[go: up one dir, main page]

Academia.eduAcademia.edu
Magisterarbeit zum Thema Öffentliche Argumentation und Macht. Theoretische Analyse und Fallstudie. Freie Universität Berlin Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft vorgelegt am 20. Mai 2003 von Christoph Haug Matrikel-Nr. 3333855 Erstgutachter: Prof. Dr. Hans-Jürgen Weiß Zweitgutachter: Dr. Joachim Trebbe 1 Einleitung 2 Inhalt 1 EINLEITUNG 4 Teil I: Theoretische Analyse 2 MACHT 2.1 2.2 2.3 3 3.1 3.2 3.3 4 4.1 4.2 4.3 4.4 TRANSITIVE MACHT INTRANSITIVE MACHT DAS VERHÄLTNIS VON TRANSITIVER UND INTRANSITIVER MACHT 8 9 11 15 ÖFFENTLICHE ARGUMENTATION 20 ANTIKE RHETORIK UND MODERNE MEDIENFORSCHUNG DAS ARENA-MODELL VON ÖFFENTLICHKEIT ARGUMENTATIONSTHEORIE 3.3.1 Das Toulmin-Schema des Arguments 3.3.2 Topik 20 24 32 35 38 MACHT UND OHNMACHT ÖFFENTLICHER ARGUMENTATION 43 KURZFRISTIGE MACHTEFFEKTE VON ARGUMENTEN LANGFRISTIGE MACHTEFFEKTE VON ARGUMENTEN ‚OHNMACHT‘ VON ARGUMENTEN DIE MACHT DER ÖFFENTLICHKEIT 43 45 46 48 Teil II: Fallstudie 5 ARGUMENTANALYSE 5.1 5.2 5.3 5.4 FRAGESTELLUNG UNTERSUCHUNGSMATERIAL HYPOTHESEN / ERWARTUNGEN OPERATIONALISIERUNG UND DURCHFÜHRUNG 5.4.1 Kategorien auf Artikelebene 5.4.2 Kategorien auf Argument-Ebene 5.4.3 Codierung und Reliabilitätstest 5.5 ERGEBNISSE 5.5.1 Welche Topoi werden wo verwendet? 5.5.2 Integration: Übereinstimmende Verwendung von Topoi 5.5.3 Exkurs: Wie werden die Topoi interpretiert? 5.5.4 Wie werden die Topoi bewertet? 5.5.5 Konformität: Die übereinstimmende Bewertung von Topoi 5.5.6 Unterschiede zwischen subjektiven und objektiven Genres 5.5.7 Konsensanalyse nach Merten 5.6 ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE 6 FAZIT LITERATUR 50 50 53 54 55 56 57 63 66 68 70 72 72 74 75 79 83 85 98 ANHANG A - CODEBUCH 104 ANHANG B - LISTE DER TOPOI 128 ANHANG C - TABELLEN 138 1 Einleitung 3 Abbildungen und Tabellen Abbildung 1: Charakterisierung transitiver und intransitiver Macht.....................................15 Abbildung 2: Handlungsräume ..................................................................................................16 Abbildung 3: Das Arena-Modell der Öffentlichkeit................................................................26 Abbildung 4: Das Toulmin-Schema des Arguments...............................................................35 Abbildung 5: Toulmins Beispiel-Argument..............................................................................36 Abbildung 6: Das dreigliedrige Grundmodell des Arguments...............................................37 Abbildung 7: Konsensanalyse als Analyse von Schnittmengen.............................................79 Tabelle 1: Anteile der Argumente mit expliziten bzw. impliziten Begründungen ..............67 Tabelle 2: Relative Häufigkeiten der verwendeten Topoi.......................................................69 Tabelle 3: Gemittelte Korrelationen als Integrations- und Konformitätsmaße ..................75 Tabelle 4: Vergleich von Integration und Konformität nach Genres...................................76 Tabelle 5: Medienübergreifende Relevanz der einzelnen Topoi............................................81 Tabelle 6: Medienübergreifend gleich Bewertung der gemeinsam verwendetenTopoi......82 Tabelle A 1: Argumentdichte sowie mittlere Artikelgröße und Argumentzahl je Zeitung ..............................................................................................................................................138 Tabelle A 2: Anteil der Argumente mit expliziter bzw. implizit rekonstruierter Begründung ........................................................................................................................138 Tabelle A 3: Korrelationen der Toposhäufigkeiten (Toposrelevanz1)................................139 Tabelle A 4: Korrelationen der gewichteten Bedeutung (Toposrelevanz2)........................139 Tabelle A 5: Korrelationen des Toposrelevanz3.....................................................................139 Tabelle A 6: Mittlere Argumenttendenzen bezogen auf Zuwanderung bzw. Integration140 Tabelle A 7: Korrelationen der Argumenttendenz zur Zuwanderungsproblematik (pro/kontra Zuwanderung)..............................................................................................141 Tabelle A 8: Korrelationen der Argumenttendenz zur Integrationsproblematik (pro/kontra Multikuliti bzw. pro/kontra Restriktionen gegen MigrantInnen) ........141 Tabelle A 9: Bewertung der Topoi..........................................................................................142 Tabelle A 10: Anteil der Argumente bzw. Topoi mit Bewertung .......................................143 Tabelle A 11: Die Korrelationen der Toposrelevanz (Integration) und der Toposbewertung (Konformität)......................................................................................144 Tabelle A 12: Integration und Konformität der Zeitungstypen ..........................................144 1 Einleitung 4 1 Einleitung Wer die öffentliche Meinung auf seiner Seite hat, der hat auch einige Macht. Wer Macht ausüben möchte, kann dies langfristig nur schwer gegen die öffentliche Meinung tun. Dies gilt für gesellschaftliche Akteure ebenso wie für gewählte Repräsentanten in der Politik. Letztere genießen zwar einen gewissen Macht-Kredit, müssen sich jedoch weiterhin in der Öffentlichkeit als ‚kreditwürdig‘ erweisen. In modernen Demokratien ist es jedoch selten, daß einzelne Personen diese Macht völlig unabhängig von konkreten politischen Inhalten für sich verbuchen können. Prestige und Prominenz entkoppeln zwar tendenziell die Bindung zwischen den Inhalten, für die eine Person steht und der Person selbst, so daß von ihr unter Umständen auch solche Inhalte positiv aufgenommen werden, die eigentlich die öffentliche Meinung gegen sich haben und von anderen Personen nicht akzeptiert würden. Jedoch wurden Prestige und Prominenz auch auf der Grundlage bestimmter Inhalte erteilt und können bei dauerhaftem Mißfallen wieder entzogen werden. Zudem sichert Prominenz zunächst nur den Zugang zur Öffentlichkeit, nicht jedoch positive Resonanz. Und Prestige gewährt wohlwollende Aufnahme meist nur in begrenzten Fachgebieten. Wenngleich also immer wieder mangelnde Sachpolitik und eine starke Fixierung auf Personen statt auf Inhalte beklagt wird, so läßt sich die inhaltliche Komponente doch nie ganz eliminieren. Auch Köpfe stehen letztlich für Inhalte, selbst wenn über diese vielleicht weniger diskutiert wird. Die Inhalte, über die ein weitgehender ‚Konsens‘ in der Öffentlichkeit besteht, können jedoch auf ganz unterschiedlichen Abstraktionsniveaus angesiedelt sein: Manchmal besteht eine relativ gefestigte öffentliche Meinung zu einer ganz bestimmten Frage oder zu einem konkreten Problem. In pluralistischen Gesellschaften wird ein öffentlicher ‚Konsens‘ jedoch eher auf wesentlich allgemeinerer Ebene liegen, so daß über die richtige Lösung spezifischer Probleme – trotz eines Grundkonsenses – in der Öffentlichkeit jeweils durchaus noch Uneinigkeit besteht. Wenngleich in korporatistischen Systemen solche Konflikte in manchen Politikbereichen nichtöffentlich verhandelt und ‚gelöst‘ werden, finden in der Öffentlichkeit immer wieder Debatten über die Lösung bestimmter gesellschaftlicher und politischer Probleme statt. Neben verschiedenen anderen rhetorischen Mitteln werden hier Argumente eingesetzt um den Gegner zu überzeugen bzw. um das Publikum auf seine Seite zu ziehen und damit den Gegner in Schwierigkeiten zu bringen und die eigenen Möglichkeiten zu erweitern. An dieser Stelle sind öffentliche Argumentation und Macht offensichtlich aufeinander bezogen. 1 Einleitung 5 Gegenstand der theoretischen Analyse, die den ersten Teil dieser Arbeit bildet, wir es sein, jenes Verhältnis zwischen öffentlicher Argumentation und Macht genauer zu bestimmen. Dabei sollen nicht mit einem normativen, demokratietheoretisch inspirierten Blick die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse, die natürlich auch die öffentliche Diskussion prägen, analysiert und kritisiert werden. Diese Perspektive umfassend entfaltet zu haben ist das Verdienst von Jürgen Habermas, der sein Lebenswerk gewissermaßen dem Thema Öffentlichkeit und Herrschaft gewidmet hat. Habermas sieht in der Verständigungsorientierung, die Sprache selbst innewohne, die Möglichkeit herrschaftsfreier Konsensbildung. Diese könne einerseits erst in einer von Herrschaft befreiten Gesellschaft verwirklicht werden, andererseits aber sei sie schon in jeder Kommunikation im Postulat einer idealen Sprechsituation als Potential enthalten sei. (z.B. HABERMAS 1980/2, 182ff, insb. 218) Macht und Argumentation sind bei Habermas sich gegenseitig ausschließende Gegensätze: In einer völlig vermachteten Öffentlichkeit sei wirkliche Argumentation nicht möglich und wo allein „der zwanglose Zwang des besseren Arguments“ (HABERMAS 1973, 240) wirke, sei Macht verbannt. Demokratietheoretisch wird damit der Anspruch verbunden, daß politische Akteure ihre Entscheidungen öffentlich begründen müssen, um sie zu legitimieren. Der öffentliche Gebrauch von Vernunft soll die Rückbindung kollektiv verbindlicher Entscheidungen an die Lebenswelt der Betroffenen gewährleisten. Da Habermas ein normatives Modell präsentiert, verwundert es nicht, wenn empirische Studien zu massenmedialer Öffentlichkeit Rationalitätsdefizite konstatieren. Christoph KUHLMANN (1999) beispielsweise hat analysiert, inwiefern politisches Handeln in der massenmedialen Öffentlichkeit begründet wird und stellt fest, daß sich in der Medienberichterstattung seltener Begründungen finden als in den Pressemitteilungen der politischen Akteure. Akteure, die besonders häufig oder umfangreiche Begründungen lieferten, hätten „wenig Chancen, sich damit auch in den Medien wiederzufinden.“ (KUHLMANN 1999, 275) Jürgen Gerhards weist in diesem Zusammenhang auch die Hoffnung zurück, daß etwa zivilgesellschaftliche Akteure zu einer niveauvolleren öffentlichen Diskussion beitragen könnten. Seine Untersuchung zum Rationalitätsniveau des öffentlichen Diskurses mündet in der Vermutung, daß „sich das Diskursniveau der Gesamtdebatte eher verschlechtern als verbessern würde, wenn die Akteure der Zivilgesellschaft tatsächlich die dominanten Akteure der Öffentlichkeit wären.“ (GERHARDS 1997, 31; kritisch: KUHLMANN 2000, 192) Alex Demirovic schließlich verweist auf den unausweichlich hegemonialen Charakter von Öffentlichkeit selbst, der das emanzipatorische Potential öffentlicher Argumentation in Frage stelle „Hegemonie 1 Einleitung 6 wird nicht allein in der Öffentlichkeit und um die Grenzen der Öffentlichkeit praktiziert, sondern Öffentlichkeit ihrerseits praktiziert Hegemonie.“ (DEMIROVIC 1994, 690) Da öffentliche Diskussionen immer schon in eine Hierarchie eingebunden und auf staatliche Politik bezogen seien, stelle Öffentlichkeit nicht das Gegenteil staatlicher Herrschaft dar, sondern sie sei „Teil eines komplexen Dispositivs staatlicher Herrschaft“ (DEMIROVIC 1994, 686) Die Forderung nach rationaler öffentlicher Diskussion stehe deshalb nicht außerhalb der Konkurrenz um Macht, sondern sie nehme daran Teil. Insbesondere aus machttheoretischer Perspektive erscheint es daher sinnvoll, in rationaler Argumentation nicht nur eine Begrenzung von Macht zu vermuten, sondern auch eine Bestätigung von Macht. Die Begründungen, auf die sich Argumente stützen, sind nicht nur mehr oder weniger rational, sondern auch von unterschiedlicher Rationalität. Argumente lassen sich nicht nur quantitativ nach ihrem Rationalitätsniveau unterscheiden, sondern auch qualitativ nach der Art ihrer Rationalität. Für diesen inhaltlichen Aspekt öffentlicher Rationalität, wurde im Anschluß an Michel FOUCAULT (1981) der Begriff der ‚politischen Vernunft‘ geprägt. (z.B. ROSE/MILLER 1992; LEMKE 1997) Statt im öffentlichen Diskurs möglichst ausführliche Begründungen zu erwarten oder zu erhoffen, interessiert hier die inhaltliche Perspektive, unter der ein Thema diskutiert wird. Der ‚Zwang‘, in der Öffentlichkeit auf eine bestimmte (hegemoniale) Weise reden zu müssen, um erfolgreich zu sein, lenkt die Aufmerksamkeit auf die Verbindung von öffentlicher Argumentation und Macht. Aus dieser Perspektive wird öffentliche Argumentation gerade als Mittel des politischen Machtkampfes analysierbar, statt Argumente als etwas der Macht bloß entgegengesetztes zu betrachten. Notwendig für eine solche Untersuchung von Macht und öffentlicher Argumentation ist zunächst eine dem Gegenstand adäquate Theorie der Macht. Eine solche Theorie der Macht, die den neuesten Stand der politikwissenschaftlichen Machtdiskussion berücksichtigt und die sich für eine Erklärung der Machtwirkung von Argumenten geradezu anbietet, stelle ich in Kapitel 2 vor. Anhand der Unterscheidung von transitiver und intransitiver Macht, die Gerhard GÖHLER (2000) in Anlehnung an die Machtbegriffe von Max Weber und Hannah Arendt vorgeschlagen hat, läßt sich zeigen, daß die Macht im Sinne von ‚Möglichkeit, politische Maßnahmen durchzusetzen‘ nur so lange existiert, wie es einen expliziten oder impliziten öffentlichen ‚Konsens‘ darüber gibt, dies zuzulassen. In Kapitel 3 entwickle ich ein Konzept öffentlicher Argumentation, das einerseits auf die überwiegend in der Linguistik entwickelte Argumentationstheorie zurückgreift (KIENPOINTNER 1992b u.a.) und andererseits auf das Arena-Modell der Öffentlichkeit 1 Einleitung 7 (GERHARDS/NEIDHARDT 1990). Zentral ist dabei das Toulmin-Schema des Arguments, das der Philosoph Stephen TOULMIN 1958 vorlegte. Danach lassen sich neben einer Forderung und deren Begründung noch die Schlußregel eines Arguments unterscheiden, die – analog zur Ausübung transitiver Macht – den Übergang von der Begründung zur Forderung überhaupt erst ermöglicht. Sie kann im Lichte der antiken Rhetoriktradition und der neueren Rhetorikforschung auch als Topos des Arguments verstanden werden, d.h. als jener Ort geteilten Wissens und Meinens, auf den sich ein Argument bezieht und aus dem es seine Überzeugungskraft schöpft. Während Göhler sein Macht-Konzept vor allem zur Erklärung der Macht von Institutionen und zur Analyse der symbolischen Dimension von Politik verwendet, wird in Kapitel 4 der Versuch unternommen, die Unterscheidung von transitiver und intransitiver Macht auf öffentliche Argumentation anzuwenden und zu analysieren, warum bzw. wann ein Argument in der Öffentlichkeit wirksam Macht entfalten kann. Machtvoll – im Sinne transitiver Macht – ist ein Argument demzufolge immer dann, wenn es sich auf geteiltes Wissen bzw. geteilte Normen bezieht, wenn es also auf intransitive Machtressourcen zurückgreifen kann. Wenn öffentliche Argumentation jedoch immer bestimmte Selbstverständlichkeiten voraussetzen muß, um wirksam zu sein, so stellt sich die Frage, ob solche Selbstverständlichkeiten in einem pluralistischen Mediensystem auch wirklich vorhanden sind bzw. konstruiert werden. In Anlehnung an das Arena-Modell von Öffentlichkeit mündet das Kapitel daher in dem Vorschlag, die Macht von Argumenten in verschiedenen Öffentlichkeitsarenen als Abgrenzungskriterium für Teil-Öffentlichkeiten zu verwenden: Eine Arena bzw. TeilÖffentlichkeit ist dann von einer anderen verschieden, wenn bestimmte Argumente in der einen Arena eine große Macht haben, in der anderen jedoch nicht. Argumentationstheoretisch gehen solche unterschiedlichen Teil-Öffentlichkeiten von unterschiedlichen Selbstverständlichkeiten (Topoi) aus, die – im Gegensatz zur Macht eines Arguments – inhaltsanalytisch meßbar sind. Im zweiten, empirischen Teil der Arbeit (Kapitel 5) wird vor diesem Hintergrund die Struktur politischer (Medien-)Öffentlichkeit am Beispiel eines Ausschnitts des Zuwanderungsdiskurses analysiert. Anhand einer Argumentanalyse wird die Frage untersucht, inwiefern beim Thema Zuwanderung überhaupt von einer Medienöffentlichkeit die Rede sein kann oder ob sich ‚die‘ Öffentlichkeit nicht besser anhand mehrerer Teil-Öffentlichkeiten beschreiben läßt, die von unterschiedlichen Selbstverständlichkeiten ausgehen und damit verschiedenen Akteuren unterschiedliche Machtressourcen zur Verfügung stellen. Dabei soll es weniger um Erkenntnisse über den 2 Macht 8 Zuwanderungsdiskurs gehen, als um ein Verständnis der Funktionsweise öffentlicher Argumentation und einer Beschreibung der strukturellen Bedingungen für Argumentation in der Medienöffentlichkeit. Methodisch knüpfe ich bei meiner Untersuchung an die Erfahrungen mit der Argumentationsanalyse von Hans-Jürgen WEIß (1992) an. Wie bei Weiß werden die Argumente zu einer bestimmten Streitfrage zusammen mit den Reaktionen, die auf sie folgen, inhaltsanalytisch erfaßt. Während das von Weiß entwickelte Instrument jedoch primär auf die Erhebung der einzelnen Argumentationstendenzen abzielt, mit dem Ziel daraus eine Gesamttendenz zu errechnen, (WEIß 1985; 1986; 1988) steht im Fokus der hier vorgestellten Argumentanalyse nicht eine klare Tendenz bezogen auf die Streitfrage, sondern die Selbstverständlichkeiten (Topoi), auf die sich die Argumente stützen können und die in Anschluß an den ersten Teil der Arbeit als intransitive Machtressourcen verstanden werden können. Das methodische Ziel bei Weiß, die Erfassung der inhaltlichen Dimension des Agenda-Setting Prozesses, (WEIß 1992, 376) wird aufgegriffen und diskursanalytisch erweitert. Im Vordergrund stehen nicht mehr die inhaltlichen Positionen einzelner Medien, ihr Verhältnis zueinander, d.h. die Frage ob es möglicherweise einen medienübergreifender Grundkonsens gibt, der den politischen Diskurs und den öffentlichen politischen Machtkampf prägt, indem er die Bedingungen vorgibt, die politische und gesellschaftliche Akteure vorfinden, wenn sie sich in die Öffentlichkeit begeben (wollen). Teil I: Theoretische Analyse 2 Macht Gerhard GÖHLER (2000)1 hat vorgeschlagen, analytisch zwei Formen der Macht zu unterscheiden: Transitive und intransitive Macht. Er knüpft damit an die in der politikwissenschaftlichen Machtdiskussion einflußreiche Unterscheidung von Hannah 1 Der Band, in dem dieser Aufsatz publiziert wurde „represents the latest works of members of the IPSA [International Political Science Association] Research Committee on Political Power“. (Preface, xi) Die Autoren reflektieren sowohl ältere politikwissenschaftliche Debatten um den Begriff der Macht wie auch die Veränderungen in der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung allgemein (insbesondere nach Ende des Kalten Krieges), um auf diese Weise zu einer zeitgemäßen Perspektive auf das Phänomen der Macht zu gelangen. Die Autoren stellen fest, daß „attention shifted in the 1980s from ‘who governs‘ to ‘how to govern‘“. (Epilogue in GOVERDE/CERNY/HAUGAARD u.a. 2000, 221) Dies drückt sich auch in der Fragestellung dieser Arbeit aus, die Macht primär nicht Akteuren, sondern Argumenten zuordnet. Weitere Publikationen, in denen Göhler und andere die Unterscheidung von transitiver und intransitiver Macht angewendet und erläutert haben, sind GÖHLER 1995 und GÖHLER u.a. 1997. 2 Macht 9 PITKIN (1972, 276f) zwischen Macht als Potential oder Fähigkeit („power to“) und Macht, die über andere ausgeübt wird („power over“), an. (GÖHLER 2000, 42) An Pitkins Unterscheidung bemängelt er jedoch, daß die Macht, durch die etwa eine Gruppe als Gruppe integriert werde, zwar nicht über andere ausgeübt werde, jedoch auch kein bloßes Potential darstelle. Macht werde hier einerseits durch den Zusammenhalt der Gruppe hervorgebracht, andererseits werde dadurch der Zusammenhalt wiederum selbstbezüglich verstärkt bzw. erhalten und die Gruppe handlungfähig gemacht. Diese Macht könne nicht als bloßes Potential gesehen werden. Statt von ‚power to‘ und ‚power over‘ zu sprechen, schlägt Göhler die Unterscheidung von transitiver und intransitiver2 Macht vor, die im folgenden erläutert werden wird. GÖHLER (1995, 8) will damit „die neuere Diskussion [zum Machtbegriff, C.H.] auf zwei grundlegend unterschiedene Machtverständnisse hin zu bündeln“. Dadurch wird es möglich, den Zusammenhang von Macht und gesellschaftlich verallgemeinerter Normen und Praktiken herauszuarbeiten, so daß Göhlers Vorschlag auch für die Analyse politischer Argumentationen fruchtbar gemacht werden kann (Kapitel 4). Zunächst soll daher geklärt werden, was unter transitiver und intransitiver Macht zu verstehen ist.3 2.1 Transitive Macht Göhler entwickelt den Begriff der transitiven Macht anhand des Machtbegriffs von Max Weber: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ (WEBER 1921, 28) Transitive Macht entspricht damit einer in den Sozialwissenschaften verbreiteten Auffassung von Macht: „Power understood as the excertion of influence over others, either in accordance with or, even more significantly, against their will.“ (GÖHLER 2000, 41) Dies entspricht auch unserem Alltagsverständnis von Macht und beschreibt den täglichen Kampf um politische (Regierungs-)Macht: Entweder Akteur A kann seinen Willen im politischen Prozeß durchsetzen oder Akteur B (oder C oder D...). Wo A sich durchsetzt hat B das Nachsehen, denn die Verteilung transitiver Macht ist stets ein 2 Die Begriffe „transitiv“ und „intransitiv“ entstammen der Grammatik und beschreiben das Verhalten eines Verbs. Ein transitives Verb ist ein Verb, dessen Handlung auf ein Objekt gerichtet ist (z.B.: Erwin mag Bananen), während ein intransitives Verb kein Objekt hat (z.B.: Elvis lebt). 3 Göhler bezieht sich dabei auf eine Vielzahl von Autoren und Autorinnen, aus deren Werken er jeweils die für ihn tauglichen Aspekte herausgreift und weiterverarbeitet. Die Rezeptionsweise Göhlers verstehe ich daher nicht als umfassende Integration verschiedener Ansätze, sondern als heuristisches bzw. didaktisches Vorgehen, durch das die verschiedenen Aspekte seines eigenen Machtkonzepts verständlicher werden. 2 Macht 10 Nullsummenspiel. Die Macht, die A über B ausübt, zeichnet sich ja gerade dadurch aus, daß A sie hat und B nicht, wenngleich natürlich die Handlungsmöglichkeiten von B nicht auf Null reduziert sind: Akteur A kann seinen Willen niemals uneingeschränkt umsetzen, ohne Widerstand zu provozieren. „Power is not possible without counterpower, otherwise it would be no different than pure force or violence.“ (GÖHLER 2000, 44) Göhler unterscheidet transitive Macht also noch einmal von Gewalt bzw. unmittelbarem Zwang, indem er nur so lange von Macht spricht, solange sie nicht eine völlig determinierende Kraft darstellt, solange also für den von der Macht Betroffenen noch alternative Handlungsoptionen offen stehen, sei es auch zu einem hohen Preis. Wenn die „Macht“ diese Freiheit nicht mehr bietet, dann spricht Göhler nicht von Macht, sondern von Gewalt oder Zwang.4 Dennoch könne transitive Macht durch Zwang oder Gewalt ersetzt werden. Die Durchsetzung eines Willens mit Zwangsmitteln oder durch Gewalt kann dann als Zeichen von Ohnmacht, d.h. von Machtlosigkeit, verstanden werden, denn wäre Macht vorhanden, wäre keine Gewalt nötig.5 Wenn die Ausübung transitiver Macht also nicht gleichzusetzen ist mit Gewalt oder Zwang, wie wird sie dann ausgeübt? Und von wem? Sie kann direkt durch handelnde Akteure oder indirekt über Erwartungshaltungen ausgeübt werden. Auch Strukturen beeinträchtigen die Handlungsoptionen von Akteuren und üben, Macht über die Akteure aus. (GÖHLER 2000, 44) Göhler bezeichnet auch die moralischen Überzeugungen der Bürger als eine Form transitiver Macht, „since they, to a certain degree, limit citizens’ political options.“ (GÖHLER 2000, 44) Gemeint ist hier, daß ein Akteur, der von bestimmten moralischen Werten überzeugt ist, deshalb bestimmte (politische) Handlungen nicht bzw. weniger wahrscheinlich ausführen wird. Die Größe der transitiven Macht, die von moralischen Überzeugungen ausgeht, hängt also davon ab, wie stark diese Überzeugungen jeweils verankert sind. Wer seine moralischen Überzeugungen mit einer gewissen Distanz immer wieder neu überdenkt und situationsbezogen anwendet oder nicht, über den werden diese Überzeugungen weniger Macht ausüben als über einen ‚Dogmatiker‘, dessen Leben von seinen Überzeugungen bestimmt ist.6 Zentrales Merkmal transitiver Macht ist also, daß sie über andere ausgeübt wird und dabei Handlungsoptionen des Adressaten eingeschränkt werden. 4 Hier wird deutlich, daß Göhler transitive Macht mit Webers Machtbegriff nicht völlig gleichsetzt, denn die Unterscheidung zwischen Macht und Gewalt/Zwang findet sich so bei Weber nicht. Durch die Formulierung „gleichviel worauf diese Chance beruht“ (WEBER 1921, 28) schließt Weber unmittelbaren Zwang und physische Gewalt sogar implizit in seinen Machtbegriff mit ein. 5 Zur weiteren Erläuterung dieser zunächst kontraintuitiven Terminologie siehe auch Hannah Arendts Unterscheidung von Macht und Gewalt, die in Kapitel 4.3 erläutert wird. 6 Auf diesen Aspekt werde ich in Kap. 2.3 noch einmal zurückkommen. 2 Macht 11 2.2 Intransitive Macht Den Begriff intransitiver Macht entwickelt Göhler anhand des Machtbegriffs von Hannah Arendt, der dem Weberschen fundamental entgegengesetzt ist: „Macht ... entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln“ (ARENDT 1958, 192) „Macht ist, was den öffentlichen Bereich, den potentiellen Erscheinungsraum zwischen Handelnden und Sprechenden, überhaupt ins Dasein ruft und am Dasein erhält.“ (ARENDT 1958, 192) „Der Erscheinungsraum entsteht, wo immer Menschen handelnd und sprechend miteinander umgehen. (ARENDT 1958, 191) „Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.“ (ARENDT 1970, 45) „Macht entsteht, wann immer Menschen sich zusammentun und gemeinsam handeln“. (ARENDT 1970, 53) Macht nach diesem Verständnis hat nichts damit zu tun, seinen Willen gegen andere durchzusetzen. Macht ist hier vielmehr verstanden im Sinne von Selbstmächtigkeit einer Gruppe, die aufgrund bestimmter Gemeinsamkeiten sich überhaupt erst als Gruppe konstituiert. Erst durch einen in der Gruppe erzeugten ‚Konsens‘ wird diese handlungsfähig. „Intransitive Macht ist das Produkt des Zusammenhandelns der Akteure – oder genauer: der Sachverhalt des Zusammenhandelns selbst.“ (GÖHLER 1995, 9) Göhler hebt diese Bedeutung intransitiver Macht insbesondere für die Gesellschaft als ganze hervor, die aufgrund eines Grundwertekonsenses und gemeinsamer Praktiken integriert werde und dadurch eine Macht produziere, im Sinne eines „gemeinsamen Vermögens, schöpferische[r] Lebenssteigerung, die nicht instrumental, sondern nur als Selbstzweck verstanden werden kann.“ (GÖHLER 1995, 9) Der entscheidende Unterschied zur transitiven Macht liege darin, daß es sich bei intransitiver Macht nicht um ein Nullsummenspiel handele. Da intransitive Macht nicht gegen andere gerichtet sei, sondern zur Konstitution einer sozialen Einheit diene, verringere eine Vergrößerung intransitiver Macht auch nicht die Macht eines anderen Akteurs, sondern bedeute eine Erhöhung der Intensität der gemeinsamen Handlungen. (GÖHLER 2000, 45) Ohne ein Fundament intransitiver Macht könne keine soziale oder politische Einheit über längere Zeit existieren, da sie sonst zerfalle. Parsons, Luhmann, Foucault In der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung sieht Göhler mehrere Autoren, die – unabhängig von Arendt – einen intransitiven Machtbegriff entwickelt und so zu einer neuen Sicht des Phänomens Macht beigetragen hätten: „The transition from a concept of power as a zero-sum-game to a concept of power understood as productive for all participants is most clearly demonstrated by Talcott Parsons 2 Macht 12 and Niklas Luhmann (...). In these concepts, power is understood as an interdependent relationship. The interplay of power brings about an increase of power of all participants simultaneously.“ (GÖHLER 2000, 45) Auch das Werk Michel Foucaults, in dessen Zentrum die Analyse von Macht steht, (z.B. FINK-EITEL 1989, 7; LEMKE 2002, 473) eröffnet den Blick auf die intransitive Seite der Macht. Während Arendts Machtbegriff eine auf Aristoteles und die griechische Polis zurückgehende normative Konzeption der politischen Sphäre darstellt, die den Menschen als politisches Wesen in Erscheinung treten läßt, liefert Foucault eine empirische Auseinandersetzung mit dem Phänomen intransitiver Macht: „Schematically speaking, the result of Foucault’s analysis of power is what Arendt postulates from a normative perspective.“ (GÖHLER 2000, 46) Foucault fragt nicht – wie Arendt – wie die Bürger eine politische Einheit konstituieren. Er ist daran interessiert, was Gesellschaften – insbesondere moderne Gesellschaften – in ihrer Vielfalt zusammenhält und untersucht dabei die Vielfalt der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse von indirekter Herrschaft durch diskursives Wissen bis hin zu direkten Unterdrückungsverhältnissen. In der Frühphase seines Werks betrachtet er die Macht, die die Gesellschaft integriert, als eine unterdrückende, also als direkte Kontrolle, d.h. in Göhlers Terminologie als transitive Macht. In diesem Sinne arbeitet Foucault heraus, wie bestimmte gesellschaftliche Praktiken und Diskurse die Handlungsmöglichkeiten von Individuen (z.B. Kranken, Verrückten, Gefangenen, Schülern etc.) einschränken. Doch im Laufe seiner Forschungen arbeitet Foucault mehr und mehr den produktiven Aspekt von Macht heraus, den wir in Göhlers Terminologie als eine Form intransitiver Macht bezeichnen können. Anhand seiner Begriffe der Disziplinar- und Pastoralmacht zeigt Foucault, daß die Internalisierung von Regeln und Normen nicht nur eine Kontrolle und damit repressive Machtausübung (transitiver Macht) darstellt, sondern zugleich die Funktionsfähigkeit und damit die Produktivität sozialer Einheiten erhöht: „Even though Foucault dissects our societies with critical intent, his analysis makes clear that at the same time as relationships of power restrict certain opportunities for engaging in different types of action, they make others possible.“ (GÖHLER 2000, 46) Bei Foucault geht es also um die Möglichkeiten, die durch Macht eröffnet werden, wenngleich damit die möglicherweise banale Feststellung verbunden ist, daß die 2 Macht 13 Ermöglichung bestimmter Handlungen immer notwendig auch die Behinderung oder den Ausschluß anderer Möglichkeiten bedeutet.7 Wenn man nun in Betracht zieht, daß Räume möglicher Handlungen bei Foucault nicht von Einzelnen eröffnet werden, sondern das Resultat vielfältiger Machtbeziehungen sind, die nicht von einem einzigen Zentrum ausgehen sondern netzwerkartig die ganze Gesellschaft überziehen, (FOUCAULT 1976, 113f) dann werden die Parallelen8 zu Hannah Arendts Machtbegriff deutlich, die dann in Göhlers Konzept der intransitiven Macht münden: Während Individuen die Bedingungen ihrer Handlungen wesentlich vorfinden und sie als Einzelne lediglich annehmen oder ablehnen können, ist die Veränderung und Gestaltung dieser Bedingungen eine Frage von Handeln mit anderen im Einvernehmen. Politik, deren Aufgabe ja gerade als die „Herstellung, Ordnung und Durchführung verbindlicher, gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen“ (GÖHLER 1997a, 17 und 21) definiert wird, benötigt also stets intransitive Macht als Grundlage. Intransitive Macht ist also überall dort, wo auf der Grundlage gemeinsamer Orientierungen und gemeinsamer Handlungen ein gemeinsamer Handlungsraum („common space of action“ (GÖHLER 2000, Handlungsraums 48)) entsteht. intransitiver Erst innerhalb Machtbeziehungen eines kann solchen dann ein gemeinsamen verschränkter Handlungsraum („interlocking space of action“ (GÖHLER 2000, 48)) entstehen, innerhalb dessen dann um transitive Macht gerungen wird. (Dazu ausführlicher Kap. 2.3) Göhler zieht für die Beschreibung der beiden Funktionen von Politik – Integration (Erzeugung intransitiver Macht innerhalb eines gemeinsamen Handlungsraumes) und Steuerung (durch Anwendung transitiver Macht) – den Begriff des Staates als „organisierte[r] Entscheidungs- und Wirkungseinheit“ aus der Staatslehre Hermann Hellers heran. (GÖHLER 2000, 47f) Für die vorliegende Arbeit ist eine Vertiefung dieses Aspekts jedoch nicht nötig. Bourdieu Zur weiteren soziologischen Fundierung des Begriffs intransitiver Macht zieht Göhler einen weiteren Theoretiker heran. Anhand von Pierre Bourdieus Theorie symbolischer Kämpfe erklärt er empirisch, was schon bei Hannah Arendt postuliert wurde: Intransitive Macht muß ständig aktualisiert und sichtbar gemacht werden, da sonst der 7 Ähnlich hat Luhmann gezeigt, daß die (womöglich völlig freie) Entscheidung zwischen A und B immer schon die Unterscheidung zwischen A und B voraussetzt und damit alle anderen möglichen Unterscheidungen ausschließt. 8 Als entscheidender Unterschied bleibt bestehen, daß die Handlungsräume bei Arendt – angelehnt an die griechische Polis – in einem mehr oder weniger bewußten Akt gemeinsamen Redens und Handelns 2 Macht 14 Handlungsraum, die politische Einheit zerfällt. Mit Bourdieu werde verständlich, wie es gelingt, bestimmte Wahrnehmungsmuster und Praktiken so weit zu verallgemeinern und auf Dauer zu stellen, daß sie integrierend wirken und intransitive Macht entfalten können, während dies auch bei Foucault noch unklar bleibe. Die Integration vollzieht sich laut Göhler9 durch die symbolische Repräsentation der gemeinsamen Orientierungen und Handlungen. (GÖHLER 1997a, 49) „Anders als Rechtsnormen verlangen Symbole von den Bürgern kein eindeutiges Verhalten oder schließen Alternativen eindeutig aus. Sie lassen ihnen Interpretationsspielräume und unterschiedliche Möglichkeiten der affektiven Zuwendung – die sie aber wiederum, wenn ein Resonanzboden vorhanden ist, enorm verstärken. Symbole stehen also für eine gemeinsame, nicht aber für eine uniforme Realität. Sie sind, recht gebraucht, eher die Garanten von Pluralismus als Instrumente einlinig ideologischer Ausrichtung. Sie liefern Orientierungsangebote, welche akzeptiert oder abgelehnt werden können. Wenn sie akzeptiert werden, so lassen sie sich in ihrer Bedeutung durch unterschiedliche Interpretation doch individuell variieren, ohne damit Gemeinsamkeiten politischer Ordnung außer Kraft zu setzen. Sie bieten vielmehr die Chance, diese durch die Variationsbreite ihrer Zustimmung abzusichern und zu verstärken.“ (GÖHLER 1997a, 32) Indem Bourdieu nun unsere Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Symbolen für gesellschaftliche Machtverhältnisse lenke, leiste er einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der intransitiven Seite der Macht: „The dominant symbolic order of a society generates its system of social stratification and makes this system visible. This symbolic order is the outcome of struggles in which actors attempt to raise the social value or level of distinction of their particular lifestyles. It is thus primarily through transitive power that the dominant symbolic order comes into being. Once institutionalized, however, the symbolic order comes to represent a legitimate world view, shared by all, which commonly structures the perception of the members of different social classes. The final result of struggles for symbolic distinction is therefore intransitive Power, and thus what Hannah Arendt simply presupposes from a normative perspective is explained by Bourdieu as the outcome of symbolic struggles.“ (GÖHLER 2000, 47) Wenn also intransitive Macht nicht nur – wie oben betont wurde – die Grundlage für transitive Macht darstellt, sondern umgekehrt – nach Bourdieu – intransitive Macht wesentlich durch transitive Machtbeziehungen konstituiert wird, dann wird es nötig, das wechselseitige Verhältnis von transitiver und intransitiver Macht genauer zu klären. hervorgebracht werden, während sie bei Foucault viel mehr das unbewußte Ergebnis individuellen Verhaltens sind. 9 Göhler bezieht sich dabei auf die Verfassungslehre von Rudolf Smend. Den Symbolbegriff übernimmt er von Umberto Eco und die realitätskonstituierende Funktion von Ernst Cassierers Philosophie der Symbolischen Formen. (GÖHLER 1997, 29-36 ) 2 Macht 15 2.3 Das Verhältnis von transitiver und intransitiver Macht Zur verständlichen Charakterisierung der beiden Machttypen wurde intransitive Macht bisher vor allem als Gegensatz zu transitiver Macht dargestellt und illustriert anhand der völlig konträren Machtbegriffe von Max Weber und Hannah Arendt sowie der Entwicklung des Machtbegriffs bei Michel Foucault. Zusammenfassend lassen sich transitive und intransitive Macht wie in Abbildung 1 stichwortartig gegenüberstellen (GÖHLER 2000, 50). Transitive Macht Fremdbezug Willensbeziehung Bewirkt etwas Steuerung Verwirklichung Übt Macht aus Verschränkter Handlungsraum Instrument Intransitive Macht Selbstbezug Symbolische Beziehung Repräsentiert etwas Integration (Selbst-)Ermächtigung Bringt Macht hervor Gemeinsamer Handlungsraum Selbstzweck Abbildung 1: Charakterisierung transitiver und intransitiver Macht Für eine produktive Analyse von Macht sollten transitive und intransitive Macht jedoch nicht als sich völlig entgegengesetzte Prinzipien gedacht werden, denn „diese schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern bringen eher zwei Dimensionen der Macht zum Ausdruck.“ (GÖHLER 1995, 8) Es handelt sich um „unterschiedliche Formen von Machtbeziehungen, die nicht auf einen Grundbegriff zu reduzieren, wohl aber als zueinander komplementär zu entfalten sind.“ (GÖHLER 1997a, 39) Insofern ist Göhlers Unterscheidung als analytische Unterscheidung zu verstehen. Im Alltag wird man immer beide Machtformen finden, da sie sich aufeinander beziehen. Dies läßt sich an zwei Gedankenspielen veranschaulichen, die einerseits die Vorstellung einer Gesellschaft ohne intransitive und andererseits ohne transitive Macht entwerfen. So läßt sich der Hobbessche Naturzustand allein durch transitive Machtbeziehungen charakterisieren, die so lange bloß chaotisch, wechselhaft und ohne Dauer sind, bis etwas gemeinsames konstituiert und dargestellt (repräsentiert) wird. In diesem Moment kommt intransitive Macht ins Spiel und erlöst die Menschen aus dem Chaos des Naturzustandes. Auf der anderen Seite stellt die Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft einen Zustand dar, in dem alle transitiven Machtbeziehungen abgeschafft und durch Solidarität und einer allein darauf begründeten gemeinsamen Ordnung ersetzt sind. (GÖHLER 1997b, 596) 2 Macht 16 Das Verhältnis von transitiver Macht zu intransitiver Macht, wie es in allen real existierenden Gesellschaften zu beobachten ist, läßt sich anhand Abbildung 2 veranschaulichen. Macht A gemeinsamer Handlungsraum Macht B verschränkter Handlungsraum Abbildung 2: Handlungsräume (nach GÖHLER 2000, 49) In einer transitiven Machtbeziehung wird durch A Macht über einen Akteur B ausgeübt, der ebenfalls eine gewisse Macht besitzt. A kann ebenfalls ein Akteur sein, kann aber auch eine Struktur (z.B. eine Institution) sein. Wegen der gegenseitigen Verschränkung der transitiven Mächte im Sinne eines Nullsummenspiels kann der Handlungsraum, in dem transitive Machtbeziehungen realisiert werden, als verschränkter Handlungsraum bezeichnet werden. Damit man aber überhaupt von Macht sprechen kann (und nicht von Gewalt oder Zwang), mittels der A die Möglichkeiten von B begrenzt, muß ein gemeinsamer Handlungsraum konstituiert werden. Nur wenn B die Macht von A akzeptiert oder zumindest hinnimmt, d.h. wenn B – etwa auf Grund seiner Erfahrung – an die Wirkungsmächtigkeit von A glaubt,10 kann A wirklich Macht über B ausüben. Wenn B sich anders verhalten würde als A will, weil B keine negativen Konsequenzen fürchtet und auch sonst keinen Grund sähe, sich von A einschränken zu lassen, dann bliebe A zur Durchsetzung seines Willens nur noch unmittelbarer Zwang oder Gewalt. Der gemeinsame ‚Glaube‘, oder besser: die Akzeptanz11 oder Hinnahme bestimmter Regeln und Normen, produziert intransitive Macht, durch die der gemeinsame Handlungsraum hervorgebracht wird. Wenn die Gemeinsamkeiten intensiviert (z.B. durch ihre Visualisierung) und erweitert (z.B. durch Herstellung von 10 Dies ist nicht zu verwechseln mit dem individuellen Glauben an die Legitimität von Macht A. Erst der kollektive Glaube bzw. die kollektive Akzeptanz macht Macht A zu dem was sie ist. Ebenso kann nur die kollektive Infragestellung ihrer Legitimität Macht A unwirksam machen. 11 In Bezug auf öffentliche Meinung bemerken MERTEN/WESTERBARKEY (1994, 202), daß es sogar genügt, wenn der Schein ihrer Akzeptanz besteht, um wirksam zu sein. 2 Macht 17 Konsens in einer Sache, die vorher strittig war) werden, so erhöht dies die intransitive Macht der im gemeinsamen Handlungsraum Agierenden. Ihr Handlungspotential wird erweitert und damit der gemeinsame Handlungsraum gewissermaßen vergrößert. Umgekehrt führt das Verschwinden von sicht- und hörbaren Gemeinsamkeiten zum Verfall intransitiver Machtressourcen. Diese Wechselbeziehung der beiden Machttypen, die in Abbildung 2 nur angedeutet werden kann, soll im folgenden anhand zweier Beispiele verdeutlicht werden. 1. Die moralischen Überzeugungen der BürgerInnen wurden in Kap. 2.1 als ein Beispiel für transitive Macht genannt, da sie die politischen Optionen der Bürger zu einem gewissen Grad einschränken.12 Dies ist aber nur der eine Machtaspekt moralischer Überzeugungen. Denn sie stellen natürlich nicht nur eine Einschränkung dar, sondern vor allem auch eine Befähigung zu Urteilen, tägliche Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen, und zwar um so effektiver, je mehr diese individuellen Moralvorstellungen mit den kollektiven übereinstimmen. Und sobald diese Überzeugungen zur Grundlage gemeinsamen Handelns werden, stellen sie eine intransitive Machtressource dar, die dieses gemeinsame Handeln überhaupt erst ermöglicht. Bezeichnet man diesen Prozeß als Integration, so wird umgekehrt auch wieder die transitive Seite von Integration deutlich: Dadurch, daß Integration immer inhaltlich bestimmt ist, gibt es entsprechend auch Inhalte, die eine gewisse Verbindlichkeit für die Betroffenen haben. Auf die einzelnen Gruppenmitglieder, die wirkt intransitive Macht also auch transitiv, indem sie einem gewissen Gruppendruck ausgesetzt sind. (GÖHLER 2000, 50) 2. Politische Institutionen üben durch ihre Akteure (transitive) Macht aus: Gerichte verurteilen Menschen und schränken deren Handlungsfreiheit im Extremfall auf ein Minimum ein. Die Institution der Ehe erlegt den Ehepartnern Pflichten auf, die eine Form transitiver Macht darstellen. Und auch die Institution Öffentlichkeit übt – insbesondere in der Form der Massenmedien – transitive Macht aus, zum einen auf die Politiker, insofern sie ihre Handlungen zu bestimmen vermögen, und sei es nur in der Weise, daß sie überhaupt öffentlich(keitswirksam) auftreten müssen, zum anderen aber auch auf die Bürger, insofern es den Massenmedien gelingt, deren Einstellungen und Meinungen zu verändern 12 Im (pathologischen) Extremfall kann sich der Betroffene nicht mehr von seinen Moralvorstellungen distanzieren, muß sie kategorisch und immer anwenden. Hierbei würde es sich wiederum nicht um Macht, sondern um Zwang handeln. 2 Macht 18 oder zu festigen.13 (GÖHLER 1997a, 10) Auch bei politischen Institutionen wird jedoch schnell die intransitive Dimension ihrer Macht offenbar: „Alle politischen Institutionen sind Manifestationen und Materialisationen von Macht; sie erstarren und verfallen sobald die lebendige Macht des Volkes nicht mehr hinter ihnen steht und sie stützt.“ (ARENDT 1970, 42) Die Gerichte bestimmen nicht nur über Recht und Unrecht, sondern sie repräsentieren auch die rechtsstaatliche Grundordnung. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht hat einen hohen Symbolwert und stellt einen gemeinsamen Bezugspunkt für die Bürgerinnen und Bürger dar, auf dem das Gewicht seiner Entscheidungen maßgeblich beruht. Bei der im Wandel begriffenen Institution Ehe wird besonders sichtbar, daß sie ihre transitive Macht nur auf der Grundlage breiter Akzeptanz entfalten kann. Wenn die Ehe als Rechtsund Lebensform nicht mehr den lebensweltlichen Bedingungen und Erfahrungen der Bürger entspricht, verliert sie auch ihre gesellschaftlich steuernde Macht und ist nur noch für einige Paare privat von Belang. Die intransitive Funktion der Öffentlichkeit als politische Institution schließlich ist insbesondere in den liberalen Demokratien normativ festgeschrieben. Sie ist aber auch faktisch der Ort, an dem intransitive Macht generiert, Gemeinsamkeit in Form von öffentlicher Meinung hergestellt wird. „Ausgeübte Macht ist transitiv, aber um sie ausüben zu können, bedarf es der Generierung von Macht, und diese ist – wie gerade bei der Institution Öffentlichkeit sinnfällig – intransitiv. Macht als Miteinander-Reden-und-Handeln ist eben, folgt man dem Konzept der intransitiven Macht von Hannah Arendt, öffentlich par excellence, sie ist nichts anderes als Öffentlichkeit.