Rentenalter reichen und das gesamte
Spektrum formalen, nicht formalen und informellen Lernens umfassen muss. Zudem ist unter
lebensbegleitendem Lernen alles Lernen während des gesamten Lebens zu verstehen, das der Verbesserung von
Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, staatsbürgerlichen, sozialen
und/ oder beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt. Das Ganze sollte schließlich auf den Grundsätzen
beruhen, dass der Einzelne im Mittelpunkt des Lernens steht, wobei für echte Chancengleichheit gesorgt und auf
die Qualität des Lernens geachtet werden muss“.
27
In Deutschland werden die Hochschulreformen von Bund, Ländern und Hochschulen in ihren
jeweiligen Zuständigkeiten umgesetzt, unterstützt von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
„Fortführung des Bologna-Prozesses“.68 Die Verantwortung für die konkrete Realisierung der
Reformeinzelnen tragen aber die einzelnen Hochschulen; sie definieren die je angestrebten
Qualitätsziele
und
Profile.
Zugleich
führt
der
Bologna-Prozess
dazu,
dass
die
Hochschulleitungen umfängliche Managementfunktionen übernehmen müssen; was u.a. die
Einrichtung zahlreicher Stabs- und andere Verwaltungsstellen, damit Bürokratisierung und
Kontrolle nach sich zieht. Somit stellt sich auch in Bezug auf die Hochschulen die Frage
nach dem Ja oder Nein von Autonomie.
In den ersten Jahren der Hochschulreform lag der Schwerpunkt darauf, formale Elemente der
Bologna-Reform,
wie
die
Einführung
der
Bachelor-
und
Masterabschlüsse,
die
kompetenzbezogene Modularisierung und das ECTS-System sowie die Etablierung eines
Akkreditierungssystems zur Qualitätssicherung69 umzusetzen. Bereits 2009/ 10 wurden
Korrekturen sowohl an den rechtlichen Grundlagen als auch an der konkreten Realisierung
der Reformmaßnahmen an den Hochschulen notwendig70, die der stofflichen Überladung der
Regelstudiengänge, der zu geringen Outcome-Orientierung und der zu kleinteiligen und
68
Der Arbeitsgruppe gehören neben Vertreterinnen und Vertretern des BMBF und der Länder auch Mitglieder
der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), des
Akkreditierungsrat, der Studierenden (fzs), der Arbeitgeber (BDA), der Gewerkschaften (GEW) und des
Deutschen Studentenwerks (DSW) an. (BMBF. URL https://www.bmbf.de/de/der-bologna-prozess-dieeuropaeische-studienreform-1038.html).
69
In Deutschland wurde zur Sicherstellung fachlich-inhaltlicher Standards eine peer-group-Akkreditierung
eingeführt. (Vgl. Ländergemeinsame Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und
Masterstudiengängen (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10.10.2003 i.d.F. vom 04.02.2010
(Ländergemeinsame Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen (2003).
URL http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_10_10-LaendergemeinsameStrukturvorgaben.pdf ).
Während die Akkreditierungsagenturen anfangs das Schwergewicht auf die Überprüfung des
Studiengangkonzeptes und der Studierbarkeit des Lehrangebots sowie die Überprüfung der Berufsrelevanz
legten, soll, gemäß der 2013 vorgelegten strategischen Planung des übergeordneten Akkreditierungsrats, nun die
Qualität des Studiums in den Vordergrund rücken. Nicht zuletzt auf Empfehlung des Wissenschaftsrats sollen,
über die aktuell praktizierte Programm- und Systemakkreditierung hinaus, „innovative und ggf. bislang auch
unbekannte Formen der externen Begutachtung“ entwickelt und erprobt werden (Bericht der Bundesregierung
über die Umsetzung des Bologna-Prozesses 2012 – 2015 in Deutschland, S. 39, URL
https://www.bmbf.de/files/Bericht_der_Bundesregierung_zur_Umsetzung_des_Bologna-Prozesses_20122015.pdf).
70
Eckpunkte zur Korrektur der „Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelorund Master-Studiengängen“ und der „Rahmenvorgaben für die Einführung von Leistungspunktsystemen und die
Modularisierung“, vgl. Rahmenvorgaben für die Einführung von Leistungspunktsystemen und die
Modularisierung. URL http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2009/2009_12_10Eckpunkte-laendergemeinsame-Strukturvorgaben.pdf).
28
deshalb ausufernden Prüfungspraxis Einhalt geboten.71 KMK und HRK reagierten damit auf
massive Proteste von Studierenden, Dozenten und der interessierten Öffentlichkeit.72.
Aktuell (2015) ist die Umstellung auf die gestuften Studiengänge an den Fachhochschulen zu
fast 100% abgeschlossen. Die Universitäten kommen auf gut 80%, wobei sich auswirkt, dass
die staatlichen (und kirchlichen73) Abschlüsse, zu denen u.a. die Lehrerbildung zählt,
teilweise noch nicht umgestellt sind.74 Den nationalen Bildungsberichten zufolge haben sich
durch die Reform die Studienzeiten signifikant verkürzt; die Zweistufigkeit der Abschlüsse
wird von Studierenden wie Abnehmern zunehmend akzeptiert. Etwa die Hälfte der
Fachhochschulstudierenden und ein Viertel der Universitätsstudierenden wechseln nach dem
Bachelorstudium ins Berufsleben, was umgekehrt heißt, dass die andere Hälfte der FHStudierenden und drei Viertel der Studierenden der Universitäten an das Bachelor- ein
Masterstudium anschließen. Der Studienort wird dabei zu über 40% gewechselt. Noch bleiben
die meisten der Studierenden aber innerhalb Deutschlands und nutzen nicht den gesamten
europäischen Hochschulraum als potentielle Studienorte.75
Demzufolge ist die mangelnde Mobilität innerhalb des europäischen Hochschulraums eines
der Reformziele, die bislang noch nicht hinreichend erreicht worden sind. Bei den BolognaKonferenzen 2009 in Leuven76 und 2012 in Bukarest machten die Bildungsminister der EU
71
Als Beispiel für die Umsetzung der Eckpunkte vgl. die „Reform der Reform“ an der KU-Eichstätt-Ingolstadt,
Teil C, Kapitel II 1.1 Schritte der Entwicklung, Überarbeitung und Optimierung.
72
Die Studierenden fanden für ihre Kritik im „heißen Herbst 2009” zahlreiche Unterstützerinnen und
Unterstützer. Sie artikulierten sich in den Medien (z.B. in der FAZ, der SZ, der Zeit und im Tagespiegel), in
Verbands-Resolutionen
(vgl.
Deutscher
Hochschulverband
(2009).
URL
http://www.hochschulverband.de/cms1/690.html.), aber auch in Buchform: Kellermann, P., Boni, M. & MeyerRenschhausen, E. (Hrsg.) (2009). Zur Kritik europäischer Hochschulpolitik. Forschung und Lehre unter Kuratel
betriebswirtschaftlicher Denkmuster. Wiesbaden: VS; oder Wernstedt, R. & John-Ohnesorg, M. (2010). 10 Jahre
nach Bologna ; Ziele und Umsetzung der Studienstrukturreform. Zehn Jahre nach Bologna. Berlin: FriedrichEbert-Stiftung. Zu Vorläufern vgl. u.a. Lamnek, S. (2002). Globalisierung – Internationalisierung –
Amerikanisierung – Bachelorisierung – McDonaldisierung? Die Hochschulreform und ihre Konsequenzen.
Soziologie 31, 1, S. 5-25; Liessmann, K. P. (2006). Theorie der Unbildung; die Irrtümer der Wissensgesellschaft.
Wien: Zsolnay; Bollenbeck, G. & Wende, W. (2007). Der Bologna-Prozess und die Veränderung der
Hochschullandschaft. Beiträge zum Symposium „Der Bologna-Prozess und die Veränderungen in der
Hochschullandschaft“. Heidelberg: Synchron.
73
Gemeint sind Priesteramt und Diplomtheologie.
74
Vgl. hierzu das Kapitel A. II. 1.Kulturhoheit der Länder und universitäre Lehrerbildung.
75
Diese und weitere Angaben finden sich in den jährlichen vom DIPF herausgegebenen Bildungsberichten (vgl.
Bildungsbericht der DIPF. URL http://www.bildungsbericht.de), in den jährlichen Studienqualitätsmonitoren des
Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), die an vielen Universitäten
vorliegen oder den Nationalen Berichten von Kultusministerkonferenz und Bundesministerium für Bildung und
Forschung
(vgl.
Studienqualitätsmonitoren
der
DZHW.
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_02_12NationalerBericht_Umsetzung_BolognaProzess.pdf ).
76
Vgl. The Bologna Process 2020 - The European Higher Education Area in the new decade. Communiqué of
the Conference of European Ministers Responsible for Higher Education, Leuven and Louvain-la-Neuve (2009).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2009/2009_04_29-LeuvenCommunique.pdf.
29
darauf aufmerksam. In der Bukarester Erklärung „Bologna 2020“ formulierten sie die
Steigerung von Mobilität77 und Internationalisierung als weiter zu verfolgende Reformziele,
neben der Steigerung der Qualität des Studiums und der Optimierung der Berufsbefähigung78
sowie dem lebenslangen Lernen.
Das Ziel, die Hochschulen als Raum lebenslangen Lernens zu erschließen, impliziert auch,
„die Hochschulen für neue Studierendengruppen zu öffnen und Chancengleichheit
herzustellen“. Dieses Ziel wird in Deutschland vor dem Hintergrund des zunehmenden
Fachkräftebedarfs, dem demografischen Wandel, der längeren Lebensarbeitszeit und der
steigenden Ansprüche des Arbeitsmarktes an die Beschäftigten intensiv verfolgt. Es sollen
„insbesondere Berufserfahrene dafür gewonnen werden, ihre Qualifikationen durch ein
Studium zu vertiefen.“79 Zur Unterstützung fördert das BMBF das von der HRK getragene
Projekt „nexus Übergänge gestalten, Studienerfolg verbessern“ (Laufzeit 2014-2018).80 Seit
2014 befasst der Wissenschaftsrat sich in Empfehlungen mit dem Verhältnis von
Hochschulbildung und Arbeitsmarkt.81
77
Vgl. Bukarester Erklärung (2012). URL
http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Wissenschaft/SO_120427_Mobility_Strategy.pdf.
78
Vgl. hierzu die Präzisierung im nationalen Bericht der Bundesregierung: „Hochschulausbildung ist keine
spezifische Berufsausbildung, daher führen auch Bachelorstudiengänge nicht zur Berufsfertigkeit, sondern
vermitteln Beschäftigungsbefähigung in einem breiten beruflichen Umfeld. [...] Neben einer
kompetenzorientierten Studiengangkonzeption bedarf es weiterer Elemente (Module, Lehrangebote und -formate
etc.), die die Beschäftigungsbefähigung in besonderer Weise fördern und sie fachspezifisch weiter ausgestalten:
Integrierte und betreute Praktika, berufsorientierende Angebote, Forschungs- und gesellschaftlich relevante
Praxisprojekte (Forschendes Lernen, Service Learning, u.a,).” Nationaler Bericht der Bundesregierung (2015).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_02_12NationalerBericht_Umsetzung_BolognaProzess.pdf, S. 44.
79
Die Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses 2012-2015. Nationaler Bericht von Kultusministerkonferenz
und Bundesministerium für Bildung und Forschung unter Mitwirkung von HRK, DAAD, Akkreditierungsrat,
fzs, DSW und Sozialpartnern (12.02.2015), S. 34-37, hier S. 34. URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_02_12NationalerBericht_Umsetzung_BolognaProzess.pdf
80
Die Ziele sind: „(1) die Verbesserung des Studienerfolgs heterogener Studierender durch Neugestaltung der
Studieneingangsphase; (2) die Förderung der Mobilität während des Studiums durch Optimierung der
Anerkennungsprozesse von Studien- und Prüfungsleistungen nach den Grundsätzen der Lissabon-Konvention
im nationalen und internationalen Kontext; (3) die Verbesserung des Zusammenspiels zwischen
Bildungsverläufen und Beschäftigungsmöglichkeiten für Hochschulabsolventen in der Qualifizierungsphase und
beim Übergang in das Beschäftigungssystem.” (Ziele des Bologna-Prozesses (2015). URL www.hrk-nexus.de).
81
Erster Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen
Wandels (11. April 2014; Erster Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften (2014). URL
http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/3818-14.pdf). Zweiter Teil der Empfehlungen zur
Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, (Zweiter Teil der
Empfehlungen
zur
Qualifizierung
von
Fachkräften
(2015).
URL
http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4925-15.pdf ). Die Reihe ist auf vier Empfehlungen angelegt.
30
2.3 Forschungen zur Hochschulreform
Wie die Schulreform zog auch die Hochschulreform national und international eine
Intensivierung
der
Forschung
nach
sich,
aber
auch
die
Einrichtung
von
Entwicklungsprojekten. Das bekannteste Beispiel ist das Centrum für Hochschulentwicklung
(CHE), das maßgeblich von der Bertelsmann-Stiftung getragen wird.82
Eine umfassende Bestandsaufnahme zur Hochschulforschung (Bezugsjahr 2013) liefert
Martin Winter.83 Als Hauptträger macht er die Sozialwissenschaften aus (u.a. Soziologie,
Politikwissenschaft,
Erziehungswissenschaften);
es
dominieren
demzufolge
auch
sozialwissenschaftliche, zunehmend empirische Methoden. Als einen Ausdruck der
Professionalisierung versteht Winter die Institutionalisierung; hier macht er bezogen auf die
Hochschulforschung noch Mängel aus, auch wenn es erste Forschungsinstitute (Bayerisches
Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) München; Deutsches
Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) Hannover) und universitäre
Forschungseinheiten gibt.
Für die evidenzbasierte Forschung ist für die Förderung der Hochschulforschung durch das
BMBF
von
besonderer
Hochschulforschung).
84
Bedeutung
(vgl.
den
BMBF-Förderschwerpunkt
Die geförderten Projekte lassen sich der Hochschul- und
Wissenschaftsforschung, aber auch der Hochschuldidaktik zuordnen.
2.4 Resümee
Mehr noch als die Schulreform muss die Hochschulreform im europäischen Rahmen gesehen
werden, als ein Ergebnis europäischer Abstimmungsprozesse. Wie die Schulreform wird die
Hochschulreform in Deutschland mit großer Ernsthaftigkeit und Wirkmacht betrieben. Auch
wenn Lehrerbildung als staatlich reglementierter Studiengang mit einem klar umrissenen
Berufsfeld eine Sonderrolle unter den Studiengängen einnimmt, kann sie sich als
82
Das verfolgte Themenspektrum reicht über Maßnahmen zur Entwicklung des Hochschulmanagements, über
Qualitätsmanagement, Hochschul- und Sozialrankings, Personalentwicklung, Hochschulmarketing und
Hochschulmarktforschung zu Hochschulforschung und Fundraising. Vgl. Zentrum für die Entwicklung der
Hochschulen. URL www.CHE.de.
83
Winter, M. (2014). Topografie der Hochschulforschung in Deutschland. Die Hochschule, 2, S. 26-47.
84
Vgl. BMBF Förderschwerpunkt Hochschulforschung. URL http://www.hochschulforschungbmbf.de/index.php. Es geht dabei u.a. um Wissenschaftsökonomie, Kompetenzmodellierung im
Hochschulbereich, wissenschaftliche Leistungsbewertung, Evaluations- und Begleitforschung.
31
Hochschulstudium der Bologna-Reform nicht entziehen. Die universitäre Phase der
Lehrerbildung muss sich an den im europäischen Hochschulraum geltenden Prinzipien
orientieren. Das gilt auch, wenn das Berufsfeld Schule und die Lehrerbildung unter der
Kulturhoheit der Länder stehen.
Vergleichbar mit der Schulreform wird auch die Hochschulreform als langfristiger Prozess
gedacht und schrittweise weitergeführt. Die Weiterführung zielt zum einen auf im bisherigen
Reformprozess nicht hinreichend realisierte Kernziele, zum anderen auf die Profilierung der
einzelnen Universitäten. Schließlich reagieren die weiteren Reformen auf neue Problemfelder.
Die Kritik an der Verschulung der Universität, an der „Entwissenschaftlichung“ und
Ökonomisierung insbesondere der Bachelorstudiengänge reißt nicht ab. Dabei findet nicht
immer genügend Beachtung, dass das Konzept der Humboldtschen Universität sich nur auf
einen Bruchteilen einer Alterskohorte bezogen hat, dass sich die hohe heutige
Studierendenquote nicht zuletzt aus der höheren Komplexität der beruflichen Anforderungen
ergibt und deshalb nicht jeder an Hochschulen eingeschrieben Kommilitone Wissenschaftler
werden will. Umgekehrt gilt, dass unter den heutigen Bachelorstudierenden selbstverständlich
auch die Menschen mit Esprit und Talent sind, die die Forschung von morgen voranbringen
werden.
Dass die laut geäußerte Kritik nur die eine Seite der Medaille ist, weisen Tobias Brändle und
Björn Wendt in ihrer Bilanzierung zur Wahrnehmung des Bologna-Prozesses durch
Professorinnen und Professoren nach:85 Kritiker und Befürworter machen jeweils ca. die
Hälfte aus. Kritiker der Studienstrukturreform monieren häufiger einen erhöhten
Prüfungsaufwand, die Verringerung der Zeit für Forschung, die Abnahme der Freiheit in der
Lehre. Sie betonen den Zwang, der inner- und außeruniversitären Vorgaben. Befürworter
sehen den Wandel ihres Arbeitsalltags dagegen positiver; sie neigen weniger dazu, das VorBologna-Studium zu glorifizieren.
3. “Neue Lehrer braucht das Land?“ - Reform der Lehrerbildung
aus der Perspektive der Schul- und Hochschulreformen
85
Brändle, T., Björn Wendt, B. (2014). Kritiker und Befürworter – Die Wahrnehmung des Bologna Prozesses
durch Professorinnen und Professoren, Beiträge zur Hochschulforschung, 36. Jahrgang, 1/2014, S. 46-69.
32
Auch wenn dieser Aspekt bislang ausgespart wurde: Lehrerbildung ist Thema sowohl der
Schulreformen nach PISA als auch der auf die Schaffung eines europäischen Hochschulraums
ausgerichteten Hochschulreformen. Die nun folgende Zusammenstellung skizziert die jeweils
verfolgten Akzente. Dabei werden die Ausgangslage vor den Reformen, die ersten
Reformmaßnahmen zur Jahrtausendwende und die aktuelle Weiterführung der Reformen
unterschieden.
3.1.
Europäische
und
nationale
Ausgangspunkte
der
Lehrerbildungsreform der 2000-er Jahre
Auch bezogen auf Lehrerbildung führte die OECD um die Jahrtausendwende internationale
Vergleichsstudien durch. In Bezug auf Deutschland wurden die Ergebnisse der Lehrerstudie
2004 präsentiert.86 Auch hier waren die deutschen Ergebnisse im internationalen Vergleich
negativ. Für die Öffentlichkeit war dieses Ergebnis unerwartet;87 das Medienecho war
entsprechend groß.88
Das Ziel der längsschnittlich angelegten Vergleichsstudie war es, die Gestaltung der
Lehrerpolitik im Hinblick auf eine Verbesserung der Unterrichts- und Lernbedingungen zu
unterstützen. In der Studie (wie auch in ihrer öffentlichen Rezeption) wurde der
Zusammenhang zwischen Schüler- und Lehrerleistungen thematisiert. Die Reform der
Lehrerbildung wird demzufolge aus der Sicht von Schule eingefordert.
86
Anwerbung, berufliche Entwicklung und Verbleib von qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern (2003). Im
Zuge dieser Evaluierungsstudie wurden Schulen aus 25 Ländern besucht und analysiert. Vgl. Anwerbung,
berufliche Entwicklung und Verbleib von qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern - Länderbericht: Deutschland (September 2004). Zusammenfassung und erste Bewertung aus der Sicht der Kultusministerkonferenz (2008).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2008/2008_10_16Fachprofile-Lehrerbildung.pdf. Vgl. auch die Ergänzenden Hinweise zu dem Nationalen
Hintergrundbericht (CBR) für die Bundesrepublik Deutschland, die Peter Döbrich, Klaus Klemm, Georg Knauss
und Hermann Lange für die KMK vorgelegt haben. (Döbrich, P., Klemm, K., Knauss, G. & Lange, H. (2004)
Ausbildung, Einstellung und Förderung von Lehrerinnen und Lehrern OECD-Lehrerstudie. Ergänzende
Hinweise zu dem Nationalen Hintergrundbericht (CBR) für die Bundesrepublik Deutschland. URL
http://www.oecd.org/edu/school/suplement.pdf).
87
Nationale Experten waren diesmal vorbereitet; vgl. die Hinweise zu den auf unterschiedlichen Ebenen
angestellten Überlegungen.
88
„Schlechte Noten für deutsche Lehrer” titelte die Tagesschau am 22. September 2004, URL: http://www.lpbbw.de/oecd_lehrerstudie.html.
33
Als problematisch wurde z.B. der überkommene Beamtenstatus deutscher Lehrpersonen
eingestuft. Durch ihn werde zwar eine hohe Arbeitsplatzsicherheit, auch ein im
internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohes Gehalt garantiert, doch hätten die
Lehrerinnen und Lehrer keinen Anreiz, ihr Wissen und ihre Arbeit zu verbessern. Stattdessen
sollten die Leistung der Lehrpersonen regelmäßig überprüft werden89 und leistungsabhängige
Anreizsysteme geschaffen werden. Moniert wurde auch die Einstellungspolitik in den
Bundesländern, die sich jeweils nur am unmittelbaren Bedarf orientiere. Die Situation werde
verschärft durch eine insgesamt geringe Kommunikation zwischen den Ländern in Sachen
Lehrerpolitik, die ihrerseits nur ein Element der geringen Kommunikation zwischen den an
Lehrerbildung beteiligten Institutionen insgesamt sei. Das Monitum am Beamtenstatus war
nur ein Aspekt der deutlichen Kritik der OECD an der Aus- und Weiterbildung deutscher
Lehrkräfte. Die Kritikpunkte werden besonders prägnant formuliert in den aus den erhobenen
Daten erarbeiteten ergänzenden Hinweisen zum nationalen Bericht der OECD, den die KMK
in Auftrag gegeben hatte. Weil die Monita die Ausgangslage der Reformbemühungen in der
Lehrerbildung zu Beginn der aktuellen Hochschulreformen eindrücklich beschreiben, werden
sie im Folgenden zusammengestellt. Die OECD monierte:
(1) „das Fehlen eines inhaltlichen Einvernehmens über den Kernbestand verpflichtender
Inhalte des Studiums, insbesondere hinsichtlich der erziehungswissenschaftlichen
Grundlagen“;
(2) „die Resistenz der Fachwissenschaften (Unterrichtsfächer), sich den Problemen der
Lehrerbildung zu stellen“: Es bleibe, insbesondere in den Geisteswissenschaften, „oft
den Studierenden überlassen [...], welche Veranstaltungen sie aus dem breiten
Angebot des jeweiligen Fachbereichs auswählen wollen“;
(3) „die beträchtlichen Defizite in der fachdidaktischen Ausbildung“, die auch als
„Defizit an empirischer Forschung“ angesehen werden;
(4) das „Fehlen eines akzeptierten ‚Ortes der Lehrerbildung’ in den Hochschulen, an dem
die für alle Lehramtsstudiengänge gleichermaßen notwendige Abstimmung und
Verbindung
von
unterrichtsfachlichen,
fachdidaktischen
und
allgemein
erziehungswissenschaftlichen Unterrichtsinhalten sicherzustellen wäre“.
89
Die Kritik an der Input-orientierten Steuerung auch der Lehrerpolitik wird in den ergänzenden Hinweisen, die
auf Grundlage der Erhebung formuliert wurden, besonders deutlich: „Das Bemühen um die Sicherung der
Qualität von Schule und Unterricht konzentrierte sich auf die Formulierung von Vorgaben in struktureller und
inhaltlicher Hinsicht (Schulorganisation und Ausstattung, Stundentafeln, Lehrpläne etc.) und auf eine Aufsicht,
die sich primär daran orientierte, was Schulen und Lehrkräfte tun, nicht was sie erreichen.” URL:
http://www.oecd.org/edu/school/suplement.pdf, S. 7.
34
Über die universitäre Ausbildung hinaus reicht die Kritik
(5) an der „mangelnden Klarheit hinsichtlich der spezifischen Aufgaben der an den
verschiedenen Phasen der Lehrerbildung beteiligten Institutionen“;
(6) am „Fehlen einer systematischen Qualifizierung des Lehrpersonals in den
außerhochschulischen Einrichtungen der Lehrerbildung (Studienseminare und
Einrichtungen der Lehrerfortbildung)“.
(7) Die Ausbildung ist nach Ansicht der OECD außerdem „zu wenig an den realen
Problemen der Schulen orientiert“. Eine „klare Konzeption für das systematische
Lernen im Beruf [fehlt], welches die ersten Phasen der Ausbildung als Teil einer
Entwicklung begreift, die mit Studium und Vorbereitungsdienst (Referendariat)
begonnen, aber bei weitem noch nicht abgeschlossen ist“.
(8) Moniert wird auch das Fehlen von „Standards” der Lehrerbildung, die Grundlage
einer systematischen Evaluation der Lehrerbildung und eines entsprechenden
Feedback in allen hieran beteiligten unterschiedlichen Feldern und Institutionen
werden könnten“.90
Sowohl zeitlich vor der OECD-Studie, als auch in zeitlicher Überschneidung mit ihr und in
den darauf folgenden Jahren trafen KMK, HRK und auch der Wissenschaftsrat Empfehlungen
und nahmen Festlegungen zur Lehrerbildung vor. In den Grundsätzen stimmten die nationalen
Stellungsnahmen mit den Monita und Vorschlägen der OECD überein. Im Auftrag der KMK
setzte sich Ende der 1990er Jahre eine Kommission mit Perspektiven der Lehrerbildung in
Deutschland auseinander (Abschlussbericht 2000).91 Auch die Lehrerverbände beteiligten
sich daran, ein reformiertes Berufsbild für die Lehrkräfte zu entwickeln.92
90
Döbrich, P., Klemm, K., Knauss, G., Lange, H. (2004): Ausbildung, Einstellung und Förderung von
Lehrerinnen und Lehrern (OECD-Lehrerstudie). Ergänzende Hinweise zu dem Nationalen Hintergrundbericht
(CBR) für die Bundesrepublik Deutschland, URL: http://www.oecd.org/edu/school/suplement.pdf, S. 24f.
91
Terhart, E. (Hrsg.) (2000): Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Abschlussbericht der von der
Kultusministerkonferenz eingesetzten Kommission. Weinheim, Basel: Beltz.
92
Die Zusammenfassung der Gemeinsamen Erklärung des Präsidenten der Kultusministerkonferenz und der
Vorsitzenden der Bildungs- und Lehrerverbände (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 5.10.2000) ist
zitiert nach: Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz
vom 16.12.2004). Vgl. Standards für die Lehrerbildung. Bildungswissenschaften (2004) URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-StandardsLehrerbildung.pdf, S. 3:
1. Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für das Lehren und Lernen. Ihre Kernaufgabe ist die gezielte
und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehrund Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation. Die berufliche
Qualität von Lehrkräften entscheidet sich an der Qualität ihres Unterrichts.
2. Lehrerinnen und Lehrer sind sich bewusst, dass die Erziehungsaufgabe in der Schule eng mit dem
Unterricht und dem Schulleben verknüpft ist. Dies gelingt umso besser, je enger die Zusammenarbeit
mit den Eltern gestaltet wird. Beide Seiten müssen sich verständigen und gemeinsam bereit sein,
35
Die Vorarbeiten wurden in Überlegungen zu Standards für die Lehrerbildung überführt.93
Diese mündeten im Dezember 2004 in den Beschluss der KMK zu den Bildungsstandards
Bildungswissenschaften.94 Die HRK95 und der Wissenschaftsrat96 legten ihrerseits
Empfehlungen vor. Diese banden die Lehrerbildung stärker in den Rahmen der als notwendig
empfundenen Hochschulreformen ein. Einigkeit herrschte in Bezug auf die Notwendigkeit,
Standards für Lehrerbildung zu entwickeln, die allen drei Phasen als Rahmen dienen sollten.
3.2 Vorgaben und Empfehlungen der KMK und HRK zur Reform der
Lehrerbildung
Worin die Herausforderungen der Empfehlungen von HRK und KMK für die Reform der
Lehrerbildung bestehen, wird erst bei näherer Betrachtung deutlich. Die Gründe liegen
insbesondere darin, dass die von der KMK ausgewiesenen Bildungsstandards für die Erste
konstruktive Lösungen zu finden, wenn es zu Erziehungsproblemen kommt oder Lernprozesse
misslingen.
3. Lehrerinnen und Lehrer üben ihre Beurteilungs- und Beratungsaufgabe im Unterricht und bei der
Vergabe von Berechtigungen für Ausbildungs- und Berufswege kompetent, gerecht und
verantwortungsbewusst aus. Dafür sind hohe pädagogisch- psychologische und diagnostische
Kompetenzen von Lehrkräften erforderlich.
4. Lehrerinnen und Lehrer entwickeln ihre Kompetenzen ständig weiter und nutzen wie in anderen
Berufen auch Fort- und Weiterbildungsangebote, um die neuen Entwicklungen und wissenschaftlichen
Erkenntnisse in ihrer beruflichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollen Lehrerinnen und
Lehrer Kontakte zu außerschulischen Institutionen sowie zur Arbeitswelt generell pflegen.
5. Lehrerinnen und Lehrer beteiligen sich an der Schulentwicklung, an der Gestaltung einer
lernförderlichen Schulkultur und eines motivierenden Schulklimas. Hierzu gehört auch die Bereitschaft
zur Mitwirkung an internen und externen Evaluationen.
93
Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland
(Hrsg.). Standards für die Lehrerbildung: Bericht der Arbeitsgruppe. Die Arbeitsgruppe bestand aus HeinzElmar Tenorth, Ewald Terhart, Jürgen Oelkers, Heinz-Hermann Krüger (2004). Vgl. URL:
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards_LehrerbildungBericht_der_AG.pdf.
94
Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom
16.12.2004), S. 7-12. Den Kompetenzbereichen werden elf Kompetenzen zugeordnet, die den
Bildungswissenschaften entstammen. In den Standards werden unter den Terminus „Bildungswissenschaften“
auch die Fachdidaktiken subsumiert, neben den Erziehungswissenschaften (vgl. Tenorth, H.-E., Terhart, E.,
Oelkers, J. & Krüger, H.-H. (2004)). Dabei schließen die erziehungswissenschaftlichen Studienanteile Angebote
aus der Erziehungswissenschaft/ Pädagogik sowie – z.T. als Wahlschwerpunkte – Angebote aus Philosophie,
Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaften mit ein. 2014 wurden die Standards überarbeitet (Vgl. Tenorth,
H.-E., Terhart, E., Oelkers, J. & Krüger, H.-H. (2014). Standards für die Lehrerbildung: Bericht der
Arbeitsgruppe.
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16Standards-Lehrerbildung-Bildungswissenschaften.pdf ).
95
HRK: Entschließung des 206. Plenums am 21.2.2006: Empfehlung zur Zukunft der Lehrerbildung in den
Hochschulen.
96
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur künftigen Struktur der Lehrerbildung, Berlin 6.11.2001 (Vgl.
Wissenschaftsrat.
Empfehlungen
zur
künftigen
Struktur
der
Lehrerbildung
(2001).
URL
http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/5065-01.pdf ).
36
wie für die Zweite Phase gelten sollen, ohne dass es hierzu Absprachen zwischen den Phasen
gegeben hätte und dass die Bildungsstandards, ebenfalls ohne Absprache, in der universitären
Phase
für
Erziehungswissenschaften
bildungswissenschaftlichen
Standards
wie
für
Fachdidaktiken
der
KMK
beziehen
sich
gelten
sollten.
nämlich
auf
Handlungsfelder: Unterrichten, Erziehen, Beurteilen/ Beraten und Innovieren.
97
Die
vier
Die
Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften, über die (angehende) Lehrkräfte verfügen
können müssten, um kompetent handeln zu können, wären in interdisziplinärer
Zusammenarbeit zwischen den Fächern aufzubauen. Das dies schwierig ist, wurde schon von
Reformbeginn sichtbar: Die Fachdidaktiken protestierten vehement gegen die Einordnung
unter Bildungswissenschaften; sie betonten, sich in ihrem Fachbezug zu verstehen. 2008 legte
die KMK dann auch Standards für fachbezogene, also fachwissenschaftliche und
fachdidaktische Lehrerkompetenzen vor. In Kapitel A, IV 1-3 wird näher vorgestellt, wie
Lehrerbildung traditionell an der Universität angelegt ist und worin die Herausforderungen
für Änderungen bestehen.
Trotz aller Probleme: Wie die Bildungsstandards für Schülerinnen und Schüler zeigen auch
die Lehrerstandards Wirkung. Dezidiert werden sie in den Überarbeitungen der Ordnungen
für die Zweite Phase, damit in der Referendariatsausbildung berücksichtigt98. In den
Prüfungs- und Studienordnungen der Ersten Phase schlagen sie sich eher moderat nieder. Auf
Modulebene sind sie in den Erziehungswissenschaften und der Grundschulpädagogik/ didaktik zumindest implizit zu finden. Unterrichtskompetenzen werden explizit in den
Praxismodulen gefördert. Die fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Kompetenzen
spiegeln sich, weil sie sehr traditionell, oft sogar nur über Inhalte formuliert sind, in den
Modulen dieser Disziplinen wider.
In der Forschung finden vor allem Teilaspekte der Lehrerkompetenzen Beachtung
„Diagnostizieren von Ausgangslagen; Beurteilen von Unterricht” sind hierfür Beispiele.
Explizit auf die Bildungsstandards bezieht sich die BilWiss-Studie.99
Wie bei der Schul- und der allgemeinen Hochschulreform wurden auch für die Lehrerbildung
die Grundlagenpapiere überarbeitet. 2014 verabschiedete die KMK die Überarbeitung der
Lehrer-Standards
für
Bildungswissenschaften,
97
2015
für
die
Fachdidaktiken
und
Auf die Handlungsfelder und die hier notwendigen Kompetenzen wird in Kapitel A. I. 1.1 Deutsche
Schulreformen nach PISA näher eingegangen.
98
Vgl. Teil A Kapitel III, 3 Der durch Studienseminare begleitete Vorbereitungsdienst.
99
Vgl. Teil B, III 3.3 BilWiss: Bildungswissenschaftliches Wissen und der Erwerb professioneller
Kompetenz in der Lehramtsausbildung.
37
Fachwissenschaften. Die Weiterführung wurde auch hier von bildungspolitischen
Entscheidungen auf der internationalen Bühne, von tiefgreifenden gesellschaftlichen
Veränderung und von Realitäten der Praxis in deutschen Schulen angetrieben. Anstoß war
insbesondere die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft,100 die durch den Beitritt
Deutschlands zur UN-Behindertenrechtskonvention (2008) noch einmal neue Dimensionen
annahm. Durch ihren Beschluss zur „Inklusiven Beschulung von Kindern und Jugendlichen
mit Behinderungen in Schulen“ hat die KMK im Oktober 2011 nach eigener Einschätzung
„die konzeptionellen Grundlagen der schulischen Inklusion geschaffen”. Im Dezember 2012
folgten die entsprechenden KMK-Vorgaben für die Hochschule: In der Ausbildung für alle
Lehrämter komme „den pädagogischen und didaktischen Basisqualifikationen in den
Themenbereichen Umgang mit Heterogenität und Inklusion sowie Grundlagen der
Förderdiagnostik“ eine besondere Bedeutung zu; sie seien auf geeignete Weise aufzubauen.101
Die Überarbeitung der bildungswissenschaftlichen und fachbezogenen Standards für die
Lehrerbildung bezog sich nicht ausschließlich auf Inklusion, Heterogenität und Diversität,
sondern griff auch andere bislang nicht erreichte Reformziele auf, z.B. Mängel bei der
Zusammenarbeit zwischen den Ländern oder zwischen den Phasen der Lehrerbildung und
deren Institutionen. Zudem betonen die Überarbeitungen dezidiert die Doppelrolle der
Lehrerbildungsstandards für Schulen wie für Hochschulen.
Ausdruck der Akzeptanz dieser Doppelrolle von Lehrerbildung auf der Ebene von HRK und
KMK ist die gemeinsame Empfehlung „Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt” vom
März 2015.102 Dabei fällt auf, dass das Verständnis von Inklusion in der gemeinsamen
Erklärung weiter gefasst ist, als in den KMK-Leitlinien für die Schule. Es umfasst sowohl
Behinderungen
im
Sinne
der
Behindertenrechtskonvention
als
auch
besondere
Ausgangsbedingungen z.B. Sprache, soziale Lebensbedingungen, kulturelle und religiöse
Orientierungen oder Geschlecht sowie besondere Begabungen und Talente.103
100
Die Heterogenität der Schülerschaft wurde von der OECD bereits 2004 als eine Herausforderung beschrieben
worden ist, für die die deutsche Lehrerschaft nicht genügend qualifiziert sei.
101
Vgl.
Kulturministerkonferenz.
URL
http://www.kmk.org/bildung-schule/allgemeinebildung/lehrer/lehrerbildung.html.
102
Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.03.2015/ Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz vom
18.03.2015: Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt. Gemeinsame Empfehlung von
Hochschulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz. (Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt (2015).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_03_12-Schule-derVielfalt.pdf).
103
„Diversität in einem umfassenden Sinne ist Realität und Aufgabe jeder Schule. Dabei gilt es, die
verschiedenen Dimensionen von Diversität zu berücksichtigen. Das schließt sowohl Behinderungen im Sinne der
Behindertenrechtskonvention ein, als auch besondere Ausgangsbedingungen z.B. Sprache, soziale
Lebensbedingungen, kulturelle und religiöse Orientierungen, Geschlecht sowie besondere Begabungen und
Talente.”
In:
Lehrerbildung
für
eine
Schule
der
Vielfalt.
URL:
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2015/2015_03_12-Schule-der-Vielfalt.pdf, S. 2.
38
Explizit und implizit wird in der Verlautbarung auf Grundlinien der Schul- und
Hochschulreform Bezug genommen. Unter der Überschrift „Professioneller Umgang mit
Inklusion: Lehrerbildung in kollegialer Kooperation” wird die universitätsinterne Kooperation
zwischen Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Erziehungswissenschaften und schulpraktischen
Studien eingefordert, sodann die Kooperation zwischen den Lehrämtern und zwischen den
Phasen der Lehrerbildung. Dezidiert gefordert werden auch fachdidaktische und
erziehungswissenschaftliche
Forschung
zum
Thema,
u.a.
als
Entwicklung
einer
praxistauglichen Theorie.
Zum Ausdruck kommt auch die Öffnung der Universität: Die Mitwirkung der Schule an der
universitären Ausbildung wird ebenso angeregt, wie die transprofessionelle Zusammenarbeit
aller an Schule beteiligten Fachkräfte im Umgang mit Heterogenität.104
Die in der gemeinsamen Empfehlung zum Ausdruck kommende Aufgeschlossenheit für
grundlegende Reformen der universitären Lehrerbildung hat eine neue Qualität, nimmt man
die bisherigen Papiere der HRK zur Lehrerbildung zum Maßstab. Sie ist dem
Innovationscharakter aktueller Strategien für die Internationalisierung und für eine offene
Hochschule vergleichbar: Neues soll gewagt, erprobt und dann in der Wirksamkeit evaluiert
werden. Hier wie dort werden auch zusätzliche Finanzmittel eingesetzt. Dies verringert zwar
nicht die Herausforderung einer tiefgreifenden Reform, erleichtert aber deren Umsetzung.
Für die Lehrerbildung spielt die vom BMBF ausgeschriebene und 2014 und 2015
entschiedene Qualitätsoffensive Lehrerbildung105 eine besondere Rolle. Dabei geht es nicht
nur um die Fördersumme (immerhin 500 Millionen Euro), sondern auch um deren
Einbindung in das Gesamtkonzept der Reformen: So wurde im Vorfeld der Mittelzuweisung
durch den Bund eine weiterreichende gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen durch die
Länder durchgesetzt.106 Eine Vorbedingung für den Erfolg der Bewerbungen war, dass an der
104
Vgl.: Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt, S. 3.
Vgl.: Qualitätsoffensive Lehrerbildung (2015). URL https://www.bmbf.de/de/qualitaetsoffensivelehrerbildung-525.html.
106
Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.03.2013 i.d.F. v. 27.12.2013: Regelungen und Verfahren zur
Erhöhung der Mobilität und Qualität von Lehrkräften. Ländergemeinsame Umsetzungsrichtlinien für die
Anpassung von Regelungen und Verfahren bei der Einstellung in Vorbereitungs- und Schuldienst sowie für die
Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen in Studiengängen der Lehramtsausbildung.
Ländergemeinsame Umsetzungsrichtlinien für die Anpassung von Regelungen und Verfahren bei der
Einstellung in Vorbereitungs- und Schuldienst sowie für die Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen
in
Studiengängen
der
Lehramtsausbildung
(2013).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2013/2013_03_07-Mobilitaet-Lehrkraefte.pdf. Eine jährliche Berichterstattung über die Anerkennungsverfahren wurde vereinbart. Vgl. auch
https://www.bmbf.de/files/bund_laender_vereinbarung_qualitaetsoffensive_lehrerbildung.pdf
105
39
Universität erste Schritte einer erfolgreichen Lehrerbildungsreform und deren Begleitung
durch Bildungsforschung bereits nachgewiesen werden mussten.107
Lehrerbildungsreformen im Sinne von KMK und HRK zu realisieren, wird durch ein zweites
Paket an Herausforderungen erschwert, das im Folgenden dargestellt wird: Es geht um das
Spannungsfeld zwischen der Kulturhoheit der Länder über die Lehrerbildung und dem
Anspruch der einzelnen Universität, ihr Profil zu schärfen.
II.
Zwischen
Kulturhoheit
Autonomieanspruch:
und
Herausforderungen
universitärem
bei
der
Realisierung von Lehrerbildungs-Reformen
1. Kulturhoheit der Länder und universitäre Lehrerbildung
Die Kulturhoheit der Länder ist eines der Herzstücke des deutschen Föderalismus. Die KMK
formuliert: „Angelegenheiten der Schulen sowie Fragen der Ausbildung, Einstellung und
Beschäftigung von Lehrerinnen und Lehrern fallen grundsätzlich in die Zuständigkeit der
einzelnen Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Dies hat u. a. zur Folge, dass die
Lehrerausbildungs- und die Lehrerlaufbahnstrukturen in den Ländern weitgehend auf die dort
jeweils vorhandenen Schularten bzw. Schulstufen abgestimmt sind.”108
Während das gegliederte Schulsystem ursprünglich mit Grund-, Haupt-, Realschule und
Gymnasium vier allgemeinbildende Schularten umfasste und um die beruflichen Schulen und
107
Vgl.
hierzu
die
Information
zu
den
Auswahlkriterien
http://www.dlr.de/pt/Portaldata/45/Resources/a_dokumente/QLb_InfoAuswahlkriterienPT.pdf
108
Information des Sekretariats über die Regelungen des KMK-Beschlusses vom 22.10.1999. Vgl. Gegenseitige
Anerkennung
von
Lehramtsprüfungen
und
Lehramtsbefähigungen
(2009).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Bildung/AllgBildung/2009-Informationsschrift
Gegenseitige_Anerkennung.pdf., S. 2.
40
die Sonderschulen ergänzt wurde und Lehrerbildung sich auf diese Schularten bezog, hat sich
das Schulsystem und damit die Lehrerbildung im Zuge der Schulreformen dieses Jahrhunderts
länderspezifisch vielfach ausdifferenziert. Die KMK resümiert diesbezüglich, dass „z. T. nicht
unerhebliche Unterschiede in der Lehrerausbildung” bestehen und sich „eine Vielfalt an
Lehramtsbezeichnungen entwickelt” hat. Sie zieht daraus die Konsequenz, „sämtliche in den
Ländern vorhandenen Lehrämter aus Gründen der Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit zu
insgesamt sechs Lehramtstypen zusammenzufassen.”109 Diese Systematisierung ist Grundlage
der gegenseitigen Anerkennung der Lehramtsabschlüsse, die 1999 erlassen, 2009
aktualisiert110 und 2013 liberalisiert111 wurde.
Unterschiedlich sind auch die Zulassungsbedingungen zum Vorbereitungsdienst; hier hat die
KMK ebenfalls Anerkennungsrichtlinien erlassen.112 Einheitlich ist demgegenüber die
Festlegung auf ein Erstes und Zweites Staatsexamen als Voraussetzung für eine Tätigkeit als
Lehrer/ Lehrerin. Allerdings haben die Veränderungen vor dem Staatsexamen nicht Halt
gemacht.
2. Staatsexamen in der Lehrerbildung
Die Begründung für das Staatsexamen als Studienabschluss des Lehramtsstudiums ist, dass
Lehrer/ Lehrerin ein Beruf in einem vom deutschen Staat regulierten Berufsfeld ist und
Lehrkräfte entsprechend als Beamte oder Angestellte im Staatsdienst beschäftigt sein können.
Die mit dem Studienabschluss Staatsexamen verbundene staatliche Kontrolle ist Ausdruck
des öffentlichen Interesses an der Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards. Das Erste
109
Vgl. Gegenseitige Anerkennung von Lehramtsprüfungen und Lehramtsbefähigungen (2009), S. 2; die
zweiseitige (!) Übersicht befindet sich ebd. auf S. 4f.
110
Die Systematisierung des Jahres 2009 nimmt Bezug auf die oben erläuterten Standards zur Lehrerbildung aus
den Jahren 2004 und 2008. Vgl. Gegenseitige Anerkennung von Lehramtsprüfungen und Lehramtsbefähigungen
(2009).
111
Beschluss der KMK vom 22.10.1999 i.d.F. vom 07.03.2013: Gegenseitige Anerkennung von
Lehramtsprüfungen und Lehramtsbefähigungen. Zwischen 1997 und 2207
wurde in mehreren
Rahmenvereinbarung die Anerkennung von schulstufenbezogenen Lehrämtern vereinbart (vgl.:
Rahmenvereinbarung über die Ausbildung und Prüfung für Lehrämter für alle oder einzelne Schularten der
Sekundarstufe I (Lehramtstyp 3) (Beschluss der KMK vom 28.02.1997 i.d.F. vom 07.03.2013). Die Fassungen
vom März 2013 sind jeweils Ausdruck der Liberalisierung der Anerkennung im Vorfeld der Qualitätsoffensive
Lehrerbildung.
112
Ländergemeinsame Anforderungen für die Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes und die abschließende
Staatsprüfung (Beschluss der KMK vom 06.12.2012).
41
Staatsexamen berechtigt zur Aufnahme des Vorbereitungsdienstes, der durch das zweite
Staatsexamen abgeschlossen wird. Die Einstellung in den Staatsdienst erfolgt kompetitiv, in
Abhängigkeit von der Abschlussnote. Soweit der auch heute noch gültige grundsätzliche
Konsens.
Im
Zuge
der
Bologna-Reform
entschieden
sich
die
meisten
Bundesländer
die
lehramtsbezogenen Masterabschlüsse der Hochschulen als Erstes Staatsexamen anzuerkennen
und zur Qualitätssicherung auch für die Lehramtsstudiengänge das Akkreditierungsverfahren
zu nutzen. Die Anerkennung der Studienabschlüsse wurde deshalb 2005 um Eckpunkte für
die Anerkennung gestufter Abschlüsse ergänzt.113
Den Vorbereitungsdienst schließen demgegenüber alle Referendare mit dem zweiten
Staatsexamen ab, das in staatlicher Verantwortung abgenommen und von einem staatlichen
Prüfungsamt organisiert wird.
3. Konkretisierungen zur Struktur-Reform der Lehrerbildung
Nicht zuletzt unter Berufung auf die guten Ergebnisse in den nationalen und internationalen
Ländervergleichen hält Bayern als einziges Bundesland mit großer Vehemenz an den
Lehrerbildungstraditionen
fest.
Nordrhein-Westfalen
gehört
demgegenüber
zu
den
Bundesländern, die sich am weitesten von der traditionellen Lehrerbildung gelöst haben.114
Am Beispiel dieser beiden Bundesländer wird im Folgenden erläutert, wie unterschiedlich
Kulturhoheit der Länder, Beschlüsse der KMK und Hochschulreformen zusammenwirken
können.
113
Eckpunkte für die gegenseitige Anerkennung von Bachelor- und Masterabschlüssen in Studiengängen, mit
denen die Bildungsvoraussetzungen für ein Lehramt ermittelt werden (Beschluss der KMK vom 02.06.2005).
Voran gegangen ist der Beschluss der KMK vom 01.03.2002 zu „Möglichkeiten der Einführung von Bachelor/Masterstrukturen in der Lehrerausbildung sowie der Strukturierung/Modularisierung der Studienangebote und
Fragen der Durchlässigkeit zwischen den Studiengängen”. Der weitere Regelungsbedarf spiegelt sich in
zusätzlichen Beschlüssen der KMK, vgl. die Übersicht zu allen KMK Beschlüssen zur Lehrerbildung: Übersicht
zu allen KMK-Beschlüssen zur Lehrerbildung. URL http://www.kmk.org/index.php?id=1601&type=123.
114
Eine Übersicht über die rechtlichen Regelungen der Lehrerbildung in den Ländern der Bundesrepublik
Deutschland bietet eine Serviceseite der KMK: Vgl. Übersicht zu allen KMK Beschlüssen zur Lehrerbildung.
42
3.1 Strukturelle Lehrerbildungsreform: Das Beispiel Bayern
Bayern hat sich nicht nur entschieden, das zentrale Staatsexamen beizubehalten, sondern auch
die schulartbezogene Ausbildung und die Studiendauer von sieben Semestern für Grund-,
Mittel- und Realschule bzw. neun Semestern für Gymnasium, Berufsschule und
Sonderschulen, dazu den zweijährigen Vorbereitungsdienst. Die erste und die zweite Phase
der Lehrerbildung sind jeweils durch eine eigene Lehramtsprüfungsordnung (LPO)
geregelt.115
Obwohl Bayern die traditionelle Lehrerbildung weiterführt, sollte das Lehramtsstudium
modularisiert werden, nicht zuletzt deshalb, weil es den Universitäten auch weiterhin möglich
sein sollte, Fach- und Lehramtsstudierende gemeinsam auszubilden, also polyvalente
Angebote zu machen. Trotz der Vereinbarung der Modularisierung behält der Staat sich einen
deutlichen Einfluss auf die Inhalte der Lehrerbildung vor: Es wurde festgelegt, dass ca. 60 %
der Studieninhalte in den wichtigsten Grundzügen durch die inhaltlichen Vorgaben der LPO I
und der diese konkretisierenden Kerncurricula geregelt werden. Auf die Kerncurricula
beziehen sich auch die Aufgabenstellungen der zentral gestellten Klausuren der staatlichen
Abschlussprüfung.
Die weiteren ca. 40 % verantworten die einzelnen Universitäten, hier soll auch das spezielle
Profil der jeweiligen Universität in die Lehrerbildung einfließen. Allerdings müssen die
Universitäten auch in den inhaltlich nicht näher festgelegten Anteilen strukturelle Vorgaben
der LPO I berücksichtigen. So werden z.B. ECTS-Punkte für Teildisziplinen festgeschrieben,
die die Studierenden als Zulassungsbedingungen zum Staatsexamen nachweisen müssen. Eine
weitere Form der Einflussnahme ist, dass von den Studierenden in manchen Fächern und für
manche Schularten zusätzliche Zulassungsbedingungen zu erbringen sind, ohne dass dafür
ECTS-Punkte vorgesehen wären. Das können Sprachkenntnisse sein, die durch das Abitur
nicht notwendig sichergestellt sind, „Basisqualifikationen“ im musischen Bereich oder
Orientierungs- bzw. Betriebspraktika. Die Abschlussnote wird zu 60 % aus den Ergebnissen
der zentralen Staatsprüfung, die neben den Klausuren auch eine Abschlussarbeit (=
115
Ordnung der Ersten Prüfung für ein Lehramt an öffentlichen Schulen (Lehramtsprüfungsordnung I - LPO I)
Vom 13. März 2008 und Ordnung der Zweiten Staatsprüfung für ein Lehramt an öffentlichen Schulen
(Lehramtsprüfungsordnung II - LPO I in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1992 (GVBl S.
496), zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. August 2003 (GVBl S. 590).
43
schriftliche Hausarbeit; 10 ECTS-Punkte) umfasst, und zu 40 % aus den Modulprüfungen
berechnet. Für die Vorbereitung auf und die Ablegung der zentralen Staatsprüfung sind keine
ECTS-Punkte vorgesehen.
Die grundsätzliche Entscheidung für das Staatsexamen wurde noch 2006 durch die
Ausschreibung für Modellversuche ergänzt, die „sowohl den Erwerb eines Bachelor- oder
Master-Grades als auch die Ablegung der Ersten Prüfung für ein Lehramt an öffentlichen
Schulen ermöglichen“.116 Die beiden Staatsministerien für Unterricht und Kultus und für
Wissenschaft, Forschung und Kunst waren gemeinsame Initiatoren der Ausschreibung. In
Kapitel C I, 1.Zur Einordnung in die bayerische Lehrerbildungspolitik wird an einem
Studiengangsmodell verdeutlicht, wie mit der besonderen Herausforderung, Staatsexamen,
gestufte Abschlüsse und Universitätsprofil zu verbinden, umgegangen wurde.
3.2 Strukturelle Lehrerbildungsreform: Das Beispiel NRW
NRW legte dagegen 2009 die Abschaffung der Staatsexamensstudiengänge ab dem
Wintersemester 2011/ 12 fest und entschied sich, Lehrerbildung in die Bologna-Reform zu
integrieren. Konsequenz war die Einführung des „Master of Education” (M.ed.) als
Studienabschuss. Die Studienzeit aller Studiengänge, auch des auf Primaschulen bezogenen,
beträgt damit zehn Semester.
Die das Staatsexamen regulierenden Lehramtsprüfungsordnungen verloren 2012 ihre
Gültigkeit. Grundlegende Regularien zu den schulstufen- bzw. schulartbezogenen
Lehramtsstudien, u.a. durch die Festlegung der vorzuweisenden ECTS-Punkte, enthält die
Verordnung über den Zugang zum nordrhein-westfälischen Vorbereitungsdienst.117
In NRW handelt es sich bei der Reform der Lehrerbildung nicht nur um eine Strukturreform,
sondern zugleich um inhaltliche Reformansätze. Unter anderem werden dabei zentrale
116
Ausschreibung von Modellversuchen für bayerische Universitäten, die „sowohl den Erwerb eines Bacheloroder Master-Grades als auch die Ablegung der Ersten Prüfung für ein Lehramt an öffentlichen Schulen
ermöglichen“
(26.
Februar
2006,
Az.:
III.1-5
S
4006-PRA.34),
URL
http://www.km.bayern.de/medien/km_links/datei/amtsblatt/kwmbl-2006-05.pdf
117
Verordnung über den Zugang zum nordrhein-westfälischen Vorbereitungsdienst für Lehrämter an Schulen
und Voraussetzungen bundesweiter Mobilität (Lehramtszugangsverordnung - LZV) vom 18.6.2009.
44
Hinweise der OECD-Lehrer-Studie118 aufgegriffen. Auf der Homepage des für Lehrerbildung
zuständigen Schulministeriums wird die Reform wie folgt charakterisiert:
•
Umstellung des Lehramtsstudiums auf Bachelor- und Masterstudiengänge,
•
Erhöhung des Praxisbezugs des Lehramtsstudiums unter anderem durch Einführung
eines Eignungspraktikums und eines halbjährigen Praxissemesters,
•
Stärkung der Vermittlung von Fachdidaktik und Bildungswissenschaften,
•
Stärkung der schulformbezogenen Differenzierung und Gleichwertigkeit für alle
Lehrämter durch Einführung eines eigenständigen Grundschullehramtes und
Angleichung der Ausbildungszeiten,
•
Stärkung der Lehrerausbildung an den Universitäten durch die Gründung
eigenständiger „Zentren für die Lehrerbildung“, welche als zentrale Anlaufstelle sowie
Identifikationsort für die Lehrerausbildung innerhalb der Hochschulen dienen,
•
Straffung des Vorbereitungsdienstes,
•
Neu-Ausgestaltung des Seiteneinstiegs in den Lehrerberuf.119
•
Die Reform wurde auch genutzt, um neue Studieninhalte festzulegen. In NRW muss
z.B. in allen Lehramtsstudiengängen „Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit
Zuwanderungsgeschichte“ sowie „Diagnose und Förderung“ studiert werden. In den
Modulen dieses Schwerpunkts wird auch versucht, angehende Lehrkräfte zu einem
kompetenten Umgang mit schulbezogener Forschung zu befähigen.
4. Lehrerbildung als Profilelement für Universitäten
4.1 Das Lehrangebot als Indikator
Alle Bundesländer binden ihre Universitäten, was die Lehre im Lehramtsstudium betrifft, an
staatliche Vorgaben; wobei die staatlichen Einflussnahmen, wie die Beispiele Bayern und
118
Vgl. Kapitel A. I. 3.1 Europäische und nationale Ausgangspunkte der Lehrerbildungsreform der 2000-er
Jahre.
119
Vgl.
Schulministerium
Nordrhein-Westfalen.
URL
https://www.schulministerium.nrw.de/docs/LehrkraftNRW/Lehramtsstudium/Reform-derLehrerausbildung/Reform/index.html.
45
Nordrhein-Westfalen gezeigt haben, sehr unterschiedlicher Art sind. Dennoch bleiben den
Universitäten Spielräume zur Profilbildung.
In Bezug auf die Lehre erlassen die Universitäten jeweils eigene Prüfungs- und/ oder
Studienordnungen. Aus ihnen wird ersichtlich, inwiefern den Studierenden eine Profilbildung
ermöglicht wird. Indikatoren für die Bedeutung, die der Lehrerbildung zugewiesen wird, sind,
1. inwiefern Fachwissenschaften ihre „Resistenz” aufgegeben haben, „sich den
Problemen der Lehrerbildung zu stellen“120 – völlige Wahlfreiheit der Studierenden in
Bezug auf Fachwissenschaften ist ein Indikator für Desinteresse,
2. inwiefern
Fachdidaktiken
sich
fachbezogen
mit
Kompetenzorientierung,
Heterogenität/ Inklusion, Multikulturalität u.a. auseinandersetzen,
3. inwiefern Erziehungswissenschaften auch auf einen kompetenten Umgang mit
Unsicherheit
und
Offenheit
oder
auf
die
Mitwirkung
bei
Schul-
und
Unterrichtsentwicklung vorbereiten,
4. inwiefern schulpraktische Studien betreut werden und in das Gesamtkonzept der
Studiengänge eingebunden sind,
5. inwiefern den Studierenden Wahlpflicht- und Wahlmodule für deren Profilbildung
angeboten werden.
4.2 Schulbezogene Forschung als Profilelement
Dass Universitäten ein Profil in Bezug auf schulbezogene Forschung ausprägen, war vor den
großen, in Kapitel I vorgestellten Schul- und Hochschulreformen kaum der Fall. Für die
Etablierung von entsprechenden Forschungsschwerpunkten erwiesen sich die Vorreiterrollen
von Elite-Universitäten (wie z.B. der Technischen Universität München, der Universität
Konstanz oder der Universität Tübingen) und Forschungsinstituten121 (wie z.B. den LeibnizInstituten aus der Sektion A - Geisteswissenschaften und Bildungsforschung) als bedeutsam.
Noch wichtiger waren allerdings die Drittmittel-Programme, die staatliche Förderer (BMBF,
DFG), große Stiftungen (wie z.B. Bertelsmann, Volkswagen, Telekom, Mercator), aber auch
120
Vgl. Döbrich, P., Klemm, K., Knauss, G. & Lange, H. (2004) Ausbildung, Einstellung und Förderung von
Lehrerinnen und Lehrern OECD-Lehrerstudie. Ergänzende Hinweise zu dem Nationalen Hintergrundbericht
(CBR) für die Bundesrepublik Deutschland. URL http://www.oecd.org/edu/school/suplement.pdf, S. 24.
121
Vgl. z.B. das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel. URL
http://www.leibniz-gemeinschaft.de/institute-museen/einrichtungen/ipn ; Deutsches Institut für Internationale
Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt. URL http://www.leibniz-gemeinschaft.de/institutemuseen/einrichtungen/dipf ; das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe in Bamberg. URL http://www.leibnizgemeinschaft.de/institute-museen/einrichtungen/lifbi ; oder das Institut für Wissensmedien in Tübingen. URL
http://www.leibniz-gemeinschaft.de/institute-museen/einrichtungen/iwm.
46
die Länder für schulbezogene Forschung auflegten. Profiteure der Programme sind nicht
zuletzt die Forschungsinstitute, Universitäten und Forschenden, die im Auftrag der KMK und
staatlich finanziert an der Realisierung der Schulleistungstests mitwirken, bzw. drittmittelfinanziert damit zusammenhängende weiterführende Forschungsprojekte betreiben.122
Im Vergleich dazu stehen die Forscher der geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen
Fächer eher im Abseits. Dennoch: Wenn auch unter weniger günstigen Bedingungen
erforschen sie Konsequenzen z.B. des Paradigmenwechsels zur Kompetenzorientierung oder
realisieren bezogen auf ihre Themen die empirische Wende für ihre Fächer. Insgesamt haben
Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften sich in den letzten Jahren mit überzeugenden
Forschungsprojekten in der Forschungslandschaft etablieren können (vgl. exemplarisch die
Berichterstattung zu den schulbezogenen Schwerpunktprogrammen von DFG,123 BMBF,124
und der Bund-Länder-Programme125).
Nicht zu vergessen sind Forschende unterschiedlicher Fächer, die dem bildungspolitisch
eingeschlagenen Weg kritisch gegenüber stehen. In den Schwerpunktprogrammen der
Forschungsförderer hat diese Gruppe wenige Chancen. Die Forschungen müssen über
Stiftungen und Einzelanträge finanziert werden. Bislang scheint es dieser Gruppe nicht
gelungen zu sein, die Kritik am Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung und
Evidenzbasierung durch alternative Paradigmen zu bündeln.
Dass sich Bildungsforschung als Element der Profilbildung für Universitäten zunehmend
etabliert, kann man auch an den Formen der Institutionalisierung festzustellen: Universitäten,
die auch auf das Profil Bildungsforschung setzen, bilden geeignete Strukturen: Zum Teil ist es
Universitäten gelungen, gefördert von Bund und/ oder Land eigene, auf Dauer anlegte
Forschungsinstitute zu schaffen,126 zum Teil erfolgt der institutionelle Aufbau auch gefördert
122
Vgl. exemplarisch die jährlich herausgegebenen und über die Homepages abrufbaren Forschungsberichte des
IQB oder der TUM.
123
Vgl. u.a. das Schwerpunktprogramm „Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur
Bilanzierung von Bildungsprozessen”. Vgl. hierzu exemplarisch die Lage zur Zeit der Ausschreibung: Klieme,
E. & Leutner, D. (2006). Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung
von Bildungsprozessen. Beschreibung eines neu eingerichteten Schwerpunktprogramms der DFG. Zeitschrift der
Pädagogik, 52, 6, S. 876-903; Leutner, D., Klieme, E., Fleischer, J. & Kuper, H. (Hrsg.) (2013).
Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsprozessen.
Zeitschrift für Erziehungswissenschaft Sonderheft, 18, S. 1-4.
124
Vgl. u.a. Projekte aus dem Rahmenprogramm zur Förderung der empirischen Bildungsforschung. URL
http://www.empirische-bildungsforschung-bmbf.de/de/1381.php.
125
Vgl. u.a. „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BISS), eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF), des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(BMFSFJ), der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK)
und der Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder (JFMK). Berichterstattung zu den schulbezogenen
Schwerpunktprogrammen. URL http://www.biss-sprachbildung.de.
126
Vgl. z.B. das IQB der Humboldt-Universität zu Berlin. URL https://www.iqb.hu-berlin.de oder das
Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung der Universität Tübingen. URL http://www.uni-
47
über Stiftungen.127 Vielfach institutionalisieren die Universitäten Bildungsforschung über die
Lehrerbildungszentren.128
Zusätzlich
bilden
sie,
z.B.
über
den
Lead
in
Verbundsforschungsprojekten, über Graduiertenkollegs, aber auch über praxisbezogene
Formen wie Schülerlabore flexiblere, zeitlich begrenzte Strukturen.
Immer stellen die Universitäten für den Ausbau der Bildungsforschung zu einem
Profilelement auch Mittel bereit, insbesondere Stellen zum Anschub von Forschung.
Teilweise
sind
diese
akquiriert
aus
Bundesförderungen
(Exzellenzinitiativen,
Qualitätsoffensive Lehrerbildung) und Landesförderungen (Baden-Württemberg-Stiftung;
Bildungspakt Bayern). Insbesondere wird auch der Aufbau nationaler und vor allem
internationaler Netzwerkstrukturen gefördert; neben universitätsinternen Mitteln stehen
hierfür auch staatliche Fördermöglichkeiten zur Verfügung, die im Zuge des Reformziels
Internationalisierung bereit gestellt werden.
Bezogen auf alle Fördermaßnahmen ist die Evaluierung der Projekte inzwischen genuiner
Bestandteil; dies hat auch zur Folge, dass die Qualität der Instrumente der Erfolgsüberprüfung
ständig zunimmt. Wie im Kapitel zu Schul- und Hochschulreformen bereits angesprochen,
wird der Anwendungsbezug zunehmend zu einem Kriterium für die Erfolgsbewertung. Die
bewusst (auch) an qualitätsvolle Forschungsansätze gebundene Vergabe der Mittel aus der
Qualitätsoffensive Lehrerbildung wird der schulbezogenen Forschung, nicht zuletzt zum
Umgang mit Heterogenität, einen weiteren Impuls geben.
5. Resümee
Die Reform der Lehrerbildungs-Studiengänge an den Universitäten stellt diese vor ganz
spezifische Ansprüche, weil der Staat seine Interessen durch Anforderungen an die
Studiengangskonstruktion der Universitäten wahrt, selbst dann, wenn universitäre
tuebingen.de/fakultaeten/wirtschafts-und-sozialwissenschaftliche-fakultaet/faecher/hector-institut-fuerempirische-bildungsforschung.html.
127
Vgl.
exemplarisch
die
Stiftungslehrstühle
der
TUM
School
of
Education.
URL
https://www.edu.tum.de/startseite.
128
Vgl. exemplarisch unter den nordrhein-westfälischen Zentren für Lehrerbildung und Bildungsforschung u.a.
das Zentrum für Bildungsforschung und Lehrerbildung (PLAZ) der Universität Paderborn. URL https://plaz.unipaderborn.de/bildungsforschung; unter den hessischen die Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung
in Hessen. URL http://www.abl.uni-frankfurt.de/40103711/Forschung; unter den bayerischen das Zentrum für
LehrerInnenbildung und interdisziplinäre Bildungsforschung der Universität. URL http://www.uniaugsburg.de/institute/ZLbiB.
48
Masterabschlüsse durch einen Verwaltungsakt als Erste Staatexamina anerkannt werden. Die
in staatlichen Ordnungen oder anderen Verlautbarungen festgelegten Kriterien müssen
eingehalten werden, auch wenn sie von den Überlegungen der Universitäten für ihre (Fach-)
Studiengängen abweichen.
Aufgrund der Kulturhoheit der Länder unterscheiden sich die staatlichen Eingriffe – wie an
den beiden Beispielen Bayern und Nordrhein-Westfalen aufgezeigt wurde – deutlich. In
Bayern betreffen sie – wegen der Beibehaltung des durch Zentralklausuren realisierten
Staatsexamens – Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften
gleichermaßen; in anderen Ländern bleiben die Regulierungen insbesondere in Bezug auf die
Fachwissenschaften offener. Es werden aber lehramtsspezifische Module zu Themen
eingefordert, die sich aus geänderten Rahmenbedingungen für Schule ergeben und damit
explizit mit den laufenden Schulreformen zusammenhängen. Der im Studium (nicht nur in
den schulpraktischen Studien) herzustellende Bezug auf die in den Ländern jeweils
eingeführten Schulformen stellt eine zusätzliche Herausforderung für die universitäre
Lehrerbildung dar.
HRK und KMK sind im gemeinsamen Beschluss zu „Schule der Vielfalt”129 auf solche mit
den aktuellen Reformen zu lösenden Aufgaben eingegangen. Die Art und Weise, wie
Universitäten bei der Reform der Lehrerbildung mit den staatlichen Vorgaben und mit den für
Lehrerbildung
relevanten
Rahmenbedingungen
umgehen,
zeigt,
inwiefern
ihnen
Lehrerbildung wichtig ist: Eine Faustregel ist, je weniger Konzept hinter den
Lehramtsstudiengängen steht, desto weniger ernst wird Lehrerbildung genommen; große
Wahlfreiheit
der
Lehramts-Studierenden
entspricht
damit
einem
Indikator
für
Konzeptlosigkeit.
Umgekehrt sind eine Profilbildung in der schulbezogenen Forschung einerseits und eine
daraus resultierende forschungsnahe, auch auf Forschungsmethoden ausgerichtete Lehre
andererseits ein Indikator dafür, dass Lehrerbildung für wichtig erachtet wird oder gar ein
Profilelement der Universität ist. In diesem Fall scheint es eher zu gelingen, die
Herausforderung zu meistern, Einflüsse der Kulturhoheit der Länder und das Eigeninteresse
der Universität als Ort akademischen Lehrens, Lernens und Forschens in Einklang zu bringen.
Die nachfolgend skizzierte Herausforderung geht vom Ziel aus, Lehrerbildung als
lebenslangen Prozess zu verstehen. Die Aufteilung in drei Phasen, die institutionell
129
Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.03.2015/ Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz vom
18.03.2015: Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt. Gemeinsame Empfehlung von
Hochschulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz. Vgl. Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt
(2015).
49
unterschiedlich verortet sind, erschwert es aber, Lehrerbildung als Einheit zu verstehen. Die
Herausforderungen einer „vertikalen Vernetzung“ werden im Folgenden auf der Grundlage
der Beschreibung der drei Phasen herausgearbeitet.
III. „Non scholae, sed vitae discimus“: Lehrerbildung als
lebenslanger Prozess
Dass lebenslanges Lernen gerade auch von Lehrkräften verlangt werden muss, die dazu
beitragen sollen, dass Schüler kompetent mit den immer neuen Situationen ihres späteren
Lebens umgehen lernen, ist unstrittig. Die OECD-Studie machte in dieser Hinsicht 2004 aber
auf schwerwiegende Defizite in Deutschland aufmerksam, die sie einerseits mit dem
Beamtentum in Verbindung brachte, andererseits mit mangelnden Konzepten für die Fortund Weiterbildung im Beruf erklärte und dem Fehlen von phasenübergreifenden Standards
für die Lehrerbildung zuschrieb.130
Im Folgenden wird zuerst der Ist-Stand erläutert: In Deutschland wird Lehrerbildung in drei
Phasen eingeteilt, wobei die ersten beiden jeweils durch Staatsexamina gesteuert werden, die
dritte der berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung vor allem den Lehrkräften selbst
überlassen wird. Im Anschluss an die Darstellung der Phasen werden jeweils
Herausforderungen herausgearbeitet, die es zu meistern gilt, wenn die Phasen im Sinne eines
lebenslangen Lernens besser aufeinander bezogen werden sollen.
1. Erstausbildung an der Universität und im Studienseminar
130
Vgl. Döbrich, P., Klemm, K., Knauss, G. & Lange, H. (2004), S. 24.
50
Für die Lehrerbildung in allen deutschen Ländern gilt die Grundsatzentscheidung, die
Erstausbildung aufzuteilen. Dabei wird die erste Phase als akademische Ausbildung an
Hochschulen verortet und die zweite Phase als Vorbereitungsdienst gestaltet, der durch
Studienseminare begleitet wird. Für die dritten Phase, die berufsbegleitende Fort- und
Weiterbildung, gibt es keine vergleichbare Form der Institutionalisierung.
Die zweigeteilte Erstausbildung mit den damit verbundenen Übergangsproblemen wird
durchaus kontrovers diskutiert: Theorie und Praxis würden durch die Zweiteilung zu wenig
verzahnt. Dennoch fanden in Deutschland nur in den 1970-er Jahren in Bremen und
Oldenburg Modellversuche zu einer einphasigen Lehrerbildung statt. Weil sie vorzeitig
abgebrochen wurden, können, trotz der ausführlichen Dokumentation insbesondere des
Oldenburger Modellversuchs131 keine belastbaren Aussagen gemacht werden132. Dass eine
einphasige Lehrerbildung, auch wenn sie „nur akademisch” erfolgt, erfolgreich sein kann,
zeigt u.a. das Beispiel Finnland. Dennoch setzen die meisten Länder auf Mischformen, wobei
das Verhältnis von Theorie- und Praxisanteilen ebenso variieren, wie das Verhältnis von
fachlichen
und
pädagogischen
fachdidaktischen Anteilen.
Anteilen
oder
von
fachwissenschaftlichen
und
133
Unstrittig dürfte sein, dass ausgeprägte Expertise nötig ist, um den Aufbau gesicherter
fachlicher, fachdidaktischer und erziehungswissenschaftlicher Kompetenzen zu fördern und
dass eine anders geartete Expertise gegeben sein muss, um bei der Entwicklung der von den
Handlungsfeldern
Unterrichten,
Erziehen,
Beraten/
Beurteilen
und
Innovieren
gekennzeichneten „Alltagstauglichkeit“ zu unterstützen. Es kann keinesfalls davon
ausgegangen werden, dass ein und derselbe Mensch über genügend Expertise in allen
erforderlichen Bereichen verfügt, um den Aufbau beider Kompetenzausprägungen zu
unterstützen.
131
Fichten, W., Spindler, D. & Steinbrick, U. (Hrsg.) (1981). Dokumentation zur Einphasigen Lehrerausbildung.
Bd. 1-6. Oldenburg. Vgl. einordnenden Rückblick in: Schützenmeister, J. (2002). Professionalisierung und
Polyvalenz in der Lehrerausbildung. Marburg: Tectum.
132
Vgl. Blömeke, S. (2004). Erste Phase an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen. In: S. Blömeke, P.
Reinhold, G. Tulodziecki & J. Wildt (Hrsg.), Handbuch Lehrerbildung (S. 262-274). Bad Heilbrunn u.a.:
Klinkhardt/ Westermann, S. 262ff.
133
Aktuell vgl. z.B.: Döbert, H., Kopp, B. & Weishaup (Hrsg.) (2014). Innovative Ansätze der Lehrerbildung im
Ausland. Münster: Waxmann.
51
2.
Die
universitäre
Lehrerbildung
als
Grundstock
für
lebenslanges Lernen
2.1 Der Erwerb tiefen und flexiblen Wissens als Grundlage für die
Entwicklung von Lehrerkompetenz
Lehrerbildung an der Universität zu verorten bedeutet grundsätzlich, das Ziel zu teilen, eine
dem aktuellen Forschungsstand entsprechende theoriefundierte Grundlegung lebenslang
erweiterungsfähiger Kompetenzen erreichen zu wollen. Dies gilt für alle „Säulen” des
Lehramtsstudiums, also für die jeweils gewählten Fachwissenschaften und deren
Fachdidaktiken und die Erziehungswissenschaften. Allerdings bleibt das 2001 vom
Wissenschaftsrat im Zuge seiner Defizitanalysen formulierte Grundproblem bestehen,134 den
Wissens- und Kompetenzaufbau so zu unterstützen, dass die Lehramtsstudierenden damit
ihren späteren Handlungsfeldern gerecht werden können. Es geht nicht nur um einen
forschungsbezogenen Wissensaufbau, sondern um Kompetenzentwicklung für das Berufsfeld
Schule. Was dies bedeutet, lässt sich am aktuellen Ziel zeigen, (angehende) Lehrkräfte für die
Tätigkeit in einer „Schule der Vielfalt” vorzubereiten: Fachdidaktiker unterschiedlicher
Fächer, die an Forschungsprojekten zur Inklusion arbeiten, äußern den Konsens, dass
gemeinsames Lernen in heterogenen Klassen nur dann sinnvoll geplant, durchgeführt und
reflektiert werden kann, wenn die Lehrkräfte über ein tiefes, flexibles Wissen über ihre
Disziplin und deren Didaktik verfügen und dieses auch auf das für den Unterricht gewählte
konkrete Thema und die in der Klasse gemeinsam lernenden Schüler beziehen können.135
Damit bestätigt sich die These, die Lee Shulman bereits 1987 in der sein Lebenswerk
resümierenden Publikation „The Wisdom of Practice: Essays on Teaching, Learning, and
Learning to Teach“ vertritt. Auf die Frage “How important is the depth and quality of
teachers' content knowledge as a critical aspect of their ability to teach?” lautet sein Resümee:
“To teach all students according to today’s standards, teachers need to understand subject
matter deeply and flexibly so they can help students create useful cognitive maps, relate one
idea to another, and address misconceptions. Teachers need to see how ideas connect across
134
Vgl. die Defizitanalyse in den Empfehlungen zur künftigen Struktur der Lehrerbildung (2001). URL
http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/5065-01.pdf, S. 26-31.
135
So geäußert z.B. in den Workshops „Inklusive Fachdidaktik” bei der Jahrestagung der Gesellschaft für
Fachdidaktik in Hamburg (Oktober 2015).
52
fields and to everyday life. This kind of understanding provides a foundation for pedagogical
content knowledge that enables teachers to make ideas accessible to others.“136
Was diese Forderung für das Studium der Fachwissenschaften, aber auch der Fachdidaktiken
und der Erziehungswissenschaften im Rahmen eines Lehramtsstudiums bedeutet, und welche
Herausforderungen damit verbunden sind, wird im Kapitel (A, IV, 1-3) näher dargestellt. An
dieser Stelle, an der es um die Übersicht über die Phasen geht und um die Herausforderung,
jeweils lebenslanges Lernen zu fördern, genügt es, das Prinzip zu formulieren: Die
universitäre Ausbildung muss den Studierenden den Aufbau eines tiefen und flexiblen
Wissens ermöglichen, auf das sie später so zurückgreifen können, dass sie im Feld der Schule
kompetent zu handeln vermögen. Dies gilt für das Studium in alle drei Säulen und für alle
dort vertretenen Disziplinen.
Hingewiesen werden muss aber darauf, dass der Erwerb von „tiefem und flexiblem Wissen”
in den einzelnen Säulen des Studiums zwar die Grundlage für die Entwicklung von
Lehrerkompetenz
bildet,
allein
aber
noch
nicht
ausreicht.
Der
Wissens-
und
Kompetenzaufbau muss zusätzlich horizontal und dann auch vertikal vernetzt werden.
2.2 Herausforderung horizontale und vertikale Vernetzung
Im Sinne der horizontalen Vernetzung müssen Lehramtsstudierende in ihrem Studium also
lernen können, das jeweils erworbene fachbezogene und erziehungswissenschaftliche Wissen,
die jeweils erworbenen Kompetenzen so aufeinander zu beziehen, dass sie in den
Handlungsfeldern ihres späteren Tätigkeitsfelds situationsadäquat darüber verfügen können.
Der Bezug auf den Handlungsraum Schule legt zugleich die vertikale Vernetzung Grund.
Diese Forderung zu berücksichtigen bedeutet, beim Kompetenzaufbau an der Universität
bereits im Blick zu haben, dass in der Zweiten und Dritten Phase über das im Studium
erworbene Wissen und die dort aufgebauten Kompetenzen verfügt werden muss. Dabei ist die
situationsspezifische Erweiterung, Modifikation und Ergänzung nicht nur Sache der für die
Zweite und Dritte Phase Zuständigen, sondern gemeinsame Aufgabe aller. Die Universität hat
also auch Verantwortung in der zweiten und insbesondere in der dritten Phase der
Lehrerbildung zu übernehmen.
136
Shulman, L. (1987). Knowledge and teaching: Foundations of the new reform. Harvard Educational Review,
57, 1-22. wieder abgedruckt in: The Wisdom of Practice. Essays on Teaching, Learning, and Learning to Teach.
San Francisco: Jossey-Bass.
53
Abb.3: Horizontale und vertikale Verknüpfung der drei Säulen der universitären Lehramtsausbildung
(Waltraud Schreiber).
„Unterrichten zu können”, setzt z.B. voraus, fachwissenschaftliche, fachdidaktische, oft auch
erziehungswissenschaftliche Kompetenzen vernetzend aufeinander beziehen zu können. Die
Notwendigkeit, die in den Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften Grund gelegten
Unterrichtskompetenzen horizontal zu vernetzen und dabei auf die im fachwissenschaftlichen
Studium erworbenen Kompetenzen zurück zu greifen, wird in den schulpraktischen Studien
besonders deutlich. Sie sind zugleich das Feld, in dem die Notwendigkeit der vertikalen
Vernetzung unmittelbar in die Universität hinein wirkt. Dies ergibt sich aus der Besonderheit
des Berufsfeldbezugs im Lehramtsstudium: Den Lehramtsstudierenden ist ihr zukünftiges
Berufsfeld bekannt. Es geht demzufolge, anders als in den meisten anderen Studiengängen,
nicht nur um „Beschäftigungsbefähigung in einem breiten beruflichen Umfeld”137. In den
Schulpraktika erproben Studierende ihre Fähigkeiten ganz konkret in ihrem späteren
137
Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Bologna-Prozesses 2012 - 2015 in Deutschland, S. 43.
54
Berufsfeld; sie werden dabei – die Phasen vertikal verknüpfend – von Dozenten und von
Lehrkräften unterstützt.138
Trotzdem aber kann das Hochschulstudium nicht zur „Berufsfertigkeit” führen, auch nicht,
wenn Langzeitpraktika in das Studium integriert sind. Das Umfeld, in dem Studierende sich
in der ersten Phase ihrer Ausbildung bewegen, ist das akademische der Universität;
Berufsfertigkeit für die Schule kann hier nicht entstehen, wohl aber Sensibilität für die
späteren Handlungsfelder. Die Kompetenzen, die Handlungsherausforderungen zu meistern,
können grundgelegt werden. Berufsfertigkeit ist dagegen das Ziel der zweiten Phase im
Studienseminar.
