Jugend
Maike Steinkamp
Jugend
I
n seiner zwischen
den Jahren 1963 und
1971 entstandenen Fotoserie Tulsa dokumentiert Larry Clark den
Alltag seiner Freunde,
ihren Drogenkonsum,
ihr Sexualleben sowie
ihre
Potenzund
Gewaltspiele. Es sind
Fotografien, die durch
ihre Unmittelbarkeit
schockieren, wie beispielsweise die Darstellung eines liegenden 1 I Larry Clark: Fotografie aus dem Fotobildband «Tulsa», 1971
jungen Mannes, der in
einem zerwühlten Bett
gerade einem auf ihm sitzenden halbnackten die eigene Identität erst noch geprägt werden
Mädchen eine Spritze setzt 앚Abb. 1앚. Der Kopf der
muß.
jungen Frau befindet sich außerhalb des Bild- Als eine Übergangsphase, als eine Zeit der eingeausschnitts. Der Fokus der Darstellung liegt auf schränkten Handlungs- und Verantwortungsdem Moment, in dem der Jugendliche ihr die fähigkeit wird die Adoleszenz schon von Cesare
Drogen in den Arm injiziert. Mit dem Festhalten Ripa beschrieben. In seiner Iconologia führt er
dieser Situation zeichnet Clark nicht ein hoff- 1603 als Wesensmerkmale der Jugend deren Unnungsfrohes Zukunftsbild einer jungen, im beständigkeit und Leichtsinn auf. Illustriert wird
Aufbruch begriffenen Generation. Vielmehr die Gioventù seit der zweiten Auflage des Buches
führt er dem Betrachter ein Gesellschaftsbild vor
von 1611 durch einen stolzen, ja eingebildeten
Augen, in dem sich das vermeintliche Aufbegeh- Jüngling mit Blumenkranz im Haar, dem das
ren der Jugend gegen diese selbst zu kehren Geld in seiner Verschwendungssucht nur so
scheint. Die Fotografien thematisieren politi- durch die Finger rinnt 앚Abb. 2 .2 Das aufwendige
sche und gesellschaftliche Tabus in einer Phase Gewand symbolisiert dabei seine Unbeständigdes Lebens, in welcher der Mensch am verletz- keit, der Kranz seinen Hang zu Schönheit und
lichsten ist.1 Nicht mehr Kind und noch nicht äußerem Schein statt zu Realitäts- und NützlichErwachsener, befindet sich der Jugendliche in keitssinn. Darüber hinaus sind dem Jüngling als
einem Zwischenstadium, in einer Phase des Aus- Attribute ein Pferd und ein Jagdhund zugeordprobierens, des Lernens und des Protests, in der net, was nach Ripa auf die Neigung der Jugend
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Jugend
2 I Gioventù, aus: Cesare Ripa: Iconologia, Padua 1611
3 I Unbekannter Künstler: Lebensrad, Kampen
1558, Holz-
schnitt, koloriert, 47,7 × 35,5 cm, Amsterdam, Rijksprenten-
zur Jagd hindeutet, jedoch gleichermaßen als
Zeichen des Hochmuts (Pferd) und des Neids
(Hund) zu interpretieren ist.3 Ebenfalls als Jäger
erscheint der junge Mann schon gut fünfzig
Jahre früher auf einer 1558 entstandenen niederländischen Lebensraddarstellung 앚Abb. 3앚. Mit
einem Falken auf der Hand und in edler Kleidung reiht sich der Jüngling zwischen dem die
Unschuld verkörpernden nackten Kind und der
verantwortungsvollen Position des Erwachsenen
ein, der auf dem Holzschnitt durch einen Kaufmann mit gefüllter Geldbörse symbolisiert wird.