“ (GÖHLER 1995, 10) Die Analyse des „intransitive[n] Machtreservoir[s]“ (GÖHLER 1995, 11) jener Öffentlichkeit als Bedingung politischer Argumentation ist das Ziel dieser Arbeit. Da diese Bedingung von allen politischen Akteuren zunächst als gegebene vorgefunden wird, wird sie auch in dieser Arbeit als gegeben betrachtet. Die Möglichkeiten ihrer Veränderung – häufig auch das Ziel politischer Akteure – geraten dabei kaum in den Blick. Um so wichtiger ist es, im Rahmen dieses Abschnitts noch einmal darauf hinzuweisen, daß die intransitive Machtbasis unter gegenwärtigen Bedingungen keinesfalls als rein kommunikativer Konsens14 zu verstehen ist, etwa im Sinne des Ergebnisses eines 13 Die empirische Medienwirkungsforschung befaßt sich also traditionell überwiegend mit Formen transitiver Macht. 14 Auch Habermas unterscheidet zwischen „kommunikativ erzeugter“ und „administrativ verwendeter“ Macht, wobei er die beiden Machtformen als einander entgegengesetzt begreift und offenbar nicht als komplementär: „In der politischen Öffentlichkeit begegnen und durchkreuzen sich dann zwei gegenläufige Prozesse: die kommunikative Erzeugung legitimer Macht, wofür Hannah Arendt ein normatives Modell 2 Macht 19 ‚herrschaftsfreien Diskurses’, der freien Übereinkunft der Diskutierenden. Intransitive Macht ist das Ergebnis transitiver Machtbeziehungen und insbesondere auch von Zwängen (z.B. ökonomischen) und Gewalt, die zumindest kurzfristig und für einzelne Akteure jenseits jeglicher Veränderungsmöglichkeit durch Argumentation liegen: „In welcher realen Form der gemeinsame Handlungsraum zustande kommt und Bestand hat, welche Wertvorstellungen und Organisationsprinzipien sich als die maßgebenden durchsetzen und etablieren, ist nicht nur eine Frage des Konsenses und der Überzeugung, sondern auch der Kräfteverhältnisse in der transitiven Macht der Akteure.“ (GÖHLER 1997a, 46) Wie bereits erwähnt bezieht sich Göhler deshalb auf Bourdieu, denn bei ihm sind „[d]ie gemeinsamen Wahrnehmungsmuster nicht transzendental vorgegeben (hier grenzt sich Bourdieu grundlegend von Cassierer ab), sondern soziologisch gefaßt. ... Diejenigen Gruppen, die sich in der Gesellschaft durchsetzen, liefern auch die herrschenden Symbole als exklusive Deutungsangebote.“ (GÖHLER 1997a, 34f) Transitive Machtbeziehungen sowie Zwang und Gewalt wirken also auf ihre intransitiven Grundlagen (gemeinsame Normen, Regeln, Wissen, Wahrnehmungsmuster etc.) zurück und konstituieren bzw. stabilisieren diese, indem sie sie auf Dauer stellen, so daß ihnen eine gewisse Verbindlichkeit bzw. Allgemeingültigkeit anhaftet. Eine empirische Analyse dieser transitiven Machtbeziehungen sowie die Rolle von Gewalt und Zwang15 bei der Konstitution intransitiver Macht würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Im folgenden werden also die intransitiven Bedingungen politischer Argumentation in der Öffentlichkeit empirisch analysiert, ohne die Genese dieser Bedingungen weiter zu verfolgen. Dazu wird in Kapitel 3 zunächst der Begriff öffentlicher Argumentation geklärt. In Kapitel 4 werden Macht und öffentliche Argumentation aufeinander bezogen, um die Generation bzw. Ausübung von Macht durch öffentliche Argumentation theoretisch beschreibbar zu machen. entworfen hat, und jene Legitimationsbeschaffung durchs politische System, mit der administrative Macht reflexiv wird.“ (HABERMAS 1989, 472) Habermas beschränkt die kommunikativ erzeugte Macht jedoch auf die „spontane Meinungsbildung in autonomen Öffentlichkeiten“ (HABERMAS 1989, 472), d.h. auf nichtvermachtete Öffentlichkeiten in denen allein der zwanglose Zwang des besseren Arguments bestimmend ist. Deshalb kann er die kommunikativ erzeugte Macht auch sogleich als „legitim“ bezeichnen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wo es solche nicht-vermachteten Öffentlichkeiten gibt. (So auch DEMIROVIC 1994, 679) Für eine nüchterne Analyse von Macht im öffentlichen Diskurs ist jedoch auch jene „kommunikativ erzeugte Macht“ relevant, die nach demokratietheoretischen Kriterien womöglich als illegitim bezeichnet werden könnte, etwa weil sie maßgeblich durch äußere Zwänge bestimmt wurde und weniger durch Überzeugung. 15 Nach Angaben des internationalen P.E.N.-Zentrums wurden im ersten Halbjahr 2002 weltweit rund 900 Autoren ermordet, inhaftiert, gefoltert oder entführt. (CLARK 2002) In der monatlichen Zeitschrift M. Menschen Machen Medien der Gewerkschaft ver.di findet man in fast jeder Ausgabe Berichte über Repressionen gegen Journalisten. 3 Öffentliche Argumentation 20 3 Öffentliche Argumentation 3.1 Antike Rhetorik und moderne Medienforschung Argumentation stellt einen Aspekt öffentlicher Kommunikation dar, der schon in der Antike Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung war. In der römisch-hellenistischen Rhetorik – vor allem bei Aristoteles – wurden drei Überzeugungsmittel öffentlicher Rede unterschieden. Demnach kann eine Rede Wirkungsmacht entfalten 1.) durch den glaubwürdigen Charakter16 des Sprechers (ethos) 2.) durch die Emotionalisierung des Publikums (pathos) und 3.) durch die sachlich-logische Stringenz der Aussagen selbst (logos). (ARISTOTELES, Rhet. 1356a) Die ersten beiden, Ethos und Pathos, sind nichtargumentative Überzeugungsmittel, während das letztere durch Argumentation eingesetzt wird. (VAN EEMEREN/GROOTENDORST/SNOECK HENKEMANS 1996, 43) „Aus Sicht der Rhetorik gesehen reflektiert die Argumentationstheorie bloß eine Teilklasse kommunikationsrelevanter Wirkungsfaktoren bzw. nur einen Teilbereich der komplexen Bedingungsfaktoren überzeugungskräftiger Rede.“ (KOPPERSCHMIDT 1981, 54) [Hervorh. im Original] Mit den Worten des römischen Rhetorik-Theoretikers Quintilian kann dieser Teilbereich auch als das ‚Skelett‘ der Rede gesehen werden, das unabdingbar ist, das aber freilich besser wirken kann, wenn es nicht nackt auftritt sondern mit Fleisch und Leben (also mit Ethos und Pathos) versehen wird. (EGGS 1992, 915) Das Wesentliche der Rede wird hier also in der Argumentation gesehen und auch bei Aristoteles ist erkennbar, „daß die spezifisch argumentativ bedingte Überzeugungskraft von Rede sein eigentliches theoretisches Interesse“ besitzt. (KOPPERSCHMIDT 1981, 54) Rhetorik hatte bei ihm das Ziel, das was an einer Sache glaubwürdig ist, sichtbar zu machen. (ARISTOTELES, Rhet. 1355b) Wenngleich die Parallelen der antiken Rhetorik zur modernen Massenkommunikationsforschung offensichtlich sind17, hat sich letztere nur wenig von 16 Der Übersetzer verweist darauf, daß der Charakter-Begriff von Aristoteles weiter zu fassen sei als unser heutiges Verständnis von Charakter: „Er bezeichnet nämlich eine Disposition unseres Wesens mit Bezug auf Affekte, Gewohnheiten, Alter, Glücksumstände wie Geburt, Reichtum und überhaupt soziale Stellung.“ (SIEVEKE 1980, 232 [Anm. 9]) Was Aristoteles mit dem Charakter bezeichnete, kann also mit den klassischen Personen-Variablen der modernen Soziologie (oder auch der Kommunikatorforschung) verglichen werden. 17 Die grundlegende Unterscheidung von Redner, Rede und Publikum bei ARISTOTELES (Rhet. 1356a, 1358b) ist vergleichbar mit einer (noch unvollständigen) Lasswell-Formel: ‚Wer (Redner) sagt was (Rede) zu wem (Publikum) wie?‘ Die Frage des Kanals stellte sich damals noch nicht, und die Frage nach der Wirkung beschränkte sich auf die ‚Überzeugung‘ des Publikums. PRAKKE (1965) verweist in einem Aufsatz in Publizistik – die damals noch den Untertitel Zeitschrift für die Wissenschaft von Presse, Rundfunk, Film, Rhetorik, Werbung und Meinungsbildung trug – auf die „rhetorischen Ahnen“ der Lasswell-Formel. Er zeigt anhand 3 Öffentliche Argumentation 21 der Rhetorik inspirieren lassen.18 Obwohl sich die aristotelische Rhetorik „auf eine demokratisch organisierte Polis bezieht, in der alle freien Bürger im Prinzip sämtliche von den Redegattungen implizierten sozialen Rollen (Richter, Ankläger, Ratsmitglied usw.) einnehmen konnten,“ (EGGS 1992, 914) wurde sie nicht bei der Erforschung der politischen Kommunikation in modernen Demokratien herangezogen. Die moderne Massenkommunikationsforschung, insbesondere die Wirkungs- und Rezeptionsforschung, betonte vor allem die psychologischen bzw. unbewußten Aspekte der Kommunikation. Sie betrachtete im wesentlichen zwei der drei aristotelischen Wirkungsaspekte: Ethos und Pathos. Der Logos und damit der Aspekt der Argumentation wurde kaum beleuchtet.19 Die wenigen Studien, die sich dennoch empirisch mit öffentlicher Argumentation befassen, eröffnen jeweils recht unterschiedliche Perspektiven auf diesen Gegenstand. Hans-Jürgen WEIß (1992)20 stellt seine Argumentationsanalyse in die Tradition der Agenda-Setting-Forschung und rückt dabei die zuvor wenig beachtete Inhalts-Dimension von issues auf der Medienagenda in den Vordergrund. Die issues können demzufolge prinzipiell hinsichtlich verschiedener inhaltlicher Aspekte dargestellt werden, (WEIß vergleichbarer Wortmodelle aus der antiken Rhetorik, daß sich diese auf ähnliche Weise und mit ähnlichen Fragen ihrem Gegenstand – der ja in beiden Fällen als ‚Laienkommunikation‘ bezeichnet werden kann – näherte. FRANZ (2000a, 49) stellt fest, daß politische Kommunikation Gegenstand sowohl der neueren Rhetorik, als auch der Kommunikationswissenschaft ist. „Anknüpfungspunkte zwischen beiden Disziplinen haben sich aber über die Soziologie ergeben, die sich – bislang allerdings vorwiegend innerhalb des spezifischen Kontextes von Neuen Sozialen Bewegungen – ebenfalls mit Prozessen gesellschaftlicher Bedeutungskonstruktion befasst.“ (FRANZ 2000a, 49) 18 Die einzige bekannte Ausnahme ist die Arbeit von Carl I. Hovland (Yale). Zusammen mit seinen Mitarbeitern untersuchte er in den 1940er und 1950er Jahren in einer Vielzahl von Experimenten, wie Rezipienten am besten von einem Standpunkt überzeugt werden können. Er orientierte sich explizit an den Fragen der antiken Rhetorik und versuchte, diese mit Hilfe der modernen Psychologie neu zu beantworten. (MACCOBY 1973) Der Schwerpunkt der Forschung lag daher bei psychologischen Variablen beim Publikum, beim Sprecher sowie beim Arrangement der Argumente, weniger beim Auffinden und der Evaluation der Argumente selbst. 19 Das Schlagwort ‚Argumentation‘ findet sich in der Datenbank Publizistik/Massenkommunikation mit ca. 135.000 Einträgen lediglich 44 mal. – Folgt man WERSIGS (2001, 181) pointierter Formulierung, die Aufgabe der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft habe bisher wahlweise in der „Suche nach dem Schuldigen“ bestanden oder in der „Suche nach dem effizientesten Instrument“, so wird das Desinteresse an Argumentation verständlich: Der Logos als Wirkungsfaktor im Kommunikationsprozeß läßt sich ja gerade nicht ohne weiteres als Instrument dem partikularen Willen der Kommunikatoren dienstbar machen, da es sich um eine kollektive Größe handelt, der sich jeder erfolgsorientierte Sprecher fügen muß. Nicht zuletzt deshalb schreibt Habermas der rationalen Argumentation ein befreiendes Potential zu. Josef Kopperschmidt, der seine Argumentationstheorie auf der Grundlage der Arbeiten von Jürgen Habermas entwickelt, kritisiert die Unfähigkeit der modernen Persuasionsforschung „die umgangssprachlich bereits vorgegebene normative Unterscheidung zwischen ‚überreden‘ und ‚überzeugen‘ theoretisch zu rekonstruieren.“ (KOPPERSCHMIDT 1981, 56; auch: 1989, 117f) Betrachtet man jedoch Macht nicht als der Argumentation entgegengesetzt, sondern ihr innewohnend, so verliert diese Unterscheidung auch im Rahmen kritischer Kommunikationsforschung ihre herausgehobene Bedeutung. Die Ambivalenz rationaler Argumentation wird auch erkennbar, wenn ‚jemand zur Vernunft gebracht wird‘. Einerseits soll zwar dessen Willkür eingeschränkt und unsoziales Verhalten verhindert werden, zugleich wird er aber auch gefügig gemacht, sein (‚unvernünftiger‘) Wille gebrochen. 20 Siehe auch WEIß 1985, 1986, 1988, 1989 sowie WEIß/TREBBE 1994. 3 Öffentliche Argumentation 22 1992, 380) welcher Aspekt eines Problems nun aber tatsächlich behandelt wird, kann entscheidend sein für die Bedeutung, die diesem Problem vom Publikum beigemessen wird. Indem Weiß Argumentationen zur Codiereinheit seiner Inhaltsanalysen macht, wird analysierbar, welche inhaltlichen Argumente im Rahmen einer öffentlichen Kontroverse von den Medien fokussiert werden und – wenn zuvor das Argumentationsspektrum im vormedialen Raum erhoben wurde – ob es einen ‚Bias‘ zugunsten der einen oder der anderen Seite der Debatte gibt. (WEIß 1992, 394) Christoph KUHLMANN (1999) entwickelt – an Habermas orientiert – in seiner Dissertation bei Werner Früh eine Theorie rationaler Argumentation für die politische Massenkommunikation und konfrontiert mit Hilfe einer aufwendigen Inhaltsanalyse die daraus erwachsenden normativen Ansprüche an die politische Argumentation mit der empirischen Realität. Dabei stehen die Begründungen, die politische Akteure für ihr Handeln liefern und deren Verarbeitung durch die Medien im Vordergrund, wobei die Häufigkeit von Begründungen als Indikator für den Grad der Rationalität des politischen Diskurses dient. (KUHLMANN 1999, 282) Barbara FRANZ (2000a) hat in ihrem Vortrag auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) 1999 erstmals das Potential der Rhetorik für die Beschreibung von Prozessen öffentlicher Meinungsbildung skizziert und in ihrer Dissertation bei Friedhelm Neidhardt auf die vergleichende empirische Analyse der Abtreibungsdiskurse in den 1970er und den 1990er Jahren angewendet. (FRANZ 2000b) Der Anschluß an die Rhetorik gelingt ihr, indem sie ihrer Untersuchung das Arena-Modell von Öffentlichkeit (GERHARDS/NEIDHARDT 1990; siehe auch Kapitel 3.2) zugrunde legt, das grundsätzliche Ähnlichkeiten mit der Marktplatz-Öffentlichkeit der griechischen Polis aufweist. (FRANZ 2000b, 20) Allerdings bezieht sie sich nicht direkt auf die antike Rhetorik, sondern greift vor allem auf die seit den 20er Jahren in den USA entstandene ‚Neue Rhetorik‘ zurück: „In ihrer modernen Fassung dient die Rhetorik als analytischer Rahmen zur Untersuchung der Beziehungen zwischen Kultur, sozialem Wissen und praktischem Handeln und befaßt sich zentral damit, wie Sprechgemeinschaften zu kollektiven Entscheidungen gelangen, für die in moralischen Konflikten keine logischen Kriterien zur Verfügung stehen.“ (FRANZ 2000a, 48) Gegenstand der „Öffentlichkeitsrhetorik“ von Franz sind die Selbstverständlichkeiten, an die Argumente in einer öffentlichen Auseinandersetzung anknüpfen. Da diese Anknüpfungen jeweils als Deutung dieser Selbstverständlichkeiten vollzogen werden, besteht hier langfristig die Möglichkeit von Bedeutungswandel, (Franz 2000b, 118, 146) 3 Öffentliche Argumentation 23 den Franz exemplarisch an der Veränderung des Deutungsmusters ‚Selbstbestimmung der Frau‘ empirisch nachweist.21 Für die Beantwortung der Frage, wie durch öffentliche Argumentation Macht erzeugt wird und welche Rahmenbedingungen die Massenmedien für die Akteure in politischen Auseinandersetzungen erzeugen, kann auf die genannten Ansätze auf unterschiedliche Weise zurückgriffen werden. Weiß bietet ein ausbaufähiges und wandelbares – weil noch an keine theoretischen Prämissen geknüpftes22 – methodisches Instrumentarium der Inhaltsanalyse, auf dessen Grundlage die Argumentationsanalyse im empirischen Teil dieser Arbeit (Kapitel 5) entwickelt wird. Die Arbeiten von Kuhlmann und Franz liefern vor allem für den theoretischen Teil (Kapitel 2-4) hilfreiche Bezugspunkte für die Konzeption der Analyse sowie für die Verortung dieser Arbeit im Kontext aktueller Forschung. Während es Kuhlmann um ein Maß für Rationalität geht (KUHLMANN 1999, 156; s. auch FN 194), das er wie erwähnt in der Anzahl der Begründungen findet, ist für die Machtfrage – wie noch zu zeigen sein wird – nicht das quantitative Ausmaß, sondern die Qualität der Rationalität zentral. Insofern läßt sich die vorliegende Untersuchung zur Macht öffentlicher Argumentation als Ergänzung zu Kuhlmanns Analyse politischer Argumentationsrationalität verstehen. Auch die Arbeit von Franz versucht, „die kulturelle Rationalität öffentlicher Kommunikation zu erfassen, ohne dass damit zwangsläufig der Anspruch an eine ethisch motivierte Wertrationalität verbunden sein müßte.“ (FRANZ 2000a, 51f, vgl. auch FN 21) Sie untersucht, wie öffentliche Argumentation in der Langzeitperspektive zu Bedeutungswandel und damit zur Veränderung gesellschaftlicher Selbstverständlichkeiten führt.23 Dagegen fragt die vorliegende Arbeit nach den kurzfristigen Machteffekten öffentlicher Argumentation und geht dabei aus methodischen Gründen von einer zeitlichen Konstanz der Bedeutungen aus, d.h. von einer Hegemonie 21 Franz‘ Ansatz steht damit einerseits kommunikationswissenschaftlichen Framing-Ansätzen und andererseits dem „cultural-indicators-approach“ nahe, auf die sie sich auch teilweise bezieht. (FRANZ 2000b, 103-112) Indem sie Frames nicht auf der Mikro-Ebene als „journalistische Interpretation von ‚Schlüsselereignissen‘ oder kognitive Informationsverarbeitung durch Rezipienten“ (Franz 2000a, 50) versteht, sondern auf der Makro-Ebene als gesellschaftliche Deutungsmuster, intendiert ihre Inhaltsanalyse auch keinen Inferenzschluß auf Kommunikator oder Rezipient, sondern auf die Situation (MERTEN 1995, 32ff), so daß Medieninhalte also als Indikatoren von Kultur gedeutet werden, die die Grundlage gesellschaftlicher Diskurse darstellt. 22 Weiß verzichtet in seiner Argumentationsanalyse auf eine explizit argumentationstheoretische Grundlage. So wird bei Weiß z.B. der der Begriff des Arguments nicht näher definiert. 23 Franz erwähnt allerdings in einer Fußnote (FN 117) den Machtaspekt von Öffentlichkeit und verweist dabei auf das Konzept kultureller Hegemonie von GRAMSCI (1967) sowie auf GITLIN (1980). 3 Öffentliche Argumentation 24 von Bedeutungen und damit verbundener Werte, die sich während eines beschränkten Zeitraumes nicht wesentlich verändert. Da Franz in ihrer Aktualisierung der Rhetorik für die Analyse massenmedialer Diskurse ihr Augenmerk auch auf Argumente richtet, (also auf den logos als Überzeugungsmittel, vgl. oben) bietet sie für die vorliegende Fragestellung eine wertvolle Grundlage. Da Argumente jedoch nicht den Fokus ihrer Arbeit darstellen,24 werde ich in den Kapiteln 3.3 und hier insbesondere 3.3.1 die argumentationstheoretische Problematik auf der Grundlage einschlägiger Literatur erläutern. Zunächst soll aber in Anschluß an Franz bzw. GERHARDS/NEIDHARDT (1990) das Attribut ‚öffentlich‘ anhand des Arenamodells der Öffentlichkeit geklärt werden. 3.2 Das Arena-Modell von Öffentlichkeit Öffentlichkeit ist ein Kommunikationsforum in dessen Arenen verschiedene Akteure vor einem Publikum miteinander kommunizieren. (NEIDHARDT 2001, 502) Ziel der Akteure ist es dabei, die öffentliche Meinung – das Produkt von Öffentlichkeit (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 12) – in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die genaue Funktionsweise der öffentlichen Meinungsbildung hängt davon ab, in welchem Verhältnis die Arena (in der die Sprecher auftreten) und die Galerie (von der aus das Publikum die Sprecher beobachtet) stehen. Anschließend an die Differenzierung nach Arena und Galerie unterscheiden GERHARDS/NEIDHARDT (1990) drei Ebenen von Öffentlichkeit, die sich u.a. hinsichtlich der Größe des Publikums und des Grads der Rollendifferenzierung zwischen Sprechern und Publikum unterscheiden. Diese Ebenen sind 1.) die Ebene der einfachen Begegnungen z.B. auf der Straße oder beim Friseur. („Encounters“) Auf dieser Ebene hat noch keine Rollendifferenzierung stattgefunden, jeder Anwesende kann jederzeit zwischen Sprecher und Zuhörer-Rolle hin- und herwechseln. Die Encounters kommen sporadisch zustande umfassen nur wenige Personen; 2.) die Ebene der Versammlungen und Veranstaltungen, bei der Arena und Galerie bereits deutlich unterscheidbar sind, ein Rollenwechsel jedoch nicht unmöglich ist (z.B. Klatschen, Zwischenrufe, Saalmikrofon ...). Der Zugang zu Veranstaltungsöffentlichkeiten ist an gewisse Kriterien gebunden (z.B. Interesse am Thema) und ihr Umfang damit ebenfalls prinzipiell beschränkt; 3.) die Ebene der Massenmedien, deren Publikum unter „Verzicht auf 24 Die Codiereinheit ihrer Inhaltsanalyse (die im Rahmen eines Projektes der Abteilung „Öffentlichkeit und Soziale Bewegung am Wissenschaftszentrum Berlin durchgeführt wurde) war nicht ein Argument oder eine 3 Öffentliche Argumentation 25 Anwesenheitskriterien“ (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 24) prinzipiell unabgeschlossen ist, die Sprecherrollen hingegen sind an Professionalitätskriterien gebunden. Arena und Galerie sind hier stark voneinander getrennt, der Zugang zur Arena ist nicht ohne weiteres möglich. Quer zu den genannten Öffentlichkeits-Ebenen liegen die Arenen (FRANZ 2000b, 18f) die als Teilöffentlichkeiten gedacht werden können in denen eine interne Meinungsbildung stattfindet. (FRANZ 2000b, 20) Die Diskurse in den Arenen sind „themenspezifische Diskurse“, (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 26) durch die eine Arena entweder erst ausgebildet wird (z.B. bei einer Protestbewegung) oder die in einer bestehenden Arena entstehen, wenn diese sich mit einem bestimmten Thema befaßt (z.B. bei einer Partei, die zu unterschiedlichen Themen Positionen erarbeitet). „Anders als die Öffentlichkeit der Gesellschaft orientieren sich diese Arenen aber an einer spezifischen (nicht: allgemeinen) Rationalität und entsprechend höher sind sowohl ihre Chance als auch ihr Anreiz, einzelne Meinungen und Argumentationen zur Übereinstimmung miteinander ... zu bringen, also eine ‚öffentliche Meinung‘ zu erzeugen, die in synthetisierter Form als Positionspapier, Stellungnahme, Urteil oder Aktion an weitere, etwa massenmediale Öffentlichkeiten kommunizierbar ist“. (FRANZ 2000b, 21) Die Arenen sind also zunächst die internen Öffentlichkeiten mehr oder weniger organisierter kollektiver Akteure, in denen jeweils eine bestimmte Perspektive auf ein Thema herausgebildet wird. Hier wird auch deutlich, inwiefern die Arenen ‚quer‘ zu den Öffentlichkeitsebenen liegen: Innerhalb der Arenen werden die Diskurse sowohl interpersonal, in Arbeitsgruppen, als auch teilweise über interne ‚Massenmedien‘ (z.B. Verbandszeitschriften) geführt. (FRANZ 2000b, FN 24) Wenn man zur Vereinfachung die Differenzierung nach Öffentlichkeitsebenen innerhalb der einzelnen Arenen ausblendet, kann das Arena-Modell der Öffentlichkeit anhand eines zweidimensionalen Schaubildes visualisiert werden. (Abbildung 3) Da sich in modernen Gesellschaften „öffentliche Kommunikation am folgenreichsten als Massenkommunikation“ vollzieht, (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 23) stellt das massenmediale Forum das Zentrum gesellschaftlicher Öffentlichkeit dar.25 „Das Publikum der Massenkommunikation, die als Gesamtes gesellschaftliche Öffentlichkeit herstellt, ist zwar selbst nicht organisiert, dennoch stellt es keine unstrukturierte Masse dar, sondern schließt andere Öffentlichkeiten (beispielsweise politische Öffentlichkeit, kirchliche Öffentlichkeit, soziale Bewegungen) mit ein, die, während sie öffentliche Kommunikation Argumentation sondern eine „Äußerung“ bzw. „Wortbeiträge“. (FRANZ 2000b, 151) Entsprechend ist auch der theoretische Teil nicht auf Argumente als solche fixiert. 25 Trotz dieser zentralen Stellung von Massenkommunikation gehen GERHARDS/NEIDHARDT (1990, 25) von einer „prinzipielle[n] Gleichrangigkeit aller Öffentlichkeitsebenen“ aus, denn: „Die höhere Ebene kann die Leistung der unteren steigern, aber nicht ersetzen.“ 3 Öffentliche Argumentation 26 verfolgen, eigene Diskurse führen und gegebenenfalls Meinungen produzieren, mit denen sie sich nach Möglichkeit wiederum in das Forum der massenmedialen Öffentlichkeit einlassen.“ (FRANZ 2000b, 22f) Ihr Schaubild erläutert Franz wie folgt: „Die Pfeile zwischen massenmedialem Forum, anderen Öffentlichkeitsarenen und deren Foren stehen für Input und Output der (jeweils öffentlichen) Meinungsbildung, die darum andeutungsweise auch zwischen den jeweiligen Arenen und ihren eigenen Galerien eingezeichnet sind.“ (FRANZ 2000b, 22f) Abbildung 3: Das Arena-Modell der Öffentlichkeit (nach FRANZ 2000b, 22) Daß die Massenmedien hier von Franz als Forum bezeichnet werden, und nicht – analog zu den anderen Teilöffentlichkeiten – ebenfalls als Arena, ist terminologisch nicht ganz schlüssig. Die Bezeichnung Forum verweist jedoch darauf, daß man ‚den‘ Massenmedien nicht die gleiche Einheitlichkeit unterstellen würde, wie den Arenen der einzelnen gesellschaftlichen oder politischen Akteure. Ob Massenmedien einen einheitliche Perspektive auf ein Thema generieren ist in einem pluralistischen Mediensystem zumindest fraglich. Dennoch existiert bisweilen eine öffentliche Meinung als relativ einheitliche Verhaltens- und Diskussionsnorm, an deren Genese Massenmedien eine gewisser Anteil unterstellt werden kann. Wenn nun aber ‚die‘ Massenmedien in ihrer Vielheit das Entstehen einer öffentlichen Meinung befördern oder zumindest zulassen, dann stellt sich die Frage, inwieweit Massenmedien lediglich ein Forum bieten, in dem die 3 Öffentliche Argumentation 27 Aussagen anderer Akteure abgebildet werden und inwieweit sie doch eine Arena, nämlich die des ‚kollektiven Akteurs‘ Gesellschaft, darstellen. Diese empirische Frage wird Gegenstand von Kapitel 5 sein. Da mir die Bezeichnung Arena zunächst jedoch terminologisch konsequent erscheint, 26 werde ich – in Abweichung der Terminologie von Franz – im Folgenden von der massenmedialen Arena sprechen, die zusammen mit der Galerie ein Forum bildet. Unabhängig von der Frage nach der Einheitlichkeit massenmedialer Öffentlichkeit ist zunächst festzustellen, daß die Akteure auf der Galerie des massenmedialen Forums das Ziel verfolgen, Zugang zur Arena zu erhalten und mit ihrer Sicht der Dinge zu überzeugen. Im Gegensatz zur antiken Marktplatz-Öffentlichkeit, der das Arena-Modell offensichtlich nachempfunden ist, findet dieser Prozeß ‚nur‘ virtuell statt. Zumindest was die Interaktion, d.h. die Diskussion mit anderen Akteuren angeht, existiert das Forum meist nur virtuell.27 Die Arena, in der sich die Akteure streiten, wird jeweils erst ex post durch die Medien konstruiert. Zugespitzt kann man sagen, massenmediale Öffentlichkeit findet nicht nur unter Verzicht auf die Anwesenheit des Publikums, sondern bei einem großen Teil der Aussagen – insbesondere in den Printmedien – auch in Abwesenheit des Sprechers statt. Sowohl die Aussagen der Akteure als auch die Konstruktionsleistungen der Medien erfolgen dabei ohne unmittelbares Feedback durch ein reales Publikum, sondern lediglich unter Annahme eines bestimmten Publikums. Es ist also zu unterscheiden zwischen den tatsächlichen Rezipienten einer Aussage und dem virtuell konstruierten Publikum der massenmedialen Arena.28 Wenn es um die Untersuchung von Argumentation als einem Aspekt im Prozeß öffentlicher Meinungsbildung geht, so ist unmittelbar vor allem das virtuell konstruierte Publikum relevant. Andere Untersuchungen könnten wiederum nach den Faktoren fragen, die diese Konstruktionen beeinflussen. Nicht nur aus methodischer, sondern auch aus gesellschaftstheoretischer Sicht ist diese Unterscheidung relevant. In funktional differenzierten, modernen Gesellschaften, die immer weniger durch hierarchische Strukturen integriert werden und zugleich auch in 26 Angesichts der großen Reichweite der Massenmedien wäre nach GERHARDS/NEIDHARDT (1990, 33) die Bezeichnung Arena plausibler: „Je umfänglicher die öffentlichen Foren sind, umso eher und deutlicher differenzieren sie sich in Arena und Galerie“. Das massenmediale Forum bestünde demnach aus Arena und Publikum und nicht, wie von Franz angedeutet, nur aus der Medienarena. 27 Zur Virtualität von Öffentlichkeit in Zeitalter der Massenmedien siehe auch MERTEN/WESTERBARKEY 1994, 198. 28 Dies entspricht der Unterscheidung von Bevölkerungsmeinung als statistischem Aggregat aus demoskopisch erhobenen Individualmeinungen (sie entspricht der tatsächlichen Meinungen der Rezipienten) und öffentlicher Meinung, (sie entspricht der öffentlich angenommenen Meinung der Rezipienten) die wesentlich schwieriger zu messen ist und als eine Meinung bezeichnet werden kann, „die in öffentlichen Kommunikationen mit breiter Zustimmung rechnen kann“. (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 12 sowie NEIDHARDT 2001, 502) 3 Öffentliche Argumentation 28 Traditionen und kollektiven Werten immer weniger Gemeinsamkeiten finden, besteht die Leistung der Massenmedien in der „Herstellung von Allgemeinheit“. (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 19) Die Bedeutung dieser Allgemeinheit ist eine doppelte. Sie ermöglicht einerseits für die gesellschaftlichen Akteure die Anschlußfähigkeit ihrer Kommunikationen jenseits ihrer eigenen Arenen. Dies entspricht der Perspektive Luhmanns: „Die gesellschaftliche Funktion der Massenmedien findet man deshalb nicht in der Gesamtheit der jeweils aktualisierten Informationen ... sondern in dem dadurch erzeugten Gedächtnis. Für das Gesellschaftssystem besteht das Gedächtnis darin, daß man bei jeder Kommunikation bestimmte Realitätsannahmen als bekannt voraussetzten kann, ohne sie eigens in die Kommunikation einführen und begründen zu müssen.“ (LUHMANN 1996, 120) Massenmedien erzeugen demnach eine Hintergrundrealität, in der sich Gesellschaft als Gesellschaft beschreibt und die somit eine Integrationsleistung erbringt. (FRANZ 2000b, 44) Massenmediale Öffentlichkeit „transformiert Partialperspektiven zu einem verbindenden, aber unverbindlich bleibenden Gesamteindruck“. (FRANZ 2000b, 49f) Andererseits bietet die von der Öffentlichkeit hergestellte Allgemeinheit eine Orientierung für politische Entscheidungen, die zur Durchsetzung ihrer 29 Allgemeinverbindlichkeit eine gewisse öffentliche Akzeptanz finden müssen. Dies ist bei Habermas die zentrale Aufgabe von Öffentlichkeit, wobei er aus einer eher normativen Perspektive hohe Ansprüche an die Rationalität des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses in demokratischen Gesellschaften stellt. Bei Habermas geht es um die Ermöglichung eines rationalen Diskurses, in dem politische Entscheidungen sachlich begründet werden müssen, wobei die Rationalität des Diskurses der Rationalität der Lebenswelt entspricht. (FRANZ 2000b, 35) „Mit dem Begriff der ‚Lebenswelt‘ bezeichnet Habermas den kulturellen Hintergrund der Gesellschaft als ein ‚Subsystem, das den Bestand des Gesellschaftssystems im ganzen definiert. Kommunikativ erzeugtes Einverständnis kann nur erzielt, erhalten oder erneuert werden, wenn es sich letztlich auf innerhalb dieses Rahmens intersubjektiv anerkannte und kritisierbare Gründe stützt.“ (FRANZ 2000b, 35) Habermas geht es also nicht um die Konstitution einer gemeinsamen Realität – diese wird vielmehr als Lebenswelt vorausgesetzt – sondern letztlich um die Erzielung von Konsens auf Grundlage vernünftiger Diskussion, auf den politische Entscheidungen dann rekurrieren können. (FRANZ 2000b, 43) Er hält deshalb an dem Anspruch fest, daß die Strukturen von Öffentlichkeit daraufhin zu untersuchen sind, inwiefern sie einen 29 Die Notwenigkeit öffentlicher Akzeptanz ist im übrigen kein Spezifikum liberaler Demokratien. Auch Diktaturen und autoritäre Systeme sind offensichtlich auf die Herstellung einer entsprechenden Öffentlichkeit angewiesen. 3 Öffentliche Argumentation 29 vernünftigen Diskurs überhaupt zulassen, d.h. welche Rolle Begründungen im öffentlichen Diskurs spielen (können). (So etwa KUHLMANN 1999) Dies ist aus demokratietheoretischer Perspektive von besonderer Bedeutung, da Habermas die Legitimität politischer Entscheidungen an die Möglichkeit ihrer öffentlichen Rechtfertigung knüpft: „Die kommunikativ erzeugte legitime Macht kann auf das politische System in der Weise einwirken, daß sie den Pool von Gründen, aus dem administrative Entscheidungen rationalisiert werden müssen, in eigene Regie nimmt.“ (HABERMAS 1989, 473) Habermas nennt dies eine „subjektlos und anonym gewordene, intersubjektivistisch aufgelöste Volkssouveränität“ oder auch „kommunikativ verflüssigte Souveränität“. (HABERMAS 1989, 475) Luhmann dagegen sieht in einer in Subsysteme ausdifferenzierten Gesellschaft ohnehin nicht mehr die Möglichkeit zentraler Steuerung der Gesellschaft. Öffentliche Meinung – deren Entstehung Luhmann jedoch nicht erhellt (FRANZ 2000b, 54) – bietet „die Möglichkeit, zu beobachten, wie der Beobachter selbst und andere in der öffentlichen Meinung abgebildet werden. (...) Die Ausdifferenzierung eines Medium/Form-Komplexes der öffentlichen Meinung und das Verdecken der wahren Komplexität einer größeren Menge von Bewußtseinsvorgängen ist Bedingung dafür, daß die Politik sich an der öffentlichen Meinung orientieren kann. (...) Der Spiegel der öffentlichen Meinung ermöglicht mithin, ähnlich wie das Preissystem des Marktes, eine Beobachtung von Beobachtern. Als soziales System befähigt das politische System sich demnach mit Hilfe der öffentlichen Meinung zur Selbstbeobachtung und zur Ausbildung entsprechender Erwartungsstrukturen.“ (LUHMANN 1990, 181f) Aus seiner funktionalistischen Perspektive setzt Luhmann die Normalität als „unwahrscheinlich“ (FRANZ 2000b, 47), d.h. er sieht es nicht als selbstverständlich an, daß Gesellschaft so funktioniert, wie sie funktioniert. Er betont die kreative Dimension von Öffentlichkeit: Die Normalität, an die gesellschaftliche Kommunikation anknüpfen kann, muß durch Öffentlichkeit in Form von öffentlicher Meinung erst hervorgebracht werden. „Die Anschlüsse, die Beiträge aneinander finden, führen aber nicht zu ‚inhaltlichen‘, sondern zu ‚förmlichen‘ Bindungen, nicht zum intersubjektiv nachvollzogenen Konsens über Gründe, sondern zu einer thematischen Struktur, die weitere Kommunikation präformiert, aber nicht präjudiziert.“ (FRANZ 2000b, 45) Öffentlichkeit sei deshalb „die Unterstellbarkeit der Akzeptiertheit von Themen“. (LUHMANN 1970, 18) Im Gegensatz zu Habermas, dem es darauf ankommt, politische Entscheidungen inhaltlich durch Vernunftgründe zu legitimieren, kommt es bei Luhmann auf die Meinungen, die zu einem bestimmten Thema bestehen, gar nicht maßgeblich an. (FRANZ 2000b, 44) Wichtig ist lediglich, daß in komplexen Gesellschaften eine begrenzte Anzahl von Themen allgemein sichtbar ist. 3 Öffentliche Argumentation 30 Einigkeit besteht zwischen Habermas und Luhmann jedoch darin, daß „die Rationalität öffentlicher Meinung ... nur in Bezug auf die Öffentlichkeit (Sprechergemeinschaft, Arena, das teilsystemumfassende System) festgestellt werden [kann], deren Produkt sie ist. Damit ist zunächst gesagt, dass Rationalität hier weder in einem philosophischen noch einem technisch-mechanistischen Sinn gemeint sein kann“. (FRANZ 2000b, 53) Öffentlichkeit muß also ihre eigenen Kriterien der Realitätsverarbeitung schaffen. Sie ist nur insofern eine Öffentlichkeit, soweit die entwickelte Rationalität tatsächlich allgemein ist, und nicht nur vereinzelt angewendet wird. GERHARDS/NEIDHARDT (1990, 23) assoziieren Habermas‘ Seminarmodell von Öffentlichkeit mit der mittleren Öffentlichkeitsebene, den Veranstaltungsöffentlichkeiten, die sich durch die Anwesenheit eines relativ homogenen Publikums auszeichnet und daher am ehesten den Ansprüchen vernünftiger Diskussion gerecht werden kann. Das Konzept von Öffentlichkeit bei Luhmann verbinden sie wegen seiner insgesamt geringen Bedeutung innerhalb seiner Gesellschaftstheorie mit der einfachen Ebene der ‚Encounters‘. Für eine umfassende Beschreibung von Öffentlichkeit, also auch der massenmedialen Ebene, lassen sich Gerhards und Neidhardt von beiden Theoretikern inspirieren und entwerfen das bereits diskutierte Arena-Modell von Öffentlichkeit. Dieses bietet für die Analyse öffentlicher Argumentation einen geeigneten Rahmen, da es große Parallelen zur antiken Marktplatz-Öffentlichkeit aufweist, in deren Kontext die auch für die heutige Argumentationstheorie noch maßgebliche Rhetoriktradition entstanden ist. Die antike Realität, bei der Sprecher mit Mitteln der Rede gegeneinander vor einem Publikum angetreten sind, läßt sich mit dem Arenamodell prinzipiell auch in heutigen Öffentlichkeiten wiederfinden, wobei die Spezifika heutiger, massenmedialer Öffentlichkeit auf der Hand liegen: - Massenmediale Öffentlichkeit steht nicht unter Entscheidungszwang, sie dient der Vorbereitung politischer Entscheidungen, kann diese aber nicht selbst fällen. (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 47) So auch die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Bildung öffentlicher Meinung eine „Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes“ ist. (BverfGE 8 [104] 113; 20, 56 [98] zitiert nach FRANZ 2000b, 14) 3 Öffentliche Argumentation - 31 Massenmediale Öffentlichkeit ist keine Präsenzöffentlichkeit, d.h. die Arena und ihre Galerie sind nur virtuell vorhanden.30 Sie werden im Prozeß der Medienvermittlung ständig konstruiert. Eine wichtige Gemeinsamkeit von antiker Marktplatz-Öffentlichkeit und moderner Massenkommunikation besteht darin, daß es sich bei beiden um Laienkommunikation, d.h. um Kommunikation, die an Laien gerichtet ist, handelt. „Wer die Laienorientierung des Öffentlichkeitssystems nicht beachtet, kommt nicht an.“ (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 17) Dies gilt für antike Redner ebenso wie für heutige Akteure, die in der massenmedialen Arena auftreten wollen. Auch die von Franz anhand ihrer Rezeption der Theorien von Habermas und Luhmann vorgeschlagene Unterscheidung der beiden Dimensionen von Öffentlichkeit – Rationalität und Kreativität – bietet einen geeigneten Bezugsrahmen für die Analyse öffentlicher Argumentation, denn Argumentation kann als Schnittstelle zwischen beiden Dimensionen betrachtet werden: Indem Argumente sich per definitionem auf eine bestimmte Rationalität beziehen müssen, um wirksam zu sein (siehe nachfolgendes Kapitel), aktualisieren sie die politische Rationalität der Öffentlichkeit jeweils anhand einer bestimmten Frage und ermöglichen damit politische Entscheidungen auf einer allgemeinen Grundlage. Auf der anderen Seite bringen Argumente diese allgemeine Grundlage – die politische Rationalität – auch hervor bzw. verändern sie langfristig. Die öffentliche Meinung wird durch öffentlich geäußerte Argumente reproduziert bzw. verändert, je nach dem, in welche Richtung argumentiert wird. Nur wenn in einer Öffentlichkeit ausreichend kulturelle Selbstverständlichkeiten nicht nur individuell vorhanden sind, sondern argumentativ als relevante Handlungsgrundlage akzeptabel gemacht werden können, bleibt diese Öffentlichkeit als Arena politischer Auseinandersetzung langfristig bestehen.31 30 Daß die Öffentlichkeit erst hergestellt werden muß, ist allerdings kein Spezifikum der Massenmedien. Bei Veranstaltungsöffentlichkeiten z.B. wird der Rahmen, in dem die Auseinandersetzung stattfindet, auch durch das Programm bzw. das Thema der Veranstaltung, aber auch durch die Auswahl der eingeladenen oder beworbenen Gäste mehr oder weniger vorgegeben. Der Unterschied zu den Massenmedien besteht darin, daß diese Konstruktion der Arena bewußt und gewollt abläuft und in der Regel konkrete ‚Verantwortliche‘ ausgemacht werden können, während der Prozeß der Konstruktion der Medienöffentlichkeit vielfach vermittelt und in vielerlei Hinsicht weniger bewußt und gewollt stattfindet. FRANZ (2000b, 109) verweist daher auch darauf, daß es in ihrer Untersuchung nicht um die individuelle Wirkungsdimension geht – und entsprechend auch nicht um die individuelle Ursachendimension im Sinne einer Suche nach dem Schuldigen (WERSIG 2001, 181) – sondern um eine ‚Diskursanalyse‘, bei der die Charakteristiken des sozialen Kommunikationsprozesses als kulturelle Indikatoren zu verstehen sind, die jenseits linearer Kausalschemata zu interpretieren sind. 31 Vgl. hierzu auch oben (S. 13) die Notwendigkeit der (symbolischen) Repräsentation von Institutionen. 3 Öffentliche Argumentation 32 3.3 Argumentationstheorie Was ein Argument ist bzw. was Argumentieren heißt, darüber gibt es einen weitgehenden Konsens in der Argumentationstheorie, der von NUSSBAUMER (1995, 1) schon in der Antike verortet wird: „Römische Rhetorik-Theoretiker und –Praktiker (Cicero, Quintilian) haben vor annähernd 2000 Jahren gültig formuliert, was Argumentieren heisst: Es ist ein Verfahren, mit dem einer etwas, was strittig ist, mit Hilfe von Unstrittigem unstrittig machen will oder kann. Cicero: argumentum = ‚ratio, quae rei dubiae facit fidem‘. Qunitilian: argumentum = „ratio, per es, quae certa sunt, fidem dubiis adferens‘“.32 Ganz ähnlich formuliert auch W. KLEIN (1980, 19) den vielzitierten Satz: „In einer Argumentation wird versucht, mit Hilfe des kollektiv Geltenden etwas kollektiv Fragliches in etwas kollektiv Geltendes zu überführen.“ Übersetzt man das ‚kollektiv Geltende‘ in ‚Vernunft‘, ergibt sich – mit einigen Spezifizierungen – die Definition von VAN EEMEREN/GROOTENDORST/SNOECK HENKEMANS u.a. (1996, 5): „Argumentation is a verbal and social activity of reason aimed at increasing (or decreasing) the acceptability of a controversial standpoint for the listener or reader, by putting forward a constellation of propositions intended to justify (or refute) the standpoint before a rational judge.“ Es kann also immer dann von einem Argument die Rede sein, wenn versucht wird, durch Sprache andere zur Übernahme eines strittigen Standpunkts zu bewegen, wobei der Erfolg von der Vernünftigkeit33 der Gründe abhängt, die vorgebracht werden, und nicht etwa von Gewaltandrohung oder unmittelbarem Zwang. Wie schon in der antiken Rhetorik, stellt somit die Suche nach solchen Gründen und der Logik, die ihnen zugrunde liegt, ein wichtiges Anliegen der Argumentationstheorie dar. Zentral ist dabei die Feststellung, daß es eine Diskrepanz zwischen den Regeln der formalen Logik und den tatsächlichen Argumentationen gibt, wie sie ‚im wirklichen Leben‘ vorkommen. In der Alltagsargumentation geht es offensichtlich weniger um die streng logische Deduktion von Aussagen aus gegebenen Prämissen (Syllogismus), sondern um das Vorbringen plausibler Gründe. 32 Wörtlich übersetzt definiert Cicero ein Argument als „die Begründung, die einer zweifelhaften Sache Glaubwürdigkeit verschaffen soll“, und Qunitilian als den „Grund, der in zweifelhaften Fragen Glaubwürdigkeit bei denjenigen herbeiführt, die sich einer Sache sicher sind“. 33 Wie bereits angedeutet wurde, ist damit hier nicht automatisch eine Höherwertigkeit von Vernunft impliziert, wie sie etwa mit ‚wissenschaftlicher Vernunft‘ assoziiert wird. Die zwiespältige Bedeutung von Vernunft im Sinne von ‚kollektiv Geltendem‘ drückt sich auch in der Redewendung ‚jemanden zur Vernunft bringen‘ aus. Hier soll ja jemand, der häufig von den üblichen Gepflogenheiten abgewichen ist, dazu gebracht werden, sich wieder der Norm zu fügen, weil sein abweichendes Verhalten sonst Nachteile sowohl für ihn als auch für die Gruppe hätte. 3 Öffentliche Argumentation 33 „Welche Norm herangezogen wird, um eine Behauptung zu plausibilisieren oder eine Forderung zu legitimieren, ist abhängig vom kulturellen Hintergrund der Argumentation, das heißt von den Wertemustern, die sowohl bei der argumentierenden Partei bestehen als auch beim Adressat oder Publikum vermutet werden.“ (FRANZ 2000b, 103) In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich ‚die‘ Argumentationstheorie bzw. ArgumentationStudies als eigenständiges interdisziplinäres Forschungsfeld etabliert.34 Involviert in die Herausbildung des Fachgebiets waren vor allem Wissenschaftler aus den Bereichen Sprach- und Literaturwissenschaft, Philosophie, Pädagogik und – dort, wo es solche Institute gibt – Rhetorik, Speech Communication und Argumentation. Für eine Orientierung innerhalb der verschiedenen Fragestellungen und Begrifflichkeiten bietet es sich an, das Feld der Argumentation-Studies nicht primär nach ‚Schulen‘, Ansätzen oder akademischen (Ursprungs-)Fächern zu strukturieren,35 sondern – wie in allen Disziplinen üblich – nach Gegenstandsbereichen, d.h. nach den übergeordneten Fragestellungen, die sich bei der Erforschung von Argumenten und Argumentationen herauskristallisiert haben. VAN EEMEREN (2001a, 18) nennt fünf zentrale Begriffe („crucial concepts“), denen jeweils ein Arbeitsbereich bzw. eine Forschungsperspektive entspricht: 1. Points of View Nicht alle menschlichen Äußerungen sind von sich aus mit einem spezifischen Standpunkt verbunden, und noch seltener wird dieser expliziert. In einem Argument geht es aber gerade um die Verteidigung eines umstrittenen Standpunktes. Um sich überhaupt mit einer Argumentation als solcher befassen zu können, müssen Anhaltspunkte gefunden werden, mit denen sich die Standpunkte der jeweiligen Sprecher identifizieren lassen. 