3. Gut vorbereitet oder Praxisschock? Der durch Studienseminare
begleitete Vorbereitungsdienst
Der durch Studienseminare begleitete Vorbereitungsdienst soll dazu befähigen, den Alltag der
Lehrertätigkeit so zu bewältigen, dass bewährte Traditionen gewahrt und zugleich Wege für
die stets notwendigen Innovationen eröffnet werden. Das Umfeld, in dem die Referendare
sich bewegen, wenn sie ihre an der Universität entwickelten Kompetenzen als Lehrkräfte
weiterentwickeln sollen, ist nun die Schule. Es geht im Vorbereitungsdienst um das Verfügen
über Theoriewissen in Handlungssituationen; vielleicht auch (teilweise) Umwidmung von
Theorie- zu Handlungswissen, von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen zu
Handlungskompetenzen.
Dass die Erste und die Zweite Phase aufeinander bezogen und miteinander vernetzt sein
sollten, wird in allen Diskussionen um die Lehrerbildung gefordert. In der Realität bestehen
Defizite; diese können so weitreichend sein, dass sie als Praxisschock beschrieben werden.
Dies führt dazu, dass die aktuellen Reformen der Lehrerbildung eine Kooperation zwischen
den beiden Phasen der Erstausbildung explizit einfordern. Um zu erkennen, worin die
Herausforderungen bestehen, soll die Zweite Phase nachfolgend zuerst in ihrem Ist-Zustand
beleuchtet werden.
138
Vgl. hierzu z.B, Kapitel A IV 6.3.1 Handlungsfelder Unterrichten und Erziehen - Förderung der
Querschnittskompetenzen mit Hilfe der Praxismodule.
55
3.1 Zum Ist-Zustand des Vorbereitungsdienstes
Auch der Vorbereitungsdienst ist länderspezifisch unterschiedlich organisiert. Während in
allen Ländern ein vergleichbarer Vorbereitungsdienst für Grundschulen, Gymnasien und
berufliche Schulen eingerichtet ist, unterscheidet sich die Vorbereitung auf einen Einsatz in
den Schularten der Sekundarstufe I stark. Dies ist eine Konsequenz der Autonomie der
Länder, über Schulformen zu entscheiden. In der Sekundarstufe I ist die Vielfalt besonders
groß.
1. In Bayern bestehen beispielsweise nach wie vor getrennte Studienseminare für die
inzwischen als Mittelschule bezeichnete Hauptschule und die Realschule. Die
bayerischen Seminarlehrkräfte sind mit einem Teil ihres Deputats als Lehrkräfte tätig,
mit einem anderen betreuen sie Referendare vor Ort an den Schulen und bei zentralen
Seminartagen, die ebenfalls an den Seminarschulen stattfinden. Eine umfassende
Ausbildung zur Seminarlehrkraft erfolgt nicht. Weiterbildungskurse ersetzen eine
grundlegende Ausbildung; auf diese Problematik hat bereits die OECD-Lehrerstudie
von 2004 hingewiesen. Die Dauer des Vorbereitungsdienstes beträgt in Bayern 24
Monate.
2. In Baden-Württemberg dagegen wird, entsprechend der Reform der Sekundarstufe I
ab Februar 2016 ein Vorbereitungsdienst angeboten, der sowohl für das Unterrichten
in Werkrealschulen/ Hauptschulen/ Realschulen qualifiziert. Er dauert 18 Monate.
Zukünftig139 werden die angehenden Referendare zuvor in der Regel die reformierte,
ein Bachelor- und ein Masterstudium umfassende Erstausbildung an einer
Pädagogischen
Hochschule
Baden-Württembergs
absolviert
haben.
Der
Vorbereitungsdienst erfolgt an einem Staatlichen Seminar für Didaktik und
Lehrerbildung sowie an einer im Einzugsbereich gelegenen Ausbildungsschule. Das
Studienseminar ist so organisiert, dass es unmittelbar an die akademische Ausbildung
anknüpft. So werden die hauptamtlichen Seminarlehrkräfte auch als Professoren
bezeichnet; die Vertiefung der Befähigung für kompetenzorientiertes Unterrichten
bezieht sich (anders als z.B. in Bayern) nur auf die studierten Fächer (Hauptfach und
zwei Nebenfächer). Als Ziele der Ausbildung werden formuliert:
139
Die Umstellung auf ein Bachelor- und Masterstudium in der Lehrerbildung beginnt in Baden-Württemberg
mit dem Studienjahr 2015/16.
56
„Im Vorbereitungsdienst werden die Kenntnisse, Erfahrungen und
Fertigkeiten aus dem Studium in engem Bezug zur Schulpraxis und auf der
Grundlage der Bildungspläne so erweitert und vertieft, dass angesichts der
Heterogenität der Schülerinnen und Schüler der Erziehungs- und
Bildungsauftrag an Werkrealschulen, Hauptschulen sowie Realschulen und
Gemeinschaftsschulen erfolgreich und verantwortlich erfüllt werden kann.
Angeknüpft wird dabei an die Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache,
der interkulturellen Kompetenz, der Medienkompetenz und -erziehung, der
Prävention, der Bildung für nachhaltige Entwicklung, den Umgang mit
berufsethischen
Fragestellungen
sowie
der
Gendersensibilität.
Die
Entwicklung der Berufsfähigkeit, der Lehrerpersönlichkeit sowie die
Stärkung der Eigenverantwortlichkeit sind die wesentlichen Ziele der
Ausbildung.”140
Trotz der z.T. recht beträchtlichen Länder-Unterschiede müssen aufgrund der KMKVereinbarungen zum Vorbereitungsdienst auch Absolventinnen und Absolventen aus anderen
(Bundes-)Ländern
in
den
Vorbereitungsdienst
aufgenommen
werden
sofern
die
grundsätzliche Gleichwertigkeit ihrer Ausbildung anerkannt ist.
3.2 Vertikale Vernetzung
Im Folgenden werden die Herausforderungen verdeutlicht mit denen der Vorbereitungsdienst
konfrontiert ist, wenn er die Vernetzung mit der Ersten Phase und die Grundlegung
lebenslangen Lernens ernst nehmen will. Dabei wird nach Schularten unterschieden, in denen
nach dem Fachlehrer- bzw. dem Klassenlehrerprinzip unterrichtet wird. Als Beispiele werden
die Vorbereitungsdienste für Gymnasium und Grundschule gewählt. Beide Varianten werden
in allen Bundesländern angeboten.
Die Vertiefung der Unterrichtskompetenz für die im Lehramtsstudium Gymnasium studierten
Fächer erfolgt in den meisten Ländern fragmentiert in voneinander weitgehend unabhängigen
Fachseminaren; dazu kommen überfachliche Inhalte wie Schulrecht und eine weitere
140
Vgl. Schwarz, T. & Zeeb, A. (2015). Informationen zum Vorbereitungsdienst an GS- und WHR-Seminaren.
http://www.llpa-bw.de/site/pbsURL
bw/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/Dienststellen/llpabw/pdf/Praesentation%20Vorbereitungsdienst%20KM%20Stand%20150212.pdf.
57
Ausbildung in Psychologie und Pädagogik. Abweichend davon erfolgt die unterrichtliche
Ausbildung in den Grundschulseminaren nicht nur bezogen auf die studierten Fächer; die
Referendare werden auch auf fachfremdes Unterrichten vorbereitet. Dabei müssen
Seminarlehrkräfte auch für den Unterricht in Fächern ausbilden, die sie selbst gar nicht
studiert haben.
In beiden Typen des Vorbereitungsdienstes kann die Vernetzung zur Universität und damit
ein auf die Erstausbildung gestütztes lebenslanges Lernen auf Schwierigkeiten stoßen.
Idealtypisch werden im Folgenden einige Problemlagen skizziert.
3.2.1 Herausforderungen für die vertikale Vernetzung (Vorbereitungsdienst
Gymnasium)
In Bezug auf den Vorbereitungsdienst für das Gymnasiums besteht die Gefahr, die an der
Universität angelegte Fragmentierung weiterzuführen: Das Fachseminar des ersten Fachs
kooperiert nur selten mit dem Fachseminar des zweiten Fachs. Seminarlehrkräfte, die z.B. in
Schulrecht, Pädagogik oder Psychologie ausbilden, suchen selten die Nähe zu den
Fachseminaren.
Erstaunlich ist, dass trotz dieser Tendenz zur Fragmentierung die Vernetzung mit dem
universitären Studium auch in den Fachseminaren an Grenzen stößt: Obwohl die
Fachseminarlehrkräfte die Fächer, die sie vertreten, studiert haben, lässt sich dennoch
beobachten, dass das Schulfach verabsolutiert wird: Lehrplanvorgaben dominieren die
inhaltliche Ausrichtung; die bisherigen Unterrichtserfahrungen, angesehen als die „Weisheit
der Praxis”, die Unterrichtsgestaltung. Dies kann dazu führen, dass Inhalte und
Unterrichtsmethoden ins Zentrum gerückt werden, statt der Kompetenzen, über Inhalte und
Unterrichtsmethoden verfügen zu können. Im Extremfall erfolgen sogar Formen einer von
Forschung und Wissenschaft (zu) weit abgekoppelten „Meisterlehre“.
Vermutlich lässt sich das Phänomen dadurch erklären, dass viele der Fach-Seminarlehrkräfte
seit Jahren ohne Kontakt mit den Universitäten sind, was durch eigene Lektüre nur in Teilen
abgefangen werden kann. Der Forschungsfortschritt auf der einen und die tiefgreifenden
Studienreformen auf der anderen Seite bewirken einen ‚gap’, der den von den Referendaren
erlebten Praxisschock zumindest verstärkt, vielleicht sogar verursacht: Seminarlehrkräfte
kennen die Situationen, in denen die Studierende ihre fachlichen, fachdidaktischen,
erziehungswissenschaftlichen und berufsfeldbezogenen Kompetenzen im Laufe der ersten
58
Phase entwickelt haben, zu wenig, als dass sie die neue Situation „Schule“, in der Referendare
nun ihre Kompetenzen beweisen müssten, auf deren universitären Erfahrungen beziehen
könnten. Statt dass die Weiterentwicklung, ggfs. Modifizierung der bislang erworbenen
Kompetenzen
gefördert
werden,
werden
deshalb
Neuanfänge
verlangt,
die
zu
Verunsicherungen bis hin zum Praxisschock führen können.
Ansatzpunkte für eine Optimierung
Die vertikale Vernetzung der Erstausbildung setzt zuerst einmal voraus, dass die Erste und
Zweite Phase sich gegenseitig kennenlernen141. Sodann müssen Zielsetzungen geteilt und
gemeinsam verfolgt werden: Das Prinzip „vertieftes und flexibles Wissen als Basis für
Lehrerkompetenzen” kann ein Ansatz sein, weil er dem Wesen der Hochschule ebenso
entspricht wie dem Handeln in der Schule.142 Die Zweite Phase könnte darauf aufbauen.
Universitätsdozenten wie Seminarlehrkräfte sind bei einer derartigen Veränderung gefordert:
So verlangt der Ansatz von den Seminarlehrkräften lebenslanges Lernen: Sie müssen selbst
über vertieftes und flexibles Wissen in Bezug auf das vertretene Fachgebiet verfügen und
Erfahrung damit haben, es in den Handlungsfeldern der Schule zu nutzen. Dazu kommt die
Herausforderung, quasi auf der Metabene den Transfer und die Transformation der von den
Studierenden an der Universität erworbenen Kompetenzausprägungen zu reflektieren, um die
Referendare bei der Erweiterung ihrer Kompetenzen in der für sie neuen Situation Schule
begleiten zu können.
Den schulpraktischen Studien der Hochschulen kommt eine zentrale Funktion für den
kontinuierlichen Aufbau von Unterrichtskompetenz zu: Kontinuität könnte insbesondere
dadurch gefördert werden, dass Seminarlehrkräfte an den universitären Praxismodulen
beteiligt werden und Dozenten an Seminartagen der Zweiten Phase, dass die Praktikumslehrer
der Studierenden, aber auch die Betreuungslehrer der Referendare von Universitätsdozenten
wie von Seminarlehrkräften weitergebildet werden.143.
Die Zusammenarbeit zwischen der Ersten und Zweiten Phase eröffnet darüber hinaus
Potentiale einerseits für die Schulentwicklung, andererseits auch für Hochschulentwicklung
und Forschung. Auf der Hand liegt das Innovationspotential der Forschungsergebnisse
universitärer Fachdidaktiker und Erziehungswissenschaftler für die Schulentwicklung. Ebenso
141
Zur Konkretisierung dieser und der folgenden Überlegungen vgl. C II 2. Modellversuch „Kooperation Erste
und Zweite Phase Lehrerbildung“
142
Vertieftes und flexibles Wissen war deshalb auch ein Ausgangspunkt bei der Modellierung des
Kompetenzstrukturmodells Lehrerkompetenzen. Vgl B I 2.2.2 Zur Herausarbeitung der Kompetenzstruktur:
Kompetenzbereiche.
143
Vgl. hierzu die im Zuge des Kooperationsprojekts I. und II. Phase erarbeiteten Ansätze, Kapitel C II 2.
Modellversuch „Kooperation Erste und Zweite Phase Lehrerbildung“.
59
offensichtlich ist aber auch, dass vertiefte Einblicke in die Handlungsfelder der Schule
Forschungsansätze vertiefen und erweitern und Impulse für die Optimierung von Lehre geben
können.
3.2.2 Herausforderungen für die vertikale Vernetzung (Vorbereitungsdienst
Grundschule)
Im Falle der Grundschulseminare besteht eine zusätzliche Problemlage darin, dass
Seminarlehrkräfte ihre Referendare immer wieder auch für Fächer ausbilden müssen, die sie
selbst nie studiert haben. Sie selbst können in Bezug auf diese Fächern dann gerade nicht auf
tiefe und flexible und auf forschungsnahe Einsichten zurückgreifen und diese für die
Ausbildung ihrer Referendare nutzen. Die entsprechende Nachqualifizierung ist zeitintensiv;
deshalb sehen Seminarlehrkräfte sich gezwungen, von den im Schulfach (üblicherweise)
thematisierten Inhalten und von Unterrichtserfahrungen auszugehen. Wie oben bereits
skizziert, rücken damit Inhalte und Unterrichtsmethoden statt Kompetenzen ins Zentrum. Die
Gefahr einer von Forschung und Wissenschaft (zu) weit abgekoppelten „Meisterlehre“
potenziert sich.
Das Problem wird konkret sichtbar, wenn – was in der Realität häufiger vorkommt –
Referendare nicht über ausreichendes Wissen zu den einzelnen Inhalten verfügen. Haben sie
das Fach studiert, sollten sie in der Lage sein, sich, ausgehend von ihren grundsätzlichen
Einsichten in die Disziplin, die entsprechenden Inhalte zeiteffizient und sachgerecht
anzueignen. Haben sie – was auch häufig vorkommt – Schwierigkeiten, sich bei der
Erarbeitung von Neuem sich auf vorhandenes Wissen zu beziehen, kann die Seminarlehrkraft
die Referendare aufgrund der eigenen Fachferne nicht genügend dabei unterstützen, sich des
in aller Regel „irgendwie” vorhandenen Vorwissens und der bestehenden fachliche
Kompetenzen bewusst zu werden und an diese bei der Erarbeitung des neuen Gegenstandes
anzuknüpfen.144
Indem die nicht bekannten Einzelinhalte ins Zentrum gerückt werden, erscheinen für
Seminarlehrkräfte wie für Referendare das Studium an der Universität und das Unterrichten in
den Fächern der Grundschulen als getrennte Welten, obwohl eigentlich „nur” vorhandene
Fäden verknüpft werden müssten, um sich des Zusammenhangs bewusst zu bleiben
beziehungsweise zu werden.
144
Noch schwieriger ist es für fachfremde Seminarlehrkräfte, Referendare dabei zu unterstützen, sich auf eine
tiefe und flexible Weise in Fachinhalte einzuarbeiten, wenn diese ebenfalls fachfremd sind.
60
Das fachliche Dilemma kann nicht umgangen werden, indem (grundschul-)pädagogische
Fragen ins Zentrum der Ausbildung gerückt werden und vorrangig auf Schüler und ihr Lernen
fokussiert wird. Elementarisierung, individuelle Lernbegleitung, das Identifizieren von
misconcepts und ihr Umbau, gezieltes Feedback müssen scheitern, wenn die Lehrenden den
Kern der Sache nicht ausreichend erkennen können.
Optimierungsansätze
Die oben vorgestellten Optimierungsansätze können auch auf den Vorbereitungsdienst für
Schulformen mit Klassenlehrerprinzip übertragen werden. Zu überlegen, was jeweils von
Universität und Schule geleistet werden kann und muss, um junge Lerner beim Aufbau
fachlicher Kompetenzen zu befähigen, stellt eine bislang wenig gemeisterte Herausforderung
für Universität und Studienseminar dar. „Vertieftes und flexibles Wissen”, gerade auch aus
der Grundschulpädagogik und dessen horizontale Vernetzung mit fachlichem und
fachdidaktischem Wissen scheint ein Schlüssel für den Aufbau von Lehrerkompetenzen zu
sein.
3.3 Resümee
Die beiden Phasen der Erstausbildung haben ein jeweils sehr spezifisches Profil entwickelt,
wobei dies durch die Kulturhoheit der Länder verstärkt wird, also durch das nachvollziehbare
Bedürfnis, schon die erste, vor allem aber die zweite Phase der Lehrerbildung auf die im Land
jeweils eingeführten Schulformen auszurichten. Dem steht das Interesse der Hochschulen
gegenüber, die Lehrerbildung weitest möglich an die Strukturen der anderen Studiengänge
anzubinden.
Dabei zugleich einen Beitrag für die Grundlegung des lebenslangen Lernens von Lehrkräften
zu leisten, was notwendig Abstimmung zwischen den Phasen, besser noch Kooperation
zwischen den Phasen verlangen würde, ist ein Anspruch, der erst in Ansätzen erfüllt ist. Dies
gilt für beide Phasen in je spezifischer Weise: Die Hochschulen insgesamt haben sich weder
in der Forschung noch in der Pragmatik der Lehre bislang ausreichend mit den für die
Tätigkeit als Lehrkraft spezifischen Ausprägungen von Wissen und Kompetenzen
auseinander gesetzt. Ausnahmen bestätigen die Regel und zeigen, dass nicht nur universitäre
Profilbildung und Lehrerbildung ineinander greifen können, sondern dass auch der Anspruch
61
der Universitäten, lebenslanges Lernen zu unterstützen exemplarisch an der Lehrerbildung
verwirklicht werden könnte.
Analoges gilt für den Vorbereitungsdienst: Insgesamt gesehen kann er Referendare noch nicht
ausreichend dabei unterstützen, Schule als Feld wahrzunehmen und zu erleben, in dem sie
ihre an der Universität erworbenen Kompetenzen nutzen und erweitern können. Auch hier
bestätigen Ausnahmen die Regel – Seminarlehrkraft und angehende Lehrer profitieren dann
voneinander.
Die Regel aber ist, dass für die Referendare das Neue und das neu zu Erlernende übermächtig
wird, bis zu dem Punkt, dass der Beginn des Vorbereitungsdienstes als Praxisschock erlebt
wird. Dazu trägt auch bei, dass die Seminarlehrkräfte nur in seltenen Fällen in einer engeren
Verbindung zur Universität stehen und dadurch Wissen darüber in ihre Tätigkeit integrieren
könnten. So besteht Unklarheit darüber, was und wie Lehramtsstudierende bisher gelernt
haben, in welchem Umfeld und in welchem Maße sie ihre Kompetenzen bislang entwickelt
haben und worin das Neue der Situation Schule für sie besteht.
Damit verbunden ist, dass Seminarlehrkräfte für ihre Tätigkeit nur weitergebildet, aber nicht,
z.B. in einem Masterstudiengang oder zumindest Zertifikatskurs, grundlegend und
akademisch ausgebildet werden. Was in Zeiten großer Kontinuität bei den Zielsetzungen und
größerer Homogenität in den Klassen noch anging, muss sich in Phasen des Umbruchs und
der Reformen als fatal erweisen. Besonders deutlich wird dies in Bezug auf Seminarlehrkräfte
für den Vorbereitungsdienst der Grundschulen, sofern diese Referendare für Fächer ausbilden
sollen, die sie selbst nicht studiert haben.
Umgekehrt kennen Universitätsdozenten aller Disziplinen Schule wie sie heute ist nicht so
gut, dass sie Studierende gezielt und im Sinne einer über allgemeine Berufsorientierung
hinausgehende Weise in ihrer Kompetenzausprägung fördern könnten. Nicht zuletzt die
Praxisphasen können damit nicht so genutzt werden, wie es für eine Vernetzung zwischen der
Ersten und Zweiten Phase notwendig wäre.
4. Fort- und Weiterbildung: die Dritte Phase
Die Notwendigkeit einer Dritten Phase, die dazu beiträgt, dass die Rede vom lebenslangen
Lernen der Lehrkräfte keine leere Phrase bleibt ist unbestritten. In der Dritten Phase sind
62
Maßnahmen der Fortbildung und der Weiterbildung verortet. Bei der Weiterbildung geht es
um den Erwerb von Kompetenzen für neue Aufgaben, meist im Rahmen erweiterter
institutioneller Zuständigkeiten, oft verbunden mit einer Statuserhöhung.145 Fortbildung zielt
dagegen auf die Weiterentwicklung der berufsfeldspezifischen Kompetenzen, einschließlich
ihrer Anpassung an grundlegende Veränderungen der Welt in Gegenwart und Zukunft.
Das Verständnis von Fort- und Weiterbildung wäre zu eng, wenn es auf die individuelle
Professionalisierung der Einzellehrkraft beschränkt bliebe. Diese muss immer auch im
Zusammenhang mit Unterrichts- und Schulentwicklung gesehen werden.146 Insofern ist
Lehrerfortbildung
auch
ein
Steuerungs-
und
Reforminstrument
im
Rahmen
der
Bildungspolitik147. Gegner der Reformen kritisieren demzufolge auch eine entsprechende
Ausrichtung von Fort- und Weiterbildungsangeboten.
Die erhöhte Bedeutungszuweisung an die Dritte Phase ist eine recht neue Entwicklung und
Folge markanter Umbrüche. Sie setzte mit der auf Akademisierung der Lehrerbildung
abhebenden Schulreform der 1960er/ 1970er Jahren ein,, die darauf abzielte, Schülerinnen
und Schüler wissenschaftsnäher unterrichten zu können148, woraus sich naturgemäß einen
145
Vgl. Daschner, P. (2004). Dritte Phase an Einrichtungen der Lehrerfortbildung. In S. Blömeke, P. Reinhold,
G. Tulodziecki & J. Wildt (Hrsg.), Handbuch Lehrerbildung (S. 290–300). Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag;
bzw. Terhart, E. (Hrsg.) (2000): Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Abschlussbericht der von der
Kultusministerkonferenz eingesetzten Kommission. Weinheim, Basel: Beltz.
146
Vgl. Keuffer, J. & Oelkers, J. (2001). Reform der Lehrerbildung in Hamburg. URL
http://www.jk.jokadi.de/Reform%20der%20Lehrerbildung%20in%20Hamburg.pdf ; Brägger, G. &Posse, N.
(2007). Instrumente für die Qualitätsentwicklung und Evaluation in Schulen (IQES). Wie Schulen durch eine
integrierte Gesundheits- und Qualitätsförderung besser werden können. Bern: Hep.
147
Fussangel, K., Rürup, M. & Gräsel, C. (2010). Lehrerfortbildung als Unterstützungssystem. In H. Altrichter
& K. MaagMerki (Hrsg.), Handbuch Neue Steuerung im Schulsystem (S. 327–354, hier S. 329). Wiesbaden: VS
Verlag.
148
Von großer Bedeutung für die Akademisierung der Lehrerbildung aller Schularten war der so genannte
„Sputnikschok“: Am 4. Oktober 1957 erschütterte die Sowjetunion mit dem Start des ersten künstlichen
Satelliten die Überzeugung des Westens, überlegen unter anderem in der Technologieentwicklung zu sein. Der
Weltraumerfolg der UdSSR wurde nicht nur in der militärischen Auswirkung gesehen, man leitete vielmehr aus
diesem Indiz für den technischen Rückstand Amerikas die Hypothese eines generellen Bildungsrückstands des
‚demokratischen Westens’ gegenüber dem ‚sowjetischen Osten’ ab (Froese, L., Haas, R. & Anweiler, O. (1960).
Der Bildungswettlauf zwischen West und Ost. Freiburg: Herder KG., S. 34). Ergebnis waren verstärkte
Bildungsaktivitäten, die mit dem Bild eines ‚Nach- und Wettrüstens’, einer ‚Bildungsoffensive’ durchaus
zutreffend charakterisiert sind.“ (Schreiber, W. (2005). Die Schulreform in Hessen zwischen 1967 und 1982.
Neuried: Ars una, S. 44). In Folge der Bildungsoffensive (vgl. u.a. Picht, G. (1964). Die deutsche
Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation. Freiburg: Walter-Verlag; Habermas, J. (1969).
Protestbewegung und Hochschulreform. Frankfurt am Main: Suhrkamp.; Schreiber, W. (1978). Auf dem Weg
zur universitären Lehrerbildung. Lehrerbildung in Hessen 1945 1950. Frankfurt am Main: Univ. Diss.; Führ, C.
& Furck, C.-L. (Hrsg.) (1998). Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band VI. 1945 bis zur Gegenwart.
Erster Teilband Bundesrepublik Deutschland. München: C.H. Beck.) wurde in Deutschland z.B. die
Lehrerbildung akademisiert, die Abstimmung zwischen den Ländern wurde institutionalisiert. Notwendig
geworden war eine Regelung nicht zuletzt durch den bildungspolitischen Streit zwischen den sozialdemokratisch
und christdemokratisch regierten Ländern um die Ausrichtung der Reform in den Schulen, der in der
hochpolemischen Auseinandersetzung um die hessischen Rahmenrichtlinien eskalierte (Vgl. Schreiber (2005)).
Bildung als ökonomische Größe (vgl. u.a. Edding, F. (1963). Ökonomie des Bildungswesens. Lehren und Lernen
als Haushalt und als Investition. Freiburg: Rombach; Hüfner, K. (Hrsg.) (1970). Bildungsinvestitionen und
Wirtschaftswachstum. Stuttgart: Klett.), Bildung als Politikum (vgl. Hamm-Brücher, H. (1969). Über das
63
hohen Bedarf der Nachqualifikation bereits im Dienst befindlicher Lehrkräfte ergab.
Zunehmend gerät die Dritte Phase in den Fokus der Forschung. unter anderem werden
aufbauend
auf
Ist-Zustands-Analysen
die
Zielsetzungen
und
wissenschaftsbasierte
Maßnahmen für die Fortbildung erarbeitet; ihre Realisierung und Wirksamkeit wird
prozessbezogen und/ oder summativ evaluiert.
4.1 Ausgangslagen vor den 2000er Reformen
Terhart stellte in der Zwischenphase zwischen der Input- und Outcome-Orientierung der
Reformmaßnahmen fest, dass Lehrerfortbildung entgegen der offiziellen Verlautbarungen bei
Bildungspolitikern und -wissenschaftlern einen verhältnismäßig geringen Stellenwert habe.
„Sie ist erstens immer noch unterdimensioniert (Zu wenig!), sie ist zweitens wenig
zielgerichtet (Zu diffus!) und sie ist schließlich drittens in der Wirkung nicht auf
Nachhaltigkeit überprüft (Bringt nichts!)“. 149 Auf Basis der OECD-Lehrerstudie werden diese
Monita 2004 noch vertieft: Deutschland werden strukturelle Schwächen in Bezug auf die
Dritte Phase attestiert; u.a. gäbe es keine Standards an denen sich alle Phasen der
Lehrerbildung, auch die Fort- und Weiterbildung orientieren könnten.150
Inzwischen gibt es Standards für die Lehrerbildung; zudem greifen (wiederum unter der
Hoheit der Länder) auch auf Fort- und Weiterbildung bezogene Reformmaßnahmen.
4.2 Entwicklungen der 2000er Jahre
Als Gemeinsamkeit lässt sich erkennen, dass deutschlandweit Fort- und Weiterbildung als
Teil der Schul- und Unterrichtsentwicklung verstanden werden. Dabei ist eine Zweiteilung zu
Wagnis von Demokratie und Erziehung. Beiträge zur Gesellschaftspolitik 1969. Frankfurt am Main: Diesterweg;
Froese, L. (1969). Bildungspolitik und Bildungsreform. München: Goldmann; Kaltenbrunner, G.-K. (1974).
Klassenkampf und Bildungsreform. Die neue Konfessionsschule. Freiburg u.a.: Herder; Hentig, H. v. (1990).
Bilanz der Bildungsreform in der Bundesrepublik Deutschland. Neue Sammlung, 30, S. 366-384; Friedeburg, L
(1994). Bildung zwischen Aufklärung und Anpassung. Frankfurt am Main: VAS), Curricula als Instrumente der
Bildungsreform (Robinsohn, S. B. (1967). Bildungsreform als Reform des Curriculum. Neuwied: Luchterhand;
OECD (1968). Curriculum improvement and educational development. Paris: OECD), Rülcker, T. (1973).
Allgemeine Ziele, Normenkonsens und Gesellschaftstheorie. Wissenschaftstheoretische Probleme der
Curriculumforschung. Pädagogische Rundschau, 27, S. 134-149).
149
Terhart, E. (2008). Strukturprobleme der Lehrerausbildung in Deutschland, In: A. Ohidy, E. Terhart, J.
Zsolnai: Lehrerbild und Lehrerbildung: Praxis und Perspektiven der Lehrerausbildung in Deutschland und
Ungarn, Wiesbaden Springer-Verlag, S. 45-66.
150
Vgl. Döbrich, P., Klemm, K., Knauss, G. & Lange, H. (2004), S. 24.
64
beobachten: Auf der einen Seite stehen Institutionen, die ihre Fortbildungs- und
Qualifizierungsmaßnahmen vor allem an Führungspersonal und Multiplikatoren adressieren,
auf der anderen Seite stehen Maßnahmen, die sich an Kollegien und einzelne Lehrpersonen
richten. Als länderspezifische Beispiele werden Berlin-Brandenburg, Nordrhein-Westfalen
und Bayern aufgegriffen.
•
Fortbildung und Qualifizierung ist eines der Aufgabenfelder des 2007 gegründeten
Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM).151 Fortbildung
und Qualifizierung sind Teil der zentralen Aufgabe der Qualitätssicherung und
Qualitätsentwicklung bezogen auf Schul-, Unterrichts- und Personalentwicklung
sowie auf Medienbildung. Die Qualifizierung (Weiterbildung) bezieht sich vorrangig
auf Leitungspersonal, Fachberater, Multiplikatoren der Fortbildung und der
Medienpädagogik. Fortbildungsmaßnahmen des LISUM konzentrieren sich auf Schulund Modellversuche und Projekte.
In den 2015 erlassenen „Verwaltungsvorschriften über die Fortbildung der Lehrkräfte
an Schulen in öffentlicher Trägerschaft152 ist u.a. geregelt, dass jede Schule,
„ausgehend von den im Schulprogramm ausgewiesenen Zielen in ihrer jährlich zu
aktualisierenden
schulinternen
Fortbildungsplanung
die
schulbezogenen
Fortbildungsschwerpunkte” festlegt. Dabei müssen „die erreichten Schülerleistungen,
die Ergebnisse der Schulvisitation und weitere Evaluationsergebnisse sowie der
Entwicklungsbedarf auf Grund bildungspolitischer Schwerpunkte und die Kooperation
mit außerschulischen Personen und Einrichtungen” berücksichtigt werden. Für die
Lehrkräfte besteht Fortbildungsrecht und -pflicht.
•
In Nordrhein-Westfalen gilt der Strukturerlass Lehrer-Fort- und -Weiterbildung
(2014). Unterschieden werden schulinterne,153 schulexterne154 und online basierte
Fortbildungen; sie haben jeweils unterschiedliche Adressaten und Ziele, dienen
insgesamt aber der auf die Ausgangslagen der einzelnen Lehrkräfte und Schulen
151
Vgl. Lisum. Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg. URL http://www.lisum.berlinbrandenburg.de/sixcms/detail.php/bb2.c.423855.de.
152
Vgl. Verwaltungsvorschriften über die Fortbildung der Lehrkräfte an Schulen in öffentlicher Trägerschaft.
URL http://bravors.brandenburg.de/verwaltungsvorschriften/vvlkfb.
153
„Schulinterne Fortbildung dient der Weiterentwicklung der Einzelschule als System. Sie richtet sich an
Kollegien, an Teams in der Schule, an Steuer-, Jahrgangs-, Fach- oder Bildungsganggruppen und vermittelt die
notwendigen Kompetenzen für die Qualitätssicherung und -entwicklung. Schulen können bei Planung,
Durchführung und Evaluation schulinterner Fortbildung kooperieren.” (Strukturerlass, Absatz 2)
154
„Schulexterne Fortbildung durch Moderatorinnen und Moderatoren der Schulämter und Bezirksregierungen
findet statt bei Themenstellungen, die einzelne Teilnehmende oder Gruppen von Teilnehmenden einer oder
mehrerer Schulen betreffen. Dazu gehören regionale Fachfortbildungen und fachliche Netzwerke. Ziel
schulexterner Fortbildungen ist es auch, die Qualität schulischer Arbeit durch die Kooperation mit dem
Schulpersonal anderer Schulen zu stärken.” (Strukturerlass, Absatz 2)
65
abgestimmten Schul- und Unterrichtsentwicklung. Die Verantwortung für das
Angebot teilen sich Schulministerium/ Schulämter und Bezirksregierungen.
Das Schulministerium ist zuständig für die „Fortbildungsinitiative NRW”. Realisiert
wird die Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer in NRW durch 53 Kompetenzteams
vor Ort.155 Der Fokus liegt zum einen auf Schul- und zum anderen auf
Unterrichtsentwicklung. Das Ziel ist eine neue Lehr- und Lernkultur an NordrheinWestfalens Schulen zu implementieren. Dazu werden die Maßnahmen in 3156 bzw. 5
Programme157 gebündelt.
Im
Zentrum
der
Angebote
der
fünf
Bezirksregierungen
stehen
u.a.
Qualifikationserweiterungen in den so genannten Bedarfsfächern, Fortbildungen für
Schulleitungen oder Angebote im Bereich des Schulsports.
•
In Bayern gilt aktuell die Bekanntmachung des Bayerischen Kultusministeriums Nr.
III/7-P4100-6/51011 vom 9. August 2002. Nach ihr gliedert sich die staatliche
Lehrerfortbildung nach Reichweite und Trägerschaft in die zentrale, regionale, lokale
und schulinterne Lehrerfortbildung. Die zentrale Lehrerfortbildung (Träger ist u.a. die
Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen) richtet sich an
Funktionsträger, an pädagogische Führungskräfte und an Multiplikatoren aus ganz
Bayern. Träger der regionalen Lehrerfortbildung Bayern (RLFB) sind für Grund- und
Mittelschulen
die
Regierungen,
für
Realschulen
und
Gymnasien
die
Ministerialbeauftragten. Angebote erfolgen sowohl nach Schularten/ Fächern
differenziert, als auch schulart- und fächerübergreifend; sie reagieren unmittelbar auf
pädagogische, didaktische und sonstige berufsbezogene Erfordernisse oder Neuerung.
Die RLFB betreut und evaluiert auch das regionale Multiplikatoren-/ Moderatoren-/
Referentennetz. Die schulinterne Lehrerfortbildung wird von den Schulen selbst
durchgeführt und orientiert sich unmittelbar am Bedarf der Kollegien.
Das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) München, wirkt bei
der Konzeption und Durchführung der Lehrerfortbildung mit. Alle zwei Jahre werden
Schwerpunktprogramme erlassen.158
155
Vgl.
Fortbildung
für
Lehrkräfte
in
NRW.
URL
http://www.lehrerfortbildung.schulministerium.nrw.de/Fortbildung/Fortbildung-NRW.
156
Der Schwerpunkt Schulentwicklung richtet sich an Schulleitungen, Steuergruppen, Fortbildungsbeauftragte,
Koordinatorinnen, ganze Kollegien und umfasst Schulentwicklungsberatung; Fortbildungsplanung; Schulkultur
entwickeln – Demokratie gestalten.
157
Der Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung richtet sich an ganze Kollegien und Fachkonferenzen und ist
unterteilt in: Standard- und kompetenzorientierte Unterrichtsentwicklung in den Fächern; Fortbildung für
Schulen auf dem Weg zur Inklusion; Vielfalt fördern – Projekt in Kooperation mit der Bertelsmann-Stiftung;
Lernmittel- und Medienberatung; Kooperation mit Bildungspartnern.
158
Schwerpunktprogramm 2015/16:
66
Trotz der zunehmenden Institutionalisierung und Ausdifferenzierung: Handlungsbedarf bleibt
bestehen.
4.3 Weiterer Handlungsbedarf
Am Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung lässt sich dies exemplarisch159
zeigen. Obwohl kompetenzorientiertes Lernen und Lehren in Schulgesetzen und Lehrplänen
normativ längst festgeschrieben ist, obwohl die staatliche Lehrerfortbildung sich um deren
Implementation bemüht hat, wird Kompetenzorientierung in den Klassenzimmern immer
noch nicht als Unterrichtsprinzip realisiert. Dies bestätigen Gespräche mit einzelnen
Lehrkräften oder ganzen Kollegien und der Augenschein bei Hospitationen. Zudem gibt es
Indikatoren
aus
Studien:
Einerseits
können
die
Ergebnissen
der
vergleichenden
Schulleistungstests herangezogen werden: Die Fortschritte sind zwar zu erkennen, bleiben
aber meist moderat.160 Außerdem unterstützen fachspezifische Studien das Ergebnis eines
Nachholbedarfs beim auf Kompetenzförderung ausgerichteten Lehren und Lernen in den
Klassenzimmern.161 Studien zu Lehrerkompetenzen belegen des Weiteren beträchtliche
Mängel in der Kompetenzausprägung bei manchen Lehrkräften im Schuldienst.162
•
Unterricht, insbesondere wissenschaftliche, fachdidaktische und methodische Themen, insbesondere im
Hinblick auf Implementierung der Bildungsstandards, des Lehrplan PLUS und der Kompetenzorientierung;
Pädagogisches Diagnostizieren; Umgang mit Heterogenität; individuelle Förderung unterschiedlicher
Begabungen; Ganztagsschule; Umgang mit Ergebnissen von Vergleichsarbeiten und Evaluation
• Personalentwicklung
• Schulentwicklung, insbesondere Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung, Qualitätsmanagement,
Gestaltung von Schulentwicklungsprozessen, Team und Netzwerkarbeit, Gestaltung der Bildungs- und
Erziehungspartnerschaft
• Medienbildung und -erziehung, u.a. Einsatz von digitalen Medien und Lernplattformen im Unterricht;
Sensibilisierung für Chancen und Gefahren digitaler Medien
Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen, u.a. Mobbing- und Gewaltprävention. interkulturelles und
interreligiöses Lernen, Ästhetische, kulturelle und religiöse Bildung, Politische Bildung und
Demokratieerziehung, Bildung für nachhaltige Entwicklung (Schwerpunktprogramm für die Lehrerfortbildung
2015/16. URL https://alp.dillingen.de/akademie/aufgaben/2015.pdf )
159
Eine analoge Beweisführung ließe sich z.B zu „digitalem Lernen” oder zu „Lernen in inklusiven Klassen”
vorlegen.
160
Vgl. z.B. die Einschätzungen der Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2012). URL
http://www.bildungsbericht.de/zeigen.html?seite=10203.
161
Vgl. exemplarisch die Ergebnisse zu historischen Kompetenzen (HiTCH, vgl. Trautwein, Schreiber et. al.:
Kompetenzen historischen Denkens erfassen – Konzeption, Operationalisierung und Befunde des Projekts
„Historical Thinking – Competencies in History“ (HiTCH). im Druck, (2015)), zu literarischen
Textverstehenskompetenzen (Vgl. Frederking, V., Meier, C., Brüggemann, J., Gerner, V. & Friederich, M.
(2001). Literarästhetische Verstehenskompetenz – theoretische Modellierung und empirische Erforschung.
Zeitschrift für Germanistik, 1, S. 131-144; Roick, T., Frederking, V., Henschel, S. & Meier, C. (2013).
Literarische Textverstehenskompetenz bei Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Schulformen. In C.
67
Auch wenn die Fort- und Weiterbildungs-Maßnahmen der Dritten Phase nur ein Baustein sein
können, um zu erklären, warum Kompetenzorientierung noch nicht genügend in den
Klassenzimmern angekommen ist, sollen im Folgenden zwei mögliche Änderungsansätze
skizziert werden. Zur Diskussion stehen (1) das weitgehend auf Freiwilligkeit basierende
System der Lehrerfortbildung in Deutschland sowie (2) die Struktur und Inhaltlichkeit des
Angebots.
4.3.1 Zur Freiwilligkeit von Fort- und Weiterbildung
Studien weisen nach, dass es offenbar nicht gelingt, alle Lehrkräfte zu motivieren, an den
bestehenden Angeboten zu partizipieren.163 Ca. 15 bis 20 % der Lehrkräfte nehmen
grundsätzliche nicht an Fortbildungen teil. Dieser relativ stabile Anteil lässt sich, wie es
scheint, auch nicht durch quantitativ angelegte Fortbildungs-Verpflichtungen auffangen, die
die einzelnen Bundesländer inzwischen festlegen.164 Möglicherweise bestätigt das indirekt die
Rosebrock & A. Bertschi-Kaufmann (Hrsg.), Literalität erfassen. bildungspolitisch, kulturell, individuell (S. 6984). Weinheim: Beltz Juventa) und zu naturwissenschaftlichen Kompetenzen (Grube, C. (2010). Kompetenzen
naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung. Untersuchung der Struktur und Entwicklung des
wissenschaftlichen Denkens bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I. URL
https://kobra.bibliothek.uni-kassel.de/bitstream/urn:nbn:de:hebis:342011041537247/3/DissertationChristianeGrube.pdf ; Quaiser-Pohl, C. & Endepohls-Ulpe, M. (Hrsg.)
(2010). Bildungsprozesse im MINT-Bereich: Interesse, Partizipation und Leistungen von Mädchen und Jungen.
Münster: Waxmann.
162
Vgl. hierzu die Ergebnisse der COACTIV-Studien (vgl. Kapitel B III. 3.2 COACTIV: Professionswissen von
Lehrkräften, kognitiv aktivierender Mathematikunterricht und die Entwicklung mathematischer Kompetenz bei
Schülern).
Bezogen auf Kompetenzen von Physiklehrern vgl. exemplarisch: Riese, J. & Reinhold, P. (2012). Die
professionelle Kompetenz angehender Physiklehrkräfte in verschiedenen Ausbildungsformen. Zeitschrift für
Erziehungswissenschaft, S. 111-143.
163
Vgl. Graudenz, I., Plath, I. & Kodron, C. (1995). Lehrerfortbildung auf dem Prüfstand: Erfahrungen,
Wirkungen, Erwartungen. Baden-Baden: Nomos-Verlagsgesellschaft; Wolf, W., Göbel-Lehnert, U. & Chroust,
P. (1999). Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Eine Bilanz ihrer Formen und Wirkungen anhand
empirischer Untersuchungen. Die Deutsche Schule, 91, 451–467; Richter, D., Kunter, M., Anders, Y.,
Klusmann, U., Lüdtke, O. & Baumert, J. (2010). Inhalte und Prädiktoren beruflicher Fortbildung von
Mathematiklehrkräften. Empirische Pädagogik, 23, 2, S. 151-168; Richter, D., Kuhl, P., Reimers, H. & Pant, H.
A. (2012). Aspekte der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften in der Primarstufe. In P. Stanat, H. A. Pant, K.
Böhme & D. Richter (Hrsg.), Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe
in den Fächern Deutsch und Mathematik: Ergebnisse des IQB-Ländervergleichs 2011 (S. 237–250). Münster:
Waxmann.; Richter, D., Engelbert, M., Sebastian Weirich, S. & Pant, H. A.: Differentielle Teilnahme an
Lehrerfortbildungen und deren Zusammenhang mit professionsbezogenen Merkmalen von Lehrkräften in:
Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 27 (3), 2013, 193–207.
164
Festgelegt sind z.B. 12 Fortbildungstage in 4 Jahren in Bayern (Lehrerfortbildung in Bayern,
Bekanntmachung Nr. III/7-P4 100-6/51 011) oder 30 Stunden pro Jahr für allgemeinbildende Schulen in
Hamburg (Verordnung über die Arbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer an staatlichen Schulen). Zur
Zusammenschau vgl. Richter, D., Kuhl, P., Reimers, H. & Pant, H. A. (2012). Aspekte der Aus- und Fortbildung
von Lehrkräften in der Primarstufe. In P. Stanat, H. A. Pant, K. Böhme & D. Richter (Hrsg.), Kompetenzen von
68
Einschätzung der OECD-Lehrerstudie bezüglich der problematischen Auswirkungen des
Beamtenstatus deutscher Lehrer.
Zugleich belegen andere Studien, dass die Nutzung von Fortbildungsangeboten durchaus
positive Effekte auf das Lehrerhandeln zeigt. Einen Überblick zur Auswirkung auf
Unterrichtsqualität und Schülerleistungen gibt Lipowsky.165 Einen Zusammenhang zwischen
den Themen, der Häufigkeit der Teilnahme und Lehrerkompetenzen stellt außerdem eine neue
Studie des IQB her:166 Die Nutzung unterschiedlich ausgerichteter Angebote (aus der
Fachwissenschaft, der Fachdidaktik und den Erziehungswissenschaften) und auf konkrete
Handlungsfelder bezogener Angebote (wie z.B. Inklusion, Fachsprache Deutsch für Schüler
mit
Migrationshintergrund,
digitales
Lernen)
korreliert
mit
hohen
Niveaus
von
Lehrerkompetenzen. Dieselbe Studie zeigt an Lehrkräften aus den östlichen Bundesländern,
wo in DDR-Zeiten die Teilnahme an Fortbildung verpflichtend war, dass die Lehrpersonen
auch freiwillig dauerhaft mehr Angebote nutzen als ihre Kollegen aus dem Westen. 167
Die Konsequenz aus diesen Beobachtungen und Untersuchungen ist, dass über das Prinzip der
Freiwilligkeit von Fortbildung nachgedacht werden sollte. Vergleichsstudien zeigen, dass die
in den Schulleistungstest besonders erfolgreichen Länder andere Fortbildungs-Konzepte
umsetzen.168Dass die Vorgabe von Fortbildungsstunden pro Jahr nicht ausreicht, kann bereits
belegt werden. Aktuelle Erlasse wie diejenigen aus Berlin/ Brandenburg und NRW regeln das
Recht und die Pflicht zu Fortbildungen offensiv: In Berlin/ Brandenburg erhalten Schulleiter
explizit das Recht, Fortbildungen anzuordnen.
4.3.2 Inhaltlichkeit und Struktur der Fortbildungsangebote
Maßgeblich für den Erfolg der Fortbildung sind deren Inhaltlichkeit und Struktur. Dazu
werden im Folgenden zwei Typen diskutiert.
Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch und Mathematik:
Ergebnisse des IQB-Ländervergleichs 2011 (S. 237–250). Münster: Waxmann.
165
Lipowsky 2010, 2011.
166
Richter, D., Engelbert, M., Sebastian Weirich, S. & Pant, H. A.: Differentielle Teilnahme an
Lehrerfortbildungen und deren Zusammenhang mit professionsbezogenen Merkmalen von Lehrkräften in:
Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 27 (3), 2013, S. 193–207.
167
Richter, D. et al. (2013), S. 196.
168
Arbeitsgruppe Internationale Vergleichsstudie. (2007). Vertiefender Vergleich der Schulsysteme ausgew.hlter
PISA-Teilnehmerstaaten (3. Auflage). Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.
69
4.3.2.1 Pflichtfortbildungen „Implementation kompetenzorientierter Lehrpläne”
Bislang wurden die wenigen Pflichtfortbildungen, die z.B. der Einführung neuer
(kompetenzorientierter) Lehrpläne dienen, nicht zuletzt aus Kostengründen, oft von im
Schneeballsystem ausgebildeten Multiplikatoren abgehalten. Das Training dieser Dozenten
erfolgt(e) nicht selten inputorientiert; inwiefern die vorgesehenen Multiplikatoren selbst
kompetenzorientiert unterrichten können, inwiefern sie dazu auch in inklusiven Klassen in der
Lage sind bzw. inwiefern sie den Input aus der Multiplikatorenschulung für die Optimierung
des eigenen Unterrichts nutzen, wird nicht überprüft. Zugleich zeigt die Erfahrung, dass
Lehrkräfte sensibel auf Defizite ihrer Fortbildner reagieren. Die Evaluationsbögen, die
üblicherweise nach Fortbildungen verteilt werden, bestätigen diese Beobachtung. Gerade bei
Pflichtfortbildungen führen Schwächen bei den Fortbildnern zu Zweifeln an der
Sinnhaftigkeit der geplanten Reformen und zu Widerständen, den eigenen Unterricht zu
verändern. Die Optimierung der Multiplikatorenschulung – allgemeiner: der Auswahl von
Fortbildnern – ist also ein nicht zu vernachlässigender Ansatz zur Verbesserung der Qualität
von Fortbildungen.
Bundesländer, die zur Zeit neu erarbeitete kompetenzorientierte Lehrpläne implementieren
wollen, entwickeln und erproben aktuell wirksamere Implementierungsstrategien. Drei
Beispiele werden kurz skizziert:
1. Die
deutschsprachige
Gemeinschaft
Belgiens,
die
sich
vielfach
den
qualitätssichernden Maßnahmen der deutschen KMK angeschlossen hat, setzt in den
Jahren 2013 bis 2016 eine sehr weitreichende Strategie um169: Über drei Jahre hinweg
werden die Lehrkräfte verpflichtet, an drei aufeinander aufbauenden ganztägigen
Implementations-Modulen pro Jahr in ihrem Fach teilzunehmen. Die Fortbildungen
werden von externen Experten in Zusammenarbeit mit internen Partnern geplant und
durchgeführt. In der Regel waren die Experten bereits an der Überarbeitung der
Rahmenpläne/ Lehrpläne und an der Entwicklung des Fortbildungskonzepts beteiligt;
zum Teil wurde von den Experten auch Unterrichtsmaterial entwickelt, um die
Umsetzung der Rahmenpläne zu unterstützen.170
2. Baden-Württemberg setzt bei der Implementation der überarbeiteten Lehrpläne
dagegen auf Freiwilligkeit und attraktive Angebote. Die Maßnahmen beginnen im
Schuljahr 2015/16 und setzen sich bis 2023 fort. Sie bereiten jeweils die Arbeit mit
169
Vgl.
die
Homepage
des
Bildungsministerium
der
DG.
URL
http://www.bildungsserver.be/desktopdefault.aspx/tabid-3160/5838_read-37912.
170
Dies betrifft u.a. Geschichte: Hier wurde ein auf die DG abgestimmtes digitales Schulbuch für die Oberstufe
entwickelt.
URL
http://www.dgregierung.be/desktopdefault.aspx/tabid-4312/6503_read40190/6503_page-2/.
70
den im folgenden Jahr verpflichtend eingeführten Lehrplänen vor.171 Wie die Themen
festgelegt und die Multiplikatoren ausgewählt werden, ist noch nicht bekannt.
3. Bayern reagiert auf negative Erfahrungen bei den Pflichtveranstaltungen zur
Einführung des Grundschullehrplans und versucht im Falle der Mittelschulen explizit
die Ausgangslagen der einzelnen Lehrkräfte zu berücksichtigen und passgenauere
Fortbildungsangebote zu machen.172 Auch hier sind genauere Regularien noch nicht
bekannt.
4.3.2.2 Fortbildungsreihen zu Sonderthemen
Ein Ergebnis der Fortbildungsforschung ist, dass Einzelmaßnahmen oft wenig nachhaltig
sind. In vielen Ländern wird daraus die Konsequenz gezogen, mit Fortbildungsreihen zu
arbeiten. Sie können eng umrissene Adressaten haben, z.B. Schulpsychologen, die
weiterqualifiziert werden sollen (z.B. für den Umgang mit Traumatisierungen bei
Flüchtlingskindern).173 Sie können sich an ganze Schulen richten (die in einen
Schulentwicklungsprozess z.B. hin zur inklusiven Schule stehen)174 oder an Kollegen, die
Interesse daran haben, als Praktikumslehrkräfte tätig zu werden.175 Die Teilnahme an
Fortbildungsreihen ist in der Regel freiwillig; könnte aber auch angeordnet werden. Sie wird
meist zertifiziert, z.T. muss hierfür eine Prüfung abgelegt werden. Die Zertifikate sind
funktional; sie können von den Lehrkräften als Beleg ihres besonderen Engagements für die
dienstliche Beurteilung oder als Grundlage für Bewerbungen auf Funktionsstellen genutzt
werden oder für ein Gesuch zur Versetzung an eine Schule ihrer Wahl.176
171
Vgl. URL http://www.kultusportal-bw.de/,Lde/Startseite/schulebw/Bildungsplan+aktuell.
Vgl.
z.B.
die
Hinweise
des
Staatlichen
Schulamts
Nürnberg.
URL
www.schulamt.info/index.php?&pid=757&eb=1&e0=5&e1=757&e2=757&nr=0&csp=&aid=KS00001.
173
Vgl. die entsprechenden Angebote im Fortbildungsnetz Berlin/ Brandenburg.
https://tisonline.brandenburg.de/web/guest/catalog.
174
Vgl. den Informationsflyer zu „Fortbildung für Schulen auf dem Weg zur Inklusion”.
172
http://
URL
http://www.lehrerfortbildung.schulministerium.nrw.de/Fortbildung/WeitereDokumente/Flyer_Inklusion_A_15_V05.pdf.
175
Vgl. die entsprechenden Angebote in der Datenbank „Fortbildung in bayerischen Schulen”
https://fibs.alp.dillingen.de/
176
Bei der größten Zahl an in den Datenbanken gehosteten Angeboten handelt es sich aber weiterhin um
Einzelveranstaltungen, die Lehrkräfte freiwillig besuchen und nach ihren Interessen auswählen. Die angebotenen
Fortbildungen sind nach wie vor oft von Fragmentierung und Verengungen gekennzeichnet: Selten werden
Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Erziehungswissenschaften vernetzt; kaum einmal werden Unterrichten,
Erziehen und Innovieren explizit auf einander bezogen.
71
4.3.2.3 Feedbackstrukturen für die Teilnehmer
Gerade wenn Fortbildungsmaßnahmen Paradigmenwechsel unterstützen wollen, die
eingefahrene Gewohnheiten in Fragen stellen, bedarf es nicht nur der Fortbildungsreihen.
Notwendig sind auch erprobende Aufgabenstellungen, ggfs. Materialunterstützung zwischen
den Terminen. Manchmal können Coaching-Strategien geboten sein, falls von Teilnehmern
bzw. Verantwortlichen im Einzelfall Bedarf dafür gesehen wird.
Abschließend
soll
auf
digitale
Möglichkeiten
verwiesen
werden,
die
Unterstützungsfunktionen übernehmen können:
1. Das erste Beispiel betrifft ein Fortbildungskonzept, das kompetenzorientiertes
Unterrichten fördern will, das durch ein digital-multimediales Schulbuch (mBook
NRW) unterstützt werden soll. Ein doppelter Paradigmenwechsel wird also angestrebt,
hin zu kompetenzorientiertem Unterrichten und der zu digitalem Lernen.
•
Es beteiligen sich daran 41 Pilotschulen. Ein einführendes ganztägiges face-to-faceAngebot, das das Konzept des Lernmittels erläutert, Erfahrungen der unterrichtlichen
Nutzung vorstellt und ein Konzept zur Planung von Unterricht vorschlägt, steht am
Anfang. Als „Fortbildung on demand“ ist das digital-multimediale Schulbuch in der
Lehrerversion (mBook-L) nutzbar. An für kompetenzorientiertes Unterrichten
zentralen Stellen sind didaktisch-methodischen „Handreichungen“ eingebaut, die
ebenfalls multimedial angelegt sind. Diese können von den Lehrkräften bei Bedarf
und Interesse aufgerufen werden.
•
Feedback kann unmittelbar (per Email oder in einer Skype-Konferenz) oder bei der
nächsten thematischen face-to-face Veranstaltung (zwei bis drei weitere Termine
finden pro Jahr statt) eingeholt oder gegeben werden.
•
Die weiteren face-to-face-Termine arbeiten zwar am selben Thema (z.B.
kompetenzorientierte Aufgabenstellungen; Arbeiten mit Karten, Differenzierung im
Geschichtsunterricht, Progression), aber in interessensgeleiteten Kleingruppen. Das
Ziel ist, dass diese Gruppen sich zur gemeinsamen Arbeit und ggfs. gegenseitigen
Unterstützung auch über die Fortbildung hinaus treffen. (Das in Eichstätt entwickelte
Konzept wird in Kapitel B, 3 ausführlicher vorgestellt).
1. In der Weiterentwicklung des Konzepts kann auf Erfahrungen mit e-sessions
zurückgegriffen
werden.
Seit
Jahren
wird
die
Implementation
bilingualen
Sachfachunterrichts an bayerischen Realschulen mit dem Angebot thematischer esessions begleitet. Nach einem kurzen Input durch einen Experten haben die
72
Teilnehmer, die sich freiwillig zuschalten, Gelegenheit zu Rückfragen bzw. die
Möglichkeiten sich untereinander auszutauschen.
4.4 Resümee
Schon seit einigen Jahrzehnten ist zu beobachten, dass die Bedeutungszuweisung an die Dritte
Phase zunimmt. Sie schlägt sich u.a. in einer zunehmenden Institutionalisierung der
Fortbildung nieder. Aktuell fällt auf, dass eine Verortung und vor allem Einbindung der Fortund Weiterbildung in den übergeordneten Rahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung
vorgenommen wird. Dafür werden auch rechtliche Regelungen getroffen, u.a. indem
Fortbildung als Recht und Pflicht der Lehrkräfte verankert wird. Gerade bei
Pflichtfortbildungen
(z.B.
zur
Implementation
von
Lehrplänen)
werden
aktuell
unterschiedliche Formate erprobt. Dazu kommen Fortbildungsreihen, die sich an konkrete
Adressaten richten. Vereinzelt gibt es Experimente mit digitalen Varianten.
Inzwischen ist es zum Standard geworden, Fortbildungsmaßnahmen zu evaluieren: Die
Instrumente reichen von oft ziemlich oberflächlichen Evaluierungsbögen, die im Anschluss
an Veranstaltungen eingesetzt werden, zu ausgefeilten Designs bei drittmittelgeförderten
wissenschaftlichen Begleitstudien.177 Dazwischen liegen die Instrumente der internen und
externen Evaluierung, mit deren Hilfe zur Nachhaltigkeit der Fortbildung und zur
Weiternutzung an den Schulen beigetragen werden soll.
Trotz dieser Aufwertung: Das Zusammenführen der neuen Anregungen, die Fortbildungen
bringen, mit den vorhandenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften, mithin der
Beitrag der Dritten Phase zu lebenslangem Lernen, wird immer noch oft den Lehrkräften
selbst überlassen. Konzepte, die Nachhaltigkeit von Fortbildungsangeboten z.B. durch
Feedback-Strategien und/ oder Coaching-Maßnahmen zu unterstützen, werden erst in
Ansätzen erprobt. Dies gilt auch für Kombinationen von face-to-face-Fortbildung mit blended
learning-Konzepten.
Erhalten
bleibt
im
Allgemeinen
auch
das
Verständnis,
dass
Fort-
und
Weiterbildungsmaßnahmen ausschließlich eine Angelegenheit der dritten Phase sind. Sie
werden funktional gesehen, als Unterstützung bei der Implementation z.B. neuer Lehrpläne,
als Weg, Defizite zu beheben oder als Anregung für eine Weiterentwicklung (z.B. hin zum
177
Vergleich die wissenschaftliche Begleitstudie zu den Inklusionsfortbildungen in NRW, URL
https://www.hf.uni-koeln.de/data/e/File/Abschlussbericht%20Mettmann.pdf.
73
digitalen oder hin zum inklusiven Lernen). Dabei unterbleibt meist noch, im Sinne eines
lebenslangen Lernens Zusammenhänge auch zur universitären ersten und zur zweiten Phase
herzustellen. Daran ändert auch nichts, dass die Standards der KMK für Lehrerbildung die
Dritte Phase dezidiert einbeziehen wollen.
Hier besteht eine der größten Herausforderungen bezogen auf das Gesamtkonzept eines
lebenslangen Lernens. In Kapitel B I, 2.2 wird als Weg vorgeschlagen, in allen Phasen Bezug
auf ein phasenübergreifend angelegtes Kompetenzstruktur-Modell für die Entwicklung von
Lehrerkompetenzen zu nehmen.
Die Zusammenstellung grundlegender Herausforderungen für die Reform der Lehrerbildung
wird abgeschlossen mit den Herausforderungen für die inhaltliche Ausgestaltung des
Lehramtsstudium. Sie ergibt sich aus der Komplexität von Schule, auf die Lehrerbildung
vorbereiten soll.
Dabei werden (1) die drei Säulen der Lehrerbildung, nämlich Fachwissenschaft, Fachdidaktik
und Erziehungswissenschaft betrachtet, ihr Profil dargestellt, die Herausforderungen
reflektiert, vor denen sie jeweils stehen und ihr Beitrag zur Kompetenzentwicklung von
Lehrkräften diskutiert, sodann (2) wird der Theorie-Praxis-Zusammenhang als Problemfeld
der Lehrerbildung skizziert, wobei „Berufsbefähigung“ als allgemeines Ziel der BolognaReform und der Berufsfeldbezug Schule vergleichend präsentiert werden. Schließlich werden
(3) Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenz betrachtet und Strukturmaßnahmen sowie
Maßnahmen der konkreten Realisierung vorgestellt. Die drei Zugriffe werden jeweils in
Bezug zueinander und zum Ziel einer Reform der Lehrerbildung gesetzt.
IV. „Reduktion und Komplexität“: Herausforderung der
inhaltlichen
Ausgestaltung
des
Lehramtsstudiums
angesichts der Komplexität des Berufsfelds Schule
74
1.
Fachwissenschaften,
Fachdidaktiken
und
Erziehungswissenschaften als Bezugsdisziplinen – die drei Säulen
der universitären Lehrerbildung
National und international besteht Konsens darüber, dass angehende Lehrkräfte sich im
universitären Studium Kompetenzen in den drei Säulen Fachwissenschaften, Fachdidaktiken
und Erziehungswissenschaften aneignen müssen, um in ihrem späteren Berufsleben der
Komplexität des Berufsfelds Schule gerecht werden zu können. Studiert werden die den
Schulfächern zugeordneten Wissenschaftsdisziplinen (Säule 1 „Fachwissenschaft”)178 und die
auf die Schulfächer bezogenen Fachdidaktiken (Säule 2 „Fachdidaktik”). Im überfachlich
ausgerichteten Studium der Erziehungswissenschaften (Säule 3 „Erziehungswissenschaften”)
werden schulbezogene Aspekte der Pädagogik und Psychologie belegt, zum Teil auch
schulrelevante Aspekte ausgewählter Gesellschafts- und Kulturwissenschaften (wie
Soziologie, Politikwissenschaft, Ethnologie, Philosophie und Theologie).
Die Breite und Tiefe des Studiums hängt u.a. mit der gewählten Schulart, aber auch mit dem
Land, in dem studiert wird, zusammen. Die Tiefe der fachwissenschaftlichen Ausbildung und
die Anzahl der Fächer, die Lehramtsstudierende in Deutschland zu wählen haben, korreliert
damit, ob sie sich für eine Schulart mit Fachlehrersystem (Gymnasium oder z.B. Realschule
in Bayern) entschieden haben oder für eine Schulart, in der die Lehrkraft aus pädagogischen
Gründen möglichst mehrere Fächer in einer Klasse unterrichtet (Klassenlehrerprinzip).
Für das Lehramt an Gymnasien studiert man regelmäßig zwei Fächer; für die Lehrämter mit
Klassenlehrerprinzip ist festgelegt, dass die Studierenden ein Unterrichtsfach als
akademischen Studienschwerpunkt wählen. Das zweite „Fach” setzt sich, den Erfordernissen
der Schulart entsprechend, aus mehreren Bausteinen zusammen, die der Schulartspezifik aus
erziehungswissenschaftlichen wie fachlichen Perspektiven Rechnung tragen sollen. Im
Grundschulstudium muss z.B. jeweils Didaktik und Pädagogik der Grundschule studiert
werden. Auch für das Studium, das auf Lehrertätigkeiten in der Sekundarstufe I vorbereitet,
werden in der Regel spezielle erziehungswissenschaftliche Schwerpunkte vorgeschrieben.
Abhängig vom jeweiligen Bundesland handelt es sich dabei z.B. um interkulturelle Bildung,
178
Nicht alle Unterrichtsfächer korrelieren mit einer wissenschaftlichen Fachdisziplin. Das in Bayern für alle
Schularten wählbare Unterrichtsfach Sozialkunde setzt sich z.B. aus Studienanteilen aus den Disziplinen
Politikwissenschaft, Soziologie und Zeitgeschichte zusammen.
75
Deutsch als Zweitsprache oder Hauptschulpädagogik. Anstelle des zweiten Unterrichtsfachs
können mehrere Nebenfächer treten.179
Einzelne Länder (wie z.B. Bayern) legen fest, welche Fachkombinationen gewählt werden
dürfen. Andere Länder geben, zumindest für das Gymnasium, nur die Fächer vor, überlassen
die Wahl der Kombination aber den Studierenden (z.B. Nordrhein-Westfalen); dazwischen
liegen Länder mit teilweiser Beschränkung der Wahlfreiheit (z.B. Baden-Württemberg,
Hamburg, Niedersachsen und Hessen). Derartige Festlegungen ziehen Konsequenzen nach
sich, so können z.B. in Bayern im Studium für das Lehramt an Grundschulen die Didaktiken
natur- und geisteswissenschaftlicher Sachfächer nur eingeschränkt gewählt werden, weil das
Studium von Deutsch, Mathematik und einem musischen Fach vorgeschrieben ist.
Im Folgenden wird das Studium in den drei Säulen näher beschrieben, wobei abschließend
jeweils die Herausforderungen skizziert werden, mit denen eine Reform der Lehrerbildung
umgehen muss.
2. Fachdidaktiken
Gewinner der auf Kompetenzorientierung zielenden aktuellen Reform der Lehrerbildung sind
die Fachdidaktiken: Die erst in den 1960/ 1970-er Jahren im Zuge der letzten großen
Bildungsreform180 als universitäre Disziplinen entstanden Fachdidaktiken haben eine
Aufwertungen erfahren, indem ihre Schlüsselrolle für die Lehrerbildung in Forschung und
Lehre herausgestellt wurde. In den meisten Bundesländern wurde dies auch in einer Erhöhung
der Studienanteile manifest.
179
Die Fächer werden zum Teil als so genannte „Nebenfächer” von geringem Umfang studiert (z.B. in BadenWürttemberg oder Hamburg) oder als „Didaktikfächer” (z.B. in Bayern). Diese Bezeichnung weist darauf hin,
dass in den gewählten Fächern keine fachwissenschaftlichen Module belegt werden und fachliche Grundlagen
im Rahmen der fachdidaktischen Module gelegt werden müssen.
180
Die Rede ist von der Akademisierung der Schul- und damit auch der Lehrerbildung, die nicht zuletzt eine
Reaktion auf den so genannten „Sputnikschock“ war, durch den der Ost- Westkonflikt in den Bildungsbereich
hinein ausgeweitet wurde: Der Weltraumerfolg der UdSSR wurde nicht nur in der militärischen Auswirkung
gesehen, man leitete vielmehr aus diesem Indiz für den technischen Rückstand Amerikas die Hypothese eines
generellen Bildungsrückstands des ‚demokratischen Westens’ gegenüber dem ‚sowjetischen Osten’ ab
(Froese/Haas/Anweiler, Bildungswettlauf, 1960). Ein Ergebnis der verstärkten Bildungsaktivitäten war auch die
Etablierung der Fachdidaktiken als Wissenschaften und die Einrichtung fachdidaktischer Lehrstühle und
Professuren.
76
2.1 Das Profil der Fachdidaktiken
Fachdidaktiken sind domänenspezifische Teildisziplinen, die zusammen mit inhaltsbezogenen
Teildisziplinen („Fachwissenschaften”) die jeweiligen Fächer ausmachen. Zugleich berühren
sich Fachdidaktiken, weil sie sich auch überfachlich mit Fragen der Vermittlung
auseinandersetzen, mit den Erziehungswissenschaften. Demzufolge sind sie notwendiger
Weise inter- und transdisziplinär ausgerichtet. In den nachfolgenden Grafiken wird dies
exemplarisch am Beispiel der Geschichtsdidaktik181 visualisiert:
Abb. 4: Geschichtsdidaktik: transdisziplinär (Waltraud Schreiber
Ihre Bedeutung als zentrale Berufswissenschaften für Lehrkräfte besteht vor allem in ihrem
spezifischen Beitrag (1) zur Entwicklung von Unterrichtskompetenz, aber auch (2) in der
Erweiterung der schulischen um die außerschulische Bildung, (3) in ihren Beiträgen zur
Fachgrenzen überschreitenden Zusammenarbeit in der Forschung und schließlich (4) ihrem
Beitrag zu Kooperationen im Bereich der Pragmatik, einerseits mit Schule und andererseits
mit den Vertretern der Zweiten und Dritten Phase der Lehrerbildung.
181
Die konkretisierenden Beispiel beziehen sich häufig auf Geschichte, nicht nur, weil Geschichte die
Fachdomäne der beiden Autorinnen ist. Geschichte ist in besonderem Maße als verdeutlichendes Beispiel
geeignet, weil sie sich bezogen auf Vergangenheit wie Gegenwart und Zukunft mit Kultur, Politik, Wirtschaft,
Gesellschaft, mit Fragen von Gender, Performanz, mit Fragen von Raum und Zeit, mit Fragen von Kontingenz
und von Kontinuität und Wandel befasst, zudem mit Narrativität und Konstruktion, weil Narrationen die einzig
mögliche Form sind, sich ex post mit Vergangenem auseinanderzusetzen und nach Zusammenhängen zwischen
den Zeitdimensionen zu fragen und weil der Konstruktcharakter von Geschichte zu den epistemologischen
Prinzipien der Disziplin gehört. Damit ergeben sich Zusammenhänge mit zahlreichen anderen Domänen.
Dass die am Beispiel der Geschichte verdeutlichten Überlegungen pars pro toto auch für die Domänen stehen,
wird fallweise durch Verweise auf andere Fachzusammenhänge verdeutlicht. Sich systematisch immer auf
mehrere Domänen zu beziehen, macht die Vielfalt der Fächer, für die Lehrkräfte ausgebildet werden, unmöglich.
77
2.1.1 Fachdidaktiken und die Förderung von Unterrichtskompetenz
Unterrichtskompetenz bedeutet mehr als das handwerkliche Unterrichten-Können. Es geht
darum, durch Unterricht einen gezielten und kontinuierlichen Kompetenzaufbau bei den
Schülern zu fördern, dabei die Lernvoraussetzungen zu berücksichtigen und zugleich die
Zieldimensionen, die z.B. in Bildungsstandards festgehalten sind, im Blick zu behalten.
Die Fachdidaktiken ordnen das fachliche Lernen in theoretische Kontexte ein, z.B. indem sie
es auf domänenspezifische Kompetenzstrukturmodelle beziehen,182 den Konstruktcharakter
des Wissensaufbaus und mögliche Konstruktionsprinzipien für das fachliche Wissen bewusst
machen,183 die Systematik des Faches für unterschiedliche Gruppen von Lernenden
elementarisieren184
und
Überlegungen
anstellen,
wie
die
Förderung
der
Kompetenzentwicklung schulartbezogen und in den zunehmend heterogenen Klassen erfolgen
kann.
In pragmatischer Wendung leiten Fachdidaktiken den Aufbau der Kompetenzen für die
Planung, Durchführung und Reflexion von Unterricht systematisch an. Dabei müssen auch
Bezüge zu allgemeindidaktischen, also überfachlichen Prinzipien hergestellt werden.
Kernaufgabe der Fachdidaktiken ist aber, Kompetenzen für fachliches Lernen und Lehren
aufzubauen. Dafür sind insbesondere die zentralen fachdidaktischen Fragen nach dem
Warum, Was und Wie des Lernens von Bedeutung185:
1. Bezogen auf das Warum, die Ausrichtung an (übergeordneten) Fragestellungen, leiten
die Fachdidaktiken die Studierenden (Referendare, Lehrkräfte) an, über die
individuelle und gesellschaftliche Relevanz des zu Lernenden nachzudenken. Zur
182
Die Entwicklung von Kompetenzstrukturmodellen werden häufig federführend von Fachdidaktikern
betrieben, vgl. z.B. das Kompetenzstrukturmodell der FUER-Gruppe für Geschichte (Körber, A., Schreiber, W.
& Schöner, A. (Hrsg.) (2007, 2010)); das Kompetenzmodell für Geographie (Hemmer, I., (2012).
Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. Mit Aufgabenbeispielen. Bonn:
Selbstverl. DGfG; Hemmer, I. & M. Hemmer (2013). Bildungsstandards im Geographieunterricht -Konzeption,
Herausforderung, Diskussion. In M. Rolfes & A. Uhlenwinkel (Hrsg.), Metzler-Handbuch 2.0
Geographieunterricht. Ein Leitfaden für Praxis und Ausbildung. (S. 24-32 & S. 553). Braunschweig:
Westermann) oder das Kompetenzmodell für literarisches Textverstehen (Frederking, Volker et al. (2011).
Literarästhetische Verstehenskompetenz – theoretische Modellierung und empirische Erforschung: In:
Zeitschrift für Germanistik, 1, S. 131-144; Frederking, V. et al (2013). Literarische Textverstehenskompetenz
bei Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Schulformen. In A. Bertschi-Kaufmann & C. Rosebrock
(Hrsg.), Literalität erfassen. bildungspolitisch, kulturell, individuell (S. 69-84). Weinheim u.a.: Beltz Juventa).
183
Die Forschung zur domänenspezifischen Wissenskonstruktion wird aktuell intensiv betrieben, nicht zuletzt
um eine Theoriebasierung für kompetenzorientiertes Lernen und das Lernen in heterogenen Klassen zu schaffen.
184
Aktuell intensiviert sich auf der einen Seite die Auseinandersetzung mit fachspezifischem, den
Kompetenzaufbau förderndem Lernen in der Grundschule (vgl. die Bände der Sachunterrichtsdidaktik zum
Referenzrahmen), auf der anderen Seite die Auseinandersetzung mit fachspezifischem Lernen in heterogenen
und inklusiven Klassen (hierzu finden aktuell zahlreiche Tagungen statt; vgl. exemplarisch die Tagung der
Gesellschaft für Fachdidaktik im Oktober 2015 in Hamburg).
185
Vgl. u.a. Schreiber, W., Schöner, A., Sochatzy, F. (Hrsg.) (2013). Schulbuchanalysen – Grundlage
empirischer Geschichtsdidaktik, Stuttgart: Kohlhammer.
78
Frage „Warum sollen Schüler das lernen?” können auf den systematischen Aufbau der
Domäne bezogene Antworten gegeben werden186 und Antworten, die die Rolle der
Domäne für das Leben der Schülerinnen und Schüler betreffen.187
2. Bezogen auf das Was, die Auswahl problemhaltiger Situationen, konkreter Inhalte und
die Formulierung als Unterrichtsthemen, unterstützen die Fachdidaktiken die
(angehenden) Lehrkräfte dabei, die Auswahlentscheidungen so zu treffen, dass die
Themen zugleich schüler- und sachgemäß sind sowie ein zunehmend eigenständiges
fachliches Lernen und den gezielten Auf- und Ausbau von Fachkompetenz fördern.
Ansätze zur Differenzierung bis hin zur Individualisierung müssen angesichts der
immer heterogener werdenden Schülergruppen bei den auszuwählenden Inhalten
mitbedacht werden.
3. Bezogen auf das Wie ist es schließlich die Aufgabe der Fachdidaktiken, die
(angehenden)
Lehrkräfte
mit
fachspezifischen
Unterrichtsprinzipien
und
Unterrichtskonzepten und fachspezifischen Medien und Methoden vertraut zu
machen. Zudem werden sie dabei unterstützt, die Förderung überfachlicher
Kompetenzen in fachlichen Lernsituationen zu berücksichtigen.
Für den konkreten Unterricht sollen sie lernen, die methodischen Entscheidungen zum
Wie dem Warum und dem Was unter- bzw. zuzuordnen. Dies betrifft auch die
Auswahl, ggfs. Entwicklung von Unterrichtsmaterialien.
Die Maßnahmen zur Entwicklung der Unterrichtskompetenzen sollten sich nicht nur darauf
beziehen, Sache und Schüler zusammen zu bringen. Neben der auf die Schüler gerichteten
„Fremdreflexion“188 sollte auch die auf den Lehrenden gerichtete „Selbstreflexion” eine
wichtige Rolle spielen. Studierende (Referendare, Lehrkräfte) müssen lernen, ihr eigenes
Fachverständnis, ihre Einstellung zum Schulfach, ihre eigenen Lernerfahrungen, ihre eigenen
Vorstellungen vom Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler und das Niveau der eigenen
186
Es geht dann u.a. um das Verfügen lernen über zentrale Konzepte und Methoden, um die Kenntnis der
zugrunde liegenden epistemologischen Prinzipien, um zentrale Fragestellungen und die darauf bezogenen
grundlegenden Einsichten.
187
Erschließen die Fragestellungen Probleme, die für das Welt-, Fremd- und Selbstverstehen der Schüler von
Bedeutung sind, Probleme, die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, die sie umgebende Kultur, ggfs.
auch ihre Herkunftskultur, besser zu verstehen und sich im multikulturellen Austausch zurecht zu finden?
Können mit ihrer Hilfe die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler gezielt
weiterentwickelt werden? Können die Fragestellungen dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler sich zu
eigenständigen, reflektierenden, verantwortlichen Denkern und Handelnden entwickeln? Lassen sich die zu
gewinnenden Einsichten auf andere Situationen transferieren? Sind sie inter- und transdisziplinär von
Bedeutung?
188
Diese Ausrichtung auf Fremd- und Selbstreflexion wurde von Florian Basel übernommen, der sich in seiner
Dissertation mit Geschichtslehrern im kompetenzorientierten Geschichtsunterricht auseinandersetzt. Vgl. Basel,
F. (2013). Lehrerkompetenzen. Diagnose und Förderung im Geschichtsunterricht – Empirische Studien zu
Unterrichtsplanung und –analyse. In J. Hodel & B. Ziegler (Hrsg.), Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 09.
Beiträge zur Tagung ‚Geschichtsdidaktik empirisch 09‘ (S. 106-118). Bern: Hep.
79
Fachkompetenz zu erkennen und es in Zusammenhang mit dem geplanten/ durchgeführten
Unterricht zu bringen. Selbstreflexion ist eine der entscheidenden Motivationen für
lebenslanges Lernen.
2.1.2 Blickweitung von der schulischen auf die außerschulische Bildung
Weil Fachdidaktiken in ihrem Selbstverständnis nicht auf die Beschäftigung mit schulischen
Vermittlungsfragen beschränkt sind, sind sie dazu prädestiniert, das lebenslange Lernen, das
notwendigerweise auch außerhalb der Schule stattfindet, theoretisch zu reflektieren und
praktisch zu begleiten. Die unterschiedlichen Fachdidaktiken sind z.B. mit politischer
Bildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, dem außerschulischen Umgang mit Religionsoder Geschichtskultur befasst, mit lebenslanger Leseförderung oder außerschulischem
Fremdsprachenlernen, das Lernen von Deutsch als Fremdsprache eingeschlossen. Dabei
können informelle, formale wie non-formale Bildungsprozesse189 im Zentrum stehen.
Formale
Bildungsprozesse
erfolgen
z.B.
im
schulisch
organisierten
Lernen
an
außerschulischen Lernorten, non-formale Bildungsprozesse vollziehen sich, wenn Menschen
freiwillig und selbständig außerschulische Bildungsangebote z.B. von Museen und anderen
Bildungsinstitutionen, Vortragsangebote von Verbänden, Kultureinrichtungen etc. nutzen;
informelle Bildung190 vollzieht sich z.B. in der Familie oder in peergroups.191
189
In Anlehnung an die Europäische Kommission 2004, 10ff hat Neß die drei Formen folgendermaßen definiert:
Formales Lernen ist „ein Lernen, das in einem organisierten und strukturierten Kontext (Bildungs- oder
Ausbildungseinrichtung, am Arbeitsplatz) stattfindet, explizit als Lernen bezeichnet wird und (in Bezug auf
Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist. Formales Lernen ist aus der Sicht des Lernenden
zielgerichtet und führt im allgemeinen zur Zertifizierung. Nichtformales Lernen bezeichnet Lernen, das in
planvolle Tätigkeiten eingebettet ist, die nicht explizit als Lernen bezeichnet werden (in Bezug auf Lernziele,
Lernzeit oder Lernförderung), jedoch ein ausgeprägtes „Lernelement“ beinhalten. Nicht formales Lernen ist im
Allgemeinen intentional aus Sicht der Lernenden und führt normalerweise nicht zur Zertifizierung. Informelles
Lernen ist ein Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist in
Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung nicht organisiert oder strukturiert. Informelles Lernen ist in
den meisten Fällen nicht intentional und führt normalerweise nicht zur Zertifizierung.
(Vgl. Neß, H. (2009). Portfolioarbeit zur Anerkennung informell erworbener Kompetenzen in der Lehrerbildung.
Bildungsforschung 6, S. 139-158, S. 139f.)
190
Seit Beginn der 2000-er Jahre (z.B. Dohmen, G. (2001). Das informelle Lernen. Die internationale
Erschließung einer bisher vernachlässigten Grundform menschlichen Lernens für das lebenslange Lernen aller.
Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung) intensiviert sich der Diskurs zu informeller Bildung
(Grundmann, M. (2003). Milieuspezifische Bildungsstrategien in Familie und Gleichaltrigengruppe. Zeitschrift
für Erziehungswissenschaft 6, 1, S. 25–46; Düx, W. & Sass, E. (2005). Lernen in informellen Kontexten.
Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 7, S. 394-411; Fehrlen, B. & Koss, T. (2009). Bildung im Alltag der
Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Empirische Studien. Tübingen: Verlag Burkart Fehrlen; Riekmann, W.
(2011). Demokratie und Verein. Potentiale demokratischer Bildung in der Jugendarbeit. Wiesbaden: VS; Thole,
W. & Höblich W. (2013). „Freizeit“ und „Kultur“ als Bildungsorte – Kompetenzerwerb über non-formale und
informelle Praxen von Kindern und Jugendlichen. Wiesbaden: Springer; Rohlfs, C., Harring, M & Palentien, C.
(Hrsg.) (2014). Kompetenz-Bildung. Soziale, emotionale und kommunikative Kompetenzen von Kindern und
Jugendlichen. Wiesbaden: Springer.). Die Dimension Fachlichkeit spielt im Diskurs um informelle (und non-
80
Der Fachdidaktik geht es bei der Auseinandersetzung mit dem außerschulischen Lernen
immer auch um Reflexion und theoretische Einordnung sowie pragmatische Förderung.
Reflexion und Einordnung sollten der Beschäftigung mit außerschulischen Lernorten im
Rahmen der formalen schulischen Bildung vorauslaufen, insofern das Ziel ist, auch das
außerschulische Lernen als Teil eines umfassenden, lebenslangen Kompetenzaufbaus zu
verstehen.
Sofern die von den Fachdidaktiken erarbeiteten Kompetenzstrukturmodelle das fachliche
Lernen
in
seiner
Breite
umfassen,
kann
mit
ihrer
Hilfe
die
Relevanz
der
Kompetenzorientierung für die Erarbeitung der Bildungsangebote im außerschulischen
Bereich und für deren non-formale Rezeption durch die Besucher/ Lerner eindrucksvoll
belegt werden.192 Die gemeinsame Theoriebasis erleichtert es der Fachdidaktik, formales und
non-formales Lernen zusammenzuführen.
Informelles Lernen ist bislang erst in Ansätzen Thema der Fachdidaktiken, obwohl es die
Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler entscheidend mitprägt.193 Bislang findet
es v.a. im Zuge der Lernstandserhebungen für schulisches Lernen Beachtung, teilweise als
Unterrichtsthema (z.B. Sichtweisen auf Geschichte im Spielfilm). Als gleichwertige Lernform
spielt informelles Lernen kaum eine Rolle; Beispiele gibt es in der Demokratieerziehung oder
in der „Bildung für nachhaltige Entwicklung”.
Eine Anforderung an die Fachdidaktik besteht darin, das außerschulische Lernen
uneingeschränkt als Teil des lebenslangen Kompetenzaufbaus zu verstehen. Dabei gilt es ein
weiteres Defizit aufzuarbeiten: Während es fachspezifische Konzepte für das Lernen an
außerschulischen Lernorten in fast allen Fachdidaktiken gibt, wird das gemeinsame,
unterschiedliche Fachperspektiven integrierende Erschließen von Lernorten bislang seltener
formale) Bildung bislang entweder eine untergeordnete Rolle oder es wird ihr die Rolle des Feindbilds als
verengte, vermessenen, fachlichen Kompetenz zugewiesen.
191
Am Beispiel Geschichte wären das auf der einen Seite z.B. Museen, Dokumentationszentren oder
Gedenkstätten als Lernorte, auf der anderen Seite z.B. die Filmangebote von Fernsehen, Kino, Internet, die
Medienpakete, die im Umfeld von Gedenktagen angeboten werden, belletristische und Fachliteratur, aber auch
historische (Computer-) Spiele.
192
Am Beispiel Geschichte vgl. hierzu exemplarisch kompetenzorientiertes Lernen an Gedenkstätten, Schreiber,
W. (2012). „Kraft der Freiheit – Geist der Diktatur“. Über die Herausforderung, Besucherinnen und Besucher an
Gedenkstätten in der Entwicklung ihrer historischen Kompetenz zu fördern. In D. Brovelli (Hrsg.),
Kompetenzentwicklung an ausserschulischen Lernorten. Tagungsband zur 2. Tagung Ausserschulische Lernorte
der PHZ Luzern vom 24. September 2011 (S. 35-67). Münster u.a.: Lit.; Schreiber, W. (2013). Gedenkstätten
und historische Ausstellungen lesen (lernen). In M. Raasch & T. Hirschmüller (Hrsg.), Von Freiheit, Solidarität
und Subsidiarität – Staat und Gesellschaft der Moderne in Theorie und Praxis (S. 13-38). Berlin: Duncker &
Humblot; Schreiber, W. (2013). Gedenkstättenarbeit für die »post-mémoire«-Generation. Wie viel Geschichte
braucht die demokratische Kultur? In V. Knigge (Hrsg.), Kommunismusforschung und Erinnerungskulturen in
Ostmittel- und Westeuropa (S.133-162). Wien u.a.: Böhlau.
193
Vgl. u.a. Zabold, S.: Vor dem ersten Geschichtsunterricht: zur empirischen Erschließung des historischen
Denkens junger Lerner. Dissertationsmanuskript, angenommen.
81
thematisiert.194 Dies erschwert es, Kultur- und Bildungsräume als Ganze wahrzunehmen, sich
mit der Vielfalt der dort vorhandenen Bildungsangebote auseinander zu setzen und ggfs. zu
deren Erweiterung und Modifikation anzuregen. Dafür wäre es erforderlich, die Perspektiven
mehrerer Disziplinen zu verbinden, u.a. weil jeder Kulturraum mehrperspektivische, aber
spezifische Zugriffe nahelegt.195 Ebenso offensichtlich ist aber, dass die Zugriffe nicht nur
von
den
vorhandenen
Gegenwartsproblemen
Gegebenheiten
und
abhängen,
Rezipienteninteressen
sondern
beeinflusst
zudem
sind.
stark
Schneller
von
als
Bildungsinstitutionen reagieren z.B. die (neuen) Medien auf entsprechende Veränderungen,
wobei die Qualität der Angebote nicht immer überzeugt. Dies lässt sich aktuell am Thema
Flucht und Migration beobachten. Fachdidaktiken wäre prädestiniert, unterstützt von den
Fächern, hier einerseits als Reflexionsinstanz, andererseits als Impulsgeber oder als Instanz
einer professionellen, auf Kompetenzförderung ausgerichteten Vermittlung zu fungieren.
2.1.3 Beiträge der Fachdidaktik zur Fachgrenzen überschreitenden
Zusammenarbeit in der Forschung
Die eingangs beschriebene Brückenfunktion der Fachdidaktiken macht diese für
grenzüberschreitende Projekte interessant: Ein bedeutsames Feld für gemeinsames Forschen
ist die (empirische) Bildungsforschung. Studien von Fachdidaktikern und empirischen
Bildungsforschern beziehen sich u.a. auf Kompetenzforschung, alle Formen von
Interventionsforschung und fachbezogene Interessensforschung. Die Kooperation zwischen
empirisch forschenden Erziehungswissenschaftlern und Fachdidaktikern ist nicht nur von der
Sache her geboten, sie wird auch von den Drittmittelgebern zunehmend eingefordert.
Das Argument, dass es erst, wenn Fachliches und Methodisch-Methodologisches
zusammenwirken, gelingen kann, z.B. diziplinspezifische Kompetenzausprägungen zu
erfassen, lässt sich auf Bereiche wie die Medienerziehung oder das digitale Lernen, den
Spracherwerb von Migranten oder die interkulturelle Bildung übertragen. Die Einsicht, dass
in diesen Disziplinen eine ausschließlich überfachliche Ausrichtung der Forschung um
fachlich-fachdidaktische Zugriffe erweitert werden muss, setzt sich inzwischen durch.
Wortschöpfungen wie „Sprachsensibler Fachunterricht”, „fachspezifische Medienerziehung”
oder
„digitales
Geschichts-
oder
Physiklernen”
194
markieren
disziplinübergreifende
Vgl. exemplarisch Lernen an außerschulischen Lernorten. In: Lernchancen Bd.7, Heft 40, S. 6-11. Dort
werden geschichtsdidaktische, politikdidaktische, religionsdidaktische und deutschdidaktische Zugänge am
Beispiel von kulturellen Bildungslandschaften aufeinander bezogen.
195
Dies liegt auf der Hand, wenn man Kulturräume wie das Ruhrgebiet, den Hamburger Hafen oder den
Donauraum vergleicht.
82
Kooperationen unter der Beteiligung von Fachdidaktiken, die jeweils durch Forschung
begleitet werden.
Darüber hinaus wirken Fachdidaktiken zunehmend auch bei multi- und transdisziplinären
Forschungskooperationen mit, sofern die Ausschreibungen z.B. Bildungs-, Identitäts- oder
kulturelle Fragen berühren.196 Ein Beispiel hierfür ist etwa die international ausgerichtete
Forschungsförderung
zu
cultural
heritage.197
In
den
dabei
entstehenden
Forschungskooperationen sind immer häufiger Fachwissenschaften und die zugehörigen
Fachdidaktiken als Partner vertreten.
2.1.4 Kooperation im Bereich der Pragmatik: Fachdidaktiken als Partner
von Schulen und Vertretern der Zweiten und Dritten Phase der
Lehrerbildung
Es ist wiederum die Brückenfunktion, die Fachdidaktiken als Kommunikationspartner auch in
den pragmatischen Diskursen, z. B. mit Schulen und Lehrern, prädestiniert beziehungsweise
eigentlich prädestinieren sollte. Weil Ausbildung und das spätere Lehrersein noch immer eher
selten als Einheit im Rahmen einer lebenslangen Kompetenzentwicklung wahrgenommen
werden (vgl. oben Kapitel A, III. Lehrerbildung als lebenslanger Prozess), ist das Bewusstsein
für die Sinnhaftigkeit einer Kooperation noch nicht sehr ausgeprägt. Für manche Lehrkraft ist
die „Weisheit der Praxis” die Leitlinie für schulisches Handeln; diese kommt (scheinbar) auch
ohne fachdidaktische Theorie- oder Forschungsfundierung aus. Eine Konsequenz hiervon
kann sein, dass Lehrkräfte sich nicht mehr bewusst machen, dass ihre Alltagserfahrungen und
Alltagstheorien sich aus überfachlich- erziehungswissenschaftlichen, fachlichen wie
fachdidaktischen Elementen speisen, und dass dabei Fehlkonzepte entstehen können, die
einen conceptual change sinnvoll oder notwendig machen.
196
Multi- und transdisziplinäre Forschungskooperationen werden häufig bei anwendungsbezogenen
Fragestellungen eingefordert. (Vgl. z.B. Ausschreibung der Volkswagenstiftung zu „Mixed Methods“ in den
Geisteswissenschaften? – Fördermöglichkeiten für die Verknüpfung und das Zusammenwirken von qualitativhermeneutischen
und
digitalen
Verfahren.
URL
https://www.volkswagenstiftung.de/fileadmin/downloads/merkblaetter/MB_108_d.pdf ).
Gegenstand und
Fragestellung erfahren in der multidisziplinären Kommunikation eine besonders intensive Diskussion.
197
Ausschreibungen nicht zuletzt auch in EU-weiten Programmen wie HORIZON 2020 legen die Kooperation
ebenso nahe wie die von den Trägern geforderte Einbeziehung von Fachdidaktikern in wissenschaftliche Beiräte,
z.B. von Gedenkstätten und Museen oder Entwicklungsprojekten im Naturraum.
83
Umgekehrt können manche Fachdidaktiker ihre Erkenntnisse nicht mehr so „lehrer- und
schulnah” formulieren,198 dass sie als Theorie für die Praxis wirksam werden können. Das
Konzept des scientist practioner wird in Kapitel B II als Lösungsansatz für dieses Dilemma
vorgestellt. Es eröffnet die Chance, dass Lehrkräfte wie Wissenschaftler von einer als Einheit
verstandenen Lehrerbildung profitieren können. Es unterstützt, dass fachdidaktische
Einsichten in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit erfolgreich zur
Anwendung kommen und ermöglicht, dass von den Lehrkräften Impulse für Forschung und
Lehre ausgehen können. Dabei ist es eine der Herausforderungen für die Kommunikation
zwischen Lehrkräften und Fachdidaktikern, den Kern von Problemen und Lösungsansätzen zu
erkennen und so eine Verknüpfung zwischen dem schulischen Alltag und aktuellen
Forschungsansätzen herzustellen.
2.2 Resümee: Herausforderung an die Fachdidaktiken
Fachdidaktiken sind in der Lehrerbildung an vielen Stellen von Bedeutung, vorrangig geht es
um die systematische Förderung von fachbezogener Unterrichtskompetenz. Daneben stehen
aber weitere Handlungsfelder, für die Fachdidaktiken aufgrund ihrer Transdisziplinarität
prädestiniert sind (außerschulische Bildung, grenzüberschreitende Forschung, pragmatische
Kooperationen mit Schule und Vertretern der weiteren Phasen der Lehrerbildung). Die obige
Ausdifferenzierung verdeutlicht die Chancen, die sich daraus für die Weiterentwicklung von
Schule aber auch Universität ergeben.
Es muss aber auch auf die damit verbundenen Probleme hingewiesen werden: Die Vielfalt der
Aufgaben droht die Fachdidaktiken inhaltlich wie personell zu überfordern. Im konkreten Fall
kann das die transdisziplinäre Forschungskooperation betreffen, die außerschulische Bildung
oder die pragmatische Kommunikation. Entgehen kann der Einzelne der Überforderung
vermutlich nur durch Realismus und kluge Beschränkung. Es ist kaum möglich, dass einer
allein alle Felder bespielen kann; in Teams und in Abstimmung untereinander zu arbeiten,
sollte die Lösung sein. Politisch muss dagegen für alle Fachdidaktiken, gerade unter Bezug
auf die positiven Beispiele einzelner Vertreter, eine weitere Stärkung eingefordert werden.
198
Für manchen Fachdidaktiker ergibt sich aus der Tatsache, dass die Universität sein Handlungsfeld ist, mehr
oder weniger ausgeprägte Schulferne; Praxis als Grundlage und Ziel fachdidaktischer Forschung geraten so
tendenziell aus dem Blick.
84
In der universitären Lehre muss es um den zeitlichen Rahmen gehen, der für fachdidaktische
Studien zur Verfügung steht und im Vergleich zu den Aufgaben und den Möglichkeiten der
Fachdidaktiken nach wie vor zu gering ist. Um die Kompetenzen der Fachdidaktiken für
schulische wie außerschulische Bildung zu stärken, bedarf es zusätzlicher Forschungs- und
Lehrkapazität. In der grenzübergreifenden Forschung können nur diejenigen sicher bestehen,
die über die disziplinspezifischen Theorien und Methoden ihrer Fachdidaktik hinreichend
verfügen. Hier sollten methodologische und theoretische Defizite durch gezielte
Nachwuchsarbeit vermieden werden. Um mit den als „Weisheit der Praxis” erlebten
Alltagstheorien (in der Schule, der außerschulischen Bildung oder den weiteren Phasen der
Lehrerbildung) konstruktiv umgehen zu können, braucht es einen conceptual change im
Selbstverständnis der Lehrkräfte, der durch Lehrerbildung angelegt werden muss. (Vgl. hierzu
das Kapitel B II. Ansatzpunkt: Das Selbstverständnis von Lehrkräften als scientist
practitioner). Hier können Fachdidaktiken mit Beiträgen aus Forschung und Lehre mitwirken.
Obwohl noch viel zu tun bleibt, haben die Fachdidaktiken insgesamt gesehen die Chancen seit
ihrer Etablierung als Wissenschaftsdisziplinen genutzt. In allen Felder gibt es herausragende
Vertreter, wobei es nicht mehr um einzelne Leuchtturm-Beispiele handelt: Die Dichte
überzeugender fachdidaktischer Leistung hat zugenommen; nicht zuletzt ist dies durch
Drittmittelförderung möglich geworden.
3. Fachwissenschaften
3.1 In-Depth Content Knowledge
Die Forderung, dass Lehrkräfte über ein tiefes und flexibles Verständnis der den
Unterrichtsfächern entsprechenden Disziplinen verfügen können sollten, wurde bereits
dargestellt (vgl. Kapitel A, III, 2.1 Der Erwerb tiefen und flexiblen Wissens als Grundlage für
die Entwicklung von Lehrerkompetenz). An der Universität ist es die Aufgabe der
Fachwissenschaften, einen entsprechenden Wissens- und Kompetenzaufbau zu ermöglichen.
Auf den ersten Blick scheint damit keine besondere Herausforderung und schon gar keine
lehramtsspezifische verbunden zu sein: Welcher junge Wissenschaftler müsste nicht lernen,
85
seine Domäne tief und flexibel zu verstehen? Und welcher Fachdozent wäre nicht in der
Lage, dies zu vermitteln?
Auf den zweiten Blick wird die Schwierigkeit der Aufgabe für die Fachwissenschaft jedoch
deutlicher: Die Anforderung besteht darin, Lehramtsstudierende dabei zu unterstützen die
Prinzipien und grundlegenden Konzepte der Disziplinen so sicher zu verstehen, dass sie
einerseits das aktuelle Fachverständnis und Tendenzen für die Weiterentwicklung erfassen,199
andererseits interdisziplinäre Bezüge herstellen lernen,200 insbesondere auch zu ihren weiteren
Fächern. Dabei sollten sie die Relevanz der fachspezifischen Prinzipien und Konzepte für das
Verstehen der gegenwärtigen Welt und für die Planung der Zukunft klar vor Augen haben.
Gerade mit der Forderung nach der Berücksichtigung von Interdisziplinarität und
Anwendungsbezug, insbesondere von prognostischer Relevanz, wird mehr eingefordert als
manche Wissenschaften zu ihrem Selbstverständnis zählen. Nicht jeder Althistoriker,
Mediävist, Gender- oder Zeithistoriker sieht es als seine Aufgabe, zentrale Kategorien wie
Gesellschaft, Kultur oder Wirtschaft nicht nur in der Spezifik seiner Teildisziplin zu
betrachten, sondern auch die Veränderung zwischen den Epochen und bis in Gegenwart und
Zukunft einzubeziehen oder Epochenspezifisches mit Entwicklungen in anderen Disziplinen
zu vernetzen.201 Genau dazu sollten angehende Lehrkräfte aber befähigt werden, wenn von
ihnen mit Lee Shulman erwartet wird, dass sie ihre Schüler „according to today’s standards“
ausbilden, ihnen dabei helfen „[to] create useful cognitive maps, relate one idea to another“,
wenn sie in der Lage sein sollen, eine drohende Entstehung von „misconceptions“ bei ihren
Schülerinnen und Schülern frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern, wenn sie auf die
Schülerfrage, warum etwas gelernt werden soll, mit Hinweisen darauf reagieren können
199
In Bezug auf Geschichte müssten als epistemologische Prinzipien u.a. ihr Konstruktcharakter, die
Perspektivität der Quellen, Darstellungen und Rezeptionen, die Partikularität der Überlieferung und Selektivität
der Fragestellungen erkannt werden, die in summa das heute dominante narrative Geschichtsverständnis
definieren.
Kultur, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, aber auch Gender, Performanz, Mentalität sowie Raum und Zeit
müssten als systematisierende Kategorien erkannt werden, unter denen Vergangenes erforscht und in Bezug zu
Gegenwart und Zukunft gesetzt werden können. In Bezug auf jede Kategorie ergeben sich zentrale Konzepte,
um Entwicklungen und Veränderungen sachgemäß erfassen und in den inter- und transdisziplinären Diskurs
einbringen zu können: Bezogen auf „Politik” z.B. Formen der Herrschaft und ihrer Regulierung, Krieg und
Frieden, Institutionen usw. Der re-konstruierende, letztlich auf Quellen verwiesene Umgang mit Vergangenem
wird durch die historische Methode reguliert, der de-konstruierende, auf bereits vorhandene Darstellungen
bezogene Umgang wird durch text- und medienanalytische Methoden bestimmt. Tendenzen der
Weiterentwicklung verweisen auf eine weitere Ausweitungen des Untersuchungsgegenstands und die damit
verbundene Ausweitung des Quellencorpus und auf die weitere Bedeutungszunahme vergleichender Studien.
200
Zu den Philologien ergeben sich Bezüge u.a. durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit Narrationen, zu
den Raum und Sachdisziplinen über die kategorialen Zugriffe und Konzepte, mit denen in der
Geschichtswissenschaft gearbeitet wird, mit den Kulturwissenschaften gibt es zudem über den Ansatz der Deund Re-Konstruktion methodologische Berührungen und durch den gemeinsamen Gegenstand
zeitdimensionsbezogene und zeitübergreifende Erkenntnisse.
201
Analoges gilt für andere Disziplinen: Auch für Theologen, Wirtschaftswissenschaftler, Philologen sind
Anwendungsbezug und Orientierung über die Zeitdimensionen hinweg keine Selbstverständlichkeit.
86
sollen, „how ideas connect across fields and to everyday life“202, wenn sie selbst im Sinne des
Lebenslangen Lernens in der Lage sein sollen, den Anschluss an zentrale Entwicklungen,
vielleicht sogar Paradigmenwechsel zu behalten.203
Die Herausforderung an die Fachwissenschaften steigert sich darüber hinaus, wenn man
bedenkt, dass Lehramtsstudierende ihr auf mehrere Fächer bezogenes Studium in der
begrenzten Zeit von in Bayern sieben oder neun Semestern (in den anderen Bundesländern
stehen immerhin zehn Semester zur Verfügung) absolvieren müssen. Die fachliche
Kompetenz für ein tiefes und flexibles Verständnis muss also in geringer Studienzeit
aufgebaut werden. Dies erfolgt zudem im Bewusstsein, dass die eigene Professionalität nicht
in der Forschung liegen wird, sondern in der Vermittlung.
Dennoch ist unbestritten und durch viele positive Beispiele belegt, dass fachwissenschaftliche
Dozenten aufgrund ihrer Qualifikation in der Lage sind, ihr Fach in der von Shulman
skizzierten Weise zu vermitteln, und damit einen outcome bei Lehramts-Studierenden zu
ermöglichen, den diese professionsbezogen nutzen können, um ihrerseits ihre Schüler zu
fördern. Nicht vergessen werden darf, dass das, was sich für Lehramtsstudierende aus der
Komplexität des Berufsfeld Schule ableitet, vermutlich auch Bedeutung für andere
Berufsfelder, bis hin zur Fachforschung, hat: Den „Kern“ der Disziplin vor Augen zu haben,
interdisziplinär denken zu können, Anwendungsbezüge zu kennen und die Relevanz des
Faches für die Zukunft von Welt und Mensch reflektieren zu können, könnte auch Prinzipien
einer allgemeinen Berufsbefähigung entsprechen, die in allen gestuften Studiengängen als
Ausdruck einer outcome-zentrierten Kompetenzförderung angestrebt wird.204
202
Shulman, L. (1987). Knowledge and teaching: Foundations of the new reform. Harvard Educational Review,
57, 1, S. 1-22.
203
Diese Einschätzung unterstreicht der Wissenschaftsrat, der in seinen Empfehlungen von Oktober 2015 als
übergeordnetes Qualifizierungsziel moderner Hochschulbildung definiert: „Fachwissen und -kompetenz sowie
die Fähigkeit diese auch außerwissenschaftlich anzuwenden einerseits und die Reflexion der mit der
Konstruktion und Nutzung dieses Wissens verbundenen Bewertungsprobleme andererseits. Die Sozialisation in
ein Fach ist dementsprechend erst vollendet, wenn die Studierenden auch die theoretischen und methodischen
Grenzen von dessen Bezugssystem erkennen und damit die Bedingungen reflektieren können, die den
Disziplinen ihre historische Gestalt gegeben haben und sie fortwährend weiter formen.“ Und: „Damit geht ein
Verständnis von Hochschulbildung einher, das unmittelbar anschlussfähig ist an die Idee ‚Bildung durch
Wissenschaft’“. Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) (2015). Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und
Arbeitsmarkt Zweiter Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des
demographischen Wandels. URL http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4925-15.pdf, S. 96).
204
Vgl. hierzu auch Kapitel A. II. 2. Hochschulreform der 2000er Jahre. Weil im Falle der Lehramtsausbildung
das Berufsfeld eindeutig bestimmt ist, und die notwendigen Kompetenzen klar zu definieren sind, haben sich mit
Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften entsprechende Berufswissenschaften entwickelt (vgl. die
Hinweise in diesem Kapitel zu Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften). Zudem lässt sich der TheoriePraxisbezug näher ausführen; grundlegende handlungsbezogene Kompetenten können aufgebaut werden (vgl.
das folgende Kapitel zu Theorie-Praxisbezug).
87
Sich als Fachwissenschaftler für die Förderung der beschriebenen Form der Wissens- und
Kompetenzentwicklung zuständig zu fühlen,205 kann durch eine auf diese Ziele abgestimmte
Lehre realisiert werden. Ein wichtiger Beitrag zum Aufbau „tiefen und flexiblen Wissens” ist
z.B. bereits geleistet, wenn (1) die Auswahl der Inhalte und der Fragestellungen der
Lehrveranstaltungen
den
Studierenden
gegenüber
aus
ihrer
Bedeutung
für
das
Fachverständnis begründet wird. Die begründete Themenwahl ist später nämlich eine der
wichtigsten Aufgabe von Lehrkräften (vgl. oben die Hinweise zum Warum, Was und Wie als
Element der Förderung von Unterrichtskompetenz). Dazu kommt als weiterer Schritt (2), in
den universitären Lehrveranstaltungen explizit den „Kern“ der jeweils behandelten Themen
herauszuarbeiten. Gemeint sind damit die zentralen „Kategorien und Konzepte”, die jeweils
die Domäne systematisieren; sie werden exemplarisch an Fallbeispielen konkretisiert. Wer die
Konzepte kennt, die eine Domäne kategorial fassbar machen, verfügt nicht nur über
maßgebliche Fach- und Sachkompetenzen. Er hat sich auch eine Grundlage dafür geschaffen,
inner- und transdisziplinäre Verbindungen herzustellen. Solche Möglichkeiten der
Vernetzung exemplarisch in den Lehrveranstaltungen zu verdeutlichen, wäre ein drittes
Beispiel (3), das dazu dient, das Verfügen-Können über ein tiefes und flexibles Verständnis
des Faches zu fördern. Den Schülerinnen und Schülern gegenüber jeweils konkrete
Anwendungsbezüge, die dazu dienen, die Gegenwarts- und Zukunftsrelevanz des Gelernten
darstellen zu können, bezeichnet Shulman als Ausdruck von Lehrerkompetenz.
Auch wenn die Beispiele zeigen, dass keine grundsätzliche Veränderung von Lehre
notwendig ist: Für Dozentinnen und Dozenten, die diese explizite Reflexion bislang nicht als
Element ihrer Lehre verstehen, bedeuten diese Veränderungen dennoch einen fundamentalen
mentalen Wandel. Studienreformen können ihn nur unterstützen, nicht aber im Einzelfall
durchsetzen. Hilfreich, ja notwendig ist, dass Reformen klare Prinzipien verfolgen und
Strukturen schaffen, die derartige Veränderungen erleichtern.
In diesem Sinne macht die Bologna-Reform Kompetenzorientierung zum Prinzip. Die
Auswirkungen der Umstellung hin zum outcome auf ein die Fachausbildung traditionell
dominierendes input-bezogenes Organisationsprinzip wird nachfolgend skizziert. Es geht um
die Polyvalenz des Angebots zwischen fachwissenschaftlichen Studiengängen und
Lehramtsstudiengängen.
205
Weniger charmant spricht die
OECD-Lehrerstudie von der Notwendigkeit, die „Resistenz der
Fachwissenschaften (Unterrichtsfächer), sich den Problemen der Lehrerbildung zu stellen” aufzugeben. (Vgl.
Döbrich, P., Klemm, K., Knauss, G. & Lange, H. (2004), S.23f).
88
3.2 Polyvalente Nutzung fachwissenschaftlicher Module. Strukturelle
Überlegungen
Die gemeinsame Ausbildung von Lehramts- und Fachstudierenden in den Fachwissenschaften
hat lange Tradition, dennoch bleibt sie nicht ohne Kritik. Dabei hat, was kritisiert wird, nicht
immer Substanz.206 Im Folgenden wird deshalb nicht auf die einzelnen Kritikpunkte
eingegangen. Vielmehr soll die Auseinandersetzung mit Polyvalenz strukturell erfolgen,
indem gefragt wird, inwiefern es möglich ist, bei polyvalentem input dennoch einen
lehramtsspezifischen outcome zu ermöglichen und worin Grenzen bestehen, die bei einer
Reform der Lehrerbildung beachtet werden müssten. In diesem Zusammenhang wird aber
auch diskutiert, inwiefern die bislang fast ausschließlich in Mathematik vollzogene Teilung
des Studienangebots (in Schul-Mathematik und Fach-Mathematik), auch für andere Fächer zu
überlegen wäre.
3.2.1 Ausgangslagen: Zur Struktur von Fach- und Lehramtsstudiengängen
Vergleicht man das Fach- mit dem Lehramtsstudium, so absolvieren Fachstudierende eine
größere Zahl an Fachmodulen. Dies wird nicht nur genutzt, um das Fach in seiner Breite zu
verdeutlichen, sondern vor allem zur Vertiefung, Spezialisierung und individuellen
Profilierung. Das Mehr an Modulen unterschiedlicher Themen und Tiefe unterstützt den
Aufbau und die Sicherung der fachlichen Kompetenzen. Für interdisziplinäre Vernetzung,
allgemeine Berufsbefähigung oder die Vorbereitung auf konkrete Anwendungssituationen ist
im Fachstudium aber oft kaum Raum vorgesehen.
Die Limitierung der Studienzeit, die sich für die Lehramtsstudierenden aus dem Studium
mehrerer Fächer ergibt, betont Grundlegungen und Einführungen und reduziert die
Möglichkeiten der forschungsnahen Vertiefung und der an individuellen Interessen
orientierten Profilbildung. Aus dieser Studienstruktur ergibt sich die Notwendigkeit, den
206
Von Lehramtsseite hört man z.B. im Lehrangebot der Fachwissenschaften würde zu wenig berücksichtigt,
was Lehramtsstudierende später im Unterricht zu „behandeln” hätten. Dozentinnen und Dozenten der
Fachwissenschaft seien weder in der Lage, noch bereit in ihren Lehrveranstaltungen auf Lehramtsstudierende als
Adressaten zu reagieren. Das Maß ihrer Veranstaltungen seien immer die Fachstudierenden. Dies gelte selbst
dann, wenn eine Veranstaltung fast ausschließlich von Lehrstudierenden besucht würde. Umgekehrt ist von
Fachdozenten manchmal zu hören, Lehramtsstudierende würden das Niveau von Lehrveranstaltungen senken;
sie seien weniger motiviert, weniger fachkompetent, weniger einsatzbereit, manchmal wird sogar behauptet,
weniger intelligent als Fachstudierende.
89
Aufbau eines tiefen und flexiblen Fachverständnisses explizit durch darauf ausgerichtete
Lehre zu unterstützen (s.o.).
Zugleich schafft das Studium in mehreren Fächern Möglichkeiten für die Entwicklung von
inter-
und
transdisziplinärer
Kompetenz.
Ein
weiteres
Spezifikum
betrifft
den
Berufsfeldbezug. Weil Schule als Berufsfeld der Lehramtsstudierenden klar umrissen ist,
haben
sich
Berufswissenschaften
(Fachdidaktiken
und
Erziehungswissenschaften)
herausgebildet, die die schulischen Handlungsfelder akademisch erschließen. Möglichkeiten
eines vielfältigen, auf das Berufsfeld Schule bezogenen Theorie- und Praxisbezugs bestehen;
in Praktika werden die erworbenen Kompetenzen konkret und situativ angewandt.
Unter Bezug auf die geschilderten Strukturen des Fach- und Lehramtsstudiums werden im
Folgenden Überlegungen für polyvalente Angebote dargestellt und Grenzen sowie die damit
verbundenen Herausforderungen markiert.
3.2.2 Vom Verhältnis von Schulfach und wissenschaftlichen Disziplinen
Die Trennung von Schulfach und Wissenschaftsdisziplin zählt in der Mathematik zum
unhinterfragten common sense.207 Studierende nicht-gymnasialer Schularten brauchen keine
Fachmathematik (und – so die häufig damit verbundene Annahme – wären wohl auch gar
nicht fähig, sie zu erlernen). In der Forschung weitgehend ungeklärt ist, inwiefern ein
Zusammenhang zwischen Kompetenzen in Bezug auf die Schulmathematik und die
Fachmathematik besteht.208 In der Praxis hat die Trennung auf jeden Fall nicht vermeiden
können, dass das gesellschaftliche Interesse an der Ausprägung mathematischer Kompetenzen
sehr unterschiedlich ausfällt. Aus wirtschaftlichen Gründen wird vor dem geringen Interesse
und der niedrigen Ausprägung von MINT-Kompetenz gewarnt; Maßnahmen zur
Gegensteuerung werden ergriffen. Lebensweltlich wird der Mangel an MINT-Kompetenz
aber eher augenzwinkernd kommentiert:209 Zuzugeben, dass man selbst über keine
207
Vgl. exemplarisch die auf das Schulfach bezogene Definition von Fachkompetenz für Lehrkräfte in den
COACTIV-Lehrer-Studien, Kapitel B III. 3.2 COACTIV: Professionswissen von Lehrkräften, kognitiv
aktivierender Mathematikunterricht und die Entwicklung mathematischer Kompetenz bei Schülern.
Eine ausschließliche Beschränkung auf Schulmathematik erfolgt für die nicht-gymnasialen Schularten; für
Gymnasialstudierende sind dagegen auch polyvalente Angebote mit Fachstudierenden üblich.
208
Steht Schulmathematik bereits für mathematisches Denken? Wenn ja, wie ist das Verhältnis zueinander?
Worin bestehen kategorial gesehen die Unterschiede, was bedeutet das für das Verständnis mathematischer
Kompetenz?
209
Vgl. z.B. Freistetter, F. (2010). Blogpost. Keine Ahnung von Mathe zu haben ist nicht cool! URL
http://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2010/02/03/wer-keine-ahnung-von-mathematik-hat-ist-dumm.
90
entsprechende Kompetenzen verfügt, wird nicht als peinlich empfunden, wie dies etwa bei
Lesekompetenz, Fremdsprachenkompetenz oder auch bei kulturellen Kompetenzen der Fall
wäre. Ob diese Einstellung im Zusammenhang mit dem Fachverständnis der Lehrkräfte steht,
inwiefern die Konzentration des Lehramtsstudiums auf die traditionelle Schulmathematik
hierfür ggfs. Mitverantwortung trägt, ist, wie bereits angesprochen, nicht näher untersucht.
Im Gegensatz dazu gehen insbesondere geistes- und kulturwissenschaftliche Domänen, wie
z.B. die Geschichte, von der theoretisch fundierten Annahme aus, dass fachliches Denken auf
allen Niveaus Kompetenzen in denselben Kompetenzbereichen verlangt und die Unterschiede
in der Ausprägung der Niveaus liegen. Für die Geschichte bestätigen erste empirische
Nachweise diese theoretischen Annahmen.210
Die Fachtheorie (epistemologische Prinzipien) spielt in den Domänen, die ein GesamtStrukturmodell vorschlagen, eine besonders wichtige Rolle, ebenso Annahmen des
(gemäßigten) Konstruktivismus. Eine Konsequenz daraus ist, dass die Auswirkung von
Gegenwarts-
und
Zukunftsproblemen
auf
die
Entwicklung
wissenschaftlicher
Fragestellungen, auf die methodologische und methodische Weiterentwicklung der Domäne
oder auf die Deutungs- und Sinnbildungskonzepte der Ergebnisse als konstitutiv anerkannt
wird. Daraus folgt zweierlei: (1) In diesen Fächern können Vorgaben aus Bildungsstandards
oder Lehrplänen keine steuernde oder gar bindende Wirkungen für die universitäre
Ausbildung haben. (2) Schulgeschichte (als Beispiel herausgegriffen), die sich von den
Prinzipien und Ergebnissen historischer Forschung entfernt, kann es nicht geben.
Paradigmenwechsel der Domäne müssen auch im Schulfach vollzogen werden, nicht zuletzt
deshalb, weil die Schüler durch Geschichtsunterricht zu historischer Orientierung befähigt
werden sollen, die es ihnen ggfs. erlaubt, sich kritisch und ablehnend gegenüber (scheinbar)
historisch legitimierten Gegenwartentscheidungen zu verhalten.
Die grundsätzlich gemeinsame Ausbildung von Fach- und Lehramtsstudierenden ergibt sich
in diesen Fächern somit sachlogisch. Dass daraus keine unspezifische Polyvalenz für alle
Module folgen kann, sondern sehr genau überlegt werden muss, welche Module verpflichtend
für alle Studierenden sein können, welche im Wahlpflicht- bzw. Wahlbereich für Fach- bzw.
Lehramtsstudierende verortet werden müssen, wird im Folgenden herausgearbeitet.
210
Zu den Ausprägungen niedrigerer Niveaus vgl. Zabold, S.: Vor dem ersten Geschichtsunterricht: zur
empirischen Erschließung des historischen Denkens junger Lerner. Dissertationsmanuskript, angenommen; zu
den Ausprägungen bei Studierenden vgl. Waldis, M./ Marti, P./ Nitsche, M.: Angehende Geschichtslehrpersonen
schreiben Geschichte(n) – Zur Kontextabhängigkeit der Erfassung narrativer Kompetenz. Zeitschrift für
Geschichtsdidaktik 2015, S. 63-86.
91
3.2.3 Klassifizierung polyvalenter Angebote als Pflicht-, Wahlpflicht oder
Wahlmodule
3.2.3.1 Pflichtmodule
Zu den Pflichtmodulen für alle Fach- wie Lehramts-Studierenden müssen Einführungen in die
inhaltlichen
und
methodischen
Standards
der
Fächer
und
in
deren
aktuelle
Forschungsausrichtung gehören. Bei der Entscheidung, welche Module dem Pflichtbereich
und welche dem Wahlpflichtbereich zugeordnet sind, sollte sorgfältig abgewogen werden.
Pflichtcharakter haben nur die Module, die für jede Schwerpunktsetzung, sei diese
berufsfeldbezogen oder inhaltlich, unerlässlich ist.
Dabei bietet es sich an, bestimmte Module für die eine, aber nicht für die andere
Studierendengruppe verpflichtend zu setzen. Dies soll an zwei Beispielen verdeutlicht
werden:
1. Aus der Einsicht in den Konstruktcharakter und die Zeitgebundenheit der
Fachforschung ergibt sich eine grundsätzliche Verantwortung der Wissenschaft, eine
Korrektivfunktion gegenüber dem öffentlichen Umgang mit ökonomischen,
politischen, theologischen, historischen, technischen oder naturwissenschaftlichen
Themen zu übernehmen. Gerade für Wissensgesellschaften ist diese Korrektivfunktion
von fundamentaler Bedeutung. Daraus folgt der Anspruch an die Fachwissenschaften,
sich mit außerschulischen aber auch schulischen Bildungsangeboten kritisch
auseinanderzusetzen.
Die Forderung, die sich daraus für die Studiengangkonstruktion und damit für die
Frage der polyvalenten Angebote ergibt, wäre, Module (oder Lehrveranstaltungen als
Teil von Modulen) zu konzipieren, die Studierende auf diese Aufgabe vorbereiten. Sie
wären Teil der allgemeinen Berufsbefähigung für Nicht-Lehramtsstudierende. Die
Veranstaltungen sollten deren Praxismodule vorbereiten oder begleiten211 und für sie
verpflichtend sein. Lehramtsstudierende sollten für diese Module zugelassen sein;
allerdings sollten die Angebote für sie nur den Charakter von Wahlmodulen haben und
zur Profilbildung in Bezug auf die außerschulische Bildung gewählt werden können.
211
Die in Bezug auf Lehramtsstudierende vorliegende Praktikumsforschung zeigt nämlich, dass akademische
Vorbereitung und Reflexion maßgeblich für den Erfolg von Praktika sind (vgl. Kapitel A IV 5.1.3
Herausforderungen für die aktuelle Reform der Lehrerbildung in Bezug auf den Theorie-Praxiszusammenhang).
92
2. Umgekehrt gibt es auch Modulangebote, die zum Pflichtkanon ausschließlich für
Lehramtsstudierende gehören müssen. Es handelt sich etwa um schulbezogene
Praxismodule, um Module, die sich als Konsequenz daraus ergeben, dass in den
Schulfächern Kenntnisse zu Inhalten und Methoden entwickelt werden müssen, die im
Fachprofil aus unterschiedlichen Gründen keine Rolle spielen oder nur noch am
Rande thematisiert werden212 oder um Module, die sich aus der Schulartspezifik213
oder der Schulfachspezifik214 ergeben. Es muss fallweise entschieden werden, ob auch
Fachstudierende die Module wählen können sollen; dies ist nicht immer sinnvoll.
3.2.3.2 Wahlpflichtbereich
Forschungsnahe Vertiefungen müssen im Wahlpflichtbereich verortet werden; dies ergibt sich
aus den unterschiedlichen Studienumfängen von Lehramts- und Fachstudiengängen und aus
der Möglichkeit der Schwerpunktsetzung für Fachstudierende. Dabei gilt: Auch wenn
Lehramtsstudierende aus allen Vertiefungsangeboten Erträge für die spätere Lehrertätigkeit
ziehen können, wie nachfolgend am Beispiele der Kombimodule verdeutlicht werden wird,215
ist unstrittig, dass es Themen gibt, mit deren Hilfe tiefes und flexibles Wissen und darauf
aufbauend Sachkompetenzen einfacher entwickelt werden können, und andere, bei denen
dafür mehr Engagement und umfänglichere (Meta-)Reflexionen notwendig sind. Eine
entsprechende Einschätzung der Semesterangebote durch die Dozenten wäre für Studierende
hilfreich. Das Label „nur für Lehramt” wäre bei diesem Modultyp dagegen unsinnig, nicht
nur deshalb, weil Lehramtsstudierende für sich auch anspruchsvollere Wege wählen können
sollen, sondern auch weil der Hinweis auf niedrigere Hürden auch für Fachstudierende
wertvoll sein kann, z.B. wenn sie am Anfang ihres vertiefenden Studiums stehen oder wenn
sie ihren Schwerpunkte eigentlich in anderen Bereichen haben.
In den Wahlpflichtbereich gehören auch Module, die für alternative Schwerpunkte stehen.
Die Angebote für den Wahlpflichtbereich können polyvalent erfolgen; die geforderten ECTSPunkte müssen allerdings Rücksicht auf die unterschiedlichen Studienumfänge nehmen.
212
Ländergeographie oder Grundlagen zu Literaturgattungen wären inhaltliche Beispiele.
Z.B. Landes- und Regionalgeschichte für angehende Grundschullehrpersonen.
214
Dies gilt u.a. für Fächer wie Sozialkunde oder Arbeitslehre, die mehrere Disziplinen als Bezugsdisziplinen
haben.
215
Vgl. Kapitel A IV, 6.3.2 Handlungsfelder Unterrichten/ Beraten - Förderung der Querschnittskompetenzen
mit Hilfe von Kombimodulen.
213
93
3.2.3.3 Wahlbereich
Im fachbezogenen Wahlbereich geht es darum, (zukunftsfähige) Forschungsansätze an
Themen und mit Zugriffen zu vertiefen, die individuelle Interessen und Fähigkeiten
berücksichtigen und deshalb der Profilbildung dienen, aber für eine tragfähige Grundlegung
fachlicher Kompetenzen nicht unbedingt notwendig sind.
Nicht alle Module einer Domäne gehören in den Wahlbereich für Lehramtsstudierende vice
versa für Fachstudierende. Volle Wahlfreiheit für alle Studierenden ist immer auch ein
Indikator für mangelnde Planung der Studiengangsverantwortlichen; kein Raum für
Wahlmodule spricht für eine zu enge Bevormundung der Studierenden. Polyvalenz hat also
auch in Bezug auf den Wahlbereich ihre Grenzen.
3.2.4 Modul-Niveaus und Ordnungen
Eine strukturelle Herausforderung, die im Rahmen polyvalenter Angebote entstehen kann, ist
bislang ausgeklammert worden: Die Zuordnung von Modulen zum Bachelor- bzw.
Masterniveau. Es kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass die Module, die in den
Fachstudiengängen, insbesondere in Ein-Fach-Studiengängen als Bachelormodule definiert
sind, auch im Studium der einzelnen Lehrämter oder in interdisziplinären Fachstudiengängen
in der Bachelorphase absolviert werden können. Dafür müssen Lösungen in Studien- und
Prüfungsordnungen gefunden werden.
Zwei Typen von Ordnungen können unterschieden werden. Am häufigsten entscheiden
Universitäten sich für (1) getrennte Bachelor- und Master-Rahmenordnungen für Lehramtsund Fachstudiengänge. Denkbar ist aber auch (2) eine Gesamt-Rahmenordnung für alle
Bachelor- und Masterstudiengänge einer Universität vorzulegen, in der Lehramts- bzw.
Fachstudiengänge nur als eigene Profile ausgewiesen werden.
In Bayern kommt als dritter Ordnungstyp notwendig die Lehramtsordnung hinzu, die die
grundständigen Lehramtsstudiengänge mit dem Abschluss Staatsexamen regelt. Weil hier die
Zuordnung der Module zu einem Niveau der gestuften Studiengänge keine Rolle spielt
(bestimmend sind lediglich die Vorgaben in der LPO und den Kerncurricula) wird auf diese
Varianten im Folgenden nicht näher eingegangen.
In der ersten Ordnungsvariante (getrennte Bachelor- und Master-Rahmenordnungen für
Lehramts- und Fachstudiengänge) ist in Bezug auf die Zuweisung von Modulen zum
94
Bachelor- und Masterniveau lediglich zu beachten, dass die jeweils im Lehramt bzw. im
Fachstudium wählbaren Fachmodule in der Summe einen fachbezogenen Kompetenzaufbau
auf Bachelor- und Masterniveau markieren und eine Doppelanrechnung ein und desselben
Moduls im Bachelor- wie im Masterstudiengang ausgeschlossen ist.
Im zweiten Fall gestalten sich die Ausweisung eines studiengangadäquaten Bachelor- und
Masterniveaus und die Berücksichtigung des Niveaus einzelner Module ungleich schwieriger.
Die
unterschiedliche
Studienausrichtung
(Qualifikationsprofil)
im
Lehramts-
und
Fachstudienprofil macht studiengangspezifische Vorgaben für die Wählbarkeit von Modulen
notwendig. Es müssen Wege gefunden werden, diese ordnungskonform zu definieren.
Insbesondere können Probleme entstehen, wenn Module für alle Profile als Pflichtmodule
ausgewiesen werden, statt dass sie den Pflichtstatus nur für das fachwissenschaftliche bzw.
das Lehramtsprofil bekommen. Dies hat zur Folge, dass die Studierenden Module unabhängig
von ihren Qualifikationsprofil, aufgrund einer Verwaltungsvorschrift wählen müssen und
zugleich den für eine individuelle Kompetenzentwicklung bedeutsamen Freiraum verlieren.
Für beide Strukturentscheidungen gibt es Argumente. Keine von beiden kann aber realisiert
werden, ohne dass dafür je spezifische Kompetenzen in der Prüfungsverwaltung und in der
Studiengangkoordination aufgebaut werden. Insbesondere muss eine regelmäßige fachliche
Abstimmung zwischen den Dozenten stattfinden. Weil die Regelungen nur zum Teil
innerfachlich sind, weil sie zum Teil generell die Abstimmung zwischen Lehramtsstudium
und Fachstudium betreffen, müssen sie auch überfachlich erfolgen. Der Ort der
überfachlichen Koordination der Lehramtsstudiengänge bzw. des Lehramtsprofils sind die
Lehrerbildungszentren. Dies ist im Hochschulrahmengesetz angelegt und wird von den
Akkreditierungsagenturen in der Regel auch explizit eingefordert.
Der Abstimmungsbedarf ist bei der Profillösung ungleich höher; der Verwaltungsaufwand
dagegen sollte hier in Summe etwas geringer sein. Die vorsichtige Formulierung ergibt sich
daraus, dass diese Variante bislang kaum realisiert wird.216
216
Zwei Beispiele werden aufgeführt:
Die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt ist dabei, mit dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung das
Studienmodell Lehramtplus, in eine gemeinsame Ordnung mit Fachstudiengängen zu bringen.
2. Gezwungen durch Vorgaben der KMK musste die Hochschule Bochum für einige Jahre eine Profillösung
einführen: Ursprünglich war geplant, die Differenzierung in Lehramtsstudiengänge und Fachstudiengänge
ausschließlich in der Masterphase zu verorten. Die Vorgabe der KMK, dass auch in der Bachelorphase
bereits lehramtsbezogene Module und Praxisphasen an Schulen angeboten werden müssen, zwang in
Veränderung des Ausgangskonzepts zur Einführung von Profilen. Dies führte zu Brüchen und
Doppelungen, die ihrerseits Auflagen der Akkreditierungsagentur für die Fächer nach sich zogen. Bei der
Re-Akkreditierung wurde eine Trennung der beiden Studienausrichtungen vollzogen.
1.
95
Die deutschlandweit am häufigsten verwirklichte Variante ist die Trennung zwischen
Lehramts- und Fachstudiengängen. Zahlreiche Universitäten (wie z.B. die Universität
Hamburg217) ermöglichen für das lehramtsbezogene Bachelorstudium den Abschluss-Grad
eines Bachelor of Arts oder eines Bachelor of Science. Die Schularten, für die das Studium
qualifizieren soll (im Falle Hamburgs: Primarstufe/ Sekundarstufe I – Gymnasium –
berufliche Schulen – Sonderschulen) müssen dennoch bereits im Bachelorstudium festgelegt
werden.218 Der Abschlussgrad of Arts/ of Science des lehramtsgeeigneten Bachelor-Studiums
erlaubt es den Studierenden zu entscheiden, ob sie anschließend ein Studium in einem FachMasterstudiengang oder in einem Lehramtsstudiengang aufnehmen wollen oder in das
Berufsleben einsteigen wollen. In ein Referat als zweite Phase der Lehrerbildung können
Studierende erst eintreten, wenn sie ein Masterstudium angeschlossen haben, das mit dem
Grad eines Master of Education endet.
3.3 Resümee. Herausforderung an die Fachwissenschaften
Die Herausforderung für die fachwissenschaftliche Ausbildung von Lehramtsstudierenden ist,
dass diese für guten Unterricht über ein tiefes und flexibles Fachverständnis verfügen können
müssen, dass für die Ausprägung des dafür notwendigen Wissens und der notwendigen
Kompetenzen aber nur wenig Studienzeit zur Verfügung steht. Den entsprechenden
Kompetenzaufbau
dennoch
zu
ermöglichen,
stellt
die
Fachwissenschaften
vor
Herausforderungen, die einmal (1) die Studiengangplanung betreffen, zum anderen (2) die
Lehre.
3.3.1 Studiengangsplanung
Die Hinweise der OECD-Lehrerstudie, dass die uneingeschränkte Wahlmöglichkeit von
Lehramtsstudierenden
aus
dem
Angebot
der
217
Fachwissenschaft
ein
Indikator
für
Zusammen mit der Universität Erlangen-Nürnberg ist Hamburg die einzige Universität, an der die
Fachdidaktiken an einer Erziehungswissenschaftlichen Fakultät verortet sind. Im Lehramt für Primar- und
Sekundarschulen I müssen in der Bachelorphase 80 ECTS-Punkte aus beiden Bereichen gewählt werden, im
Gymnasialstudium sind dagegen nur 40 ECTS-Punkte vorgeschrieben. Dazu werden zwei Unterrichtsfächer
studiert, wobei die Wahlmöglichkeiten eingeschränkt sind. Im Studiengang Primar-/Sekundar I sind mindestens
45 ECTS-Punkte zu absolvieren, im Gymnasialstudiengang wird ein Hauptfach mit 70 und ein Nebenfach mit 60
ECTS-Punkten gewählt.
218
Ein Lehramtstrack bereits im Bachelorstudium ist Konsequenz der deutschlandweit geltenden KMKVorgaben (vgl. Kapitel A, I, 1. Schulreformen der 2000er Jahre).
96
Konzeptlosigkeit und schlecht durchdachte Studienmodelle für die Lehramtsausbildung
sind,219 wird durch die eben skizzierten Überlegungen zu Polyvalenz bestätigt: Die Setzung
einer vollständigen Polyvalenz zwischen Fach- und Lehramtsstudiengängen birgt Probleme.
Es liegt an der begrenzten Studienzeit, der Komplexität des Berufsfelds Schule und daraus
folgend der Notwendigkeit, tiefes und flexibler fachliches Wissen in geringer Studienzeit
aufzubauen, dass durch übergroße Wahlfreiheit ein gezielten Kompetenzaufbau für
Lehramtsstudierende gefährdet wird. Die Lehramtsstudierenden, die als Novizen in den
Fächern die Struktur der gewählten Disziplinen noch nicht ausreichend kennen und in der
ersten Phase der Ausbildung das Handlungsfeld Schule noch nicht überblicken, brauchen
Unterstützung bei den strukturbezogenen Auswahlentscheidungen. Eine geeignete Form der
Unterstützung ist die „Vorsortierung der Module” nach Pflicht-, Wahlpflicht und
Wahlmodulen.
Vollständige Polyvalenz und Wahlfreiheit stört aber auch den Kompetenzaufbau bei
Fachstudierenden. Aus der Tatsache, dass ihre späteren Berufsfelder im Studium in der Regel
noch unklar sind, ergibt sich z.B. die Konsequenz, eine allgemeine Berufsfähigkeit sicher
stellen zu müssen.220 Dies verlangt spezielle Praxismodelle. Aus der Offenheit der späteren
Berufsfelder folgt nicht, dass nicht bereits Bachelorstudierende beginnen müssten, durch
Schwerpunktbildung ihr Profil zu entwickeln. Welche Module unerlässlich Voraussetzung vor
jeder
Schwerpunktbildung
sind
(Pflichtmodule),
welche
für
bestimmte
Richtungsentscheidungen/ Schwerpunktsetzungen maßgeblich sind (Wahlpflichtmodule) und
welche der individuellen Profilbildung dienen (Wahlmodule) muss auch für sie vorgegeben
sein, weil auch Fachstudierende Novizen ihrer Fächer sind und disziplinäre Strukturen noch
nicht so sicher überblicken, dass sie fachstrukturell bedingte Auswahlentscheidungen ohne
Unterstützung treffen könnten.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass Polyvalenzen zwischen Fach- und
Lehramtsstudium dann sinnvoll sind, wenn sie sich aus Sachgründen ergeben: Sie verlieren
ihre Sinnhaftigkeit aber, wenn nur formal argumentiert wird. Damit würden die bereits am
Lehramtsstudium aus den Zeiten vor der Bologna-Reform identifizierten Probleme neu
belebt. Übergroße Wahlfreiheit stört die Kompetenzentwicklung und erschwert die Förderung
des Kompetenzaufbaus.
219
220
Vgl. Döbrich, P., Klemm, K., Knauss, G. & Lange, H. (2004), S. 23f.
Vgl. hierzu auch die Hinweise im Kapitel A.I.2. Hochschulreform der 2000er Jahre.
97
3.3.2 Lehre
Die Förderung eines gezielten Kompetenzaufbaus erfolgt maßgeblich in der Lehre.
Fachwissenschaften stehen vor der Herausforderung, in der geringen Studienzeit
Lehramtsstudierende bei der Entwicklung eines tiefen und flexiblen Fachverständnisses zu
fördern.
Dass
dies
keine
grundlegenden
Veränderungen,
wohl
aber
bewusste
Berücksichtigung dieser Zielsetzung verlangt, wurde dargestellt. Weil davon auch
Fachstudierende profitieren und es bereits genügend positiver Beispiele für die Machbarkeit
gibt, sollten die Hürden für eine Optimierung hier nicht zu hoch sein.
4. Erziehungswissenschaften
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden Lehrkräfte oft auch als „Pädagogen“ bezeichnet,
teilweise um explizit zu betonen, dass Erziehen neben Unterrichten ein weiteres
entscheidendes Handlungsfeld des Berufsfeldes ist, teilweise, weil das Augenmerk darauf
gelenkt werden soll, dass Kinder und Jugendliche die Adressaten des Unterrichts sind, und
weder fachliche, noch fachdidaktische Kompetenz allein ausreichen, um Schüler in ihrem
Bildungsprozess zu fördern.
Auf das Handlungsfeld Erziehen, aber auch auf die Felder Beraten/ Beurteilen, Innovieren
und in einem allgemeinen Sinne auf das Feld Unterrichten werden angehende Lehrkräfte in
der
dritten,
überfachlich
ausgerichteten
Säule
der
Lehrerausbildung
vorbereitet:
Länderabhängig ist dabei von Bildungs- oder Erziehungswissenschaften die Rede. Im
Folgenden wird von Erziehungswissenschaften gesprochen, wobei der Hintergrund dieser
Entscheidung ein Bildungsverständnis ist, das überfachlich und fachlich zugleich ist. Diesem
Verständnis folgend tragen die fachbezogenen Disziplinen ebenso zu Bildung bei, wie die
überfachlich ausgerichteten; die Verwendung des Begriffes „Bildungswissenschaften” für die
dritte Säule wäre insofern irreführend.
98
4.1 Ein Strukturproblem der Erziehungswissenschaften: ihre disziplinäre
Heterogenität
Erziehungswissenschaften
sind
wie
die
Fachdidaktiken
Berufswissenschaften
für
Lehramtsstudierende. Sie umfassen schulbezogene Aspekte der Pädagogik und Psychologie,
aber auch schulrelevante Aspekte ausgewählter Gesellschafts- und Kulturwissenschaften, wie
beispielsweise Soziologie, Politikwissenschaft, Ethnologie, Philosophie oder Theologie.221
Die Auflistung verweist auf ein Sonderproblem der Erziehungswissenschaften, die strukturell
bedingte Heterogenität: Unter ihrem Dach sammeln sich schulbezogene Anteile verschiedener
Fachdisziplinen. Nur einige der erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen werden von
eigenen Lehrstühlen/ Professuren vertreten.222 Häufig versorgen Fachprofessuren die
Lehramtsausbildung mit. Einige mit den Erziehungswissenschaften zusammenhängende
Bereiche definieren sich als eigene Disziplinen. Grundschulpädagogik, Sonderpädagogik und
Medienpädagogik sind Beispiele. Mancherorts werden inzwischen Lehrstühle und
Professuren für Inklusion oder interkulturelle Kommunikation ausgewiesen oder auch
Forschungsinstitute bzw. Forschungsschwerpunkte für Heterogenität oder Werteerziehung
gebildet. Auch für die empirische Bildungsforschung gibt es zunehmend eigene Institute und
Forschungseinheiten.
In
Folge
dieser
großen
Heterogenität
besteht,
bezogen
auf
die
Säule
der
Erziehungswissenschaften, die ganz spezifische Herausforderung der hochschulinternen
Kommunikation
und
Kooperation
und
der
Entwicklung
eines
gemeinsamen
Fachverständnisses. Die KMK hat, im Bewusstsein der beschriebenen Heterogenität versucht
einen Grundstein dafür zu legen.
4.2 Bildungswissenschaftliche Standards der KMK
Programmatisch fasst die KMK ihre Vorgaben in Bezug auf die Erziehungswissenschaften in
den „bildungswissenschaftlichen [!] Standards” aus den Jahren 2004/ 2014. Der Beitrag der
Erziehungswissenschaften zur Kompetenzentwicklung in den Handlungsfeldern Unterrichten,
Erziehen,
Beraten/
Beurteilen
und
Innovieren
221
wird
formuliert.
Dazu
kommen
Es ist länderabhängig, ob und für welche Lehramtsstudiengänge gesellschafts- und kulturwissenschaftliche
Studien verbindlich vorgeschrieben sind.
222
Regelmäßig ist das bei den Lehrstühlen für Schulpädagogik der Fall, in seltenen Fällen (z.B. an der
Universität Essen-Duisburg) für die erziehungswissenschaftliche Psychologie.
99
Strukturvorgaben für Bachelor- und Masterabschlüsse, die z.B. festlegen, dass die
Berufswissenschaften „Erziehungswissenschaften” und „Fachdidaktiken” ebenso wie die
Praxismodule bereits in der Bachelorphase lehramtsgeeigneter Studiengänge verortet sein
müssen.223 Im Rahmen der Vorgaben der KMK wahren Länder und Universitäten auch in
Bezug auf die Erziehungswissenschaften ihre Spielräume:
I. In Bayern z.B. werden unter Erziehungswissenschaft für alle Schularten
schulbezogene Schwerpunkte aus der Pädagogik und Psychologie verstanden und
nur für Grund- und Mittelschule auch solche aus den Kultur- und
Gesellschaftswissenschaften. Als Abschluss ihres erziehungswissenschaftlichen
Studiums müssen die Studierenden wahlweise in Psychologie oder in Pädagogik
eine
zentrale
Staatsexamensklausur
schreiben.
Die
möglichen
Themenschwerpunkte werden über die LPO und Kerncurricula ausdifferenziert;
sie korrelieren mit den Bildungsstandards der KMK, ohne sie wirklich
widerzuspiegeln.
Der Studienumfang für die Erziehungswissenschaften beträgt bezogen auf Pädagogik und
Psychologie in allen Schularten mindestens 35 ECTS-Punkte, dazu kommen mindestens 6
ECTS-Punkte für Praktika sowie für Grund- und Mittelschulen mindestens 8 ECTS-Punkte
aus dem Bereich Gesellschaftswissenschaften und Theologie bzw. Philosophie. Der geringere
Studienumfang der Bayerischen Lehrerbildung in Vergleich zum gestuften Bachelor- und
Masterstudium der anderen Länder wirkt sich in den Erziehungswissenschaften besonders
markant aus. Während andere Bundesländer z.B. Module aus dem Feld Medienerziehung,
Module zu „Diagnostizieren und Fördern“, Module zur interkulturellen Erziehung und zum
Umgang mit Heterogenität/ Inklusion oder Module zur erziehungswissenschaftlichen
Forschung, einschließlich Grundkenntnisse zur Empirie verbindlich vorschreiben und mit
ECTS-Punkten ausstatten, wird die bayerische LPO von Überarbeitung zu Überarbeitung
zwar durch Hinweise auf diese Felder erweitert, weder wird aber die Studiendauer der
Lehramtsstudiengänge verlängert, noch werden Verschiebungen innerhalb der Säulen
vorgenommen. Ob die gemeinsamen Vereinbarung von HRK und KMK zu „Lehrerbildung
für eine Schule der Vielfalt” vom März 2015224 Wirksamkeit haben werden, wird sich zeigen.
223
Beschluss der KMK vom 1.3.2003: Möglichkeiten der Einführung von Bachelor-/Masterstrukturen in der
Lehrerausbildung sowie Strukturierung/Modularisierung der Studienangebote und Fragen der Durchlässigkeit
zwischen den Studiengängen. Vgl. Ländergemeinsame Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelorund Masterstudiengängen (2003).
224
Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.03.2015/ Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz vom
18.03.2015: Vgl. Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt (2015).
100
Bislang können die bayerischen Universitäten nur im Rahmen der Profilmodule oder im
Rahmen von Modellversuchen eigene Akzente setzen.
Die Spielräume der Länder, die im Sachstand Lehrerbildung (2015) auch in Bezug auf die
Erziehungswissenschaften bzw. Bildungswissenschaften zusammengestellt sind,225 werden im
Folgenden durch den Vergleich mit Niedersachsen verdeutlicht:
1. In der 2015 verabschiedeten Verordnung über Masterabschlüsse für Lehrämter
in Niedersachsen wird festgelegt, dass in der Lehrerbildung ein Studium
„Bildungswissenschaften einschließlich der Praktika” im Umfang von
mindestens 45 ECTS-Punkten (Lehramt an Gymnasien) bzw. mindestens 75
ECTS-Punkten (Lehramt an Grundschulen sowie Lehramt an Haupt- und
Realschulen) absolviert werden muss, wobei „1. pädagogische und didaktische
Basiskompetenzen in den Bereichen a) Heterogenität von Lerngruppen, b)
Inklusion, c) Grundlagen der Förderdiagnostik und d) Deutsch als
Zweitsprache
und
als
Bildungssprache
sowie
2.
interkulturelle
Kompetenzen”226 zu erwerben sind.
Nicht nur die offensichtlichen Unterschiede in der Quantität geben immer wieder Anlass zur
kritischen Diskussion. Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt ist die Qualität der
erziehungswissenschaftlichen Ausbildung. Trotz des Versuchs der KMK auf dem Weg, über
bildungswissenschaftliche Standards Einfluss zu nehmen, verstummt der Vorwurf der
Beliebigkeit und der fehlenden Zusammenarbeit nicht.227 Formen der Institutionalisierung
stellen Versuche dar, auf diese Herausforderungen zu reagieren.
4.3 Institutionelle Lösungen
Dafür, wie die auf die Erziehungswissenschaften bezogenen Koordinations- und
Kommunikationsherausforderungen inneruniversitär gelöst werden können, gibt es keine
225
Vgl.
die
aktuelle
Übersicht
der
KMK
(2015)
zum
Sachstand
Lehrerbildung,
http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Bildung/AllgBildung/2015-09-21-Sachstand_LB-mitAnlagen.pdf, S.35-40.
226
Vgl. Verordnung über Masterabschlüsse für Lehrämter in Niedersachsen (2015). URL
http://www.schure.de/20411/mastervo-lehr.htm, § 1.
227
Zu untersuchen, inwiefern der Vorwurf gerechtfertigt ist, ist ein Ziel der BilWiss-Studie, die später näher
vorgestellt wird. Kapitel B. III. 3.3 Die vorgeschaltete Delphi-Studie zu zentrale Zielen der universitären
Ausbildung in den Erziehungswissenschaften ist zur Auseinandersetzung mit den Vorwurf der Beliebigkeit von
besonderem Interesse. Das Hauptaugenmerk der Studien gilt aber den Kompetenzen, über die Studierende im
Studium verfügen lernen und deren Bedeutung für das Agieren in den Handlungsfeldern der Schule. Es handelt
sich dabei um die in den KMK-Bildungsstandards festgelegten Handlungsfelder Unterrichten, Erziehen,
Beurteilen/ Beraten und Innovieren.
101
Patentrezepte. Das Hamburger Modell228 oder die School of Education der Technischen
Universität München229 setzen auf die auch institutionelle Bündelung von Kompetenzen und
Zuständigkeit. Sie stehen damit für eine selten gesuchte Lösung.
Das „Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Münster (IFE)” ist ein Beispiel für
einen nur lockeren Verbund, bei institutioneller Zuständigkeit in den das Institut
ausmachenden Arbeitsbereichen. Ausschließlich mit Lehrerbildung befasst ist der
Arbeitsbereich Schulpädagogik/ Schul- und Unterrichtsforschung;230 Mitzuständigkeiten
für das erziehungswissenschaftliche Lehramtsstudium haben aber auch die anderen
Arbeitsbereiche.
Die in den letzten Jahren erfolgte Umstrukturierung der Erziehungswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg verzichtete dagegen auf ein gemeinsames Dach
und setzte auf eine Department- und Institutsstruktur231 im Rahmen einer neu eingerichteten
228
Die Struktur der Erziehungswissenschaft folgt weitgehend der disziplinären Gliederung der Deutschen
Gesellschaft für Erziehungswissenschaft., Vertreten sind die fachlichen Spezialisierungen „Allgemeine
Erziehungswissenschaft“ und „International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft“ (beide im
Fachbereich 1), „Schulpädagogik“, „Grundschulpädagogik“, „Psychologie in Erziehung und Unterricht“,
„Sozialpädagogik“ sowie „Behindertenpädagogik“ (Fachbereich 2), „Erwachsenenbildung“, „Berufspädagogik“
und „Wirtschaftspädagogik“ (Fachbereich 3). Die Bereiche „Historische Erziehungswissenschaft“, „Empirische
Bildungsforschung“, „Frauen- und Geschlechterforschung“ sowie „Medienpädagogik“ sind im Fachbereich 1
mit einzelnen Professuren vertreten. Vgl. Universität Hamburg. Informationen über die Fachbereiche der
Erziehungswissenschaft. URL https://www.ew.uni-hamburg.de/ueber-die-fakultaet.html.
229
„Die TUM School of Education ist die dreizehnte Fakultät der TUM, die der Aus- und Weiterbildung von
Lehrkräften an Gymnasien in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik)
sowie der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften an beruflichen Schulen im gewerblich-technischen Bereich
gewidmet ist. Die TUM School of Education war die erste Fakultät für Lehrerbildung und Bildungsforschung in
Deutschland. Das Bekenntnis zur Lehrerbildung wurde mit der Gründung einer eigenständigen Fakultät in die
Tat umgesetzt. “In ihrer Organisation folgt die TUM School of Education international erfolgreichen Beispielen,
wie etwa der Stanford School of Education. Einmalig ist es, dass eine Fakultät universitätsweit Verantwortung
für die Lehrerbildung übernimmt – und übernehmen kann, weil sie den adäquaten Einsatz der personellen
Ressourcen für die Lehrerbildung in den anderen Fakultäten überwacht. Deshalb sprechen wir von einer
„School“, die mehr ist als eine Fakultät. Sie trägt die Verantwortung für eine qualitätsvolle, moderne
Lehrerbildung.” Vgl. TUM School of Education. URL https://www.edu.tum.de/ueber-uns.
230
„Im Mittelpunkt dieses Arbeitsbereich des Instituts für Erziehungswissenschaft stehen die Schule und das
Schulsystem. Dabei geht es sowohl um die "inneren" Strukturen und Prozesse des Schulsystems (Lehrpläne,
Unterricht, Lehrerberuf, Schulorganisation etc.) als auch um seine "äußeren" Beziehungen zu anderen
gesellschaftlichen Bereichen (Familie, Jugendkultur, Berufswelt etc.). Mit unterschiedlichen theoretischen
Konzepten und forschungsmethodischen Ausrichtungen untersuchen die Mitglieder des Arbeitsbereichs
Wandlungsprozesse in Schule, Unterricht und Lehrerberuf, ihre Hintergründe, ihre Verlaufsformen und ihre
Folgen.
In der Lehre sind die Mitglieder des Arbeitsbereichs in die Studiengänge des Instituts für
Erziehungswissenschaft eingegliedert. Dies betrifft erstens die schul- und unterrichtsbezogenen Module der
Lehramtsstudiengänge, zweitens die thematisch einschlägigen Module des Fach-Bachelors und Fach-Masters
Erziehungswissenschaft (Profil: Schulforschung / Schulentwicklung) sowie drittens die Mitarbeit in der
Graduate School of Educational Research.” Vgl. Arbeitsbereiche am Institut für Erziehungswissenschaft. URL
http://www.uni-muenster.de/EW/ife/index.shtml.
231
„Der organisatorische Aufbau und die Aufgaben der Departments sind in der Departmentordnung der
Fakultät geregelt. In den einzelnen Departments sind Lehrstühle und teilweise Institute zusammengeschlossen.
Sie zeichnen sich unter anderem für die zum Teil departmentübergreifenden Studiengänge verantwortlich. Die
Sprecher/innen der Departments sind Mitglieder des Fakultätsvorstandes. Die Philosophische Fakultät und
102
Großfakultät
(Philosophische
Fakultät
und
Fachbereich
Theologie232).
Die
Erziehungswissenschaften sind damit zwar in einer Fakultät zusammengefasst, sind dann aber
unterschiedlichen Departments zugeordnet. Eine weitere Aufspaltung ergibt sich daraus, dass
Teile der erziehungswissenschaftlichen Ausbildung in Nürnberg, andere in Erlangen erfolgen.
Neben den bislang geschilderten Strukturen gibt es auch noch Universitäten, die keine auf die
Erziehungswissenschaften bezogene Institutionalisierung vornehmen. Die Teildisziplinen
gehören dann, wie an der KU Eichstätt-Ingolstadt, sogar unterschiedlichen Fakultäten233 an.
Die die erziehungswissenschaftlichen Studien regelnden Strukturen sagen zwar per se noch
nichts dazu aus, wo Koordinationsaufgaben verortet sind und wer sie übernimmt, inwiefern
die Entwicklung eines gemeinsamen Fachverständnis gefördert wird. Es liegt aber auf der
Hand, dass der Zusammenhalt in Schools of Education oder erziehungswissenschaftlichen
Fakultäten größer ist als wenn die Teildisziplinen unterschiedlichen Instituten oder gar
Fakultäten zugehören. In diesem Falle gibt es auch keine Zuständigkeit für die Förderung
eines gemeinsamen Fachverständnisses. Auf einer die drei Fachsäulen übersteigenden, auf die
Lehrerbildung als ganze bezogenen Ebene wird von den im Zuge der Reform der
Lehrerbildung neu eingerichteten Lehrerbildungszentren u.a. die Koordination zwischen allen
an Lehrerbildung beteiligten Fakultäten und Fächern erwartet. Inwiefern sie in die Bresche
springen können, um mit der Heterogenität der Erziehungswissenschaften und den daraus
erwachsenden Problemen umzugehen, ist die Frage, die hinter der nachfolgenden kurzen
Darstellung der Lehrerbildungszentren steht.
4.4 Lehrerbildungszentren
Fachbereich Theologie gliedert sich in elf Departments.” Vgl. Philosophischen Fakultät und Fachbereich
Theologie. Elf Departments. URL https://www.phil.fau.de/fakultaet/departments.
232
Philosophische Fakultät und Fachbereich Theologie: „Die Philosophische Fakultät und Fachbereich
Theologie beherbergt etwa 50 verschiedene Disziplinen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie den
religionsbezogenen Wissenschaften und bietet somit ein nahezu einzigartiges interdisziplinäres Angebot. Von 24
Interdisziplinären Zentren der FAU sind 14 an der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie
angesiedelt. Daneben gibt es vier fakultätsnahe interdisziplinäre Zentralinstitute mit Forschungsauftrag. Das
universitätseigene Forschungsprogramm EFI fördert einige interdisziplinär angelegte Forschungsprojekte, an
denen eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Fakultät beteiligt sind. Mit dem
Internationalen Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung IKGF entstammt der Fakultät eines von zehn
bundesfinanzierten interdisziplinären geisteswissenschaftlichen Forschungskollegs, das innerhalb der Fakultät
ebenso wie international breit vernetzt ist.”, Vgl. Philosophische Fakultät und Fachbereich Theologie. URL
https://www.phil.fau.de/fakultaet/die-fakultaet.
233
Hier: der philosophisch-pädagogischen, der geschichts- und gesellschaftswissenschaftlichen und der
theologischen Fakultät.
103
Die Terhart-Kommission hat die Einrichtung von Zentren für Lehrerbildung im Jahr 2000
empfohlen,234 der Wissenschaftsrat hat die Empfehlungen 2001 aufgegriffen,235 die OECD
Lehrerstudie aus dem Jahr 2004 hat sie eingefordert,236 die KMK hat die Einrichtung 2004 in
den bildungswissenschaftlichen Standards für Lehrerbildung nahegelegt.237 Laut Übersicht
der KMK zum Sachstand Lehrerbildung aus dem Jahr 2015238 sind Lehrerbildungszentren als
Querstruktur über Fakultäten und Fächer hinweg inzwischen so gut wie flächendeckend
eingerichtet.
Neben Aufgaben der Organisation des Studiums (von der Studiengangsentwicklung über die
Mitwirkung an Reformmaßnahmen bis hin zur Organisation der Lehre), des Managements,
der Studieninformation und Beratung, der Profilierung der Lehrerbildung nach innen und
außen, der Kooperation mit der II. Phase und der Organisation von Fortbildungsmaßnahmen
übernehmen die LBZ auch forschungskoordinierende und -initiierende Aufgaben.239 Nach
Terhart (2015)240 stärkt gerade die Forschungsbeteiligung die inneruniversitäre Sichtbarkeit
wie auch die Außenwahrnehmung. Diese Ansicht scheinen die Universitäten zu teilen, die
ihre Lehrerbildungszentren in der Mehrzahl als zentrale wissenschaftliche Einrichtungen
positionieren und immer häufiger als Zentren für Lehrerbildung und Bildungsforschung
ausweisen.241 Wie es scheint, sehen davon lediglich Universitäten ab, an denen bereits
etablierte Zentren für Bildungsforschung eingerichtet sind,242 oder Universitäten, an denen
Erziehungswissenschaftlichen Fakultäten oder andere Einheiten die Forschungsförderung und
234
Terhart, E. (2000).
Vgl. Wissenschaftsrat. Empfehlungen zur künftigen Struktur der Lehrerbildung (2001). URL
http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/5065-01.pdf.
236
Vgl. Döbrich, P., Klemm, K., Knauss, G. & Lange, H. (2004).
237
Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom
16.12.2004).
238
Vgl.
Sachstand
in
der
Lehrerbildung
(2015).
URL
http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Bildung/AllgBildung/2015-09-21-Sachstand_LB-mit-Anlagen.pdf, S. 4-6.
239
Zum Stand 2007 (Datenbasis 28 von 52 LBZ, Onlinebefragung) gibt eine vom Stifterverband in Auftrag
gegebene Studie Auskunft über die verfolgten Ziele. Vgl. Weyand, B. & Schnabel-Schüle, H. (2010). Erhebung
von
Grunddaten
zu
Zentren
für
Lehrerbildung
in
Deutschland.
URL
http://www.stifterverband.info/wissenschaft_und_hochschule/lehre/lehrerbildung/erhebung_grunddaten_zentren
_lehrerbildung/erhebung_von_grunddaten_zu_zentren_fuer_lehrerbildung_in_deutschland.pdf.
240
Vgl. Terhart, E. (2015). Zehn Jahr Münchner Zentrum für Lehrerfortbildung – (m)ein Blick von außen. URL
http://www.mzl.uni-muenchen.de/mzl/aktuelles/meldungen/10-jahre-mzl/vortrag_terhart_10jahre_mzl.pdf,
Punkt 5, zukünftige Entwicklungsszenarien.
241
Vgl. hierzu exemplarisch (ausgewählt wurde jeweils eine Universität pro Bundesland) die Homepages der
Lehrerbildungszentren mit Forschungszuständigkeiten: Baden-Württemberg: PH Heidelberg; Bayern:
Universität Würzburg; Berlin: Humboldt Universität (Professional School of Education), Brandenburg:
Universität Potsdam; Hessen: Universität Marburg; Mecklenburg-Vorpommern: Universität Rostock;
Niedersachsen: Universität Hannover; Nordrhein-Westfalen: Universität Siegen; Rheinland-Pfalz: Universität
Mainz; Sachsen: Universität Leipzig; Schleswig-Holstein: Universität Flensburg; Thüringen: Universität Jena.
242
Vgl. die Universität Halle: Zentrum für Schul- und Bildungsforschung; die Universität Kiel: IPN oder die
LMU München, an der zwar (noch) kein eigenes Zentrum eingerichtet ist, die aber hohe Forschungsleistungen in
Instituten, an Lehrstühle oder in Departments erbringt.
235
104
-koordination übernehmen243 oder eben Universitäten, für deren Profil Lehrerbildung und die
zugehörigen Forschung bedeutungslos sind.
Eine aktuelle Studie der Telekom-Stiftung (Erhebungsstand 2014/15) unterstreicht, dass
Lehrerbildungszentren ein „festes und unverzichtbares Element der Lehrerbildung”244
geworden
sind,
sowohl
in
der
Selbstwahrnehmung
der
Geschäftsführer
und
wissenschaftlichen Leitungen245 als auch in den Einschätzung einer großer Anzahl der
Studierenden.246 Die Dokumentenanalyse der Satzungen und Homepages der inzwischen ca.
80 Lehrerbildungszentren ergab:
1. „Einen hohen Stellenwert (...) hatte neben Lehre und Service die Forschung als
Auftrag.”
2. Die
„organisatorischen
Strukturen
ähneln
häufig
der
einer
Fakultät”;
„Einflussmöglichkeiten und die Ausstattung mit Ressourcen sind jedoch reduzierter.”
3. Die LBZs sind von der Organisationsform her „meist zentrale wissenschaftliche
Einrichtungen.”
4. Sie
greifen
die
von
KMK
(2004)
und
Wissenschaftsrat
(2001)
für
Lehrerbildungszentren vorgegebenen Ziele auf.
5. Allerdings: Die von der Politik vorgegebenen Zielsetzungen sind bunt und vielfältig.
Aus den Dokumenten der LBZs lassen sich laut der Telekom-Studie weder klar
erkennen, „welche Ziele [konkret] verfolgt werden, welche Wirkungen und
Ergebnisse [jeweils] erreicht werden sollen”, noch welche Wege für die Realisierung
beschritten werden.247
Im Fazit wird festgehalten: „Vieles funktioniert besser als erwartet.”, „Die Praxis ist
vielfältig”, aber auch: „Zentren und Schools haben hauptsächlich eine Katalysatorfunktion.”
„Die Einrichtungen sind auf Wohlwollen angewiesen.” „Zentren und Schools bleiben
Serviceagenturen.”248 Der ihr von der Politik zugedachten Aufgabe, grundlegend an der
Reform von Lehrerbildung mitzuwirken, u.a. indem sie die an der Lehrerbildung beteiligten
Fächer und Fakultäten zusammenführen (S. 8), und für „Curricula aus einem Guss” (S. 20)
243
Vgl. die Universitäten Hamburg, Bremen, Saarbrücken.
Vgl. Böttcher, W. & Blasberg S. (2015). Strategisch aufgestellt und professionell organisiert. Eine explorative
Studie
zu
Strukturen
und
Status
der
Lehrerbildung.
URL
www.telekom-stiftung.de/dtscms/sites/default/files//dts-library/materialien/pdf/studie_boettcher_web.pdf, S. 20.
245
Erhoben wurden die Daten jeweils durch Leitfadeninterviews in zehn Zentren für Lehrerbildung bzw.
Schools of Education.
246
Bezogen auf dieselben zehn Einrichtungen wurden Studierende per Fragebogen befragt (N=767).
247
Böttcher/ Blasberg (2015), S. 7f.
248
Böttcher/ Blasberg (2015), S.20f.