Überwacht wird die Szenerie von einem Skelett
mit Stundenglas und Pfeil, das auf einer an der
Radnabe angebrachten Weltkugel steht. Der
damit implizierte Vanitas-Gedanke erfährt
durch den am rechten Bildrand vom Lebensrad
ins Grab steigenden Greis eine weitere Visualisierung.
kabinett
Solche oder ähnliche Darstellungen des Lebenszyklus existieren seit dem Mittelalter, wobei die
Einteilung in vier Lebensphasen nicht normativ
ist. Seit der Antike bestanden etliche Alterskonzepte, die zwischen zwei oder drei bis hin zu
zwölf Lebensabschnitten unterschieden.4 Die
Grenzen zwischen Kindheit und Jugend sind dabei oftmals fließend und werden, wie auf Giorgiones Gemälde Die drei Lebensalter des Mannes,
manchmal auch gar nicht gezogen 앚Abb. 4앚. So
wurden Adoleszenz und Kindheit bis zum
18. Jahrhundert begrifflich oftmals nicht klar
voneinander getrennt, was jedoch nicht bedeutet, daß frühere Generationen in der Loslösung
aus familiärer Abhängigkeit und in der Entwicklung von Mündigkeit keine eigenständige Lebensphase erkannten.5 Tatsächlich ist es dieser
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Jugend
4 I Giorgione: Die drei Lebensalter des Mannes,
1501, Öl
auf Holz, 62 × 77 cm, Florenz, Palazzo Pitti, Galleria Palatina
Loslösungsprozeß, der auf dem Gemälde der
drei Lebensalter von Giorgione versinnbildlicht
wird. Der im Mittelpunkt des Bildes plazierte
Knabe, der durch sein weiches, bartfreies Gesicht, seine langen Haare und die Mütze charakterisiert ist, wird links von einem alten Mann,
rechts von einem jüngeren Erwachsenen eingeschlossen. Während der kahlhäuptige Greis
ernst und ein wenig skeptisch aus dem Bild
herausblickt und den Jungen beschützend zu
umfassen scheint, tritt der jüngere Mann als
Lehrender auf, der den konzentriert auf ein
Notenblatt blickenden Knaben in der Musik unterweist. Mit dieser Einführung in die harmonische Lehre der Musik wird nicht nur dem humanistischen Bildungsideal des 15. Jahrhunderts
entsprochen, zugleich dient die Darstellung als
eine Allegorie des Lebens, in der der Jüngling,
nicht zuletzt durch seine zentrale Stellung im
Bild, unter der Anleitung des Alters zum Hoffnungsträger für die Zukunft erhoben wird.
Eine ähnliche Intention verfolgt Diego Velázquez mit seinem Gemälde Prinz Baltasar Carlos in
der Reitschule, auf dem der gerade einmal siebenjährige Kronprinz in voller herrschaftlicher
5 I Diego Velázquez: Prinz Baltasar Carlos in der Reitschule,
1636, Öl/Lw., 144 × 96,5 cm, Eccleston, Sammlung der
Herzöge von Westminster
Montur auf einem Pferd zu sehen ist 앚Abb. 5앚.
Doch anders als auf dem Bild Giorgiones tritt der
Knabe hier nicht als Lernender in Erscheinung,
vielmehr scheint der spanische Infant sein Tier
bereits perfekt zu beherrschen (ê Reiterstandbild). Gerade in dieser überlegenen Führung seines Pferdes zeigte sich gemäß der Staatsmetaphorik des 17. Jahrhunderts die herrschaftliche
Souveränität des zukünftigen Monarchen: «Fallen wird derjenige Fürst, der nicht zu regieren
versteht, so wie ein ungeschickter Reiter, der die
Zügel nicht zu führen und die Sporen nicht anzubringen weiß, leicht rücklings zu Boden
stürzt, sobald er ein unzahmes Pferd besteigt.»6
Als Lehrmeister des spanischen Thronfolgers
tritt der Conde-Duque de Olivares im rechten
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Bildmittelgrund in Erscheinung, womit nicht
nur sein Einfluß auf die Erziehung des Prinzen,
sondern gleichermaßen sein Einfluß auf die
Staatsgeschäfte unterstrichen wird. Unter seiner
Anleitung führt der junge Baltasar Carlos seinen
entfernt auf einem Balkon stehenden Eltern,
König Philipp IV. und Isabella von Bourbon, sein
Können vor. Trotz des bildlichen Verweises auf
die Erziehung des Prinzen betont das Gemälde
durch das königliche Habit und die selbstbewußte Pose des Knaben ebenso wie durch die perfekte
Beherrschung seines Pferdes den künftigen Herrschaftsanspruch von Baltasar Carlos und die Zukunftshoffnungen der spanischen Monarchie.