2. Unexpressed Premises In Alltagsargumentationen werden selten alle Prämissen eines Arguments explizit erwähnt. Während solche unausgesprochenen Prämissen in der Praxis selten zu Kommunikationsproblemen führen, müssen sie für eine wissenschaftliche Analyse 34 Seit 1986 findet vierjährlich die International Conference on Argumentation statt, die von der International Society for the Study of Argumentation (ISSA) ausgerichtet wird. Die Ontario Society for the Study of Argumentation (OSSA) hat seit 1995 mehrere Konferenzen ausgerichtet. Ebenfalls seit 1986 erscheint die Zeitschrift Argumentation. An International Journal on Reasoning. Weitere Zeitschriften, die regelmäßig Beiträge zu Argumentation publizieren, sind: Argumentation and Advocacy,(unter diesem Namen seit 1988) Communication Theory, Informal Logic, Philosophy and Rhetoric und Quarterly Journal of Speech. Eine umfassende Rekonstruktion der Entwicklung der Argumentation-Studies leisten VAN EEMEREN/GROOTENDORST/SNEOEK HENKEMANS u.a. 1996. 35 VAN EEMEREN (2001a) unterscheidet folgende wesentliche Forschungstraditionen: Informal Logic, Radical Argumentativism, Modern Dialectical Approaches, Modern Rhetorical Approaches. 3 Öffentliche Argumentation 34 oder Bewertung des Arguments zunächst aus dem Kontext rekonstruiert werden, da sie oft den Dreh- und Angelpunkt einer Argumentation ausmachen. 3. Argument Scheme Da ein Argument stets darauf abzielt, den Opponenten (oder ein Publikum) zur Annahme eines umstrittenen Standpunktes zu bewegen, wird der Fürsprecher versuchen, ein Argument-Schema einzusetzen, das dazu geeignet ist, die Akzeptanz der Prämisse auf die Konklusion zu übertragen. In Rückgriff auf die klassische Rhetorik ist hier auch häufig vom ‚Auffinden von Argumenten‘ die Rede. Argument-Schemata stellen dann ‚Örter‘ (lat.: loci, griech.: topoi) dar, an denen Argumente gefunden werden können.36 Während in der klassischen Rhetorik die Ausarbeitung von Topiken als Hilfe für Argumentierende im Vordergrund stand, geht es heute auch – andersherum – um die Rekonstruktion der Argument-Schemata, auf die sich eine konkrete Argumentation bezieht. 4. Argumentation Structure Die wenigsten Argumente stehen für sich allein. Um einen Standpunkt zu verteidigen bedarf es im Rahmen von Diskursen meist komplexer Argumentationsstrukturen. Neben der Analyse einzelner Argumente auf der Mikro-Ebene des Argument-Schemas stellt sich auch die Frage, wie diese Argumente sich aufeinander beziehen und welche Konsequenzen das für das Ergebnis der Argumentation hat. 5. Fallacies Die Analyse von Argumenten und Argumentationen ist eng verbunden mit deren Bewertung. Nur unter bestimmten Bedingungen können sie als überzeugend akzeptiert werden. Insbesondere im Rahmen normativer Argumentationstheorien werden jene argumentativen Schritte untersucht, die sich entweder empirisch als nicht überzeugend herausgestellt haben oder die vor dem Hintergrund theoretischer Überlegungen zu den Kriterien formaler und inhaltlicher Gültigkeit als Trugschlüsse zu bezeichnen sind. Offensichtlich sind diese Bereiche37 sehr eng miteinander verzahnt und allenfalls analytisch voneinander zu trennen, da sie vielfach aufeinander bezogen sind.38 Für die Analyse öffentlicher Argumentation in der vorliegenden Arbeit wird vor allem eine 36 Daher auch der Ausdruck „Gemeinplatz“. Siehe dazu umfassend VAN EEMEREN/GROOTENDORST/SNEOEK HENKEMANS u.a. 1996 sowie VAN EEMEREN 2001. 38 So wird beispielsweise die Gültigkeit eines bestimmten Arguments häufig anhand der Gültigkeit des ihm zugrundeliegenden Argument-Schemas beurteilt. Handelt es sich um ein nach bestimmten Kriterien ungültiges Argument-Schema, unterliegt das evaluierte Argument einem Fehlschluß. 37 3 Öffentliche Argumentation 35 grundlegendes Modell benötigt, das die verschiedenen Bestandteile eines Arguments expliziert. Als Ausgangspunkt soll hier das Toulmin-Schema des Arguments dienen. 3.3.1 Das Toulmin-Schema39 des Arguments Das einflußreichste Modell eines Arguments ist mit Sicherheit das nach seinem Erfinder benannte und 1958 in ‚The Uses of Arguments‘ vorgestellte ‚Toulmin-Schema‘.40 (FRANZ 2000b, 101; KIENPOINTNER 1992a, 899; VAN EEMEREN/GROOTENDORST/SNEOEK HENKEMANS u.a. 1996, 158f, 207) Toulmin hat es in Anlehnung an das Enthymem bzw. Epicherichem41 der antiken Rhetorik entwickelt und betont mit ihm die Bedeutung „substantieller Argumentationen“ gegenüber den „analytischen Argumentationen“ (TOULMIN 1958, 113, 156) der formalen Logik.42 Er möchte zeigen, daß die Gültigkeit von Argumenten nicht durch deren formale Struktur bestimmt ist, sondern vor allem durch die inhaltliche Akzeptanz ihrer substantiellen Prämissen. Er nennt diese Prämisse, auf der ein Argument basiert, Warrant. Diese Schlußregel (so die deutsche Übersetzung) rechtfertigt erst den Übergang von vorliegenden Data (Daten) zum Claim (Konklusion). data / Daten claim / Konklusion warrant / Schlußregel backing / Stützung Terminologie nach Toulmin (1958), original / dt. Übersetzung Abbildung 4: Das Toulmin-Schema des Arguments 39 Es handelt sich hierbei nicht um ein Argument-Schema im Sinne des oben dargestellten Forschungsbereichs, sondern um ein allgemeines Modell. Der Begriff Toulmin-Schema hat sich jedoch als Bezeichnung durchgesetzt und wird hier übernommen. 40 Im deutschsprachigen Raum hat v.a. Jürgen Habermas zur Verbreitung des Toulmin-Schemas beigetragen. Er verwendete es erstmals in seinem Aufsatz über „Wahrheitstheorien“ (HABERMAS 1973) und bezog sich später in seiner Theorie des Kommunikativen Handelns darauf. (HABERMAS 1989/1, 44-72) 41 Siehe hierzu z.B. Kienpointner (1992b, 23) und van Eemeren/Grootendorst/Snoeck Henkemans u.a. 1996, 48ff. 42 Ironischerweise argumentiert er in ‚The Uses of Argument‘ wesentlich gegen die formale Logik, die Aristoteles in seinen Analytiken entwickelt hat (und die bis heute Grundlage der formalen Logik sind), ohne allerdings den ‚anderen Aristoteles‘ zu sehen, der sich in der Rhetorik und der Topik ausdrückt. 3 Öffentliche Argumentation 36 Mit der Feststellung, daß die Schlußregel wiederum auf einem Backing (Stützung) beruht und daß dieses Backing „bereichsabhängig“ (TOULMIN 1958, 95) ist, begründet Toulmin seine eigentliche philosophische und wissenschaftstheoretische These, die Bereichsabhängigkeit der Standards zur Beurteilung von Argumenten. (TOULMIN 1958, 37f) Da unterschiedliche Wissenschaften jeweils unterschiedliche Backings für eine Schlußregel akzeptierten, könne ein Argument in der Biologie Gültigkeit haben, während es in der Ethik abgelehnt werde oder umgekehrt. Toulmin erläutert sein Schema anhand eines Arguments, in dem behauptet wird, daß Harry britischer Staatsbürger sei (Konklusion) denn er ist auf den Bermudas geboren (Daten) und wer auf den Bermudas geboren wurde, sei im allgemeinen britischer Staatsbürger, (Schlußregel) und zwar aufgrund von bestimmten Gesetzen und rechtlichen Vorkehrungen (Stützung). (Abbildung 5) Harry ist britischer Staatsbürger Harry wurde auf den Bermudas geboren Wer auf den Bermudas geboren ist, ist im allgemeinen britischer Staatsbürger Bestimmte Gesetze und rechtliche Vorkehrungen sehen das so vor Abbildung 5: Toulmins Beispiel-Argument Es ist nun aber offensichtlich, daß die Stützung einer strittigen Schlußregel nichts anderes ist als ein weiteres Argument, nur daß dessen Schlußregel nicht erwähnt wurde. (KIENPOINTNER 1992b, 28f) Wenn es also darum geht, ein elementares Grundmodell des Arguments zu entwerfen, ist es sinnvoll, diese zusätzliche Begründung der Schlußregel wegzulassen und die Stützung einer Schlußregel als ein weiteres – dreigliedriges – Argument zu verstehen. ÖHLSCHLÄGER (1979, 86ff, insb. 99) argumentiert auch, daß eine Trennung zwischen Schlußregel und Stützung praktisch oft nicht möglich ist, und plädiert aus diesem Grund für das dreigliedrige Schema. 3 Öffentliche Argumentation 37 Auch für die Zwecke dieser Arbeit ist das dreigliedrige Grundmodell des Arguments hinreichend. Die drei Bestandteile des Arguments möchte ich zur Vereinfachung der Terminologie etwas an den allgemeinen Sprachgebrauch für normative Diskurse angleichen. Im Gegensatz zu deskriptiven Diskursen, die nach der Wahrheit einer Aussagen suchen, geht es in normativen Diskursen, wie sie u.a. in der politischen Öffentlichkeit stattfinden, um die Begründung von Forderungen, wie etwas sein soll oder geregelt werden soll. Im Folgenden werden daher die Daten, die Toulmin selbst später als Grounds bezeichnet hat, (TOULMIN/RIEKE/JANIK 1979, 25) als Begründung Aus ihr folgt – auf Grundlage der Schlußregel 44 43 bezeichnet. die Richtigkeit der Forderung (zuvor Konklusion). (Abbildung 6) Begründung Forderung Schlußregel Abbildung 6: Das dreigliedrige Grundmodell des Arguments In der Literatur wird die Begründung auch häufig als Argument bezeichnet (z.B. KIENPOINTNER 1992b, NAESS 1947, HABERMAS 1973, 241). Versteht man aber das Argument als die Instanz, die eine Argumentation (siehe oben S. 32) erfolgreich macht bzw. zum Scheitern bringt, so ist es sinnvoll, alle Elemente, die dazu beitragen – also auch diejenigen, die in einer konkreten Äußerung implizit geblieben sind – im Begriff des Arguments zusammenzufassen, so wie es in dem hier vorgestellten Modell des Arguments der Fall ist. Damit verbunden ist die Unterscheidung zwischen Argument und Argumentation, die in der Literatur bisweilen verschwimmt:45 Während ein Argument i.d.R. durch eine einzelne Äußerung eines Akteurs ausgedrückt wird, was natürlich nicht 43 Eine genauere Terminologie würde hier unterscheiden zwischen Begründen (für das Stützen strittiger Wahrheitsansprüche), Rechtfertigen (für das Stützen strittiger Richtigkeitsansprüche) und Erklären (für die Explikation der Konstitutionsbedingungen – z.B. Ursachen – von unstrittigen Sachverhalten). (J. KLEIN 1999, 5) Der Einfachheit halber wird hier auf diese Unterscheidungen verzichtet. 44 Umgangssprachlich wäre auch hier eine Umbenennung in Prämisse naheliegend. Diese Bezeichnung würde jedoch die Eindeutigkeit, die in der Bezeichnung Schlußregel liegt, zerstören. Da auch die Begründung als Prämisse aufgefaßt werden kann, wäre u.U. nicht mehr klar, welche Prämisse gemeint ist. 45 So spricht etwa KIENPOINTNER (1992) von Argumentationsschemata, obwohl es sich eigentlich um Argument Schemata handelt. (vgl dazu auch Kapitel 3.3.2) 3 Öffentliche Argumentation 38 heißt, daß jede Äußerung ein Argument enthält, stellt eine Argumentation eine Abfolge mehrerer Argumente dar. Da die Schlußregel in Alltagsargumentationen fast nie expliziert, sondern als kollektiv geltend vorausgesetzt wird, bietet eine Argumentationsanalyse, die sich gerade diese impliziten Elemente öffentlicher Argumentation zum Gegenstand macht, die Möglichkeit, die kulturellen Grundlagen herauszuarbeiten, die diese Argumentation möglich machen und die ihr eine gewisse Macht verleihen. Dies ist – ebenfalls bereits seit der Antike – Aufgabe der Topik bzw. des oben aufgeführten 3. Arbeitsbereichs zu Argument Schemes. 3.3.2 Topik Ziel der Topik des Aristoteles, auf die sowohl seine Rhetorik als auch seine Dialektik zurückgreifen, ist es „[e]in Verfahren [zu] finden, von dem aus wir werden Schlüsse ziehen können über jede aufgegebene Streitfrage aus einleuchtenden Annahmen[46] und selbst, wenn wir Rede stehen müssen, nichts Widersprüchliches zu sagen.“ (ARISTOTELES, Top. 100a) Aristoteles selbst hat seinen Toposbegriff nie spezifiziert, die von ihm aufgelisteten Topoi, die das beschriebene Ziel verfolgen, lassen sich aber leicht als allgemeine Argument Schemata erkennen. (KIENPOINTNER 1992b, 30) „Because an argument scheme characterizes the type of justification or refutation provided for the standpoint, an analysis of the argument schemes used in a discourse produces information regarding the principles, standards, criteria, or assumptions involved in a particular attempt at justification or refutation.“ (VAN EEMEREN 2001a, 20) GARSSEN (2001, 82) kommt zu dem Ergebnis daß „the classical concept of ‘topos’ corresponds to the argument schemes in modern approaches to argumentation“. Er unterscheidet aber zwischen drei Ansätzen, die – wie in der klassischen rhetorischen Tradition – durch Topoi das Auffinden (im Sinne von Herstellen) von Argumenten erleichtern wollen, und solchen, die durch sie Argumente beurteilen wollen, sowie anderen, denen sie zur Beschreibung von Argumentationen und der ihnen zugrundeliegenden Sprache und Kultur dient. Die Arbeiten des Linguisten Manfred KIENPOINTNER (1983, 1992b) verfolgen diesen deskriptiven Ansatz in Bezug auf die deutsche Sprache: „Für mein Beschreibungsziel – die möglichst repräsentative Erfassung plausibler Muster der Alltagsargumentation in der deutschen Sprachgemeinschaft – sind vor allem die maximal kontextabstrakten Schemata interessant.“ (KIENPOINTNER 1992b, 234) 46 Das griechische endoxa das hier als „einleuchtende Annahmen“ übersetzt wurde, hat BORNSCHEUER (1976, 26) „herrschende Meinungen“ genannt. 3 Öffentliche Argumentation 39 Es geht ihm also darum, jenseits konkreter Argumentationsinhalte die Formen plausibler Argumente herauszuarbeiten. Verfolgt man jedoch das Ziel, die kulturelle Grundlage eines Arguments bzw. eines spezifisch inhaltlichen Diskurses möglichst umfassend zu rekonstruieren, müssen auch die kontextspezifischen Inhalte der verwendeten Schlußregeln berücksichtigt werden. Da der Inhalt der Schlußregeln aber zumeist implizit bleibt und rekonstruiert werden muß, stellt sich die Frage, wie allgemein oder spezifisch die Rekonstruktion erfolgen soll. Nimmt man zum Beispiel das Argument (1) „Das Asylbewerberleistungsgesetz soll abgeschafft werden, weil es Flüchtlinge diskriminiert,“ so lassen sich zunächst die Forderung (2) „Das Asylbewerberleistungsgesetz soll abgeschafft werden“ und die Begründung (3) „Das Asylbewerberleistungsgesetz diskriminiert Flüchtlinge“ unterscheiden. Die hier implizierte Schlußregel läßt sich nun einerseits als logisch notwendiges Minimum (4‘) „Wenn das Asylbewerberleistungsgesetz Flüchtlinge diskriminiert, soll es abgeschafft werden“ rekonstruieren. Dies entspricht einer formallogisch gültigen Rekonstruktion, bei der ohne jegliche Interpretation des Gesagten lediglich die Forderung und die Begründung, zu der sich der Sprecher ohnehin schon explizit bekannt hat, zu einer allgemeinen Regel umformuliert wurden. Offensichtlich wäre es aber trivial, anzunehmen, daß dies die implizit vorausgesetzte Grundlage des Arguments war, denn wenn diese Regel (4´) vorausgesetzt werden konnte, bestünde kein Anlaß mehr für eine Argumentation, da ja bereits Einigkeit bestünde.47 Auf der anderen Seite läßt sich die durch (2) und (3) implizierte Schlußregel sehr allgemein formulieren als (4´´) „Alle Gesetze, die staatliche Leistungen für ausländische Personen regeln, sollen abgeschafft werden.“ Wenngleich diese Schlußregel im Prinzip als Grundlage für das Argument dienen könnte, so ist doch offenbar, daß die Gefahr besteht, durch sie mehr vorauszusetzen als nötig. Intuitiv naheliegend wäre dagegen die Formulierung (4) „Diskriminierende Gesetze sollen abgeschafft werden.“ Faßt man Diskriminierung als „Ungleichbehandlung von Gleichem“, so läßt sich (4) auch präziser formulieren als „Wenn Personen / Handlungen / Situationen in relevanter Hinsicht gleich oder ähnlich sind, sollten sie gleich behandelt werden. (Gleiches Recht für alle.)“48 GERRITSEN (2001, 66) bezeichnet solche Formulierungen als „generalized version of the logical minimum“. Solche Schlußregeln lassen sich nun in Anschluß an die Rhetorik auch als topoi (griech.) oder loci (lat.) bezeichnen, d.h. als ‚Örter‘ an denen Argumente gefunden werden 47 GERRITSEN (2001, 66) spricht sich ebenfalls gegen die Rekonstruktion unaugesprochener Prämissen als logisches Minimum. 48 Dies ist die Formulierung, wie sie in der Argumentationsanalyse in Kapitel 5 verwendet wird. Vgl. auch Anhang B 3 Öffentliche Argumentation 40 können. (z.B. KIENPOINTNER 1992b, 30) Mit Hinblick darauf, daß die Schlußregeln bzw. Topoi allgemein akzeptierte Grundlagen sind, sollten sie bei der Rekonstruktion so allgemein formuliert werden, daß sie bezüglich der Konklusion des jeweiligen Arguments keine eindeutige Tendenz aufweisen, d.h. prinzipiell sollte es auch möglich sein, auf Grundlage des selben Topos eine gegenteilige Forderung zu begründen. In unserem Beispiel ist das bei (4) offensichtlich der Fall, denn erst wenn das Asylbewerberleistungsgesetz als ‚diskriminierend‘ interpretiert wird, bzw. Asylbewerber als Deutschen ‚in relevanter Hinsicht gleich oder ähnlich‘ angesehen werden, läßt sich (4) als Grundlage für die Forderung der Abschaffung des Gesetzes verwenden. Ist das nicht der Fall, läßt sich die Sonderbehandlung von Asylbewerbern ebenso mit (4) rechtfertigen. Was die Praxis angeht, weist FRANZ (2000b, 113) allerdings darauf hin, daß „sich in moralischen Kontroversen in der Regel nicht Pro- und Contra-Argumente einander gegenüber [stehen], sondern Pro-Argumente aus unterschiedlichen Topoi.“ Dies ist ein bekanntes Phänomen aus dem Bereich der ‚Framing-Ansätze‘. Als Weiterentwicklung der Nachrichtenwerttheorie49 werden Frames50 in der Kommunikationswissenschaft als „‘journalistische Bewältigungsstrategien‘ [gesehen], die eine routinisierte Verarbeitung anfallender Informationen und Ereignisse ermöglichen und ihnen als ‚Fenster‘ dienen, durch das sie den thematischen Ausschnitt der Welt, den sie bearbeiten sehen“. (FRANZ 2000b, 108) Eine bestimmte Bewertung dieses thematischen Ausschnitts der Welt ist damit noch nicht notwendig verbunden. Jedoch ist auch hier bekannt, daß bestimmte Frames bestimmte Wertungen durchaus nahelegen können: Die Untersuchung vom Framing als „a strategy of constructing and processing news discourse or as a characteristic of the discourse itself“ (PAN/KOSICKI 1993, 57, zitiert nach FRANZ 2000b, 108) hat ihren Ursprung51 in der Bewegungsforschung, in der untersucht wird, ob und wie es sozialen Bewegungen gelingt, 49 Das Framing-Konzept wird auch im Zusammenhang der neueren Agenda-Setting-Forschung diskutiert. Dabei wird die ursprüngliche Annahme minimaler Medienwirkungen im Sinne des paradigmatischen ‚Slogans‘ „[The Press] may not be successful much in telling people what to think, but it is stunningly successful in telling its readers what to think about“ (COHEN 1963, 13) wieder erweitert: „How a communicator frames an issue sets an agenda of attributes and can influence how we think about it. Agenda setting is a process that can affect both what we think about and how to think about it.“ (MCCOMBS/SHAW 1993, 63) Demnach gibt ein Frame die für die Entscheidung einer öffentlichen Streitfrage relevanten Kriterien vor, ohne sie jedoch selbst schon explizit anzuwenden. (Vgl. auch „Priming“ bei IYENGAR 1991, 133) 50 Der Begriff geht im wesentlichen zurück auf Erving GOFFMAN (1974), der Frames jedoch eher wahrnehmungspsychologisch, d.h. auf individueller Ebene angesiedelt, betrachtete. (FRANZ 2000b, 104) Vgl. auch FN 51. 51 Richtungsweisend waren hier die Arbeiten von David SNOW u.a. (1986) SNOW/BENFORD (1988; 1992), die in Anschluß an Erving GOFFMAN (1974) dessen „Frame-Analysis“ weiterentwickelten. (FRANZ 2000b, 104) Vgl. auch PAN/KOSICKI (1993). 3 Öffentliche Argumentation 41 „‚kulturell resonante‘ Deutungen hervorzubringen und ihre Forderungen symbolisch kondensiert so zu präsentieren, dass sie mit gesellschaftlich gültigen Rahmen konsistent sind und sich als Element in bestehende, issue-übergreifende Weltanschauungen einfügen“. (FRANZ 2000b, 106) So war es etwa ein zentrales Ziel der Frauenbewegung, die Abtreibungsfrage mit dem ‚gesellschaftlich gültigen Rahmen‘ des Selbstbestimmungsrechts der Frau zu verknüpfen. Den Prozeß der Etablierung dieser Sichtweise beschreibt Franz in ihrer empirischen Studie. (FRANZ 2000b, 145-234) Doch selbst – oder auch gerade – nachdem es gelungen war, die Abtreibungsfrage im öffentlichen Diskurs in den Rahmen des Selbstbestimmungsrechts der Frau zu rücken, findet Franz empirische Beispiele, in denen sogar dieser Rahmen argumentativ gegen Abtreibung eingesetzt wird.52 Wenngleich also die Anwendung eines bestimmten Rahmens auf ein bestimmtes Thema durchaus bestimmte Bewertungen nahe legt und andere nicht, muß unterschieden werden zwischen der prinzipiellen Offenheit eines Rahmens für unterschiedliche Deutungen und der konkreten Bedeutung, die ein Rahmen in einem konkreten historischen und gesellschaftlichen Kontext bezogen auf dieses Thema tatsächlich erhält. In diesem Sinn können Topoi auch als Rahmen bzw. Frames aufgefaßt werden: „Wie Topoi dienen Frames als Fundorte für Argumente: Sie beinhalten nicht an sich eine bestimmte Position gegenüber dem Issue, sondern zeigen an, welche Dimensionen für eine Beurteilung als relevant gelten, und damit, entlang welcher Kriterien sich Gesellschaft dynamisch selbst beschreibt, welches die Rationalitätsressourcen sind, aus denen die Kreativität kommunikativer Realitätsformulierungen speist“. (FRANZ 2000b, 112) Wichtig ist nun, daß die rekonstruierten Topoi nicht in erster Linie als das zu verstehen sind, was der Sprecher bei seiner Äußerung tatsächlich im Kopf hatte, und auch nicht als das, was ein bestimmter Rezipient sich tatsächlich dabei denkt, sondern als das, was bei der öffentlichen Äußerung sinnvollerweise als allgemein akzeptierter Wert (bzw. bei deskriptiven Diskursen als allgemeines Wissen) vorausgesetzt werden konnte.53 BORNSCHEUERS einflußreiche Arbeit (1976) hat beispielsweise versucht, Topik als „gesellschaftliche Einbildungskraft“ zu fassen. Bezogen auf öffentliche Argumentation 52 So vergleicht Jürgen Busche in der Süddeutschen Zeitung vom 19.9.91 das Selbstbestimmungsrecht der Frau mit dem Selbstbestimmungsrecht des Unternehmers: „Herr im Haus zu sein, ist nicht als willkürliches Verfügungsrecht über den Betrieb und die dort arbeitenden Menschen zu verstehen, sondern als Entscheidungsrecht zu verantwortungsvollem Unternehmertum. Es gibt Rechtsgüter des gemeinsamen Lebens, über die kann ein Einzelner nicht generell allein, nur sich selbst verantwortlich entscheiden. Auch die Frau kann das nicht generell.“ (Zitiert nach FRANZ 2000b, 216) 53 Ähnlich schlägt GERRITSEN (2001, 71f) in Rückgriff auf die Sprechakttheorie vor, die Analyse nicht auf die Rekonstruktion der Intentionen des Sprechers zu richten, sondern auf die Bekenntnis, die mit dessen Äußerung verbunden sind: „Nowadays, the concept of commitment is generally preferred over that of the speaker’s intentions.“ 3 Öffentliche Argumentation 42 ließe sich Topik auch als öffentliche Meinung modellieren,54 die dann sowohl die Grundlage als auch das Ergebnis öffentlicher Argumentationen wäre und durch sie ständig aktualisiert würde. Begreift man daher Diskurse basierend auf dem Arena-Modell von Öffentlichkeit als eine „mehr oder weniger aufeinander bezogene Folge von Beiträgen durch Sprecher ..., die verschiedene Gruppen des Publikums vertreten und ihre Rede am Publikum in seiner Gesamtheit ausrichten“, (FRANZ 2000b, 109) dann lassen die in einem solchen Diskurs verwendeten Topoi als Indikatoren für die Grundlage jeweils aktueller öffentlicher Meinungsbildung interpretieren. „Ins Blickfeld geraten daher nicht die individuellen Wirkungen von Deutungen, sondern die Strukturierungsleistungen, die sie für den Diskurs selbst erbringen.“ (FRANZ 2000b, 109) Wie bereits erwähnt sind diese langfristigen (Um-)Strukturierungsleistungen, die der Diskurs gewissermaßen auf sich selbst ausübt,55 Gegenstand der Arbeit von Barbara FRANZ (2000b). Stellt man diese Selbstbezüglichkeit des Diskurses in den oben beschriebenen machttheoretischen Kontext, dann lassen sich die Selbststrukturierungsleistungen als Integrationsleistung des Diskurses verstehen: Die Macht des Diskurses (oder der öffentlichen Meinung), die auf den Diskurs selbst wirkt, ist intransitive Macht. Franz hat also – ohne selbst von Macht zu sprechen56 – die Veränderung der intransitiven Macht im Abtreibungsdiskurs der BRD untersucht. Solange diese Macht aber nicht als Grundlage transitiver Machtausübung durch öffentliche Argumentation verstanden werden, bleibt der Macht-Aspekt öffentlicher Argumentation nur implizit. Bezogen auf Massenkommunikation genügt es dann, einerseits von der Integrationsleistung des Mediensystems (oder von Kultur oder von öffentlicher Meinung), andererseits vom ‚Bedeutungswandel‘ im massenmedialen Diskurs zu sprechen. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, auch die transitive Seite der 54 Dies in der notwendigen Ausführlichkeit zu tun, wäre der Gegenstand einer weiteren Arbeit und wird daher hier nur angedeutet. 55 Diese Selbstbezüglichkeit des Diskurses, im Sinne der Notwendigkeit jedes neuen Arguments, an die Topik des bestehenden Diskurses anzuknüpfen, bedeutet jedoch nicht, daß der Diskurs nur durch sich selbst strukturiert wird. Michel FOUCAULT (1975) fügte seinen „diskursiven Praktiken“ deshalb die „nichtdiskursiven Praktiken“ hinzu, die ebenso auf den Diskurs einwirken, so daß „in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird“. (FOUCAULT 1972, 10f) Ähnlich ist bei Jürgen HABERMAS die „ideale Sprechsituation“ (HABERMAS 1973, 252-260) eine kontrafaktische Unterstellung, die mit jedem Sprechakt verbunden ist. Allerdings sieht Habermas (ganz im Gegensatz zu Foucault) hier den Ansatzpunkt für eine „Kritik der funktionalistischen Vernunft“ (HABERMAS 1981/2) in einer von Herrschaft geprägten Gesellschaft, oder wie Dieter HENRICH (1974) formulierte: Eine „Kritik der Verständigungsverhältnisse“. Die Utopie einer verständigungsorientierten Öffentlichkeit „als einer in Zukunft zu realisierenden Lebensform?“ (HABERMAS 1973, 258), in der allein der „eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments“ (HABERMAS 1973, 240) über die Annahme oder Ablehnung eines Arguments entscheidet, verweist bei Habermas ständig darauf, daß es gegenwärtig andere – womöglich illegitime – Faktoren gibt, die auf den diskursiven Konsens einwirken. (HABERMAS 1973, 255) 56 Siehe hierzu Fußnote 23. 4 Macht und Ohnmacht öffentlicher Argumentation 43 Macht öffentlicher Argumentation zu berücksichtigen, so daß anschließend die Selbstverständlichkeiten der massenmedialen (Teil-)Öffentlichkeiten explizit als intransitive Machtressourcen analysierbar werden, auf die verschiedene Akteure in diesen Öffentlichkeiten zurückgreifen, um durch ihre Argumentation Macht gegenüber anderen öffentlichen Akteuren auszuüben. 4 Macht und Ohnmacht öffentlicher Argumentation Angesichts der Parallelen zwischen dem in Kapitel 2 vorgestellten Macht-Konzept und dem in Kapitel 3 entwickelten Konzept öffentlicher Argumentation liegt es nahe, beide zu einem Modell zu verbinden, um das Verhältnis von Macht und öffentlicher Argumentation theoretisch zu bestimmen. Transitive Macht kommt nicht ohne intransitive Machtressourcen aus, auf die sie sich beziehen muß. Ebenso kann ein Argument nur überzeugen, wenn es auf einem allgemein akzeptierten Topos aufbaut. KIENPOINTNER (1992b, 30) umschreibt daher den Topos in Anlehnung an Aristoteles auch als „‚Kraft‘ (‚vis‘) des jeweiligen Schlusses“. Die Unterscheidung von transitiver und intransitiver Macht ermöglicht eine differenziertere Analyse der Funktionsweise von öffentlicher Argumentation: Der Topos bzw. die Schlußregel stellt die intransitive Machtressource dar, die eine transitive Machtwirkung erst ermöglicht. Ein Argument erscheint dann gewissermaßen als Verbindungsglied zwischen intransitiver und transitiver Macht. Diese Verbindung läßt sich einerseits als kurzfristige, andererseits als langfristige Funktion von Argumenten in der Öffentlichkeit beschreiben. 4.1 Kurzfristige Machteffekte von Argumenten Durch Argumente wird intransitive Macht transitiv genutzt, indem sie gegen andere Akteure in der Arena gerichtet werden. Je größer die intransitiven Machtressourcen, um so mehr wird das Argument andere Akteure unter Zugzwang setzen: Entweder sie stimmen dem Argument zu, oder sie versuchen, bessere Argumente zu finden, d.h. Argumente, die auf eine größere Resonanz beim Publikum stoßen. In der massenmedialen Arena ist jedoch die tatsächliche Resonanz bei den Rezipienten nicht unmittelbar relevant.57 Relevant sind die Reaktionen, die wiederum innerhalb der 57 Ein direktes Feedback erfolgt lediglich über Meinungsumfragen, doch sind diese in der Öffentlichkeit auch nur relevant, wenn sie veröffentlicht werden, und selbst dann stellen sie noch keinen Wert an sich dar, sondern müssen erst wiederum argumentativ behauptet werden. Auch die Tatsache, daß Wahlen nur in 4 Macht und Ohnmacht öffentlicher Argumentation 44 massenmedialen Arena erfolgen, denn nur diese sind für alle sichtbar. Je mehr Zustimmung bzw. je weniger Ablehnung ein Akteur für sein Argument erfährt, desto größer ist seine Handlungsfähigkeit GERHARDS/NEIDHARDT (1990, 11) sowie in bezug VAN DEN auf die strittige Frage. DAELE/NEIDHARDT (1996, 10) haben auf diese Kontrollfunktion der Öffentlichkeit zwischen den Wahlen hingewiesen und auch FUCHS/PFETSCH (1996, 16) belegen neben der Orientierung an Meinungsumfragen empirisch die relative Bedeutung der veröffentlichten Meinung – also der Meinung in den Öffentlichkeitsarenen – für das politische System.58 KEPPLINGER (1998, 145) stellt fest, daß die meisten politischen Akteure die Medienberichte „geradezu zwanghaft“ verfolgen und erinnert daran, daß die direkten Einflüsse der Massenmedien auf Personen, über die berichtet wird, bereits seit längerem als „reziproke Effekte“ bezeichnet werden. (KEPPLINGER 1998, 146) Entgegen dieser Terminologie der Wirkungsforschung und der ‚Suche nach Schuldigen‘ (vgl. FN 19), wird (Medien-)Öffentlichkeit hier als (Kampf-)Arena verstanden, in der verschiedene Akteure auch zwischen den Wahlen um die Macht konkurrieren, die sie für die Umsetzung ihrer politischen Forderungen benötigen. In Anlehnung an die Unterscheidung von gemeinsamem und verschränktem Handlungsraum nach Göhler (Abbildung 2 oben) läßt sich die massenmediale Arena als verschränkter Handlungsraum begreifen, in dem die Macht in einem Nullsummenspiel aufgeteilt wird. Öffentliche Argumentation stellt dabei ein Mittel dar, Macht für sich zu verbuchen und anderen zu nehmen. Wie erfolgreich dieses Mittel transitiver Machtausübung angewendet werden kann, hängt von den intransitiven Machtressourcen ab, auf die sich die eingesetzten Argumente beziehen. Die massenmediale Arena konstituiert also insofern auch einen gemeinsamen Handlungsraum. Sie geht von bestimmten Selbstverständlichkeiten und anerkannten Normen aus, auf denen die Argumente der Akteure aufbauen können bzw. müssen, um erfolgreich zu sein. Diese Machteffekte stellen sich kurzfristig ein: Ein ‚gutes‘ Argument setzt seine Gegner unmittelbar unter größeren Abständen abgehalten werden, trägt dazu bei, daß die tatsächlichen Meinungen der Bürger im massenmedialen Diskurs nur eine Hintergrundgröße darstellen. Luhmann beschreibt dies so: „Im Spiegel [der öffentlichen Meinung] sieht man jedenfalls nicht sich selbst, sondern nur das Gesicht, das man für den Spiegel aufsetzt und ihm zuwendet. Aber man sieht nicht nur das, sondern man sieht im Rückblick über die eigenen Schultern hinweg die anderen, die im gleichen Raum vor dem Spiegel agieren: andere Personen, andere Gruppen, andere politische Parteien, andere Versionen zum gleichen Thema. Aber was man sieht, es ist ein Ausschnitt, der durch die eigene Position und Bewegung bestimmt ist. Der Effekt beruht voll und ganz auf der Intransparenz des Spiegels, also auf der Abkopplung von all dem, was wirklich in den Köpfen wirklicher Menschen in dem Moment vor sich geht, in dem man in den Spiegel blickt.“ (LUHMANN 1990, 181) 58 Einen theoretischen Rahmen für die Untersuchung des Verhältnisses von Medienmeinung und politischem System bieten die Ansätze des Agenda-Building oder auch Policy-Agenda-Setting. (Vgl. hierzu auch NEIDHARDT/EILDERS/PFETSCH (1998, 9-12). 4 Macht und Ohnmacht öffentlicher Argumentation 45 Zugzwang. Ein Machtgewinn bzw. eine Machtstabilisierung kann quasi sofort verbucht werden. Um kurzfristige politische Ziele erreichen zu können, steht bei öffentlicher Argumentation also dieser Aspekt transitiver Machtausübung im Vordergrund, d.h. vorhandene intransitive Machtressourcen werden genutzt, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu steigern und die der Gegner einzuschränken. 4.2 Langfristige Machteffekte von Argumenten Öffentliche Argumentation Handlungsbedingungen der wirkt jedoch Akteure in nicht nur kurzfristig der Arena, indem auf sie die ihre Handlungsmöglichkeiten einschränkt oder erweitert. Langfristig konstituiert öffentliche Argumentation auch ihre eigenen Grundlagen bzw. reproduziert diese. Bei der langfristigen Wirkung lassen sich zwei Aspekte unterscheiden. Die progressive Langzeitwirkung besteht darin, daß die wiederholte erfolgreiche Anwendung eines bestimmten Arguments zur Etablierung eines neuen Topos führen kann, d.h. der Inhalt des Arguments erscheint mit der Zeit so selbstverständlich, daß andere Argumente darauf aufbauen können.59 Die konservative Langzeitwirkung besteht darin, daß auch jede erfolgreiche Anwendung eines Topos eine Bestätigung desselben ist, d.h. ein Topos wird mit seiner wiederholten Anwendung immer tiefer im kulturellen Selbstverständnis einer Sprechergemeinschaft verankert. Bezogen auf Macht bedeutet dies einerseits, daß öffentliche Argumentation sowohl ermöglicht, die intransitiven Machtressourcen einer Gesellschaft zu verändern60 und so zu sozialem Wandel beiträgt, wenn alte Selbstverständlichkeiten durch neue ersetzt werden. Andererseits erhöht eine Fokussierung des öffentlichen Diskurses auf einige wenige Topoi, die immer wieder verwendet werden, das intransitive Machtpotential, das den Akteuren in einer Arena zur Verfügung steht. Sie erhöht den Zusammenhalt der Gruppe indem sie Identität stiftet und Konsens in Bezug auf politische Handlungen erleichtert.61 59 In Deutschland könnte man diesen Fall in den verbreiteten ausländerfeindlichen Argumenten erkennen: Dadurch, daß verschiedene Argumente immer wieder zu dem Ergebnis kommen, daß es nicht gut sei, wenn Ausländer nach Deutschland kommen (etwa weil sie die Sozialsysteme belasten, weil sie kein Deutsch können, weil sie sich nicht integrieren wollen oder einfach weil sie ‚anders‘ sind usw.) hatte sich insbesondere Anfang der 90er Jahre ein ‚Anti-Ausländer-Topos‘ etabliert, d.h. man konnte bisweilen eine politische Forderung damit begründen, daß sie sich gegen Ausländer wendete. Auch in der aktuellen Zuwanderunsgdebatte beruft sich die Union auf diesen Topos, wenn sie darauf beharrt, Zuwanderung müsse begrenzt und nicht nur gesteuert werden. 60 Es ist eine empirische Frage, welche soziologischen und ökonomischen Faktoren hierbei die Grenzen möglicher Veränderungen bestimmen. 61 Als Beispiele können lokale Bürgerinitiativen genannt werden, die sich einem ganz speziellen gemeinsamen Ziel verschrieben haben und auf deren Plenum nur Argumente erfolgreich sind, die auf der Erreichung dieses Ziels aufbauen. Ebenso können die Grundwerte einer Partei die Mitglieder zusammenschweißen, aber im Extremfall wird eben auch eine ganze Gesellschaft durch eine Parole, ein 4 Macht und Ohnmacht öffentlicher Argumentation 46 4.3 ‚Ohnmacht‘ von Argumenten Die Betonung des Macht-Aspekts von Argumenten soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Argumente nicht nur schwach sein können, und in diesem Sinne ohnmächtig, weil sie in einer bestimmten Arena nicht ‚ankommen‘, sondern neben Argumenten können auch psychologische, d.h. nicht-argumentative Überredungsmittel (vgl. oben S. 20) eine übergeordnete Rolle spielen. Diese können Argumente aber nur verstärken (oder abschwächen), nicht jedoch ersetzen. Argumente können auch gegenüber anderen Herrschaftsmitteln versagen. Insbesondere gegenüber Gewalt und (beispielsweise ökonomischem) Zwang scheinen Argumente ‚machtlos‘ zu sein. Folgt man jedoch dem intransitiven Machtbegriff Hannah Arendts, dann ist gerade Gewalt ein Ausdruck von Machtlosigkeit: Nur wer keine Macht hat, benötigt Gewalt, um etwas durchzusetzen.62 Im Extremfall ist dies ein Einzelner, der nicht in Einvernehmen mit anderen handelt, es können aber auch Gruppen sein, die zwar im gemeinsamen Handeln eine gewisse Macht haben, in Relation etwa zu anderen Gruppen aber nichts bewirken können. Sie müssen sich Gewaltmittel bedienen. „Der Extremfall der Macht ist gegeben in der Konstellation: Alle gegen Einen, der Extremfall der Gewalt in der Konstellation: Einer gegen Alle. Und das letztere ist ohne Werkzeuge, d.h. ohne Gewaltmittel niemals möglich.“ (ARENDT 1970, 43) Während Arendt jedoch nicht zwischen öffentlicher Meinung und Bevölkerungsmeinung unterscheidet und damit bei ihr auch nicht klar ist, ob Macht an die tatsächliche Zahl der einverstandenen Personen gebunden ist, gehe ich hier nicht davon aus, daß die Macht eines öffentlich vorgetragenen Arguments von den individuellen Bewußtseinsinhalten der Individuen determiniert ist, sondern von kommunikativ erzeugten Topoi63 (öffentlicher Meinung), die nicht identisch sind mit einem ‚materialen‘ Grundwertekonsens (Bevölkerungsmeinung).64 Eine Einigkeit, die nicht kommunikativ aktualisiert wird, kann keine intransitive Macht erzeugen. Umgekehrt kann aber trotz Uneinigkeit der individuellen Meinungen die „Fiktion“ einer öffentlichen Meinung erzeugt werden. (MERTEN/WESTERBARKEY 1994, 202) Im Extremfall, kann sogar trotz Einigkeit der individuellen Meinungen ein entgegengesetzter öffentlicher ‚Konsens‘ hergestellt werden, nämlich dann, wenn die individuellen Meinungen nicht öffentlich kommuniziert werden ‚gemeinsames Ziel‘ integriert, was zu der absurden Situation führt, daß jede Handlung in Bezug auf den selben Topos begründet werden muß. 62 ARENDT (1970, 55) verweist jedoch auch darauf, „daß Machtverlust viel eher als Ohnmacht zur Gewalt verführt, als könne diese die verlorene Macht ersetzen“. 63 Zum Begriff der „kommunikativen Topik“ siehe auch KNOBLAUCH 2000, 658. 4 Macht und Ohnmacht öffentlicher Argumentation 47 können. Deshalb ist in Systemen mit Gewaltherrschaft die Kontrolle des öffentlichen Raumes besonders wichtig. Nur wenn die Kommunikation zwischen den Individuen minimiert bzw. kontrolliert wird, kann die Erzeugung von Macht durch gemeinsames Sprechen-und-Handeln, das die Herrschenden bedrohen könnte, verhindert werden. (ARENDT 1970, 56) Die Bedeutung einer solchen Verbindung von Macht und Öffentlichkeit läßt sich am besten anhand eines Vergleichs illustrieren. Interessanterweise wählen nämlich Hannah Arendt und Elisabeth Noelle-Neumann zwei sehr ähnliche Beispiele zur Illustration ihrer Theorien, allerdings mit fundamental anderen Konsequenzen. Beide beziehen sich auf die Störung von Vorlesungen durch protestierende Studenten. Arendt verdeutlicht mit einem Gedankenexperiment, daß es sich bei erfolgreichen Störern nicht um eine ‚Handvoll extremer Elemente‘ handele, die Gewalt ausübe, sondern um Macht: „Man braucht sich nur vorzustellen, was geschehen wäre, wenn ein oder ein paar unbewaffnete Juden im Vor-Hitler-Deutschland versucht hätten, die Vorlesung eines antisemitischen Professors zu unterbrechen, und die Absurdität des Geredes von der ‚Handvoll‘ extremer Elemente springt in die Augen.“ (ARENDT 1970, 44) Die erfolgreiche Störung einer Vorlesung ist demnach nur möglich, wenn die Störer nicht auf einen kommunikativen Konsens unter den Zuhörern stoßen, der eine größere Gegenmacht produziert, als die eigene. Nach Arendt schweigen die Hörer der Vorlesung nicht aus Isolationsfurcht, sondern weil sie nicht zu gemeinsamem Reden und Handeln bereit sind. Es gibt keinen kommunikativen Konsens den sie aktualisieren, keine intransitiven Machtressourcen, auf die sie zurückgreifen könnten. Das Gedanken-Beispiel zeigt, daß dies nicht immer der Fall sein muß. Noelle-Neumann berichtet von ihren eigenen Erfahrungen zu Zeiten der 68erStudentenproteste, die sie zu ihrer Theorie der Schweigespirale anregten: „Daß die Mehrheit die Vorlesung hören wollte, war leicht zu erkennen, und die Studenten, die mich in meiner Sprechstunde besuchten, sagten es mir unter vier Augen. Aber während die eine Seite, die protestierenden Studenten, laut in der Öffentlichkeit zu hören waren, und mit Flugblättern und Slogans und Aufklebern, die an die Wände, Türen, Fenster, Autos mit Parolen gegen mich geklebt waren, und mit ständigen Unterbrechungen der Vorlesung, verfiel die Gegengruppe, die die Vorlesung hören wollte, zunehmend in ängstliches Schweigen. Diejenigen, die mich unterstützen wollten, schienen zunehmend zu fürchten, daß sie sich damit unter ihren Kommilitonen isolieren und unbeliebt machen würden.“ (NOELLE-NEUMANN 1997, 55) 64 Diese Unterscheidung kommt bei n Göhlers Machtkonzeption nicht vor, so daß unklar bleibt, was er meint, wenn er von Gemeinsamkeiten spricht, die eine Gruppe zusammenhalten: Ist es das Einverständnis jedes Einzelnen oder ist es der Gruppenzwang, die öffentliche Meinung der Gruppe? 4 Macht und Ohnmacht öffentlicher Argumentation 48 Vor dem Hintergrund der Theorie der Schweigespirale erscheint die Störung der Vorlesung als Gewaltakt, da sie den Hörern der Vorlesung keine Handlungsfreiheit zuschreibt. Sie schweigen aus einer „wahrscheinlich genetisch verankerte[n] Isolationsfurcht“. (NOELLE-NEUMANN 1991, 299) Nach dieser Theorie können sie kaum anders, als sich von den Störern überwältigen zu lassen, indem sie schweigen. Die Störung erscheint als Gewalt, da es keine Freiheit auf Seiten der Betroffenen gibt. Führt man das Rede- und Schweigeverhalten jedoch nicht auf bloß biologische Faktoren zurück, sondern auf die öffentlich verfügbaren Argumentationsressourcen, so wird die machttheoretische Relevanz der Situation plausibel: Die Störer hatten die Macht zu Stören, weil sie das Argument der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit der ElternGeneration sowie der grundsätzlichen Hinterfragung von Autoritäten auf ihrer Seite hatten. Diese Topoi waren zumindest unter den Studierenden schlicht zu mächtig, wenngleich sie aktiv nur von einer Minderheit vertreten wurden. Die Befürworter der Vorlesung hatten keine entsprechenden Macht-Ressourcen zur Verfügung, auch deshalb, weil sie eben keine „Gruppe“ waren, wie Noelle-Neumann schreibt, sondern vereinzelte Individuen, die nicht zu ‚gemeinsamem Sprechen-und-Handeln‘ fähig waren. Eine häufige Reaktion auf derartige Ohnmacht in öffentlichen Auseinandersetzungen ist die Konstitution eigener Teil-Öffentlichkeiten, die sich vom ‚Mainstream‘ einerseits und von anderen Teil-Öffentlichkeiten andererseits, abgrenzen. So berichtet Noelle-Neumann, Ziel des von ihr gegründeten Mainzer Instituts für Publizistik sei es gewesen, eine Art Nische für konservative Studierende einzurichten: „Wir wollten erreichen, daß Studenten jeder politischen Richtung sich frei fühlten, ihre Überzeugung auszusprechen, nicht nur die links stehenden Studenten, die fühlten sich im Meinungsklima der Zeit ohnehin frei, sondern auch die konservativ orientierten. Wahrscheinlich ist das weitgehend gelungen; nicht in allen Jahren, aber doch immer mehr.” (NOELLE-NEUMANN 1990, 230) Trifft eine solche Teil-Öffentlichkeit auf breite gesellschaftliche Resonanz, so kann man von einer sozialen Bewegung sprechen, deren Teil-Öffentlichkeit – wenn die Bewegung erfolgreich ist – sich nach und nach mit dem ‚Mainstream‘ vermischt und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse verändert. 4.4 Die Macht der Öffentlichkeit Wer also gesellschaftlich etwas bewirken will, benötigt Öffentlichkeit, um die hierfür notwendige Machtressourcen zu mobilisieren bzw. erst zu erzeugen. Nach dem ArenaModell von Öffentlichkeit muß dies durchaus nicht sofort die massenmediale Öffentlichkeit sein. Insbesondere soziale Bewegungen generieren ihre Macht zunächst auf 4 Macht und Ohnmacht öffentlicher Argumentation 49 der Ebene von Veranstaltungsöffentlichkeiten. Mit zunehmender Professionalisierung und Institutionalisierung entstehen auch (massen)mediale Teilarenen zur Selbstverständigung der Mitglieder und Interessenten, die damit vor allem einem erweiterten Publikum Rechnung tragen. Die Übergänge zu klassischen massenmedialen Arenen sind dann fließend. Die tageszeitung (taz) ist ein beliebtes Beispiel für die Etablierung eines alternativen Mediums als überregionale Qualitätszeitung.65 Auch vor dem Hintergrund, daß insbesondere Zeitungsgründungen, aber auch die Einrichtung privater Fernsehanstalten, durchaus nicht nur Mittel zum Zweck der Kapitalverwertung darstellen, sondern als politische Akte zu verstehen sind, leuchtet der bisher beschriebene Zusammenhang von Macht und Öffentlichkeit ein. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist schließlich auch der Medien- und Meinungspluralismus einer der höchsten Verfassungswerte in der BRD. Allerdings stellt sich dann die Frage, inwiefern die massenmediale Arena tatsächlich als eine Arena existiert, denn es gibt ja zunächst nur eine Vielzahl von Teilarenen, die zwar einen hohen Professionalisierungsgrad und damit relativ einheitliche Kriterien der Informationsverarbeitung aufweisen, die aber – folgt man der These vom Medienpluralismus – unterschiedliche redaktionelle Linien verfolgen und damit zunächst unterschiedliche virtuelle Arenen konstruieren. Im einen Extremfall würde für die Politik also kaum eine gemeinsame Handlungsgrundlage zur Verfügung stehen. Ihre Macht wäre sehr gering, da keine gesamtgesellschaftliche Arena zur Generation intransitiver Macht zur Verfügung stünde. Im anderen Extrem wäre die massenmediale Arena von einer so großen Einigkeit geprägt, daß es unmöglich wäre, unkonventionelle Kommunikationen in ihnen zu plazieren. Nischen, in denen eine andere Sicht der Dinge entwickelt werden könnte, gäbe es nicht. Welches Maß an Pluralität bzw. Einigkeit richtig ist, ist eine gesellschaftstheoretische Frage, die im Rückgriff auf empirische Befunde über die Struktur und Funktionsweise einer Gesellschaft unter potentieller Beteiligung aller Betroffenen entschieden werden müßte. Im empirischen Teil dieser Arbeit kann nur beispielhaft ein kleiner Ausschnitt der Frage nach der gegenwärtigen Situation von Öffentlichkeit in der BRD bearbeitet werden. 65 Beispielsweise GERHARDS (1993) hat sich mit der Rolle der taz bei der Etablierung neuer Konfliktlinien in der öffentlichen Debatte befaßt. Vgl. auch DEMIROVIC 1994, 680ff. 5 Argumentanalyse 50 Teil II: Fallstudie 5 Argumentanalyse 5.1 Fragestellung Nachdem anhand der Argumentationstheorie vor allem Kienpointners, des Arenamodells der Öffentlichkeit von Gerhards und Neidhardt sowie der Unterscheidung von transitiver und intransitiver Macht nach Göhler öffentliche Argumentation und Macht in ein Verhältnis gesetzt wurden, stellt sich nun die Frage nach der Relevanz dieser theoretischen Annahmen für die empirische Analyse politischer Kommunikation in der Öffentlichkeit. Auf der Grundlage des oben entwickelten Modells politischer Argumentation in der Öffentlichkeit lassen sich verschiedene empirische Fragestellungen entwickeln, von denen hier jedoch nur eine in Form einer Fallstudie bearbeitet werden soll. Es wäre beispielsweise möglich zu untersuchen, ob verschiedene politische Debatten auf Grundlage derselben oder verschiedener Topoi geführt werden, also z.B. ob im Zuwanderungsdiskurs die gleichen Topoi zum Einsatz kommen, wie im Diskurs über Arbeitslosigkeit oder die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen. Interessant wäre auch die Frage, ob bei den Debatten zu den verschiedenen Auslandseinsätzen (Bosnien, Kosovo, Afghanistan ...) jeweils die gleichen Topoi angewendet wurden. Auch ließe sich die Verschiebung der politischen Bedeutung von Topoi in einer historischen Längsschnittstudie untersuchen, bei der sich dann evtl. verschiedene ‚Epochen‘ ausmachen ließen, in denen jeweils bestimmte Topoi wichtig und andere unwichtig waren. In einem zweiten Schritt könnten dann die Argumentationen in den Übergangszeiten zwischen solchen ‚Epochen‘ genauer betrachtet werden, um zu verstehen, wie solche ‚Paradigmenwechsel‘ argumentativ herbeigeführt werden konnten. Eine solche Topographie der öffentlichen Meinung könnte dazu beitragen, über die Selbstverständlichkeiten und Grenzen politischer Diskurse einer Gesellschaft aufzuklären und zu verhindern, daß bestimmte Prämissen langfristig nicht mehr thematisiert werden können, was eine Verfestigung von Machtbeziehungen zu Herrschaftsbeziehungen wäre. Zugleich wird durch die argumentationstheoretische Sicht aber auch die Notwendigkeit deutlich, in der politischen Diskussion an gegebene Prämissen anzuknüpfen, wenn man kurzfristig Macht ausüben will. Die Veränderung der Prämissen, d.h. der politischen Rationalität einer Öffentlichkeit, ist dagegen ein längerfristiges Projekt und der aktuellen 5 Argumentanalyse 51 Machtausübung entgegengesetzt. Vor diesem Hintergrund ließe sich das Verhalten politischer Akteure im Spannungsfeld zwischen kurzfristiger Machtausübung, d.h. der konkreten Realisierung politischer Maßnahmen, und langfristiger Machterhaltung bzw. Machtgewinnung analysieren. Als Analysematerial wären hier Massenmedien möglich, aber durchaus nicht notwendig. So könnten beispielsweise auch Parlamentsdebatten untersucht werden. Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive erscheint in diesem Zusammenhang besonders der Aspekt interessant, daß die Öffentlichkeit, in der die Akteure kommunizieren, eine massenmediale Öffentlichkeit ist. Zwar gibt es verschiedene Arenen, in denen öffentlich diskutiert wird, und deren ‚öffentliche Meinungen‘ durchaus für bestimmte Bereiche sehr große Bedeutung haben können, doch ist auf der Ebene der Verständigung (und Integration) einer ganzen Gesellschaft vor allem die massenmediale Öffentlichkeit relevant. Wenn aber Massenmedien nicht nur eine ‚Konstruktion von Realität‘ für das Publikum vornehmen (SCHULZ 1989; MERTEN/SCHMIDT/WEISCHENBERG 1994), sondern auch die Arena als öffentlichen Handlungsraum für die politischen Akteure konstruieren, indem sie deren Aussagen auf eine bestimmte Weise arrangieren, d.h. mit mehr oder weniger Applaus versehen, sei es durch Kommentare der JournalistInnen selbst, durch „opportune Zeugen“ (HAGEN 1992) oder durch „instrumentelle Aktualisierung“, (KEPPLINGER u.a. 1992) dann lassen sich Massenmedien als Vermittler intransitiver Machtressourcen verstehen, die den Akteuren bzw. ihren Argumenten mal mehr und mal weniger Macht zukommen lassen. Doch auch hier könnte man fragen, wo denn diese massenmediale Öffentlichkeit zu verorten sei, denn schließlich gibt es nicht eine massenmediale Arena, sondern zunächst einmal eine Vielzahl von Medien, die in ihrer Gesamtheit als ‚die‘ Massenmedien und damit aus sicht der Akteure vielleicht auch als eine Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Begreift man aber wie oben dargelegt Öffentlichkeit als eine Arena, in der die Akteure auf Grundlage bestimmter Prämissen miteinander (bzw. gegeneinander) kommunizieren, so ist es durchaus fraglich, ob in allen Medien die gleichen Prämissen gelten und damit, ob bzw. in welchem Maße es sich um eine Öffentlichkeit handelt. Das den Akteuren insgesamt zur Verfügung stehende Machtreservoir wäre damit unter anderem abhängig vom Grad der Einheitlichkeit der Medienöffentlichkeit. Eine einheitliche Öffentlichkeit gibt jenen, die mit ihr konform gehen, umfassende Handlungsmöglichkeiten. 5 Argumentanalyse 52 Die Frage, die entsprechend im folgenden anhand einer empirische Fallstudie geklärt werden soll, lautet somit: Konstruieren verschiedene Medien eine gemeinsame oder verschiedene politische Öffentlichkeiten? Oder anders formuliert: Stellen verschiedene Medien unterschiedliche intransitive Machtressourcen für die politischen Akteure zur Verfügung, indem sie Arenen mit unterschiedlichen Prämissen bereitstellen, oder gehen alle von denselben Selbstverständlichkeiten aus? Wenn in zwei oder mehr Medien in gleichem Maße auf einzelne Topoi Bezug genommen wird, so kann dieser Grad der Übereinstimmung als Integrationsgrad der analysierten Medien interpretiert werden. Je größer die beobachtete Übereinstimmung, desto stärker ist die gemeinsame Öffentlichkeit integriert, d.h. um so mehr kann von einer gemeinsamen Öffentlichkeit die Rede sein, da sie auf einem gemeinsamen ‚Grundkonsens‘ aufbaut. Ist der Integrationsgrad gering, gibt es nicht nur einen öffentlichen Diskurs, sondern mehrere, die jeweils auf unterschiedlicher Grundlage geführt werden und die gewissermaßen ‚aneinander vorbei reden‘. Der Integrationsgrad kann auch als Maß für die Offenheit einer Öffentlichkeit interpretiert werden: Je größer die Übereinstimmung, desto weniger Nischen für unkonventionelle Problematisierungen, d.h. desto geringer die Offenheit dieser Öffentlichkeit. Integration wird hier also nicht an einem inhaltlichen ‚Konsens‘ zu einem bestimmten Problem oder der öffentlichen Meinung zu einem Thema festgemacht,66 sondern schon eine Ebene ‚darunter‘, auf der Ebene relativ abstrakter Normen und Handlungsmaximen, die als legitime Diskussionsgrundlage gelten, die aber durchaus unterschiedlich interpretiert und bewertet werden können. Dieser Integrationsbegriff ist vergleichbar mit dem gängigen Begriff der Fokussierung von Themen in der Berichterstattung, die ja zunächst unabhängig von deren Bewertung ist. Auch wird meist unterschieden zwischen der gemeinsamen Fokussierung von Medieninhalten und deren Konsonanz. (z.B. NEIDHARDT/EILDERS/PFETSCH 1998, 13) Während das hier vorgestellte Konzept von Integration grob als Fokussierung von Topoi (statt von Themen) umschrieben werden kann, läßt sich analog zum Begriff der Konsonanz hier die Konformität der Toposbewertungen in verschiedenen Medien untersuchen. Selbst wenn der Bezug auf bestimmte Topoi in zwei oder mehr Medien gleichermaßen stattfindet (also bei einem hohen Integrationsgrad), so ist noch nicht gewiß, daß dies überall mit dem gleichen Erfolg geschieht, denn die Argumente, die sich 66 Dies wäre ein Integrationskonzept, wie etwa in Noelle-Neumanns Theorie der Schweigespirale beschrieben: Die Integration einer Gesellschaft wird hier an ‚Meinungskonformität‘ bzw. konformem Redeverhalten gemessen. Diese Vorstellung entspricht eher dem nachfolgend vorgestellten Konzept von Konformität. 5 Argumentanalyse 53 jeweils auf einen bestimmten Topos beziehen, stehen selten allein, sondern es gibt weitere Äußerungen, die sie loben oder kritisieren. Im Extremfall könnten die gleichen Argumente in einem Medium mit ausschließlich positiver und im anderen mit ausschließlich negativer Resonanz versehen werden. Es kann neben dem Integrationsgrad also auch nach dem Konformitätsgrad einer aus mehreren Medien zusammengesetzten Öffentlichkeit gefragt werden. Während der Integrationsgrad danach fragt, inwieweit bestimmte Topoi überall gleichermaßen verwendet werden können, geht es beim Konformitätsgrad darum, ob auf sie auch gleich reagiert wird, d.h. ob sie überall gleich bewertet werden. In der folgenden Fallstudie wird anhand des Integrations- und des Konformitätsgrades einzelner Medienöffentlichkeiten untersucht, inwiefern diese eine gemeinsame Öffentlichkeit konstruieren. Die Umsetzung der Fragestellung erfolgt anhand einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Form der quantitativen Inhaltsanalyse, wobei jedoch auf die Erfahrungen mit der von Hans-Jürgen WEIß (1992) entwickelten Methode der Argumentationsanalyse zurückgegriffen werden konnte. Als thematischer Rahmen der Fallstudie dient die Debatte um die Erneuerung des deutschen Zuwanderungs- und Ausländerrechts im Jahr 2001. 5.2 Untersuchungsmaterial Prinzipiell könnte die Fragestellung auf ganze Mediensysteme bezogen werden, die dann hinsichtlich ihres Integrations- und Konformitätsgrades verglichen werden könnten.67 Aber auch die Analyse einzelner weniger Zeitungen könnte bereits Hinweise darauf geben, in welchem Maße die Medienöffentlichkeit tatsächlich eine gemeinsame Öffentlichkeit bildet oder ob mehrere Teilöffentlichkeiten existieren. Interessant wäre auch gewesen, zumindest ein ‚Außenseiter‘-Medium mit in die Analyse einzubeziehen. Da das Untersuchungsmaterial 68 forschungsökonomischen Gründen aus einem Projektseminar jedoch aus übernommen wurde, konnte dies nicht berücksichtigt werden. Untersucht wurden eine überregionale Qualitätszeitung (Süddeutsche Zeitung), eine regionale Abonnementzeitung (Der Tagesspiegel, Berlin) und eine Boulevardzeitung (Bild, Ausgabe Berlin-Brandenburg). Die zu analysierenden Artikel wurden danach ausgewählt, ob sie sich mit der Neuregelung des 67 Denkbar ist auch ein internationaler Vergleich, z.B. bei der Analyse der europäischen Integration. Zu untersuchen wäre hier, inwieweit die Massenmedien der verschiedenen Ländern der EU bereits eine gemeinsame Öffentlichkeit bilden. 5 Argumentanalyse 54 Ausländerrechts in Deutschland befassen und einen konkreten Regelungsbezug hierzu aufweisen. Näheres zur Fallauswahl ist im Abschnitt 2.1 des Codebuchs (Anhang A) beschrieben. Für die vorliegende Arbeit wurde als Untersuchungszeitraum die 31. Kalenderwoche 2002 (29.7.-4.8.02) ausgewählt. Dies ist die Woche mit den meisten Untersuchungseinheiten (54 Artikel), da Innenminister Schily am 3.8. seinen ersten Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz vorstellte. Bereits vor dem 3.8. waren einige Details des Entwurfs öffentlich geworden, so daß in der ganzen Woche intensiv über das Thema Zuwanderung und Integration diskutiert wurde. Wegen des hohen Codieraufwandes für einen einzelnen Codierer war eine Ausweitung des Untersuchungszeitraumes um eine weitere Woche aus Zeitgründen nicht möglich. 5.3 Hypothesen / Erwartungen Die zur Verfügung stehenden Zeitungen Süddeutsche, Tagesspiegel und Bild lassen sich kaum als repräsentative Stichprobe für die deutsche Zeitungslandschaft ansehen, so daß die Ergebnisse der folgenden Fallstudie auch nur für diese Zeitungen stehen können und keinesfalls auf andere Medien verallgemeinerbar sind. Da zudem nur ein sehr beschränkter Zeitraum analysiert wird, der ebenfalls nicht repräsentativ für die gesamte Zuwanderungsdebatte ist, können auch Verallgemeinerungen in zeitlicher Hinsicht allenfalls eine heuristische Funktion haben. Auch über die Argumentationshintergründe, die diese Zeitungen in anderen Debatten – etwa der Gentechnik-Debatte – konstruieren, kann selbstverständlich anhand des vorliegenden Materials keine Aussage gemacht werden. Insgesamt sind die Ergebnisse also vor dem Hintergrund der Frage zu interpretieren, ob das Thema Zuwanderung und Integration zu dem Zeitpunkt, als Innenminister Schily seinen ersten Gesetzentwurf für ein Zuwanderungsgesetz vorlegte, in den drei Zeitungen eher vor gemeinsamen oder stark unterschiedlichen Selbstverständlichkeiten diskutiert wurde. Unterschiede in der Argumentationsweise zwischen den Zeitungen sind vor allem dort zu erwarten, wo Journalisten selbst argumentieren, also in subjektiv gefärbten Genres wie Kommentar, Leitartikel, Feature, Hintergrundbericht etc. Zwar können auch in der Nachrichtenform, die auf eine neutrale Wiedergabe der Argumente anderer Akteure zielt, die vorhandenen Argumente unterschiedlich ausgewählt und arrangiert 68 Es handelt sich um das Seminar „Argumentationsanalysen II: Der öffentliche Diskurs zur Zuwanderungsproblematik in Deutschland“, das von Hans-Jürgen Weiß im Sommersemester 2002 an der FU Berlin durchgeführt wurde. 5 Argumentanalyse 55 werden. Deutlicher dürften evtl. vorhandene Unterschiede jedoch in den subjektiven Genres feststellbar sein. Bei den hier analysierten Zeitungen ist zu erwarten, daß Tagesspiegel und Süddeutsche eher untereinander Gemeinsamkeiten aufweisen als mit Bild, da sie im Gegensatz zur Bild-Zeitung eher dem liberalen Spektrum zugerechnet werden. Auch die Ambitionen des Tagesspiegel, sich als überregionale Zeitung zu etablieren, lassen hinsichtlich der Fragestellung eine Konvergenz zur Süddeutschen erwarten. 5.4 Operationalisierung und Durchführung Die Herausforderung der Untersuchung liegt darin, daß mit den Mitteln der quantitativen Inhaltsanalyse versucht werden soll, solche Aspekte der Medienöffentlichkeit zu erfassen, die traditionell eher mit qualitativ-interpretativen Methoden der Textanalyse zugänglich gemacht wurden.69 Da wegen des hohen Aufwandes bei qualitativen Studien meist nur eine geringe Zahl oft willkürlich ausgewählter Texte analysiert wird und zudem die einzelnen Analyseschritte wenig explizit gemacht werden, ist die Verallgemeinerung der Ergebnisse solcher Untersuchungen oftmals fragwürdig, wenngleich sie subjektiv befriedigend oder plausibel sein mögen. Auf der anderen Seite leiden quantitative Inhaltsanalysen bisweilen darunter, daß sie einige inhaltliche Aspekte und Zusammenhänge, die vom Alltagsverstand durchaus intuitiv verstanden werden, nicht erfassen kann, da diese ‚Intuition‘ nicht immer leicht in Codieranweisungen zu fassen ist. Die Vertreter der sogenannten quantitativen Inhaltsanalyse waren bzw. sind nämlich – der intersubjektiven Überprüfbarkeit der Untersuchungen wegen – prinzipiell bemüht, ausschließlich manifeste Kommunikationsinhalte sprichwörtliche „black marks-on-white“ (1952, 19). zu erfassen, also BERELSONS Das ‚Zwischen-den-Zeilen-lesen‘ sollte auf die Datenauswertung verschoben werden: „‘Reading between the lines‘, so to speak, must be reserved to the interpretation stage, at which time the investigator is free to use all of his powers of imagination and intuition to draw meaningful conclusions from the data“ (HOLSTI 1969, 12f) Eine solch strenge Trennung qualitativer und quantitativer Aspekte von Inhaltsanalyse wird jedoch heute kaum noch so vertreten. Sowohl FRÜH (2001, 74) als auch MERTEN (1995, 50ff) plädieren daher für eine konstruktive Verbindung qualitativer und quantitativer Ansätze, wobei es die „Aufgabe des Forschers ist ..., die Spannweite des Interpretationsspielraums zu bestimmen. Er kann die Analyse auf völlig evidente, d.h. unzweifelhaft eindeutige Indikatoren 69 Auch GERHARDS (1991, 315) stellt für die Weiterentwicklung der Diskursanalyse die Frage: „Welchen Weg gibt es zwischen der Scylla der subjektiven Hermeneutik und der Charybdis der quantitativen Inhaltsanalyse, die Sinnzusammenhänge nicht zu fassen vermag?“ 5 Argumentanalyse 56 beschränken oder auch noch hinlänglich plausible und bei unterschiedlicher sprachlicher Sozialisation verschieden interpretierte Indikatoren in die Analyse einbeziehen.“ (FRÜH 2001, 124) Zur Beantwortung der hier vornehmlich interessierenden Frage nach den Selbstverständlichkeiten, auf denen die Argumente in einer Öffentlichkeit aufbauen können, muß zum Teil in hohem Maße auf kulturell vorhandenes Vorwissen der Codierer zurückgegriffen werden, vor dessen Hintergrund die Argumente im Text interpretiert und der jeweils zugrunde liegende Topos erst erschlossen werden kann. Ein solcher Rückgriff auf Vorwissen erfolgt jedoch prinzipiell bei jeder Inhaltsanalyse, auch wenn relativ eindeutige Inhalte codiert werden. Neu ist hier lediglich, daß dieses Wissen nicht bloß mehr oder weniger unbewußt angewendet wird, sondern nun zur Basis eines expliziten Rekonstruktionsprozesses gemacht wird, der teilweise relativ viel Interpretationsleistung erfordert. Letztlich geht es hier um die Frage, wieviel Interpretationsleistung vom Codierer erbracht werden kann bzw. soll (‚Mikro-Interpretation‘) und wieviel erst bei der Datenanalyse (‚Makro-Interpretation‘).70 Wenngleich die Rolle des Codierers in der neueren Methodenliteratur zunehmend diskutiert wird, (WIRTH 2001) handelt es sich hier nicht so sehr um eine theoretische als vielmehr um eine praktische Frage der Realisierung eines bestimmten Forschungsvorhabens. Je mehr eine Inhaltsanalyse auf kontextabhängige latente Textmerkmale zielt, desto höher ist der Interpretationsaufwand der Codierer. Ausführliche Erläuterungen zum Kategoriensystem können dann zwar dazu beitragen, überflüssige Grauzonen zu verringern, alle Eventualitäten können aber natürlich nicht berücksichtigen. Das für die vorliegende Arbeit verwendete Kategoriensystem ist ausführlich im Codebuch (Anhang A) dokumentiert. Nachfolgend werden die Vorgehensweise und die zentralen Variablen nur zusammenfassend dargestellt und über die Erfahrung während der Erhebung berichtet. 5.4.1 Kategorien auf Artikelebene Die Kategorien für die Analyse auf Artikelebene wurde aus dem Seminar (vgl. FN 68) unverändert übernommen. Im Rahmen dieser Arbeit sind auf Artikelebene jedoch nur 70 Im Extremfall einer rein qualitativen Analyse eines einzelnen Textes würden Mikro- und MakroInterpretation zusammenfallen. Die Interpretation eines Textmerkmals ist zugleich auch schon Teil der Gesamt-Interpretation. Im Extremfall einer rein quantitativen Analyse wäre eine Interpretation auf MikroEbene völlig ausgeschlossen bzw. optimal standardisiert, so daß alle Codierungen völlig eindeutig sind, wie etwa bei der computerunterstützten Inhaltsanalyse. Interpretationsspielraum gibt es einzig auf der MakroEbene, d.h. bei der Datenauswertung. 5 Argumentanalyse 57 wenige formale Variablen relevant, die hier nicht weiter erläutert werden müssen: Zeitung, Datum, Genre und Artikelumfang. (Vgl. hierzu Abschnitt 2.3 des Codebuchs in Anhang A) 5.4.2 Kategorien auf Argument-Ebene71 Identifikation eines Arguments Die Codiereinheit ist das Argument. Die Identifikation eines Arguments erfolgt anhand zweier Zugriffskriterien, von denen eines erfüllt sein muß: Entweder es wird explizit eine Forderung oder ein Vorschlag zur Gestaltung des neuen Ausländerrechts gemacht oder eine Aussage, die als Begründung für eine Forderung zu verstehen ist, wobei die Forderung selbst aber nicht explizit genannt wird, sondern mehr oder weniger eindeutig aus der Begründung hervorgeht. Beispielsweise impliziert die Aussage „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ – auch ohne daß dies expliziert wird – im Kontext des Zuwanderungsdiskurses „... deshalb soll Zuwanderung mehr beschränkt werden.“ In beiden Fällen werden nur aktuelle Forderungen beachtet, die noch nicht umgesetzt worden sind. Die nachträgliche Rechtfertigung der Verschärfung des Asylrechts im Jahr 1993 beispielsweise stellt also kein Argument im Sinne dieser Untersuchung dar. Ein Argument gleichen Inhalts wird innerhalb eines Artikels für jeden Akteur, der es äußert, nur einmal codiert, auch wenn es an verschiedenen Stellen des Artikels immer wieder aufgegriffen wird. Die Mehrfacherwähnungen dienen bei der Codierung dann der Präzisierung und Vervollständigung des Arguments. Ein Argument ist daher nicht identisch mit einer Aussage oder einem Satz, sondern es stellt i.d.R. eine begründete oder unbegründete Forderung eines Akteurs dar, wobei sowohl die Begründung getrennt von der Forderung als auch eine zunächst allgemein gehaltene Forderung später im Text spezifiziert werden kann. Codiert wird dann die spezifische Variante. (Ausnahmen siehe Abschnitt 3.1.3 im Codebuch, Anhang A) Da das zentrale Interesse der Analyse weder der konkreten Forderung noch der spezifischen Begründung gilt, sondern dem Topos, auf den sich beide stützen, wird die Forderung und die Begründung lediglich als Text-Variable erfaßt, um später die Orientierung im Datensatz zu erleichtern, nicht jedoch für eine statistische Auswertung. Die Notierung von Forderung und Begründung sind auch wichtig, um im weiteren Codierprozess das jeweils zu codierende Argument deutlich vor Augen zu haben, denn im 71 Neben den in hier bzw. im Codebuch (Anhang A) aufgeführten, wurden weitere Variablen erhoben, die jedoch nicht in die vorliegende Auswertung eingegangen sind und daher nicht dokumentiert werden. Dazu 5 Argumentanalyse 58 Zeitungstext ist es oftmals eng mit anderen Argumenten verwoben oder steht an verschiedenen Stellen des Textes. Codierung von Forderung und Begründung Sobald also eine implizite oder explizite Forderung gefunden wurde, wird dieser Fall codiert. Dabei ist eine Codierung bei allen Variablen relativ problemlos möglich, wenn eine Begründung der Forderung explizit vorhanden ist. Wie jedoch schon KUHLMANN (1999, 284f) festgestellt hat, wird nur ein kleiner Teil der durchaus strittigen Aussagen tatsächlich begründet, wobei Kuhlmann das Fehlen der Begründungen in der Berichterstattung nur teilweise auf die Selektion der Medien zurückführt, da auch die von ihm analysierten Pressemitteilungen nur unvollständig begründet sind. Nimmt man nun an, daß sowohl von den Argumenturhebern als auch von den Medien vor allem diejenigen Begründungen weggelassen werden, die – aus ihrer Sicht – als selbstverständlich bzw. als bekannt vorausgesetzt werden können, dann sollte es möglich sein, daß auch der Codierer diese Begründung als Rezipient ‚versteht‘ und entsprechend codieren kann. Die Frage, die sich der Codierer also stellen muß, wenn es um die Rekonstruktion einer Begründung geht, ist: „Warum ist diese Forderung richtig?“ Bei der Beantwortung bleibt er zunächst noch im Text und sucht dort nach Anhaltspunkten, die die Forderung annehmbar erscheinen lassen. Pretests haben ergeben, daß viele Begründungen schon anhand der Formulierung der Forderung mehr oder weniger eindeutig erschlossen werden können. Wenn also beispielsweise gefordert wird, daß die menschenunwürdigen Bedingungen der Flughafenunterkünfte verbessert werden sollen, so ist deutlich erkennbar, daß dies mit den Menschenrechten oder dem Grundsatz der Humanität begründet wird. Etwas weniger deutlich geht die Begründung aus der Forderung hervor, Zuwanderung müsse stärker an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiert werden. Es liegt jedoch nahe, die Forderung darin begründet zu sehen, daß dies der deutschen Wirtschaft zugute kommt. Zugleich verdeutlicht dieses Beispiel, wie schnell auch der restliche Artikel bei der Suche nach einer plausiblen Begründung relevant werden kann. So können beispielsweise die Äußerungen anderer Akteure Aufschluß über Begründungen geben oder auch andere Forderungen desselben Akteurs, die in eine ähnliche Richtung gehen. Dabei geht es nicht darum, genau die Begründung zu finden, die der Argumenturheber ursprünglich im Kopf hatte, sondern darum, was im Diskussionskontext als plausible Begründung erscheint. Deshalb kann auch über den gehören insbesondere mehrere Akteursvariablen: Argumenturheber, Urheber der Bewertung, positiv und negativ betroffene Gruppen u.a. 5 Argumentanalyse 59 Text hinaus das allgemeine Wissen über die Zuwanderungsdebatte herangezogen werden, um eine plausible Begründung zu codieren.72 Nicht immer wird eine Begründung aber eindeutig erschließbar sein. Beispielsweise könnte die Forderung eines Landespolitikers „Der Bund soll sich an den Integrationskosten beteiligen“ einerseits damit begründet werden, daß dies den Länderfinanzen zugute käme, (Finanz-Topos) andererseits aber auch mit der Verantwortung des Bundes für verursachte Migrationskosten. (VerantwortungsTopos) Um die Unsicherheiten der Datenerhebung handhabbar zu machen, die sich aus der Möglichkeit der impliziten Erschließung der Begründung bzw. der Forderung ergeben, wird in der Variable A04c bzw. A05c codiert, ob die Forderung bzw. Begründung explizit im Text stand oder nicht und auf welche Informationen bei ihrer Rekonstruktion ggf. zurückgegriffen wurde. Codierung des Topos Die Rekonstruktion der Schlußregel, die den Übergang von den Daten zur Konklusion bzw. von der Begründung zur Forderung (zur Terminologie siehe oben S. 37) annehmbar macht, erfolgt anhand einer Liste von 41 Topoi, die im wesentlichen aus einem DFGProjekt am Germanistischen Seminar der Universität Düsseldorf übernommen wurde.73 Ziel des Projekt war es, aus sprachwissenschaftlicher Sicht die Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs am Beispiel des bundesdeutschen Migrationsdiskurses seit 1945 zu dokumentieren und zu analysieren.74 Der diskursgeschichtlichen Ansatz war darauf angelegt, „vorkommende und dominierende Denkfiguren zu verschiedenen Zeiten des ‚Diskurses‘ zu erfahren und somit die Denkweisen und Wirklichkeitskonstruktionen zu diesem Thema über einen längeren Zeitraum hinweg vergleichen zu können.“ (WENGELER o.J.) Da einzelne Argumente zu Migration immer stark auf eine bestimmte Situation bezogen sind und es daher prinzipiell unendlich viele verschiedene Argumente geben kann, ist ein solcher Vergleich nur möglich ist, wenn man von den einzelnen kontextspezifischen Argumenten abstrahiert und allgemeinere „Argumentationsmuster“ identifiziert, die sich 72 Die Codierung eines Begründung ist deshalb so wichtig, weil ohne Begründung kein Topos codiert werden kann. Letztlich ist die Codierung einer Begründung als Klartext nur die Vorstufe für die Codierung der Zentralen Kategorie des Topos, der als eine allgemeinere Form der Begründung angesehen werden kann. Argumente, für die keine Begründung und damit kein Topos codiert werden konnte, liefern für die anschließende Datenanalyse keine Informationen, so daß die Datenbasis geringer wird. 73 Das Projekt „Die Einwanderungsdiskussion im öffentlichen Sprachgebrauch seit 1945“ wurde von Georg Stötzel unter Mitarbeit von Dr. Karin Böke, Dr. Matthias Jung, Dr. Thomas Niehr, Dr. Martin Wengeler von 1994 bis 1998 realisiert. 74 Wichtige Teile des Projekts sind dokumentiert unter: http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/germ/germ1/dfg_proj.htm Martin Wengeler hat basierend auf dem Projekt seine Habilitationsschrift über Topoi verfaßt, die in Kürze erscheinen wird (WENGELER 2001) 5 Argumentanalyse 60 in verschiedenen Kontexten immer wieder finden lassen. Zu diesem Zweck wurde anhand des Materials (Zeitungsartikel) eine Liste von Topoi mit Erläuterungen erstellt, die dann in der eigentlichen Erhebung in den Artikeln gesucht wurden. Diese Topoi wurden fast75 unverändert übernommen. Einige Topoi wurden neu hinzugefügt, da bei den Pretests wiederholt Argumente auftauchten, die sich nicht oder nur schwer in einen der Düsseldorfer Topoi einordnen ließen.76 Die Schwierigkeit der Topos-Codierung liegt nun aber darin, daß Topoi als notwendig stark empirie-geleitete Kategorien kaum je den Anspruch erfüllen können, trennscharf zu sein, d.h. es wird immer Argumente geben, die prinzipiell mehreren Topoi zugeordnet werden können, da Argumente im Alltagsgebrauch durchaus nicht nur die Gültigkeit eines einzigen ‚Topos‘ voraussetzen. Dies liegt darin begründet, daß bei jeglicher Kommunikation stets eine Vielzahl von Prämissen gemacht werden, die weder alle bewußt, noch alle je sprachlich expliziert werden können. Wenn also beispielsweise gefordert wird, die Aufenthaltsgenehmigung für Spitzenkräfte solle nicht auf 5 Jahre beschränkt sein, weil diese sonst nicht nach Deutschland kommen wollten, so wird hier nicht nur der Topos vom wirtschaftlichen Nutzen77 impliziert sondern auch, daß die Aufenthaltsgenehmigung derzeit offenbar beschränkt ist, daß Spitzenkräfte der Wirtschaft tatsächlich nutzen bzw. daß vor allem sie das tun, daß es Spitzenkräfte überhaupt gibt, daß es die beschränkte Aufenthaltsgenehmigung ist, die sie abhält nach Deutschland zu kommen, daß es Aufenthaltsgenehmigungen prinzipiell geben soll, daß ihrer Erweiterung auch sonst nichts entgegensteht usw. Je nach Kontext kann dieses Argument sogar bedeuten, daß nur die Aufenthaltsgenehmigung für Spitzenkräfte, nicht aber die anderer Gruppen erweitert werden soll. Da es keinen Sinn macht, all diese Implikationen zu rekonstruieren, muß zwischen der Schlußregel, die für die Gültigkeit des Arguments zwingend notwendig ist, und nebensächlichen Hintergrundannahmen unterschieden werden. 75 Die Formulierung wurde von der in Düsseldorf gewählten Form „weil A, deshalb soll B“ geändert in eine Form, die die Funktion der Topoi als Schlußregeln deutlich macht: „wenn A, dann soll B“. Außerdem wurden diejenigen Topoi weggelassen, die nach KIENPOINTNER (1992, 246) als „schlußregelstützende Topoi“ klassifiziert wurden, da solche Topoi auf einer anderen Analyseebene liegen. Sie rechtfertigen nicht den Übergang von Begründung zur Konklusion sondern sie stützen (entsprechend dem Backing bei Toulmin) andere Topoi, die die Funktion einer Schlußregel einnehmen. Vgl. hierzu auch S. 36. 76 ‚Codiereinheit‘ im Düsseldorfer – methodisch eher qualitativ ausgerichteten – DFG-Projekt war der Artikel. Es wurde ‚codiert‘, welche Topoi in einem Artikel vorkamen, nicht aber jedem Argument im Artikel ein Topos zugeordnet, so daß dieses Problem dort nicht entstehen konnte. So wurden Argumente, die sich mit der Frage befassen, an welcher Stelle (zentral oder dezentral) Entscheidungen über Zahl und Qualifikation der MigrantInnen getroffen werden sollen, vermutlich nicht berücksichtigt, weil sie nicht den Kern des Zuwanderungsdiskurses bilden. In der vorliegenden Untersuchung gehören solche Argumente jedoch zur Stichprobe. 5 Argumentanalyse 61 KIENPOINTNER (1992b, 42) bezeichnet Schlußregeln bzw. Topoi in diesem Zusammenhang als „hochgradig konventionalsierte Implikationen“, die etwas über das logische Minimum78 hinausgehen, das nötig wäre, um dem Argument zu formaler Gültigkeit zu verhelfen. Je mehr man jedoch den Kontext berücksichtigt, um so mehr wird es möglich bzw. auch notwendig, mehr als nur jene konventionalisierten Implikationen als Schlußregel zu rekonstruieren, „etwa wenn der Kontext klarstellt, daß der Sprecher auf Grundlage eingeschränkterer oder, im Gegenteil generellerer Schlußregeln argumentiert. Die Fülle und Komplexität der dabei zu berücksichtigenden Kontext-Faktoren erklären die praktischen Schwierigkeiten und Divergenzen empirischer Argumentationsanalysen; der über den Bereich des semantischen konversationellen Minimums hinausgehende Inhalt von Schlußregeln ist eben nur über kontextspezifische Konversationsimplikationen faßbar. So erklären sich auch die häufig auftretenden Uneinigkeiten von Sprechern über die korrekte, falsche oder sogar böswillige Interpretation der ihrer Argumentation zugrundeliegenden Schlußregeln.“ (KIENPOINTNER 1992b, 42f) Das hier beschriebene Problem der Codierung eines Topos für jedes Argument ist also kein rein methodisches Problem, sondern spiegelt die – oft sogar bewußt gebrauchte – Mehrdeutigkeit der Sprache. Selbst wenn man den Sprecher des Arguments fragen würde, ob für sein Argument eher Schlußregel A oder eher Schlußregel B relevant ist, wäre dies allenfalls befriedigend, wenn es darum geht, die Intention des Argumenturhebers zu erfahren. Doch für die Plausibilität von Argumenten und damit für ihre Macht ist die Meinung des Sprechers völlig unerheblich. Was zählt, ist vielmehr, wie sein Argument in der Öffentlichkeit verstanden wird. Da die Medienöffentlichkeit aber als Arena virtuell ist, gibt es keine Instanz, die man hinsichtlich dieses Verständnisses befragen könnte.79 Ziel des Codebuchs kann es daher nur sein, Leitlinien für die Anwendung des Alltagsverstandes des Codierers zu geben, wobei man mit FRÜH (2001, 124) annehmen kann, daß sich unterschiedliche Interpretationen insbesondere bei größeren Datenmengen letztlich neutralisieren. Die Liste der Topoi und ihrer Codes wurde aus dem Codebuch ausgegliedert. (Anhang B) Folgende grundlegenden Regeln gelten bei der Codierung des Topos: 77 „Wenn eine Handlung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten einen / keinen Nutzen bzw. Schaden erbringt, dann sollte sie ausgeführt / nicht ausgeführt werden.“ 78 Zum logischen Minimum siehe S. 39. 79 Die von Noelle-Neumann entwickelten Umfragetechniken zur Messung der öffentlichen Meinung (Klimafrage „Was denken die meisten?“, Eisenbahntest, Buhtest, Exponierbereitschaft, Zukunftsprognose „Welche Meinung nimmt zu, welche nimmt ab?“) bieten einen gewissen Zugang zu den (aktuellen) Selbstverständlichkeiten der gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit. (NOELLE-NEUMANN 1991, 23ff, 56ff, 300ff, 317ff) Die Medien werden dabei aber lediglich als wichtiger Faktor bei der Herstellung dieser öffentlichen Meinung gesehen. Welche Regeln innerhalb der Medienöffentlichkeit(en) gelten, läßt sich mit diesen Mitteln jedoch nicht messen. 5 Argumentanalyse - 62 Der Topos ist die Antwort auf die Frage nach der allgemeinen Norm, deren Akzeptanz auch die Akzeptanz des Arguments wahrscheinlich macht, bzw. deren Ablehnung die Akzeptanz des Arguments unwahrscheinlich macht. - Kommen mehrere Topoi in Frage, muß der Topos gewählt werden, der näher am „kommunikative Fokus“ (FRÜH 2001, 56) des Arguments bzw. des Artikels liegt. - Es ist zu unterscheiden zwischen dem Motiv, mit dem ein Argument vorgetragen, und dem Ziel, mit dem es begründet wird. Politische Forderungen werden eher mit Zielen als mit Motiven begründet, da Zielen ein höherer Akzeptanzgrad unterstellt werden kann. (KUHLMANN 1999, 190f) Es ist deshalb darauf zu achten, daß Topoi solche Zielvorstellungen (allgemeine Normen) und nicht die persönlichen Motive der Argumenturheber repräsentieren. - Topoi, die sich ähnlich sind, sind in den Codeerläuterungen voneinander abgegrenzt. Bevor ein bestimmter Topos codiert wird, sollte geprüft werden, ob nicht ein ähnlicher Topos besser zutrifft. - Das Verhältnis der Topoi läßt sich einerseits horizontal (Ähnlichkeit), anderseits hierarchisch bestimmen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um feststehende Beziehungen, sondern nur um mögliche, d.h. je nach der konkreten Verwendungsweise eines Topos kann dieser ein Spezialfall eines anderen sein oder nicht. Speziellere Topoi, die in der Liste mit dem Vermerk „Möglicher Spezialfall von Topos X“ versehen sind, sollten nur dann codiert werden, wenn es Hinweise darauf gibt, daß die speziellere Version des Topos gemeint ist.80 Codierung der Tendenz Die Tendenz des Arguments wird in zwei Dimensionen codiert: Tendenz bezogen auf die Zuwanderungsproblematik und Tendenz bezogen auf die Integrationsproblematik. Erstere gibt an, ob das Argument eher für eine Erweiterung der Zuwanderung oder eher für eine stärkere Begrenzung der Zuwanderung plädiert. Bei letzterer geht es nicht nur darum, ob mehr Assimilation oder mehr ‚Multikulti‘ gefordert wird, sondern auch um die Behandlung der in Deutschland lebenden MigrantInnen allgemein, d.h. ob sie eher Restriktionen unterworfen oder eher gefördert werden sollen. Die Unterscheidung zwischen „Zuwanderungsproblematik“ und „Integrationsproblematik“ wird dabei nicht an den letztlichen Auswirkungen der geforderten Maßnahme festgemacht, sondern an den 80 So kann der Mißbrauchs-Topos als Spezialfall des Belastungs-Topos verstanden werden, wenn Mißbrauch vor allem als Belastung angesehen wird. Er kann aber auch als Spezialfall des Realitäts-Topos verstanden werden, wenn ‚es Mißbrauch nun einmal gibt‘. Der Mißbrauchs-Topos wird nur codiert, wenn eine Forderung vor allem mit Mißbrauch begründet wird und nicht allgemein mit Belastung, und wenn auch nicht der Aspekt der Realität im Vordergrund steht, von der Mißbrauch nur ein Teilaspekt ist. 5 Argumentanalyse 63 betroffenen Personen. Maßnahmen, die die Einreisemöglichkeiten von Personen, die noch nicht in Deutschland sind, verändern, beziehen sich auf die Zuwanderungsproblematik. Maßnahmen, die MigrantInnen betreffen, wenn sie in Deutschland sind, betreffen die Integrationsproblematik. Demnach gehört also Abschiebung zur Integrationsproblematik, auch wenn es als ‚negative Zuwanderung‘ aufgefaßt werden könnte. Die Frage des Familiennachzugs betrifft beide Dimensionen: Als Recht hier lebender Familien betrifft es Integration. Als Einreiseerlaubnis bzw. – verbot für die Kinder betrifft es Zuwanderung. Codierung der Bewertung Die zentrale Variable zur Bestimmung der Macht von Argumenten bzw. der Topoi, auf denen sie beruhen, wird als Kontexteinheit zu jedem Argument erhoben: Die Zustimmung bzw. Ablehnung, die es in seinem jeweiligen Kontext erfährt. Pro Argument können bis zu vier Bewertungen codiert werden. Da in differenzierten Argumentationen durchaus verschiedene Aspekte eines Arguments bewertet werden können, sollte in einer weiteren Variable der Bewertungsgegenstand codiert werden, denn es macht ja einen Unterschied, ob beispielsweise das Argument selbst oder der Argumenturheber kritisiert wird. Ebenso ist es möglich, einer Forderung grundsätzlich zuzustimmen, jedoch die Begründung für falsch zu halten usw. Bereits während der Codierung stellte sich jedoch heraus, daß nur in sehr vereinzelten Fällen (5 Prozent aller Bewertungen) auf einen spezifischen Aspekt des Arguments bezug genommen wurde. Die meisten Bewertungen lobten bzw. kritisierten undifferenziert das gesamte Argument, was letztlich eine Bewertung der Forderung bedeutet. Für eine Analyse von Argumenten in Massenmedien ist eine solche Differenzierung also nicht nötig. Codierung der Bedeutung des Arguments Um dem unterschiedlichen Gewicht, das einzelne Argumente innerhalb eines Artikels haben, gerecht zu werden, wird zuletzt noch codiert, ob das Argument ‚völlig randständig/eher unwichtig‘, ‚wichtig neben anderen‘ oder ‚ein zentrales Argument des Artikels‘ ist. Als ‚Normalfall‘ wird hier die mittlere Kategorie angenommen und dann ggf. nach oben oder unten korrigiert. 5.4.3 Codierung und Reliabilitätstest Das Codebuch wurde mehreren Pretests mit verschiedenen Probe-Codierern unterzogen. In den drei Test-Durchläufen, in denen Reliabilitätstests durchgeführt wurden, lag der 5 Argumentanalyse 64 Reliabilitätskoeffizient81 bei der Identifikation der Codiereinheiten (Argumente) bei .74 / .91 / .86 und bei der Codierung der zentralen (nicht formalen) Variablen bei durchschnittlich .67 / .76 / .60. Da der Codeplan nach diesen Test noch teilweise modifiziert wurde, sind diese Größen nur als grobe Richtgrößen zu verstehen, die zudem auf keiner ausführlichen Codiererschulungen aufbauen können.82 Die Erfahrungen aus den Codier-Tests konnten jedoch für einige wichtige Verbesserungen des Codebuchs verwendet werden.83 Die Daten, die die Grundlage der nachfolgenden Auswertung dienen, wurden von mir selbst erhoben. Ein Intra-Coder-Reliabilitätstest wurde ca. sechs Wochen nach Beendigung der Erhebung anhand von 5 zufällig ausgewählten Artikeln durchgeführt. In diesen Artikeln wurden zuerst 37 und zuletzt 36 Argumente codiert. Bei der Identifikation der Argumente ergab der Test einen Reliabilitätskoeffizienten von .86 und bei den zentralen Variablen84 durchschnittlich .77, wobei die Topos-Variable mit einem Wert von lediglich .61 nach wie vor die größten Reliabilitäs-Probleme bereitet. Eine Übereinstimmung von 61 Prozent mag zwar im allgemeinen gerade noch als akzeptabel erscheinen, beachtet man jedoch die zentrale Rolle dieser Variablen bei der nachfolgenden Auswertung, ist dieser Wert – erst recht zusammen mit der 85prozentigen Argumentidentifikation – nach den Kriterien streng quantitativer Inhaltsanalyse nicht akzeptabel. Ein Teil der nicht übereinstimmenden Toposcodierungen ist allerdings nicht auf unterschiedliche Codierungen zurückzuführen, sondern darauf, daß in einem Fall kein Topos codiert wurde, weil keine Begründung rekonstruiert wurde. Wie oben (S. 56) diskutiert, war ein nach rein quantitativen Kriterien problematisches Ergebnis jedoch zu erwarten, weswegen für eine Verbindung qualitativer, interpretativer Verfahren mit einer auf quantitative Auswertung bezogenen Methodik plädiert wurde. Eine Überprüfung der ‚Fehlcodierungen‘ im Intra-Coder-Test zeigt, daß es bei den voneinander abweichenden Codierungen schwierig ist, allgemeine Kriterien festzulegen, anhand derer die eine oder andere Codierung als ‚falsch‘ bezeichnet werden 81 CR = 2 x Zahl übereinstimmender Codierungen / (Zahl Codierungen1 + Zahl Codierungen2) Die Probecodierungen fanden in einem Zeitraum von etwa vier Wochen statt. Zum Vergleich: GERHARDS/LINDGENS (1995, 33) geben an, daß die Schulung der Codierer für das Public Discourse Project, auf dessen Daten auch die Arbeit von FRANZ (2000b) beruht, zwei Monate in Anspruch genommen hat. Die Zeit sei vor allem für die Schulung zur Variable ‚Idee-Elemente‘ benötigt worden. Diese Variable wiederum ist vergleichbar der Topos-Variable, die auch in der vorliegenden Untersuchung die größten Reliabilitätsdefizite aufweist. 83 Vielen Dank an die ProbecodiererInnen Harald Herbich, Ansgar Koch, Kristina Kielblock, Peer Göbel, Dirk Meurer und Frederik Holst. 84 Topos (A06t), Tendenz bezogen auf Zuwanderungs- bzw. Integrationsproblematik (A08a, A08b), Bedeutung im Artikel (A13), Tendenzen der Wertungen (A09c, A10c, A11c, A12c). 82 5 Argumentanalyse 65 könnte. Meist sind beide Codierungen gleichermaßen plausibel. So etwa bei folgendem Absatz zum geplanten Kirchenasyl auf Selbstzahlerbasis: „Die Grünen-Politikerin Christa Nickels erklärte, sie halte den Vorschlag für inakzeptabel, den Kirchen ein eigenes Kontingent für die Flüchtlingsaufnahme zuzuweisen. Laut Medienberichten sehen Schilys Pläne vor, dass Kirchen in Härtefällen selbst entscheiden können, wer im Land bleiben darf, dann aber auch die Kosten übernehmen müssen. Nickels sagte der Rheinischen Post, dies ‚wäre eine Privatisierung des Menschenrechtsschutzes‘.“ (SZ, 1.8.03, S. 6) Für Nickels Argument wurde hier einmal der Humanitäts-Topos85 codiert und einmal der Topos vom politischen Nutzen86, d.h. die Privatisierung der Menschenrechte wurde einmal als Angriff gegen die Menschenrechte und einmal als politischer Schaden für Deutschland interpretiert. Ähnlich uneindeutig ist das folgende Argument zum gleichen Thema: „SPD-Innenexperte Rüdiger Veit nennt das Vorhaben ‚unnötig‘. Vernünftige Gesetze und eine gute Verwaltungspraxis würden ein gesondertes Kirchenkontingent überflüssig machen, sagte er.