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Flink, T. (2016): Die Entstehung des Europäischen Forschungsrates. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft

2016

Die Gründung des Europäischen Forschungsrates (ERC) im Jahre 2007 gilt als der politische Big Bang in der Forschungs- und Technologieförderung der Europäischen Union. Der ERC bewerkstelligt zum ersten Mal das, was der Europäischen Kommission mit ihrer Ausrichtung auf ökonomisch nützliche und politisch zweckgebundene Ziele bisher versagt geblieben war: wissenschaftlich selbstbestimmte »Grundlagenforschung« zu fördern. Forschungsthemen werden von Wissenschaftlern definiert, Fördergelder sind nicht politisch proportioniert, das Begutachtungsverfahren (»peer review«) richtet sich ausschließlich nach wissenschaftlichen Gütekriterien. Das vorliegende Buch liefert erstmals umfassende Hintergründe zur Entstehung des Europäischen Forschungsrates und verbindet historische, wissenssoziologische und politikwissenschaftliche Ansätze. Anhand der historischen Strukturen trans- und supranationaler Forschungsförderung erklärt der Autor, wie die EU-Forschungspolitik aufgrund der Legitimationsanforderungen an den gesellschaftlichen Nutzen der Wissenschaft und der Europäischen Union selbst bereits früh auf einen »Marktimperativ « zugerichtet wurde – die Existenzberechtigung einer europäischen Institution zur Förderung von Grundlagenforschung erschien somit unwahrscheinlich. In einer interpretativen Policy-Analyse wird die konkrete Entstehung des ERC im Zeitraum von 1994 bis 2007 rekonstruiert. Die wirtschaftliche und politische Zweckkonditionierung der EU-Forschungspolitik, gegen die die Idee des ERC gerichtet war, stellte paradoxerweise das Nadelöhr dar, durch das alle Forderungen nach einer EU-finanzierten Grundlagenforschung hindurch mussten. Das Brüsseler Tabu wissenschaftlich selbstbestimmter Grundlagenforschungsförderung wird vordergründig performativ durch den US-amerikanischen Begriff »Frontier Research« umgangen. Hinter der Indienstnahme der »aggressiven« Frontier-Semantik steckt jedoch mehr: Mit ihr wird eine Leitunterscheidung von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung negiert, ein fragwürdig individuelles Wettbewerbsprinzip in der Wissenschaft heroisiert und eine ebenso fragwürdige geostrategische Abgrenzung Europas gegenüber globalen Konkurrenzregionen gefestigt. Die dahinterliegende soziale Problembewältigung europäischen Regierens zeigt der Autor anhand einer wissenssoziologisch-hermeneutischen Analyse der in diesen Prozessen zur Geltung kommenden sozialen Deutungsmuster auf.

Tim Flink Die Entstehung des Europäischen Forschungsrates Tim Flink Die Entstehung des Europäischen Forschungsrates Marktimperative – Geostrategie – Frontier Research VELBRÜCK WISSENSCHAFT Erste Auflage 2016 © Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2016 www.velbrueck-wissenschaft.de Printed in Germany ISBN 978-3-95832-096-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Die eigenartige Organisation des ERC . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.1 Der ERC als ›Spezifisches Programm‹ der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.2 Die Autonomie des ERC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.3 Der »Scientific Council« des ERC. . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.4 Die Exekutivagentur des ERC. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.5 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Sprache und Kommunikation im interpretativen Paradigma . 41 3.1 Soziale und politische Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.2 Institutionelle Strukturen, Policy-Analyse und Deutungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Historische Strukturen europäischer F&T-Politik . . . . . . . . . 59 4.1 Erste Integration und transnationale Kooperationen . . . 62 4.2 Lineare Innovation und fragmentierte Planung europäischer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4.3 Transnationale Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4.4 Die Krise supranationaler Integration. . . . . . . . . . . . . . . 75 4.5 Revival des Europaprojektes und Hightechförderung . . . 80 4.6 Die Etablierung der Forschungsrahmenprogramme . . . . 83 4.7 Von der Projektförderung zum Europäischen Forschungsraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 4.8 Fazit: Integrationsgrenzen und -chancen . . . . . . . . . . . . 90 INHALT 5. Policy-Analyse: Zur Entstehung des ERC. . . . . . . . . . . . . . . . 93 5.1 Emergenz oder wann die Idee eines ERC entstand . . . . . 94 5.2 Forderungen nach Grundlagenforschungsförderung . . . . 98 5.3 Die Organisation politischer Relevanz: Warum die Lebenswissenschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 5.4 Die Formierung einer ERC-Interessengemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 5.5 Nationale Research Councils und die ESF als Nachzügler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5.6 Von der Positionsformierung zum Agenda-Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5.7 Die Kommission bewegt sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5.8 Entscheidungsjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5.8.1 Individualförderung als Subsidiaritätsproblem . . 155 5.8.2 Gesetzgebung: Von Grundlagenforschung zu Frontier Research . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5.8.3 Streit um die Governance-Struktur des ERC . . . . 163 5.8.4 Wirtschaftliche Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.9 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 6. Soziale Deutungsmuster der EU-Forschungspolitik . . . . . . . . 171 6.1 Geregelte Texte, soziale Regeln: Zur Objektiven Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 6.2 Interpretationsregeln der Objektiven Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 6.3 Die rhetorische Frage von Kopenhagen . . . . . . . . . . . . . 181 6.3.1 Zeremonielle und legitimatorische Bedeutung des Klappentextes. . . . . . . . . . . . . . . . 181 6.3.2 Zum »Preface«: Was geschah, ist unumkehrbar . . 189 6.3.3 Die »Hauptpunkte« als Entscheidungszumutung 192 6.3.4 Fazit zu Unterkapitel 6.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 INHALT 6.4 Grundlagenforschung als europäische Geostrategie? . . . 201 6.4.1 Eine »endgültige« Mitteilung als Handlungslegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 6.4.2 Europas Grundlagenforschung, ein Problem der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . 204 6.4.3 Immer wieder die »Technologische Lücke« . . . . . 207 6.4.4 Einleitung: Der Zwang der »wissensgestützten Wirtschaft«. . 209 6.4.5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 6.4.6 Die USA: Feind- und Leitbild europäischer Forschungsförderung . . . . . . . . . . . 214 6.4.7 Taktvoll unternehmerisch: die Kommission inszeniert sich . . . . . . . . . . . . . . 216 6.4.8 Eine gescheiterte Definition von Grundlagenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.4.9 Fazit zu Unterkapitel 6.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.5 Frontier Research als Geostrategie der EU . . . . . . . . . . . 231 6.5.1 Die Frontier – raubeinige Einzelkämpfer des Wilden Westens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6.5.2 Die gekünstelte Übertragung der »Frontier« auf den EU-Kontext . . . . . . . . . . . . . . 234 6.5.3 Frontier Research im politischen Auftrag der Kommission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 6.5.4 Seltsame Autoren- und Begriffsvermischungen . . 251 6.5.5 Inhaltsverzeichnis: Legitimationsherausforderungen der Kommission 258 6.5.6 Die Kommission, auch im Dienste der Wissenschaft: Grußworte eines Forschungskommissars . . . . . . . 265 6.5.7 Frontier Research als supranationaler Steuerungsanspruch . . . . . . . . . . 268 6.5.8 Der ERC als »historische Herausforderung« . . . . 272 6.5.9 Frontier Research – ein weiteres Definitionsscheitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 6.5.10 Fazit zu Unterkapitel 6.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 INHALT 6.6 Analyse des Beschlusses zum Siebten Rahmenprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 6.6.1 Universitäten für das Überleben von Unternehmen 281 6.6.2 Pionierforschung als funktional-politischer Expansionismus . . . . . . . . 286 6.6.3 Wirtschaftlicher Fortschritt und Abgrenzung als gemeinschaftliche Überlebensstrategie . . . . . . 290 6.6.4 Rechtliche und politische Begründung des ERC . . 294 6.6.5 Pionierforschung als nützlichere Grundlagenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 6.6.6 Zum Kapitel »Maßnahmen« . . . . . . . . . . . . . . . . 301 6.6.7 Deutungsmuster zur Governance des ERC. . . . . . 303 6.6.8 Fazit zu Unterkapitel 6.6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 6.7 Die Selbstbeschreibung des ERC. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 6.7.1 »About us« – Geburts- und Schöpfungsmetaphern . . . . . . . . . 307 6.7.2 Der ERC auf Mission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 6.7.3 Geniale Geister, bahnbrechende Erfindungen . . . . 316 6.7.4 Fazit zu Unterkapitel 6.7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 6.8 Kapitelzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 7. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Vorwort Die Gründung des Europäischen Forschungsrates stellte einen radikalen Bruch mit den bisherigen Erwartungen an die Forschungs- und Technologieförderung der Europäischen Union dar. Deren Kommission durfte über viele Jahrzehnte ausschließlich industrie- und anwendungsorientierte bzw. politisch stark zweckgebundene Vorhaben fördern. Mit der Etablierung des European Research Council (kurz: ERC) ist das Unwahrscheinliche gelungen, nämlich zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaften (später: der EU) eine Selbstverwaltungseinrichtung der Wissenschaft zu konstituieren, die wissenschaftlich frei gewählte Themen nach ausschließlich wissenschaftlichen Qualitätskriterien begutachtet und finanziell fördert. Die vorliegende Arbeit erörtert den diffizilen Prozess der Entstehung des ERC und stellt das Ergebnis meiner Dissertation dar, die ich hauptsächlich in meiner Zeit am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik sowie am Bielefelder Graduiertenkolleg 724 »Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft« und im Lehrbereich Wissenschaftsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin verfassen konnte. Bereits einige Jahre vor meinem Eintritt in die Wissenschaft durfte ich aus der Perspektive des persönlichen Direktoriumsreferenten in der Koordinierungsstelle EG der Wissenschaftsorganisationen (KoWi) einen Teil des ERC-Entstehungsprozesses miterleben. Die Stimmungslage Mitte der 2000er-Jahre war bemerkenswert: Auch wenn zehn neue Mitgliedstaaten am 1. Mai 2004 der EU beigetreten waren, ein auf über 50 Mrd. Euro anberaumtes Forschungsrahmenprogramm zur Umsetzung bereit stand und eine Vielzahl von Debatten, bspw. um die Open-Access-Bewegung der Wissenschaft, um die Zukunft der embryonalen Stammzellforschung und der Sicherheitsforschung, die Gründung eines »European Institute of Technology« oder um das offensichtliche Scheitern des europäischen Satellitenprogramms Galileo die Agenda der Europapolitiker füllte – kein anderes Thema löste derart große Aufregungen, kontroverse Diskussionen und eigenartig ambivalentes Verhalten aus wie die anstehende Gründung des ERC. Zu erleben waren hochrangige Kommissionsbeamte, EU-Parlamentsabgeordnete, Mitglieder des Bundestages, Leiter nationaler Forschungsfördereinrichtungen und viele weitere wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Eliten, die je nach Anlass und Publikum die Gründung des ERC in den höchsten Tönen lobten oder rückhaltlos kritisierten. Seltsam erschien, dass auf öffentlichen Veranstaltungen und selbst in persönlichen Gesprächssituationen häufig dazu angehalten wurde, nicht mehr den Begriff der »Grundlagenforschung« 9 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES (»basic/fundamental research«) in Verbindung mit der Entstehung des ERC zu verwenden. Stattdessen hieß es allerorten, der ERC würde bzw. müsse »frontier research« fördern. Verworrene Definitionsversuche endeten zumeist und wahlweise in heroischen Ankündigungen oder Apologismen, »frontier research« sei der »Grundlagenforschung« ähnlich, aber doch anders, eben neuartiger und nützlicher – zuweilen auch amerikanisch. Es ist etwas anderes, eine solche »Begriffspolitik europäischen Regierens« zur Entstehung des ERC am Schreibtisch bzw. in Interviews zu untersuchen oder dies täglich mitzuerleben. Die Vorteile solch intensiver Erfahrungen liegen auf der Hand: Ein empirischer Feldzugang war mir leicht möglich, da ich ehemalige Arbeitskolleginnen und -kollegen interviewen und ihr archiviertes Material sichten konnte; zudem wurde ich von ihnen für weitere Gespräche weiterempfohlen. Andererseits ist es aber auch schwieriger, Distanz zum Untersuchungsgegenstand herzustellen, d. h., insbesondere den spezifischen Blickwinkel politischer Praxis zu verlassen und die eigene Empathie für Ansichten und Personen zu hinterfragen. Hierzu war für mich eine intensive Phase wissenschaftlicher Sozialisation notwendig, die ich an den Universitäten Manchester, Bielefeld, insbesondere am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie an der Humboldt-Universität erleben konnte. Meine Bewunderung für den Europäischen Forschungsrat, seine Gründer und seine Förderphilosophie hat dies nicht beeinträchtigt. Wenn meiner Arbeit an der einen oder anderen Stelle normative Kritik zu entnehmen ist, dann richtet sie sich nicht an den ERC selbst, sondern an die spezifisch marktimperativen Nützlichkeits- und geostrategischen Abgrenzungsdiskurse der Europäischen Union, welche die Organisation unvermeidlich mitgeformt haben und deren soziale Deutungsmuster die Förderung selbstbestimmter Wissenschaft immer noch vor große Probleme stellen. Auch steht nicht »Brüssel« mit all den geläufigen Assoziationen über »die Bürokratie«, die Kommission und ihre Beamten in der Kritik dieser Arbeit – es sind vielmehr die kollektiv stabilisierten Erwartungen hinter dem, was europäische Politik und Wissenschaft leisten sollen, die es zu verstehen galt und die kritische Fragen evozierten. In diesem Sinne möchte ich meinen außerordentlichen Dank an die vielen Experten richten, die mir die Rekonstruktion des ERC durch Interviews, Archivmaterial und Weiterempfehlungen erleichterten. Mein Dank gilt insbesondere jenen Personen, die mich während meiner Zeit in Brüssel, in Manchester, Bielefeld und Berlin begleitet und unterstützt haben: Annette Doll-Sellen hat mich vor, während und nach ihrer Zeit als Direktorin der KoWi viele Jahre gefördert. Ihr gebührt mein besonderer Dank, den ich auch an meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen der KoWi und an Reinhard Grunwald richten will. Jakob Edler und Maria Nedeva haben mich in Manchester unmittelbar nach meiner 10 VORWORT Brüsseler Erfahrung wissenschaftlich betreut, hier konnte ich viel über Europa- und Innovationsforschung lernen. Den Wechsel in die WZBForschungsgruppe Wissenschaftspolitik ermöglichten deren Leiterin, Dagmar Simon, und Andreas Knie. Durch eine Vielzahl von Forschungsprojekten in der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik konnte ich mir überhaupt erst Wissen über Ansätze der Wissenschafts- und Technikforschung aneignen. In Zeiten, in denen ich meinem Dissertationsanliegen durch die Einbindung in Projektarbeiten nicht intensiv nachgehen konnte, hat mich Dagmar Simon unermüdlich und durch eine generöse finanzielle Unterstützung (v. a. Interviewreisen) zum Weitermachen ermutigt – dafür danke ich ihr sehr. Eine weitere prägende Sozialisation führe ich auf meine Zeit am Bielefelder Graduiertenkolleg zurück, wo die Arbeit seither von Alfons Bora betreut wurde. Ihm und meiner Zweitbetreuerin, Gabriele Abels (Universität Tübingen), verdanke ich viele Einsichten in (wissens- und wissenschafts-)soziologische und europapolitische Fragen und Analysemethoden sowie eine Menge hilfreicher Beratungsgespräche. Wenn es den Begriff des »Schattenbetreuers« gäbe, so müsste sich wohl Marc Torka diese Bezeichnung gefallen lassen, da ich von seinen Ratschlägen, methodologischen Anleitungen, den gemeinsamen hermeneutischen Analysen, der kritischen Lektüre meiner Manuskripte und insgesamt seiner Motivationsleistung grundlegend profitieren konnte; das gleiche trifft für David Kaldewey zu – beiden gilt mein besonderer Dank. Darüber hinaus habe ich aus vielen wissenschaftlich anregenden Gesprächen zur Entstehung des ERC neue Erkenntnisse aufgenommen. Bedanken möchte ich mich hierfür bei Clemens und Albrecht Blümel, Holger Braun-Thürmann, Jürgen Enders, Stefan Gauch, Tine Hanrieder, Miriam Hartlapp, Stefan Hornbostel, Thomas König – er wird ebenfalls zur Geschichte des ERC veröffentlichen –, Rebecca-Lea Korinek, Anne K. Krüger, Stefan Kuhlmann, Pauline Mattsson, Christine Musselin, Helga Nowotny, Frank Nullmeier, Tobias Peter, Arne Pilniok, Martin Reinhart, Detlef Sack, Ulrich Schreiterer, Hagen Schulz-Forberg, Holger Straßheim, Torsten Wilholt und Mitchell Young. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und die Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin haben die Verlagspublikation finanziell unterstützt. Nicolas Rüffin hat das Dissertationsmanuskript Korrektur gelesen und Manuela Leinhoß das Verlagsmanuskript ebenso gewissenhaft lektoriert. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Die Profession »Wissenschaft« verfügt bekanntlich über keine externe Klientel, wie die Medizin, Seelsorge oder Juristentätigkeit. Produktiv kompensiert wird dieses Fehlen eines konkreten Handlungsbezugs durch eine Inszenierung von Deutungskrisen: durch Forschung. Das Einüben dieses sozialen Mechanismus, der zunächst zur Promotion führt, lässt sich somit frei nach Samuel Beckett auf die Formel bringen: »Täglich 11 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES besser scheitern!« Nur: die hierunter fallenden Erfahrungen werden auch Freunden und der eigenen Familie zugemutet. Für ihre Unterstützung lassen sich kaum Worte finden, wenngleich eine bescheidene Möglichkeit besteht: Ich möchte dieses Buch meinen Eltern, meiner Partnerin, Rebekka Wolff und unserer Tochter Mila Katharina widmen. 12 1. Einleitung In einer Besprechung des Buchs Der europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas (2012) erklärt dessen Autor Robert Menasse dem Schriftsteller und Filmregisseur Alexander Kluge: »Wir erleben, wenn wir über die EU diskutieren, eigentlich immer wieder aufs Neue, dass wir auf der Basis von abstrakten Bildern reden, z. B. über das Superabstraktum Brüssel. Dann steht in einer Schlagzeile, Brüssel will diese oder jene Richtlinie, Brüssel oder die EU beschließt! Und selbst dann, wenn es ein bisschen herunterkommt zu den Menschen, die dort arbeiten, ist es aber immer noch abstrakt. Dann sagt man, die Beamten oder die Bürokratie.«1 Menasse hatte einige Zeit in Brüssel verbracht, um Material für einen realistischen Roman über die Figur des europäischen Beamten im Stile Émile Zolas oder eines Joseph Roths zu sammeln. Angesichts der altbekannten Klischees über den Eurokraten sei er überrascht gewesen, Beamte2 der EU-Kommission kennengelernt zu haben, die geradezu von einem Integrationsidealismus eines an Wohlstand und Frieden orientierten Europas getrieben waren. Diesem personifizierten Integrationsideal stünden nationalistische Egoismen gegenüber, und dies topographisch betrachtet auf engstem Raum: »Auf der einen Seite der Rue de la Loi in Brüssel steht das Justus-Lipsius-Gebäude des Europäischen Rates und genau gegenüber das Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission. Die Beamten schauen sich gegenseitig aus den Fenstern zu, wie aus zwei Ritterburgen. Und bei wem immer sie dann zu Besuch sind […], irgendwann steht jeder einmal am Fenster und sagt: Die da drüben!« Man könne diese Weltentrennung, so Menasse, aber auch an den seltsamen Metaphern über die Europäische Union (EU) festmachen, selbst wenn es nur um bürokratische Vorgänge gehe. Was anderswo schlichtweg als Gesetz bezeichnet würde, wird hier mit Blick auf die EU als Brüsseler ›Verordnungswahn‹ gebrandmarkt. Die eigentümliche Metaphorik geht aber auch in die lebensweltliche Selbstbeschreibung des EUBeamten über. So z. B. schicken EU-Kommissionsmitarbeiter Märtyrer in den Rat; gemeint ist, dass eine so genannte Mitteilung der Kommission 1 Das Interview kann auf der Website der Development Company for Television Program abgerufen werden; http://www.dctp.tv/#/filme/10vor11-09092013-bruesselpanorama/ (zuletzt am 06.01.2014). 2 Um die Lesbarkeit der Arbeit zu vereinfachen, wird auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form verzichtet. Der Autor möchte darauf hinweisen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form explizit als geschlechtsunabhängig verstanden werden soll. 13 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES veröffentlicht wird, ihre Mitarbeiter aber bereits wissen, »dass die Mitteilung auf der anderen Straßenseite zerrissen wird!« Was Menasse mit einfachen Worten zu beschreiben vermochte, stellt ein zentrales Problem europäischer Integration dar; es geht um ein systemisches Dilemma unvereinbarer Erwartungen an das Projekt Europa, was in die institutionelle Architektur eingelassen ist (insbes. Majone 2005). Mögen Menschen in den EU-Institutionen, allen voran in der Kommission, auch gewissenhaft und im Sinne eines gemeinschaftlichen Integrationsideals tätig sein, so erscheint »Brüssel« oft sehr fern und abstrakt (vgl. Pernice 2005, S. 744ff.). Bezogen auf die Kommission als Motor der Integration zugespitzt bedeutet dies: Je mehr Kompetenzen sich die Kommission aneignet oder auch nur Gestaltungswillen signalisiert, desto mehr wird sie – mit den Worten Menasses – als ein »Superabstraktum« beargwöhnt, das sich zunehmend von den Interessen der Bürger oder ihrer politischen Repräsentanten entferne. Demokratisierungsbestrebungen, umfragengestützte Meinungsbildungsprozesse, Aufklärungskampagnen und andere Formen der Bürgerpartizipation der Kommission wirken mithin äußerst bemüht, geradezu wie eine bürokratisch verordnete Demokratie (z. B. Höpner und Jurczyk 2012). Würde die Kommission allerdings in verschiedenen Bereichen nicht aktiv Politik (mit-)gestalten, so würde ihr dies ebenso zum Vorwurf gemacht: Egal, ob man sich in der Kommission zu mehr oder zu weniger Gestaltung entscheidet, und egal, wie die Kommission Politik gestaltet, das Schicksal ihrer Nichtachtung scheint besiegelt. Das Dilemma – eine zweigliedrig ausweglose Situation – europäischer Integration beruhe, so Majone, auf einem systemischen Fehler in der Architektur der in den 1950er-Jahren begründeten und hernach konsolidierten Europäischen Gemeinschaften. Die ursprüngliche Nachkriegsidee eines an Frieden und Wohlfahrt orientierten föderalen Europas sei mit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (1954) und der Europäischen Politischen Gemeinschaft nur noch heimlich verfolgt worden (Majone 2006, S. 610–611). Mit dem Wiederaufbau und Erstarken der Nationalstaaten in Europa sei die föderalistische Leitidee, in Anlehnung an die Polity der Vereinigten Staaten von Amerika, zu einem Kryptoföderalismus verkommen. In der Konsequenz habe sich ein Modus Operandi politischer Gestaltung etabliert, in dem nicht mehr unterschieden werden könne, »[…] whether European policies are initiated in order to solve some concrete problem which cannot be tackled at the national level, or whether they are to serve some unstated (institutional or political) objectives« (ebd., S. 612). Dennoch: Es ist kaum bestreitbar, dass Integration auf die EU-Ebene stattgefunden hat und zunehmend nationalstaatliche Kompetenzen hier koordiniert werden. Ebenso sind Handels- und Mobilitätsbarrieren abgebaut worden und der Kommission wurde in ihrer Funktion als Motor der Integration des Öfteren Sanktionsgewalt gegenüber 14 EINLEITUNG nationalstaatlichen Akteuren zugesprochen. Bereits festzuhalten ist also, dass die EU trotz dieses anscheinenden Konfliktes um zum Teil unklare Zwecke und Mittel ihre Kompetenzen innerhalb der letzten Dekaden erweitern konnte; insbesondere – wie sich zeigen wird – auch im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik. Eine Möglichkeit, nach den zugrundeliegenden Integrationsmechanismen zu fragen, wird auch von Robert Menasse beiläufig erwähnt: Der Autor verweist auf die Ausbildung und Verwendung einer recht eigentümlichen Sprache. Der »EU-Sprech« (Jenkins et al. 2001), in dem spezifische Bedeutungen imprägniert werden – Beispiele sind der Binnenmarkt, Subsidiarität, Mehrwert oder auch Räume (für den vorliegenden Text relevant: der Europäische Forschungsraum) –, konstituiert sich besonders aus Metaphern (v. a. Metonymien und Vergleichen), Neologismen, Gelegenheitsbildungen, Scheindefinitionen und Vergleichen sakraler, familiärer, architektonischer oder allgemein räumlicher Kon-texte (Schieder 2006). In den interpretativen Strängen der Europaforschung wird u. a. diskutiert, inwieweit sowohl das anscheinend grundsätzliche Legitimationsproblem der EU als auch ihre Fähigkeit, politische Kompetenzen zu erwerben mit dieser Sprachontogenese zusammenhängen, die weit mehr als nur ausschmückendes Ornat zu sein scheint (Diez 1999a; Hülsse 2003; Walters und Haahr 2005; Schieder 2006). Derlei Ausdrucksweisen wirken im Vollzug von Kommunikation geradezu konstitutiv für die spezifische Herausbildung der EU als ein politisches System sui generis (Jachtenfuchs 1997, 2001), ebenso wie ihnen eine hohe Relevanz in der Begründung neuer Policies zukommt. Die Selbst- und Fremdbeschreibungen führen nicht nur das, wie anzunehmen ist, systemisch begründete Legitimationsdefizit der EU mit, sondern eröffnen ihren zentralen Organen auch Möglichkeiten, Politik in einer sprachkreativen Weise zu begründen und auszugestalten. Was für die Kommunikationsabhängigkeit der EU gegenüber nationalstaatlicher Politik gilt, mag auch in wenngleich anders gelagerter Weise für die Wissenschaft als funktionales Teilsystem der modernen Gesellschaft zutreffen. So kann die Geschichte der Wissenschaft auch als eine Geschichte der sprachlichen Abgrenzungen und Nützlichkeitsversprechen, der Autonomieansprüche und Indienstnahmen, v. a. aber als permanente und dynamische Legitimationssuche ihrer beteiligten Personen, Gruppen und Organisationen gelesen werden. Untersucht wurden in der Wissenschaftsforschung, um nur einige Beispiele zu nennen, die Abgrenzung der Wissenschaft gegenüber Nicht- oder Pseudowissenschaften (u. a. Gieryn 1983; Weingart et al. 2007), die Ausbildung ihrer Gelehrtengesellschaften (Münte 2004) und Organisationen (Stichweh 1979), das Movens ihrer globalen Verbreitung (Stichweh 2003; Heintz und Werron 2011), die soziale Strukturierung durch Formen der wissenschaftlichen Selbstorganisation (de Solla Price 1974; Krohn und Küppers 1989; 15 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES Galison 1992; Torka 2009), die nationale Einhegung wissenschaftlicher Forschung (Dienel et al. 2002), professionelle (Torka und Borcherding 2008) und institutionelle Hybridformen in der Wissensproduktion (Funtowicz und Ravetz 1993; Gibbons et al. 1994; Rip und van der Meulen 1996; Etzkowitz und Leydesdorff 2000; Nowotny et al. 2003) sowie v. a. Freiheits- und Nützlichkeitsbeschreibungen von Wissenschaftlern durch den Verweis auf spezifische Forschungsmodi (Kline 1995; Calvert 2004, 2006; Godin 2006a,b; Pielke 2007; Knie et al. 2010; Kaldewey 2013). Zur Reduktion von Komplexität, zur Abgrenzung oder Andienung und zur Sicherstellung von Anschlusskommunikation sagen oder schreiben Personen über sich oder über die anderen dann Dinge, die bspw. »Wissenschaft«, »Grundlagenforschung«, »Innovation« oder »Exzellenz« heißen. Es geht also um die Operation einer sozialer Konstruktion via Sprache: »[F]ür uns also, ist die Frage dann nicht: was gibt es? – sondern: wie konstruiert ein Beobachter, was er konstruiert, um weitere Beobachtungen anschließen zu können.« (Luhmann 1992, S. 62) Entsprechend interessieren in dieser Arbeit zuvorderst die Mechanismen, die eine Bezugnahme der EU mit Wissenschaft ermöglichen und eine Stabilisierung dieser Bezugnahmen gegenüber nationalstaatlicher Forschungspolitik erlauben. Im Mittelpunkt steht die Rekonstruktion einer sozialkonstitutiven Sprache – und nicht um rein ornamentale Sprachspiele –, die krisenbewältigend Wissenschaft und die EU als zwei überaus komplexe und abstrakte Phänomene in spezifischer Weise zusammenführen sollte. Das Bezeichnen – so und nicht anders – wirkt also komplexitätsreduzierend und somit sinnstiftend, da ihm eine symbolische Funktionsträgerschaft von Dingen zukommt (z. B. Elder und Cobb 1983, S. 10, 118-120). Mit Blick auf die Legitimation der EU und der Wissenschaft liegt in diesem Buch ein besonders begründungsaufwendiger Fall vor. Rekonstruiert wird die Entstehung einer supranationalen Forschungsfördereinrichtung auf der Ebene der EU: Am 18. Dezember 2006 wurde der Europäische Forschungsrat (ERC)3 durch den gemeinsamen Europäischen Rats- und Parlamentsbeschluss zum 7. Forschungsrahmenprogramm (FRP) als Spezifisches Programm »Ideen« eingerichtet und mit einem Fördervolumen von zunächst 7,51 Milliarden Euro über den Zeitraum von 2007 bis 2013 ausgestattet.4 Eine präzise Beschreibung der Einrich3 Verwendet wird die Abkürzung ERC basierend auf der englischen Bezeichnung »European Research Council«, um Missverständnisse zwischen den Bezeichnungen »Europäischer Forschungsrat« (EFR) und »Europäischer Forschungsraum« zu vermeiden. Letzterer wird ebenso seinem englischen Begriff nach mit ERA (»European Research Area«) abgekürzt. 4 Das Budget des ERC ist im 8. FRP (2014-2020) auf 13,1 Milliarden Euro und somit um 60 Prozent gegenüber seinem ersten Förderzeitraum angestiegen. Der finanzielle Anteil des ERC an den FRP ist von 14 auf 17 Prozent gestiegen. 16 EINLEITUNG tung – ist sie eine unabhängige Organisation oder lediglich ein Förderprogramm der EU? – fällt schwer, und dies deutet bereits darauf hin, dass die zuvor dargestellte doppelte Legitimationsproblematik der EU einerseits und der Wissenschaft andererseits sich im institutionellen Arrangement des ERC widerspiegelt. Aber nicht nur die Organisationsform, sondern allen voran auch der Policy-Prozess, der zur Gründung des ERC führte und rund sechs Jahre (2000–2006) dauerte, zeigt eine Reihe von Auffälligkeiten. So wurde die Möglichkeit der Einrichtung einer solchen Organisation in weltweit bekannten wissenschaftlichen Fachzeitschriften als epochaler Umbruch charakterisiert, etwa durch Umschreibungen wie »Sturm und Drang« (Nature 2003), »European Renaissance« (O’Neill 2004), ein »frischer Wind für die europäische Wissenschaft« (Krull 2002), »Window of Opportunity« (Schiermeier 2002) oder durch bedeutungsaufgeladene Zitate wie Victor Hugos notorisch falsch zitiertes Bonmot, »es gibt nichts Mächtigeres auf der Welt als eine Idee, deren Zeit gekommen ist« (Schiermeier 2002; vgl. Gronbæk 2003).5 Mit Blick auf die EU-Forschungs- und Technologiepolitik stellen solche Schlagzeilen eine eher ungewöhnlich dramatische Beschreibung dar, gilt sie doch als Beispiel par excellence klandestiner Politikgestaltung (Peterson und Sharp 1998) des – wie von Robert Menasse dargestellt – fernen und technokratisch empfundenen Brüssels. Auch betonten forschungspolitische Akteure, die Einrichtung des ERC markiere eine radikale Zäsur6 zur gängigen Förderpraxis der EU-Forschungs- und Technologiepolitik. Denn während diese als anwendungs- und industrieorientiert bzw. im weiteren Sinne als politisch zweckgebunden, überbürokratisiert und schwerfällig charakterisiert worden ist,7 wird dem ERC zugeschrieben, die Forschungsförderung der 5 Auf die Bedeutung weiterer Kommentare in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, v. a. in der Zeitschrift Nature, zur möglichen Gründung des ERC wird im späteren Verlauf der Arbeit noch eingegangen. Der Verbreitungsgrad von Nature und die ihr zugeschriebene Reputation bei der Publikation spektakulärer Wissenschaftsergebnisse scheint strategisch genutzt worden zu sein, um das Projekt ERC als ein historisches Großereignis darzustellen. 6 Manche wollen in der Einrichtung des ERC sogar eine historische Chance zur Reformierung der gesamten EU-Forschungs- und Technologiepolitik sehen, so z. B. der Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung Wilhelm Krull (2002) oder der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und hernach erste ERCGeneralsekretär, Ernst-Ludwig Winnacker (2012). 7 Auf diese Charakterisierung wird laufend einzugehen sein; siehe vorab Guzzetti (1995), Peterson und Sharp (1998), Grande und Peschke (1999), Borrás (2000) Edler (2000), Grande (2001), Kuhlmann (2001), Banchoff (2002), Borrás (2003), Edler et al. (2003), Hilger (2003), Ackers (2005), Morano Foadi (2006), Keeling (2006), Pilniok (2011), Chou (2012), Mitzner (2013). 17 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES EU um das Prinzip freier – das heißt wissenschaftlich selbstbestimmter – Grundlagenforschung erweitert zu haben. Diese Unterscheidung sei sowohl in der forschungspolitischen Definition von Themen und Förderbedingungen feststellbar, als auch in der eigentlichen Forschungspraxis: Ein Netzwerk aus EU-Verwaltungsbeamten, privaten Interessensvertretern, politischen Entscheidungsträgern nationaler Ministerien und öffentlicher Forschungs- und Fördereinrichtungen würde für die EU-Forschungs- und Technologiepolitik bestimmen, was, zu welchem Zweck und in welcher Akteurskonstellation erforscht wird. Auch kennzeichne dieses Politikfeld eine Logik der »Juste Retour« bzw. des »Fair Return«; mit anderen Worten: Die Bereitschaft der EU-Mitgliedstaaten8, das Budget der FRP anteilig bereitzustellen, hängt von der Einschätzung ab, welche Themenfelder aufgenommen und zu welchen Kosten Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsvorhaben mit anderen Staaten geteilt bzw. besser national gefördert werden, v. a. aber davon, wie hoch der Rückfluss der Finanzmittel an private und öffentliche Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sein wird.9 Institutionell ist die europäische Forschungs- und Technologiepolitik somit an das Primat eines Europäischen Binnenmarktes gebunden. Die dargestellte Logik dieser supranationalen Politik ist rechtlich normiert worden. Sie ist sowohl abhängig von der »begrenzten Einzelermächtigung« als auch vom »Subsidiaritätsprinzip« der EU, die »wesentlich auf eine strukturell komplementäre Forschungsförderung durch die Union ausgerichtet« sind (Pilniok 2011, S. 112; kursiv TF) und somit »besondere Anforderungen an den europäischen Mehrwert« stellen, »der als sektorspezifische Ausprägung des Subsidiaritätsgrundsatzes verstanden werden kann« (ebd., S. 293). Die Ausgestaltung der EU-Forschungs- und Technologiepolitik über ihre FRP ist also abhängig von einer Angemessenheitsprüfung: »Gegenüber der getrennten Durchführung der nationalen Forschungsförderprogramme« (ebd., S. 342) muss immer wieder aufs Neue gerechtfertigt werden, ob forschungspolitische Herausforderungen von grenzüberschreitender Tragweite vorliegen und ob Maßnahmen zur Bearbeitung dieser Herausforderungen nicht bereits auf einer niedrigeren Ebene politischer Regulierung (z. B. kommunal, 8 Einbezogen sind auch assoziierte Staaten, die über individuelle Verträge an den FRP teilnehmen können. 9 Einhellig dokumentiert in der vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung durchgeführten »Studie zur deutschen Beteiligung am 6. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (2009) oder auch in der Studie der Beratungsfirma Technopolis »The Impact of the EU RTD Framework Programme on the UK (Simmonds et al. 2010). 18 EINLEITUNG regional, national oder auch transnational) ergriffen werden können, anstatt supranational durch die Rahmenprogramme der EU.10 Kurzum: Während übernational industrielle Nützlichkeit bzw. (eine in der Regel daraus abgeleitete) gesellschaftliche Wohlfahrt die sozialen Erwartungen an die EU-Forschungs- und Technologiepolitik in starker Ausprägung (v. a. Banchoff 2002) strukturieren, sie diskursiv an das Konzept eines europäischen Binnenmarktes binden und primärrechtlich normieren, würde dies für die Förderung von Grundlagenforschung einen weitaus höheren Begründungsaufwand bedeuten. Denn wer Grundlagenforschung als Handlungsmodus auffasst, wird zwei Erwartungen an ihre Akteure herantragen: Zum einen gilt sie expressis verbis als Grundlage für darauf aufbauende Forschung, sie würde sich also erst in nachgelagerter Instanz für andere funktionale Teilsysteme der Gesellschaft als nützlich erweisen.11 Zum anderen ist mit Grundlagenforschung der Topos freier, das heißt selbstbestimmter Wissenschaft aufgerufen; ihrem Personenkreis wird gar eine »monomanische Fixierung auf den teilsystemischen Leitwert« der Erkenntnis (Schimank 2011, S. 263) unterstellt. Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass das Konzept der Grundlagenforschung spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als eine zentrale Leitsemantik nationale Forschungspolitiken strukturiert hat (vgl. Dienel et al. 2002; Kaldewey 2013, S. 360–371). In besonders auffälliger Weise zeigt sich, dass sowohl zu Beginn des Policy-Prozesses hin zu einem ERC (stellvertr. für viele Søndergaard und Flensted-Jensen 2002; Gronbæk 2003) als auch in seinem Resultat12 zwar die Erwartung vorherrscht, die zu gründende Einrichtung würde Grundlagenforschung fördern. Der Selbstbeschreibung des ERC ist allerdings zu entnehmen, das Ziel sei, »[…] to support investigator-driven frontier research« (kursiv; TF).13 Mit dieser für den europäischen Kontext bisher kaum verwendeten Wissenschaftssemantik postuliert der 10 Die rechtswissenschaftliche Arbeit der EU-Forschungspolitik von Arne Pilniok bezieht sich wie die vorliegende Arbeit auf das geltende Primär- und Sekundärrecht im 6. und 7. FRP; für das Subsidiaritätsprinzip gilt hier Artikel 5 EGV (ex-Art. 3b), gültig bis zum 30.11.2009. 11 Der Grundlagenforschung wurde bis in die 1970er-Jahre hinein zugeschrieben, das erste Glied in einer segmentierten Innovationskette (vgl. Braun-Thürmann 2005; Godin 2006b) zu sein. Man könnte meinen, dass dieses Verständnis in der wissenschaftspolitischen Praxis nach wie vor stark ausgeprägt ist; hierzu Kapitel 4. 12 So z. B. in der Beschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung: »Die EU-Kommission hat mit dem Europäischen Forschungsrat (European Research Council – ERC) erstmalig einen Weg geschaffen Grundlagenforschung zu finanzieren«; siehe http://www.bmbf.de/de/7554.php (zuletzt abgerufen am 03.02.2014). 13 Siehe http://erc.europa.eu/mission (zuletzt abgerufen am 03.02.2014). 19 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES ERC, dass die zuvor angeführte Leitunterscheidung zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung hinfällig sei: »Today, the distinction between ›basic‹ and ›applied‹ research has become blurred, due to the fact that emerging areas of science and technology often cover substantial elements of both. As a result, the term ›frontier research‹ was coined for ERC activities since they will be directed towards fundamental advances at and beyond the ›frontiers‹ of knowledge.« Eine der Thesen dieser Untersuchung lautet, dass erst die Einführung und Stabilisierung des für europäische Kontexte unüblichen, US-amerikanischen Begriffs der »Frontier Research« (vgl. Ceccarelli 2013) – zu Deutsch: »Pionierforschung« – zur erfolgreichen Etablierung des ERC führte. Mit der dahinter liegenden Semantik konnte die primär in nationalstaatlichen Kontexten der Forschungspolitik gebräuchliche Leitunterscheidung von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung unterdrückt werden und an die stark auf übernationale Nützlichkeit ausgerichtete EU-Forschungs- und Technologiepolitik kommunikativ Anschluss gefunden werden. Insbesondere aber zeigt sich die Bedeutung des Begriffes der »Frontier Research« anschlussfähig an neue Diskursüberbauten der EU-Forschungs- und Technologiepolitik. Die »Frontier« wird durch das von der EU-Kommission zum Millennium eingeführte Konzept des Europäischen Forschungsraumes (2000) mit seiner geostrategischen Bedeutung gestützt. ähnlich wie die Debatte um die »Technologische Lücke« in den 1960er- und 1970er-Jahren richtet sich dieser geostrategische Diskurs gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, Japan und China. Mit dem Begriff »Frontier Research« inszeniert die Kommission allerdings nicht nur eine globalpolitische Konkurrenzsituation, in der sie Forschung schicksalhaft an das Überleben europäischer Wirtschaftsunternehmen koppelt, sondern sucht gleichzeitig auch nach ihrem alten Leitbild: In dem konkreten Verweis auf den Gründungsmythos der US-amerikanischen National Science Foundation, bspw. durch den Bericht »Science – The Endless Frontier« (Bush 1945),14 verdeutlicht sich auch die Suche nach dem verschollenen Ideal der föderalen »United States of Europe« (Majone 2005; Follesdal und Hix 2006; Bach 2008). Ebenso stützt »Frontier Research« sprachlich das Konzept eines europäischen Binnenmarktes der Forschung (Chou 2012), indem sie auf einen systemunspezifischen Nützlichkeitsleitwert 14 Während der Historiker Daniel Kevles (1977) den Bericht Vannevar Bushs unmittelbar auf die US-amerikanische Debatte um den Nutzen universitärer Forschung nach ihrer Indienstnahme für eine »Kriegswissenschaft« bezieht, dekonstruiert Leah Ceccarelli (2013) das Konzept der Wissenschaftsfrontier in den USA als eine erfolgreiche Semantik geostrategischer Erkundung und subsequenter Ausbeutung. Für den Hinweis auf dieses Buch danke ich Benoit Godîn. 20 EINLEITUNG verweist und zugleich neben dem Kooperationsideal der Europäischen Gemeinschaften das Moment des Wettbewerbs zu einem Eigenwert der Wissenschaft erheben will; und zwar dergestalt, dass ein ökonomischer »Wettbewerb um Ressourcen das Gleiche sei wie das Ringen um wissenschaftliche Erkenntnis« selbst (Flink und Simon 2014, S. 129). 21 2. Die eigenartige Organisation des ERC Der ERC gilt als großer Wurf in der europäischen Wissenschaftspolitik. Noch nie zuvor hatte die Auslobung eines Forschungsförderprogramms der EU, geschweige denn eine hier anzusiedelnde Organisationsgründung für eine derart hohe mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Auf der Eröffnungsfeier des ERC, am 27.–28. Februar 2007 in Berlin,1 waren hochrangige Wissenschaftspolitiker und -manager aus über 30 Staaten zu Gast, feierliche Reden wurden von der deutschen Bundeskanzlerin und der Bundesministerin für Bildung und Forschung, dem EU-Forschungskommissar, dem Direktor des US-amerikanischen National Institutes of Health und den Präsidenten prominenter Forschungs- und Forschungsfördereinrichtungen gehalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte heraus, dass der ERC das Potential habe, eine »Champion’s League der Forschung« auszuloben.2 Zudem müsse das Bedürfnis der Forschung nach Autonomie und Freiheit anerkannt werden.3 In der Wissenschaft und Wissenschaftspolitik genießt der ERC seit seiner Inkraftsetzung ein immens hohes Ansehen. Einen »ERC-Grant« einzuwerben, für Wissenschaftler bedeutet dies eine entscheidende Reputationssteigerung, für Nachwuchswissenschaftler geradezu die Garantie auf eine verstetigte Professur. Beiden Gruppen, Nachwuchsforschern wie erfahrenen Wissenschaftlern, stellt die Förderorganisation üppige Fördersummen in Aussicht: Pro Projekt sind zwischen zwei und dreieinhalb Millionen Euro Budget über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren möglich.4 Die Individualförderung ähnelt in ihrer Größenordnung dem in Deutschland vergebenen Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis5, der 1 Der Standort Berlin erklärt sich aus der EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland zur ersten Hälfte des Jahres 2007 innehatte; siehe unter http://www.dfg.de/en/dfg_ profile/international_cooperation/europe_strategy/erc/launch_conference/index. html (zuletzt abgerufen am 10.03.2014). 2 Diese Art Analogiebildungen zwischen wissenschaftlichen und sportlichen Wettbewerben werden später im Buch wieder aufgegriffen. 3 Beide Zitate sind unter der Homepage des ERC abrufbar siehe http://erc.europa.eu/ erc-debut/home (zuletzt am 07.07.2015). 4 Finanzielle Details, z. B. die Deckung von Overheadkosten, zur Deckung indirekter Kosten interessieren für diese Arbeit nicht weiter, ebensowenig wie die später eingerichtete, kleine Fördermaßnahme des »Proof of Concept« zur Finanzierung vorkommerzieller Verwertungsarbeiten aus bereits laufenden oder abgeschlossenen ERC-Projekten. Siehe hierzu https://erc.europa.eu/funding-and-grants (zuletzt abgerufen am 02.06.2016). 5 Siehe http://www.dfg.de/gefoerderte_projekte/wissenschaftliche_preise/leibnizpreis/index.html (zuletzt abgerufen am 08.04.2015). 23 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC höchstdotierten öffentlichen Forschungsförderung für Einzelpersonen – pro Jahr wird diese nur ein bis zwei Handvoll Wissenschaftlern zuteil. Dass der ERC bereits nach wenigen Jahren seiner Laufzeit ein allenthalben hohes Ansehen genießt, zeigt sich bereits in einer Vielzahl mit Superlativen versehenen Pressemitteilungen. Nur die Allerbesten würden es schaffen, eine ERC-Förderung einzuwerben, so dass diese EUFörderung gar zu einem Wissenschaftspreis umgedeutet wird. Ein geradezu typisches Beispiel für den Hype um ERC-Förderung stellt die folgende Verkündung der Universität Bamberg aus dem Jahr 2010 dar: »Der Soziologe Prof. Dr. Hans-Peter Blossfeld ist mit dem höchsten Wissenschaftspreis der Europäischen Union, dem ›ERC Advanced Grant‹ ausgezeichnet worden. Blossfeld erhält den Preis, der nur an herausragende Spitzenforscher vergeben wird […].« (kursiv hervorgehoben; TF)6 Die hier zunächst auf Personen zugerichtete Exzellenz- und Wettbewerbsrhetorik wird zudem und unmittelbar auf Institutionen ausgedehnt. Auch wissenschaftliche Einrichtungen werden im Kontext des ERC in einen Wettbewerb eingerahmt: Sie müssen um die besten Köpfe konkurrieren und ihnen hervorragende Arbeitsbedingungen bieten, wollen sie selbst von der Reputation der Personen profitieren. So beschreibt die Max-Planck-Gesellschaft den ERC als »powerful driving force« sowie als »flagship of European cutting-edge research […] The universities and institutes that number ERC Grant recipients among their ranks also profit from the prestige.«7 Unverkennbar wird der ERC als Spitze eines umfassenden, institutionellen Reformprozesses europäischer Wissenschaftsinstitutionen gefeiert (Winnacker 2013, 2012; Krull 2002).8 Diese politisch positiven Konnotationen intra-europäischer und national ausgelobter Institutionenwettbewerbe werden allerdings auch durch ein jahrzehntelang eingeübtes Drohszenario ergänzt, das einen »Outsider« zugleich als Vorbild und Konkurrenten braucht. Der Diskurs über den ERC stützt sich auf und fördert diese Rhetorik, wie sich bspw. an der Beschreibung der Freien Universität Berlin zum ERC zeigt: »Ein Ziel 6 http://www.uni-bamberg.de/kommunikation/news/artikel/erc-advanced-grantblossfeld/ (zuletzt abgerufen; 08.04.2015). 7 http://www.mpg.de/8817876/budget-horizon-2020 (zuletzt aufgerufen; 08.04.2015). 8 Im Schlagschatten der New-Public-Management-Philosophie werden Universitäten und öffentliche Forschungsinstitute zu Selbstorganisation und permanenter Leistungsoptimierung angehalten, im Wettbewerb untereinander sollen sie distinkte Profile ausbilden. Ein zunehmend quantitativ ausgerichtetes Regime von Rankings und Ratings sorgt für die Reduktion von Komplexität und somit die Unhinterfragbarkeit des Regimes selbst (z. B. Heintz 2008). 24 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC des Förderpreises ist es, Europa als Forschungsstandort – insbesondere in Konkurrenz mit den USA – wieder attraktiver zu gestalten.«9 Und dennoch: Trotz der vielen Lobeshymnen auf den ERC, welcher scheinbar »erstmals einen europaweiten Wettbewerb um Forschungsmittel allein auf der Basis wissenschaftlicher Qualität erlaubt« (Winnacker 2009, S. 1), gilt seine Einrichtung alles andere als institutionell gefestigt. Zum einen machen Budgetkürzungen, wie sie im Zuge der seit Jahren anhaltenden europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise am 8. FRP »Horizon 2020« vorgenommen wurden, auch nicht vor der exzellenzgerühmten Einrichtung des ERC halt, selbst wenn diese sich unter Rückgriff auf die zuvor beschriebenen Drohungen dagegen zu wehren versucht. So protestierte der ERC gemeinsam mit dem European Roundtable of Industrialists in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 7. November 2014 gegen die hohen Kürzungen des Forschungsetats in »key areas supporting growth such as research and innovation«, und auch hier wurde das Argument eines globalen Wettbewerbs vorgebracht: Japan, Südkorea und die USA investierten »significantly more in research and development relative to GDP than the EU« (ebd.).10 Zum anderen scheint der ERC deshalb institutionell fragil, weil er ein doppeltes Legitimationsdefizit in sich trägt: Erstens wird die sozioökonomische Nützlichkeit von Grundlagenforschungsförderung angezweifelt, v. a. ihre unmittelbare Überführung in vermarktbare Produkte und Dienstleistungen (u. a. Calvert 2006; Knie et al. 2010; Pielke 2012). Zweitens steht die politische Nützlichkeit der EU selbst auf dem Spiel; insbesondere die Kommission hat ein Legitimationsdefizit gegenüber den mitgliedstaatlichen Akteuren. Diese beiden Legitimationsprobleme potenzieren sich zueinander und sind in die eigenwillige Organisationsstruktur des ERC eingelassen. Im Hinblick auf das Primärrecht der EU-Institutionen wird der ERC deshalb als »einzigartig« (Groß 2010, S. 299) beschrieben. Er stellt ein Hybrid dar, insofern er sowohl eine eigenständige Selbstverwaltungseinrichtung11 der Wissenschaft darstellen soll als auch ein »Durchführungsprogramm« der EU, das sekundärrechtlich (eigentlich) nur der Kommission obliegt. Die Governance-Struktur dieses Hybrids soll in den folgenden zwei Unterkapiteln untersucht werden, um die damit 9 http://www.fu-berlin.de/forschung/profil/preise-ordner/erc/ (aufgerufen am 08.04.2015). 