Einem anderen Konzept von Jugend folgte hingegen Michelangelo bei seinem für die Piazza
della Signoria in Florenz 1501–1504 geschaffenen David (ê David). Im Rückgriff auf das antike
jugendliche Schönheitsideal wird die athletische
Gestalt des Hirtenknaben, der den Stein noch
nicht geschleudert hat, in einem Moment des
überlegten Handelns dargestellt. Damit verknüpft der Künstler das Jugendideal der Antike
mit der Virtù (Tugendhaftigkeit) des Mannes.
Nicht zuletzt durch Michelangelos künstlerische
Umsetzung der alttestamentlichen Geschichte
des ungleichen Kampfes zwischen David und
Goliath, in der die Stadt Florenz ihre politische
Situation wiedererkannte, avancierte David in
der vom Bildhauer erzeugten Analogie von jugendlicher, «reiner» Schönheit und dem reflektierenden, tapferen Handeln des Mannes zum
Leitbild städterepublikanischen Wirkens und
bürgerlicher Tugend.7 Die von Michelangelo
vollzogene Gleichsetzung von jugendlicher
Schönheit und politischem Ideal beziehungsweise von körperlicher und moralischer Konstitution findet auch in Johann Joachim Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst von
1755 ihren Ausdruck. Vor allem in der Figur des
Jugend
6 I Jacques-Louis David: Der Tod des Bara,
1794, Öl/Lw.,
119 × 156 cm, Avignon, Musée Calvet
Gottes Apoll erkannte Winckelmann den Inbegriff «idealischer männlicher Jugend». In ihm
vereinige sich die «Stärke vollkommener Jahre»
mit den «sanften Formen des schönsten Frühlings der Jugend», dessen künstlerische Vollkommenheit er mit antiker, republikanischer
Freiheit gleichsetzte.8
Diese Assoziation von jugendlicher Schönheit
und ethischem Ideal der Antike wurde mit der
Französischen Revolution 1789 zusätzlich mit
dem politisierten Begriff des freien Subjekts aufgeladen.9 Wie schon beim David von Michelangelo wurde der Jüngling, der seine Kraft und
Leidenschaften zu zügeln verstand, in dieser Zeit
bei Malern wie Jacques-Louis David zum Sinnbild moralischer Schönheit erhoben. Unschuldig und in «stiller Erhabenheit» stellte David in
seinem unvollendeten Gemälde Der Tod des Bara
den von gegenrevolutionären Aufständischen in
der Vendée ermordeten Knaben Joseph Bara dar
앚Abb. 6앚. Durch die sinnlich-schöne Darbietung
des auf der Seite liegenden nackten, androgynen
Knaben löste der Künstler den Jungen aus dem
historischen Kontext seines Todes und stilisierte
ihn zum Märtyrer, der auch nach seinem Tode
die Tricolore – und damit die Ideale der Revolution – fest umschlossen hält. In dieser Symbiose
zwischen idealer jugendlicher Schönheit und der
Jugend
männlichen Eigenschaft der Tapferkeit gelang
es dem Maler, Bara in seinem Gemälde zum allgemeingültigen Vorbild bürgerlicher Tugend
und Opferbereitschaft zu erheben.10 Auch später
wurde diese mit dem Rückgriff auf die Antike
vollzogene Stilisierung und Heroisierung des
nackten, jugendlichen und zumeist athletischen
Körpers immer wieder zur politischen Propaganda herangezogen, die in den Monumentalskulpturen von Arno Breker und Josef Thorak
ihre wohl größte Pervertierung fand.
Mit dem Aufkommen der Jugendbewegung zu
Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Jugend
anders als in den Jahrhunderten zuvor als eigenständige Lebensphase akzentuiert. Sie war nun
nicht mehr nur biologisches Durchgangsstadium auf dem Weg zum Erwachsensein, vielmehr
wurde sie zur Chiffre für den Ausbruch aus den
gesellschaftlichen und geistigen Krisen der Jahrhundertwende in eine bessere Zukunft erhoben.