“ (Tagesspiegel, 1.4.03, S. 4) Hier wurde Veits Argument einmal mit dem Rechts-Topos87 und einmal mit dem Nutzlosigkeits-Topos88 codiert. Einmal stand also die Aufforderung, sich an die bestehenden Gesetze zu halten im Vordergrund, und einmal die Überflüssigkeit neuer Regelungen in diesem Bereich. Aber nicht nur beim Thema Kirchenasyl gibt es diese Interpretationsspielräume, sondern auch etwa bei folgendem Abschnitt zum Nachzugsalter für Kinder: „CDU und CSU fordern, die heute bei 16 Jahren gesteckte Grenze auf zehn, gar auf sechs Jahre abzusenken. Begründung: Wer als junger Mensch erst nach der Schule hierher kommt, womöglich ohne Sprachkenntnisse, ist schwer integrierbar. Schily kommt nun beiden Seiten entgegen. Reist ein Zuwanderer gleich mit Frau und Kindern im ‚Familienverbund‘ ein, spielt das Alter keine Rolle. Für den Kindernachzug wird die Grenze auf zwölf Jahre abgesenkt – aber zugleich das Tor für Ermessensentscheidungen der Ausländerämter geöffnet. Die dürften dann künftig auch 18-jährige noch zu ihren Eltern ziehen lassen, wenn die Heranwachsenden zum Beispiel gut Deutsch sprechen.“ (Tagesspiegel, 4.8.01, S. 2) 85 „Wenn eine Entscheidung / Handlung oder deren Folgen mit den Menschenrechten übereinstimmen / ihnen entgegenstehen bzw. aus humanitären Überlegungen geboten / abzulehnen sind, ist die Entscheidung / Handlung zu befürworten / abzulehnen bzw. auszuführen / nicht auszuführen.“ 86 „Wenn eine Handlung unter politischen Gesichtspunkten, für einen Staat/ ein Gemeinwesen einen / keinen Nutzen bzw. Schaden erbringt, dann sollte sie ausgeführt / nicht ausgeführt werden.“ 87 „Wenn wir uns an die Gesetze/ das bestehende/ kodifizierte Recht halten sollten, dann ist eine Entscheidung/ Handlung zu befürworten/ abzulehnen.“ 88 „Wenn es abzusehen ist, daß prognostizierte / erwartete Folgen einer Entscheidung oder Handlung nicht eintreten oder wenn andere politische Handlungen dem erklärten Ziel eher dienen, ist die Entscheidung abzulehnen, bzw. wenn bestehende Regelungen den erklärten Zielen nicht genutzt haben, sind sie zu ändern.“ 5 Argumentanalyse 66 Während das Argument der CDU/CSU im Reliabilitätstest zweimal eindeutig dem Verständnis-Topos89 zugeordnet wurde, wurde Schilys Vorschlag einmal dem VerständnisTopos zugeordnet, der durch den Kontext seiner Aussage impliziert ist, bei der zweiten Codierung jedoch dem Dezentralitäts-Topos90. Im zweiten Fall wurde also der Schwerpunkt auf den Aspekt gelegt, daß im Einzelfall (dezentral) besser über die Integrationsfähigkeit entschieden werden kann als durch eine pauschale Altersbegrenzung. Der relativ große Interpretationsspielraum für den Codierer erscheint in den genannten Beispielen nicht nur aus Validitätsgründen berechtigt, denn wenn das Codebuch deutliche Prioritäten zwischen den einzelnen Topoi vorgeben würde, so ginge ein erhebliches Maß an Kontextsensitivität verloren, die für die Erfassung von Argumenten bedeutsam ist. Gerade wegen der in Zweifelsfällen beobachteten ‚Zufälligkeit‘ der Codierung des einen oder des anderen Topos kann bei großen Fallzahlen mit einer Neutralisierung des Effekts gerechnet werden. Relativiert werden die Reliabilitätswerte schließlich auch dadurch, daß sie sich auf die Codierungen auf Argument-Ebene beziehen, während die meisten statistischen Auswertungen jedoch auf Aggregat-Ebene gemacht werden. Einzelne Abweichungen schlagen sich dadurch nicht im gleichen Maße auf die Ergebnisse nieder wie wenn die Argumente direkt in die Statistiken eingingen. Eine weitgehende Neutralisierung der verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten – sowohl auf Argument-Ebene als auch bei den nach Topoi aggregierten Daten – sind jedoch erst bei großen Fallzahlen zu erwarten. 5.5 Ergebnisse Die drei untersuchten Zeitungen widmeten sich dem Thema Zuwanderung in zum Teil sehr unterschiedlichem Umfang. Von den in 51 Artikeln91 codierten 351 Argumenten entfielen 189 auf die Süddeutsche Zeitung (SZ), 124 auf den Tagesspiegel und 35 auf Bild. Die geringe Zahl der Argumente bei Bild ist allerdings nicht auf fehlende Sachaussagen innerhalb der Artikel zurückzuführen, sondern auf den geringen Umfang der Artikel. 89 „Wenn Einheimische und Zuwanderer sich besser kennenlernen und mehr Verständnis füreinander aufbringen, können die mit Zuwanderung und Integration verbundenen Probleme und Konflikte gelöst werden.“ (Siehe hierzu auch die Codeerläuterungen in Anhang B) 90 „Wenn Entscheidungen auf niedrigerer / dezentraler Ebene gefällt werden können / wenn Probleme auf niedrigerer / dezentraler Ebene gelöst werden können, dann sollen diese Entscheidungen nicht an zentraler Stelle gefällt / diese Probleme nicht an zentraler Stelle gelöst werden.“ 91 Drei der ursprünglich 54 Artikel enthielten keine Argumente. Ein ganzseitiger Artikel in der Süddeutschen Zeitung wurde aus der Untersuchung ausgeschlossen, da er sehr detailliert alle Einzelheiten von Schilys Gesetzentwurf dokumentiert. Die Aufnahme des Artikels hätte zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt, zum einen weil dann ein erheblicher Anteil der Argumente in der SZ die Argumente Schilys gewesen wären, zum anderen, weil diese Argumente aufgrund des Dokumentationscharakters des Artikels keinerlei Chance auf eine Reaktion, d.h. eine Bewertung, hatten, wie das in den anderen Artikeln prinzipiell der Fall war. 5 Argumentanalyse 67 Berücksichtigt man nämlich die unterschiedliche Artikelgröße in den Zeitungen, ist die Argumentationsdichte (Argumente pro Zeitungsseite) in Bild sogar höher als in der Süddeutschen Zeitung, (Tabelle A 1) d.h. die SZ-Artikel sind zwar im Schnitt mehr als doppelt so groß wie die Bild-Artikel (inkl. Schlagzeile), enthalten aber keineswegs doppelt so viele Argumente, sondern vermutlich Hintergrundinformationen u.ä. Die relativ geringen Fallzahlen, insbesondere bei der Bildzeitung mahnen zu einer vorsichtigen Interpretation der Daten. Die nachfolgenden Ergebnisse haben daher eher heuristischen Charakter und können über den Untersuchungszeitraum hinaus allenfalls aus zusätzlichen theoretischen Plausibilitätsgründen verallgemeinert werden. Die Daten selbst erlauben keine Inferenzschlüsse. Erwartungsgemäß wurde in allen Zeitungen nur ein Teil der Argumente explizit begründet. Während in der Süddeutschen fast jedes zweite Argument explizit begründet wurde, war es in der Bild nur knapp jedes vierte. Im Tagesspiegel wurde etwas mehr als jedes dritte Argument mit einer Begründung versehen. Berücksichtigt man allerdings, daß die Begründung eines Arguments in manchen Fällen eindeutig aus der Forderung hervorgeht, so daß eine explizite Begründung in der Form „weil ...“ o.ä. redundant wäre (vgl. Variable A05c im Codebuch (Anhang A)) dann erhöht sich der Anteil ‚expliziter‘ Begründungen auf rund 60 (SZ), 50 (Tagesspiegel) bzw. 40 Prozent (Bild). Insgesamt liegen also für etwa die Hälfte aller Argumente ‚explizite‘ Begründungen vor. (Tabelle 1) Zeitung SZ Gesamt Tagesspiegel Bild explizite Begründung n=189 60,3% n=124 51,6% n=35 40,0% n=348 55,2% implizite Begründung 25,4% 29,8% 37,1% 28,2% keine Begründung 14,3% 18,5% 22,9% 16,7% 100,0% 99,9% 100,0% 100,1% Gesamt Tabelle 1: Anteile der Argumente mit expliziten bzw. impliziten Begründungen Für die Wirkungsmächtigkeit von Argumenten sind jedoch nicht nur solche Begründungen relevant, die im Text geliefert werden, sondern auch jene, die als selbstverständlich oder bekannt vorausgesetzt werden können. Deshalb wurde versucht, auch implizite Begründungen zu codieren, d.h. solche Begründungen, die entweder durch die Formulierung der Forderung oder durch andere Aussagen im Artikel nahegelegt wurden, sowie solche, die anhand des allgemeinen Wissens über die Zuwanderungsdebatte und die Positionen der Akteure vom Leser impliziert werden können. Der Anteil der Argumente mit solchen impliziten Begründungen beträgt 5 Argumentanalyse 68 insgesamt etwa ein Drittel, so daß insgesamt für über 80 Prozent aller Argumente eine Begründung – und damit auch ein Topos – codiert werden konnte, wobei der Anteil ‚begründeter Argumente‘ in diesem Sinne in keiner Zeitung geringer ist als 75 Prozent. (Tabelle 1, vgl. ausführlich Tabelle A 2) Da es hier jedoch nicht um das quantitative Ausmaß der Begründungen geht, sondern um deren Inhalte, stellt sich nun die Frage, auf welche der 41 im Codeplan vorgesehenen Topoi sich die Begründungen beziehen. Insgesamt wurden im Untersuchungsmaterial 31 verschiedene Topoi verwendet. Die relativ hohe Zahl unbesetzter Kategorien ist darauf zurückzuführen, daß die Düsseldorfer Topoi-Liste (vgl. oben S. 59) für die Untersuchung des Zuwanderungsdiskurses über mehrere Jahrzehnte konzipiert wurde, das vorliegende Material jedoch lediglich das sehr enge Themen- und Argumentationsspektrum einer einzigen Woche umfaßt. So ist es nicht verwunderlich, daß etwa der Ausbeutungs-Topos, der Entwicklungshilfe-Topos oder der Verlagerungs-Topos nicht codiert wurden. In der folgenden Auswertung werden daher nur jene Topoi berücksichtigt, die wenigstens einmal in einer Zeitung vorkamen. Da sich die meisten der nachfolgenden Auswertungen nicht auf Argumente, sondern auf Topoi beziehen, ist die ‚Fallzahl‘ der meisten Statistiken höchstens 31. Die Aggregierung der Argument-Daten erfolgte durch Mittelwertbildung der relevanten Variablen. 5.5.1 Welche Topoi werden wo verwendet? Tabelle 2 zeigt die relativen Häufigkeiten der verwendeten Topoi, aufgeteilt nach Zeitungen. Der ‚beliebteste‘ Topos ist der Topos vom wirtschaftlichen Nutzen92. Nur in der SZ spielt der Topos vom menschlichen Nutzen und der Topos vom politischen Nutzen eine größere Rolle als dieser. Letztere spielen wiederum beide in Bild und Tagesspiegel (fast) keine Rolle. Während sich die Argumentation in Bild neben dem wirtschaftlichen Nutzen vor allem um den Belastungs-Topos sowie den Mißbrauchs-Topos drehen, werden im Tagesspiegel der Humanitäts-Topos sowie ebenfalls der Belastungs-Topos hochgehalten. Insgesamt findet in der SZ (und etwas weniger im Tagesspiegel) die differenzierteste Argumentation statt, während sich die Diskussion in Bild schon wegen ihres geringen Umfangs auf wenige zentrale Topoi konzentriert. 92 „Wenn eine Handlung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten einen / keinen Nutzen bzw. Schaden erbringt, dann sollte sie ausgeführt / nicht ausgeführt werden.“ (Siehe Liste der Topoi, Anhang 5 Argumentanalyse 69 Zeitung Topos SZ Tagesspiegel Bild n=189 Arg. n=124 Arg. n=35 Arg. n=348 Arg. 14,3% 18,5% 22,9% 16,7% wirtschaftlicher Nutzen 8,5% 16,1% 20,0% 12,4% Humanität 6,9% 12,1% 5,7% 8,6% 11,1% 4,0% Belastung 3,7% 8,9% politischer Nutzen 9,0% ,8% Recht 5,3% 4,0% 5,7% 4,9% Verständnis 5,3% 3,2% 2,9% 4,3% Finanz 4,2% 2,4% Mißbrauch 3,2% ,8% Realität 4,8% ,8% 2,9% Machbarkeit 3,7% 1,6% 2,6% Effizienz 1,6% 3,2% 2,9% 2,3% Nutzlosigkeit 1,6% 1,6% 5,7% 2,0% 4,8% 2,9% 2,0% nicht eindeutig zuordenbara menschlicher Nutzen Veränderung 7,5% 14,3% 6,6% 5,2% 3,2% 11,4% 3,2% Bürokratie 1,6% 2,4% 1,7% Gesetz 1,1% 3,2% 1,7% Demographie 1,6% ,8% Fortschritt 1,6% 1,6% Hierarchie 1,6% Verantwortlichkeit 2,1% Widerspruchsfreiheit 1,1% 1,6% 1,1% ,5% 1,6% ,9% Europa 2,9% 1,4% 1,4% 2,9% 1,1% 1,1% Fremdenfeindlichkeit 1,6% ,9% Vorurteil 1,6% ,9% Definition ,5% ,8% ,6% Demokratie ,5% ,8% ,6% 1,6% ,6% Dezentralität Extremisten ,5% ,8% ,6% Kultur ,5% ,8% ,6% Gerechtigkeit ,5% Innere Stabilität Gesamt Gesamt ,3% ,8% 100,0% 100,0% ,3% 100,0% a. Da eine Begründung nicht rekonstruiert werden konnte, war auch ein Topos nicht eindeutig zu ermitteln. Tabelle 2: Relative Häufigkeiten der verwendeten Topoi 100,0% 5 Argumentanalyse 70 5.5.2 Integration: Übereinstimmende Verwendung von Topoi Versteht man nun, wie oben (S. 52f) vorgeschlagen, die gemeinsame Verwendung der gleichen Topoi als Indikator für eine gemeinsame Öffentlichkeit mehrerer Medien, so läßt sich das Integrationsmaß zweier Medien als Korrelationskoeffizient zwischen den Verwendungshäufigkeiten der einzelnen Topoi konstruieren: Eine hohe positive Korrelation deutet auf ähnliche Prioritätensetzung, d.h. auf einen hohen Integrationsgrad der beiden Medien, hin. Eine hohe negative Korrelation dagegen spricht für starke Unterschiede, d.h. einen geringen Integrationsgrad der beiden Medien. In bezug auf diese beiden Medien ist es dann sinnvoller, tendenziell von zwei Teilöffentlichkeiten zu sprechen, da es kaum eine gemeinsame Grundlage zwischen beiden gibt. Besteht keinerlei Korrelation zwischen den Medien, kann dies als mittlerer Integrationsgrad interpretiert werden: Die ‚Teilöffentlichkeiten‘ haben zwar kaum Gemeinsamkeiten, grenzen sich aber auch nicht voneinander ab. Man könnte auch von Indifferenz sprechen oder, in der Terminologie des politischen Kampfes, von ‚friedlicher Koexistenz‘. Neben den Korrelationen der einfachen Verwendungshäufigkeit der Topoi (‚Toposrelevanz1‘) lassen sich aber noch zwei andere Indikatoren für das Maß der Integration konstruieren, die jeweils aufeinander aufbauen: 1. Zusätzlich zur Häufigkeit der Topoi läßt sich die Bedeutung, die ihren Argumenten innerhalb eines Artikels jeweils beigemessen wird, heranziehen. Kommt ein Topos in zwei Medien zwar gleich häufig vor, in dem einen Medium jedoch immer in randständiger Position, im anderen an zentraler Stelle (vgl. die Variable A1393 im Codebuch in Anhang A), so gibt die Korrelation der Häufigkeiten bloß eine Scheinähnlichkeit an. Vermieden wird dies, wenn man die Häufigkeit mit der durchschnittlichen Bedeutung korrigiert und diese ‚Toposrelevanz‘ dann zwischen den Medien korreliert: Toposrelevanz2 = Häufigkeit x Durchschnittliche Bedeutung 2. Noch höher werden die Ansprüche an das Ähnlichkeits- bzw. Integrationskriterium, wenn man als weiteren Indikator für die herausragende Rolle eines Topos auch die Anzahl der Reaktionen hinzuzieht, die ein Topos auf sich vereinigen kann, unabhängig davon ob diese negativ, positiv oder neutral sind. Wenn viel über einen Topos geredet 93 Für die Auswertung wurde der Ausprägung „randständiges Argument“ statt dem Code ‚0‘ der Wert 0,5 zugewiesen, da ansonsten ‚randständig‘ auf Topos-Ebene den gleichen Wert wir ‚nicht vorhanden‘ erhalten hätte, nämlich ‚0‘. 5 Argumentanalyse 71 wird, ist dies ein Indiz für die hohe Bedeutung, die ihm in einer bestimmten Öffentlichkeit zugesprochen wird. Auch die Korrelation zwischen der nachfolgenden Variable in den einzelnen Medien kann also als Integrationsmaß interpretiert werden. Toposrelevanz3 = Häufigkeit x Durchschnittliche Bedeutung x Durchschnittliche Anzahl der Reaktionen Die Korrelationskoeffizienten, die sich aus diesen drei Bedeutungs-Indikatoren ergeben, sind in den Tabellen A 3, A 4 und A 5 im Anhang dokumentiert. Da sie sich insgesamt in ihrer Tendenz zwar grundsätzlich ähneln, im einzelnen jedoch zum Teil schwierig sinnvoll interpretierbar sind, dient im folgenden der Mittelwert der drei Koeffizienten als Integrationsmaß (I). IntegrationsmaßMediumA / MediumB = 1 3 ¦ Kor (Toposstellenwerti ) 3 i =1 Die Signifikanzen der Korrelationen können dabei natürlich nicht berücksichtigt werden. Sie sind allerdings wegen der geringen Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse dieser Fallstudie ohnehin kaum relevant, da die Erhebung kaum als repräsentative Stichprobe verstanden werden kann. Es handelt sich also gewissermaßen um eine ‚Vollerhebung‘ des Untersuchungsmaterials.94 Überraschenderweise ergibt sich in den vorliegenden Daten eine größere Ähnlichkeit zwischen Bild- und Tagesspiegel-Öffentlichkeit (I = .678) als zwischen den Öffentlichkeiten von Tagesspiegel und Süddeutscher Zeitung (I = .542) Am geringsten, aber immer noch positiv ist die Integration von Bild und Süddeutscher Zeitung (I = .310). Zu beachten ist jedoch, daß die hohe95, positive Integration, insbesondere von Tagesspiegel und Bild, lediglich bedeutet, daß die gleichen Topoi als Argumentationsgrundlage dienen, völlig unabhängig davon, wie diese bewertet werden. (Siehe hierzu die Kapitel 5.5.4 und 5.5.5) Ebenso ist mit der übereinstimmenden Verwendung bestimmter Topoi noch nicht notwendig eine bestimmte Tendenz verbunden. 94 Die Signifikanzen sind in den Tabellen im Anhang trotzdem angegeben, um anzudeuten, wie zuverlässig die Daten tendenziell sind. In Tabelle 3, in der alle (gemittelten) Korrelationen zusammengefaßt dargestellt werden, wird durch die Zahl der Sternchen (*) außerdem angegeben, wie viele der in den Wert eingegangen Korrelationen mindestens auf dem 5%-Niveau signifikant waren. 95 Die insgesamt für sozialwissenschaftliche Forschung ungewöhnlich hohen Korrelationen verwundern nicht, wenn man bedenkt, daß ja trotz allen subjektiven Konstruktionen durch die Medien auch die tatsächlich gemachten Aussagen bestimmter Akteure mehr oder weniger ‚nur‘ wiedergegeben werden. Dies 5 Argumentanalyse 72 5.5.3 Exkurs: Wie werden die Topoi interpretiert? Die Möglichkeit, denselben Topos, d.h. dieselbe normative Grundlage, sowohl für als auch gegen Zuwanderung zu verwenden kann beispielsweise96 anhand des VerständnisTopos verdeutlicht werden: „Wenn Einheimische und Zuwanderer sich besser kennenlernen und mehr Verständnis füreinander aufbringen, können die mit Zuwanderung und Integration verbundenen Probleme und Konflikte gelöst werden.“ Bei diesem Topos bleibt ja durchaus offen, von wem die Anstrengungen, die für eine Verständigung nötig sind, aufgebracht werden sollen. Dies ist vielmehr in der aktuellen Zuwanderungsdebatte gerade der Streitpunkt: Ist Integration eher als Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft oder als multikulturelle Integration zu verstehen? Wie Tabelle A 6 zeigt, wird dieser Topos in allen drei Zeitungen eher im Sinne von Assimilation bzw. Restriktionen gegenüber der Minderheitsgesellschaft gedeutet. Unterschiedlich interpretiert werden dagegen u.a. der Bürokratie-Topos (für Assimilation im Tagesspiegel, für Multikulti in der SZ), der Finanz-Topos (für Multikulti im Tagesspiegel, für Assimilation in der SZ), der Machbarkeits-Topos (pro Zuwanderung und Multikulti im Tagesspiegel, contra Zuwanderung und für Assimilation in der SZ), der Rechts-Topos (Für Assimilation bzw. Restriktionen im Tagesspiegel und für Multikulti in der SZ) sowie der Nutzlosigkeits-Topos (Gegen Zuwanderung in SZ und Bild, dafür im Tagesspiegel; pro Multikulti in SZ und Tagesspiegel, dagegen in Bild). Die meisten Topoi werden jedoch tendenziell in allen drei Zeitungen in die gleiche Richtung interpretiert. Dies geht auch aus Tabelle A 7 und Tabelle A 8 hervor. Sie zeigen die Korrelationen zwischen der Richtung (Pro/Contra), in der die Topoi interpretiert wurden. Dieser Befund entspricht der Eigenschaft von Frames, die zwar ebenfalls an sich neutral sind; bezieht man sie in der Praxis jedoch auf ein bestimmtes Problem, werden sie meist in Richtung einer bestimmten Lösung gedeutet. Sie anders zu interpretieren wäre wohl meist mit einem erheblichen Rechtfertigungsaufwand verbunden. 5.5.4 Wie werden die Topoi bewertet? Wenn Argumente Interpretationen von Topoi sind (vgl. Kapitel 3.3.2), so können Topoi, die als Diskussionsgrundlage in einer Öffentlichkeit zwar womöglich grundsätzlich akzeptiert sind, dennoch „falsch“ angewendet werden, d.h. so, daß ihre Anwendung führt zu der Annahme, daß die Integration in den ‚objektiven‘ Genres höher ist als in den subjektiven. Dies wird in Kapitel 5.5.6 behandelt. 96 WENGELER (2001, 238-255) nennt für jeden der Topoi aus der Düsseldorfer–Liste eine Pro- und ein Kontra-Beispiel. 5 Argumentanalyse 73 Kritik hervorruft. Umgekehrt erfahren Argumente, die eine akzeptable Interpretation eines Topos darstellen, tendenziell eher Lob. Wenngleich es nun sicher auch andere Faktoren gibt, die Zustimmung oder Ablehnung provozieren können – etwa Sympathie oder Antipathie gegenüber dem Sprecher –, so kann die Stärke der Kritik, die ein Topos in einem bestimmten Problemzusammenhang erfährt, als Indikator für seine Relevanz in diesem Problemkontext betrachtet werden. Erfährt ein Topos im Zuwanderungsdiskurs also häufige Kritik, so kann er in diesem Diskurs als relativ machtlos eingestuft werden. Er kann offensichtlich nicht dazu verwendet werden, andere unter Zugzwang zu setzen, sondern umgekehrt: Wer ihn verwendet, bekommt selbst den Druck der öffentlichen Meinung zu spüren. Welche Reaktionen erfahren also die hier untersuchten Topoi? Insgesamt wurden nur ein Drittel aller Argumente durch den Autor des Artikels oder durch einen anderen Akteur bewertet. Relevant für die Auswertung auf Topos-Ebene ist jedoch, wie viele Topoi wenigstens eine Wertung erhalten haben. Hier verdoppelt sich der Anteil zwar auf insgesamt 63,5 Prozent, bei den einzelnen Zeitungen bleibt er aber z.T. auch auf ToposEbene deutlich unter diesem Wert. (Tabelle A 10) Eine Vermeidung der damit verbundenen Problematik hätte eine deutlich höhere Fallzahl erfordert. Wegen der geringen Fallzahlen sind auch die Bewertungen der Topoi kaum im einzelnen interpretierbar. Auffallend und einigermaßen aussagekräftig, jedoch wenig überraschend ist die positive Bewertung des Belastungs-97 und des Mißbrauchs-Topos98 in Bild (.40 / .50) gegenüber einer deutlich negativen im Tagesspiegel (-1.0 / -1.0) und der Süddeutschen (-1.43 / -.67). Weniger erwartbar in diesem Zusammenhang ist die umgekehrte Bewertung des Humanitäts-Topos. Insgesamt wird sichtbar, daß die durchschnittliche Bewertung in Bild positiver als bei den anderen beiden Zeitungen ausfällt. Berücksichtigt man nur die tatsächlichen Wertungen, also nicht die ,NichtWertungen‘, fällt der Mittelwert der Wertungen von Bild deutlich positiv (.4) und von Tagesspiegel (-.4) und SZ (-.8) deutlich negativ aus. Ob dies mehr das Resultat einer insgesamt kontroverseren Berichterstattung (Tgsp./SZ) bzw. insgesamt auf Konsens ausgerichteten Berichterstattung (Bild) ist, oder das Ergebnis einer eher kritischen bzw. lobenden Haltung gegenüber dem Gesetzesentwurf von Schily, bleibt offen. 97 „Wenn eine Person / eine Institution / ein Land mit bestimmten Problemen stark belastet oder überlastet ist - oder Wenn eine solche Belastung droht, dann sollten Handlungen ausgeführt werden, die diese Belastung vermindern bzw. verhindern.“ 5 Argumentanalyse 74 5.5.5 Konformität: Die übereinstimmende Bewertung von Topoi Wiederum in Anschluß an die oben (S. 52f) vorgeschlagene Unterscheidung von Integration und Konformität kann anhand der Bewertung der einzelnen Topoi ein Kennwert für die Konformität zweier Medien bestimmt werden. Auch bei der Konformität lassen sich zunächst mehrere Indikatoren für die Beliebtheit eines Topos in einer bestimmten Öffentlichkeit konstruieren. Deren Korrelationskoeffizienten zwischen den einzelnen Medien werden aus den gleichen Gründen wie oben beim Integrationsmaß gemittelt, um den Kennwert für Konformität zu erhalten. Die einzelnen Indikatoren sind: 1. Toposbewertung1 = Durchschnittliche Wertung Die maximal vier Bewertungen eines Arguments werden gemittelt. Auf Topos-Ebene erhält jeder Topos wiederum den Mittelwert dieser Bewertung. Diese Werte sind im einzelnen in Tabelle A 9 enthalten. 2. Toposbewertung2 = Durchschnittliche Wertung x Toposhäufigkeit Aus den gleichen Gründen wie bei der Toposrelevanz2 wird die durchschnittliche Wertung auch hier mit der Häufigkeit des Topos gewichtet. 3. Toposbewertung3 = Durchschnittliche gewichtete Wertung Hier wird zunächst auf Argument-Ebene die Bewertung jedes Arguments durch seine Bedeutung innerhalb des Artikels gewichtet. Bei den zentralen Argumenten des Artikels wird die Bewertung verdoppelt, bei randständigen Argumenten halbiert. Bei mittelwichtigen Argumenten bleibt die Wertung unverändert. Erst aus dieser gewichteten Wertung wird dann auf Topos-Ebene der Mittelwert gebildet. Diesem Konstrukt liegt die Annahme zugrunde, daß die Bewertung hervorgehobener Argumente den Charakter einer Öffentlichkeitsarena stärker prägen als die Bewertung von Argumenten, die selbst von untergeordneter Bedeutung sind. 4. Toposbewertung4 = Durchschnittliche gewichtete Wertung x Toposhäufigkeit Analog zur Toposbewertung2 wird hier nun die durchschnittliche (auf ArgumentEbene) gewichtete Wertung nochmals mit der Toposhäufigkeit gewichtet. Die Korrelationen dieser vier Bewertungsindikatoren zwischen den einzelnen Zeitungen sind als Konformitätsindikatoren in Tabelle A 11 aufgeführt. Außerdem enthält diese Tabelle auch die oben bereits vorgestellten Korrelationen zur Integration. Aus Platzgründen wird auf eine Wiedergabe der einzelnen Korrelationsmatrizen für die 98 „Wenn ein Recht / ein Hilfsangebot o. ä. mißbraucht wird, dann sollte das Recht geändert / die Hilfe gestrichen oder gekürzt werden bzw. es sollten bestimmte Maßnahmen gegen den Mißbrauch durchgeführt werden.“ 5 Argumentanalyse 75 Konformität verzichtet. Das Konformitätsmaß wird analog zum Integrationsmaß durch Mittelwertbildung aus den einzelnen Korrelationskoeffizienten gewonnen: KonformitätsmaßMediumA / MediumB = 1 4 ∑ Kor (Toposbewertung i ) 4 i =1 In Tabelle 3 sind die einzelnen Kennwerte aus Tabelle A 11 zu Mittelwerten zusammengefaßt. Die Zahl der Sternchen (*) gibt an, wie viele signifikanten Korrelationen (p < .05) in den Kennwert eingegangen sind. Die Zeilen ‚objektive Genres‘ und ‚subjektive Genres‘ in der Tabelle werden Gegenstand des nächsten Kapitels sein. TGSP/SZ Integration Gesamt .542*** Konformität .458*** SZ/BILD Integration Konformität .310** -.610** TGSP/BILD Integration .678*** Konformität -.767*** Tabelle 3: Gemittelte Korrelationen als Integrations- und Konformitätsmaße Auf die positiven Integrationswerte wurde bereits in Kapitel 5.5.2 eingegangen. Das hohe Integrationsmaß von Tagesspiegel und Bild wird nun deutlich durch die stark negativen Konformitätswerte relativiert. Sowohl die Tagesspiegel-Arena als auch die Arena der Süddeutschen lassen sich bei der Bewertung der Topoi deutlich von der Bildzeitungs-Arena abgrenzen. Während vor allem im Tagespiegel die gleichen Topoi verwendet werden können wie in Bild, wird die Verwendung derselben Topoi in diesen beiden Zeitungen mit gegensätzlichen Bewertungen versehen. Argumente, die in Bild Lob ernten, werden im Tagesspiegel getadelt und umgekehrt. Dasselbe gilt für das Verhältnis von Süddeutscher und Bild, wobei hier allerdings schon die Integration relativ gering war. Sowohl gut integriert als auch relativ konform sind lediglich die Öffentlichkeiten von Tagesspiegel und SZ. 5.5.6 Unterschiede zwischen subjektiven und objektiven Genres Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn man subjektive und objektive Genres getrennt auswertet. Den subjektiven Genres zugerechnet wurden jene Artikeltypen (vgl. Variable V11 im Codebuch in Anhang A), die nicht nur theoretisch Argumente des Autors enthalten können, sondern die auch tatsächlich welche enthielten. Dies waren die Kategorien - ‚Subjektiv eingefärbte Form: Reportage, Feature, Analyse, Hintergrundbericht, - Kommentarform: Leitartikel, Kommentar, Kolumne, Glosse, Pressestimmen sowie 5 Argumentanalyse - 76 Leserbriefe. Da in den vorliegenden Daten kein einziges Argument eines Interviewers codiert wurde, wurde die Kategorie ‚Interview‘ den objektiven Genres zugeordnet.99 Die Berechnung des Integrations- und des Konformitätsmaßes getrennt nach Genres ergab die Korrelationen, die ausführlich in Tabelle A 11 dokumentiert sind. Tabelle 4 zeigt die entsprechenden Mittelwerte der Korrelationen, die als Maße der Integration und der Konformität dienen. TGSP/SZ Integration Konformität SZ/BILD TGSP/BILD Integration Konformität Integration Konformität Gesamt .542*** .458*** .310** -.610** .678*** -.767*** objektive Genres .382** -.094 .447* -.533* .483** -.108 subjektive Genres .231 .422* .131 (-.027) .508** -.691** 100 Tabelle 4: Vergleich von Integration und Konformität nach Genres Vergleicht man nun die Werte der beiden Genres, so ist der Befund nicht ganz so eindeutig wie zunächst (Kap. 5.3) vermutet wurde: Zwar sind die Tagesspiegel/SZÖffentlichkeit sowie die SZ/Bild-Öffentlichkeit im objektiven Bereich stärker integriert, als im subjektiven, aber die Unterschiede sind keineswegs so groß, wie man aufgrund des relativ eng eingegrenzten thematischen und zeitlichen Rahmens sowie vor dem Hintergrund relativ einheitlicher Informationsverarbeitung im professionalisierten Journalismus vielleicht erwartet hätte. Zudem gibt es eine ‚Ausreißer-Kombo‘ Tagesspiegel/Bild, bei der die Integration – umgekehrt – in den subjektiven Genres etwas höher ist als in den objektiven. Allerdings handelt es sich hier um einen sehr geringen Unterschied, so daß die Hypothese, daß die Gemeinsamkeiten in den objektiven Genres höher sind, zumindest in der Tendenz als bestätigt gelten kann. (Vgl. hierzu auch FN 102) In Tabelle 4 sind die beschriebenen Unterschiede durch Fettdruck visualisiert. Der im Genre-Vergleich jeweils höhere Wert ist hervorgehoben. Insgesamt kann festgehalten werden, daß alle Integrationswerte positiv sind, was die Werte insgesamt plausibel macht. 99 Interviews können im Grenzbereich zwischen subjektiven und objektiven Genres verortet werden, da sie einerseits dem Journalisten ermöglichen, auf die Aussagen des Interviewten Einfluß zu nehmen sowie ggf. selbst Argumente vorzubringen, andererseits werden die Antworten in der Regel 1-zu-1-abgedruckt bzw. nur unter Rücksprache mit dem Interviewten verändert, so daß sich das Arrangement der Argumente dem journalistischen Zugriff sogar mehr verweigert als bei der klassischen Nachrichtengebung. 5 Argumentanalyse 77 Überraschend ist jedoch der Befund bei der Konformität: Hier widersprechen die beobachteten Unterschiede der Vermutung höherer Konformität im objektiven Bereich recht deutlich: Sowohl in Tagesspiegel und SZ als auch tendenziell in Bild und SZ ist man sich bei der Bewertung der Topoi in den subjektiven Genres einiger, genau umgekehrt als erwartet. Lediglich Tagesspiegel und Bild entfernen sich im subjektiven Bereich noch weiter voneinander als sie es ohnehin schon sind. Diese Relationen sind in Tabelle 4 durch Unterstreichungen visualisiert. Der im Genre-Vergleich höhere Wert ist jeweils hervorgehoben. Vorausgesetzt die höhere Konformität in den objektiven Genres bei Bild und Tagesspiegel ist tatsächlich die Ausnahme und nicht doch die Regel101, dann erscheint dieses Ergebnis auf den zweiten Blick nicht völlig unplausibel: Immerhin ist es eine wichtige Aufgabe von Öffentlichkeit, „daß es Mechanismen der Synthetisierung gibt, die die Informationsmengen verdichten, Zusammenhänge herstellen, Einzelheiten zu unfassenden Sinnzusammenhängen ‚schließen‘, so daß Ordnung entsteht.“ (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 13) Der ursprünglichen Hypothese lag nun die Annahme zugrunde, diese Synthese würde tendenziell jedes Medium eher für sich und in Abgrenzung zu den anderen vollziehen. Zumindest beim Thema Zuwanderung in der untersuchten Woche war dies jedoch nicht der Fall. Die Möglichkeiten in den subjektiven Genres wurden nicht für eine Abgrenzung und Ausdifferenzierung des Meinungsspektrums genutzt, sondern für die Konstruktion einer einheitlicheren, d.h. weniger kontroversen Perspektive auf das Thema Zuwanderung als in den objektiven Genres. Genauer: Während im Bereich ‚objektiver‘ Berichterstattung eine zeitungsübergreifende Fokussierung der für die Zuwanderungsdiskussion relevanten Topoi zu verzeichnen ist, zeigt der eher subjektive Bereich der Medienöffentlichkeiten eine stärkere Konsonanz der Bewertungen der verwendeten Topoi. Diese relative Beziehung und ihre heuristische Deutung darf jedoch nicht verwechselt werden mit einem insgesamt hohen Konformitätsgrad, denn sowohl SZ und Bild als auch Tagesspiegel und Bild haben z.T. stark negative Konformitätswerte, d.h. die Toposbewertungen unterscheiden sich deutlich. Lediglich Tagesspiegel und SZ sind hier stark konform. Dies läßt sich auch so lesen, daß Bild – bezogen auf die untersuchten drei Zeitungen – eine Art ‚non-konformer Insider‘ darstellt.102 100 Wegen geringer Fallzahlen nur bedingt interpretierbar. Der Konformitätswert von Bild und SZ im subjektiven Bereich ist wegen der schlechten Datengrundlage recht unzuverlässig (siehe auch Tabelle A 11), so daß hier bei einer Überprüfung evtl. doch entgegengesetzte Unterschiede verzeichnet werden könnten. Vgl. aber auch FN 102. 102 Dies bestätigt sich, wenn man Integration und Konformität nach Zeitungsarten berechnet. Betrachtet man Tagesspiegel und Süddeutsche als die Öffentlichkeit der Abonnement-Zeitungen und Bild als BoulevardÖffentlichkeit, so läßt sich auch zwischen diesen Öffentlichkeiten deutliche Non-Konformität bei 101 5 Argumentanalyse Schließlich 78 kann noch das Verhältnis der Integrationswerte zu den Konformitätswerten betrachtet werden. Es handelt sich zwar inhaltlich prinzipiell um unterschiedliche Größen, doch sind beides (gemittelte) Korrelationen, d.h. Maße der Übereinstimmung, so daß ein Vergleich durchaus möglich ist. Zu erwarten wäre hier, daß die Integrationswerte jeweils mindestens so hoch sind, wie die Konformitätswerte, da die Annahme plausibel ist, daß zumindest die ähnlich bewerteten Topoi (hohe Konformität) auch ähnlich fokussiert werden (hohe Integration) und umgekehrt. Sollte die Konformität höher sein, als die Integration, so würde dies darauf hindeuten, daß neben den gemeinsam verwendeten Topoi zusätzlich noch eine reihe anderer Topoi auf stark unterschiedliche Weise verwendet wurden. Tatsächlich ist dies nur in den subjektiven Genres von Tagesspiegel und SZ der Fall. In allen anderen Fällen entspricht das Verhältnis völlig eindeutig der erwarteten Beziehung: Die Integration ist sogar meist nicht nur höher als die Konformität, sondern auch stets positiv, während die Konformität in den meisten Fällen negativ ist, d.h. es besteht eine gewissen Uneinigkeit in der Bewertung der Topoi, zumindest zwischen den Abo-Zeitungen und der Boulevardzeitung. Während sich die Interpretation von Tabelle 4 bei lediglich drei analysierten Medien noch relativ übersichtlich gestaltet, wäre bei einer größeren Zahl unterschiedlicher Medien eine weitere Vereinfachung bzw. Visualisierung der Ergebnisse mittels statistischer Verfahren sinnvoll. Hierfür würde sich eine Clusteranalyse sowie das Verfahren der multidimensionalen Skalierung (MDS) eignen. Mit der Clusteranalyse könnten jene Medien zusammengefaßt werden, die in Abgrenzung zu anderen TeilÖffentlichkeiten eine gemeinsame Teil-Öffentlichkeit bilden. Mit der MDS als heuristischem Verfahren, könnten Integrations- und Konformitäts-‚Landkarten‘ des analysierten Mediensystems gebildet werden, auf der jene Medien, die stark integriert bzw. stark konform sind, nahe beisammen und die gering integrierten bzw. non-konformen Medien weit voneinander entfernt sind. Mit einer Clusteranalyse könnten außerdem diejenigen Topoi identifiziert werden, die medienübergreifend ähnlich behandelt werden, so daß genauer bestimmt werden könnte, auf welchen Topoi Integration und Konsonanz eigentlich inhaltlich beruhen. Bei einer kleineren Anzahl von Medien wie in dieser Fallstudie eignet sich auch das von Klaus MERTEN (2001) vorgestellte Verfahren der Konsensanalyse als sinnvolle Ergänzung der oben durchgeführten Integrations- und gleichzeitiger Integration feststellen. (Tabelle A 12) Im Übrigen wird hier auch der Befund aus dem GenreVergleichs deutlich bestätigt: Die Integration ist auch hier in den objektiven Genres höher, während die Konformität in den subjektiven Genres größer ist (bzw. die Non-Konformität geringer). 5 Argumentanalyse 79 Konformitätsanalysen. Sie wird deshalb abschließend kurz dargestellt und auf die vorliegenden Daten angewendet. 5.5.7 Konsensanalyse nach Merten Prinzipiell werden bei der ‚Konsensanalyse‘ auf der Grundlage inhaltsanalytischer Daten Schnittmengen gebildet, und es wird untersucht, welche Elemente in welchen Schnittmengen vorkommen und welche Elemente außerhalb jeder Schnittmenge liegen. (Abbildung 7) Betrachtet man beispielsweise die Berichterstattung zweier oder mehrerer Medien über einen bestimmten Zeitraum, so gibt es bestimmte Elemente, die in allen untersuchten Medien vorkommen, (Schnittmenge ABC) andere tauchen vielleicht nur in zwei Medien auf (AB, AC, BC) und andere nur in einem Medium (A, B, C). Diese Elemente können „Orte, Themen, Personen, Bewertungen der Themen oder Personen oder anderes sein.“ (MERTEN 2001, 236) AB A B ABC BC AC C Abbildung 7: Konsensanalyse als Analyse von Schnittmengen MERTEN (2001, 237) schlägt nun als mögliche Anwendungen dieses Verfahrens die „Relevanzanalyse“, „Provinzialitätsanalyse“ und die „vergleichende Affinitätsanalyse“ sowie die „Konsensanalyse als Instrument des Issue-Managements“ vor. Die Konsensanalyse läßt sich jedoch in abgewandelter Form auch auf die vorliegende Fragestellung anwenden. Während bei den genannten Analyseverfahren von Merten Themen bzw. Ereignisse als Schnittmengen-Elemente im Vordergrund stehen, wären hier die Schnittmengen der verwendeten Topoi bzw. deren Bewertungen interessant. An der Zahl der Zeitungen, in denen ein bestimmter Topos vorkommt, ließe sich dessen medienübergreifende Relevanz abschätzen. Dadurch könnte der bereits beschriebene grundsätzliche Konsens über die Anwendung der Topoi (hohe Integration) inhaltlich genauer beschrieben werden. Tabelle 5 zeigt die Schnittmengen der drei untersuchten Zeitungen und die jeweils in diesen Schnittmengen enthaltenen Topoi sowie die Häufigkeit ihrer Verwendung. Die höchste Relevanzstufe erreichen jene Topoi, die in 5 Argumentanalyse 80 allen drei Medien wenigstens einmal vorkamen. Diese Topoi103 geben Aufschluß darüber, unter welchen Gesichtspunkten das neue Zuwanderungsrecht vor allem diskutiert wurde: Wenig überraschend sind dies der Topos vom wirtschaftlichen Nutzen und der HumanitätsTopos, die gewissermaßen für Wirtschaftsmigration einerseits und Flüchtlingsmigration andererseits stehen. Klassische Topoi in Zuwanderungsfragen sind hier auch der Belastungs-Topos und der Mißbrauchs-Topos. Da in der untersuchten Woche ein konkreter Gesetzentwurf diskutiert wurde, gab es in allen Zeitungen auch Verweise auf das bereits geltende Recht, etwa in der Form, daß Änderungen nicht nötig seien, wenn man das geltende Recht konsequent anwende. Der Verständnis-Topos wurde vor allem als ‚Assimilations-Topos‘ verwendet: Es sei nötig, daß sich MigrantInnen an die Lebensverhältnisse in Deutschland anpaßten. Der Effizienz-Topos wurde zwar relativ selten verwendet, seine medienübergeifende Relevanz kann aber als Bedürfnis interpretiert werden, neue Gesetze – vermutlich nicht nur jene zur Zuwanderung – möglichst effizient, d.h. wirksam zu gestalten. Der Nutzlosigkeits-Topos findet seine Anwendung typischerweise bei der Ablehnung von Forderungen des politischen Gegners (WENGELER 2001, 226 und 261) und dürfte deshalb in allen drei Zeitungen vorgekommen sein. Der Demographie-Topos schließlich stellt eine zentrale Kategorie der lange währenden Zuwanderungsdiskussion dar: Die deutschen Renten und Sozialsysteme könnten wegen der geringen Kinderzahlen der einheimischen Bevölkerung nur durch Zuwanderung erhalten werden. Daß dieser Topos zwar medienübergeifende Relevanz besitzt, jedoch insgesamt nur sehr selten vorkam, dürfte daran liegen, daß die Demographie neben dem Mangel an IT-Fachkräften vor allem in der Frühphase104 der Debatte ins Feld geführt wurde, um die grundsätzliche Notwendigkeit von Zuwanderung zu demonstrieren. Migrationsfeindliche Akteure reagierten mit dem sprichwörtlich gewordenen Slogan „Kinder-statt-Inder“, den der damalige CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers im NRWLandtagswahlkampf 2000 in Umlauf brachte. Neben der gemeinsamen Verwendung dieser Topoi beruht die in Kapitel 5.5.2 festgestellte hohe Integration der Zeitungen weiterhin noch auf einer Reihe von Topoi, die nur in Tagesspiegel und SZ verwendet wurden. (vgl. Tabelle 5) Die anderen Schnittmengen sind kaum besetzt, insbesondere gibt es wenige Topoi, die nur in einer 103 Für die genaue Definition der Topoi siehe Anhang B. Während die Parteien schon seit 1996 gelegentlich Vorschläge zu einer neuen Zuwanderungsgesetzgebung machten, kann der Beginn der breiteren öffentlichen Debatte mit der Rede von Bundeskanzler Schröder auf der CEBIT im Februar 2000 gesetzt werden, in der er ankündigte, dem Mangel an IT-Spezialisten durch Einführung einer ‚Green Card‘ nach amerikanischem Vorbild zu begegnen. 104 5 Argumentanalyse 81 einzigen Zeitung Verwendung fanden, was als Bestätigung des hohen Integrationsgrades interpretiert werden kann. Schnittmenge Relevanz Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, Bild 3 Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel 2 Tagesspiegel, Bild Süddeutsche Zeitung, Bild Süddeutsche Zeitung 2 2 1 Tagesspiegel 1 Bild 1 Enthaltene Topoi (Häufigkeit) wirtschaftlicher Nutzen (43) Humanität (30) Belastung (23) Recht (17) Verständnis (15) Mißbrauch (11) Effizienz (8) Nutzlosigkeit (7) Demographie (5) menschlicher Nutzen (26) politischer Nutzen (18) Finanz (11) Realität (10) Machbarkeit (9) Bürokratie (6) Gesetz (6) Fortschritt (5) Widerspruchsfreiheit (4) Europa (3) Definition (2) Demokratie (2) Extremisten (2) Kultur (2) Veränderung (7) Hierarchie (4) Verantwortlichkeit (4) Fremdenfeindlichkeit (3) Vorurteil (3) Gerechtigkeit (1) Dezentralität (2) Innere Stabilität (1) --- Tabelle 5: Medienübergreifende Relevanz der einzelnen Topoi Die Anwendung der Konsensanalyse auf die Bewertung der Topoi ist weniger einfach und eindeutig. Da ein Topos in zwei Zeitungen kaum je völlig identisch bewertet wird, muß zunächst geklärt werden, welche Wertungen (vgl. Tabelle A 9) als gleich betrachtet werden. Für unsere Zwecke ist hier eine einfache Unterscheidung von eher positiven und eher negativen Bewertungen ausreichend. In Analogie zu dem Korrelationskoeffizienten r, der in Kapitel 5.5.5 zur Berechnung der Konformitätswerte herangezogen wurde, ist es 5 Argumentanalyse 82 sinnvoll, hier jedoch nicht die absolute Bewertungstendenz zu nehmen, sondern die Tendenz relativ zum jeweiligen Mittelwert einer Zeitung. Als eher positive Bewertung zählen dann alle Bewertungen eines Topos, die positiver sind als der Mittelwert aller Bewertungen dieser Zeitung.105 Als eher negative Bewertungen zählen entsprechend jene, die unter dem jeweiligen Mittelwert liegen. Schnittmenge Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, Bild Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel Tagesspiegel, Bild Süddeutsche Zeitung, Bild Enthaltene Topoi (Bewertungstendenz) --Belastung (-) wirtschaftlicher Nutzen (+) Recht (+) Mißbrauch (-) Nutzlosigkeit (+) Demographie (+) Humanität (+) Verständnis (-) Effizienz (-) Tabelle 6: Medienübergreifend gleich Bewertung der gemeinsam verwendetenTopoi Eine Schnittmenge im o.g. Sinn bilden nun also jene Topoi, die in mindestens zwei Zeitungen gleich bewertet wurden, also entweder eher positiv oder eher negativ. Tabelle 6 zeigt, welche Topoi in welchen Zeitungen gleich bewertet wurden. Dabei wurden nur diejenigen Topoi berücksichtigt, die wirklich in allen drei Zeitungen vorkamen. Auch hier werden die Ergebnisse der vorangegangenen Konformitätsanalyse (Kapitel 5.5.5) bestätigt: Kein einziger Topos wird in allen drei Zeitungen gleich bewertet106 (keine medienübergeifende Konformität), nur ganz wenige gemeinsame Bewertungen gibt es zwischen den Abo-Zeitungen und der Boulevardzeitung und den größten Bewertungskonsens gibt es zwischen Süddeutscher Zeitung und Tagesspiegel. Dies betrifft vor allem die deutlich negative Bewertung des Belastungs-Topos und des Mißbrauchs-Topos. Weniger eindeutig ist die gemeinsame Tendenz beim Topos vom wirtschaftlichen Nutzen und beim Rechts-Topos. Auch der Demographie-Topos wurde von der SZ gar nicht, vom Tagesspiegel einmal deutlich positiv und von der Bild-Zeitung einmal deutlich negativ 105 Wobei keine Bewertung als neutrale Bewertung gezählt wurde. Am ähnlichsten ist die Umgangsweise mit dem Nutzlosigkeits-Topos: Dieser Topos wird in keiner der Zeitungen bewertet, da dieser Topos selten verwendet wird, um primäre Forderungen zu begründen, sondern in erster Linie für die Ablehnung von anderen Forderungen. Wegen der generell geringen Argumentationstiefe in den Zeitungen kommt es daher auch selten zu Bewertungen des Nutzlosigkeits-Topos. 106 5 Argumentanalyse 83 bewertet. (Vgl. auch Tabelle A 9) Im Rahmen dieser Fallstudie ist die Konsensanalyse auf der Ebene der Bewertungen also insgesamt wegen der teilweise geringen Fallzahlen lediglich in seiner grundsätzlichen Tendenz interpretierbar. So läßt sich abschließend vor allem ein Kern von Topoi benennen, die ganz besonders107 zur Integration der DreiZeitungs-Öffentlichkeit beitragen und die auch noch vergleichsweise konsonant bewertet werden, wobei sich diese Konsonanz jeweils auf zwei der drei Zeitungen beschränkt: Der Topos vom wirtschaftlichen Nutzen, der Humanitäts-Topos und der Belastungs-Topos. 