244
105
sorgt, können sie so nicht gerecht werden. Diese Problemanalyse der Telekom-Stiftung
bezieht sich nicht zuletzt auf die Standards der Lehrerbildung, die nach Einschätzung dieser
Studie ihrem Geist nach bislang nicht realisiert sind.
4.5 Resümee
Die Erziehungswissenschaften sind von großer disziplinärer Heterogenität; sie umfassen
schulbezogene Aspekte der Pädagogik und Psychologie, aber auch schulrelevante Aspekte
ausgewählter Gesellschafts- und Kulturwissenschaften, wie beispielsweise Soziologie,
Politikwissenschaft,
Ethnologie,
Philosophie
oder
Theologie.
Die
Bedeutung
der
Erziehungswissenschaften für die Lehrerbildung ist lebensweltlich so unstrittig, dass
Lehrkräfte als „Pädagogen”, und nicht als Mathematiker, Geographen oder Theologen oder
gar Mathematikdidaktiker, Geographiedidaktiker oder Religionsdidaktiker, (allerdings auch
nicht als Psychologen, Gesellschafts- oder Kulturwissenschaftler) bezeichnet werden. Im
Sinne der Zuschreibung einer besonderen Bedeutung an die Erziehungswissenschaften waren
die ersten Standards für Lehrerbildung, die die KMK vorgelegt hat, auch die
bildungswissenschaftlichen. Die Relevanz der dort definierten Handlungsfelder (Unterrichten,
Erziehen, Beraten/ Beurteilen und Innovieren) ist unstrittig. Wie der Aufbau der dafür
notwendigen Kompetenzen unterstützt werden kann, ist aber längst noch nicht klar.
Die universitäre Ausbildung hat die Herausforderung, mit der disziplinären Heterogenität der
Erziehungswissenschaften umzugehen, bislang noch nicht bzw. nur in Ansätzen gelöst. Dies
zeigt nicht zuletzt das Experimentieren mit unterschiedlichen Formen institutioneller
Verortung.
Eigene
Fakultäten
oder
Departments
und
Arbeitseinheiten
sind
Institutionalisierungen, mit denen einzelnen Universitäten einen strukturellen Rahmen für
bessere Kooperation schaffen. Dem stehen andere Universitäten gegenüber, in denen die
erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen sogar unterschiedlichen Fakultäten angehören.
Hier ist allein das Lehrerbildungszentrum Ort einer möglichen Koordination. Auch wenn die
Lehrerbildungszentren, wie gezeigt wurde, im Aufwind sind: Ihre Einrichtung entlastet die
unter Erziehungswissenschaften subsumierten Disziplinen nicht davon, die Entwicklung ihres
Profils als eigene Aufgabe anzusehen und zu verfolgen.
Unstrittig ist, dass derzeit der Aufbau einer vernetzten erziehungswissenschaftlichen
Kompetenz in viel zu vielen Fällen, vermutlich sogar in der Regel, den Studierenden
überlassen wird. Die noch laufende BilWiss-Studien gehen der Frage nach, welche Rolle a)
106
Strukturen
für
den
Wissens-
und
Kompetenzaufbau
zu
zentralen
Themen
der
Erziehungswissenschaften spielen, und b) inwiefern Referendare und Berufsanfänger ihr
erziehungswissenschaftliches Know-how zur Bewältigung von Unterrichtssituationen
nutzen.249. Während schon publiziert ist, dass – zumindest für nordrhein-westfälische
Universitäten – keine Abhängigkeiten zwischen Wissen und Studienort festgestellt werden
konnte, sich aber die disziplinäre Trennung der Ausbildung auch in getrennten
Wissensstrukturen niederschlägt, sind die Ergebnisse des zweiten Teils der Studien derzeit
(2015) noch nicht bekannt. Offen ist auch, ob die ebenfalls noch laufende Panel-Studie PaLea
die Unabhängigkeit des Wissens-/ Kompetenzaufbaus von den universitären Strukturen, dazu
von den unterschiedlichen Vorgaben der Länder, bestätigen wird.250
Aufgrund ihrer disziplinären Vielfalt könnten Erziehungswissenschaftler prädestinierte
Partner für fachübergreifende Forschungskooperationen sein. Die Einbindung ihrer Vertreter
in inter- und transdisziplinäre Forschung gestaltet sich aber sehr unterschiedlich. Während für
empirische Bildungsforscher, egal ob sie aus der Pädagogik, Psychologie oder Soziologie
kommen, die Zusammenarbeit in interdisziplinären Projekten, zunehmend auch mit
Fachdidaktikern,
immer
selbstverständlicher
wird,
zeigen
die
Publikationen
und
Forschungsprojekte der hermeneutisch arbeitenden Vertreter der Erziehungswissenschaften
eher die Tendenz zur Einzelforschung.
5. Theorie-Praxisbezug: Herausforderung und Problempotential
für die Lehrerbildung
Die Thematik des Theorie-Praxisbezug wird zweigeteilt erschlossen: Im ersten Teil liegt der
Fokus auf Praktika/ Praxismodulen. In Teil zwei erfolgt eine Erweiterung des Blicks auf
„Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenzen”, wobei in einem eigenen Teilkapitel
Praxismodule als Möglichkeiten dargestellt werden, die Entwicklung von Lehrerkompetenzen
als Querschnittskompetenzen zu fördern.
249
Vgl. hierzu Teil B Kapitel III 3.3 BilWiss: Bildungswissenschaftliches Wissen und
professioneller Kompetenz in der Lehramtsausbildung.
250
Vgl. hierzu Teil B Kapitel III 3.1 PaLea -Panel zum Lehramtsstudium
107
der Erwerb
5.1 Berufsfeldbezug Schule: Chancen und Grenzen von Praktika/
Praxismodulen
Der „Praxisschock”, mit dem der Beginn der Zweiten Phase manchmal beschrieben wird, und
die „Theoriefeindlichkeit”, die im Schulalltag bei nicht wenigen Lehrkräften zu beobachten
ist, sind Indikatoren für das Konfliktpotential, das bezogen auf den Theorie-Praxisbezug
besteht. Von Referendaren wie fertigen Lehrkräften wird die Praxisferne der Universität
kritisiert und der Vorwurf erhoben, dass die Praxisrelevanz von Theorie nicht hinreichend
verdeutlicht würde. Theorie wird also nicht im Kantschen Sinne als die beste Praxis
verstanden.
Um diese Beobachtung einzuordnen, wird zuerst (1) noch einmal daran erinnert, dass die
Verbesserung der Berufsbefähigung kein Sonderproblem der Lehrerbildung ist, sondern dass
es sich dabei um ein Ziel der aktuellen europäischen Hochschulreform insgesamt handelt;
dann erfolgt die Blickwendung auf die Lehrerbildung. Um eine Basis zu schaffen, auf der die
Herausforderungen für die aktuellen Reform dargestellt werden können, werden zuerst die
Erwartungen an den Schulbezug vor der Bologna-Reform skizziert (Bezugspunkt ist die
akademischen Lehrerbildung ab den 1960er/1970er Jahren (2). Auf dieser Grundlage werden
dann die Herausforderungen thematisiert, vor der die Universität heute bei der Reform der
Berufsbefähigung angehender Lehrkräfte auf dem Weg über Praktika steht. Die
Notwendigkeit
einer
breiteren
Einordnung
(„Lehrerkompetenzen
als
Querschnittskompetenzen”) ergibt sich als Konsequenz dieser Prämissen.
5.1.1 „Allgemeine Berufsbefähigung“ als Ziel und Bestandteil aller reformierten
Studiengänge
Die Bologna-Vorgaben sehen, wie bereits im Kapitel Herausforderung Hochschulreform (vgl.
Kapitel A, I, 2. Hochschulreform der 2000er Jahre) dargestellt, sowohl für Bachelor-251 als
251
In den “10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in Deutschland, Beschluss der Kultusministerkonferenz
vom 12.06.2003 heißt es in Bezug auf Bachelorabschlüsse: “ 1. Eigenständigkeit der Bachelor- und
Masterstudiengänge; Die Bachelor- und Masterabschlüsse sind eigenständige berufsqualifizierende
Hochschulabschlüsse”. “3. Berufsqualifizierung. Als Regelabschluss eines Hochschulstudiums setzt der
Bachelor ein eigenständiges berufsqualifizierendes Profil voraus, das durch die innerhalb der Regelstudienzeit zu
vermittelnden Inhalte deutlich werden muss. Bachelorstudiengänge müssen die für die Berufsqualifizierung
notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen, Methodenkompetenz und berufsfeldbezogenen Qualifikationen
108
auch für Masterstudiengänge das Ziel der allgemeinen Berufsbefähigung vor. Der
Wissenschaftsrat unterstützt dies aktuell in einer vierbändigen Empfehlungsreihe zum
Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt ausdrücklich.252 Teil 2, erscheinen im
Oktober 2015, thematisiert „die Ziele und Funktionen akademischer Bildung” und „die Frage
der Arbeitsmarktrelevanz von Studienangeboten”. Kernforderung ist, alle drei Aufgaben eines
Studiums ((fach-)wissenschaftliche Bildung, Persönlichkeitsentwicklung und Vorbereitung
auf den Arbeitsmarkt)
253
zusammen zu denken. Der aktuelle Vorsitzende Manfred Prenzel
verdeutlicht: „Konzentrieren sich die Hochschulen nur auf eine oder zwei dieser
Dimensionen, werden sie ihrem gesellschaftlichen Auftrag nicht gerecht“. „Entsprechend
muss ein Studienabschluss sowohl Wege in eine wissenschaftliche Weiterqualifizierung
eröffnen als auch einen erfolgreichen Berufseinstieg ermöglichen – und zwar auf allen
Studienstufen und in allen Fächern.“254
Damit wird zugleich gefordert, über die zu Beginn des Reformprozesses beschrittenen Wege
hinauszugehen. Im Bologna-Reader der HRK (2008) hieß es, bezogen auf Bachelor- wie
Masterstudiengänge
noch,
Employability
ziele
auf
den
„Erwerb
überfachlicher
Schlüsselkompetenzen” und werde durch „berufsfeldorientierte Praktika”255 realisiert. In den
ersten Reformphasen behalfen sich Fach-Studiengänge damit, dass sie Praktikumsmodule
zwar verpflichtend einbanden, sie aber nicht selten von Seiten der Universität unbegleitet oder
sogar unbetreut ließen. Ob es weitere Modulangebote und Lehrveranstaltungstypen zur
Berufsfeldorientierung gab, war fachabhängig. In der Geographie z.B. sind zusätzlich und
vermitteln.”
http://www.akkreditierungsrat.de/fileadmin/Seiteninhalte/KMK/Sonstige/KMK_System_10Thesen.pdf.
252
Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt. Erster Teil der Empfehlungen zur
Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (11. April 2014;
http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/3818-14.pdf) Zweiter Teil der Empfehlungen zur
Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, (16. Oktober 2015;
http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4925-15.pdf). Teil drei und vier stehen noch aus.
253
“Drei zentrale Dimensionen spannen den Raum hochschulischer Bildungsziele auf: (Fach-)Wissenschaft,
Persönlichkeitsbildung und Arbeitsmarktvorbereitung. Die Dimension (Fach-)Wissenschaft wird insbesondere
von Qualifizierungszielen bestimmt, die darauf ausgerichtet sind, die Studierenden zur situationsgerechten
Auswahl, Anwendung und Anpassung wissenschaftlicher Methoden sowie zum selbständigen und kritischen
Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu befähigen. Ziele, die die Entwicklung einer fachlichen
Identität sowie eines wissenschaftlichen und beruflichen Ethos befördern oder auf eine
Verantwortungsübernahme im Beruf und im gesellschaftlichen Leben vorbereiten sollen, können vor allem der
Dimension Persönlichkeitsbildung zugeordnet werden. Die Dimension Arbeitsmarktvorbereitung betrifft
schließlich die Qualifizierung der Studierenden, die unmittelbar und gezielt auf das Erwerbsleben nach dem
Studienabschluss – innerhalb oder außerhalb der Wissenschaft – ausgerichtet ist.”
Zweiter Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen
Wandels, (16. Oktober 2015; http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4925-15.pdf, S. 9; vertiefend S.
39-53.
254
http://www.wissenschaftsrat.de/presse/pressemitteilungen/2015/nummer_21_vom_19_oktober_2015.html.
255
Vgl. dazu u.a. Verlautbarungen der HRK: Bologna-Reader III FAQs - Häufig gestellte Fragen zum BolognaProzess an deutschen Hochschulen HRK Bologna-Zentrum Beiträge zur Hochschulpolitik 8/2008.
http://hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-10-Publikationsdatenbank/Beitr-200808_BolognaReader_III_FAQs.pdf, insbesondere S. 1755ff
109
verpflichtend Exkursionsmodule üblich, in Kunststudiengängen werden die ebenfalls
verpflichtenden Exkursionen z.T. gekoppelt mit weiteren Praxisanteilen, wie z.B. Malkursen.
In Kulturwissenschaften werden manchmal methodische Module, z.B. zur Feldforschung
ausgewiesen bzw. einzelne Handlungsfelder (Museen, Kulturlandschaften usw.) theoretisch
und praktisch erschlossen. Sowohl in der Bachelor- wie der Masterphase werden dafür
teilweise
eigene
Veranstaltungstypen
angeboten,
wie
z.B.
Exkursionsmodule,
Lehrforschungsprojekte oder Projektseminare.
Zur Förderung der Entwicklung von Schlüsselkompetenzen werden an vielen Hochschulen
überfachliche Module vorgehalten, ausgewiesen z.B. als studium generale Module, als
Module, die den Aufbau technischer Fähigkeiten im IT-Bereich oder als Module, die den
Aufbau von überfachlichen Kompetenzen in anderen Handlungfseldern (z.B. Theaterarbeit)
unterstützen. Aufzuführen sind zudem Modulangebote zur Förderung der Sozial- oder
Handlungskompetenz256 oder der interkulturellen Kompetenz. Ob damit die „allgemeine
Berufsbefähigung”, die als hochschulbezogenes Reformziel den Horizont dieser Maßnahmen
bilden, tatsächlich erreicht wird, kann nicht generalisierend beurteilt werden. Studien hierzu
gibt es bisher kaum.257
Die oben angesprochene Empfehlung des Wissenschaftsrats „zielen darauf, die Entwicklung
arbeitsmarktrelevanter Kompetenzen breiter, intensiver und systematischer zu fördern“.258
Insbesondere fordern sie eine „in die Curricula integrierte Vor- und Nachbereitung sowie eine
inhaltliche Begleitung“ der Praktika ein (S. 70), „in Lehrveranstaltungen integrierten Praxisund
Anwendungsbezüge
–
insbesondere
im
Bereich
der
fachspezifischen
Methodenkenntnisse, aber auch mit Blick auf überfachliche Kompetenzen”, das Einbinden
von Konzepten des Problemorientierten Lernens (ebd. S. 70) und des Forschenden Lernens
(S. 71).
256
Vgl. hierzu das an der KU von Studierenden entwickelte tun-Modul: Hier geht es z.B. um aktive Tätigkeiten
im sozialen Feld (Flüchtlingshilfe, Integrationshilfe für Migranten u.a.). http://www.tun-starthilfe.de
257
Für eine Ausnahme von der Regel steht die Untersuchung Schubarth 2012.
258
Vgl. “Lehr- und Lernkonzepte zur Stärkung der Arbeitsmarktrelevanz, in: Zweiter Teil der Empfehlungen zur
Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, (Vgl. Zweiter Teil der
Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften (2015), S. 69-71.
110
5.1.2 Schulbezug im akademischen Lehramtsstudium vor Bologna
Während die allgemeine Berufsbefähigung als Element aller Bachelor- und MasterStudiengänge sich erst etablieren muss, war der Schulbezug schon vor der Bologna-Reform
ein als unverzichtbar angesehenes Element der hochschulischen Lehrerbildung. Dies ergibt
sich daraus, dass Lehramtsstudiengänge mit „Schule” ein klar definiertes Berufsfeld haben,
auf das sie gezielt vorbereiten sollen. Meist wurden auch hier Praktika als der gängige Weg
angesehen, um Theorie und Praxis zusammenzubringen. Die Erwartungen waren hoch:
Praktikumserfahrungen sollten die Fähigkeit zu gutem Unterrichten zumindest unterstützen,
wenn nicht gar aufbauen.
Die Wirksamkeit der Praktika vor Bologna hielt sich demgegenüber in Grenzen. Weder
konnten sie den „Praxisschock“ vermeiden, der im Übergang von Universität zu Schule
oftmals erlebt wurde, noch konnten sie einen Beitrag dafür erbringen, dass die an der
Universität erarbeiteten Konzepte in der Schulpraxis Wirkung zeigten. Bei vielen Lehrkräften
konnte vom Referendariat ab eine Abwendung von Wissenschaft und Theorie beobachtet
werden.259 Diese Beobachtung wird auch durch Studien bestätigt: Nach dem Eintritt in die
zweite Phase ihrer Ausbildung würden Inhalte des Studiums weitgehend an Bedeutung
verlieren,260 praxisbewährten Konzepten, z.T. solche, die die jungen Lehrkräfte selbst als
Schüler erfahren haben, würde mehr vertraut. Nicht nur bezogen auf die Nachhaltigkeit
zeigten die vor der Bologna-Reform durchgeführten Studien, dass die nachweisbaren
Wirkungen weit von den Intentionen und Wünschen zu den Schulpraktika entfernt blieben.261
259
Begründet wurde dies u.a. mit der Theorielastigkeit des Studiums. Es hätte insbesondere an Gelegenheiten
gefehlt, die Unterrichtstauglichkeit von an der Universität diskutierten Konzepten zu erproben.
260
Bezogen auf der Reformwelle der 1960er Jahre vgl. z.B. Koch, L. (1972). Ist Mündigkeit operationalisierbar?
In Pädagogische Rundschau, 26, 6, S. 486-493., Müller-Fohrbrodt, G., Cloetta, B. & Dann, H. (1978): Der
Praxisschock bei jungen Lehrern. Formen – Ursachen – Folgerungen. Eine zusammenfassende Bewertung der
theoretischen und empirischen Erkenntnisse. Stuttgart: Klett-Cotta,. Studien, die eher berufsbiographischen
ansetzten, kamen auf vergleichbare Ergebnisse; vgl. u.a. Franke u.a. 2001; Torff, B., & Warburton, E.C. (2005).
Assessment of teachers’ beliefs about classroom use of critical-thinking activities. Educational and
Psychological Measurement, 63, 155-179.; analoge Ergebnisse erbrachten Studien nach dem Paradigmenwechsel
hin zur Kompetenzorientierung; vgl. Franke, M. L., Carpenter, T. P., Levi, L., Fennema, E. (2001). Capturing
teachers’ generative change: A follow-up study of professional development in mathematics. In: American
EducationalResearch Journal, 38, pp. 635-689; Blömeke, S. (2004). Empirische Befunde zur Wirksamkeit von
Lehrerbildung. In S. Blömeke, P. Reinhold, G. Tulodziecki & J. Wildt (Hrsg.), Handbuch Lehrerbildung (S. 5991). Bad Heilbrunn/Obb: Klinkhardt; Kraus, A. (2015). Anforderungen an eine Wissenschaft für die
Lehrer(innen)bildung: wissenschaftstheoretische Überlegungen zur praxisorientierten Lehrer(innen)bildung.
European Studies on Educational Practices 5, Münster u..a.; Terhart, E., Bennewitz, H.,Rothland, M. (22014).
Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf, Münster: Waxmann; dort insbesondere das Kapitel: Forschung zur
Berufsbiographie von Lehrerinnen und Lehrern; Fenn, M. (2013). Entwicklung und Evaluation einer
Interventionsmaßnahme zur Förderung professioneller Handlungskompetenz von Studierenden der
Geschichtsdidaktik hinsichtlich der Ausbildung forschungsmethodischer Kompetenzen von Schülerinnen und
Schülern. Schwalbach: Wochenschau
261
Vgl. u.a. Abel, J. & Faust, G. (Hrsg.). Wirkt Lehrerbildung? Antworten aus der empirischen Forschung.
Münster u..: Waxmann 2010. oder Hascher, T. (Hrsg.) (2012). Forschung zur (Wirksamkeit der) Lehrer-innenbildung. Österreichische Beiträge zur Bildungsforschung 8.Wien u.a.: Lit. bieten eine Zusammenschau der
111
5.1.3 Herausforderungen für die aktuelle Reform der Lehrerbildung in Bezug auf
den Theorie-Praxiszusammenhang
Die Ausgangslage für die Reformen ist, trotz der oft negativen Erfahrungen mit den
bisherigen Schulpraktika, von einer positiven Einstellung gegenüber dem Potential der
Praktika geprägt. Bestehen bleibt auch die Annahme, dass Berufsfeldbezüge die
Professionalisierung der Studierenden unterstützen. Dies heißt nicht, dass nicht zugleich ein
Optimierungsbedarf erkannt worden sei.
Dieser ergibt sich allein schon aus dem Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung,
insbesondere wenn Kompetenz, wie in den deutschen Qualifikationsrahmen „als umfassende
Handlungskompetenz” verstanden wird, also als „Fähigkeit und Bereitschaft des Einzelnen,
Kenntnisse und Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten zu
nutzen und sich durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten.”262
Seit den 2000-er Jahren werden im Zusammenhang mit dem Praxisbezug eine Vielzahl an
Reformansätzen263 erprobt. Ihre Zielsetzungen sind mannigfaltig:
empirischen Forschung zur Wirksamkeit von Praktika, die sich vorrangig auf Daten vor der Bolognareform
bezieht. Daneben stehen (vergleichende) Einzelstudien wie Weyland, U. (2010). Zur Intentionalität
schulpraktischer Studien im Kontext universitärer Lehrerausbildung. Paderborn: Eusl-Verl.-Ges; Hauzenberger,
F. (Hrsg.) (2011). Schulpraxisstudien in Europa. Schulpraktische Studien 6. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl.;
Hascher T. (2012); Gassmann, C. (2013). Erlebte Aufgabenschwierigkeit bei der Unterrichtsplanung: eine
qualitativ-inhaltsanalytische Studie zu den Praktikumsphasen der universitären Lehrerbildung. Wiesbaden:
Springer.
262
Vgl. Glossar zum Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen verabschiedet vom Arbeitskreis
Deutscher Qualifikationsrahmen (AK DQR) am 22. März 2011. Vgl. Deutscher Qualifikationsrahmen (2011).
URL http://www.akkreditierungsrat.de/fileadmin/Seiteninhalte/Sonstige/BMBF_DQR_aktuell.pdf,S. 8-9). Zur
Zielsetzung von Qualifikationsrahmen vgl. Bartosch, U. (2010). Die Europäisierung der Hochschullandschaft
und die Einführung von Qualifikationsrahmen. Erziehungswissenschaft. Mitteilungen der Deutschen
Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), 21, 41, S. 73-91; Bartosch, U. (2010). Fachliche
Qualifikationsrahmen, Beispielhafte Funktions- und Nutzungsmöglichkeiten. In W. Benz, J. Kohler & K.
Landfried (Hrsg.), Handbuch Qualität in Studium und Lehre. HQSL (S. 1-44). Berlin: DUZ Verlag- und
Medienhaus GmbH, S. 1-44.
263
Vgl. z.B. Flagmeyer, D. (Hrsg.) (2007). Mehr Praxis in der Lehrerbildung - aber wie? Möglichkeiten zur
Verbesserung und Evaluation. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl.; Reiber, K. E. (2008). Forschendes Lernen in
schulpraktischen Studien – Methodensammlung. Ein Modell für personenbezogene berufliche Fachrichtungen,
Bielefeld: UVW; Floß, P. (2012). Das allgemeindidaktische Schulpraktikum. Schulpädagogisches
Orientierungswissen und Anregungen zum forschenden Lernen in der Schule. Ein Studienbuch für angehende
und junge Lehrerinnen und Lehrer. Berlin u.a.: Raabe; Rohr, D. (Hrsg.) (2013). Reflexionsmethoden in der
Praktikumsbegleitung. Am Beispiel der Lehramtsausbildung an der Universität zu Köln. München u.a.:
Waxmann; Denner, L. (2013). Professionalisierung im Kontext schulpraktischer Studien - aber wie? Grundlagen
- Lehr-Lernsettings - empirische Befunde. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren; Schrittesser, I. (Hrsg.)
(2014). Zauberformel Praxis. Zu den Möglichkeiten und Grenzen von Praxiserfahrungen in der
LehrerInnenbildung, Wien: New academic press; Schlegel, C., Perspektive Lehramt (2014³). Schulpraktika
begleiten. Handreichungen und Arbeitsmaterialien für Mentorinnen und Mentoren in der Lehrerbildung.
112
•
Der Perspektivwechsel von Lernenden zum Lehrenden soll unterstützt werden.
•
Die Vielfalt der Handlungsfelder des Lehrerseins soll intensiver wahrgenommen
werden.
•
Eine reflexive, in anderen Fällen eine kreative Unterrichtspraxis soll gefördert werden.
•
Selbstreflexion soll Erfahrungen und subjektive Theorien bewusstmachen, ggfs. eine
Einstellungsänderung gegenüber sich selbst und den Schülerinnen/ Schülern bewirken
etc.
Des Weiteren werden besonders in die Verlängerung der Praktika große Hoffnungen gesetzt.
In vielen Bundesländern setzt man um den Preis der Verkürzung der zweiten Phase auf
Langzeitpraktika (vgl. NRW, Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen). Die ersten
Studien zu deren Wirksamkeit sind veröffentlicht.264 Die Ergebnisse sind nicht eindeutig,
weder bezogen auf die Frage der Wirkung, noch auf die Frage, was jeweils wirkt. Dass die
Erhöhung des zeitlichen Umfangs allein nicht ausreicht, kristallisiert sich als Gemeinsamkeit
der Ergebnisse allerdings heraus.
In
vielen
Reformansätzen
werden
Reflektiertheit
und
(Selbst-)Reflexivität
als
Gelingensbedingungen aller Praktika, nicht nur der Langzeitpraktika, postuliert und erprobt.
In Studien erfolgen darauf bezogen explorative bzw. evaluierende Untersuchungen, die die
Relevanz von Reflektiertheit und (Selbst-)Reflexivität grundsätzlich bestätigen.265 Explizit
wird
die
Bedeutung
einer
Theoriebasierung
auch
für
den
Berufsfeldbezugs
herausgearbeitet.266 Hingewiesen wird auch auf die Notwendigkeit der Vernetzung zwischen
den Säulen der Lehrerbildung.267 Zur aktuellen Generation an Praktikumsforschungen sind in
Handbüchern, Sammelbänden und Monographien erste Forschungsüberblicke erschienen.268
Stuttgart: Raabe; Vanier, D. H., Ratzi, A. (Hrsg.) (2015). Was Lehrerbildung leisten kann. Kreative
Professionalisierung für die Schule. Braunschweig: Westermann.
264
Vgl. z.B.; Bolle, R. (Hrsg.) (2009). Schulpraktische Studien in gestuften Studiengängen. Neue Wege und
erste Evaluationsergebnisse. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl.; Müller, K. (2010). Das Praxisjahr in der
Lehrerbildung. Empirische Befunde zur Wirksamkeit studienintegrierter Langzeitpraktika. Bad Heilbrunn:
Klinkhardt; Schied, M. (2013). Schulpraktische Studien im Rahmen der Lehrerausbildung. Konzeptionalisierung
und Evaluierung nach dem Gmünder Modell. Bad Heilbrunn: Klinkhardt; Kleinespel, K. (Hrsg.) (2014). Ein
Praxissemester in der Lehrerbildung. Konzepte, Befunde und Entwicklungsperspektiven am Beispiel des Jenaer
Modells. Bad Heilbrunn: Klinkhardt; Schüssler, R. (Hrsg.) (2014). Das Praxissemester im Lehramtsstudium.
Forschen, Unterrichten, Reflektieren. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
265
Vgl. Rohr, D. (2013); Kricke, M. (Hrsg.) (2015). Internationalisierung der LehrerInnenbildung. Perspektiven
aus Theorie und Praxis. Münster: Waxmann.
266
Vgl. Schlegel, C. (2014³); Terhart, E. (Hrsg.) (2014²). Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf. Münster
u.a.: Waxmann.
267
Vgl. Bach, A. (2013). Kompetenzentwicklung im Schulpraktikum. Ausmaß und zeitliche Stabilität von
Lerneffekten hochschulischer Praxisphasen. München u.a.: Waxmann; Kraus, A. (2015). Anforderungen an eine
Wissenschaft für die Lehrer(innen)bildung. Wissenschaftstheoretische Überlegungen zur praxisorientierten
Lehrer(innen)bildung. European Studies on Educational Practices 5. Münster u.a.: Waxmann.
268
Vgl. z.B. Arnold, K.-H. (Hrsg.) (2014). Schulpraktika in der Lehrerbildung. Theoretische Grundlagen,
Konzeptionen, Prozesse und Effekte. Pedagogical field experiences in teacher education. Münster u.a.:
Waxmann; Terhart, E. (2014²).
113
Auch wenn die Befundlage noch etwas unübersichtlich ist, nicht zuletzt deshalb, weil bislang
vorwiegend qualitative, damit nicht-repräsentative Studien vorliegen, lassen sich dennoch
erste Konsequenzen für das Studium daraus ziehen.
5.2 Resümee
2006 postulierte die HRK eine „forschende Auseinandersetzung mit Praxissituationen“, u.a.
durch Verstärkung universitär betreuter Lehr-Lernsituationen in der Schulwirklichkeit.269
Universitäten, die wie die KU, die Umstellung der Lehrerbildung in ein modularisiertes, und
/oder zweistufiges Studiensystem früh realisierten, konnten bei der Entwicklung ihrer
Konzepte zwar noch nicht auf einen den heutigen Erkenntnissen vergleichbaren
Forschungsstand zu Praktika und Berufsfeldbezügen zurückgreifen. Einige Grundlinien für
die
mit
dem
Paradigmenwechsel
hin
zur
Outcome-Orientierung
verbundenen
Neustrukturierung ließen sich ausgehend von der Reflexion der bisherigen Erfahrungen mit
Praktika und unter Bezug auf erste Studien aber bereits zu Beginn der Reformbemühungen
ableiten:
•
die systematische Erweiterung von Praktika zu intensiv vor- und nachbereiteten
Praxismodulen;
•
die
Notwendigkeit
struktureller
Maßnahmen,
die
das
Zusammenführen
von
fachbezogenen und erziehungswissenschaftlichen Kompetenzen unterstützen (vgl.
nachfolgend: Lehrerkompetenz als Querschnittkompetenzen)
•
Die Berücksichtigung des Handeln in den Feldern Unterrichten, Erziehen, Beurteilen/
Beraten und Innovieren nach der Vorgabe der Standards für die Lehrerbildung.
5.3 Praxismodule statt isolierter Praktika
Inzwischen ist es Usus, statt Praktika Praxismodule zu konstruieren, die neben den Praktika
auch vor- und nachbereitende und/ oder begleitende Lehrveranstaltungen aus den
Erziehungswissenschaften und/ oder Fachdidaktiken umfassen, somit Theorie und Praxis
miteinander verbinden. In den Modulbeschreibungen der Praxismodule werden die
269
Hochschulrektorenkonferenz (2006). Entschließung des 206. Plenums: Empfehlung zur Zukunft der
Lehrerbildung
in
den
Hochschulen.
URL
http://www.hrk.de/uploads/media/HRK_Beschluss_Lehrerbildung_2006.pdf, S. 14.
114
angestrebten Kompetenzen bestimmt und Abfolgen von Modulen innerhalb des jeweiligen
Studiengangs festgelegt. Dies ermöglicht es zugleich, Kompetenzniveaus auszuweisen, um so
eine Progression zwischen Praxismodulen zu definieren.
Was im Teilkapitel „Erziehungswissenschaften” am Beispiel überfachlicher Kompetenzen
wie z.B. der Medienkompetenz bereits ansatzweise diskutiert wurde, gilt auch für die
Unterrichtskompetenz: Nur einzelne Aspekte können fachunabhängig entwickelt werden.
Studien zu „gutem Unterrichten” (z.B. die COACTIV-Studien270) bestätigen, dass das
Zusammentreffen fachlicher, also fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Kompetenzen
eine der Grundlagen für gutes Unterrichten ist. Damit besteht eine Herausforderung sowohl
für die Organisation der Schulpraktika, wie auch für die Planung der Praxismodule darin, den
Studierenden zu ermöglichen, ihre Unterrichtskompetenzen in Bezug auf alle studierten
Fächer zu entwickeln, und dabei zugleich die überfachlichen Kompetenzen weiter zu fördern.
Strukturelle
Maßnahmen
für
das
Zusammenführen
von
fachbezogenen
und
erziehungswissenschaftlichen Modulen
Es geht um Strukturen, die unterstützen, dass die in den Fachwissenschaften, Fachdidaktiken
und Erziehungswissenschaften entwickelten Kompetenzen zusammengeführt werden. Im
Falle
eines
auf
Fachunterricht
bezogenen
Lehramtsstudiums
sind
davon
zwei
Fachwissenschaften und zwei Fachdidaktiken, oft aus unterschiedlichen Fakultäten sowie
unterschiedliche Teildisziplinen der Erziehungswissenschaften betroffen; im Falle eines auf
eine Schulart mit Klassenlehrerprinzip bezogenen Studiums sogar noch mehr Disziplinen.
Manche Universitäten legen besonders bedeutsame Modulabfolgen bereits in der
Rahmenordnung Lehramt fest, indem sie vorgeben, in welchen Semestern des Bachelor- bzw.
Masterstudiums Praxismodule, aber auch bestimmte erziehungswissenschaftliche und
fachdidaktische Module und Praxismodule zu studieren sind. Regelungen, die auch die
Fachwissenschaften betreffen, erfolgen an diesen Stellen nicht.
Ein weiterer Ort, um das Zusammenspiel und die Abfolge der Module der unterschiedlichen
Säulen zu regeln, sind idealtypische Studienpläne. Diese fußen auf den Prüfungsordnungen
der Universitäten und gewährleisten die Studierbarkeit der unterschiedlichen FachKombinationen innerhalb der Regelstudienzeit. Damit dies möglich wird, orientieren
270
Vgl. Kapitel B III 3.2 COACTIV: Professionswissen von Lehrkräften, kognitiv aktivierender
Mathematikunterricht und die Entwicklung mathematischer Kompetenz bei Schülern
115
Studienplänen sich z.B. an Zeitfensterplänen, die ein überschneidungsfreies Studium
ermöglichen.271
Idealtypische
Studienpläne
schaffen
einen
strukturellen
Rahmen,
der
es
den
Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften ermöglichen würde,
einen Bezug untereinander herzustellen und aufeinander abgestimmte Lehr-Lernkonzepte zu
entwickeln. In die Pläne ist auch das Praxiskonzept eingepasst, im Idealfall so, dass die Lage
im Studienplan einen vernetzten, berufsfeld-orientierten Aufbau von Handlungskompetenzen
unterstützt.
Ob und wie die Fächer sich aber tatsächlich in der vorgesehenen Weise vernetzen, kann über
idealtypische Studienpläne nicht geregelt werden. Dies durch weitere Maßnahmen zu
unterstützen, ist eine der Herausforderungen, vor denen z.B. ein Lehrerbildungszentrum steht,
hier in der organisatorischen Verantwortung
für die problemlose Ermöglichung
kompetenzorientierter Lehramtsstudien einer Universität (vgl. oben, Kapitel A IV 4.4
Lehrerbildungszentren).
Eine Konkretisierung eines Praxiskonzepts wird im Kapitel C II 3. Das Praxiskonzept in
Lehramtplus zur Förderung des Verständnis als Scientist Practioner vorgestellt.
Es reicht weit über Organisation hinaus und handelt sich um einen substanziellen Beitrag zur
Weiterentwicklung von Lehrerbildung, wenn der Theorie-Praxis-Zusammenhang verstanden
wird im Sinne der Entwicklung von Lehrerkompetenz als auf die Handlungsfelder der Schule
ausgerichtete Querschnittskompetenzen. Die Handlungsfelder sind in den bereits dargestellten
Standards für Lehrerbildung der KMK272 zusammengefasst als Unterrichten, Erziehen,
Beraten/ Beurteilen und Innovieren. Im Folgenden wird Bezug auf diese Handlungsfelder
genommen. Nach einer kurzen Situationsanalyse (1) werden an einem konkreten Beispiel
(Lehramt-Track für das Gymnasium im Studiengangskonzept Lehramtplus der KU EichstättIngolstadt) Strukturüberlegungen verdeutlicht, die die Entwicklung von Lehrerkompetenzen
als Querschnittskompetenzen unterstützen können (2). Ebenfalls an Beispielen wird gezeigt,
wie die Entwicklung querschnittlicher Kompetenzen in Bezug auf die einzelnen schulischen
Handlungsfelder gefördert werden kann (3). Auch hier ist das Beispiel nicht Selbstzweck,
sondern Mittel zur Verdeutlichung.
271
Dass in den Praktikumsfenstern keine anderen Lehrveranstaltungen liegen können, ebenso wenig in Slots für
zentrale erziehungswissenschaftliche Vorlesungen, dass die Zeitfenster für Fachdidaktik- und Fachmodule auf
wählbare Zweitfächer Rücksicht nehmen müssen, verstehen nicht wenige Fächer als massive Eingriffe in ihre
Entscheidungsfreiräume.
272
Vgl. Tenorth, H.-E., Terhart, E., Oelkers, J. & Krüger, H.-H. (2004), S. 7-12.
116
6. Lehrerkompetenzen als Querschnittkompetenz
6.1 Situationsanalyse
Alle Beschreibungen des Berufsfelds Schule273 verweisen auf Fähigkeiten, Fertigkeiten,
Bereitschaften
von
Lehrkräften,
die
Ausdruck
vernetzter
Kompetenzen
sind.
Lehramtsstudierende wie Referendare und Lehrkräfte stehen somit der Herausforderung
gegenüber, die im Studium in den jeweiligen Säulen erworbenen Kompetenzen aufeinander
zu
beziehen
und
sie
zu
den
für
das
konkrete
Lehrerhandeln
notwendigen
Querschnittskompetenzen zu bündeln. Legt man gängige Kompetenzdefinitionen zugrunde,
so ergibt sich daraus, dass auch der Aufbau von Querschnittskompetenzen gelernt werden
kann und spezifischer Förderung zugänglich ist.
Versuche von Universitäten in diese Richtung zeigen sich bezogen auf die Förderung
querschnittlicher Forschungskompetenzen beim wissenschaftlichen Nachwuchs. Nur selten
sehen es Universitäten dagegen als ihre Aufgabe an, den Aufbau von „Lehrerkompetenzen als
Querschnittskompetenz” explizit zu unterstützen. Dies erstaunt nicht zuletzt, weil die im
vorhergehenden Kapitel geschilderten Herausforderungen der inter- und transdisziplinären
Zusammenarbeit in den Fach- und den Berufswissenschaften genug Anlass böten, um den
Aufbau von Querschnittskompetenzen als Aufgabenfeld zu reflektieren. Auch die
Verantwortlichen der Zweiten und Dritten Phase fühlen sich für die Förderung der
Entwicklung von Querschnittskompetenzen bei Referendaren und Lehrkräften nur selten
zuständig, und das obwohl dort die schulischen Handlungsfelder im Zentrum stehen, zu deren
Bewältigung
vernetzte
Kompetenzen
notwendig
sind.
Es
wird
vielmehr
als
Selbstverständlichkeit angenommen, dass die (angehenden) Lehrkräfte die an den
Universitäten in den einzelnen Säulen erworbenen Kompetenzen zusammenführen können
und zusammengeführt haben. Insbesondere in den Studienseminaren der zweiten Phase
erfolgt die Förderung auf der Performanzebene des Handelns, ohne dass die dahinterliegende
Ebene der Kompetenzen explizit bedacht und das Zusammenführen von getrennt entwickelten
273
Bsp.: Zusammenfassung der „Gemeinsame Erklärung des Präsidenten der Kultusministerkonferenz und der
Vorsitzenden der Bildungs- und Lehrerverbände (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 5.10.2000), zitiert
nach Standards für die Lehrerbildung. Vgl. Standards für die Lehrerbildung. Bildungswissenschaften (2004), S.
3.
117
Kompetenzen zu Querschnittskompetenzen als eigene Form der Kompetenzentwicklung
(an)erkannt würde.
Damit wird der Aufbau vernetzter Handlungsfähigkeit für das Agieren in der Schule zu einer
sehr individuellen Angelegenheit des einzelnen Studierenden, Referendars bzw. Lehrers.
Inwiefern dabei vorhandene Kompetenzen explizit zu Querschnittskompetenzen gebündelt
werden, hängt von Zufälligkeiten ab. Schulische und akademische Erfahrungen,
Alltagtheorien und trial-end-error-Verfahren spielen eine wichtige Rolle. Der Grundsatz der
Kompetenzorientierung, dass Kompetenzen erlernt und explizit gefördert werden können,
bleibt an dieser Stelle meist außen vor.
Die Herausforderung für eine Reform der Lehrerbildung besteht deshalb darin, die
Entwicklung der Lehrerkompetenz als Querschnittskompetenzen zunächst als Aufgabe
wahrzunehmen und schließlich mit einer Systematisierung von geeigneten Maßnahmen in den
verschiedenen Phasen der Lehrerausbildung zu beginnen. Wie angekündigt, werden zuerst
Strukturmaßnahmen vorgestellt, sodann konkrete, auf die vier von der KMK definierten
Handlungsfelder bezogene Fördermaßnahmen.
6.2 Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenz strukturell aufbauen:
der „Lehramtstrack”
Ein struktureller Schritt besteht darin, in den idealtypischen Studienplänen neben den beiden
studierten Fächern klar erkennbar einen dritten Block mit Modulen auszuweisen, der explizit
der Förderung lehramtsspezifischer Kompetenzen dient. Um dessen Beitrag zur Entwicklung
von Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenzen zu verdeutlichen, erfolgt eine
Konkretisierung274 am Beispiel des Eichstätter Studienmodells Lehramtplus/ Gymnasium.
In den Lehramtstracks der Bachelor- bzw. Masterphase werden lehramtsspezifische Module
zusammengefasst, die einen Beitrag für den Aufbau von Lehrerkompetenz als
Querschnittskompetenzen leisten können.275 Die beiden Lehramtstracks werden in den
idealtypischen Studienplänen auch optisch hervorgehoben: Der Track der Bachelor-Phase ist
rot umrahmt, der Track der Master-Phase violett:
274
Konkretisierungen am Eichstätter Modellversuch sind an sich dem zweiten Teil der Publikation vorbehalten.
An dieser Stellen haben wir uns für eine Abweichung entschieden, weil uns konkrete Beispiele notwendig
schienen, um Prinzipien für die Unterstützung eines vernetzten Kompetenzaufbaus verdeutlichen zu können.
275
Weil die Eichstätter Lehrerbildung zugleich zum bayerischen Staatsexamen und zu Bachelor- und
Masterabschlüssen führen muss, sind in den idealtypischen Studienplänen alle drei Abschlüsse dargestellt,
demzufolge auch die Lehramtstracks der Bachelor- und der Masterphase.
118
Abb.5: Idealtypischer Studienplan (KU Eichstätt): Lehramt Gymnasium
Im Lehramtstrack gebündelt sind fachdidaktische Module (dunkelgrün und dunkelblau),
erziehungswissenschaftliche (gelb) und Praxismodule (fleischfarben), dazu Wahl-(pflicht)module zur Profilbildung (rosa und violett). Diese Module stehen nicht nur untereinander in
einem den Aufbau einer Querschnittskompetenz unterstützenden Zusammenhang und in einer
aufeinander
bezogenen
Abfolge.
Zusätzlich
besteht
eine
Korrelation
zu
den
fachwissenschaftlichen Modulen der beiden studierten Fächer (hellgrün und hellblau).
Der Lehramtstrack bildet somit die strukturelle Grundlage des Aufbaus von Lehrerkompetenz
als Querschnittskompetenz. Seine Visualisierung in den idealtypischen Studienplänen richtet
sich an Dozenten wie Studierende, um die im Alltag meist auf Semester bezogenen
Entscheidungen in den Kontext des vernetzten Aufbaus von Lehrerkompetenzen zu stellen.
6.3 Konkrete Maßnahmen zur Entwicklung von Lehrerkompetenzen als
Querschnittskompetenz
119
Der Aufbau von Querschnittskompetenzen soll dadurch gefördert werden, dass einzelne
Module aus unterschiedlichen Säulen (der studierten Fachwissenschaften, Fachdidaktiken,
Teildisziplinen der Erziehungswissenschaft) miteinander vernetzt werden. Die Realisierung
kann unterschiedliche Formen annehmen und kann z.B. als explizite Abstimmung in der
Planung erfolgen, als phasenweise Kooperation, als Teamteaching oder als Coaching on
demand. Die Maßnahmen werden an Modulen des oben abgebildeten Lehramtstracks
verdeutlicht und beziehen sich auf unterschiedliche der von der KMK definierten
Handlungsfelder.
6.3.1
Handlungsfelder
Unterrichten
und
Erziehen
–
Förderung
der
Querschnittskompetenzen mit Hilfe der Praxismodule
Im Praxismodell der KU (vertiefende Ausführung in Kapitel B II Das Praxiskonzept in
Lehramtplus zur Förderung des Verständnis als Scientist Practioner) belegen Studierende der
Lehrämter Gymnasium und Realschule drei Praxismodule, Studierende der Lehrämter Grundund Mittelschule belegen vier Praxismodule.276 Die Praxisphase beginnt mit dem Modul
Blockpraktikum, das einen erziehungswissenschaftlich-pädagogischen Schwerpunkt hat und
vor allem Schüler und Lehrer als Personen und Persönlichkeiten ins Zentrum rückt. Die
nachfolgenden Praxismodule Unterrichten 1 und 2 sind stärker fachbezogen. Kinder und
Jugendliche als Adressaten bleiben dabei im Blick. Sie werden sowohl als Teil des
Klassenverbands und als Klasse im Ganzen betrachtet als auch als Individuen, allerdings geht
es nun im Speziellen um die Förderung der Schülerinnen und Schüler in ihren fachlichen
Kompetenzen.
In den Praxismodulen sollen Lehramtsstudierende dabei gefördert werden, Wege
kennenzulernen und zu erproben, um Lernende277 zu fördern, z.B. dabei unter Nutzung
fachlicher Einsichten die Welt, oft aber auch sich selbst und die anderen besser zu verstehen.
So kommen Motive zum Tragen, die in der auf Seneca zurück zu führenden Sentenz „Non
scholae sed vitae discimus“ gefasst sind, und im Paradigma der Kompetenzorientierung als
Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften verstanden werden, die dazu befähigen, mit den
276
Das nur für angehende Grund- und Mittelschullehrer vorgeschriebene Modul „zusätzlich studienbegleitendes
Praktikum“ zielt darauf, die Kompetenzen für Unterrichten und Erziehen in den Schularten mit
Klassenlehrerprinzip zu unterstützen. Grund- und Mittelschulpädagogik als Spezialdisziplinen sind gefragt, die
Vernetzung vorrangig mit den Fachdidaktiken herzustellen.
277
Unter Lernenden werden Kinder und Jugendliche in der Schule, aber auch Erwachsene verstanden; es liegt
also das Konzept des Lebenslangen Lernens zugrunde.
120
immer neuen Situation des Lebens umzugehen – verantwortlich und so, dass das eigene
Leben im Großen und Ganzen als sinnvoll und lebenswert wahr genommen werden kann.
Folgend wird an zwei Beispielen konkretisiert, wie mit Hilfe der Praxismodule ein Beitrag
zum vernetzenden Aufbau von Querschnittskompetenzen geleistet werden soll.
6.3.1.1 Kooperation der Fachdidaktiken in den Praxismodulen Unterrichten 1 und 2
Die Praxismodule Unterrichten 1 und 2 bestehen jeweils aus drei Veranstaltungen, einem
Schulpraktikum und jeweils zwei fachdidaktischen Praxisseminaren. Dieser Modulaufbau lädt
die Fachdidaktiken dazu ein, die Praxisseminare miteinander zu vernetzen, indem z.B. die
Gesamtplanung abgesprochen wird, über die Konzepte der Kompetenzförderung und/ oder
des Verständnisses von gutem Unterricht sowie über Fragen der progressiven Entwicklung
von Unterrichtskompetenz diskutiert wird, fachübergreifende Gemeinsamkeiten und
fachspezifische Besonderheiten herausgearbeitet werden oder auch nur die für die
Unterrichtskonzeption zugrunde gelegten Artikulationsmodelle abgesprochen werden. Die
geschilderten Beispiele zielen auf den querschnittlichen Aufbau von Unterrichtskompetenz.
Die Auseinandersetzung mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden wird nicht von den
Studierenden allein erwartet, sondern erfolgt unter Beteiligung der beiden Dozenten, im
Idealfall auch unter Einbezug der Praktikumslehrkräfte.
Der Abstimmungsprozess kann durch das Lehrerbildungszentrum unterstützt werden, z.B.
durch die Einrichtung einer Arbeitsgruppe Praktikums-Standards und durch informellere
Formen (wie z.B. die Einladung zum monatlichen Praktikumscafé). Im Eichstätter Fall konnte
für die Praktikumsgestaltung noch der Modellversuch KOOPeration Erste und Zweite Phase
Lehrerbildung genutzt werden (vgl. 2. Modellversuch „KOOPeration Erste und Zweite Phase
Lehrerbildung“). Dort wurden Praxisseminare mit kontinuierlichem oder phasenweisem
Teamteaching des Fachdidaktikdozenten mit Seminarlehrkräften oder Praktikumslehrkräften
entwickelt. Dabei geht es nicht nur um eine Personifizierung des Theorie-PraxisZusammenhangs und dessen Aushandlung mit und vor den Studierenden, sondern auch
darum, an konkreten Fällen der Unterrichtsplanung oder -reflexion zu zeigen, dass fachliche
wie fachdidaktische Kompetenzen Fundamente für die Entwicklung der querschnittlichen
Unterrichtskompetenz sind – sowohl aus Sicht der Lehrkräfte als auch aus Sicht der
Universität. Analog bietet sich Teamteaching von Erziehungswissenschaftlern und
Fachdidaktikern
an.
Ziel
wäre
es,
die
Kompetenzentwicklung aufeinander zu beziehen.
121
überfachliche
und
fachbezogene
6.3.1.2 Förderung der Querschnittskompetenzen über alle Praxismodule hinweg
Liegt der Fokus nicht auf einzelnen Praxismodulen, sondern auf der gesamten Praxisphase
geht es nicht mehr nur darum zu verdeutlichen, dass für das Unterrichten fachlichfachdidaktische Querschnittskompetenzen notwendig sind, sondern auch darum zu zeigen,
dass in den Unterricht auch die weiteren Handlungsfelder (Erziehen, Beraten/ Beurteilen,
ggfs. Innovieren) hineinreichen. Weil im Unterricht immer wieder Erziehungssituationen von
Bedeutung
sind,
müssen
Kompetenzen
aus
den
unterschiedlichen
unter
Erziehungswissenschaften subsumierten Disziplinen aktiviert werden – neben den für die
fachliche Planung, Durchführung, Reflexion und Beurteilung von Unterricht notwendigen
fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kompetenzen.
In den Praxismodulen dürfte es die Regel sein, dass innovative Unterrichtsmaßnahmen
thematisiert werden. Auch sie beziehen sich nur selten auf eine der Säulen allein. Dies gilt
insbesondere, wenn ein Zusammenhang zum lebensweltlich/ gesellschaftlich geforderten
Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung realisiert werden soll. Die nachfolgende
Grafik verdeutlicht die mit Hilfe der Praxismodule intendierte Vernetzung des Studiums:
Abb. 6: Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenz (Waltraud Schreiber)
122
Um die Studierenden dabei zu fördern, die Entwicklung ihrer Unterrichtskompetenz während
des Studiums besser wahrzunehmen, kann es hilfreich sein, wenn sie ein Gesamtportfolio
über alle Praxismodule hinweg führen. Die Aufgaben für die einzelnen Module sollten darauf
zielen, die Progression über die Semester hinweg sichtbar zu machen, was die zunehmende
Fähigkeit zur querschnittlichen Vernetzung einschließt. Dem dient die Sammlung der
Lehrmaterialien der einzelnen Dozenten, auf die sich die (im Idealfall seminarübergreifend
erfolgende) Reflexion des Zusammenhangs über die Fachgrenzen hinweg ebenso beziehen
kann,
wie
die
innerdisziplinäre
Herausarbeitung
einer
zunehmend
komplexen
Unterrichtsplanung und Reflexion (z.B. in Bezug auf die fachlichen Ziele, die
fachspezifischen Methoden, die fachbezogenen Unterrichtsmethoden, die individuelle
Förderung, die zieldifferente Arbeit am gemeinsamen Gegenstand und deren spätere WiederZusammenführung zu einer Einheit).
6.3.2
Handlungsfelder
Unterrichten/
Beraten
–
Förderung
der
Querschnittskompetenzen mit Hilfe von Kombimodulen
Kombimodule werden von Vertretern unterschiedlicher Disziplinen gemeinsam verantwortet.
Näher vorgestellt wird im Folgenden ein von Fachwissenschaft und Fachdidaktik angebotenes
Kombimodul. Andere Universitäten278 haben gute Erfahrungen z.B. mit Kombimodulen unter
der Beteiligung von Psychologen (Diagnostiker) und Fachdidaktikern gemacht: Gemeinsam
wird die Fähigkeit von Studierenden unterstützt, die Ausgangslage von Schülern in
heterogenen Klassen zu diagnostizieren.
Das im Folgenden näher vorzustellende Kombimodul bezieht sich auf Geschichte; kombiniert
wird ein fachwissenschaftliches Hauptseminar mit einem Seminar zur fachdidaktischen
Reflexion. Das Kombimodul kann als Wahlpflichtmodul in der Schlussphase des
Bachelorstudiums gewählt werden. Als Bezugspunkt wurde ein fachwissenschaftliches
Hauptseminar gewählt, weil es Studierenden wie Referendaren offensichtlich schwerfällt,
einen Zusammenhang zwischen der dort stattfindenden vertieften forschungsnahen
Auseinandersetzung mit einem Thema zum Unterricht herzustellen.279 Beklagt wird häufig,
dass die fachwissenschaftlichen Hauptseminare viel zu speziell für Lehramtsstudiengänge
278
Versuche laufen u.a. an nordrhein-westfälischen Universitäten, weil dort ein Diagnostik-Modul zu den
berufsspezifischen Modulen gehört, die von allen Lehramtsstudierenden absolviert werden müssen.
279
Dies war eines der Ergebnisse der Referendarsbefragung im Modellversuch KOOP I. und II. Phase.
123
seien und dass die dort bearbeiteten Themen im Unterricht nicht aufgegriffen werden
könnten.
Die Relevanz von Hauptseminaren für das Lernen im Geschichtsunterricht wird sofort
deutlich, wenn nicht das Thema im Zentrum gesehen wird, sondern die am Thema erfolgende
Kompetenzentwicklung. In der fachdidaktischen Lehrveranstaltung werden die Studierenden
deshalb u.a. dabei unterstützt, ihr eigenes Lernen im Hauptseminar zu reflektieren und z.B. zu
erkennen, inwiefern und in welchen Bereichen sie ihre fachlichen Kompetenzen
weiterentwickelt haben. Dafür ist es hilfreich, das geförderte historische Denken entlang eines
Kompetenzstrukturmodells zu systematisieren. Für die folgenden Erläuterungen wird das
unter Eichstätter Koordination erarbeitete Modell der FUER-Gruppe zugrunde gelegt. In
diesem Modell werden die Kompetenzbereiche für das historische Denken aus dem Prozess
historischen Denkens hergeleitet.280
Die Einsichten in das eigene Lernen
können die Studierenden nutzen, um das im
Geschichtsunterricht stattfindende Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler besser zu verstehen
und gezielter zu begleiten.281 Von besonderer Bedeutung ist z.B. die Reflexion darüber,
inwiefern die Auseinandersetzung mit dem Thema des Hauptseminars zur historischen
Orientierung der Studierenden beigetragen hat: Der Fokus kann auf ein tieferes Verstehen der
Epochenspezifik, ihrer Voraussetzungen und Folgen liegen; es können Entwicklungen in der
Vergangenheit betrachtet werden, Gegenwärtiges aus seinem Gewordensein erklärt werden,
historisch
fundierte
Zukunftserwartungen
formuliert
bzw.
der
Beitrag
von
Vergangenheitsdeutungen für zukunftsorientierte Handlungsdispositionen bedacht werden
oder über (scheinbar) überzeitlich Gültiges reflektiert werden.
Regelmäßig werden im fachdidaktischen Seminars auch Methodenfragen ins Zentrum
gerückt: Reflektiert werden die Antwortsuche (z.B. unter Bezug auf die im Hauptseminar
gehaltenen Referaten), die dabei genutzten Materialien und die für deren Erschließung
280
Vgl. Schreiber et al. 2006; Körber, A., Schreiber, W. & Schöner, A. (2007). Unterschieden werden als
procedurale Kompetenzbereiche das Umgehen können mit historischen Fragen, mit historischen Methoden und
mit Möglichkeiten der historischen Orientierung. Die historische Sachkompetenz, der vierte Kompetenzbereich,
ist in der vorfindlichen Entwicklung der Ausgangspunkt für den historischen Denkprozess; im Denkprozesse
entwickelt sie sich (idealtypisch gesehen) weiter.
281
Am Beispiel eines Hauptseminars zum mittelalterlichen Siechenhaus in Eichstätt werden die Studierenden im
ersten Schritt angeregt, sich bewusst zu machen, was konkret eigene Denkprozesse ausgelöst hat, was für sie
selbst „bedeutsam“ war. Es geht darum, die im Hauptseminar thematisierten Fragestellungen für sich selbst auf
einen Punkt zurückzuführen, der irritierend war, anders als erwartet, der das Interesse an Zeitspezifischem
geweckt hat oder auf überzeitlich Relevantes verwiesen hat. (Vgl. Bräuer, B., Schreiber, W. (2016).
Orientierungsgelegenheiten. Theoriebildung für gemeinsames Geschichtslernen in inklusiven Klassen. In: C.
Kühberger, C. Schneider, R. (Hrsg.) (in Vorbereitung, erscheint 2016), Inklusion im Geschichtsunterricht. Der
Schulbezug besteht darin, ausgehend von den eigenen Erfahrungen darüber nachzudenken, was z.B. am
Mittelalter Orientierungspotential für Schülerinnen und Schüler hat.
124
notwendigen Arbeitsweisen.282 Ein weiterer Zugriff des Didaktikseminars ist, zu bedenken,
wie mit Hilfe des Hauptseminars die eigene Sachkompetenz weiterentwickelt wurde/ werden
könnte.283
Diese Form des Kombimoduls lässt unterschiedliche Tiefen der Kooperation zu.284 Je enger
und kontinuierlicher die Kooperation der beiden Dozenten in Vorbereitung, Durchführung
und Reflexion ist desto ertragreicher ist das Kombimodul für die Studierenden. Wird z.B.
vereinbart, dass der Fachwissenschaftler seine Maßnahmen der Kompetenzförderung den
Studierenden gegenüber expliziert, verkürzt dies die entsprechenden Reflexionsphasen im
Didaktikseminar; der Schwerpunkt kann dann auf Überlegungen zur Relevanz für die
Kompetenzförderung der Schülerinnen und Schüler gelegt werden.
Teamteaching, geeignet sowohl für das Hauptseminar, für das Didaktikseminar als auch für
gemeinsam festgelegte Themen, markiert die intensivste Form der Kooperation: Ein
gemeinsames Thema (z.B. einer abschließenden Sitzung) kann etwa der öffentliche Umgang
mit Mittelalterthemen sein.285 Während der Historiker einen Mittelaltermarkt der Umgebung
insbesondere im Fokus Vergangenes analysiert, liegt die besondere Kompetenz des
Fachdidaktikers in der Betrachtung des intendierten und tatsächlichen Einflusses auf den
Rezipienten.286
Kombimodule dieser Art verfolgen immer vernetzte Ziele: Indem Studierende ihren
Kompetenzerwerb reflektieren, trägt das Modul zugleich zu einer vertieften Förderung
282
Die Quellen zum Eichstätter Siechenhaus sind bspw. nicht ediert. Was für viele Studierenden aus diesem
Hauptseminar deshalb an Zugewinn für Methodenkompetenz mitgenommen werden konnte, war die Wahl
geeigneter Archive, der Umgang mit den archivalischen „Findmitteln“, die mit ihrer Hilfe erfolgte Auswahl der
Quellen, das Lesen und Übersetzen der Archivalien, das Narrativieren der Ergebnisse. Wieder liegt der Übertrag
auf Unterricht auf der Hand: Einmal in ihrer Schulzeit sollte jede Klasse in einem Archiv arbeiten. Die eigenen
Erfahrungen von Schwierigkeiten und Lösungen sind die Grundlage für die Gestaltung einer entsprechenden
Unterrichtssequenz.
283
Die Reflexion über den Aufbau der eigenen Sachkompetenz kann wiederum als Bezugspunkt genutzt werden,
um darüber nachzudenken, wie Schülerinnen und Schüler im Ausbau ihrer historischen Sachkompetenz
gefördert werden können. Ein Ansatzpunkt ist, am Fall (hier: des Siechenhauses) „Kernkonzepte“ (hier: einer
mittelalterlichen Gesellschaft) auszudifferenzieren, zu klären, inwiefern sich am Eichstätter Fall Besonderheiten
kategorial erfassen lassen oder zu fragen, welche späteren Entwicklungen strukturell bereits angelegt sind (hier
z.B. bezogen auf Armenfürsorge, Krankheitswesen oder Altersvorsorge).
284
Das unterste Ende stellt dar, dass der Fachwissenschaftler sein Modul für Besuche des Fachdidaktikers öffnet
und dass er einverstanden ist, dass die Prüfungsleistung des Kombimoduls im Didaktikmodul erbracht wird.
Selbst das ist nicht selbstverständlich: Es ist an deutschen Universitäten durchaus unüblich, Kollegen die Tür zu
öffnen, ihnen letztlich nahe Einblicke in die Gestaltung z.B. des Hauptseminars zu eröffnen.
285
Dass Historiker gesellschaftlich Verantwortung übernehmen, indem sie sich mit geschichtskultureller
Erzählungen auseinandersetzen, insbesondere mit Missbrauch, der durch nicht plausible Vergangenheitsbezüge
entstehen kann, wird gerade im Zusammenhang mit dem „heritage of War“ verstärkt angemahnt. Vgl. z.B.
Kuhn, K. J., Ziegler, B. (2013). Tradierungen zur Schweiz im Ersten Weltkrieg: Geschichtskulturelle Prägungen
der Geschichtswissenschaft und ihre Folgen in: Schweizerische Gesellschaft für Geschichte, Heft 3, S. 505-526.
286
Im Team-Teaching erfahren die Studierenden in besonderem Maße den Mehrwert für historische
Orientierung, der darin besteht, bei der Beschäftigung mit Geschichtskultur der Alterität der betrachteten
Vergangenheit ebenso ihr Recht zu geben, wie den Besonderheiten der Gegenwart, in der auf Vergangenes
Bezug genommen wird.
125
fachwissenschaftlicher Kompetenzen bei und vermeidet Aporien einer positivistischen,
ausschließlich
vergangenheitsfokussierten
Sichtweise.
Hinsichtlich
der
Entwicklung
fachdidaktischer Kompetenzen führt das Kombimodul zu einer disziplinspezifisch fundierten
Auseinandersetzung mit Unterricht. Bezogen auf die Diskussion des öffentlichen Umgangs
mit
Geschichtskultur
werden
fachlich-vergangenheitsbezogene
Beurteilungen
und
adressatenbezogene sowie gegenwarts- und zukunftsbezogene Urteile zusammengeführt.
Kompetenzen werden im Querschnitt aufgebaut.
6.3.3
Handlungsfelder
Querschnittskompetenzen
Innovieren/
durch
Unterrichten:
fächerübergreifende
Förderung
Kooperationen
der
in
vernetzten Modulen
Zur Verdeutlichung wird auch hier ein Eichstätter Beispiel genutzt, das KUniversale
Modul.287 Das Konzept wird seit einigen Semestern von einer Arbeitsgruppe realisiert; die
konkrete Verantwortung hat jeweils ein themenabhängig zusammengestelltes Team. Anfangs
war
KUniversale
vor
allem
auf
Fachstudierende
ausgerichtet;
inzwischen
sind
Lehramtsstudierende zum Besuch eingeladen, eine Anrechnung als Wahlmodul ist auch im
Lehramtsstudium möglich.
Die nachfolgende Grafik verdeutlicht die Struktur: Es wird ein Semesterthema gewählt, das
für unterschiedliche Teildisziplinen relevant ist und sich deshalb für die Zusammenarbeit
mehrerer Disziplinen anbietet. Herzstück ist die 14-tägig stattfindende Ringvorlesung, bei der
externe und interne Referenten zu Wort kommen, um das Thema aus unterschiedlichen
Perspektiven zu beleuchten. Die Ansätze werden in unterschiedlichen Modulen aufgegriffen
und dort in Pro- oder Hauptseminaren, Projektseminaren, Lehrforschungsprojekten oder
Praxismodulen unterschiedlicher Disziplinen vertieft. Die Ringvorlesung kann sowohl zum
Bestandteil verschiedener fachspezifischer Module werden als auch „nur“ als Initiierung
dienen. Die Vorlesung selbst bzw. das Rahmenthema entspricht dem Inhalt, mit dessen Hilfe
die in den beteiligten Modulen ausgewiesenen Kompetenzen entwickelt werden. In einer
gemeinsamen Abschlussveranstaltung präsentieren die Studierenden den meist fachfremden
Kommilitonen, die jedoch durch die Ringvorlesung eine gemeinsame Basis haben, ihre
Weiterarbeit.
287
Vgl. zu diesem Modultypus das Forum K’Universale (2011). URL http://www.ku.de/kuniversale; dort sind
auch die Ideengeber und Akteure verzeichnet.
126
Abb. 7 Visualisierung KUniversale (inhaltlich: Gabriel Gien)
Um das Handlungsfeld Unterrichten „anzusteuern”, könnte die Ringvorlesung z.B. mit dem
lehramtsspezifischen Modul Unterrichten 2 gekoppelt werden. Im Praxisseminar könnte dann
die Planung eines interdisziplinäres Projekts am Inhalt der Ringvorlesung erarbeitet werden;
idealerweise würde dieses im Rahmen des Praktikums realisiert. Weil das meist überfachlich
ansetzende Konzept des projektorientierten Unterrichts in der Regel im fachdidaktischen
Aufbaumodulen erarbeitet wird, wäre auch dieser Modultypus als Partner-Modul geeignet,
wenn Unterrichtskompetenz als Querschittskompetenz entwickelt werden soll.
127
Die Erfahrung mit dem KUniversale Modul sind für angehende Lehrkräfte zudem für das
Handlungsfeld Innovieren von Bedeutung. Fächerübergreifende Zusammenarbeit zu initiieren
und so zu realisieren, dass nicht nur oberflächliches, sondern tiefes und flexibles Verstehen
angebahnt wird, ist eine der Zukunftsaufgaben von Schule. Dafür können die Erfahrungen aus
dem Modul KUniversale genutzt werden, insbesondere dann, wenn sie explizit reflektiert
werden. Die Reflexion ist zum einen das Ziel der Abschlussveranstaltung; verortet ist sie zum
anderen auch in den Partnermodulen. In besonderem Maße könnten Fächer, die mehrere
Bezugsdisziplinen haben (z.B. Heimat- und Sachunterricht; Sozialkunde, Gesellschaftslehre)
von der überfachlichen Ausrichtung der Ringvorlesung profitieren. Generell ist die
Fachreflexion ein Modultypus, der in besonderem Maße geeignet ist, in Zusammenarbeit mit
der Ringvorlesung Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenzen zu fördern.
6. 4 Resümee
Die Einsicht ergibt sich fast zwangsläufig, dass das praktische Handeln in den Feldern
Unterrichten, Erziehen, Beraten/ Beurteilen und Innovieren von den Lehrkräften verlangt, ihre
in den studierten Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften
erworbenen Kompetenzen zu vernetzen. Ein gelingender Theorie-Praxis-Bezug setzt
Lehrerkompetenzen, die als Querschnittskompetenzen entwickelt sind, voraus. Bislang wird
aber davon ausgegangen, dass die Vernetzung der getrennt entwickelten Kompetenzen Sache
der einzelnen Studierenden, Referendare und Lehrkräfte ist. Die Institutionen der
Lehrerbildung
sehen
die
bewusste
Förderung
von
Lehrerkompetenzen
als
Querschnittkompetenz noch selten als eine spezifische Aufgabe an.
Dies erstaunt, denn an der Universität ist die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit
zunehmend als Herausforderung anerkannt, die eigener Kompetenzen bedarf. In Bezug auf
Forschung wird daraus immer häufiger die Konsequenz gezogen, dass der Nachwuchs für
vernetztes Forschen gezielt vorbereitet werden muss. Dass auch der Aufbau der
querschnittlichen Kompetenzen, die Lehramtsstudierende für ihr schulisches Handeln
brauchen, gezielt gefördert werden müsste, hat sich demgegenüber weder als theoretische
Einsicht, noch in der praktischen Realisierung durchgesetzt.
Es sind deshalb best practice-Beispiele, an denen gezeigt werden muss, dass die Universität
die Herausforderung eines querschnittlichen Kompetenzaufbaus in der Lehre bewältigen
könnte.
128
•
Die strukturellen Rahmenbedingungen zu schaffen ist eine Vorbedingung, die realisiert
sein muss. Unterstützende hierfür können idealtypische Studienpläne sein.
•
Dass aufeinander abgestimmter Praxismodule einen Beitrag zur Entwicklung von
Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenzen leisten können, liegt auf der Hand. Den
Berufswissenschaften
kommt
fachwissenschaftlichen
und
beim
Zusammenführen
erziehungswissenschaftlichen
von
fachdidaktischen,
Kompetenzen
besondere
Bedeutung zu. Die in dieser Richtung bereits vollzogenen Schritte auszubauen, die
Zusammenarbeit mit dem expliziten Ziel der Vernetzung des Kompetenzaufbaus
weiterzuführen, ist hier die Herausforderung.
•
Dass Kombimodule, die Veranstaltungen aus zwei Säulen explizit aufeinander beziehen,
die querschnittliche Kompetenzentwicklung fördern könnten, wurde am Beispiel der
Kombination eines fachwissenschaftlichen Hauptseminars und eines Didaktikseminars
gezeigt, das das eigene Lernen der Studierenden reflektiert und daraus Konsequenzen für
die Förderung kompetenzorientierten Lernens im Unterricht zieht.
•
Dass eine Vernetzung von Modulen quer über viele Fächer möglich ist und Potentiale für
den querschnittlichen Kompetenzaufbau hat, wurde abschließend am Konzept einer
fachübergreifenden Ringvorlesung verdeutlicht, die auf vielfältige Weise in Bezug zu
weiteren, auch lehramtsspezifischen Modulen gesetzt werden kann.
Neue, auf den querschnittlichen Kompetenzaufbau ausgerichtete Wege in der Lehre, das
wurde deutlich, erfordern in pragmatischer Perspektive intensive Vorbereitung, profitieren
von gemeinsamer Durchführung und Reflexion. Sie müssten ebenso unterstützt und gefördert
werden wie die Vorbereitung inter- und transdisziplinärer Forschungsprojekte. Etwa müssten
die einzelnen Dozenten (z.B. durch Lehrerbildungszentren) bei der Koordination der
Zusammenarbeit unterstützt werden. Eine Deputatsanrechnung oder Leistungsprämie für die
Entwicklung neuartiger Formen der Kooperation sollte vorgesehen sein. Die Realität sieht
jedoch anders aus: Bislang kann z.B. Teamteaching in der Kapazitätsberechnung nur in
Ausnahmefällen berücksichtigt werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass dringender Bedarf besteht, sich im Zuge
einer Reform der Lehrerbildung auf unterschiedlichen Ebenen mit der Vernetzung der
getrennt aufgebauten Kompetenzen zu einer Lehrerkompetenz als Querschnittskompetenz zu
befassen. In der Praxis damit zu beginnen ist ein Weg; ihn theoretisch zu fundieren und
empirisch zu begleiten ist eine Forderung, die naheliegt.
129
B. Für Schule und Leben kompetent – aber
wie?:
Ansatzpunkte,
Herausforderungen
der
mit
den
„Reform
der
Lehrerbildung” umzugehen
Der systematisierende Überblick über die vielfältigen Herausforderungen, die in einer Reform
der Lehrerbildung zu berücksichtigen wären, hat eines verdeutlicht: Jeder Versuch, an
einzelnen Stellen anzusetzen und diese in der Hoffnung auf einen Gesamteffekt zu
optimieren, wäre ebenso zum Scheitern verurteilt wie der Plan, vorab ein Gesamtkonzept zu
entwickeln und erst danach einen strukturierten Reformprozess in Gang zu setzen. Ersteres
würde zu Flickschusterei führen, letzteres ist nicht möglich, weil Lehrerbildung nicht für sich
allein betrachtet werden kann, sondern eingebunden ist in Gegebenheiten und Prozesse, die
jenseits der Zuständigkeiten von Lehrerbildnern liegen.
Die aktuellen Reformen der Lehrerbildung sind eher mit einer Operation am offenen Herzen
zu vergleichen: Sie sind von Hemmnissen und Risiken begleiten, finden bei laufendem
Betrieb statt, schließen ein Abtasten dessen ein, was denkbar und machbar ist. Zudem: Ob der
Patient überlebt, hängt nicht nur von den Ärzten ab, sondern maßgeblich auch von der
Verfassung und Motivation des Patienten.
Die folgenden Überlegungen sind aus der Reflexion der Gesamtlage, dazu aus der mehr als
10-jährigen Erfahrung als mitverantwortlich für Lehrerbildung und für die Reform der
Lehrerbildung der 2000-er Jahre entstanden.288 Das Ziel ist es, Ansatzpunkt für die Reform
der Lehrerbildung zu formulieren, die von den einzelnen Universitäten aufgegriffen und
entsprechend
der
jeweiligen
Standortbedingungen
288
angepasst
werden
können
Die
Waltraud Schreiber war zwischen 2003 und 2015 in unterschiedlichen Funktionen für Lehrerbildung an der
Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt zuständig; Stefanie Zabold war zwischen 2008 und 2015 als
wissenschaftliche Mitarbeiterin beteiligt an einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit dem
Titel,,Lehramtplus Qualität Plus für bayerische Hochschulen und Schulen. Qualitätssteigernde Evaluierung des
Eichstätter Modellversuchs“.
130
Überlegungen sind in die Bildungsreformen des neuen Jahrtausends eingeordnet und als
anhaltender Prozess verstanden, der auf Evaluierungsergebnisse wie auf Veränderungen der
Rahmenbedingungen reagieren muss. Der Zusammenhang der universitären Lehrerbildung
mit der zweiten und dritten Phase ist mitbedacht.
Die Grundidee ist, auf eine Metaebene zu wechseln und nach Ansatzpunkten zu suchen, die es
ermöglichen, mit den vielfältigen Herausforderungen einer „Reform der Lehrerbildung”
systematisch umzugehen. Diese Ansatzpunkte müssen einige Bedingungen erfüllen:
•
Sie müssen von Bedeutung für alle an der Lehrerbildung beteiligten Fächer und
Disziplinen sein, indem sie fachbezogene und überfachliche Weiterentwicklungen
unterstützen, Perspektiven für bislang als ungelöst wahrgenommenen Probleme eröffnen,
auch bezogen auf bereits laufende Reformprozesse.
•
Sie müssen den Reformbestrebungen Halt geben, indem sie übergeordnete Zielsetzungen
markieren, die auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden können; zugleich müssen
Sackgassen erkannt und vermieden werden können.
•
Die Zahl der Anhaltspunkte muss schon aus pragmatischen Gründen begrenzt und
prägnant formuliert sein, nicht zuletzt deshalb, weil viele unterschiedliche Institutionen
und Akteure an der Planung und Realisierung der Reformen beteiligt sind.
Im Folgenden werden drei Anhaltspunkte beschrieben und exemplarisch ausdifferenziert. Es
handelt sich um den Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung, um das Konzept
„Lehrkraft als scientist practitioner” und um Evidenzbasierung durch empirische (Lehrer)Bildungsforschung. Mit den „Anhaltspunkten” für eine wirksame Reform der Lehrerbildung
wird auf die „Herausforderungen”, vor denen Reformen stehen, reagiert. Bei der Darstellung
der Anhaltspunkte werden zwar Querverweise hergestellt, Wiederholungen werden aber
möglichst gering gehalten.
I.
Ansatzpunkt:
Paradigmenwechsel
Kompetenzorientierung
131
hin
zur
1. Begründung für den Ansatzpunkt „Kompetenzorientierung”
Der in dieser Publikation bereits mehrfach zitierte Satz „Non scholae, sed vitae discimus”
verweist auf die Aufgabe der Schule, der kommenden Generation zu ermöglichen, das zu
lernen, was sie für das Leben braucht. Allerdings: In einer Zeit der Umbrüche wie der
gegenwärtigen ist schwer zu sagen, wie das Leben der Schüler einmal aussehen wird, wie sie
ihr Berufs-, Privat- und öffentliches Leben gestalten werden, wo sie es leben werden, mit
wem sie zusammenleben und -arbeiten, schließlich welche Wertehorizonte sie einmal
umgeben werden. Die Schlagworte mit denen unsere aktuelle (Lebens-)Welt gekennzeichnet
wird,289 unterstreichen die Schwierigkeit, zu antizipieren, was Schüler brauchen, um ihr
zukünftiges Leben zu meistern.290 Was aber unerlässlich ist, ist ein dynamisches Verständnis
von Bildung, einer Bildung, die befähigt, mit immer neuen Herausforderungen im Berufs-,
aber auch im Privat- und gesellschaftlichen Leben umzugehen. Mit der Vorstellung eines
„lebenslangen
Lernens“291
wird
weltweit
auf
diese
Herausforderungen
reagiert.
„Kompetenzorientierung“ ist das Konzept, das zur Operationalisierung herangezogen werden
kann.
Das hier vertretene Konzept von Kompetenzorientierung grenzt sich explizit von einer
Verengung der Kompetenzorientierung (wie des Lebenslangen Lernens) auf Ökonomisierung
ab,292 ohne zu negieren, dass Kompetenzen auch, vielleicht sogar insbesondere dann von
Bedeutung sind, wenn es darum geht, individuell wie gesellschaftlich die ökonomische
Lebensbasis zu sichern. Die Lissabon-Strategie der EU und die darauf bezogenen
Maßnahmen293 machen keinen Hehl daraus, dass sie Wirtschaft als ein entscheidendes Feld
289
Beispiele sind „Globalisierung“, „tiefgreifende politische und gesellschaftliche Umbrüche“, „Migrations- und
Fluchtbewegungen”, „Inter- und Multikulturalität“, „Heterogenität, Diversität, Inklusion”, „neue
Rollenbestimmung u.a. für Europa“, „demographischer Wandel“, „Explosion des Wissens,
Wissensgesellschaft“, „digitale und technische Revolution“.
290
Diese Argumentationslinie liegt letztlich alle Begründungen des Reformbedarfs an Schulen und Hochschulen
zugrunde. Vgl. die Ausführungen im Kapitel A I. Zwischen Schul- und Hochschulreformen: Herausforderungen
an die Lehrerbildungreform.
291
Vgl. hierzu Kapitel A III. Herausforderung: Lehrerbildung als lebenslanger Prozess.
292
Zur Kritik an einer Ökonomisierung von Bildung vgl. Kapitel A, I 1.1 Deutsche Schulreformen nach PISA
und A I 2.1 Der politische Kontext. Sie geht davon aus, dass die Reformbemühungen an Schulen und
Hochschulen, die damit verbundenen Konzepte und Maßnahmen, insbesondere auch das non-formale und
informelle Lebenslange Lernen, sich aus der Ökonomisierung der Welt erklären lassen.
293
Vgl. oben die Darstellungen zur Kontextualisierung der aktuellen Hochschulreformen, Kapitel A I. 2.1 Der
politische Kontext.
132
ansehen,
in
dem
Menschen
über
Kompetenzen
verfügen
können
müssen.
Die
Reformbestrebungen in Schule und Hochschule als „Bologna statt Bildung” bzw. „PISA statt
Bildung” abzutun, ist dadurch aber nicht gerechtfertigt. Die Empfehlungen des
Wissenschaftsrats zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt, die 2014 und in
den Folgejahren in vier Teilempfehlungen ausgesprochen werden,294 bemühen sich um einen
Brückenschlag, indem die drei Dimension akademischer Bildung, „die gemeinsam den Raum
hochschulischer
Qualifizierungsziele
aufspannen
((Fach-)Wissenschaft,
Persönlichkeitsbildung und Arbeitsmarktvorbereitung)” in allen drei Dimensionen auf die
Forderung nach „Arbeitsmarktrelevanz” des Studiums bezogen werden. Employabilitiy wird
dabei von einer auf konkrete Berufsbilder bezogenen Orientierung am aktuellen Arbeitsmarkt
(„Praxisbezüge”) ebenso abgegrenzt wie von „einem kurzfristigen und statischen Verständnis
von Beschäftigungsfähigkeit”.295
Genau mit diesem verengten Begriff argumentieren aber nicht wenige der Kritiker,296 wenn
sie z.B. behaupten, dass Praxisbezüge im Zentrum der Studiengänge nach Bologna stünde,
dass den Absolventen des gestuften Systems nicht nur Erfindergeist, sondern auch
Selbstreflexion, ja Humanität fehle,297 wenn sie Kompetenzorientierung mit den ersten
294
Es handelt sich dabei um Empfehlungen zur Gestaltung des Verhältnisses von beruflicher und akademischer
Bildung (verabschiedet am 11. April 2014), Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und
Arbeitsmarkt (verabschiedet am 16. Oktober 2015), Empfehlungen zur Rolle der Hochschulen in einer
arbeitsmarkt- und integrationsorientierten Einwanderungspolitik sowie Empfehlungen zu Ausbau und
Ausgestaltung wissenschaftlicher Weiterbildung.