Bereits 1873 hatte Friedrich Nietzsche von einem
Reich der Jugend geträumt, das die Welt erlösen
könne.11 Und auch der nationalkonservative
Kulturkritiker Julius Langbehn beschwor in
seinem 1890 erschienenen und später von der
Jugendbewegung viel gelesenen Buch Rembrandt
als Erzieher die unverdorbene, unverbildete und
unbefangene Jugend als Rettung Deutschlands.12 Durch ihre Kraft und Vitalität sollte die
Erstarrung, sollten Unzufriedenheit und Ablehnung der bestehenden gesellschaftlichen und
kulturellen Verhältnisse aufgelöst werden und
zu einer tiefgreifenden Erneuerung führen.
Eindrücklich wird diese jugendliche Dynamik
und Aufbruchstimmung auf dem von Ludwig
von Zumbusch gestalteten Plakat für die erste
Ausgabe der 1896 gegründeten Zeitschrift Jugend
vermittelt. Scheinbar mühelos reißen die beiden
jungen Frauen in flatternden Gewändern und
mit losem Haar den kleinen glatzköpfigen Mann
mit Frack und Gamaschen in ihrer Mitte mit sich
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7 I Ludwig von Zumbusch: Jugend, 1896, Plakat, Lithographie,
59,5 × 41,5 cm, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe
fort 앚Abb. 7앚. Den überkommenen Werten der
Alten, der Tradition, dem Wissen und der Erstarrung, die sich in der Person des Greises vereinigen, stehen das Bekenntnis zur Jugendlichkeit
und die Rückbesinnung auf die Vitalität der Natur gegenüber, deren unermüdliche Erneuerung
für das Versprechen einstehen soll, daß auch der
Mensch sich aus den verkrusteten und abgelebten Traditionen lösen werde. Unter dem Einfluß
von Zivilisationskritik und Lebensreform setzte
sich insbesondere in Deutschland die Vorstellung einer im Aufbruch befindlichen jungen
Generation durch, die eine neue Gesellschaft
schaffen werde. Ihren Ausdruck fand diese Vorstellung nicht zuletzt auf dem Freideutschen
Jugendtag auf dem Hohen Meißner im Oktober
1913. Dort rief der Reformpädagoge Gustav
Wyneken zu einer umfassenden geistig-kulturel-
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Jugend
8 I Fidus (Hugo Höppener): Lichtgebet, Oktober
1913, Post-
karte zum Freideutschen Jugendtag
len Erneuerung aus dem Geist der Jugend auf.
Nur so könne der Weg zu Eigenverantwortung
und Selbstbestimmung, zu einem «neuen Menschen» geebnet werden. Auf der Suche nach der
Quelle neuen Lebens sollte der Jugendliche zu
einem «Krieger des Lichts» werden.13 Überzeugend erscheint daher die Wahl für das Motiv der
Einladung zum Freideutschen Jugendtag, auf
der das Lichtgebet von Hugo Höppener, genannt
Fidus, zu sehen ist 앚Abb. 8앚. Es zeigt die auf einer
Felsspitze stehende Rückenfigur eines nackten
Jünglings mit wallendem blondem Haar, der seine Arme dem Licht entgegenstreckt. In den
äußerst populären, der nordischen Mythologie
und Naturreligion ebenso wie der Erotik ver-
pflichteten Arbeiten des Lebensreformers Fidus
findet die erhoffte Befreiung von den Fesseln des
Alten, der Einklang von Mensch und Natur ebenso wie die Suche nach Authentizität und Wahrhaftigkeit ihren markantesten Ausdruck.14 Doch
spätestens mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die zu Anfang des 20. Jahrhunderts
eher schwärmerisch und vage formulierte Hoffnung einer durch die Jugend erneuerten Gesellschaft nicht zuletzt durch die konservative Revolution militarisiert.15 Es schlug die Stunde des
jugendlichen Helden, der im Gedenken an das
im November 1914 vor Langemarck in den Tod
gestürmte Freiwilligenregiment junger Soldaten
seine eindrücklichste Mythologisierung erfuhr.