10 http://erc.europa.eu/sites/default/files/press_release/files/Joint_Letter_ERC-ERT. PDF (zuletzt abgerufen; 30.06.2015). 11 Der ERC stellt damit eine intermediäre Organisation dar, die zwischen den Interessen von Wissenschaftlern und von politischen Entscheidern moderieren muss (vgl. Braun 1997); hierzu später mehr. 25 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC verbundenen Herausforderungen herauszupräparieren, die zur Entstehung des ERC bewältigt werden mussten. 2.1 Der ERC als ›Spezifisches Programm‹ der Kommission Der ERC gründete sich Ende 2006 auf dem Spezifischen Programm »Ideen« des 7. FRP, dem ein Ratsbeschluss auf der Basis des Kommissionsvorschlags zugrunde lag. Um die damit aufgerufenen politischen Steuerungsdimensionen verstehen zu können, soll in aller Kürze12 der Aufbau der EU-Forschungsrahmenprogramme vorgestellt werden; denn hieraus haben sich für die Etablierung des ERC ungelöste Steuerungsfragen ergeben. Ein FRP bündelt über einen festen Zeitraum von mehreren Jahren eine Reihe von Fördermaßnahmen im Bereich Forschung, technologischer Entwicklung und Demonstration.13 Die Einrichtung eines FRP basiert – im Betrachtungszeitraum dieser Arbeit – auf dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.14 Sehr vereinfacht dargestellt, setzt sich ein FRP aus drei EU-Richtlinien zusammen: aus dem »Forschungsrahmenprogramm« selbst, aus den in ihm enthaltenen »Spezifischen Programmen« und aus den »Beteiligungs- und Verbreitungsregeln« (z. B. Pfeiffer 2003, S. 85ff.). Zwischen dem FRP und seinen Spezifischen Programmen ist eine Hierarchie festgelegt, die auf die Faustregel gebracht werden kann: Keine Spezifischen Programme ohne Rahmenprogramm. Diese Anordnung folgt der Steuerungslogik, dass der »Rahmen« mit seinen übergeordneten Zielen selbst dann Bestand haben muss, wenn im Gesetzgebungsprozess an den Spezifischen Programmen Korrekturen anfallen würden oder wenn – im unwahrscheinlichen Extremfall – einzelne Spezifische Programme nicht etabliert oder weitergeführt werden können. 12 Detaillierte Ausführungen zum Aufbau der EU-Forschungspolitik finden sich u. a. bei Peterson und Sharp (1998), Peschke (2001), Pfeiffer (2003), Pilniok (2011) und Niedobitek (2014). 13 Demonstrationsmaßnahmen zielen auf die Veranschaulichung technologischer Machbarkeit ab. 14 Siehe EGV, Teil III, Art. 166–172. Auf die »direkten« Forschungsmaßnahmen der Gemeinsamen Forschungsstelle, auf die technologische Förderung im Bereich Raumfahrt (Art. 179–190) und auf Rahmenprogramme, die sich aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft ableiten, wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen. 26 DER ERC ALS ›SPEZIFISCHES PROGRAMM‹ DER KOMMISSION EG-Vertrag Rahmenprogramm Spezifische Programme Beteiligungsregeln EU-Haushaltsverordnung 1. Zuwendungsvereinbarungen 2. Begutachtungs- & Auswahlverfahren 3. Rechtliche & finanz. Bonitätsprüfungen Arbeitsprogramme Aufrufe / Ausschreibungen Abbildung 1: Vertragsrahmen eines Forschungsrahmenprogramms Nach der Verabschiedung des FRP mitsamt der Spezifischen Programme und der Beteiligungs- und Verbreitungsregeln bilden schließlich die jährlichen »Arbeitsprogramme« die Grundlage der öffentlichen Ausschreibungen der zu fördernden F&T-Maßnahmen; hinsichtlich des ERC sind dies v. a. die Ausschreibungen für die Starting15 und Advanced Investigator Grants, aber auch die nachträglich eingeführte Förderlinie des »Proof of Concept«. Die Kommission hat exklusiv das legislative Vorschlagsrecht (Initiativrecht) für das Rahmenprogamm, die Spezifischen Programme und die Beteiligungsregeln; zudem obliegt ihr das Durchführungsrecht (Exekutivrecht) der Arbeitsprogramme (z. B. Pilniok 2011, S. 84ff.). Bezüglich der drei zu verabschiedenden Richtlinien (Rahmenprogramm, Spezifische Programme und Beteiligungsregeln) variieren die Kompetenzen von Rat und Parlament, je nach dem, worüber abgestimmt wird. Die FRP selbst unterlagen im Untersuchungszeitraum dem im Vertrag über 15 Diese Nachwuchsförderlinie wurde nach einer ersten Testphase in zwei separate Förderlinien unterteilt, den »ERC Starting Grants«, welche an Postdoktoranden zwei bis sieben Jahre nach ihrer Promotion vergeben und mit 1,5 Mio. Euro über einen Förderzeitraum von bis zu fünf Jahren ausgestattet sind und den »ERC Consolidator Grants«, die im Zeitraum von sieben bis zwölf Jahren nach der Promotion eingeworben werden können und mit bis zu 2 Mio. Euro ausgestattet sind. 27 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC die Arbeitsweise der EU normierten Mitentscheidungsverfahren,16 ebenso wie die mit ihnen festzulegenden Beteiligungsregeln, welche dann – in eine Verordnung überführt – für jeden Mitgliedstaat unmittelbar und verbindlich gelten.17 Für die Spezifischen Programme, welche ein Rahmenprogramm inhaltlich, programmatisch (Förderformate) und thematisch näher definieren, hat das Parlament das Recht auf »Anhörung«. Darüber hinaus kann es seinen Einfluss insofern indirekt geltend machen, dass es mit dem Rat über die »finanzielle Vorausschau« und den mehrjährigen Finanzrahmen18 beschließt und – man könnte hinzufügen – somit die spezifische Programmausgestaltung für das FRP informell mitzugestalten in der Lage ist (vgl. Peterson und Sharp 1998; Peschke 2001). Zudem besteht die Tendenz des Parlaments bereits »möglichst detaillierte Regelungen im Rahmenprogramm zu erwirken, um den eigenen Einfluss [auf die Spezifischen Programme, TF] zu maximieren« (Pilniok 2011, S. 83). Um den ERC einzurichten, wurde das Spezifische Programm »Ideen« als Teil des 7. FRP beschlossen. Im gemeinsamen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des FRPs heißt es: »Im Bereich des Programms ›Ideen‹ sollten die Maßnahmen durch einen Europäischen Forschungsrat durchgeführt werden, der über ein hohes Maß an Autonomie verfügen sollte, um auf EU-Ebene Pionierforschung auf sehr hohem Niveau zu entwickeln, die auf den Spitzenleistungen in Europa aufbaut und ihr Ansehen auf internationaler Ebene stärkt. Der Europäische Forschungsrat sollte regelmäßige Kontakte zu den Wissenschaftlern und den Gemeinschaftsorganen pflegen. Was die Strukturen des Europäischen Forschungsrats betrifft, so kann die Halbzeitbewertung des Siebten Rahmenprogramms ergeben, dass weitere Verbesserungen vorgenommen werden müssen, die entsprechende änderungen erfordern« (Rat und Parlament der Europäischen Union 2006, S. 2; Abs. 15). Angesichts der vehementen Forderungen einer Interessenkoalition nach wissenschaftlicher Selbstbestimmung innerhalb des zu gründenden ERC (vgl. Kap. 5) lag die Schwierigkeit in der konkreten Ausgestaltung dieser 16 Siehe Art. 253; seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags von 2009 nun unter Art. 294 als »ordentliches Gesetzgebungsverfahren« zu finden. 17 Mit Blick auf die Beteiligung von nicht EU-Mitgliedsländern an den FRP wird grosso modo ein zweigliedriges Prinzip angewendet. Derzeitig sind zwölf mit der EU assoziierte Staaten berechtigt, sich an allen Förderlinien des FRPs zu beteiligen. Für Drittstaaten, ebenso wie für internationale Organisationen, gelten hinsichtlich der Gegenfinanzierung sowie der Beteiligung an den Spezifischen Programmen und an den jährlichen Arbeitsprogrammen individuell auszuhandelnde internationale Verträge; im aktuellen 8. FRP »Horizon 2020« finden sie sich in den »General Annexes«. 18 Für den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit gilt Art. 272, Abs. 2–10 EGV. 28 DER ERC ALS ›SPEZIFISCHES PROGRAMM‹ DER KOMMISSION EU-Richtlinie. Denn ein Europäischer Forschungsrat steht im Konflikt mit dem Primärrecht der Kommission, das Sekundärrecht der EU exklusiv anzuwenden, also Forschungsmaßnahmen zu fördern. Die formulierte Forderung, dass einem einzurichtenden Europäischen Forschungsrat ein »hohe[s] Maß an Autonomie« zugesprochen werden sollte, war mithin politisch dehnbar; einzig: mit dieser Formulierung kann aus rechtlicher Perspektive die Exekutivverantwortung der Kommission nicht umgangen werden. Die dem ERC eingeschriebene »Halbzeitbewertung« aus der vorherigen Formulierung, der zufolge gegebenenfalls »weitere Verbesserungen vorgenommen werden müssen« (ebd.), lässt sich somit als eine Nicht-Festlegung der EU-Organe deuten. Denn zunächst suggeriert die Formulierung lediglich einen Test neuer Organisationsformen. Unter genauerer Betrachtung der Textstelle fällt auf, dass sich jene gegebenenfalls anfallenden Verbesserungen explizit nicht auf das Spezifische Programm »Ideen« beziehen, sondern einzig auf »die Strukturen des Europäischen Forschungsrats«. Zieht man nun die Entscheidung des Rates (2006) über die Einrichtung des Spezifischen Programms »Ideen« hinzu, so kann die damit aufgerufene Ambivalenz zwischen der eingeforderten Autonomie des ERC und der Durchführungskompetenz der Kommission hinsichtlich der Spezifischen Programme nicht aufgelöst werden. Zwar wird einem – noch unspezifischen – ERC zugestanden, eine Reihe von Grundprinzipien des Spezifischen Programms »Ideen« zu erarbeiten: »Die Durchführung dieses spezifischen Programms sollte gemäß den Grundprinzipien wissenschaftliche Exzellenz, Autonomie, Effizienz, Transparenz und Rechenschaftspflicht erfolgen; dies sollte durch einen Europäischen Forschungsrat (EFR) sichergestellt werden, der aus einem unabhängigen wissenschaftlichen Rat aus Wissenschaftlern, Ingenieuren und Akademikern höchsten Ranges besteht, die die europäische Forschergemeinschaft in all ihrer Breite und Tiefe repräsentieren, und der von einem überschaubaren und kosteneffizienten spezifischen Durchführungsgremium unterstützt wird, das im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 58/2003 des Rates vom 19. Dezember 2002 zur Festlegung des Statuts der Exekutivagenturen, die mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung von Gemeinschaftsprogrammen beauftragt werden, als Exekutivagentur eingerichtet wird.« (Abs. 5)19 Aus dem Text geht aber auch hervor, dass ein noch einzurichtender ERC nicht berechtigt sein kann, das Spezifische Programm selbst zu verwalten. Hierzu bedurfte es eines spezifischen Durchführungsgremiums 19 http://www.kowi.de/Portaldata/2/Resources/fp7/fp7-dec_ideas_de.pdf (zuletzt abgerufen; 01.02.2015). 29 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC (im englischen Wortlaut: »dedicated implementation structure«), das in eine so genannte »Exekutivagentur« überführt werden sollte. Mit einer rechtlich unpräzisen Formulierung wird nun begründet, wer das Mandat zur Verwaltung des Spezifischen Programms letztlich innehat. In Absatz 6 ist vermerkt: »Die Kommission sollte die Verantwortung für die Durchführung dieses spezifischen Programms tragen und die Autonomie und Integrität des Europäischen Forschungsrates sowie seine funktionelle Wirksamkeit gewährleisten.« Und auch in den nachfolgend ausgeführten Artikeln der Ratsentscheidung liest man: »Für die Durchführung des spezifischen Programms ist die Kommission zuständig« (Art. 4, Abs. 1). Allerdings steht diese Formulierung in Konflikt mit Absatz 2 desselben Artikels: »Die Kommission richtet einen Europäischen Forschungsrat (EFR) ein, der die Durchführung des spezifischen Programms abwickelt.« Auch mit Blick auf die Festsetzung der jährlich zu bestimmenden Arbeitsprogramme, aus denen erst die Förderausschreibungen hervorgehen können, scheint zunächst die Kommission verantwortlich, denn sie »verabschiedet das Arbeitsprogramm zur Durchführung des spezifischen Programms« (Art. 6, Abs. 1). Aus dieser kurzen Diskussion geht bereits hervor, dass das Spezifische Programm »Ideen« letztendlich in den Händen der Kommission bleiben muss. Sie hat den Auftrag erhalten, einen ERC einzurichten, der das Spezifische Programm – unter ihren Bedingungen – inhaltlich ausgestalten kann. Mit anderen Worten kann die Kommission sich ihrer sekundärrechtlichen Verantwortung nicht entziehen. Besonders deutlich zeigt sich dies in Hinblick auf ihre Kontrollaufsicht der jährlich festzulegenden Arbeitsprogramme. Hier sollte man auf die rekursive Bezugnahme mehrerer Rechtsartikel achten; zunächst Art. 6, Abs. 5: »Hinsichtlich der in Artikel 5 Absatz 3 genannten Aufgaben weicht die Kommission nur dann von der Stellungnahme des wissenschaftlichen Rates ab, wenn sie der Ansicht ist, dass die Bestimmungen dieses spezifischen Programms nicht eingehalten wurden. In diesem Fall kann die Kommission – ordnungsgemäß begründete – Maßnahmen ergreifen, um die Kontinuität der Durchführung des spezifischen Programms und die Erreichung seiner Ziele zu gewährleisten.« Die Kommission kann zwar nur unter bestimmten Bedingungen gegen den ERC Scientific Council (»wissenschaftlichen Rat«)20 entscheiden; entsprechend bezieht sich der Verweis nach Art. 5, Abs. 3 auf dessen Aufgaben. Hierunter fällt, dass er »das gemäß Art. 6, Abs. 1 zu 20 Wohlgemerkt ist zu dem Zeitpunkt des zitierten Ratsbeschlusses über die Einrichtung des Spezifischen Programms der »wissenschaftliche Rat« (Scientific Council) noch nicht einmal juristisch existent, wenngleich politisch bestellt. Die rechtliche Position und die Kompetenzen des ERC Scientific Council werden im nächsten Unterkapitel diskutiert. 30 DER ERC ALS ›SPEZIFISCHES PROGRAMM‹ DER KOMMISSION verabschiedende Arbeitsprogramm für die Durchführung des Spezifischen Programms« zu erstellen hat. Allerdings führen die dort ausgewiesenen Kompetenzen des ERC Scientific Council rekursiv wieder zurück auf den soeben zitierten Art. 6, Abs. 5. Das Ganze gleicht einem Kreislauf, der der Kommission letztendlich stärkere Bedingungen abverlangt, die Verabschiedung der jährlichen Arbeitsprogramme als Teil des Spezifischen Programms aber in ihren Händen belässt. Somit mag der Scientific Council vielleicht Ziele und Förderprinzipien definieren, solange jedoch die Kommission diese Ziele gegenüber den anderen EU-Gemeinschaftsorganen nicht in Einklang mit der Haushaltsverordnung, mit den Beteiligungsregeln und v. a. den übergeordneten Normen des Vertrags bringen kann, wird sie dem Scientific Council widersprechen müssen. Ob der ERC Scientific Council wiederum mögliche änderungsvorschläge der Kommission »ablehnen und seine Vorstellungen durchsetzen kann, [war] dem bisherigen Entwurf der Kommission für das ›Spezifische Programm Ideen‹ nicht zu entnehmen« (von Bogdandy und Westphal 2005, S. 5). Im Fall eines Konflikts bedeutete dies, es musste »von einem Letztentscheidungsrecht der Kommission ausgegangen werden« (ebd.), was sich tatsächlich bewahrheiten sollte (Gilbert 2009; Winnacker 2009). Durch das Gesetzgebungsverfahren wurde eine ambivalente Governance-Struktur geschaffen wurde, die Probleme für den ERC geradezu vorprogrammierte: Ist er letztlich nur ein Spezifisches Programm der EU und unter welchen Bedingungen kann er als eine eigenständige Forschungsförderorganisation, d. h. eine Selbstverwaltungseinrichtung der Wissenschaft ähnlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, angesehen werden? Aus einer rechtlichen Perspektive auf das Novum des ERC ließe sich anzweifeln, dass in der Gründungsphase eine hinreichend autonome Forschungsförderorganisation entstanden ist. Der Organisation ist eine Ambivalenz aus wissenschaftlicher Freiheit, politischer Nützlichkeit und insbesondere multipler Rechenschaftspflicht – der Wissenschaftler gegenüber der Kommission und der Kommission gegenüber den Nationalstaaten – einverleibt worden. Diese Ambivalenz wird auch unter der Betrachtung der Kompetenzaufteilung zwischen dem Scientific Council und der Exekutivagentur der Kommission deutlich hervortreten. Die vielbeschworene Unabhängigkeit des ERC gegenüber nicht-wissenschaftlichen Interessen konnte sich weder auf der Grundlage eines Spezifischen Programms noch – wie sich im Folgenden zeigen wird – durch die Externalisierung von Kommissionsverwaltungsaufgaben rechtlich zusichern lassen. 31 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC 2.2 Die Autonomie des ERC Kann der ERC als eigenständige und selbstbestimmte Organisation im Interesse der Wissenschaft handeln kann? Diese Vorstellung von organisationaler Eigenständigkeit beruht zunächst auf den bereits zitierten Realitätsprotokollen über den ERC. Denn hier wurde eine durch Wissenschaftler allein bestimmte Förderorganisation gefordert und schließlich mit dessen Gründung gefeiert. Diese Gründung des ERC »darf als revolutionär bezeichnet werden. Warum? Weil er erstmals einen europaweiten Wettbewerb um Forschungsmittel allein auf der Basis wissenschaftlicher Qualität erlaubt. Weil allein der individuelle Antragsteller zählt und weil es keinerlei von oben herab definierte Netzwerke oder Fächerschwerpunkte gibt« (Winnacker 2009, S. 1). Dass Ernst-Ludwig Winnacker als ehemaliger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und erster Generalsekretär des ERC dieses Statement formulierte, kommt nicht von ungefähr: Es liegt nahe, die Organisationsprinzipien des ERC mit denen der DFG zu vergleichen, welche sich als die »zentrale Selbstverwaltungseinrichtung der Wissenschaft« versteht. Denn die »in ihren Verfahren formulierten Ansprüche an Forschung [sollen] wissenschaftsinterne Geltung beanspruchen. In den DFG-Verfahren werden insofern Normen förderungswürdiger Forschung aus wissenschaftlicher Sicht gesetzt« (Torka 2009, S. 100). Auch der ERC spiegelt eine identitätskonstituierende Abgrenzungsarbeit der Wissenschaft (Kaldewey 2013, S. 106–108, 408ff.) gegenüber politischer Steuerungsinteressen dergestalt wider, dass die Selbstbestimmtheit der Wissenschaft sich in den Strukturen der Organisation replizieren soll. Die konkrete Abgrenzung soll hier der wissenschaftliche Rat (»Scientific Council«) des ERC gegenüber der Kommission bzw. der von ihr eingerichteten Exekutivagentur vollziehen. 2.3 Der »Scientific Council« des ERC Mit dem ERC wird zuvorderst sein »Wissenschaftlicher Rat« assoziiert (in Folge i. O. als »Scientific Council« bezeichnet), in der Erwartung, dass dieses Gremium das Prinzip der wissenschaftlichen Selbstverwaltung und Unabhängigkeit gegenüber politischer oder anderer Einflussnahme verkörpern soll.21 21 In einer verwaltungsrechtlichen Diskussion zum ERC bestätigt dies Arne Pilniok (2011, S. 158), insofern der »Europäische Forschungsrat nur das aus Wissenschaftlern bestehende Leitungsgremium selbst, nicht dagegen den notwendigen Verwaltungsunterbau [bezeichnet]« (ebd.). 32 DER »SCIENTIFIC COUNCIL« DES ERC Der »ERC Scientific Council« setzt sich aus 22 Mitgliedern zusammen, die für eine Amtszeit von vier Jahren durch die Kommission bestellt werden und diese Amtszeit um einen weiteren Turnus verlängern können. Das Präsidium des Scientific Council besteht aus drei Personen, die 22 Mitglieder wählen es aus ihren eigenen Reihen. Zu den Hauptaufgaben des Scientific Council gehört die Festlegung der übergeordneten Strategie des ERC. Dies beinhaltet u. a. die Ausgestaltung der jährlichen Arbeitsprogramme sowie die Festlegung der Begutachtungs- und Bewertungsverfahren, zudem wählt der Scientific Council die in den 25 Fachausschüssen22 tätigen Wissenschaftler aus, das heißt diejenigen Personen, die die Begutachtungsprozesse leiten bzw. selbst mitbegutachten.23 Eine weitere Aufgabe des Scientific Council besteht in der Definition der ERC-Kommunikationsstrategie, was u. a. bedeutet, dass die Mitarbeiter des ERC seiner Weisung folgen sollen, worüber und wie die »scientific community and stakeholders on the activities and achievements of the ERC« informiert werden. Hierunter fallen Grundsatzentscheidungen darüber, ob, zu welchen Themen und in welchem Duktus der ERC öffentlich Stellung nehmen sollte. Die 22 Mitglieder des ersten Scientific Council wurden 2005 von einem »Identification Committee« unter der Leitung von Lord Patten of Barnes, dem Kanzler der Universität Oxford ausgewählt.24 Hierzu rief es die wissenschaftlichen Gesellschaften aller Fachdisziplinen in Europa auf, geeignete Kandidaten vorzuschlagen, die in Folge gesichtet und angefragt wurden. Die »Shortlist« wurde dem Forschungskommissar Janez Potočznik – formal: der Kommission – im Juli 2005 vorgelegt. Symbolisch bekräftigte die EU-Kommission, sich in die wissenschaftliche Selbstbestimmtheit nicht einmischen zu wollen, indem der Forschungskommissar die Kandidatenliste ›blind‹ unterzeichnete. Allerdings wurde mit diesem Verfahren ein politischer Akt ohne Rechtsgrundlage gewagt, was die formal-institutionell schwierige Position des Scientific Council, 22 Die Fachausschüsse unterteilen sich wiederum in thematisch organisierte entlang der drei Stränge »Social Sciences and Humanities« (6 Panels), »Physical Sciences and Engineering« (10 Panels) und »Life Sciences« (9 Panels). Jedes Panel hat wiederum zwischen 8 bis 18 Subpanels (insgesamt 340). Die Daten beruhen auf dem Stand von 2013; siehe http://erc.europa.eu/sites/default/files/document/file/erc%20 peer%20review%20evaluation%20panels.pdf (zuletzt abgerufen am 01.03.2014). 23 Die Mitglieder des Scientific Council wählen die Vorsitzenden der Gutachtergremien (»Panels«) aus; die genaue Aufgabenbeschreibung des Scientific Council findet sich unter http://erc.europa.eu/about-erc/organisation-and-working-groups/scientific-council (zuletzt abgerufen; 02.03.2014). 24 Der Bericht des Gremiums kann auf der Website des ERC abgerufen werden; siehe http://erc.europa.eu/sites/default/files/content/final_report_erc_20062005_en.pdf (zuletzt am 10.09.2014). Die fünf Mitglieder der Findungskommission waren selbst nicht zu einer Kandidatur berechtigt. 33 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC wenn nicht des ERC erahnen lässt. Man könnte diesen Schritt auch als waghalsig bezeichnen, die Einrichtung des Leitungsgremiums einer mit anfangs über siebeneinhalb Milliarden Euro auszustattenden Organisation lediglich durch ein politisches Versprechen zu affirmieren; oder drastischer formuliert: Prinzipiell hätte das dem ERC zugrunde liegende Spezifische Programm »Ideen« auch vollständig unter der rechtlichen ägide der Kommission verwaltet werden können. Der Scientific Council wäre dann auf eine externe, beratende Funktion reduziert worden. Die rechtliche Grundlage, einen Scientific Council nach einem geregelten Verfahren einzusetzen und ihn mit inhaltlichen und programmatischen Steuerungskompetenzen auszustatten, wurde erst nach der Etablierung des FRPs mitsamt seiner Spezifischen Programme geschaffen: Nach dem gemeinsamen Rats- und Parlamentsbeschluss zur Einrichtung des 7. FRPs und dem Ratsbeschluss zum Spezifischen Programm »Ideen« legte erst der Einrichtungsbeschluss vom 2. Februar 2007 den ›Grundstein‹ für den ERC (Art. 4., Abs. 4); die Kommission beruft seither die Mitglieder des Wissenschaftlichen Rats »nach einem unabhängigen und transparenten, mit dem Wissenschaftlichen Rat vereinbarten Berufungsverfahren [ein], das auch eine Konsultation der wissenschaftlichen Gemeinschaft und einen Bericht an das Parlament und den Rat umfasst« (siehe; Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2007). Die 22 Mitglieder werden explizit nicht nach einem Proporz zur Repräsentation der EU-Mitgliedstaaten bestellt, sondern sollen wissenschaftliche (Inter-)Disziplinen repräsentieren, wissenschaftlich anerkannt sein und – damit implizit bedingt – Erfahrung im Wissenschaftsmanagement mitbringen. In den Gründungsjahren des ERC waren die Mitglieder des Scientific Council, von Aufwandsentschädigungen einmal abgesehen, allesamt ehrenamtlich tätig. Man könnte dies als symbolischen Akt wissenschaftlicher Unabhängigkeit gegenüber den EU-Organen deuten, realistischer jedoch ist, dass keine entsprechende institutionelle Struktur für die Entlohnung eines damals rechtlich inexistenten Scientific Council eingerichtet werden konnte.25 25 Dies hat sich erst im Zuge des 8. FRPs geändert und ist unerheblich für den hier zugrunde gelegten Untersuchungszeitraum jedoch nichts mehr zur Sache. Die Bezahlung des nun hauptamtlichen ERC-Scientific-Council-Präsidiums, die nach dem »Model Contract for Experts« erfolgt, bindet das Gremium nun de facto auch an die Kommission; http://ec.europa.eu/research/participants/data/ref/h2020/experts_ manual/h2020-experts-mono-contract_en.pdf (zuletzt aufgerufen; 07.07.2015). 34 DIE ExEKUTIVAGENTUR DES ERC 2.4 Die Exekutivagentur des ERC Das zweite Organisationsglied des ERC stellt die »Exekutivagentur« der Kommission dar, die den ERC als eine Art Geschäftsstelle verwaltet. In der Exekutivagentur des ERC werden die jährlichen Ausschreibungen der Förderlinien verwaltet, wie sie der Scientific Council vorgeschlagen und die Kommission verabschiedet hat. Hierzu gehören u. a. die Vorbereitung und Veröffentlichung der Ausschreibungen sowie die Bereitstellung von Informationen für Antragsteller und weitere Interessierte. Darüber hinaus richten die Mitarbeiter die technischen Voraussetzungen für die Begutachtungsprozesse ein, überwachen diese (verfahrens-)technisch, stellen die Finanzierungsmodalitäten gemäß der EU-Haushaltsverordnung sicher und unterstützen das wissenschaftliche Personal des ERC Scientific Council.26 Die Exekutivagentur wurde nach einer Prüfphase der Governance-Struktur des ERC implementiert; zuvor trug sie den ebenfalls nicht rechtlich normierten Titel der bereits angesprochenen »dedicated implementation structure«27. Die Aufgaben der Exekutivagentur bestehen in der Umsetzung der Leitlinien des Scientific Council auf der Basis jährlicher Arbeitsprogramme, deren Ausgestaltung den Verwaltungsrichtlinien der Kommission nicht widersprechen darf. Wichtig ist, dass die Exekutivagentur nicht auf die Funktion eines Projektträgers reduziert werden kann; weder untersteht sie ausschließlich dem Scientific Council des ERC noch der Kommission. Sie stellt ein Hybrid dar und löst den prinzipiell angelegten Interessenskonflikt zwischen den Wissenschaftlern des Scientific Council und der Kommission nicht auf. Die EG-Ratsverordnung 58/2003 vom 19. Dezember 200228 bestimmt unter Abs. 9: »Der Einsatz einer Exekutivagentur entbindet die Kommission jedoch nicht von ihren Verantwortlichkeiten aufgrund des Vertrags, insbesondere gemäß Artikel 274. Sie sollte daher die Tätigkeit der Exekutivagentur 26 Der Organisationsaufbau und die Aufgaben der ERC-Exekutivagentur sind auf der Website des ERC einsehbar; https://erc.europa.eu/about-erc/organisation-and-working-groups/executive-agency (zuletzt abgerufen am 13.06.2016). 27 Siehe Art. 3 der Kommissionsentscheidung 2007/134/EC vom 02.01.2007, i.V.m. Art. 4(3) des Ratsentschlusses 2006/972/EC: »The ERC should consist of an independent Scientific Council (hereinafter referred to as the Scientific Council), to be supported by a dedicated implementation structure«. Aus einer juristischen Perspektive betrachtet ist die Formulierung bereits unpräzise: Sollte der ERC oder der Scientific Council von der Implementierungsstruktur unterstützt werden, und was genau bedeutet überhaupt unterstützen? Für den Hinweis auf diese Spitzfindigkeit ist Arne Pilniok zu danken. 28 http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TxT/HTML/?uri=CELEx:32003R005 8&from=DE (zuletzt abgerufen am 01.02.2015). 35 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC genau überwachen und ihre Arbeitsweise sowie insbesondere ihre Leitung effektiv kontrollieren können.« Entsprechend kann die »Leitungs- und damit Implementierungsgewalt […] nur zwei Organen der Exekutivagentur zukommen: dem Lenkungsausschuss (Steering Committee) und dem Direktor« (von Bogdandy und Westphal 2005, S. 7). Der Direktor der Exekutivagentur muss diesem Statut zufolge ein Mitglied der Kommission sein; er hat i. d. R. den gleichen Beamtenstatus eines Direktors innerhalb der Generaldirektion Forschung und ist in der Hierarchie direkt unter dem Generaldirektor hoch positioniert; und auch die Abteilungsleiter der Exekutivagentur sind Kommissionsbeamte. Zweitens hat »der Lenkungsausschuss mit Zustimmung der Kommission insbesondere das jährliche Arbeitsprogramm mit detaillierten Zielvorgaben und Leistungsindikatoren« anzunehmen und »beschließt über die organisatorische Gestaltung des Dienstbetriebs der Exekutivagentur« (ebd.; kursiv hervorgehoben TF). Die Autoren weisen zudem auf Art. 8, Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3, Abs. 5 derselben Verordnung hin (ebd.), demzufolge der Lenkungsausschuss fünf Mitglieder zählen muss und von der Kommission rechtmäßig ernannt wird. Der Lenkungsausschuss sollte somit eine Art Vermittlungsinstanz zwischen dem Scientific Council und der Exekutivagentur bilden. Nicht zuletzt durch die zusätzlich eingerichtete Position eines rechtlich gesehen nicht notwendigen ERC-Generaldirektors sollte der Lenkungsausschuss die Belange des ERC gegenüber den EU-Institutionen vertreten. Den heutigen Lenkungsausschuss bestellen zwei leitende Beamte der EU-Kommission (der Generaldirektor der Generaldirektion Forschung und der Direktor der Exekutivagentur), ein Mitglied des Europäischen Parlaments sowie zwei Mitglieder des ERC Scientific Council.29 Erst die Organisationskonstruktion des Lenkungsausschusses scheint den wissenschaftlichen Selbstverwaltungsprinzipien des Scientific Council einerseits und den Steuerungsabsichten, v. a. den Rechenschaftspflichten, der Kommission andererseits gerecht werden zu können. Allerdings war dies zur Entstehung des ERC weder rechtlich abgesichert noch politisch vorauszusetzen. Noch zwei Jahre nach der Entstehung sorgte die Hybridkonstruktion für Konflikte. Die großbeschworene Freiheit des ERC war aufgrund der Kommissionsauflagen nur bedingt realisierbar, und dies sorgte für Enttäuschung: »[Scientists] had hoped that the council would be responsible for its own budget and be allowed to create its own rules on administration, structure and employment. But ultimately it was created as an executive agency run through the commission. Sources of frustration now emerging include the extensive requirements for documenting the time spent 29 http://erc.europa.eu/organisation/steering-committee (zuletzt aufgerufen; 06.07.2015) 36 DIE ExEKUTIVAGENTUR DES ERC on work funded by the council, plus administrative delays in areas such as expense claims for peer reviewers.« (Gilbert 2009, S. 440) Insbesondere wurde das damals gewählte Verfahren – zunächst eine Implementierungsstruktur einzurichten und zu beobachten, ob sich letztendlich eine »Kommissionslösung« einstellen würde – politisch von Seiten der wissenschaftlichen Gemeinschaft beargwöhnt. Denn die Entscheidung der Kommission, den ERC einzig durch eine Exekutivagentur zu implementieren, war bereits im Jahr 2005 gefallen (siehe; Commission of the European Communities 2005a, S. 13), bevor sie mit den wissenschaftlichen Interessenvertretern in einen Dialog getreten war, in dem es auch um das Verfahren zur Etablierung einer Geschäftsstelle gehen sollte. Spannungen zwischen den wissenschaftlich orientierten Interessen des damals juristisch inexistenten Scientific Council und den Verwaltungsinteressen der Kommission waren gewissermaßen vorprogrammiert. Genauer: Die Vorstellungen des Scientific Council, dem nicht mehr als »ein hohes Maß an Unabhängigkeit« politisch versprochen werden konnte, mussten sich letztendlich »den Grundformen des europäischen Verwaltungsorganisations- und Forschungsförderungsrechts« (Pilniok 2011, S. 158) unterordnen. Man darf bei dieser Diskussion allerdings nicht außer Acht lassen, dass die Governance-Form auch für die Generaldirektion Forschung der Kommission politisches Neuland darstellte. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte sicherte sie politisch einem rechtlich nicht normierten Gremium weitreichende, inhaltliche Programmsteuerungskompetenzen zu und externalisierte zudem Verwaltungsaufgaben an eine Exekutivagentur.30 Eine »Agencification« mit all ihren administrativen Steuerungsherausforderungen stellt an und für sich kein Novum in der EU dar (Kreher 1997; vgl. Coen und Thatcher 2007; Gilardi 2008; Wonka und Rittberger 2010). Die Etablierung von Exekutivagenturen orientierte sich an dem Reformkurs der Kommission, die ihren Generaldirektionen eine Schlankheitskur verordnete – insbesondere nach dem Rücktritt der Kommission unter Jacques Santer von 1999 schien dies politisch opportun (vgl. Kassim 2008, S. 658). Im Zeitraum von 2004 bis 2007 existierten gerade einmal sechs EU-Exekutivagenturen (König 2015, S. 126); für die Verwaltung spezifisch wissenschaftlicher Belange scheinen 30 Nicht zuletzt deshalb wurde dem ERC in etwa zur Halbzeit des 7. FRPs, also nach einer Periode von drei Jahren, die bereits angesprochene Zwischenevaluation vorgeschrieben. Sie bezog sich erst gar nicht auf inhaltliche Fragen der Einrichtung, etwa, ob die richtigen Wissenschaftler oder Forschungsthemen gefördert würden. Als eines ihrer primären Ziele galt es zu überprüfen, ob die juristisch eventuell als kreativ zu bezeichnende Governance-Struktur den gesteckten Aufgaben des ERC gerecht werden und die Kommission zugleich gegenüber Rat und Parlament eine transparente Arbeitsweise vorlegen könne. 37 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC sie mehr oder weniger geeignet zu sein. Denn eigentlich ist es nicht das Ziel, dass Exekutivagenturen, bspw. im Vergleich zu Regulativagenturen, weitgehend autonom gegenüber der Kommission sein sollen. Nach einem Standardmodell etabliert, soll die jeweils zuständige Generaldirektion die Arbeiten der Exekutivagentur hierarchisch steuern, die Mitarbeiter der Agenturen organisieren Ausschreibungen und Begutachtungen und stellen insbesondere deshalb eine kostengünstigere Alternative für Generaldirektionen der Kommission dar, weil diese nicht Beamte, sondern »bloß« Angestellte finanzieren muss (ebd., S. 127). Genau diese Steuerung sollte aber der ERC selbst übernehmen – die selbstbestimmte Förderung von Grundlagenforschung stellt daher einen Sonderfall für die Generaldirektion Forschung der Kommission dar, die sich gegenüber dem Rat und dem Parlament zu rechtfertigen hat. Hinzu kommt, dass die Generaldirektion Forschung insbesondere ob ihres kontinuierlichen Personalaufwuchses und des immens angestiegenen Budgets in Konkurrenz zu anderen Generaldirektionen steht (Flink 2016) – dieses Problem stellt somit einen »Klassiker« administrativer Expansion dar (vgl. Niskanen 1971). Im Hinblick auf die Governance des ERC liegt die Herausforderung darin, dass die Einrichtung für die EU keine eindeutigen Ziele und Mittel festlegen kann. Pointiert formuliert konstituiert sich der ERC in der Wissensgesellschaft (z. B. Peter 2010, S. 113–118), Unsicherheiten zu erzeugen, zumal er versucht, den Begriff des Risikos bzw. des Wagnisses positiv zu konnotieren (vgl. Kap. 6). Wissenschaftliche Freiheit, garantiert durch wissenschaftlich selbstbestimmte Forschungsförderung, stand nicht nur konträr zu einer EUspezifisch starken Rechenschaftspflicht der Kommission. Die Förderung von »research at the frontiers of knowledge« brach auch mit den sozialen Erwartungen an die Kommissionsförderpolitik, einen konkreten zu beziffernden Mehrwert für die ökonomische Wertschöpfung des EU-Binnenmarktes zu liefern. 2.5 Kapitelzusammenfassung Mit der Entstehung des ERC ist eine hoch angesehene Forschungsförderorganisation etabliert worden, die sich als wissenschaftlich unabhängig darstellen und vergleichsweise hohe Fördersummen an einzelne Forscher und ihre Teams vergeben kann. Rasch stellte sich jedoch eine gewisse Enttäuschung mit Blick auf die nur bedingt einhaltbare wissenschaftliche Unabhängigkeit gegenüber politischer Steuerung ein: Weiterhin unterminiere die Forschungspolitik der Kommission nach wie vor eine Wissenschaftsförderung zu wissenschaftlichen Zwecken bürokratisch. Daraufhin wurde die Governance-Struktur des ERC betrachtet. In der Engführung auf primär-, sekundär- und verwaltungsrechtliche Fragen 38 KAPITELZUSAMMENFASSUNG konnte diskutiert werden, inwieweit der Scientific Council als zunächst juristisch inexistentes Gremium von Anbeginn das Spezifische Programm »Ideen« der Kommission inhaltlich ausgestalten konnte. Das Ergebnis deutet auf eine bereits bei der Entstehung des ERC angelegte, organisationale Ambivalenz hin. Deren lebenspraktische Konsequenzen mag eine polemische Frage vor Augen führen: Was geschieht, wenn erfahrene Verwaltungsbeamte der Kommission Einwände gegenüber einem rechtlich nicht normierten Gremium vorbringen, das sich prinzipiell nur auf seine wissenschaftliche Reputation und auf die im Sinne wissenschaftlicher Unabhängigkeit gesteckten Ziele berufen kann, allerdings bis auf wenige Ausnahmen keinerlei Erfahrung hatte, dies gegenüber den Mitarbeitern der EU-Institutionen überzeugend zu begründen?31 Hierbei sind es die Ziele selbst, die womöglich aus einer EU-Verwaltungsperspektive vage und unkontrollierbar erscheinen könnten; oder drastischer formuliert: Konstitutiv unsichere Grundlagenforschung mit dem einzigen Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisgenerierung zu fördern und die größtmögliche Freiheit einer Mittelverwendung zu versprechen – dies will einem Kommissionsbeamten der Generaldirektion Forschung, Haushaltsausschussmitgliedern im Europäischen Parlament und Ratsvertretern, bspw. aus strukturschwachen EU-Mitgliedsländern, erst einmal nahegebracht werden. Ernst-Ludwig Winnacker (2012) hatte diese Herausforderung als »Abenteuer in der Brüsseler Bürokratie« betitelt, jedoch gleicht sein Buch einer Abrechnung mit jenen Beamten in der Kommission, die für die Sonderbelange der Wissenschaft kein Interesse zeigten. Intendiert oder nicht, missachtet Winnacker, was sich bereits in der Diskussion der Governance-Struktur latent andeutete: dass die formal-institutionelle Struktur des ERC partiell unvereinbare soziale Institutionen, also kollektiv stabilisierte Erwartungen in sich trägt. Anhand einer historisch orientierten Aufarbeitung der Strukturen der europäischen F&T-Politik (Kap. 4), einer darauf aufsetzenden 31 Anekdotisch kann hinzugefügt werden, dass für einige Mitglieder des Scientific Council »Brüssel« – hier in Anlehnung an Robert Menasse verwendet – etwas völlig Neues dargestellt haben muss. Zudem waren viele Mitglieder des Scientific Council zu Beginn des ERC gar nicht in Brüssel anzutreffen, um sich hinreichend mit den eigenwilligen Codes der EU-Forschungspolitik, mit ihren seltsamen und vermutlich starr wirkenden Abläufen und den in Akronymen sprechenden Menschen vertraut zu machen. Dass die Verwaltungsabläufe für diese, teils unbedarft erscheinenden, externen Scientific-Council-Mitglieder nicht unbedingt einladend erschienen haben mögen, zeigt sich bspw. darin, dass sie anfangs nicht einmal eine reguläre Einlasskarte für ihre Büros geschweige denn eine offizielle Emailadresse erhielten (entsprechend auch zunächst die Suffixe in den Emailadressen: »@ext. europa.eu«; was für »Externe« steht. Ernst-Ludwig Winnacker musste als erster Generalsekretär des ERC zuweilen mit einem Besucheraufkleber der Kommission vorliebnehmen, um überhaupt Zugang zu seinem Büro zu erhalten. 39 DIE EIGENARTIGE ORGANISATION DES ERC Policy-Analyse des konkreten ERC-Entstehungsprozesses (Kap. 5) und einer Analyse alltagspraktischer Routinen sozialer Krisenbewältigung, m. a. W. sozialer Deutungsmuster (Kap. 6) sollen genau diese miteinander konkurrierenden sozialen Institutionen im Hinblick auf die Entstehung des ERC rekonstruiert werden. Diesem stelle ich eine kurze theoretisch-methodologische Verortung (Kap. 3) voran. 40 3. Sprache und Kommunikation im interpretativen Paradigma Zur Rekonstruktion des European Research Council schließt diese Arbeit an die interpretative Policy-Forschung an, die sich seit den 1990erJahren etabliert hat.1 Dieser steht kein einheitliches Programm zur Verfügung und mehrfach hat sie ihre Ausrichtung geändert, was sich nicht zuletzt an ihren unterschiedlichen »Wenden« illustrieren lässt (siehe u. a. Yanow 2006, S. xv; Münch 2016). Die zu subsumierenden Ansätze ähneln sich allerdings in ihren Denkstilen und ihren erkenntnistheoretischen Auffassungen dergestalt, dass sie sich von einem positivistischen oder allgemein szientistischen Credo der teils naturwissenschaftlich-, teils ökonomisch-inspirierten Politikwissenschaften distanzieren wollen.2 So folgt das interpretative Paradigma einer in den Geistes- und Sozialwissenschaften seit längerem bestehenden, kritischen Reflektion über das Selbstverhältnis von Wissenschaft. Es zählt zu den Erkenntnissen der Wissenschaftsforschung, dass sich Wissenschaftler, ihre Disziplinen und Organisationen sowohl voneinander als auch gegenüber nicht-wissenschaftlichen Umwelten abgrenzen. Verweise, etwa auf die eigene Rationalität, Wertneutralität3, Theoriegeleitetheit und auf Wahrheits- und Nützlichkeitsverpflichtung stellen somit in erster Linie einen sozialen Prozess dar (Gieryn 1983; Calvert 2004; Kaldewey 2013). Entsprechend gelten szientistische, positivistische oder kritisch-rationalistische Selbstbeschreibungen als Sozialtechniken wissenschaftlicher Gruppen, um sich gegenüber einer Außenwelt abgrenzen zu können: Diese Abgrenzungsarbeit ist aber mehr als eine strategische Grenzziehung, sie stellt eine 1 Eine erste Rezeption und Ausarbeitung interpretativer Ansätze in der deutschen Policy-Forschung wird auf die DVPW-Ad-hoc-Gruppe »Wissenspolitologie« zurückgeführt (Martinsen 2014a, S. 31). 2 Das positivistische Paradigma sieht seine Wissenschaftlichkeit durch »standards of science held up to us by the natural sciences and espoused by economics and psychology« gesichert (Keohane 2003, S. 11), folgt also der Vorstellung, Politikwissenschaft könne und solle objektiven und instrumentell rationalen Wissenschaftskriterien genügen (vgl. Dryzek 1993, S. 213). 3 Im Hinblick auf die Sozialwissenschaften kritisierte Jürgen Habermas (2013, S. 64– 66) die Denktradition des kritischen Rationalismus ob der Behauptung, vis-à-vis politischer Indienstnahmen sauber und theoriegeleitet, v.a. aber nicht interessen-, sondern rein erkenntnisorientiert zu arbeiten (ähnlich Gouldner 1968). Hingegen müssen sich, so Habermas, konstruktivistische und interpretative Denkschulen damit auseinandersetzen, dass ihre sinnverstehend fundierten Aussagen zuvorderst hermeneutischen Regeln folgen, die Interpreten sich notwendigerweise »im Rahmen eines tradierten Selbstverständnisses« stellten (Habermas 2013, S. 65–66). 41 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA Form der Identitätsarbeit dar. So z. B. wurde durch die Finalisierungsthese in der Wissenschaftsforschung in Anlehnung an Kuhn (1962) eben dieses positivistische Wissenschaftsverständnis als soziale Entwicklungsfolge eines physikalischen Weltbildes dekonstruiert, welches als »immanentes Theorieprogramm der Naturwissenschaft« (Böhme et al. 1973, S. 132) auf die Chemie, Biologie, Physiologie, Psychologie und schließlich auf die Sozialwissenschaften überging. Ein solch naturwissenschaftlich-empiristisches4 Paradigma diene umso mehr als Leitfaden einer unbewussten Anpassungsbewegung, wenn »externe Zwecke in bereits theoretisch ausgereifte Disziplinen« Einzug gehalten haben (ebd.; vgl. Calvert 2006, S. 208–210). In ähnlicher Weise zeichnet der neo-institutionalistische World-Polity-Ansatz (Drori et al. 2003) nach, wie sich jenes Wissenschaftsverständnis als ein Rationalitätsmythos global verbreitet hat, das die Natur (und schließlich die soziale Welt) als regelgeleitet und als durch Akteure beeinflussbar beschreibt. Dies gilt auch für positivistische Denkstile in den Politikwissenschaften (Gottweis 2003, S. 125–127), denen die Einwände interpretativer Policy-Forschung gegenüberstehen. Ebenso verwehren sich Vertreter postpositivistischer bzw. interpretativer Ansätze gegen die Vermischung mit positivistischen bzw. kritischrationalistischen Denkstilen (bspw. Kratochwil 2000, S. 73–74, 78). Solche Methoden seien lediglich auf ein redundantes, pseudo-intellektuelles »face lift« aus (Guzzini 2013, S. 190) und würde soziale Konstruktionen fatalerweise ontologisieren. Dies führe dazu, dass Institutionen, Policies, Ideen, Diskurse und dergleichen als feste Größen angesehen werden, obwohl sie tatsächlich als soziale Konstruktionen betrachtet werden müssten. Oftmals geschehe dies auch aus pragmatischen Gründen, empirisch arbeiten zu können (Nullmeier 1993, S. 176). Die damit verbundene, teils trivialisierende Verdinglichung von sozialen Konstruktionen kann für andere Teilbereiche der Sozialwissenschaften ebenso beobachtet werden (vgl. Kneer 2009, S. 8–11). So wird nicht nur in den Politikwissenschaften über die EU, die Beamten, Brüssel oder die Bürokratie referiert. Auch in der Wissenschafts- und Hochschulforschung finden sich Formulierungen, in denen es heißt, dass sich die Wissenschaft, die Forschung oder auch die Universitäten gegen »reale Kräfte – die Politik, 4 Steven Shapin und Simon Schaffer (1985, S. insbes. 283ff.) illustrierten an den antagonistischen Positionen Thomas Hobbes‘ und Robert Boyles‘, wie bereits die Entstehung der experimentellen Naturwissenschaft von den spezifischen Vorstellungen über die Ordnung der englischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts abhing. Hobbes‘ und Boyles‘ naturphilosophische Vorstellungen waren nicht von ihren gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen zu trennen. Mithin befürchtete Thomas Hobbes, dass das Gedankengut einer empiristischen Versuchswissenschaft auch auf Gesellschaftsexperimente übergehen und die nach dem blutigen und chaotischen Bürgerkrieg mühsam wiederhergestellte, jedoch fragile Ordnung Englands infrage stellen könne. 42 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA die Ökonomie, die Kultur etc.« entgegenstellten, »die von außen auf die Wissenschaft einwirken« (Kaldewey 2013, S. 138; kursiv TF). Und im schlimmsten Fall würde Akteuren (immerhin) in »Anerkennung differierender Wirklichkeitskonstruktionen jegliche[r] Realität […] absichtsvolles Handeln« zugeschrieben (kritisch Weller 2003, S. 110–111; Hajer 1995, S. 59).5 Mit anderen Worten: Akteure könnten ihre Überzeugungen bzw. Deutungen nach Belieben und gar strategisch verändern (ebenso kritisch van Dyk 2008, S. 369ff.). Damit ist bereits ein wichtiger Grundsatz interpretativer Policy-Forschung angedeutet worden. Alle hierunter fallenden Ansätze betonen expressis verbis die ubiquitäre Interpretationsabhängigkeit sozialer Phänomene. Ein Großteil der Schriften lässt sich demnach einer der vielen Facetten des Konstruktivismus zuordnen (vgl. Martinsen 2014b). Die hier geteilte Prämisse ist: Forscher konstruieren sinnhaft, dass soziale Phänomene, wie z. B. Organisationen, Institutionen und Policies, sozial konstruiert werden und dass diese Konstruktionen wiederum multiple und möglicherweise miteinander konkurrierende Deutungen evozieren (Fischer 2003, S. 64). Die Varianz interpretativer Ansätze innerhalb dieser erkenntnistheoretischen Ausrichtung scheint weniger durch den jeweiligen Grad der i. d. R. von außen zugeschriebenen Radikalität6 des Konstruktivismus bestimmt worden zu sein als durch die Umsetzung 5 Herbert Gottweis (2003) beobachtete, dass die postpositivistische Policy-Forschung faktisch alle politikwissenschaftlich ontologisierten Kernkonzepte und somit eine ganze Denktradition in Zweifel zog. Entsprechend ging es auch in den Internationalen Beziehungen und der Europaforschung zwischen positivistischen und postpositivistischen Anhängern hoch her (Börzel 1997; Diez 1996; Moravcsik 1999; Diez 1999b; Christiansen et al. 1999). Vereinfacht dargestellt wurden die Postpositivisten dahingehend kritisiert, dass ihr Relativismus keinerlei handlungspraktische Lösungen für politische Probleme bereithalte. Dem Mainstream positivistischer Ansätze wurde hingegen vorgeworfen, eben dieses disziplinär selbstgesteckte Ziel – kausale und konditionale Erklärungsmodelle für soziales, zumeist staatlich ausgerichtetes Handeln zu entwerfen – aufgrund der epistemologischen Fehlgeleitetheit niemals erreichen zu können (Buzan und Little 2001; Buzan und Wæver 1997; Diez und Whitman 2002; Diez et al. 2011). Zudem bemerkte Thomas Diez (1999a, S. 39–42), dass mit der Regimetheorie in den Internationalen Beziehungen zwar ein staatszentriertes Denken kritisiert worden sei, dies jedoch Staaten als anthropomorph gedachte Akteure reproduziere (vgl. Weller 2003, S. 111). 6 Die radikale Form eines auf die Autopoiesis abstellenden Konstruktivismus (Maturana 1974[1970], S. 84; Schmidt 1991, S. 13ff.; Roth 1985, S. 237; Luhmann 1995, S. 115; Glasersfeld 1998, S. 31) hat sich in der interpretativen Policy-Forschung womöglich deshalb nicht erfolgreich applizieren lassen können, weil die Politikwissenschaft mit ihrem eigens gesetzten Auftrag des Aufklärens und Verbesserns politischer Herrschaft von dem systemtheoretischen Steuerungspessimismus Bielefelder Provenienz lange Zeit nichts wissen wollte (vgl. Nullmeier 1997, S. 220). Allerdings ist in jüngster Zeit, insbesondere in Teilen der Internationalen Beziehungen, 43 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA konstruktivistisch angeleiteter, analytischer Verfahren, das Betrachten spezifischer empirischer Phänomene sowie die damit verbundenen mehr oder weniger vorrätigen Optionen eines empirischen Zugangs. Die hier vorliegende interpretative Fallrekonstruktion des ERC gründet auf der Annahme einer grundlegend kommunikativ und – im Spezifischen – sprachlich verfassten, sozialen Wirklichkeit, in der jegliche äußerungen bedeutungsvoll bzw. sinnhaft sind.7 Diese Auffassung ist erstens einer pragmatistisch-philosophischen Denktradition entlehnt, in der menschliches Handeln ins Zentrum der Überlegungen gerückt und immerzu als soziales Handeln verstanden wird (vgl. Franke und Roos 2010, S. 285). Als kleinste, analytische Einheit ist demgemäß nicht die Einzelhandlung, sondern die Interaktion von Handlungen zu sehen, während Einzelhandlungen abstrakte Auszüge von Interaktionen darstellen (vgl. Oevermann 1991). Man kann diese Interaktionen zumeist als »Kommunikation« bezeichnen. Zweitens fokussiert8 die hier geteilte Auffassung die Strukturwirksamkeit von Sprache: »Über Sprache wird Bewußtseinsbildung und Gesellschaftsbildung überhaupt erst möglich; oder wenn man nicht so weit gehen will: in einem uns normal erscheinenden Sinne möglich.