295
„Mit dem Begriff der Arbeitsmarktrelevanz soll dabei die Bedeutung und die Anschlussfähigkeit des im
Studium Erlernten für die vielfältigen, sich stetig verändernden und nur bedingt vorhersehbaren Anforderungen
eines ganzen Erwerbslebens beschrieben werden (vgl. Glossar). Der Begriff Arbeitsmarktrelevanz bezieht sich
demzufolge gleichermaßen auf die Anforderungen und Bedarfe des gegenwärtigen Arbeitsmarktes wie auf die
zukünftiger Arbeitsmärkte.” Vgl. Zweiter Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften (2015), S.
39; vgl. auch das dort angesprochene Glossar: „Beschäftigungsfähigkeit (employability): Grundsätzliche
Fähigkeit am Arbeitsleben zu partizipieren. Im Hochschulkontext wird der Begriff für die Fähigkeit, eine auch
qualifikationsadäquate Beschäftigung aufzunehmen, verwendet. Beschäftigungsfähigkeit impliziert dabei nicht,
dass beim Berufseinstieg kein Bedarf einer Einarbeitung und/oder einer betrieblichen Sozialisation besteht.”
(ebd. S. 129).
296
Diese Einschätzung teilt auch die HRK: Berufsbefähigung wird in der deutschen Kritik als “Orientierung des
Studiums am Arbeitsmarkt” und einem “konkreten Berufsbezug” verstanden. Vgl. Deutsche
Hochschulrektorenkonferenz. Bericht der HRK-Arbeitsgruppe „Europäische Studienreform“ (2013). URL
http://www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/HRK_Bericht_Studienreform_01.pdf., S.10. Vgl. auch: Teichler, U.
(2009). Wissenschaftlich kompetent für den Beruf qualifizieren. Neue Anforderungen an die Lehre in Bachelorund Master- Studiengängen. Jahrestagung des HRK Bologna-Zentrums. Beiträge zur Hochschulpolitik, 1, S. 3052.
Die Behauptung eines übermächtigen Praxisbezugs lässt sich nicht nur anhand der Lehramtsstudiengänge
widerlegen, sondern mehr noch anhand der in Bezug auf die fachwissenschaftliche Ausbildung oft mit dem
Lehramtstudium polyvalenten Fachstudiengänge (vgl. die Hinweise unter Polyvalenz in Kapitel A. IV 3.2
Polyvalente Nutzung fachwissenschaftlicher Module. Strukturelle Überlegungen).
297
Schon Schiller unterscheidet in seiner Antrittsvorlesung in Jena vom 26. Mai 1789 zum Thema „Was heißt
und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ Brotgelehrte und philosophische Köpfe.„Wo der
Brodgelehrte trennt, vereinigt der philosophische Geist. Frühe hat er sich überzeugt, daß im Gebiete des
Verstandes, wie in der Sinnenwelt, alles in einander greife, und sein reger Trieb nach Uebereinstimmung kann
sich mit Bruchstücken nicht begnügen. Alle seine Bestrebungen sind auf Vollendung seines Wissens gerichtet;
seine edle Ungeduld kann nicht ruhen, bis alle seine Begriffe zu einem harmonischen Ganzen sich geordnet
133
Versuchen einer auf das Kognitive verengten Kompetenzmessung identifizieren,298 wenn die
Aufhebung der Einheit von Forschung und Lehre als Konsequenz aus Bologna behauptet
wird. Die Kritik an der deutschen Debatte teilt auch die HRK. „Bologna” werde mit anderen
Themen vermengt,299 in Kritik stehe insbesondere die spezifische Art der deutschen
Umsetzung. Diese aber ist von den deutschen Universitäten bzw. Institutionen wie den
Ländern, dem Bund (u.a. vertreten durch das BMBF), der KMK, aber auch der HRK selbst zu
verantworten, insofern auch veränderbar.
haben, bis er im Mittelpunkt seiner Kunst, seiner Wissenschaft steht, und von hier aus ihr Gebiet mit
befriedigtem Blick überschauet.” (Zitat aus: Schiller, F. (1798). „Was heißt und zu welchem Ende studiert man
Universalgeschichte?“.
URL
https://de.wikisource.org/wiki/Was_hei%C3%9Ft_und_zu_welchem_Ende_studiert_man_Universalgeschichte%
3F.)
„Brotgelehrte” wie „philosophischen Köpfe” gibt es selbstverständlich auch heute unter unseren Studierenden.
Die philosophischen Köpfe zu erkennen und zu fördern ist Aufgabe jedes Dozenten. Richtig verstandene
Kompetenzorientierung, die immer auch individuelle Förderung umfasst, fordert dies geradezu ein. Ein auf
akademische Bildung ausgerichteter Qualifikationsrahmen sollte „philosophische Köpfe” sogar als
Qualifikationsziele ausweisen. Dies widerspricht dem Nebenziel einer allgemeinen Berufsbefähigung
keinesfalls, bei dem es durchaus auch um Überschauen und Zusammenführen zugleich geht. Vgl. Bretschneider,
F. & Wildt, J. (Hrsg.) (2007). Handbuch Akkreditierung von Studiengängen. Eine Einführung für Hochschule,
Politik und Berufspraxis. Bielefeld: Bertelsmann; insbesondere Akademisches Lernen: Employability und
Citizenship S. 45-47 in Wildt, J.: Vom Lehrern zum Lernen, ebd. S. 44-54. Zudem werden in den zentralen
Grundlagendokumenten der EU Employability und Citizenship immer als Paar ausgewiesen.
298
Wieder soll die anfängliche Verengung bei der Kompetenzmessung keinesfalls negiert werden. Sie wird aber
deutlich als bewusste Reduzierung auf das mit derzeitigen Methoden messbare ausgewiesen. Vgl. die Hinweise
zum Schwerpunktprogramm Kompetenzmessung der DFG: „Für die Forschungsarbeiten im SPP wurde eine
vergleichsweise enge Definition des Kompetenzbegriffs gewählt, um auf dieser gemeinsamen Basis theoretische
Modelle und psychometrische Messverfahren entwickeln zu können. Kompetenzen sind im SPP definiert als
„kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in
bestimmten Domänen beziehen“ (Klieme/Leutner 2006, S. 879). Sie werden durch Erfahrung und Lernen
erworben und können durch institutionalisierte Bildungsprozesse beeinflusst werden.” (Vgl. Klieme, E., Leutner,
D. & Kenk, M. (2010). Kompetenzmodellierung Eine aktuelle Zwischenbilanz des DFGSchwerpunktprogramms. Einleitung zum Beiheft. Zeitschrift für Pädagogik, 56, S. 10).
Die Bemühungen um eine Erweiterung des Kompetenzverständnisses und der entsprechenden Mess-Instrumente
lassen sich an den Förderprogrammen der nationalen und internationalen Drittmittelgeber ablesen. Vgl.
exemplarisch die BMBF-Richtlinie zur Förderung von Forschungsvorhaben zur kulturellen Bildung. URL
https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung.php?B=1094
und
Förderlinie
der
Volkswagen-Stiftung Mixed Methods in den Geisteswissenschaften? Vgl. Förderlinie der Volkswagen-Stiftung.
URL https://www.volkswagenstiftung.de/de/mixedmethodsgeisteswissenschaften.html.
299
Als Themen, mit denen die „eigentlichen Bologna-Ziele (u.a. ein zweistufiges System von
Studienabschlüssen, die leichter anzuerkennen und besser vergleichbar sind, die Beseitigung von
Mobilitätshemmnissen, die europäische Dimension in der Hochschulausbildung und ihrer Qualitätssicherung)“
vermischt werden, werden genannt: Hochschuldidaktik, Hochschulfinanzierung, Programmakkreditierung,
Differenzierung der Hochschullandschaft oder wachsende Diversität der Studierenden. Vgl. Deutsche
Hochschulrektorenkonferenz. Bericht der HRK-Arbeitsgruppe „Europäische Studienreform“ (2013).
134
2.
Das
zugrunde
gelegte
Kompetenzverständnis
(Kompetenzorientierung 2.0)
Im deutschen Sprachraum wird den Überlegungen zur Kompetenzorientierung im
Bildungsbereich vielfach die Kompetenzdefinition Franz Weinerts zugrunde gelegt:
„Kompetenzen sind „die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren
Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit
verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und
Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und
verantwortungsvoll nutzen zu können.“ 300
Allerdings erfolg(t)en, wie auch im Kontext der geäußerten Kritik eben noch festgestellt,
insbesondere bezogen auf die Kompetenzmessung, Verengungen auf kognitive Fähigkeiten.
Demgegenüber wird im Folgenden die Definition bewusst in ihrer ganzen Breite verstanden.
Um eine einfache Unterscheidung sicher zu stellen, wird das breite Kompetenzverständnis als
Kompetenzorientierung 2.0 umschrieben.
Im Zentrum steht der Outcome, also das, worüber Menschen verfügen können, wenn sie
Bildungsprozesse durchlaufen haben, damit sie lebensweltlich oder berufsweltlich oder
gesellschaftlich erfolgreich und verantwortlich mit für sie neuen, problemhaltigen Situationen
umgehen können. „Verfügen-Können“ umfasst auch „Erweitern-“, „Modifizieren-“ und
„grundlegend
Verändern-Können
und
-Wollen“.301
Als
Indikator
für
entwickelte
Kompetenzen kann die Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft angesehen werden, mit
Unsicherheiten umzugehen302 und sich dabei zum einen auf bereits vorhandene Kompetenzen
beziehen zu können, zum anderen auf die Kompetenz, diese zu erweitern und zu ergänzen.
300
Vgl. Weinert, F. E (2001). Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene
Selbstverständlichkeit. In F. E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen (S. 27f.). Weinheim u.a.: Beltz.
301
Vgl. hierzu, bezogen auf historische Kompetenzen, z.B. Körber, A., Schreiber, W. & Schöner, A. (2007).
302
Der Umgang mit Unsicherheiten als Operationalisierung von Kompetenz wird zum einen in überfachlichen
Hinsichten thematisiert (vgl. Bartosch U.: Kompetenzen und Kompetenzbildung für helfende Berufe, in:
Studientext aus der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden, 2 (2010), S.1-12; Bartosch, U.
(2010a). Die Europäisierung der Hochschullandschaft und die Einführung von Qualifikationsrahmen.
Erziehungswissenschaft. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), 21, 41,
S. 73-91, S. 1-44; Pollak G., (2000). Bemerkungen zu einem zeitgemäßen Bildungsbegriff – aus der Sicht des
nicht unproblematischen Bildungsbegriffes der Erziehungswissenschaft. Politische Studien. Zweimonatsschrift
für Politik und Zeitgeschehen, 51, 369, S. 92-100. In fachlicher Wendung werden „Unsicherheiten” und der
Umgang mit ihnen näher gefasst. (Vgl. Bräuer, B & Schreiber, W. (2016).
135
Mit Hilfe der Kompetenzorientierung 2.0 können Bildungssysteme, vom Kindergarten bis zu
den Hochschulen, auf die Herausforderungen reagieren, vor denen sie stehen: Unter anderem
geht es darum, die Lernenden als Akteure ihrer Kompetenzentwicklung anzusehen und
deshalb (nicht nur idealtypisch) ihre jeweiligen Ausgangslagen und Lernvermögen, vor allem
aber auch die Lebenssituationen, für die sie lernen, zu berücksichtigen. Für Kindergärten und
Schulen gewinnen damit Diagnostizieren und (individuelles) Fördern303 an Bedeutung. Wenn
das Fördern von Kompetenzentwicklungen und das Erkennen erreichter Entwicklungsstände
an die Stelle eines Lehrens vorgegebener Canones für homogene Lerngruppen tritt, verändert
sich zwar die Aufgabe für Lehrkräfte. Ihre herausragende Rolle für das Lernen ihrer Schüler
wird dadurch aber noch deutlicher.304
Mit den geänderten Anforderungen an die Lehrkräfte kommen neue Ansprüche auf die
Universitäten und die anderen Institutionen der Lehrerbildung zu. In der gemeinsamen
Erklärung der HRK und der KMK zu Lehrerbildung für die Schule der Vielfalt vom März
2015 wurde dies von den verantwortlichen Hochschulrektoren und Kultusministern explizit
anerkannt.305 Der Bezug zum Paradigma der Kompetenzorientierung wurde dezidiert
hergestellt.306 Was bedeutet es aber für eine Reform der Lehrerbildung, Studierende als
Akteure ihrer Kompetenzentwicklung anzusehen und dabei die Lebenssituationen, für die sie
lernen, zu berücksichtigen? Nachfolgend werden zwei Konsequenzen näher ausgeführt.
2.1 Die Entwicklung von Lehrerkompetenz in horizontaler und vertikaler
Vernetzung
303
Dass einige Bundesländer deshalb Module zu Diagnose und/oder individueller Förderung, zum Umgang mit
Heterogenität und Inklusion als verpflichtend für alle Lehramtsstudierenden setzen, wurde in Kapitel A, II,
Kulturhoheit der Länder und universitäre Lehrerbildung bereits aufgeführt.
304
Auch wenn die Grundlage der Metaanalysen Hatties (ältere) Studien aus dem englischsprachigen Raum
waren, in denen das Paradigma der Kompetenzorientierung noch kaum im Zentrum stand, sind seine Ergebnisse
über die herausragende Bedeutung der Lehrkräfte gerade in diesem Zusammenhang von Relevanz: Vgl. Hattie,
J & Beywl, W. (Übers.) (2013). Visible Learning. A Synthesis of over 800 Meta-Analyses Relatedt to
Achievement. Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von "Visible Learning".
Baltmannsweiler: Schneider; Hattie, J. (2012). Visible Learning for Teachers: Maximizing Impact on Learning.
London u.a.: Routledge; (Hattie, J. & Beywl, W. (Hrsg.) (2014). Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen.
Visible learning for teachers. Baltmannsweiler: Schneider. Vgl.auch Terhart, E. (Hrsg.) (2014). Die HattieStudie in der Diskussion. Probleme sichtbar machen. Stuttgart: Klett.
305
Vgl. Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt (2015); vgl. auch die Hinweise im Kapitel A,I, 1.
306
„Lehrkräfte benötigen professionelle Kompetenzen, um besondere Begabungen oder etwaige
Benachteiligungen, Beeinträchtigungen und andere Barrieren von und für Schülerinnen und Schüler zu erkennen
und entsprechende pädagogische Präventions- und Unterstützungsmaßnahmen zu ergreifen. Die Kooperation
und Kommunikation der Lehrkräfte der verschiedenen Lehrämter, aber auch die darüber hinausgehende
multiprofessionelle Kooperation erlangen dabei zunehmend Bedeutung.” Vgl. ebd., S. 2.
136
Weil
unter
den
Herausforderungen
die
Notwendigkeit,
Lehrerkompetenzen
als
Querschnittskompetenzen zu verstehen bereits herausgearbeitet wurde,307 bedarf es an dieser
Stelle nur noch einer kurzen Zusammenfassung des Gemeinten. Die universitäre Lehre nach
dem Paradigma der Kompetenzorientierung 2.0 auszurichten meint, „Bildung durch
Wissenschaft” auch auf die (außeruniversitären) Anwendungssituation zu beziehen.308 Wenn
dort Querschnittskompetenzen notwendig sind, um bestehen zu können, gehört es zu den
gesellschaftlichen Aufgaben der Hochschulen, ihren Aufbau zu fördern. Dies gilt für
Kompetenzen zur inter- und transdisziplinären Forschung wie für die horizontale Vernetzung
von Lehrerkompetenzen. Dabei entspricht es nicht nur der nach Fächern und Professuren
gegliederten Struktur der Universitäten, vorgängig mit dem disziplinären Kompetenzaufbau
zu beginnen, sondern in den meisten Fällen auch der Logik interdisziplinärer Arbeit.
Sachlogisch begründet kann es dafür Ausnahmen geben: In den Erziehungswissenschaften
z.B. würde es sich anbieten, Grundkonzepte wie Bildung, Entwicklung, Motivation von
Anfang an im interdisziplinären Diskus zu entwickeln. Dabei können und müssen
Unterschiede, etwa zwischen pädagogischen und psychologischen Zugriffen, deutlich
gemacht und begründet werden. Die der Konstruktion der Säule Erziehungswissenschaft309
zugrunde
liegenden
Gemeinsamkeiten
könnten
in
diesem
Fall
„transdisziplinär”
herausgearbeitet werden. Das bislang ungelöste Problem der Erziehungswissenschaften des
Umgangs mit ihrer disziplinären Heterogenität310 könnte so angegangen werden.
Möglichkeiten des Aufbaus von Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenzen sind
bereits beschrieben worden; darunter, dass durch Strukturmaßnahmen und Maßnahmen der
Studiengangsorganisation
(wie
idealtypische
Studienpläne311)
der
querschnittliche
Kompetenzaufbau unterstützt werden kann. An drei Beispielen312 wurde die Bedeutung
interdisziplinäre Kooperation hervorgehoben. Lehrerbildungszentren313 wurden vorgestellt,
die in der Lage wären, mit dem Reformziel der Weiterentwicklung von Lehrerbildung im
Auge die Zusammenarbeit zwischen den Fächern zu unterstützen.
307
Vgl. A IV 6. Lehrerkompetenzen als schulisches Handeln ermöglichende Querschnittkompetenz
Vgl. hierzu die Hinweise auf die “Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmark”
des Wissenschaftsrats, insbesondere zum zweiten Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor
dem Hintergrund des demographischen Wandels: Zweiter Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von
Fachkräften (2015).
309
Vgl. hierzu Kapitel A IV 4. Erziehungswissenschaften.
310
Vgl. Kapitel A IV 4.1 Ein Strukturproblem der Erziehungswissenschaften: ihre disziplinäre Heterogenität.
311
vgl. Kapitel A IV 6.2 Strukturmaßnahmen zur Unterstützung des Aufbaus von Lehrerkompetenzen als
Querschnittskompetenzen: Ausweisen eines “Lehramtstracks”
312
Es hatte sich um die drei Beispiele Praxismodule/ Praxisphasen, Kombimodule und vernetzte Module
gehandelt.
313
Vgl. hierzu Kapitel A IV, 4.4 Lehrerbildungszentren.
308
137
An dieser Stelle bedarf es demzufolge nur noch des Hinweises auf die Rolle der vertikalen,
die
Phasen
der
Lehrerbildung
verknüpfenden
Vernetzung
beim
Aufbau
von
Lehrerkompetenzen.314 Weil Institutionen zur Zusammenarbeit gebracht werden müssen,
bedarf es hier, mehr noch als bei der horizontalen Vernetzung, der organisatorischen, aber
auch konzeptionellen Unterstützung durch die Lehrerbildungszentren.
Vertikale Vernetzungen müssen kategorial erfolgen. Dabei kann z.B. das tiefe und flexible
Wissen,315 das nach Shulman Grundlage jeder angemessenen Förderung von Schülern ist,
eine Rolle spielen, ebenso aber fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche Konzepte.
Das Ziel ist, die an der Universität erworbenen Kompetenzen als Grundlage z.B. für das
unterrichtliche Handeln in der Schule zu nutzen. Dies erlaubt es, Inhalte und
Unterrichtsthemen nicht isoliert zu sehen, sondern sie als konzeptuell zu einem
domänenspezifischen „Wissensnetz” verknüpft zu verstehen.
Lehrkräfte der zweiten und insbesondere der dritten Phase316 beim Aufbau solcher
Wissensstrukturen zu unterstützen, gehört auch zu den gesellschaftlichen Aufgaben einer
Universität, insofern sie ihr Ziel, Lebenslanges Lernen zu fördern ernst nimmt und bereit ist,
sich dabei neuen Adressaten zuzuwenden. Die HRK hat diese Aufgabe in Bezug auf eine
Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt akzeptiert.317
Damit aber die Entwicklung und Förderung eines kontinuierlichen Kompetenzaufbaus
gelingen kann, muss den (angehenden) Lehrkräften wie den für Lehrerbildung in den drei
Phasen Verantwortlichen die Kompetenzstruktur vor Augen stehen, die Lehrerkompetenzen
ausmacht. Kompetenzstrukturmodelle werden in der Regel im Zuge von Forschungsprojekten
von Wissenschaftlern modelliert. Die Modellierung des hier vorzustellenden KompetenzStrukturmodells für Lehrerkompetenzen bildet eine Ausnahme: Es wurde in Kooperation von
(Seminar-)Lehrkräften und Fachdidaktikern/ Erziehungswissenschaftlern als Theorie für die
Praxis erarbeitet.
314
Zu den Phasen vgl. Kapitel A III, „Non scholae, sed vitae discimus“: Lehrerbildung als lebenslanger Prozess
Vgl. Kap. A IV 3.1 In-Depth Content Knowledge.
316
Vgl. die Hinweise zu Fortbildung in Kapitel A III 4 Fort- und Weiterbildung: die dritte Phase
317
Die Einsicht (von Lehrenden wie Lernenden) in kategoriale Zusammenhänge und die sie strukturierenden
zentralen Konzepte erleichtert (ermöglicht vielleicht sogar) das Lernen am gemeinsamen Gegenstand für
heterogene Gruppen mit unterschiedlichen Ausgangslagen: Nur die fachlich versierte Lehrkraft - dies durch ein
kompetenzorientiertes Studium oder fachliche Weiterbildung zu fördern, ist Aufgabe der Universität - kann
Schülern mit heterogenen Ausgangslagen je individuell nutzbare Lerngelegenheiten anbieten, mit deren Hilfe
diese ihre Kompetenzen gezielt weiterentwickeln können und zugleich einen Anteil an der Erschließung des
gemeinsamen Gegenstand auch für die Klassenkameraden leisten können.
315
138
Der Darstellung der Überlegungen zum Kompetenzstrukturmodell HOLEKO wird Raum
gegeben. Vorgestellt werden einmal die Entwicklung des Modells und die Motivation, die
dahinter stand; sodann die vorgeschlagenen Kompetenzbereiche und deren strukturelle
Zusammenhänge. Im Anschluss daran werden die drei Kompetenzbereiche jeweils auf die
Phasen der Lehrerbildung bezogen, um zu zeigen, dass die Berücksichtigung der
vorgeschlagene Kompetenzstruktur einen Mehrwert für die Lehrerbildung als ganzer haben
könnte.
2.2 Lehrerbildung „holistisch“ gesehen: Ein Kompetenz-Struktur-Modell
für Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenz
2.2.1 Zur Entwicklung des Modells und zur Motivation, die dahinter stand
Die Grundlage für die ungewöhnliche Entscheidung, ein Kompetenzmodells in Kooperation
von Wissenschaftlern und Lehrkräften, als Theorie für die Praxis, zu erarbeiten, waren
Erfahrungen aus dem Modellprojekt „Kooperation Ersten und Zweite Phase”318 der KU
Eichstätt-Ingolstadt.
Es
hatte
sich
gezeigt,
dass
Dozenten
der
Fachdidaktiken/
Erziehungswissenschaften und Seminarlehrkräfte sich im gemeinsamen Austausch zwar auf
je relevante Details verständigen konnten, z.B. in Bezug auf fachliche Kompetenzen, auch auf
erziehungswissenschaftliche Kompetenzen, dass sie zu einzelnen berufsfeldbezogenen
Kompetenzen (z.B. bezogen auf den Unterricht) gemeinsame Vorstellungen entwickeln
können, auch zu wichtigen Merkmalen der Lehrerpersönlichkeit. Eine Vorstellung über eine
Kompetenz-Struktur von Lehrerkompetenzen, die das Gemeinsame all dieser Bereiche
markieren würden, gab es dagegen nicht.
Die These war aber, dass eine solche Struktur ein Fundament sein könnte,
•
um die Kompetenzentwicklung des Einzelnen „säulen”-, phasen- und handlungsfeldübergreifend aufeinander zu beziehen,
•
um eine Kompetenzförderung zu ermöglichen, die Zusammenhänge zwischen den Phasen
beachtet
und
eine
Progression
der
Entwicklung
von
Lehrerkompetenzen
Querschnittkompetenz unterstützt.
318
Vgl. Kapitel 2. Modellversuch „Kooperation Erste und Zweite Phase Lehrerbildung“.
139
als
Das Ziel war demzufolge, Kompetenzbereiche herauszuarbeiten, die für alle Säulen
(Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Erziehungswissenschaft), Handlungsfelder (Unterrichten,
Erziehen,
Beurteilen/
Berufstätigkeit)
von
Beraten,
Innovieren)
Bedeutung
sind.
und
Ferner
Phasen
(Studium,
sollten
die
zu
Referendariat,
modellierenden
Kompetenzbereiche zueinander in Bezug gesetzt werden können, weil sie nur dann eine
Struktur für Lehrerkompetenzen als Querschnittkompetenzen abbilden konnten. Dazu musste
eine „Mitte” definiert werden, ein Grundverständnis, das die Kompetenzstruktur trägt.
2.2.1.1 Methodisches Vorgehen
Beim Herausarbeiten der Kompetenzbereiche wurde multimethodal vorgegangen: Die
Zusammenarbeit im KOOP-Projekt schuf die Grundlage für das Einbeziehen der Erfahrungen
von zehn Fachdidaktikern und Erziehungswissenschaftlern aus unterschiedlichen Fächern,
dazu von ca. 30 Seminarlehrkräften aus den Schularten Grund-, Haupt-, Realschule und
Gymnasium. Auf eine Formalisierungen des Verfahrens (angeboten hätten sich DelphieMethoden oder Methoden der Expertenbefragung) wurde – im Nachhinein betrachtet leider –
verzichtet.
Das Modell wurde vielmehr in einem kooperativen Arbeitsprozess entwickelt, wobei die
Erarbeitung sich an die Prototypentheorie/ Prototypensemantik319 anlehnte. Es wurde also
nicht
eine
Festlegung
auf
eindeutige
Definitionen
versucht,
vielmehr
wurden
Kategorisierungsprozesse durchgeführt, um zu einem „Prototyp“ als „bestes Exemplar
beziehungsweise Beispiel, als bester Vertreter oder zentrales Element“ (Kleiber,
Prototypensemantik, S. 31) zu gelangen.
Zuerst wurden „prototypische Teil-Kompetenzen“ gesammelt, die für alle Phasen, alle
beteiligten Disziplinen und alle relevanten Handlungsfelder von Bedeutung sind. Dabei
wurden vorliegender Modellierungen für Lehrerkompetenzen320 einbezogen. Das Ziel war,
Merkmale der gesuchten umfassenden Kompetenz-Struktur zu identifizieren. Die „Unschärfe
319
Prototypentheorie und Prototypensemantik werden seit den 1970er Jahren von Sprachwissenschaftlern,
Psychologen und Philosophen entwickelt (vgl. u.a. die Arbeiten von Eleanor Rosch, George Kleiber, Andreas
Blank, Dietrich Busse). Bei Busse ist die Weiterarbeit in Richtung auf eine Frame-Semantik vom Bedeutung
(vgl. Busse, D. (2012). Frame-Semantik. Ein Kompendium. Berlin u.a.: De Gruyter).
320
Vgl. Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort. Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für
Erziehungswissenschaft, 9,4, S. 469–520; Klieme, E., Hartig, J. & Rauch, D. (2008). The concept of competence
in educational contexts. In J. Hartig, E. Klieme, & D. Leutner (Hrsg.), Assessment of competencies in
educational contexts (S. 3-22). Cambridge, Mass. u.a.: Hogrefe; Helmke, A. (2009). Unterrichtsqualität und
Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze-Velber: Klett,
Kallmeyer; Oser, F. (1997). Standards in der Lehrerbildung. Teil 1. Berufliche Kompetenzen, die hohen
Qualitätsmerkmalen entsprechen. Beiträge zur Lehrerbildung, 15, S. 26-37; Basel, F. (2013), S. 106-118. (Bern
2013)
140
der Kategorisierung“, die in der Prototypik steckt, wurde akzeptiert. Damit ist gemeint, dass
bezogen auf einen konkreten Fall die prototypischen Merkmale mehr oder weniger zutreffend
bzw. wahr sein können, dass aber durch den Bezug auf „Hedges“, also Eingrenzungen („zwar
gilt auch, aber...“), die Möglichkeit besteht, sich dieser Grauzonen bewusst zu werden. Dem
Vorschlag einzelner Vertreter der Prototypentheorie, die Einsicht in Grauzonen zum Prinzip
zu machen, folgten wir nicht.321 Damit ginge einher, zu sehr auf Trennschärfe und damit auch
auf Operationalisierbarkeit zu verzichten.
Die als prototypische Merkmale eingeschätzten Teil-Kompetenzen wurden schließlich zu drei
Kompetenzbereichen zusammengefasst. Für diesen Prozess der Bündelung orientierten wir
uns an den von der Inhaltsanalyse vorgeschlagenen Vorgehensweisen.322 Drei Bereiche
wurden herauskristallisiert. In den Arbeitsprozess und die als Ergebnis daraus erwachsende
Struktur wird im Folgenden ein schlaglichtartiger Einblick gegeben.
2.2.2 Zur Herausarbeitung der Kompetenzstruktur: Kompetenzbereiche
Ein erster Bereich (1) ergab sich daraus, dass die Notwendigkeit von Tiefe und zugleich
Flexibilität, die von Shulman (ursprünglich „nur” in Bezug auf fachliches Wissen) postuliert
worden war, insgesamt als zentral für als kompetent einzuschätzende Lehrkräfte angesehen
wurde. Dabei wurde herausgearbeitet
•
dass Tiefe und zugleich Flexibilität des Wissens auch in Bezug auf Fachdidaktiken und
Erziehungswissenschaften notwendig sind;
•
dass
dieses
fachliche
(also
fachwissenschaftliche
und
fachdidaktische)
und
erziehungswissenschaftliche (also pädagogische, psychologisch, kulturelle) „Wissen” nie
Selbstzweck ist, sondern dass es immer um das Verfügen-Können über dieses tiefe und
flexible Wissen, also um Kompetenz geht;
•
dass das „Verfügen über” bei Lehrkräften die einzelnen Disziplinen, auch die Säulen
Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Erziehungswissenschaft stets überschreitet; dass die
Fähigkeit zur Vernetzung also ein zentrales Element der Lehrerkompetenz sein muss;
321
Es wird z.B. vorgeschlagen, Bezug auf das Wittgensteinsche Konzept der (Familien-) Ähnlichkeiten zu
nehmen.
322
Vgl. Kuckartz, U. (2014²). Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Weinheim
u.a.: Beltz Juventa; Mayring, P. (201512). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim
2015.
141
•
dass die Fähigkeit zur Vernetzung horizontal innerhalb der Phasen und vertikal zwischen
den Phasen bestehen muss;
•
dass Vernetzung voraussetzt, zu erkennen, worin das Gemeinsame besteht, das einen
Zusammenhang herstellt;
•
dass es dabei um die Fähigkeit geht, auf zentrale Kerne zu achten, und dass diese für das
stehen, was jeweils unverzichtbar ist, wenn eine Sache, auch wenn sie in neuen,
vernetzten Kontexten steht, noch triftig erfasst werden soll.
•
Es zeigte sich schließlich, dass diese auf tiefem und flexiblem Wissen beruhende
Kompetenz zu einer Vernetzung, die auf Triftigkeit in den zentralen „Kernen” achtet,
prototypisch auch für die Auseinandersetzung mit den Handlungsfeldern selbst sind. Auch
sie müssen in ihren Strukturen und Prinzipien tief und flexibel durchdrungen werden.
Wir beschrieben den sich herauskristallisierenden Kompetenzbereich als die „Fähigkeit,
Fertigkeit und Bereitschaft, den Kern zu identifizieren”, um den es jeweils geht.
Bezogen auf das Handlungsfeld Unterrichten besteht eine Nähe zur „diagnostischen
Kompetenz”323; weil es uns um
alle Handlungsfelder gehen sollte, verwarfen wir die
Bezeichnung. Auch „Wissen”, selbst „tiefes und flexibles Wissen”, war uns zu unpräzise.
Ein zweiter Ansatz zur Bündelung von Kompetenzen (2) ergab sich für uns daraus, dass
Lehrkräfte in ihrem Berufsfeld nie für sich allein agieren, sondern immer auf andere
verwiesen und angewiesen sind. Dabei sind die Partner (Schüler, aber auch Eltern, Kollegen,
weitere Experten oder Akteure im Handlungsfeld Schule) kulturell, religiös, sozial,
ökonomisch etc. unterschiedlich geprägt. Eine Gelingensbedingung für die jeweiligen
Interaktionen sind soziale Kompetenzen. Prototypisch lassen sich dabei berufsspezifische
Ausprägungen sozialer Kompetenzen unterscheiden und von den allgemeinen, auch
lebensweltlich relevanten trennen. Die berufsspezifischen Ausprägungen sozialer Kompetenz
manifestieren sich häufig an kategorial aufeinander bezogenen Aktivitäten: Lehren und
Erziehen, Diagnostizieren und Fördern, Beurteilen und Beraten.
Lehrkräfte müssen aber nicht nur über soziale Kompetenzen verfügen. Interaktionen können
nur gelingen, wenn die Lehrkraft Kompetenzen dafür entwickelt hat, auch auf sich selbst zu
achten. Es geht damit prototypisch gesehen um personale Kompetenzen; die sich darauf
konzentrieren, was jede Lehrkraft für sich genommen ist, kann und will.
323
Zu diagnostischer Kompetenz vgl. z.B. Schrader, 1989; 2006; Hosenfeld/ Helmke/ Schrader 2002; Spinat
2005; Südkamp/ Möller/ Pohlmann, 2008.
142
In den sich und den/ die Anderen ernst nehmenden Interaktionen lassen sich zwei Ebenen
unterscheiden, die wir mit dem auf die Oberfläche konzentrierten Wahrnehmen und in die
Tiefe gehenden Reflektieren bezeichnet haben. Deshalb haben wir diesen Kompetenzbereich
schließlich
mit
der
Fähigkeit,
Fertigkeit
und
Bereitschaft
zur
Selbst-
und
Fremdwahrnehmung/-reflexion überschrieben.
Während die ersten beiden Kompetenzbereiche analytische Kompetenzen umfassen, geht es
im dritten Bereich (3) um synthetische Kompetenzen. Für die prototypische Unterscheidung
können die Synthesen nach Themen und Gegenständen, nach Adressaten und nach medialen
Präsentationsformen
wissenschaftliche
differenziert
Synthesen
Fachwissenschaft,
werden.
gefordert,
Fachdidaktik
und
An
den
bezogen
Universitäten
z.B.
auf
eine
Erziehungswissenschaft.
sind
der
Neben
vorrangig
drei
Säulen
schriftlichen
Darstellungen stehen mündlich, z.T. medial unterstützte Präsentationen und Diskussion. In
Forschungs- oder Projektseminaren, aber auch in Praxisseminaren kann die Fragestellung
auch fachüberschreitend angelegt sein oder sich auf außeruniversitäre Praxis beziehen. In der
zweiten und dritten Phase beziehen sich die Synthesen vorrangig auf die schulischen
Handlungsfelder; die Adressaten und den Gegenstand unter einem (manchmal von außen
gesetzten)
Ziel
zusammen
Unterrichtskonzepte
zu
bringen,
entwickeln
können,
ist
sie
der
Anspruch.
müssen
im
Lehrkräfte
müssen
Unterrichtsablauf,
in
Erziehungssituationen auf Unerwartetes reagieren können, sie müssen Strategien der
Gesprächsführung parat haben und sie im Gespräch mit Schülern, im Elternkontakt wie im
Kontakt mit Vorgesetzten modifizieren können, etc.
Gemeinsam ist, dass die Synthesen den zugrunde liegenden Frage-/Problemstellungen gerecht
werden müssen und die Wahl der Darstellungsweise auf Adressaten und Situationen
abgestimmt sein muss. Deshalb basieren sie auf den Ergebnissen der Analysen. Weil die
geforderten Synthesen unterschiedliche mediale Formen annehmen können, müssen
Lehrkräfte auch Medienkompetenzen ausgeprägt haben.
Beschrieben haben wir diesen Kompetenzbereich mit der „Fähigkeit, Fertigkeit und
Bereitschaft zu situationsspezifischen Syntheseleistungen” aller Art.
143
2.2.3 Strukturelle Zusammenhänge
An dieser Stelle soll überprüft werden, inwiefern eine Modellierung gelungen ist, die
strukturelle Zusammenhänge zwischen den Kompetenzbereichen sichtbar macht. Nur dann
erfüllt sie das Ziel, Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenz zu erfassen.
Damit von einer Kompetenz-Struktur für Lehrerkompetenzen die Rede sein kann, muss das
Berufsfeld Schule die Mitte bilden, auf die die Kompetenzbereiche bezogen sind. Wir gingen
davon aus, dass die Kompetenzen der Lehrkräfte letztlich auf das Ziel gerichtet sind, Kindern
und
Jugendlichen
handlungsfähigen
Bildungsprozesse
und
zu
ermöglichen,
verantwortungsbereiten
Menschen
die
sie
machen,
zu
kompetenten,
die
mit
den
Herausforderungen, Chancen und Problemen ihrer Welt umgehen können. Dies hat Folgen
für das Kompetenzverständnis in den einzelnen Bereichen:
•
Das tiefe und flexible Wissen, die Fähigkeit, den Kern zu erkennen, ist in diesem Sinne
kein Selbstzweck, auch nicht „nur” Ausdruck eines wissenschaftlichen Habitus oder einer
allgemeinen Berufsbefähigung. Es ist die Bedingung dafür, Schülern dabei zu helfen, auf
ihrem jeweiligen Niveau den Kern von Sachen und Themen zu erkennen und auf diesem
Wege kompetent für die Bewältigung neuer Situationen zu werden.
•
Ebenso geht es bei der Selbst- und Fremdwahrnehmung/ -reflexion nicht um den
gläsernen Menschen, sondern um die Grundlage für das Miteinanderleben und -lernen in
einer Gesellschaft der Vielfalt, die sich in der Schule, der Universität und im
Studienseminar spiegelt.
•
Auch die einzelnen Synthesen stehen nicht für sich; sie sind die Manifestation des
Umgangs mit konkreten Fragestellung. Die Sache und die, die sich mit ihr befassen
(sollen), werden dabei zusammengedacht. Die Darstellungsweise muss der Fragestellung,
dem Thema und den Adressaten angepasst sein.
•
(Angehende)
Lehrkräfte
müssen
für
sich
klären
können,
inwiefern
ihre
Auseinandersetzung mit bestimmten Fragestellung (einschließlich der dabei verfassten
Synthesen), sich explizit und implizit auf Schüler und die Unterstützung ihrer
Bildungsprozesse beziehen lassen.
Von einem Kompetenz-Struktur-Modell kann aber erst gesprochen werden, wenn die drei
Kompetenzbereiche nicht nur eine Mitte haben, sondern wenn sie auch in Beziehung
zueinander stehen. Wegen der Komplexität der Lehrerbildung sind die Beziehungen zwischen
den Kompetenzbereichen von großer Vielfalt. Sie können linear sein, spiralförmig, aus einem
nur aus der Situation zu erklärenden Hin- und Herwechseln bestehen, von den
Persönlichkeitsstrukturen der (angehenden) Lehrkraft abhängen etc.
144
An zwei Beispielen sei dies verdeutlicht:
•
Die Beziehung einer gerichteten Abfolge ergibt sich häufig bezogen auf das Unterrichten:
Wenn es um Fördern im Mathematikunterricht geht, muss die Lehrkraft → den Kern des
mathematischen Problems tief durchdrungen haben und so flexibel damit umgehen
können, dass sie in der Lage ist zu identifizieren, warum Schüler sich besonders leicht
oder besonders schwer dabei tun (→ Fremdreflexion), Lösungen zu finden. Die →
Kompetenzen des synthetische Kompetenzbereichs greifen auf beide Bereiche der
Analyse zurück. Die Lehrkraft stellt den Schülern dann z.B. unterschiedliche Aufgaben,
gibt abgestimmtes Feedback, hat Konzepte für angepasste Hilfeleistungen usw.
•
Diese an einen Regelkreis erinnernde Abfolge wird aufgehoben, wenn eine Lehrkraft z.B.
mit der Aufgabe betraut wird ein Schulprojekt anzustoßen. Hier kann → Selbstreflexion
den Ausgangspunkt markieren: („Zu welchen Themenbereichen fühle ich mich kompetent
genug, um offene Lernprozesse zu begleiten?“). Erweitert werden können die
Überlegungen um → Fremdreflexion („Interessiert Schüler das? Hilft es ihnen, die Welt,
sich selbst die Anderen besser zu verstehen?“) → Synthesen schließen sich an (z.B. als
Planungen, wie Schüler mit der Idee eines Schulprojekts, ggfs. zu den überlegten Themen,
konfrontiert werden, wie sie an der Ausarbeitung beteiligt werden). Erst nach einer von
den Schülern mitbestimmten Themenwahl geht es darum, → denkbare Kerne zu
identifizieren und Fragestellungen zu formulieren. Von der Sache, dem Können der
Schüler und den einzuladenden Adressaten ausgehend werden → Präsentationsformen
vereinbart.
Tragfähig ist ein Kompetenzstrukturmodell nur dann, wenn es mit seiner Hilfe gelingt, besser
mit der dem Gegenstand Lehrerbildung eigentümlichen Komplexität umzugehen. Zum
Abschluss werden die drei Kompetenzbereiche deshalb auf die Phasen der Lehrerbildung
bezogen, um zu zeigen, dass die Berücksichtigung der vorgeschlagene Kompetenzstruktur
einen Mehrwert für die Praxis haben könnte. Zuerst werden hierfür die einzelnen
Kompetenzbereiche bezogen auf die drei Phasen getrennt voneinander betrachten. Im
abschließenden Resümee wird das Modell als Ganzes bezogen auf Lehrerbildung (als Ganze)
betrachtet. Der Mehrwert soll daran gezeigt werden,
1) dass durch den Bezug auf das Kompetenz-Strukturmodell auf die in den Phasen
jeweils bestehenden Probleme und Herausforderungen reagiert werden kann,324 dass
324
Vgl. Kapitel A IV. Herausforderung: Inhaltliche Ausgestaltung des Lehramtsstudiums angesichts der
Komplexität des Berufsfelds Schule
145
dabei die Förderung der Kompetenzentwicklung (angehender) Lehrkräfte zwar
entsprechend der spezifischen Zielsetzungen der Phasen erfolgt, zugleich aber
abgestimmt
auf
das
übergeordnete
Ziel
der
horizontalen
und
vertikalen
Kompetenzentwicklung unterstützt werden kann;
2) dass unter Bezug auf das Modell ein Zusammenhang/ eine Progression der
Kompetenzentwicklung zwischen den Phasen Grund gelegt werden kann;
3) dass die Kompetenzentwicklung durch den Bezug auf das Kompetenzstrukturmodell
zwar systematisch gefördert wird, die Weiterentwicklung zugleich aber in individuell
unterschiedlichen Weisen erfolgen kann;
4) dass mit Hilfe des Kompetenzstruktur-Modells eine zukunftsoffene Berufsbefähigung
ermöglicht wird, Lehrkräfte also dabei unterstützt werden, auf neue Entwicklungen zu
reagieren. Dafür sollen ihnen Werkzeuge an die Hand gegeben werden, die damit
verbundenen Unsicherheiten nicht als beängstigend und bedrohlich zu empfinden,
sondern als Herausforderungen, mit denen Dank der bereits vorhandenen und weiter
entwickelbaren Kompetenzen umgegangen werden kann.
2.2.4 Das Kompetenzstruktur-Modell in den drei Phasen der Lehrerbildung
2.2.4.1 Kompetenzen zur fach- und sachbezogenen Analyse – „den Kern identifizieren“
Wer den Kern identifizieren will, muss in der Lage sein,
•
das Problem, um das es geht, zu formulieren und es kategorisierend zu erschließen,
•
dies schließt in einem zweiten Schritt auch ein, über Methoden/ Verfahrensweisen
verfügen zu können, um mit dem identifizierten Kern(problem) umgehen zu können.
Dabei kann deduktiv und/ oder induktiv vorgegangen werden. Deduktiv bedeutet, dass auf
bereits erlernte Prinzipien, auf inhaltliche Kategorien und Konzepte, auf bereits bekannte
Verfahrens-Skripts zurück gegriffen wird. Dies setzt Wissen und Kompetenzen zum einen
bereits voraus, das Vorhandene wird im Prozess zum anderen aber stets auch vertieft und
modifiziert. Neben die deduktive Analyse tritt die induktive. Ihr Augenmerk liegt auf
Phänomenen, die zusätzlich zu berücksichtigen sind, die ggfs. andere Prinzipien, Konzepte,
Scipts usw. als die schon bekannten und bewährten erfordern. Wissen und Kompetenzen
werden auf dem induktiven Weg ergänzt, modifiziert, erweitert und/ oder umgebaut.
146
2.2.4.1.1 Die universitäre Erste Phase der Lehrerbildung und ihre Bedeutung für die
Kompetenzentwicklung im Bereich „Kerne identifizieren”
„Bildung durch Wissenschaft” als Ziel des Studiums (Wissenschaftsrat 2015)
Für die Hinweise zur Rolle der Ersten Phase für die Entwicklung vom Kompetenzen im
Bereich, „Kerne identifizieren” können als Referenz die aktuellen Überlegungen des
Wissenschaftsrats herangezogen werden, auf denen er seine Auseinandersetzung mit dem
„Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt” aufbaut. Er definiert als „Ziel moderner
Hochschulbildung – auf allen Studienstufen – Absolventinnen und Absolventen
hervorzubringen, für die zwei Eigenschaften konstitutiv sind: Fachwissen und -kompetenz
sowie die Fähigkeit diese auch außerwissenschaftlich anzuwenden einerseits und die
Reflexion der mit der Konstruktion und Nutzung dieses Wissens verbundenen
Bewertungsprobleme andererseits. Die Sozialisation in ein Fach ist dementsprechend erst
vollendet, wenn die Studierenden auch die theoretischen und methodischen Grenzen von
dessen Bezugssystem erkennen und damit die Bedingungen reflektieren können, die den
Disziplinen ihre historische Gestalt gegeben haben und sie fortwährend weiter formen.”325
Dieses Verständnis von Hochschulbildung ist für den Wissenschaftsrat zugleich auch als
Weiterführung des durch seine Zeitspezifik bestimmten Ansatzes der Humboldtschen Bildung
zu einem auf unsere Gegenwart bezogenen Verständnis.326 Bewusst wird deshalb die im
Neuhumanismus geprägte Idee der „Bildung durch Wissenschaft” aufgegriffen und neu
interpretiert:327 Der Wissenschaftsrat fordert die heutigen Universitäten dazu auf, allen
Studierenden Bildung durch „Teilhabe an Wissenschaft” zu ermöglichen, diese einerseits „in
eigenen Lehrformen” einzuüben, sie andererseits als Prinzip dem gesamten Studium
325
Vgl. Zweiter Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften (2015), S. 96.
Dass damit auf die Kritik der Reformgegner reagiert werden soll, die Bologna als Ende der universitären
Bildung stilisieren, ist offensichtlich.
327
Vgl. Zweiter Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften (2015), S. 42-44. Das abschließende
Resümee lautet: “Historisch hat die Praxis der deutschen Universität jedoch den Leitbildern „Zweckfreiheit“ und
„Bildung durch Wissenschaft“ niemals tatsächlich entsprochen. Die Bilder haben vor diesem Hintergrund eine
eindeutig programmatische Funktion – beschrieben wird ein Ideal der Universität, nicht ihre Realität.” (ebd. S.
44). Bezug genommen wird dabei a) auf klassische Texte (wie Fichte, J.: Deduzierter Plan einer zu Berlin zu
errichtenden höheren Lehranstalt, die in gehöriger Verbindung mit einer Akademie der Wissenschaften stehe,
1807; Schleiermacher, F.: Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn [1808], in: Weniger, E.
[Hrsg.]: Schleiermacher – Pädagogische Texte, Bd. II, 1957; Lenz, M.: Geschichte der Königlichen FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 4, 1910. Als Grundlage für Gegenargumentationen wird genutzt die Edition
Anrich, E. (Hg.): Die Idee der deutschen Universität – Die fünf Grundschriften aus der Zeit ihrer
Neubegründung durch klassischen Idealismus und romantischen Realismus, 1956). b) auf zeitgenössische
Interpretationen: Tenorth, H.-E.: Wilhelm von Humboldts [1776-1835] Universitätskonzept und die Reform in
Berlin – eine Tradition jenseits des Mythos, Zeitschrift für Germanistik 20/1, 2010, S. 15-28; Müller, E.: Vom
Nachteil des Nutzens einer Universität – Über die äußeren Bedingungen ihrer inneren Organisation, in:
Henningsen, B. (Hrsg.): Humboldts Zukunft – Das Projekt Reformuniversität, 2007, S. 77-101.
326
147
grundzulegen, so dass „Bildung durch Wissenschaft” „habitualisiert” werden kann und somit
als eine „Transzendierung der Fachlichkeit” auch auf „die Praxis der akademischen Berufe”
weiterwirken kann.328 Der dafür innerhalb der Domänen und Disziplinen notwendige
Kompetenzaufbau muss darauf zielen, ein Fundament aufzubauen, das eine nachfolgende
wissenschaftliche Spezialisierungen ebenso tragen kann wie die außerwissenschaftliche
Nutzung in immer wieder neuer (Anwendungs-)Situationen.
Die Nähe der Argumentation des Wissenschaftsrat zur Forderung Shulmans nach tiefem und
flexiblem Wissen für (angehende) Lehrkräfte, von der aus der Kompetenzbereich „den Kern
identifzieren“
entwickelt
wurde,
ist
offensichtlich.
Diesen
Kompetenzbereich
zu
berücksichtigen widerspricht also in keiner Weise den Zielen einer zeitgemäßen
akademischen Bildung.
Die Herausforderungen an eine Reform der universitären Lehrerbildung und der
Kompetenzbereich, „Kerne identifizieren zu können”
Es ist bereits an mehreren Stellen angeklungen, dass in der Förderung der (Lehramts)Studierenden, den Kern der im Studium aufgegriffenen Themen zu identifizieren, ein
zentraler Ansatzpunkt für eine outcome-orientierte Reform der Lehrerbildung besteht. Dies
wurde ausführlich in Bezug auf die Fachwissenschaften verdeutlicht329 und auf
Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften transferiert. Den Kern identifizieren zu
können,
setzt
voraus
inhaltlich-kategoriale
und
konzeptuelle
Kompetenzen
sowie
methodische und theoretische Kompetenzen so aufgebaut zu haben, dass sie flexibel genutzt
werden können – für den disziplinären Diskurs ebenso wie für den Umgang mit
außerwissenschaftlichen Anwendungsfeldern. Es wurde gezeigt, dass der Aufbau der
Kompetenzen, die notwendig sind, um „Kerne” zu identifizieren, auch im Rahmen einer
polyvalenten Ausbildung von Fach- und Lehramtsstudierenden möglich sind, sofern diese
nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Spezifika der Studiengänge beachten.330
Zur
Verdeutlichung
wird
abschießend
ein
für
den
Kompetenzaufbau
geeigneter
Studienverlauf für Lehramtsstudiengänge (idealtypisch) vorgestellt:
328
Vgl. Zweiter Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften (2015), S. 96.
Vgl. Teil A, Kapitel IV 3. Fachwissenschaften
330
Vgl. Teil A, Kapitel IV 3.2 Polyvalente Nutzung fachwissenschaftlicher Module. Strukturelle Überlegungen
329
148
•
In den ersten Semestern des Studiums muss das theoretische, inhaltliche und methodische
Verständnis der disziplinären Grundlagen systematisch aufgebaut werden; dies gilt für alle
drei Säulen. Die Angebote in den Fachwissenschaften erfolgen sinnvollerweise polyvalent
für Lehramts- wie für Fachstudierende. Es muss in allen Fällen gezielt darum gehen, die
jeweils zentralen „Kerne” so herauszuarbeiten und zu sichern, dass die Studierenden über
das Wissen „verfügen” lernen können.
•
In späteren Semestern muss sowohl im fachwissenschaftlichen Studium, als auch im
fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Studium die Möglichkeit der
forschungsnahen Vertiefung und der elaborierten theoretischen Reflexion bestehen.
Lehramtsstudierende können sonst den Habitus nicht aufbauen, der der Idee von
„Wissenschaft als Bildung” zugrunde liegt. Allerdings muss in den vertiefenden Modulen
der Aufbau der Fähigkeiten, den Kern zu identifizieren bewusst gefördert werden.
Wichtig ist dabei, dass Lehre und Forschung ihren engen Konnex nicht verlieren.
o Fachwissenschaftliche
Haupt-
und
Forschungsseminare
haben
in
der
Lehrerbildung nicht nur den Zweck, Fachwissen und Fachkompetenz auf
Masterniveau zu fördern und die Entwicklung des Habitus des Wissenschaftlers
zu unterstützen. Weil die Studienzeit kürzer ist, besteht die besondere
Herausforderung darin, in den wenigen forschungsnahen Modulen, die in einem
Lehramtsstudium gewählt werden können, (auch) zukunftsfähige Fragestellungen,
Inhaltsaspekte und Methoden zu verdeutlichen, im Idealfall an Themen, die
relevant im Forschungs- wie im gesellschaftlichen Kontext sind. So wird
exemplarisch gezeigt, dass das Verfügen-Können über das erworbene Wissen
lebensweltlich bedeutsam und zukunftsrelevant ist.331
o Die forschungsnahe Vertiefung in den Berufswissenschaften markiert das
Innovationspotential, das von Universitäten in Schulen ausgehen kann. Nur wenn
Studierende es im Kern erfasst haben, sind sie später in der Schule z.B. in der
Lage, Ansatzpunkte für die Implementation von Innovationen im Iststand der
Schulentwicklung zu erkennen, oder auch, wenn nur kleine Schritte der
Veränderung gemacht werden können, das Fernziel der angestrebten Innovation
nicht aus den Augen zu verlieren. Ein derart tiefer und flexibler Kompetenzaufbau
331
Es sei noch einmal betont, dass die Hinweise zum Studium in den Vertiefungsphasen nicht bedeuten können
und sollen, dass für Lehramtsstudierende eigene fachwissenschaftliche Masterveranstaltungen angeboten werden
müssten. Es geht vielmehr darum, dass, wenn das Ziel, die Kompetenzen den „Kern zu identifizieren” im
Rahmen eines Haupt- oder Forschungsseminars gefördert werden soll, besonders auf die Themenwahl für die
Veranstaltungen geachtet werden muss und bewusst Zeit für die Einordnung des Zugriffs und des Themas in die
Forschungslandschaft aufgewandt, die Zukunftsperspektiven der Methodenentwicklung thematisiert, die
gewählten Themen in ihrer kategorialen Anschlussfähigkeit diskutiert werden sollten.
149
kann durch geeignete Lehrformate und das Einbinden der Studierenden in
fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche Forschung unterstützt werden.
•
Um die Transferierbarkeit von Wissenschaft auf schulische Situationen Grund zu legen,
müssen im Laufe des Lehramtsstudiums auch Module, zumindest Lehrveranstaltungen
absolviert werden, in denen das universitäre Wissen aus den Fachwissenschaften,
Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften genutzt wird, um mit schulbezogenen
Situationen umzugehen. Es kann sich bei diesen Modulen um Praxismodule oder
Kombimodule handeln, wie sie im Kapitel Theorie- und Praxisbezug vorgestellt worden
sind,332 aber auch um Vertiefungsmodule aus den Berufswissenschaften (Fachdidaktik
und Erziehungswissenschaften), um fachwissenschaftliche Lehrforschungsprojekte an
schulrelevanten Themen oder um anwendungsbezogene Abschlussarbeiten für das
Bachelor- oder Masterstudium. In den Empfehlungen des Wissenschaftsrats ist von
problemorientierten bzw. forschenden Modulen die Rede. Es wird so ein Rahmen für
Formate vorgeschlagen, die die Weiterentwickung von Fachkompetenz bei gleichzeitiger
Berücksichtigung ihrer außeruniversitären Anwendung zusammenbringen. In ihnen lernen
die Studierenden exemplarisch zu erproben, was es bedeutet, den Kern der Aufgabe zu
identifizieren, methodische Festlegungen zu treffen, im Prozess das Ziel nicht aus den
Augen zu verlieren etc.
Lehramtsstudierende sollten den „Kern” ihrer Disziplinen, aber auch zentraler Inhalte so
sicher erfasst haben, dass sie z.B.
•
solche Kerne auch erkennen, wenn sie sich mit (für sie) neuen Beispielen
auseinandersetzen,
•
Unterrichtssequenzen für Schüler unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher
Lernvoraussetzungen so planen können, dass diese sach- und schülergemäß zugleich sind,
•
einschätzen können, inwiefern vorfindliche Vorstellungen ihrer Schüler das Potential
haben, weiterentwickelt zu werden bzw. nicht tragfähig sind, weil sie dezidiert in die Irre
führen.
332
Vgl. Teil A Kapitel
Querschnittskompetenz
IV 6.3. Konkrete Maßnahmen zur Entwicklung von Lehrerkompetenzen als
150
2.2.4.1.2
Die
Zweite
Phase
der
Lehrerbildung
und
ihre
Bedeutung
für
die
Kompetenzentwicklung im Bereich „Kerne identifizieren”
Wie
der
Kompetenzbereich
„Kerne
identifizieren”
durch
kontinuierliche
Kompetenzförderung dazu beitragen könnte, den Praxisschock zu vermeiden
Die der Zweiten Phase zugeordneten Ziele wurden im Kapitel lebenslanges Lernen333 bereits
herausgearbeitet: Die Referendare sollen handlungsfähig, teilweise sogar handlungssicher für
die schulischen Aufgaben gemacht werden. Deshalb sind die Referendare im zweite
Ausbildungsabschnitt dem Praxisfeld Schule zugeordnet; sie stehen so im täglichen Kontakt
mit Schülern und den anderen Partnern des schulischen Felds.
Dem Konzept der deutscher Lehrerbildung entsprechend sollte in der zweiten Phase auf die
an der Universität entwickelte Kompetenzen zurückgegriffen werden können. Dabei sollten
diese nicht nur für die Anwendungsfelder genutzt werden können, sie sollten vielmehr
zugleich im Umgang mit den neuen Aufgaben modifiziert, erweitert und ergänzt werden.
Referendare und Seminarlehrkräfte beklagen z.T. aber, dass sie einen derartigen
Zusammenhang nicht erkennen können.334
Unter Bezug auf das Konzept des „tiefen und flexiblen Wissens” nach Shulman und dessen
Weiterführung
in
ein
Kompetenzstrukturmodell
für
Lehrerkompetenzen
wurden
Ansatzpunkte vorgestellt, um von Seiten der Universität auf diese Herausforderung zu
reagieren. Wer die Universität mit dem Bewusstsein verlässt, auf das zukünftige Berufsfeld
vorbereitet zu sein, z.B. weil er/ sie inhaltlich, theoretisch und methodisch dafür gerüstet ist,
„Kerne zu identifizieren”, wer an einigen schulbezogenen Beispielen auch erprobt hat,
schulische Situationen zu bewältigen, steht neuen Herausforderungen der Schule nicht
angstvoll, sondern offen und neugierig gegenüber. Dies sollte einem „Praxisschock”
vorbeugen helfen.
333
Teil A III 3. Gut vorbereitet oder Praxisschock? Der durch Studienseminare begleitete
Vorbereitungsdienst
Vgl.
334
Vgl. die Hinweise auf den Praxisschock, z.B. in Kapitel A III 3. Gut vorbereitet oder Praxisschock? Der
durch Studienseminare begleitete Vorbereitungsdienst oder A IV 6.3.1 Handlungsfelder Unterrichten
und Erziehen – Förderung der Querschnittskompetenzen mit Hilfe der Praxismodule, Analoges
moniert auch der Wissenschaftsrat wenn er feststellt: „Vor allem die Entwicklung arbeitsmarktrelevanter
Kompetenzen geschieht in vielen Studiengängen nur teilweise explizit, zudem wird sie nur in Einzelfällen mit
den Studierenden gezielt reflektiert. Dies ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die entsprechenden
Qualifizierungsziele mitunter nur unvollständig geklärt und konkretisiert worden sind, nicht zuletzt aber auch auf
die Tatsache, dass sich die Orientierung der Lehrangebote an Kompetenzmodellen noch in den Anfängen
befindet. Den Hochschulen fehlt daher häufig die Grundlage, um gegenüber Studieninteressierten und
Studierenden, aber auch gegenüber den Arbeitgebern und der Politik offensiv und selbstbewusst darzustellen,
welche – insbesondere auch – arbeitsmarktrelevanten Kompetenzen in einem bestimmten Studiengang
entwickelt werden können und sollen.” (Wissenschaftsrat, Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung
und Arbeitsmarkt. Zweiter Teil der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des
demographischen Wandels, 16. Oktober 2015, S. 60).
151
Die Herausforderung, die sich den Studienseminaren stellt, besteht darin nicht losgelöst von
dem zu agieren, was die Referendare sich an der Universität bereits angeeignet haben. Für die
Seminarlehrkraft bedeutet „den Kern identifizieren“ deshalb insbesondere auch zu erkennen,
was die angehenden Lehrer an Kompetenzen mitbringen. Diese mögen noch nicht ausreichen,
um den Anforderungen der Schule zu genügen, vielleicht gilt es, das eine oder andere
Fehlkonzept zu verändern und für Felder zu sensibilisieren, die an der Universität bislang
nicht wahrgenommen wurden. Ohne auf das Berufsfeld Schule bezogene – oder zumindest
beziehbare – Kompetenzen kommen die Referendare aber nicht ins Studienseminar. Die
Referendare dabei zu unterstützen zu erkennen, um was es im Fachunterricht, bei den zu
bewältigenden Erziehungsaufgaben, bei einer gerechten Beurteilung „im Kern“ geht, sie
zugleich dabei zu unterstützen, sich bewusst zu werden, worauf sie bereits zurückgreifen
können und was sie neu erlernen müssen, darin besteht eine die Erstausbildung an der
Universität aufgreifende Förderung der Lehrerkompetenzen in der zweiten Phase.335
Wie die Weiterentwicklung der Kompetenzen aus dem Bereich „Kerne identifizieren”
dazu beitragen kann, Schüler zu fördern
Mittelbar
zielen
Lehrerkompetenzen
immer
auch
darauf,
Schüler
beim
Aufbau
zukunftsorientierter und flexibel verfügbarer Kompetenzen zu unterstützen.
Kompetenzen aus dem Bereich „Kerne identifizieren” können Lehrkräfte z.B. dazu befähigen,
im Falle der immer heterogenen Klassen336 das Lernen der Schüler am gemeinsamen
Gegenstand337 zu unterstützen. In diesem Falle ist es nötig, für einige Schüler weitere
Reduzierungen und Elementarisierungen vorzusehen, während für andere die Chance eröffnet
werden sollte, sich mit dem Lerngegenstand elaboriert und über das für die Klasse angestrebte
Niveau hinaus zu befassen. In beiden Fällen müssen die Referendare/ Lehrkräfte Hinweise
auf den Stand der Kompetenzentwicklung erkennen und Ansatzpunkte parat haben, wo bei
der Förderung angesetzt werden kann. In beiden Fällen ist es von Bedeutung, um die „Kerne”
der Sachen zu wissen. Dies gilt für die Referendare wie für deren Ausbilder.
335
Dies verlangt, dass Seminarlehrkräfte die „neue“ Universität kennen und dass umgekehrt die für den Aufbau
von Unterrichts- und Erziehungskompetenz vorrangig zuständigen Dozenten der Universitäten Schule
kennenlernen müssen, so wie sie heute ist (vgl. unten, C II 2. Modellversuch „Kooperation Erste und Zweite
Phase Lehrerbildung“).
336
Nicht zuletzt durch die „neue Völkerwanderung“ werden Klassen immer noch heterogener. Für deren
Bewältigung müssen die aktuellen Referendare Neues und Anderes lernen, als noch die Vorgängergeneration.
337
Feuser, G. (1989): G. Feuser: Allgemeine integrative Pädagogik und entwicklungslogische Didaktik. In:
Behindertenpädagogik, 28, 4-48; zur fachdidaktischen Modifikation vgl. z.B. Bräuer, B., Schreiber, W.:
Orientierungsgelegenheiten. Theoriebildung für gemeinsames Geschichtslernen in inklusiven Klassen, in:
Christoph Kühberger/ Robert Schneider: Inklusion im Geschichtsunterricht (angenommen).
152
Eine weitere Herausforderung besteht darin, Schüler zur vertieften Auseinandersetzung mit
den Domänen, die den Schulfächern zugrunde liegen, zu motivieren und sie für „die Sache”
zu begeistern. Dabei können Referendare auf den wissenschaftlichen Habitus zurückgreifen,
den sie sich im Studium angeeignet haben sollten. Die eigene Wissenschaftsverbundenheit
hilft, Hinweise in Schüleräußerungen zu erkennen, die auf elaboriertes Denken schließen
lassen und über Ideen zu verfügen, wie dieses entsprechend gefördert werden können.
Wie von Experten der Lehrerbildung seit langem gefordert (vgl. u.a. Terhart et al., 2004)
muss nach dem Referendariat auf die ersten Jahre der eigenverantwortlichen Berufstätigkeit
mehr Augenmerk gelegt werden, damit das in der Ausbildung erlernte Innovationspotential
für den Schulalltag nicht wie es bislang oft der Fall338 ist, verloren geht.
Hilfreich, um das an Universtäten entwickelte Innovationspotential an die Schulen zu bringen,
könnte es sein, die letzten Ausbildungsabschnitte des Vorbereitungsdienstes, in denen die
Referendare von Prüfungen entlastet sind und eigenverantwortlich unterrichten, noch einmal
für Kooperationen mit der Universität zu nutzen. Es kann dann darum gehen,
Forschungsergebnisse, z.B. aus der Unterrichtsforschung ins Zentrum zu rücken, Projekte
forschungsnahen Lernens in Zusammenarbeit mit Universitätsdozenten oder als KOOPProjekte zwischen Studierenden und Referendaren zu realisieren. Zusammenzudenken, was
„Kerne” aus der Sicht der Wissenschaft und aus der Sicht der Schule sind, sollte jeweils Teil
der Kooperation sein.
2.2.4.1.3 Die Dritte Phase der Lehrerbildung und die Bedeutung der Kompetenzen „Kerne zu
identifizieren”
Die Rolle dieses Kompetenzbereichs wird in drei Hinsichten betrachtet, zum einen bezogen
auf Fort- und Weiterbildung als originäre Aufgaben der auf diese Phase bezogenen
Lehrerbildung,339 und auf die individuelle Kompetenzentwicklung der einzelnen Lehrkraft.
Dass die Kompetenzen, den Kern zu identifizieren in Bezug auf die neuen Aufgaben, auf die
im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen vorbereitet werden sollen, von Bedeutung sind,
liegt eigentlich auf der Hand. Noch gibt es aber Weiterbildungsmaßnahmen, die vor allem auf
rechtliche Rahmenbedingungen und auf Vorschläge für den Umgang mit Praxisproblemen
338
339
Vgl. Korthagen, 2001; Hammond, 1999; Franke u.a. 2001; Torff/Warburton, 2005; Fenn, 2013.
Vgl. Teil A, Kapitel III. 4. Fort- und Weiterbildung: die dritte Phase.
153
fokussieren. Sie sollten ersetzt/ erweitert werden durch eine Grundlegung, die die Kerne um
die es geht herausarbeitet und auf eine Anbindung an bereits bestehende Kompetenz- und
Wissensbestände zielt (vgl. hierzu auch das Konzept des scientist practitioner, das im
folgenden vorgestellt wird).
Auch im Sektor Fortbildungen ist die Idee noch wenig verbreitet, zuerst den Kern des
Problems zu identifizieren, und dann Fortbildungskonzepte zu entwickeln, die darauf zielen,
vorhandene Kompetenzen aufzugreifen und auszubauen. Es gibt jedoch erste Ansätze, z.B.
wenn bei den Pflichtfortbildungen zur Einführung kompetenzorientierter Lehrpläne
unterschiedliche Formate angeboten werden (z.B. für junge Kollegen, deren Erstausbildung
nach dem Paradigmenwechsel zur Kompetenzorientierung lag und älteren Kollegen, die im
Rahmen eines früheren Paradigmas ausgebildet worden sind oder
für Lehrkräfte, die
fachfremd unterrichten und Lehrkräfte, die die Fächer studiert haben), oder wenn für
Fortbildungsreihen zu Inklusion vorab angefragt wird, welche Entwicklungsziele Schulen sich
setzen.340
Das Ziel sind Fortbildungsangebote, die den Kern dessen, um was es geht deutlich
herausarbeiten, dann die Lehrkräfte dabei unterstützen zu erkennen, inwiefern sie bereits über
Kompetenzen verfügen, und wo diese auszubauen und weiter zu entwickeln sind und dafür
gezielte Fördermaßnahmen anbieten.
Wer seine Fähigkeiten, den Kern zu identifizieren in den institutionalisierten Phasen
ausgeprägt hat, wird sie selbstverständlich auch bei der individuellen Weiterentwicklung der
eigenen Kompetenz nutzen. Er/ sie fokussiert die Aufmerksamkeit auf die Kernelemente, sei
bei der Lektüre oder andere Formen, sich auf dem Stand der disziplinären Weiterentwicklung
zu halten (vgl. z.B. die in unterschiedlichen Portalen angebotenen Erklärvideos von
zunehmender Qualität oder die Angebote von online Vorlesungen ausgewiesener Experten).
2.2.4.2 Kompetenzen zur
Selbst- und Fremdwahrnehmung und Selbst- und
Fremdreflexion
Im ersten Kompetenzbereich stand in einem weiten Verständnis die „Sache“ im Zentrum,
genauer, der Kern dessen, um was es bei den Bildungsprozessen an der Universität und in den
Schulen geht. Der zweite Kompetenzbereich fokussiert, wie einleitend bereits skizziert, die
dialogische, interaktive Seite des Lehrerseins: Damit der Austausch mit den an Schule
340
Vgl. Teil
A, III, 4.3.2 Inhaltlichkeit und Struktur der Fortbildungsangebote
154
beteiligten Personen341 gelingen kann, markieren Selbst- und Fremdwahrnehmung, darauf
aufbauend Selbst- und Fremdreflexion einen Kompetenzbereich, über den Lehrerinnen und
Lehrer ebenfalls verfügen können müssen: Die Lehrkraft muss sich mit ihren Partnern in
einen Zusammenhang bringen können. Dies umfasst z.B. die Auseinandersetzung mit den
jeweils verfolgten Absichten und Zielen, mit den jeweiligen Voraussetzungen und
Möglichkeiten, mit Persönlichkeitsmerkmalen oder Gruppenzugehörigkeiten.
2.2.4.2.1 Die Ausbildung der Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung, zur Selbst- und
Fremdreflexion an der Universität
In der universitären ersten Phase sind die Partner, mit denen die Lehrer im späteren
Berufsfeld unmittelbar zu tun haben, oft noch abstrakt (Schüler, Eltern, Kollegen,
Vorgesetzte). Real sind dagegen Dozenten, Kommilitonen aus Lehramtsstudiengängen und
anderen Studienrichtungen, Ansprechpartner aus der Verwaltung und anderen Institutionen
der Universität. Viele Situationen, in denen Selbst- und Fremdreflexion in der ersten Phase
entwickelt werden könnte, unterscheiden sich also deutlich von den Situationen des späteren
schulischen
Berufsalltags.
Dennoch
kann
eine
Sensibilität
für
Selbst-
und
Fremdwahrnehmung/ -reflexion in allen dialogischen Situationen aufgebaut werden, ebenso
die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften, sich selbst und den jeweils Anderen in ein
Verhältnis zu setzen und daraus Konsequenzen für das gegenseitige Verstehen zu ziehen. Für
eine expliziter auf Schule ausgerichtete Förderung können die sporadischen Kontakte zum
Berufsfeld Schule gezielt genutzt werden. Insbesondere die Praktika können hierfür genutzt
werden.
Ein Aspekt der Selbstreflexion, der notwendig an der Universität verortet sein muss, ist, sich
in Bezug auf die studierten Fächer über das eigene wissenschaftliche Fachverständnis und den
zu entwickelnden wissenschaftlichen Habitus klar zu werden und in einen weiteren Schritt
sein eigenes Verständnis zum Schulfach zu reflektieren. Dazu gehört auch, über die Rolle
nachzudenken, die Lehrer und Schüler im eigenen Verständnis haben.
Ein anderer Aspekt ist, sich mit sich selbst als Lernendem auseinander zu setzen (vgl. hierzu
die Erläuterungen zum Kombimodul342) und die Ergebnisse der Selbstwahrnehmung und
341
Die Partner, mit denen Lehrkräfte zu tun haben, unterscheiden sich nach den Ausbildungsphasen bzw. den
Handlungsfeldern der Schule: Dort kann es z.B. um Lehrkraft und Schüler gehen, um die (angehenden) Lehrer
und die Lehrerbildner, um Lehrkraft und deren Vorgesetzte bzw. Lehrkraft und Schülereltern oder um Lehrkraft
und Vertreter der Bildungspolitik bzw. der an Schule interessierten Öffentlichkeit.
342
Vgl. Teil A, Kapitel IV 6.3.2 Handlungsfelder Unterrichten/ Beraten – Förderung der
Querschnittskompetenzen mit Hilfe von Kombimodulen
155
Selbstreflexion als Grundlage für die auf Schüler bezogene Fremdreflexion zu nehmen.
Schließlich gilt es die Situationen zu nutzen, in denen die Studierenden sich selbst als
Lehrende (Praktika) bzw. Partner im Sachdiskurs erfahren und erproben können (u.a. bei
Referaten,
in
Lerngruppen,
in
Diskussionsrunden)
und
dabei
Selbst-
und
Fremdwahrnehmung/ -reflexion konkret aufeinander beziehen können.
In der universitären Lehrerbildung ist die Förderung der Kompetenzen zu Selbst- und
Fremdreflexion eher wenig verankert. Im Studiengangskonzept von Lehramtplus wird
versucht, in der Berufsfindungsphase, also im Sockelstudium, Raum vorzusehen, u.a. im
Modul Fachreflexion, ebenso in den späteren Vertiefungs- und Profilphasen in den
berufsfeldbezogenen Modulen. Grundlegend hierfür ist das Praxismodul „schulpädagogisches
Blockpraktikum“, auf dem die weiteren Praxismodule aufbauen.343 Raum für Selbst- und
Fremdwahrnehmung/ -reflexion bieten darüber hinaus auch Kombimodule, Module zur
Förderung von Sozialkompetenz, von kommunikativen oder interkulturellen Kompetenzen.
2.2.4.2.2 Die Ausbildung der Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung, zur Selbst- und
Fremdreflexion im Studienseminar
Die zweite Phase, die vorrangig den Aufbau von Handlungskompetenzen fokussiert, bringt
die jungen Lehrkräfte in unmittelbaren Kontakt mit Partnern, mit denen sie bislang nur selten
oder nur mittelbar zu tun hatten. Sie verlangt, mit ihnen in Unterrichts-, Erziehungs- und
Beratungs-/ Beurteilungssituationen umzugehen, die ebenfalls in vielen Belangen neu sind.
Zudem verändert sich die eigene Rolle, z.B. vom Lernenden zum Lehrenden.
Wiederum gilt: Auch wenn die in der ersten Phase entwickelten Kompetenzen nicht
ausreichen, um die schulischen Handlungs-Situationen zu bewältigen: Referendare verfügen
über
Kompetenzausprägungen,
Handlungsfeldern
aufgebaut
die
haben.
sie
in
Angesichts
universitären
der
oder
Neuartigkeit
lebensweltlichen
der
schulischen
Handlungsfelder muss der situativen Erweiterung der sozialen und personalen Kompetenzen
große Bedeutung zugewiesen werden.
Obwohl es für nicht wenige Referendare hilfreich erscheint, konventionelle Weisen des
Umgang mit den jeweiligen Partnern zu erlernen, obwohl nicht wenige Seminarlehrkräfte
„Rezepte”
für
auftretenden
Herausforderungen
anzubieten
gewohnt
sind,
reichen
erfahrungsgesättigte, traditionelle Regeln nicht aus. Sie müssen kontextualisiert werden, nicht
343
Vgl. Teil C I 3.2.4 Lehramtstrack, oder Teil C 3. Das Praxiskonzept in Lehramtplus zur Förderung des
Verständnis als Scientist Practioner.
156
zuletzt, indem reflektiert wird, was der Kern der jeweiligen Situation ist (s.o.), zudem aber
immer auch, indem das, um was es gehen soll, auf einen selbst und auf das Gegenüber
bezogen
wird.
Ein
Weg
dazu
ist,
genügend
Raum
für
gezielte
Selbst-
und
Fremdwahrnehmung bzw. -reflexion zu schaffen. Dabei geht es darum, ein Instrumentarium
auf- und auszubauen, das auch in der Lage ist, Handlungsempfehlungen (z.B. für die Reaktion
in Unterrichts- und Erziehungssituationen) reflektierend einzuordnen.
Weil die Wahrnehmungen nicht vorschnell mit erfahrungsgesättigten, subjektiven
Alltagstheorien erklärt werden sollten, muss an diesen Stellen das Studienseminar der Ort
vertiefender Wissenschaftlichkeit sein. Was dies für Seminarlehrkräfte und Referendare
bedeutet, wird abschließend dargestellt.
•
Die Aufgabe der Seminarlehrkräfte ist es, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
den
Selbst-
und
Fremdwahrnehmungen
anzuregen.
Dies
kann
aus
einem
Rollenverständnis als scientist practitioner heraus erfolgen (vgl. die Darstellungen zu
diesem Konzept im folgenden Kapitel), der aufgrund der eigenen wissenschaftlicher
Kompetenz zu einer erhöhten Forschungsorientierung der Praxis beitragen kann.
Semminarlehrkräfte sind dabei nicht auf sich allein gestellt, sofern sie sich als
Kooperationspartner der Wissenschaft verstehen. Sie können bei Bedarf die Expertise
universitärer Forschung abrufen; im Idealfall sollten sie dabei die Akzeptanz genießen,
mit ihren Nachfragen zur Selbst- und Fremdwahrnehmung ggfs. eine verstärkte
Auseinandersetzung der Forschung mit diesem Thema einzufordern (vgl. Jones/ Mehr,
2007).
•
Eine Aufgabe, vor der Referendare stehen, ist die eigenen Selbstwahrnehmungen neu zu
justieren und zu reflektieren, in Bezug auf das Schulfach und ihre Lehrerrolle, aber auch
in Bezug auf ihr Wissenschaftsverständnis und ihren Habitus als Wissenschaftler. Neu
bedacht werden müssen auch die Konzepte zu den „Anderen”, zu Schülern, Kollegen und
weiteren Partnern in der Institution Schule. Auch hier geht es darum, die ersten
Alltagserfahrungen nicht mit Alltagstheorien bewältigen zu wollen, sondern sie in Bezug
zu
theoretischen
Rahmen
zu
setzen.
Das
Ziel
ist
wiederum,
vorhandene
Kompetenzausprägungen zu nutzen, um mit neuen Situationen umzugehen und seine
Kompetenzen gezielt weiter zu entwickeln.
Der letzte Hinweis schließlich befasst sich mit der Selbst- und Fremdreflexion, die durch
Rollenwechsel notwendig wird: Dass Referendare während der Zweiten Phase in die Rolle
von Lehrenden hineinwachsen sollen, macht ihre Erfahrungen als Lernende (und deren
157
Reflexion) nicht wertlos. Zum einen gilt dies schon deshalb, weil Lehrersein lebenslanges
Lernen umfasst. Zum anderen aber können die eigenen Erfahrungen als Lernende die
Fremdwahrnehmung gegenüber den Schülern unterstützen und Reflexionsanstöße bieten.
Kompetenzerweiterung meint ja gerade das Nutzen-Können bisheriger Erfahrungen in neuen
Situationen.
2.2.4.2.3 Die Ausbildung der Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung, zur Selbst- und
Fremdreflexion in der dritten Phase
Wieder ist eine Aufteilung nach Weiterbildung und Fortbildung hilfreich:
Gerade, weil durch Weiterbildung eine Befähigung für neue Aufgaben angezielt wird, sind
Selbst- und Fremdwahrnehmung/ -reflexion von Bedeutung. Wie im Studium antizipierend
das eigene Fachverständnis geklärt und das Verständnis zum Schulfach reflektiert werden
kann sowie die Rolle bedacht werden kann, die Lehrer und Schüler im eigenen Verständnis
haben, muss der sich Weiter-Qualifizierende über sein Verständnis der neuen Aufgabe
nachdenken, über seine damit verbundenen Rollenverständnisse. Soll Schulleitung das neue
Handlungsfeld sein, kann durch Selbstbeobachtung und Selbstreflexion in der „alten Rolle des
normalen Lehrers“ vorbereitet werden, wie er/ sie in der neuen Funktion mit Mitgliedern des
Lehrerkollegiums umgehen will.
Wie im Studienseminar kann Unterstützung sinnvoll/ notwendig sein nachdem die neue
Aufgabe übernommen worden ist, um die dort gemachten Selbst- und Fremdbeobachtungen
einzuordnen. Auch hier dürfen Alltags-Theorien nicht wirkmächtig werden; sie sollten
vielmehr reflektiert und bewusst auf ein wissenschaftliches Fundament für Fremd- und
Selbstwahrnehmungen gestellt werden. Wer eine coachende, begleitende Rolle in der dritten
Phase übernehmen könnte, ist bislang unklar. Weil Weiterbildung oft Aufgabe der
Landesinstitute ist, müsste diese Aufgaben dort verankert werden.
Selbst- und Fremdwahrnehmung in Bezug auf die Fortbildung bedeutet, das jeweilige
Fortbildungsziel in Bezug zu sich selbst und (im Falle einer unterrichtsbezogenen
Fortbildung) in Bezug zu den Schülern zu setzen. Exemplarisch auf den Paradigmenwechsel
hin zur Kompetenzorientierung bezogen hieße das z.B. zu fragen: „Wie wirkt es sich auf mich
bzw. meine Schüler aus, wenn der Unterricht kompetenzorientierter als bisher erfolgt?“ „Will
ich tatsächlich die Konsequenz ziehen, meine Lehrerrolle zu verändern oder verunsichert
mich die Vorstellung, statt für den input vermehrt für den outcome zuständig zu sein?“
158
„Welches andere Verhalten ist bei meinen Schülern zu erwarten?“ etc. Wieder gilt, dass
Selbst- wie Fremdreflexion begleitet werden müssten, wenn es um einen Kompetenzaufbau
gehen soll, der nachhaltig wirkt. Ein Paradigmenwechsel ist sonst nur schwer vorstellbar (vgl.
hierzu das Kapitel zu Fortbildungskonzepten in Teil C, Konkretisierungen344).