Weniger als ein Vierteljahrhundert später wurde
er erneut auf Plakaten und Gemälden zum Propagandainstrument für eine neue, in den Krieg
schreitende Generation mißbraucht.
Die Politik der Weimarer Republik hatte den Begriff der Jugend und den damit verbundenen Mythos aktualisiert. Die Jugend wurde zu einer
klassenübergreifenden Kampf- und Schicksalsgemeinschaft stilisiert, durch deren Kraft und
Vitalität Deutschland nach dem verlorenen Krieg
und den gesellschaftlichen Erschütterungen zu
einer neuen Identität verholfen werden sollte.16
Auch andere Staaten und Systeme, nicht zuletzt
Nationalsozialismus, Faschismus und Kommunismus, wußten die seit Jahrhunderten bestehende Definition der Jugend als Hoffnungsträger für die Zukunft als Zeichen der Verjüngung
und des Aufbruchs zur Überwindung eines morschen Systems zu nutzen. Dynamik und Zukunftsorientierung möchte auch das 1981 entstandene chinesische Plakat vermitteln, in dessen Mittelpunkt ein junges Paar seinen Blick in
die Höhe, in seine Zukunft wendet 앚Abb. 9앚. Im
Hintergrund türmen sich die Dokumente des
Fortschritts: ein Düsenjet, Hochhäuser, Raketen, eine Friedenstaube und über allem, in einer
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Jugend
radikal von der Jugend selbst und ihren politischen wie sozialen Realitäten trennen und die
Jugend zum Ausdruck eines lebensbejahenden
Fortschrittsgedankens stilisieren.18 Künstler wie
Larry Clark setzen sich hingegen mit der (vermeintlich) anderen Realität jenseits des gerade
in den USA boomenden Jugendkults und der
scheinbar alles beherrschenden Pop- und Massenkultur auseinander, indem sie ein Jugendbild
zeigen, das nichts mit dem medialisierten und
politisierten Zukunftsgedanken gemein hat und
sich stattdessen auf die Jugend als Phase der
(Des-)Orientierung und der Konsolidierung des
Ichs bezieht.
Anmerkungen
9 I Qui Baiping u. Chen Zhenxin: Mit den vier Modernisierungen (Landwirtschaft, Industrie, Technik und Wissenschaft)
des Vaterlandes zu noch mehr Ehre gelangen, 1981, Plakat, Offsetdruck, 56 × 53 cm
Aureole schwebend, das kommunistische Symbol von Hammer und Sichel. Bereits in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts
unterstützte die ikonographische Ästhetisierung
von jugendlicher Kraft und Schönheit in monumentalen Skulpturen, Propagandaplakaten oder
inszenierten Massenspektakeln die politische
Mobilmachung und Untermauerung der politischen Systeme.17
Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts massiv einsetzende politische und kulturelle Instrumentalisierung von Jugend und Jugendlichkeit findet
bis in die Gegenwart in allen politischen Systemen und Kulturkreisen ihren Niederschlag.
Massenmedien, Werbung, Mode und Kunst entwerfen Leitbilder, welche den «Mythos Jugend»
1 Jugend ist auch in den späteren Arbeiten von
Larry Clark immer wieder ein Thema, so in seinen Fotobüchern Teenage Lust (1983/1992) und A
Perfect Childhood (1993) sowie in seinem Film Kids
(1995).
2 Vgl. Cesare Ripa: Iconologia. Ovvero descrittione di diverse imagini cavate dall’antichità, et di propria inventione [1603], Hildesheim, Zürich u. New York
2000, S. 184; id.: Iconologia overo Descrittione
d’Imagini delle Virtù, Vitii, Affetti, Passioni humane,
Corpi celesti, Mondo e sue parti, Padua 1611, S. 198.
3 Vgl. Ripa 2000, S. 184.
4 Zur komplexen Thematik der Lebensalterdarstellungen vgl. Klaus T. Wirag: Cursus Aetatis. Lebensalterdarstellungen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert,
München 1994; Elisabeth Sears: Three Ages of Man.