« (Luhmann 1990, S. 47) Damit wird Sprache eben nicht korrespondenztheoretisch als bloße und gegebenenfalls erfolgreiche Abbildung einer externen Realität oder eines kognitionseigenen Wissensbestands angesehen (vgl. Gottweis 2003, S. 124–125). Erst durch Sprache wird das Wissen über eine wie auch immer geartete Realität spezifisch äußerbar.9 Ferner soll sich die Annahme einer psychischen und v. a. sozialen Sinnstiftung durch Sprache i. d. R. daran bemessen, ob ein systemtheoretisches Revival zu beobachten (Diez 1999a; Albert 2002; Albert et al. 2008; Gehring 2009; Albert et al. 2010; Albert et al. 2015). 7 Thomas Diez (1998, S. 143) beschrieb diesen Ansatz als »diskursiven Konstruktivismus«, später dann abgeschwächt (Diez 1999c, S. 599) als »constructivism focussing on language«. Maarten Hajer (1993, S. 48) führte den Begriff der »discourse coalition« ein, um sprachliche Strukturierung reflexiv mit dem institutionellen Arrangement und den daran beteiligten Akteurspositionen zu verknüpfen. Jakob Edler (2000) hat dies schlichtweg als »reflexiven Institutionalismus« bezeichnet. 8 Ich betone an dieser Stelle, dass ich nur auf sprachliche bzw. schriftliche äußerungen fokussieren kann, da mir keine anders denkbaren, empirischen Zugänge für die Fallrekonstruktion zur Verfügung stehen. Keinesfalls soll dadurch die auf sprachlichen äußerungen fußende Kommunikation gegenüber anderen sozialen Interaktionsformen überhöht werden. 9 Im Hinblick auf Wissen bestreitet diese Position nicht die Existenz einer beobachter- und sprecherunabhängigen Welt, jedoch wird diese Welt durch (den) Beobachter apperzipiert und durch die Möglichkeiten der Sprache innerhalb eines sozialen Verständigungsprozesses spezifisch gedeutet (Maturana 1974[1970], S. 84). Man könnte nun eine Menge von Beispielen anführen, die das spezifisch sozialstrukturierende Moment kommunikativ erzeugter Konstruktionen von Wirklichkeiten betont (z. B. Hajer 2006, S. 66–67; Laclau und Mouffe 1991, S. 158). Ob ein Blitz 44 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA und wie Sprache von einem oder mehreren Rezipienten spezifisch aufgegriffen und prozediert wird; der damit aufgerufene Kommunikationsprozess via Sprache soll also eher »vom Standpunkt des Deutenden« untersucht werden (Schütz 1971c, S. 251; vgl. Luhmann 1984, S. 212).10 Hingegen müssen die eigentlichen, die wirklichen Kommunikationsabsichten von Akteuren aus der empirisch-analytischen Perspektive in den Hintergrund treten. Ludwik Fleck (1980[1935], S. 58) betonte bereits: »Gedanken kreisen vom Individuum zum Individuum, jedesmal etwas umgeformt, denn andere Individuen knüpfen Assoziationen an sie an. Streng genommen versteht der Empfänger den Gedanken nie vollkommen in dieser Weise, wie ihn der Sender verstanden haben wollte.« Individuelle Wahrnehmungen lassen sich »nicht bestätigen und nicht widerlegen, nicht befragen und nicht beantworten«. (Luhmann 1995, S. 115); oder etwas abgeschwächt: Man kann die Intentionen von Akteuren anhand ihrer mündlichen oder schriftlichen äußerungen nicht hinreichend nachvollziehen (vgl. Bora 1993, S. 293; Diez 1999a, S. 46ff.).11 Dies ist aber auch gar nicht notwendig: Ob die verwendete Sprache »vom Mitteilenden immer im Sinne der zu erwartenden Deutung durch den Empfänger der Mitteilung vorgedeutet«, er »also das Apperzeptions-, Appräsentations- und Verweisungsschema, in die der Deutende die Mitteilung einsetzen wird, ins Auge fassen« würde (Schütz 1971a, S. 372), soll in dieser Arbeit nicht als Prämisse gelten. Ebensowenig kann durch bereits etablierte soziale Beziehungen (Schütz 1971b, S. 72) ein hinreichender »kommunikativer Konsens« (Luhmann 1970, S. 32) unterstellt werden. Dies wiederum bedeutet nicht, dass empirische Forschung immerzu ein »institutionelles Vakuum« zum Ausgangspunkt nehmen muss (Rein und unabhängig der Kognition des Beobachters einschlägt oder nicht, ist aus sozialwissenschaftlicher Perspektive uninteressant. Entscheidend ist, ob dieses Ereignis innerhalb einer sozialen Gemeinschaft spezifisch bezeichnet wird, bspw. als Naturereignis, als »Zorn Gottes« oder als »Werk des Teufels« usw., und aufgrund dieser sprachlich-sozialen Deutung fatale Folgen für Menschen (bspw. im Mittelalter) hat. Denn sozialen Konstruktionen liegt oftmals ein sprachlich-kommunikatives Klassifikationssystem zugrunde, welches bezeichnen, differenzieren, d. h., ab-, ein- und auszugrenzen in der Lage ist und somit hegemonial wirkt. 10 Zumindest hierin scheinen sich Schütz und Luhmann einig gewesen zu sein (vgl. Srubar 2005, S. 604–605). 11 Insbesondere dürfte dies bei der Analyse schriftlich fixierter Kommunikation schwierig sein: Die emotiv-illokutionäre Funktion der Sprechhandlungen ist nicht ersichtlich. Oftmals fehlen auch Möglichkeiten in der empirischen Erhebung, originäre von überarbeiteten Textversionen zu unterscheiden und die daran beteiligten Menschen auf ihre Absichten hin zu befragen. ähnlich große Schwierigkeiten würden Einschätzungen über die Rezipientenseite aufweisen. An wen sich im politischen Kontext verfasste Texte richten, ist häufig unklar, ganz zu schweigen von der Frage, wer diese Texte liest und wie sie verstanden werden. 45 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA Schön 1993, S. 156). Einzig: Aus der sozial- und politisch-institutionellen Verfasstheit – in diesem Fall von europäischer F&T-Politik – lässt sich nicht per se, sondern nur unter Vorbehalt annehmen, mit welchen »Erwartungserwartungen« (Luhmann 1970) Akteure miteinander kommunizieren. Eine wissenssoziologisch-hermeneutische Analyse von Sprache im Kommunikationsvollzug ermöglicht also, Aussagen über die Stabilität sozialer Institutionen, d. h. kollektiv-stabilisierter Erwartungen, zu treffen (z. B. Rehberg 1997, S. 103), ohne dass extensiv angenommen werden muss, »wie andere wahrnehmen«; es ist ausreichend, anzunehmen, »daß andere wahrnehmen« (Luhmann 1995, S. 50). Diese basalen Annahmen über Sprache und Kommunikation strukturieren in ähnlicher Weise eine Reihe von interpretativen Ausrichtungen in der Policy-Forschung. So wurde mit der argumentativen Wende in der Policy-Forschung u. a. betont, dass die soziale Konstruktion einer Policy davon abhängt, wie die hierdurch zu bearbeitenden Probleme spezifisch bezeichnet (›naming‹) und gerahmt (›framing‹) werden. Dieses komplementär zu verstehende Verhältnis von Naming und Framing »provides conceptual coherence, a direction for action, a basis for persuasion, and a framework for the collection and analysis of data – order, action, rhetoric, and analysis« (Rein und Schön 1993, S. 153). Des Weiteren würde der Erfolg einer Policy davon abhängen, ob eine kohärente Erzählung über einen gesamten Policy-Zyklus oder zumindest über weite Phasen hinweg gespannt werden kann (Fischer 2003, S. 161). Eben diese Geschichte, das Narrativ also, »not only conveys a meaning to the listener, but offers the listener or reader a way of seeing and thinking about events that points to implications requiring further attention or consideration« (ebd., S. 163). Im Vergleich zu den ursprünglich strukturalistischen Auffassungen von Diskursen eines Claude Lévi-Strauss und den poststrukturalistischen Erweiterungen durch Michel Foucault (1973, S. 74) wird die Bedeutung des Erzählers (also des Akteurs) hierdurch nicht vollständig getilgt. So muss ein Erzähler in der Lage sein, bspw. die Elemente (a) des Status Quo, (b) der darauf bezogenen Handlung und (c) des durch (b) verbesserten Zustands oder ähnliche Narrativelemente in einen bedeutungsvollen Plot zu fassen, um die Einführung oder Modifizierung einer Policy begründen zu können (Czarniaswska 1998, S. 2ff.).12 Ferner sollte mit der argumentativen Wende die diskursiv-linguistische 12 Hier wage ich einen Vorgriff: Ein zentrales narratives Element bei der Entstehung des ERC ist die Konstituierung einer Zugehörigkeit zu einer Gruppe bei gleichzeitiger Abgrenzung gegenüber einer fernen und z. T. bedrohlichen Außenwelt (z. B. Lotman 1990, S. 131). Zweitens und komplementär stellte ein Vergleich eine Erzählstruktur her, insbesondere durch fragwürdige Rankings; auch sie suchten in der Einheit des Vergleichbaren eine Differenz, um die EU gegenüber Konkurrenten abgrenzen zu können. 46 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA Wende erweitert werden: Nicht nur »the words within that discourse or the images in the speaker’s mind at the moment of utterance« sind zu untersuchen, sondern auch »the positions which are being criticized, or against which a justification is being mounted. Without knowing these counter-positions, the argumentative meaning will be lost« (Billig 1987, S. 91; zit. nach Hajer 1993, S. 45). Im Vordergrund dieser Analyse stehen mithin zwei Fragen: wie Akteure in gegenseitiger Bezugnahme »über Dinge sprechen und welche sprachlichen Mittel sie dabei einsetzen und nutzen« (Schieder 2006, S. 4–5; kursiv TF). Dass die argumentative Wende auch die rhetorischen Fähigkeiten sprechender und schreibender Akteure im Blick behält, schmälert wiederum nicht die sozialstrukturierende Bedeutung der Sprache selbst. Beides reflexiv zu betrachten, die Akteurspositionen und die sprachlich-kommunikative Strukturierung, erscheint mir notwendig, und dies ist aufgrund der Verfügbarkeit generativer Grammatikregeln der Sprache auch möglich (vgl. Chomsky 1965, S. 10ff.).13 Man kann sich dieses einander bedingende Verhältnis sprachlich-kommunikativer Strukturiertheit von und Strukturierung durch Akteure an einem Beispiel14 vor Augen führen: an der sprach- und sozialstrukturierenden Wirkung von Metaphern. Die Bedeutung ihrer Ausdrucksgestalt ist auch in der interpretativen PolicyForschung seit geraumer Zeit erkannt worden (Chilton und Ilyin 1993; Chilton und Lakoff 1995; Hülsse 2003; Schieder 2006; Pump 2011). Metaphern stellen weitaus mehr dar als bloß ein rhetorisches Stilmittel. Als Ausdruck einer Analogiebildung zwischen dem wörtlichen Signifikanten und der hierdurch exprimierten Vorstellung übertragen Metaphern abstrakte Vorstellungen des Politischen in Form einfacher und »anschaulicher« Sprachbilder. Die mit ihnen generierten Bilder konstruieren aber erst eine soziale Realität und sind nicht bloß Abbildungen einer irgendwie gearteten Realität außerhalb unserer Sprache. Zusätzlich lässt sich anhand der Lexikalisierungsprozesse von »kreativen« 13 Diese generativen Regeln statten eine Sprachgemeinschaft mit Sprecherkompetenzen aus und offerieren ihren Subjekten aus einer endlichen Anzahl von Regeln schier unendliche Entfaltungsmöglichkeiten, Begriffe und Sätze zu formulieren, die so noch nie formuliert worden sind. Bei generativen Regeln handelt es sich weniger um wissenschaftliche, linguistische Regeln als um unhinterfragbare Prinzipien sprachlicher Koordination. Bereits das Prinzip der sequentiellen Abfolge von Sätzen stellt eine generative Regel dar, welche eine für die menschliche Kognition angenehme Art der zeitlichen Abfolge sinnhafter Bezugnahmen ermöglicht: Eine einzelne Sequenzeinheit (bspw. ein Satz) selektiert etwas Spezifisches aus einem vorherigen Angebot von Deutungen und eröffnet gleichzeitig neue Deutungsmöglichkeiten. 14 Die Funktionen weiterer generativer Regeln und der Einsatz von spezifischen Stilmitteln (Okkasionalismen, rhetorische Fragen, verschiedene Formen von Vergleichen usw.) werden anhand des empirischen Materials diskutiert. 47 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA hin zu »toten« Metaphern eine sprachlich-soziale Konventionalisierung, d. h. eine Form der Institutionalisierung (Berger und Luckmann 1980, S. 16) ablesen. Mithin kann man vollauf konventionalisierte Metaphern eines institutionellen Feldes als »diskursive Elemente« betrachten (u. a. Doty 1993, S. 302, 305). Eine radikal diskursive Perspektive könnte das Aufkommen sprachlicher – und somit kognitiver – Kreativität in Form von Metaphern jedoch nicht hinlänglich erklären, würden Subjekte in vollständiger Abhängigkeit zu dem Formationssystem eines diskursiven Feldes stehen (vgl. Diaz-Bone 2009, S. 82–85); die Ausdrucksgestalt der angewandten Sprache und ihre Bedeutung für die daran beteiligten Subjekte würden sich ja kaum verändern können. Der hier gewählte Ansatz verschränkt also pragmatistisch und sinnverstehend begründet (z. B. Hajer 1993, S. 48ff.; Hülsse 2003; Schieder 2006, S. 8ff.) ein reflexives Institutionen- und Diskursverständnis. Insbesondere soll in Anlehnung an Maarten Hajer (1993, S. 48) empirisch nachvollzogen werden, »how different actors and organizational practices help to reproduce or fight a given bias without necessarily orchestrating or coordinating their actions or without necessarily sharing deep values«.15 Die sprachliche Strukturierung steht latent im Fokus der Analyse, gleichzeitig soll sie auch auf die sozialen Institutionen, also die kollektiv stabilisierten Erwartungen der daran beteiligten Akteure zurückgeführt werden sowie auf das spezifische Arrangement politischer Institutionen und Personen. Dieses komplementäre Verständnis von Institutionen und Diskursen kann als sozial-interaktiver Diskursansatz aufgefasst werden; hierzu wieder Maarten Hajer (1995, S. 60; kursiv TF): »[I]nstitutional arrangements are seen as the pre-conditions of the process of discourse-formation. Yet the organization of science, of policymaking, or of democratic procedures does not determine this process«. Institutionen mögen eine soziale Koordination mitstrukturieren, aber sie determinieren diese nicht. Über die geäußerte Vorsicht von Maarten Hajer hinaus betone ich zudem, dass Institutionen selbst nicht immer schon analytisch als gegeben, sondern als temporäre Interpretationskonstrukte zu betrachten sind: »Es gibt keine selbständigen Tatsachen, die im Nichts treiben.« (Whitehead 1987, S. 46) Entsprechend soll im Folgenden um ein interpretatives Verständnis sozialer und politischer 15 Hajers Arbeit wäre allerdings vom ontologisierten »discursive institutionalism« Vivian Schmidts (2002; 2003; 2008) abzugrenzen. Denn hier fällt der Diskurs wieder nur auf ein erfolgreiches Argumentieren und eben auf eine weitere Residualkategorie institutionell angemessenen Akteursverhaltens zurück – als würden Akteure bewusst ein sprachliches Regelsystem verändern können, innerhalb dem sie dann kommunizieren (vgl. die Kritik von van Dyk 2008, S. 369). Ein solch »objektivistisch-vordiskursive[s] Realitätsverständnis« blendet die »sozio-kulturellen Deutungen und realitätskonstituierenden symbolischen Ordnungen« aus (ebd., S. 372). 48 SOZIALE UND POLITISCHE INSTITUTIONEN Institutionen geworben werden, da diese u.a. auch in einem reflexiven Verhältnis zur Symbolik der Sprache stehen. Im Ergebnis bedingen dann Institutionen und sprachliche Strukturierung (d. h. Diskurse) einander. 3.1 Soziale und politische Institutionen Im Zuge der konstruktivistischen bzw. kulturalistischen Wende sind Annahmen über kognitive und normative Strukturierungsprozesse des Sozialen in die institutionalistische Europaforschung aufgenommen worden. Europäische Integration wurde nicht mehr nur als das Resultat von sicherheitsbesorgten und ökonomisch nutzenmaximierenden Staaten oder als Prozess funktionaler und politischer Spill-over-Prozesse (Haas 1958; vgl. Rosamond 2005) gedeutet. Sie konnte auch nicht mehr länger auf die Strategien des »shirking« supranational handelnder EU-Organe und um diese herum situierte Akteure innerhalb eines dynamischen Mehrebenennetzwerks reduziert werden.16 Das Fortschreiten oder auch Stagnieren von Integration musste im Lichte von kollektiven Erwartungen interpretiert werden, die sich bspw. entlang der Wertvorstellungen eines europäischen Gemeinwesens herausbildeten oder als solche bereits gefestigt waren (Christiansen et al. 1999, S. 540–542). Es ist ein Verdienst der politikfeldvergleichenden Europaforschung, auf die Herausbildung politikfeld-, also themenspezifischer Idiosynkrasien hinzuweisen, die sich an den sozialen und schließlich den politischen Institutionen ablesen lassen. Nicht zuletzt vermochte sie immer wieder aufzuzeigen, wie epistemische Gemeinschaften (vgl. Haas 1992) über ein geteiltes Verständnis von Kausalmechanismen (vgl. Drori et al. 2003, S. 23, 32–33) und über gemeinsame Wertvorstellungen ein Politikfeld innerhalb der EU eigentümlich strukturieren.17 Jenseits der politikfeldspezifischen Ausbildung von spezifischen sozialen Institutionen konnte mittels institutionalistischer 16 Gleiches gilt für Europäisierungsprozesse, d. h. für Rückwirkungen der EU auf politische und gesellschaftliche Akteure, bspw. in nationalen, regionalen oder auch kommunalen Kontexten: Bestehende EU-Policies, ihre zentralen Organe und Verfahrensweisen strukturieren Akteurserwartungen gewiss nicht nur aufgrund von Sanktionen oder der Aussicht auf Fördermittel »aus Brüssel«. 17 Der F&T-Politik der EU wird bspw. eine klandestine Integration durch Expertennetzwerke von aktiven oder ehemaligen Forschern und »EU-Forschungsantragsmanagern« rund um die Kommission zugeschrieben (v. a. Grande und Peschke 1999). Diese Netzwerke orientieren sich an wissenschaftlichen- und technologischen Förderthemen, an organisationalen Belangen – der europäische Dachverband industrieller Forschungseinrichtungen (EARTO) oder die European University Association wären hier zu nennen – oder auch an Querschnittsthemen, wie dies die European Platform of Women Scientists (mit Blick auf Gleichstellungsstandards in der Forschung), die Informal Group of RTD Liaison Offices (bzgl. 49 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA Ansätze aber auch illustriert werden, wie Politikfelder durch übergeordnete Rationalitätsmythen strukturiert werden. Hier ließen sich zahlreiche Beispiele soziologisch-institutionalistischer Studien aufzählen, in denen beobachtet wurde, wie einzelne Politikfelder durch den Rationalitätsmythos eines europäischen Binnenmarkts determiniert worden sind (vgl. Jabko 2006; Hay und Rosamond 2002): An der Ausgestaltung europäischer Umweltpolitik wurde die Werteambivalenz des Europäischen Parlaments in Bezug auf Umweltschutz und ökonomischen Nutzen illustriert (Knill und Bernheim 2010). ähnliches ließe sich über die Wertvorstellung einer Geschlechtergleichbehandlung im Europadiskurs sagen. Erst durch die rechtlich normierte Forderung nach einer privatwirtschaftlichen Entgeltgleichstellung nach Artikel 119 EWG wurde die Regulierungsebene der EU konsensual ermächtigt, eine Frage allgemeiner Chancengleichheit adressieren zu können; aber eben nur hierdurch: »Für die EU waren lediglich die ökonomischen Zielvorgaben für den gemeinsamen Markt relevant. Dieser verengte Zugriff auf Gleichstellungspolitik als Arbeitsmarktintegration von Frauen hat die EU-Politik lange Zeit geprägt.« (Abels 2012, S. 302) So absurd es klingen mag, selbst der in nationalen Strafrechten normierte Tatbestand sexueller Belästigungen am Arbeitsplatz wurde, systemisch bedingt durch das Subsidiaritätsgebot, von der EU-Kommission als ein Problem mangelnder Wettbewerbsfähigkeit gerahmt; zurate gezogen wurden statistische Daten von Krankheitsausfällen und Effizienzverlusten in Unternehmen, die auf diesen Strafrechtsbestand zurückgeführt werden konnten (Zippel 2008). Es scheint also, dass soziologische Institutionenansätze in der Europaforschung, wie überhaupt in den Politikwissenschaften sich zunehmender Rezeption erfreuten, weil das Erklärungspotential über rational kalkulierende und macht- bzw. nutzenmaximierende Akteure im Lichte empirischer Phänomene erschöpft war.18 Organisationssoziologische und ökonomische Erkenntnisse über die eingeschränkte Rationalität von Akteuren (Simon 1991, 1957; Cohen et al. 1972; March und Olsen 1979) wurden auf die Logik der Angemessenheit europäischen Regierens angewendet (stellvertretend für viele; Checkel 2005; Radaelli 2000; Lewis 2005). Ein weiterer Grund für diese Hinwendung mag in dem breit angelegten Institutionenbegriff liegen. Denn Institutionen werden in neuer Antrags- und Projektberatung) oder jüngst die Gründung von Science Europe (für Belange nationaler Forschungs- und Forschungsfördereinrichtungen) illustrieren. 18 Dies deutet sich selbst in den als rationalistisch geltenden Arbeiten Andrew Moravcsiks (1997, S. 525) an, der einen ideellen Liberalismus europäischer Integration zu konzipieren versuchte, als »set of preferences shared by individuals concerning the proper scope and nature of public goods provision […] stipulating which social actors belong to the polity« (kursiv hervorgehoben, TF), auch wenn Prozesse der Sozialisierung nicht mit aufgenommen werden (vgl. Risse‐Kappen 1996). 50 SOZIALE UND POLITISCHE INSTITUTIONEN soziologischer Prägung sowohl in ihrer Materialität als auch in ihrer Symbolik (Friedland und Alford 1991, S. 241ff.) erfasst. Sie können auf individuelle wie auch auf kollektive Strukturierungsprozesse analytisch angewendet werden (vgl. Zucker 1991) und mit ihnen lässt sich rekonstruieren, ob und wie Handlungen in kognitiver, normativer und regulativer Weise strukturiert werden (vgl. Scott 1995, S. 8ff.). Zudem stehen Ansätze des soziologischen Neo-Institutionalismus Thesen radikaler19 Wandlungsprozesse skeptisch gegenüber, ohne gleich strukturdeterministisch argumentieren zu müssen.20 Gerade die in vielerlei Hinsicht inklusiv erscheinenden Auffassungen über soziale Institutionen können erklären, weshalb das Forschungsprogramm des soziologischen Neo-Institutionalismus in der Europaforschung, in nahezu allen Themenbereiche der Politikwissenschaften, wie auch in Organisations- und Managementstudien und sogar in der Wissenschaftsforschung (vgl. Schimank 1995) großen Anklang gefunden hat. Entsprechend der definitorischen Unschärfe weisen sich Vertreter des Neo-Institutionalismus auch eher als Mitglieder eines Forschungsprogramms denn als Theoriearchitekten aus (vgl. Hasse und Krücken 2005; siehe bereits Tacke 1999).21 Für die politikwissenschaftliche Adaption des soziologischen Institutionalismus bedeutete dies, dass Institutionen nicht mehr primär auf staatliche – oder mit Blick auf die EU: auf staatenähnliche – Organisationen eingegrenzt werden mussten. Neben dieser Erweiterung des Settings relevant erscheinender Akteure wurde aber v. a. auf weiter gefasste, kollektiv stabilisierte Erwartungen abgestellt. Organisationen bzw. deren Teileinheiten (Ressorts, Abteilungen usw.) wurden nun nicht mehr ausschließlich hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität beforscht. Ihre Wirkungsweise sollte eher daran bemessen werden, inwieweit sie den sich gegenseitig beobachtenden Akteuren Erwartungssicherheit böten 19 Allerdings wurden die auf Rigidität oder Starrheit zugespitzten Hypothesen des »alten« Neo-Institutionalismus jüngst durch Studien über »institutional entrepreneurs« relativiert (Garud et al. 2007; Perkmann und Spicer 2007). 20 Wie bereits in der Einleitung des Kapitels angedeutet, scheint dies ein wichtiges Argument gewesen zu sein, um in der Frage nach europäischer Integration zwischen dem Lager des Neofunktionalismus und dem des neoliberalen Intergovernementalismus vermitteln zu können. 21 Kritisch sieht diese Entwicklung allerdings Philip Selznick (1996, S. 273ff.): Mit dem Forschungsprogramm des Neo-Institutionalismus habe sich nicht nur eine begriffliche Unschärfe eingeschlichen, insofern Institutionen mit Organisationen, Institutionen mit Prozessen der Institutionalisierung oder allgemein sozialen Strukturierungsprozessen gleichgesetzt würden. Auch seien in diesem Forschungsprogramm jenseits von Zuspitzungen soziologisch altbewährter Institutionenkenntnisse wenige Überraschungen zutage gefördert worden. Eine Ausnahme sei die immerzu validierte Erkenntnis, dass die Existenz von Organisationen sich primär aus ihrer Legitimation in institutionellen Feldern speise. 51 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA und sich erwartungskonforme Handlungen einstellten (DiMaggio und Powell 1991, S. 10). Vor allem aber bezweifeln diese soziologisch inspirierten Institutionenansätze auch das mit dem kalkulatorischen Institutionalismus verankerte Verständnis von Akteuren zu Institutionen, dem zufolge letztere intentional als Problemlösungsinstanzen entwickelt und verändert werden könnten.22 Durch Anleihen an den soziologischen Institutionalismus ermöglichte es der strukturalistische Rekurs erneut, Mikroprozesse und historische Großwetterlagen (Tilly 1984) auf einer Meso-Ebene miteinander in Bezug zu setzen. Es gelang ihm außerdem gegen die Annahmen einer rational designten und effizienten Erfolgsgeschichte kritische Argumente einzuführen, ohne sich sogleich in neo-marxistische Extrempositionen zu verfangen (March und Olsen 1984, S. 734, 738). Diese soziologische Öffnung verhalf auch der historisch-institutionalistischen Perspektive (Thelen und Steinmo 1992) in der Europaforschung zu einer großen Anhängerschaft. Während sich aus Momentaufnahmen großer Verhandlungen immer wieder die Abhängigkeit supranationaler Politikgestaltung und Organisationswerdung vom Integrationswillen der Mitgliedstaaten ableiten lässt, betonen langzeitliche Betrachtungen die lückenhaften Kontrollmöglichkeiten europäischen Regierens (Pierson 1996, S. 126ff.), die den zentralen Organen der EU sukzessive und schleichend Kompetenzen einräumen (Bach 1999; Majone 2005) – bis hin zu einer eigenständigen Rechtsprechung, der sich nationalstaatliches Recht in einigen Politikfeldern nicht mehr entziehen kann (z. B.; Burley und Mattli 1993; Zangl 2001; Tallberg 2003).23 Soziologisch- und historisch-institutionalistische Arbeiten verweigern sich 22 Dieser Hinweis wurde bereits mit Christoph Wellers, Rainer Hülsses und Thomas Diez’ Klärungsversuchen von falschen Zuschreibungen an den Konstruktivismus gegeben. 23 Ein zentraler Verstärkermechanismus, um Missverständnisse auszuräumen, liegt nicht in der Kontinuität von Geschichte selbst, und schon gar nicht in der Fortschreibung von Erfolgsgeschichte (Berman 1998; Pierson 2000). Vielmehr sind es spezifisch prägende Ereignisse, durch die sich bestimmte Möglichkeitsräume (critical junctures) eröffnen. Wird einer bestimmten Richtung gefolgt, verschließen sich erst einmal andere Optionen (Beyer 2006, S. 26). Diese Ereignisse können auch durch zunächst unbedeutend erscheinende Entscheidungen innerhalb eines institutionellen Arrangements ausgefüllt werden, unter einer Langzeitperspektive dann aber wirkmächtige oder gar irreversible Strukturierungen aufzeigen (Peters et al. 2005, S. 1287). Somit wird die Entwicklung von Institutionen in Anlehnung an Modelle aus der Policy-Analyse (Baumgartner und Jones 1993; Kingdon 1995) als Wechselspiel von Gleichgewichtszuständen und Unterbrechungen (punctuated equilibria) aufgefasst (Gould 1989). Auch wird einem angeblichen Hang zum Konservatismus im historischen Institutionalismus widersprochen: Pfadabhängigkeit bedeutet nicht Stabilität. Ihr wird bloß auf der Basis von »increasing returns« (Beyer 2006, S. 36) eine Wahrscheinlichkeit zur Stabilisierung zugeschrieben (ebd., S. 27–32). 52 SOZIALE UND POLITISCHE INSTITUTIONEN Schlussfolgerungen eines radikalen Wandels, der von faktisch existenten Krisen ausgelöst würde. Nur wenn Akteure Entwicklungen als hinreichend krisenhaft deuten, können sich Wandlungsprozesse ereignen. Ein weiterer Grund für die politikwissenschaftliche Adaption des soziologischen Institutionalismus liegt darin, dass die Schwächen des kalkulatorischen Ansatzes durch Hinzunahme von erklärenden Residualkategorien in Form regulativ, normativ oder kognitiv stabilisierter Erwartungen (also sozialen Institutionen) abgefedert werden und dennoch auf formale Regelungsstrukturen (also politische Institutionen) bezogen werden können (Ullrich 2003). In Analogie zu der zuvor geführten Diskussion über einen angepassten Konstruktivismus in den Politikwissenschaften scheint aber auch hier das Problem in der pragmatisch begründeten Adaption selbst zu liegen, durch die soziale Institutionen tendenziell ontologisiert werden.24 Weder ein Rekurs auf historische Pfadabhängigkeit noch die vorgegebene akzeptierte Inklusion vieler Institutionenverständnisse leuchtet diesen blinden Fleck hinreichend aus. Allein die im historischen Institutionalismus zentrale Frage der Krise oder des externen Schocks, die erst einen institutionellen Wandel ermöglichen würden, ist abhängig von individuellen Perzeptionen. Nochmals: Krisen können als solche gedeutet werden, oder eben nicht. Der folgende Definitionsversuch veranschaulicht die angesprochenen Probleme: dass Einschätzungen über den Verbindlichkeitsgrad von Institutionen nicht leicht fallen, aber trotzdem immerzu definiert und damit auch ontologisiert werden will. So forderte Peter Hall zunächst, Institutionen müssten in den Politikwissenschaften weit definiert werden, als »formal rules, compliance procedures and standard operating practices that structure the relationship between individuals in various units of policy and economy« (Hall 1986, S. 19), jedoch schränkt er sogleich wieder bezüglich ihres Formalisierungsgrades ein: »[T]hey have a more formal status than do cultural norms but one that does not necessarily derive from legal as opposed to conventional, standing«. (ebd.) Ob die feldspezifisch politikwissenschaftliche Abgrenzung von »standard operating practices« in der Politik und Wirtschaft gegenüber nicht weiter definierten, kulturellen Normen überzeugend ist, mag angezweifelt werden, v. a. wenn man letztere auf Max Webers Kulturbegriff rückbezieht, in dem Kultur als ein menschlicher »mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens« (Weber 1988[1922], S. 180) verstanden wird. Der Rechtssoziologe Klaus Röhl (1987, S. 393) kritisiert zudem, dass zuweilen »jede soziale Norm als Institution« gilt, man aber eigentlich von einer »Mehrzahl 24 Vor dieser Kritik ist die neo-institutionalistische Organisationsforschung selbst nicht gefeit (vgl. Meyer 2008, S. 519). 53 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA von Normen« ausgehen müsse, die erst in ihrer Kombination die Verhaltensmuster einer Gruppe strukturieren. Immerhin: Der Politikwissenschaftler Gerhard Göhler (1994; 1997) wehrte sich dezidiert gegen eine »Ontologie oder allgemeine Modellierung sozialer [und man könnte hinzufügen: politischer, TF] Wirklichkeit« (ebd., S. 29-30, Fn. 13), wie sie sonst in gängigen politikwissenschaftlichen Adaptionen des Institutionalismus vorgefunden werden kann. Diese Auffassung wurde u. a. von Karl-Siegbert Rehberg (1997) unterstützt, der in Anlehnung an Anthony Giddens’ Strukturationstheorie (1984) auf die Deutungsabhängigkeit des Institutionellen in Form symbolischer Darstellungen verwies. Zentral ist die symbolische Repräsentation des institutionalisierten bei den Adressaten: »Dadurch entsteht ›Dauer‹ (die instituiert ist, als ob sie ewig währte, während sie sich bei näherem Hinsehen oft als recht kurzfristig erweist). So wird selbst wieder symbolisch verstärkte institutionelle Eigenzeit produziert, die den Alltag der Beteiligten […] akribisch regulieren kann und sich ihren eigenen normierenden Bezugsrahmen […] schafft.« (Rehberg 1997, S. 102– 103) Im Verständnis von Göhler und Rehberg lässt sich für eine komplementäre Auffassung von sozialen und politischen Institutionen werben. Soziale Institutionen können als »relativ auf Dauer gestellt, durch Internalisierung verfestigte Verhaltensmuster und Sinngebilde mit regulierender und orientierender Funktion« interpretiert werden (Göhler 1997, S. 28). Der Übergang zu politischen Institutionen manifestiere sich darin, dass sie schließlich als »Regelsysteme der Herstellung und Durchführung verbindlicher, gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen« verstanden werden können – auch hier ist die Deutungsabhängigkeit von entscheidender Relevanz und nicht als gegeben anzusehen. Mit anderen Worten gelten politische Institutionen als gegeben, wenn ihre Regulierungssubjekte nicht mehr hinterfragen, dass auf sie transitiv Macht ausgeübt wird. Dies geschieht aber eben erst dann, wenn politische Institutionen als Instanzen einer »symbolischen Darstellung von Orientierungsleistungen einer Gesellschaft« (ebd., S. 29; kursiv hervorgehoben TF) anerkannt werden. Institutionen weisen immer eine instrumentelle und eine symbolische Funktion auf. Die Anerkennung, dass das Gelingen von Institutionalisierungen von der symbolischen Darstellung einer gesellschaftlichen Orientierung abhängig ist, macht eine sinnverstehende Rekonstruktion von sozialen und politischen Institutionen geradezu unabdingbar. Denn entscheidend ist – und darin liegt auch ein methodischer Hinweis –, dass diese Symbolbeziehung zu den Erwartungen der Subjekte eine Qualität aufweist, die erst Aussagen über Gelingensbedingungen von Institutionen erlauben (ebd., S. 42). Mithin kann ein Institutionenwandel nicht nur dann beobachtet werden, wenn politische Institutionen bspw. ihre Funktion nicht mehr erfüllen, so wie dies kalkulatorische Ansätze zuweilen vermittelten. 54 SOZIALE UND POLITISCHE INSTITUTIONEN Vielmehr geht es um »qualitative Veränderungen auch auf Seiten der Adressaten selbst, denn Institutionenwandel hängt wesentlich mit davon ab, ob intransitive Macht in den grundlegenden Wertvorstellungen […] sich verändert oder nicht« (ebd.; kursiv i.O.).25 Die Betonung der symbolischen Repräsentation in der Beziehung von Institutionen und den von ihr strukturierten Subjekten bezieht sich auf die wissenssoziologische Fundierung des Institutionalismus. Für die vorliegende Arbeit ist dies zu betonen von entscheidender Bedeutung, da es die Möglichkeiten beinhaltet, Institutionalisierungsprozesse durch die Analyse von sprachlicher Kommunikation zu rekonstruieren: »Damit wird nicht unterstellt, Institutionen seien ›nur‹ zeichenhaft, wohl aber, daß jede ›Ordnung‹ eine – mehr oder weniger ausgeprägte – institutionelle Form hat, in der die Ordnungsprinzipien zur Darstellung kommen. Das kann in jeder institutionell regulierten Handlung, in Gesten und materiellen Zeichen zum Ausdruck kommen. Es ist keine Organisation denkbar, die ganz ohne eine symbolische Repräsentanz ihrer Zielsetzung und Verfassungen funktionieren würde.« (Rehberg 1997, S. 101–102) Sprache im Kommunikationsvollzug wird also eine Institutionalisierungsleistung zugesprochen, sie objektiviert »the shared experiences and makes them available to all within the linguistic community, thus becoming both the basis and the instrument of the collective stock of knowledge« (Berger und Luckmann 1967, S. 68). Innerhalb der Sprache wird Deutungswissen abgelagert. Institutionalisierung findet – in Rekurs auf Mannheims Wissenssoziologie – »in Denkstandorten oder Denkstilen ihren Ausdruck« (Bora 2008, S. 27), welche sprachlich geäußert werden. Damit kann institutionalisiertes Wissen in Form von Deutungsschemata oder -mustern (ebd.) auch anhand der Analyse kommunikativ erzeugter Sprache rekonstruiert werden, sei es in Form einer soziohistorischen Untersuchung zentraler Begriffe (Kaldewey 2013, S. 155ff.), einer Untersuchung von Kategorien, die in spezifische Narrative eingebettet sind (Somers 1994, S. 617–620), einer wissenssoziologischen Metaphernanalyse (vgl. Hülsse 2003) oder der Untersuchung von Leitideen (Rehberg 1997, S. 104). Es liegt die Annahme zugrunde, dass durch diese sprachlichen Besonderheiten bzw. durch die Regelgeleitetheit der Sprache selbst soziale Deutungsmuster konstituiert werden (Oevermann 2001a, 2001e). Diese Deutungsmuster, m. a. W. krisenbewältigende Routinen, können also in Realitätsprotokollen – in dem hier vorliegenden Fall: »Texten« europäischen Regierens – Aufschlüsse über die hintergründige lebenspraktische Krisenbewältigung geben. Die Ansätze eint, dass sie auf die identitätsbildende Funktion von Sprache hinweisen; oder wie es David 25 Dass sich ein Institutionenwandel in einem Mehr oder Weniger von »Macht und Repräsentation in der institutionellen Konfiguration« niederschlägt, ist für Göhler (1997, S. 42ff.) eine geradezu triviale Voraussetzung. 55 SPRACHE UND KOMMUNIKATION IM INTERPRETATIVEN PARADIGMA Kaldewey (2013, S. 107) formuliert: »Identitätsarbeit […] sollte nicht mit einer bloß strategischen Grenzziehung verwechselt werden.« In Anlehnung an William Sewell (1992, S. 8) beinhalten Institutionen also nicht nur »formally stated prescriptions but the informal and not always conscious schemas, metaphors, or assumptions presupposed by such formal statements.« 3.2 Institutionelle Strukturen, Policy-Analyse und Deutungsmuster Um anhand der Entstehung des ERC die Ausbildung und Wirkmächtigkeit kollektiv stabilisierter Erwartungen im Verhältnis zu den politischen Institutionen in der EU-Forschungspolitik zu rekonstruieren, schlage ich einen empirischen Dreischritt vor: In folgenden Kapitel werden zentrale Strukturprinzipien europäischer Forschungspolitik rekonstruiert. Es synthetisiert geschichts- und politikwissenschaftliche Arbeiten mit Primärquellen europäischer Forschungspolitik. Ziel dieser Rekonstruktion sozialer und politischer Institutionen ist es herauszuarbeiten, inwiefern die sozialen Erwartungen einer erkenntnisorientierten und wissenschaftlich selbstbestimmten Grundlagenforschungsförderung bereits lange die Geschichte europäischer Forschungspolitik begleitet haben, aber weitestgehend nur in transnationalen Organisationsformen ermöglicht wurden (Kapitel 4). Die supranationale Forschungspolitik dominierten v. a. sicherheits-, energie- und wirtschaftsorientierte Nützlichkeitserwartungen. Dabei nahmen letztere immer stärkere regulative Formen an. Vor diesem Hintergrund scheint die Idee eines ERC zunächst einen Bruch mit diesen Institutionen zu markieren. Es muss die Frage beantwortet werden, welche Erwartungsstrukturen sich wem und v. a. wie angepasst haben. Entsprechend leitet Kapitel 5 eine Policy-Analyse ein, in der die konkrete Entstehung des ERC chronologisch und entlang relevanter Strömungen, Akteure und deren Entscheidungen bzw. Nicht-Entscheidungen diskutiert wird. Methodisch stützt sich dieser Textabschnitt auf einen Vergleich von Dokumenten und Aussagen aus Eliten- bzw. Experteninterviews der am Policy-Prozess beteiligten Entscheidungsträger (methodisch hierzu näher Kapitel 5.1.1). Im 6. Kapitel werden zentrale Dokumente des Policy-Entstehungsprozesses durch die Methode der Objektiven Hermeneutik auf soziale Deutungsmuster hin untersucht. »Diese Analytik ist als praktische Interpretationsarbeit im Aussagenmaterial abduktiv – vom Material auf die Bildungsregel schließend«, sie ist »selber eine permanente Rekonstruktion, erste Resultate werden kontinuierlich rekursiv an andere Aussagen überprüft und angepasst«, und »die nach und nach herausgestellten Formationsregeln […] werden untereinander 56 INSTITUTIONELLE STRUKTUREN, POLICY-ANALYSE UND DEUTUNGSMUSTER in Beziehung gesetzt und […] auf ihre allgemeineren Prinzipien hin verdichtet« (Diaz-Bone 2005, S. 186). Die Analyseergebnisse sollten komplementär zur Policy-Analyse gelesen werden. Jedes der untersuchten Dokumente ist Träger einer unhintergehbaren Ausdrucksgestalt kommunikativer Schemata bzw. Handlungsskripte26 zur Bewältigung sozialer Komplexität. In Erwartung, dass sich eine Leserschaft vornehmlich für den Policy-Prozess, der Positions- und Netzwerkbildungen von Akteuren einschließt, und für die Rekonstruktion sozialer Deutungsmuster europäischen Regierens interessieren wird, wurden die Texte getrennt. Auch eine theoretische und methodologische Einführung zur Analyse sozialer Deutungsmuster mittels der Objektiven Hermeneutik wurde auf das sechste Kapitel ausgelagert. 26 Zur Unterscheidung von Schemata und Skripts; siehe Luhmann (2002, S. 155– 158). 57 4. Historische Strukturen europäischer F&T-Politik Die F&T-Politik der EU stützt sich auf eine Reihe von sozialen Institutionen, die teils gegen die mit dem ERC assoziierten Leitideen wissenschaftlich frei definierter und ausgeführter Grundlagenforschung gerichtet sind oder zumindest nur schwerlich mit ihnen vereinbar scheinen. An vorderster Stelle steht die Erwartung, dass in Ultima Ratio Wirtschaftsunternehmen des Europäischen Binnenmarktes von dieser Forschungsförderung Wettbewerbsvorteile gegenüber globalen Konkurrenten erlangen (v. a. Sharp und Shearman 1987; Peterson und Sharp 1998; Meyer-Krahmer und Reger 1999; Grande 2001). Eine zweite und starke soziale Erwartung betrifft die politische Integration neuer Mitgliedstaaten in die Europäische Union respektive deren politische Vorläuferorganisationen, die durch grenzüberschreitende Verbundforschung realisiert werden soll: Forschungsentitäten aus strukturschwachen Staaten sind so angehalten (worden), sich an das hohe Niveau ihrer Verbundpartner anzupassen (z. B. Hilger 2003). Die Realisierung der Personenfreizügigkeit über die Teilnahme an F&T-Maßnahmen ist eine weitere zu nennende Erwartung, der bspw. durch die Marie-Curie-Mobilitätsfördermaßnahmen für Postdoktoranden und Doktoranden (Ackers 2005; Morano Foadi 2006) Rechnung getragen wird. Nicht zuletzt wurde an die EUForschungspolitik das Desiderat geknüpft, die mit technologischen Entwicklungen verbundenen Sorgen von Bürgern durch Formen der Partizipation in die Förderprogramme zu integrieren (Abels 2000a).1 Bei all diesen unterschiedlichen und teils konfligierenden Erwartungen – bspw. zwischen dem Prinzipien der politischen Integration versus der wirtschaftlichen Konkurrenz – sticht jene politische Erwartung hervor, derzufolge die F&T-Förderung der EU der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen dienen solle. Die sozialen Institutionen dieser F&T-Politik haben unmittelbare Folgen für die an ihrer Förderung beteiligten Akteure: Wer an der klassischen und anteilig am größten geförderten Verbundforschung teilnimmt, findet sich in einem sehr engen Korsett aus politisch vorgegebenen Zielen, einer strengen Mittel- und Zweckbestimmung sowie des daran gebundenen Kontrollregimes wieder (u. a. Luukkonen 2000; 2001; 2002). 1 Bürgerbedenken gegen EU-forschungsgeförderte Erzeugnisse im Bereich der Biotechnologie wurden durch den Imperativ wirtschaftlicher Nützlichkeit für den EU-Binnenmarkt übertönt (Abels 2003), Gleiches gilt für die Nanotechnologie (Schirmer 2012). 59 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK Lebensnaher formuliert: Eine Beteiligung an der F&T-Förderung der EU recht mühsam, denn selbst wenn man sich bereits innerhalb eines gut eingespielten, internationalen Forschungskonsortiums befindet, muss dennoch ein Forschungsantrag geschrieben werden, in dem nicht nur die voraussichtlichen Ergebnisse, sondern auch deren spezifischer Nutzen für den EU-Binnenmarkt beziffert werden können. Zudem ist die Koordinationsarbeit mit den anderen Verbundpartnern hinsichtlich der Zieldefinitionen vergleichsweise aufwendig, ebenso wie die finanziellen und inhaltlichen Berichtspflichten an die Kommission, die deshalb gefürchtet werden. Auffällig ist, dass diese sozialen Institutionen der EU-Forschungspolitik trotz der teils turbulenten und krisengeschüttelten Integrationsgeschichte der EU und der immer wieder beobachtbaren Lamoryanz über die wissenschaftlichen Unfreiheiten dennoch stabil erscheinen (Banchoff 2002; Schirmer 2012; Flink 2016). Dies führe ich auf die Ausbildung bestimmter politischer Narrative zurück – sinnstiftender Geschichten also –, die über den Nutzen der Europäischen Gemeinschaft einerseits und den Nutzen ihrer geförderten Forschung erzählen und sich durch ihre anhaltende Fortschreibung stabilisieren. Dass sich die supranationale Forschungspolitik parallel zu und gemeinsam mit transnationalen Organisationsvorhaben in Europa ausbildete,2 begründet die Komplexität der Rekonstruktion der europäischen F&T-Geschichte und stellt für die Untersuchung eine Herausforderung dar. Im Folgenden sollen, auch unter Rückgriff auf Theorien und Konzepte der Europa- und Innovationsforschung, zentrale Entwicklungspfade europäischer F&T-Politik beschrieben werden. Historisch gewachsene Strukturmuster sollen freigelegt werden, um so Aussagen über die Stabilität und Instabilität der sozialen Institutionen der EUForschungspolitik treffen zu können. Setzt man die 1950er-Jahre als Ausgangspunkt europäischer, d. h. supra- und transnationaler F&TPolitikgestaltung, so lässt sich ihre Entwicklung im Hinblick auf die Frage der Integration in fünf Phasen einteilen (angelehnt an; Guzzetti 1995; Borrás 2003): 1. Erste Integrationsversuche unter den Euratomund EGKS-Verträgen versus transnationale Kooperationen, v. a. im Bereich nuklearer Energieforschung; 2. Krise supranationaler F&T-Politik der 1960er und 1970er-Jahre und Ausweitung transnationaler Kooperationen; 3. Revitalisierung des supranationalen Europaprojektes und 2 Trennscharf lassen sich die Regulierungsebenen kaum auseinanderhalten. So ist auch heute die Forschungspolitik und -förderung der EU mehr als die Initiierung und Durchführung der FRP. Neben weiteren Maßnahmen agiert die Kommission auch in internationalen Forschungs- und Forschungsförderorganisationen, entweder als vollwertiges Mitglied neben anderen nationalen oder bspw. als Beobachterin. Ebenso können sich genuin transnationale Forschungseinrichtungen an EU-Forschungsfördermaßnahmen beteiligen oder diese politisch beeinflussen. 60 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK Jahr Supranaonale Polik 1952 Gründung EGKS als erste suprana onale Organisa on durch die Benelux, FR, DE, IT Supranaonale F&T 1953 Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN) 1955 EGKS Forschungsprogramme 1957 1958 1962-67 Römische Verträge: EWG und Euratom 1964 1967 EG-Fusionsvertrag Joint Research Centre für Kernforschung gegründet Einrichtung der EG-Arbeitsgruppe Politique de la recherche scientifiqueet technologique (PREST) 1971 1973 Beitriœ DK, IR, GB in die EGen 1974-75 Erste gemeinschažl. F&E im Bereich Umwelt und neue Technologien; Gründung des Europäischen Referenzbüros 1978 1981 1984-87 1987 1987 1993 1994 1995 1997 2000 Einheitliche Europäische Akte beschlossen 2007 F&E als Gemeinschažspoli k aufgenommen 2. FRP (1987-1991) 3. FRP (1991-1994) Vertrag über die Europäische Union Beschluss zur Einrichtung eines Europäischen Binnenmarkts 4. FRP (1994-1998) EU-Beitriœ AT, FIN, SE Amsterdamer Vertrag: EU F&T mit qualif. Mehrheit im Rat 5. FRP (1998-2002) Rücktriœ der Kommission Santer European Research Area auf dem Lissabon Gipfel gewürdigt 2002 2005 European Science Founda on (ESF); For™ührung von ELDO und ESRO als European Space Agency (ESA) Gründung von EUREKA als transna onales F&E-Programm Beitriœ Spanien & Portugal in die EGen 1994 1999 Coopera on for Science and Technology in Europe (COST) ESPRIT, BRITE, EURAM/1. FRP 1990 1992 European Launcher Development Organisa on (ELDO); European Space Research Organisa on (ESRO); European Southern Observatory (ESO); European Molecular Biology Organiza on (EMBO); Ins tut Laue Langevin (ILL) gegründet European Molecular Biology Laboratory (EMBL) gegründet Beitriœ Griechenlands in die EGen 1985 1986 Transnaonale F&T 6. FRP (2002-2006) Kommission ernennt ERC Scien fic Council 7. FRP (2007-2013) inkl. ERC und EIT Abbildung 2: Chronologie supra- und transnationaler F&T-Politik 61 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK erste Hochtechnologieprogramme im Übergang von den 1970er zu den 1980er-Jahren; 4. Sukzessive Erweiterung der FRP, schließlich als integraler Bestandteil einer EU-Binnenmarktplanung; 5. Thematische, programmatische und finanzielle Steigerung der FRP; zudem das Konzept einer wachstumsorientierten, gesamteuropäischen Forschungskoordinierung durch den Europäischen Forschungsraum als Teil der LissabonAgenda. 4.1 Erste Integration und transnationale Kooperationen Die Forschungs- und Technologiepolitik der Europäischen Gemeinschaften nahm ihren Ausgang in den 1950er-Jahren. Ihr ursprüngliches Anliegen stand unter einem funktionalen Primat: Forschung und Technologieentwicklung (F&T bzw. F&E) sollten die Grundlage einer gemeinschaftlichen Energieversorgung liefern und – analog zur gemeinschaftlichen Erzeugung von Kohle und Stahl – die hierdurch erwirkten, zwischenstaatlichen Interdependenzen nationale Aggressionen verhindern. In der Bewertung der Anfangsgeschichte europäischer Integration in den 1950er- und 1960er-Jahren bildeten sich zwei antagonistische politikwissenschaftliche Erklärungen heraus. Etwas vereinfacht formuliert, hob die neofunktionalistische (v. a. Haas 1958; 1961; 1976; Schmitter 1969; 1970) Erklärung hervor, dass europäische Integration abhängig von einer Fortschreibung einmal eingegangener Interdependenzen sei, es also zu wirtschaftlich-funktionalen und schließlich politischen Spillover-Effekten käme. Zwischenstaatliche Kooperationen gewännen eine Eigendynamik, die sich auf weitere Bereiche ausdehnen. Wirtschaftliche Kooperationen, bspw. durch den Abbau von Handelsbarrieren (negative Integration) oder durch neue Regulierung (positive Integration) würden also Kooperationen in weiteren Politikfeldern nach sich ziehen, so z. B. verlangten interstaatliche Zusammenarbeiten auch Vereinbarungen über Sicherheits- und Umweltschutzstandards, diese gemeinschaftlichen Standards könnten wiederum weitere Bereiche beeinflussen. Aufgrund dessen, so die Annahme der Neofunktionalisten, seien supranationale Institutionen, allen voran die Kommission, in eine herausgehobene Position gelangt, weil sie in ihrer koordinierenden oder regulierenden Funktion auch einen Informationsvorsprung gegenüber einzelnen Nationalstaaten verfügen und nicht zuletzt die Eigendynamik des Spill-over nutzen, um ihre Kompetenzen auszubauen. Die gegenläufige These des Neorealismus (u. a. Waltz 1979) – in seiner Fortführung: des Intergouvernementalismus (insbes. Moravcsik 1998) 62 ERSTE INTEGRATION UND TRANSNATIONALE KOOPERATIONEN – betonte, dass zwischenstaatliche Kooperationen und die damit einhergehende Gründung internationaler Organisationen letztlich von nationalstaatlichen Entscheidungen und den dahinterliegenden Interessen abhingen. Es sind also Nationalstaaten bzw. deren Entscheider, die über die Existenz und Legitimität trans- und supranationaler Institutionen befinden, und zwar in Abhängigkeit der Überlegung, ob jene Institutionen nationalstaatliche Sicherheiten erhöhen bzw. individuelle Transaktionskosten senken können. In den Anfängen der Europäischen Gemeinschaften schienen sich zunächst die Thesen der Neofunktionalisten zu bestätigen, gerade auch unter Berufung auf eine europäische Integration in F&E in den Bereichen Kohle, Stahl und nuklearer Technologien. Dem funktionalen Integrationsgedanken, der hohe Energiebedarf von Europas wieder erstarkenden Industrien könnte durch die gemeinsame Entwicklung neuer Energietechnologien kompensiert werden, wurde scheinbar Rechnung getragen. Die politische Antwort auf diesen Bedarf ging in die F&T-Förderprogramme der im Jahre 1952 in Kraft getretenen Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und insbesondere der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG/Euratom) aus dem Jahre 1957 ein. Die Rahmenprogramme unter dem Euratom-Vertrag ermöglichten dabei kleineren bzw. ökonomisch und wissenschaftlich schwächeren Staaten, wie Belgien, Italien und den Niederlanden, eine Beteiligung an F&E-Maßnahmen, deren Kosten sie alleine nicht hätten tragen können (Guzzetti 1995, S. 9ff.).3 Auch versprachen sich die Mitglieder der neuen Europäischen Gemeinschaften von diesen Programmen, zukünftig nicht mehr auf Importe energierelevanter Rohstoffe angewiesen sein zu müssen (Haas 1958, S. 298). Damit nicht genug, sahen einige nationale Regierungsvertreter in der gemeinschaftlichen Erzeugung und Kontrolle von Energieressourcen einen Schlüssel für die politische Stabilität in Europa (Krige und Guzzetti 1997), denn verwoben in gegenseitige Abhängigkeiten würde kein Staat fähig sein, gegenüber den anderen als Aggressor aufzutreten. Von diesem mithin friedenspolitischen Kalkül, dass »scientific co-operation could make a contribution both to reconstruction and to uniting the continent« (Guzzetti 1995, S. 2), formierten sich im Europarat4 Interessenkoalitionen aus prominenten Wissenschaftlern – zumeist Physikern – und Anhängern einer pan-europäisch föderalstaatlichen Idee. Insbesondere die institutionelle Architektur der Euratom-Gemeinschaft wurde als sicherheitspolitisches Kontrollinstrument angesehen, bspw. als 3 Luxemburg hatte von vornherein aufgrund seiner zu geringen Größe kein originäres Interesse einer operativen Beteiligung an Euratom-Forschung. 