2.2.4.3 Kompetenzen zu situationsadäquaten Synthesen und Konkretisierungen
Die auf die Sache bzw. auf sich und die Anderen bezogenen Analysen schaffen die Grundlage
dafür, dass Lehrer agieren und reagieren können. Es reicht aber nicht aus, zusammen zu
führen, was mit Hilfe der unter 2.2.4.1 und 2.2.4.2 skizzierten Kompetenzbereiche an
Ergebnissen und Lösungsansätzen erarbeitet wurde. Es sind Kompetenzen eines eigenen
Bereichs, die notwendig sind, um zu sach- und adressatengerechten Synthesen zu kommen –
in Form von Unterrichtsstunden, einer Gesprächsplanung für Schüler- und Elterngespräche, in
Form von Konzepten für Entwicklungsprozesse oder von Wochen-, Organisations- und
Zeitplänen. Der dritte Kompetenzbereich umfasst entsprechend die Entwicklung von
Synthesen einschließlich ihrer Optimierung, die sich aus deren Erprobung und Reflexion
ergibt.
In der Realität der Schule müssen solche Synthesen häufig in kurzer Zeit erarbeitet werden;
dies verlangt zusätzliche und andere Kompetenzen (vor allem auf der Ebene der Fertigkeiten
und
Bereitschaften)
als
die
vertiefte,
abwägende
und
deshalb
zeitintensivere
Auseinandersetzung mit Problemen, wie sie an Universitäten angeregt wird. Im schulischen
Alltag müssen Abstriche in der Tiefe gemacht werden. Dennoch sollte eine grundlegende
Forschungsorientierung das Rückgrat der Synthesen bilden. Für die konkreten Handlungen,
die synthetisiert werden, bedeutet dies, dass sie trotz pragmatischer Ausrichtung in ihrem
Kern forschungsorientiert bleiben. Gleichzeitig tritt aber neben die grundlegende
Forschungsorientierung der für die Umsetzung in der Schulrealität notwendige Pragmatismus.
Gehen Theorie- und Praxisbezug auf der Grundlage entwickelter Lehrerkompetenzen Hand in
Hand, sind die Synthesen der Lehrkraft nicht nur bedarfsbezogen und an den Schulalltag
angepasst, sondern immer auch von einem wissenschaftlichen Habitus getragen und
(zumindest implizit) auf wissenschaftliche Standards bezogen.
Eine im Kontext der zu leistenden Synthesen zu meisternde Herausforderung besteht darin,
dass die Situationen, auf die sie bezogen sind, von großer Vielfalt sind. An ein und demselben
344
Vgl Teil C, II 3. Zur Beteiligung der KU an der Lehrerfortbildung für die Dritte Phase,
insbesondere 3.1 Grundsätzliche Überlegungen
159
Tag kann in der ersten Stunde Fach 1 in einer 5. Klasse, in der zweiten Stunde Fach 2 in einer
11. Klasse zu unterrichten sein, in der 3. Stunde sind möglicherweise in der Sprechstunde ein
oder mehrere Elterngespräche zu führen, in der 4. Stunde, die theoretisch eine Freistunde
wäre, steht eine Vertretungsstunde in einem anderen Fach auf dem Programm und in der 5.
und 6. Stunde wird in derselben 8. Klasse zuerst Fach 1, dann Fach 2 unterrichtet. Nicht nur
in Bezug auf das Unterrichten sind Synthesen erforderlich. Auch Erziehungs- und
Beratungssituationen machen ständig zusammenschauende Synthesen notwendig.
2.2.4.3.1 Synthesen erstellen lernen: Die Ausbildung an der Universität
Auch in der Erstausbildung an der Universität müssen immer wieder Syntheseleistungen in
der Regel in schriftlicher oder mündlicher Form erbracht werden. Das Ziel von beispielsweise
wissenschaftlichen Texten ist es, dass die Studierenden lernen, in ihren Synthesen bezogen
auf eine Fragestellung begründet zu argumentieren und dabei zunehmend in die Tiefe zu
gehen.345 Auch wenn die Dichte der Anforderung im Zuge der Bologna-Reformen gestiegen
ist und einen Mangel an Zeit für Vertiefungen mit sich gebracht hat, bleibt die Zeit,
fachbezogene Syntheseleistungen zu erarbeiten, ungleich höher als später während der
Tätigkeit als Lehrkraft an der Schule. Zudem ist der Adressatenkreis homogener: Es handelt
sich im weiteren Sinne jeweils um Wissenschaftler, neben den ausgewiesenen Professoren,
den Dozenten aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs und Lehrbeauftragten mit
unterschiedlichen Kompetenz-Profilen auch um Kommilitonen, die ihren Habitus als
Wissenschaftler erst aufbauen.
Neben diesen in die Tiefe gehenden Synthesen lernen Studierende an den Universitäten aber
auch Syntheseleistungen zu erbringen, die in knapper Zeit, z.T. ad hoc erbracht werden
müssen (Kommentare zu Referaten und andere Wortäußerungen in Seminare, Statements in
studentischen
Versammlungen,
Antworten
auf
Klausurfragen,
Sachdiskussionen
in
Sprechstunden usw.). In ersten Ansätzen wird auch das Erarbeiten von Textsorten eingeübt,
die
in
schulischen
Handlungsfeldern
gebraucht
werden
(Unterrichtsentwürfe,
Lernstandsdiagnosen, Beratungspläne usw.). Erarbeitet werden diese Formate in den
Praxismodulen, in deren Kontext u.a. Unterricht vorbereitet, durchgeführt und reflektiert
wird. Dabei sind Schüler die wichtigsten Adressaten, dazu kommen aber auch
Praktikumslehrer und Dozenten, die die Unterrichtsversuche begleiten. Eine weitere Gattung
345
Es handelt sich um langfristig vorbereitete schriftliche Texte wie Abschlussarbeiten, Hausarbeiten,
Projektskizzen oder Portfolio-Beiträge.
160
an Syntheseleistungen erfordern Projektmodule wie etwa Kurse zum kreativen Schreiben, zu
Rhetorik, zur fachspezifischen Arbeit mit dem Medium Film etc.
Universität kann also auch in diesem Fall – obwohl die Adressaten andere sind als im
späteren
Schulalltag
–
ein
geeignetes
Feld
für
die
erste
Entwicklung
dieses
Kompetenzbereiches sein. Wiederum gilt aber auch, dass eine vielfältige Förderung zwar
möglich wäre, die gezielte Förderung der Synthese-Kompetenzen an Universitäten aber nicht
selbstverständlich ist.
2.2.4.3.2 Synthesen erstellen lernen: Die Ausbildung im Studienseminar
In der zweiten Phase werden – als Folge der Orientierung an den Handlungsfeldern – die
berufsfeldbezogenen Syntheseleistungen nicht selten explizit geschult. Dabei erfolgt oftmals
eine Ausrichtung an Konventionen, die Formalisierungen nach sich zieht. Dabei gilt durchaus,
dass Leitfäden (wie z.B. Artikulationsmodelle für die Unterrichtsplanung) in den ersten
Phasen der Berufstätigkeit ein für Referendare hilfreiches Instrument sein können.
Kompetenzen für Synthesen zu fördern bedeutet aber, die hier für das Planen von Unterricht
notwendigen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften zu fördern; damit werden Leitfäden
als Hilfen wahrgenommen und nicht als Korsett angesehen.346
Teil der Förderung der Synthesekompetenz ist es, in den Synthesen explizit den Kern zu
berücksichtigen, also das, worum es geht z.B. ins Zentrum der Unterrichtsplanung, durchführung und -reflexion zu rücken. Die auf die Schüler bezogenen Wahrnehmungen
müssen in den Synthesen beachtet, die in der Selbstreflexion sichtbar gewordenen Aspekte
müssen berücksichtigt werden.
Auch in Bezug auf diesen Kompetenzbereich besteht die Herausforderung für die zweite
Phase darin, die im akademischen Studium erarbeiteten Fähigkeiten, Fertigkeiten und
Bereitschaften auf neue Handlungssituationen zu beziehen und in darauf abgestimmten
Formen der Synthese wirksam werden zu lassen. Auch hier geht es um eine Erweiterung der
an der Universität erworbenen Kompetenzen, die der Anleitung bedarf. Auch hier ist die
Seminarlehrkraft in ihrer Rolle als scientist practitioner gefragt: Das gemeinsame Lernen
heterogener Schüler am gemeinsamen Gegenstand ist z.B. ein Feld, in dem Praxis und
346
Artikulationsmodelle und andere hilfreiche Strukturen für Unterrichtsplanung werden dann nicht zum
Selbstzweck, sondern haben Werkzeugcharakter. Ihre Funktion ist, einen Rahmen zu schaffen, in dem fachliche,
fachdidaktische sowie erziehungswissenschaftliche Kompetenzen genutzt werden, um in einer
adressatenbezogenen Weise im Unterricht zu erarbeiten, was als Kern herausgearbeitet worden ist.
161
Forschung aufeinander angewiesen sind und Forschung durch Hinweise aus der Praxis
angeregt werden kann.
2.2.4.3.3 Den Fort- und Weiterbildungszielen angemessene Synthesen erstellen lernen
Einleitend wurde die Vielfalt der Syntheseleistungen aufgezeigt, die Lehrkräften abverlangt
werden. Trotzdem werden bislang die zugrunde liegenden Kompetenzen in Fort- und
Weiterbildungsmaßnahmen
kaum
thematisiert.
Sowohl
Fortbildungen,
als
auch
Weiterbildungen streben nach Veränderungen.347 Diese manifestieren sich auch in den das
Handeln im Berufsfeld widerspiegelnden Synthesen. Die Fortbildungsangebote müssten
demzufolge u.a. dazu führen, bisherige Routinen bei den Syntheseleistungen zu reflektieren,
ggfs. zu modifizieren oder anders zu gestalten.
Darin besteht die Herausforderung: Weil Routinen den Alltag entlasten, werden sie nur dann
modifiziert, wenn sie in ihrer bisherigen Form irritiert worden sind, wenn die Alternativen
einen Mehrwert versprechen, ohne zu massiven Mehrbelastungen zu führen.
Einige Studien haben kompetenzorientierte Aufgabenstellungen als Syntheseleistungen
identifiziert,
denen
(auch
aus
Lehrersicht)
ein
Mehrwert
gegenüber
bisherigen
Aufgabenstellungen zugetraut wird: Die eigene Kompetenz dahingehend weiter zu
entwickeln, kompetenzorientierte Aufgaben zu formulieren, wird als sinnvoll und in der
Zukunft
als
potentiell
entlastend
angesehen.
Für
die
Träger/
Anbieter
solcher
Fortbildungsmaßnahmen besteht in dieser Hinsicht das Ziel darin, zu präzisieren, welche
Veränderungen angestrebt werden und darin, Operationalisierungen für die Umstellung
anzubieten,
wobei
die
vorhandenen
Kompetenzen
der
Lehrkräfte
(hier
zur
Aufgabenformulierung) zu berücksichtigen wären.
2.2.5 Resümee
Die im Kompetenzstrukturmodell „HOLEKO“ modellierten Kompetenzbereiche wurden
hergeleitet, idealtypisch skizziert und bezogen auf die drei Phasen der Lehrerbildung
konkretisiert. Es handelt sich um Querschnittskompetenzen, die zu sachbezogenen Analysen,
347
Fortbildungen zielen auf eine Optimierung in den bisherigen Zuständigkeiten, Weiterbildungen zielen auf
eine Erweiterung der Zuständigkeiten.
162
zu Selbst- und Fremdwahrnehmung/ -reflexion, zu sach-, -adressaten und situationsgerechter
Synthese
befähigen.
Sie
bedürfen
eines
Zusammenspiels
fachwissenschaftlicher,
fachdidaktischer und erziehungswissenschaftlicher Kompetenzen und zielen auf ein Agieren
in den schulischen Handlungsfeldern.
Die Zielsetzung, dass die „HOLEKOs“ sich in einem phasenübergreifenden, lebenslangen
Prozess entwickeln, wurde ausdifferenziert, indem verdeutlich wurde: Jede Phase der
Lehrerbildung kann – in je eigener Zuständigkeit und Verantwortung – einen spezifischen
Beitrag zur Förderung der Kompetenzen in den jeweiligen Bereichen leisten. Ein Mehrwert
liegt darin, den phasenspezifischen Kompetenzaufbau als Teil eines Gesamtprozesses zu
verstehen, der jeweils berücksichtigt, über welche Kompetenzen die (angehenden) Lehrkräfte
bereits verfügen, und wie deren Kompetenzentwicklung so gefördert werden kann, dass die
Ergebnisse für spätere Phasen anschlussfähig sind.
Bezogen auf die Erste Phase werden die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zum
„Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt” aufgegriffen: Das dort vorgestellte
zeitgemäßen
Verständnis
des
neuhumanistischen
Konzepts
von
„Bildung
durch
Wissenschaft” passt zu den Überlegungen zu den HOLEKOs. Damit wird zuerst deutlich,
dass die Förderung der HOLEKOs den akademischen Zielen eines Studiums nicht nur nicht
entgegensteht, sondern ihre Erreichung sogar unterstützt. Das zentrale Ziel ist,
die
Kompetenzentwicklung in der Disziplin und den Aufbau eines disziplinspezifischen
wissenschaftlichen Habitus so zu fördern, dass damit zugleich Fähigkeiten angelegt werden,
im Berufsfeld Schule zu agieren indem die in der Universität aufgebauten Kompetenzen
weiterentwickelt werden. Dinge auf den Kern zu bringen, Selbst- und Fremdreflexion und
Synthesekompetenzen sind zu einem Gutteil auf diese zentrale Aufgabe der Universität
bezogen.
Die Aufgabe der Zweiten Phase besteht darin, die Handlungsfähigkeit in der Praxis zu
gewährleisten, ohne dabei die Einheit aus Theorie und Praxis aus dem Blick zu verlieren. Dies
bedeutet einerseits, die an der Universität ausgebildeten Kompetenzen in den neuen
Situationen
des
Berufsfeldes
zur
Wirkung
zu
bringen
und
sie
andererseits
handlungsfeldbezogen zu erweitern. Darüber hinaus müssen neue, aus den Anforderungen der
Praxis entspringende Kompetenzen aufgebaut werden. Dabei ist das Ziel, ebenfalls
wissenschaftlich fundiert vorzugehen.
In der Dritten Phase ginge es darum, Lehrkräfte, die sich ihre eigenen Routinen für die
Praxisbewältigung aufgebaut haben, in der Entwicklung von Kompetenzen zu fördern, diese
zu
reflektieren
und
ggfs.
zu
verändern.
163
Am
Paradigmenwechsel
hin
zur
Kompetenzorientierung verdeutlicht heißt das, die Heterogenität der Klassen statt als Problem
als Chance sehen, um Schüler auf das Leben in einer offenen, mobilen, interkulturellen
Gesellschaft vorzubereiten.348 Dafür markieren die drei Kompetenzbereiche Ansatzpunkte,
weil
sie
es
erlauben,
wissenschaftliche
Grundlagen
und
praktisches
Handel
349
zusammenzubringen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die als Kompetenzstrukturmodell gedachte
Entwicklung erfüllt die Ansprüche einer solchen Modellierung. Die Entwicklung der
Kompetenzen in den drei Bereichen zu fördern, behindert die Phasen nicht dabei, die ihnen
zugedachten Aufgaben zu erfüllen, sie unterstützt sie. Der große Gewinn ist die Möglichkeit,
die Kompetenzentwicklung der drei Phasen miteinander zu vernetzen und nachvollziehbar zu
einer Progression des Kompetenzaufbaus beizutragen.
Die These, dass ein Kompetenzstrukturmodell einen Ansatzpunkt für die Reform der
Lehrerbildung darstellen könnte, konnte also gestützt werden.
II. Brückenschlag zwischen akademischer Wissenschaft
und
schulischer
Praxis:
Das
Selbstverständnis
von
Lehrkräften als scientist practitioner
1. Das Konzept des scientist practitioner
348
Dies wird derzeit als besonders dringliche Aufgabe wahrgenommen, und dient hier als Beispiel dafür, dass
Herausforderungen sich über ein Lehrerleben hinweg verändern und der eigene Kompetenzaufbau entsprechend
angepasst werden muss.
349
Dabei kann davon ausgegangen werden, dass z.B. die Kompetenzen, „den Kern zu identifizieren“ auf weniger
strukturierten Wegen auch jetzt schon ihren Platz in der Praxis haben, die Implementation des Konzepts aber mit
sich bringt, dass die zugrunde liegenden Alltagstheorien an Systematik, Struktur und Fundiertheit gewinnen.
Gleiches gilt für die beiden andern Kompetenzbereiche.
164
Das Modell des scientist practitioner wurde ursprünglich für die klinische Psychologie
entwickelt und später auf andere Bereiche übertragen (z.B. Cross-Cultural Training). Die
Grundannahmen besagen, dass eine verstärkte Forschungsorientierung des Praktikers zur
kontinuierlichen
Verbesserung
Auseinandersetzung
der
seiner
Forschung
350
wissenschaftlicher Arbeit führt.
Arbeit
mit
der
beiträgt
und
Praxis
zu
dass
höherer
die
verstärkte
Praxisrelevanz
Für die Lehrkraft impliziert dies in den schulischen
Handlungsfeldern hypothesengeleitet vorzugehen, im Idealfall auf der Basis des aktuellen
Stands
fachdidaktischer,
erziehungswissenschaftlicher
und
fachwissenschaftlicher
Forschung.351 Die Reflexionen der Erfahrungen sollen wiederum vor dem jeweiligen
Forschungsstand erfolgen und ggfs. forschungsinitiierend wirken.
Denkt man diese das Konzept markierenden Merkmale mit den eben dargestellten
Überlegungen zu den HOLEKOs zusammen, geht es darum, die bezogen auf die
Handlungsfelder zu erbringenden Analyse- und Syntheseleistungen wissenschaftsbasiert zu
vollziehen. Unter Bezug auf den Wissenschaftsrat kann diese Forderung als Beibehalten des
wissenschaftliche Habitus in der Praxis bezeichnet werden.352 Unter Bezug auf den eben
dargestellten Ansatzpunkt einer Kompetenzorientierung 2.0353 geht es um einen
kontinuierlichen, phasenübergreifenden Kompetenzaufbau. In den Konkretisierungen zum
holistischen Kompetenzstrukturmodell wurde verdeutlicht, wie die Wissenschaftlichkeit der
ersten Phase in der zweiten und dritten Phase Berücksichtigung finden kann, und wie die
Weiterentwicklung der Lehrerkompetenz in den späteren Phasen, z.B. durch die Kooperation
mit Partnerinnen und Partnern der Ersten Phase „wissenschaftsbasiert” erfolgen kann.
Es gibt also sehr weitreichende Übereinstimmungen zwischen den bisherigen Überlegungen
und dem Konzept des scientist practitioners. Dennoch wird es eigens als Ansatzpunkt
vorgestellt, um mit den Herausforderungen, die mit einer „Reform der Lehrerbildung”
verbunden sind, umzugehen. Der Schwerpunkt des Konzepts liegt nämlich auf der Lehrperson
in ihrem Selbstverständnis.
350
Vgl.: Jones, J. L., & Mehr, S. L. (2007). Foundations and assumptions of the Scientist Practitioner Model.
American Behavioral Scientist, 50 (6), S. 766-771. Vergleichbar dazu ist auch die Kernannahme des BilWiss
Projekts: „Bildungswissenschaftliche Inhalte und Zusammenhänge stellen einen begrifflichen Rahmen dar, den
Lehrkräfte benötigen, um Unterrichts- und Schulereignisse angemessen zu interpretieren, zu reflektieren und so
für die Bewältigung beruflicher Anforderungen zu nutzen.“ (http://www.bilwiss.uni-frankfurt.de/studie;
24.08.2015).
351
Die Idee, das Konzept auf die Lehrerbildung anzuwenden, stammt von Joachim Thomas, Professor für
psychologische Diagnostik und Interventionspsychologie mit schulpsychologischem Schwerpunkt an der
Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
352
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt Zweiter Teil der
Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (16.
Oktober 2015.
353
Vgl. Teil B, Kapitel I. Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung.
165
2.
Herausforderung,
in
den
einzelnen
Phasen
ein
Selbstverständnis als scientist practitioner aufzubauen bzw. zu
bewahren
Die beiden Wortbestandteile des Konzepts markieren zugleich die Schwierigkeit, vor der der
Einzelne in den Phasen seiner Berufsbiographie steht. An der Universität ein
Selbstverständnis als „practitioner” aufzubauen, ist ebenso schwierig wie sich im
Referendariat oder gar in der langen Berufsphase als „scientist“ zu fühlen.
Eine Möglichkeit, einen Grundstock dafür zu legen besteht darin, Lehrerkompetenzen
ganzheitlich zu verstehen, als Kompetenzen, die bereits an der Universität unter bewusster
Einbeziehung der Praxisphasen als Querschnittskompetenzen aufgebaut werden und im
vertikalen, die drei Phasen verbindenden Zusammenhang gesehen werden.354 Davon war
bereits in mehreren Kapiteln die Rede.
2.1 In der Universität zum scientist practitioner werden?
Die Debatten, die wegen des im Zuge der Bologna-Reform an die Universität formulierten
Anspruchs der „Berufsbefähigung“ geführt werden,355 zeigen, dass der Wissenschaftsrat hier
Forderungen aufstellt, die im universitären Alltag (noch) nicht erfüllt werden.356 Die vom
Wissenschaftsrat an alle Universitäten ausgesprochene Empfehlung, eine „Lehrverfassung”
und „Lehrprofile” zu entwickeln, wäre eine Möglichkeiten, die Studierenden dabei zu
354
Das Kompetenzstrukturmodell HOLEKO ist ein mögliches Beispiel dafür.
Vgl. Teil A, Kapitel IV 1.1 “Allgemeine Berufsbefähigung” als Ziel und Bestandteil aller reformierten
Studiengänge
356
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt Zweiter Teil der
Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (16.
Oktober 2015, dort auch die Forderung an alle Universitäten, sich eine Lehrverfassung zu geben, die
Berufsbefähigung als Aufgabe auch der Lehre versteht, und dafür Lehrprofile zu entwickeln. (S. 99 ff): Vgl.:
Wissenschaftsrat (2015). Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt Zweiter Teil
der Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (16.
Oktober 2015). URL http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4925-15.pdf.
355
166
unterstützen, sich auf der Basis eines wissenschaftlichen Habitus selbstbewusst als angehende
„practitioner” zu verstehen.
In den Staatsexamensstudiengängen (Jura, Medizin, Lehramt), die auf staatlich verantwortete
Berufsfelder zielen, sieht der Wissenschaftsrat das Konzept Berufsbefähigung eher verankert.
Allerdings stellt auch der Wissenschaftsrat fest: „Die Lehramtsstudiengänge bilden hierbei
eine Besonderheit, da sie nicht einer Fakultät exklusiv zugerechnet werden und damit in
institutionellen Strukturen angeboten werden, die auf mehrere Tätigkeitsfelder nach dem
Abschluss zielen.”357 Auf Praxiskonzepte im Rahmen der Lehrerbildung ist in Teil A
Herausforderungen mehrfach eingegangen worden,358 in Teil C wird das Eichstätter
Praxiskonzept ausführlich vorgestellt.359
Es könnte als Aufgabe der Berufswissenschaften angesehen werden, in den von ihnen
betreuten Praxismodulen die Lehramtsstudierenden darauf vorzubereiten, sich als „scientist
practitioner“ zu verstehen, der zwar nach tiefem und flexiblem Fachverständnis strebt, dies
aber nicht zuletzt deshalb, weil er damit die Herausforderung der Praxis meistern kann. Die
Praxisherausforderungen bestehen z.B. darin, Schülerinnen und Schülern durch die Förderung
ihrer fachlichen und überfachlichen Kompetenzen einen Zugang zur Welt zu erschließen, der
grundsätzlich ein erfülltes Leben ermöglicht. Für den Aufbau eines tiefen und flexiblen
Wissens sind die in den drei Säulen der universitären Ausbildung vertretenen Disziplinen
zuständig. Tragen sie zudem dazu bei, Wissenschaftlichkeit mit Praxis (und sei es mit
Forschungspraxis)360 zu verbinden, hat die Universität die Forderung nach Unterstützung der
Berufsbefähigung zwar weitergehend, aber noch nicht hinreichend erfüllt. Dazu gehört noch
die Bereitschaft zur Kooperation mit der Praxis, etwa indem deren Anfragen an die Forschung
ernst genommen und verfolgt werden. Wenn Studierende während ihres Studiums erleben,
dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre gesellschaftliche Aufgaben annehmen
und für sie „Anwendungsbezug” wie „praxisbezogene Forschung” eine Rolle spielen, leben
die Dozenten vor, wie die Rolle eines „scientist practitioner“ an der Universität ausgefüllt
werden kann.
357
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt Zweiter Teil der
Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (16.
Oktober 2015, S. 48.
358
Vgl. z.B. Teil A, Kapitel IV, 5.1.3 Herausforderungen für die aktuelle Reform der Lehrerbildung in Bezug
auf den Theorie-Praxiszusammenhang oder Kapitel IV 6.3.1 Handlungsfelder Unterrichten und Erziehen Förderung der Querschnittskompetenzen mit Hilfe der Praxismodule.
359
Vgl Teil C, Kapitel II 3.1 Praxiskonzept in Lehramtplus im Überblick.
360
Auch der Wissenschaftsrat vertritt explizit ein Praxisverständnis, das Forschung als Praxisfeld ansieht. Vgl.
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt Zweiter Teil der
Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (16.
Oktober 2015, u.a. S. 55.
167
Als Maßnahmen, um das Praxisfeld „Forschung” zu erschließen, also Studierenden an
(schulbezogener)
Forschung
zu
beteiligen,
eignen
sich
Modulformate
wie
Lehrforschungsprojekte oder andere Formen forschenden Lehrens und Lernens. Der
Wissenschaftsrat beschreibt, unter Bezug auf das von Schubarth/ Speck vorgelegte und von
der
Hochschulrektorenkonferenz
„Employability
und
in
Praxisbezüge
Auftrag
im
gegebene
Fachgutachten
wissenschaftlichen
Studium”
(2013)
den
zu
Ansatz
folgendermaßen: Studierende „begleiten dabei den gesamten Forschungsprozess, formulieren
eigene Fragestellungen und können Teilprojekte eigenverantwortlich bearbeiten. Auf diese
Weise erwerben sie Methoden- und Fachkenntnisse, aber auch überfachliche Kompetenzen –
‘wie Analyse- und Problemlösungsstrategien, Kommunikations- und Teamfähigkeiten,
Präsentationskompetenzen sowie [den] Umgang mit neuen Informationstechnologien’“361. Ein
weiteres vom Wissenschaftsrat empfohlenes Konzept ist das Problemorientierte Lernen. Es
„stellt den Anwendungsbereich in das Zentrum der Lehre. In einem materialgestützten und
angeleiteten, aber weitgehend selbstgesteuerten Lernprozess definieren die Studierenden in
Kleingruppen zunächst – ausgehend vom Anwendungsfall – das Problem, eignen sich im
Folgenden das notwendige Wissen an, analysieren das Problem mit geeigneten Methoden und
entwickeln daraus mögliche Lösungsansätze.”362 Neben innovativen Lehrformaten können
fachdidaktische oder erziehungswissenschaftliche Bachelor- und Masterarbeiten mit
praxisrelevanten Forschungsfragen den Habitus als „scientist practitioner“ stabil anlegen.
2.2 Im Studienseminar und in der Berufsphase scientist practitioner
bleiben?
2.2.1 Scientist practitioner und Zweite Phase
Das Selbstbewusstsein, mit Kompetenzen ausgestattet zu sein, die praxistauglich sind (vgl.
hierzu auch die Hinweise im vorhergehenden Kapitel zur Kompetenzorientierung 2.0363),
wäre die Grundlage dafür, dass Referendare in der Zweiten Phase im Habitus eines „scientist
361
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt Zweiter Teil der
Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (16.
Oktober 2015, S. 71.
362
Wissenschaftsrat: Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt Zweiter Teil der
Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften vor dem Hintergrund des demographischen Wandels (16.
Oktober 2015, S. 70.
363
Teil B, Kapitel I. Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung.
168
practitioner“ mit den (neuen und vielfältigen) Anforderungen der Praxis umgehen. Die
Erfahrung der Praxistauglichkeit der an der Universität erworbenen Kompetenzen kann z.B.
darin bestehen, dass mit ihrer Hilfe der Kern identifiziert werden kann, um den es in
Unterrichts- und Erziehungssituationen geht oder dass die universitär erworbenen
Kompetenzen es erleichtern, Synthesen für Praxissituationen zu erarbeiten.
Angesichts des neuen Umfelds, in dem sich die angehenden Lehrkräfte mit Beginn des
Referendariats bewegen, das Vertrauen in sich selbst und seine Fertigkeiten und Kenntnisse,
nicht zu verlieren, ist nicht leicht. Seminarlehrkräfte, die davon überzeugt sind, dass es um
wissenschaftlich fundierte Praxistauglichkeit geht, können den angehenden Lehrkräften den
notwendigen Halt dabei geben, sich als „scientist practitioner“ im schulischen Handlungsfeld
einzurichten. Dies wurde im vorhergehenden Kapitel in Bezug auf die Kompetenzbereiche
des Kompetenzstrukturmodells HOLEKO verdeutlicht.364 Bedingung ist, dass die
Seminarlehrkräfte ihrerseits sich als „scientist practitioner“ verstehen. Dafür ist z.B. von
Bedeutung, dass Seminarlehrkräfte ihrerseits in Kontakt mit der Universität stehen. Die
Funktionsbeschreibungen der einzelnen Länder für ihre Seminarlehrkräfte sehen dies vor; die
rechtlichen Bedingungen sind also gegeben. Allerdings sind dafür nur in seltenen Fällen auch
entsprechende Mittel vorgehalten. Wenn es überhaupt eine Institutionalisierung der
Zusammenarbeit von Universität und Studienseminar gibt, ist sie auf Segmente wie z.B. das
universitäre Praxissemester beschränkt.
Stärker auf Gegenseitigkeit und Austausch bezogen ist das Konzept der fach- und
schulartbezogenen Kompetenzzirkel aus Universitätsdozenten und Seminarlehrkräften.365 Teil
der Institutionalisierung ist, dass sich die Mitglieder mehrfach im Jahr treffen und sich dabei
konkret als „scientist practitioner“ erleben. Auf einer abgestimmten gemeinsamen Basis (z.B.
eines
Kompetenzstrukturmodells
wie
der
HOLEKOs),
diskutieren
sie
relevante
Themenbereiche, identifizieren geeignete Formen der Zusammenarbeit zwischen erster und
zweiter Phase und initiieren und begleiten die Bearbeitungen in ihren jeweiligen Institutionen
sowie das Zusammenführen der Ergebnisse. Themen, die sich hierfür anbieten, wären z.B. die
Förderung der Kompetenz (2.0)-Entwicklung, die Erfassung von Entwicklungsständen bei
Schülern
wie
bei
Studierenden/Referendaren,
die
individuelle
und
kollektive
Leistungsbeurteilung in heterogenen bzw. inklusiven Lerngruppen, wiederum an Schulen und
364
Vgl. Teil B, Kapitel I, 2.2.4 Das Kompetenzstruktur-Modell in den drei Phasen der Lehrerbildung.
Das Konzept wurde von Waltraud Schreiber, Katja Seitz-Stein, Joachim Thomas und Stefanie Zabold, jeweils
KU Eichstätt, entwickelt.
365
169
in den Phasen der Lehrerbildung, aber auch Fragen zur Werteorientierung und Wertereflexion
an den Universitäten und Schulen einer inklusiven Gesellschaft.
Zur Stärkung des Selbstverständnisses aller Beteiligten als „scientist practitioner“ kann auch
eine Zusammenarbeit zwischen Universität und Studienseminaren im Bereich von Schul- und
Unterrichtsforschung angestrebt werden. Dazu bieten sich z.B. die gemeinsame Durchführung
kleinerer Forschungsprojekte an, die in Bachelor-, Masterarbeiten oder Hausarbeiten der
zweiten Phase ausgearbeitet werden. Dies fördert bei Studierenden ebenso wie bei
Referendarinnen und Referendaren und den jeweiligen Betreuerinnen und Betreuern den
Habitus des „scientist practitioners“ und bringt zudem theoriengeleitete und praxisrelevante
Innovationen in die schulische Realität ein.
2.2.2 Scientist practitioner und Dritte Phase
Es ist eine reale Gefahr der Dritten Phase, dass die „Weisheit der Praxis“ überschätzt wird
und der Wissenschaftsbezug als Horizont des Handelns verloren geht. Sich über Jahre hinweg
als „scientist practitioner“ zu verstehen, kann praktizierenden Lehrkräften nur gelingen, wenn
das entsprechende Selbstverständnis in der Ersten und Zweiten Phase stabil implementiert ist
und wenn durch Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung oder durch (kontinuierliche)
Kooperation mit der Universität an konkreten Themen immer wieder der Mehrwert eines
wissenschaftsfundierten Herangehens erfahren wird.
Auch hier ist die Institutionalisierung ein Ziel; das Konzept der Universitätsschulen ist ein
Beispiel dafür, wie kontinuierliche Zusammenarbeit organisiert werden kann. Lehrkräfte,
Dozenten, Studierenden, ggfs. Referendare bekommen so ein Feld zur Erprobung
unterrichtlicher Innovationen, wobei jeder auf seine Weise den Habitus als „scientist
practitioner“ vertiefen kann. Praxisrelevante Forschungsfragen werden generiert, die
beständige Kompetenzentwicklung der Lehrkräfte durch Fortbildungsmaßnahmen und
Partizipation an Forschungsaktivitäten gesichert.
Neben den kontinuierlichen Formen der Zusammenarbeit können Universitäten auch über
Fortbildungsangebote366 dazu beitragen, Lehrkräfte dabei zu bestätigen, sich als „scientist
practitioner“ zu verstehen und im Umkehrschluss die eigenen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in dieser Rolle zu bestätigen. Dass darin auch ein Mehrwert für die Universitäten
366
Vgl. hierzu auch die Hinweise in Teil C, Kapitel II 4.2.1 Universität als Akteur der Lehrerfortbildung.
170
besteht, haben bezogen auf Natur- und Ingenieurswissenschaften und die Mathematik
Universitäten wie die TU München deutlich gemacht. Durch Partnerschaften und
Fortbildungsangebote sorgen sie dafür, dass fertige Lehrerinnen und Lehrer am Puls der
Forschung
bleiben.
Zugleich
generieren
sie
Studieninteressenten.
In
den
Geisteswissenschaften, deren kulturentwickelnde und Orientierung ermöglichende Kraft
derzeit noch zu wenig wahrgenommen wird, wären ähnliche, auf alle Schularten bezogene
Maßnahmen geboten. Wie bedeutsam Kultursensibilität ist, zeigt sich an den „neuen“
Migrationsbewegungen und den Herausforderungen, mit denen eine Gesellschaft,
insbesondere wenn sie sich auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft versteht,
konfrontiert sieht.
2.3. Resümee
Das Selbstverständnis als „scientist practitioner“ bezieht sich nicht nur auf den Habitus von
Lehrkräften; folgt man dem Wissenschaftsrat ist es auch Teil des wissenschaftlichen Habitus
der Universitätsdozenten. Der Aufbau dieses Selbstverständnisses muss aber gezielt gefördert
werden. Wiederum stellen sich für die drei Phasen der Lehrerbildung unterschiedliche
Anforderungen.
Aus der Grundidee des Konzepts, dass eine verstärkte Forschungsorientierung des Praktikers
zur kontinuierlichen Verbesserung seiner Arbeit beiträgt und dass die verstärkte
Auseinandersetzung
der
Forschung
mit
der
Praxis
zu
höherer
Praxisrelevanz
wissenschaftlicher Arbeit führt, folgt für dessen Implementierung zugleich, dass Kontakte und
Kooperation zwischen den Universitäten und den Praxispartnern mit implementiert werden
müssen.
Dass es dafür eine Vielzahl an Möglichkeiten gibt, die jeweils einen Mehrwert für beide
Seiten haben, wurde exemplarisch verdeutlicht.
Dass das Konzept des „scientist practitioner“ ein Ansatzpunkt für die Reform der
Lehrerbildung ist, die insbesondere die beabsichtigte Vernetzung der drei Phasen unterstützt,
konnte gezeigt werden. Deutlich geworden ist auch, dass, auch wenn es bei diesem Konzept
um die Lehrperson in ihrem Selbstverständnis geht, Maßnahmen zur Implementation ergriffen
werden müssten.
171
III
Ausgangspunkt
Evidenzbasierung.
Schul-
und
Lehrerbildungsbezogene Studien und die Reform der
Lehrerbildung
1.
Zur
Einordnung:
Empirische
Wende
der
Lehrerbildungsforschung
Dass eine Konsequenz aus den Ergebnissen der internationalen Vergleichsstudien darin
besteht, dass neben der Unterrichts- und Schulforschung auch die Lehrerbildungsforschung
zunehmend
an
Bedeutung
gewinnt,
wurde
bereits
dargestellt.367
Durch
gezielte
Forschungsförderung in den meisten der in den Vergleichsstudien untersuchten Länder stieg
neben der Quantität auch die Qualität, allerdings auch die Normierung der Forschung (vgl.
Terhart 2015)368. Eine Normierung erfolgt insbesondere durch die Fokussierung auf
empirische Bildungsforschung. Durch Evidenzbasierung der Aussagen soll z.B. deren Wert
für die Optimierung der Lehrerbildung gesteigert werden. Auf der Grundlage theoriebasierter
Modellierungen, mit Hilfe von aus den Sozialwissenschaften adaptierten Erhebungsverfahren,
in
vielfältigen
Designs,
in
nationalen
und
internationalen
Vergleichen,
in
Forschungsverbünden von Lehrerbildnern mit empirischen Bildungsforschern lag der Fokus
der
letzten
Jahre
insbesondere
auf
Wissens-
367
und
Kompetenzausprägungen
in
Vgl. die Kapitel zur Schul- und insbesondere zur Hochschulreform A, I, 1.1 Deutsche Schulreformen nach
PISA und 2.3 Forschungs- und wissenschaftlich begleitete Entwicklungsprojekte zur Hochschulreform.
368
Terhart E. (2015). „Ein Rückblick auf zwanzig Jahre Bildungsforschung.“ In Helsper W., Maier, M. S. &
Sandring, S. (Hrsg.). Perspektiven der Bildungsforschung. Festvorträge zum zwanzigjährigen Bestehen des
Zentrums für Schul- und Bildungsforschung Nr. 23, Universität Münster, S. 15-34. Halle: Universitätsverlag
Halle-Wittenberg.
172
unterschiedlichen Phasen der Lehrerbildung und auf den jeweils zugehörige Einflüssen und
Maßnahmen.369
Im Anschluss z.B. an die Überlegungen von Shulman370, Bromme371, Oser372, Terhart373 oder
Baumert & Kunter374 werden in den Arbeiten zu professioneller Kompetenz fachliches,
fachdidaktisches
und
erziehungs-/
bildungswissenschaftliches
Wissen/
Kompetenz
unterschieden. Untersucht werden dabei zum einen die jeweils auf eine „Säule” bezogenen
Ausprägungen,375
zum
anderen
das
Zusammenwirken
insbesondere
der
fachlich-
fachdidaktischen Kompetenzen, wobei bislang vor allem die MINT-Fächer im Fokus standen,
insbesondere Mathematik376 und Naturwissenschaften.377 Der Zusammenhang zwischen
369
Überblicksdarstellungen hierzu bei Blömeke et al. (2004): Blömeke, S., Peter, R., Tulodziecki, G., Wildt, J.
(Hrsg.) (2004): Handbuch Lehrerbildung. Bad Heilbrunn/ Braunschweig: Klinkhardt/ Westermann; Blömeke, S.,
Hsieh, F.-J., Kaiser, G., & Schmidt, W. (Eds.) (2014). International Perspectives on Teacher Knowledge, Beliefs
and Opportunities to Learn. Dordrecht: Springer; Darling-Hammond, L. & J. Baratz-Snowden. (2005). A Good
Teacher in Every Classroom: Preparing the Highly Qualified Teachers our Children Deserve. San Francisco,
CA: John Wiley & Sons. Lipowsky, F. (2006). Auf den Lehrer kommt es an. Empirische Evidenzen für
Zusammenhänge zwischen Lehrerkompetenzen, Lehrerhandeln und dem Lernen der Schüler. In: AllemannGhionda, C. & Terhart, E. (Hrsg.): Kompetenzen und Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern.
Weinheim u.a. : Beltz, S. 47-70; Beck, K., & Zlatkin-Troitschanskaia, O. (2010). Lehrerprofessionalität: Was
wir wissen und was wir wissen müssen. Sonderheft der Zeitschrift Lehrerbildung auf dem Prüfstand; Terhart, E.,
Bennewitz, H., Rothland, M. (22014). Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf, Münster: Waxmann.; KochPriewe, B., Köker, A., Seifried, J. & Wuttke, E. (Hrsg.) (2015). Kompetenzerwerb an Hochschulen:
Modellierung und Messung. Zur Professionalisierung angehender Lehrerinnen und Lehrer sowie
frühpädagogischer Fachkräfte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.; Zlatkin-Troitschanskaia, O., Pant, H. A., Kuhn, C.,
Toepper, M., & Lautenbach, C. (2015). Messung akademischer Kompetenzen von Studierenden und
Hochschulabsolventen – Ein Überblick zum nationalen und internationalen Forschungsstand. Wiesbaden:
Springer.
370
Vgl. Shulman (1987, 2004).
371
Bromme, R. (1992). Der Lehrer als Experte: Zur Psychologie des professionellen Wissens. Bern: Huber.
372
Oser, F. (1997). Standards in der Lehrerbildung. Teil 1: Berufliche Kompetenzen, die hohen
Qualitätsmerkmalen entsprechen. Beiträge zur Lehrerbildung, 15, S. 26-37.
373
Terhart, E. (2002). Standards für die Lehrerbildung. Gutachten für die Kultusministerkonferenz. ZKLText.
374
Baumert, J., Kunter, M. (2006): Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. In: Zeitschrift für
Erziehungswissenschaft 9, H. 4, S. 469-520.
375
Vgl. in Bezug auf die Erziehungswissenschaften z.B. die BilWiss-Studien (vgl. Kunter, M., KuninaHabenicht, O., Baumert, J., Dicke, T., Holzberger, D., Lohse-Bossenz, H., Leutner, D., Schulze-Stocker, F. &
Terhart, E. (in press). Bildungswissenschaftliches Wissen und professionelle Kompetenz in der
Lehramtsausbildung – Ergebnisse des Projekts BilWiss. In: Gräsel, C., Trempler, K. (Hrsg.), Entwicklung von
Professionalität pädagogischen Personals. Interdisziplinäre Betrachtungen, Befunde und Perspektiven.
Wiesbaden: Springer-Online; Terhart, E., Schulze-Stocker, F., Kunina-Habenicht, O., Dicke, T., Förster, D.,
Lohse-Bossenz, H., Gößling, J., Kunter, M., Baumert, J., & Leutner, D. (2012). Bildungswissenschaftliches
Wissen und der Erwerb professioneller Kompetenz in der Lehramtsausbildung. Eine Kurzdarstellung des
BilWiss-Projekts [Broad educational knowledge and gaining professional knowledge in teacher education: A
brief overview of the BilWiss-study]. Lehrerbildung auf dem Prüfstand, 5(1), S. 96-106; Kunina-Habenicht, O.,
Lohse-Bossenz, H., Kunter et al. 2012. ‘Welche bildungswissenschaftlichen Inhalte sind wichtig in der
Lehrerbildung? Ergebnisse einer Delphi-Studie.’ Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 15, Nr. 4, S. 649-682.
Terhart, E. 2012. „Wie wirkt Lehrerbildung? Forschungsprobleme und Gestaltungsfragen.“ Zeitschrift für
Bildungsforschung 3, No. 1, S. 3-21; weitere Literatur s. die nachfolgende Kurzvorstellung der Studie.
376
Mathematik wurde u.a. von Blömeke et al. in TEDS-M untersucht: Blömeke, S., Kaiser, G. & Lehmann, R.
(Hrsg.) (2010a), TEDS-M 2008 – Professionelle Kompetenz und Lerngelegenheiten angehender
Primarstufenlehrkräfte im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann; Blömeke, S., Kaiser, G. & Lehmann,
R. (Hrsg.) (2010b), TEDS-M 2008. Professionelle Kompetenz und Lerngelegenheiten angehender
Mathematiklehrkräfte für die Sekundarstufe I im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann.; weitere
Hinweise vgl. https://www.teds-unterricht.uni-hamburg.de/weitere-teds-studien/teds-m.html),
173
Lehrerkompetenzen und Schülerleistungen wird z.B. durch die COACTIV-Studie (Kunter et
al., 2011, 2013), durch die Fehlerkompetenzstudie378 (Seifried, Wuttke, Türling, 2012 a, b)379
oder durch DIKOL380 untersucht.
Ein weiteres Forschungsfeld fokussiert auf den Theorie-Praxis-Bezug. Der viel beschriebene
„Praxisschock“381 sowie Studien, die belegen, dass Berufsanfänger häufig mehr oder weniger
sinnblind das vorgefundene oder erinnerte Lehrerhandeln imitieren382 waren wesentliche
von Kunter et al. in der COACTIV-Studie: Kunter, M., Baumert, J., Blum, W., Klusmann, U., Krauss, S., &
Neubrand, M. (Hrsg.). (2011). Professionelle Kompetenz von Lehrkräften - Ergebnisse des
Forschungsprogramms COACTIV. Münster: Waxmann; Kunter, M., Klusmann, U., Baumert, J., Richter, D.,
Voss, T., & Hachfeld, A. (2013). Professional competence of teachers: Effects on instructional quality and
student development. Journal of Educational Psychology, 105(3), S. 805-820. Weitere Hinweise: URL
http://www.mathematik.uni-regensburg.de/Didaktik/studium_krauss_downloads_art1_COACTIV.pdf).
377
Vgl. z.B. das vom BMBF geförderte Projekt zu Professionswissen von Lehrkräften in den
Naturwissenschaften (ProwiN): Borowski, A.,Tepner, O., Fischer, H. E.; Sumfleht, E. (2011). Professionswissen
in den Naturwissenschaften (ProWiN) Berlin: gedruckt; Discussion Paper / Working Paper / Konferenzbeitrag;
Borowski, A., Kirschner, S., Liedtke, S., Fischer, H.E. (2011). Vergleich des Fachwissens von Studierenden,
Referendaren und Lehrenden in der Physik, in: Physik und Didaktik in Schule und Hochschule PhyDid 1/10, S.
1-91; Fischer, H.E., Borowski, A. & Tepner, O. (2012). Professional knowledge of science teachers; In B.
Fraser; K. Tobin, & C. McRobbie (Eds.). Second International Handbook of Science Education (pp. 435 – 448).
New York: Springer; sowie das ebenfalls vom BMBF geförderte Projekt „Interventionsstudie zur Förderung von
Modellkompetenz sowie deren Diagnose- und Vermittlungskompetenz bei Lehramtsstudierenden der Biologie
im
Master
of
Education
(vgl.
URL
http://www.bcp.fuberlin.de/biologie/arbeitsgruppen/didaktik/forschung/Sarah-Lena-Guenther.html); Patzke, Ch., Krüger, D. &
Upmeier zu Belzen, A. (2015). Entwicklung von Modellkompetenz im Längsschnitt. In: M. Hammann, J. Mayer
& N. Wellnitz (Hrsg.): Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik, Bd. 6, S. 43-58. Innsbruck:
StudienVerlag. Zusammenschau zur naturwissenschafsdidaktischen Forschung: Krüger, D., Parchmann, I.,
Schecker, H. (2014). Methoden in der naturwissenschaftsdidaktischen Forschung. Wiesbaden: Springer.
378
Seifried, J., Wuttke, E. & Türling, J. M. (2012). Professioneller Umgang mit Fehlern im Unterricht - Teil 2:
Empirische Befunde. Erziehungswissenschaft und Beruf, 60(4), S. 482-493; Seifried, J., Wuttke, E. & Türling,
J.M. (2012). Professioneller Umgang mit Fehlern im Unterricht - Teil 1: Theoretische Grundlagen.
Erziehungswissenschaft und Beruf, 60(3), S. 339-346.
379
Über zwei Perioden vom BMBF gefördert wurde: „Diagnose von und Umgang mit Schülerfehlern als Facette
der professionellen Kompetenz von Lehrkräften“, vgl. http://www.wiwi.uni-frankfurt.de/professoren/prof-drwuttke/prof-dr-eveline-wuttke/projekte.html
und
http://seifried.bwl.unimannheim.de/de/forschung/abgeschlossene_projekte/diagnose_von_und_umgang_mit_schuelerfehlern_als_facet
te_der_professionellen_kompetenz_von_lehrkraeften/
380
Das Projekt „Diagnostische und didaktische Kompetenz von Lehrkräften zur Förderung der Text-/BildIntegrationsfähigkeit bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I” wurde ebenfalls vom BMBF gefördert.
Vgl. Baadte, C., Christophel, E., Heyne, N., Schnotz, W. (2013). Diagnostische und didaktische Kompetenz von
Lehrkräften zur Förderung der Text-Bild-Integrationsfähigkeit bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe
I. BMBF Abschlussbericht im Rahmen des Schwerpunktprogramms 'Entwicklung von Professionalität des
pädagogischen Personals in Bildungseinrichtungen'. Landau: Universität Koblenz-Landau; Christophel E.,
Baadte C., Heyne N., Schnotz W. (im Druck). Diagnostische und didaktische Kompetenz von Lehrkräften zur
Förderung der Text-/Bild-Integrationsfähigkeit bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I (DIKOL), in:
Gräsel C., Trempler K. (Hgg.): Entwicklung von Professionalität pädagogischen Personals. Interdisziplinäre
Betrachtungen, Befunde und Perspektiven, Wiesbaden.
381
Terhart E. (1994). ‘Lehrer/in werden - Lehrer/in bleiben: berufsbiographische Perspektiven.’ In: Lehrer/in
werden. Studien zur Bildungsforschung & Bildungspolitik, S. 17-46. Innsbruck: Österreichischer StudienVerlag;
Dicke, T., Elling, J., Schmeck, A., & Leutner, D. (accepted). Preventing reality shock: Longitudinal effects of a
classroom management skills training on pre-service teachers' well-being. Teaching and Teacher Education;
Gehrmann, S., Helmchen, J., Krüger-Potratz, M. Ragutt, F. (2015). Bildungskonzepte und Lehrerbildung in
europäischer Perspektive, Münster: Waxmann.
382
Vgl. Calderhead, J. (1996). Teachers: Beliefs and knowledge. In D. Berliner & R. Calfee (Eds). Handbook of
educational psychology, S. 709-725, New York: Macmillan; Pajares, F. (1992) Teachers’ Beliefs and
Educational Research: Cleaning Up a Messy Construct. In Review of Educational Research Fall, 62, S. 307-332;
174
Auslöser (weitere Hinweise auf Praktikumsstudien vgl. Teil A, 5.1 Berufsfeldbezug Schule:
Chancen und Grenzen von Praktika/ Praxismodulen).
Einem anderen Feld, nämlich dem der auf Strukturen bezogenen Hochschulforschung, sind
Studien wie PaLea zuzuordnen (zur Literatur vgl. die nachfolgende Kurzdarstellung); hier soll
eruiert werden, inwiefern Wirkungszusammenhänge zwischen der Struktur von Lehre (und
Forschung) und der Qualität der Lehrerbildung nachgewiesen werden können.
2. Ansatzpunkt Evidenzbasierung? Überlegungen zur Relevanz
der Studien für bereits laufende Reformen der Lehrerbildung
Das BMBF definiert die bildungspolitische Rolle der Bildungsforschung, zumal der
empirischen, sehr eindeutig: „Sie liefert wichtige Hinweise und Lösungsvorschläge”383 zu
Fragen einer gerechten Bildung, die den Menschen „Chancen eröffnet, ihre individuellen
Fähigkeiten zu entfalten, ihre beruflichen Ziele zu verwirklichen und an der Gesellschaft
teilzuhaben”. Dazu „müssen die Stärken und Schwächen unseres Bildungssystems sichtbar
gemacht werden, Entwicklungen müssen hinterfragt und auf der Grundlage dieser
Erkenntnisse Weichen gestellt werden”.384
Der Ausweis des Rahmenprogramms zur Förderung der empirischen Bildungsforschung wird
daraus begründet: „Es bündelt Maßnahmen zur strukturellen Stärkung der empirischen
Bildungsforschung sowie zur Förderung von Forschungsprojekten in thematischen
Schwerpunkten.” 385
Ganz analog setzen auch private Forschungsstiftungen auf Evidenzbasierung: In Bezug auf
den von ihr geförderten Monitor Lehrerbildung stellt die Bertelsmann-Stiftung z.B. fest: „Nur
wenn Diskussionen auf aktuellen Informationen basieren, können sie sachlich geführt werden.
Dies gilt sowohl für politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, als auch
für die in die Lehrerbildung eingebundenen Akteure sowie für alle Personen, die sich für die
erste Phase der Lehrerbildung interessieren.”386 Die Telekom-Stiftung und der Stifterverband
der Deutschen Wissenschaft gehen einen Schritt weiter und leiten konkrete Forderungen z.B.
Torff, B., & Warburton, E.C. (2005). Assessment of teachers’ beliefs about classroom use of critical-thinking
activities. Educational and Psychological Measurement, 63, S. 155-179.
383
https://www.bmbf.de/de/bildungsforschung-1225.html.
384
Ebd.
385
Ebd.
386
http://www.monitor-lehrerbildung.de/web/projekt/index.html.
175
aus ihrer explorativen Studie zu Strukturen und Status der Lehrerbildung387 ab: „Die Qualität
der Lehrerausbildung bemisst sich nach der Vorbereitung auf die spätere Berufspraxis. Doch
noch
nicht
einmal
jeder
fünfte
Lehramtsstudent
beurteilt
die
Förderung
der
Beschäftigungsfähigkeit in seinem bisherigen Studium als gut. Um Abhilfe zu schaffen,
müssen sich die Zentren (für Lehrerbildung) und Schools (of Education) in die Gestaltung der
Curricula einmischen.“388
Geht man von diesem Verständnis aus, ist der Trend verständlich, der bei den
Forschungsförderern beobachtbar ist: Die Programme werden ihrerseits evaluiert, wobei die
Qualität der Ergebnisse auch daran gemessen wird, inwiefern sie die Grundlage für einen
Praxis-Transfer sind, oder gar, inwiefern sie nachweisbar nachhaltige Effekte nach sich
ziehen können.389 Dass die Forschung auf diese Erwartungen reagiert, lässt sich z.B. an den
Abschlusstagungen zu Forschungsschwerpunkten belegen. Sie bedienen die Erwartungen auf
Transferierbarkeit durch eine Zweiteilung, die exemplarisch an der im Februar 2016
stattfindenden
Abschlusskonferenz
zum
von
Cornelia
Gräsel
koordinierten
Forschungsschwerpunkt „Entwicklung von Professionalität des pädagogischen Personals in
Bildungseinrichtungen (ProPäda)“390 verdeutlicht wird: Im Hauptvortrag/ den Hauptvorträgen
werden die Ergebnisse des Gesamtprogramms auf die Diskussion um eine gute PraxisWissenschafts-Kooperation fokussiert. Im Anschluss daran werden in Vorträgen und
Posterpräsentationen die Ziele und Ergebnisse der Teilprojekte vorgestellt. Diese werden bei
weitem nicht alle bereits „Hinweise und Lösungsvorschläge” (BMBF) zu einer optimierten
Praxis-Wissenschafts-Kooperation geben können.
Am Beispiel der Kompetenzorientierung des Unterrichts lässt sich zeigen, dass
evidenzbasierte Forschung selbst bei einem lebensweltlich naheliegenden, politisch
gewollten,
wissenschaftlich
in
vielen
Feldern
aufgegriffenen
Thema
einen
Paradigmenwechsel auch nach gut zehn Jahren nicht sicher stellen konnte. Ob dies an der
Widerständigkeit der Praxis oder an der Forschung liegt, die konkrete
„Hinweise und
Lösungsvorschläge” oft noch schuldig blieb, lässt sich hier nicht klären. In den
Programmevaluierungen der Förderschwerpunkte des BMBF oder der DFG wird in schöner
387
Böttcher, W., Blasberg S. (2015). Strategisch aufgestellt und professionell organisiert. Eine explorative Studie
zu
Strukturen
und
Status
der
Lehrerbildung,
Lünen:
Telekom.
URL
http://www.hrk.de/uploads/media/Studie_Querstrukturen.pdf.
388
Vgl. die Pressemitteilung der Telekom-Stiftung, URL http://www.telekom-stiftung.de/dtscms/de/presse/pressemitteilung/581.
389
Vgl. hierzu BMBF (2013): Evaluierung der BMBF-Förderlinie „Hochschulforschung als Beitrag zur
Professionalisierung
der
Hochschullehre“,
Abschlussbericht.
http://www.hochschulforschungbmbf.de/_media/Abschlussbericht_online.pdf.
390
Die unten vorgestellte BilWiss-Studie ist eines der im Rahmen des Forschungsschwerpunkts geförderten
Projekte.
176
Regelmäßigkeit auf das Problem des mangelnden Transfers hingewiesen. Die darauf
basierende Anregung, gesonderte Fördermaßnahmen für den Transfer vorzusehen, wird in
einigen Förderschwerpunkten aufgegriffen.391 Die Förderung bleibt naturgemäß aber
wiederum auf Forschung bezogen.392
Ein Grund dafür, dass die Ergebnisse der Forschung, auch wenn sie die Daten, auf denen
Evidenzen basieren, aus der Praxis von Schule und Lehrerbildung kommen, nur selten
unmittelbar Wirkung zeigen, liegt in der Vielfalt der in Teil A exemplarisch dargestellten
Herausforderungen. Vergleichbar einer Operation am offenen Herzen mussten die Reformen
der Lehrerbildung im laufenden Betrieb beginnen. Wie am Eichstätter Beispiel zu zeigen ist,
laufen sie oft bereits seit einem Jahrzehnt. Auch wenn Anpassungen erfolgen, das
Bewusstsein, dass es sich um einen noch lange nicht abgeschlossenen Reformprozess handelt
ist ebenso wenig verbreitet wie die Bereitschaft, optimierend an ihm mitzuwirken.
Änderungen
werden
teilweise
„von
außen”
verordnet,
etwa
von
Akkreditierungskommissionen; teilweise werden sie von Förderausschreibungen wie der
Qualitätsoffensive Lehrerbildung angestoßen. Kommen sie „von innen“, betreffen sie in der
Regel universitätsspezifische Einzelaspekte.
Die vorliegenden Forschungsergebnisse werden dabei kaum unmittelbar im Sinne von
„Hinweisen und Lösungsvorschlägen” genutzt. Dies verbietet sich oft bereits von der Anlage
der Studien her. Viele Forschungsergebnisse, z.B. die aus den meisten Large-Scale
Assessments, sind nicht unmittelbar auf einzelne Hochschulen zu beziehen; qualitative
Studien, selbst wenn sie sich auf Studierende der eigenen Hochschule beziehen, können keine
Repräsentativität beanspruchen. In der Summe bilden die empirischen Studien aber einen
Horizont, um die z.B. von Akkreditierungsagenturen angemahnten Veränderungen zu
kontextualisieren, um Monita von Studierenden und Dozenten zu bewerten, um interne
Optimierungsideen an ihnen zu messen, um Eingriffe der Verwaltung zu akzeptieren oder
zurückzuweisen, kurz um die an den Hochschulen ergriffenen bzw. geplanten
Reformmaßnahmen einzuordnen. In diesem Sinne wird die Evidenzbasierung, die die
empirische Bildungsforschung bieten kann, als Ansatzpunkt für die (weiteren) Reformen der
Lehrerbildung, gerade auch an einzelnen Universitäten vorgeschlagen.
391
Vgl. exemplarisch die BMBF-Ausschreibung zur Förderung von Forschungsvorhaben in Ankopplung an
Large-Scale-Assessments vom 22. Juli 2014.
392
Genehmigt wurde z.B. das Projekt Scheiber, Brefeld, Trautwein: „Erklärung von Kompetenzausprägungen
aus der Quantität und Qualität der Nutzung eines elektronischen Schulbuchs: Verbindung der Nutzungsdaten des
mBooks Geschichte mit längsschnittlich erhobenen Daten zur Kompetenz- und Wissensentwicklung (LSA).”
Das Projekt ist an die unten vorgestellte HiTCH-Studie angeschlossen.
177
An vier exemplarisch ausgewählten Studien der letzten Jahre wird im Folgenden versucht, sie
als Ansatzpunkte für die Beurteilung gewählter Reformansätze und als Kompass für
Weiterentwicklungen zu nutzen. Konkretisiert wird dies am Konzept Lehramtplus., das 2004 ff,
unter Bezug auf den damaligen Forschungsstand, auf „reflektierte Praxis“, auf institutionelle
Vorgaben und Zwänge der Pragmatik entwickelt worden war.
Folgende Studien wurden ausgewählt: PALEA, eine Panel-Studie zur Lehrerbildung,
COACTIV, eine auf fachliche Lehrerkompetenzen ausgerichtete Studie und BILWISS, als auf
erziehungswissenschaftliche Kompetenzen ausgerichtetes Pendant. Dazu kommt mit HiTCH
eine Studie, die auf Schülerkompetenzen fokussiert; an ihrem Beispiel wird nach der
Relevanz von Schülerstudien für die Lehrerbildung gefragt.393
3. Ansatzpunkt Evidenzbasierung, konkretisiert an vier Studien
3.1 PaLea -Panel zum Lehramtsstudium (vgl. www.PaLea.uni-Kiel.de)
3.1.1 Kurzvorstellung der Studie
Laufzeit: Teil I: 2009 – 2012; Teil II: 2013-2016,
Förderung durch das BMBF, Förderschwerpunkt: Hochschulforschung als Beitrag zur
Professionalisierung der Hochschullehre,
Projektleitung: Olaf Köller (Projektkoordinator), Leibniz-Institut für die Pädagogik der
Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel; Jens Möller, Christian-Albrechts-Universität,
Kiel; an Teil I war zudem Manfred Prenzel, Technische Universität München beteiligt.
Das Projekt rekurriert auf die auch in diesem Band geschilderte Ausgangslage, dass im Zuge
der Bologna-Reform Lehrerbildung neu aufgestellt werden musste, was in einigen
Bundesländern zu einer Vielfalt an Neukonzeptionen und Modellversuchen zum
Lehramtsstudium führte, in anderen zu Anpassungen unter Beibehaltung bestehender
Studienstrukturen (Vgl. Teil Kapitel II, Kulturhoheit der Länder und universitäre
393
Die knappe Vorstellung der Studien bezieht sich auf Selbstdarstellungen auf den Projekthomepages, in
Kurzpräsentationen in Zeitschriften, Vorträgen und in den zentrale Publikationen.
178
Lehrerbildung). Wie bereits dargelegt, versuchten KMK und HRK dafür Rahmenbedingungen
zu fixieren.
PaLea will in einer Längsschnittstudie „die Entwicklung Lehramtsstudierender im
Studienverlauf
unter
diesen
verschiedenen
Bedingungen
nachzeichnen“
(vgl.
www.PaLea.uni-Kiel.de). Dazu werden professionsbezogene Merkmale (professionelles
Wissen, Werthaltungen & Überzeugungen, Motivation, überfachliche Kompetenzen),
Studienstrukturen und die Qualität von Lerngelegenheit sowie Lernvoraussetzungen der
Studierenden und ihre Nutzung der Lerngelegenheiten untersucht.
Die in fünf Wellen in den Jahren 2009 bis 2012 und 2014 erhobenen Daten von ca. 1200
Studierenden aus 13 Universitäten werden sowohl längsschnittlich als auch querschnittlich
ausgewertet.
In Teil 1 des Projekts wurden die unterschiedlichen Studienstrukturen der beteiligen
Universitäten systematisiert, um so die Basis für einen Vergleich überhaupt erst zu schaffen.
Unterschiede ergaben sich insbesondere bezogen auf den Grad an Polyvalenz mit
fachwissenschaftlichen Studiengängen und – damit verbunden – den Zeitpunkt, zu dem eine
Entscheidung für oder gegen den Lehrerberuf getroffen werden muss sowie bezogen auf die
Umfänge bildungswissenschaftlicher, fachdidaktischer, fachlicher und schulpraktischer
Studienanteile. Ein anderer Schwerpunkt lag auf längsschnittlichen Befragungen des
Studierendenpanels in Bezug auf Eingangsinteressen, Belastungserleben und Lehrerurteile.
Der Frage nach individuellen Prädiktoren für Entwicklungsverläufe wurde nachgegangen.
Danach hängt der Studienerfolg davon ab, wie Studierende vorhandene Lerngelegenheiten auf
Basis ihrer individuellen kognitiven, motivationalen und sozialen Voraussetzungen nutzen. Es
zeigten sich deutliche Unterschiede in der Wahlmotivation ihres Lehramtes zwischen
Grundschule und Gymnasium. Die beiden Gruppen unterschieden sich auch in der
Wahrnehmung der Relevanz und Schwierigkeit des Lehrangebots in den Studienbereichen
Fach, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften. Zu geringerem Belastungserleben und
höherer
Studienzufriedenheit
führen
Lehrbedingungen,
die
autonomie-
und
kompetenzunterstützend sind. Schulpraktische Studienanteile leisten auch als Kurzpraktika
einen Beitrag zur Entwicklung des professionsbezogenen Selbstkonzepts.
Ergebnisse aus PaLea Teil II (2013 bis 2016) sind noch nicht bekannt; „Motivation und
Belastung/ Belastungserleben” und die Bedeutung der unterschiedlichen Studienstrukturen für
die professionsbezogene Kompetenzentwicklung Lehramtsstudierender werden untersucht.
In Kooperation mit den Deutschen PaLea-Partnern wurde von der Pädagogischen Hochschule
Zug ab 2010 eine Adaption der Studie für die Schweiz betrieben. (Qualität evaluieren und
179
entwickeln (QUEE) in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung).394 Als Ziele wurden
formuliert „Beschreibungswissen über typische Studienbedingungen und Studienverläufe,
Wissens-
und
Kompetenzaufbau,
Veränderungen
im
professionellen
Verständnis;
Steuerungswissen für die Weiterentwicklung der Ausbildungsqualität in der Lehrerinnen- und
Lehrerbildung an Pädagogischen Hochschulen (CH) und Universitäten (D); Erklärungswissen
zur Wirksamkeit von Ausbildung: Zusammenhänge von Studienkonzepten/-strukturen und
Qualität
der
Lerngelegenheiten
mit
dem
Aufbau
von
individuellem
Professionalisierungswissen und der Entwicklung berufsbezogener Merkmale.”395 Einzelne
der im Rahmen von PaLea entwickelten Instrumente wurden mehrfach in anderen Studien
aufgegriffen, so z.B. in der Zusatzstudie „Lehramtsstudierendenpanel (LAP)“ in NEPS
(Nationales Bildungspanel).
3.1.2 Zusammenhang mit Lehramtplus: Ansatzpunkte für die Beurteilung;
Anregungen zur Optimierung
Strukturunterschiede zwischen dem Aufbau der Studiengänge Gymnasium/ Realschule
auf der einen und Grund-/ Mittelschule auf der anderen Seite
Auch wenn für die KU nur wenige eigene mit den PaLEA-Erhebungen vergleichbare
Befragungsdaten zu Studierenden vorliegen, die Ergebnisse zur Wahl der Schulart lassen sich
durch die Eichstätter Eingangserhebungen bestätigen.396
Die klaren Unterschiede im
Studienaufbau zwischen Schularten mit Fachlehrer- und Klassenlehrerprinzip, die Lehramtplus
macht, berücksichtigen diese (erwartbaren) Ergebnisse. PaLea unterstützt die 2007 getroffene
Entscheidung.397
394
http://www.bildungsmanagement.net/pdf/IBB-PaLea-13-09-18-final.pdf
Die Ergebnisse werden derzeit (2015) auf Tagungen und in Publikationen vorgestellt. Vgl. u.a. SGBF
Kongress 2015 – Qualitäts- und Bildungsdiskurs 29. Juni – 1. Juli 2015 / St. Gallen (Schweiz). Aus der
Beschreibung des Symposionsbeitrags Wolfram/ Schwander/ Huber: Auch bei den „Schweizer Studierenden
lässt sich ein stufenspezifischer Unterschied zwischen den fachlichen und den pädagogischen Motiven zeigen:
„Studierende der Kindergarten- und Unterstufe (KU) und der Primarstufe (PS) wählten ihr Studium stärker aus
pädagogischen Motiven (weil sie gerne mit Kindern arbeiten wollen) als Studierende der Sekundarstufe I (Sek).
Bei den Studierenden der Sekundarstufen war dagegen das Fachinteresse stärker ausgeprägt. Bei den
Studierenden aller Studiengänge spielen auch Motive der Nützlichkeit für die eigene Lebensgestaltung eine
Rolle, wobei für Studierende der KU und PS Stufe eher die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im
Vordergrund stand, für Studierende der Sek-Stufe dagegen eher die finanzielle Sicherheit.”
396
Die Eingangserhebung wird seit 2008 durchgeführt; Erhebungsinstrument, die quer- und längsschnittliche
Auswertung kann bei den Autorinnen eingesehen werden. Auch ohne die KU-eigenen Daten hätte die Schweizer
Studie, die ihrerseits deutschen Ergebnisse bestätigt, eine Replikation auch für Eichstätt nahegelegt.
397
Als Fragestellung für eine Sekundäruntersuchung der Eichstätter Daten wäre interessant zu klären, ob
Studierende des Lehramts Realschule sich eher wie Studierende des Lehramts Gymnasium äußern (dies würde
395
180
Überarbeitung der Module, mit dem Ziel, die Kompetenzorientierung zu optimieren
In Eichstätt wurden die 2007 zur Einreichung des Modellversuchs angelegten Module
mehrfach überarbeitet.398
● 2010, um auf die Ergebnisse der Workload-Erhebungen und auf die Vorgaben von
HRK und KMK zu reagieren („Reform der Reform“);
● 2014, bei der Integration der Lehramtsgeeigneten Bachelor-/ Masterabschlüsse
(Lehramtplus) als lehramtsgeeignetes Profil in die interdisziplinären Bachelor- und
Masterstudiengänge der KU;
● 2015: Überarbeitung nach den Vorgaben der Akkreditierungsagentur; die Auflagen
waren formaler Art (Modulgrößen) und inhaltlicher Art (Passung der Prüfungsformen
zu den Kompetenzen, Klarheit der Kompetenzbeschreibung).
Es kann festgestellt werden, dass die Intention, die Kompetenzorientierung zu optimieren,
auch unter Bezug auf PaLea als relevant eingeschätzt werden können (vgl. oben: „Zu
geringerem Belastungserleben und höherer Studienzufriedenheit führen Lehrbedingungen, die
autonomie- und kompetenzunterstützend sind.”) Dies trifft auch auf die Kritik der
Akkreditierungsagentur an Modulen zu, die zu formalistisch angelegt waren und zu wenig
inhaltlich begründete, progredierende Kompetenzaussagen aufwiesen.
Strukturelle Rahmenbedingungen für den Aufbau von Lehrerkompetenzen
Die Bedeutung, die PaLea autonomie- und kompetenzunterstützenden Lehrbedingungen
zuweist, können auch angeführt werden, um die Konstruktionsprinzipien, die Lehramtplus
zugrunde liegen, zu stützen. Dies gilt für Strukturüberlegungen
•
die Studiengang spezifische Polyvalenz zwischen Fach- und Lehramtsstudium betreffend,
•
zum „Lehramtstrack“, der den systematischen Kompetenzaufbau ermöglicht,
•
zu den auf Progression zielenden Praxismodulen,
•
zu den auf Reflexion des eigenen Lernens ausgerichteten Kombimodulen,
•
zu den Strukturmaßnahmen, die einen Rahmen schaffen, um Lehrerkompetenzen als
Querschnittskompetenzen
zu
verstehen
und
Fach(wissenschaft),
Fachdidaktik,
Erziehungswissenschaften und Praxismodule aufeinander zu beziehen.
Ansatzpunkt Kompetenzorientierung 2.0, inklusive HOLEKOs
die Studienstruktur-Entscheidung von Lehramtplus bestätigen) oder eher wie Studierende des Lehramts
Mittelschule.
398
Nähere Details unter Teil C, Kapitel II 1.1 Schritte der Entwicklung, Überarbeitung und Optimierung.
181
Ein Ansatzpunkt für weitere Reformen war, auf Kompetenzorientierung 2.0 (einschließlich
der Orientierung an einem Kompetenzstrukturmodell als Rahmen für alle Phasen und Säulen
der Lehrerbildung) zu bauen. Diese Maßnahmen zielen insbesondere auf Autonomisierung,
u.a. beim Umgang mit Unsicherheiten. Die PaLea-Ergebnisse können zur Legitimation dieser
Überlegungen herangezogen werden
•
für die theoretischen Überlegungen zum Kompetenzstrukturmodell HOLEKO,
•
für Überlegungen zur Förderung der Kompetenzbereiche in allen Phasen der
Lehrerbildung.
Um weitere Optimierungsansätze abzuleiten, sind insbesondere die PaLea-Ergebnisse der
zweiten Runde von Interesse.
3.2 COACTIV: Professionswissen von Lehrkräften, kognitiv aktivierender
Mathematikunterricht und die Entwicklung mathematischer Kompetenz
bei Schülern (vgl. www.mpib-berlin.mpg.de/coactiv/index.html)
3.2.1 Kurzvorstellung der Studie und ihrer Ergebnisse399
1. Laufzeit: 2002 bis 2006; begleitende Studie zu PISA 2003, Mathematik
2. Förderung durch die DFG, im Rahmen des Schwerpunktprogramms BiQUA
(Bildungsqualität von Schule);
3. Projektleitung und Projektteam: Jürgen Baumert,
(Dubberke),
Uta Klusmann, Axinia Hachfeld,
Mareike Kunter, Thamar Voss
Katrin Löwen,
Kooperationspartner anderer Universitäten: Werner Blum,
Jordan,
Stefan Krauss,
Dirk Richter;
Martin Brunner, Alexander
Michael Neubrand.
4. Sample: ca. 350 Mathematiklehrkräfte, davon ca. die Hälfte aus dem Gymnasium, die
andere Hälfte aus den weiteren Schularten der Sekundarstufe I und ca. 190 in PISA 2003
und 2004 untersuchte Klassen.
399
Zentrale Publikation: Kunter, M., Baumert, J., Blum, W., Klusmann, U., Krauss, S., & Neubrand, M. (Hrsg.).
(2011). Professionelle Kompetenz von Lehrkräften -Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV. Münster:
Waxmann; dort die Hinweise auf die weiteren ca. 50 im Rahmen von COACTIV und COACTIV-R entstandenen
Beiträge. Vgl. auch die englischsprachige Publikation der Ergebnisse: Kunter, M., Baumert, J., Blum, W.,
Klusmann, U., Krauss, S., & Neubrand, M. (2013). Cognitive activation in the mathematics classroom and
professional competence of teachers. Results from the COACTIV project. New York, NY: Springer.
182
Die zentralen Fragestellungen der Studie waren:
•
Welche Aspekte der Lehrerkompetenz lassen sich empirisch identifizieren und welche
Beziehungen weisen diese Merkmale untereinander auf?
•
Welche Kompetenzaspekte beeinflussen das unterrichtliche Handeln einer Lehrkraft?
•
Welche direkten und indirekten Einflüsse hat die Kompetenz einer Lehrkraft auf die
Lernerfolge ihrer Schülerinnen und Schüler?
•
Warum unterscheiden sich Lehrkräfte in ihrer Kompetenz?
Die Grundlage der Studie bildet das Kompetenzmodell von Baumert und Kunter400 und ein
Modell zu Unterrichtsqualität401. Das Kompetenzmodell umfasst Professionswissen,
Überzeugungen und Werthaltungen, motivationale Orientierungen und Selbstregulation. Das
Modell zur Unterrichtsqualität umfasst die Aspekte kognitive Aktivierung, Klassenführung
und konstruktive Unterstützung von Schülerinnen und Schülern.
Zu diesen Bereichen wurden im Rahmen der COACTIV-Studie reliable Daten erhoben. Dazu
wurden Tests zur Erfassung des mathematischen Fachwissens und des fachdidaktischen
Wissens (Professionswissen) entwickelt402, ein Test zu pädagogisch-psychologischem Wissen
(im Rahmen der COACTIV-R Studie), außerdem Lehrerfragebögen zur Lehrerkompetenz und
zur
Unterrichtsqualität.
Zudem
wurden
die
von
PISA
generierten
Daten
zu
Schülerkompetenzen und zur Einschätzung ihres Unterrichts in Mathematik herangezogen.
Weil die PISA-Erhebung 2003 in 9. Klassen in Deutschland längsschnittlich um eine
Erhebung in den dann 10. Klassen erweitert wurde, kann die COACTIV-Studie Aussagen
über den Einfluss von Lehrerkompetenzen und Unterrichtsqualität auf Schülerkompetenzen
und andere Schülermerkmale machen. Zentrale Ergebnisse sind:
1. Das fachdidaktische Wissen der Lehrkräfte hat einen signifikanten Einfluss auf die
Unterrichtsmerkmale „kognitive Aktivierung“ und „konstruktive Unterstützung“ (je mehr
eine Lehrkraft darüber weiß, wie Fachinhalte verfügbar gemacht werden können, desto
herausfordernder erleben die Schülerinnen und Schüler den Unterricht). Fachdidaktisches
400
Kapitel 2 des Ergebnisbandes: Kunter et al. (2011).
Kapitel 5 des Ergebnisbandes: Kunter et al. (2011).
402
Vgl.: Krauss, S., Baumert, J., Blum, W., Neubrand, M., Jordan, A., Brunner, M., et al. (2006). Die
Konstruktion eines Tests zum fachlichen und zum fachdidaktischen Wissen von Mathematiklehrkräften. In E.
Cohors-Fresenborg & I. Schwank (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2006. Vorträge auf der 40.
Tagung für Didaktik der Mathematik vom 6.–10. März 2006 in Osnabrück (S. 319-322). Hildesheim u. Berlin:
Franzbecker; Krauss, S., Neubrand, M., Blum, W., Baumert, J., Brunner, M., Kunter, M., et al. (2008). Die
Untersuchung des professionellen Wissens deutscher Mathematik-Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen der
COACTIV-Studie. Journal für Mathematikdidaktik, 29(3/4), S. 223-258.
401
183
Wissen hat aber keine Auswirkung auf den dritten Aspekt der Unterrichtsqualität, die
„Klassenführung“.
2. Zwischen fachlichem und fachdidaktischem Wissen bestehen Zusammenhänge, die bei
Gymnasiallehrkräften stärker ausgeprägt sind als bei Lehrkräften anderer Schulformen;
Gymnasiallehrkräfte mit einer höheren Ausprägung im fachdidaktischen Wissen erreichen
höhere Werte im Fachwissenstest. In beiden Segmenten ist das Wissensniveau der
Gymnasiallehrkräfte höher als das der anderen Lehrkräfte.
3. Das Fachwissen der Lehrkräfte für sich genommen hat keinen nachweisbaren Einfluss auf
Unterrichtsqualität und Schülermerkmale.
4. Eine höhere Ausprägung des Professionswissens geht mit stärker konstruktivistischen
Lernüberzeugungen einher. Diese haben einen signifikanten Einfluss auf den
Lernzuwachs der Schülerinnen und Schüler, nicht aber auf die erlebte Freude an
Mathematik. Die COACTIV-Studie zeigt (wie weitere Studien zum Mathematikunterricht
auch), dass ein kognitiv aktivierender und die Selbstständigkeit fördernder Unterricht nur
selten vorkommt. Vorherrschend in allen Schularten ist eine homogene Aufgabenkultur,
die wenig Gelegenheit zur gehaltvollen Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten
bietet.
5. Nahezu unkorreliert mit dem Professionswissen sind die berufsbezogene Motivation der
Lehrkräfte und ihre selbstregulativen Fähigkeiten.
6. Lehrkräfte, die mit einem hohen Maß an „Unterrichtsenthusiasmus“ bei gleichzeitiger
Fähigkeit, sich auch von Arbeitsbelangen zu distanzieren und Probleme aktiv zu
bewältigen gekennzeichnet sind, werden von ihren Schülerinnen und Schülern als
besonders unterstützend im Unterrichtsgeschehen wahrgenommen.
7. Mit Hilfe der Längsschnittstudie lässt sich die Annahme unterstützen, dass kognitive
Aktivierung, Klassenführung und individuelle Unterstützung einen positiven Effekt auf
die Entwicklung der mathematischen Kompetenz auf Schülerseite haben. Die
Klassenführung zeigt Einfluss auf den Leistungszuwachs und die erlebte Freude an
Mathematik, die kognitive Aktivierung (lediglich) auf den Leistungszuwachs, die
konstruktive Unterstützung von Schülerinnen und Schülern trägt zur Steigerung der
Freude und zum Abbau von Leistungsängstlichkeit bei.
8. Für den Erwerb des Professionswissens haben strukturierte Lerngelegenheiten besondere
Bedeutung. Der Schluss liegt nahe, dass bereits die Erste Phase der Lehrerbildung
maßgeblich für den fachspezifischen Kompetenzerwerb ist, die Zweite Phase der
184
Lehrerbildung eine Schlüsselfunktion im Erwerb pädagogischer Kompetenzen und bei der
Entwicklung professionsbedingter Wertpräferenzen hat.
Um letztgenannte Hypothese zu untersuchen, startete im Herbst 2007 die Studie COACTIVReferendariat (COACTIV-R), die sich mit der Entwicklung der professionellen Kompetenz
während des Vorbereitungsdiensts beschäftigte. Im Rahmen einer Längsschnittuntersuchung
wird die Kompetenzentwicklung vom Abschluss der ersten (universitären) Phase bis zum
Abschluss der zweiten Phase (Vorbereitungsdienst bzw. Referendariat) verfolgt. Dabei
werden folgende Aspekte der Handlungskompetenz berücksichtigt:
1. Wissen: Fachwissen, fachdidaktisches Wissen, generelles pädagogisches Wissen,
diagnostisches Wissen und diagnostische Fähigkeiten.