5.6 Zusammenfassung der Ergebnisse Die Ergebnisse der Argumentanalyse sind trotz der methodischen Schwierigkeiten, die mit der Codierung impliziter Begründungen verbunden sind, und trotz der relativ geringen Fallzahl überraschend konsistent und plausibel interpretierbar. Die Daten stützen die Vermutung, daß in den objektiven mehr als in den subjektiven Genres der Medien die Integration einer Gesamtöffentlichkeit stattfindet, d.h. hier wird die „sphere of legitimate controversy“ (HALLIN 1994, 54) abgesteckt – es wird festgelegt, auf Grundlage welcher Topoi eine öffentliche Diskussion geführt wird.108 Dies entspricht der Selektionsfunktion des Öffentlichkeitssystems bei GERHARDS/NEIDHARDT (1990, 13). Auf dieser Ebene kann von einer Zersplitterung der Öffentlichkeit nicht die Rede sein. Dies bestätigt auch die abschließend durchgeführte Konsensanalyse, die zudem die ‚legitime Diskussionsgrundlage‘ inhaltlich benennt: Es sind vor allem die Topoi vom wirtschaftlichen Nutzen und der Humanitäts-Topos, und der Belastungs-Topos mit denen argumentiert wird, aber auch Mißbrauchs- sowie der Rechts-Topos und der VerständigungsTopos spielen eine Rolle. Betrachtet man dagegen die Bewertung der einzelnen Topoi, so bleibt von der Einigkeit wenig übrig. Je nach dem in welcher Teil-Öffentlichkeit ein Topos eingesetzt wird, erzeugt er unterschiedliche Resonanz, hierbei kann v.a. die Öffentlichkeit der AboZeitungen von der Boulevard-Öffentlichkeit unterschieden werden. Interessanterweise ist die Resonanz jedoch in den subjektiven Genres medienübergreifend tendenziell Da die Bewertungsmittelwerte jedoch bei Bild positiv und bei Tagesspiegel und SZ negativ sind, ist nach dem vorgeschlagegen Verfahren selbst in diesem Fall keine relativ gleiche Bewertung zu sehen. 107 Als besonders wichtige Topoi wurden aus den Topoi, die in allen drei Zeitungen mindestens zweimal vorkamen, die drei häufigsten ausgewählt. 108 In der untersuchten Woche waren dies v.a. der Topos vom wirtschaftlichen Nutzen und der Humanitäts-Topos. Eine gewisse medienübergreifende Bedeutung haben auch der Verständnis-Topos und der Rechts-Topos. Uneinigkeit bestand vor allem über die Verwendung des Belastungs- und des Mißbrauchs-Topos, den Topos vom politischen und vom menschlichen Nutzen sowie den Veränderungs-Topos. Der Verständnis-Topos wurde dabei vor allem in der Version gebraucht, daß die MigrantInnen sich den deutschen Verhältnissen anpassen und insofern Verständnis üben sollen. Vgl. hierzu auch Anhang B. 5 Argumentanalyse 84 einheitlicher als in den objektiven. Dies entspricht nicht den Erwartungen, denn immerhin werden in den objektiven Genres v.a. die Argumente medienexterner Akteure wiedergegeben, so daß man zunächst mehr Gemeinsamkeiten in diesem Bereich erwarten würde als in den subjektiven Genres, wo es größere Möglichkeiten für unterschiedliche Realitätskonstruktion gibt. Der Befund läßt sich aber so interpretieren, daß die Synthetisierungsfunktion der Öffentlichkeit bzw. des Mediensystems (GERHARDS/NEIDHARDT 1990, 13f) eher in den subjektiven Genres stattfindet als in den objektiven. Wie bereits erwähnt, war die Synthetisierungsleistung der drei untersuchten Zeitungen in der Berichterstattung zum Zuwanderungsgesetz in der untersuchten Woche jedoch insgesamt relativ gering.109 Dies verwundert nicht, handelt es sich doch gewissermaßen erst um den ‚Beginn‘ einer über mehrere Monate anhaltenden politischen Auseinandersetzung. Um so bedeutender erscheint vor diesem Hintergrund der Befund, daß die Süddeutsche Zeitung und der Tagesspiegel bereits eine relativ einhellig bewertende Arena konstituieren, gegenüber der die Bildzeitung letztlich als ‚non-konformistisches‘ Medium unter den drei Zeitungen erscheint. Dies verweist noch einmal darauf, daß die vorgeschlagenen Kennwerte für Integration bzw. Non-Konformismus natürlich immer nur relativ zu den tatsächlich untersuchten Medien interpretieren lassen. Bild kann also als Boulevardzeitung gegenüber einer überregionalen und einer regionalen Abonnementszeitung zwar durchaus als non-konformistisch bezeichnet werden, dies aber über ihre Position im gesamten massenmedialen Spektrum kaum etwas aussagt. Die Untersuchung von SZ, Tagesspiegel und Bild hat ergeben, daß es unter den dreien im Zuwanderungsdiskurs keinen Außenseiter gibt, wohl aber einen NonKonformisten. Die Frage, ob die drei eher eine gemeinsame oder mehrere Teilöffentlichkeiten konstituieren, muß insgesamt also differenziert beantwortet werden: Grundsätzlich bilden die drei Zeitungen eine gemeinsame, integrierte Öffentlichkeit. Die Gemeinsamkeit bezieht sich jedoch nur auf die für die Diskussion relevanten Topoi. Die Konformität der gemeinsamen Öffentlichkeit ist jedoch – zumindest zum Untersuchungszeitpunkt – noch gering. Es existiert noch keine eindeutige öffentliche Meinung zum neuen Zuwanderungsgesetz. 109 Kontrovers bewertet wurden vor allem der Belastungs-Topos, der Mißbrauchs-Topos, sowie der VerständnisTopos, aber auch der Humanitäts-Topos, der Demographie-Topos, und der Machbarkeits-Topos. 6 Fazit 85 6 Fazit In dieser Arbeit wurde die politikwissenschaftliche Macht-Konzeption Gerhard Göhlers mit einem linguistisch orientierten Ansatz der Argumentationstheorie v.a. von Manfred Kienpointner in Verbindung gebracht, um zunächst theoretisch zu klären, wie durch öffentliche Argumentation Macht ausgeübt werden kann. Zur Spezifizierung von Öffentlichkeit diente das Arena-Modell von Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt. Es wurde gezeigt, welche Bedeutung ein öffentlicher Grundkonsens für die Macht öffentlicher Argumentation hat: Nur wenn Argumente auf bestehende Selbstverständlichkeiten (Topoi) aufbauen können, sind sie als Mittel der Machtausübung tauglich. Oder anders formuliert: Nur insofern es solche öffentlichen Selbstverständlichkeiten gibt, werden Argumente bzw. die öffentliche Diskussion überhaupt als Mittel des politischen Machtkampfes interessant. Dieser theoretische Befund wurde als Abgrenzungskriterium für (Teil-)Öffentlichkeiten herangezogen: In der politischen Kommunikation unterscheidet sich eine Öffentlichkeit dann von einer anderen, wenn sie unterschiedliche Machtressourcen zur Verfügung stellen, d.h. wenn sie von unterschiedlichen Selbstverständlichkeiten ausgehen. Eine oder mehrere Öffentlichkeiten? Integration und Konsonanz Die anschließende Fallstudie ging der Frage nach, ob die drei untersuchten Zeitungen, Tagesspiegel, Bild und Süddeutsche Zeitung eine gemeinsame Öffentlichkeit konstruieren oder ob sie eher in einzelne Teil-Öffentlichkeiten zerfallen. Diese Frage läßt sich auf zwei Ebenen beantworten, je nach dem ob man die Selektionsleistung oder die Synthetisierungsleistung von Öffentlichkeit betrachtet. Bei der Selektionsfunktion von Öffentlichkeit geht es darum, welche Argumente überhaupt als diskussionswürdig qualifiziert werden, d.h. welche Argumente bevorzugten Zugang zur Arena erhalten. Argumentationstheoretisch sind das diejenigen Argumente, die sich auf Gründe stützen, die in dieser Arena als diskussionswürdig angesehen werden. Der Topos eines Arguments kann also als Aus- bzw. Einschlußkriterium für die Diskussion in einer öffentlichen Arena benannt werden. Wie stark eine aus mehreren Arenen zusammengesetzte Öffentlichkeit integriert ist, läßt sich daher an dem Grad der übereinstimmenden Relevanzzuweisung zu den Topoi in den einzelnen Arenen ablesen („Integration“). Wenn man Teil-Öffentlichkeiten dagegen anhand ihrer Synthetisierungsfunktion voneinander abgrenzt, so ist nicht mehr die der bloße Verwendung von Argumenten relevant, sondern deren Bewertung. Aus der Vielfalt der verschiedenen Argumente stoßen 6 Fazit 86 einige auf Wohlwollen und Lob, andere werden kritisiert oder zumindest ignoriert. Der Topos dieser Argumente erweist sich dann in Bezug auf die behandelte Frage als besonders mächtig oder besonders ohnmächtig, je nach dem wie die Resonanz in einer bestimmten Medien-Arena ausfällt. Von einer medienübergreifenden Gesamt- Öffentlichkeit kann man dann sprechen, wenn diese Resonanz in allen TeilÖffentlichkeiten ähnlich ist („Konsonanz“). Einerseits stellt sich also die Frage, ob überall die gleichen Zugangskriterien zur öffentlichen Arena gelten oder ob es viele Nischen gibt, in denen unkonventionelle Argumente entfaltet werden können. Die zweite Frage ist dann, ob die Argumente, die es in die Öffentlichkeit geschafft haben, dort überall gleich aufgenommen werden oder nicht. Machttheoretisch sind beide Fragen relevant: Im ersten Schritt werden gewissermaßen die ‚Waffen‘ der diskursiven Auseinandersetzung zu einem bestimmten Thema gewählt, im zweiten werden sie angewendet. Bleibt man in diesem Bild des Kampfes, kann man anhand der empirischen Befunde dieser Arbeit sagen, daß in den untersuchten Öffentlichkeiten ein relativ großer Konsens besteht, mit welchen Waffen gekämpft werden darf. Wenn ein Akteur seine ‚Waffe‘ jedoch einmal gewählt, d.h. sein Argument formuliert und damit Zugang zur Öffentlichkeit erhalten hat, so stößt er nun doch auf ganz unterschiedlichen Widerstand bzw. Unterstützung, je nach dem in welcher Arena er gerade ‚kämpft‘ bzw. argumentiert. Zwei Funktionen öffentlicher Argumentation Die beiden thematisierten Fragen verweisen nun auf zwei unterschiedliche Funktionen von öffentlicher Argumentation im Verhältnis zur Macht: Zum einen dienen Argumente dazu, den Willen eines Akteurs gegen den anderer Akteure durchzusetzen, also Macht auszuüben. Die Argumente, die positiv aufgenommen werden, setzen sich gegen die anderen durch. Indem sich die verwendeten Argumente aber bestimmter Topoi bedienen, wirken sie zum anderen immer auch auf diese normative Grundlage zurück. Die Anwendung bestimmter Topoi auf ein bestimmtes Problem bestärkt die grundsätzliche Akzeptanz dieses Topos in Bezug auf dieses Problem. Wenn also in der Zuwanderungsfrage immer wieder öffentlich z.B. mit wirtschaftlichen Kriterien argumentiert wird, so führt dies zu einer zunehmenden Etablierung dieses Topos in der Diskussion. Die erste Funktion öffentlicher Argumentation – die kurzfristige Ausübung transitiver Macht – kann als die konservative Funktion öffentlicher Argumentation bezeichnet werden: Sie bedient sich optimalerweise nur der bestehenden, weithin akzeptierten Topoi und wendet sie auf eine Weise an, daß sie möglichst positive 6 Fazit 87 Resonanz erzeugt. Neben der erfolgreichen Machtausübung wird eine nochmalige Bestätigung vorhandener Normen bzw. der öffentlichen Meinung bewirkt. Die zweite Funktion öffentlicher Argumentation – die Etablierung neuer Topoi, also die Veränderung der intransitiven Machtressourcen – kann demgegenüber als die progressive Funktion öffentlicher Argumentation bezeichnet werden. Ziel ist nicht der kurzfristige Machtgewinn, sondern die langfristige Veränderung der Bedingungen von Argumentation (wenngleich dies natürlich mit dem Ziel geschieht, ggf. später kurzfristige Machteffekte auf neuer Grundlage zu erzielen). Diese Begriffe konservativer und progressiver Argumentation sind als Idealtypen zu verstehen, die real nicht völlig getrennt voneinander existieren. Jedes Argument, das eine neue Perspektive einführen will, muß stets an das Bestehende anknüpfen und es damit reproduzieren. Und jedes Argument, das sich affirmativ auf das Bestehende bezieht, weil es auf Machtgewinn zielt, muß dieses Bestehende im Lichte eines konkreten Problems interpretieren und es damit verändern, denn die bloße Wiederholung von Allgemeinplätzen (griech: topoi) vermag noch kein konkretes Problem zu lösen. Ob öffentliche Argumentation in der Realität nun eher konservativ oder eher progressiv wirkt, ist eine empirische Frage, die für jede Öffentlichkeit getrennt beantwortet werden müßte. Interessanter für eine Klärung des Verhältnisses von öffentlicher Argumentation und Macht ist jedoch die Frage, ob womöglich in einer Öffentlichkeit konservative oder progressive Argumentationen strukturell bevorzugt werden, d.h. ob die Bedingungen für die eine oder die andere Seite günstiger sind. Auch diese Frage ist eine empirische, denn es muß geklärt werden, welches die Bedingungen der betreffenden Öffentlichkeit sind. Will man wissen, ob diese Bedingungen eher günstig für konservative oder für progressive Argumentationen sind, muß auch die theoretische Frage beantwortet werden, welches die optimalen Bedingungen für jede Seite wären, um diese dann mit den tatsächlichen Bedingungen zu konfrontieren. Die optimale Bedingung für konservative, d.h. auf Machtausübung gerichtete Argumentation, wäre eine völlig integrierte Öffentlichkeit. In einer solchen Öffentlichkeit bestünde ein Konsens über die relevanten Topoi, im Extremfall wäre dies sogar ein einziger Topos, auf dessen Grundlage alle Fragen beantwortet würden (hohe Integration). Argumentation könnte bzw. müßte sich in dieser Öffentlichkeit auf diesen einen Topos stützen und wäre damit gegenüber Argumenten, die sich auf andere Topoi stützen, relativ erfolgreich (‚Totschlagargumente‘). Auf die Spitze getrieben wären diese Bedingungen, wenn auch über die Bewertung der Topoi Einigkeit bestünde (hohe Konsonanz). Die 6 Fazit 88 Lösung eines Problems wäre unter diesen Bedingungen völlig eindeutig, und wer sie öffentlich vorbrächte, hätte gewissermaßen die absolute Macht, sie auch umzusetzen. Progressive Argumentationen können sich dagegen eher in weniger stark integrierten Öffentlichkeiten entfalten. Wenn ohnehin keine große Einigkeit über die relevanten Topoi besteht, ist es relativ einfach, einen neuen Topos zu einzuführen und ihm womöglich sogar eine wichtige Rolle zu sichern. Sind diese Bedingungen nicht gegeben, können neue Topoi nur sehr langsam durch ‚Ableitung‘ von bestehenden Topoi bzw. deren Neuinterpretation eingeführt werden. Ein Vergleich dieser Optimalbedingungen mit den Ergebnissen der Fallstudie ist nur begrenzt sinnvoll, da die untersuchten Zeitungen nur einen sehr kleinen Ausschnitt einer viel größeren Öffentlichkeit darstellen. Begrenzt auf die drei Zeitungen kann man jedoch sagen, daß diese Öffentlichkeit – bezogen auf die Zuwanderungsfrage – bessere Bedingungen für konservative Argumentationen bot als für progressive, da sie relativ stark integriert ist. Es war insgesamt einfacher, Argumente auf dem Topos vom wirtschaftlichen Nutzen, dem Humantitäts-Topos oder dem Belastungs-Topos aufzubauen als auf irgendeinem anderen Topos. Die Bewertung der Topoi war zwar medienübergreifend schon weniger konsonant, jedoch lassen sich die drei genannten Topoi als eine Art Zentrum der Debatte identifizieren, in dem die Bewertungen noch vergleichsweise homogen waren. Jenseits dieses Kerns der Debatte nimmt die Einigkeit ab, so daß man von einer weniger integrierten Peripherie sprechen kann, in der die weniger etablierten Topoi zur Anwendung kommen. Insgesamt blieb das Optimum konservativer Argumentation also begrenzt auf ein diskursives Zentrum, in dessen Peripherie mit abnehmender Einigkeit auch die mögliche Machtwirkung von Argumentation ab- und die Möglichkeit, ‚neue‘ Topoi einzuführen bzw. vernachlässigte Topoi zu bestärken, zunahm. Dies dürfte typisch sein, für den Ausgangspunkt einer Debatte, in dem der Machtkampf in Bezug auf ein bestimmtes Problem noch am Anfang steht. Inwiefern sich dies im Lauf der Debatte geändert hat, kann anhand der Daten nicht beurteilt werden. Sieht man aber, daß die konservative Argumentation im Zentrum immer zugleich auch ihre Grundlagen reproduziert und bestärkt, indem sie sie mehr oder weniger erfolgreich anwendet, die progressive Argumentation in der Peripherie jedoch umgekehrt kurzfristig keine positiven Machteffekte für sich verbuchen kann, was ihr Ziel der Bestärkung ihrer ohnehin peripheren Topoi zusätzlich erschwert, so liegt theoretisch die Vermutung nahe, daß im Verlauf der Debatte eher eine weitere Differenzierung von Zentrum und Peripherie erfolgt als daß es gelänge, anfangs periphere Topoi ins Zentrum zu rücken. 6 Fazit 89 Die Rolle der subjektiven und der objektiven Genres Eine solche zunehmende Fokussierung auf das Zentrum würde der Selektions- und der Synthetisierungsfunktion von Öffentlichkeit entsprechen: Die Topoi des diskursiven Zentrums werden durch die Medienöffentlichkeit als die relevanten selektiert, und die Komplexität der Meinungen wird auf eine einheitliche Bewertung dieser Topoi hin synthetisiert. Prinzipiell ist dabei aber noch offen, wie diese Selektion und Synthetisierung zustande kommen. Sind es eher die Akteure selbst, die sich in ihrer öffentlichen Auseinandersetzung auf wenige Topoi beschränken und sich auf deren einheitliche Bewertung einigen, oder ist es eher die aktive Konstruktion von Öffentlichkeit durch die Massenmedien, die entsprechende Bedingungen schafft? Diese Frage läßt sich anhand eines Vergleichs von subjektiven und objektiven journalistischen Genres beantworten, da in den subjektiven Genres ein höherer Anteil an aktiver Konstruktionsleistung der Medien unterstellt werden kann als in den objektiven. Der empirische Vergleich der Genres hat ergeben, daß die Selektionsfunktion stärker in den objektiven Genres erfüllt wird, während die Synthetisierungsleistung eher in den subjektiven Genres erfolgt (wenngleich in der Fallstudie keinesfalls Konsonanz erzielt wurde). Dies läßt sich nun so interpretieren, daß die öffentlich auftretenden Akteure sich zunächst auf bestimmte zentrale Topoi für ihre Auseinandersetzung einigen, deren einheitliche Bewertung dann aber eher durch die Konstruktionsleistungen des Mediensystem erfolgt als durch die Akteure selbst. Massenmediale Öffentlichkeit (zumindest die hier untersuchte) wirkt also womöglich – entgegen einer verbreiteten Auffassung – eher als Katalysator im politischen Diskussionsprozess denn als Bremse: Einigkeit, die unter den zerstrittenen Akteuren womöglich noch gar nicht besteht, wird in der Medienöffentlichkeit in Form von öffentlicher Meinung vorweggenommen bzw. hergestellt. Grenzen und Vorteile der Studie Wegen der Neuartigkeit des methodischen Vorgehens im empirischen Teil dieser Arbeit soll die Studie abschließend noch unter methodischen Gesichtspunkten evaluiert werden, um einerseits die Grenzen, andererseits die Vorteile der Vorgehensweise zu verdeutlichen. Die erste Grenze stellt die geringe Anzahl verschiedener Zeitungen dar, die wenig repräsentativ für das Mediensystem der BRD sind. Aussagen etwa über eine bundesdeutsche „Gesamt-Öffentlichkeit“, die von der Fragestellung eigentlich nahe gelegt wären, waren damit kaum möglich. Insofern sind Verallgemeinerungen, dort wo sie dennoch mit aller Vorsicht getroffen wurden, lediglich als Vermutungen interpretierbar. Das zweite Problem lag in der Zahl der erhobenen Argumente: Während die zentralen Topoi zwar ausreichende Fallzahlen auf sich vereinigen konnten, bleibt die 6 Fazit 90 Interpretierbarkeit der peripheren Topoi wegen der geringen Datengrundlage begrenzt. Noch schwieriger ist die Lage bei der Bildzeitung, deren Datengrundlage insgesamt aus lediglich 35 Argumenten bestand. Drittens bleibt die Studie in zeitlicher Hinsicht begrenzt, da der Erhebungszeitraum zeitlich auf eine Woche beschränkt war. Aussagen über Veränderungen im Zeitverlauf der Debatte waren somit nicht möglich. Schließlich kann noch festgehalten werden, daß aus Sicht quantitativ empirischer Sozialforschung die Reliabilität des Instruments – insbesondere bei der zentralen Topos-Variable – allenfalls das Minimum der üblichen Standards erfüllt. Dabei bleibt offen, wie weit sich dies noch verbessern läßt, oder ob nicht die geringe Reliabilität der ‚Preis‘ für eine auf Diskursanalyse angelegte Argumentanalyse ist. Trotz der beschriebenen Probleme sind die Ergebnisse der Studie jedoch überraschend gut interpretierbar. Die vorgestellte Argumentanalyse bietet ein theoretisch fundiertes Instrument zur Analyse der Argumentationsgrundlage in öffentlichen Debatten. Da das Argument die Codiereinheit darstellt, ist sichergestellt, daß die codierten Topoi eine wirkliche Relevanz in der Auseinandersetzung besitzen. Die Vorgehensweise ermöglicht prinzipiell eine Analyse der Daten auf zwei Ebenen: Zum einen lassen sich Aussagen über die Rolle der einzelnen Medien bei der Konstitution einer Gesamt-Öffentlichkeit treffen. Zum anderen lassen sich aber auch die inhaltlichen Grundlagen dieser Öffentlichkeit bzw. einzelner Teil-Öffentlichkeiten bestimmen. Analog zu diesen beiden Analyseebenen wurden mit der Argumentanalyse zwei Abstraktionsleistungen operationalisierbar gemacht, die für eine Analyse gesellschaftlicher Diskurse mittels quantitativ-empirischer Sozialforschung hilfreich sind. Die Abstraktion von einzelnen Argumenten durch Aggregation auf Topos-Ebene löst das Problem, daß in komplexen Debatten wie der Zuwanderungsdebatte eine Vielzahl spezifischer Argumente zu finden sind,110 die sich zudem im Verlauf der Debatte verändern, so daß es schwierig würde, auf Argument-Ebene zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen. Die Kategorie der Topoi rückt eine allgemeinere Ebene gesellschaftlicher Diskurse in den Blick, die auch jenseits einzelner spezifischer Auseinandersetzungen langfristige Bedeutung besitzen. Die Abstraktion von einzelnen Medien hin zu einem Begriff von Öffentlichkeit, der nicht durch die Grenzen einzelner Medien, sondern inhaltlich bestimmt ist, lenkt den Fokus auf gesellschaftliche Diskurse, die nicht von einzelnen Medien allein, sondern von der Gesamtheit der Medien vermittelt und hervorgebracht werden. Richtet man den Blick auf die Inhalte öffentlicher Diskurse so macht dieser Begriff von Öffentlichkeit nicht 110 Eine Sammlung von Argumenten im Argumentationsanalyse-Seminar (vgl. FN 68) ergab eine Liste von knapp 1.000 Argumenten. 6 Fazit 91 notwendig an nationalstaatlichen Grenzen halt, sondern ermöglicht auch die Analyse transnationaler, z.B. europäischer, ‚westlicher‘, ‚östlicher‘ oder auch globaler Diskurse. Literatur 98 Literatur Anmerkung zur Zitierweise: Um den Entstehungszeitpunkt (d.h. den historischen Zusammenhangs) jedes Textes im Auge zu behalten, wird das Jahr der Erstveröffentlichung – gleich in welcher Sprache – direkt nach dem Namen (und im Text) angegeben. Der darauffolgende Titel mit Ort und Jahreszahl bezieht sich auf die von mir verwendete Ausgabe. Bei veränderten Neuauflagen wird das Jahr der Neuauflage verwendet. Weitere Informationen wie z.B. das Jahr der deutschen Erstveröffentlichung werden ggf. in Klammern erwähnt. Bei den antiken Werken wird u.a. wegen der ungenauen Datierung auf eine Jahresangabe verzichtet. Statt dessen werden die üblichen Titelabkürzungen verwendet. ARENDT, HANNAH (1958): Vita activa oder Vom tätigen Leben. München 1981. (Deutsche Erstausgabe 1967) ARENDT, HANNAH (1970): Macht und Gewalt. München. ARISTOTELES [Rhet.]: Rhetorik. Übersetzt von Franz G. Sieveke. München 1980. ARISTOTELES [Top.]: Topik. In: Aristoteles: Organon. Bd. 1. Herausgegeben und übersetzt von Hans Günter Zekl. Hamburg 1997. BERELSON, BERNARD (1952): Content Analysis in Communication Research. New York. BORNSCHEUER, LOTHAR (1976): Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft. Frankfurt am Main. CLARK, KARIN (2002): Writers-in-Prison-Bericht 2. Halbjahr 2002. Veröffentlich zur Frankfurter Buchmesse. [http://www.pen-deutschland.de/deutsch/prison_2002_2_hj.htm; Stand: 16.5.03] COHEN, BERNHARD C. (1963): The Press and Foreign Policy. Princeton, NJ. VAN DEN DAELE, WOLFGANG / NEIDHARDT, FRIEDHELM (1996): „Regierung durch Diskussion“ – Über Versuche, mit Argumenten Politik zu machen. In: Kommunikation und Entscheidung. Politische Funktionen öffentlicher Meinungsbildung und diskursiver Verfahren. Berlin. S. 9-50. DEMIROVIC, ALEX (1994): Hegemonie und Öffentlichkeit. In: Das Argument Jg. 36, Heft 4/5 (206). S. 675-691. VAN EEMEREN, FRANS H. (2001a): The State of the Art in Argumentation Theory. In: Ders. (2001) S. 15-26. VAN EEMEREN, FRANS H. (Hrsg.) (2001): Crucial Concepts in Argumentation Theory. Amsterdam. VAN EEMEREN/GROOTENDORST/SNEOEK HENKEMANS u.a. (1996): Fundamentals of Argumentation theory. A Handbook of Historical Backgrounds and Contemporary Developments. Mahwah, NJ. EGGS, EKKEHARD (1992): Argumentation. In: UEDING, GERT (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Band 1. Tübingen. S.914-991. FINK-EITEL, HINRICH (1989): Michel Foucault zur Einführung. Hamburg 31997. Literatur 99 FOUCAULT, MICHEL (1972): Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France, 2. Dezember 1970. Frankfurt am Main 1997. (Deutsche Erstausg: 1974) FOUCAULT, MICHEL (1975): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main 1998. (Deutschet. Erstausgabe: 1977) FOUCAULT, MICHEL (1976): Sexualität und Wahrheit. Bd. 1: Der Wille zum Wissen. Frankfurt am Main 101998. (Deutsche Erstausgabe: 1983) FOUCAULT, MICHEL (1981): Für ein Kritik der Politischen Vernunft. In: Lettre International Heft 1/1988. S. 58-66. [Erstveröffentlichung: Omnes et Singulatim: towards a criticism of 'political reason'. In: MCMURRIN, STERLING M. (Hrsg.) (1981): The Tanner Lectures on Human Values II. Cambridge. S. 225-254.] FRANZ, BARBARA (2000a): Rhetorik und massenkommunikative Meinungsbildung. In: BROSIUS, HANS-BERND (Hrsg.): Kommunikation über Grenzen und Kulturen. Konstanz. S. 43-55. FRANZ, BARBARA (2000b): Öffentlichkeitsrhetorik. Massenmedialer Diskurs und Bedutungswandel. Wiesbaden. FRÜH, WERNER (2001): Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. Konstanz. [5., überarbeitete Auflage; erste Auflage: 1981] FUCHS, DIETER / PFETSCH, BARBARA (1996): The Observation of Public Opinion by the Governmental System. Berlin. [WZB Discussion Paper FS III 96-105] GARSSEN, BART (2001): Argument Schemes. In: VAN EEMEREN, FRANS H. (Hrsg.): Crucial Concepts in Argumentation Theory. Amsterdam. S. 81-99. GERHARDS, JÜRGEN (1991): Dimensionen und Strategien öffentlicher Diskurse. In: Journal für Sozialforschung Jg. 32, Heft 3/4. S. 307-318. GERHARDS, JÜRGEN (1993): Neue Konfliktlinien in der Mobilisierung öffentlicher Meinung. Eine Fallstudie. Opladen. GERHARDS, JÜRGEN (1997): Diskursive versus liberale Öffentlichkeit. Eine empirische Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Jg. 49, Heft 1. S. 1-34. GERHARDS, JÜRGEN / LINDGENS, MONIKA (1995): Diskursanalyse im Zeit- und Ländervergleich. Methodenübersicht über eine systematische Inhaltsanalyse zur Erfassung des öffentlichen Diskurses über Abtreibung in den USA und der Bundesrepublik in der Zeit von 1970 bis 1994. Berlin. [WZB Discussion Paper FS III 90-101] GERHARDS, JÜRGEN / NEIDHARDT, FRIEDHELM (1990): Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und Ansätze. Berlin. [WZB Discussion Paper FS III 90-101] GERRITSEN, SUSANNE (2001): Unexpressed Premisses. In: VAN EEMEREN, FRANS H. (2001) S. 51-79. GITLIN, TODD (1980): The Whole World is Watching. Mass Media in the Making and Unmaking of the New Left. Berkeley. GOFFMAN, ERVING (1974): Frame Analysis. An Essay on the Organization of Experience. New York. GÖHLER, GERHARD (Hrsg.) (1995): Macht der Öffentlichkeit - Öffentlichkeit der Macht. Baden-Baden. GÖHLER, GERHARD (1997a): Der Zusammenhang von Institution, Macht und Repräsentation. In: GERHARD GÖHLER u.a.: Institution - Macht - Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken. Baden-Baden. S. 11-62. Literatur 100 GÖHLER, GERHARD (1997b): Zusammenfassung und Folgerungen: die institutionelle Konfiguration. In: GERHARD GÖHLER u.a.: Institution - Macht – Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken. Baden-Baden. S. 579-599. GÖHLER, GERHARD (2000): Constitution and Use of Power. In: HENRY GOVERDE /PHILIP G. CERNY /MARK HAUGAARD u.a. (2000), S. 41-58. GÖHLER, GERHARD u.a. (Hrsg.) (1997): Institution - Macht - Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken. Baden-Baden GOVERDE, HENRY /PHILIP G. CERNY /MARK HAUGAARD u.a. (Hrsg.) (2000): Power in Contemporary Politics. Theories, Practices, Globalizations. London, Thousand Oaks, New Delhi. GRAMSCI, ANTONIO (1967): Philosophie der Praxis. Eine Auswahl. Hg. und übers. von Christian Riechers. Frankfurt am Main. HABERMAS, JÜRGEN (1973): Wahrheitstheorien. In: FAHRENBACH, HELMUT (Hrsg.): Wirklichkeit und Refelxion. Pfullingen. HABERMAS, JÜRGEN (1989): Volkssouveränität als Verfahren. Ein normativer Begriff von Öffentlichkeit. In: Merkur Jg. 43, Heft 6. S. 465-477. HABERMAS, JÜRGEN (1989/1): Theorie des kommunikativen Handelns. Band 1: Handlungsrationalität und Gesellschaftliche Rationalisierung. Frankfurt am Main 1997. HABERMAS, JÜRGEN (1989/2): Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frankfurt am Main 1997. HAGEN, LUTZ M. (1992): Die Opportunen Zeugen. Konstruktionsmechanismen von Bias in der Volkszählungsberichterstattung von FAZ, FR, SZ, taz und Welt. In: Publizistik Jg. 37, Heft 4. S. 44-460. HALLIN, DANIEL C. (1994): We Keep America on Top of the World. Television journalism and the public sphere. London und New York. HENRICH, DIETER (1974): Kritik der Verständigungsverhätnisse. In: HABERMAS, JÜRGEN / HENRICH, DIETER: Zwei Reden. Aus Anlaß der Verleihung des Hegel-Preises 1973 der Stadt Stuttgart an Jürgen Habermas am 19. Januar 1974. Frankfurt am Main. S. 9-22. HOLSTI, OLE R. (1969): Content Analysis für the Social Sciences and Humanities. Reading/Mass. u.a. IYENGAR, SHANTO (1991): Is Anyone Responsible? How Television Frames Political Issues. Chicago/London. KEPPLINGER, HANS MATHIAS (1998): Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft. Freiburg und München. KEPPLINGER, HANS MATHIAS / BROSIUS, HANS-BERND / STAAB, JOACHIM FRIEDRICH / LINKE, GÜNTER (1992). Instrumentelle Aktualisierung. Grundlage einer Theorie kognitiv-affektiver Medienwirkungen. In: SCHULZ, WINFRIED (Hrsg.): Medienwirkungen. Einflüsse von Presse, Radio und Fernsehen auf Individuum und Gesellschaft. Weinheim. S. 161-189 KIENPOINTNER, MANFRED (1983): Argumentationsanalyse. Innsbruck. KIENPOINTNER, MANFRED (1992a): Argument. In: UEDING, GERT (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Band 1. Tübingen. S. 889-904. KIENPOINTNER, MANFRED (1992b): Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustern. Stuttgart. Literatur 101 KLEIN, JOSEF (1999): Rhetorik und Argumentation. Eine Einführung. In: Der Deutschunterricht Jg. 51, Heft 5. S. 3-12. KLEIN, WOLFGANG (1980): Argumentation und Argument. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Heft 38/39. S. 9-57. KNOBLAUCH, HUBERT (2000): Topik und Soziologie. Von der sozialen zur kommunikativen Topik. In: THOMAS SCHIRREN / GERT UEDING (Hrsg.): Topik und Rhetorik. Ein interdisziplinäres Symposium. Tübingen 2000. S. 651-667. KOPPERSCHMIDT, JOSEF (1981): Argumentationstheoretische Anfragen an die Rhetorik. Ein Rekonstruktionsversuch der antiken Rhetorik. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Jg. 11, Heft 43/44. S. 44-65. KOPPERSCHMIDT, JOSEF (1989): Methodik der Argumentationsanalyse. Stuttgart. KUHLMANN, CHRISTOPH (1999): Die öffentliche Begründung politischen Handelns. Zur Argumentationsrationalität in der politischen Massenkommunikation. Opladen/Wiesbaden. KUHLMANN, CHRISTOPH (2000): Strukturen politischer Argumentation in Migrationsfragen. In: SCHATZ, HERIBERT / HOLTZ-BACHA, CHRISTINA / NIELAND, JÖRG-UWE (Hrsg.): Migranten und Medien. Neue Herausforderungen an die Integrationsfunktion von Presse und Rundfunk. Wiesbaden 2000. S. 181195. LEMKE, THOMAS (1997): Eine Kritik der politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität. Hamburg. LEMKE, THOMAS (2002): Die politische Theorie der Gouvernementalität: Michel Foucault. In: BRODOCZ, ANDRÉ / SCHAAL, GARY S. (Hrsg.): Politische Theorien der Gegenwart I. Opladen. S. 471-501. LUHAMNN, NIKLAS (1970): Öffentliche Meinung. In: Politische Vierteljahresschrift Jg.11, Heft 1. S. 2-28. LUHMANN, NIKLAS (1990): Gesellschaftliche Komplexität und öffentliche Meinung. In: Ders.: Soziologische Aufklärung. Konstruktivistische Perspektiven. Opladen 21993. S. 170-182. LUHMANN, NIKLAS (1996): Die Realität der Massenmedien. Opladen. [2., erweiterte Auflage] MACCOBY, NATHAN (1973): Die neue „wissenschaftliche Rhetorik“. In: BURKART, ROLAND (Hrsg.): Wirkungen der Massenkommunikation. Theoretische Ansätze und empirische Ergebnisse. Wien 31992. S. 8-15. MCCOMBS, MAXWELL E./ SHAW, DONALD L. (1993): The Evolution of Agenda-Setting Research: Twenty-Five Years in the Marketplace of Ideas. In: Journal of Communication Jg. 43, Heft 2. S. 58-67. MERTEN, KLAUS (1995): Inhaltsanalyse. Einführung in Theorie, Methode und Praxis. Opladen. [2., verbesserte Auflage; erste Auflage: 1983] MERTEN, KLAUS (2001): Konsensanalyse. Ein neues Instrument der Inhaltsanalyse. In: WIRTH, WERNER / LAUF, EDMUND (Hrsg.): Inhaltsanalyse. Perpektiven, Probleme, Potentiale. Köln. S. 234-243. MERTEN, KLAUS / SCHMIDT, SIEGFRIED J. / WEISCHENBERG, SIEGFRIED (Hrsg.) (1994): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen. [Darin insb. S. 141-290] Literatur 102 MERTEN, KLAUS / WESTERBARKEY, JOACHIM (1994): Public Opinion and Public Relations. In: MERTEN, KLAUS / SCHMIDT, SIEGFRIED J. / WEISCHENBERG, SIEGFRIED (Hrsg.) Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen. S. 188-211. NAESS, ARNE (1947): Kommunikation und Argumentation. Eine Einführung in die angeandte Semantik. Kronberg/Ts. 1975. NEIDHARDT, FRIEDHELM (2001): Öffentlichkeit. In: SCHÄFERS, BERNHARD / ZAPF, WOLFGANG (Hrsg.): Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands. Bonn. [2. erweiterte und aktualisierte Auflage] S. 502-510. NEIDHARDT, FRIEDHELM / EILDERS, CHRISTIANE / PFETSCH, BARBARA (1998): Die Stimme der Medien im politischen Prozeß. Themen und Meinungen in Pressekommentaren. Berlin. [Veröffentlichungen der Abteilung Öffentlichkeit und soziale Bewegungen des Forschungsschwerpunktes Sozialer Wandel, Institutionen und Vermittlungsprozesse des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. FS III 98-106] NOELLE-NEUMANN, ELISABETH (1990): Über die Einheit von Forschung und Lehre. Das didaktische Konzept. In: WILKE, JÜRGEN (Hrsg.): Fortschritte der Publizistikwissenschaft. Freiburg und München 21993. S. 223-230. NOELLE-NEUMANN, ELISABETH (1991): Öffentliche Meinung. Die Entdeckung der Schweigespirale. Frankfurt am Main / Berlin. [Erweiterte Ausgabe; erste Ausgabe: 1980] NOELLE-NEUMANN, ELISABETH (1997): Über den Fortschritt der Publizistikwissenschaft durch Anwendung empirischer Forschungsmethoden. Eine autobiographische Aufzeichnung. In: KUTSCH, ARNULF / PÖTTKER, HORST (Hrsg.): Kommunikationswissenschaft – autobiographisch. Zur Entwicklung einer Wissenschaft in Deutschland. Opladen. S. 36-61. NUSSBAUMER, MARKUS (1995): Argumentation und Argumentationstheorie. Heidelberg. ÖHLSCHLÄGER, GÜNTHER (1979): Linguistische Überlegungen zu einer Theorie der Argumentation. Tübingen. PAN, ZHANGDONG / KOSICKI, GERALD M. (1993): Framing analysis. An approach to news discourse. In: Political Communication Jg. 10, Heft 1. S. 55-75. PITKIN, HANNAH F. (1972): Wittgenstein and Justice. Berkeley. PRAKKE, HENK (1965): Die Lasswell-Formel und ihre rhetorischen Ahnen. In: Publizistik Jg. 10, Heft 3. S. 285-291. ROSE, NIKOLAS / MILLER, PETER (1992): Political power beyond the State. Problematics of Government. In: The British Journal of Sociology Jg. 43, Heft 2. S. 173-205. SCHULZ, WINFRIED (1989): Massenmedien und Realität. Die „ptolemäische“ und die „kopernikanische“ Auffassung. In: KAASE, MAX / SCHULZ, WINFRIED (Hrsg.): Massenkommunikation. Theorien, Methoden, Befunde. Opladen. S. 135-149. [Sonderheft 30 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie] SIEVEKE, FRANZ G. (1980): Anmerkungen. In: Aristoteles [Rhet.]. S. 226-303. SNOW, DAVID A. / BENFORD, ROBERT K. (1988): Ideology, frame resonance, and participant mobilization. In: KLANDERMANS, BERT / KRIESI, HANSPETER / TARROW, SIDNEY (Hrsg): International Social Movement Research 1. S. 197-217. SNOW, DAVID A. / BENFORD, ROBERT K. (1992): Master Frames and cycles of protest. In: MORRIS, ALDON D. / MC CLURG MULLER, CAROL (Hrsg.): Frontiers in Social Movement Theory. New Haven. Literatur 103 SNOW, DAVID A. / ROCHFORD JR., E. BURKE / WORDEN, STEVEN / BENFORD, ROBERT K. (1986): Frame alignment processes, micromobilization, and movement participation. In: American Sociological Review Jg. 51, Heft 4. S. 464-481. TOULMIN, STEPHEN (1958): Der Gebrauch von Argumenten. Kronberg/Ts. 1975. (Deutsche Erstausgabe 1975) TOULMIN, STEPHEN / RIEKE, RICHARD / JANIK, ALLAN (1979): An introduction to reasoning. New York/London. WEBER, MAX (1921): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Tübingen 1980. [5., revidierte Auflage, Studienausgabe] WEIß, HANS-JÜRGEN (1985): Die Tendenz der Berichterstattung und Kommentierung der Tagespresse zur Neuordnung des Rundfunkwesens in der Bundesrepublik Deutschland (Oktober 1984 bis Januar 1985). Ergebnisse einer quantitativen Inhaltsanalyse (1). In: Media Perspektiven Jg. 5, Heft 12. S. 845-866. WEIß, HANS-JÜRGEN (1986): Rundfunkinteressen und Pressejournalismus. Abschließende Analysen und Anmerkungen zu zwei inhaltsanalytischen Zeitungsstudien. In: Media Perspektiven Jg. 6, Heft 2. S. 53-73. WEIß, HANS-JÜRGEN (1988): Meinungsgestaltung im Interesse der Zeitungen? Eine Analyse der Zeitungspublizistik zur Erhöhung der Rundfunkgebühr (Oktober 1987 bis Januar 1988). In: Media Perspektiven Jg. 8, Heft 7. S. 469-489. WEIß, HANS-JÜRGEN (1989): Öffentliche Streitfragen und massenmediale Argumentationsstrukturen. Ein Ansatz zur Analyse der inhaltlichen Dimension im Agenda Setting-Prozeß. In: KAASE, MAX (Hrsg.): Massenkommunikation. Theorien, Methoden, Befunde. Opladen. S. 473-489. [Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 30] WEIß, HANS-JÜRGEN (1992): Public Issues and Argumentation Structures. An Approach to the Study of the Contents of Media Agenda Setting. In: Communication Yearbook 15. S. 374-396. WEIß, HANS-JÜRGEN / TREBBE, JOACHIM (1994): Öffentliche Streitfragen in privaten Fernsehprogrammen. Zur Informationsleistung von RTL, SAT 1 und PRO 7. Opladen. S. 143-165. WENGELER, MARTIN (2001): Topos und Diskurs. Begründung einer argumentationsanalytischen Methode und ihre Anwendung auf den Migrationsdiskurs (1960-1985). Manuskript, Düsseldorf 2001. [Wird erscheinen in Tübingen 2003] WENGELER, MARTIN (o.J.): Theoretische Begründung und Herleitung der ‚Topoi‘. In: http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/germ1/migration/toposdef.html#Theorie (Stand: 14.3.03) WERSIG, GERNOT (2001): Medienintegrierende Perspektiven der Rezeptionsforschung. In: RÖSSLER, PATRICK/HASEBRINK, UWE/JÄCKEL, MICHAEL (Hrsg.): Theoretische Perspektiven der Rezeptionsforschung. München. S. 180-195. WIRTH, WERNER (2001): Der Codierprozeß als gelenkte Rezeption. Bausteine für eine Theorie des Codierens. In: WIRTH, WERNER / LAUF, EDMUND (Hrsg.): Inhaltsanalyse. Perpektiven, Probleme, Potentiale. Köln. S.157-182. Anhang A - Codebuch Anhang A Argumentanalyse zum Zuwanderungsdiskurs 2001/2002 Codebuch 104 Anhang A - Codebuch: Überblick 105 1 ÜBERBLICK 106 2 CODIERUNG AUF ARTIKEL-EBENE 106 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.3 106 106 107 107 107 108 110 AUSWAHL DES UNTERSUCHUNGSMATERIALS (FALLAUSWAHL) INHALTLICHE AUSWAHLKRITERIEN: FORMALE AUSWAHLKRITERIEN: ZWEIFELSFÄLLE UNTERSUCHUNGSZEITRAUM UND AUSGEWÄHLTE ZEITUNGEN CODEPLAN AUF ARTIKELEBENE CODEERLÄUTERUNGEN AUF ARTIKEL-EBENE 3 CODIERUNG AUF ARGUMENT-EBENE 112 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.2 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 112 112 112 113 114 114 114 115 117 126 126 126 126 126 127 ALLGEMEINE CODIERANWEISUNGEN ANALYSEBEREICH IDENTIFIKATION EINES ARGUMENTS ARGUMENTE UND ‚UNTERARGUMENTE‘ CODIERUNG VON GEGENVORSCHLÄGEN CODIERUNG VON ABLEHNUNG/ZUSTIMMUNG FRAGEN BEI DER CODIERUNG DES ARGUMENTS CODEPLAN AUF ARGUMENTEBENE CODEERLÄUTERUNGEN AUF ARGUMENT-EBENE SONDERFÄLLE UND WEITERE ERLÄUTERUNGEN BERICHTE ÜBER VERHANDLUNGEN UND VERHANDLUNGSERGEBNISSE ARTIKEL OHNE ARGUMENT BEFÜRCHTUNGEN EINE ‚FORDERUNG‘ ALS BEGRÜNDUNG FÜR EINE ABLEHNUNG DIE UNTERSCHEIDUNG VON FORDERUNG UND BEGRÜNDUNG Anhang A - Codebuch: Überblick 1 106 ÜBERBLICK Zunächst wird in Abschnitt 2.1 die Auswahl des Untersuchungsmaterials erläutert. In Abschnitt 2.2 und 2.3 werden dann die Variablen und die Codieranweisungen auf Artikel-Ebene dokumentiert, die bei der Codierung im Rahmen des Seminars „Argumentationsanalysen II“ bei Hans-Jürgen Weiß im Sommersemester 2002 verwendet wurden.1 Aus dem umfassenden Seminar-Codebuch sind hier lediglich zwei Bereiche relevant: A. Basisvariablen (Seite 110) B. Formale Merkmale des Artikels (Seite 111) Abschnitt 3.1 enthält die Allgemeinen Codieranweisungen, in den Abschnitten 3.2 und 3.3 folgen der Codeplan und die Coderläutertungen für die Argumentanalyse, die sich in zwei Bereiche unterteilen lassen: A. Codiereinheit: Das Argument (Seite 117) B. Kontexteinheit: Die Bewertung des Arguments (Seite 124) In Abschnitt 3.4 werden schließlich Sonderfälle behandelt und weitere Erläuterungen zur Codierung problematischer Fälle gegeben. 2 2.1 CODIERUNG AUF ARTIKEL-EBENE AUSWAHL DES UNTERSUCHUNGSMATERIALS (FALLAUSWAHL) Als Untersuchungsmaterial dienen die Zeitungsbeiträge (Artikel), die im Rahmen des Seminars zur Analyse des Zuwanderungsdiskurses ausgewählt wurden. Die Auswahl der Artikel erfolgte nach folgenden Kriterien: 2.1.1 Inhaltliche Auswahlkriterien: Ausgewählt wurden sämtliche Artikel, die einen konkreten „Regelungsbezug“ aufweisen. Unter „Regelungsbezug“ wird jede explizite Bezugnahme auf formale Regelungen der Zuwanderungsund Integrationsproblematik in der Bundesrepublik Deutschland verstanden. Unter „formaler Regelung“ sind einerseits Regelungen der Legislative (Gesetze), andererseits aber auch Regelungen der Exekutive (Verordnungen, Erlasse) zu verstehen. Gerichtsentscheidungen stellen keine Regelungen in unserem Sinn dar, mit Ausnahme von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, wenn diese über den konkreten Einzelfall hinaus von grundsätzlicher Bedeutung für die Regelung von Zuwanderungs- und Integrationsfragen waren, wie z.B. das Urteil zum Schächten. Regelungen sind sowohl bestehende Regelungen als auch geplante, zur Diskussion stehende Regelungsaspekte. Allgemeine Bezüge wie beispielsweise Forderungen nach besseren Sprachkenntnissen, nach kultureller Anpassung oder nach Verfassungs- oder Gesetzestreue von Zuwanderern sind nicht relevant, soweit sie eben nicht als formale Regelung konkretisiert werden. Supranationale Regelungen sind relevant, sofern sie Deutschland betreffen, d. h. für Deutschland verbindlich sind oder im Rahmen der deutschen Zuwanderungsdebatte diskutiert werden. Damit ein Beitrag ausgewählt wird, muß er eine Regelung thematisieren. Eine bloße Nennung eines zentralen Begriffs wie etwa „Green Card“ ist nicht ausreichend, wenn dies in einem Die vollständige Dokumentation der Variablen auf Artikelanalyse erfolgt unabhängig davon, welche dieser Variablen für die Auswertung im Rahmen dieser Arbeit relevant sind. 1 Anhang A - Codebuch: Codierung auf Artikel-Ebene 107 Kontext geschieht, der ansonsten nichts mit der Debatte um die Neuregelung des Zuwanderungs- und Ausländerrechts zu tun hat. Die Anwendung von Regelungen auf Einzelfälle (z.B. Vollzug von Abschiebungen oder das Gerichtsurteil: „Kalif von Köln darf bleiben“) stellt keinen Regelungsbezug dar. Regelungsbezug heißt: Es wird über die Richtigkeit etc. von Regelungen diskutiert, nicht über ihre Anwendung (d.h. die Richtigkeit der Anwendung). 2.1.2 Formale Auswahlkriterien: Der Regelungsbezug muß in Überschrift, Untertitel, Übertitel oder dem Lead bzw. dem ersten Absatz2 (wenn kein Lead vorhanden) hergestellt werden.3 Bezüge, die im weiteren Verlauf eines Artikels hergestellt werden, sind nicht relevant. Neben klassischen Artikeln (Nachricht, Kommentar, Reportage, Interview etc.) wurden auch folgende Darstellungsformen einbezogen: Leserbriefe, Pressestimmen, Bildartikel (Bild mit Unterschrift als eigener Beitrag) und Infokästen. Artikelankündigungen auf der Titelseite werden nur dann als eigenständiger Artikel ausgewählt, wenn eine eigene Quelle angegeben wurde. Karikaturen werden nicht analysiert. Untersucht wird der gesamte überregionale Teil der Zeitungsausgabe mit Ausnahme folgender Zeitungsteile/Ressorts: Sport, Medienseite, Wirtschaft (außer der ersten Seite des Wirtschaftsteils), Finanzen (Börsenkurse, Finanztipps etc.), Werbung und Kleinanzeigen, Universität/Hochschule/Bildung, Karriere und Beruf, Reiseseite, sowie Sonderveröffentlichungen (nicht regelmäßig – d. h. täglich/ wöchentlich – erscheinende Seiten oder Beilagen. Ausnahme: Sonderseiten/-beilagen, die sich komplett (ganze Seite bzw. Beilage) mit der Regelung von Zuwanderung/Integration befassen). 2.1.3 Zweifelsfälle Die Fallauswahl wurde von Ansgar Koch und Christoph Haug in ständiger gegenseitiger Absprache durchgeführt. Über die dabei auftretenden Zweifelsfälle wurde wie folgt entschieden: 1. Die Scharia wird im Zusammenhang mit der Integrationsdebatte diskutiert, entsprechende Artikel wurden also aufgenommen, insofern die Scharia als Regelung diskutiert wird (z.B. „Soll die Scharia auch für Moslems in Deutschland gelten?“) Außerdem haben wir die Erwähnung des Anwerbeabkommens für „Gastarbeiter“ aus den 50er/60er Jahren (bzw. auch den Anwerbestopp der 70er) als Regelungsbezug gewertet. Auch wenn diese Regelung heute nicht mehr gilt, wird in der Debatte um das Zuwanderungsgesetz mehrmals explizit darauf Bezug genommen. 