Medieval Interpretations of the Life Cycle, Princeton
1986; Suse Barth: Lebensalterdarstellungen im 19. und
20. Jahrhundert. Ikonographische Studien, München
1971.
5 Vgl. Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit, München 1975, S. 82 u. S. 86 f.; John R. Gillis: Geschichte der Jugend, Weinheim u. Basel 1980, S. 17 f.
6 Cesare Capaccio: Il Principe. Tratto da gli Emblemi
dell’Alciato, Venedig 1620, Avvertimento, XXXV,
S. 61, zit. nach Martin Warnke: Das Reiterbildnis des
Baltasar Carlos von Velázquez, in: id.: Nah und Fern
zum Bilde. Beiträge zur Kunst und Kunsttheorie, Köln
1997, S. 149.
7 Vgl. Franz-Joachim Verspohl: Michelangelo Buonarotti und Niccolò Machiavelli, Wien 2001, S. 30 u.
S. 84 f.
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8 Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die
Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und
Bildhauerkunst [1755], hg. v. Wilhelm Senff, Weimar 1964, S. 137.
9 Vgl. Alex Potts: Flesh and the Ideal. Winckelmann and
the Origins of Art History, London 1994, S. 223.
10 Vgl. Warren Roberts: Revolutionary Artists. JacquesLouis David and Jean-Louis Prieur, New York 1999,
S. 307 ff.; Thomas Crow: Emulation. Making Artists
for Revolutionary France, New Haven u. London
1994, S. 171 ff.; Potts 1994, S. 232 f.
11 Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen.
Zweites Stück. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für
das Leben, in: id.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, Bd. I, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino
Montinari, München 1980, S. 245–334, S. 324 ff.
12 Julius Langbehn: Rembrandt als Erzieher [1890],
Leipzig 1892, S. 356.
13 Gustav Wyneken: Rede auf dem «Hohen Meißner» am
Morgen des 12. Oktobers, in: Gustav Mittelstraß
(Hg.): Freideutscher Jugendtag 1913, Hamburg 1919,
S. 33–41, S. 38 f.; abgedruckt in: Winfried Mogge
(Hg.): Hoher Meißner 1913. Der erste Freideutsche
Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern,
Köln 1988 (Edition Archiv der deutschen Jugendbewegung, Bd. 5), S. 293–301; vgl. Jürgen Reulecke: Jugend – Entdeckung oder Erfindung. Zum
Jugendbegriff vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute,
Jugend
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in: Schock und Schöpfung. Jugendästhetik im 20. Jahrhundert, hg. v. Willi Bucher u. Klaus Pohl, Ausstellungskatalog, Kunstverein Stuttgart/Deutscher
Werkbund, Württemberg, 1986–1987, Darmstadt
1986, S. 21–25, S. 22; Marina Schuster: Lichtgebet.
Die Ikone der Lebensreform- und Jugendbewegung, in:
Gerhard Paul (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder,
Bd. I: 1900 bis 1949, Göttingen 2009, S. 140 –147
(mit Literatur).
Zu den Arbeiten von Hugo Höppener vgl. Janos
Frecot, Johann Friedrich Geist u. Diethart Kerbs:
Fidus 1868–1948. Zur ästhetischen Praxis bürgerlicher
Fluchtbewegungen, München 1972.
Vgl. Barbara Stambolis: Mythos Jugend – Leitbild
und Krisensymptom. Ein Aspekt der politischen Kultur
im 20. Jahrhundert, Schwalbach 2003 (Edition Archiv der deutschen Jugendbewegung, Bd. 11),
S. 30.
Vgl. ibid., S. 13.
Vgl. Hartmut Böhme: Das Verewigen und das Veralten
der Jugend, in: Klaus Bodal, Ortrud Gutjahr u.
Joachim Pfeiffer (Hg.): Jugend. Psychologie – Literatur – Geschichte, Würzburg 2001, S. 25–39,
S. 34 f.; Klaus Wolbert: Die Nackten und die Toten des
«Dritten Reiches». Folgen einer politischen Geschichte des
Körpers in der Plastik des deutschen Faschismus, Gießen 1982.
Vgl. Böhme 2001, S. 33.