4 Majone (2005) zufolge wird die Rolle des Europarates als ideengebendes Forum unterschätzt. 63 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK Deutschland Interesse bekundete, der North Atlantic Treaty Organization (NATO) beizutreten (Dinan 2014, S. 71). Denn der Euratom-Vertrag verpflichtete Deutschland auf die zivile Nutzung von Kernkraft, für deren Entwicklung F&E-Maßnahmen mit anderen Staaten ergriffen werden sollten (ebd.). Allgemein sicherheitspolitisch formuliert, sollte die Euratom-Gemeinschaft zu einer politischen Einheit der europäischen EG-Mitgliedstaaten gegenüber der bipolaren, nuklearen Bedrohung der Sowjetunion und der USA in Zeiten des Kalten Krieges führen (z. B. Misa und Schot 2005, S. 13). Die Realität der 1960er-Jahre allerdings nahm der Erklärungskraft des Neofunktionalismus schnell den Wind aus den Segeln.5 Zum einen wurde der anfangs rasch voranschreitende Integrationsprozess auf dem großen Tableau politischer Entscheidungen gestoppt, als der Plan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht realisiert werden konnte und Frankreich innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein Veto zur ersten Beitrittskandidatur Großbritanniens aus dem Jahre 1961 einlegte.6 Auch wurde der anfängliche Idealismus in der Etablierung der Euratom-Gemeinschaft und ihrer supranational verwalteten F&T-Förderprogrammen schnell gedämpft. In einer neorealistischen bzw. intergovernementalistischen Lesart lassen sich die Gründe im mitgliedstaatlichen Widerstand gegenüber einer zu weitreichenden Delegation von Kompetenzen an die »Hohe Behörde« (seit dem Fusionsvertrag von 1967: die Kommission der Europäischen Gemeinschaften) finden. Denn diese wurde mit weitreichenden Kompetenzen (vgl. Art. 4 EAGVertrag) ausgestattet, die über eine Koordinierung und Zusatzfinanzierung von mitgliedstaatlicher F&E hinausgehen sollten: Die Hohe Behörde sollte eben nicht nur Doppelarbeiten durch eine Koordinierung 5 Dass der Neofunktionalismus durch die Stagnation von europäischen Integrationsschritten und schließlich der ersten großen Eurokrise an Erklärungskraft verlor, war eines seiner Grundprobleme. Ein weiteres lag methodologisch bereits darin begründet, dass seine Kernthese des Spill-over innerhalb eines kritisch-rationalistischen Wissenschaftsverständnisses kaum falsifizierbar sein konnte (vgl. Wolf 2005, S. 77–80), insbesondere deshalb nicht, weil zentrale Vertreter der Denkschule mit pro-europäischen Eliten auf der höchsten Entscheidungsebene kooperierten (White 2003; vgl. Adler-Nissen und Kropp 2015, S. 164). 6 Neben Großbritannien ersuchten auch Irland und Dänemark im selben Jahr Teil der EWG zu werden, im Jahr 1962 beantragte Norwegen seine Mitgliedschaft. Im April 1965 unterzeichneten die EG-Mitgliedstaaten den Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (»Fusionsvertrag«). In diesem wurden die Exekutivorgane der drei Verträge (EGKS, Euratom und EWG) zusammengelegt. Die Ratifikation erfolgte zwei Jahre später, im Jahr 1967. In diesem Jahr stellten auch Großbritannien, Dänemark und Norwegen zum zweiten Mal ihren Antrag auf Aufnahme in die EWG, 1973 traten Irland, Großbritannien und Dänemark schließlich bei. 64 ERSTE INTEGRATION UND TRANSNATIONALE KOOPERATIONEN nationaler F&E vermeiden und Lücken in nationalen Forschungsprogrammen durch supranationale Förderung schließen, sondern auch alle für die Nuklearforschung relevanten, wissenschaftlich-technischen Maße und Geräte nach einem europäischen Standard normen; hierzu wurde die Gemeinsame Forschungsstelle (»Joint Research Center«; JRC) der Hohen Behörde in den Jahren 1958/59 eingerichtet. Für Regierungsmitglieder einzelner Nationalstaaten stellten diese Kompetenzen sehr bald einen Eingriff in nationale Hoheitsrechte dar. Die Reaktionen erfolgten schnell: »[W]ithin two short years [bis 1960, TF] the Community had completely changed its aims, from seeking to become the cornerstone of a new technological revolution […] to becoming a simple research agency« (Guzzetti 1995, S. 12; vgl. Walters und Haahr 2005, S. 311). Insbesondere Frankreich zeigte wenig Interesse an einer Zusammenarbeit, weil Euratom-geförderte und -koordinierte Forschung ausschließlich auf zivile Zwecke ausgerichtet war. In Anbetracht der USamerikanischen und sowjetischen Vormachtstellung in der atomaren Kriegsführung, »France was embarking on her own national military programme« (Layton 1969, S. 106). Zugleich nutzte das Land taktisch den Euratom-Vertrag, um andere EG-Staaten für die ausschließlich zivile Nutzung von Kernkrafttechnologien anzuhalten.7 Die Investitionsbereitschaft in supranational organisierte Kernforschung wurde aber insbesondere aufgrund der Zielvereinbarung geschmälert, die Forschungsergebnisse im Rahmen von Euratom allen EGMitgliedern zur Verfügung zu stellen (vgl. Art. 2 EAG-Vertrags). Dass dann auch noch einige europäische Staaten, wie Belgien und Italien, auf kostengünstigere Reaktortechniken der USA zurückgreifen wollten, dämpfte die Bereitschaft der anderen Mitglieder um ein Weiteres, die Atomgemeinschaft mit den – aus der Sicht einiger Mitgliedstaaten – hohen Geldsummen auszustatten, wie sie die Hohe Behörde veranschlagte. Die Mitglieder der EAG schienen augenscheinlich einer klaren KostenNutzen-Kalkulation zu folgen, die sich auf folgenden Nenner bringen lässt: Während die eigene, europäische Entwicklung von Reaktortechnologien bzgl. der dafür zu veranschlagenden Zeit und Finanzressourcen ungewiss ist, in jedem Fall aber für kleine Volkswirtschaften hohe Kosten birgt, können bereits ausgereifte US-amerikanische Reaktortechnologien zu finanzierbaren Preisen gekauft oder auf der Basis von US-Lizensierungen schneller Fortschritte in F&E erzielt werden. Solche Kalküle und nationale Alleingänge empörten wiederum Frankreichs Regierungsvertreter. Gleichzeitig misstrauten andere Staaten dem atomaren Enthusiasmus des Landes, das trotz der allmählich im Überfluss vorhandenen Ölimportkapazitäten und einer für den Energiebedarf ausreichenden 7 Dieses Verhalten erklärt sich vor dem Hintergrund des Scheiterns einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft aus dem Jahre 1954 (ebd.). 65 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK Kohleförderung zu günstigen Preisen an der Atomgemeinschaft festhielt; wenngleich mit schwankender Investitionsbereitschaft. Doch auch insgesamt wurde der Zusammenarbeit über die supranationalen Institutionen der EG misstraut, weil hinter den funktionalen Zielen eine versteckte Agenda vermutet wurde: »[T]he main objective was less to develop a rational strategy to meet the present and future energy needs of Europe than to drive forward the integration process […] However odd the idea of promoting European unity through nuclear energy may sound today, this was the real objective of Euratom.« (Majone 2005, S. 6) Dem Integrationsprozess wurde zunehmend eine Umkehrung von Mitteln und Zwecken unterstellt: Eine gemeinschaftliche Integration sollte nicht primär der Reduktion individueller Kosten bei der Energieproduktion dienen, sondern letztere als Mittel zum Zweck der Integration per se herhalten, oder wie es Desmond Dinan (2014, S. 75) umschreibt, marktintegrative Ideen wurden als »pie in the sky, further evidence of federalist fantasizing« abgetan. Genauer wurden pro-europäische Eliten nach dem Scheitern einer politikfeldübergreifenden, europäischen Föderation beargwöhnt, den Bereich gemeinsamer Nuklearenergieforschung gewählt zu haben, um supranationale Integration insgesamt voranzutreiben (Nau 1975, S. 624–630).8 Das Ansinnen jener Eliten nach einer Europäischen Föderation auch mithilfe von F&EMaßnahmen wurde also gebremst, möglich war nur noch eine klandestine »Integration by Stealth« (Majone 2005). Die Supranationalisierungsbestrebungen im Rahmen der EG wurden durch die USA und Großbritannien aus sicherheitspolitischen Gründen teils massiv gestört.9 Einerseits warben die USA um bi- und multilaterale Kooperationen innerhalb der Internationalen Atomenergiebehörde der 8 Andere mögliche Integrationssektoren, wie z. B. Verkehr, Zoll und konventionelle Energieerzeugung, schienen Henry Nau zufolge weitaus weniger Beachtung zu finden. 9 Bei aller Fokussierung auf die Formierung der Europäischen Gemeinschaften darf nicht vergessen werden, dass unmittelbar nach der »Stunde Null« und dem Scheitern der Konferenzen von Jalta und Potsdam der Kalte Krieg seinen Lauf nahm. Westeuropäische Staats- und Regierungschefs waren in dieser sich verschärfenden sicherheitspolitischen Situation mit verschiedenen, sich multilateral konstituierenden Institutionen konfrontiert. Die Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (später OECD), der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die geplante International Trade Organization sind allesamt Beispiele, in denen insbesondere die USA über eine wirtschaftliche Zusammenarbeit auch ein liberaldemokratisches Bündnis gegen die Sowjetunion zu schnüren versuchten. Intra-europäische Alleingänge über die Europäischen Gemeinschaften wurden in den USA daher auch als institutionelle Konkurrenz beargwöhnt (Dinan 2014, S. 24–48). Großbritanniens Position erschien hinsichtlich der Loyalität zu den USA einerseits und jener gegenüber den westeuropäischen Kontinentalstaaten ambivalent (ebd., S. 55–57). 66 ERSTE INTEGRATION UND TRANSNATIONALE KOOPERATIONEN Vereinten Nationen. Gemeinsam mit Großbritannien sollten die geplanten Euratom-Maßnahmen aber auch aus sicherheitspolitischen Gründen unterwandert werden. Als westliche Vorreiter in der Entwicklung von Kernenergietechnologien, verfolgten beide Staaten primär über die NATO den bi- bzw. trilateralen Ausbau von F&E-Partnerschaften mit europäischen Staaten, um sicherzustellen, dass sie Kernenergie ausschließlich für zivile Zwecke erzeugten und nutzten. Auf keinen Fall sollten Kapazitäten zur Entwicklung von Kernwaffen auf kontinentaleuropäischen Boden aufgebaut werden, die außerhalb der Kontrolle der USA lagen. Gleichzeitig wurde beabsichtigt, den kontinentaleuropäischen Markt sowohl für den Absatz von Kerntechnologien als auch von anderen Hochtechnologieprodukten offenzuhalten und weiter zu erschließen. Durch die abwehrende Reaktion Frankreichs auf die primär US-amerikanisch lancierten Störversuchen an Euratom bestand dann das Ziel der USA und Großbritanniens in einer konsequenten Schwächung von Euratom »into a harmless effort to develop nuclear power reactors« (Nieburg 1964, S. 143; zit. nach Nau 1975, S. 623). Die Politik Großbritanniens wies eine Doppelstrategie auf: Zum einen suchte sie weiterhin die Nähe zu den USA und versuchte die wirtschaftspolitischen Beziehungen zu seinen Commonwealth Staaten zu konsolidieren (Tomlinson 2003).10 Zum anderen sollte pro-europäischen Integrationszielen in nuklearer F&E mit Gegenmodellen in Form loser, nicht-supranationaler Kooperationsforen begegnet werden.11 Für einige EG-Staaten schienen die Investition und Teilnahme in Euratom-Maßnahmen nicht nur aus Kostengründen zunehmend unattraktiv zu werden. Denn zum einen war noch nicht einmal absehbar, ob sich Investitionen in gemeinschaftliche F&E hier überhaupt wirtschaftlich lohnen würden.12 Zum anderen schreckte die Absicht der Kommission 10 Jim Tomlinson argumentiert, dass Großbritanniens Entlassung seiner Kolonien in den 1960er-Jahren und die damit einhergehenden wirtschaftlichen und geostrategischen Einbußen das Land keineswegs zu einer stärkeren europäischen Hinwendung bewegte. 11 Als Beispiel führen Lucca Guzzetti (1995) und Henry Nau (1975, S. 625) die European Nuclear Energy Agency deshalb an, weil sie Teil der US-dominierten Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) war, welche eben nicht zur Ausarbeitung einer gemeinsamen Förderung von F&E dienen sollte, sondern »to influence the debate over the future external posture of a united nuclear Europe« (ebd.). 12 Es schien gerade nicht im Interesse einiger staatlicher Entscheidungsträger gelegen zu haben, den Energiebedarf der Euratom-Staaten beziffern zu können und mithin eine Legitimationsgrundlage für F&E-Maßnahmen von Kernspaltungsverfahren zu schaffen. Auch die damalige Hoffnung auf eine zähm- und nutzbare Kernfusion änderte nichts an diesem Kalkül (Nau 1975, S. 623). 67 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK ab, gemeinschaftliche Standards für jegliche zivile Kernkrafttechnologie einzuführen – man wollte sich nicht binden. In dieser ersten schlaglichtartigen Diskussion wurde veranschaulicht, dass die anfänglich sektorale Integration und die darauffolgende Stagnation supranationaler Forschung- und Entwicklungspolitik durch sicherheits- und wirtschaftspolitische Erwartungen einzelner nationalstaatlicher Eliten strukturiert wurden. Von den scheinbar funktionalen und großangelegten Integrationszielen, v. a. von einer gesamteuropäischen Energielösung durch Kerntechnologieentwicklung, rückte eine Reihe der Euratom-Mitglieder schnell ab. Stattdessen konzentrierten sich Staaten wie Frankreich und Deutschland auf den Auf- und Ausbau eigener Kapazitäten. Ihre Kooperationspräferenzen richteten sich nach außensicherheitspolitischen bzw. wirtschaftspolitischen Präferenzen, so die neorealistische und intergovernementalistische Lesart. Der erste Integrationsversuch supranational organisierter F&E verkümmerte somit zu einem »à la carte dinner« (Guzzetti 1995, S. 15) loser F&E-Maßnahmen: Je nach Bedarf der einzelnen EG-Mitglieder wurde ein wenig zusammen geforscht und entwickelt. Erst mit dem Aufbau des ersten europäischen Kernfusionsreaktors im Jahre 1973, dem Joint European Torus (JET) im britischen Culham, konnte die europäische Integration von F&E-Maßnahmen zumindest kurzfristig wieder an Relevanz gewinnen (Borrás 2000). 4.2 Lineare Innovation und fragmentierte Planung europäischer Forschung Jenseits der macht- und nutzenzentrierten Perspektive auf die ersten Integrationsversuche von bzw. durch gemeinschaftliche F&E lohnt ein Blick auf die politischen Erwartungen an wissenschaftlich-technologische Entwicklungen dieser Zeit. Die 1950er- und 1960er-Jahre werden als eine ära der politischen Planungseuphorie beschrieben, was sich u. a. in den soziokybernetischen bzw. systemtheoretischen Modellen dieser Zeit widerspiegelt (Easton 1953; 1965; Parsons 1969; vgl. Luhmann 1994). Diese Planungseuphorie wurde ebenfalls für den Bereich der Wissenschaft und ihrer technologischen Entwicklungsmöglichkeiten beobachtet, insbesondere hinsichtlich des Auf- und Ausbaus von Großforschungseinrichtungen (u. a. Weinberg 1961; de Solla Price 1974; Kevles 1977; vgl. Hermann et al. 1987).13 13 Nicht nur in der Größe dieser i. d. R. außeruniversitären und auf spezifische Ziele ausgerichteten Einrichtungen sind die wissenschaftspolitischen Erwartungen dieser Zeit symbolisch verkörpert, sondern auch in der damit einhergehenden neuen Organisation wissenschaftlichen Arbeitens: Durch »Big Science« wurde 68 INNOVATION UND FRAGMENTIERTE PLANUNG EUROPäISCHER FORSCHUNG In der F&T-Politik stabilisierte sich bis in die 1990er-Jahre eine Denkfigur ›linearer Innovation‹, die im F&T-Diskurs der 1950er eingeführt worden war und zuvorderst in nationaler Forschungsplanung der 1960er-Jahre großen Anklang fand (Godin 2006a; 2006b). Das »linear model of innovation« (LMI) geht von einer sequentiellen Abfolge distinkter Phasen oder Schritte innerhalb eines Innovationsprozesses aus: 1. Grundlagenforschung (»basic/fundamental research«), 2. angewandte bzw. anwendungsorientierte Forschung (»applied/application-oriented research«), 3. Entwicklung (»development«), 4. Produktion und Diffusion (z. B. Godin 2006b, S. 639). Im Zuge seiner Entwicklung wurde das Modell um weitere Phasen, Feedback-Schleifen und dergleichen modifiziert, entscheidend für die politische Affirmation des LMI ist jedoch das ihm zugrundeliegende, sozialkonstitutive Narrativ: Aller Kritik an der unpräzisen Modellierung linearer Innovation (Rosenberg 1991, S. 335; Freeman 1995; Fagerberg 2005, S. 8–10; Mirowski 2011, S. 47; Balconi et al. 2010) zum Trotz, erscheinen Vorstellungen über lineare Innovation so erfolgreich, weil mit dem LMI eine Geschichte rationaler Planbarkeit von komplexen Prozessen erzählt werden konnte. Das LMI gab so nach dem Zweiten Weltkrieg eine Antwort auf die Frage, wie sozioökonomische Stabilität erreicht werden könne, und hierbei wurden sozialidentitäre Positionen und Rollen (vgl. Somers 1994) klar verteilt. Die Metapher des Gesellschaftsvertrags zwischen Wissenschaft und Gesellschaft konnte somit durch das LMI in ausdifferenzierter Weise fortgeschrieben werden (Flink und Kaldewey 2016).14 Im Hinblick auf die Ausgestaltung europäischer F&T-Politik wurde die Vorstellung linearer Innovation gewissermaßen als Integral auf das Verhältnis nationaler und supranationaler F&E-Politik appliziert. In Teilen der Europapolitik entwickelten sich zwei mögliche Szenarien. wissenschaftliche Forschung von teils über Tausenden Mitarbeitern an einem Standort rings um eine Großforschungsinfrastruktur betrieben, wobei die Aufgaben und Funktionen jedes einzelnen Technikers, Ingenieurs oder Wissenschaftlers bzw. derer Abteilungen funktional parzelliert, für Außenstehende aber obskur gehalten waren (Capshew und Rader 1992, S. 4). Für diese Art der großskalierten, kostenintensiven und funktional differenzierten Wissensproduktion rund um eine »Big Machine« (Jungk 1968) drängte sich die Analogie zu einem industriellen Fordismus geradezu auf (Toulmin 1964, S. 358; Hevly 1992, S. 357). 14 Das »lineare Innovationsmodell« wurde maßgeblich in den Wirtschaftswissenschaften infolge einer Reihe von Auftragsstudien entwickelt. ähnlich wie der Nachkriegsdiskurs um Technologietransfermaßnahmen (u. a. Shane 2004, S. 45– 48; Mowery und Sampat 2001) ging mit ihm die Kritik einher, dass die Bedeutung wissenschaftlicher Grundlagenforschung überschätzt worden sei. Der Begriff der Grundlagenforschung wird jedoch in der sprachlichen Sequenz zuerst genannt, somit erhöht das Modell paradoxerweise den Aspekt, den es in seiner Bedeutung zu schmälern versuchte (Flink und Kaldewey 2016). 69 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK 1. Grundlagenforschung sollte trans- und supranational gefördert und betrieben werden, so dass das hieraus verfügbare Wissen in den Nationalstaaten – je nach Bedarf – in Form angewandter Forschung, Entwicklung und Markteinführung weiterentwickelt werden könnte. Hinter dieser Vorstellung stand sowohl ein Fairness- als auch ein Effizienzargument: Wissen sollte für jedermann verfügbar sein, was der einzelne darauf machen würde, sei dann aber eben bedarfsorientiert zu klären. 2. Grundlagenforschung sollte Sache der Nationalstaaten bleiben, während die supranationale Gemeinschaftsebene eben diese Erkenntnisse für den Bereich der anwendungsorientierten F&E koordinieren und gegebenenfalls ergänzen dürfe. Für die supranationale Forschungsförderung unter dem Euratom-Vertrag sollten sich beide, aber insbesondere die erste Annahme als unrealistisch erweisen (Mitzner 2013, S. 124, 166; vgl. Weilemann 1983). Denn zum einen folgte dem anfänglichen Enthusiasmus über die scheinbar unendlichen Möglichkeiten kernphysikalischer Forschung und deren aussichtsreichen Ergebnissen15 (vgl. Galison und Hevly 1992) eine politische Ernüchterung. Zunächst mussten grundsätzliche physikalische Fragestellungen beantwortet werden, wohingegen die Wissenschaft Hoffnungen auf schnell prototypisierbare und kommerzialisierbare Reaktoren, v. a. im Bereich der Kernfusion, nicht erfüllen konnte (Guzzetti 1995, S. 18–20; Barry und Walters 2003, S. 310–311). Zum anderen bestand darüber hinaus das Problem, dass politische Entscheidungsträger die Komplexität wissenschaftlichen Wissens nicht adäquat erfassen und in Entscheidungshandeln umsetzen konnten (vgl. Bishop 1974): Faktisch war auf nahezu keiner politischen Entscheidungsebene der einzelnen Mitgliedstaaten Expertise vorhanden, um Einschätzungen über mögliche, wissenschaftliche und technologische Fortschritte abgeben zu können; weder in fachwissenschaftlicher noch in allgemein forschungspolitischer Hinsicht (Haas 1976). Im Bereich der Kernenergieforschung mussten sich politische Entscheidungsträger in Europa auf das Fachwissen einiger weniger, v. a. US-amerikanischer und britischer Kernphysiker verlassen; ihnen wird ein erheblicher Einfluss auf die Frage der organisationalen Ausgestaltung von supra- und transnationalen Forschungs(förder)einrichtungen beigemessen (Nau 1975, S. 623). So existierten in den EG-Mitgliedstaaten bis in die 1960er-Jahre hinein gerade einmal drei Ministerien, die für Wissenschaft im Allgemeinen bzw. für F&T-Förderung und deren Regulierung im Speziellen zuständig waren. Die fragmentierte Organisation wissenschaftlicher Wissensgenerierung zu dieser Zeit – gerade dies illustrierte eben die komplexe Arbeitsorganisation von Großforschungseinrichtungen selbst – war 15 In den EG-Mitgliedsländern war man überzeugt, den gesamten Energiebedarf durch wissenschaftlich technische Fortschritte in der Nukleartechnologie binnen kürzester Zeit decken zu können. 70 INNOVATION UND FRAGMENTIERTE PLANUNG EUROPäISCHER FORSCHUNG der politischen Entscheidungsfindung zum Ausbau supranationaler Forschungsförderung nicht zuträglich gewesen (Haas 1976, S. 180). Das damals primär aus der Physik für nützlich erachtete Wissen ließ sich kaum in jene Gewissheiten transformieren, die politische Entscheider zur Implementierung von Policies gebrauchen konnten. Entsprechend war es auch kaum möglich zu begründen, dass wissenschaftliche Antworten auf gesamteuropäische Probleme am besten durch supranationale Organisationsmodelle gegeben werden. Eine Stagnation supranationaler Integrationsbestrebungen erklärte sich aus einer »partial aggregation of issues and efforts, followed by decentralization and disaggregation« (ebd., S. 185). Politische Entscheidungen seien von einem Modus der »fragmented issue linkage« geprägt gewesen, »when the participants find that they are unable to master the multiple causal links among their various objectives and activities« (ebd.).16 Die unüberwindbar wirkenden Hürden für eine supranationale Integration wurden daraus erklärt, dass einzelne Mitgliedstaaten die von der Kommission identifizierten Forschungsthemen im Kontext ihrer eigenen Sicherheits-, Energie- und Wirtschaftspolitiken für unterschiedlich relevant hielten. Diese waren – wie gesagt – aber auch kaum in der Lage, den möglichen Mehrwert supranational organisierter Forschung als Integral zu betrachten: Nationalstaatliche Politik war stark ressortorganisiert. Somit wurden hauptsächlich ressortspezifische und unmittelbar drängende Themen fokussiert, wie sie etwa durch die Studierenden- und Bürgerrechtsbewegungen Mitte der 1960er-Jahre aufgeworfen worden waren. Nicht mehr nur wirtschaftliche Wachstums- und Energiefragen standen im Vordergrund, sondern zunehmend auch Fragen über das Wohl und die Gesundheit und das Umweltverhalten der Bürger. Die Wahrscheinlichkeit, dass nationalstaatliche Souveränität an die höhere Ebene der Europäischen Gemeinschaften in F&E delegiert würde, verringerte sich auch hierdurch, da diese Entwicklungen individuelle Handlungskapazitäten auf den nationalen Entscheidungsebenen absorbierten. Es fehlte an einer Denkweise, die Wissenschaft und Technologie querschnittlich zu allen anderen Politikfeldern konzipierte (Nau 1975, S. 630–631). Genau diese querschnittliche Denkweise forderte jedoch nicht die Kommission ein, sondern die OECD (Brooks 1971), die bereits in den 1960er-Jahren eine Deutungshoheit im Hinblick auf F&T-politische Fragen entwickelte (Haas 1976, S. 200; Godin 2002b). Diese transnationale Organisation konnte aus ihrer wirtschaftspolitischen Expertise 16 Die Forderungen des Autors – von 1976 – nach einem »novel type of scientific and technological knowledge […] before this knowledge was featured in policy making« (ebd., S. 209) ähneln den heutigen nach einer inter- und transdisziplinären oder gar einer sozial-robusten Produktion von Wissen (vgl. Nowotny 2003). 71 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK schöpfen, um ein damals vergleichsweise hochentwickeltes Leistungsmessungssystem im Bereich F&T zu entwickeln (Godin 2002a, S. 11ff., 2006b, S. 648–650). Die in einer relativ leicht verständlichen Sprache gehaltenen, nationalen Innovationssystemvergleiche schienen v. a. nationales Konkurrenzdenken zu bestärken.17 Hierdurch verschlechterten sich die Integrationschancen auf eine gemeinschaftliche und jenseits der ursprünglich energie- und wirtschaftspolitisch ausgerichteten F&E. Dies heißt jedoch nicht, dass zwischenstaatliche Kooperationen in F&E nicht etabliert wurden. Im Gegenteil: Im folgenden Kapitel wird sich zeigen, dass eine Reihe von transnationalen Organisationsformen der Forschung und Forschungsförderung hervorgebracht wurden, auch im Bereich dessen, was als Grundlagenforschung angesehen wurde. Man könnte sogar so weit gehen, zu behaupten, dass diese transnationalen Kooperationen zum Teil eine ausweichende Reaktion auf supranationale Integrationsversuche darstellten. 4.3 Transnationale Forschung Anfang der 1960er-Jahre zeichneten sich sehr schnell Symptome einer Krise supranationaler Integration in F&E ab. Bis zur ersten Hälfte der 1970er-Jahre entfalteten sich diese Symptome hin zu einer großen Krise europäischer Integration (siehe auch Edler 2000). Zu den bereits diskutierten Gründen muss hinzugefügt werden, dass nationale F&E-Systeme in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 20 Jahre Zeit für ihre Reetablierung hatten und damit teils massiv ihre Forschungs- und Entwicklungsleistungen ankurbeln und dafür zuständige Institutionen einrichten konnten.18 Insbesondere Deutschland, Frankreich und Großbritannien investierten als wirtschaftlich stärkste Staaten in den Auf- und Ausbau nationaler F&E, entwickelten je ihre eigenen wissenschaftspolitischen Institutionen und versuchten nationalbasierte Industrien durch 17 Dies bedeutet nicht, dass die damals angewandten Schätztechniken der OECD als reliabel gelten konnten. Zum Beispiel extrapolierte die OECD anhand nur eines britischen Kernreaktors die notwendige Energieversorgung durch Kernreaktoren für ganz Europa (Guzzetti 1995). 18 Die Entwicklungspfade sind v. a. in der Forschung um National Innovation Systems (NIS) dokumentiert worden, in der die systemische Bezugnahme aller privatwirtschaftlichen und öffentlichen Akteure mit ihren Innovationsleistungen und -funktionen (einschließlich im Bildungssektor) analysiert werden. Zunächst fokussierte die NIS-Forschung auf Produktions- und Diffusionsfaktoren von Technologien im privatwirtschaftlichen Bereich (Freeman 1995), und erst allmählich wurden alle Institutionen der Wissenschaft und Bildung in die Untersuchungen einbezogen (Lundvall 1992). 72 TRANSNATIONALE FORSCHUNG öffentliche Beihilfen zur Hochtechnologieentwicklung zu modernisieren (Nau 1975, S. 630ff.; Edler 2000, S. 84ff.). Parallel zu diesen nationalen Modernisierungsschüben wurde eine Reihe transnationaler Kooperationsformen in F&E entwickelt, die sich, von einigen Ausnahmen abgesehen, in ihrer Forschungsprogrammatik und Organisationslogik ähnelten. Im Hinblick auf eine funktionale Aufteilung von Forschungs- und Förderkompetenzen entlang der Vorstellung linearer Innovationsprozesse realisierten diese transnationalen Organisationen also das, was der suprationalen F&T-Förderung der EG weitestgehend versagt geblieben war: Grundlagenforschung war hier geradezu erwünscht, in der Hoffnung, dass diese dann in den einzelnen Nationalstaaten unmittelbar in anwendungsorientierter Forschung und schließlich in einen marktlichen bzw. gesellschaftlichen Nutzen überführt werden könnte. Nuklear& Teilchenphysik Space & Astrophysik ELDO (1962) 6 Staaten CERN (1954) 12 Staaten ESRO (1962) 10 Staaten ILL (1954) 12 Staaten ESA (1975) 10 Staaten Airbus (1970) 3 Staaten Molekulare Biologie ESO (1962) 5 Staaten Forschungsförderung EMBO (1954) 10 Staaten ESF (1974) 42Org 15 Staaten COST (1971) 19 Staaten EMBL (1974) 10 Staaten Abbildung 3: Auswahl transnationaler Kooperationen (1950–1970er) 73 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK Charakteristisch für diese transnationalen Organisationen war bzw. – insofern sie noch bestehen – ist: 1. ihre primär wissenschaftliche Ausrichtung, d. h. ihre Gründungsintentionen lagen oft nicht in der direkten Entwicklung von wirtschaftlich verwertbaren Technologien (Ausnahme: »Airbus Industries«). 2. die Kooperationen sind fast ausschließlich durch öffentliche Direktinvestitionen entstanden; 3. sie folgten – zumindest offiziell – keinen militärischen Zwecken. 4. Sie sind – mit Ausnahme der »European Molecular Biology Organization« (EMBO) und ihrem Labor EMBL – der Großforschung zuzurechnen oder standen mit Großforschungsprojekten in direkter Verbindung (vgl. Borrás 2000). 5. Es wurden sowohl transnationale Forschungskooperationen als auch Forschungsfördereinrichtungen etabliert. Bezogen auf die Forschungskooperationen muss wiederum zwischen On-site-Forschungseinrichtungen und einer Verbundforschungsform unterschieden werden: So werden mit dem ursprünglich neben Euratom ratifizierten »Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire« (CERN) aus dem Jahre 1954 die Großforschungseinrichtung und ihr Teilchenbeschleuniger assoziiert, an denen physikalische Grundlagenforschung zum Aufbau der Materie betrieben wird.19 Die »Coopération européenne dans le domaine de la recherche scientifique et technique« (COST) fördert transnationale Forschungskooperationen, die von den Mitgliedstaaten in variabler Geometrie, also nach individuellen Interessen, bestimmt werden können. Die »European Science Foundation« (ESF) lässt sich – zumindest in ihrem Gründungsgedanken – als transnational konstituierte Forschungsförderorganisation für Grundlagenforschungsprojekte charakterisieren. Die variierende Mitgliederbeteiligung an den transnationalen Kooperations- und Organisationsformen, teilweise auch außereuropäischer Staaten, verrät bereits, weshalb diese Art der Organisationen im Betrachtungszeitraum bevorzugt wurde: Staaten konnten sich auf der Grundlage individueller internationaler Verträge an themenspezifischen oder -offenen, transnationalen Vorhaben beteiligen und – zumindest prinzipiell – leichter aus diesen Verträgen austreten, als dies für die supranationalen EGKS- und Euratom-Verträge der Fall war. 19 ähnliche Organisationsformen treffen für EMBO und EMBL mit Hauptsitz jeweils in Heidelberg zu. Die Europäische Weltraumorganisation ESA, als Nachfolgeorganisation der europäischen European Launcher Development Organization, der European Space Research Organisation (ESRO) und der Europäischen Fernmeldesatelliten-Konferenz (CETS), lässt sich aufgrund ihrer unterschiedlich gelagerten Tätigkeitsbereiche nicht ohne Weiteres als ausschließlich eigenständige Forschungs- und Entwicklungsorganisation oder als reine Förderorganisation einordnen. 74 DIE KRISE SUPRANATIONALER INTEGRATION 4.4 Die Krise supranationaler Integration Um die supranationale Integrationskrise mit Blick auf Forschung und Technologie deuten zu können, ist es sinnvoll, die politische Debatte im Zeichen der so genannten »Technologischen Lücke« heranzuziehen (Mitzner 2013, S. 54–57; Grande 2001). Zwar konnten einzelne europäische Staaten in bestimmten Wissenschaftsbereichen Fortschritte in spezifischen Wissenschaftsbereichen vorweisen und prestigeträchtige transnationale Wissenschaftskooperationen und deren Organisationsformen aufgebaut werden, die wie CERN und EMBO i. d. R. der Grundlagenforschung zugerechnet werden. Allerdings schien Europa zunehmend auf US-amerikanische Technologien angewiesen zu sein und konnte im Gegenzug kaum wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen exportieren – so zumindest die damals dominante Wahrnehmung. Genau dies führte zu einer anhaltenden Kritik, die Ende der 1960er-Jahre reißerische Züge annahm, wie es der folgende Auszug aus Jean-Jacques Servan Schreibers (1968) Buch The American Challenge veranschaulicht: »This war – and it is a war – is being fought not with dollars, or oil, or steel, or even with modern machines. It is being fought with creative imagination and organizational talent. […] General Motors, after all, isn’t the Wehrmacht. The fight for the ownership of Machines Bull isn’t Munich […] This is the first full-scale war to be fought without arms or armor.« (ebd., S. xiii-xiv) In einem weiteren und neutraler verfassten Bericht wurde berechnet, dass die USA im Vergleich zu den westeuropäischen Staaten viermal so hohe Investitionen in Forschungsmaßnahmen tätigten, dies aber v. a. im Bereich der angewandten Forschung und Produktentwicklung (Lloyd Spencer 1970, S. 23). Europas Stärken lägen zwar in der universitären Grundlagenforschung, allerdings müsste der strikten Trennung von universitärer Forschung und industrieller Anwendung und Beratung sowie von ziviler und militärischer Forschung beigekommen werden, da sie technische Inventionen hemmten (ebd., S. 11, 24). Als ein weiteres ernsthaftes Problem wurde die Abwanderung von Wissenschaftlern westlicher Staaten in die USA dargestellt (ebd., S. 74). Die Debatte um eine »Technologische Lücke« hat ihren Ursprung im »Sputnik-Schock« von 1957 (Peter 2013, S. 23–24). Dass die Sowjetunion den ersten Weltraumsatelliten erfolgreich ins All schießen konnte, mag die USA dazu bewogen haben, über den wissenschaftlichen Rat der NATO Einfluss auf westeuropäische Staaten zu nehmen und zu einer verstärkten Zusammenarbeit in allen naturwissenschaftlichen Belangen gegen die Sowjetunion aufzurufen (Krige 2000, S. 90–97). Zunächst haben europäische Staaten, auch angesichts einer drohenden sowjetischen Übermacht, mit den USA in F&T kooperiert. Allerdings konnte dieses 75 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK Ereignis Ende der 1950er-Jahre nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wissenschaftlich-technologisch erzeugten Produkte und Dienstleistungen aus den USA auf dem europäischen Kontinent einen reißenden Absatz fanden. Die Debatte um die »Technologische Lücke« fiel zudem in eine Zeit, in der die US-amerikanische Interventionspolitik in Vietnam und im Mittleren Osten kritisiert wurde (Nau 1975, S. 631): »Driven by commercial as well as political considerations, these actors initiated a number of collective R&D endeavors to counter the American Challenge.« Roger Heller und Norris Willatt (1975) schrieben gar ein Buch über einen europäischen Rachefeldzug in F&E, Simon Ramo (1980) später dann über Amerikas »Technology Slip«. All diesen Schriften ist gemein, dass sie einerseits die USA als Leitbild technologischen Fortschritts bewunderten und andererseits geostrategisch ein Feindbild konstruierten, auf das mit Abgrenzung und Selbstmobilisierung reagiert werden sollte.20 Um gegenüber dem globalpolitischen Konkurrenten eben konkurrenzfähig zu werden, sollten Ressourcen geteilt werden, um wissenschaftliche Kosten zu sparen und kritische Masse und schließlich Skaleneffekte erzeugen zu können (z. B. Fagerberg 1987, S. 89–90). Aber waren deshalb nicht supranationale Institutionen vorzuziehen als transnationale Unternehmungen? Vor dem Hintergrund dieser Frage sahen die Anhänger eines föderalistischen Europas abermals die Chance einer Relevanzbegründung von supranational organisierter F&T-Politik. Argumentiert wurde, dass supranational organisierte Forschung in Hochtechnologiebereichen für alle Beteiligten ressourcenschonend sei, supranationale Koordinierung aber auch als Frühwarnsystem fungieren könne, um Überlappungen bzw. Dopplungen in F&E zu verhindern. Zweitens sollten dringend notwendige Projekte aus einem gemeinsamen Etat der EG gefördert werden. Hierzu wurde die Arbeitsgruppe »Politique de la Recherche Scientifique et Technologique« (PREST) als Teil des seit 1964 bestehenden Ausschusses für mittelfristige Wirtschaftspolitik eingerichtet. PREST adressierte lediglich Mitglieder der EWG und sollte Projektinitiativen in F&E mit einem Budget von umgerechnet rund dreißig Millionen Dollar fördern.21 20 Interessanterweise löste der Sputnik-Schock in den USA eine recht ähnliche Diskussion aus, die insbesondere auf den Begriff der Exzellenz abstellte und der amerikanischen Gesellschaft eine Leistungsmobilisierung verschrieb, um der gesamtgesellschaftlichen Mittelmäßigkeit beizukommen (Peter 2013, S. 23). 21 An die 47 wissenschaftlichen Projektvorschläge wurden in dieser Zeit gesammelt und begutachtet, 17 davon sollten gefördert werden. Unterstützung fand z. B. der Projektvorschlag, ein gemeinsames europäisches Datenverarbeitungssystem zu entwickeln. Die dafür notwendigen Bauelemente sollten nicht aus den USA importiert, sondern durch Aufträge an europäische Firmen neu entwickelt werden. Laut Resümee des ehemaligen PREST-Vorsitzenden Pierre Aigrain hätte das Projekt eine Entwicklungszeit von rund zehn Jahren benötigt (Aked und Gummett 1976, 76 DIE KRISE SUPRANATIONALER INTEGRATION Das Engagement der PREST-Gruppe wurde allerdings bereits mit dem Beitritt Großbritanniens in die EWG infrage gestellt. Das Land torpedierte die Arbeitsgruppe bei ihrer Suche nach aussichtsreichen – also ökonomisch verwertbaren – F&E-Bereichen, die durch die EG gefördert werden sollten.22 Auch Frankreich, das gegen die USA zu einem gesamteuropäischen Hightech-Protektionismus anstimmte, votierte mit Bezug auf die durch PREST selektierten Projekte zur Entwicklung neuer Technologien jedoch für eine andere Gangart: Das Ziel der supranationalen F&T-Förderung müsse darin liegen, Hightech-Produkte zu entwickeln, die bereits auf nationalen wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauen; in diesem Falle also französischen. Supranationale Forschungsförderung müsse Entwicklungseinrichtungen finanzieren, wenn hierdurch Tests zur industriellen Skalierbarkeit durchgeführt werden. Politiker in Deutschland wiederum wehrten sich gegen einen Anti-Amerikanismus, der als Argument für europäische Supranationalisierungsbestrebungen herhalten sollte. Nur solange eine EG-finanzierte F&E sich auf jene Bereiche konzentrierte, die die Interessen großer deutscher Energieunternehmen im Nuklearenergiebereich nicht beeinträchtigte, d. h. also Grundlagenforschung und bürgerorientierte Risikofolgenabschätzung in der Gemeinsamen Forschungsstelle der EG betrieben würde, bestanden wenig Einwände gegenüber einer gemeinschaftlich finanzierten F&E – aber eben auch nur wenig Interesse (Nau 1975, S. 634ff.). In Folge der institutionellen Unklarheiten und der daraus resultierenden Zerwürfnisse rund um PREST sollten organisationale Kompetenzen von Gemeinschaftsorganen im Bereich F&E vertraglich ausdefiniert werden. Deshalb stellte die Kommission die erste ambitionierte Mandatsanfrage an den Rat, »to recognize that the Community’s powers extended to all fields of scientific research and technological development and grant it suitable resources« und »the Community would have to decide what proportion of its own resources should progressively be allocated to activities of this kind« (Commission 1970). Nach dem entsprechenden Prüfauftrag des Rates gelang es der Kommission, in Vorbereitung auf den Pariser Ministerratsgipfel (1972) eine umfassende Stellungnahme über die Ziele und Instrumente einer gemeinschaftlichen Politik für wissenschaftliche Forschung und technologische Entwicklung zu verfassen. Gerade hierbei zeigte sich aber die schwache und bisweilen S. 275–276), viel zu lange also, nicht zuletzt um politische Wahlkämpfe zu überstehen. 22 Noch zuvor, im Jahr 1966, rief der britische Premierminister Harold Wilson zur Gründung einer Europäischen Technologiegemeinschaft auf, um der US-amerikanischen Bedrohung einer technologischen Vorherrschaft zu begegnen (zit. nach Nau 1975, S. 635). Harold Wilsons anti-amerikanisches Plädoyer wird als Taktieren bewertet, da es einzig die britischen Bemühungen um einen EG-Beitritt unterstützen sollte. 77 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK institutionell unklare Rolle von PREST. Zwar hatte die Arbeitsgruppe das Mandat erhalten, neue Kooperationsfelder im Bereich F&T zu definieren, jedoch durfte sie keine inhaltlichen (wissenschaftlich-technologischen) bzw. administrativen Details möglicher Kooperationen ausarbeiten. Zudem blieb unklar, ob ihre Empfehlungen überhaupt an den Europäischen Rat übermittelt werden dürften.23 Die zentrale Frage war, ob sich die Vertreter der Mitgliedstaaten den Plan einer umfassenden Ausgestaltung gemeinschaftlicher F&T-Politik gefallen lassen würden. Gegenüber den Mitgliedstaaten (Nau 1975; vgl. Edler 2000) wurde auf dem Pariser Ministerratsgipfel festgelegt, bis zum 1. Januar 1974 eine gemeinschaftliche Politik für die gesamte Bandbreite F&T-relevanter Themen zu beschließen. Zu dieser Ausarbeitung sollte es jedoch nicht kommen, v. a. nicht in Anbetracht der in der Kommissionsmitteilung verfassten Ziele, »to facilitate the alignment and harmonization of the Member States‘ national and international R&D policies« (Commission of the European Communities 1972, S. 33) und eine durch Gemeinschaftsmittel finanzierte European Science Foundation (ebd., S. 34-35). Insbesondere der Vorschlag, die Forschungspolitiken der Mitgliedstaaten auf Linie zu bringen und zu harmonisieren, wurde als starker Eingriff in nationale Hoheitsrechte gewertet und im Europäischen Rat barsch abgelehnt (vgl. Darmon 1996). Bereits 1973, ein Jahr später also, leitete Ralf Dahrendorf als Kommissar für »Forschung, Wissenschaft und Ausbildung« eine andere Strategie in der europäischen Forschungspolitik ein, welche das Verhältnis von EWG-Mitgliedstaaten und der Kommission grundsätzlich neu justieren sollte. Sein primäres Ziel lag weniger in der Ausweitung der Gemeinschaftskompetenz in F&E. Dahrendorf schlug sanftere Töne an: Aus der ehemaligen Bestrebung der Kommission, nationale Politiken zu harmonisieren, wurde nun eine institutionelle Koordinierung nationaler F&TPolitiken. Dabei reüssierte sein Vorschlag zwar, ein hochrangiges Gremium aus Regierungs- und Kommissionsvertretern einzurichten, welches sowohl der Kommission als auch dem Rat institutionell unterstand. Das »Comité pour la recherche scientifique et technique« (CREST) wurde durch ein Ratssekretariat unterstützt und je zwei Vertreter konnten pro Mitgliedstaat in die Gruppe entsandt werden, während die Kommission den Vorsitz des Ausschusses innehatte. Letztendlich kann dieser Ausschuss jedoch als Schlussakt einer in den 1970er-Jahren gescheiterten Integration von F&E-Politik betrachtet werden: »Mehrjährige konsistente Planung war praktisch nicht möglich und für jede spezifische Aktion 23 So insistierte der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten, dass jegliche Vorschläge der Arbeitsgruppe zunächst an seine eigenen Arbeitsgruppen geschickt werden müssten, denn die Kommission habe gemäß der Gemeinschaftsverträge kein Vorschlagsrecht über neue Forschungs- und Entwicklungsthemen inne. 78 DIE KRISE SUPRANATIONALER INTEGRATION mußte im Rat mit Einstimmigkeit gemäß Art. 235 EWG-Vertrag erzielt werden. Insbesondere auf den Gebieten industrieller Forschung ging die Kommission in der Folge – gezwungenermaßen – unstrategisch und im Rückblick konzeptionslos vor. Ein europäischer Raum der industriellen F&E entstand nicht einmal ansatzweise.« (Edler 2000, S. 91–92; kursiv i. O.)24 Das beschriebene Scheitern supranationaler Forschungsintegration markierte besonders deutlich die Etablierung der European Science Foundation. Ihre Entstehung wurde zwar durch das Agenda-Setting der Kommission beflügelt, jedoch wurde die ESF schließlich im Jahre 1974 ohne die Beteiligung der Kommission eingeführt, das heißt als transnationale Nichtregierungsorganisation. Einen Hauptgrund darin sieht Gérard Darmon (1996) in dem zu starken Interventionsversuch der Kommission selbst, die aus der Sicht nationaler Forschungs- und Förderorganisationen auf deren erarbeiteten Vorschlag übergriffig wurde. Bereits in den 1960er-Jahren seien sich aber bereits alle an der Planung Beteiligten einig gewesen, dass eine supranationale Organisationsform – in Anlehnung an eine US-amerikanische National Science Foundation – nicht realistisch gewesen wäre.25 Vielmehr suchten die Vertreter nationaler Wissenschaftseinrichtungen nach institutionellen Lösungen, mit denen themenspezifisch multilaterale Forschungsstandorte gesichert (CERN) oder aufgebaut werden konnten (z. B. EMBL). Eine entsprechende Förderinstitution sollte flexibel bleiben. Altiero Spinelli sah mit dem bereits diskutierten Kommissionsvorschlag die Chance, sich an die Spitze einer Bewegung zu setzen. Wissenschaftlern und den Vertretern nationaler Wissenschaftsorganisationen ging sein Vorschlag allerdings zu weit: »He saw the ESF as a centre that would directly help the Commission in formulating proposals for a common policy on research and development […] Spinelli’s proposal became ensnared over this point, because whereas European scientists, and in particular the institutional players, considered the realm of scientific co-operation to be Western 24 Entsprechend zeigt sich auch eine semantische Verschiebung in der Bezeichnung der zuständigen Kommissionsgeneraldirektion: Während Altiero Spinelli noch für »Industrielle Angelegenheiten und Forschung« zuständig war, hieß Ralf Dahrendorfs Generaldirektion nun »Forschung, Wissenschaft und Ausbildung« – die wirtschaftlich relevante Technologieförderung wurde also aus dem Titel gestrichen. 25 Gérard Darmon (1997, S. 334–336) rekonstruierte zudem, dass Frankreichs Regierungsvertreter sich deshalb gegen die Idee einer supranationalen Förderorganisation aussprachen, weil diese Vorschläge immer wieder von den USA, insbesondere im wissenschaftlichen Rat der NATO unterbreitet worden waren. Dieselbe ablehnende Haltung bestand auch gegenüber anderen US-amerikanisch inspirierten Vorschlägen wie dem eines »European Institute of Technology« (in Anlehnung an das Massachusetts Institute of Technology in Boston) oder eines europäischen »Advanced Center for Studies« (nach dem Modell aus Princeton, New Jersey). 79 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK Europe rather than the European Community, the structure […] was to be independent of government bodies.« (Darmon 1996, S. 339) Nicht zuletzt gingen die Diskussionen zur Einrichtung einer European Science Foundation weit über die Grenzen der Europäischen Gemeinschaften hinaus (vgl. Rüegg 2010, S. 41). Sie wurden v. a. durch die skandinavischen Staaten Dänemark und Schweden26 vorangetrieben, deren Wissenschaftler aufgrund der geringen nationalen Ressourcen für Grundlagenforschungsförderung Sorge hatten, international im Bereich F&E kaum mithalten zu können (Darmon 1996, S. 338).27 Damit zeigte sich, dass das mitgliedstaatliche Misstrauen gegenüber der Kommission nicht nur auf den Bereich wirtschaftsrelevanter F&E bezogen war, sondern auch auf wissenschaftlich orientierte Grundlagenforschung erweitert wurde. Auch die Vertreter der nationalen Wissenschaftseinrichtungen sahen in der Kommissionsinitiative einen bürokratischen Affront und wehrten sich gegen die planerischen Ziele ihrer Beamten. Mit Blick auf die Entstehung des ERC Mitte der 1990er-Jahre zeigt sich hier ein recht ähnliches Muster: Die Initiative wurde von Akteuren aus nationalstaatlichen und transnationalen Settings lanciert; mit einer gewissen Reife in der Diskussion versuchte die Kommission diese zu übernehmen und wurde zurückgewiesen. Sofern diese Einschätzung etwas wert ist, liegt der Unterschied zwischen der ESF in den 1970er-Jahren und der ERC-Initiative seit Mitte der 1990er-Jahre in den gewachsenen Machtressourcen der Kommission (Tömmel 2008, S. 25ff.). 4.5 Revival des Europaprojektes und Hightechförderung Erst Ende der 1970er-Jahre konnte die supranationale F&T-Politik wieder an Relevanz gewinnen, analog also zum Ende der ersten EG-Integrationskrise und dem Beginn des gemeinsamen Binnenmarktprojektes (u. a. Handley 1981; Garrett und Weingast 1993, S. 187–192; Ross 1995; Dinan 2014, S. 70ff.; Garrett 1992, S. 538–539). Gleichwohl änderte dieses Revival wenig an der diskursiven Engführung, dergestalt dass F&T-Förderung eben stark auf das Binnenmarktprojekt zugerichtet wurde. Dies zu erklären, eignen sich zwei Perspektiven. 