2. Persönlichkeitsfaktoren: Berufsethos, subjektive Theorien über Lehren und Lernen,
Selbstwirksamkeitsüberzeugungen,
intrinsische
Motivation,
Zielorientierungen,
Kooperationsbereitschaft, Verarbeitung von Berufsbelastungen, Regulation psychischer
Ressourcen.
3. Situationsabhängiges Motivations- und Emotionserleben: Erleben von Berufszufriedenheit
und Erfüllung, Belastung, Stress und Angst.
4. Ergebnisse403
In zahlreichen weiteren Studien wurden die Ansätze und Ergebnisse der COACTIV-Studie
aufgegriffen und weitergeführt. In den zentralen Aussagen konnten mehrfach Replikationen
stattfinden.
3.2.2 Zusammenhang mit Lehramtplus: Ansatzpunkte für die Beurteilung;
Anregungen zur Optimierung
Maßnahmen zur Förderung der Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenz
Bezieht man die oben dargestellten Ergebnisse von COAVTIV auf Lehramtplus, so können alle
Maßnahmen
des
Modellversuchs,
die
den
403
Aufbau
von
Lehrerkompetenzen
als
Vgl. u.a. Voss, T., Kleickmann, T., Kunter, M., & Hachfeld, A. (2011). Überzeugungen von
Mathematiklehrkräften. In: M. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss & M. Neubrand (Hrsg.),
Professionelle Kompetenz von Lehrkräften - Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV, S. 235-257.
Münster: Waxmann; vgl. auch Kunter, M., Klusmann, U., Genz, K., Busching, R., Peters, R.: COACTIV-R:
Kompetenzerwerb von Lehramtskandidat(inn)en im Vorbereitungsdienst. Persönliche Ergebnisse. URL
https://www.mpib-berlin.mpg.de/coactiv/_download/beispielrckmeldung.pdf.
185
Querschnittskompetenz fördern, gestützt werden. Dies gilt demzufolge auch für die zugrunde
liegenden Strukturüberlegungen. Gestützt werden insbesondere
a) die Überlegungen, die Kompetenzen der Studierenden innerhalb der Säulen
progredierend in den drei Phasen Sockel-, Vertiefungs-, Profilierungsstudium
aufzubauen,
b) die
strukturelle
Unterstützung
für
eine
querschnittliche
Vernetzung
der
Kompetenzentwicklung durch den „Lehramtstrack“,
c) die Nutzung von Praxismodulen, Kombimodulen und vernetzten Modulen als
innovative Maßnahmen zum querschnittlichen Kompetenzaufbau,
d) das Praxiskonzept, das die Vernetzung zwischen Fach und Fachdidaktik unterstützt.
Ansatzpunkt
für
zukünftige
Reformen:
Kompetenzorientierung
2.0,
inklusive
HOLOKOs
Interessant ist, dass die der COACTIV-Studie zugrunde liegenden Modelle für
Lehrerkompetenzen und Unterrichtsqualität mit den in der HOLEKO-Modellierung
ausgewiesenen
Kompetenzbereichen
durchaus
harmonieren:
Die
sachspezifische
Analysefähigkeit „den Kern [zu] identifizieren” korreliert in besonderem Maße mit den in der
COACTIV-Studie als leistungsfördernd für die Schülerinnen und Schüler erkannten
Bedingungen. Der Kompetenzbereich Selbst- und Fremdwahrnehmung/-reflexion verweist
auf die Bildungsqualität fördernden Dimensionen von Lehrerkompetenzen, für die COACTIV
Wirksamkeit nachweisen könnte. Die Bedeutung von fachbezogenen, aktivierenden
Hilfestellungen für die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler verweist auf
den dritten Kompetenzbereich, also auf die sach- und adressatenspezifischen Synthesen.
Optimierend für Lehramtplus wäre demzufolge, die horizontale, querschnittliche Vernetzung
weiter auszubauen und die Kompetenzbereiche der HOLEKOs in der Eichstätter
Lehrerbildung breiter zu berücksichtigen. Dies gilt ebenso für die Modellvorstellung der
Lehrkraft als „scientist practitioner“, der durch verstärkte Forschungsorientierung seine Arbeit
in der Praxis verbessert. Die in COACTIV-R gepflegte Feedbackkultur könnte z.B. in den
Praxismodulen gut zur Anwendung kommen.
186
3.3
BilWiss:
Bildungswissenschaftliches
Wissen
und
der
Erwerb
professioneller Kompetenz in der Lehramtsausbildung
3.3.1 Kurzdarstellung der Studien und ihrer Ergebnisse
Phase 1: Bildungswissenschaftliche Kompetenzen im Studium
1) Laufzeit: 2009 bis 2013
2) Förderung durch:
a) BMBF, im Rahmen des Förderprogramms ProPäda (Entwicklung von Professionalität
des pädagogischen Personals in Bildungseinrichtungen);
b) Förderung der Zusatzstudien durch das Ministerium für Schule und Weiterbildung,
NRW.
3) Projektleitung: Mareike Kunter (Koordinatorin), Goethe-Universität Frankfurt; Jürgen
Baumert, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin; Detlev Leutner, Universität
Duisburg-Essen; Ewald Terhart, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
4) Zentrale Publikationen: Zur Studie zu Curriculum-Analysen vgl. Terhart, Lohmann &
Seidel (2010)404; zur Studie zu Studienseminar-Analysen vgl. Neu-Clausen, Demski &
van Ackeren (2010)405; zur Evaluationsstudie des reformierten Vorbereitungsdienstes in
Nordrhein-Westfalen vgl. Kunter et al. (2014)406.
Phase 2: BilWiss Beruf
•
Laufzeit: 2012 bis 2015,
•
Förderung
durch
BMBF,
im
Rahmen
des
BMBF-Programms
KoKoHs
(Kompetenzmodellierung und Kompetenzerfassung im Hochschulsektor),
404
Terhart, E., Lohmann, V. & Seidel, V. (2010). Die bildungswissenschaftlichen Studien in der universitären
Lehrerbildung. Eine Analyse aktueller Studienordnungen und Modellhandbücher an Universitäten in NordrheinWestfalen. Abschlussbericht an das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW. Münster: Westfälische
Wilhelms-Universität Münster.
405
Neu-Clausen, M., Demski, D. & van Ackeren, I. (2010). Die bildungswissenschftlichen Anteile der
Studienseminarprogramme in Nordrhein-Westfalen. Eine vergleichende Bestandsaufnahme und Analyse.
Abschlussbericht. Essen: Universität Duisburg-Essen.
406
Vgl.: Kunter, M. Linninger, C., Schulze-Stocker, F., Kunina-Habenicht, O. Lohse-Bossenz, H. (2013):
Evaluation des reformierten Vorbereitungsdienstes in Nordrhein-Westfalen. Bericht an das Ministerium für
Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen.
187
•
Projektleitung: Mareike Kunter (Koordinatorin), Goethe-Universität Frankfurt; Detlev
Leutner, Universität Duisburg-Essen; Tina Seidel, Technische Universität München;
Ewald Terhart, Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Ausgangslage, Grundhypothesen, Fragestellungen
Die BilWiss-Studie ist der Diskussion über das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis
zuzuordnen, in der oft sowohl seitens der angehenden Lehrkräfte als auch seitens der
Ausbilderinnen und Ausbilder argumentiert wird, speziell die universitäre Phase sei zu
praxisfern und umfasse zu viele Inhalte, die für die spätere Berufsausübung irrelevant seien.
Demgegenüber ist die Grundannahme der Studie, dass bildungswissenschaftliche Inhalte und
Zusammenhänge einen begrifflichen Rahmen darstellen, den Lehrkräfte benötigen, um
Unterrichts- und Schulereignisse angemessen zu interpretieren, zu reflektieren und für die
eigene Kompetenzentwicklung zur Bewältigung beruflicher Anforderungen zu nutzen.
Erste BilWiss-Studie: Design und Ergebnisse
Mit Hilfe einer Delphi-Studie (49 Expertinnen und Experten aus den Bildungswissenschaften
und der Zweiten Phase) wurden aus 213 möglichen Themen, die aus der Analyse von
Studien- und Ausbildungsordnungen gewonnen worden waren, 104 Themen als bedeutsam
für die universitäre Lehrerbildung eingeschätzt und in ein theoretisches Modell
bildungswissenschaftlichen Wissens gebracht.407
Auf
dieser
Grundlage
wurde
ein
Messinstrument
(280
Items)
entwickelt.
Das
bildungswissenschaftliche Wissen von Lehramtsanwärterinnen und –anwärtern (Vollerhebung
NRW zu Beginn des 24-monatigen Vorbereitungsdienstes) wurde erfasst und in seiner
Struktur konzeptuell erschlossen. Um Wissensunterschiede zu erklären wurden persönliche
Merkmale, der Ausbildungsverlauf an unterschiedlichen Universitätsstandorten sowie
Kovariablen zu Interesse, Überzeugungen und Selbstwirksamkeit erhoben.
Die Ergebnisse der Hauptuntersuchung zeigen, dass es kein eindimensionales Konstrukt
„bildungswissenschaftliches
Wissen“
gibt,
vielmehr
konnten
sechs
Dimensionen
unterschieden werden, die jeweils für eine der an den bildungswissenschaftlichen Studien
beteiligten Disziplinen typisch sind. Sie korrelieren untereinander niedrig bis moderat und
407
Vgl. Kunina-Habenicht, O., Lohse-Bossenz, H., Kunter, M., Dicke, T., Förster, D., Gößling, J.,...Terhart, E.
(2012). Welche bildungswissenschaftlichen Inhalte sind wichtig in der Lehrerbildung? Ergebnisse einer DelphiStudie. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 15(4), S. 649-682; Lohse-Bossenz, H., Kunina-Habenicht, O. &
Kunter, M. (2013). The role of educational psychology in teacher education: Expert opinions on what teachers
should know about learning, development, and assessment. European Journal of Psychology of Education, 28(4),
1543-1565.
188
spiegeln somit die oft beklagte fehlende interdisziplinäre Vernetzung in der universitären
Lehrerbildung wider (zu den Ergebnissen vgl. u.a. Kunter et al. 2015). Zwischen den
Universitäten zeigt sich kein systematischer Unterschied; innerhalb der einzelnen
Universitäten besteht aber eine hohe Varianz (Kunina-Habenicht et al., 2013). Dies spiegelt
die hohe Wahlfreiheit für das bildungswissenschaftliche Teilstudium wider.
Die zeitliche Überschneidung des BilWiss-Projekts mit der Einführung des reformierten 18monatigen Vorbereitungsdienstes in NRW eröffnete die Möglichkeit, die Auswirkungen der
Reformen auf die professionelle Entwicklung von angehenden Lehrkräften in einer quasiexperimentellen Feldstudie empirisch zu untersuchen.
Zweite BilWiss-Studie (BilWiss-Beruf): Ziele und Ergebnisse
Die zentrale Fragestellung der zweiten BilWiss-Studie lautete: Welchen Beitrag leistet das
bildungswissenschaftliche Wissen, das in der Lehramtsausbildung erworben wird, zur
erfolgreichen Bewältigung praktischer beruflicher Aufgaben? Der Frage wurden in
Anlehnung an die KMK-Standards (Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren) und in
einem längsschnittlichen Design nachgegangen, in dem ein Teil der nunmehrigen Referendare
befragt wurde.
Im
ersten
Erhebungszeitraum
(nach
einem
Jahr
Referendariat)
kamen
folgende
Erhebungsinstrumente zum Einsatz:
•
Fragebogen zur Selbsteinschätzung der Kompetenzentwicklung in den schulischen
Handlungsfeldern,
•
Fragenbogen zur Fremdbeurteilung der professionellen Kompetenz (Schülerbefragung zur
Unterrichtsqualität nach den COACTIV-Kriterien),
•
das computerbasierte Instrument „Schülerinventar“ (Universität Kiel) zur Beurteilung von
Schülerleistungen (diagnostische Kompetenz).
Am Ende des Referendariats wurden eingesetzt:
•
eine Kurzfassung des BilWiss-Tests (57 Items),
•
Fragebögen zur Selbst- und Fremdeinschätzung professioneller Kompetenz,
•
das computerbasierte Analyseinstrument „observer”408 (Blomberg, Stürmer & Seidel,
2011) zur Erfassung der professionellen Unterrichtswahrnehmung.
408
Es werden kurze Videosequenzen zu verschiedenen Unterrichtssituationen präsentiert und dazu mehrere
geschlossene Fragen hinsichtlich verschiedener Aspekte professioneller Unterrichtswahrnehmung gestellt.
189
•
Für die Reformkohorte wurden zusätzlich die Kernseminarleiterinnen und -leiter der
Lehramtsanwärter befragt.
Die letzte Erhebung fand 2014 und 2015 statt (eineinhalb Jahre nach Beendigung des
Referendariats) und legte den Schwerpunkt auf die handlungsnahe Erfassung der beruflichen
Kompetenzen. Die Ergebnispublikationen stehen aktuell (2015) noch aus.409
3.3.2 Zusammenhang mit Lehramtplus: Ansatzpunkte für die Beurteilung;
Anregungen zur Optimierung
Indizien für die Replizierbarkeit der Ergebnisse des BilWiss-Tests auch in Eichstätt?
Inwiefern der BilWiss-Tests auch außerhalb Nordrhein-Westfalens zum Einsatz gebracht
worden ist, konnte nicht eruiert werden;410 eine Überprüfung der Eichstätter Angebote aus
den Erziehungswissenschaften mit Hilfe des BilWiss-Instruments hat nicht stattgefunden.
Betrachtet man das Eichstätter Modulangebot, so kann auch hier mit einer Replikation
disziplinbezogener Dimensionen gerechnet werden. Dass sich aber sechs Dimensionen
unterscheiden
ließen,
ist
eher
nicht
zu
erwarten,
weil
kultur-
und
gesellschaftswissenschaftliche Module nur von Grund- und Mittelschulstudierenden gewählt
werden müssen, und nur in wenigen Fällen (Religion) schulbezogene Angebote gemacht
werden. Die Studierenden sind ansonsten zur polyvalenten Mitnutzung des fachlichen
Studiengangangebots gezwungen.
Strukturmaßnahmen
zur
Förderung
des
gezielten
Kompetenzaufbaus
(„Lehramtstrack“):
Angesichts der empirischen Bestätigung des Defizits interdisziplinärer Zusammenarbeit
innerhalb der Erziehungswissenschaften können die Strukturmaßnahmen, durch die versucht
wird,
die
interdisziplinäre
Zusammenarbeit
409
und
den
Aufbau
von
Angekündigt sind z.B. Stürmer, K., Seidel, T., & Kunina-Habenicht, O. (in press). Unterricht wissensbasiert
beobachten – Unterschiede und erklärende Faktoren bei Referendaren zum Berufseinstieg. Zeitschrift für
Pädagogik; Kunter, M., Kunina-Habenicht, O., Baumert, J., Dicke, T., Holzberger, D., Lohse-Bossenz, H.,
Leutner, D., Schulze-Stocker, F. & Terhart, E. (in press). Bildungswissenschaftliches Wissen und professionelle
Kompetenz in der Lehramtsausbildung – Ergebnisse des Projekts BilWiss. In C. Gräsel & K. Trempler (Hrsg.),
Entwicklung von Professionalität pädagogischen Personals. Interdisziplinäre Betrachtungen, Befunde und
Perspektiven. Wiesbaden: Springer-Online; Schulze-Stocker, F., Holzberger, D., Kunina-Habenicht, O., Terhart,
E. & Kunter, M. (angenommen). Spielen Studienschwerpunkte wirklich eine Rolle? Zum Zusammenhang von
bildungswissenschaftlichen Studienschwerpunkten, selbst eingeschätzten Kenntnissen und gemessenem Wissen
am Ende eines Lehramtsstudiums. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft.
410
Das Skalenhandbuch liegt jedenfalls vor. Vgl. hierzu: BilWiss_Skalenhandbuch_FDZ_2014-12-03.pdf.
190
erziehungswissenschaftlichen Kompetenzen als Querschnittskompetenzen zu unterstützen,
unter Bezug auf die Ergebnisse der BilWiss-Studie als positiv eingeschätzt werden.
Modellversuch Kooperation I. und II. Phase
Der nachhaltig wirksame Austausch zwischen universitären Schulpädagogen der Ersten und
Seminarlehrkräften Pädagogik der Zweiten Phase kann durch die in BilWiss aufgedeckten
Desiderate legitimiert werden (Erprobung phasenübergreifendender Vernetzung; Optimierung
des Praxiskonzepts u.a. durch Teamteaching; Entwicklung eines phasenübergreifenden und
säulenübergreifenden Kompetenzstrukturmodells).411
Das Konzept „scientist practitioner“ als Ansatzpunkt für weitere Reformen
Die Ergebnisse aus BilWiss I und die derzeit aus BilWiss II bekannten Ansätze stützen das
Konzept eines „scientist practitioners“, der u.a. bildungswissenschaftliches Wissen nutzt, um
mit Praxisproblemen wissenschaftsbasiert umzugehen, als Ansatzpunkt für weitere
Reformmaßnahmen.
Die in BilWiss I und II eingesetzten Instrumente (insbesondere auch die computergestützten)
böten
sich
für
die
grundschulpädagogische
Praxismodule
und
Vertiefungsmodule
für
an,
erziehungswissenschaftliche,
um
„Unterrichtswahrnehmung”
auch
und
„diagnostische Kompetenzen” gezielt zu schulen.
3.4. HiTCH („Historical Thinking – Competencies in History“): Beispiel
einer Studie, die auf Schülerkompetenzen fokussiert
3.4.1 Kurzvorstellung des HiTCH-Tests und seiner Ergebnisse
I.
II.
Laufzeit: 2012 bis 2015
Förderung durch: BMBF, im Rahmen des Förderschwerpunkts Large-ScaleAssessments
III.
Projektleitung: Ulrich Trautwein (Koordinator), Eberhard Karls-Universität Tübingen;
Andreas Körber, Universität Hamburg; Waltraud Schreiber, Katholische Universität
Eichstätt-Ingolstadt.
411
Vgl. die detaillierte Darstellungen in Teil C, Kapitel II 2. Modellversuch „Kooperation Erste und Zweite
Phase Lehrerbildung“.
191
Ausgangslage und zentrale Zielsetzung
Die
auf
einem
Richtigkeitsstandard412
beruhenden
Testverfahren
scheinen
der
konstruktivistischen Verfasstheit von Geschichte und den hieraus abgeleiteten historischen
Kompetenzen zu widersprechen. Dennoch war das Ziel des Projekts nachzuweisen, dass auch
für eine schwach strukturierte Domäne wie Geschichte ein den üblichen psychometrischen
Gütekriterien entsprechender Kompetenztest für den Einsatz in Large-Scale-Testungen
vorgelegt werden kann.
Weil die erzählte(n) Geschichte(n) nicht beliebig sind, sondern in ihrer Triftigkeit/ Güte
eingeschätzt werden können, konnten standardisierte Aufgabenformate entwickelt werden, die
zeigen, inwiefern die Probanden valide und reliabel über die für historisches Denken nötigen
Konzepte und Fähigkeiten verfügen. Zugrunde gelegt wurde das international anerkannte
FUER-Kompetenzstrukturmodell.413
Aufgabengenerierung
412
Eid, M., Gollwitzer, M., Schmidt, M. (2013). Statistik und Forschungsmethoden. Lehrbuch. Weinheim: Beltz.
In diesem Modell werden die Kompetenzbereiche für das historische Denken aus dem Prozess historischen
Denkens hergeleitet (vgl. Schreiber et al., 2006; Körber, Schreiber, Schöner, 2007): Die Hinwendung zu einem
historischen Thema erfolgt auf der Grundlage eines oft noch eher unspezifischen Interesses, einer Irritation,
eines Orientierungsbedürfnisses. Das, was man weiß, reicht nicht für einen angemessenen Umgang mit einem
Problem aus. Sich für die Auflösung der Irritation auf Vergangenes und auf die dabei zu gewinnenden
Einsichten zu beziehen, liegt aber nahe. Eine Präzisierung entsteht erst durch die Überführung der vagen
Bedürfnisse in eine konkrete Fragestellung - dies verlangt vor allem historische Fragekompetenz, dazu eine
zumindest in Grundzügen vorhandene Sachkompetenz; sie befähigt u.a. dazu, den „Punkt“ zu sehen, den Kern
des Problems zu identifizieren. Die Fragestellung leitet den weiteren Denkprozess. Als nächster Schritt erfolgt
die Suche nach einer triftigen Antwort; dafür ist historische Methodenkompetenz notwendig. Diese umfasst die
Fähigkeit, mit Quellen und Darstellungen umzugehen, und endet damit, die Antwort in einer Narration
darzustellen. Wiederum spielt die Sachkompetenz mit hinein, z.B. wenn die Materialien gezielt ausgewertet
werden sollen oder wenn durch die Nutzung von Fachbegriffen präzise Antworten gegeben werden. Ein weiterer
Aspekt von Sachkompetenz ist, die epistemologischen Prinzipien zu kennen, denen jede Beschäftigung mit
Vergangenheit, jede daraus entspringende Narration unterworfen ist.
Die Überprüfung, ob die gefundene Antwort das Ausgangsproblem bereits löst, und damit historische
Orientierung ermöglicht, setzt historische Orientierungskompetenz voraus. Sie umfasst die Fähigkeit, Fertigkeit
und Bereitschaft zum Welt-, Fremd- und Selbstverstehen, legt Handlungsdispositionen Grund und ermöglicht,
das eigene Geschichtsbewusstsein zu reflektieren und ggfs. zu modifizieren.
Der gesamte Denkprozess setzt das Verfügen über historische Sachkompetenz voraus, also über historische
Konzepte und über Einsichten in die epistemologischen Prinzipien. Im Denkprozess differenziert sich die in
Rede stehende Sachkompetenz weiter aus. Dies verdeutlicht auch die Visualisierung, die Sachkompetenz in die
Mitte setzt und Überlappungsbereiche zu den anderen Kompetenzen ausweist. (Vgl. Schreiber 2006; Körber,
Schreiber, Schöner 2007). Vgl. auch die am historischen Denken konkretisierten Hinweise zu Kombimodulen in
dieser Publikation (Teil A, IV 6.3.2 Handlungsfelder Unterrichten/ Beraten - Förderung der
Querschnittskompetenzen mit Hilfe von Kombimodulen).
413
192
Bei der Aufgabengenerierung wurden vorhandene Messinstrumente mitberücksichtigt414,
Anregungen für die Formulierung von geschlossenen Aufgaben aus qualitativen Studien
gewonnen,415
standardisierte
Umordnungsaufgaben
und
Aufgabenformate
Auswahlaufgaben,
genutzt
(v.a.
Multiple-Choice-
Zuordnungsoder
oder
Single-Choice-
Aufgaben). Die neu generierten Aufgaben und Items wurden in so genannten „Cognitive
Labs“ eingesetzt. In diesem qualitativen Verfahren wird das laute Denken der Probanden
durch situative Nachfragen („prompts“) zum Verständnis der Aufgabe und zu
Lösungsstrategien oder zur Begründung, warum eine bestimmte Antwortalternative gewählt
wurde, ergänzt.416 Unter Bezug auf das Kompetenzstrukturmodell wurden schließlich
Konstruktionslogiken für die Aufgaben- und Item-Entwicklung erarbeitet, die darauf zielen,
Aufgaben zu den beiden Basisoperationen der Re- und De-Konstruktion und zu den einzelnen
Kernkompetenzen in je unterschiedlichen Formaten zu entwickeln.417
Erhebungen und Ergebnisse
Durchgeführt wurden zwei umfangreiche Pilotierungen, eine Haupterhebung sowie eine
Validierungsstudie,418 Ergebnis ist ein Instrument mit 15 Aufgaben und 106 Items. Aus den
Aufgaben heraus wurde ein HiTCH-Kurztest generiert.
414
Vgl. z.B. Bertram, C., Wagner, W. & Trautwein, U. (2013). Chancen und Risiken von
Zeitzeugenbefragungen – Entwicklung eines Messinstruments für eine Interventionsstudie. In J. Hodel & B.
Ziegler (Hrsg.), Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 12, Beiträge zur Tagung "geschichtsdidaktik empirisch
12", S. 108-119. Bern: hep-Verlag; Bertram, C., Wagner, W. & Trautwein, U. (2014). Zeitzeugenbefragungen
im Geschichtsunterricht: Entwicklung eines Kurzinstruments für die Wirksamkeitsmessung. In T. Arand & M.
Seidenfuß (Hrsg.), Neue Wege – neue Themen – neue Methoden? Ein Querschnitt aus der
geschichtsdidaktischen Forschung des wissenschaftlichen Nachwuchses, S. 191-208. Göttingen: V&R
Academic; Borries, B. von, Fischer, C., Leutner-Ramme, S. & Meyer-Hamme, J. (2005). Schulbuchverständnis,
Richtlinienbenutzung und Reflexionsprozesse im Geschichtsunterricht. Eine qualitativ-quantitative Schüler- und
Lehrerbefragung im deutschsprachigen Bildungswesen 2002. Neuried: ars una Verlag; Hartmann, U. (2008).
Perspektivenübernahme als eine Kompetenz historischen Verstehens. (Dissertation). Göttingen. Zugriff am
23.01.2015. Verfügbar unter https://ediss.uni-goettingen.de/handle/11858/00-1735-0000-0006-
AD13-2.
415
Vgl. Zabold, S. (2015). Vor dem ersten Geschichtsunterricht: zur empirischen Erschließung des historischen
Denkens junger Lerner. Dissertationsmanuskript, angenommen.
416
Werner, M., Schreiber, W. (2015). Testfragen befragen – Pretesting und Optimierung des Large-ScaleKompetenztests „HiTCH“ durch Cognitive Labs. In: Waldis, M. & Ziegler, B. (Hrsg.). Forschungswerkstatt
Geschichtsdidaktik 13. Beiträge zur Tagung „geschichtsdidaktik empirisch 13“, S. 153-164, Bern: hep-Verlag;
Wilis, Gordon B. (2005): Cognitive Interviewing – A Tool for Improving Questionnaire Design. Thousand Oaks,
CA: Sage.
417
Werner, M. & Schreiber, W. (2016, in Vorbereitung): „Kaum Wissen nötig, aber viel zu lesen“?
Konstruktionsprinzipien und Eignung von HiTCH-Testaufgaben zur Messung von Kompetenzen historischen
Denkens, angenommen für den Tagungsband der GDE 2015.
418
In einer vom Leibnitz-Institut für Wissensmedien durchgeführten Validierungsstudie wurde überprüft,
inwiefern der HiTCH-Test mit einem auf Methodenkompetenz fokussierenden Test, der die Methoden des USForschers Sam Wineburg nutzt, korreliert.
193
Das HiTCH-Instrumentarium weist eine eindimensionale Struktur auf. Aufgrund des
Vorgehens bei der Konstruktion des Tests, bei der alle theoretisch als bedeutsam
eingeschätzten Bestandteile von historischer Kompetenz berücksichtigt wurden, kann der
Gesamttest beanspruchen, „historische Kompetenz“ in wünschenswerter Weise in einem
Gesamtwert zu erfassen. Gleichzeitig finden sich Hinweise darauf, dass die einzelnen
Aufgaben einen nicht komplett vernachlässigbaren Teil der Varianz bilden, so dass
vertiefende (fachdidaktische) Analysen zu den Eigenschaften der Aufgaben angezeigt sind.
Bei der Überprüfung der diskriminanten Validität zeigte sich, dass sich die im HiTCH-Test
erfasste Kompetenz historischen Denkens von der Lesekompetenz wie auch von allgemeinen
kognitiven Fähigkeiten trennen ließ.
Ausblick: Verwendungen des HiTCH-Tests
1. In der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien wird mit der Laufzeit von fünf
Jahren (2012-2017) in einer Vollerhebung (N=1700) die Entwicklung von
Kompetenzausprägungen der Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II
gemessen.419
2. Diese Daten liegen einer vom BMBF geförderten Studie zugrunde, in der geprüft
wird, inwiefern die Veränderungen der Kompetenzentwicklung (gemessen mit dem
HiTCH-Test) sich aus der Nutzung eines kompetenzorientierten, multimedialen
Schulbuchs (Trackingdaten) erklären lässt.420
3. Der belgische Datensatz bietet zudem die Grundlage der Überprüfung des
Zusammenhangs zwischen historischen Kenntnissen und historischer Kompetenz.421
4. Der HiTCH-Test wurde für die Datenerhebung in einer Wirksamkeitsstudie
digitalisiert.
(Zeigt
die
Nutzung
eines
digitalen,
kompetenzorientierten
Geschichtsbuch Effekte auf Kompetenzausprägungen?). Der Einsatz erfolgt mit N=
ca. 2000 in NRW.422 Eine Modestudie mit Sekundärnutzung der Daten der
Haupterhebung ist in Planung.
5. Zur Überprüfung der diskriminanten Validität haben mit N= ca. 500, Schüler der
Sekundarstufe 1 in Bayern neben dem HiTCH -Langtest den von Volker Frederking et
al. erarbeiten LUK-Test zur Messung literarästhetischen Textverstehens bearbeitet.
419
Projektleiter sind Ulrich Trautwein und Waltraud Schreiber.
Scheiber, W., Brefeld, U., Trautwein, U.: „Erklärung von Kompetenzausprägungen aus der Quantität und
Qualität der Nutzung eines elektronischen Schulbuchs: Verbindung der Nutzungsdaten des mBooks Geschichte
mit längsschnittlich erhobenen Daten zur Kompetenz- und Wissensentwicklung (LSA).” Laufzeit: 2015-2017.
421
Antragsteller Waltraud Schreiber/ Ulrich Trautwein; Bearbeiter Michael Werner.
422
Projektleitung Waltraud Schreiber; Christina Toth, Szeged; Bearbeiter: NN.
420
194
Die Ergebnisse liefern die Begründung für eine Studie die versucht, Kompetenzen
historischen Lesens von denen allgemeinen Lesens und literarästhetischen Lesens zu
unterscheiden.423
3.4.2 Zusammenhang mit Lehramtplus: Ansatzpunkte für die Beurteilung;
Anregungen zur Optimierung
Evaluierung: fachliche Kompetenzausprägungen bei Studierenden
Die Beurteilung eines Zusammenhangs soll diesmal am Ausweis eines Desiderats ansetzen:
Generell gilt, dass die Einschätzung, ob Studiengangkonzepte inhaltlich halten, was sie
versprechen bislang vor allem Akkreditierungsagenturen überlassen wird. Das hängt nicht
zuletzt
damit
zusammen,
dass
Kompetenzmodelle
zur
Bestimmung
fachlicher
Kompetenzausprägungen bei Studierenden erst ansatzweise entwickelt sind (vgl. das BMBFFörderprogramm KOKOHS). Bei der Evaluierung von Studiengängen, insbesondere von
Studiengängen aus den Geisteswissenschaften, kommen Kompetenztestungen bislang selten
zum Einsatz. Items für einen HiTCH-Test für Studierende werden derzeit an den Standorten
des HiTCH-Konsortiums entwickelt; erste Pilotierungen sind im Gange, das Instrument ist
aber noch nicht einsetzbar.
Ein Zusammenhang mit Lehramtplus kann nur in Bezug auf das Studium des
Faches
Geschichte hergestellt werden.
Erweiterung des fachdidaktischen Forschungsprofils
Bei der Darstellung der Herausforderungen, vor denen Fachdidaktiken stehen, wurde die
Einbindung in inter- und transdisziplinäre Forschung genannt. HiTCH war eine Möglichkeit
der Weiterentwicklung der Professur für Theorie und Didaktik der Geschichte im Bereich der
Empirie. Der bislang vorrangig praktizierte inhaltsanalytische Ansatz wurde um einen
quantitativen erweitert. In späteren Projekten wurde die beiden Vorgangsweisen im Sinne der
mixed method-Forschung wieder zusammengeführt.
Studierende in Forschungsprojekten
Das Projekt wurde genutzt, um Studierende an die quantitative empirische Bildungsforschung
heranzuführen. Dazu wurden unterschiedliche Modultypen genutzt (Lehrforschungsprojekt,
423
Projektleiter Volker Frederking/ Waltraud Schreiber; Bearbeiter Matthias Hirsch.
195
Spezialisierungsmodul, Forschungsmodul). Studierende, die eines der Module gewählt hatten,
bewarben sich um zwei Bachelor- und zwei Masterarbeiten.424 An diesen Beispielen lässt sich
zeigen, dass die Strukturvorgabe, dass mit Hilfe von freien Modulen Schwerpunkte zur
Bachelor- und Masterarbeit gebildet werden sollen, sich bewährt, um an Forschung
heranzuführen.
3.5 Resümee
An vier sehr unterschiedlichen Projekten zur empirisch ausgerichteten Bildungsforschung
konnte zweierlei gezeigt werden.
•
Die
Ergebnisse
aktueller
Forschung
können
kategorial
auf
bereits
laufende
Reformprojekte bezogen werden, auch wenn diese nicht Teil des untersuchten Samples
sind, um auf implizitem Weg zur Evidenzbasierung von Entscheidungen im Rahmen des
Reformprozesses beizutragen;
•
Reformansätze können besonders dann von Studien profitieren, wenn ihre Entwicklung
theoriebezogen erfolgt ist. Die Studien und die Reformmaßnahmen gehen in diesem Fall
von einem gemeinsamen Fundament aus. Damit treffen die Studien Aussagen, die
zumindest in Teilaspekten zur Validierung des Reformansatzes genutzt werden können.
•
Die Evidenzbasierung durch den Bezug auf Studien kann u.a. für SWOT-Analysen
genutzt werden, die der Planung von Optimierungsprozessen zugrunde gelegt werden
sollten. Für den Diskussionsprozess an den Universitäten, einschließlich der
Umsetzungsstrategien, wird so eine Triftigkeitsebene eingeführt, deren Missachtung guter
Begründung bedarf.
424
Zum Teil wurden sie als studentische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Projekt angestellt.
196
C Konkretisierungen: Vor Ort mit den
Herausforderung
Lehrerbildung“
einer
umgehen.
„Reform
Das
der
Beispiel
Lehramtplus
Anders als die beiden ersten, eng aufeinander bezogenen Teile der Publikation ist der dritte
Teil so konzipiert, dass er auf dreierlei Weisen gelesen werden kann:
(1) für sich genommen als Beispiel für das Lehrerbildungskonzept einer (bayerischen)
Universität,
(2) als Anhang, der zur Verdeutlichung und Ergänzung des in den ersten beiden Teilen
explizierten gelesen werden kann
(3) oder eben als dritter Teil des Bandes, in welchem an einem Beispiel die in Teil A in
generalisierender
und
systematisierender
Absicht
zusammengestellten
Herausforderung an einem Fall konkret werden, in dem die unter Bezug auf die
Herausforderungen entwickelten Ansatzpunkte in nuce sichtbar sind, aber eben nicht
stringent den Reformansatz leiteten, in dem schließlich deutlich wird, dass die
„Zwänge der Praxis” nicht immer auf die „Erkenntnisse der Theorie” und die
„Evidenzen der Empirie” Rücksicht nehmen.
Diese Anlage des dritten Teils hat die Konsequenz, dass auf Querverweise weitgehend
verzichtet wurde und bei der Darstellung des Konzepts an der einen oder anderen Stelle
Wiederholungen in Bezug auf Teil A und B in Kauf genommen wurden.
I. Das Konzept Lehramtplus – ein Überblick
197
1. Zur Einordnung in die bayerische Lehrerbildungspolitik
Das konkretisierende Beispiel ist im Bundesland Bayern verortet, das sich in der
Reformdiskussion der frühen 2000-er Jahre als einziges Bundesland dafür entschied, das
Lehramtsstudium nicht als gestuftes Studium mit Bachelor- und Masterabschluss anzulegen,
sondern als grundständiges Studium beizubehalten, das mit einem zentralen Staatsexamen
abgeschlossen wird. Diese Entscheidung ist durch die Kulturhoheit der Länder möglich. Weil
zugleich seit Gründung der Bundesrepublik das Prinzip der Einheit in der Vielheit gilt,
musste durch ländergemeinsame Abstimmungen ein Rahmen geschaffen werden, der beide
Formen des Lehramtsstudiums möglich macht. Eine explizite Folge davon ist, dass seit 2008
die Lehramtsstudiengänge auch in Bayern nach den Bologna-Grundsätzen modularisiert
werden425 und dass dabei KMK-Vereinbarungen wie die KMK-Standards Lehrerbildung zu
berücksichtigen sind.
Als (indirekte) Folge der länderübergreifenden Abstimmungen kann die Ausschreibung von
Modellversuchen für bayerische Universitäten angesehen werden, die „sowohl den Erwerb
eines Bachelor- oder Master-Grades als auch die Ablegung der Ersten Prüfung für ein
Lehramt an öffentlichen Schulen ermöglichen“ (26. Februar 2006, Az.: III.1-5 S 4006PRA.34). Die Ausschreibung wurde von den für Schule bzw. Hochschule zuständigen
Staatsministerien für Unterricht und Kultus bzw. für Wissenschaft, Forschung und Kunst
gemeinsam initiiert. Auch die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt entschied sich zu
einer Bewerbung; das Konzept Lehramtplus wurde entwickelt. Der Modellversuch wurde von
den beiden Ministerien genehmigt. Die Besonderheit des Eichstätter Ansatzes war, dass er als
Programm für die gesamte Universität, also für alle lehrerbildenden Fächer angelegt worden
ist und als Baustein der Bologna-Reform der Universität angesehen wurde.
425
Als Grundlage für die Modularisierung wurde festgelegt, dass ca. 60% der Studieninhalte in den wichtigsten
Grundzügen durch die inhaltlichen Vorgaben der LPO I und der diese konkretisierenden Kerncurricula
vorgegeben werden. Die weiteren ca. 40% verantworten die einzelnen Universitäten. Hier soll auch das spezielle
Profil der jeweiligen Universität einfließen können. Allerdings müssen die Universitäten auch in den inhaltlich
nicht näher festgelegten Anteilen strukturelle Vorgaben der LPO I berücksichtigen. So werden z.B. ECTSPunkte für Teildisziplinen festgeschrieben, die die Studierenden als Zulassungsbedingungen zum Staatsexamen
nachweisen müssen. Eine weitere Form der Einflussnahme ist, dass von den Studierenden in manchen Fächern
und für manche Schularten zusätzliche Zulassungsbedingungen erbracht werden müssen, ohne dass dafür ECTSPunkte vorgesehen wären. Das können Sprachkenntnisse (z.B. Latein) sein, die durch das Abitur nicht
notwendig sichergestellt sind, „Basisqualifikationen“ im musischen Bereich oder Orientierungs- bzw.
Betriebspraktika.
198
2.
Das
Konzept
Lehramtplus:
Landesvorgaben,
Bologna-
Strukturen und Universitätsprofil im Einklang
Der Titel des Modellversuchs wurde für die KU als Programm verstanden: Lehramtplus sollte
eine klaren Mehrwert gegenüber einem grundständigen Staatsexamensstudium haben und die
Möglichkeiten der Ausschreibung voll ausschöpfen.
•
Die zusätzlich zum Staatsexamen zu erwerbenden Bachelor- und Masterabschlüsse
sollten eine individuelle Profilierung der Studierenden unterstützen, wahlweise
bezogen auf das Berufsfeld Schule oder erweitert auch auf das Feld außerschulischer
Bildung/ lebenslangen Lernens. Es ging also nicht nur um Anschlussfähigkeit an die
Lehrerbildung anderer deutscher Bundesländer, sondern viel genereller um die
Anschlussfähigkeit der Lehrerbildung an die Bestrebungen zur Neubestimmung
europäischer Hochschulstrukturen, die laut der Lissabonner Vereinbarungen dazu
beitragen sollen, dass Europa im ökonomischen, kulturellen, gesellschaftlichen und
politischen Feld eine herausgehobene Position in der Welt einnehmen kann. Die
Sichtweise, die Lehramtplus zugrunde liegt, ist, dass der Lehrerbildung dabei eine
besondere
Bedeutung
zukommt,
weil
es
in
der
Schule
letztlich
um
Bildungsbefähigung für die nachkommenden Generationen geht, also darum, dass die
Schülerinnen und Schüler Kompetenzen entwickeln können, die es ihnen ermöglichen,
ein im Großen und Ganzen erfülltes Leben zu führen.
•
Die im Bologna-Prozess beabsichtigte Stärkung einer wissenschaftsbasierten
Berufsbefähigung wurde im Konzept Lehramtplus sehr ernst genommen. Dabei erfolgte
eine Ausdifferenzierung des „Berufsfeldbezugs Schule”: Es wurde ein gestuftes, auf
alle studierten Fächer bezogenes, von Universität und Schule begleitetes
Praktikumskonzept entwickelt (s. unten die vertiefenden Hinweise). Verbunden damit
wurden zugleich die Strukturen geschaffen, dass Studierenden dabei unterstützt
werden können, den Habitus eines „scientist practitioners“ zu entwickeln, der in seiner
gesamten Berufstätigkeit die Forschungsorientierung als kontinuierliche Verbesserung
seiner Arbeit ansieht.
•
Das damit verbundene Lebenslange Lernen wurde in mehrfacher Hinsicht als Ziel
verfolgt. Dazu gehört,
199
o dass in Lehramtplus bewusst über den Tellerrand der Schule geschaut wird und
außerschulische/ außerunterrichtliche Bildung einbezogen wird, auch dann,
wenn Studierende die schulische Profilierung als ihren Schwerpunkt wählen;426
o dass die Heterogenität von Gesellschaft, die sich auch in den Klassenzimmern
widerspiegelt, mit dem Fernziel einer inklusiven Gesellschaft explizit
Beachtung findet,427
o dass Lehrerbildung selbst als lebenslanger, phasenübergreifender Prozess
verstanden wird, der eine Beteiligung der Universität in allen Phasen
einschließt.
•
Der im Bologna-Prozess verfolgte Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung
wurde bei der Konzeptionierung von Lehramtplus explizit als Chance begriffen. Dabei
sollte eine kognitivistische Verengung in der Forschung wie in der Lehre vermieden
werden; Grundlage dafür bildet das ganzheitliche, werteorientierte Profil der
Universität Eichstätt-Ingolstadt als Katholischer Universität.
•
Als ein konkretes Mittel der Realisierung/ Ermöglichung
einer Reform des
Lehramtsstudiums wurde die Schaffung geeigneter Strukturen angesehen, die einen
Rahmen für die Qualifikation der Studierenden zur Begleitung schulischer und
außerschulischer Bildungsprozesse schaffen, innerhalb deren die Studierenden aber
durch
Wahlentscheidungen
Strukturmaßnahme Lehramt
plus
eigene
Profile
ausbilden
können
(s.
unten,
).
An der KU wurde seit ca. 2005 die Bologna-Reform zeitgleich bezogen auf alle Studiengänge
realisiert. Lehrerbildung funktionierte dabei als Motor, nicht zuletzt deshalb, weil der
Modellversuch im Studienjahr 2007/08 starten sollte und weil die Beauftragung mit der
Realisierung des Modellversuchs zugleich die Mitwirkung an der Koordination des
Gesamtprozesses „Bologna” umfasste. Die gemeinsame Modularisierung schuf eine Basis,
von der das gesamte Studienangebot der KU dauerhaft profitierte:
•
Die Vorgaben der Lehramtsprüfungsordnung (LPO) wurden so in die Bachelor- und
Masterangebote der Fächer integriert, dass Lehramts- und Nicht-Lehramtsstudierende
426
Ganz in der Humboldtschen Tradition geht es dann bei den geistes- und kulturwissenschaftlichen
Bildungsprozessen nicht nur um die Entwicklung von Fachkompetenzen, sondern auch um die Fähigkeit zu
vernetzen, zu reflektieren, sich auszutauschen, Situationen ganzheitlich zu sehen.
427
Die Auseinandersetzung mit Inklusion, wie sie in Folge der 2008 in Kraft getretene UN-Konvention über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2014 auch als Aufgabe der Lehrerbildung in die bayerischen
Lehramtsprüfungsordnung aufgenommen worden ist, war somit von Anfang an angelegt. Unterstützt wird dies
durch das interdisziplinäre Drittmittel-Projekt „Leben und Lernen in inklusiven Schulen“ (2014-2019) der KU,
das ein umfassendes Konzept von Inklusion vertritt, also das gemeinsame Leben und Lernen von Migranten,
Lernenden mit besonderen Förderbedarfen und autochthonen Schülern.
200
die Module in ihren Studiengängen im Pflicht, Wahlpflicht- oder Wahlbereich wählen
können. Eine Konkurrenz zwischen den Lehrerbildungs- und Fachstudiengängen um
Ressourcen wurde so ebenso verhindert wie eine übergroße Wahlfreiheit der
Studierenden,
die
durch
Beliebigkeit
der
Entwicklung
lehramtsspezifischer
Kompetenzen entgegensteht.
•
Die Zeitfensterpläne, die für Lehramtsstudierende entwickelt wurden, um ein
überschneidungsfreies
Studienangebot
zu
gewährleisten,
sind
auch
für
Fachstudierende hilfreich. Das liegt einerseits an der bewusst konstruierten
Polyvalenz,
andererseits
daran,
dass
die
bayerischen
Vorgaben
428
Fächerkombinationen in weiten Teilen sachlich motiviert sind
für
die
und damit auch von
Studierenden außerschulischer Studiengänge oft gewählt werden.
•
Schließlich wird durch die gemeinsame Modularisierung ein Wechsel zwischen
Lehramts-
und
Nichtlehramts-Studiengängen
erleichtert,
z.B.
nach
dem
Sockelstudium, in dem u.a. zur Reflexion der möglichen Berufsfelder angeregt wird.
•
2010 erweiterte die Universität die in Lehramtplus entwickelte Struktur mit dem Modell
flexible Bachelor- und Masterstudiengänge über das Lehramtsstudium hinaus.429 Die
Studierenden entscheiden, welche Fächer sie kombinieren, in welchem Umfang sie die
bis zu drei Fächer studieren; es kann auch die Entscheidung für ein Ein-Fach-Studium
getroffen werden. In einem bis zu 25 ECTS-Punkte umfassenden Wahlbereich können
die Studierenden sich ein individuelles Profil bilden, indem sie Fachmodule,
interdisziplinären Module, aber auch überfachlichen Module aus dem Gesamtangebot
der KU wählen.
Die in den intensiven Abstimmungsprozessen zum Ausdruck kommende Akzeptanz
der Lehrerbildung führte letztlich auch dazu, dass diese als Profilelement im 2014
verabschiedeten Entwicklungsplan der KU verankert wurde.
3. Struktur des Studienmodells Lehramtplus
428
Dies lässt sich am Beispiel der Kombinierbarkeit von kulturwissenschaftlichen Fächern (Geschichte,
Sozialkunde, Geographie, Religion) mit Philologien gut nachvollziehen.
429
An diesem Studiengangkonzept beteiligen sich auch Fächer, die nicht im Lehramt gewählt werden können.
201
Trotz der Vereinfachung, die die gemeinsame Modularisierung aller Studiengänge mit sich
brachte, blieben spezifische Herausforderungen für die Strukturierung der Lehramtplus
Studiengänge bestehen. Sie erklären sich aus den Zwang, sowohl die Vorgaben der LPO
berücksichtigen zu müssen als auch (aufgrund polyvalenter Studienangebote) die
universitätsinternen Prüfungsordnungen und aus dem eben skizzierten Ziel, einen
systematischen
und
individuellen
Mehrwert
des
zusätzlichen
Bachelor-
und
Masterabschlusses gegenüber einem grundständigen Staatsexamensstudium sicher zu stellen.
Die dadurch entstehende Komplexität wurde durch eine stringente Strukturierung des
Studiums geregelt, innerhalb derer aber möglichst hohe Entscheidungsspielräume für die
einzelnen Studierenden bestehen.
Alle Lehramtsstudiengänge (und viele Fachstudiengänge) haben dieselbe Struktur: Sie
bestehen aus
1. einem Sockelstudium („polyvalenter Sockel”),
2. einer „Vertiefungsphase”, die durch den Bachelorgrad abgeschlossen wird,
3. einer „Profilphase”, an deren Ende das Staatsexamen steht,
4. einer Erweiterung der Profilphase mit dem Ziel eines Masterabschlusses.
Diese Abfolge bildet den strukturellen Rahmen für eine Progression innerhalb des Studiums,
wobei die Module der gewählten Fachwissenschaften, der zugehörigen Fachdidaktiken und
der Erziehungswissenschaften so auf Sockel – Vertiefung – Profilierung verteilt sind, dass
dies eine Progression auch innerhalb dieser „Säulen” sicherstellt. Auch die Praxismodule sind
entsprechend in den Studienverlauf eingeordnet.
Die berufsspezifischen Module sind im so genannten „Lehramt-Track“ zusammengefasst, der
in sich einen logischen Aufbau hat, der nicht nur Progression, sondern auch Quervernetzung
ermöglicht. Wegen der Komplexität kommt für das konkrete Studium der einzelnen
Studierenden
den
idealtypischen
Studienplänen
als
Instrument
zugleich
für
die
Semesterplanung als auch für die Gesamtorientierung des Studiums besondere Bedeutung zu.
3.1 Idealtypische Studienpläne
Die Studienpläne erfüllen eine Mehrfachfunktion für Studierende und Lehrende.
•
Sie gewährleisten die Studierbarkeit der unterschiedlichen Fach-Kombinationen
innerhalb der Regelstudienzeit.
202
•
Sie schaffen den Rahmen, innerhalb dessen ein progredierendes Studium in den
studierten Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Erziehungswissenschaften erfolgt.
•
Sie ermöglichen es den Dozentinnen und Dozenten, aufeinander abgestimmte LehrLernkonzepte zu entwickeln.
•
Insbesondere werden kooperative Module, die die Studierenden dabei unterstützen,
Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenzen zu entwickeln, fest im Studienplan
verankert.
•
Das Praxiskonzept ist so in das Gesamtstudium integriert, dass vernetzte,
berufsfeldorientierte Handlungskompetenzen gezielt gefördert werden können.
•
Mit Hilfe der Module zur Bachelorarbeit und des Moduls Bachelorarbeit wird die
Entwicklung eines wissenschaftlichen Habitus weiter geführt, der auch die Grundlage
für das Selbstverständnis der Lehrkraft als „scientist practitioner“ darstellt.
•
Die Visualisierung der Studienplänen stellt den „Lehramtstrack“ als Zentrum des
Lehramtsstudiums dar, in dem die berufsspezifischen fachdidaktischen und
erziehungswissenschaftlichen Module sowie die Praxismodule und die Wahlmodule
zur Bachelorarbeit verortet sind.
•
Die idealtypischen Studienpläne bilden auch für Studierende, die ihr Studium
abweichend von den vorgeschlagenen Abläufen gestalten
wollen, einen
Orientierungsrahmen für die angestrebten Abschlüsse.
Die Visualisierungen der Studienpläne verdeutlichen auf einen Blick das unterschiedliche
Konzept, das den Schularten mit Fachlehrerprinzip (in Bayern sind das Gymnasium und
Realschule) und den Schularten mit Klassenlehrerprinzip (Grund- und Mittelschule) zugrunde
liegt. Im einen Fall dominiert die fachwissenschaftliche Ausbildung in den beiden gewählten
Fächern das Studium, im anderen sollen die Studierenden zum Unterrichten in mehreren
Fächern befähigt werden, konkret in einem Hauptfach und drei Nebenfächern, den so
genannten Didaktikfächern.
Die Studienpläne arbeiten mit farblichen Visualisierungshilfen. Im Falle des Gymnasial- und
Realschulstudiums bedeutet dies: Die Fächer sind hellblau und hellgrün; ihnen sind deren
Fachdidaktiken zugeordnet (dunkelblau und dunkelgrün). Der Lehramtstrack ist für die
Bachelorphase rot, für die Masterphase violett umrahmt. In ihm sind die im engeren Sinne
berufsfeldbezogenen Studien verortet. Die erziehungswissenschaftlichen Studien (gelb)
beziehen sich auf Pädagogik und Psychologie. Die Praxisphasen (fleischfarben) sind
203
systematisch in das Studium integriert. Insbesondere mit Hilfe der rosafarbenen Module
(Wahlmodule zur Bachelorarbeit und Bachelorarbeit) und der violett eingefärbten Module
(Wahlmodule der Masterphase- bzw. Masterarbeit) können die Studierenden eine individuelle
wissenschaftliche Schwerpunktbildung betreiben.
Abb.8: Idealtypischer Studienplan (KU Eichstätt): Lehramt Gymnasium
204
Abb.9: Idealtypischer Studienplan (KU Eichstätt): Lehramt Realschule
Für die Schularten mit Klassenlehrerprinzip wird nur ein Fach polyvalent mit
Fachstudierenden studiert (hellblau in den idealtypischen Studienplänen); das zweite Fach
setzt sich, den Erfordernissen der Schulart entsprechend, aus mehreren Teilen zusammen, die
sowohl der Schulartspezifik als auch dem in der Schulart erfolgenden Fachunterricht
Rechnung tragen. Für das Studium der Grundschule kommt die Schulartspezifik durch das
Fach Grundschulpädagogik/-didaktik zum Ausdruck (hellgrün); für Mittelschule sind 6
ECTS-Punkte für Mittelschulpädagogik vorgesehen (hellgrün).
Abb.10: Idealtypischer Studienplan (KU Eichstätt): Lehramt Grundschule
Auf den Unterricht in den Nebenfächern bereiten in Bayern drei Didaktikfächer
(„Tripeldidaktiken“) vor (olivfarben); ein zugehöriges Fachstudium erfolgt nicht. Den
Didaktiken der Fächer Deutsch und Mathematik wird dabei ein besonderes Gewicht
eingeräumt; zudem muss in der Regel die Didaktik eines musischen Fachs (Kunst, Musik oder
Sport) belegt werden. Insbesondere im Studium für das Lehramt an Grundschulen können die
Didaktiken natur- und geisteswissenschaftlicher Sachfächer nur sehr eingeschränkt gewählt
werden. Um eine gesellschaftliche Einbindung des Lehramtsstudiums für Grund- und
205
Mittelschule sicherzustellen, müssen im Rahmen der Erziehungswissenschaften einzelne
kulturwissenschaftliche
Module
gewählt
werden
(Theologie,
Philosophie,
Politikwissenschaft, Soziologie, Volkskunde; im idealtypischen Studienplan sind sie in der
Farbe der Erziehungswissenschaften, also gelb eingefärbt). Das grau eingefärbte Modul
Basiskompetenzen stellt ECTS-Punkte für eine, selbst im Vergleich zu den Tripeldidakiken
noch basalere Einführung ins Unterrichten der musischen Fächer bzw. des Faches Englisch
bereit; dazu kommen in der Hauptschule eine Basisqualifikation für berufliche Bildung.430
Abb.11: Idealtypischer Studienplan (KU Eichstätt): Lehramt Mittelschule
3.2 Detaillierung zu den Studienphasen
3.2.1 Sockelstudium
Das dreisemestrige (Realschule/ Gymnasium) bzw. zweisemestrige (Grund- und Mittelschule)
Sockelstudium hat zwei Funktionen. Zum einen soll es den Studierenden ermöglichen, an der
430
Die bayerische LPO verlangt, dass die Studierenden diese grundlegenden Kompetenzen außerhalb ihres
Studiums erwerben. De facto können viele Studierenden dafür keinen Nachweis erbringen, und müssen den
Kompetenzerwerb deshalb in der Zeit des Lehramtsstudiums erbringen. Als Akt der Fairness wird im Rahmen
von Lehramtplus dafür Studienzeit vorgesehen.
206
Universität
anzukommen
und
die
Entwicklung
eines
wissenschaftlichen
Habitus
grundzulegen. Zum anderen soll bis nach dem Sockelstudium ein Wechsel zwischen einem
lehramtsbezogenen Studium und einem auf andere Berufsfelder bezogenen Fachstudium ohne
Zeitverlust möglich sein. Dies setzt voraus, dass die Studierenden in den ersten Semestern die
Gelegenheit bekommen, sich eine Vorstellung von den schulischen Handlungsfeldern einer
Lehrkraft zu machen, sich aber auch mit anderen potentiellen Berufsfeldern befassen können,
die durch die gewählten Fächer angezielt werden.
Bei der Konzeptionierung von Lehramtplus wurde die Entscheidung getroffen, im
Sockelstudium den fachlichen Grundlagen ein deutliches Gewicht zu geben, das Berufsfeld
Schule zwar grundsätzlich einzubeziehen, die Entwicklung der berufsfeldbezogenen
Kompetenzen aber vorrangig in der Vertiefungs-, zum Teil auch noch in der
Profilierungsphase zu verorten.
Diese Entscheidung war nicht alternativlos. Denkbar wäre etwa auch gewesen, ein
Lehramtsstudium mit breit angelegten Praktika zu beginnen oder mit einem vorrangig
erziehungswissenschaftlichen Sockelstudium. Begründet ist die Entscheidung damit, dass
Unterrichten eines der maßgeblichsten Handlungsfelder für Lehrkräfte ist, dass durch
Unterricht immer auch die fachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler entwickelt
werden sollen und dass angehende Lehrerinnen und Lehrer ihrerseits über fachliche
Kompetenzen verfügen müssen, ehe sie über das Schulfach und dessen Bedeutung für
Schülerinnen und Schüler nachdenken können, bzw. diese in Praktika dabei unterstützen
können, fachliche Kompetenzen (weiter-) zu entwickeln.
Dafür, dass das Berufsfeld Schule dennoch von Anfang an im Blick bleibt, sorgen
Basismodule aus den Erziehungswissenschaften (insbesondere aus der Schulpädagogik) und
den Fachdidaktiken sowie erste Praxiserfahrungen im Modul schulpädagogisches
Blockpraktikum.
Die SWOT-Analyse, die 2013 im Zuge der Antragstellung zur Qualitätsoffensive
Lehrerbildung erfolgt ist, verwies hier auf einen Optimierungsbedarf. Studierende, die sich für
ein Lehramtsstudium entscheiden, sollen das Berufsfeld Schule und das Qualifikationsziel als
„scientist practitonier” die vielfältigen Anforderungen im Handlungsfeld Schule bewältigen
zu können, von Anfang an deutlicher vor Augen haben. Weil zugleich die Argumentation
richtig bleibt, dass es nicht sinnvoll ist, Unterrichtskompetenzen entwickeln zu wollen, ohne
über ausreichende wissenschaftliche Grundlagen (gemeint sind damit fachwissenschaftliche,
fachdidaktische und erziehungswissenschaftliche) zu verfügen, wurde als Lösungsvorschlag
207
erarbeitet, vor Beginn des Studiums alternativ zum dreiwöchigen Orientierungspraktikum ein
Orientierungsmodul anzubieten, das u.a. dazu beitragen soll, den Studienaufbau des
Sockelstudiums aus einer Auseinandersetzung mit den Ansprüchen des Berufsfelds Schule an
Lehrkräfte zu verstehen.431
Eine weitere strukturelle Veränderung wird von den Fachvertreterinnen und Fachvertretern
der Grundschulpädagogik/ -didaktik, aber auch von Grundschul-Studierende eingefordert: Sie
dringen darauf, den Grundschulbezug ab dem ersten Semester zu verstärken und einen
Schulartwechsel zur Mittelschule nur im Einzelfall aber nicht strukturell zu ermöglichen. Der
pädagogische Impetus, der auch in der PaLea-Studie als Motiv für die Wahl der Schulart
Grundschule festgestellt wurde, lässt es sinnvoll erscheinen, diese Veränderung anzubieten.
3.2.2 Vertiefungsphase
Auch in einem Studium, das durch sowohl die LPO als auch durch Polyvalenz mit anderen
Studiengängen reguliert ist, haben Studierende Spielräume. Die Wahlmöglichkeiten sind von
Fach zu Fach unterschiedlich umfangreich. Ein Geschichtsstudierender etwa kann
entscheiden, bezogen auf welchen Raum und auf welchen thematischen Schwerpunkt er sich
mit einer Epoche auseinandersetzt. Auch in den Philologien bestehen vielfältige
Wahlmöglichkeiten, z.B. in Bezug auf Literaturgattungen, auf Medien und auch auf Epochen.
Die Studien in Mathematik oder Psychologie reglementieren dagegen das Bachelor-Studium
wesentlich stärker.
Unabhängig von den fachabhängig gegebenen Spielräumen bilden die Studierenden ihren
Bachelor-Schwerpunkt, indem sie ein Bachelorfach festlegen und dort zwei Module
431
„Der Iststand ist, dass das dreiwöchige Orientierungspraktikum vor Beginn des Studiums
(Zulassungsbedingung zum Lehramtsstudium) ohne Begleitung seitens der Universität an einer von den
angehenden Studierenden gewählten Schule erfolgt. Aufgrund der SWOT-Analyse wurde im Zuge der
Antragsstellung der KU zur Qualitätsoffensive ein Orientierungsmodul „mit dem primären Ziel eines
Perspektivenwechsels weg von der Schule als Ort des eigenen Lernens, hin zur Schule als Ort professionellen
Lehrerhandelns entwickelt. In diesem dreiwöchigen, vor Beginn des Studiums angebotenen Orientierungsmodul
soll durch die Klärung der Fragen „Welche Motive verbinde ich mit dem Lehramtsstudium?“ und „Wie sehe ich
mich mit meinen spezifischen Stärken und Schwächen als zukünftige Lehrkraft?“ zum einen eine persönliche
Entwicklungsperspektive eröffnet werden.
In den Praktikumsphasen erfahren die Studierenden zum anderen, in welchen Bereichen Kompetenzen aufgebaut
werden müssen, um eine für Schüler förderliche Erziehungs- und Unterrichtssituation zu gestalten. Methoden
sind u.a. angeleitete Unterrichtsbeobachtung und Austausch mit Lehrkräften, Schulleiterinnen und Schulleitern
und Dozentinnen und Dozenten. Die universitäre Begleitung erfolgt disziplinär (fachwissenschaftlich,
fachdidaktisch und erziehungswissenschaftlich) und disziplinübergreifend, so dass Theorie und Praxis des
Lehrerberufes aus unterschiedlichen Perspektiven reflektiert werden.” (Aus dem Antrag der KU zur
Qualitätsoffensive Lehrerbildung, 2014, erarbeitet von Waltraud Schreiber, Katja Seitz-Stein, Joachim Thomas
und Stefanie Zabold).
208
zusätzlich zum (Wahl-)Pflichtpensum wählen, die so genannten Wahlmodule zur
Bachelorarbeit. Das damit verbundene Ziel ist es die Kompetenzen zu vertiefen, die
notwendig sind, um mit eine erste umfangreichere wissenschaftliche Arbeit zu schreiben.
Für den lehramtsgeeigneten Bachelorabschluss können grundsätzlich die für das
Staatsexamen vorgeschriebenen Module auf Bachelorniveau angerechnet werden; umgekehrt
können die für den Bachelorabschluss gewählten Module für die Zulassung zum
Staatsexamen verrechnet werden.
Die Bachelorarbeit bezieht sich naturgemäß auf eines der studierten Fächer. Im Rahmen von
Lehramtplus wird diese auch als schriftliche Hausarbeit („Zulassungsarbeit”) für das
Staatsexamen anerkannt. Wird eine Fachdisziplin (einschließlich ihrer Fachdidaktik) als
Bachelorfach gewählt, wird diese zum Hauptfach. Es sollte dann darauf geachtet werden, dass
die ECTS-Punkte ausreichen, um ggfs. auch zu einem Ein-Fach-Masterstudium im Hauptfach
zugelassen zu werden.432
Bei der beschriebenen Schwerpunktbildung erwerben die Studierenden den Grad eines
Bachelor of Arts oder Science. Wird die Bachelorarbeit in Pädagogik geschrieben oder erfolgt
keine Schwerpunktbildung erwerben die Studierenden den Grad eines Bachelor of Education.
Der Mehrwert des vor dem Staatsexamen liegenden Bachelor-Abschlusses besteht darin,
einen international anerkannten akademischen Abschluss erworben zu haben, der weltweit zu
einem Masterstudium berechtigt, wahlweise für ein Lehramtsstudium oder für die Aufnahme
einer Berufstätigkeit in einem anderen Feld.433
3.2.3 Profilphase
Die Profilphase ist zweigeteilt: Die Studierenden können sie mit dem Staatsexamen
abschließen oder erweitern und mit einem Masterabschluss beenden.
In den Semestern vor dem Staatsexamen nehmen die Studierenden vermehrt das Berufsfeld
Schule in den Blick, sie bereiten sich auf diese Weise nicht nur auf das zentrale Staatsexamen
vor,434 sondern auch auf die zweite Phase. Zudem soll die Grundlage verstärkt werden, sich
als „scientist practitioner“ zu verstehen. Die Studierenden absolvieren das abschließende
432
Dass dies für alle Universitäten, nicht nur für die eigene gelten sollte, ergibt sich im Bologna-Zeitalter quasi
von selbst.
433
Das Staatsexamen ist dagegen international nicht bekannt; wenn überhaupt wird es, auch wenn es sieben oder
gar neun Semester Studium umfasst, als Bachelorabschluss anerkannt.
434
Das Staatsexamen umfasst immer eine Zentralklausur in einer Erziehungswissenschaft (wahlweise Pädagogik
oder Psychologie) und eine Zentralklausur in den studierten Fachdidaktiken. Dabei wird konkreter
Schulartbezug jeweils eingefordert.
209
fachdidaktische Modul, das letzte Modul aus den Erziehungswissenschaften und mit
Unterrichten 2 ihr letztes Praxismodul. Außerdem steht noch ein weiterer dreiwöchiger
Praktikumsblock an, bei dem sie nunmehr bereits in der Lage sein sollen, fachdidaktische
oder erziehungswissenschaftliche Innovationen zu berücksichtigen, selbst Ansätze zur
Differenzierung oder gar Individualisierung zu erproben etc. Dieser Block kann auch für ein
„Schnupper-Referendariat“ genutzt werden, für Praktika im Ausland, insbesondere auch in
Entwicklungs- und Schwellenländern.
Wer nach dem Staatsexamen noch einen Master-Abschluss erwerben will, kann sein Profil
auf
sehr
individuelle
Weise
entwickeln.
Die
Entscheidung
kann
zwischen
berufsfeldspezifischen Angeboten (Inklusion, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Deutsch
als Fremdsprache/ Didaktik des Deutschen als Zweitsprache), fachwissenschaftlichen
Vertiefungen oder dem Berufsfeld außerschulische Bildung fallen. Es können Schwerpunkte
gewählt werden, die eher zur Grundlagenforschung oder eher zur anwendungsbezogenen
Forschung tendieren; eine Zusammenhang zur Promotion kann angelegt werden.
Grundsätzlich können in das Masterstudium lehramtsbezogene Module, die aus dem
Staatsexamensstudium stammen, eingebracht werden.435 Alle an der KU angebotenen
lehramtsgeeigneten Masterstudiengänge schließen mit dem Grad eines Master of Arts/ of
Science ab. Bewusst wird nicht der Grad eines Masters of Education verliehen, weil die
Berechtigung zum Zugang ins Referendariat ja bereits durch das Staatsexamen nachgewiesen
wird. Der Mehrwert gegenüber dem Staatsexamen besteht darin, dass Profile für
bildungsbezogene schulische und außerschulische Berufsfelder ausgebaut werden können, die
auf die bereits erworbenen schulischen Querschnittskompetenzen aufsetzen, dieses vertiefen
und/ oder erweitern. Abhängig vom studierten Lehramt ergeben sich Besonderheiten für die
Ausrichtung des Masterstudiengangs.
3.2.3.1 Lehramtsstudium Gymnasium
Ein Teil der Studierenden erweitert das Staatsexamensstudium nur noch durch die
Masterarbeit in einem der ohnehin studierten Fächer. Die Masterarbeit wird dann
435
Weil eine Bund-Länder-Vereinbarung festlegt, dass der Bachelorabschluss keineswegs ausreicht, um die erste
Phase der Lehrerbildung abzuschließen, reicht auch die Regelstudienzeit für Staatsexamina notwendig in die
Masterphase eines gestuften Studiums. In Bayern beträgt die Regelstudienzeit für Grund-, Mittel- und
Realschule sieben Semester, für Gymnasium neun Semester. Zur Zulassung für das modularisierte Staatsexamen
absolvieren Lehramtsstudierende polyvalente Mastermodule aus den Fachstudiengängen, Module auf
Masterniveau aus den Fachdidaktiken sowie Erziehungswissenschaften und Praxismodule auf Masterniveau.
Diese sind in den Master-Studienordnungen verankert und werden in den idealtypischen Studienplänen in der
Profilphase (7. Semester und später) verortet.
210
üblicherweise in dem Fach (bzw. in der Teildisziplin) geschrieben, das (bzw. die) auch in den
Profilmodulen gewählt wird. Neben den fachwissenschaftlichen (Teil-)Disziplinen kann das
auch die jeweilige Fachdidaktik sein. Mit einer in die Tiefe gehenden wissenschaftlichen
Arbeit zu einem im Studium verfolgten Schwerpunkt weisen die Studierenden sich als
spezialisiert und qualifiziert aus – z.B. auch für eine Tätigkeit als wissenschaftlicher
Nachwuchs.
Andere Gymnasialstudierende erweitern ihr Lehramtsstudium z.B. durch die Ausrichtung auf
einen außerschulischen Schwerpunkt, oft in Bezug auf Bildungsinstitutionen oder informelle
Formen lebenslanger Bildungsangebote (u.a. Neue Medien). Wieder andere konzentrieren
sich zusätzlich auf Aspekte des schulischen Berufsfeldes (Sensibilisierung für Unterrichten in
inklusiven Klassen, für Ganztagsschule, für Deutsch als Fremdsprache, bilingualen
Sachfachunterricht usw.). Die Masterarbeiten können dann auch interdisziplinär angelegt sein,
und sich z.B. als empirische Studien auf diese Felder beziehen.
Die meisten Studierenden schreiben sich ins Masterstudium frühestens kurz vor dem
Staatsexamen ein;436 sie entscheiden ausgehend vom angestrebten Profil, ob sie sich alle
anrechenbaren Module ihres Staatsexamensstudiums tatsächlich anrechnen lassen wollen,
oder ob sie eine Auswahl treffen und dafür ihr Studium schwerpunktbezogen um ein oder
mehrere Semester verlängern wollen.
3.2.3.2 Lehramtsstudium Realschule
Weil das Staatsexamensstudium sich wie beim gymnasialen Studiengang ebenfalls auf zwei
Fachdisziplinen bezieht, können die beschriebenen Varianten mit den skizzierten
Zielsetzungen auch von diesen Studierenden gewählt werden. Anders als im Falle der
Kommilitoninnen und Kommilitonen mit dem Berufsziel Gymnasium sind die Studierenden
im zweiten und dritten Mastersemester nicht an Vorgaben der LPO gebunden; dies erhöht die
Flexibilität: Varianten die die Realschul-Studierende bislang gewählt haben, sind a) das
Hauptfach auf mindestens 55 ECTS-Punkten auszuweiten und die Staatsexamens-Module des
7. Semesters im freien Bereich zu verrechnen; b) ein wissenschaftliches Hauptfach im
Umfang von mindestens 30 ECTS-Punkten mit einem geeigneten schulischen oder
außerschulischen Schwerpunkt aus der zugehörigen Fachdidaktik zu kombinieren (Umfang
25 ECTS-Punkte); c) Haupt- wie Nebenfach gleichmäßig zu verstärken (auf 40 ECTS436
Es ist möglich, nach dem Absolvieren des Staatsexamens das Referendariat abzulegen, ggf. auch weitere
Jahre an der Schule zu verbringen und dann an die Universität zurück zu kehren, um das Masterstudium zu
vollenden.
211
Punkte) und eine interdisziplinäre Masterarbeit zu schreiben; d) zu den mit 30 bzw. 25 ECTS
Punkten studierten Unterrichtsfächern ein drittes, neues Nebenfach im Umfang von 25 ECTSPunkten zu wählen (Erwachsenenpädagogik, Deutsch als Fremdsprache u.a.).
3.2.3.3 Lehramtsstudium Grund- und Mittelschule
Ein Teil der Studierenden verfasst die Bachelorarbeit im Unterrichtsfach und wählt dieses
auch als Haupt- oder Nebenfach im Masterstudiengang. Einige Studierenden konzentrieren
sich
im
Masterstudium
bewusst
auf
die
Wissenschaftsdisziplin
des
gewählten
Unterrichtsfaches und weisen sich so, analog zu den Kommilitonen der anderen Schularten,
als inhaltlich spezialisiert, auch über die Schule hinaus, aus.437 Wird die Ausrichtung auf die
Schule als Berufsfeld gewünscht, kann das durch die Wahl des zweiten, ggfs. dritten Fachs
sicher gestellt werden, bzw. durch die Wahl von schulbezogenen Schwerpunkten, wie z.B. der
Schulsozialarbeit438, Deutsch als Fremd und Zweitsprache439 oder Inklusion440. Weil das
fachliche Lernen junger Lernender weitgehend unerforscht ist, ergeben sich insbesondere für
empirische Masterarbeiten zahlreiche spannende Themen.
3.2.4 Lehramtstrack
3.2.4.1 Lehramtstrack Realschule/ Gymnasium
Der Lehramtstrack setzt bezogen auf Realschule/ Gymnasium im zweiten Semester des
Sockelstudiums mit zwei gegenläufigen Modulen, einem allgemein- und schulpädagogischen
Einführungsmodul auf der einen und dem Modul Fachreflexion auf der anderen Seite ein.
Dieses Modul stellt neben das schulische Berufsfeld alternative außerschulische Berufsfelder,
die typisch für die studierten Fächer sind. Das Ziel ist zum einen, die Studierenden anzuregen,
437
Einige Studierende wählen, passend zum Hauptfach, einen fachdidaktischen Schwerpunkt aus der
außerschulischen Bildung (z.B. Geschichtskultur zum Hauptfach Geschichte in der Teildisziplin
Geschichtsdidaktik und beziehen die Masterarbeit dann auf junge Lerner z.B. an Gedenkstätten).
438
Der Masterstudiengang „Schulsozialarbeit“ adressiert Studierende mit einem Lehramtsabschluss oder einem
Bachelorabschluss in sozialer Arbeit. Grundlagenmodule zum je anderen Berufsfeld müssen belegt werden.
Darauf bauen Spezialisierungsmodule zur Schulsozialarbeit auf, die gemeinsam studiert werden und
Forschungsmodule, die die Masterarbeit in einem sich erst neu etablierenden Feld vorbereiten.
439
Dieser Masterstudiengang setzt keinen speziellen Bachelorstudiengang voraus, sondern den Abschluss eines
Lehramtsstudiums, unabhängig von der Schulart. Die Spezialmodule sind auf 2 Semester konzentriert, dazu
kommt die Masterarbeit. Bis zu 25 ECTS-Punkten können frei gewählt werden.
440
Zugangsbedingung sind ein abgeschlossenes Lehramtsstudium, ein Bachelorabschluss in Pädagogik,
Religionspädagogik, Soziale Arbeit oder Psychologie. Mindestens 55 ECTS Punkte müssen sich auf Leben und
Lernen in inklusiven Schulen befassen, Schwerpunktbildungen sind durch die Wahl geeigneter Nebenfächer
möglich (z.B. Schulentwicklung, Migration, empirische Bildungsforschung, Schulsozialarbeit).
212
den Berufswunsch Lehrer oder Lehrerin im Spiegel anderer Möglichkeiten noch einmal zu
überprüfen, zum anderen lebenslanges Lernen als Merkmal unserer Zeit zu konkretisieren:
Schule muss das non-formale Lernen an außerschulischen Lernorten, aber auch informelles,
eher zufälliges Lernen zunehmend einbeziehen, wenn sie auch auf Bildungsprozesse jenseits
des Klassenzimmers vorbereiten will.
Die beruflichen Kernaufgaben rücken im dritten Semester ins Zentrum des Lehramtstracks.
Im Intensivkurs werden die Grundlagen der Pädagogik/ Schulpädagogik auf die favorisierte
Schulart bezogen und fokussiert vertieft. Der Intensivkurs dient zugleich der Vorbereitung des
Blockpraktikums 1. Im selben Semester liegt die Einführung in die beiden studierten
Fachdidaktiken. Sie können sie sich auf die inzwischen aufgebauten fachlichen Grundlagen
der zugehörigen Fachdisziplinen ebenso beziehen wie auf die Grundlagen aus dem
pädagogischen Einführungsmodul und dem Intensivkurs. Das nachfolgende Blockpraktikum
macht es erstmals notwendig, Theorie und Praxis im Berufsfeld Schule aufeinander zu
beziehen.
Das vierte Semester mit Unterrichten I und einem weiteren schulpädagogischen Modul
fokussiert auf die Handlungsfelder des Unterrichtens und Erziehens. Das Aufbaumodul
Pädagogik leitet die Vertiefungsphase ein, in der die Studierenden ihr Profil anlegen können.
Eine Reihe Studierender entscheiden sich für einen berufsfeld-bezogenen Schwerpunkt und
schreiben die Bachelorarbeit in einer der Fachdidaktiken oder einer pädagogischen
Teildisziplin. Dafür belegen sie zwei zusätzliche Vertiefungsmodule.
Das Blockpraktikum II kann z.B. für empirische Arbeiten genutzt werden, zur praktischen
Erprobung theoretischen Ansätze, dazu Schulerfahrungen im Ausland zu gewinnen etc.
In der Masterphase sind die berufsfeldbezogenen Psychologiemodule verortet, das
fachdidaktische Aufbaumodul und Unterrichten II. In diesem Modul werden Bezüge auf die
Fachwissenschaften
auf
einem
vertieften
Niveau
hergestellt,
z.B.
wenn
es
um
niveaudifferentes Arbeiten geht. Diagnostizieren, individuelles Fördern und ClassroomManagement profitieren dabei auch von den inzwischen absolvierten psychologischen
Einführungen. Die universitäre Ausbildung wird damit für Studierende abgeschlossen, die ins
Referendariat wechseln. Profilierungsmöglichkeiten, auch berufsfeldbezogene, bieten sich in
den auf das Staatsexamensstudium aufbauenden und es vertiefenden Masterstudien an. Dies
wurde bereits dargestellt.
213
3.2.4.2 Lehramtstrack Grund- und Mittelschule
Die Grundintentionen der Anlage des Lehramtstracks wiederholen sich: In der Grund- und
Mittelschule beginnt er allerdings bereits im ersten Semester. Dort ist das erste
erziehungswissenschaftliche
Modul
verortet,
in
dem
es
um
die
gesellschafts-/
kulturwissenschaftliche Einordnung von Schule geht. Das Modul schafft eine Erweiterung
zum Einführungsmodul Grund- bzw. Hauptschulpädagogik, das auf die schulartspezifischpädagogischen Besonderheiten der gewählten Schulart gerichtet ist.
Das pädagogische/ schulpädagogische Grundlagenmodul und der Intensivkurs schaffen im
zweiten Semester die Grundlage für die im Grund- und Mittelschulstudium früher einsetzende
schulpraktische Ausrichtung des Studiums. Sie beginnt mit dem Modul Blockpraktikum (nach
dem zweiten Semester) und dem zusätzlichen Praxismodul (im dritten Semester).
Die fachliche Ausrichtung des Unterrichtens rückt erst mit dem dritten Semester stärker ins
Zentrum. Das Basismodul Fachdidaktik bereitet das fachdidaktisch ausgerichtete Modul
Unterrichten I vor. Ab dem vierten Semester verbreitern pädagogische und psychologische
Module, dazu ein weiteres gesellschafts-/ kulturwissenschaftliches Modul die Einordnung der
schulischen Handlungsfelder. In dieser Vertiefungsphase bilden auch die Studierenden der
Lehrämter Grund- und Mittelschule ihren Bachelorschwerpunkt. Die Zahl der Studierenden,
die sich für eine berufsfeld-bezogene Bachelorarbeit entscheiden, die in einer der
pädagogischen Teildisziplinen oder einer Fachdidaktik geschrieben wird, ist größer als bei
den Studierenden für Realschule/ Gymnasium. Dafür belegen sie zwei zusätzliche
Vertiefungsmodule. Das Blockpraktikum II kann auch im Grund- und Mittelschulstudium
z.B. für empirische Untersuchungen für die Bachelorarbeit genutzt werden, zur praktischen
Erprobung theoretischer Ansätze oder um Schulerfahrungen im Ausland zu gewinnen.
In der Masterphase liegt das letzte erziehungswissenschaftliche Modul verortet, dazu das
fachdidaktische Aufbaumodul und Unterrichten II. In diesem Modul werden Bezüge auf die
Fachwissenschaften
auf
einem
vertieften
Niveau
hergestellt,
z.B.
wenn
es
um
niveaudifferentes Arbeiten geht. Diagnostizieren, individuelles Fördern, ClassroomManagement profitieren dabei auch von den inzwischen absolvierten psychologischen
Einführungen. Die universitäre Ausbildung wird damit für ins Referendariat wechselnde
Studierende abgeschlossen. Profilierungsmöglichkeiten, auch berufsfeldbezogene, bieten sich
in den auf das Staatsexamensstudium aufbauenden und es vertiefenden Masterstudien an;
diese wurden bereits beschrieben.
214
4. Resümee
Lehramtplus ermöglicht nicht nur formal den Erwerb eines Bachelor- oder Master-Grades
neben dem bayerischen Staatsexamen. Der inhaltliche Mehrwert gegenüber dem
Staatsexamen wurde heraus gearbeitet:
Der Bachelorabschluss ist ein international
anerkannter akademischer Abschluss und liegt zeitlich vor dem Staatsexamen. Der
Masterabschluss vertieft und/ oder verbreitert das Staatsexamen und ermöglicht so eine auf
schulische oder außerschulische Bildung bezogene Profilbildung.