2. Artikel zu einem Abschiebestopp für bestimmte Flüchlinge kommt rein, da es sich um eine Regelung der Exekutive handelt. 3. Bei Themenseiten bzw. -blöcken mit einem Über-Lead‚ (über der Überschrift) – oft auf mehrere Artikel bezogen – wurde der Lead dem größten zu analysierenden Artikel zugeordnet und zusätzlich der erste Absatz dieses Artikels analysiert. 4. Die einzelnen Kurzmeldungen der Wochenchronik der SZ wurden als eigenständige Artikel ggf. aufgenommen. 2.1.4 Untersuchungszeitraum und ausgewählte Zeitungen Für die Codierung im Rahmen des Seminars wurden drei Untersuchungszeiträume festgelegt, die zentrale Abschnitte des Gesetzgebungsverfahrens zum Zuwanderungsgesetz erfassen: 2 3 Wenn der Artikel insgesamt nur aus einem Absatz besteht, wurden die ersten drei Sätze berücksichtigt. Bei Interviews wird immer der Lead und die erste Frage und die erste Antwort berücksichtigt. Anhang A - Codebuch: Codierung auf Artikel-Ebene 108 1. 02.07. – 09.09.2001 (10 Wochen) (Am 4.7. legte die Süßmuth-Kommission ihre Empfehlungen vor, am 3.8.2001 veröffentlicht Schily seinen ersten Gesetzesentwurf) 2. 22.10. – 23.12.2001 (9 Wochen) (Am 07.11. beschloß das Bundeskabinett seinen Entwurf des Zuwanderungsgesetzes) 3. 21.01. – 31.03.2001 (10 Wochen) (Am 01.03.2002 verabschiedete der Bundestag das Zuwanderungsgesetz. Am 22.03.2002 folgte die umstrittene Bundesratsabstimmung) Untersucht wurden drei Tageszeitungen: Von den überregionalen Qualitätszeitungen wurde die Süddeutsche Zeitung ausgewählt, von den Berliner Lokalzeitungen der Tagesspiegel und von den Boulevardzeitungen die Bild-Zeitung. Die Durchsicht des Materials ergab insgesamt 593 Artikel mit Regelungsbezug. Davon wurden 395 von den SeminarteilnehmerInnen auf Artikelebene codiert. Aus diesem Material werden für die vorliegende Arbeit die Fälle aus der Anfangsphase der Diskussion, also vor dem 11. September 2001, ausgewählt und auf Argument-Ebene codiert. Die Daten der Codierung auf Artikel-Ebene werden aus dem Seminar übernommen. 2.2 CODEPLAN AUF ARTIKELEBENE4 1. Basisvariablen V01 Coder-Nr. 01...n siehe Teilnehmerliste des Seminars V03 Zeitung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Süddeutsche Zeitung (SZ) Frankfurter Rundschau (FR) Die Welt taz Berliner Zeitung Tagesspiegel Berliner Morgenpost Bild V04 Ausgabe-Jahr 1 2 2001 2002 V05 Ausgabe-Monat 01-12 Monat (1=Januar, 2=Februar ...) Es werden nur diejenigen Variablen dokumentiert, die bei der vorliegenden Untersuchung tatsächlich ausgewertet wurden. 4 Anhang A - Codebuch: Codierung auf Artikel-Ebene 109 V06 Ausgabe-Tag 01-31 Tag V07 Artikelnummer 001...n laufende Artikelnummer pro Ausgabe (Numerierung in Leserichtung); bei jeder Ausgabe erneut mit „1“ beginnen [ART_ID] Artikel_ID = 9-stellige Ziffer zusammengesetzt aus: V03, V04, V05, V06, V07 V08 Kurztext 01...n Schlagworte: A macht x, A sagt (zu B, zu x) etc. (siehe Überschrift!) 2. Formale Merkmale des Artikels V11 Genre 1 2 3 4 5 6 9 Nachrichtenform: Meldung, Kurznachricht, Nachrichtenbericht ‚Subjektiv eingefärbte Form: Reportage, Feature, Analyse, Hintergrundbericht ‚Subjektiv eingefärbte Form: Interview Kommentarform: Leitartikel, Kommentar, Kolumne, Glosse, Pressestimmen Dokumentation Leserbrief Sonstiges V13 Artikelumfang (inkl. Überschrift, Foto etc.) 1 2 3 4 5 Sehr klein (einspaltig, max. 1/16 der Seitenfläche) Klein (1/16 bis max. 1/8 der Seitenfläche) Mittel (1/8 bis max. 1/4 der Seitenfläche) Groß (1/4 bis 1/2 der Seitenfläche) Sehr groß (größer als 1/2 der Seitenfläche) Anhang A - Codebuch: Codierung auf Artikel-Ebene 2.3 110 CODEERLÄUTERUNGEN AUF ARTIKEL-EBENE A. Basisvariablen ART_ID Artikel-ID Die Artikel-ID dient zur Identifizierung der Artikel. Jeder Fall/ Artikel bekommt eine eigene 9stellige ID, die sich aus den Variablen V03, V04, V05, V06 und V07 zusammensetzt. Die Variable wird nicht eingegeben, sondern nach der Dateneingabe errechnet. V01 Coder-Nr. 00...n Die Coder-Nr. geht aus der Teilnehmer-Liste hervor. V03 Zeitung Im Rahmen des Seminars werden zunächst nur Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel oder Bild codiert. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Süddeutsche Zeitung (SZ) Frankfurter Rundschau (FR) Die Welt taz Berliner Zeitung Tagesspiegel Berliner Morgenpost Bild V04 01,02 Ausgabe-Jahr Jahr V05 Ausgabe-Monat 01-12 Monat (1=Januar, 2=Februar ...) V06 Ausgabe-Tag 01-31 Tag Die drei Variablen V04, V06 und V06 können zu einer Datumsvariable zusammengerechnet werden, so dass die Beiträge zeitlich verortet werden können. Zudem werden die Angaben benötigt, um die ID-Variable ART_ID zu konstruieren. Da nicht alle Zeitungen eine Sonntagsausgabe haben, wird bei zwei- oder mehrtägigen Wochenend- oder Feiertagsausgaben jeweils der erste Herausgabetag codiert. V07 Artikelnummer Anhang A - Codebuch: Codierung auf Artikel-Ebene 111 Die Variable ist notwendig, da manche Ausgaben der Zeitungen mehrere für uns relevante Artikel beinhalten. Um eine zweifelsfreie Identifizierung jedes Artikels zu erlauben, werden die Artikel deshalb pro Ausgabetag einer Zeitung fortlaufend numeriert. Bei jeder Ausgabe wird wieder mit „1“ begonnen. Die Artikel-Nummer wird nicht nur in den Codierbogen eingetragen, sondern auch neben dem jeweiligen Artikel in der Zeitung notiert. 01...n laufende Artikelnummer pro Ausgabe (Numerierung in Leserichtung); bei jeder Ausgabe erneut mit „1“ beginnen V08 Kurztext Die Variable soll die Hauptaussage des Textes erfassen. In der Regel ist diese in der Überschrift angegeben, z.T. kann die Überschrift allein jedoch in die Irre führen (z.B. bei Kommentaren). Die Hauptaussage muß dann aus dem Text bestimmt werden. Die Klartexteingabe erfolgt in Form von Schlagworten nach dem Muster A macht x, A sagt (zu B, zu x) etc. B. Formale Merkmale des Artikels Dieses Analysemodul dient dazu, wichtige formale Präsentationsmerkmale der Artikel zu erfassen. Grundlage der Codierung ist der gesamte Artikel. V11 Genre Die Variable erfaßt das Genre eines Artikels. Es sollen Nachrichten- und Meinungsformen unterschieden werden. Dokumentationen (5) sind Wortlautprotokolle, die unkommentiert in der Zeitung erscheinen (z.B. Bundestagsdebatten oder offene Briefe). Pressestimmen werden als Kommentarform (4) codiert. 1 2 3 4 5 6 9 Nachrichtenform: Meldung, Kurznachricht, Nachrichtenbericht ‚Subjektiv eingefärbte Form: Reportage, Feature, Analyse, Hintergrundbericht ‚Subjektiv eingefärbte Form: Interview Kommentarform: Leitartikel, Kommentar, Kolumne, Glosse, Pressestimmen Dokumentation Leserbrief Sonstiges V13 Größe (inkl. Überschrift, Foto etc.) Die Artikelgröße kann als ein Indikator für die Bedeutung gewertet werden, die dem betreffenden Thema/ Ereignis von der Redaktion zugesprochen wird. Die Größe des Artikels soll als Anteil an der Seitengröße ungefähr abgeschätzt werden. Überschriften, Illustrationen und Fotos werden mitgezählt, wenn sie dem Artikel eindeutig zugeordnet sind. Grundlage ist immer eine ganze Zeitungsseite ohne Seitenränder – auch wenn bspw. die untere Hälfte durch Werbung belegt ist. 1 2 3 4 Sehr klein (einspaltig, max. 1/16 der Seitenfläche) Klein (1/16 bis max. 1/8 der Seitenfläche) Mittel (1/8 bis max. 1/4 der Seitenfläche) Groß (1/4 bis 1/2 der Seitenfläche) Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 5 3 112 Sehr groß (größer als 1/2 der Seitenfläche) CODIERUNG AUF ARGUMENT-EBENE Im Vergleich zur klassischen quantitativen Inhaltsanalyse besteht die Problematik einer Argument-Analyse darin, daß die Codiereinheit – das Argument – häufig nicht als manifester Inhalt vorliegt, wie etwa die Aussage als klassische Codiereinheit. Argumente werden vielmehr durch Aussagen mehr oder weniger eindeutig zum Ausdruck gebracht. Die erste Aufgabe bei jeder Codierung einer Argument-Analyse besteht also in der Identifikation des Arguments. Wie dies geschieht und wie Argumente von anderen Argumenten abgegrenzt werden, wird in den allgemeinen Codieranweisungen im folgenden Abschnitt erläutert. Im Abschnitt 3.2 wird das Kategorienschema für die Codierung der Argumente dargestellt und erläutert. Sonderfälle und weitere Erläuterungen zur Codierung problematischer Fälle werden in Abschnitt 3.4 gegeben. 3.1 ALLGEMEINE CODIERANWEISUNGEN 3.1.1 Analysebereich Im Gegensatz zur Analyse auf Artikelebene wird nun der gesamte Artikel analysiert. Dazu wird der Artikel zunächst einmal ganz gelesen, um grob zu erkennen, wie die Argumentationsstruktur ist, also ob z.B. am Ende noch einmal auf Argumente vom Anfang eingegangen wird etc. Danach wird der Artikel von Anfang bis Ende nach Argumenten abgesucht (siehe dazu 3.1.2). Sobald ein Argument gefunden wird, wird dieses codiert. Dabei sind insbesondere ablehnende und zustimmende Äußerungen im ganzen Artikel zu beachten. Sollten begründete Ablehnungen vorliegen, so werden als nächstes diese als neues Argument codiert (siehe Abschnitt 3.1.4), um das Basisargument, auf das sie sich beziehen, nicht aus den Augen zu verlieren. Es wird also zuerst „in die Tiefe“ codiert, bevor das nächste Argument im Artikel gesucht wird. 3.1.2 Identifikation eines Arguments Argumente verfolgen den Zweck, eine strittige Aussage in eine unstrittige Aussage zu überführen. Argumente sind also dort zu erwarten, wo strittige Aussagen thematisiert werden. Dabei kann es grundsätzlich um die Wahrheit einer deskriptiven Aussage gehen („Ist es wirklich so, wie behauptet wird?“) oder um die Richtigkeit einer normativen Aussage („Soll es so sein, wie gefordert wird?“). Im Rahmen dieser Argumentanalyse werden nur normative5 Argumente analysiert, also Forderungen, daß etwas so oder so sein soll, und zwar bezogen auf die Frage der Gestaltung des deutschen Zuwanderungs- und Ausländerrechts. Dabei werden nur aktuelle Forderungen beachtet, die noch nicht umgesetzt worden sind. Die nachträgliche Rechtfertigung der Verschärfung des Asylrechts im Jahr 1993 stellt also kein Argument im Sinne dieser Untersuchung dar. Kritik oder Zustimmung zu deskriptiven Äußerungen wird lediglich berücksichtigt, wenn es sich um Begründungen von normativen Forderungen handelt. (Z.B.: „Es sollen Green Cards für IT-Fachkräfte ausgegeben werden, da ein Mangel an diesen Fachkräften besteht.“) In diesem Fall handelt es sich ja trotzdem um ein normatives Argument, das lediglich durch einen Sachverhalt begründet wird. Wer die Forderung dieses Arguments nicht teilt, kann natürlich bestreiten, daß der behauptete Sachverhalt zutrifft. („Es gibt gar keinen Fachkräftemangel“) Codiert wird dann neben der negativen Bewertung des genannten (positiven) Arguments auch das negative Argument codiert: „Es sollen keine Green Cards an IT-Fachkräfte ausgegeben werden, da es gar keinen Fachkräftemangel gibt.“ (siehe hierzu 0) 5 Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 113 Im Zuwanderungsdiskurs werden von den diversen Akteuren aus Gesellschaft und Politik Forderungen vorgetragen, die das Zuwanderungs- und Ausländerrecht betreffen.6 Diese Forderungen werden einerseits nicht immer begründet, andererseits werden manchmal nur Begründungen genannt, die ganz offensichtlich eine bestimmte Forderung implizieren (sollen). Beispielsweise impliziert „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ – auch ohne daß dies expliziert wird – im Kontext des Zuwanderungsdiskurses „Also soll Zuwanderung mehr beschränkt werden.“ Für die Identifizierung eines zu codierenden Arguments sind beide Anhaltspunkte relevant: Ein Argument kann sowohl an einer expliziten Forderung zur Gestaltung des Zuwanderungsrechts festgemacht werden als auch an einer Begründung, die offensichtlich eine solche Forderung impliziert. Während also eine Begründung nicht vorhanden sein muß, ist eine implizite oder explizite Forderung notwendige und hinreichende Bedingung für das Vorliegen eines Arguments im Sinne dieses Codeplans. Dabei wird ein Argument des gleichen Inhalts innerhalb eines Artikels für jeden Akteur, der es äußert nur einmal codiert, auch wenn es an verschiedenen Stellen des Artikels immer wieder aufgegriffen wird. Die Mehrfacherwähnungen dienen bei der Codierung dann der Präzisierung und Vervollständigung des Arguments. Wenn also zum Beispiel die Begründung für eine Forderung erst ganz am Ende des Artikels genannt wird, obwohl die Forderung schon zu Beginn des Artikels steht, wird trotzdem ein einziges Argument mit dieser Forderung und dieser Begründung codiert, vorausgesetzt, die Forderung stammt nicht von einem anderen Akteur. Vertreten zwei Akteure das gleiche Argument, wird es auch zweimal codiert, ggf. einmal mit und einmal ohne Begründung. 3.1.3 Argumente und ‚Unterargumente‘ Jedes Argument eines Akteurs sollte immer so spezifisch wie möglich codiert werden. Wenn in einem Artikel ein eher allgemein formuliertes Argument auftaucht (z.B. „der Gesetzesentwurf der Bundesregierung“, „die Forderungen der Wirtschaft“), aus dem dann aber anschließend ein konkreteres ‚Unterargument‘ herausgegriffen wird („z.B. es soll keine feste Quote für die Zahl der Zuwanderer geben“), dann wird die allgemeine Form des Arguments nicht codiert, es sei denn - es wird in seiner allgemeinen Form bewertet. Um diese Bewertung codieren zu können, muß das Argument zusätzlich auch in seiner allgemeinen bzw. abstrakten Form codiert werden, obwohl eigentlich genauere Informationen über das Argument vorliegen, oder - es erhält in seiner allgemeinen Form eine zentrale Stellung in dem Artikel (A13=2), während die spezifische Form nur eine mittelwichtige oder randständige Bedeutung hat (A13=1 oder A13=0). Auch in diesem Fall muß das Argument in seiner allgemeinen Form codiert werden um dessen herausragenden Stellenwert innerhalb des Artikels codieren zu können. - es wird anders begründet als die Unterargumente. Dies wurde bereits bei der Fallauswahl als Kriterium für die Aufnahme eines Artikels in die Stichprobe berücksichtigt. (Vgl. oben Abschnitt 2.1.12.1.1) 6 Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 114 3.1.4 Codierung von Gegenvorschlägen Wenn der Vorschlag von Akteur A von Akteur B zurückgewiesen wird, indem er einen Gegenvorschlag macht, so wird einmal der Vorschlag von Akteur A mit Bs negativer Kritik codiert, sowie der Vorschlag von B als Argument (ggf. mit weiterer Kritik oder Lob). Das gleiche gilt, wenn der ‚ursprüngliche‘ Vorschlag gar nicht von einem anderen Akteur A vorgebracht wurde (jedenfalls geht dies nicht aus dem Artikel hervor), sondern lediglich als Alternativvorschlag im Raum steht, von dem sich B mit seinem Vorschlag abgrenzt. In diesem Fall wird zuerst die Forderung codiert, die B ablehnt. Wenn ein Argument lediglich abgelehnt wird (mit oder ohne Begründung), so handelt es sich nicht um einen Gegenvorschlag, sondern um eine Ablehnung. Siehe dazu 3.1.5. Beispiel: Schily will keine feste Zuwanderer-Quote. Die Zahl der Zuwanderer soll nach dem jeweiligen Arbeitskräftebedarf geregelt werden. Hier wird zunächst die Forderung nach einer Zuwanderer-Quote codiert, dessen Urheber unbekannt ist bzw. nicht benannt ist. Schily bewertet diese Forderung eindeutig negativ (A09c=1). Da Schily die feste Quote nicht nur ablehnt, sondern einen Gegenvorschlag macht, wird ein weiteres Argument codiert, mit der Forderung „Die Zahl der Zuwanderer soll nach dem jeweiligen Arbeitskräftebedarf geregelt werden.“ Eine Begründung läßt sich zumindest ohne Kenntnis des Kontextes hier nicht rekonstruieren. 3.1.5 Codierung von Ablehnung/Zustimmung Lehnt ein Akteur B das Argument (die Forderung) eines anderen Akteurs A ab bzw. stimmt ihm zu, so handelt es sich um eine negative bzw. positive Bewertung des Arguments, die in den Variablen A09c bis A12c entsprechend codiert wird. Eine zusätzliche Codierung des ‚Arguments‘ von B findet nicht statt, da dies eine bloße Verdopplung der bereits codierten Kritik bzw. Zustimmung wäre. Zu dieser Regel gibt es jedoch zwei Ausnahmen. Das Argument von B wird zusätzlich als eigenständiges Argument codiert, wenn 1. die Zustimmung oder Kritik von B an A wiederum bewertet wird (entweder von einem dritten Akteur C oder von A). Ansonsten wäre eine Codierung dieser Bewertung nicht möglich. 2. B seine Kritik begründet. In beiden Fällen wird in einem weiteren Argument die Forderung „Ablehnung von Argument A“ codiert. Im ersten Fall wird die entsprechende weitere Bewertung in der Kontexteinheit codiert. Im zweiten Fall wird der angegebene Grund der Ablehnung als Begründung codiert. Natürlich ist auch eine Kombination aus beiden Fällen möglich. Der oben beschriebene Fall eines Gegenarguments kann übrigens als Spezialfall einer begründeten Ablehnung verstanden werden, bei der nicht nur eine Begründung sondern sogar eine alternative Forderung vorgelegt wird. 3.1.6 Fragen bei der Codierung des Arguments Grundsätzlich geht es im Rahmen der Codierung eines Arguments immer um die Beantwortung der folgenden vier Fragen: 1. Wer fordert was? 2. Mit welcher Begründung? 3. An welche normative Grundannahme wird dabei (meist implizit) apelliert? (Topos) 4. Welche Reaktionen (Bewertungen) gibt es darauf? Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 3.2 115 CODEPLAN AUF ARGUMENTEBENE7 A. Codiereinheit: Das Argument A01 Artikel ID Die neunstellige Artikel ID wird aus der Codierung auf Artikel-Ebene übernommen. (Vgl. die Variable ART_ID) A02 Argument-ID 01...n Wird pro Artikel laufend numeriert. A04a Forderung als Code 99 03 04 05 06 10 12 13 14 16 17 18 Forderung ist nicht in der Liste der häufigen Forderungen enthalten Liste der häufigen Forderungen Das Zuwanderungs- und Ausländerrecht soll so gestaltet werden, wie der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung / von Schily vorsieht Opfer von nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung sollen als Flüchtling anerkannt werden Die Aufenthaltsgenehmigung für anerkannte Asylberechtigte soll befristet werden Es soll Flüchtlingskontingente für Kirchen-Asyl geben Zuwanderung soll nach einem Punktesystem geregelt werden Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 6 Jahre festgesetzt werden Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 10 Jahre festgesetzt werden Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 12 Jahre festgesetzt werden Es soll Integrationskurse für Zuwanderer geben Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 14 Jahre festgesetzt werden Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 16 Jahre festgesetzt werden Es soll einen Abschiebeschutz für in Deutschland geborene Kinder geben Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 18 Jahre festgesetzt werden A04b Forderung als Kurztext 01 02 Eintragung der wesentlichen Forderung als Kurztext. Variablen die zwar erhoben, aber nicht ausgewertet wurden, sind hier der Übersichtlichkeit wegen nicht aufgeführt. Dies sind v.a. der Argumenturheber, der Urheber der Bewertung, von einem Argument positiv und negativ Betroffene sowie, falls vorhanden, die ID des Bezugsargument zur Rekonstruktion von Argumentationssträngen. Außerdem wurde bei der Bewertung noch differenziert, ob sich die Bewertung auf die Forderung, die Begründung oder den Urheber des Arguments bezieht. Da solch differenzierte Urteile jedoch nicht vorkamen, erwies sich diese Variable als überflüssig. 7 Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 116 A04c Implizite Forderung 0 1 Die Forderung steht als Forderung explizit im Text Die Forderung geht eindeutig aus der Formulierung der Begründung oder einer anderen Aussage hervor Die Forderung geht nicht eindeutig aus der Begründung oder anderen Äußerungen des Argumenturhebers hervor, wird aber durch sie nahegelegt 2 A05a Begründung als Code 99 00 02 03 Begründung ist nicht in der Liste der häufigen Begründungen enthalten keine Begründung Liste der häufigen Begründungen Weil man in Übereinstimmung mit den Menschenrechten und anderen Grundwerten handeln soll (humanitäre Gründe) Weil dies der Wirtschaft nutzen würde (wirtschaftliche Gründe) Weil dies bestimmten Personen bzw. Gruppen nutzen würde A05b Begründung als Kurztext 01 Eintragung der wesentlichen Begründung als Kurztext A05c Implizite Begründung 0 1 2 3 4 5 Die Begründung steht explizit im Text Die Begründung wurde eindeutig anhand der Formulierung der Forderung erschlossen Die Begründung wurde durch die Formulierung der Forderung nahegelegt Die Begründung wurde aus dem übrigen Artikel erschlossen Die Begründung wurde aus dem diskursiven Kontext erschlossen Die Begründung wurde aus dem Status des Akteurs erschlossen A06t Topos/Schlußregel 00 01...n 99 nicht eindeutig zuordenbar Siehe Liste der Topoi Sonstige A08a Tendenz bezogen auf Zuwanderungsproblematik 0 1 2 3 9 trifft nicht zu (Zuwanderung nicht thematisiert) In der Tendenz für Zuwanderungsbegrenzung / gegen mehr Zuwanderung Keine eindeutige Tendenz / abwägend In der Tendenz für die Öffnung von Deutschland als Zuwanderungsland Sonstiges / Nicht entscheidbar Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene A08b Tendenz bezogen auf Integrationsproblematik 0 1 2 3 9 trifft nicht zu (Integrationsproblematik nicht thematisiert) In der Tendenz für Restriktionen gegen MigrantInnen / für Assimilation Keine eindeutige Tendenz / abwägend In der Tendenz für die Förderung von MigrantInnen / für Multikulturalität Sonstiges / Nicht entscheidbar 2. Kontexteinheit: Die Bewertung des Arguments 117 Die Variablen A09c bis A12c haben identische Codes, die hier nur einmal aufgeführt werden. A..c Bewertung 0 1 2 3 4 5 6 Keine Bewertung eindeutig negative Bewertung negative Bewertung mit kleiner Einschränkung nicht eindeutig negativ oder positiv / ambivalent / abwägend positive Bewertung mit kleiner Einschränkung eindeutig positive Bewertung grundsätzlich positive Bewertung der Tendenz, aber Kritik, daß nicht weitgehend genug A13 Bedeutung des Arguments im Artikel 0 1 2 völlig randständig / eher unwichtig wichtig neben anderen, Teil einer größeren Argumentation ein zentrales Argument des Artikels 3.3 CODEERLÄUTERUNGEN AUF ARGUMENT-EBENE A. Codiereinheit: Das Argument A01 Artikel ID 9-stellige Nummer zur eindeutigen Identifikation jedes Artikels. Sie setzt sich zusammen aus Zeitung (2, 7, 9), Jahr (01, 02), Monat (01...12), Tag (01...31) und die laufende Artikel-Nr. (wird pro Ausgabe in Leserichtung gezählt). Die Artikel ID wird aus der Codierung auf Artikel-Ebene übernommen. (Vgl. die Variable ART_ID) A02 Argument-ID 01...n Wird pro Artikel laufend numeriert. Dient vor allem in Kombination mit A01der Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 118 eindeutigen Numerierung aller Argumente. Ist zum Wiederfinden eines bestimmten Arguments jedoch nur bedingt geeignet, da die Reihenfolge der Argumente nicht immer eindeutig ist, da manche Argumente über den ganzen Artikel verteilt sein können. Zum Wiederfinden von Argumenten im Text siehe A04a/b und A05a/b. A04a Forderung als Code 03 04 05 06 10 12 14 15 16 18 Diese Variable dient der Vereinfachung der Codierarbeit. Häufig vorkommende Forderungen werden hier als Code eingegeben, statt sie in A04b als Kurztext auszuformulieren. Die Variable A04b wird dann bei der Datenaufbereitung mit dem Forderungstext des jeweiligen Codes aus A04a aufgefüllt. Wenn die zu codierende Forderung nicht in der Liste der häufigen Forderungen enthalten ist, wird 99 codiert. In diesem Fall muß die Forderung als Kurztext in A04b formuliert werden. → Wird codiert, wenn die Forderung nicht in der Liste der häufigen Forderungen enthalten ist. (→ weiter mit A04b) Liste der häufigen Forderungen (→ weiter mit A04c) Das Zuwanderungs- und Ausländerrecht soll so gestaltet werden, wie der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung / von Schily vorsieht Diskussionsgegenstand im Zuwanderungsdiskurs sind nicht ausschließlich die Entwürfe der Bundesregierung zu einem Zuwanderungsgesetz, sondern die Gestaltung des Zuwanderungs- und Ausländerrechts in Deutschland allgemein. Deshalb stellen die Entwürfe der Bundesregierung bzw. von Innenminister Schily eine Forderung (und damit ein Argument) dar, wie dieses Recht gestaltet werden soll. Befürwortet oder kritisiert also jemand einen solchen Entwurf, muß zunächst das Basisargument „Zuwanderungsgesetzentwurf“ codiert werden. → Wird codiert, wenn vom Zuwanderungsgesetz bzw. einem der vorliegenden Gesetzentwürfe ganz allgemein die Rede ist, d.h. wenn es nicht um konkrete Regelungen aus diesen Entwürfen geht. Opfer von nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung sollen als Flüchtling anerkannt werden Die Aufenthaltsgenehmigung für anerkannte Asylberechtigte soll befristet werden Es soll Flüchtlingskontingente für Kirchen-Asyl geben Zuwanderung soll nach einem Punktesystem geregelt werden Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 6 Jahre festgesetzt werden Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 10 Jahre festgesetzt werden Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 12 Jahre festgesetzt werden Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 14 Jahre festgesetzt werden Es soll eine Zuwanderer-Quote geben Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 16 Jahre festgesetzt werden Das maximale Nachzugsalter für Kinder soll auf 18 Jahre festgesetzt werden A04b Forderung als Kurztext 99 01 02 Die Eintragung der wesentlichen Forderung als Kurztext ermöglicht (zusammen mit A05a/b) das Wiederfinden eines Arguments im Text, so daß nachvollzogen werden kann, welche Argumente in einem Artikel überhaupt identifiziert wurden. Zugleich Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 119 soll diese Variable dem Coder bei der eindeutigen Identifikation und Rekonstruktion eines Arguments helfen und verhindern, daß im Laufe des Codierprozesses nicht plötzlich versehentlich ein anderes Argument codiert wird, etwa weil dieses im Text eng mit dem anderen verknüpft ist. Diese Variable wird nur ausgefüllt, wenn in A04a 99 codiert wurde. (Zur Unterscheidung von Forderung und Begründung siehe auch 3.4.5) A04c 0 1 2 A05a 99 Implizite Forderung Mit dieser Variable kann bei der Auswertung festgestellt werden, welche Rolle Anspielungen bei politischen Diskussionen haben. Außerdem trägt sie der Unsicherheit Rechnung, die mit den interpretativen Schritten bei der Rekonstruktion von Argumentteilen (hier der Forderung) verbunden ist. Die Forderung steht explizit im Text → Wird codiert, wenn ein Akteur explizit eine Aussage dazu macht, welche Maßnahme in Bezug auf Zuwanderung und Ausländer durchgeführt werden soll, also eine Forderung diesbezüglich aufstellt oder sich die eines anderen Akteurs zu eigen macht, die dann in A04a/b codiert wurde. Dies gilt auch, wenn ein Akteur gar nicht selbst spricht, sondern von einem anderen Akteur oder von der Quelle des Beitrags referiert wird. Die Forderung geht eindeutig aus der Formulierung der Begründung oder einer anderen Aussage hervor → Wird codiert, wenn mit einer formal nicht als Forderung formulierten Aussage eindeutig die Forderung impliziert ist, die in A04a/b codiert wurde. Beispiel: „Die Bedingungen in den Unterkünften der Asylbewerber sind menschenverachtend.“ Hier kann eindeutig die Forderung unterstellt werden: „Die Bedingungen in den Unterkünften für Asylbewerber müssen verbessert werden.“ Die Forderung geht nicht eindeutig aus der Begründung oder anderen Äußerungen des Argumenturhebers hervor, wird aber durch sie nahegelegt → Wird codiert, wenn die Aussagen im Artikel eine bestimmte Forderung nahelegen, jedoch auch eine oder mehrere andere Forderungen denkbar wären und daher keine völlige Eindeutigkeit darüber besteht, ob genau die in A04a/b codierte Forderung zutrifft. Begründung als Code Diese Variable dient der Vereinfachung der Codierarbeit. Häufig vorkommende Begründungen werden hier als Code eingegeben, statt sie in A05b als Kurztext auszuformulieren. Die Variable A05b wird dann bei der Datenaufbereitung mit dem Begründungstext des jeweiligen Codes aus A05a aufgefüllt. Wenn die zu codierende Forderung nicht in der Liste der häufigen Forderungen enthalten ist, wird 99 codiert. In diesem Fall muß die Forderung als Kurztext in A05b formuliert werden. → Wird codiert, wenn eine Begründung vorliegt, diese aber nicht in der Liste der häufigen Begründungen enthalten ist. (→ weiter mit A05b) Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 00 120 02 03 keine Begründung → Wird codiert, wenn eine Forderung nicht weiter begründet wird und eine konkrete Begründung auch nicht aus dem Kontext erschlossen werden kann, entweder weil es keine Anhaltspunkte für mögliche Begründungen gibt oder weil mehrere Begründung plausibel wären. (→ weiter mit A06t) Liste der häufigen Begründungen (→ weiter mit A05c) Weil man in Übereinstimmung mit den Menschenrechten und anderen Grundwerten handeln soll (humanitäre Gründe) Weil dies der Wirtschaft nutzen würde (wirtschaftliche Gründe) Weil dies bestimmten Personen bzw. Gruppen nutzen würde A05b Begründung als Kurztext 01 Die Eintragung der wesentlichen Begründung als Kurztext ermöglicht (zusammen mit A04a/b) das Wiederfinden eines Arguments im Text, so daß nachvollzogen werden kann, welche Argumente in einem Artikel überhaupt identifiziert wurden. Zugleich soll diese Variable dem Coder bei der eindeutigen Identifikation und Rekonstruktion eines Arguments helfen und verhindern, daß im Laufe des Codierprozesses nicht plötzlich versehentlich ein anderes Argument codiert wird, etwa weil dieses im Text eng mit dem anderen verknüpft ist. Diese Variable wird nur ausgefüllt, wenn in A05a 99 codiert wurde. Die Rekonstruktion der Begründung, insofern sie nicht explizit im Text steht, ist anhand verschiedener Hinweise möglich (vgl. dazu die Ausprägungen von A05c) Generell gilt, daß implizit rekonstruierte Begründungen möglichst allgemein gehalten werden sollten. Wenn zum Beispiel Schily fordert, die Aufenthaltsgenehmigung für anerkannte Asylberechtigte auf zwei Jahre zu befristen, so kann als implizite Begründung codiert werden, daß dadurch die Belastung durch Asylberechtigte reduziert werde, nicht aber daß dadurch die finanzielle Belastung reduziert werde, da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, warum nur oder insbesondere die finanzielle Belastung gemeint sein sollte. (Zur Unterscheidung von Forderung und Begründung siehe auch 3.4.5) A05c 0 Implizite Begründung Viele Forderungen werden von den Akteuren, die sie aufstellen, nicht begründet. Da im Rahmen der Rekonstruktion eines Arguments in A04a/b und A05a/b versucht wird, auch implizite Begründungen festzuhalten, muß hier festgehalten werden, welchen Status die ggf. in A05a/b codierte Begründung hat. Die Variable gibt also gewissermaßen an, wie zuverlässig die angegebene Begründung und damit auch der codierte Topos ist. Die Begründung steht explizit im Text → Wird codiert, wenn die Begründung in A05a/b nicht implizit rekonstruiert wurde, sondern eindeutig vom Argumenturheber zum Ausdruck gebracht wird bzw. diesem von einem anderen Akteur oder der Quelle des Artikels referiert wird. Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 1 2 3 4 5 A06t 121 Die Begründung wurde eindeutig anhand der Formulierung der Forderung erschlossen → Wird codiert, wenn die Begründung zwar nicht als solche explizit im Text steht, aber aus der Formulierung der Forderung eindeutig hervorgeht, so daß diese vom Codierer implizit in A05a/b rekonstruiert werden konnte. (Beispiel: „Die menschenunwürdigen Bedingungen der Abschiebeeinrichtungen müssen verbessert werden.“ Hier ist die Begründung bereits implizit in der Forderung enthalten, denn aus der Formulierung „menschenunwürdige Bedingungen“ wird deutlich, daß die Forderung aus humanitären Gründen erfolgt.) Die Begründung wurde durch die Formulierung der Forderung nahegelegt → Wird codiert, wenn die Begründung nicht als solche explizit im Text steht und auch nicht eindeutig aus der Formulierung der Forderung hervorgeht, die Forderung selbst aber die in A05a/b codierte Begründung nahelegt, d.h. daß diese Begründung mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, wenngleich prinzipiell vielleicht auch andere Begründungen denkbar wären. Die Begründung wurde vom Codierer aus dem übrigen Artikel erschlossen → Wird codiert, wenn die Begründung nicht als solche explizit im Text steht und auch nicht aus der Formulierung der Forderung erschlossen werden kann, sondern erst anhand des restlichen Artikels erschlossen werden konnte. Weiteres Wissen über den Zuwanderungsdiskurs und die dort vertretenen Positionen spielte dabei allenfalls eine sehr untergeordnete Rolle. Die Begründung wurde aus dem diskursiven Kontext erschlossen → Wird codiert, wenn die Begründung nicht als solche explizit im Text steht und auch nicht aus der Formulierung der Forderung oder dem restlichen Artikel erschlossen werden kann, sondern erst anhand des diskursiven Kontextes, in dem die Forderung steht. Bei der Rekonstruktion der Begründung wurde also auch das Hintergrundwissen des Codierers über den größeren Diskussionszusammenhang herangezogen. Die Begründung wurde aus dem Status des Akteurs erschlossen → Wird codiert, wenn die Begründung nicht explizit im Text steht und auch nicht aus der Formulierung der Forderung oder dem Kontext erschlossen werden kann, sondern erst der Status des Argumenturhebers bzw. das allgemeine Wissen über häufige Begründungsmuster dieses Akteurs Aufschluß über die (wahrscheinliche) Begründung der Forderung gibt. Topos/Schlußregel Der Topos ist die Antwort auf die Frage nach der allgemeinen Norm, deren Akzeptanz auch die Akzeptanz des Arguments wahrscheinlich macht, bzw. deren Ablehnung die Akzeptanz des Arguments unwahrscheinlich macht. Der Topos stellt eine verallgemeinerte Form der Begründung dar bzw. die Begründung schöpft ihre Plausibilität aus der Gültigkeit des Topos, aus dem sie abgeleitet ist. Der Topos ist zu verwechseln mit dem Motiv, das einen Akteur dazu bringt, das Argument zu äußern. Wenn keine Begründung codiert werden konnte. d.h. wenn völlig uneindeutig bleibt, was der Forderung im Zweifel Plausibilität verleihen könnte, kann kein Topos codiert Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 122 werden (Code 00) Codiertechnisch handelt es sich beim Topos um eine verallgemeinerte Form der Begründung. Es wird also derjenige Topos aus der Liste der Topoi herausgesucht, auf den die in A05a/b codierte Begründung implizit bezug nimmt bzw. dessen Gültigkeit sie voraussetzt. Anwendung der Topoi-Liste: Bei der Anwendung der Liste ist zu beachten: - Wenn ein Topos ausgewählt wurde, so muß noch überprüft werden, ob im vorliegenden Fall nicht einer der zu diesem Topos angegebenen Spezialfälle verwendet wurde, der dann statt der allgemeineren Version codiert werden müßte. (Wenn z.B. der Gefahren-Topos als passender Topos entdeckt wurde, ist sicherheitshalber nochmals zu prüfen, ob nicht eine spezielle Gefahr, z.B. Fremdenfeindlichkeit thematisiert wird, so daß dann der FremdenfeindlichkeitsTopos zu codieren wäre.) - Umgekehrt gilt, daß bei stark impliziten Begründungen (A05c=2,3 oder 4) keine speziellen Topoi codiert werden dürfen, d.h. wenn der ausgewählte Topos in der Liste als „Möglicher Spezialfall von ...“ klassifiziert ist, so sollte i.d.R. die allgemeinere Version des Topos codiert werden. Lediglich wenn es klare Hinweise darauf gibt, daß im vorliegenden Fall tatsächlich die spezielle Variante zutrifft, kann auch die spezielle Version codiert werden. - Außerdem enthält die Liste Abgrenzungen zu verwandten Topoi, so daß überprüft werden kann, ob nicht ein ähnlicher Topos zutreffender ist. - Kommen mehrere Topoi in Frage, muß der Topos gewählt werden, der näher am kommunikativen Fokus des Arguments bzw. des Artikels liegt. Der kommunikative Fokus ist jener Diskussionspunkt, der in einem Artikel bzw. Argument im Vordergrund steht, um den es nach allgemeinem Spachverständnis in einer Argumentation das primär geht. 00 01...n 99 A08a nicht eindeutig zuordenbar → Wird codiert, wenn keine Begründung rekonstruiert werden konnte, so daß auch kein Topos rekonstruiert werden kann, der ja eine verallgemeinerte Version der Begründung darstellt. → Siehe Liste der Topoi Sonstige → Diese Kategorie sollte eigentlich unbesetzt bleiben, da es möglich sein sollte, für jede Begründung einen passenden Topos zu finden. Tendenz bezogen auf Zuwanderungsproblematik Die Zuwanderungsproblematik betrifft die Frage, ob und welche Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland einreisen dürfen, d.h. es geht darum, wie Menschen behandelt werden sollen, die sich noch nicht in Deutschland aufhalten. Hier wird codiert, ob sich das Argument eher für eine Erweiterung oder eher für eine Begrenzung der Zuwanderung ausspricht. Die Tendenz ist relativ zum Status quo bzw. zu den Forderungen anderer Akteure zu verstehen, auf die Bezug genommen wird. Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 0 1 2 3 9 A08b 123 trifft nicht zu (Zuwanderung nicht thematisiert) → Wird codiert, wenn das Argument keine Forderung zur Zuwanderung enthält. Wenn Zuwanderung thematisiert wird, aber die Tendenz nicht feststellbar ist, wird 9 codiert! (s.u.) In der Tendenz für Zuwanderungsbegrenzung / gegen mehr Zuwanderung → Dies ist ggf. im konkreten Argumentationskontext relativ zu verstehen: d.h. für mehr Begrenzung als im Status quo gegeben bzw. von anderen Akteuren vorgeschlagen. Keine eindeutige Tendenz / abwägend → Wird codiert, wenn das Argument sowohl Tendenzen für als auch gegen mehr Zuwanderung enthält bzw. wenn gruppenspezifisch differenziert (z.B. weniger Asyl, mehr Green Card) oder auch neutrale Formulierungen verwendet werden, die keine eindeutige Tendenz im Argumentationskontext erkennen lassen (z.B. begrenzte Zuwanderung / Zuwanderungssteuerung). Im Unterschied zu Code 9 sind also beide Tendenzen explizit im Text erkennbar. In der Tendenz für die Öffnung von Deutschland als Zuwanderungsland → Dies ist ggf. im konkreten Argumentationskontext relativ zu verstehen: d.h. für weniger Begrenzung als im Status quo gegeben bzw. von anderen Akteuren vorgeschlagen. Sonstiges / Nicht entscheidbar → Wird codiert, wenn das Argument offensichtlich Aussagen zur Zuwanderungsproblematik enthält bzw. impliziert, deren Tendenz jedoch nicht eindeutig feststellbar ist. (z.B. wenn vom Gesetzesentwurf der Bundesregierung die Rede ist, so ist bekannt, daß dieser Gesetzentwurf u.a. Zuwanderung regelt, die Regelungen aber zu komplex sind, um ihnen insgesamt eine bestimmte Tendenz zuzuordnen). Tendenz bezogen auf Integrationsproblematik Die Integrationsproblematik betrifft die Frage, wie die Menschen nicht-deutscher Herkunft, die sich bereits in Deutschland aufhalten, behandelt werden sollen (Also auch Fragen wie Abschiebung und Aufenthaltsgenemigung sowie Nachzugsalter für Kinder, da dies nicht nur eine Zuwanderungsfrage ist, sondern auch ein Recht hier Lebender Ausländer auf Familiennachzug.) Dies schließt die Frage mit ein, wer für Integrationsprobleme verantwortlich gemacht werden soll bzw. von wem die Anstrengungen zur Lösung dieser Probleme ausgehen soll. Hier wird also codiert, ob sich das Argument eher dafür ausspricht, MigrantInnen das Leben in Deutschland zu vereinfachen oder es zu erschweren. Die Forderung nach Assimilation ist dabei grundsätzlich als eine Erschwernis zu verstehen, da eine Anpassungsleistung gefordert wird. Die Forderung nach Multikulturalität stellt entsprechend grundsätzlich eine Erleichterung für MigrantInnen dar. Argumente, die nicht Erleichterung vs. Erschwernis für MigrantInnen thematisieren, sondern für die deutsche Mehrheitsgesellschaft, sind entsprechend umgekehrt zu codieren. Wichtig: Die Semantik in der öffentlichen Diskussion ist meist eine andere als die hier verwendete: Dort wird selten von Assimilation gesprochen sondern meist von Integration. Es ist daher wichtig zu beachten, ob Integration im jeweiligen Fall eher Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 0 1 2 3 9 2. 124 im Gegensatz zu Assimilation verwendet wird, oder mehr oder weniger als Synonym für Assimilation. trifft nicht zu (Integrationsproblematik nicht thematisiert) → Wird codiert, wenn das Argument keine Forderung zur Integrationsproblematik enthält. Wenn Integration thematisiert wird, aber die Tendenz nicht feststellbar ist, wird 9 codiert! (s.u.) In der Tendenz für Restriktionen gegen in Deutschland lebende MigrantInnen / für Assimilation → Dies ist ggf. im konkreten Argumentationskontext relativ zu verstehen: d.h. gegen mehr Autonomie vom Minderheiten als im Status quo gegeben bzw. von anderen Akteuren vorgeschlagen. Keine eindeutige Tendenz / abwägend → Wird codiert, wenn das Argument sowohl Tendenzen zu Gunsten als auch zu Lasten der zugewanderten Menschen enthält bzw. wenn gruppenspezifisch differenziert (z.B. Sprachkurse als Pflicht, aber ohne Teilnahmegebühr) oder auch neutrale Formulierungen verwendet werden, die keine eindeutige Tendenz im Argumentationskontext erkennen lassen (z.B. „es soll Integrationsangebote geben“). Im Unterschied zu Code 9 sind also beide Tendenzen explizit im Text erkennbar. In der Tendenz für die Förderung von MigrantInnen / für Multikulturalität → Dies ist ggf. im konkreten Argumentationskontext relativ zu verstehen: d.h. für mehr Autonomie vom Minderheiten als im Status quo gegeben bzw. von anderen Akteuren vorgeschlagen. Sonstiges / Nicht entscheidbar → Wird codiert, wenn das Argument offensichtlich Aussagen zur Integrationsproblematik enthält bzw. impliziert, deren Tendenz jedoch wegen der Komplexität oder des Abstraktionsgrads des Arguments oder wegen mangelnden Wissens beim Codierer nicht eindeutig feststellbar ist. (z.B. wenn vom Gesetzesentwurf der Bundesregierung die Rede ist, so ist bekannt, daß dieser Gesetzentwurf u.a. Integration regelt, die Regelungen aber zu komplex sind, um ihnen insgesamt eine bestimmte Tendenz zuzuordnen.) Kontexteinheit: Die Bewertung des Arguments Nachdem die Äußerung eines Akteurs als ein Argument codiert wurde („Wer fordert was auf welcher normativen Grundlage?“), wird der gesamte Artikel nach Stellungnahmen zu diesem Argument abgesucht. Jeder positive, negative oder neutrale bzw. abwägende Bezug auf das soeben codierte Argument wird nachfolgend als eine Bewertung des Arguments codiert. Es können bis zu vier Bewertungen des Arguments codiert werden. Wenn der Artikel mehr als vier Bewertungen des Arguments enthält, werden die ersten drei und die letzte Bewertung codiert, die eine Begründung enthält. Die letzte Bewertung ist die, deren Urheber zuletzt genannt wird. Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 125 A..c Bewertung 0 1 Keine Bewertung eindeutig negative Bewertung → Wird codiert, wenn der Bewertungsgegenstand eindeutig negativ bewertet wird, d.h. daß seitens des Bewerters keine Einschränkungen hinsichtlich dieser Bewertung vorgebracht werden. negative Bewertung mit kleiner Einschränkung → Wird codiert, wenn der Bewertungsgegenstand zwar negativ bewertet wird, diese negative Bewertung aber mit einem oder mehreren Vorbehalten eingeschränkt wird, wenn also auch etwas positives zugestanden wird. nicht eindeutig negativ oder positiv / ambivalent / abwägend → Wird codiert, wenn der Bewertungsgegenstand weder positiv noch negativ bewertet wird, sondern positive und negative Aspekte gegeneinander abgewogen werden und letztlich keine Entscheidung für die eine oder andere Richtung getroffen wird. positive Bewertung mit kleiner Einschränkung → Wird codiert, wenn der Bewertungsgegenstand zwar positiv bewertet wird, diese positive Bewertung aber mit einem oder mehreren Vorbehalten eingeschränkt wird, wenn also auch etwas negatives gesehen wird. eindeutig positive Bewertung → Wird codiert, wenn der Bewertungsgegenstand eindeutig positiv bewertet wird, d.h. daß seitens des Bewerters keine Einschränkungen hinsichtlich dieser Bewertung vorgebracht werden. grundsätzlich positive Bewertung der Tendenz, aber Kritik, daß nicht weitgehend genug → Wird codiert, wenn der Bewertungsgegenstand grundsätzlich positiv bewertet wird, jedoch kritisiert wird, daß die Forderung nicht weit genug gehe. (z.B. Eine Maßnahme zur Bekämpfung des Asylmißbrauchs wird begrüßt, jedoch kritisiert, daß sie nicht konsequent gegen Asylbewerber vorgehe.) 2 3 4 5 6 A13 0 1 2 Bedeutung des Arguments im Artikel Hier soll vom Coder eingeschätzt werden, wie zentral das Argument bezogen auf den ganzen Artikel ist. völlig randständig, eher unwichtig → Wird codiert, wenn das Argument weder 1 noch 2 codiert werden kann wichtig neben anderen / Teil einer größeren Argumentation → Wird codiert, wenn das Argument nicht in Überschrift, Untertitel, Lead oder anderen hervorgehobenen Elementen (Bilder, Grafiken...) erwähnt wird oder darauf bezug genommen wird, das Argument aber trotzdem eine gewisse Bedeutung innerhalb des Artikels hat, etwa als Antwort auf ein zentrales Argument oder als wichtiger Teil einer umfangreicheren Argumentation. Das Argument könnte nicht ohne weiteres aus dem Artikel weggekürzt werden. ein zentrales Argument des Artikels → Wird codiert, wenn das Argument in Überschrift, Untertitel, Lead oder anderen hervorgehobenen Elementen (Bilder, Grafiken...) erwähnt wird oder darauf bezug genommen wird. Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 3.4 126 SONDERFÄLLE UND WEITERE ERLÄUTERUNGEN 1.1.1 Berichte über Verhandlungen und Verhandlungsergebnisse Wenn berichtet wird, daß ein Akteur A mit einer bestimmten Forderung in Verhandlungen mit Akteur B gegangen ist und sich mit dieser Forderung in den Verhandlungen durchsetzen bzw. nicht durchsetzen konnte, dann wird dieser Vorgang prinzipiell so codiert, als ob Akteur A seine Forderung geäußert hätte und Akteur B ihm darin zugestimmt bzw. ihn darin kritisiert hätte. 3.4.2 Artikel ohne Argument Enthält ein Artikel aus der Stichprobe kein einziges Argument (d.h. keine Forderung zur Gestaltung des Zuwanderungs- und Ausländerrechts), so wird trotzdem ein Argument mit der Argument-ID 00 (A02=00) codiert. Alle anderen Felder bleiben leer. Dies ermöglicht am Ende die Überprüfung, ob auch alle Artikel durchgesehen wurden. Würde in einem „leeren“ Artikel kein Argument codiert, würde auch die Artikel-ID nicht im Datensatz vorkommen. 3.4.3 Befürchtungen Äußert ein Akteur Befürchtungen über negative Folgen, die eine geforderte Maßnahme haben könnte, so stellen diese Befürchtungen eine oder ggf. mehrere Begründungen für die Ablehnung dieser Maßnahme dar. Codiert werden also zunächst eine oder mehrere negative Bewertungen im Kontext der ursprünglichen Forderung. Zusätzlich wird für jede begründete Ablehnung ein entsprechendes Ablehnungsargument codiert. Beispiel: „Die fortgeschrittenen Überlegungen des Innenministeriums zur Einrichtung von Spezialunterkünften haben die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Elisabeth Köhler, alarmiert. ‚Da sollen Abschiebe-Knäste entstehen‘, in die künftig auch Mütter mit ihren Kindern, sowie Jugendliche eingewiesen werden, befürchtet die Abgeordnete. Bislang werden in den Justizvollzugsanstalten nur Männer in Abschiebehaft genommen.“ Hier wird zunächst bei der Forderung des Innenministeriums nach Spezialunterkünften für geduldete Flüchtlinge eine negative Bewertung codiert (Bewerter = 166, Bewertungsgegenstand = 9, Bewertung = 1). Da die Ablehnung des Arguments begründet wird, wird sie auch als eigenständiges Argument codiert. Hier ist dann die Forderung „Es sollen keine Spezialunterkünfte für geduldete Flüchtlinge eingerichtet werden“ und die Begründung „Weil dann auch Frauen und Kinder in Abschiebehaft genommen werden würden.“ usw. 3.4.4 Eine ‚Forderung‘ als Begründung für eine Ablehnung Nicht immer stellen Aussagen, die als Forderung formuliert sind eine Forderung im Sinne dieser Argument-Analyse dar. Wenn beispielsweise Argumentiert wird „Wir lehnen den Entwurf zum Zuwanderungsgesetz in der vorliegenden Form ab, da wir schon immer eine Begrenzung der Zuwanderung gefordert haben und dies auch in Zukunft tun“, so wird hier nicht „Begrenzung der Zuwanderung“ als Forderung codiert, da hier nicht für eine Begrenzung sondern gegen das Zuwanderungsgesetz argumentiert wird. Codiert wird zunächst die negative Bewertung des Zuwanderungsgesetzes (vgl. 0) und dann in einem neuen Argument die Ablehnung des Zuwanderungsgesetzes als Forderung und als Begründung etwa „Zuwanderungsbegrenzung ist schon immer unsere Forderung gewesen“. Als Topos würde dann der Topos aus Widerspruchsfreiheit codiert (Code 43). Anhang A - Codebuch: Codierung auf Argument-Ebene 127 3.4.5 Die Unterscheidung von Forderung und Begründung In der politischen Diskussion wird fast immer zweckrational argumentiert, d.h. geforderte Maßnahmen werden vor allem damit begründet, daß sie geeignete Mittel seien, ein übergeordnetes Ziel zu verwirklichen. Bei der Codierung der Argumente kann es deshalb passieren, daß zunächst Unklarheit besteht, was die Forderung und was die Begründung ist, denn die Verwirklichung des übergeordneten Ziels wird ja gewissermaßen auch gefordert. Bei der Codierung der Forderung muß daher immer überprüft werden, ob es sich dabei um eine aktuell strittige Maßnahme handelt, oder um ein übergeordnetes Ziel, über das eine gewisse Einigkeit besteht, bzw. so getan wird, als ob diese Einigkeit bestünde. Wenn ein übergeordnetes Ziel als Forderung codiert wurde, ist die Codierung falsch. Forderungen müssen immer strittige Forderungen sein. Diese werden dann meist mit dem Verweis auf ein übergeordnetes Ziel begründet. Es gilt also: Strittige Forderungen/Ziele/Maßnahmen sind als Forderungen zu codieren. Relativ unstrittige Ziele/übergeordnete Ziele sind keine Forderungen, sondern dienen häufig als Begründungen bzw. stellen den Topos dar, auf den sich die Begründung beruft und sind dann entsprechend zu codieren. Für die Unterscheidung ist der aktuelle Artikel maßgeblich, d.h. was in einem Artikel eher unstrittig ist und als Begründung für eine strittige Forderung herangezogen wird, kann in einem anderen Artikel selbst problematisiert und als strittige Forderung wiederum begründet werden. Beispiel: Artikel 1: „Es soll unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen für hochqualifizierte Arbeitskräfte geben, damit Deutschland für sie attraktiver wird.“ Forderung: Unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Begründung: Hochqualifizierte Arbeitskräfte sollen nach Deutschland kommen. Artikel 2: „Hochqualifizierte Arbeitskräfte sollen nicht nach Deutschland kommen, da sie deutschen Akademikern die Arbeitsplätze wegnehmen.“ Forderung: Hochqualifizierte Arbeitskräfte sollen nicht nach Deutschland kommen. Begründung: Weil sie Arbeitsplätze wegnehmen. Artikel 3: „Hochqualifizierte Arbeitskräfte sollen nach Deutschland kommen, weil die Wirtschaft sie braucht“ Forderung: Hochqualifizierte Arbeitskräfte sollen nach Deutschland kommen. Begründung: Weil die Wirtschaft sie braucht. Anhang B - Liste der Topoi 128 Anhang B Liste der Topoi (Zur Codierung der Variable A06t) Anhang B - Liste der Topoi 129 Inhaltsverzeichnis (Code in V06t) Name des Topos (01) entfällt*......................................................................................................................................... 130 (02) Der Ausbeutungs-Topos ................................................................................................................ 130 (03) Der Belastungs-Topos ................................................................................................................... 130 (04) Der Bürokratie-Topos* ................................................................................................................... 130 (05) Der Definitions-Topos.................................................................................................................... 130 (06) Der Demagogie-Topos .................................................................................................................. 130 (07) Der Demographie-Topos* .............................................................................................................. 130 (08) Der Demokratie-Topos* ................................................................................................................. 131 (09) Der Dezentralitäts-Topos* .............................................................................................................. 131 (10) Der Effizienz-Topos*...................................................................................................................... 131 (11) Der Emotions-Topos* .................................................................................................................... 131 (12) Der Entwicklungshilfe-Topos .......................................................................................................... 131 (13) Der Europa-Topos......................................................................................................................... 131 (14) Der Extremisten-Topos.................................................................................................................. 131 (15) Der Fortschritts-Topos*.................................................................................................................. 132 (16) Der Fremdenfeindlichkeits-Topos ................................................................................................... 132 (17) Der Finanz-Topos ......................................................................................................................... 132 (18) Der Gefahren-Topos ..................................................................................................................... 132 (19) Der Gerechtigkeits-Topos .............................................................................................................. 132 (20) Der Geschichts-Topos ................................................................................................................... 133 (21) Der Gesetzes-Topos ..................................................................................................................... 133 (22) Der Hierarchie-Topos* ................................................................................................................... 133 (23) Der Humanitäts-Topos................................................................................................................... 133 (24) Der Image-Topos .......................................................................................................................... 133 (25) Der Kriminalitäts-Topos ................................................................................................................. 133 (26) Der Kultur-Topos........................................................................................................................... 134 (27) Der Machbarkeits-Topos................................................................................................................ 134 (28) entfällt*......................................................................................................................................... 134 (29) Der Mißbrauchs-Topos .................................................................................................................. 134 (30) Der Topos vom menschlichen Nutzen ............................................................................................. 134 (31) Der Topos vom politischen Nutzen.................................................................................................. 135 (32) Der Topos vom wirtschaftlichen Nutzen........................................................................................... 135 (33) Der Nutzlosigkeits-Topos ............................................................................................................... 135 (34) Der Realitäts-Topos ...................................................................................................................... 135 (35) Der Rechts-Topos ......................................................................................................................... 136 (36) Der Relativierungs-Topos .............................................................................................................. 136 (37) Der Topos der inneren Stabilität ..................................................................................................... 136 (38) Der Veränderungs-Topos* ............................................................................................................. 136 (39) Der Verantwortlichkeits-Topos........................................................................................................ 136 (40) Der Verlagerungs-Topos................................................................................................................ 137 (41) Der Verständnis-Topos.................................................................................................................. 137 (42) Der Vorurteils-Topos ..................................................................................................................... 137 (43) Der Topos aus der Widerspruchsfreiheit.......................................................................................... 137 * Die mit einem * gekennzeichneten Topoi wurden der Düsseldorfer Liste hinzugefügt Anhang B - Liste der Topoi 130 (01) entfällt* (02) Der Ausbeutungs-Topos Wenn durch bestimmte Handlungen Menschen ausgenutzt und ausgebeutet werden, dann sollten diese Handlungen unterbunden/ verhindert werden. (Spezialfall des Humanitäts-Topos) (03) Der Belastungs-Topos Wenn eine Person / eine Institution / ein Land mit bestimmten Problemen stark belastet oder überlastet ist - oder Wenn eine solche Belastung droht, dann sollten Handlungen ausgeführt werden, die diese Belastung vermindern bzw. verhindern. (Mögliche Spezialfälle: Fremdenfeindlichkeits-Topos, Finanz-Topos, Mißbrauchs-Topos) In normativer Weise wird von einem Grund (der Belastung) auf eine Folge (die Notwendigkeit der die Belastung vermindernden Maßnahmen) geschlossen oder umgekehrt von der befürchteten Folge (der Belastung) auf die Notwendigkeit der Verhinderung ihres Grundes. (04) Der Bürokratie-Topos* Wenn eine Entscheidung/Handlung mit einer Reduzierung des bürokratischen Aufwandes verbunden ist, dann soll diese Entscheidung getroffen / diese Handlung durchgeführt werden, bzw. wenn dies nicht der Fall ist, dann sollte die Handlung nicht ausgeführt / die Entscheidung nicht getroffen werden. (Möglich als Spezialfall des Topos vom wirtschaftlichen Nutzen, des Fortschritts-Topos, des Effizienz-Topos) (05) Der Definitions-Topos Wenn für ein Wort eine bestimmte Definition gilt oder unterstellt wird, dann sollen daraus die dieser Definition enstprechenden Folgerungen gezogen/Handlungen abgeleitet werden. Mit diesem Topos kann z.B. aus der unterstellten Bedeutung von Gastarbeiter abgeleitet werden, daß diese nach einer gewissen Zeit ihres „Gast“-Aufenthaltes wieder zurückzukehren haben oder als "Gast" freundlich zu behandeln sind. Oder es können aus einem bestimmten Verständnis von Integration oder politischer Verfolgung, das ausgeführt oder unterstellt wird, Schlußfolgerungen gezogen werden. (06) Der Demagogie-Topos Wenn politisch Verantwortliche ein Problem erst herbeigeredet haben, ist eine Stimmung in der Bevölkerung entstanden, die nun zur Rechtfertigung bestimmter Entscheidungen/Handlungen/Maßnahmen herangezogen wird. Daher muß über das Thema anders geredet werden, wodurch sich auch die öffentliche Stimmung ändert und andere Maßnahmen bzw. Entscheidungen getroffen werden können bzw. keine neuen Maßnahmen/Entscheidungen getroffen werden brauchen. (07) Der Demographie-Topos* Wenn die demographische Entwicklung einer Gesellschaft eine Maßnahme / eine Entscheidung nahelegt, dann soll diese Maßnahme durchgeführt / diese Entscheidung gefällt werden. (Möglich als Spezialfall des Topos vom wirtschaftlichen Nutzen) Anhang B - Liste der Topoi 131 (08) Der Demokratie-Topos* Wenn etwas den Werten der Demokratie entspricht oder der Demokratie dienlich ist, dann sollen bestimmte Entscheidungen getroffen / bestimmte Handlungen ausgeführt werden, bzw. wenn dies nicht der Fall ist, dann sollen bestimmte Entscheidungen nicht getroffen / bestimmte Handlungen nicht ausgeführt werden. (Möglich als Spezialfall des Topos vom politischen Nutzen) (09) Der Dezentralitäts-Topos* Wenn Entscheidungen auf niedrigerer / dezentraler Ebene gefällt werden können / wenn Probleme auf niedrigerer / dezentraler Ebene gelöst werden können, dann sollen diese Entscheidungen nicht an zentraler Stelle gefällt / diese Probleme nicht an zentraler Stelle gelöst werden. (10) Der Effizienz-Topos* Wenn eine Entscheidung/Handlung effizient umgesetzt werden kann oder durch eine Entscheidung/Handlung andere Prozesse effektiver gestaltet werden können, dann sollte diese Entscheidung getroffen / diese Handlung durchgeführt werden bzw. wenn dies nicht der Fall ist, dann sollte die Handlung nicht ausgeführt / die Entscheidung nicht getroffen werden. (Mögliche Spezialfälle: Bürokratie-Topos. Möglicher Spezialfall des Fortschritts-Topos) (11) Der Emotions-Topos* Wenn eine Handlung/eine Entscheidung eng mit einer bestimmten Emotion verbunden ist oder eine bestimmte Emotion fördert/hemmt, dann soll diese Handlung (nicht) ausgeführt / diese Entscheidung (nicht) getroffen werden. Im Unterschied zum den meisten anderen inhaltlichen Topoi, mit denen ja auch positive (z.B. Fortschritts-Topos, Nutzen-Topoi) oder negative Emotionen (z.B. Gefahren-Topos, Kriminalitäts-Topos) verbunden sein können, stehen beim Emontionstopos die Emotionen stark im Vordergrund, d.h. das Ziel ist die Herstellung oder Vermeidung dieser Emotionen bzw. die Ursache liegt in einem bestimmten emotionalen Zustand. (12) Der Entwicklungshilfe-Topos Wenn bestimmte Entscheidungen/Handlungen der wirtschaftlichen Entwicklung in den Herkunftsländern der Zuwanderer nutzen/nicht nutzen, dann sollten diese Entscheidungen getroffen/diese Handlungen ausgeführt werden. (Möglicher Spezialfall der Nutzen-Topoi) Im Unterschied zum Verlagerungs-Topos wird die Verlagerung der Arbeitsplätzen nicht wegen des Fortbleibens der ausländischen Arbeiter, sondern wegen der entwicklungspolitischen Wirkungen in den Herkunftsländern befürwortet. (13) Der Europa-Topos Wenn etwas der Idee und Praxis der europäischen Vereinigung (nicht) förderlich ist oder auf der Ebene der EU (nicht) gewollt ist, dann sollten bestimmte Handlungen (nicht) ausgeführt werden. (14) Der Extremisten-Topos Wenn eine Entscheidung/ eine Handlung dem Programm einer extremistischen Partei entspricht, nützt sie dieser Partei, gefährdet somit langfristig das demokratische System und ist daher abzulehnen. (Möglicher Spezialfall des Gefahren-Topos und des Topos vom politischen Nutzen) Anhang B - Liste der Topoi 132 (15) Der Fortschritts-Topos* Wenn eine Maßnahme / Handlung (nicht) modern / fortschrittlich ist oder zur Modernisierung / zum Fortschritt von etwas beiträgt, dann soll diese Maßnahme / Handlung (nicht) durchgeführt werden. (Mögliche Spezialfälle: Effizienz-Topos, Bürokratie-Topos) Im Unterschied zu den Nutzen-Topoi wird im Fortschritts-Topos keine spezifischer Nutzen angesprochen sondern lediglich abstrakt Fortschritt oder Modernität behauptet. (16) Der Fremdenfeindlichkeits-Topos Wenn bestimmte Handlungen/Entscheidungen/Entwicklungen die Ablehnung der „Fremden“ in der „einheimischen“ Bevölkerung fördern, dann sollten sie nicht ausgeführt/nicht getroffen/sollte ihnen entgegengewirkt werden. (Möglich als Spezialfall des Gefahren-Topos, sowie des Belastungs-Topos) Dieser Topos wird auch codiert, wenn es um die Förderung der Weltoffenheit Deutschlands bzw. der deutschen Gesellschaft geht. (17) Der Finanz-Topos Wenn etwas viel/ wenig Geld kostet, dann empfehlen sich Handlungen, durch die sich das investierte Geld rentiert/ sollten Handlungen ausgeführt werden, die die Kosten verringern / brauchen keine Handlungen ausgeführt werden, die die Kosten verringern. (Möglich als Spezialfall des Belastungs-Topos, sowie des Topos vom wirtschaftlichen Nutzen) (18) Der Gefahren-Topos Wenn eine politische Handlung / Entscheidung bestimmte gefährliche Folgen hat, dann sollte sie nicht ausgeführt werden / ist sie abzulehnen. (Mögliche Spezialfälle: Extremisten-Topos, Fremdenfeindlichkeits-Topos, Topos von der inneren Stabilität) Im Unterschied zu den Nutzen-Topoi, die mit erwarteten negativen Folgen argumentieren, die also keinen Nutzen, sondern einen Schaden z.B. aus einer bestimmten Handlung als Grund dafür nehmen, diese abzulehnen, werden beim Gefahren-Topos besonders drastische Folgen geschildert, während es bei den Nutzen-Topoi eher um die Vermeidung von Fehlern und Fehlentwicklungen geht. Moderate Formulierungen negativer solcher Folgen (die verhindert werden sollen) werden also den Nutzen-Topoi, drastischere Folgen-Ausmalungen dem Gefahren-Topos zugeordnet. Ein Indiz für diese Zuordnung kann das Vorkommen der Wörter Gefahr und Katastrophe und ihrer Ableitungen sein. (19) Der Gerechtigkeits-Topos Wenn Personen / Handlungen / Situationen in relevanter Hinsicht gleich oder ähnlich sind, dann sollten sie gleich behandelt werden. (Gleiches Recht für alle. Wie du mir, so ich dir.) (Möglicher Spezialfall des Humanitäts-Topos) Wenn es darum geht, durch rechtliche Regelungen Gerechtigkeit herzustellen bzw. Gerechtigkeit dadurch erzielt wird, daß man sich an geltendes Recht hält, werden nicht der Rechts-Topos und auch nicht der Gesetzes-Topos codiert, sondern immer der GerechtigkeitsTopos. In Abgrenzung zum Topos aus der Widerspruchsfreiheit betont der Gerechtigkeits-Topos, daß die geforderten Handlungen oder Entscheidungen der Norm der Gerechtigkeit entsprechen, während der Topos aus der Widerspruchsfreiheit sich auf die Stimmigkeit der Argumentation eines Akteurs bezieht. Anhang B - Liste der Topoi 133 (20) Der Geschichts-Topos Wenn die Geschichte lehrt, daß bestimmte Handlungen bestimmte Folgen haben, dann sollte die anstehende Handlung (von der unterstellt wird, daß sie in relevanter Hinsicht dem aus der Geschichte entnommenen Beispiel gleich ist) ausgeführt / nicht ausgeführt werden. (21) Der Gesetzes-Topos Wenn ein Gesetz oder eine anderweitig kodifizierte Norm (auch Kirchenrecht) oder eine gerichtliche Entscheidung eine bestimmte Handlung vorschreibt bzw. nahelegt / verbietet, dann sollte diese ausgeführt / nicht ausgeführt werden. Entscheidend bei der Verwendung dieses juristisch argumentierenden Topos ist, daß das entsprechende Gesetz explizit genannt wird bzw. aus dem Kontext klar wird, auf welches Gesetz oder welche Gerichtsentscheidung sich berufen wird. Demgegenüber wird die allgemeine Berufung darauf, daß man sich an Gesetze bzw. die Rechtsnormen halten solle, als Rechts-Topos gewertet und die allgemeine Berufung auf die Idee der Menschenrechte als Variante des Humanitäts-Topos aufgefaßt. Wenn es darum geht, durch Gesetze Gerechtigkeit herzustellen bzw. Gerechtigkeit dadurch erzielt wird, daß man sich an geltende Gesetze hält, wird nicht der Gesetzes-Topos codiert, sondern immer der Gerechtigkeits-Topos. (22) Der Hierarchie-Topos* Wenn bestimmte Entscheidungen / Probleme von entsprechender Wichtigkeit sind, dann sollen sie an der Spitze einer Hierarchie / an zentraler Stelle gefällt / gelöst werden. (23) Der Humanitäts-Topos Wenn eine Entscheidung / Handlung oder deren Folgen mit den Menschenrechten übereinstimmen / ihnen entgegenstehen bzw. aus humanitären Überlegungen geboten / abzulehnen sind, ist die Entscheidung / Handlung zu befürworten / abzulehnen bzw. auszuführen / nicht auszuführen. (Mögliche Spezialfälle: Ausbeutungs-Topos, Verantwortlichkeits-Topos, Gerechtigkeits-Topos, Topos aus der Widerspruchsfreiheit) Im Unterschied zum Topos vom menschlichen Nutzen steht hier das Motiv für die Handlung / Entscheidung im Vordergrund, nämlich ihre Übereinstimmung mit Grundwerten oder den Menschenrechten. Beim Topos vom menschlichen Nutzen steht der Nutzen für die einzelnen Individuen im Vordergrund, also die erwartete Folge einer Handlung. (24) Der Image-Topos Wenn eine politische Handlung dazu führt, daß das Ausland positiv über Deutschland denkt, soll diese Handlung ausgeführt werden bzw. wenn dies nicht der Fall ist, nicht ausgeführt/verhindert werden. Der Image-Topos schlägt alle anderen inhaltlichen Topoi, da der letztliche Grund im ImageGewinn liegt, und nicht beipielsweise in der Humanität, die mit den geforderten Maßnahmen verbunden sein könnte. Wird also z.B. die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit aus ImageGründen gefordert, wird nicht der Fremdenfeindlichkeits-Topos, sondern der Image-Topos codiert. (25) Der Kriminalitäts-Topos Wenn Menschen kriminelle Handlungen (nicht) begehen, dadurch andere Menschen (nicht) bedrohen oder die innere Sicherheit eines Gebietes/ eines Landes (nicht) gefährden, dann sollten (brauchen keine) Maßnahmen ergriffen werden, die zur Unterlassung dieser Handlungen Anhang B - Liste der Topoi 134 führen oder den entprechenden Menschen bzw. den Menschengruppen, zu denen sie gehören, den Aufenthalt unmöglich machen. (Möglicher Spezialfall des Realitäts-Topos) (26) Der Kultur-Topos Wenn Menschen bestimmte ethnisch-kulturell geprägte Eigenschaften bzw. Mentalitäten haben, gibt es bestimmte beklagens- oder begrüßenswerte Zustände, die jeweils verändert oder gefördert werden sollen, und / oder wenn politische Handlungen bestimmte ethnisch-kulturell zu fassende Auswirkungen haben, dann sollten sie ausgeführt / nicht ausgeführt werden. (Mögliche Spezialfall: Verständigungs-Topos) Der Kultur-Topos könnte in seiner Verwendung gegen Zuwanderung auch als ÜberfremdungsTopos bezeichnet werden bzw. in seiner Verwendung für Zuwanderung als Multikulti-Topos Der Unterschied zum Vorurteils-Topos liegt darin, daß dieser auf einer Meta-Ebene angesiedelt ist, indem er die Probleme thematisiert, die von Vorurteilen (nicht von Kultur) ausgehen. (27) Der Machbarkeits-Topos Wenn ein bestimmtes Ziel/ eine Forderung praktisch (nicht) durchführbar/ (nicht) umsetzbar ist oder aus politischen Gründen (nicht) durchsetzbar ist, dann sollte dieses Ziel/ diese Forderung vertreten/ aufgegeben werden. (28) entfällt* (29) Der Mißbrauchs-Topos Wenn ein Recht / ein Hilfsangebot o. ä. mißbraucht wird, dann sollte das Recht geändert / die Hilfe gestrichen oder gekürzt werden bzw. es sollten bestimmte Maßnahmen gegen den Mißbrauch durchgeführt werden. (Möglicher Spezialfall des Realitäts-Topos,sowie des Belastungs-Topos) (30) Der Topos vom menschlichen Nutzen Wenn eine Handlung für einzelne Menschen oder Gruppen bzw. für das Verhältnis zwischen diesen einen / keinen Nutzen bzw. Schaden erbringt, dann sollte sie ausgeführt / nicht ausgeführt werden. (Möglicher Spezialfall: Entwicklungshilfe-Topos) Im Unterschied zum Humanitäts-Topos steht hier der Nutzen für die einzelnen Individuen im Vordergrund, also die erwartete Folge einer Handlung. Der Humanitäts-Topos dagegen soll Argumente erfassen, die das Motiv der Handlung, nämlich ihre Übereinstimmung mit Grundwerten oder Menschenrechten, beinhalten. Insbesondere wenn es um den Arbeitsmarkt geht, liegt der Unterschied zum Topos vom wirtschaflichen Nutzen darin, daß hier nicht die Anforderungen der Wirtschaft im Vordergrund stehen, sondern der Nutzen für einzelne Menschen. („Karl-Heinz würde endlich Arbeit finden“) Im Unterschied zum Topos vom politischen Nutzen wird hier nicht die Lösung eines politischen Problems betont, sondern der Nutzen für einzelne Menschen. Wenn der Nutzen darin besteht, negative Folgen abzuwenden, besteht der Unterschied zum Gefahren-Topos darin, daß beim Gefahren-Topos besonders drastische Folgen geschildert werden, während es bei den Nutzen-Topoi eher um die Vermeidung von Fehlern und Fehlentwicklungen geht. Moderate Formulierungen negativer solcher Folgen (die verhindert werden sollen) werden also den Nutzen-Topoi, drastischere Folgen-Ausmalungen dem Gefahren-Topos zugeordnet. Ein Indiz für die Zuordnung zum Gefahren-Topos kann das Vorkommen der Wörter Gefahr und Katastrophe und ihrer Ableitungen sein. Anhang B - Liste der Topoi 135 (31) Der Topos vom politischen Nutzen Wenn eine Handlung unter politischen Gesichtspunkten, für einen Staat/ ein Gemeinwesen einen / keinen Nutzen bzw. Schaden erbringt, dann sollte sie ausgeführt / nicht ausgeführt werden. (Mögliche Spezialfälle: Demokratie-Topos, Entwicklungshilfe-Topos, ExtremistenTopos) Insbesondere wenn es um den Arbeitsmarkt geht, liegt der Unterschied zum Topos vom wirtschaflichen Nutzen darin, daß hier nicht die Anforderungen der Wirtschaft im Vordergrund stehen, sondern die Lösung eines politischen Problems (Arbeitslosigkeit). Im Unterschied zum Topos vom menschlichen Nutzen wird hier nicht der Nutzen für einzelne Menschen betont („Karl-Heinz würde endlich Arbeit finden“), sondern die Lösung des politischen Problems der Arbeitslosigkeit. Wenn der Nutzen darin besteht, negative Folgen abzuwenden, besteht der Unterschied zum Gefahren-Topos darin, daß beim Gefahren-Topos besonders drastische Folgen geschildert werden, während es bei den Nutzen-Topoi eher um die Vermeidung von Fehlern und Fehlentwicklungen geht. Moderate Formulierungen negativer solcher Folgen (die verhindert werden sollen) werden also den Nutzen-Topoi, drastischere Folgen-Ausmalungen dem Gefahren-Topos zugeordnet. Ein Indiz für die Zuordnung zum Gefahren-Topos kann das Vorkommen der Wörter Gefahr und Katastrophe und ihrer Ableitungen sein. (32) Der Topos vom wirtschaftlichen Nutzen Wenn eine Handlung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten einen / keinen Nutzen bzw. Schaden erbringt, dann sollte sie ausgeführt / nicht ausgeführt werden. (Mögliche Spezialfälle: Demographie-Topos, Finanz-Topos, Entwicklungshilfe-Topos) Wenn der wirtschaftliche Nutzen eindeutig als finanzieller Nutzen z.B. für einen Betrieb oder für die Sozialversicherungssysteme angegeben wird, wird der Finanz-Topos codiert. Insbesondere wenn es um den Arbeitsmarkt geht, ist der Unterschied zum zum Topos vom menschlichen Nutzen hervorzuheben: Beim Topos vom wirtschaftlichen Nutzen wird nicht der Nutzen für einzelne Menschen betont („Karl-Heinz würde endlich Arbeit finden“), sondern der Markt als ganzer steht in Vordergrund. Und im Unterschied zum Topos vom politischen Nutzen steht hier nicht die Lösung eines politischen Problems (Arbeitslosigkeit) im Vordergrund, sondern die Anforderungen der Wirtschaft, also der Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer. Wenn der Nutzen darin besteht, negative Folgen abzuwenden, besteht der Unterschied zum Gefahren-Topos darin, daß beim Gefahren-Topos besonders drastische Folgen geschildert werden, während es bei den Nutzen-Topoi eher um die Vermeidung von Fehlern und Fehlentwicklungen geht. Moderate Formulierungen negativer solcher Folgen (die verhindert werden sollen) werden also den Nutzen-Topoi, drastischere Folgen-Ausmalungen dem Gefahren-Topos zugeordnet. Ein Indiz für die Zuordnung zum Gefahren-Topos kann das Vorkommen der Wörter Gefahr und Katastrophe und ihrer Ableitungen sein. (33) Der Nutzlosigkeits-Topos Wenn es abzusehen ist, daß prognostizierte / erwartete Folgen einer Entscheidung oder Handlung nicht eintreten oder wenn andere politische Handlungen dem erklärten Ziel eher dienen, ist die Entscheidung abzulehnen, bzw. wenn bestehende Regelungen den erklärten Zielen nicht genutzt haben, sind sie zu ändern. (34) Der Realitäts-Topos Wenn die Wirklichkeit so ist, wie sie ist, dann sollte eine bestimmte Handlung / Entscheidung ausgeführt / getroffen bzw. nicht ausgeführt / nicht getroffen werden. (Mögliche Spezialfälle: Kriminalitäts-Topos, Belastungs-Topos, Mißbrauchs-Topos, Veränderungs-Topos) Anhang B - Liste der Topoi 136 Die bestehende Realität wird als Grund dafür angeführt, daß bestimmte Maßnahmen durchgeführt, Entscheidungen getroffen oder Handlungen ausgeführt werden sollten. Dabei wird mehr oder weniger explizit definiert, wie aus Sprechersicht die Wirklichkeit ist, oder seine Sichtweise der Realität wird stillschweigend als "die Realität" vorausgesetzt. Daraus wird dann die eigene Konklusion abgeleitet. In der Funktion von Gegenargumenten wird mehr oder weniger explizit gesagt, daß die Realität anders sei, als vom Proponenten behauptet oder unterstellt. Prototypisch für die Einwanderungsdiskussion ist die folgende Realisierung: Die Realität sei, daß Deutschland (k)ein Einwanderungsland sei, und daher müßten bestimmte politische Folgerungen gezogen werden. (35) Der Rechts-Topos Wenn wir uns an die Gesetze/ das bestehende/ kodifizierte Recht halten sollten, dann ist eine Entscheidung/ Handlung zu befürworten/ abzulehnen. Im Unterschied zum Gesetzes-Topos sind hier solche Äußerungen gemeint, in denen das konkrete Gesetz oder die Gerichtsentscheidung nicht explizit genannt werden, sondern in denen allgemein auf rechtliche Kodifizierungen, auf „die Verfassung“, „die Rechtsordnung“, „die Gesetze“ verwiesen wird (36) Der Relativierungs-Topos Wenn die vorgebrachten Zahlen/Argumente, wenn sie in andere Relationen gesetzt werden, ein anderes Bild der Wirklichkeit vermitteln und andere, gegenteilige Schlußfolgerungen nahelegen, dann sollte auf eine bestimmte Handlung/ Entscheidung verzichtet bzw. eine andere durchgeführt/ beschlossen werden. Dieser Topos wird vor allem in Gegenargumenten verwendet, d.h. das Argument des Gegners wird abgeschwächt indem es relativiert wird. (37) Der Topos der inneren Stabilität Wenn die Stabilität des Staates, die innere Sicherheit, der gesellschaftliche Frieden gefährdet ist, müssen bestimmte Entscheidungen/ Handlungen getroffen/ ausgeführt werden. (Möglicher Spezialfall des Gefahren-Topos) Wird codiert, wenn eine Gefahr / ein Problem als so groß beschrieben wird, daß sie die innere Stabilität der Bundesrepublik gefährdet. Dazu gehört auch die Gefahr, daß das Vertrauen der Menschen in den Staat und staatliche Institutionen schwindet. (38) Der Veränderungs-Topos* Wenn die Realität sich verändert bzw. verändern könnte, dann sind ggf. andere Maßnahmen nötig als vorher und diese sollen deshalb durchgeführt werden/ermöglicht werden. (Möglicher Spezialfall des Realitäts-Topos) (39) Der Verantwortlichkeits-Topos Wenn ein Land / eine Gruppe / eine Person (mit)verantwortlich ist für die Entstehung von Problemen, dann sollte es / sie sich an der Lösung der so entstandenen Probleme beteiligen. (Möglicher Spezialfall des Humanitäts-Topos) Wird auch codiert, wenn beispielsweise der Staat für die Lösung bestimmter Probleme verantwortlich gemacht wird, auch wenn er sie vielleicht nicht selbst verursacht hat. Anhang B - Liste der Topoi 137 (40) Der Verlagerungs-Topos Wenn die Menschen einwandern, um Arbeit und Verdienst zu finden, dann sollten Arbeitsplätze in die Herkunftsländer der Zuwanderer „verlagert“ werden, „die Maschinen zu den Menschen und nicht die Menschen zu den Maschinen gebracht werden“, um die Zahl der Zuwandernden zu begrenzen. Im Unterschied zum Entwicklungshilfe-Topos wird die Verlagerung der Arbeitsplätze nicht wegen der entwicklungspolitischen Wirkungen in den Herkunftsländern befürwortet, sondern wegen des Fortbleibens der ausländischen Arbeiter. (41) Der Verständnis-Topos Wenn Einheimische und Zuwanderer sich besser kennenlernen und mehr Verständnis füreinander aufbringen, können die mit Zuwanderung und Integration verbundenen Probleme und Konflikte gelöst werden. (Möglicher Spezialfall des Kultur-Topos) (42) Der Vorurteils-Topos Wenn Vorurteile gegen bestimmte Gruppen/ Handlungen bestehen, gibt es ein bestimmtes Problem. Wenn solche Vorurteile beibehalten/ aufgegeben werden, kann das Problem (nicht) gelöst werden. Im Unterschied zum Kultur-Topos, der auch Vorurteile behandeln kann, ist der Vorurteils-Topos auf einer Meta-Ebene angesiedelt, indem er die Probleme thematisiert, die von Vorurteilen (nicht von Kultur) ausgehen. (43) Der Topos aus der Widerspruchsfreiheit Wenn eine Gruppe oder Person in der Vergangenheit eine bestimmte Position vertreten hat/ in bestimmter Weise gehandelt hat oder wenn sie in der Gegenwart bestimmte Positionen vertritt, dann sollte sie in vergleichbaren Fragen auch aktuell diese Position einnehmen/ diese Handlung ausführen bzw. die den Positionen entsprechenden Handlungen ausführen. (Möglicher Spezialfall des Humanitäts-Topos) Im Unterschied zu den anderen inhaltlichen Topoi wird hier nicht auf inhaltliche Gründe rekurriert sondern auf die Logik der Argumentation des Gegners (oder auch der eigenen). Eine Position, die man früher vertreten hat, sollte man auch heute vertreten. In Abgrenzung zum Gerechtigkeits-Topos betont der Topos aus der Widerspruchsfreiheit die Stimmigkeit der Argumentation eines Akteurs, während der Gerechtigkeits-Topos aus der Gerechtigkeit von Maßnahmen argumentiert. Dies kann sogar das Abweichen eines Akteurs von früheren Positionen bedeuten. Anhang C - Tabellen 138 Anhang C Tabellen zu Kap. 5.5: 5.5: Ergebnisse Tabelle A 1: Argumentdichte sowie mittlere Artikelgröße und Argumentzahl je Zeitung Zeitung SZ Tagesspiegel Bild Mittlere Artikelgröße (Anteil an einer Seite) ,18 ,12 ,07 Durchschnittliche Zahl der Argumente pro Artikel 8,6 5,9 4,4 Argumentdichte (Zahl der Argumente pro Seite)* 58 79 64 *. Hochrechnung der Argumentzahl jedes einzelnen Artikels auf eine ganze Seite und anschließende Mittelwertbildung Tabelle A 2: Anteil der Argumente mit expliziter bzw. implizit rekonstruierter Begründung Zeitung SZ Tagesspiegel Gesamt Bild n=189 47,6% n=124 37,1% n=35 22,9% n=348 41,4% eindeutig rekonstruiertb 12,7% 14,5% 17,1% 13,8% c 12,2% 7,3% 8,6% 10,1% 2,6% 1,6% 8,6% 2,9% diskursiver Kontext 10,6% 21,0% 20,0% 15,2% keine Begründung 14,3% 18,5% 22,9% 16,7% 100,0% 100,0% 100,0% 100,0% a explizit nahegelegt d Artikel e Gesamt a. Die Begründung steht explizit im Text b. Die Begründung konnte eindeutig anhand der Formulierung der Forderung rekonstruiert werden. c. Die Begründung wurde durch die Formulierung der Forderung nahegelegt d. Die Begründung wurde anhand anderer Aussagen im Artikel rekonstruiert e. Die Begründung wurden anhand von Wissen über den diskursiven Kontext erschossen. Anhang C - Tabellen 139 Tabellen zu Kap. 5.5.2: 5.5.2: Integration: Übereinstimmende Verwendung von Topoi Tabelle A 3: Korrelationen der Toposhäufigkeiten (Toposrelevanz1) SZ SZ Korrelation (r) Signifikanz ,370* ,040 , ,002 31 31 Korrelation (r) ,524** 1 ,758** Signifikanz ,002 , ,000 31 31 31 Korrelation (r) ,370* ,758** 1 Signifikanz ,040 ,000 , 31 31 31 N BILD BILD ,524** 31 N TGSP TGSP 1 N **. Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. *. Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant. Tabelle A 4: Korrelationen der gewichteten Bedeutung (Toposrelevanz2) SZ SZ ,515** ,372* Signifikanz , ,003 ,039 31 31 31 Korrelation (r) ,515** 1 ,763** Signifikanz ,003 , ,000 31 31 31 Korrelation (r) ,372* ,763** 1 Signifikanz ,039 ,000 , 31 31 31 N BILD BILD 1 N TGSP TGSP Korrelation (r) N **. Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. *. Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant. Tabelle A 5: Korrelationen des Toposrelevanz3 SZ SZ ,586** ,188 Signifikanz , ,001 ,312 31 31 31 Korrelation (r) ,586** 1 ,513** Signifikanz ,001 , ,003 31 31 31 1 N BILD BILD 1 N TGSP TGSP Korrelation (r) Korrelation (r) ,188 ,513** Signifikanz ,312 ,003 , 31 31 31 N **. Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. Anhang C - Tabellen 140 Tabellen zu Kap 5.5.3: 5.5.3: Exkurs: Wie werden die Topoi interpretiert? Tabelle A 6: Mittlere Argumenttendenzen bezogen auf Zuwanderung bzw. Integration Zeitung SZ Tendenz bezogen auf Zuwanderung Topos Bild Tendenz bezogen auf Integration Tendenz bezogen auf Zuwanderung Tendenz bezogen auf Integration Tendenz bezogen auf Integration Tendenz bezogen auf Zuwanderung Tendenz bezogen auf Integration ,21 -,40 ,50 ,00 ,50 -,33 ,33 -,16 Belastung -1,00 -1,00 -1,00 Bürokratie 1,00 1,00 , -1,00 -1,00 -1,00 -1,00 -1,00 -1,00 , , 1,00 Definition 1,00 , ,00 ,00 ,00 , , ,50 ,33 ,00 , 1,00 , 1,00 , ,60 , -1,00 , , , , , -1,00 , Dezentralität , , ,00 ,00 , , ,00 ,00 Effizienz , -1,00 ,00 ,00 , , ,00 -,75 Europa , 1,00 1,00 1,00 , , 1,00 1,00 nicht eindeutig zuordenbar Demographie Demokratie Extremisten Tendenz bezogen auf Zuwanderung , , , 1,00 , , , 1,00 Fortschritt 1,00 1,00 , , , , 1,00 1,00 Fremdenfeindlichkeit 1,00 , , , , , 1,00 , -1,00 -1,00 , 1,00 , , -1,00 -,60 Finanz Gerechtigkeit , 1,00 , , , , , 1,00 -1,00 1,00 1,00 1,00 , , ,00 1,00 Hierarchie , , , , , , , , Humanität 1,00 ,83 1,00 ,92 1,00 1,00 1,00 ,89 Gesetz Kultur , -1,00 -1,00 -1,00 , , -1,00 -1,00 -,20 -1,00 1,00 1,00 , , ,00 -,50 -1,00 -,50 , -1,00 ,00 -1,00 -,60 -,71 menschlicher Nutzen ,45 ,71 1,00 1,00 , , ,50 ,77 politischer Nutzen ,27 -,14 , 1,00 , , ,27 ,00 wirtschaftlicher Nutzen ,50 1,00 ,89 ,33 ,00 1,00 ,60 ,56 -1,00 1,00 ,50 ,50 -,50 -1,00 -,33 ,25 ,57 ,67 , , , , ,57 ,67 Recht , ,20 , -,50 , ,00 , ,00 Innere Stabilität , , , 1,00 , , , 1,00 Veränderung , , 1,00 -,33 , -1,00 1,00 -,43 Verantwortlichkeit , 1,00 , , , , , 1,00 Machbarkeit Mißbrauch Nutzlosigkeit Realität Gesamt Gesamt Tagesspiegel Verständnis -,25 -,90 -1,00 -,50 , -1,00 -,40 -,80 Vorurteil 1,00 1,00 , , , , 1,00 1,00 Widerspruchsfreiheit 1,00 1,00 ,00 1,00 , , ,33 1,00 ,28 ,04 ,50 ,19 ,10 -,47 ,32 ,06 Anhang C - Tabellen 141 Tabelle A 7: Korrelationen111 der Argumenttendenz zur Zuwanderungsproblematik (pro/kontra Zuwanderung) SZ SZ TGSP BILD Korrelation (r) 1 TGSP ,756 BILD ,870 Signifikanz , ,139 ,055 Korrelation (r) ,756 1 ,824 Signifikanz ,139 , ,086 Korrelation (r) ,870 ,824 1 Signifikanz ,055 ,086 , Tabelle A 8: Korrelationen112 der Argumenttendenz zur Integrationsproblematik (pro/kontra Multikuliti bzw. pro/kontra Restriktionen gegen MigrantInnen) SZ SZ TGSP TGSP TGSP BILD Korrelation (r) 1 ,877** ,673 Signifikanz , ,010 ,097 Korrelation (r) ,877** 1 ,666 Signifikanz ,010 , ,103 Korrelation (r) ,673 ,666 1 Signifikanz ,097 ,103 , **. Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) 111 Berücksichtigt wurden hier jeweils nur die Topoi, die in allen drei Zeitungen in bezug auf die Zuwanderungsproblematik verwendet wurden (N=5). 112 Berücksichtigt wurden hier jeweils nur die Topoi, die in allen drei Zeitungen in bezug auf die Integrationsproblematik verwendet wurden (N=7). Anhang C - Tabellen 142 Tabellen zu Kap 5.5.4: 5.5.4: Wie werden die Topoi bewertet? Tabelle A 9: Bewertung113 der Topoi Zeitung SZ Mittlere Bewertung Topos nicht eindeutig zuordenbar Gesamt Tagesspiegel n* bew. n** Mittlere Bewertung n Bild bew. n Mittlere Bewertung n bew. n Mittlere Bewertung bew. n n -,22 27 14 -,78 23 18 ,00 8 5 -,41 58 37 Belastung -1,43 7 4 -1,00 11 5 ,40 5 1 -,83 23 10 Bürokratie -,33 3 1 -,67 3 1 , , -,50 6 2 Definition ,00 1 0 ,00 1 0 , , ,00 2 0 Demographie ,00 3 0 2,00 1 1 -2,00 1 ,00 5 2 Demokratie ,00 1 0 ,00 1 0 , , ,00 2 0 , ,00 2 0 , , ,00 2 0 0 -,13 8 1 Dezentralität , 1 Effizienz -,33 3 1 ,00 4 0 ,00 Europa ,00 1 0 ,00 2 0 , , ,00 3 0 Extremisten ,00 1 0 ,00 1 0 , , ,00 2 0 Fortschritt ,00 3 0 1,00 2 1 , , ,40 5 1 Fremdenfeindlichkeit ,67 3 1 , , , , ,67 3 1 Finanz ,00 8 2 ,00 2 , , ,00 11 4 2,00 1 1 , , , , 2,00 1 1 -1,00 2 1 -,25 1 , , -,50 6 2 Hierarchie ,00 3 0 , , ,00 1 0 ,00 4 0 Humanität -,31 13 1 -,13 15 7 1,00 2 1 -,13 30 9 ,00 1 0 1,00 1 1 , , ,50 2 1 Machbarkeit -,14 7 2 2,00 2 1 , , ,33 9 3 Mißbrauch -,67 6 1 -1,00 1 1 ,50 1 -,27 11 3 menschlicher Nutzen -,57 21 10 -,20 5 1 , , -,50 26 11 politischer Nutzen ,00 17 2 ,00 1 0 , , ,00 18 2 wirtschaftlicher Nutzen ,06 16 7 ,05 20 7 ,00 7 0 ,05 43 14 Nutzlosigkeit ,00 3 0 ,00 2 0 ,00 2 0 ,00 7 0 Realität ,00 9 2 ,00 1 0 , , ,00 10 2 -,20 10 3 ,00 5 0 ,00 0 -,12 17 3 , ,00 1 0 0 ,43 7 2 , ,00 4 0 0 -,27 15 4 0 Gerechtigkeit Gesetz Kultur Recht 3 4 1 4 2 Innere Stabilität , , ,00 1 0 , Veränderung , , ,50 6 2 ,00 , , 2 ,00 , , , ,00 3 , ,00 4 0 9 -,18 348 115 Verantwortlichkeit ,00 4 0 , -,60 10 2 ,50 Vorurteil ,00 3 0 , Widerspruchsfreiheit ,00 2 0 ,00 2 0 , -,23 189 55 -,17 124 51 ,11 Verständnis Gesamt 4 1 1 35 *. Anzahl der Argumente **. Anzahl bewerteter Argumente 113 Bei einer Skala von -2 (eindeutig negativ) bis +2 (eindeutig positiv). ‚Keine Wertung‘ wurde als ‚neutral‘ (0) gewertet. Anhang C - Tabellen 144 Tabellen zu Kap 5.5.5: 5.5.5: Konformität: Die übereinstimmende Bewertung von Topoi Tabelle A 11: Die Korrelationen114 der Toposrelevanz (Integration) und der Toposbewertung (Konformität) TGSP/SZ SZ/BILD TGSP/BILD Integration Konformität Integration Konformität Integration Konformität Gesamt .524** .515** .586** .465* .562** .313 .491* .370* .372* .188 -.390 -.654* -.477 -.824** .758** .763** .513** -.852 -.658* -.860** -.696* objektive Genres .464* .415* .267 -.245 .080 -.210 -.001 .376 .383 .583** -.150 -.763 -.361 -.886* .586** .558** .306 .276 -.167 -.053 -.486 subjektive Genres .311 .258 .123 -.003 .376 .584* .729 .280 .266 -.153 -.054 0 -.054 0 .745* .739** .039 -.779* -.236 -.759* -.225 Tabelle A 12: Integration und Konformität der Zeitungstypen Boulevard/Abo Gesamt objektive Integration Konformität .553*** -.674*** .552*** -.398* .380** -.294 Genres subjektive Genres 114 Der jeweils oberste Wert ist die Korrelation von Toposstellenwert bzw. Toposbewertung , der zweite 1 1 die von Toposstellenwert2 bzw. Toposbewertung2 usw. Versicherung Hiermit erkläre ich, daß ich diese Arbeit selbständig verfaßt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen der Arbeit, die anderen Werken im Wortlaut oder dem Sinne nach entnommen sind, wurden unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht. Dies gilt auch für Zeichnungen, Skizzen, graphische Darstellungen u.ä. Weiterhin versichere ich, daß diese Arbeit bei keiner anderen Prüfungsbehörde zur Begutachtung vorgelegen hat bzw. vorliegt. Berlin, den 19.5.03 __________________________ Christoph Haug