26 Die Beitritte Dänemarks und Schwedens erfolgten im Jahr 1973 und 1995; die Diskussionen um die Einrichtung der ESF wurden jedoch bereits Ende der 1960erJahre konkret (vgl. Darmon 1996, 1997). 27 Mit Blick auf das Agenda-Setting zur Entstehung des ERC wird das Engagement dieser kleineren Staaten als eine dominante Strömung des Policy-Prozesses identifizierbar werden. 80 REVIVAL DES EUROPAPROJEKTES UND HIGHTECHFÖRDERUNG Die erste Perspektive wird oftmals unter dem Schlagwort der zweiten »Technologischen Lücke« behandelt (Krige und Guzzetti 1997; Edler 2000; Grande 2001; Borrás 2003). Hierunter firmiert der gegen Ende der 1970er-Jahre zunehmend wahrgenommene Konkurrenzdruck auf europäische Unternehmen in Hochtechnologiebereichen, allerdings wurde neben den USA nun auch Japan als Bedrohung angesehen. Nachdem einige Staaten in Europa mit dem Ende der Ölkrise von 1973 und 1974 ihre Volkswirtschaften durch Investitionen in Hightech-Entwicklung zu modernisieren versuchten, schienen ihre nationalen Alleingänge gegenüber den beiden Globalkonkurrenten an Grenzen zu stoßen, v. a. in den Bereichen der Informations- und Telekommunikationstechnik (Sandholtz 1992, S. 113–115). Aus einer zweiten Perspektive schienen national ausgerichtete F&EFördermaßnahmen und -regulierungen aber auch deshalb zunehmend unwirksam zu sein, weil sich der Aktionsradius europäisch-ansässiger Unternehmen selbst massiv erweiterte: Unter dem Stichwort des »Techno-Globalismus« stellten sie selbst das steuerungspolitische Problem dar (Grande 2001, S. 369), ebenso wie die sich zunehmend global vernetzenden Wissenschaftler. National organisierte Forschungspolitiken mussten also geeignete institutionelle Antworten finden, denn der monolithische Staat, der für die nationale Volkswirtschaft öffentliche Güter herstellte, schien diesen Herausforderungen allein nicht mehr gewachsen (Schmitter und Streeck 1994, S. 170; vgl. Mayntz 2006). Nationale Forschungspolitiken der 1980er-Jahre, die sich zudem in ihren staatlichen Handlungsebenen ausdifferenzierten, verfolgten vornehmlich zwei Strategien: Jenseits des Nationalstaates mussten Koordinierungsmechanismen institutionalisiert werden, um »der sich globalisierenden Ökonomie politisch-institutionell ›nachzuwachsen‹« (Grande 2001, S. 371), zudem sollten regionale Technologiepotentiale gefördert werden.28 Entsprechend wurde die EG-Forschungspolitik Anfang der 1980erJahre an das wirtschaftspolitische Ziel der Schaffung eines Europäischen Binnenmarktes geknüpft. In Anbetracht der zweiten »Technologischen Lücke« sollte sich ihre Förderung auf die Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnologie konzentrieren. Bedeutsam ist hier der Bericht des damaligen Kommissars für den Binnenmarkt, Vicomte Etienne Davignon aus dem Jahre 1979, in dem die Ausgestaltung der ersten Hochtechnologieförderprogramme durch die Europäische Kommission vorgeschlagen wurde (Sharp und Shearman 1987). Adressiert wurden v. a. Großunternehmen: »Der begrenzte Umfang der nationalen Märkte hatte zur Folge, dass zu kleine Unternehmen erhalten wurden, 28 Jakob Edler (2000) veranschaulicht, wie sehr diese institutionellen Strategien von den Innovationsleitbildern internationaler Organisationen, v. a. der OECD, und von Expertengremien auf der europäischen Ebene geprägt wurden. 81 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK die gegenüber den amerikanischen und japanischen nicht wettbewerbsfähig waren, dass ferner bei den für die Zukunft entscheidenden technologischen Entwicklungen ein Rückstand auftrat und amerikanische und japanische Firmen den Markt erobern.« (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 1979, S. 9) Der Bericht legte den politisch-institutionellen Grundstein, auf dem die zukünftige Gestaltung europäischer FRP aufbauen konnte. Die Abkehr von dem damals zu hohen Anspruch Altiero Spinellis der supranationalen Harmonisierung und von Dahrendorfs verhaltener Koordinierung nationaler Forschungsvorhaben scheint entscheidend für den Erfolg dieser neuen Forschungspolitik gewesen zu sein. Davignon »conceived of EU research policy not as the regulation of a European space for science and technology but as the distribution of research funds to flank the broader single European market project« (Banchoff 2002, S. 8). Im Jahr 1983 beschloss der Rat das erste EG-Forschungsrahmenprogramm, welches sich zunächst aus einer Ansammlung mehrerer Hochtechnologie-Fördermaßnahmen zusammensetzen sollte.29 Hervorstechen sollte das ESPRIT-Programm, welches als »Flaggschiff« im Bereich der Informations- und Telekommunikationsförderung definiert worden war. Die Förderprogramme zu etablieren, kann alles andere als selbstverständlich angesehen werden, gerade weil sie aus dem Schatten der negativen Integrationserfahrungen der 1960er- und 1970er-Jahre traten und die Hürde der einstimmigen mitgliedstaatlichen Zustimmung im Rat der EG nehmen mussten. Hinzu kommt, dass sie mit neu aufgelegten nationalen Fördermaßnahmen in Schlüsseltechnologien konkurrierten (Sandholtz 1992, S. 150ff.) und dass strukturschwache und starke EG-Mitgliedstaaten unterschiedliche Interessen hinsichtlich der gemeinschaftlichen Förderung von F&T hatten (Grande 2001, S. 375– 376). Dass ihre Etablierung gelingen konnte, wird darauf zurückgeführt, dass die Kommission nicht nur mit diesen Fördermaßnahmen an Großunternehmen als potentielle Nutznießer dachte, sondern deren Vertreter bereits während der Konzipierung zu Gesprächen am runden Tisch einlud und somit privilegierte (Peterson und Sharp 1998, S. 71ff.):30 »Gegenüber der so entstandenen Allianz von Kommission und Spitzenindustriellen konnte der Rat schließlich nicht umhin, dem Projekt seine 29 Hierzu zählen u. a. die Förderprogramme BRITE, EURAM und RACE (Kuhlmann und Reger 1995, S. 18ff.). 30 Dazu gehörten der »Big 12 Roundtable« der zwölf großen Produktentwickler in der Informations- und Kommunikationstechnologie (GEC Olivetti, Philipps, Siemens, Thompson und andere) und die so genannte »Gyllenhammer Group« (ebd.). Lynn Mytelka und Michel Delapierre (1987) hegten nach ihrer Evaluation des ESPRIT-Programms erheblich Zweifel an dessen Effektivität: Eine technokratisch geplante und v. a. europäisch abgeschottete Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien hätte die rasante Fortschrittsdynamik auf diesem Gebiet niemals einfangen können. 82 DIE ETABLIERUNG DER FORSCHUNGSRAHMENPROGRAMME Zustimmung zu geben; lediglich über den Geldhahn gelang es ihm, dieses in der Anfangsphase in Grenzen zu halten. Längerfristig fand die Technologiepolitik aber den Konsens der Mitgliedstaaten, diente sie doch der Stärkung der Position Europas gegenüber den Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt, den USA und Japan.« (Tömmel 2008, S. 26) Durch die erste Reform der Europäischen Verträge mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 konnten daraufhin alle gemeinschaftlichen Aktivitäten auf dem Gebiet der F&T in Form von Zielen, Regeln und Verfahren sekundärrechtlich festgelegt werden (Peschke 2001). Allerdings beschränkten sich diese Maßnahmen darauf, die »wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der Industrie der Gemeinschaft zu stärken und die Entwicklung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu fördern« (Art. 130f EWGV, kursiv hervorgehoben; TF). Die ersten beiden FRP nach Artikel 130f-q EWGV firmierten somit unter dem Schlagwort der Unternehmensförderung und ihrer Entwicklung von Schlüsseltechnologien. Sie fokussierten zunächst auf die Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien, industrieller Werkstoffe und deren Herstellungstechnologien sowie den bereits zuvor geförderten Bereich ziviler Energietechnologien.31 Durch den förderpolitischen Schulterschluss mit den Hauptnutznießern der FRP – europäische Großunternehmen – konnte die Kommission dann auch die Mitgliedstaaten von einer programmatischen und finanziellen Erweiterung überzeugen (Grande und Peschke 1999; Edler 2000; Peterson und Sharp 1998). 4.6 Die Etablierung der Forschungsrahmenprogramme Bis zum 3. Forschungsrahmenprogramm wurde der größte Anteil der Forschungsförderung von Unternehmen abgeschöpft (Peschke 2001, S. 130ff.). So beschreibt ein Interviewpartner in Rückschau auf die ersten FRP: »Es war ursprünglich einmal so, dass interessierte Industriepartner Teile dieses FRPs ja sehr klar definiert haben. Das gilt besonders für die mittleren Programme, die IT-geprägten Rahmenprogramme, und die Diskussion war eigentlich eine juristische, immer von den Besitzenden geprägte Diskussion, die bestimmte Besitzstände fortschrieben und von der Kommission dann unterschiedlich geschaltet wurden, also entsprechend den Entwicklungsvorhaben der Politik.« (Hermann) Im Zuge dieser »Neuorientierung der Industrie auf die supranationale 31 Eine systematische Übersicht über die Themen, Programme und das Budget der ersten Rahmenprogramme von 1987 bis 1994 lieferten Kuhlmann und Reger (1995, S. 19) 83 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK Ebene« konnte die Kommission »ein nahezu flächendeckendes Netz von Förderprogrammen in Bereichen, die bis dahin nationaler Forschungspolitik vorbehalten waren« legitimieren (Peschke 2001, S. 130). Diese thematische Ausdifferenzierung führte aber auch dazu, dass sich zunehmend öffentliche Forschungseinrichtungen an den FRP beteiligten. Hierzu wurde die Forschungspolitik der Kommission in institutioneller und rechtlicher Hinsicht gestärkt: Mit dem 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht über die Europäische Union, in dem auch das Mitentscheidungsverfahren des Parlamentes für Beschlüsse der Forschungsrahmenprogramme eingeführt worden war, konnte die EU ihre Kompetenz in der Forschungspolitik insgesamt ausbauen. Jedoch wurde die F&TPolitik der EU vertraglich nach wie vor unter das Primat der industriellen Wettbewerbsfähigkeit gestellt: »Die Gemeinschaft hat zum Ziel, die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der Industrie der Gemeinschaft zu stärken und die Entwicklung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu fördern sowie alle Forschungsmaßnahmen zu unterstützen, die aufgrund anderer Kapitel dieses Vertrags für erforderlich gehalten werden.« (Rat und Kommission der Europäischen Gemeinschaften 1992, S. 55, Art. 130f.; kursiv hervorgehoben TF) Parallel zur Vertragsunterzeichnung veröffentlichte die Kommission (1993) unter ihrem Präsidenten Jacques Delors das Weißbuch Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, das die Bedeutung von Forschung, Technologie und Telekommunikation als Voraussetzung für die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der EU betonte. Antonio Ruberti, Forschungs- und Bildungskommissar von 1993 bis 1995, versuchte die in dem Weißbuch bemängelte Fragmentierung des Europäischen Marktes abermals für einen grundsätzlichen Politikwechsel zu nutzen. Sein Versuch bestand darin, in Anlehnung an Ralf Dahrendorfs Koordinierungsmodell, einen »European Scientific and Technological Space« unter supranationaler Aufsicht auszuloben: »One of the major axes of the new FP is the will to integrate other national programs through the intermediary of community programs.« (Ruberti 1993; kursiv hervorgehoben; TF) Der Vorschlag, mit dem eine supranationale Integration nationaler Forschungspolitiken vorgesehen war, stieß in dieser weitreichenden Form zwar zunächst auf Ablehnung. Eine bessere Koordinierung nationaler Forschungsaktivitäten wurde aber seit dem Ministerratstreffen in Korfu 1994 und konsekutiver Ratstreffen bis hin zur Anwendung der Offenen Methode der Koordinierung im Jahr 2000 fortentwickelt. Zwar konnte die Kommission damit ihre sekundärrechtlichen Kompetenzen zunächst noch nicht ausweiten und durfte nationale Maßnahmen in F&E bloß koordinieren. Allerdings baute sie ihren Geltungsbereich durch die Förderung von F&T sukzessiv aus. Ihre Bestrebungen nach weitreichenden Förderkompetenzen werden bereits im Grünbuch zur Innovation (Europäische Kommission 1995) deutlich, insbesondere dadurch, dass sie den 84 DIE ETABLIERUNG DER FORSCHUNGSRAHMENPROGRAMME Adressatenkreis auszuweiten versuchte. Neben den Allgemeinplätzen, d. h. eine Stärkung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit bei besserer Koordination ging es nun auch um »die Herausforderung der Innovation für Europa, seine[r] Bürger, seine[r] Arbeitnehmer und Unternehmen« (ebd., S. 3; kursiv hervorgehoben TF). Mit der Amsterdamer Vertragsrevision von 1997 konnte die Kommission eine erste Mandatserweiterung erwirken. Konkret werden die Maßnahmen im Art. 164 in den folgenden Paragraphen ausgeführt: 1. Durchführung von Programmen für F&E und Demonstration unter Förderung der Zusammenarbeit mit und zwischen Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen, 2. eine stärkere Förderung der Zusammenarbeit mit Drittländern und internationalen Organisationen 3. Verbreitung und Auswertung der Ergebnisse 4. Förderung der Ausbildung und Mobilität der Forscher aus der Gemeinschaft. Zudem brachte der Vertrag von Amsterdam eine rechtsprozedurale Verbesserung für die Beschlussfähigkeit der EU-Forschungspolitik: Die Abschaffung des absoluten Mehrheitsvotums und die Einführung der qualifizierten Mehrheit im Rat zur Verabschiedung der FRP im Mitentscheidungsverfahren und das Anhörungsverfahren zur Beschließung der Spezifischen Programme senkten die Möglichkeit individueller Blockadehaltungen der Mitgliedstaaten. Zur Erklärung dieser schleichenden Kompetenzerweiterung in der programmatischen und finanziellen Hinsicht von F&E führen John Peterson und Margaret Sharp (1998) weitere Argumente an: EU-Forschungspolitik sei ein äußerst »leises« Politikfeld, das keine öffentlichen und schon gar keine dramatischen Schlagzeilen mache. Auch werden in ihm selten Grundsatzentscheidungen von gesamteuropäischer Tragweite gefällt. Sofern die klientelistischen Netzwerke der F&T-Förderung ungestört arbeiten könnten, bestehe eine gute Chance auf Erweiterung, denn »in the making of technology policy, the systemic level is not characterized by as much inter-institutional bargaining as most EU policy sectors« (ebd., S. 61; kursiv i.O.). Hinzu kommt, dass die Kommission im Bereich F&T über-Jahre hinweg ihren Informationsvorsprung gegenüber anderen Akteuren kontinuierlich ausbauen konnte – nicht zuletzt durch ein immer größer werdendes Netzwerk aus Experten- und Lobbyisten, »powerful by virtue of their specialised knowledge« (Peterson und Sharp 1998, S. 63), das der Kommission einen Wissensvorsprung gegenüber einzelnen politischen Akteuren der Mitgliedstaaten und den anderen EU-Institutionen verschafft. Und dies sei insbesondere für das politische Agenda-Setting wichtig: »[T]he Commission effectively ›sets‹ EU research policy making because it has far more RTD expertise and resources than either the EP or Council« (Grande und Peschke 1999, S. 62). Auch, so Peterson und Sharp (1998) liege es in der Natur der Rahmenprogramme, fortgeführt zu werden, insofern der 85 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK Großteil ihrer Maßnahmen als politisch »vorwettbewerblich« begründet wird (kritisch; Banchoff 2002). Mit anderen Worten falle es leicht zu argumentieren, dass einmal begonnene F&E-Maßnahmen weitergeführt werden müssten, wenn sie noch nicht in marktreife Produkte überführt worden seien. Eine institutionelle Erwartungsrigidität wird in diesem Sinne durch die Nicht-Spezifizierbarkeit von zukünftig zu erbringenden Forschungsergebnissen, also aufgrund der unmöglichen Planung wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung selbst bedingt. In dieser Kombination würden die Rahmenprogramme sogar bei Kritik erweitert (Luukkonen et al. 2006); begründet wird dies als Optimierung ihrer Programme und Verfahren: Mal seien die Programme zu klein, mal die Konsortien zu groß und mal sei die Förderung zu sehr industriell, wissenschaftlich, disziplinär usw. ausgerichtet. Der damit verbundene finanzielle Aufwuchs der EU-F&T-Förderung hat infolge die Rahmenprogramme seit 1998 (5. FRP) anteilig zum drittgrößten Finanzposten der EU wachsen lassen. Das Gesamtbudget des aktuellen, 8. FRP »Horizon 2020« beträgt rund 70 Milliarden Euro, rechnet man inflationsbedingte Zuwächse hinzu, sogar rund 80 Milliarden Euro. 4.7 Von der Projektförderung zum Europäischen Forschungsraum Die F&T-Politik des Millenniums begann mit einem Paukenschlag: Unter der Federführung des neu bestellten Forschungskommissars Philippe Busquin veröffentlichte die Kommission die Mitteilung »Towards a European Research Area«32 (Commission 2000), die im selben Jahr auf dem Lissabonner Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs gewürdigt wurde.33 Neben dem Aufruf der Kommission zu einer massiven Investitionssteigerung34 in F&E wurde eine umfassende Koordinierung aller nationalen, trans- und supranationalen Maßnahmen 32 Verwendet wird im Folgenden das englische Akronym »ERA«. 33 Dies mag belanglos erscheinen, allerdings werden viele Mitteilungen von der Kommission verfasst, die auf Seiten des Europäischen Rats erst gar nicht zur Kenntnis genommen werden oder – man erinnere sich an Robert Menasses Beobachtungen eines »Märtyrers« im Einleitungskapitel – von den Ratsmitgliedern der Mitgliedstaaten zerlegt. Wenn es eine Mitteilung jedoch so weit gebracht hat und positive Würdigung findet, gilt dies als Signal an die Kommission, konkret Maßnahmen zu ergreifen. 34 Auf dem Ministerratsgipfel von Barcelona im Jahr 2002 wurden die Investitionsziele überprüft. Der Rat forderte daraufhin in seinen Schlussfolgerungen eine Steigerung aller F&E-Investitionen der EU-Mitgliedstaaten auf anteilig drei Prozent ihrer Bruttoinlandsprodukte. 86 VON DER PROJEKTFÖRDERUNG ZUM EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRAUM gefordert. Dies betraf nicht nur die Umgestaltung der eigenen Fördermaßnahmen in zunehmend koordinierte Programmförderung gegenüber der zuvor betriebenen Einzelprojektförderung.35 Die Kommission regte auch zu einer Koordinierung nationaler Forschungsförderung36 an, denn »[t]he European research effort as it stands today is no more than the simple addition of the efforts of the 15 Member States and the Union« (Commission 2000, S. 7). Als Grundlage diente nicht zuletzt die bereits angeführte Offene Methode der Koordinierung, die der Rat im November 2002 auf den Bereich Forschung auszuweiten empfahl. Er begrüßte »die bereits eingeleiteten Aktionen zur Ausarbeitung einer offenen Methode zur Koordinierung der Politiken und erinnert an die Notwendigkeit, die schrittweise und freiwillige Vernetzung und Öffnung der nationalen Forschungsprogramme durch die zuständigen Behörden und den Informationsaustausch tatkräftig voranzutreiben, und nimmt die beim Benchmarking der Politiken (Indikatoren) erzielten Fortschritte zur Kenntnis«. (Rat der Europäischen Union 2000, S. 1; Abs. 4) Man darf hierbei die Tragweite der in der Mitteilung eingelassenen Empfehlungen nicht unterschätzen, mithin betonte Philippe Busquin, der ERA sollte nichts weniger werden, als das, was der Binnenmarkt für den kommerziellen Handel geworden sei: Forschungspolitik der EU werde in Zukunft nicht mehr auf die Forschungsförderung der Rahmenprogramme reduzierbar sein – diese seien allenfalls noch ein Element des ERA (Busquin 2001). Allerdings wurden der Kommission im Bereich F&E, trotz der zügigen Ausweitung ihrer Fördermaßnahmen und erster Koordinierungsaufträge, keine Rechte für eine umfassende Koordinierung und Harmonisierung nationaler Forschungspolitiken übertragen. Weder kann die Kommission in diesem Politikfeld in nationales Recht intervenieren noch ist sie berechtigt, Policies ohne die Voten des Rates und des Parlamentes einzuführen bzw. umzusetzen. Bis auf wenige Ausnahmen hat die Kommission also kein Mandat, ohne Absprache mit den Mitgliedstaaten Forschungsthemen zu lancieren geschweige denn diese eigenmächtig zur Förderung auszuschreiben. Denn Forschungspolitik ist an das Subsidiaritätsprinzip gebunden. An die Kommission sollen ja idealtypisch nur Aufgaben delegiert werden, die die Staaten alleine nicht zufriedenstellend 35 Der in den »Marie-Curie-Maßnahmen« ausgewiesene Anteil individueller Personenförderung bspw. wurde zugunsten einer stärker institutionell ausgerichteten Förderung (internationale Graduiertenschulen) umgestaltet. Ebenso bezweckte die Kommission, durch eine verhältnismäßig geringe pekuniäre Förderung sogenannte »Networks of Excellence« zwischen Forschungseinrichtungen der EU zu generieren; die sich dezentral über eigene Sekretariate verwalten sollten. 36 Ein zentrales Instrument stellten hierbei die so genannten »ERA-Nets« dar. 87 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK wahrnehmen.37 Somit war jegliche Kompetenzerweiterung der EU-Forschungspolitik bisweilen an Begründungen von Zweckmäßigkeit gebunden; dies schließt neuere Koordinierungsaufgaben unter dem Leitbild eines Europäischen Forschungsraums mit ein. Entsprechend stieß die von Busquin starkgemachte Koordination auch zunächst auf Widerstand: sowohl auf den von Netzwerken etablierter Akteure, d. h. forschungsintensiver Industrieunternehmen, und auf jenen von Akteursnetzwerken öffentlicher Forschungseinrichtungen.38 Die geplanten, dezentralisierten Koordinierungsinstrumente der Kommission, so die Sorge aller Interessengruppen, würden einen neuen Verwaltungsaufwand mit sich bringen.39 Durch den neuen Ansatz der Kommission – weg von der reinen Projektförderung, hin zur Koordination und Förderung exzellenter Wissenschaft! – wurden von den beiden Gruppen klientelschützende Bedenken geäußert: »European business leaders cautioned against any reform that might increase support for basic research at the expense of technological development, while European university leaders articulated the opposite concern.« (Banchoff 2002, S. 16) Der Rat und das Parlament folgten den Interessenverbänden und zeigten sich gegenüber den Kommissionsvorschlägen kritisch oder desinteressiert. Immerhin: das unter dem 6. FRP eingeführte Koordinierungsinstrument der »ERA-Nets« wurde zumindest einmal zugelassen, um den Austausch zwischen nationalstaatlichen »research programme owners« und »programme managers« zu erproben, jedoch hatten die Mitgliedstaatenvertreter im Rat nur »little concrete interest in opening up their national programmes via Art. 169« (ebd., S. 18). Dadurch, dass in der Kommissionsgeneraldirek37 Zur Erinnerung: Das Subsidiaritätsprinzip wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte zunächst im Bereich der Umweltpolitik nach Art. 130r eingeführt. Es wurde in der Präambel und in Art. 2 des Vertrages über die Europäische Union festgeschrieben und war latent bereits im EGKS-Vertrag von 1951 (Art. 5 I, II) und ebenso im EWG-Vertrag von Rom (1957) existent. Mit dem Vertrag von Maastricht ist das Subsidiaritätsprinzip im allgemeinen Teil der Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaft und der Union verankert worden; vgl. Art. 5 Abs. 2 EGV. Die Übertragung von Zuständigkeiten auf die gemeinschaftliche Ebene muss unter Wahrung der nationalen Identität und der Kompetenzen der Regionen erfolgen. Die Mitgliedstaaten müssen sich ihrerseits bei ihrem Vorgehen an den Zielen der Gemeinschaft orientieren. Die Details regelt das »Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit«. 38 In einer Netzwerkanalyse von Interessensvertretungen veranschaulichten Edgar Grande und Anke Peschke (1999), dass rund um die EU-Forschungspolitik organisierte Industrieunternehmen und öffentliche Forschungseinrichtungen kaum Berührungspunkte aufwiesen. 39 Mit anderen Worten: Man hatte sich gut eingespielt, Sekretariate eingerichtet, Mitarbeiter im Bereich des Projektantrags-, des laufenden Projekt- und des Finanzmanagements geschult und gute Kontakte zu den damals hauptsächlich fachorientierten Direktoraten der Generaldirektion Forschung entwickelt. 88 VON DER PROJEKTFÖRDERUNG ZUM EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRAUM tion Forschung der Zeitplan zur Gesetzgebung des folgenden 7. FRP bereits drängte, musste sie sich zunächst mit einem bescheidenen und unverbindlichen Koordinationsauftrag begnügen. EU-Forschungspolitik wurde nach wie vor durch den Nützlichkeitsdiskurs des EU-Binnenmarkts strukturiert wurde, indem eingespielte Klientelnetzwerke auf die Bedeutung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit verweisen konnten, um weiterhin aus der dominanten Verbundforschung Mittel abzuschöpfen. Die »marktimperative« Ausrichtung (Abels 2003) des Diskurses wirkt nahezu deterministisch, »to ensure that whenever possible collaboration is market-oriented« (Williams 1989, S. 167). Der auf die neu beigetretenen zehn EU-Mitgliedstaaten von 2004 bezogene Integrationsdiskurs konnte dieses Diktum nicht infrage stellen. Durch die Verbundforschung, aber auch mittels der Förderung unter den Marie-Curie-Maßnahmen40 sollte sich die Qualität von Forschungseinrichtungen in Mittel- und Osteuropa verbessern, damit diese vollwertig am europäischen Binnenmarkt teilnehmen können.41 Das Gleiche gilt für die querschnittige Aufgaben der Forschungspolitik, die bspw. durch biomedizinische oder agrarbiologische F&T-Maßnahmen mit für die Gesundheit der europäischen Bürger Sorge tragen, zuvorderst aber die Unternehmen unterstützen sollte. Bedenken gegen diese Art der Forschung wurden dem Marktimperativ untergeordnet (Abels 2000b). Und auch neuere Innovationsverständnisse, die die Mitarbeiter der Kommission immer sehr schnell in ihre Forschungsprogrammatik einzubauen wussten (Borrás 2003, S. 42–49), z. B. in der Begründung von öffentlich-privaten F&E-Partnerschaften zur Überwindung segmentierter Innovationsschritte, täuschen nicht über die starke Zweckgebundenheit der Kommissionsforschungsförderung und ihrer Koordination hinweg. In der Policy-Analyse zur Entstehung des ERC (Kap. 5) wird sich zeigen, dass genau diese enge Zweckbindung der EU-Forschungsförderung und die damit verbundenen Verwaltungsauflagen der Kommission Anlass 40 Die Koordinierungsstelle EG der Wissenschaftsorganisationen nahm dies zum Anlass, ein internetbasiertes Suchportal einzurichten (»Mobility for Young Researchers from Central and Eastern Europe«; kurz MORE), um gastgebende Einrichtungen der alten EU und Doktoranden sowie Postdoktoranden aus den neuen Beitrittsländern Mittel- und Osteuropas zu vernetzen; siehe http://cordis.europa. eu/news/rcn/22090_de.html (zuletzt abgerufen; 02.01.2014). 41 Peter Hilger (2003) kritisierte, dass der Aspekt des »joint learning« kaum für bare Münze genommen werden dürfe, denn die neuen Mitgliedstaaten würden nur geringe Beteiligungsquoten an den Fördermaßnahmen des 6. FRPs erzielen können, während sie bereits zwei Jahre vor ihrem Beitritt von 2004 finanzielle Beiträge zu leisten hatten. Zudem würde das Programm zu einem »brain drain« hin zu besserstehenden Instituten westeuropäischer Staaten führen. 89 HISTORISCHE STRUKTUREN EUROPäISCHER F&T-POLITIK waren, eine Einrichtung zur Förderung freier Grundlagenforschung in Europa zu fordern.42 4.8 Fazit: Integrationsgrenzen und -chancen Mit der zuvor diskutierten, institutionellen Verfasstheit europäischer F&T-Politik stellten sich rund um das Millennium Fragen nach ihrer Legitimität und ihrer zukünftigen Entwicklung. Thomas Banchoff (2002) zufolge sei EU-Forschungspolitik Opfer ihres eigenen Integrationserfolgs geworden, er argumentierte somit dezidiert neoinstitutionalistisch gegen die Wandlungsfähigkeit der zentralen EU-Institutionen, allen voran der Kommission. Erstens hätten sich die sozialen Erwartungen aller politischen Entscheidungsträger an die spezifische, programmatische Ausgestaltung der Rahmenprogramme derart stark auf das Primat binnenmarktorientierter Nützlichkeit verdichtet, dass keine neuen Erwartungen mehr aufgegriffen und stabilisiert werden könnten. Zweitens verfestigten sich die Erwartungen ihrer Nutznießer seit mehreren Jahren: Ihre Klientelnetzwerke seien so gut in der Mitdefinition der Förderinhalte und in dem »Antragsgeschäft« eingespielt, dass sie ein Abweichen von den politischen Zielen und Mitteln der EU-Forschungspolitik verhindern würden. Diese Erwartungen hätten auch die Generaldirektion Forschung als neuen, zentralen Akteur der EU-Forschungspolitik strukturiert. Sie selbst habe nun mit dem Problem institutioneller Trägheit zu kämpfen gehabt, das über die Resistenz der Mitgliedstaaten – wie von Verfechtern des Intergovernementalismus erklärt – weit hinausreicht (ebd., S. 18-19). Was Thomas Banchoff in seiner Einschätzung vielleicht unterschätzt hat, ist erstens die gestiegene Frustration einer zunehmenden Anzahl von Wissenschaftlern öffentlich geförderter Forschungseinrichtungen (hierzu mehr in Kapitel 5.2) über die zweckorientierte und rigide Verwaltung der Rahmenprogramme durch die Kommission, die ihrerseits an die rechtlichen Grundlagen der Verträge gebunden war. Zweitens hatte er die diskursive Wirkmächtigkeit sprachlicher Konzepte, des Europäischen Forschungsraums und des Binnenmarktes für Forschung nicht antizipieren können. Gerade letzterer scheint begrifflich dehnbar genug, um den regulativen Rahmen für supranationale F&T-Maßnahmen entlang der ehemals eng abgesteckten Einzelermächtigung und des 42 Einen ähnlichen Anlass hatte bereits die Gründung des 1985 von 17 europäischen Staaten beschlossenen Förderprogramms der »European Research Common Action« (EUREKA). Neben dem Vorwurf an die Kommission, ihre Förderprogramme seien zu bürokratisch und aufwendig angelegt, war EUREKA ironischerweise gegen die zu starke Forschungsorientierung (Roger Williams 1989, S. 167) der Kommission gerichtet. 90 FAZIT: INTEGRATIONSGRENZEN UND -CHANCEN Subsidiaritätsprinzips auszuweiten. Zwar wird von der Kommission immer wieder aufs Neue abverlangt, einen für die Staatengemeinschaft nachvollziehbaren Mehrwert ihrer Forschungspolitik darzustellen. So belegt Veera Mitzner (2013) in ihrer historischen Arbeit über die F&TPolitik der EG der 1960er- und 1970er-Jahre eindrucksvoll, dass es keine historische Zäsur in den Leitorientierungen dieses supranational und transnational organisierten Politikfeldes gegeben hat, sondern dass allen voran eine Kontinuität ökonomischer Nützlichkeitserwägungen bis in die heutige Zeit hinein zu beobachten ist. Allerdings konnte die Kommission sich allmählich auch Legitimität innerhalb eines Diskurses um die allgemein wirtschaftliche und gesellschaftliche Nützlichkeit des Binnenmarktes erarbeiten. Sogar die Erwartung grenzüberschreitender Kooperation zum Zweck des gemeinschaftlichen Lernens konnte sie begriffspolitisch den eigentlich wettbewerblich ausgerichteten Zielen eines Binnenmarktes (für Forschung) unterordnen (vgl. Chou 2012). Mit der folgenden Policy-Analyse wird Thomas Banchoffs These einer selbstgenerierten, institutionellen Trägheit supranationaler Forschungspolitik dennoch zu einem gewissen Teil bestätigt: Der Diskurs und das Arrangement politischer Institutionen konnten die Förderung selbstbezüglicher Wissenschaft nur schwer integrieren. Wissenschaftler protestierten unter Vorgabe eigener Normen gegen die zweckverengte Forschungsförderung der Kommission. »Nützlichkeit«, »Wettbewerb« und »Räumlichkeit« sind jedoch sprachlich flexibel interpretierbar, auch wenn sie im Ergebnis den ERC unter den Stress konfligierender Erwartungen setzen (Kap. 2). 91 5. Policy-Analyse: Zur Entstehung des ERC In Kapitel 4 konnte illustriert werden, wie sich die internationale F&TPolitik in Europa entlang unterschiedlicher Erwartungen in eine transnationale und eine supranationale Ebene ausdifferenziert hatte. Die supranationalen Kompetenzen der Kommission wurden auf eine politisch stark zweckgebundene Förderung industrie- bzw. anwendungsorientierte F&E verengt. Bereits Mitte der 1990er-Jahre beteiligte sich jedoch eine große – und steigende – Zahl von Wissenschaftlern öffentlicher Forschungseinrichtungen an den Rahmenprogrammen. Durch die eigentümlich starke politische Legitimationspflicht der EU-Forschungsförderung und der hier angestammten Interessen industrieller Akteure schienen die Vorstellungen von Wissenschaftlern öffentlich geförderter Forschung allerdings nicht oder kaum vereinbar zu sein. Doch die durch die Kommission in Aussicht gestellte Förderung schien für öffentlich finanzierte Wissenschaftseinrichtungen in Europa zunehmend wichtiger zu werden (vgl. Kuhlmann und Reger 1995; Peschke 2001). Der Grund hierfür liegt u. a. in den umfassenden Reformprozessen des öffentlichen Sektors, die in den 1990er-Jahren unter dem Schlagwort des »New Public Management« (insbes. Naschhold und Bogumil 2000) Prinzipien der Rationalisierung, Formalisierung, Selbstorganisation und des institutionellen Wettbewerbs in das Bildungs- und Wissenschaftssystem vieler europäischer Staaten eingeführt hatten (u. a. de Boer et al. 2007). Es ist insbesondere die sinkende Grundfinanzierung von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Wissenschaftler zur Suche nach Alternativen gezwungen hatte, allem voran in den ökonomisch strukturschwachen Staaten der EU. Deren Rahmenprogramme versprachen, durch ihre projekt- und somit themenspezifischen Drittmittel die sinkende Grundfinanzierung zumindest partiell kompensieren zu können – unter Inkaufnahme eines hohen administrativen Aufwands und politischer Zumutungen an die institutionelle Selbststeuerung der Wissenschaft. Die Ausgangslage zur Entstehung des ERC strukturiert ein Dilemma: Staatlich finanzierte Wissenschaft stand vor der Herausforderung, zunehmend ihre Ausgaben unter Nützlichkeitsverweisen zu rechtfertigen, bspw. in Form von kurzfristigen Projektmitteln und wettbewerblich verbriefter Qualitätszuschreibung, während die Kommission ebenfalls verpflichtet war, primär die ökonomische Nützlichkeit ihrer F&E-Maßnahmen gegenüber den Mitgliedstaaten zu belegen. In dieser Gemengelage, und insbesondere durch die dahinterliegenden, konkurrierenden Erwartungen, gilt es die konkrete Entstehung des Europäischen 93 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Forschungsrates anhand einer Policy-Analyse zu rekonstruieren. Entsprechend werden in den folgenden Unterkapiteln Einschätzungen über prozessrelevante Akteure, ihrer Techniken des Agenda-Settings, der Problem- und Politikformulierung und der Implementation gegeben. Ferner soll die überaus komplexe soziale Koordinierungsleistung anhand unterschiedlicher und prozessrelevanter Interessenströme geordnet dargestellt werden.1 5.1 Emergenz oder wann die Idee eines ERC entstand Die methodische Herausforderung zur Rekonstruktion des ERC lag darin, einen genauen Zeitpunkt seiner Entstehungsidee zu verankern. Herausfordernd war dies, weil die Geschichte der europäischen F&T-Politik eine Reihe von Etablierungsversuchen ähnlicher Förderprogramme oder gar Organisationen geschrieben hat, in jedem Fall also von einer immer schon bestehenden Idee internationaler Grundlagenforschungsförderung ausgegangen werden muss.2 Seit Mitte der 1960er-Jahre waren ja neben dem von der Royal Society etablierten European Scientific Exchange Programme (ESEP) Organisationsmodelle diskutiert worden, wie der European Medical Research Council (EMRC) und der European Scientific Research Council (1972) – schließlich: die problematische Gründung der European Science Foundation 1974. Ein Blick auf die Selbstbeschreibung des ERC auf dessen Website zeigt, dass die Organisation ihre Geschichte erst ab dem Jahre 2002 protokolliert haben möchte:3 »The debate gained momentum at political level. 1 In loser Anlehnung an ein Phasenmodell der Policy-Analyse kann hierbei von einer Problemdefinition, einem Agenda-Setting, der Politikformulierung und der Implementation ausgegangen werden. Evaluationsaspekte nach der Entstehung des ERC wurden bereits unter Kapitel 2 adressiert, interessieren aber nicht bei der Betrachtung der Entstehung des ERC. Dass sich einige Phasen überlappen, bspw. Problemdefinitionen in jeder der weiteren Phase auftauchen und variiert werden, sei zunächst einmal hingenommen (vgl. Cobb und Elder 1972, S. 9). 2 Da der Austausch der Wissenschaft in der Moderne sich selten durch politischmotivierte – später auch: nationalstaatliche – Grenzen hat bremsen lassen, wäre es auch seltsam, nicht von Ideen transnationaler Wissenschaftsförderung auszugehen. In den Hochzeiten der Gelehrtenrepublik wurde die Anwesenheit ausländischer Wissenschaftler an den Akademien weniger als Ausdruck höfischer Galanterie sondern eher als nationales Reputationsanliegen politisch gefördert (v. a. Daston 1991, S. 377–379; vgl. Crawford et al. 1993a). 3 Unter der Rubrik »History« finden sich zehn einzelne Jahreskästchen im Zeitraum von 2002 bis 2012, mittels der der ERC zentrale politische Entscheidungen zusammenfasst; siehe http://erc.europa.eu/about-erc/history. 94 EMERGENZ ODER WANN DIE IDEE EINES ERC ENTSTAND European research ministers called on EU Member States and the European Commission to discuss the purpose and scope of a Europe-wide research council. Subsequently, an expert group (ERCEG) group was convened under the Danish EU Presidency to investigate the viability of such a structure.«4 Der Verweis auf eine Debatte, die an Fahrt gewann, deutet bereits auf eine konkrete Vorgeschichte hin, die aus Sicht der ERC-Mitarbeiter aber wohl nicht der Rede wert ist. Während der ERC seine Geschichte in aller Kürze und in Anbetracht der dargestellten Entscheidungen geradezu geschichtslos darstellt – ganz nach dem Motto: Institutionen werden zur Lösung kollektiver Handlungsdilemmata etabliert (kritisch; Abbott 1992, S. 755) –, muss auch der bisherigen, wissenschaftlichen Geschichtsschreibung über den ERC misstraut werden.5 Das beste Beispiel hierfür liefert David Gronbæk mit einem Beitrag in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Science and Public Policy, der bereits im Jahr 2005 den ERC gegründet sehen will, also zwei Jahre vor dessen eigentlicher Implementierung und zu einem Zeitpunkt, als das Mitentscheidungsverfahren zwischen der Kommission, Rat und Parlament erst noch beginnen sollte. Der gewählte Titel seines Aufsatzes, »A European Research Council: An idea whose time has come?«, deutet auf eine Mythenbildung hin. Nun ist die unreflektierte Übernahme von Bonmots – nach Victor Hugos L’histoire d’un crime. Déposition d‘un témoin – zur Inszenierung von (historischer) Bedeutungsschwere auch in wissenschaftlichen Publikationen nicht unüblich. Allerdings erscheint sie hier aus zwei Gründen problematisch. Erstens bediente sich der Autor der Rhetorik der am Policy-Prozess beteiligten Akteure (Breithaupt 2003, S. 338). Und zweitens kann er als Mitorganisator einer für den Politikentstehungsprozess zentralen EU-Ratspräsidentschaftskonferenz identifiziert werden (Titel: »Do we need a European Research Council?«),6 der daraufhin die Geschichte des ERC als etwas Unumgängliches darstellte. Die vorgegeben historisch-institutionalistische7 Analyse verkommt somit zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Mit Ausnahme des zitierten Beitrags finden sich allerdings keinerlei differenzierte, wissenschaftliche Betrachtungen des Policy-Prozesses hin zu einem ERC. So veranschaulicht der Beitrag immerhin, dass eine 4 Zuletzt abgerufen am 27.11.2014. 5 Die einzige Ausnahme stellt ein recht kurzer Abschnitt zur Entstehung des ERC von Hagen Schulz-Vorberg und Bo Stråth (2010, S. 148–152) dar. 6 Siehe auf der letzten Seite des Konferenzberichts der Danish Research Agency (Søndergaard und Flensted-Jensen 2002). 7 Im Sinne des historischen Institutionalismus (vgl. Thelen und Steinmo 1992) ist es nicht plausibel, dass die immer wieder aufflackernde Idee eines ERC eine Reaktion von Akteuren auf handfeste Krisen gewesen sein muss. Denn die Feststellung einer Krise muss in Abhängigkeit der Akteursdeutungen erfolgen, eine entsprechende Analyse leistet der Autor allerdings erst gar nicht. 95 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC ERC-Idee schon vorher existiert haben mag (diskutiert in Kapitel 4) und gewiss nicht, wie auf der ERC-Website kolportiert, erst im Jahr 2002 vom Himmel fiel. Sofern die Entstehung von Policies auf ein fluides Zusammenspiel von Ideen, sozialen Institutionen und Akteuren, einschließlich wissenschaftlicher Akteure, in sich verändernden Arrangements zurückzuführen ist (vgl. Lieberman 2002), lässt sich die Frage, wann und weshalb die ERC-Idee wieder aufkam, nur durch einen Vergleich von Primärquellen- und Interviewaussagen beantworten. Diese Herangehensweise folgt der Überzeugung, dass die Entstehung des ERC möglichst facettenreich dargestellt und eine Reihe von Erklärungen vor dem Hintergrund der im Einleitungskapitel aufgestellten, neo-institutionalistischen Unwahrscheinlichkeitshypothese auf Plausibilität hin geprüft werden muss. Wie bereits zuvor dargestellt müssen zur Prozessbeschreibung allerdings alle möglichen Typen von Dokumenten zurate gezogen werden, da sie alle Teil der sinnselektiven Kommunikation waren. Diese realitätserzeugenden Texte lügen nicht, das heißt der Autor hat sie nicht (mit)konstruiert. Gleichzeitig ist ihr Aussagengehalt auch schwer einzuschätzen, was der Spezifik des Feldes der EU-Forschungspolitik geschuldet ist (nach wie vor geeignet; Peterson und Sharp 1998), aber auch derjenigen des Funktionssystems Politik an sich, mit seiner ganz eigentümlichen Oszillation von Kommunikation über den Inhalt und über die Intention von Entscheidungen (Luhmann 2002, S. 167ff.), ebenso wie seiner permanenten Selbstüberforderung bei der Übernahme von Expertenwissen (ebd., S. 161). Jenseits der Frage, wie Dokumente und/oder ihre Inhalte innerhalb eines politischen Entstehungsprozesses gewichtet werden müssten – welche Rolle spielt bspw. die Veröffentlichung einer Kommissionsmitteilung zu einem bestimmten Zeitpunkt? –, war es in diesem Policy-Prozess zudem schwer einzuschätzen, ob die zur Analyse verfügbaren Dokumente vollständig sind. Nicht zuletzt deshalb wurden 17 prozessbeteiligte Entscheidungsträger interviewt; zwei Interviews hatten explorativen Charakter.8 Ein Großteil der befragten Personen hatte im Zeitraum von 8 Der Leitfaden wurde nach den explorativen Interviews überarbeitet und in einer konsolidierten Fassung durch vier Themenblöcke strukturiert: 1. Involvierung der Person in den Entstehungsprozess einschließlich ihrer ersten Wahrnehmung eines Wiederauflebens der Idee pan-europäischer Grundlagenforschungsförderung und eines ERC, 2. Einschätzungen zu involvierten und nicht-involvierten Akteuren und Personen, Netzwerkbildungen, Veto-Positionen, Positionsveränderungen und dergleichen; 3. Beschreibungen und Einschätzungen zum Entstehungsprozess des ERC, über Verhandlungen auf der nationalen, transnationalen und der supranationalen EU-Ebene, über Entscheidungssituationen, über die Relevanz von Dokumenten (bspw. von Positionspapieren, Expertisen) sowie von Begründungsformeln und zentral verwendeten Begriffen; und 4. Einschätzungen zum Policy-Ergebnis, dem institutionellen Arrangement und der Stabilität des ERC sowie zu dessen zukünftiger 96 EMERGENZ ODER WANN DIE IDEE EINES ERC ENTSTAND 1995 bis 2007 entweder die höchste Leitungsfunktion oder eben eine sehr hohe Entscheidungsfunktion in nationalen und internationalen wissenschaftspolitischen Organisationen inne.9 Durch die Experteninterviews sollte zu Beginn des empirischen Arbeitens ein schneller Überblick über das Thema sichergestellt werden, um in einer »noch wenig vorstrukturierten und informationell wenig vernetzten Untersuchung eine konkurrenzlos dichte Datengewinnung« zu gewährleisten (Bogner und Menz 2016, S. 8). Das »Sonderwissen« der Befragten (Bogner und Menz 2005, S. 37) half zum einen, die in der EUForschungspolitik produzierten Dokumente zu sammeln und hinsichtlich ihrer Relevanz für die Entstehung des ERC einzuschätzen. Zudem ermöglichten die befragten Experten einen Einblick in Verhandlungen »hinter verschlossenen Türen« und informierten über die Machtressourcen von Personen sowie deren Organisationen. Der Begriff des Experten stellt in dieser Analyse auf den Ausdruck »Elite« ab: Experte ist hier derjenige, der »für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung [Verantwortung trägt] oder wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozessen verfügt« (Meuser und Nagel 1991, S. 443). Es ging also insbesondere um exklusive Entscheidungskompetenzen und nicht um die Beobachtung von Zaungästen (vgl. Littig 2016). Freilich ist von einem strategischen Interesse der Experten auszugehen, bestimmte Informationen in den Interviews preiszugeben (vgl. Berry 2002, S. 680). Diese Tendenz kann aber zum einen durch einen Vergleich von Interviewaussagen untereinander und mit Primärquellen reduziert werden. Zum anderen ist strategisches Antworten deshalb analytisch interessant, weil es soziale Deutungsmuster politischen Entwicklung. Neben einem kleinen Teil von rein auf Fakten abzielenden Fragen wurde das Gros der Fragen offen, das heißt zur Deutung anleitend, gestellt. 9 Beschäftigt waren bzw. sind die Personen in der Generaldirektion Forschung der Kommission, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Wissenschaftsrats, der Volkswagenstiftung, dem ERC Scientific Council, der European Science Foundation, dem European Research Advisory Board, EMBO und EMBL, dem Karolinska Institut, einem Max-Planck-Institut, der Initiative for Science in Europe, der Organisation Euroscience und der European Science and Technology Assembly. Die Interviews führte der Autor im Zeitraum von November 2009 bis Mai 2013 in Berlin, Brüssel, Dublin, Göttingen, Hannover, London und Wien. Acht von siebzehn Interviewpartnern waren im Untersuchungszeitraum in der Generaldirektion Forschung beschäftigt, davon drei Personen in leitender Kabinettsfunktion eines oder mehrerer Forschungskommissare. Mit Blick auf die Generaldirektion Forschung der Kommission selbst wurden fünf weitere Personen auf allen für die Entstehung des ERC relevanten Organisationseinheiten befragt. Die Namen der Interviewpartner wurden anonymisiert, hinter den zitierten Interviewaussagen stehen fiktive Nachnamen. 97 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Handelns gut zum Vorschein bringen kann. Die Interpretationen von Eliten sind also insofern aufschlussreich, wenn sie mit den von ihnen unabhängig analysierten Deutungsmustern10 (in Kapitel 6) verglichen werden. 5.2 Forderungen nach Grundlagenforschungsförderung Die Suche nach einem neuen bzw. relancierten Anliegen zur Gründung einer pan-europäischen Organisation zur Förderung von Grundlagenforschung führt zunächst in die 1980er- und 1990er-Jahre. Die Interviewpartner wurden gebeten, sich an Anlässe bezüglich der wieder aufflammenden Debatte um eine supranationale Organisation zur Förderung von Grundlagenforschung zu erinnern. Die dargestellte Auswahl von Antworten veranschaulicht das zuvor dargestellte Emergenzproblem. So erinnert sich bspw. ein hochrangiger Kommissionsbeamte der Generaldirektion Forschung: »When I was still working at the Ministry of Economic Affairs in the Netherlands in the early and mid-1980s, the debate was already there: Whether there should be a kind of a DFG-organisation at the European level. A member of the board of Shell, the oil company, and responsible for corporate research of their big laboratories in Amsterdam and the UK – you know in the good old days when people being responsible for research were still members of the board of companies’ management – suggested, ›if you really want this type of an organisation, why don’t you put one per cent of your own national budgets into a common basket?‹. We used to call that the basket of [Personenname], and that would be your fund for European science-driven research. So this topic came up in the 1980s and 1990s from time to time, but it never took off for a real debate.« (Thies) Andere Gesprächspartner verorten Diskussionen – wenngleich nicht öffentlich geführt – bereits in den 1970er-Jahren, so z. B. ein prominenter deutscher Wissenschaftsmanager: »Unter der Überschrift ›Entwicklung‹ lief bspw. in der Fusionsforschung schlicht und ergreifend hochkarätige Grundlagenforschung. Dieses war allen Akteuren klar, nicht nur den Forschern, sondern auch der Kommission. Es wurde astreine, lupenreine Grundlagenforschung betrieben, mit hohen Summen! Die Diskussion ist dann immer wellenförmig in der Vorbereitung der Forschungsprogramme weiter gegangen. Ich habe auch nie erlebt, dass wirklich das juristische Argument kam, ›das lassen die Verträge nicht zu!‹ Dieses Argument kam so ein bisschen auf nach 10 Zur Methode der Objektiven Hermeneutik, siehe Kap. 6.1–6.2. 98 FORDERUNGEN NACH GRUNDLAGENFORSCHUNGSFÖRDERUNG Maastricht, aber es war nie ein juristisches Problem, sondern ein Problem des Ist-Zustandes, der aus der Wirtschaftsförderung kam.« (Hermann) Den Interviewpassagen ist zu entnehmen, dass Diskussionen um die supranationale Grundlagenforschungsförderung zwischen wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern v. a. im Bereich der Energieforschung geführt wurden. Die Forderung, in der ersten Interviewaussage am Unternehmen Shell exemplifiziert, veranschaulicht die anscheinend geringer gewordenen Investitionsmöglichkeiten von Unternehmen in F&E aufgrund eines damals gestiegenen Wettbewerbsmoments auf dem Weltmarkt. Die Argumentationsfigur wurde v. a. in der Evolutionsökonomik diskutiert und lässt sich auf die Formel bringen, dass »Government programs that subsidize commercial R&D are justified on the grounds that profit-maximizing firms underinvest in R&D.« (Wallstein 2000, S. 82)11 In der zweiten Interviewpassage wurde an die große Definitionsmacht privater Unternehmen bezüglich der politischen Zwecksetzung europäischer F&E erinnert. Der Interviewte argumentierte zudem, dass politisch beauftragte Forschung und wissenschaftlich selbstbestimmte Grundlagenforschung keinen Gegensatz darstellen müssen. Einem weiteren Interviewpartner zufolge ist das Wiederaufkommen der Debatte um einen ERC auf hochschul- und wissenschaftspolitische Reformbestrebungen in mehreren europäischen Staaten zurückzuführen: »[M]it den europäischen Wissenschaftsräten gab es dann damals, so um 1990, regelmäßige Treffen der wissenschaftspolitischen Beratungsgremien […] das Thema der Vergleichbarkeit, für das die Niederländer und einige andere durchaus dafür offen waren, aber insbesondere unsere mediterranen Freunde und auch die Engländer absolut dagegen waren, weil sie gesagt haben, ›das kann nicht gut sein, europ…[äh] also deutsche Qualitätsmaßstäbe für ganz Europa heißt, dass Griechenland auf jeden Fall verliert.