Inwiefern der Dreifach-Abschluss auch einen Mehrwert gegenüber den gestuften BolognaAbschlüssen der anderen Bundesländer hat, soll nun noch diskutiert werden. Ob ein solcher
angenommen wird, hängt davon ab, ob sich ein Mehrwert in der vielfach kritisierten
Doppelung von Staatsexamen und Modulprüfungen ergibt: Die Prüfungen, die die
bayerischen
Lehramtsstudierenden
ablegen,
folgen
grundsätzlich
unterschiedlichen
Ausrichtungen: Die Modulprüfungen werden in der Regel als Semesterleistung erbracht; das
zentrale Staatsexamen stellt die Studierenden dagegen vor die Herausforderung, ihr Wissen
und ihre Kompetenzen längsschnittlich, bezogen auf das gesamte Studium nachweisen zu
müssen. Dies zwingt zu einer das Studium resümierenden und durch eigene Lektüre
vertiefenden Vorbereitung.
Die These könnte aufgestellt werden, dass das Staatsexamen, indem es das gesamte Studium
und nicht nur Einzelmodule umfasst, die Entwicklung von Lehrerkompetenzen, z.B. bezogen
auf die in den HOLEKOs bestimmten Kompetenzbereiche, unterstützt: Die Vorbereitung für
das Staatsexamen sollte nämlich ein den Kern identifizierendes Lernen sein. Das Abfassen
der Klausuren ist eine Form einer sach- und medienspezifischen Synthese. Vor allem
Selbsteinschätzung ist im Laufe der Vorbereitung immer wieder gefragt; zumindest bei der
Bearbeitung
der
berufswissenschaftlichen
Klausurthemen
kann
die
Fähigkeit
zur
Einschätzung der Schülerinnen und Schüler nachgewiesen werden.
Untersuchungen zur Frage, ob und inwiefern Staatsexamina tatsächlich einen Mehrwert
haben, gibt es bislang kaum. Das BilWiss-Instrument, das vergleichende Aussagen zu
erziehungswissenschaftlichem Wissen ermöglichen würde, wurde bislang in Bayern nicht
repliziert. Die Ergebnisse der Studie PaLea 2, die die Auswirkung von Studienbedingungen
vergleicht (und dabei u.a. gestufte und Staatsexamens-Studiengänge einbezieht), liegen noch
nicht vor.
215
Könnte
nachgewiesen
werden,
dass
Staatsexamina
positive
Auswirkungen
auf
Kompetenzausprägungen haben, wäre als nächstes zu klären, inwiefern das wiederum das in
Lehramtplus daran anschließende Masterstudium und den Masterabschluss beeinflusst. Die
Master of Education-Abschlüsse wären hierzu mit lehramtsgeeigneten Master of Arts/ Science-Abschlüssen aus Bayern zu vergleichen.
Während sich demzufolge vergleichende Aussagen zur inhaltlichen Qualität ohne
entsprechende Studien verbieten, können strukturbezogene Aussagen durchaus getroffen
werden. Es kann festgehalten werden, dass in Bezug auf die lehramtsgeeigneten
Bachelorabschlüsse der anderen Bundesländer kaum Unterschiede bestehen: Als Abschlüsse
werden deutschlandweit vorrangig „of Arts“- und „of Science“-Grade vergeben. Die
lehramtsgeeigneten Masterstudiengänge der anderen Länder werden dagegen mit dem Grad
eines „Master of Education“ abgeschlossen, weil die Masterabschlüsse in den anderen
Bundesländern die bisherigen Staatsexamina ersetzen. Weil die Masterabschlüsse in
Lehramtplus auf Staatsexamina aufsetzen und diese vertiefen und verbreitern, wird hier der
Grad eines Master of Arts/ Science vergeben. Unabhängig von der oben angesprochenen
Frage, ob Staatsexamina einen Mehrwert gegenüber Master of Education-Abschlüssen haben:
Strukturell betrachtet ist der Masterabschluss in Lehramtplus der dritte Abschluss nach der
Bachelor- und Staatsexamensprüfung. Es würde sich anbieten, mit Hilfe von systematischen
Absolventenbefragungen zu klären, wie der Abschluss in der Selbsteinschätzung und
Fremdeinschätzung (ein Indikator könnten Berufschancen sein) betrachtet wird. Weil der
beantragte Zugang zu den Eichstätter Daten aus Datenschutzgründen verweigert wurde,
liegen nur Zufallsdaten aus Befragungen von Master-Absolventen aus drei Fächern vor: Von
fünf Absolventen aus der Geschichtsdidaktik (alle Lehramt Gymnasium) sind zwei aktuell als
wissenschaftlicher Nachwuchs an Universitäten beschäftigt, einer in der innerbetrieblichen
Fortbildung einer großen Firma und einer in der museumspädagogischen Abteilung eines
Freiluftmuseums; einer absolviert derzeit das Referendariat. Von sieben Absolventen aus der
Geographiedidaktik/ Schwerpunkt Bildung für nachhaltige Entwicklung ist einer als
wissenschaftlicher Nachwuchs an Universitäten beschäftigt (Lehramt Gymnasium), einer in
einer BNE-Fachabteilung eines Landratsamts (Lehramt Grundschule), zumindest einer
absolviert das Referendariat (Lehramt Realschule); bei vier weiteren Absolventen
(Grundschule und Gymnasium) wird dies angenommen.
Als Grundlage, um z.B. der Frage nach dem Mehrwert des Modellversuchs nachgehen zu
können, wurde die Studiengangsstruktur des Modellversuchs dargestellt, der Aufbau aus
216
einem
polyvalenten
Sockelstudium,
einer
mit
dem
Bachelorabschluss
endenden
Vertiefungsphase und einer zweigeteilten Profilphase, die einmal mit dem Staatsexamen, zum
anderen mit dem Masterabschluss endet. Der Lehramtstrack wurde als das berufsspezifische
Zentrum herausgearbeitet; Unterschiede in Bezug auf das Studium Realschule/ Gymnasium
und Grund-/Mittelschule wurden beschrieben.
Das Ziel ist, durch klare Strukturen den Rahmen einerseits für Progression in den studierten
Fächern, zum anderen für einen vernetzten Aufbau von Lehrerkompetenzen zu schaffen.
Dabei soll den Studierenden größtmöglicher Raum für ihre Profilierung als Experten für
schulische und außerschulische Bildung eröffnet werden, trotz der Zwänge, die durch die
Berücksichtigung der LPO auf der einen und der universitätsinternen Ordnungen auf der
anderen bestehen. Die Module zur Bachelorarbeit spielen hierfür in der Bachelorphase die
entscheidende Rolle; in der Masterphase sind die Freiräume für die Profilbildung,
insbesondere für Studierende der Lehrämter an Grund- und Mittelschulen ungleich größer.
Dies wurde ausführlich erläutert.
Es wurde gezeigt, dass grundlegende Optimierungsmaßnahmen einer Grundlage bedürfen.
Als Beispiel wird die 2013 im Zuge der Antragsstellung für die Qualitätsoffensive
Lehrerbildung erarbeitete SWOT-Analyse angeführt.441
Die folgende SWOT-Analyse fasst die aktuelle Situation der Lehrerbildung an der KU in
Bezug auf die geplante Qualitätsoffensive zusammen:
Stärken
Schwächen
(1)
Praktische Erfahrungen mit einen Begrenzte Anzahl von Stelleninhabern
innovativen
Lehrerbildungskonzept innerhalb der einzelnen Disziplinen
(Lehramtplus) in der Lehre, der
Administration, der Beratung,
(2)
Erfahrungen
mit
Ansätzen
der
Kooperation zwischen zwei oder „drei
Säulen“
der
Lehrerbildung
(Fachwissenschaft,
Fachdidaktik,
Erziehungswissenschaft )
Die Zusammenarbeit zwischen Erziehungswissenschaften und Fachdidaktiken erfolgt
bisher eher unsystematisch und punktuell in
einzelnen
Lehrveranstaltungen
(Ringvorlesung, Praktika)
441
Sie wurde in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus der Psychologie (Prof. Dr. Joachim
Thomas; Prof. Dr. Katja Seitz-Stein) und der Soziologie (Prof. Dr. Stefanie Eifler) erarbeitet.
217
(3)
Innovatives Konzept zur Erweiterung
des Berufsfeldbezuges durch gestufte,
universitär betreute Praktika im
Rahmen von Praxismodulen (seit 2007
implementiert)
Schwierigkeiten bei der Umsetzung des
Praktikumskonzeptes
durch
begrenzte
personelle Ressourcen in Schule und
Universität
(4)
Erfahrungen
mit
kooperativen
Strukturen zwischen der ersten und
zweiten Phase der Lehrerbildung
(Modellversuch KOOP)
Die Notwendigkeit der horizontalen und
vertikalen Vernetzung als Grundlage einer
zukunftsfähigen Lehrerbildung wird noch
nicht ausreichend wahrgenommen
(5)
Vielfältige inhaltliche und methodische Kompetenzen für die empirische BildungsAnsätze schulbezogener Forschung in forschung zwar vorhanden, aber derzeit noch
Fachdidaktiken,
Psychologie
und keine dafür ausgewiesene Professur
Pädagogik
(6)
Etablierte kooperative Beziehungen zu Schule und Universität schöpfen das
Schulen aller Schularten in der Region
Nutzenspotential der Kooperation nicht
hinreichend aus
Chancen
Risiken
(1)
Lehrerbildung von Hochschulleitung, Schwierige
Anstellungssituation
für
Hochschulrat und Stiftung (Träger der Lehramtsstudierende
kulturund
Universität)
als
wesentliches geisteswissenschaftlicher Studiengänge
Profilelement der Universität im
aktuellen Entwicklungsplan eingestuft
(10-Jahresperspektive)
(2)
Die Größe der Universität erleichert die Gefahr der Überforderung von Kolleginnen
Entwicklung,
Erprobung
und und Kollegen durch Engagement in
verschiedenen Projekten die aus der
Implementierung innovativer Konzepte
geringen Stellenanzahl in einzelnen
Disziplinen ergibt
(3)
Vorhandenes Kompetenz-Strukturmodell
der Lehrerbildung als theoretische
Grundlage für die Entwicklung eines
phasenübergreifenden
Qualifikationsrahmens
218
Vorübergehende Beeinträchtigungen der
Effizienz, die sich aus den mit
organisationalen
Veränderungen
verbundenen Reibungsverlusten ergeben
kooperativer Lehr-Lernformen
(4)
Einzelprojekte im Zusammenhang mit
dem Modellversuch „Lehramt Plus“
dienen
als
Grundlage
für
die
Maßnahmenpakete
der
Qualitätsoffensive
(5)
Für die Konzeption des Schwerpunktes
„Inklusive Bildung in Forschung, Lehre
und
Praxis“
sind
Sondermittel
im
Umfang von 2.75 Mio € bewilligt
(6)
Prinzipien der Qualitätsoffensive können
so auch in dem neu einzurichtenden
Schwerpunkt
„Inklusion“
realisiert
werden
In Ausdifferenzierung des Punktes 3, Praxiskonzept wurde als Optimierungsbedarf in Bezug
auf die Anlage des Modellversuchs die Verstärkung des Schulorientierung im Sockelstudium
herausgearbeitet. Als Ansatz wurde die Einführung eines Orientierungsmoduls anstelle des
unbegleiteten Orientierungspraktikums vorgeschlagen.
Dass verkürzte, weniger methodengeleitete (SWOT-) Analysen zu Problemen führen, wenn
sie zwar Schwächen (Weaknesses) und Chancen einer Lösung (Opportunities) ausmachen,
dabei aber bisherige Stärken (Strength) nicht beachten und Gefahren (Threats) nicht
antizipieren, lässt sich an der 2012 von der damaligen Hochschulleitung der KU getroffenen
Entscheidung
festmachen,
eine
Strukturreform
bezogen
auf
die
Prüfungs-
und
Studienordnungen der Lehramt- und flexiblen Studiengänge durchzuführen.442
Ein zweifellos bestehendes und im Zuge weiterer Reformen zu behebendes Problem war, dass
in Umsetzung der Vorgaben des Wissenschaftsministeriums zu Beginn des Modellversuchs
(2006/2007) für jede im Lehramt zugelassene Fachkombination eine eigene Bachelor- und
Masterordnung vorgelegt worden war, was zu Unübersichtlichkeit führte und Fehlerpotential
wie Verwaltungsaufwand z.B. dadurch enthielt, dass ein und dasselbe Modul in vielen
442
Vgl. die Hinweise zur „Vereinfachung und Reform der Studiengänge an der KU” unter KVRStud. URL
http://www.ku.de/unsere-ku/leitung-undverwaltung/verwaltung/studienorganisation/qm/kvrstud.
219
Ordnungen vertreten war, eine Moduländerung also Änderungen zahlreicher Ordnungen nach
sich zog.443
Der Lösungsansatz, eine Gesamtordnung für alle interdisziplinären Bachelor- und
Masterstudiengänge der Universität vorzulegen, und darunter Profile (lehramtsgeeignet,
flexibel, Kultur und Medien) zu unterscheiden, schien auf den ersten Blick wegen der
bestehenden Polyvalenzen auf Modulebene überzeugend: Zwei Ordnungen statt 100. Bei
Veränderungen von Modulen muss immer nur eine Ordnung angepasst werden, weil jedes
Modul eineindeutig als Bachelor- oder Mastermodul definiert werden sollte.
Eine vertiefte Beschäftigung mit Polyvalenzen444 hätte aber zugleich die damit verbundenen
Probleme bzw. Gefahren aufzeigen können. Eine Strukturreform trägt sich noch nicht aus der
Tatsache, dass aus den fachweise „aufgeräumten Modulen”445 grundsätzlich sinnvolle Profile,
auch schulartbezogene Studiengänge zusammengestellt werden könnten. Bisherige Stärken,
konkret die von der Modellversuchsausschreibung geforderte Vereinbarkeit der drei
Abschlüsse Staatsexamen, Bachelor und Master gehen so ebenso verloren wie ein
theoriekonformes, den immer wieder neuen Herausforderungen der Praxis standhaltendes
Lehrerbildungskonzept.
An Lösungen, die auf Grundlage der getroffenen Entscheidungen die Balance im Sinne einer
SWOT-Analyse wiederherzustellen versuchen, wurde vom Team Lehramtplus gearbeitet.446
Die scheinbar einfache Lösung, die Verantwortung auf die Studierenden zu verlagern, verbot
sich aus unserer Sicht: Es liegt nicht in der Kompetenz und Zuständigkeit von Studierenden,
aus den vorhandenen Modulen der Universität so auszuwählen, dass es möglich wird,
Lehrerkompetenzen als Querschnittkompetenz aufzubauen.447 Das Qualifikationsprofil für
Lehramtsstudierende festzulegen und darauf bezogen schulartspezifische Studiengänge zu
konzipieren, die Landesvorgaben berücksichtigen und auf ihrer Grundlage eine aus der Sicht
443
Erhöhte Belastungen in der Verwaltung wurden z.B. bei Prüfungsamt, Studiengangskoordination,
Rechtsabteilung und Studienberatung festgestellt.
444
Vgl. Teil A, Kapitel IV 3.2 Polyvalente Nutzung fachwissenschaftlicher Module. Strukturelle Überlegungen.
445
Vgl. hierzu Ursus Wehrli und seine Bücher zu KUNST AUFRÄUMEN (Wehrli, U. (2002): Kunst aufräumen,
Zürich: Kein & Aber). Er stellt verspielt-absurde Lösungen vor, die dort Klarheit schaffen, wo es keinen Sinn
macht.
446
Vgl. hierzu die im Zuge der Akkreditierung der „interdisziplinären Bachelor- und Masterstudiengänge der
KU” erarbeiteten Selbstdarstellungen zu den Profilen und zum Lehramtstrack. Grundsätzlich war in den
Selbstdarstellungen war ein Spagat zu vollziehen: Akkreditiert wurden die lehramtsgeeigneten Bachelor- und
Masterstudiengänge, nicht aber das Staatsexamen. Weil die Entwicklung der lehramtsgeeigneten Bachelor- und
Masterstudiengänge nach den Vorgaben des Modellversuchs aufeinander abgestimmt waren, konnte eine
Trennung nur an der Oberfläche, nicht in der Tiefenstruktur erfolgen. Die Selbstdarstellungen der Fächer
brachten das nächste Problem ans Licht: Einige Fächer hatten nur das flexible im Blick gehabt, also das Profil
für fachbezogene Studiengänge. Polyvalenzen zwischen dem flexiblen und dem lehramtsgeeigneten Profil,
insbesondere den schulartspezifischen Vorgaben der LPO, waren deshalb nicht bedacht worden.
447
Dies setzte voraus, dass den Studierenden zum Zeitpunkt der Wahl klar wäre, was sie warum wählen sollten,
um ein vertieftes und flexibler Wissen aufzubauen, das ihr späteres Lehrerhandeln fundieren kann.
220
der Theorie (Forschung) und Praxis zukunftsfähige Lehrerbildung ermöglichen, ist eine der
vornehmsten Aufgaben einer Universität, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für die
Bildung der nachfolgenden Generationen gerecht werden will.
Wenn Universitäten sich dieser Verantwortung entziehen, landet man, bezogen auf
Lehrerbildung, wieder an der Stelle, die die OECD 2004 als ein Problemfeld kritisiert hat:
1) „die Resistenz der Fachwissenschaften (Unterrichtsfächer), sich den Problemen der
Lehrerbildung zu stellen: Die fachwissenschaftliche Ausbildung angehender
Lehrkräfte wird in der Regel gemeinsam mit der Ausbildung künftiger Spezialisten in
diesen Fächern organisiert, wobei es oft den Studierenden überlassen bleibt, welche
Veranstaltungen sie aus dem breiten Angebot des jeweiligen Fachbereichs auswählen
wollen.”448
Die Ergebnisse großer wissenschaftlicher Studien (wie z.B. COACTIV oder BilWiss) belegen
inzwischen zweifelsfrei, dass die Fähigkeit zur gezielten Vernetzung von Kompetenzen
Grundlagen erfolgreichen Lehrerhandels sind. Wie die KU mit dem Problem umgehen wird,
ist aktuell (2015) noch offen.
II. Konkretisierungen
In den folgenden Kapiteln werden drei der in Lehramtplus verfolgten Maßnahmen näher
betrachtet. Sie hängen jeweils mit der Implementation des Paradigmenwechsels hin zur
Kompetenzorientierung zusammen. (1) Die Orientierung der Studiengangorganisation am
Paradigma
der
Kompetenzorientierung;
der
Schwerpunkt
legt
hier
auf
den
Optimierungsmaßnahmen, die den Reformprozess kontinuierlich begleiten, (2) die
Kooperation mit der Zweiten Phase; das Ziel des an dieser Stelle vorgestellten
Modellversuchs ist, den Kompetenzaufbau gemeinsam durch Maßnahmen der Kooperation zu
448
Döbrich, P., Klemm, K., Knauss, G. & Lange, H. (2004): Ausbildung, Einstellung und Förderung von
Lehrerinnen und Lehrern (OECD-Lehrerstudie). Ergänzende Hinweise zu dem Nationalen Hintergrundbericht
(CBR) für die Bundesrepublik Deutschland, URL http://www.oecd.org/edu/school/suplement.pdf, S. 23.
221
fördern und (3) Schlaglichter auf Fortbildungskonzepte der KU; sie sollen jeweils eine
kohärente, auf Kompetenzförderung ausgerichtete Lehrerfortbildung unterstützen. Weil zu
jeder der ausgewählten Maßnahmen die Hintergründe in den Teilen A und B bereits
dargestellt wurden, erfolgt an dieser Stelle jeweils nur eine straffe Zusammenfassung.
Ausführlicher dargestellt werden die konkreten Realisierungs- und Optimierungsprozesse,
ggf. die damit verbundenen Herausforderungen und Probleme.
1.
Kompetenzorientierung
als
Paradigma,
um
auf
die
tiefgreifenden Veränderungen der Welt zu reagieren
Dass „Kompetenzorientierung 2.0“ die Möglichkeit ist, um mit den Unsicherheiten, mit denen
in den Lebensspannen heute lebender Menschen verstärkt zu rechnen ist, umgehen zu können,
ist aus unterschiedlichen Perspektiven bereits dargestellt worden.
Hier werden Ansätze aufgeführt, um „Kompetenzorientierung“ als Grundlage von
Studienreformen wirksam zu machen. Im Zentrum steht dann der Outcome, also das worüber
Studierende verfügen können, wenn sie die akademische Ausbildung durchlaufen haben, was
sie berufsweltlich oder lebensweltlich-gesellschaftlich anwenden können sollen, um mit für
sie neuen, problemhaltigen Situationen erfolgreich und verantwortlich umzugehen. Mit dem
Wissenschaftsrat (2015) gesprochen, war das an der KU vertretene Ziel, das Humboldtsche
Konzept von „Bildung durch Wissenschaft” zeitgemäß zu denken.
1.1 Schritte der Entwicklung, Überarbeitung und Optimierung
2005/06 war das Paradigma der Kompetenzorientierung noch wenig präsent. Im Zuge der
Vorbereitung des Modellversuchs und eingebunden in die Gesamtreform wurden
Umsetzungshilfen für eine kompetenzorientierte Studiengangentwicklung erarbeitet. Z.B.
wurden Leitlinien für Studiengangbeschreibungen oder Formulare für Modulbeschreibungen
sowie Muster für idealtypische Studienpläne zur Diskussion gestellt. Die konkreten
Umsetzungen erfolgten in fachlichen und überfachlichen Teams. Vor Semesterbeginn
222
2007/2008 wurden sie von den Gremien verabschiedet und bei den Ministerien eingereicht.
Die Realisierung des Modellversuchs wurde auf Basis exemplarischer Unterlagen genehmigt.
Einige Fächer hatten sich nicht durchringen können, bereits den Start mitzutragen. In den
Folgejahren schlossen sich aber alle Lehramt-Fächer an das Gesamtkonzept an; in zwei
Fällen449 mit Ausnahmeregelungen.
Wie auch an vielen anderen Universitäten bestand für die ersten Studiengangbeschreibungen/
Qualifikationsbeschreibungen, vor allem auch für die ersten Modulbeschreibungen noch
Überarbeitungsbedarf. Früh zeichnete sich ab, dass die Hochschulreform/ Bologna-Reform
ein langwieriger Prozess sein würde, der nicht mit Einzelmaßnahmen zu erledigen sei. Die
Akzeptanz, dass kontinuierliche Reformmaßnahmen anstanden und weiterhin anstehen
werden, war und ist unter den Kolleginnen und Kollegen eher gering.
1.1.1 Reform der Reform: Kompetenzorientierte Modulbeschreibungen
Bereits im ersten Semester war sichtbar geworden, dass die Module überarbeitet werden
mussten: Die Kompetenzbeschreibungen und die Unterscheidung von Inhalten, an denen die
Kompetenzen entwickelt werden sollten, waren oft nicht präzise genug. In der Folge waren
auch die geforderten Prüfungsleistungen von Form und Niveau her häufig noch nicht
stimmig.
Zudem trafen die Annahmen bezüglich der jeweiligen workloads bei vielen Modulen nicht zu.
Weil die Studierenden selbst die Akteurinnen und Akteure ihrer individuellen
Kompetenzentwicklung
sind,
wurde
nach
Wegen
gesucht,
sie
aktiv
in
die
Optimierungsmaßnahmen einzubinden.
Als Grundlage dafür wurden vom Team Lehramtplus zwischen dem Wintersemester 2007/08
und dem Sommersemester 2010 regelmäßig Workload-Erhebungen durchgeführt; eine
Replikation fand im Sommersemester 2014 statt. Unter Bezug auf deren Ergebnisse und auf
der Grundlage der Verlautbarungen der HRK/ KMK zur Modularisierung erfolgte 2010 eine
Überarbeitung aller Module. Ein von der Hochschulleitung eingesetztes Team von
Professoren und Professorinnen unter der Leitung der Beauftragten für Lehrerbildung
konkretisierte
den
Rahmen
der
„Reform
449
der
Reform”.
Eine
Stabsstelle
für
Grundschulpädagogik war nicht bereit als Hauptfach zu fungieren und über Bachelorabschlüsse das
Gesamtkonzept mitzutragen. Psychologie hatte das Konzept eines Ein-Fach-Bachelors auch für
Schulpsychologen entwickelt, fungierte deshalb in den Zwei-Fächer-Studiengängen nur als Nebenfach.
223
Studiengangorganisation und Qualitätsmanagement gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Um die Kolleginnen und Kollegen dabei zu unterstützen, bei den Überlegungen zur
Modulüberarbeiten die Prinzipien der Kompetenzorientierung ins Zentrum zu rücken, wurden
u.a. Definitionen und Formulierungshilfen angeboten sowie persönliche Coaching-Termine
vereinbart. Um die Zusammenarbeit mit den Fächern zu vereinfachen, wurden diese gebeten,
Fachsprecher zu benennen, die die Kommunikation übernahmen und fachintern die
Überarbeitung der Module koordinierten. In der Verantwortung standen während des
gesamten Überarbeitungsprozesses jeweils Professorinnen und Professoren, ggfs. unterstützt
von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es handelt sich um einen akademischen Prozess.
Nach der Überarbeitung wurde jedes einzelne Modul überprüft, ggfs. wurde, versehen mit
einem Feedback, noch einmal eine Überarbeitung erbeten. Dass eine deutliche
Qualitätszunahme auf diesem Wege erreicht wurde, zeigte auch die Replikation der
Workload-Erhebung im Jahr 2014.
1.1.2 Überarbeitung der Ordnungen
Im Anschluss an die Arbeit an den Modulen erfolgte in Zusammenarbeit zwischen der
Rechtsabteilung und dem Team Lehramtplus eine grundlegenden Überarbeitung aller
Ordnungen mit Lehramtsbezug. Das Ziel war, das jeweilige Qualifikationsprofil zu
verdeutlichen. Es handelte sich dabei um die fachbezogenen Lehramtsordnungen für das
grundständige
Staatsexamensstudium
Masterordnungen
in
den
jeweiligen
sowie
die
lehramtsgeeigneten
Fächerverbindungen.
Der
Bachelor-
Rahmen
für
und
eine
kompetenzorientierte Lehrerbildung war somit aufgespannt.
Der dritte Schritt, die Anpassung der idealtypischen Studienpläne diente der Kommunikation
innerhalb der Universität, insbesondere auch an die Studierenden. Die Rolle des
Lehramtstracks für den Aufbau der berufsbezogenen Kompetenzen auszudifferenzieren, war
das nächste Ziel bei der Implementation der Kompetenzorientierung.
1.2 Lehrerkompetenzen als Querschnittskompetenzen; Maßnahmen zur
Unterstützung der Kompetenzförderung
224
Um die Möglichkeiten des Lehramtstracks zu kommunizieren, fanden gerade in der
Frühphase des Modellversuchs zahlreiche Treffen und Maßnahmen statt.
•
Sie sollten dazu beitragen, das Praxiskonzept450 den Bedürfnissen der Schulen, der
Dozenten und der Praktikumslehrkräfte anzupassen. 2008 waren mit dem
schulpädagogischen Praxismodul die ersten Module der Praxisphase zu belegen.
Durch zahlreiche Kontakte mit Schulen und der Schulverwaltung wurde sicher zu
stellen versucht, dass die Studierenden in den Praktika die den Zielsetzungen der
Module entsprechenden Möglichkeiten bekamen. Während es Stefan Seitz (Leiter
des Praktikumsamts) gelang, das Begleitheft zum Blockpraktikum in einem
konsensuellen Prozess mit den Schulen abzustimmen, war die Herausforderung,
dass die Studierenden in den Modulen Unterrichten 1 und 2 Unterricht in den
beiden Fächern visitieren und erproben konnten, nicht zur Zufriedenheit aller zu
lösen.451 Das Hauptproblem bestand darin, dass für den Modellversuch wegen der
zugrunde gelegten Finanzneutralität die Zahl der Praktikumslehrkräfte nicht erhöht
werden konnte. Deshalb musste ständig mit Notlösungen experimentiert werden.
Der anfängliche Widerstand mancher universitärer Kollegen gegen gestufte Praxisseminare
hat sich mit der gemeinsamen Diskussion über Progression bei der Entwicklung von
Lehrerkompetenzen aufgelöst. Niemand ist mehr bereit, auf diese Form des progredierenden
Kompetenzaufbaus zu verzichten.
•
Abstimmungen
insbesondere
zwischen
Fachdidaktikern
und
Erziehungswissenschaftlern zielten auf eine Unterstützung des horizontal
vernetzten Kompetenzaufbaus. Die Wege dazu wurden in Kapitel A, IV 6.3
Konkrete
Maßnahmen
zur
Entwicklung
von
Lehrerkompetenzen
als
Querschnittskompetenz ausführlich beschrieben. Deshalb erfolgt hier nur ein
zusammenfassendes Resümee: Bei den Praxismodulen ist die Abstimmung
weitgehend geglückt. Kombimodule sind dagegen noch nicht in allen Fächern
eingeführt. Das Konzept vernetzter Module wird themenabhängig und eher
unsystematisch von einzelnen Kollegen zur Förderung der querschnittlichen
Entwicklung von Lehrerkompetenzen genutzt.
450
Das Praxiskonzept wird an dieser Stelle nicht mehr erläutert, weil es in Kapitel A IV 5.1 Berufsfeldbezug
Schule: Chancen und Grenzen von Praktika/ Praxismodulen und 6.3.1 Handlungsfelder Unterrichten und
Erziehen - Förderung der Querschnittskompetenzen mit Hilfe der Praxismodule bereits ausführlich vorgestellt
worden ist.
451
Aktuell werden Praktikumsformate diskutiert, bei denen Unterricht nur mehr in einem Fach gesehen wird und
die Fachdidaktiker sich im zweiten Praxisseminar mit Videovignetten und anderen Formen repräsentierter Praxis
behelfen.
225
•
Ansätze für die vertikale Vernetzung der drei Phasen werden im kommenden
Kapitel näher dargestellt.
In den einzelnen Treffen wurde auch jeweils versucht, das Verständnis des Konzepts
Kompetenzorientierung abzustimmen und zu vertiefen. Dabei wurde konsequent Bezug auf
die Kompetenzdefinition von Weinert genommen. Der nationale und internationale Diskurs
wurde aufgegriffen, der mit der fachbezogenen Ausdifferenzierung von Kompetenzmodellen
verbunden war, die in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts stattfand. Von Eichstätt gingen
wichtige Impulse in die Fachgemeinschaften aus; dies lässt sich insbesondere an den
Beispielen der Geographie-452 und Geschichtsdidaktik453 verdeutlichen.
2.
Modellversuch
„Kooperation
Erste
und
Zweite
Phase
Lehrerbildung“
In einem weiteren vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus und der
Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt finanzierten Modellversuch ging es darum,
1. den Ist-Zustand der zwischen Universität und Studienseminar aufgeteilten
Erstausbildung zu erfassen;
2. Konzepte zur Optimierung einer auf das Paradigma Kompetenzorientierung
ausgerichteten Lehrerbildung zu entwickeln;
3. Konkrete Maßnahmen der Kooperation zu erproben;
4. den
Mehrwert
der
Vernetzung
zwischen
Universität
und
Studienseminar
herauszuarbeiten.
452
Das in der Geographie weit verbreitete Kompetenzmodell wurde unter der Leitung von Ingrid Hemmer
erarbeitet. Vgl. Hemmer, I., Hemmer, M., Rhode-Jüchtern, T., Ringel, G. & E. Schallhorn (2012).
Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. Hrsg. von der Deutschen Gesellschaft
für Geographie, 8. Aufl., Berlin: DGfG,; Hemmer, I. (2012). Standards und Kompetenzen. In: Haversath M.
(Mod.): Geographiedidaktik. Theorie - Themen - Forschung (= Das Geographische Seminar). Braunschweig:
Westermann, S. 90-106. Hemmer, I. & Hemmer, M. (2013). Bildungsstandards im Geographieunterricht Konzeption, Herausforderung, Diskussion. In: Rolfes, M. & A. Uhlenwinkel, A. (Hg.): Metzler Handbuch 2.0
Geographieunterricht. Braunschweig: Westermann, S. 24-32 u. S. 553.
453
In der Geschichtsdidaktik hat sich national und international das Kompetenzstrukturmodell der FUERGruppe etabliert (vgl. Schreiber, 2006; Körber, Schreiber, Schöner, 2007).
226
Die Laufzeit des zweiten Modellversuchs war 2010 bis 2012. Der Modellversuch wurde im
Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts Optimierung und Evaluierung
Lehramtplus durchgeführt.
2.1 Projektstruktur
2.1.1 Fachgruppen
Damit sich arbeitsfähige Gruppen etablieren konnten, wurden Fachgruppen gebildet, die
jeweils aus Vertreterinnen und Vertretern der universitären Fachdidaktik und von
Studienseminaren der Schularten bestanden, in denen das Fach Schulfach ist. Folgende
Fachgruppen wurden gebildet:
•
Deutsch mit den Schularten RS, GY, GS, MS,
•
Didaktik des Deutschen als Zweitsprache mit den Schularten GS, MS,
•
Englisch mit den Schularten RS, GY, GS, MS,
•
Geographie mit den Schularten RS, GY, GS, MS,
•
Geschichte mit den Schularten RS, GY, GS, MS
•
Latein mit der Schulart GY,
•
Religion mit den Schularten RS, GY, GS, MS,
•
romanische Sprachen mit den Schularten RS, GY,
•
Biologie mit den Schularten GS, MS,
•
Pädagogik mit den Schularten RS, GY, GS, MS.
Gearbeitet wurde in selbstorganisierten Arbeitstreffen der Fachgruppen, wobei in der
zweijährigen Projektlaufzeit insgesamt weit über 100 Sitzungen stattfanden.
2.1.2 Plenartage
Neben der Arbeit in den Fachgruppen standen Plenartage. Pro Halbjahr wurde von der
Projektleitung ein zweitägiges Arbeitstreffen
organisiert, das dem Austausch, der
Richtungsvereinbarung und der konzeptionellen Arbeit diente. Pro Plenartag wurde ein
Schwerpunkt
vereinbart.
U.a.
wurde
um
ein
gemeinsames
Verständnis
von
Kompetenzorientierung gerungen. Im Nachhinein betrachtet bestand die Hauptleistung der
227
gut 50 Personen umfassenden KOOP-Gruppe darin, in nuce ein Kompetenzstrukturmodell für
die Kompetenzförderung in den drei Phasen der Lehrerbildung zu entwickeln und zu
erproben. (Das Modell wurde ausführlich vorgestellt in Kapitel B I 2.2 Lehrerbildung
„holistisch“
gesehen:
Ein
Kompetenz-Struktur-Modell
für
Lehrerkompetenzen
als
Querschnittskompetenz.)
Im letzten Plenartreffen wurden Visionen für die Institutionalisierung der Kooperation
entwickelt.
2.1.3 Koordinatorentreffen
Pro Semester fanden über diese beiden Arbeitsformen hinaus, an denen jeweils alle
Mitglieder des KOOP-Projekts beteiligten waren, zwei bis drei Koordinatorentreffen statt.
Neben der Projektleitung war daran jeweils mindestens ein Gruppenmitglied pro Fachgruppe
beteiligt. Die Aufgaben des Koordinatorentreffens bestanden darin, die kontinuierliche Arbeit
zwischen den Plenartagen sicher zu stellen, für Informationsaustausch zu sorgen und die
Plenartermine vorzubereiten. Die Fragebögen zur Evaluation des Projekts wurden bei diesen
Koordinatorentreffen vereinbart.
2.1.4 Projektleitung
Die Projektleitung (Waltraud Schreiber, Stefanie Zabold) hatte alle koordinatorischen
Aufgaben inne, dazu die Vertretung des Modellversuchs gegenüber den Geldgebern und nach
außen. Zudem wurde eine elektronische Plattform zum Austausch von Informationen
zwischen den Gruppen entwickelt. Über zwei Jahre hinweg fand ein wöchentlicher jour fixe
statt.
2.2 Klären des Ist-Zustands der Kompetenzförderung in den beiden Phasen
Um gemeinsame und abgestimmte Zielsetzungen für die Kompetenzentwicklung in den
beiden Phasen der Erstausbildung formulieren zu können und die jeweiligen Zuständigkeiten
für die Förderung diskutieren zu können, war der erste Schritt, dass Universität und
228
Studienseminare der einzelnen Schularten sich den anderen jeweils vor Ort vorstellten. Dabei
wurden gemeinsame Grundlagen, Selbstwahrnehmungen, Fremdwahrnehmung sowie
Chancen und Probleme einer Kooperation ebenso sichtbar wie unterschiedliche Perspektiven
z.B. auf Unterricht. Vor allem aber wurde deutlich, wie wenig die Gruppen voneinander
wussten. Dies gilt nicht nur für Universität auf der einen Seite und Studienseminar auf der
anderen, sondern auch zwischen den Schularten. Es zeigte sich, dass im Spiegel der anderen
sowohl das eigene Profil geschärft als auch gemeinsame Aufgaben besser erkannt werden
konnten. So wurde eine Grundlage für die Entwicklung von Konzepten einer gezielten
Kompetenzförderung in den beiden Phasen der Lehrerbildung geschaffen und ein Rahmen
gesteckt, in dem über Progression nachgedacht werden konnte.
Ein bedeutsamer Ausgangspunkt für die Entwicklung gemeinsamer Konzepte war, dass in der
Kennenlernphase, die an sich vorrangig der Beschreibung des Ist-Zustands hätte dienen sollte,
auch deutlich wurde, in welchem Maße Universität und Schule, aber auch die
unterschiedlichen Schularten voneinander lernen könnten. Grundschulseminarlehrkräfte
erwiesen sich z.B. als versiert und erfahren, ihre Referendare im Umgang mit Heterogenität
zu fördern. Mittelschulseminarlehrkräfte verfügten über breite Erfahrungen bei der
individuellen Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler. Die Seminarlehrkräfte von
Realschule und Gymnasium erkannten zuerst staunend, wir eng die Ausbildungsziele, die sie
sich für ihre Referendare setzten korrelieren: Bei beiden stehen die Fachlichkeit und die
Förderung eines selbstständigen Umgangs mit Themen und Methoden klar im Zentrum. Sie
führten dann spannende Gespräche über Spezifika ihrer Schularten, die sie schließlich u.a. in
der Abstraktionsfähigkeit, der Reichweite des Transfers und im Anwendungsbezug
ausmachten. Die Erfahrungen der Seminarlehrkräfte dieser Schularten in der fachlichen
Förderung erwiesen sich wiederum als bedeutsam für die je anderen Schularten.
2.3 Maßnahmen und Konzepte zur Optimierung einer auf das Paradigma
Kompetenzorientierung ausgerichteten Lehrerbildung
Die Fachgruppen entschieden sich jeweils von konkreten Maßnahmen der Kooperation
auszugehen, diese zu erproben und dann mit den anderen Fachgruppen zu diskutieren. In
Koordinatorentreffen wurden sie gesammelt und kommuniziert; in einer der Plenarsitzungen
wurden sie in folgende Bereiche und Felder gegliedert:
229
2.3.1 Seminarlehrkräfte an die Universität
Maßnahmen wurden in drei Feldern erprobt:
•
Optimierung des Praxisbezugs an der Universität:
o Als besonders ertragreich erwies sich die Teamlehre in den Praxisseminaren
und die gemeinsame Vorbereitung, Begleitung und Reflexion der Praktika. Die
Seminarlehrkräfte brachten ihre Erfahrungen bei der Begleitung der
Referendare bei den ersten Unterrichtsversuchen ein (Arbeitsaufgaben für die
Hospitation, Aufgaben für erste Unterrichtsversuche, Feedback-Strategien
etc.); die Universitätsdozenten steuerten Theoriekonzepte (u.a. in Bezug auf
Kompetenzorientierung) bei. Zusammen mit den Studierenden wurden
Unterrichtskonzepte für kompetenzorientierten Unterricht entwickelt, dabei
wurde intensiv über Möglichkeiten der Progression wie der Differenzierung
diskutiert. Die Unterrichtserfahrungen wurden reflektiert und für die
Weiterarbeit genutzt.
•
kooperative und innovative Lehr- und Lernformen:
o Die Formen können sich an Studierende, Referendare oder Schüler richten; in
Formen wie summer schools wurde phasenübergreifend zusammengearbeitet;
elearning-Konzepte wurden ebenso erprobt wie „Lernen durch Lehren“Konzepte. Intensiv diskutiert wurde an diesen Beispielen
auch die
Abstimmungen zwischen Universität und Studienseminaren.
•
anwendungsbezogene Forschung:
o Im Zentrum stand die gemeinsame Arbeit am Kompetenzstrukturmodell
Lehrerkompetenzen (HOLEKO). Die Förderung einzelner Kompetenzbereiche
wurde in Studienseminar und Universität erprobt; ebenso Möglichkeiten, zu
diagnostizieren, welche Formen der Kompetenzentwicklung vorfindlich, wie
sie modifiziert werden können und wo Erweiterungen notwendig sind.
o Gemeinsam diskutiert wurde auch, woran Kompetenzausprägungen bei
Schülern erkannt werden können, wann Weiterentwicklungen und wann ein
Neuaufbau sinnvoll ist und wie Fördermaßnahmen aus Lernstandserhebungen
abgeleitet werden können.
230
2.3.2 Dozenten ins Seminar
Die erste Aufgabe der Gruppe war, Ausbildungsphasen und Seminartage zu identifizieren,
die davon profitieren, Fachwissenschaftler/ Fachdidaktiker zu Gast zu haben. Zum einen ging
es um Theorieinformation aus erster Hand, u.a. mit dem Ziel, die von verschiedenen
Universitäten kommenden Referendare auf vergleichbare Stände zu bringen, sodann um die
gemeinsame Gestaltung von Seminartagen im Studienseminar zu forschungsnahen Themen,
und schließlich darum, am Ende des Referendariats noch einmal Ergebnisse der Forschung
und Innovationsansätze der Universität ins Gedächtnis zu rufen, deren Realisierung im
eigenverantwortlichen Unterricht Raum greifen sollten.
2.3.3 Tandems zwischen Studierenden und Referendaren
Die Zusammenarbeit erfolgte z.B. im „Schnupper-Referendariat“, bei Projektarbeiten in den
Klassen der Referendare, bei der Vorbereitung innovativen Unterrichts oder in der
Diskussion von Unterrichtsversuchen der Referendare wie der Studierenden. Das
erstaunlichste Ergebnis dieser Tandems war, dass beide Seiten voneinander profitierten, nicht
nur, wie angenommen, die Studierenden von den Referendaren. Das Prinzip „Lernen durch
Lehren“ schien zu wirken.
2.3.4 Gemeinsame Ausbildung von Praktikumslehrkräften
Praktikumslehrkräfte begleiten den Erstkontakt der Studierenden mit der Schule, ohne gezielt
darauf vorbereitet zu sein. Weil eine Ausbildung für diese Tätigkeit bislang nicht vorgesehen
ist, fehlen dafür auch jegliche Konzepte. An solchen Konzepten wurde gearbeitet: Dabei
bildeten die Erfahrungen der Seminarlehrkräfte für den Umgang mit den ersten
Unterrichtsversuchen der Referendare eine Grundlage. Gemeinsam wurde daran gearbeitet,
auch fachdidaktisch-theoretische Prinzipien und Konzepte für die Praktikumslehrer zu
231
operationalisieren, Feedbackstrategien für Unterricht zu erarbeiten oder Beratungs- und
Beurteilungskriterien für die Praktika zu entwickeln.454
2.4 Mehrwert der Vernetzung zwischen Universität und Studienseminar
Im letzten Plenartreffen wurden der Mehrwert der Kooperation zusammengestellt und auch
Visionen für die Institutionalisierung der Kooperation entwickelt. Der Kontakt zwischen
Universität und Studienseminar muss institutionalisiert werden, und zwar so, dass eine Winwin-Situation für beide Seiten entsteht.
● Vorschlag 1: Abordnung im Umfang von vier Stunden von je einer Seminarlehrkraft
pro Schulart für drei Jahre an eine Didaktikprofessur. Realisiert wird dabei
•
gemeinsame Lehre in Praxis- oder Kombimodulen in Zusammenarbeit mit
Dozenten der Fachdidaktik, ggf. der Fachwissenschaft,
•
Gaststudium: Jede Seminarlehrkraft belegt eine Lehrveranstaltung als Gasthörer in
der Fachwissenschaft, Fachdidaktik oder Erziehungswissenschaft (ggf. kann die
Universität hierfür ein Zertifikat anbieten), um Universität nach der BolognaReform aus eigener Erfahrung zu kennen und besser einschätzen zu können, mit
welchen Kompetenzausprägungen er/ sie bei den Referendaren rechnen kann.
•
Ein Dozent/ eine Dozentin der jeweiligen Professur besucht – auf deren Einladung
– Studienseminare unterschiedlicher Schularten (damit läuft ein Teil der
Abordnungsstunden an die Professur wieder zurück in die II. Phase);
•
Seminarlehrkraft und Dozent entwickeln gemeinsam kleine berufsfeldbezogenen
Forschungsprojekte, die im Studienseminar realisiert werden.
(2)
Gemeinsame Beteiligung an Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung
● Seminarlehrkraft und Dozent schulen gemeinsam Praktikums- und Betreuungslehrer;
● Seminarlehrkraft und Dozent arbeiten ihre für das Studium/ das Referendariat
entwickelten Konzepte innovativen Unterrichtens für Fortbildungseinheiten in der
regionalen/ schulinternen Lehrerfortbildung um;
(3)
Konzepte zur Sicherung der Nachhaltigkeit
•
Pro Semester findet mindestens eine universitätsinterne Plenumstagung statt
(Erfahrungsaustausch,
Feststellen
454
schulartspezifischer/
lernalterspezifischer
Gerade in Grund- und Mittelschulbereich werden die Überlegungen nachhaltig genutzt.
Ausbildungslehrgänge finden insbesondere in Mittelfranken statt. Die KU lädt Praktikumslehrkräfte regelmäßig
zu Schulungen ein.
232
Gemeinsamkeiten;
Weiterentwicklung
Querschnittskompetenzen/
HOLEKOs;
des
Entwicklung
Ansatzes
von
universitätsspezifischer
Ansätze der Lehrerbildungsforschung).
•
Einmal pro Jahr findet eine landweite Tagung zum Austausch zwischen den
Universitäten zur Kooperation I. und II. Phase statt,
•
Die abgeordneten Seminarlehrkräfte wirken als Multiplikatoren für ihre Kollegen
und kommunizieren ihre an der Universität gesammelten Erfahrungen und deren
Bedeutung für die Kooperation I. und II. Phase.
2.5. Kostenneutral?
Kostenneutral ist die Kooperation zwischen Universität und Schule nicht zu beleben. Mit
Sonntagsreden allein hat sich noch nie etwas verändert. Wegen der nicht erfüllbaren
Forderung nach Kostenneutralität liegen die Ansätze und Ergebnisse des KOOP-Projekts in
den Schubladen der Beteiligten.
3. Zur Beteiligung der KU an der Lehrerfortbildung für die Dritte
Phase
Diese Konkretisierung bezieht sich auf erste Ansätze der KU, mit Hilfe von Lehrerfortbildung
daran mitzuwirken, dass Lehrerbildung als lebenslangen Prozess verstehbar wird. Das Ziel ist,
dass die Lehrkräfte forschungsnahe Ansätze zur Weiterentwicklung ihres schulischen
Handelns nutzen, also in ihrer Haltung als „scientist practitioner“ gefördert werden.
3.1 Grundsätzliche Überlegungen
Auf Paradigmenwechsel im Bildungsbereich mit einer Veränderung der Erstausbildung von
Lehrkräften zu reagieren, ist eine notwendige Maßnahme, hinreichend ist sie aber nicht. Das
233
liegt nicht zuletzt daran, dass die „jungen Kolleginnen und Kollegen“ allein schon wegen
ihrer Rolle als Berufsanfänger überfordert damit sind, die maßgeblichen Träger von Reformen
zu sein. Dazu kommt die Beobachtung, dass nicht wenige Berufsanfänger gar nicht als
„scientist practitioner“ agieren und die Reformansätze aus Universität und Studienseminar in
die Schule tragen, sondern dass sie zurückfallen in traditionelle Praktiken, die sie zum Teil
selbst als Schülerin oder Schüler erlebt oder bei Kolleginnen oder Kollegen beobachtet
haben.455
Daraus erwächst die Einsicht, dass der Dritten Phase der Lehrerbildung bei der Reform von
Schule eine entscheidende Rolle zukommt. Dies ergibt sich nicht nur aus der ungleich
größeren Zahl der im Berufsleben stehenden Lehrkräfte, sondern auch daraus, dass die
Kollegen sich über Jahre hinweg im System Schule etabliert haben und dieses in
unterschiedlichen Funktionen tragen. Damit stabilisieren sie zugleich ein System, das den
gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mehr genügt und deshalb reformiert werden soll.
Die Beteiligung der Universität als Institution an der Fort- und Weiterbildung der Dritten
Phase ist bislang noch wenig ins Zentrum des Interesses von Praxis und Forschung gerückt.
Das heißt nicht, dass nicht Universitätsdozenten eingeladen würden, als Referenten an
Lehrerfortbildung mitzuwirken456 oder dass nicht einzelne Lehrerbildungszentren oder
Lehrstühle zu Lehrerfortbildungen an die Universität einladen würden.457 Was fehlt, sind
umfassendere Konzepte für die Beteiligung von Universitäten an Lehrerfort- und weiterbildung als Teil einer lebenslangen wissenschaftsbasierten Lehrerbildung.
Auch die KU hat bislang nicht systematisch begonnen, an einem Konzept für ihre Mitwirkung
an der Lehrerfort- und -weiterbildung zu arbeiten; im 2014 verabschiedeten Entwicklungsplan
ist das Ziel als Fernperspektive aber verortet. Es soll in Angriff genommen werden, wenn die
455
Vgl. hierzu und zum Folgenden die Darstellungen in Kapitel A III 4. Fort- und Weiterbildung: die dritte
Phase; dort werden auch die entsprechenden Studien zitiert.
456
Es ist lange Tradition, dass Universitäts-Dozenten, insbesondere aus den Fachdidaktiken und
Erziehungswissenschaften, in der Lehrerfortbildung tätig sind. Sie werden von den ministeriumsnahmen ZentralInstitutionen der Lehrerfortbildung angefragt, wobei es dann oft um Multiplikatorenschulung [1] im Rahmen der
jeweiligen Schwerpunktprogramme geht, teilweise um Lehrgänge der Weiterbildung von Leitungspersonal. Sie
werden von weiteren Trägern der Lehrerfortbildung (wie Verlagen, Bezirksregierungen, Schulämtern, z.T.
Schulen) eingeladen, manchmal von privaten Fortbildungsinstituten als freie Mitarbeiter angestellt.
457
Die wenigen wissenschaftlich begleiteten Modellversuche zu innovativen Fortbildungskonzepten spiegeln
auch die bislang eher sporadisch erfolgende Beteiligung von Universitäten wider (Inklusion in NRW – noch
nicht abgeschlossen, vgl. hierzu Fortbildung für Schulen auf dem Weg zur Inklusion, URL
http://www.lehrerfortbildung.schulministerium.nrw.de/Fortbildung/Fortbildung-NRW/);
Blended
Learning
(Reinmann, G., Florian, A. Häuptle, E. und Johannes Metscher, Johannes (2009): Wissenschaftliche Begleitung
von Blended Learning in der Lehrerfortbildung: Konzept, Methodik, Ergebnisse, Erfahrungen und
Empfehlungen am Beispiel »Intel® Lehren – Aufbaukurs Online«, Münster: MV-Verlag; Ganz, A., Reinmann,
G. (2007). Blended Learning in der Lehrerfortbildung. Evaluation einer Fortbildungsinitiative zum Einsatz
digitaler Medien im Fachunterricht. In: Unterrichtswissenschaft 35, 2, S. 169-191), in Ansätzen auch in der
Umweltbildung (De Haan, G., Jungk, D., Kutt, K. Michelsen, G., Nitschke, C., Schnurpel, U., Seybold, H.
(2013). Umweltbildung als Innovation: Bilanzierungen und Empfehlungen zu Modellversuchen und
Forschungsvorhaben, Berlin u.a.: Springer).
234
Reformvorhaben zum Lehramtsstudium einen Status erreicht haben, der nächste Schritte
erfolgsversprechend sein lässt.458 In der Zwischenzeit wird versucht, die vorhandenen
Aktivitäten zu bündeln. An einzelnen Lehreinheiten wurde Konzepte entwickelt und erprobt,
die Ansatzpunkte z.B. für einen späteren Modellversuch sein könnten. Zwei Beispiele werden
abschließend vorgestellt.
Für die folgende Darstellung werden einige Grundannahmen formuliert, die für wichtig
erachtet werden, wenn Universitäten mit den Ziel der Förderung einer wissenschaftsbasierten
Weiterentwicklung von Lehrerkompetenzen an Lehrerfort- und -weiterbildungen mitwirken
wollen:
(1) „Diagnostik“ im Sinne der Berücksichtigung der Ausgangslage muss als Element von
Lehrerfortbildungen gestärkt werden, insbesondere dann, wenn ein Paradigmenwechsel
unterstützt werden soll. Die Klärung der Ausgangslage sollte in zwei Richtungen gehen.
Zum einen muss gefragt werden, inwiefern die Lehrkräfte für sich die Notwendigkeit
sehen, eingespielte Routinen zu verändern, zum anderen sollte geklärt sein, auf welchen
vorhandenen Kompetenzausprägungen angesetzt werden kann.
(2) Um eine nachhaltige Kompetenzerweiterung zu unterstützen, muss ihr theoretischer
Rahmen im Laufe der Fortbildung als Mehrwert wahrgenommen werden können.
Dahinter steht, dass Reflektiertheit und Selbstreflexion als Grundlage dafür verstanden
werden, Theorie und Praxis so zu verbinden, dass die alltäglichen Handlungssituationen
besser bewältigt werden können.
(3) Damit eng verbunden ist, dass in Lehrerfortbildungen konkrete Möglichkeiten der
Operationalisierung im schulischen Handeln angeboten werden müssen, denen zugetraut
wird, vorhandene Probleme zu lösen. Nur dann kann von der Bereitschaft ausgegangen
werden, die eigenen Kompetenzen zu erweitern, zu modifizieren, eventuell sogar
grundlegend zu verändern.
(4) Lehrerbildungsforschung, verstanden als Evaluierung, vor allen aber auch als
Wirksamkeits- und Innovationsforschung sollten mit dem Ziel der theoretischen
Fundierung und Evidenzbasierung gezielt eingeschlossen werden.
458
Die Akkreditierung des lehramtsgeeigneten Profils im Rahmen der Gesamtakkreditierung steht für die externe
Evaluierung; die auf der angeführten SWOT-Analyse aus dem Jahr 2013 aufgebaute, durch die Hochschulleitung
aber nicht weiterverfolgte Antrag zur Qualitätsoffensive Lehrerbildung markiert die interne Klärung des
Zwischenstands.
235
Damit wird von Lehrerbildung als Einheit ausgegangen, die einer theoretischen Grundlegung
ebenso bedarf wie sie den Anforderungen der Praxis gerecht werden muss. Für die
Beteiligung der Universität an der Fort- und Weiterbildung der dritten Phase müssen
Beteiligungsformen entwickelt werden, die Theorie für die Praxis erschließen und den
Mehrwert für das praktische Handeln in den Berufsfeldern an konkreten Fällen verdeutlichen.
3.2. Erläuterung an konkreten Beispielen
3.2.1 Sichtbarmachen der KU als Akteur in der Fortbildung der Dritten Phase
Im Rahmen des Ausbaus der Lehrerbildungszentren, zum Teil auch unter Bezug auf
Bundesförderungen durch die „Exzellenzinitiative Lehre“ oder die „Qualitätsoffensive
Lehrerbildung“, bemühen sich die Universitäten um Kontinuität und Sichtbarkeit, ansatzweise
auch um Nachhaltigkeit ihrer Fortbildungsangebote. Die Maßnahmen der KU haben dafür
Beispielcharakter: Seit Jahren bieten einzelne Fächer disziplinbezogene Veranstaltungen
an,459 überfachlich ausgerichtete Lehrertage wurden etabliert,460 auf Einzelgruppen wie z.B.
Praktikumslehrkräfte oder Seminarlehrkräfte ausgerichtete Angebote461 werden gemacht. Es
hat sich an der KU wie an vielen Universitäten zum Standard entwickelt, dass alle Angebote,
auch die einmalig stattfindenden Angebote, in Broschüren gebündelt dargestellt werden, die
den Lehrkräften online und in einer Papierfassung zur Verfügung stehen.462
In der Regel wird bei den universitären Angeboten der Theorie-Praxiszusammenhang
dezidiert hergestellt (vgl. oben Grundannahme 2 und 3). Optimierungsbedarf besteht in
Bezug
auf
die
horizontale
Vernetzung
zwischen
den
einzelnen
Angeboten.
Kompetenzorientierung als umfassender Paradigmenwechsel wird meist zwar unterstützt, oft
aber implizit, als Teilaspekt des jeweiligen Themas. Die explizite gemeinsame
Theoriefundierung der Angebote mehrerer Dozenten stellt derzeit noch die Ausnahme dar.
Auch der explizite Akzent auf vertikale Vernetzung bleibt ein selten tatsächlich verfolgtes
459
In Eichstätt gilt das u.a. für die Fächer Geographie, Geschichte, Latein, Mathematik, die Philologien, Religion
und Schulpädagogik.
460
Der Eichstätter Lehrertag, der meist überfachliche Themen hat, ist ein Beispiel dafür.
461
Akteur und Organisator für diese Angebote ist insbesondere das Praktikumsamt für Grund- und
Mittelschulen.
462
Vgl. hierzu die Homepage des Eichstätter Lehrerbildungszentrums.
236
Ziel; versucht wird er z.B. in Fortbildungsangeboten, die sich an Studierende wie Lehrerinnen
und Lehrer richten.463
Die Erhebung der Ausgangslage (vgl. oben Grundannahme 1) spielt gegenüber dem
Inhaltsbezug bei den universitären Angeboten oft eine eher untergeordnete Rolle. Dies ergibt
sich vielfach daraus, dass es sich bei den Fortbildungsangeboten um ca. 90-minütige
Einzelangebote handelt, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer oft aus unterschiedlichen
Schularten und von vielen verschiedenen Schulen mit unterschiedlichster Schulkultur
kommen. Differenzierung erfolgt unter diesen Bedingungen eher selten.
Die Veranstaltungen werden in der Regel über Lickert-skalierte Fragebögen evaluiert, die auf
Einschätzungen der Teilnehmer fokussieren.464 Auf Wirksamkeits- oder Innovationsforschung
gerichtete Lehrerbildungsforschung beginnt an der KU erst (vgl. oben 4). Wenn sie
stattfindet, dann wird sie vorrangig auf fachbezogene Kompetenzziele bezogen; übergreifende
Kompetenzziele, wie z.B. die HOLEKOs werden aktuell nur implizit berücksichtigt.
Abschließend werden exemplarisch zwei mit Fortbildungsforschung vernetzte Konzepte
skizziert, die jeweils in Teams der Geschichtsdidaktik verfolgt werden.
3.2.2 Von der Einzelveranstaltung zu Fortbildungsreihen und begleitendem
Coaching der Teilnehmenden
Das erste Beispiel adressiert Grund- und Mittelschullehrpersonen, die Geschichte häufig
fachfremd unterrichten. Das Projekt fand im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des
Modellversuchs
Lehramtplus zwischen
2012
und
2015
statt.
Ziel
war
es,
ein
Professionalisierungskonzept für Grund- und Hauptschullehrkräfte zu einwickeln und zu
erproben, das diese dabei unterstützt, den Paradigmenwechsel zur Kompetenzorientierung mit
nachhaltiger Wirkung auf ihren Unterricht zu vollziehen. Bezug nehmend auf Erfahrungen,
die zeigen, dass gerade fachfremd unterrichtende Lehrkräfte wenig profitieren von
Fortbildungsmaßnahmen, die ihre Ausgangslage zu wenig berücksichtigen, wurde ein
Implementationskonzept entwickelt, das durch systematische Anlage auf progredierende
Förderung zielt. Die Teilnehmer sollten während der Fortbildungsmaßnahmen kontinuierlich
begleitet werden. Im Anschluss daran sollte das Angebot gemacht werden, einen
Lehrerarbeitskreis zu gründen, der sich regelmäßig trifft, um die non-formale Entwicklung
463
Solche Angebote machen z.B. die Englisch- und die Deutschdidaktik.
Die subjektive Zufriedenheit mit den Eichstätter Angeboten ist meist groß; über die Praxis-Wirksamkeit kann
nur spekuliert werden.
464
237
der Unterrichtskompetenz weiter zu unterstützen. Unterricht sollte gemeinsam geplant und
reflektiert werden; motivationale und volitionale Einbrüche im Umstellungsprozess sollten
vermieden werden. Das Konzept wurde von einem Team der Professur für Theorie und
Didaktik der Geschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt unter Leistung
von Stefanie Zabold entwickelt. Es wurde über die regionale Lehrerfortbildung der Regierung
von Mittelfranken institutionalisiert. Ein auf Mentorentraining ausgerichtetes Folgeprojekt
wird zusätzlich durch Drittmittel einer Privatstiftung gefördert. Die Konzepte, Erfahrungen
und Ergebnisse werden in einer Publikation zusammengefasst.465
Die Fortbildungsreihe wurde 2012/13 durchgeführt und war auf fünf Veranstaltungen
angelegt. Es adressierte Grund- und Mittelschullehrer im Regierungsbezirk Mittelfranken. Die
Veranstaltungen bauten aufeinander auf und berücksichtigten die oben unter 1 bis 4
angesprochenen Prinzipien. Die Teilnehmenden erhielten von Sitzung zu Sitzung
materialgestützte Aufgaben. Die bei der Umsetzung gesammelten Erfahrungen wurden
jeweils in der Gruppe reflektiert, darüber hinaus wurden persönliche Feedbacks gegeben. Die
unterrichtliche Realisierung wurde z.T. videographiert. Für die Arbeit mit den Videographien
konnte noch nicht auf Instrument zurückgegriffen werden, die aktuell im Rahmen
entsprechender Videostudien entwickelt wurden.466 Die Basis für das Feedback bildeten
Erfahrungen aus der Begleitung von Unterricht junger Lehrkräfte in Praktika und
Studienseminaren, die im Zuge des beschriebenen KOOP-Projekts I. und II. Phase
systematisiert und reflektiert wurden. Die Veranstaltungsevaluierungen ergaben bei einen
insgesamt positiven Feedback dennoch explizite und implizite Hinweise auf die Optimierung:
Der Mehrwert einer theoretischen Einbindung war nicht deutlich genug geworden; die
Unterrichtsanregungen wurde eher als Rezepte, denn als eine mögliche Konkretisierung für
kompetenzorientiertes Unterrichten aufgefasst.
Aus dem Kreis derer, die an der Fortbildungsreihe teilgenommen hatten, konstituierte sich
eine Arbeitsgruppe („AK Geschichte Innovativ“), die sich zwei Ziele setzte: (1) im
gegenseitigen
Austausch
die
eigenen
Kompetenzen
für
kompetenzorientierten
Geschichtsunterricht weiterzuentwickeln, (2) auf Grundlage der eigenen Erfahrung ein
465
Zabold, S. & Obermeyer, I. (2016, in Vorbereitung). Wie können Fortbildungen Lehrer nachhaltig dazu
motivieren, Geschichtsunterricht kompetenzorientiert zu unterrichten?
466
Zum Teil waren die Konzepte noch gar nicht erarbeitet (Das Heidelberger EKOL-Projekt begann erst nach
der Fortbildungsreihe), oder nicht zugängig (wie der Observer der TUM München).
238
Lehrerfortbildungskonzept zu entwickeln, das die AK-Mitglieder ihrerseits als Moderatoren
begleiten. Dieses Ziel wurde durch Drittmittel einer Stiftung gefördert.
Weil Geschichtsunterricht in beiden Schularten nur im Umfang von wenigen Wochen und im
Rahmen des Heimat- und Sachunterrichts bzw. im Verbundfach „Geschichte, Sozialkunde
Erdkunde“ realisiert wird, kompetenzorientiertes Unterrichten zugleich Unterrichtsprinzip für
alle Fächer ist, entschied sich die Gruppe dazu, die Förderung an einem fächerverbindenden
Projekt zwischen dem Deutsch- (genauer: Literatur)- und Geschichtsunterricht anzusetzen.
Überfachlich geltende Prinzipien kompetenzorientierten Unterrichtens sollten ebenso geschult
werden wie die fachspezifische Ausprägung für kompetenzorientierten Geschichtsunterricht.
Zuerst entwickelten die Arbeitskreislehrkräfte Unterrichtssequenzen für das Gesamtprojekt.
Sie entschieden sich, für die Grundschule von der Lektürearbeit an Willi Fährmanns „Der
überaus starke Willibald“ (1983) auszugehen und für die Mittelschule von Hans Peter
Richters „Damals war es Friedrich“ (1961).467 Ein besonderes Augenmerk lag darauf, die
Lektüre und die Auseinandersetzung mit den historischen Rahmenbedingungen so zu
gestalten, dass in beiden Fällen die Förderung der Kompetenzentwicklung der Schülerinnen
und Schüler das Ziel ist, zugleich aber die Fachspezifik historischer bzw. literarischer
Kompetenz jeweils herausgearbeitet wird. Dazu gehört, dass Geschichte und Literatur als
zwei unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung mit vergangenen Erfahrungen und der
dort erfolgten Bedeutungszuweisung für die Gegenwart herausgearbeitet werden.
Die Sequenzen wurden erprobt, der Unterrichtsverlauf wurde intensiv diskutiert. In der Folge
wurden die Entwürfe mehrfach optimiert.
Die These, dass Lehrerfortbildung konkrete Beispiele braucht, um Kompetenzorientierung als
Ziel zu verdeutlichen, erwies sich als richtig. Das erarbeitete Fortbildungskonzept wurde
mehrfach erprobt (in Moderatorenschulungen, bei regionalen und schulhausinternen
Fortbildungen) und ebenfalls überarbeitet. Eine Konsequenz der Erfahrungen ist die
Entwicklung einer didaktischen Wanderausstellung, die das fachübergreifende Projekt auf
467
Trotz des Diskurses, der über die beiden Kinderbücher in der Deutsch- und Literaturdidaktik besteht,
entschied der AK sich für die beiden Texte, weil sie in der Realität der deutschen Klassenzimmern nach wie vor
eine wichtige Rolle spielen (Damals war es Friedrich erschien 2013 in der 62. Auflage! Zur Einordnung vgl.
Kinderund
Jugendmedien:
Damals
war
es
Friedrich,
URL
http://www.kinderundjugendmedien.de/index.php/werke/837-richter-hans-peter-damals-war-es-friedrich-inbearbeitung. Zur Kritik vgl. u.a. Schrader, U. (2005). Immer wieder Friedrich. In: Praxis Deutsch 32, S. 57-58;
Waldherr, F.: Hans Peter Richter: Damals war es Friedrich. Modelle für den Literaturunterricht 5-10. Reihe:
Klasse!Lektüre. Hrsg. von K.-M. Bogdal u. C. Kammler. München: Oldenbourg Schulbuchverlag 2001;
Dahrendorf, M. & Shavit, Z. (Hrsg.) (1988): Die Darstellung des Dritten Reichs im Kinder – und Jugendbuch.
Frankfurt a.M.: dipa; insbesondere auch Wetzel, J. (2010): „Damals war es Friedrich“ – Vom zähen Leben
misslungener guter Absicht, in: W. Benz (Hrsg.), Vorurteile in der Kinder- und Jugendliteratur, Berlin:
Metropol, S. 201-209. Das Ziel des AK war einen kritischen Umgang mit Kinderliteratur, gerade auch
ausgehend von der historischen Auseinandersetzung mit den Themen zu initiieren.
239
knapp 20 rollup-Elementen präsentiert. Diese Ausstellung wird in den Schulen präsentiert, die
das Projekt durchführen wollen. Begleitend findet eine schulhausinterne Lehrerfortbildung
statt, die von einem Mitglied des Arbeitskreises durchgeführt wird. Dieses steht auch als
Coach für die Lehrkräfte, die vor Ort zum Thema arbeiten (wollen) zur Verfügung, um die
doppelte Kompetenzentwicklung (bei den Schülerinnen und Schülern und bei den
Lehrkräften) zu unterstützen.
Zum „Willibaldprojekt” wurden mehrere Seminararbeiten und eine Bachelorarbeit
vergeben.468 Als Beitrag zur Fortbildungsforschung entsteht derzeit eine Dissertation. Ina
Obermeyer entwickelte die These, dass kompetenzorientierte Aufgabenstellungen ein
Ansatzpunkt sind, um Lehrkräfte, die Geschichte fachfremd unterrichten (und z.T. vor dem
Paradigmenwechsel hin zur Kompetenzorientierung studiert haben), bei der Entwicklung der
Kompetenz zu kompetenzorientiertem Unterrichten zu unterstützen. Dabei wird theoretisch
das Potential der Aufgabenentwicklungen als Grundelement für entsprechende Fortbildungen
herausgearbeitet, dann wird eine entsprechende Fortbildungsreihe entwickelt und erprobt. Die
dabei von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erarbeiteten und erprobten Aufgaben bilden
die Grundlage für Feedback und Coaching. Sie schaffen zudem den Materialpool für die
Evaluierung der Wirksamkeit des Ansatzes.
3.2.3 Kompetenzorientiertes Geschichtslernen und digitale Lehr-Lernmittel
Das Ziel der Entwicklung dieses an Gymnasiallehrkräfte adressierten Fortbildungsprojekts ist,
den Paradigmenwechsel hin zu einem digital-multimedial unterstützten kompetenzorientierten
Lehren und Lernen zu unterstützen. Die Ausgangslage ist, dass für den gymnasialen
Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe 1 in Nordrhein-Westfalen mit dem Ziel, die
Implementation eines kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts zu unterstützen, ein
digital-multimediales Schulbuch (mBook NRW) erarbeitet worden ist.
Kompetenzorient zu unterrichten und digitales Lernen zu unterstützen ist eine doppelte
Herausforderung für die Unterrichtsentwicklung. Ohne gezielte Lehrerfortbildung sind die
beiden Umorientierungen nicht flächendeckend zu implementieren. Sobald Fortbildung aber
an alle Lehrkräfte eines Landes adressiert wird, ist es nicht mehr möglich, Expertenteams als
468
Daten für eine Auswertung des Professionalisierungsprojekts wurden zudem als Grundlage für eine
Sekundäranalyse gesammelt (Protokolle zu den Arbeitssitzungen, Sammeln der Ergebnismaterialien in den
unterschiedlichen Bearbeitungsständen, Interviewdaten).
240
Akteure einzusetzen. Insbesondere in Flächenstaaten muss die Fortbildung dezentral und mit
Hilfe von Multiplikatoren realisiert werden.
National und international ist das Problem der mit diesem Schneeballsystem einhergehenden
Qualitätsminderung noch nicht gelöst. Die Herausforderung besteht also darin, ein Konzept
für eine Multiplikatorenschulung zu entwickeln, das den Qualitätsverlust minimiert. Von
einem Team der Professur für Theorie und Didaktik der Geschichte (Waltraud Schreiber,
Florian Sochatzy, Marcus Ventzke) wurde ein Konzept erarbeitet, das „face-to-faceFortbildungen“ mit „blended learning“ und „Fortbildung on demand“ verknüpft. Um ein
zeitunabhängiges und bedarfsgerechtes Angebot zu entwickeln („Fortbildung on demand“),
wurde eine Lehrervariante zum digital-multimedialen Schulbuch für Schülerinnen und
Schüler469 erarbeitet: Lehrerhandreichungen, sind in der Lehrerversion des digitalen
Schulbuchs
eingearbeitet;470
Sie
betreffen
inhaltliche,
fachdidaktische
und
unterrichtsmethodische Fragen und sind ebenfalls digital-multimedial aufbereitet.
Das Ziel der Multiplikatorenfortbildung ist, dass die Multiplikatoren sich als „kompetent“ für
einen kompetenzorientierten Geschichtsunterricht erachten und dafür, digitale Lehr- und
Lernmittel gezielt zur Förderung der Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler
einsetzen zu können. Diese Kompetenzen werden überprüft, weil sie Bedingung dafür sind,
Lehrkräfte erfolgreich schulen zu können.471 Dafür sollen in einem Drittmittelprojekt zur
wissenschaftlichen Begleitung des Ansatzes Instrumente erarbeitet werden, mit deren Hilfe
die Entwicklung von Lehrerkompetenzen in Bezug auf „Kompetenzorientiertes Unterrichten
unter Nutzung digital-multimedialer Lehr-Lernmittel“ beobachtet, erfasst und schließlich
gemessen werden kann.
Dieses Instrument wird in einem ersten Schritt an den Multiplikatoren erprobt und zusammen
mit ihnen optimiert. Das finale Instrument wird schließlich genutzt, um nach den von
Multiplikatoren durchgeführten Fortbildungen an aussagekräftigen Zufalls-Stichproben aus
den fortgebildeten Lehrkräften deren Kompetenzausprägungen zu bestimmen. Fernziel ist, ein
Instrument
des
Self-Assessments
für
Lehrkräfte,
die
an
Fortbildungsmaßnahmen
teilgenommen haben, bzw. sich selbst in die Nutzung des mBooks eingearbeitet haben,
vorzulegen.
469
Nähere Informationen zum mbook vgl. URL http://mbook.institut-für-digitales-lernen.de.
Vgl. hierzu die Hinweise in Kapitel A, III 1.3.3.2.2 Fortbildungsreihen zu Sonderthemen.
471
In diesem Sinne ist ein Aspekt des Fortbildungskonzepts, dass die Multiplikatoren zumindest in der
Schulungsphase selbst Geschichtsunterricht mit dem mBook geben.
470
241
Bislang
ist
das
dreigliedrige
Fortbildungskonzept
(allerdings
durchgeführt
von
Expertenteams) erfolgreich erprobt und durch Einschätzung der Teilnehmenden evaluiert
worden. Die Erprobung an Multiplikatoren steht noch aus, ebenso die Entwicklung eines
Untersuchungsinstruments.
242
D. Resümee
Ein Resümee zu den Überlegungen zu Reformen der Lehrerbildung zu ziehen, ist eine
Herausforderung für sich: Ob Zwänge der Praxis, Erkenntnisse der Theorie und/ oder
Evidenzen der Empirie als maßgeblich angesehen werden, hängt nicht nur vom jeweiligen
Standpunkt ab, sondern auch davon, welche Aspekte man konkret in den Blick nimmt.
Betrachtet man vorfindliche Realisierungen der Lehrerbildungsreform an den Universitäten,
ist das Ergebnis ambivalent. Vieles, was die OECD vor Beginn der Reformen als Manko
deutscher Lehrerbildung formuliert hat, scheint heute noch aktuell. Das bedeutet, dass bereits
erkannte Hürden nicht ausgeräumt wurden, auch wenn es längst Theorieansätze, praktische
Erfahrungen und empirische Befunde dazu gibt, wie sie überwunden werden könnten. Ein
Beispiel ist die ungebremste Beliebigkeit der Modulauswahl, die einen querschnittlich
vernetzenden und längsschnittlich tragfähigen Kompetenzaufbau für das immer komplexer
werdende schulische Handlungsfeld erschwert. Davon zu unterscheiden ist die – eine
Profilierung erst ermöglichende – Wahlfreiheit in einem vom Kompetenzprofil „schulisches
Handeln” her definierten Rahmen. Um diesen Rahmen durch strukturelle Maßnahmen zu
schaffen, haben Reformmodelle unterschiedliche Wege gefunden. Ob sie sich in ihrer
Wirksamkeiten unterscheiden lassen, versuchen Studien wie PaLea inzwischen zu erfassen,
indem sie klären, inwiefern die unterschiedlichen Studienstrukturen Bedeutung für die
professionsbezogene Kompetenzentwicklung Lehramtsstudierender haben.
Ebenfalls von den Konkretisierungen an den Universitäten her gedacht, lässt sich weiterhin
resümieren, dass sich im Windschatten der Hochschulreformen neue Zwischenebenen
entwickelt haben. Als wissenschaftsunterstützendes Personal oder als Stabsstellen soll das
neue Personal z.B. bei der Studienorganisation, beim Qualitätsmanagement und in
Planungssituationen entlastend wirken. Institutionelle Zuständigkeiten (z.B. in den als neue
Ebenen eingezogenen Stellen) gehen aber nicht zugleich mit wissenschaftlich-fachlichen
Kompetenzen einher (über die Dozentinnen und Dozenten verfügen). Für die zu treffenden
Reformentscheidungen für die Lehrerbildung ist aber beides notwendig, fachliche wie
strukturelle Kompetenz und Zuständigkeit. Dadurch entsteht neuer Kommunikationsbedarf.
243
Zugleich besteht aber nicht immer das Bedürfnis nach Kommunikation, genauso wenig wie
die Kommunikation unterstützenden Strukturen aufgebaut sind.
Solche Grauzonen sind für die Lehrerbildung aufgrund ihrer Komplexität besonders fatal.
Vermutlich geschieht es nicht einmal bewusst. Niemand hat die Absicht (angehende)
Lehrkräfte beim Aufbau von Kompetenzen explizit zu behindern: Es „passiert” aber, an ganz
unterschiedlichen Stellen, z.B.
•
wenn, wie eben skizziert, institutionelle Zuständigkeit/ Kompetenz und wissenschaftlichfachliche
Zuständigkeit/
Kompetenz
im
Reformprozesse
nicht
eng
genug
zusammenwirken,
•
wenn in Folge davon, z.B. durch Überreglementierung, Fakten geschaffen werden, die der
Kompetenzentwicklung angehender Lehrkräfte nicht förderlich sind;
•
wenn die Lehrerbildung institutionell und personell keine starke mit Zuständigkeit und
Kompetenz ausgestattete Vertretung hat, die vertrauensvoll mit den Akteuren der
Lehrerbildung zusammenarbeitet und allen Studierenden Anlaufstellen bietet;
•
wenn die Hochschulleitung, die letztlich Verantwortung für das Profil der Universität
trägt, sich schwankend gegenüber der Lehrerbildung verhält (Terhart).
Wählt man als Bezugspunkt für die Einschätzung des laufenden Reformprozesses dagegen,
inwiefern es gelingt, als Land mit den Herausforderungen umzugehen, vor denen Reformen
der Lehrerbildung in allen Phasen stehen, so zeigt sich ein positiveres Bild: Zwar werden vor
Ort unterschiedliche Wege beschritten, um die gegebenen Herausforderungen zu meistern, im
Einzelfall wie strukturell. Werden aber die Ansätze verglichen, so spiegeln sich mehr
Gemeinsamkeiten wider, als es auf den ersten Blick erscheint. Es ist ein gemeinsamer
Horizont, in dem sich die Reformbestrebungen bewegen. Ein Beispiel für die
Ausdifferenzierung des Horizonts stellen die drei Ansatzpunkte dar, die in Teil B dargestellt
wurden: Kompetenzorientierung 2.0, das Selbstverständnis der Lehrkräfte als „scientist
practitioners“, die Evidenzbasierung als Grundlage, um Ausrichtungen und Wirkungen zu
vergleichen
und
einzuschätzen.
Im
Kern
finden
sich
diese
Aspekte
in
den
Reformbemühungen aller drei Phasen wieder.
Die Tragfähigkeit und Praxistauglichkeit der Ansatzpunkte mittels vertiefender Theoriearbeit,
über Modellversuche oder über Projekte Einzelner zu prüfen, mag aufwändig, vielleicht auch
nicht sofort zielführend sein. Dennoch ist das der Weg, der zeigt, dass die Richtung stimmt,
und vor allem, dass die Reform der Lehrerbildung Träger, Mittel und Wege hat, ihr
eigentliche Ziel zu verfolgen: Dazu beizutragen, Lehrkräfte so zu bilden, dass sie
244
Schülerinnen und Schüler in einer Schule der Vielfalt dabei unterstützen können, die
Kompetenzen zu erwerben, die es ihnen ermöglichen, lebensweltlich, berufsweltlich und
gesellschaftlich erfolgreich und verantwortlich mit für sie neuen, problemhaltigen Situationen
umgehen zu können.
Wenig verantwortungsvoll ist es, wenn vorhandene Reformansätze, die sich auf Ebene z.B.
einer Universität bewährt haben, daran gehindert werden, auf die nächste Ebene zu gelangen
(z.B. an weiteren Universitäten erprobt zu werden), obwohl es auf der Hand liegt, dass sie
Potential
haben.
Verantwortlichkeiten,
Per
die
se
können
universitäts-
Finanzneutralität
oder
oder
institutionsbezogene
phasenübergreifende
Zusammenarbeit
erschweren, oder auch die Tatsache, dass es mühsam ist, die Resistenzen Einzelner zu
überwinden, keine Argumente sein, um Reformansätze zu blockieren. Dies führt dazu, dass
Ergebnisse und Implementationsvorschläge von Modellversuchen (wie Koop I. und II. Phase)
in der Schublade bleiben, dass es für Fortbildungskonzepte immer noch keine
Qualitätsstandards gibt (wie z.B. den Theorie-Praxis-Zusammenhang als Grundlage zu
nehmen und dadurch das Selbstbild der Lehrkraft als „scientist practitioners“ zu stärken) oder
dass ein übergreifendes Kompetenzstrukturmodell Lehrerbildung, das die Realisierung von
Reformzielen in allen Säulen und Phasen orientieren könnte, gar nicht erst erprobt wird.
Alte Hürden bleiben bestehen, solange, bis sie als Barrieren erkannt werden, die Universitäten
und/ oder Schule daran hemmen, das zu leisten, was sie leisten können und sollen. Aufgabe
aller Phasen der Lehrerbildung ist es, Lehrkräfte dabei zu unterstützen, die immer wieder
neuen Problemlagen zu meistern, die sich im schulischen Handeln stellen. Dem dient ein
Kompetenzaufbau, der horizontal und vertikal vernetzt angelegt ist.
Die Weichen dafür sind gestellt. Staatliche Fördermaßnahmen wie die „Qualitätsoffensive
Lehrerbildung“ unterstützen das Vorankommen der Reformvorhaben. Interdisziplinäre
Forschungskooperationen und Kooperationsinitiativen für Forschung und Pragmatik
bewähren sich. Ein neues Verständnis von lebenslangem Lernen setzt sich durch. All dies
könnten Indizien dafür sein, dass die „Macht des Faktischen“ Reformen der Lehrerbildung
vorantreibt.
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