« (List) Diese Reformbestrebungen wurden als Folge einer allgemeinen Effektivitäts- und Effizienzsteigerung des öffentlichen Sektors ausgiebig erforscht. Die instrumentell-rationalistische Steuerungsphilosophie (vgl. Mayntz und Scharpf 1995), wie bereits angedeutet zumeist unter dem Stichwort des New Public Management diskutiert, wird auf unterschiedliche Anlässe zurückgeführt, seien es finanzielle Engpässe der öffentlichen Hand im Allgemeinen oder ein sich national wie international verschärfender Wettbewerb um Ressourcen aller Art, bedingt durch die Öffnung von Märkten oder auch in Folge der in den 1980er-Jahren endenden 11 Dass strenge Urheberrechte die Investitionsbereitschaft von Unternehmen in F&E nicht steigern würden, veranschaulichten Richard Nelson und Paul Romer (1996) am Beispiel US-amerikanischer Elektronik- und Informationstechnologieunternehmen. 99 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC sozialistischen Staatssysteme. Auf Bildung und Forschung bezogen äußerte sich diese Veränderung durch die Privatisierung oder Ökonomisierung von Hochschulen (Frank und Gabler 2006), durch Forderungen nach ihrem agonalen Wettbewerb um öffentliche und private Fördermittel (vgl. Wissenschaftsrat 1992; 1985), nach international sichtbarer, wissenschaftlich hochwertigerer wie auch ökonomisch nützlicherer Forschung. All dies wurde zunehmend durch systemübergreifende und organisationsinterne Evaluationen flankiert (Neave 1988; de Boer et al. 2007; Simon und Knie 2013). Festzuhalten ist, dass jedoch keiner der Interviewpartner mit seinen Andeutungen einen konkreten Anlass, geschweige denn einen hinreichend plausiblen Grund für das Aufkommen einer neuen Debatte um einen ERC in den angesprochenen 1980er- und 1990er-Jahren benennen konnte. Mit Blick auf die supranationale Ebene gab es auch hier zunächst nur indirekt einen entsprechenden Anlass: Nachdem die F&T-Förderung in die Einheitliche Europäische Akte aufgenommen wurde und die Kommission ihre FRP sukzessiv thematisch, programmatisch und finanziell erweitern konnte, mehrte sich die Kritik an den darin enthaltenen Förderprogrammen, den Bedingungen der Antragstellung und Projektdurchführung sowie – im Allgemeinen – an der engen Zwecksetzung der Förderprogramme (Nature 1989; Dixon 1993). Denn trotz der anteilig steigenden Beteiligung öffentlicher Forschungseinrichtungen an der primär auf industrielle Bedürfnisse ausgerichteten Technologieentwicklung waren die Förderprogramme nicht entsprechend angepasst worden (Peschke 1999, S. 130): Die Erwartungen von Akteuren aus Industrieunternehmen, durch Konsortialprojekte gemeinsam Technologien entwickeln und somit einen komparativen Marktvorteil erlangen zu können, konfligierten mit den Erwartungen von Akteuren aus öffentlichen Forschungseinrichtungen, einer primär erkenntnisorientierten Forschung nachgehen zu können (ebd.). Dies berichteten auch die interviewten Experten, die selbst an EU-Forschungsprojekten beteiligt waren; hier ein Nobelpreisträger aus der Medizinforschung: »Die ganzen Instrumente, die Antragsverfahren, die Begutachtungsverfahren, waren alle mehr oder weniger schlecht geeignet für angewandte Forschung, aber überhaupt nicht für Grundlagenforschung.« (Ohlau) Und ein weiterer, an dem Policy-Prozess beteiligter Immunologe erklärte: »Generally speaking, in the scientific society I was involved, the EU Framework Programmes became more and more interesting. But it was still very haphazard, or I would say Soviet-like, you know socialist planning type of five years plans, but in basic research this doesn’t make sense.« (Blomquist) 100 FORDERUNGEN NACH GRUNDLAGENFORSCHUNGSFÖRDERUNG Auch interviewte Kommissionsbeamte gaben zu, dass der Generaldirektion Forschung geradezu ein Stigma anhaftete, Forschung bürokratisch und für Wissenschaftler freiheitseinschränkend zu fördern. Dass sich die Verfahren der EU-Forschungsförderung womöglich verbesserten, wurde schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen: »It seemed to me that there was a real problem of trust. Whether or not the Framework Programmes conducted decent peer-reviewed evaluation, whether or not they produced good outputs, there was nevertheless a very strong perception that these were second-class programmes, because of all the red tape.«12 (Dunst) Mit der aufkommenden Kritik an der starren, anwendungsorientierten und politisch vorprogrammierten Forschungsförderung war auch die Idee einer internationalen, an wissenschaftlichen Bedürfnissen ausgerichteten Fördereinrichtung wieder ins Spiel gebracht worden, und zwar bereits während der Laufzeit des 4. FRP (1994-1998). Im Jahr 1995 erschien ein Editorial der Fachzeitschrift Nature (1995, S. 321) unter dem Titel »A research council for Europe?«. Prominent zitiert wurde hier eine Debatte, die mit der Forderung der Royal Society entfacht wurde, dass zehn Prozent des zukünftigen Fördervolumens im 5. FRP13 für Grundlagenforschung bereitgestellt werden sollten, »spent through a different mechanism«. Den Anlass hierzu bot eine Umfrage der European Science Foundation (ESF) bei ihren Mitgliedsorganisationen. Die Royal Society – zu diesem Zeitpunkt ein Mitglied der ESF – veröffentlichte ihre Stellungnahme angeblich »aus Versehen«, ein Vorgehen, das dem Journalisten des Nachrichtenteils der Fachzeitschrift Nature Anlass zu Spekulationen bot: War die versehentliche Veröffentlichung ein Fauxpas oder geradezu ein gewitztes Vorgehen der wissenschaftlichen Gesellschaft? In jedem Fall war das Durchsickern der Stellungnahme für den Anstoß einer politischen Debatte hilfreich, denn so brachte die britische Gesellschaft als erste nationale Einrichtung die allenthalben vorherrschende Kritik gegenüber der primär anwendungsorientierten EU-Forschungsförderung, die mittlerweile auf ein beachtliches finanzielles Volumen angewachsen 12 Hier kann nicht bewertet werden, ob diese geäußerte oder wahrgenommene Kritik auf die Larmoyanz von Wissenschaftlern bei der Antragstellung und -verwaltung von EU-Forschungsfördermitteln oder auf berechtigte Kritik zurückzuführen ist. Beschwerden gegen EU-Forschungsantragsverfahren könnte zumindest entgegengehalten werden, dass sie deshalb aufwendiger sind, weil sie Verwaltungskulturen (z. B. Kameralistik versus Vollkostenrechnung) öffentlicher und privater Kontexte aus verschiedenen Staaten synchronisieren und hierbei allen europäischen Steuerzahlern rechenschaftspflichtig sein muss (Hakala 1998, S. 69–72). 13 Das 5. FRP wurde im Zeitraum von 1998–2002 mit rund 15 Mrd. Euro finanziert. 101 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC war, öffentlich zum Ausdruck.14 Der Stellungnahme der Royal Society konnte bereits ein einfacher Implementationsmechanismus für einen zukünftigen ERC entnommen werden: »[…] a supervisory board that commands respect among working scientists (but whose composition will be rotated regularly), an impartial secretariat recruited by merit (usually experience) and a budget transferred from the Commission in which the donors will have no further say« (ebd.). Erwähnenswert ist der Beitrag aufgrund seiner differenzierten Sichtweise: Die Kommission wurde nicht schlichtweg für ihre aufwendigen Förderverfahren und intransparenten Förderentscheidungen kritisiert – ihr wurde durchaus Verständnis entgegengebracht, dass sie aufgrund des Subsidiaritätsprinzips gehemmt sei, freie Grundlagenforschung fördern zu können. Auch wurde auf strategische Weise ein Gründungsleitbild der Europäischen Gemeinschaften bemüht, nämlich jenes eines gesamteuropäischen Föderalstaats. Langfristig betrachtet, so die Begründung der Royal Society, sei die Etablierung eines ERC alternativlos: »Whether or not Europe becomes a formal federation of its member states, it is only a matter of time before there has to be a European research council of some kind (ebd.; kursiv hervorgehoben; TF).« Gleichzeitig wusste man im Ansinnen eines supra- oder transnationalen Research Council geradezu mühelos auf die Bedeutung von Grundlagenforschung innerhalb des EU-Binnenmarktes zu verweisen. Dem folgenden Zitat ist die Semantik eines klassischen linearen Innovationsmodells zu entnehmen: Basis ist die Grundlagenforschung, darauf baut angewandte Forschung auf, ihr folgt die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, und nur aus dieser Linearität sei eine globale Wettbewerbsfähigkeit der EU realisierbar. Fehlten wichtige Forschungsbereiche, drohten europäischen Wirtschaftsunternehmen Wettbewerbsverluste: »The EU should not lose sight of the fact that the applied research of today would not be possible if basic science had not provided the foundations in the past […] If the EU is to remain competitive in the global market there should be no significant areas of research that are absent from Europe as a whole« (ebd.). Ein weiteres Plädoyer für die Stärkung der Grundlagenforschungsförderung wurde ein halbes Jahr später im Nachrichtenteil der Zeitschrift Nature (Abbott 1996, S. 180) veröffentlicht. Über Diskussionen eines 14 In Anlehnung an die analytischen Kategorien Albert Hirschmans (1970) illustriert diese Situation geradezu paradigmatisch das Dilemma von Akteuren, strategisch nicht mehr eindeutig auf »exit« oder »loyalty« setzen zu können: Zu viel Geld stand mittlerweile auf dem Spiel, um die FRP zu meiden und zu viel bürokratischer Aufwand sowie unpassende Förderprogramme, um weiterhin einfach nur Anträge zu stellen. Für die Archivrecherche und Übersendung des Konsultationsschreibens (1995) sowie für die Diskussion über den Standpunkt der Royal Society zu jener Zeit bin ich Peter Collins, ihrem ehemaligen Geschäftsführer, zu außerordentlichem Dank verpflichtet. 102 FORDERUNGEN NACH GRUNDLAGENFORSCHUNGSFÖRDERUNG zu gründenden europäischen Forschungsrats wurde zwar nicht mehr berichtet, allerdings zitieren die Redakteure der Zeitschrift nun auch andere Fürsprecher; allen voran die kommissionsnahe »European Science and Technology Assembly« (ESTA).15 Diese erkenne das primäre Ziel der Kommission mit ihren Rahmenprogrammen an, »to support applications-oriented research«. Jedoch erinnerte die ESTA die Kommission auch daran, dass es durchaus auch einen industriellen Bedarf gebe, »to remain in touch with basic research«. Das Gremium würdigte die bisherigen Ansätze der Kommission, neben der Mobilitätsförderung von Postdoktoranden mittlerweile auch ein kleines Programm des 4. FRP für Grundlagenforschung etabliert zu haben, auch wenn dies stark unter einer Überzeichnung leide. Dies bestätigte auch ein hochrangiger Kommissionsbeamter in einem Experteninterview: »There was a meeting of ESTA […] with Mrs. Cresson.16 The very first question addressed to me was why the Commission keeps its interest exclusively on business-related research and not also on basic science. And whether human potential was the only programme – at that time it was bottom-up –, whether this could become a sort of balance to the otherwise very clear tendency towards mission-related and industry-related research. So, the importance of basic and bottom-up research was raised to me […] as a director.« (Niosi) Insgesamt fällt die alleinige Ausrichtung der Argumente zur Förderung von Grundlagenforschung auf industrielle Bedürfnisse auf. So seien die Mobilitätsprogramme (»training and mobility of young basic scientists«) essenziell, »to provide industry with a highly-skilled workforce already experienced in adapting to the international environment«. Zudem müssten industrielle Unternehmen immerzu durch Grundlagenforschung in der Frage unterstützt werden, wie sie ihre Ziele langfristig erreichen könnten. Bemerkenswert ist die eigentümlich unterstellte Handlungsträgerschaft von Grundlagenforschung, v. a. aber die Zuschreibung, sie habe eine starke, ja geradezu schicksalhafte Bedeutung für das Fortkommen industrieller Unternehmen. Eine weitere Begründungsformel wurde bemüht, die ebenso wie die vorherigen Argumente zu den klassischen Narrativen der Wissenschaftspolitik seit Mitte des 20. 15 Die ESTA wurde 1994 von der EU-Kommission als Beratungsgremium eingerichtet, dessen rund 100 Mitglieder hauptsächlich öffentliche Forschungseinrichtungen aus den EU-Mitgliedstaaten vertraten (Peschke 2001, S. 139). Ihre Rolle, Stellungnahmen, z. B. bei der thematischen Prioritätensetzung des 5. FRP, zu verfassen, wird als formalisiert bewertet (ebd., S. 233); neben der ESTA hatte die Kommission bereits zuvor ein industrielles Pendant geschaffen, das Industrial Research and Development Advisory Committee. 16 Édith Cresson amtierte als EU-Forschungskommissarin im Zeitraum von 1995 bis 1999. 103 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Jahrhunderts zählt: dass Unternehmen aufgrund der öffentlichen Förderung von Grundlagenforschung ihre Leistungen steigern, da im Zuge von Grundlagenforschung immerzu »glückliche« Entdeckungen (»serendipitous discoveries«; Abbott 1996, S. 180) gemacht worden seien, welche dann kommerzialisiert werden könnten (vgl. Knie et al. 2010). Sollte die Kommission ein Förderprogramm für Grundlagenforschung in das neue FRP integrieren, so die Empfehlung der ESTA, möge sie dies zuvorderst mit den nationalen Fördereinrichtungen abstimmen. Wissenschaftliche Ziele sollten gemeinsam verfolgt und Forschungsvorhaben nicht in redundanter, sondern komplementärer Weise gefördert werden. Zudem riet das Gremium der Kommission, sich hierbei an den Organisationsweisen transnationaler Einrichtungen zu orientieren, insbesondere EMBO und EMBL, CERN und der Europäischen Organisation für astronomische Forschung in der südlichen Hemisphäre (ESO). Wichtiger vielleicht als die dargestellten Positionen der ESF, der Royal Society und der ESTA scheint die Tatsache, dass die Kommission die Forderungen und Empfehlungen, Grundlagenforschung supranational zu fördern, ein Jahr später überhaupt zur Kenntnis nahm (Nature 1997). Aus dem im Editorial der Zeitschrift Nature zitierten Apologismus der damaligen Forschungskommissarin Édith Cresson ist allerdings auch eines der zentralen systemisch begründeten Probleme17 supranationaler EU-Politik herauszulesen: In Anbetracht der Forderungen des Europäischen Ministerrats an die Kommission, sich um gravierende Probleme in der Landwirtschaft und um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit innerhalb der EU zu kümmern, so Cresson, bräuchte es überzeugendere Argumente (»may need more convincing«) um Grundlagenforschungsförderung in das 5. FRP aufzunehmen (ebd.).18 Der Hinweis aus der 17 Der Verweis auf diese politischen Meinungsverschiedenheiten soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die damalige Leitung der Generaldirektion Forschung per se unter harscher Kritik stand. Dem damaligen Generaldirektor Jorma Routti wurde vorgeworfen, selten in Brüssel anzutreffen zu sein und im Zusammenspiel der Generaldirektionen nur eine marginale Rolle zu spielen, während die Forschungskommissarin Édith Cresson ein »shameful lack of interest in science« (Nature 1997, S. 661) zeige. Zwei Jahre später wird sie zudem den Rücktritt der gesamten Kommission unter der Präsidentschaft von Jacques Santer mit zu verantworten haben: Cresson wurde vorgeworfen, im Zeitraum von September 1995 bis Ende Februar 1998 ihren Zahnarzt als so genannten »emploi fictif« (Quatremer 2004) mit monatlich 14.000 EUR begünstigt zu haben (Schefczyk 2005, S. 118). Eine politikwissenschaftliche Analyse der Auseinandersetzung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission unter Jacques Santer anlässlich des Korruptionsskandals lieferte Nils Ringe (2005). 18 Der Historiker Luca Guzzetti (2009, S. 72) will Édith Cressons Zurückweisung einer supranationaler Grundlagenforschungsförderung gar als Teil eines eingespielten Zyklus europäischen Regierens gedeutet sehen. Dabei wirkt seine Interpretation in irreführender Weise deterministisch: So seien Forschungskommissaren, die 104 FORDERUNGEN NACH GRUNDLAGENFORSCHUNGSFÖRDERUNG Kommission ist nicht zu unterschätzen: Die supranationale Förderung von Grundlagenforschung – was auch immer man in der Kommissionsgeneraldirektion Forschung am Square de Meeûs in Brüssel darunter verstand – sei kein Ding der Unmöglichkeit; einzig: ihre Begründung müsse überzeugen. Zunächst ist also festzuhalten, dass bereits Mitte der 1990er-Jahre erste Forderungen nach internationaler Grundlagenforschungsförderung und einem Europäischen Forschungsrat zu beobachten sind, mit föderalistischer Verve durch die Royal Society oder als verhaltene Kritik durch die ESTA gegenüber der Kommission vorgetragen. Zweitens zeigt sich aus den Reaktionen der Kommission ein verschachteltes Legitimationsproblem: Die sozial stabilisierten Erwartungen an Grundlagenforschung sind v. a. dann problematisch, wenn mit dieser kein außerwissenschaftlicher Nutzen kommunikativ markiert werden kann. Deshalb schienen sich auch alle Akteure in diesem politischen Kontext einig, dass man Grundlagenforschungsförderung nur dann fordern könne, wenn auf ihre – hier: ausschließlich industrielle – Nützlichkeit verwiesen würde. Doch selbst wenn mittels der klassisch linearen oder kaskadenförmigen Begründungsfigur von Innovation (vgl. Braun-Thürmann 2005; Kaldewey 2013) argumentiert wurde, reichte dies nicht aus, um mit der institutionalisierten Aufteilung von Handlungszuständigkeiten zwischen den Nationalstaaten der EU und der Kommission zu brechen. Drittens suggerieren die zitierten Zeitschriftenbeiträge, dass mit Ausnahme der Royal Society nicht primär nationale Forschungs- und Forschungsfördereinrichtungen oder andere Wissenschaftseinrichtungen (Akademien, Fachgesellschaften) Forderungen nach internationaler Forschungsförderung stellten, wenngleich diese Forderungen bei den Niederlanden und den skandinavischen Staaten auf Unterstützung stießen. Wie infolge diskutiert wird, übten die transnationalen Organisationen EMBO und EMBL Druck auf die Kommission aus, freie und wissenschaftlich selbstbestimmte Grundlagenforschung zu fördern. sich für eine supranationale Grundlagenforschung einsetzten – Guzzetti beruft sich auf Ralf Dahrendorf und Antonio Ruberti – immer jene Kommissare gefolgt, die ihre Politikgestaltung, wie Édith Cresson, auf industrierelevante Technologieförderung beschränkten. Sieht man von dieser seltsamen Interpretation zyklisch wechselnder Präferenzen von Forschungskommissaren für und wider supranationaler Grundlagenforschungsförderung einmal ab, so ist Guzzettis Hinweis dennoch relevant. Denn er illustriert ein weiteres Mal, wie tief verwurzelt die Erwartungen war, dass Grundlagenforschung als etwas Nationalstaatliches zu fördern galt, während anwendungsorientierte F&E (auch) auf der supranationalen Ebene finanziert werden kann, solange sie nationalstaatlich von Nutzen sein würde. Diese Begründungsfigur entwickelte sich bereits in den 1960er-Jahren, also weit vor der Auslobung des EU-Binnenmarktes (Felder 1992, S. 90ff.; Mitzner 2013, S. 272–276). 105 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC 5.3 Die Organisation politischer Relevanz: Warum die Lebenswissenschaften? Im Zeitraum von 1995 bis 2003 wurde besonders von Akteuren aus den Lebenswissenschaften für die internationale Finanzierung von Grundlagenforschung in Europa geworben. Die hier involvierten Akteure riefen eine Lobbying-Initiative ins Leben und schwörten weitere Interessengruppen auf die Leitidee einer pan-europäischen Grundlagenforschungsförderung ein, so dass diese politisch nicht mehr ignoriert geschweige denn wegdiskutiert werden konnte. Dass sie sich zwar zunehmend an den Fördermaßnahmen der Kommission beteiligten, jedoch mit der marktimperativen Begründung in Forschungsanträgen und mit der inhaltlichen Ausgestaltung der auf industrielle Technologieentwicklung ausgerichteten Fördermaßnahmen nur schwer zurechtkamen, war für die Lebenswissenschaftler ein Grund, für Grundlagenforschung zu werben. Der Aufwand bei EU-Forschungsförderanträgen, einen spezifischen Nutzen ihrer F&E glaubhaft darzustellen, scheint ihnen zu hoch geworden zu sein. Zudem erwiesen sich die damals stark ausgeprägten Verbundforschungsvorgaben – mehrere und oftmals viele Partner aus unterschiedlichen Staaten müssen gemeinsam forschen und entwickeln – nicht als ein ideales Förderformat.19 Dass den Lebenswissenschaftlern in diesem Zeitraum eine hohe politische Aufmerksamkeit zuteilwerden konnte, mag wiederum der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass sie im Zuge des angebrochenen biotechnologischen Zeitalters von den damit verbundenen gesellschaftlichen Hoffnungen auf medizinische Durchbrüche profitieren konnten (u. a. Bud 1991; Rifkin 1998; Jasanoff 2006; Braun 2007).20 Die Kommission beschwor rund um dieses Forschungs- und Entwicklungsfeld eine weitere »Technologische Lücke« herauf (nun eine biotechnologische; siehe Pavitt 1987): Ein weiteres Mal – so die Begründungsform – drohten die USA und Japan Europa im technologischen Wettbewerb abzuhängen 19 Dass diese Ansicht nach wie vor verbreitet ist, konnte der Autor auf einer Veranstaltung anlässlich der Vorbereitung auf das 8. FRP (»Horizon 2020«) in der Berliner EU-Vertretung am 06.02.2012 miterleben: Peter Gruss, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, kritisierte den Kommissionsgeneraldirektor Robert-Jan Smits unter Berufung auf die Arbeitsweisen in der Molekularbiologie, dass Wissenschaft auch »tot koordiniert« werden könne. Für weite Teile lebenswissenschaftlicher Forschung, so Gruss als ehemaliger Zellbiologe, sei eine großangelegte Verbundforschung geradezu hinderlich. 20 Robert Bud (1991, S. 446) zufolge konnte sich das Feld der biotechnologischen Forschung gerade deshalb so erfolgreich ausdifferenzieren, eben weil keine strategische Grenze zwischen der Biologie und Ingenieurwissenschaften gezogen wurde. 106 DIE ORGANISATION POLITISCHER RELEVANZ (Abels 2000b, 2003). Bereits zu einem frühen Zeitpunkt der post-eurosklerotischen F&T-Politik, nämlich im Kommissionsevaluationsbericht zum 2. FRP (Commission of the European Communities 1992, S. 9) ist über das darin geförderte Projekt der Analyse des menschlichen Genoms zu lesen: »The programme is a European response to the international challenges presented by the largescale biological research projects in the United States and Japan.«21 Nicht zuletzt war es für die Kommission von Bedeutung, in ihrem Bericht zu betonen, dass die an dem Rahmenprogramm beteiligten Molekularbiologen Grundlagenforschung (»fundamental research«) betreiben würden. Allerdings – so im Kommissionsbericht rasch hinzugefügt – könne erwartet werden, dass die aus dieser Form von Grundlagenforschung neu gewonnenen Informationen und Wirkstoffe von kommerziellem Nutzen sein würden. Auch wenn die Kommission noch im Vorschlag zum 3. FRP (1992, S. 13) für diesen Forschungsbereich eine Differenzierung zwischen Wissenschaft und Technologie (»Life sciences and technologies«; kursiv TF) vornahm, stellte sie hernach die mit biologischen und biomedizinischen Fragestellungen befassten Wissenschaften und die damit verbundenen Technologien vollständig unter das Primat des industriellen Wettbewerbs: »The bias should be, above all, to enhance industrial competitiveness« (ebd.; kursiv TF).22 Auf der anderen Seite standen die an EU-geförderter Biotechnologie beteiligten Lebenswissenschaftler selbst vor immensen politischen Legitimationsherausforderungen. Die lebensmittel-, landwirtschaftlich- und medizinisch ausgerichtete Biotechnologie in den 1990er-Jahren – folgt man den Ergebnissen von Bürgerbefragungen – galt als »most contested technology in all European Union (EU) member states, as well as at the supranational (and international) level« (Abels 2003, S. 315). Die Kommission reagierte hierauf in Form von Verfahren der Bürgerbeteiligung und Technikfolgenabschätzung, um politische Legitimation einzuholen, aber sie »employs a deterministic notion as to the potential of biotechnology; above all, it remains fully committed to the technological-market imperative« (ebd., S. 332). Paradoxerweise konnten gerade die sich als Grundlagenforscher verstehenden Molekularbiologen aus dem deterministischen Marktimperativ der Kommission ihre Legitimation ziehen. 21 Gabriele Abels (2000a) erinnert daran, dass auch die US-amerikanische Großforschungsinitiative zur Sequenzierung der DNA als globalpolitische Reaktion auf die Ankündigung aus Japan gewertet werden kann, ein nationales Genomprogramm zu etablieren, wenngleich beide Staaten eine internationale Organisation, das Human Science Frontiers Programme, gemeinsam gründeten. 22 Dass hiermit eine typische Ausdrucksgestalt der Begründung europäischer Forschungs- und Technologiepolitik vorliegt, die sich auf geostrategische Abgrenzung und eine totale Marktindienstnahme beschränkt, rekonstruierte Janina Schirmer (2012) ähnlich am Beispiel der Nanotechnologie-Agenda der EU. 107 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Weniger eindeutig kann die Frage beantwortet werden, ob Teile der Lebenswissenschaften über die Selbst- und Fremdzuschreibung, Grundlagenforschung zu betreiben, vor jenen Unterstellungen geschützt wurden, die auf eine Bedrohung europäischer Bürger durch genetisch modifizierte Lebensmittel oder biotechnologisch modifizierte Landwirtschaftsprodukte hindeuteten, abgesehen davon, dass derlei Produkte im Europa der 1990er-Jahren weder existierten noch aus F&E-Maßnahmen hervorgingen (ebd., S. 315).23 Mit Blick auf die dargestellte Diskurslage kritisierten Akteure aus der Molekularbiologie die Förderweisen der Kommission aber auch deshalb, weil die primäre Orientierung der Akteure, Grundlagenforschung zu betreiben, sie daran hinderte die FRP finanziell auszuschöpfen. Dies wird auch von Interviewten außerhalb der Lebenswissenschaften berichtet: »[Mit Bezug zu EMBO/EMBL] gab es dann in den Life Sciences enorme Probleme: ›Wie kann man eigentlich die Grundlagenforschung, die man gebraucht hat, mit EU-Mitteln hereinholen?‹ Man hat das pragmatisch umgangen, aber de facto gab es keine rechtliche Grundlage, um Grundlagenforschung zu fördern« (Oertler). Die vehementen Forderungen der Lebenswissenschaftler aus dem Nukleus von EMBO und EMBL, mehr und ihren Produktionsweisen angemessener durch die FRP gefördert zu werden, können auch vor dem Hintergrund gedeutet werden, dass EMBL Ende der 1990er-Jahre nur knapp einem finanziellen Aus entging – dies zumindest berichteten Journalisten im Nachrichtenteil der Zeitschrift Science (Balter 1999; Frank 2000). Der Zeitschrift ist auch zu entnehmen, dass die EMBO zur gleichen Zeit in den molekularbiologischen Fachgesellschaften dazu aufrief, die Kommission für die Streichung von Geldern für biologische Infrastrukturmaßnahmen, wie dem »European Mouse Mutant Archive«, scharf zu kritisieren und sich noch stärker politisch zu engagieren (Koenig 1999).24 Die zitierten Akteure aus den Lebenswissenschaften hatten also genügend Motive, nach weiteren und v. a. den Bedingungen ihrer Wissensproduktion angemesseneren Finanzierungsquellen zu suchen und sich demnach für die Förderung von Grundlagenforschung einzusetzen. Plausibel ist auch, dass sie unter dem Schutz eines europäischen 23 Abels Schlussfolgerung, dass die Berufung auf Grundlagenforschung eine Art polymorphen Schutzmechanismus bezüglich des Einsatzes der Mittel (nur zum Erkenntnisgewinn; v. a. gegenüber der bedrohten Gesellschaft abgeschirmt) und des Zwecks (Marktrelevanz) darstellte, scheint auch für die Molekularbiologie zuzutreffen. 24 Diese finanzielle Knappheit schien auch über das Millennium hinaus anzuhalten und mündete im Jahr 2003 in einer öffentlichen Rücktrittsdrohung des damaligen EMBO-Direktors, nachdem Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien eine geplante Budgetaufstockung der Organisation von 2004–2008 in Höhe von rund fünf Millionen Euro ablehnten (Schiermeier 2003). 108 DIE ORGANISATION POLITISCHER RELEVANZ Binnenmarktimperativs und durch die weitere Inszenierung einer »Technologischen Lücke« ihren Forderungen höhere Ausdruckskraft verleihen konnten. Dies erklärt jedoch noch nicht hinreichend, weshalb ihr Ansinnen strukturwirksam werden konnte. Eine weitere Teilerklärung für den Lobbying-Erfolg der Lebenswissenschaften ergibt sich aus der Betrachtung der Organisationsfähigkeit dieser Akteure. Diese erstaunt v. a. vor dem Hintergrund der gängigen Abläufe in der Gestaltung supranationaler F&T-Politik. Denn in diesem Politikfeld gilt das Agenda-Setting der vielen Interessenvertreter (Grande und Peschke 1999) als von zyklischen Aufmerksamkeitskonjunkturen rund um die Vorbereitung der Rahmenprogramme gekennzeichnet. Sind m. a. W. die Grundzüge der F&T-Politik durch den Beschluss eines Rahmenprogramms für die folgenden Jahre einmal festgelegt, ebbt normalerweise die Intensität des Agenda-Settings und hiermit die Aufmerksamkeit der daran beteiligten Akteure für eine gewisse Zeit ab (Peterson und Sharp 1998; Edler 2000). Man könnte also annehmen, dass nach dem Beschluss zum 5. FRP auch die Chancen abgenommen haben müssten, Forderungen nach Grundlagenforschungsförderung an die Kommission zu adressieren.25 Entsprechend müsste auch die Motivation, weiter zu lobbyieren, zunächst gesunken sein. Anders bei den Akteuren rund um EMBO und EMBL: Ungeachtet der abebbenden politischen Aufmerksamkeit und der Einflussmöglichkeiten auf das 5. FRP begannen die Einrichtungen ihre Positionen hier erst zu bündeln. Mitentscheidend für das erfolgreiche Lobbying der lebenswissenschaftlichen Akteure scheint der organisationale Aufbau und die Kultur von EMBO und EMBL zu sein, die enge Verbindungen zu nationalen Wissenschaftseinrichtungen – im übertragenen Sinne: deren Gesellschafter – und zu unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften pflegen. Die organisationalen Ausgangsbedingungen, eine Idee über nationalstaatliche Grenzen hinaus zu verbreiten, können daher als günstig bewertet werden. Zudem wusste die Journalistin Alison Abbott in der Zeitschrift Nature (1995b) von einer damals neu verabschiedeten Strategie innerhalb der EMBO zu berichten, mit der ihre Leiter mehr Einfluss auf die supranationale F&T-Politik nehmen wollte. Eine weitere günstige Ausgangsbedingung für das europapolitische Lobbying von EMBO liegt möglicherweise in der Tatsache begründet, dass die Organisation nicht nur als Dachorganisation des über mehrere Staaten dezentral organisierten Labors EMBL, sondern auch als Forschungsförderorganisation 25 Siehe auch die geäußerte Kritik von Vertretern öffentlich geförderter Wissenschaftseinrichtungen in der Zeitschrift Nature (1997) und die daraufhin veröffentlichte Zurückweisung des damals amtierenden Forschungskommissars Antonio Ruberti (1997) in derselben Zeitschrift. 109 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC und Quasi-Fachgesellschaft26 für molekularbiologische Forschung in Europa fungiert (Krige 2002). Die Voraussetzung, eben diese Gemeinschaft zu politischen Maßnahmen oder zumindest zu einer Positionierung motivieren zu können, wird von prozessbeteiligten Lebenswissenschaftlern allerdings auch darauf zurückgeführt, dass durch die Arbeit an ähnlich gelagerten wissenschaftlichen Fragestellungen eine gemeinsame Sprache gesprochen würde und somit ein gemeinsamer Denkstil geformt werden konnte (vgl. Fleck 1980[1935]). So erklärte ein Interviewpartner, seines Zeichens ehemaliger Direktor von EMBO: »The life sciences also dominated, because although life sciences has different bits like microbiology, neurobiology, developing biology etc., there is a commonality in that we all speak the same language and then apply the rule of thumb: a cell is a cell is a cell, and in different places it is doing different things. So it is easier for that community to feel a togetherness. Further to EMBO, the Federation of European Biochemical Societies (FEBS) has interchangeable parts with biochemistry and molecular biology, so that allowed everyone to speak the same language.« (Hansson) Ein weiterer Mitinitiator der ERC-Initiative – und ehemaliger Direktor von EMBL – will sich an einen veritablen Expansionstrieb der Molekularbiologie erinnern, vor dessen Hintergrund die wiederaufkommende Idee, einen ERC zu fordern, nur konsequent gewesen sei: »So while Molecular Biology was the core, all of the life sciences became dependent on molecular techniques. And my development took off in that direction. It is a combination of experience of individuals, the progress of science creating the opportunities, and the models of intergovernmental institutions that could really create a community that was heaving thoughts of a major expansion in Europe. And so it was that concept [creating an ERC] that came from that community: biology scientists and our institutions, EMBL and EMBO as well as the societies, such as the Federation of European Biochemical Societies (FEBS), were important.« (Laurenz) Bemerkenswert an der Interpretation ist, dass die erfolgreiche Ausbildung einer wissenschaftlichen Fachgemeinschaft ko-evolutionär mit der Institutionalisierung intergouvernementaler Organisationsformen einher 26 Eine klare Zuordnung, was EMBO primär ist bzw. was ihre Funktionen sind, fällt allerdings trotz ihrer gut strukturierten Selbstbeschreibungen auf der Website der Organisation schwer. Sucht man im Internet des Weiteren mittels unterschiedlicher Begriffe (European Molecular Society, Union, Association usw., im Singular wie auch im Plural) nach einer europäischen molekularbiologischen Gesellschaft, wird einzig auf EMBO verwiesen. 110 DIE ORGANISATION POLITISCHER RELEVANZ zu gehen scheint. Auf die schwierigen transnationalen Verhandlungen zur Gründung von EMBL wurde in den Interviews nicht eingegangen.27 Festzuhalten ist, dass EMBO und ihr Labor EMBL mit Blick auf die Mitarbeiterzahlen nationaler und internationaler Wissenschaftsorganisationen vergleichsweise kleine Organisationen darstellen, was von externen Beobachtern als günstige Bedingung bewertet wird, um politisches Agenda-Setting zu betreiben. Ihren Wissenschaftlern würden beide Organisationen großen politischen Gestaltungsspielraum erlauben, zumal sie im Gegensatz zu großen Organisationen weniger von hierarchischen Strukturen gehemmt seien, kommentierte ein hochrangiger Wissenschaftsmanager aus Deutschland: »Das sind genossenschaftlich organisierte Fachcommunity-Interaktionen, alles ist ganz intim und immer personenbezogen. Bei EMBO können Sie das wirklich auf ganz wenige Personen beziehen, die dann auch das Labor leiten, aber auch politisch agil sind. Und dann entstand bei EMBO ein sehr intensiver Diskussionsprozess in der Frage, ›wo geht’s denn hin?‹.« (Hermann) Eine weitere Voraussetzung für die Organisationsfähigkeit dieser Bewegung sollte Erwähnung finden: EMBO und FEBS28 konnten Teile ihrer Einnahmen aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften, bspw. der Zeitschrift EMBO Journal, verwenden, um ihre Lobbying-Initiative zur internationalen Förderung von Grundlagenforschung zu finanzieren: »So there was a lot of twining, and both of us were, without any major difficulties, able to put resources into something. And there is a side trail here, which we won’t go down: we were able to do that, because both EMBO and FEBS had scientific journals, which generated money which we invested; into the community, into EMBO’s activities and FEBS into 27 EMBL ist im Gegensatz zur zunächst konferenzartigen Mutterorganisation EMBO erst entstanden, nachdem sich das Forschungsfeld der Molekularbiologie in den europäischen Nationalstaaten institutionalisierte und in den 1970er-Jahren die Praxis des »genetic engineering« Aussichten auf ökonomische Erträge hatte (Krige 2002). Gleichzeitig ist es ein Mythos, dass die rund zehnjährige zwischenstaatliche Verhandlungsodyssee bis zur Gründung von EMBL auf die Leitorientierung mitgliedstaatlicher Entscheidungsträger an der »big machine« (ebd., S. 549; mit Bezug zu CERN) zurückzuführen sei. Denn CERN sei die Lehre, dass das Interesse an physikalischen Großinfrastrukturen zur Indienstnahme im Zuge des Kalten Krieges abebbte und erst den Weg für eine Transnationalisierung anderer, potentiell ökonomisch relevanter Forschungsfelder eröffnete, solange einzelstaatliche Wettbewerbsvorteile nicht beeinträchtigt wurden (ebd., S. 549, 563). Zumal sei CERN eben eine »Maschine«, die zwar nicht die erhofften Lösungen in der Kernfusion, aber eine Vielzahl von Nobelpreisträgern produziert habe (vgl. Krige und Guzzetti 1997). 28 Mit über 40.000 Mitgliedern und 36 vertretenden wissenschaftlichen Gesellschaften gilt die 1964 gegründete Föderation als eine der größten Wissenschaftsvereinigungen innerhalb Europas; siehe Celis (2000). 111 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC their activities.« (Hansson) Dass es nicht etwa eine übliche Praxis ist, die Einnahmen wissenschaftlicher Zeitschriften für politische Lobbying-Initiativen einzusetzen, bekräftigte der Interviewpartner, dem es etwas unangenehm schien, weitere Hintergründe mitzuteilen: »[…] the reason we won’t go down there was that the open access movement was coming to say that one should not make any money. So perversely, if full open access was working, we would not have had any income from journals and would not be able to do anything, and therefore the community would not have developed the idea of an ERC. But that is a side trip.« (ebd.) Mit anderen Worten: Durch EMBOs Pflicht zur Gemeinnützigkeit,29 so der Apologismus, mussten überschüssige Einnahmen irgendwie ausgegeben werden. Zur Debatte standen die Finanzierung von Postdoktoranden und die Einrichtung des Lobbying-Sekretariats; man entschied sich für letzteres. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Initiative der um EMBL und EMBO organisierten Lebenswissenschaftler eine nachhaltige Wirkung auf das Agenda-Setting zur Entstehung des ERC erzielen konnte, da sie Geschlossenheit signalisieren und überall mit einer recht einfachen Botschaft auftreten konnte: Ein Kabinettsmitglied des EU-Forschungskommissars stellt in einem Interview klar, alle anderen Initiativen waren »rather diffuse with the exception of the life sciences community, which was very well-organised and just had the same message everywhere.« Im Folgenden wird aber gezeigt werden, dass die von EMBO und EMBL vertretenen Interessen erst deshalb auf Gehör stoßen konnten, weil sie sich der Reputation wissenschaftlicher Zeitschriften und Persönlichkeiten bedienten und durch Konferenzen ein immer größeres Netzwerk von individuellen und kollektiven Akteuren an die Initiative binden konnten. Wollte EMBOs Initiative einen Erfolg erzielen, musste sie gewährleisten, den zu befürchtenden Vorwurf auszuräumen, es würde ihr bloß um partikuläre Interessen einer wissenschaftlichen Disziplin bzw. einer ihrer wichtigsten Organisationen gehen. Es galt, das ERC-Projekt als ein gesamtwissenschaftliches Anliegen darzustellen und die Gefahr auszuräumen, dass mit einer zunehmenden Anzahl unterschiedlichster Akteure die Interessen zu diffus oder gar unvereinbar werden würden. Entsprechend behutsam ging die lebenswissenschaftliche Community vor und weitete ihren Adressatenkreis Schritt für Schritt aus. 29 Nachzulesen im »Übereinkommen zur Gründung einer Europäischen Konferenz für Molekularbiologie vom 13. Februar 1969« (Art. II), das 1970 von allen beteiligten Staaten ratifiziert wurde; http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19690028/200906160000/0.421.09.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.5.2014). 112 DIE FORMIERUNG EINER ERC-INTERESSENGEMEINSCHAFT 5.4 Die Formierung einer ERC-Interessengemeinschaft Mit der Gründung des European Life Sciences Forums (ELSF), insbesondere durch EMBO, bestand das Ziel, eine im politischen Raum sichtbare Diskussionsplattform zu etablieren, zunächst um bei weiteren lebenswissenschaftlichen Fachgemeinschaften jenseits der Molekularbiologie, für die Idee einer internationalen Grundlagenforschungsförderung werben zu können (z. B. European Life Sciences Forum 2003b). Zur Unterstützung von ELSF richteten EMBO und hernach FEBS jeweils ein Sekretariat ein: »So, we established ELSF, the European Life Sciences Forum, and I think EMBO’s role became central, because not only did we do it, but I was well organised and had an organisation and I could get things done. [x] had his own secretary, and the rest of FEBS did not care, did not know. But they were a party, they were involved, but they were turning up rather than driving. And one of the first things we decided was to look for somebody who would be the organiser.«30 (Hansson) Mithilfe des eingerichteten Sekretariats organisierte die Bewegung rund um die Organisation EMBO in den kommenden Jahren eine Reihe von Konferenzen31 und Workshops, die sich der Frage widmeten, wie Grundlagenforschung auf der internationalen Ebene in Europa – zunächst egal, ob trans- oder supranational organisiert – an politischer Relevanz gewinnen könnte. Unter dem Titel »Life Sciences in the European Research Council. The scientists’ opinion« etwa lud das ELSF am 19. Februar 2013 zu einer Konferenz ein. Vom 28. bis 29. Mai 2003 organisierte ELSF eine weitere Konferenz, auf der konkrete Vorschläge »concerning grants, infrastructures and delivery mechanisms« diskutiert werden sollten. Allerdings war man sich bewusst, dass das Anliegen schnell über die Lebenswissenschaften hinausgehen müsse. Mit anderen Worten durfte nicht der Anschein entstehen, eine wissenschaftliche Fachgemeinschaft würde lediglich ihre eigenen Interessen prominent machen, nur um spä30 Dass Akteure aus EMBO und EMBL gegenüber FEBS innerhalb des European Life Sciences Forums und bezogen auf das Agenda-Setting des ERC eine führende Rolle einnahmen, suggeriert nicht nur die Interviewsequenz, »the rest of FEBS did not care, did not know«, sondern auch ein Blick auf die mediale Präsenz erstgenannter Organisationen; siehe auch die Diskussion auf den folgenden Seiten. 31 Nicht zuletzt konnte die Initiative den bis 1999 amtierenden Generaldirektor der UNESCO, Frederico Mayor, als ihren Fürsprecher gewinnen. Unter seiner Schirmherrschaft ist später dann auch der erste Expertenbericht, The European Research Council – A Cornerstone in the European Research Area (Dezember 2003) veröffentlicht worden. Auf diesen Bericht ist in Folge noch einzugehen. 113 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC ter einmal Fördermittel für molekularbiologische Forschung einstreichen zu können. Diese Sorge sollte sich allerdings schnell als unbegründet erweisen: Die Interessengruppe wurde nun auch von weiteren Akteuren mit demselben Ansinnen angesteuert. Innerhalb dieser »epistemischen Gemeinschaft« (vgl. Haas 1992; Zito 2001) oder zumindest dieser »Diskurskoalition« (Hajer 1993) bahnte sich eine fachgemeinschaftlich übergreifende Bündelung von Interessen an, die durch die finanzielle Unterstützung von EMBO, EMBL und FEBS getragen wurde. Fürsprache erhielten die Akteure aus EMBL und EMBO von international organisierten, physikalischen Fachgemeinschaften rund um die Organisation CERN: »Physicists had a fascination for biologists for a very long time. In fact, among fantastic physicists were moving into biology. So the creation of CERN as a center of excellence from that influencing other fields, especially EMBL where some of its founders were actually physicists […] [mit Bezug zu EMBL und CERN] Those of us, who were leaders in their different fields, especially in molecular biology, but also in physics having a fully developed CERN, which of course does not cover all fields, very soon joined the push for a major science program for Europe.« (Laurenz) Nicht zuletzt durch weitere finanzielle Unterstützung vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, vom Schwedischen Riksbankens Jubileumsfonds (Anm.: der Schwedischen Stiftung für Geistes- und Sozialwissenschaften) und der Volkswagen Stiftung32 gründeten die Betreiber der Initiative im Jahr 2004 die »Initiative for Science in Europe« (ISE): »We knew we would have to set up something beyond the life sciences, and we decided to set up ISE after the Dublin meeting, when some people came to us saying, ›listen, we want to join in on something, so what can we do?‹ So with the same structure, with [x] in it, out of EMBO we established ISE […]. And the problem we always had was not to dominate it, so not the life sciences trying to dominate it. […] So it was 50.000 € per year, the three of us put into it, FEBS, EMBL and EMBO, so we continued to pay all and take all of the risks, because once you went to get funding from different organisations and different mechanisms, you would have to get back to a committee and have to decide on this and that.« (Hansson) Parallel zu der weiteren Organisation von Konferenzen33, mit der die nun sich offenkundig als »Initiative for Science in Europe« bezeichnende In32 Die Unterstützung durch die drei letztgenannten Förderer ging bereits aus den Jahresberichten der Bank of Sweden Tercentenary Foundation (2002, S. 44; 2003, S. 43–45, 48) hervor und wurde von Interviewpartnern bestätigt. 33 Vom 23. bis 24. Februar 2004 organisierte die ISE im Europäischen Parlament die Veranstaltung, »A European Research Council – an Initiative for Science in 114 DIE FORMIERUNG EINER ERC-INTERESSENGEMEINSCHAFT teressensgemeinschaft ihr Anliegen auf weitere wissenschaftliche Fachgemeinschaften und politische Adressatenkreise ausdehnen konnte, steuerte sie v. a. wissenschaftliche Fachzeitschriften an, so z. B. Science, Nature, PLoS Biology, Molecular Oncology oder das European Journal of Biochemistry. Die Berichterstattung über die Initiative hin zu einem ERC weist in den Beiträgen der Zeitschriften eine gewisse Ordnung auf: Zunächst berichteten Journalisten der Zeitschrift Nature Mitte der 1990erJahre von Konsultationen zur Idee möglicher Grundlagenforschungsförderung auf der europäischen Ebene, welche v. a. von einer teils harschen Kritik an den Förderweisen der Kommission begleitet wurden. Ab 1998 meldeten sich zunehmend die Lebenswissenschaftler um EMBO und EMBL in den Zeitschriften zu Wort, auf die in den vorherigen Beiträgen bereits verwiesen wurde.34 Der medialen Offensive dieser Akteursgruppe folgten dann weitere Akteure, wie z. B. die ESF oder vereinzelt die Royal Society. Derweil hatten die Herausgeber und Journalisten der Zeitschriften Nature und Science mindestens die mediale Aufmerksamkeit, wenn nicht gar die Diskursrelevanz dieses Themas realisiert. Nicht zuletzt muss es ihnen nach dem skizzierten Cresson-Skandal leicht gefallen sein, einen Konnex zwischen der nun öffentlich kritisierbaren Brüsseler Forschungsbürokratie und einer Reformbewegung herzustellen. Die wie ein Mantra vorgetragene Botschaft in nahezu allen Zeitschriftenbeiträgen lautete: Keine Forschungsfreiheit ohne Befreiung von der bürokratischen Auftragsforschung aus Brüssel. Erst nachdem die beschriebenen Akteure diese Forderung in reputationsträchtigen Zeitschriften, wie Nature und Science, öffentlich äußerten, meldeten sich nun auch die Vertreter weiterer nationaler Forschungsund Forschungsfördereinrichtungen sowie transnationaler Interessensvereinigungen zu Wort. Die Intensität der Berichterstattung um die ERCLeitidee nahm ab dem Jahr 2002 zu: Die Beiträge in den Zeitschriften Europe«, und vom 25. bis 26. Oktober 2004 die zweite UNESCO-Konferenz, mit dem Titel »Making reality of the ERC – a novel approach to science policy making«. Diese Konferenzen sollen erwähnt werden, da sie einerseits als eine Unterstützung für die EU-Kommission gegenüber dem Rat und dem Parlament angesehen werden können, gleichzeitig aber auch nicht nachgelassen wurde, alternative Organisationsvorschläge darzustellen, durch welche die Kommission erinnert werden sollte, sich an die vereinbarten Prinzipien des ERC als wissenschaftsautonome Einrichtung zur Förderung von Grundlagenforschung zu halten. Auf ihre weiteren Konferenzen im Jahr 2005, muss nicht mehr eingegangen werden. 34 Festzuhalten ist, dass diese bei den Zeitschrift Science und v. a. der europäischen Zeitschrift Nature mit ihrem Anliegen augenscheinlich offene Türen einrannten, insofern den Herausgebern der Zeitschriften, wie bereits zitiert (Nature 1989; Dixon 1993), die »Brüsseler Bürokratie« seit der Etablierung der FRP ein Dorn im Auge war. 115 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC erfolgten nun fast monatlich35, den größten Anteil von externen, also solchen Meinungsbeiträgen, die nicht von Herausgebern oder Journalisten der Zeitschriften Nature und Science selbst verfasst wurden, bestritten Leitungspersönlichkeiten rund um EMBL und EMBO. Der strategische Schritt, hochreputierliche Fachzeitschriften mit einem großen Verbreitungsgrad anzusteuern, ist von entscheidender Bedeutung für das Agenda-Setting gewesen, führt man sich den Einfluss dieser Zeitschriften auf politische Prozesse vor Augen: Die Herausgeber wissenschaftlicher Fachzeitschriften sehen es geradezu als ihre »persönliche moralische Verpflichtung« (Franzen 2010, S. 93) an, politische Debatten anzustoßen oder mitzugestalten. Es ist aber nicht nur der aufgrund hoher Auflagenzahlen erzielte Wirkungsgrad der Zeitschriften, welcher ihren Einfluss unterstreichen mag. Dass sie auf politische Prozesse einwirken können, liegt auch daran, dass die Statements ihrer Herausgeber »nicht als Einzelmeinung der Autoren, sondern als Positionspapier der […] wissenschaftlichen Interessengemeinschaft zu lesen« sind (ebd., S. 162), die sich an eine wissenschaftspolitische Elite richten.36 So auch im Falle der Lobbying-Initiative hin zum ERC. Gewinnt man wissenschaftliche Fachzeitschriften als Medium, so ein interviewter Experte 35 Für eine Auswahl siehe Abbott (1994; 1995a; 1995b; 1996; 1998; 2005); Banda (2000; 2002a; 2002c; 2002b); Banda et al. (2002); Breithaupt (2003; 2004a; 2004b); Enserink (2004a; 2004b; 2004c; 2004d); Featherstone und Simons (2003; 2005); Gannon (2000; 2001; 2002); Kafatos (2000); Kennedy (2003); Koenig (1999; 2000a; 2000b; 2000c; 2001a; 2001b); Krull (2002); Krull und Nowotny (2004); May (2001; 2003; 2004); Nature Editorial und Policy-Briefs (1993; 1994; 1995; 1997; 1998; 2002a; 2002b; 2003); O‘Neill (2004); Science Editorial (2004; 2006); Schiermeier (2000; 2001a; 2001b; 2002; 2003) Stone (2002); van Duinen (2001); van Dyck (2002); Vogel (2004a; 2004b); Weiss und Vogel (2002); Wigzell (2002); Winnacker (2002). 36 Martina Franzen (2010) rekonstruiert die politischen Strategien der Zeitschriften u. a. anhand der Debatte um die ethisch umstrittene Förderung embryonaler Stammzellforschung in den USA. Hier nutzte die Fachzeitschrift Science, herausgegeben von der American Academy for the Advancement of Science (AAAS), ihr eigenes Renommee und ihre internationale Sichtbarkeit, um sich für die Förderung embryonaler Stammzellforschung einzusetzen, die die republikanisch dominierte, das heißt wertkonservative Regierung der USA damals verbot. Diese Positionierung wurde durch Publikationsselektionen »für Arbeiten auf dem Gebiet der Forschung an embryonalen Stammzellen« (ebd., S. 164) untermauert, das heißt im Umkehrschluss kritische Arbeiten, die bspw. die wissenschaftliche Relevanz dieses Forschungsfeldes hinterfragten, schafften es erst gar nicht in die Zeitschriften. Mit Blick auf den ERC kann in der vorliegenden Arbeit jedoch empirisch nicht geklärt werden, ob Gegenstimmen – wie wir in Folge sehen werden, waren diese durchaus vorhanden – erst keine Leserschaft finden durften. Eine Veröffentlichung ERC-kritischer Positionen in den Policy-Foren dieser wissenschaftlichen Fachzeitschriften lässt sich jedenfalls nicht feststellen. 116 NATIONALE RESEARCH COUNCILS UND DIE ESF ALS NACHZÜGLER aus dem Nukleus von EMBO, kann politischen Entscheidungsträgern vermittelt werden, dass das Anliegen von gesamtwissenschaftlicher Bedeutung sei: »[…] and we are speaking for over 200.000 scientists instead of 20.000 now. Letters to Nature or Science could be written, and as an image ISE was centered for, it was powerful. It said: ›Listen! All of the scientific societies, the whole of the scientific community are saying that this is a good idea.‹ And that is all what we wanted it to do.« (Hansson) Damit nicht genug, habe die Bewegung nur an Relevanz gewinnen können, weil ihr Anliegen schlussendlich auch von politischen Entscheidungsträgern aufgegriffen wurde. Hierzu rekrutierte sie der Idee gegenüber aufgeschlossene Persönlichkeiten, z. B. den von 1995–2002 amtierenden portugiesischen Wissenschaftsminister Jose Mariano Gago, seines Zeichens Elementarteilchenphysiker mit Erfahrung in internationalen Wissenschaftsorganisationen wie CERN sowie im Aufbau des industrie- und anwendungsnahen, transnationalen Förderprogramms EUREKA: »He knows exactly where what is happening in the corridors of power. He came and instructed us, I have to say, so we asked him and he agreed to become the chairman or whatever. And the meetings were always about insights of what was really happening that we would not have known.« (Hansson) Die Rekrutierung von politischen Fürsprechern auf hoher Entscheidungsebene sollte der Initiative Informationen aus den Hinterzimmern nationaler und Brüsseler Politik verschaffen und selbst eine Signalwirkung erzielen: Hat eine Initiative ein prominentes Gesicht, kann sie sich besser als politisch relevant darstellen. Schwieriger hingegen einzuschätzen ist, weshalb nationale Forschungsförderorganisationen sich erst spät in eine für die Öffentlichkeit zugängliche Diskussion zur Frage des ERC einschalteten. 5.5 Nationale Research Councils und die ESF als Nachzügler Auch die nationalen Forschungsförderorganisationen haben sich im Zuge des Agenda-Settings zur potentiellen Gründung eines ERC positioniert.37 37 Eine Diskussion der Positionsbildung nationaler Forschungsfördereinrichtungen kann in der vorliegenden Untersuchung nur kursorisch erfolgen, da hierzu nur wenig veröffentlichte Dokumente vorliegen. Als Grundlage für eine Besprechung 117 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Zunächst ist festzuhalten, dass diese Research Councils38 in den einzelnen europäischen Staaten, allen voran die der größeren europäischen Volkswirtschaften, erst zu einem relativ späten Zeitpunkt auf den bereits laufenden Agenda-Setting-Prozess reagierten. Dies wiederum soll nicht bedeuten, dass die ERC-Initiative für die Research Councils irrelevant war. Denn die transnational aufgelegten Förderprogramme und die Gründung der ESF Mitte der 1970er-Jahre (Kap. 5) illustrierten, dass nationale Forschungsfördereinrichtungen durchaus Ziele und Anliegen innerhalb transnationaler Konstellationen verfolgten. Warum sie allerdings – den Aussagen mehrerer Interviewpartner entsprechend – hinsichtlich des ERC erst spät Positionen veröffentlichten, kann organisationssoziologisch nachvollzogen werden. Research Councils dienen als Agenten i. d. R. zwei Prinzipalen: dem Staat und der Wissenschaft (siehe u. a. Braun 2003; van der Meulen 1998). Adäquat kann ihnen auch von diesen beiden Seiten ein Entzug der Legitimation drohen; staatlicherseits bspw. durch die Minimierung ihrer Budgets oder die Maximierung von Kontrolle und auf Seiten der Wissenschaft in Form von Desinteresse oder einer Kritik an den Förderbedingungen.39 Hervorzuheben ist, dass beide Prinzipale prinzipiell organisationale Alternativen wählen können, auch wenn hierdurch womöglich hohe Transaktionskosten40 entstehen. Die Gefahr eines organisationain diesem Kapitel dienen daher insbesondere die Einschätzungen interviewter Experten. 38 Der Einfachheit halber wird in Folge für die diskutierten Forschungsförderorganisationen die Bezeichnung Research Councils verwendet. Darunter sollen diejenigen Organisationen gefasst werden, die sowohl als juristische Personen in einem Nationalstaat Forschungsprojekte fördern als auch intermediär staatliche und wissenschaftliche Interessen austarieren (stellvertr. für viele; Braun 1997), so z. B. die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die sieben, nach wissenschaftlichen Themen untergliederten Research Councils UK. Dass die Freiheitsgrade wissenschaftlicher Selbstbestimmung zwischen den Organisationen und – im Zeitverlauf – innerhalb einer Organisation variieren, wurde in vielen Studien nachgewiesen (u. a. von Braun und Guston 2003; Braun 1998; van der Meulen 1998; Guston und Keniston 1994; Papon 1998; Gulbradsen 2005). 39 Legitimationsentzug auf der einen Seite kann selbstverständlich ebensolchen auf der anderen Seite erzeugen. So werden sich staatliche Entscheidungsträger – nicht zuletzt im Interesse der eigenen politischen Karriere – gut überlegen müssen, ob sie eine Organisation weiterhin mit Steuergeldern ausstatten, würden diese von Wissenschaftlern nicht voll ausgeschöpft (werden können) oder – im seltenen Fall – veruntreut. Wenn, auf der anderen Seite, Forschungsförderung den Beigeschmack staatlicher Instrumentierung erhält, können Wissenschaftler sie aus Sorge vor ihrem eigenen Reputationsverlust oder vor zu hohen bürokratischen Bürden mitunter meiden. 40 Auch für Wissenschaftler könnten Transaktionskosten bspw. dergestalt entstehen, dass sie – sofern vorhanden – andere Fördereinrichtungen ansteuern und sich an 118 NATIONALE RESEARCH COUNCILS UND DIE ESF ALS NACHZÜGLER len Relevanzverlustes mag zwar nicht unmittelbar gegeben sein, sofern Research Councils gegenüber dem Staat argumentieren können, durch Grundlagenforschung einen Beitrag an der »Produktivität und Rentabilität der fortgeschrittenen kapitalistischen Volkswirtschaften« zu leisten (Scharpf 1999, S. 36). Allerdings könnten Begutachtungsprozesse sowie die finanzielle Förderung von Grundlagenforschungsvorhaben auch international organisiert werden, ohne dass hierdurch nationalen Volkswirtschaften Wettbewerbsnachteile entstehen müssen.41 Dementsprechend stellt bereits die Aussicht auf eine (womöglich gewichtige) europäische Grundlagenforschungsförderorganisation für nationale Research Councils einen potentiellen Legitimationsverlust dar; und genau hiermit mussten sich die Leiter nationaler Research Councils auseinandersetzen. So berichtet ein interviewter Wissenschaftsmanager höchsten Ranges, dass Entscheidungsträger der Bundesregierung die Leitung der DFG-Geschäftsstelle vor dem potentiellen Verlust der organisationalen Relevanz gewarnt hätten, was der Befragte vorab als irrwitziges Verhalten charakterisierte: »Wenn man dann einmal zum Staat schaut, dann gab es an maßgeblicher Stelle die zugespitzte Frage: ›Sägt ihr nicht den Ast ab, auf dem ihr sitzt?‹« Für die britischen Research Councils habe sich diese Frage immer schon und in gravierender Weise gestellt: »Ein zentrales Argument der Engländer war immer die Sorge vor der Attribution. Das heißt: ›alles, was Europäisch mehr drauf kommt [Anm. TF: gemeint ist das Budget, welches die Regierung Großbritanniens für das Finanzvolumen der FRP vorsieht], wird aus unseren Rippen geschnitten.‹« In weiteren Interviews wurde erläutert, dass die Bereitschaft von Vertretern nationaler Research Councils, einen ERC zu unterstützen oder gar initiativ zu fordern, auch abhängig von der Größe ihrer jeweiligen nationalen Volkswirtschaften gewesen sei. Denn kleinere Staaten seien stärker auf eine trans- und supranationale Organisation wissenschaftlich-technologischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit angewiesen, demnach sei in ihnen die Bereitschaft an der gemeinsamen Einrichtung einer internationalen Förderorganisation größer gewesen: »In the larger countries, I feel that there is more restriction to engage internationally and in the EU, while in the smaller countries, like Belgium, the Netherlands and the Scandinavian countries, there is the feeling that deren Bedingungen gewöhnen oder gar auswandern müssten. 41 Diese Frage hängt maßgeblich vom Schutz geistigen Eigentums bzw. im Allgemeinen Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse ab, wobei Dosi et al. (2006, S. 1453) darauf verweisen, dass in Europa so gut wie keinerlei industrieseitige Kritik an offenen Innovationssystemen ersichtlich gewesen sei, dass Unternehmen Wettbewerbsnachteile aus einer gemeinsamen Teilhabe an Grundlagenforschungsergebnissen entstünden. 119 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC we cannot do it on our own. You know, and this is in a general sense.« (Blomquist) Für Wissenschaftler mag der Standort einer Forschungsfördereinrichtung irrelevant sein, solange hierdurch ihre zunehmend globale Kommunikationsreichweite (Stichweh 2003, S. 23) nicht eingeschränkt wird. Mit Blick auf die Finanzierung scheint es also darauf anzukommen, dass Antrags- und Begutachtungsverfahren technisch unkompliziert und letztere idealerweise fair ablaufen, dass vielfältige Fördermöglichkeiten bereitstehen und dass hohe Freiheitsgrade in der Mittelverwendung sowie Mitbestimmungsmöglichkeiten zur Verteilung verfügbarer Mittel gegeben sind. Jenseits dieser Bedingungen liegt für nationale Forschungsförderorganisationen die Bedrohung potentiellen Relevanzverlustes v. a. in der Verknüpfung internationaler Verbreitung wissenschaftlicher Ergebnisse und der zunehmenden Relevanz des wissenschaftlichen Nebencodes »Reputation« (stellvertr. für viele Schimank 2010). Die Aussicht, dass Wissenschaftler mehr Reputation durch einen internationalen statt durch einen nationalen Begutachtungsprozess bei der Einwerbung von Drittmitteln erlangen, stellt nationale Forschungsförderorganisationen vor neue Legitimationsherausforderungen. Mithin hat sich ein neuer Rationalitätsmythos etabliert, dass international ausgerichtete Wissenschaft höherwertiger sei. Dieser Mythos droht eingeübte Muster nationaler Forschungsfördereinrichtungen zu überlagern, die sich durch eine »general aura of confidence within and outside the organization« (Meyer und Rowan 1977, S. 358) bisweilen in Sicherheit wiegen konnten.42 Dass die Positionierung nationaler Forschungsförderorganisationen zur ERC-Leitidee schwierig einzuschätzen ist, liegt an der Ambivalenz ihres Leitungspersonals: Als i. d. R. ehemalige und oftmals renommierte Wissenschaftler haben sie meist selbst eine internationale Wissenschaftskarriere durchlebt. Andererseits sind sie ihrer Organisation verpflichtet.43 Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass eine ernstzunehmende Unterstützung nationaler Research Councils für die Etablierung einer 42 Die Reproduktion von Rationalitätsmythen scheint für Forschungsförderorganisationen par excellence zuzutreffen: Denn anscheinend genügt es nicht, dass sie dem Diktum ihrer Geldgeber folgen und über öffentliche Mittel effizient, sparsam und transparent haushalten, um Wissen als öffentliches Gut bereitzustellen. Mittlerweile gehört es zum zweifelhaft guten Ton, durch die Zurschaustellung hoher Ablehnungsquoten von Forschungsanträgen auf die eigene institutionelle Klasse zu verweisen. 43 Eine ähnliche Ambivalenz ist bei Hochschulleitungen erlebbar, die aus der Mitte Gleichgesinnter gewählt werden, dann aber externe politische Anforderungen an die Organisation in Entscheidungen transferieren müssen, welche sich womöglich gegen die Professionsinteressen der Wissenschaftler richten (insbes. Krücken 2003; Flink und Simon 2016). 120 NATIONALE RESEARCH COUNCILS UND DIE ESF ALS NACHZÜGLER pan-europäischen Grundlagenforschungsfördereinrichtung zunächst schwer zu organisieren war. Paradigmatisch für ihre kaum realisierbare Koordinierbarkeit ist dabei die Entwicklung der ESF zu sehen. Wie bereits in Kapitel 4 diskutiert, konnte sie sich nach ihrer Gründung im Jahre 1974 eben nicht zu einem europäischen Pendant der US-amerikanischen National Science Foundation entwickeln. Gleichzeitig können die kollektiven Interessen nationaler Fördereinrichtungen nicht mit den Interessen ihres Führungspersonals gleichgesetzt werden.44 Hier zeigt sich, dass erst die organisationale Lähmung der ESF, bedingt durch die vielen verschiedenen Interessen ihrer Mitgliedsorganisationen45, eine kleine Gruppe von Präsidenten nationaler Research Councils dazu bewog, im Jahre 1992 die Vereinigung der »European Heads of Research Councils« (»EuroHORCs«) zu gründen. Ein hieran beteiligter Interviewpartner erklärte, man habe die Gründung der EuroHORCs vorangetrieben, weil in der ESF die Erfahrung gemacht wurde, »dass dann eine Verwässerung durch Größe passierte […] dieses Thema [supranationale Grundlagenforschungsförderung] wurde in den Diskussionen dann sehr stark zerredet und einige Research Councils hatten das Bedürfnis, doch Action zu machen« (Hermann). Diese Einschätzung teilte auch ein interviewter Generalsekretär der ESF: »The ESF had a complex structure involving both, research funding organisations and the academies, you know, the ones without money [laughs]. There was a feeling amongst the leaders of national research organisations that there was a need for a European platform to discuss research issues, so you could say that 1992 marked a step in the European orientation of national organisations« (Spencer). Aus der mithin notorisch unterfinanzierten und kaum entscheidungsfähigen ESF wollten v. a. die Präsidenten der Deutschen 44 An dieser Stelle zeigen sich nicht zuletzt die Grenzen der empirischen Prüfbarkeit von Organisationshandlungen als »Fähigkeit zur kollektiven Willensbildung und zur effektiven Steuerung des Handelns der eigenen Mitglieder« (Mayntz und Scharpf 1995, S. 50). Man kann wohl kaum anhand einer Auszählung von Verhaltenseinstellungen der Mitarbeiter Rückschlüsse auf das kollektive Handeln einer Organisation schließen (in Abgrenzung zu Schimank 2004, S. 303). Diese Kritik an dem akteurszentrierten Institutionalismus einschließlich an den zuvor zitierten Autoren finden sich in der Arbeit von Frank Meier (2009) wieder. Bereits Karl E. Weick (1995) hatte von einer prozesshaften Sinngenerierung innerhalb der Organisation geschrieben, durch welche jenseits individueller Akteure soziale Strukturen erzeugt werden können. 45 Mit einem spärlichen Budget von ihren nationalen Mitgliedern ausgestattet vermochte die ESF lediglich Konferenzen und kleinere Forschungsprojekte fördern, während die Anzahl ihrer Mitgliedsorganisationen auf 72 Mitglieder aus 30 Staaten anstieg. 121 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft ausbrechen, um durch diese neue Organisationsform eine Internationalisierung der Forschungsförderung voranzubringen: »Eine Initiative, die sehr stark von den Deutschen getrieben war. Frühwald und Zacher46 waren davon überzeugt, dass man doch europäisieren müsste. Und das war eine lose Vereinigung, wie DACH, die Sie sicherlich auch schon mal wahrgenommen haben – also die Deutschsprachigen mit Österreich und der Schweiz –, die solche Konsultationen schon lange vorher hatten« (Hermann). Argumentative Unterstützung zur Gründung der EuroHORCs boten den deutschen Entscheidungsträgern die »Empfehlungen zur Internationalisierung der Wissenschaftsbeziehungen« des Wissenschaftsrates (1992). So setzte ein hieran beteiligter Interviewpartner eben diese Empfehlungen in einen direkten Bezug zum Scheitern der ESF-Mission, Wissenschaft in Europa durch adäquate Förderverfahren zu internationalisieren: »Man muss dann sehen, dass wir innerhalb Deutschlands eigentlich die erste große Debatte bei den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Internationalisierung der Wissenschaftsbeziehungen geführt hatten. Das war im Grunde zu einem Zeitpunkt, als die ESF, auf gut deutsch gesagt, den Zug schon verpasst hatte« (List). Über ein drittes Gründungsmotiv der EuroHORCs berichtete die Journalistin Alison Abbott in der Zeitschrift Nature (1994). So hätten die Leiter nationaler Forschungsförderorganisationen gegenüber der Kommission im Berichtszeitraum ihre »Krallen ausgefahren« (ebd, S. 306)47, nachdem der damalige Forschungskommissar Antonio Ruberti sich explizit gegen die Aufnahme eines ihrer Mitglieder in das Kommissionsberatungsgremium ESTA ausgesprochen haben soll. Diese Ablehnung sei als Affront gewertet worden; ihre Botschaft: Die Kommission würde kein Interesse an einer gemeinschaftlichen Koordinierung mit den nationalen Forschungsfördereinrichtungen hinsichtlich einer komplementären Forschungsförderung hegen. In weiteren Kommentaren in derselben Zeitschrift wurden die EuroHORCs als wachsamer Beobachter der Kommission oder gar als nationales Gegengewicht zur Brüsseler F&T46 Wolfgang Frühwald amtierte von 1992–1997 als Präsident der DFG, Hans F. Zacher von 1990–1996 als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. 47 Die martialisch anmutende Metapher der Journalistin kommt nicht von ungefähr, insofern die englische Aussprache des Kürzels »HORC« [\ˈhȯk\] auf den Falken (»hawk«) verweist, einen Raubvogel, der wiederum im Kontext US-amerikanischer Politik als Bezeichnung für republikanische Befürworter militärischer Konfliktregulierung oder allgemein für rechtskonservative Hardliner dieser Partei Eingang fand. In den zwei Jahren forschungspolitischer Arbeit in Brüssel ist dem Autor diese Analogie hie und da zu Ohren gekommen, geläufig war sie jedoch nicht. 122 NATIONALE RESEARCH COUNCILS UND DIE ESF ALS NACHZÜGLER Politik heraufbeschworen (Nature 1994, S. 389), aber auch wiederum als ein Gremium, das konstruktive Vorschläge an die Kommission bzw. an ihre ESTA richtete, wie etwa den einer »top-up«-Finanzierung, eine weitere Geldprämie auf die Verbundförderung des damals anstehenden 5. FRP, die individuellen Forscherteams durch wettbewerbliche Verfahren zur Verfügung stehen sollte (Abbott 1995a). Glaubt man den wissenschaftspolitischen Nachrichten über die vermeintlich schnell gewachsene Bedeutung der EuroHORCs, so verwundert es nicht, dass sich zwischen diesem informellen Gremium und der ESF ein Konflikt um die Deutungshoheit zu Fragen europäischer Forschungspolitik anbahnte (Nature 1993; Maddox 1994). Denn nicht nur entstand schnell das Image, die »HORCs« hätten Geld und Einfluss. Auch wurde beargwöhnt, dass dieses kleine und informelle Gremium schnell Entscheidungen treffen könnte, während die ESF nicht einmal als Beratungsgremium Relevanz hätte, da sie aufgrund ihrer großen Mitgliederzahl und der diversifizierten Mitgliederstruktur nur selten konsensfähig sei. Für eine dauerhafte Diskussion innerhalb der ESF sorgte zusätzlich die Frage, ob die EuroHORCs mit einer – herausgehobenen – Stimme innerhalb der ESF sprechen dürften (Abbott 1998); mit anderen Worten: ob (finanziell starke) Forschungsförderorganisationen gegenüber anderen – und finanziell schwächer gestellten – Organisationstypen ein größeres Gewicht in der ESF haben sollten.48 Was allerdings mit Blick auf die Initiative hin zu einer möglichen Fördereinrichtung für Grundlagenforschung in Europa weder aus den Interviewstatements noch aus den Zeitschriftenkommentaren entnommen werden kann, ist die Frage, inwieweit sich die EuroHORCs initiativ für die Förderung einer Grundlagenforschungsfördereinrichtung von gesamteuropäischer Tragweite einsetzten. Auch lassen sich vor der ersten Konferenz im Rahmen einer EU-Ratspräsidentschaft zum ERC von 2002 keine offiziellen Stellungnahmen oder Kommentare auffinden darüber, ob und wie die EuroHORCs selbst eine internationale Grundlagenforschungsförderorganisation geplant hatten. Festzuhalten ist, dass Forschungskommissar, Philippe Busquin erst im Mai 2003 den Vertretern der EuroHORCs auf deren Generalversammlung eine Partnerschaft mit der Kommission vorschlagen konnte und die EuroHORCs erst im November desselben Jahres ihr Positionspapier präsentierten. Dies im Blick, ist die Gruppe auch erst auf einen bereits fahrenden Zug aufgesprungen (Abbott 1998), der zuvor durch den beschriebenen Kreis der Lebenswissenschaftler auf die Schienen gesetzt worden war, während die ESF diesen Zug – wie aus einem Interview zitiert – »schon verpasst hatte«. Zwar warben das Präsidium und die Geschäftsstelle der ESF 48 Mit der feierlichen Gründung der Organisation »Science Europe« im Oktober 2011 scheint das Schicksal der ESF besiegelt (Gilbert 2011). 123 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC unentwegt für eine internationale Förderung von Grundlagenforschung – und dies ist aufgrund der permanent prekären Legitimität ihrer Organisation nachvollziehbar –, da sie jedoch keine ausreichende Unterstützung ihrer Mitglieder erhalten konnte, blieb ihr die Federführung in diesem Agenda-Setting-Prozess versagt. So ist auch in einem Interview mit dem damaligen ESF-Generalsekretär Enric Banda in der Zeitschrift EMBO Reports (2002a) die resigniert wirkende Aussage zu finden: »We have been geared not towards being a funding agency but a cooperation agency.« Ebenfalls bestätigten Interviewpartner, dass die ESF nicht als tragfähige Organisation für das Ergebnis der wieder angestoßenen Grundlagenforschungsförderinitiative erachtet wurden: »So, the ESF played a role launching position papers and being in favor [of an ERC], but, you know, once a President of the ESF said to me, ›we are really put off that all of these good ideas we develop are taken away by the Commission‹, and I understand the frustration, because they could have been the ERC, but their member organisations did not allow the ESF to play its role« (Thies). Wie in Folge zu erkennen ist, waren weder die ESF noch die sich von ihr abspaltende Gruppe der EuroHORCs fähig, die bisweilen diffus bzw. stratifiziert wirkende Initiative zur Förderung von Grundlagenforschung auf der europäischen Ebene selbst in einen Agenda-Setting Prozess zu überführen, obschon den Organisationen eine solche, in Europa forschungspolitisch gestalterische, den EuroHORCs gar eine federführende Rolle zugeschrieben wurde: Ende der 1990er-Jahre warfen die Herausgeber von Nature (1998, S. 1) den EuroHORCs vor, »[t]hese individuals control more than 90 per cent of the scientific funding in Europe. Yet they distance themselves from any attempt actively to coordinate or develop activities at a pan-European level«. Der ESF, hingegen, seien schlichtweg die Hände gebunden gewesen: »Whether the national agencies are enlightened sponsors, or paymasters in search of direct returns, is a crucial problem for the ESF, which has also failed to position itself as a body that represents Europe’s research scientists« (ebd.). Im späteren Verlauf des Agenda-Setting Prozesses wagte die ESF-Geschäftsstelle mit ihrem Positionspapier zum ERC unter der Federführung von Sir Richard Sykes (2003) de facto eine Art Initiativbewerbung in eigener Sache.49 Wenig überraschend kam die Expertengruppe50 in ihrem Gutachten zu dem Schluss, dass der zukünftige ERC am effektivsten eingerichtet werden könne: 49 Im Grunde genommen replizierte der Bericht der Expertengruppe lediglich die Ideen des ESF-Generalsekretärs, Enric Banda (vgl. 2000; 2002a; 2002c). 50 Der Expertengruppe gehörten u. a. auch der Generalsekretär der Volkswagenstiftung und der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft an (vgl. Sykes 2003, S. 16). 124 NATIONALE RESEARCH COUNCILS UND DIE ESF ALS NACHZÜGLER […] through use of an already legally constituted body with the appropriate culture, characteristics, and stakeholders, such as ESF. This would require a complete reappraisal of its role and mode of operation« (ebd., S. 15). Dieser Vorschlag kann jenseits der individuellen Machtposition der ESF zunächst nachvollzogen werden. Wenn sie doch seit drei Jahrzehnten existierte, weshalb eine neue Einrichtung schaffen? Dass die in dem Bericht enthaltene »Bewerbung« um einen ERC nicht reüssierte, mag auf die angesprochene, aufwendige Mitgliederstruktur der ESF zurückgeführt werden können. Insgesamt mussten sich die Mitglieder der ESF und der EuroHORCs, hierunter v. a. die selbsterklärten Enthusiasten der ERC-Idee (z. B. Winnacker 2002), die Frage gefallen lassen, weshalb sie es nicht schon vorher geschafft hatten, einen transnationalen Fonds zur Förderung von Grundlagenforschung zu etablieren. Mit Blick auf das ESF-Gutachten scheint man sich zudem im Ton vergriffen zu haben. Denn zunächst wurde auf der Suche nach einer effektiven Verwaltungsstruktur die Kommission vehement kritisiert: »It is considered essential that an ERC [...] operates independently of the rigid controls imposed under existing EU structures, national prejudices and bureaucratic impediments. This initiative must not lead to the creation of another bureaucratic behemoth although the ERC will have transparent and accountable structures and processes« (ebd., S. 10). Dass die dem Gutachten zugrundeliegende Warnung vor einem weiteren bürokratischen Behemoth sich womöglich bewahrheiten sollte (vgl. Kapitel 2), mag dahingestellt sein. In jedem Fall wurden die institutionell gefestigte Position der Kommission, ihre Machtinteressen und ihre Fähigkeiten des Policy-Making unterschätzt: »[…] EuroHORCs and ESF have tried on many occasions before to get some kind of critical mass of activity at the European level, but they failed with their little EuroCORES51 stuff. But here, you’ve got an extremely powerful, competent and well-established Commission, which gets its way in almost anything when there’s money to be spent. You’ve got an enormous Community budget, which is going to be the only source of this money. You’ve got well established negotiating means and partners, which exclude these organisations like the ESF. They haven’t got a hope! They stake a claim at the beginning, then they get bypassed, then they realise that if they’re going to have any of the action it’s perhaps more in a management context. There was a big push to use the ESF as an executive agency for the ERC. But then why would the Commission, having by then got its prize, which is the clear indication that 51 Es handelt sich hierbei um Förderung für Postdoktoranden zum Auf- oder Ausbau von Forschergruppen. 125 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC the ERC is going to happen, why should it then start doing business with ESF regarding management?« (Dunst) Dass die ESF und EuroHORCs die Förderprogramme EURYI-Awards und EuroCORES ins Leben gerufen hatten, denen die ERC Starting Grants erstaunlich ähneln, so der Interviewpartner im weiteren Verlauf des Gesprächs, spielte der Generaldirektion Forschung dabei sogar noch in die Hände. Denn mit dem Verweis auf den großen Anklang dieser Förderprogramme konnte sie die Nachwuchsförderlinie des ERC politisch gut begründen.52 Die Förderprogramme für Postdoktoranden wurden stark nachgefragt und sollten für die Kommission mit Blick auf ihre Verwaltungserfahrung nicht allzu schwierig zu organisieren sein. Nicht zuletzt verfügte die Generaldirektion Forschung bereits durch die Marie Curie Individual Fellowships seit Mitte der 1990er-Jahre über eine hierin erfahrene Abteilung. Weder die EuroHORCs noch die ESF hatten, mit anderen Worten, eine Art Urheberrecht auf diese Förderprogramme, die finanziell ohnehin sehr klein waren. 5.6 Von der Positionsformierung zum Agenda-Setting Um sich der Frage zu widmen, wie die Idee eines ERC zunächst über EMBO und FEBS organisiert wurde und schließlich auf die politische Agenda gelangen konnte, müssen mehrere, teils parallel verlaufene und teils sich ergänzende Entwicklungen der EU-F&T-Politik rund um die Jahrtausendwende angesprochen werden. Im Jahr 1999, also ein Jahr nach dem Start des 5. FRP sollte dieses Politikfeld durch den Rücktritt der Kommission Jacques Santers neu justiert werden. Einen schlechteren Zeitpunkt, um Forderungen nach wissenschaftlich selbstbestimmter – assoziativ: freier und administrativ unkontrollierbarer – Grundlagenforschungsförderung zu stellen, hätte in Anbetracht des durch die Forschungskommissarin selbst verursachten Korruptionsskandals wohl nicht gewählt werden können (Guzzetti 2009, S. 72–73). Jene negativen Assoziationen mit der EU-Forschungspolitik – so berichtete eine Vielzahl der Interviewpartner – verschärfte dieser Korruptionsskandal, so dass die Frage im Raum stand: Wenn selbst die politisch stark regulierte Forschungsförderung auf der EU-Ebene nicht vor Korruption, vorabgesprochenen Begutachtungsergebnissen und Intransparenz in Auswahlverfahren gefeit war, wie könnte erst eine wissenschaftsautonome Grundlagenforschung gefördert werden? Ein interviewter 52 Auf die Positionierung der EU-Kommission wird in Kapitel 5.7 Bezug genommen. 126 VON DER POSITIONSFORMIERUNG ZUM AGENDA-SETTING Kommissionsgeneraldirektor deutete die damalige Situation als ein Dilemma zwischen Kontrolle und Freiheit: »But let me remind you that right after the fall of the Santer Commission, due to the scandals linked to the research department, there were two tendencies opposite to each other. The one was for fewer complications and less procedural obligations. The other one was for more controls. A lot more controls that would hold head of units personally responsible for any oblique research funding.« (Niosi) Für die Kommission hatte sich also ein Dilemma ergeben. Erstens nahmen der Rat der Europäischen Union und v. a. das Parlament den Skandal zum Anlass, mehr Kontrolle53 über die Kommission einzufordern, während die Nutznießer der Forschungsförderung, besonders aus den öffentlichen Einrichtungen, mehr Freiheit in der Mittel- und Zwecksetzung der Forschungsförderung verlangten. Zweitens sei der Skandal auch zum Anlass genommen worden – nicht zuletzt durch andere Generaldirektionen –, mit der bisher stetig budgetär und personell gewachsenen Generaldirektion Forschung »abzurechnen«. Denn mit der thematischen, programmatischen und budgetären Ausweitung der FRP war auch der Personalanteil dieses Ressorts angestiegen.54 Insgesamt lässt sich also feststellen, dass die Kommission trotz ihres schleichenden Integrationserfolges supranationaler F&E-Vorhaben Ende der 1990er-Jahre zunächst ihrem eigenen Erfolg zum Opfer fiel (siehe Kapitel 4.6), indem ihr keinerlei Alternativen wissenschaftspolitischer Planung gewährt wurden: »The growth of successive framework programmes over more than a decade made them the dominant frame of reference for European research policy, marginalizing alternative perspectives« (Banchoff 2002, S. 13). Als ein Überraschungserfolg wurde deshalb die Wiedereinführung des Konzeptes eines Europäischen Forschungsraums (Commission 2000) durch den 1999 eingesetzten Forschungskommissar Philippe Busquin unter der Kommissionspräsidentschaft Romano Prodis gedeutet. Der Historiker Luca Guzzetti (2009, S. 73ff.) erklärt, von dem neu amtierenden 53 Eine Vermischung unterschiedlicher Kontrollabsichten seitens des Rats und des Parlamentes gegenüber der Kommission kann an dieser Stelle nur vermutet werden. So wäre unter strategischer Kontrolle eine stärkere Steuerung der gesamten Organisation hinsichtlich ihrer Aufgaben und Ziele zu verstehen, während es bei einer operativen Kontrolle um die Begutachtung interner Organisationsprozesse einzelner Verwaltungseinheiten, ihrem Rechnungswesen und ihrer möglichst sparsamen Verwendung von Budgets ginge. 54 Die starke Personalausstattung der Generaldirektion Forschung erklärt sich u. a. aus den hier unmittelbar stattfindenden Ausschreibungen und der Verwaltung von Forschungsfördervorhaben, während bspw. die europäischen Strukturmittel dezentral durch die daran teilnehmenden Gebietskörperschaften in Europa verwaltet werden. 127 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Forschungskommissar sei gerade in Anbetracht des Korruptionsskandals aus der Generaldirektion Forschung erwartet worden, »Dienst nach Vorschrift« zu leisten und keine politisch waghalsigen Manöver über die Verwaltung der FRP hinaus einzugehen. Dem angeblich in der Europapolitik noch unbekannten belgischen Physiker sei eben keine politische Vision zugetraut worden. Allerdings kann Luca Guzzetti an dieser Stelle sowohl ungenügende Recherche als auch Mythenbildung vorgeworfen werden. Denn mehrere interviewte Experten aus dem Kabinett des Forschungskommissars hoben hervor, der neue Kommissionspräsident Romano Prodi habe Philippe Busquin ausdrücklich unterstützt, gerade aufgrund des Korruptionsskandals um seine Vorgängerin, Édith Cresson, die Vision einer EU-Forschungspolitik auszuarbeiten, die stärker auf Koordinierung und weniger auf die kleinteilige Förderung von F&E-Projekten abstellt. Auch scheint es verwegen zu behaupten, der neue Forschungskommissar habe sich selbst der europäischen Forschungspolitikgeschichte besonnen: »It so happens that when he had to compose his story for the Parliament hearing, he got a briefing from [x], in which [x] said what we need is the old concept of Dahrendorf for a European Research Area, a so called European Scientific Space.«55 (Wagner) Neben dem Vorschlag eines ganzheitlichen Koordinationsansatzes nationaler, transnationaler und supranationaler F&E-Maßnahmen und v. a. einer radikalen Erhöhung von Forschungsinvestitionen schlug Busquin mit dem Konzept eines Europäischen Forschungsraums auch die gemeinschaftliche Förderung von Grundlagenforschung vor (Commission 2000, S. 6).56 Dass durch seine Initiative die Bedeutung von Forschung und Technologieentwicklungen auf dem Lissabon-Gipfel (März 2000)57 als zentral herausgestellt wurde, sei ein Glücksfall für den neuen 55 An die Wiederbelebung der Idee eines Europäischen Forschungsraums durch Mitarbeiter der Generaldirektion Forschung erinnert sich auch der Kommissionsbeamte und Historiker Michel André (2006) in einem Aufsatz in der Zeitschrift Histoire de l’Integration Européenne. 56 Die Relevanz von Grundlagenforschung wird hier durch eine Negierung des Unterschiedes zur angewandten Forschung begründet. Als Kronzeugen dienen der Kommission in ihrer Mitteilung Hin zu einem Europäischen Forschungsraum (2000, S. 6–7) die Molekularbiologie und die Immunologie. 57 Auf die Bedeutung der Lissabon-Agenda als »strategic and long-term political initiatives of international organizations on cross-cutting policy issues locked in commitments about targets and processes« weisen Susana Borrás und Claudio Radaelli (2012, S. 464) hin. Wie die Initiativen des Europäischen Binnenmarktes und der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion habe auch die LissabonAgenda nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die Neugestaltung der Finanziellen Vorausschau, sondern auch auf die »Governance Architektur« (ebd.) der EU einschließlich der institutionellen Rollen ihrer zentralen Organe (Borrás 2009) gehabt. Und nicht zuletzt, wie am Beispiel der Offenen Methode der Koordinierung (Tholoniat 2010) veranschaulicht, ist die EU als Mehrebenensystem im Bereich der 128 VON DER POSITIONSFORMIERUNG ZUM AGENDA-SETTING Kommissar und die Generaldirektion Forschung gewesen: Roger Liddle und Maria Rodriguez (2004; zitiert nach Soete 2009, S. 325) bemerken bspw., dass die Kommissionsmitteilung Hin zu einem Europäischen Forschungsraum in den ursprünglichen Vorbereitungen des Lissaboner Gipfels gar keine Erwähnung gefunden hatte. Hingegen sollte die in den nationalen Ressorts vorbereitete Lissabon-Erklärung allenfalls die Relevanz von Informations- und Kommunikationstechnologien im Rahmen der geplanten Lissaboner Wachstumsagenda betonen. Erst wenige Monate vor dem eigentlichen Gipfeltreffen wurden F&T-Maßnahmen und die Erzeugung von Wissen im Allgemeinen in die Beschlussvorlage aufgenommen und somit unter das Primat der auf Wettbewerb ausgerichteten, ökonomischen Wachstumsagenda des Europäischen Binnenmarktes gestellt. Ein interviewter Generaldirektor der Kommission versuchte die unterschiedlichen Konzepte in ihrer Qualität zu deuten: »The question was how research could become something much more widely and deeply involved with European development and competitiveness. So I think that the most important moment, if you want to identify it, is not so much the European Research Area itself, but it is the Lisbon thing: Research, knowledge, and not just innovation. Knowledge was linked to competitiveness and to the development of the European economy. I think now this seems self-evident, but it was not necessarily so at that time.« (Niosi) Ein weiterer interviewter Kommissionsbeamter, seinerzeit Berater im Kabinett Philippe Busquins, wollte allerdings zu berichten wissen, dass es sich bei der Aufnahme von F&T-Maßnahmen in der Deklaration des Lissaboner Gipfeltreffens weniger um einen glücklichen Zufall als um das Zusammenwirken von Politikern handelte, die bereits in anderen Kontexten eng kollaborierten. Die angebliche europapolitische Unerfahrenheit Busquins wurde in diesem Interview ausgeräumt: »[…] if it had stopped there with a communication from the Commission, there would have been some nice words from the scientific community, a few conclusions etc., and then it would have burned out. But Busquin knew António Guterres, who was then Prime Minister of Portugal, very well. Portugal then had the EU-presidency, and was working on the Lisbon strategy. He also got along very well with Gago, the then research minister. He’s a key figure. Busquin had direct access to Gago but especially to Guterres.«58 (Wagner) F&T-Politik durch diese Initiative erheblich dynamisiert worden (kritisch Kaiser und Prange 2004, 2005). 58 António Guterres und Philippe Busquin bildeten im Zeitraum von 1999 bis 2005 die Doppelspitze der Sozialistischen Internationalen. Dass der interviewte Berater von Phillipe Busquin zudem eine epistemische Verbundenheit zwischen den drei Figuren Philippe Busquin, Antonio Guterres und José Mariano Gago sehen will 129 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Die in der Literatur beschriebenen Glücksfälle und die von Interviewpartnern dargestellten persönlichen Verbindungen weisen einen mythischen Erzählstil auf. Fest steht, dass die europäischen Regierungschefs auch zu Planungen im Bereich der »Spitzenforschung und -entwicklung in allen Mitgliedstaaten bis 2001«59 und zu einem gemeinsamen Benchmarking bereit waren, wenngleich nur bedingt (vgl. Kapitel 4.5). Mit ihrer Bekräftigung auf dem Europäischen Rat von Barcelona (2002), bis zum Jahr 2010 europäische Investitionen in F&E auf drei Prozent der Bruttoinlandsprodukte zu steigern (Archibugi und Coco 2005; Muldur et al. 2006, S. 39; Soete 2009), auf »Netzwerke der Spitzenforschung« zu setzen (Europäischer Rat 2002, S. 56) und v. a. der Kommission in Zukunft eine Erweiterung ihrer Kompetenzen60 zuzuschreiben, eröffnete sich nun für die zu oben skizzierte Interessenkoalition auch eine günstige Gelegenheit, Grundlagenforschung als hohes politisches Anliegen zu lancieren. Denn nun boten sich der Kommission gleich mehrere soziale Adressaten, die dem Ansinnen prinzipiell aufgeschlossen schienen. Auf der einen Seite konnte die Interessenkoalition im Zuge der halbjährig wechselnden EU-Ratspräsidentschaften61 die entsprechenden Entscheidungsträger ansteuern und innerhalb planbarer Zeitfenster ihr Anliegen vortragen. Als Ausgangspunkt dieses Agenda-Settings wurde in mehreren Interviews der schwedische Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2001 genannt, in deren Zeitraum zwei Konferenzen zum Thema organisiert wurden.62 Vom 26.–27. Februar 2001 fand an der Universität Uppsala eine aus Mitteln des 5. FRPs finanzier- 59 60 61 62 – alle drei, so betont er, seien Physikwissenschaftler gewesen – mag um ein weiteres Mal den Mythos eines glücklichen Zufalls schmälern, das ERA-Konzept habe es zufälligerweise bis in die Lissabon-Deklaration geschafft. Gleichzeitig bildet es wiederum selbst einen Mythos einer epistemischen Verbundenheit von Entscheidungsträgern. Siehe die Schlussfolgerungen des Europäischen Ratsvorsitzes von Lissabon (2000, S. 4). Neben der gängigen Distribution von Forschungsfördermitteln wurde der Kommission zum ersten Mal in der Geschichte supranationaler Forschungspolitik eine koordinierende Rolle durch die EU-Mitgliedstaaten zugebilligt. Dieser sechsmonatige Turnus ist unter Art. 16 EUV festgelegt. Mitgliedstaaten, die eine EU-Ratspräsidentschaft inne haben, bieten diese Zeiträume nicht nur Gelegenheit ressortspezifische oder -übergreifende Anliegen auf eine gesamteuropäische Agenda zu heben, sondern auch die Möglichkeit, effizient Vereinbarungen zu erwirken und Ressourcen zu sichern (z. B. Tallberg 2004). Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Policy-Experten und Wissenschaftspolitiker bereits in den Jahren zuvor die zukünftige »international institutional RTD-landscape« (Svedin 2000, S. 23) und in diesem Zuge auch die Idee eines ERC diskutierten (Papon 2000, S. 82), so z. B. auf einem von der UNESCO organisierten Workshop in Venedig (ebd.). 130 VON DER POSITIONSFORMIERUNG ZUM AGENDA-SETTING te Konferenz mit dem Titel »Europe with a Human Face« statt, auf der rund 100 Teilnehmer aus Wissenschaft und Politik über die Entwicklungen europäischer Forschungspolitik diskutierten, einschließlich über ihre Förderstrukturen im Bereich der Grundlagenforschung sowie über Möglichkeiten, einen europäischen Forschungsrat einzurichten, wenngleich auf die geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen fokussiert.63 Eine zweiter Workshop brachte am 25. April 2001 im Krusenberg Manor Hotel in Stockholm rund 30 Entscheidungsträger europäischer Forschungspolitik unter dem Titel »Cooperation and Competition: Striking the Balance in R&D Policy« zusammen, um über die gleichen Themen zu sprechen. Obwohl dieser Workshop nicht einmal in seinem Titel den Begriff der Grundlagenforschung, geschweige denn ihrer Förderung trug, sei die Gründung eines European Research Councils laut Aussage eines daran beteiligten Interviewpartners ein zentrales Anliegen gewesen. Wichtiger noch, als dass das Anliegen durch die rege Beteiligung namhafter Forschungspolitiker und Wissenschaftsmanager in Europa von Relevanz gekennzeichnet wurde, scheint die Tatsache, dass es mit dem Ende der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft nicht in Vergessenheit geriet. Ein Interviewpartner wies darauf hin, dass nur wenige der Beteiligten sich dieser möglichen Gefahr bewusst waren: »Das typische Phänomen dieser wechselnden EU-Ratspräsidentschaften ist ja, dass etwas angerissen wird und wieder in der Versenkung verschwindet, weil die nächste Präsidentschaft es nicht mehr möchte. Und hier kam’s ja darauf an, wenn man so will, mit langem Atem genügend kritische Masse zu erzeugen. Da wurde ja damals auch gefragt: ›Wieso denn jetzt? Es ist ja noch lange hin bis zum 7. Rahmenprogramm!‹« (List) Von einer offiziell64 institutionellen Beschäftigung der EU-Institutionen mit der Idee eines ERC kann im Jahr 2001 noch nicht die Rede 63 Nachträglich erwähnt wird der Workshop im Jahresbericht der Kommission (2001, S. 51) »Zur sozioökonomischen Dimension des 5. Forschungsrahmenprogramms« und im Archiv der von der Kommission unterhaltenden Forschungsnachrichtenseite CORDIS, hier allerdings als Veranstaltung unter Schirmherrschaft der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft aufgeführt; siehe https://cordis.europa. eu/improving/socio-economic/presidency.htm (letzter Zugriff: 04.10.2014). Thomas König ist für diese Quellenhinweise zu danken. Offizielle Verweise über einen zu gründenden ERC finden sich nicht in den Dokumenten, doch wussten hiervon mehrere Interviewpartner aus dem Kontext der »Initiative for Science in Europe« zu berichten. 64 Darunter können solche politischen Auseinandersetzungen gefasst werden, die schriftlich festgehalten werden und institutionelle Verfahren einleiten, wie z. B. Grünbücher als Diskussionsgrundlage für Verordnungen und Richtlinien, Weißbücher zur Initiierung von Konsultationsprozessen oder Mitteilungen, aber auch Stellungnahmen des Rats der Europäischen Union oder des EU-Parlaments. 131 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC sein. Denn für diesen Zeitraum finden sich keine offiziellen Stellungnahmen der EU-Institutionen oder anderer nationaler Regierungsstellen zur Frage eines ERC oder – unabhängig von der organisationalen Ausgestaltung – zur Förderung von Grundlagenforschung; auch nicht in den Schlussfolgerungen der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft, die die zuvor zitierten Konferenzen unterstützten.65 Zunächst sei von Entscheidungsträgern in Schweden – wie auch in anderen kleineren Volkswirtschaften Skandinaviens oder in den Niederlanden – trotz der positiven Haltung gegenüber einer supranationalen Grundlagenforschungsförderung wirtschaftliche Nützlichkeit als Vetoargument vorgebracht worden: »Sweden and the government decided that this is a priority. But still, I had a lot of arguments with the Swedish ministers about the economic value, and I always said to them: ›Don’t bother about the economy initially! You have to get a foot in the door! Don’t focus on the economy, focus on the creation, the new situation.‹ You know a lot of arguments were about the question, how much money it will cost, how much money would be taken away from the FPs and so on, right?« (Blomquist) Der Interviewpartner berichtete in Folge, dass durch die schwedische Initiative weitere Entscheidungsträger motiviert wurden, das Lobbying voranzutreiben. Zentral sei die Überzeugung des Vize-Präsidenten des dänischen Forschungsforums (dem Zusammenschluss der dänischen Forschungsräte), Mogens Flensted-Jensen, gewesen, Einfluss auf die dänische Regierung zu nehmen, dem ERC eine eigene EU-Ratspräsidentschaftskonferenz zu widmen und das Anliegen somit auf die offizielle Agenda bringen.66 In seinem Abschiedsvortrag am 3. Mai 2013 resümierte Flensted-Jensen in der Universität Kopenhagen: 65 Siehe die Schlussfolgerungen der Ratsgipfel von Stockholm vom 13. und 14. März (2001b) und von Göteborg vom 15. und 16. Juni (2001a). Eine Referenz zur Stärkung von Grundlagenforschung wird allenfalls indirekt durch den Begriff »wissenschaftlicher Exzellenz« markiert. Allerdings nimmt die Ratspräsidentschaft in Stockholm mit der Stärkung von »Exzellenznetzwerken« (ebd., S. 23) keinen Bezug auf das Ansinnen der Diskurskoalition, sondern auf ein von der EU-Kommission vorgeschlagenes Förderprogramm für das 6. FRP. Erwähnenswert ist vielleicht noch die Forderung nach »Frontier technologies« (ebd., S. 24), deren Entwicklung von der Förderung eines Unternehmergeistes und einem Innovation und Risikobereitschaft begünstigenden Regelwerk abhinge. Mit dem Begriff wird konkret Bezug auf die Förderung von Biotechnologie genommen. Doch auch hier lassen sich keinerlei Verbindungen zu der beschriebenen Initiative der bisher lebenswissenschaftlich dominierten Interessenkoalition nachzeichnen, eine Grundlagenforschungsfördereinrichtung zu etablieren. 66 Allerdings musste Dan Brändström, der Direktor der Bank of Sweden Tercentenary Foundation, bei der Finanzierung einspringen, da die dänische Regierung Flensted-Jensen und den dänischen Forschungsräten gegenüber zunächst kein Interesse 132 VON DER POSITIONSFORMIERUNG ZUM AGENDA-SETTING »The discussion of a long standing idea about a possible European Research Council modeled after the National Science Foundation, NSF, in the US came up. The Swedish research minister, Thomas Østros, did not believe it would be possible to create such an institution. Nevertheless a group of Swedish scientists, including Dan Brändström, the director of Bank of Sweden Tercentenary Foundation (Rigsbankens Jubilæumsfond), and the research adviser to the Swedish government, professor Hans Wigzell, from Karolinska Institutet, made a plea to me, as I was the only Danish participant, to bring this question up during the forthcoming Danish EU-presidency« (Flensted-Jensen 2013, S. 4).67 Daraufhin widmete die dänische EU-Ratspräsidentschaft am 7. und 8. Oktober 2002 dem Anliegen des ERC zum ersten Mal in der Geschichte der EU-Forschungspolitik eine offizielle Konferenz mit dem Titel »Do we need a European Research Council?«.68 In der Selbstbeschreibung des ERC69, ebenso wie in den Kommentierungen zu dessen Entstehung – nahezu alle bereits zitierten Beiträge in den Zeitschriften Nature und Science nach 2002 nehmen hierauf Bezug – wird diese Konferenz als Meilenstein seiner Geschichte zelebriert. In der Tat lässt sich mit Blick auf die Teilnehmerliste dieser Konferenz feststellen, dass die vormals aus dem lebenswissenschaftlichen Umfeld gegründete Initiative mittlerweile weite Kreise gezogen haben musste: Unter den Konferenzteilnehmern finden sich neben den Präsidenten und Geschäftsführern nationaler Forschungs- und Forschungsfördereinrichtungen, der ESF, transnationaler Forschungseinrichtungen und privater Wissenschaftsstiftungen sowie einzelnen Universitätsprofessoren auch Mitglieder der Generaldirektion Forschung der Kommission: Als Sprecher traten sowohl der für Forschung zuständige EU-Kommissar Philippe Busquin als auch der Generaldirektor der Generaldirektion Forschung Achilleas Mitsos auf.70 Zudem lohnt ein Blick auf die letzte Seite des Konferenzberichtes, auf der die Organisatoren aufgelistet sind: Neben den dänischen Wissen- 67 68 69 70 zeigte, eine Konferenz zum ERC mit finanziellen und personalen Ressourcen zu unterstützen; dies geht aus dem Stiftungsjahresbericht von 2003 hervor. Mogens Flensted-Jensen ist für seine hilfreichen Hintergrundinformationen zur dänischen EU-Ratspräsidentschaft von 2002 zu danken, ebenso wie für die Bereitstellung des Manuskriptes seiner Abschiedsvorlesung; mittlerweile abrufbar auf seiner persönlichen Website; https://dl.dropboxusercontent.com/u/51833007/Afskedslecture-mfj-final.pdf (zuletzt am 01.02.2014). Für eine objektiv-hermeneutische Auswertung des Konferenzprotokolls; siehe Kapitel 6.3. Siehe u. a. in der Selbstbeschreibung des ERC unter der Rubrik »History«; http:// erc.europa.eu/about-erc/history (zuletzt aufgerufen am 17.04.2014). Trotz intensiver Recherche einschließlich Anfragen bei unterschiedlichen Organisationen und einzelnen Personen konnten leider keinerlei Redebeiträge von der Konferenz eingesehen werden. 133 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC schaftsräten, dem dänischen Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation, dem schwedischen Wissenschaftsrat, der ESF wird auch die Kommission als Mitorganisator aufgeführt. Die Bewertung der Relevanz dieser Konferenz durch die Interviewpartner fiel dennoch differenziert aus. Hochrangige Mitglieder der Kommission, die auch auf der Konferenz einen Redebeitrag geleistet hatten, sahen in ihr keine herausragende Bedeutung: »We at the Commission adopted the importance of basic research with a Communication.71 Whether this was a result of pressures from the Copenhagen conference, it’s very difficult to say. It was this continuum thing. […] this conference had in a way a structuring function, bringing together different stakeholders and focusing on this question more than it was rather maybe before diffusely happening.« (Niosi) Während für den Befragten die Bedeutung der Kopenhagen-Konferenz in ihrer strukturierenden Funktion der bisweilen losen und unverbindlichen Diskussion liegt, verwiesen andere Interviewpartner auf zwei weitere wichtige Konsequenzen. Erstens war in den Schlussfolgerungen zur Konferenz angeregt worden, eine Expertengruppe unter der Schirmherrschaft des bereits angesprochenen UNESCO-Generaldirektors Frederico Mayor zur Ausarbeitung von organisationalen Modellen eines ERC einzurichten, die am 15. Dezember des folgenden Jahres einen Bericht einschließlich Empfehlungen zur Etablierung eines ERC vorlegte (Mayor 2003).72 Hierzu berichtete ein Interviewpartner aus dem Umfeld der Lebenswissenschaften: 71 Es handelt sich um die Mitteilung »Europa und die Grundlagenforschung«, genauer analysiert in Kapitel 6.3. 72 Dieser Expertenbericht wurde wiederum durch eine Studie der Innovations- und Wissenschaftsforscher Maria Nedeva, Remi Barre und Barend van der Meulen (2003) unterstützt – sozusagen das Expertengutachten eines Expertengutachtens. In dem Papier stützen sich die Autoren auf den Inhalt eines wissenschaftlichen Aufsatzes von Stefan Kuhlmann (2001), in dem drei mögliche Integrationsszenarien des Politikfeldes diskutiert werden: eine intergovernementalistisch ausgerichtete und eine supranational befähigte Forschungs- und Technologiepolitik sowie eine Mischform aus diesen beiden Szenarien. Entlang dieser Szenarien wird die mögliche Überzeugungskraft von fünf Argumenten zur Einrichtung des ERC geprüft: (1) Rückstand europäischer Forschung gegenüber Konkurrenzregionen, (2) die Bedeutung von Grundlagenforschung für kommerzielle Zwecke sowie, allgemein, für eine »Wissensbasis«, (3) Fragen, inwieweit Grundlagenforschung koordinierbar bzw. in Europa in Form einer Arbeitsaufteilung zwischen Wissenschaftsorganisationen möglich wäre und (4) man bei der Einrichtung eines ERC von Netzwerken und bestehenden Organisationsformen lernen könnte. (5) wird die Frage aufgeworfen, ob das Argument, es bedürfe in bestimmten wissenschaftlichen Feldern einer »kritischen Masse« von Forschungsförderung, überzeugend genug sei, um einen zukünftigen ERC zu begründen. 134 VON DER POSITIONSFORMIERUNG ZUM AGENDA-SETTING »[x] convinced the Danish Presidency which was on its last legs, to establish a high-level working party to take the vague feeling that this is a good idea and to prepare a report on it.« (Hansson) Zweitens wurde die Einrichtung dieser Expertengruppe auf dem Europäischen Wettbewerbsrat vom 26. November 2002 offiziell begrüßt, nachdem der damalige dänische Forschungsminister den Regierungsvertretern der anderen europäischen Staaten über die Konferenz Bericht erstattet hatte. So steht in der Zusammenfassung des Wettbewerbsrates, »der Rat der Europäischen Union ersucht […] die Mitgliedstaaten, die Maßnahmen zum Ausbau des EFR in Zusammenarbeit mit der Kommission – gegebenenfalls im Rahmen des CREST und anderer geeigneter bestehender Gremien – insbesondere dadurch zu verstärken, dass sie [Punkt 5] in Zusammenarbeit mit den einschlägigen einzelstaatlichen und europäischen Forschungsorganisationen die Beratungen über den Zweck und Aufgabenbereich eines Europäischen Forschungsrates fortsetzen und die Optionen für die etwaige Einrichtung dieses Rates prüfen« (Rat der Europäischen Union 2002, S. 23). Die Konferenz läutete so ein prozessstrukturierendes Verfahren europäischen Regierens ein: »And that was very important, because it meant that the Danish Ministry could, if it wanted, and did report into the next Competitiveness Council. And therefore, it just did not die there; it remained there […]. So I’d say that the content of that report was not important. The fact that it was there, meant that it was still on the agenda.« (Hansson) Im Zuge der Konferenz und der Aufforderung der Minister einen Expertenbericht auszuarbeiten, hatte sich eine Kommunikationssequenz entfaltet zu haben, in der sich die einzelnen Schritte zu einer »Entscheidungsgeschichte« verdichteten, die den »Beteiligten Entscheidungsprämissen setzt und so die gemeinsame Situation strukturiert, aber nicht mechanisch auslöst, was als nächstes zu geschehen hat« (Luhmann 1978, S. 40). Mit Blick auf Prozessmechanismen europäischen Regierens ist die systemtheoretische Beobachtung einer selbstlaufenden »Legitimation durch Verfahren« (ebd.) hier besonders stark ausgeprägt. Denn es ist die Regel, dass Kommunikationsofferten des Rates der Europäischen Union sowie des Europäischen Parlamentes durch die Kommission aufgegriffen werden. Insofern ist der Einschätzung des zuvor zitierten Experten partiell zu widersprechen: Dass sich nach den Ratsempfehlungen eine Kommunikationssequenz entfaltet, stellt zumindest prinzipiell für den Bereich der EU-Governance keine Besonderheit dar, gerade aufgrund der quasi-konstitutionellen Zuschreibung, dass die Kommission als Motor der Integration in Vorbereitung und während des Mitendscheidungsverfahrens zu fungieren hat (Tsebelis und Garrett 1997; Rasmussen 2003; Crombez 1997). Demnach ist in Anlehnung an die vielfach aufgegriffene Verfahrenslegitimation Niklas Luhmanns durchaus 135 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC von einer Art Mechanik auszugehen, in der vorbestimmt ist, »was als nächstes zu geschehen hat« (Luhmann 1978, S. 40). Mit Blick auf den Inhalt, also die geäußerten Positionen der Konferenz von Kopenhagen mag zwar hinterfragt werden können, ob hier tatsächlich und einhellig bereits eine Grundsatzentscheidung getroffen wurde; einige interviewte Experten stimmten dem zu, andere widersprachen. Wichtiger scheint allerdings, dass mit der Konferenz die Initiative ihrem Anliegen in zeremonieller Weise Betonung verleihen und ein Verfahren eröffnet werden konnte. Wie in Kapitel 6.3 noch genauer analysiert, wurde mit dem Titel der Konferenz, »Do we need a European Research Council?« auch gar keine Entscheidungsfrage gestellt. Der Titel deutet auf eine rhetorische Frage hin, deren kommunikative Funktion in der Überzeugung des Gegenübers liegt. Allein die Tatsache, dass eine Ratspräsidentschaftskonferenz hierzu einberufen wurde, mag an dieser Stelle das Stilmittel der rhetorischen Frage unterstreichen; oder anders: Man wird nicht hunderte wissenschaftspolitische Entscheidungsträger für ganze zwei Tagen einladen, um danach zu verkünden, dass die gestellte Entscheidungsfrage leider verneint worden ist. Dies heißt jedoch nicht, dass eine Mehrheit der Konferenzteilnehmer bereits vorher der Meinung gewesen war oder nun überzeugt wurde, »that the time had come to begin setting up an ERC« (Søndergaard und Flensted-Jensen 2002, S. 4), so wie dies in der Eingangssequenz des Konferenzprotokolls dargestellt wird. Die Biomedical Research Councils Großbritanniens opponierten gegen die Idee eines ERC, da sie bezweifelten, dass zur internationalen Förderung von Grundlagenforschung überhaupt eine Verwaltungsstruktur notwendig sei (vgl. Radda 2002). Zudem äußerten sich Fraktionen der Organisation Euroscience skeptisch darüber, ob ein ERC innerhalb der nächsten zehn Jahre überhaupt realisiert werden könne.73 Gleichermaßen ist mit Blick auf den zuletzt zitierten Interviewpartner beizupflichten, dass aus diesen regulativ-institutionellen Mechanismen europäischen Regierens noch lange nicht abzusehen war, wie die Kommission sowie die durch den Rat der Europäischen Union aufgerufenen Organisationen auf dessen Aufforderung im Ergebnis reagieren würden. Entsprechend lassen sich auch Auszüge aus der Rede des Forschungskommissars auf der Konferenz von Kopenhagen deuten, der sich einen ERC als Element des ERA vorstellen konnte – »there is a need to establish more powerful instruments of an institutional nature for the coordination of national 73 Norbert Kroó, der Generalsekretär der ungarischen Akademien der Wissenschaften, Mitglied des European Research Advisory Boards (EURAB) der Generaldirektion Forschung und Mitglied von Euroscience, äußerte diese Zweifel; siehe https://www.timeshighereducation.co.uk/news/european-council-for-researchstill-a-decade-away-says-leading-academic/167845.article (zuletzt abgerufen am 14.11.2014); auch für diesen Hinweis ist Thomas König zu danken. 136 VON DER POSITIONSFORMIERUNG ZUM AGENDA-SETTING research policies« – und in Aussicht stellte, dass die Kommission einen Vorschlag ausarbeiten würde. Busquin begrüßte zudem die vorgeschlagenen Prinzipien des ERC: »A European Council of the kind envisaged with the objective of supporting basic research in Europe on the basis of considerable autonomy would meet a need which today is being met inadequately«. Allerdings gab er zu bedenken, dass «[t]here must be no duplication of structures already in existence, and such structures should be taken into account when defining the tasks of a new institution.«74 Aus dem Redebeitrag lässt sich die einschränkende Subsidiaritätsklausel ablesen. Zudem sollte ein wirtschaftlicher Mehrwert für Unternehmen ersichtlich werden, er zeige sich erst, wenn ein »certain amount of fresh money […] could and should be provided to a significant extent by businesses«. Mit Blick auf einen möglicherweise einzurichtenden ERC mussten die Mitarbeiter der Generaldirektion Forschung nicht zwangsläufig so reagieren, dass nun unbedingt eine Organisation oder ein Förderprogramm als Teil des FRPs vorgeschlagen würde. Dass sie auf die Empfehlungen des Rats hin verwaltungsintern Optionen zur Organisierung von Grundlagenforschungsförderung prüften, sollte sich allerdings bereits in dem durch die dänische Regierung beauftragten Expertengutachten der Mayor-Gruppe andeuten, an deren vier Treffen auch Kommissionsbeamte teilnahmen. Dieses verdichtete die Empfehlungen auf vier Vorschläge zur organisationalen und v. a. rechtlichen Ausgestaltung eines eventuell zu gründenden Fördermechanismus. Die Vorschläge wurden durch die Expertengruppe mit Prämissen für die zu gründende Organisation unterlegt: größtmögliche Organisationsautonomie, Freiheit in der Mittelverwendung und Zwecksetzung der Forschung, eine möglichst unkomplizierte Beantragung und Verwaltung von Fördergeldern und Entscheidungs- bzw. Finanzierungseffizienz (Mayor 2003, S. 27–28): Erstens, der ERC könnte in einem EU-Mitgliedstaat unter dort geltendem Recht als juristische Person etabliert werden. Hier sah die Expertengruppe eine Reihe von Problemen. Zum einen bestünde die Gefahr, dass das Gastgeberland (symbolisches) Kapital aus dem Standort der Einrichtung ziehen könnte. Selbst wenn dem nicht so wäre, könnten Neiddebatten entstehen. Zum anderen müsse mit einem hohen juristischen Aufwand geklärt werden, ob Fördergelder aus der Vielzahl der EUMitgliedstaaten in einen anderen Mitgliedstaat ohne Weiteres transferiert werden könnten. Hinzu kämen mögliche arbeitsrechtliche Hürden für anzustellendes Personal aus anderen Staaten im »Gastgeberland« des ERC, von einem möglichen politischen Konflikt über nationale Mitarbeiterquoten ganz abgesehen. Das zentrale Problem dieser einzelstaatlichen 74 Siehe http://cordis.europa.eu/news/rcn/19065_en.html (zuletzt abgerufen am 15.11.2014). 137 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Lösung, so die Expertengruppe, läge aber in der Förderung selbst: Darf eine juristische Person öffentliche Mittel an Personen und Organisationen mit Sitz in einem anderen Staat transferieren und darf sie zudem dort die Verwendung der Gelder überwachen? Die Gruppe bewertete diese Option als kaum gangbar. Als zweite Option wurde ein so genannter »interagency body or a consortium of national actors like national research councils and other appropriate bodies« (ebd., S. 28) vorgeschlagen, wobei eine »Hinzufinanzierung« aus EU-Mitteln durch die Artikel 169ff. des EGV sichergestellt werden könnte.75 Die Lehre aus der dauerhaften Unterfinanzierung der ESF insinuierte allerdings bereits, dass diese Option im späteren Verlauf des Policy-Prozess nicht favorisiert werden würde. Die Expertengruppe warnte bereits in ihren Empfehlungen vor der Möglichkeit von juste-retour-Spielen durch »nationale oder andere Kriterien« (ebd.), für die ein solches Rechts- und Organisationsmodell entsprechende Veranlagungen schaffen würde. Der dritte Vorschlag bestand aus einer transnationalen Organisation auf der Grundlage eines »Memorandum of Understanding«, das heißt in Anlehnung an bereits angesprochene Einrichtungen, wie CERN oder EMBO. Auch hiervon riet die Expertengruppe ab; ihre Erwägung: Für alle bisher etablierten internationalen Organisationen konnten die europäischen Staaten spezifische Ziele in F&E formulieren. Für eine fachübergreifende Organisation zur Förderung von Grundlagenforschung würden ein Memorandum of Understanding zu unbestimmt sein, um Verbindlichkeiten einer dauerhaften Finanzierung sicherzustellen. Der vierte Vorschlag des Gutachtens stellte eine »european entity« dar, mit anderen Worten ein Kommissionsförderprogramm, welches durch eine aus der Generaldirektion Forschung partiell ausgelagerten Agentur verwaltet werden würde. Einer Forschungsförderorganisation, so das Gutachten, würden aber dadurch »organisationale, finanzielle und Anhörungspflichten« aufgebürdet, was weder mit dem Ziel wissenschaftlicher Selbstbestimmung über den Einsatz und Zweck der zu vergebenen Mittel vereinbar wäre noch einer möglichst unbürokratischen Förderung von Wissenschaftlern helfen könnte. Würden diese bürokratischen Hürden jedoch klein gehalten, könnte diese Option einen gangbaren Weg darstellen. Für das in Kopenhagen eingeleitete Verfahren ist nun wichtig, dass die Arbeiten der Mayor-Expertengruppe wiederum durch den 75 Genau genommen wird im weiteren Policy-Prozessverlauf die Option zur Einrichtung eines ERC auf der Rechtsgrundlage von Artikel 171 EGV diskutiert: »Die Union kann gemeinsame Unternehmen gründen oder andere Strukturen schaffen, die für die ordnungsgemäße Durchführung der Programme für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration der Union erforderlich sind.« 138 VON DER POSITIONSFORMIERUNG ZUM AGENDA-SETTING EU-Wettbewerbsrat am 22. September 2003 zur Kenntnis genommen wurden; in dessen Schlussfolgerungen heißt es: »Der Rat nahm Kenntnis von einem Vermerk der französischen Delegation über die Initiative zur Schaffung eines »Europäischen Forschungsrates« sowie von der Absicht der Kommission, eine Mitteilung zu diesem Thema zu erstellen. Der »Europäische Forschungsrat« soll eine autonome Einrichtung sein, die unter der Leitung von Wissenschaftlern Grundlagenforschungsprojekte finanziert. Diese Initiative wurde auf einer vom dänischen Vorsitz im Oktober 2002 in Kopenhagen ausgerichteten wissenschaftlichen Konferenz erörtert. Seither ist sie Gegenstand einer Sachverständigengruppe, die sich mit dem Zweck und Aufgabenbereich der vorgeschlagenen Einrichtung befasst und die Optionen für ihre Einrichtung prüft.« (Rat der Europäischen Union 2003, S. 24) Erst mit den Schlussfolgerungen des Rates, in denen sowohl die Prinzipien eines ERC als »autonome Einrichtung« zur Finanzierung von Grundlagenforschungsprojekten, v. a. aber Vorbereitungen der Kommission, eine Mitteilung zu verfassen, zur Kenntnis genommen wurden, konnte das Verfahren weiter strukturiert werden. Allerdings kann auch nicht von einer eindeutigen Richtungsentscheidung ausgegangen werden. Die Entstehung der Kommissionsmitteilung und des Expertengutachtens standen nicht in einem unmittelbar argumentativen Zusammenhang, trotz der hier beobachtbaren, personalen Überschneidungen durch Kommissionsbeamte. Für die Policy-Optionen bedeutete dies nur, dass die Minister der EU-Mitgliedstaaten weitere Planungen billigen würden, formal auch diejenigen der Kommission. Festzuhalten ist, dass mit der Ratsempfehlung und dem Expertengutachten zumindest aber der Entscheidungsdruck auf die Kommission anstieg, sich positionieren zu müssen. Ein hochrangiger Kommissionsbeamte fasste diese Situation in einer Interviewsequenz als ein ganzes Bündel von Reformanliegen auf: »There was a continuum. Pressure was continuing. The whole issue was: how to link different pressures, one for more basic research, another one for a clear distinction between the role of ministries and the role of research councils. A third one was for no longer artificial distinctions between basic and applied. It’s not the same as more basic. Another one was for simplification of procedures. All these different pressures were channelled through the different conferences and meetings we discussed before and were acknowledged by the Council. Whether the ERC movement was then a discrete result of pressures from the Copenhagen conference, is very difficult to say. As I said, it was this continuum thing.« (Niosi) Der beschriebene Druck auf die Kommission sowie auf nahezu alle forschungspolitischen Entscheider in Europa, sich mit dem Anliegen transoder supranationaler Grundlagenforschungsförderung zu beschäftigen, 139 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC wurde durch eine Reihe von Positionspapieren während und in Folge der Kopenhagener Konferenz und des Expertengutachtens der Mayor-Gruppe gesteigert. Für die Leitung der Generaldirektion Forschung änderte sich bereits mit der Kopenhagener Konferenz, dann aber v. a. durch die beiden Stellungnahmen des Wettbewerbsrates von 2002 und 2003 der Modus Operandi. Die Initiative schien reif genug, entsprechend stellte sich in der Generaldirektion Forschung die entscheidende Frage, wie sie die mit den FRP schwer zu vereinbaren Ziele der ERC-Initiative in eine Policy überführen könnte – und dies innerhalb eines mittlerweile eng abgesteckten Zeitrahmens von zwei Jahren, d. h. von 2003 bis zum Gesetzgebungsprozess für das 7. FRP, der im Frühjahr 2005 beginnen sollte. 5.7 Die Kommission bewegt sich In der Generaldirektion Forschung der Kommission wurde bereits vor der Konferenz von Kopenhagen entschieden, dass es geboten sei, die ERC-Initiative zu beobachten. Dies hieß jedoch noch nicht, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt offiziell eine eigene Policy-Option vorgeschlagen werden konnte – auf die zwar prinzipiell positive, wenngleich verhaltene Reaktion von Philippe Busquin in Kopenhagen mit Blick auf die Subsidiaritäts- und Mehrwertsproblematik wurde bereits hingewiesen (Kap. 5.6). Über das Beobachten hinaus nahmen Kommissionsbeamte der Generaldirektion Forschung dennoch bereits ihren Einfluss auf die Initiative. Diese Einflussnahme ist aus dem Expertengutachten der Mayor-Gruppe zu entnehmen: In der vierten Policy-Option, in der ein ERC als kommissionsgeführte Lösung vorgeschlagen wurde, fasste die Expertengruppe de facto die Arbeiten eines Workshops auf der Kopenhagener Konferenz zusammen, der von Mitgliedern der Mayor-Gruppe vorbereitet worden war und an dem bezeichnenderweise hochrangige Beamte der Generaldirektion Forschung teilnahmen. Von den Beamten hatten die Experten schon vor der Kopenhagener Konferenz Einschätzungen zur Ausgestaltung eines ERC erhalten; hieran erinnert sich zumindest ein hochrangiger Kommissionsbeamter: »The Mayor Group was basically embracing a very official and legalistic solution of how policy-making at the EU level should be done. It was the result of these two aspects, the Copenhagen conference and the Mayor Group, that this initiative needs to be brought to the political agenda of the Ministers of Europe, and that the only organization, which can sufficiently do this, is the European Commission. So when this invitation came – I mean, of course invitations do not just come spontaneously, so we were already a member of the Mayor Group and I was there at the Copenhagen Conference [laughs] – but at a certain 140 ESTA Agenda-Setting Policy-Formulaton Implementation FEBS Criticism about EC‘s red-tape & industrial alignment EMBO & EMBL Other public R&D / Unis ISE ELSF DIE KOMMISSION BEWEGT SICH 141 Abbildung 4: Policy-Entstehungsprozess, vereinfacht dargestellt Discourse Formation Nature Science … Kopenhagen 2002 Stockholm 2001 ERC Expert Group Lobbying for positive votes/opinions COM: „Europe and basic research“ Commission NEST restruct. as preparatory Agency FP3, 6.6bn 1991-94 1994-98 2000 2001 ERC Scientific Council appointed Co-Decision HLEG: »Frontier Research« FP6, 17.5bn € FP5, 15.0bn € FP4, 13.1bn European (Competitiveness) Council and Parliament Meetings Dublin 2004 Position Papers nat./ internat. bodies 2002 2003 2004 2005 2006 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC time, the Commission was asked to bring this to the political arena, to the Council of Ministers.« (Thies) So positiv, wie dies der interviewte Beamte formulierte, scheinen die Interaktionen mit den Kommissionsbeamten zunächst jedoch nicht verlaufen zu sein: »Initially, the Commission was very negative about the whole idea, when the Mayor group met, and during the two first meetings the situation was stalemate. The Commission did what it could to prevent the implementation of the idea« (Schulz-Forberg und Stråth 2010, S. 149–150). Auf welche Quellen oder wessen Aussagen sich auch immer die Autoren in ihrer Einschätzung beriefen, das Zitat zeigt, dass im Zeitraum rund um die Konferenz noch keine eindeutige Positionierung der Generaldirektion Forschung abgeleitet werden kann, weder nach außen noch nach innen.76 Die organisationsinterne Positionsbildung wird von ihnen nicht berücksichtigt. Denn nicht vergessen werden sollte, dass sich ursprünglich Akteure der Wissenschaft in ihrem Agenda-Setting zur Förderung von Grundlagenforschung explizit gegen die Forschungspolitik der Kommission wandten und hierin von den Herausgebern und Journalisten vielgelesener Fachzeitschriften flankiert wurden (vgl. Kapitel 4.5 und 5.2). Auch bedeuteten die Kopenhagener Konferenz sowie die Empfehlung des Wettbewerbsrates nicht, dass alle Mitgliedstaaten der Idee eines ERC wirklich zusprachen: »I think the only ones who liked the idea were the Swedish, the Danish, and the Dutch. All the others were against it! [Nachfrage: Do you mean the idea of the Commission taking initiative, or the idea of having an ERC in general?]. I indeed mean the idea of creating an ERC as such. Finland was very much against it, so was Italy, and the UK. Germany had a very bizarre situation: because Germany hosted different camps.«77 (Thies) Die ambivalenten bis negativen Positionen aus den Mitgliedstaaten gegenüber einer Kommissionslösung für den ERC werden maßgeblich auf zwei Strömungen zurückgeführt.78 Eine Reihe wissenschaftsprotektionistischer Akteure, wie die Royal Society, die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Max-Planck-Gesellschaft bezweifelten geradewegs, dass die Kommission ihre gewohnten Förderprinzipien ändern könne (weitere Ausführungen im Interview; siehe zudem am Ende von Unterkapi76 Positionsbildungsprozesse innerhalb der Kommission sind äußert komplex und können im Rahmen dieser Arbeit nicht rekonstruiert werden; siehe hierzu u. a. Hartlapp et al. (2010) und Kassim et al. (2013). 77 Auf die mitgliedstaatlichen Positionen kommen wir später noch zu sprechen. 78 Auf die Wahrnehmung organisationaler Konkurrenz sind wir bereits in Unterkapitel 5.5 eingegangen. 142 DIE KOMMISSION BEWEGT SICH tel 5.5). Weshalb solle man also der Kommission Verantwortung übertragen, Gelder für freies Forschen nach wissenschaftlichen Gütekriterien zu verwalten, wenn die Erfahrungen mit ihrer Forschungsverwaltung dem diametral entgegenliefen? Auf der anderen Seite hätte man mit den weitaus einflussreicheren Netzwerke industrie- und anwendungsorientierter Nutznießer der Rahmenprogramme zu rechnen, denen die Förderung ausschließlich wissenschaftlich definierter, im schlimmsten Fall sogar thematisch offener Forschungsvorhaben ein Dorn im Auge gewesen sei. Derselbe interviewte Kommissionsbeamte erinnerte sich an entsprechend schwierige Verhandlungen mit Industrievertretern zu einem späteren Zeitpunkt des ERC-Entstehungsprozesses: »I think, industry, [x] from Philipps was there, people from Airbus Industries, Siemens guys etc., and from the very beginning they were very sceptical of the initiative and negative about the ERC. They feared that we would create a huge programme for fundamental research, and that money would not flow to them, but to academia.« (Thies) Es ist davon auszugehen, dass diese beiden Strömungen die Positionen von einzelnen Rats- und Parlamentsmitgliedern beeinflussten. Entsprechend musste die Kommission gegenüber dem Rat und dem Parlament vorsichtig agieren – nicht zuletzt wurden ja bereits ihre neuen Koordinationsbestrebungen unter dem Leitbild des ERA beargwöhnt (vgl. Kapitel 4.4-4.5). Um gegen die befürchteten Gegenpositionen aus der Industrie Vorkehrungen zu treffen, konnte sich die Kommission u. a. auf das von ihr im Jahr 2000 eingesetzte European Research Advisory Board (EURAB) stützen, einem mit 25 Mitgliedern weitaus kleineren Beratungsgremium als die ESTA (vgl. Kapitel 5.2). EURAB verfasste bereits im Anschluss an die Konferenz von Kopenhagen im November 2002 ein den ERC unterstützendes Empfehlungsschreiben. Im Oktober 2003 schlug das Gremium Organisationsmodelle vor und schien eine »Kommissionslösung« zu bevorzugen: »New funding has to be both substantial from the outset and come from EU resources in order to establish a strong ERC as an essential complement to the Framework Programme« (kursiv hervorgehoben; TF).79 Für die Kommission hatte EURAB aber auch deshalb eine legitimatorische Funktion, weil das Gremium paritätisch aus 79 Die Empfehlungen von EURAB mitsamt seiner vorgeschlagenen Organisationsmodelle wurden durch die Mayor-Gruppe aufgegriffen. Mit Helga Nowotny und Norbert Kroó bestanden zudem personelle Überschneidungen zwischen EURAB und der Mayor-Gruppe. Die Forderung nach einer zu den Rahmenprogrammen komplementären Struktur, so ein interviewtes EURAB-Mitglied, sei v. a. der Sorge geschuldet gewesen, der ERC könne hier bereits bestehenden Förderprogrammen Ressourcen wegnehmen; deshalb sei auch von allen Beteiligten – nicht nur innerhalb des EURAB – immerzu »fresh money« gefordert worden. 143 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Vertretern der Wissenschaft und der Wirtschaft besetzt war. Ein führendes Mitglied von EURAB berichtete: »Und mein Argument war immer, ›wir müssen darauf aufbauen, dass die Stärke des EURAB ist, dass wir mit einer Stimme sprechen, und die Industrie ist genauso beteiligt, wie die Universitäten […] wir brauchen eure Zustimmung, ansonsten ist das Gewicht von EURAB verringert.‹ Und, wie gesagt, es geht dann um Verhandlungen, wir haben dann halt anderen Empfehlungen zugestimmt, die die Industrie haben wollte. It‘s a deal! Die Industrie sieht natürlich auch, dass sie von Grundlagenforschung profitiert. Aber sie profitiert irgendwann und nicht jetzt. Und die Industrievertreter wollen halt, dass im nächsten Rahmenprogramm mehr für sie zur Verfügung steht.« (Oertler) Ob das Gremium jenseits der positiven Signale seiner Industrievertreter im Policy-Prozess eine wichtige Rolle spielte, ist schwer einzuschätzen. Seine Beratungsleistungen seien für die Generaldirektion Forschung jedenfalls vernachlässigbar gewesen. Wichtiger als die institutionelle Zuschreibung, von EURAB beraten worden zu sein, seien eher die Beratung und der Einfluss einzelner Mitglieder gewesen: »So there was a number of EURAB members, who played a role in advising us. This does not apply to EURAB as an organisation, since EURAB was a weak organisation« (Thies). Von der Leitung des Gremiums wird im Interview allerdings erwidert, dass dieses gegenüber der Kommission in einem Dilemma, einem »Beratungsparadox« steckte: »Wenn man zu weit weg ist, kann man sagen, was man will, und der andere hört es nicht. Ist man zu nah an der Kommission, gilt man nicht mehr als unabhängig.« (Oertler) Um den Aspekt der Kommissionspositionierung wieder aufzugreifen, lässt sich aus den Empfehlungen des Rates und des Parlamentes eine explizite Aufforderung an die Kommission ablesen, Gründungsmöglichkeiten im Rahmen einer EU-Richtlinie zu eruieren. Die Kommission, Kraft ihres Initiativrechtes und ihrer Zuschreibung, Motor der Integration zu sein, ist institutionell verpflichtet, aus formalen Aufforderungen und aus latenten Andeutungen heraus politisch initiativ zu werden. Ihr Initiativrecht bzw. ihre Initiativpflicht birgt aber ein politisches Legitimationsrisiko: »The situation is as uncertain for the Commission officials involved as for those attempting to influence European legislation« (Cini 1996, S. 144). Mit Blick auf die Frage, wann und wie man in der Kommission auf die ERC-Gründungsbewegung reagieren würde, kann nun zwischen einer organisationsinternen und einer -externen Arbeit unterschieden werden. Die externe und mithin formale Positionierung der Kommission erfolgte mit ihrer am 14. Januar 2004 veröffentlichten Mitteilung »Europa und die Grundlagenforschung«,80 wobei Mitteilungen, ebenso wie Grünbücher in ihrer Relevanz nicht zu unterschätzen sind: 80 Das Dokument wird in Kapitel 6.3 objektiv-hermeneutisch ausgewertet. 144 DIE KOMMISSION BEWEGT SICH »As such, it is clear that non-binding non-legislative policy tools at the Commission’s disposal can compel change within a particular policy environment as much as any legally-encrocheable instrument can« (Cini 1996, S. 146). Genauso wenig darf die interne Positionsbildung von Entscheidungsträgern innerhalb der Generaldirektion Forschung, die mit der mittlerweile lautstarken und gut vernetzten ERC-Initiative in Teilen zusammenarbeitete, verkannt werden. Diese Zusammenarbeit wird zunehmend die »brauchbare Illegalität« (Luhmann 1976, S. 304ff.) der Generaldirektion Forschung mitbestimmen.81 Denn inoffiziell begannen einige wenige Mitarbeiter der Generaldirektion Forschung, den Prozess bereits seit Ende 2002 mitzugestalten. Das Statement eines hochrangigen Entscheidungsträgers der Generaldirektion Forschung ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: »I think more and more we were obliged to participate in these conferences [mit Bezug zu ELSF und ISE], and to take positions, and I would consider as a very important turning point when we decided, or I decided if you wish, with Busquin’s total approval, that instead of being reactive to this, we should become much more proactive and take the whole thing of the ERC, define it in the way that is good for us, whatever that means. Instead of remaining on the defensive, try to see how we could propose something, take it as our own objective; define it in a certain way, in other words! Interpret what we are listing in a way that could become a reality and go forward! I think this was around late 2002. I think [name of a director] was the one, who was pressed more than others. He participated in all sorts of meetings. He had to take a very awkward position vis-à-vis the initiative, because the position we were taking up was, if not negative, more in the style of: ›You’re wrong, but push it because I don’t think you’re right in what you’re saying.‹ You know? At a certain moment, we took the position to change. I participated in a meeting and then in another meeting and a third meeting, where instead of trying to excuse ourselves and explain why we’re 81 Bei Luhmann geht es um die Frage, durch welche Aktivitäten Mitarbeiter einer Organisation versuchen, diese in Anbetracht dynamischer Außengegebenheiten stabil zu halten. Informelles Handeln würde Luhmann zufolge v. a. dann ersichtlich, wenn die Legitimität der Organisation – in der Deutung der Handelnden – auf dem Spiel stünde. Die Handlungen können von außen »aufgedrängt«, oder – wie in der Lesart des »institutional entrepreneurialism« (vgl. Perkmann und Spicer 2007) – von innen motiviert sein. Mit Blick auf die die informelle Netzwerk-Governance der EU kritisieren Kassim et al. (2013, S. 292ff.), dass die Erfolgsbedingungen von Kommissionsinitiativen selbst im 21. Jahrhundert immer noch entlang veralteter Stereotypen diskutiert werden: dass sie von Föderalisten, von Bürokraten und im schlimmsten Fall Juristen, von Bastionen nationaler Interessen in den jeweiligen Kabinetten und ebenso enklavierten Generaldirektionen abhingen, die einzig nach formal festgeleten Vorschriften agierten. 145 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC not doing what they’re saying, we took it as something we should build upon.« (Niosi) Das Zitat deutet auf ein konkretes Legitimationsproblem hin, demzufolge die Generaldirektion Forschung angehalten war, erkenntnisorientierte und wissenschaftsgetriebene Bestrebungen nach Forschungsförderung prinzipiell abzulehnen. Von den Betreibern des ELSF und der ISE wurde das Auftreten der Kommission allerdings als Ausdruck ihrer Sorge vor einem Kontrollverlust interpretierte: »So DG Research was not willing to ignore what was happening, and their Director General himself would have turned up at these meetings. They thought that something out of their control was happening, and that this is unusual: they control Europe, they are the ones who even make the proposals to the governments; as you know, it were not governments asking them to do it. So, there was this ground-swell movement towards something that they had been consistently rejected. And that really gave us more of a sense, that we were saying the right thing.« (Hansson) Was die Mitarbeiter in der Generaldirektion Forschung letztendlich zu ihren Handlungen bewegt haben mag, kann nicht entschlüsselt werden, außer dass ihr nach außen getragenes Verhalten widersprüchlich wirkte. Denn selbst die auf höchster Ebene der Generaldirektion gefällte Entscheidung, nun proaktiv zu werden und Policy-Optionen auszuloten, konnte zunächst nicht nach außen als solche vertreten werden. Den Befürwortern der ERC-Initiative wurde eine ambivalente Position zugemutet: ›Der Forschungskommissar und sein Generaldirektor unterstützen euch, offiziell müssen wir aber dagegen sein‹. Die Gründe für dieses Verhalten deuten auf die Wirkmächtigkeit der sozialen Institutionen82 in der EU-Forschungspolitik hin (siehe Kapitel 4), und hierin sind sich alle Interviewpartner einig gewesen. Stellvertretend brachte der zuvor interviewte Kommissionsbeamte dies auf den Punkt: »Before the European Research Council, the only two definitions of value-added in the research area were cooperation between researchers and firms of different countries or mobility […] No one would have ever accepted that the Framework Programme funds something beyond cooperation [gemeint ist Verbundforschung, TF] between researchers and firms in different countries […], because no one ever thought that 82 Nur können diese sozialen Institutionen die Strukturierung von Akteursintentionen nicht letztendlich erklären, wie dies beispielweise mit der Unterscheidung von kognitiven und normativen Institutionen behauptet wurde (vgl. Scott 1995). Denn hier stehen Aussagen anderen Aussagen gegenüber. Was die Handlungen der Individuen in der Generaldirektion Forschung beeinflusst haben mag – Macht- und Karriereinteressen, Glaube an die Sache, Abschätzung von Erfolgsaussichten neuer Policies, Gewohnheit usw. – ist schlussendlich nicht rekonstruierbar. 146 DIE KOMMISSION BEWEGT SICH member states – here we’re talking about member states, not the research community – could ever accept that we, the European Union, intervene, if cooperation is not involved.« (Niosi) Diese gefestigten Erwartungen, so der Interviewte, stellten aber nicht nur eine Hürde der Kommission in ihrer Positionierung nach außen dar, sondern wirkten auch intern. Deshalb musste die Entscheidung, sich der Causa ERC anzunehmen, zunächst eine interne Angelegenheit bleiben, in die nur wenige Personen eingeweiht wurden: der Forschungskommissar Busquin und einige seiner Kabinettsmitarbeiter, der Generaldirektor, zwei Direktoren und ein Abteilungsleiter. Denn auf den internen Leitungssitzungen innerhalb der Generaldirektion Forschung wurden Zweifel geäußert, ob eine interne Unterstützung der ERC-Initiative überhaupt relevant und im Lichte der von den Direktoren verwalteten Verbundforschungsförderung richtig sei: »Every Monday, the directors are meeting up, and I know people who were cursing the ERC. These people, very proud of their thematic programmes, were not ignoring what we were listening to on conferences, but trying to put the emphasis on the positive side of what they were doing.« (Niosi) Die Direktoren waren also über die Initiative informiert worden. Man könnte an dieser Stelle natürlich einwenden, dass Programmdirektoren innerhalb der Generaldirektion Weisungen des Kommissars und Generaldirektors zu akzeptieren haben. Weshalb also dieses behutsame Vorgehen? Ein Grund ist, dass sich gerade um die einzelnen Direktorate mit ihren thematischen Verbundforschungsschwerpunkten mächtige Netzwerke privater Unternehmen und öffentlicher Einrichtungen etabliert hatten, von denen ERC-kritische Positionen zu befürchten waren. Entsprechend sollten die Sorgen der Direktoren ausgeräumt werden, dass mit einer möglichen Unterstützung der ERC-Initiative durch die Generaldirektion Forschung nicht die thematischen Verbundforschungsprogramme infrage gestellt würden. Mit den zitierten Schlussfolgerungen des Wettbewerbsrates von 2003 konnten die genannten Mitarbeiter nun veröffentlichen, dass sich die Kommission mit der Initiative für einen ERC beschäftigen würde. Entsprechend verkündete der Forschungskommissar auf einer Pressekonferenz am 8. Oktober 2003 in symbolträchtiger Begleitung von sechs Nobelpreisträgern: »I warmly welcome the intense debate on a European Research Council […] Supporting basic research at European level is more than ever a decisive factor for our competitiveness. The commission has decided, with the full support of European research ministers, to come forward with a report before the end of this year. It will clearly set out why more support to basic research is needed in Europe and […] will strive to clarify 147 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC the concepts and provide a roadmap and options to make a reality of the European Research Council.«83 Vor der Ankündigung, eine Mitteilung einschließlich einer »Roadmap« zu erstellen, waren die Kommissionsmitarbeiter mit unterschiedlichen Wissenschaftsorganisationen in Kontakt getreten, um Stellungnahmen einzuholen und diese zu synthetisieren.84 Im Übergang der Jahre 2003 und 2004 richtete die Kommission eine kleine gemeinsame Arbeitsgruppe ein, u. a. mit den über die EuroHORcs organisierten Präsidenten der nationalen Forschungsförderorganisationen: »We organised a joint working group with EuroHORCs. Director [x] and I were in this working group and we wrote a paper on the principles that should apply. We got various inputs from the research communities.« An solchen Maßnahmen parallel zu denen der Mayor-Expertengruppe nahm die Kommission also ebenfalls teil. Zwar mögen sich die unterschiedlichen Strömungen der Initiative damit allmählich auf die Kommission ausgerichtet haben, allerdings erinnert sich ein Kommissionsbeamter, dass es im Jahr 2003 alles andere als offensichtlich erschien, ob die Kommission einen ERC mit einem eigenen Förderprogramm einrichten könne: »It wasn’t by any means a done deal at that stage [in 2003], because a lot of people were saying the whole point about the European Research Council is that it’s been done outside […], in opposition to or without the Commission’s bureaucracy, because since the Commission gets involved it’s going to be turned into a nightmare of bureaucracy.« (Dunst) Während die Generaldirektion Forschung nun öffentlich signalisierte, dass sie sich mit der Ausarbeitung der angekündigten Mitteilung Europa und die Grundlagenforschung beschäftigen würde, traf sie zudem bereits interne Vorbereitungen zur Einrichtung einer Verwaltungsstruktur für den ERC (vgl. Kapitel 2). Hiermit wurde die Abteilung B1 beauftragt, die im 6. FRP das Förderprogramm New and Emerging Science and Technologies (NEST) verwaltete, eine über die Laufzeit des Rahmenprogramms mit knapp 250 Millionen Euro dotierte und vergleichsweise kleine Maßnahme. NEST bot sich für die Generaldirektion Forschung v. a. deshalb an, da sie von allen Abteilungen die größte Affinität zu themenoffener und wissenschaftsdefinierter und -begutachteter Forschungsförderung hatte. Die Kommission konnte somit argumentieren, 83 Siehe; http://www.the-scientist.com/?articles.view/articleNo/22518/title/ERCgains-support/ (zuletzt abgerufen am 14.11.2014). Dass das Statement Grundlagenforschung als entscheidenden Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen rahmt, werden wir als ein zentrales Deutungsmuster der Kommission zur Gestaltung von Politik in allen Deutungsmusteranalysen (Kapitel 6.2–6.5) wiederfinden. 84 Da die an die Kommission gerichteten Stellungnahmen nicht verfügbar gemacht wurden, dienen die Interviewstatements als empirisches Material. 148 DIE KOMMISSION BEWEGT SICH dass sie ähnliche Verwaltungserfahrung vorweisen könne, wie sie von den Lebenswissenschaftlern und den nationalen Research Councils für einen ERC gefordert wurde: »I think that we had done that NEST activity meant, there was a kind of openness on the part of the member states and the Parliament to accept that actually this could go further, and that if they allowed a more sort of bottom-up approach and the Commission to manage this programme very much in collaboration with the scientific community, then the norms and standards of the operation would be such as to maintain enough control over it. It wouldn’t get out of hand. We wouldn’t be reaching into the complete unknown. That made the ERC a much more acceptable operation to run in the Seventh Framework Programme, from the point of view of the management side« (Dunst). Zugleich stellte der Interviewte heraus, man habe das Programm aufgrund seiner geringen Größe ungehindert steuern, wissenschaftsaffine Programmadministratoren rekrutieren und mit unterschiedlichen Begutachtungsverfahren experimentieren können. Entsprechend sei das Programm auch geeignet gewesen, um Vorbereitungen für eine mögliche Exekutivagentur zu treffen, also eine Art Geschäftsstelle des ERC in Wartestellung zu bringen.85 Dies bestätigt auch ein Mitglied des ERC-Präsidiums: NEST sei bereits früh von der Leitung der Generaldirektion darauf eingeschworen worden, Vorbereitungen zur Einrichtung einer ERC-Verwaltungsstruktur zu treffen; bezeichnend ist in dieser Sequenz der Übergang von einer Beschreibung der Kommission zum kollektiven »Wir«: »Also NEST war einfach ein Versuch, es war ja ein sehr kleines Programm, etwas für die Grundlagenforschung zu tun, so eine kleine Spielwiese einzurichten, mit einem bescheidenen Budget. Aber organisatorisch war dies für die Kommission wichtig, also wir haben jetzt in Bezug auf das, was da später kommt, Erfahrung gesammelt. Deshalb ist ja auch NEST personell übernommen worden und war die erste dedicated implementation structure des ERC« (Oertler; kursiv hervorgehoben TF). Mit ihrer Mitteilung, »Europa und die Grundlagenforschung« vom 14. Januar 2004, einen Monat nach dem Mayor-Bericht veröffentlicht, verkündete die Kommission nun offiziell, dass sie Möglichkeiten für die Einrichtung des ERC als Teil des 7. FRP sehe (Kommission der Europäischen 85 Diese informelle Umwidmung des NEST-Programms führte allerdings zu Spannungen innerhalb der Generaldirektion Forschung, denn »the people working for NEST were very much convinced about NEST, and they wanted that NEST would become the big thing, and not the ERC. So in these early days, there were quite some tensions« (Dunst). Der Weisung aus der Leitung der Generaldirektion musste allerdings Folge geleistet werden. 149 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Gemeinschaften 2004, S. 15).86 Selbstverständlich geschehe dies erst nach einer »ausführliche[n] Diskussion in der Wissenschaftsgemeinschaft und den interessierten Kreisen über diese Mitteilung in Verbindung mit den Überlegungen über den ›Europäischen Forschungsrat‹« sowie nach einer »politische[n] Diskussion im Europäischen Parlament und im Rat auf der Grundlage dieser Mitteilung« (ebd.). An der Mitteilung ist Verschiedenes auffällig. Die künstlich anmutende Zuschreibung an die »Wissenschaftsgemeinschaft« einerseits und die politische Ebene der EU andererseits scheinen System zu haben, zumal in ihrer sequentiellen Hierarchisierung. So nimmt die Kommission zunächst Bezug auf die »Debatte […] in Wissenschaftskreisen« (ebd., S. 3), allerdings lässt sie die kritischen Positionen des European Life Sciences Forum, von EMBO, FEBS und der ISE unerwähnt.87 Zweitens fällt die klare geostrategische und binnenmarktorientierte Relevanzbegründung von Grundlagenforschung auf; in ihrem Blick auf die »Lage in der Welt« (ebd., S. 7–9) inszenierte die Kommission einzig die USA und Japan als ihre altbekannten Konkurrenten (siehe bereits Kapitel 4). Die ehemals auf Technologieentwicklungen bezogenen Drohszenarien werden nun auf Grundlagenforschung ausgeweitet, das Problem Europas88 sei einerseits die mangelnde Investitionsbereitschaft in F&E und andererseits die Unkoordiniertheit zwischen nationalstaatlichen, transnational und supranational organisierten Forschungsmaßnahmen. Die Mitteilung ist also ganz im Stile des ERA-Konzeptes von 2000 und der Lissabon-Agenda geschrieben worden. Was vielleicht unspektakulär erscheinen mag, jedoch im weiteren Verlauf des Policy-Prozesses von wesentlicher Bedeutung sein wird, ist 86 Am 30. April 2003 hatte die Kommission in ihrer Mitteilung »In die Forschung investieren: Aktionsplan für Europa« in Vorbereitung auf die Verhandlungen zur Finanziellen Vorausschau 2007–2013 für eine Budgetsteigerung von F&E, einschließlich Grundlagenforschung geworben. Breite Unterstützung erhielt sie im am 18. November desselben Jahres aus dem Europäischen Parlament (2003), nicht zuletzt durch die Arbeit des ITRE-Ausschussvorsitzenden Rolf Linkohr. In seinem Initiativbericht forderte der Abgeordnete »eine 70%-ige Erhöhung des Rahmenprogrammbudgets und die Gründung eines European Research Council (ERC)« durch die Kommission; http://cordis.europa.eu/news/rcn/21838_de.html (zuletzt abgerufen; 11.10.2014). Der spanische Europaabgeordnete Salvador Garriga Polledo, wohlgemerkt kein Mitglied des zuständigen ITRE-Ausschusses, legte am 24. September (2003b) dem Parlament gar einen Entschließungsantrag zur Gründung eines ERC als Teil des Rahmenprogramms durch die Kommission vor (zuletzt abgerufen am 10.10.2014). In der Plenarsitzung am 5. November (2003a) beschloss das Parlament »die Einsetzung des Europäischen Rates für Forschung [zu fordern], um die Grundlagenforschung in Europa zu konsolidieren« (ebd., S. 7, 11, 18). 87 Erwähnung finden, wenig überraschend, die EuroHORCs, die ESF, die MayorGruppe, eine Gruppe von 45 Nobelpreisträgern und EURAB. 88 Die Kommission sieht sich berufen, hier über ganz Europa, und nicht nur über die EU zu schreiben. 150 ENTSCHEIDUNGSJAHRE die Tatsache, dass die Kommission überhaupt noch den Begriff »Grundlagenforschung« (bzw. Englisch: »basic research«) verwendete. Im Mitentscheidungsverfahren wird dieser Begriff nicht mehr in den rechtswirksamen Paragraphen auftauchen, sondern durch den Begriff der »Pionierforschung« (Englisch: »frontier research«) ersetzt. Wichtig für den Policy-Prozess ist aber v. a. die Ankündigung eines Zeitplans für weitere Schritte, die auf den Gesetzgebungsprozess des 7. FRP ausgerichtet waren: Der »Wissenschaftsgemeinschaft« setzte die Kommission eine Frist von nur drei Monaten, sich zu ihrer Mitteilung zu äußern. Bereits im zweiten Quartal 2004 wollte sie »mit Vorschlägen für die praktische Umsetzung der Schlussfolgerungen aus [dieser] Diskussion« (ebd.) aufwarten. Im zweiten Halbjahr sollten diese Vorschläge in eine zweite Mitteilung überführt und an den Rat und das Parlament übersandt werden – angesichts der fortgeschrittenen Zeit wurde dies jedoch nicht realisiert. Bis zum Kommissionsvorschlag vom 6. April 2005 über die Einrichtung des 7. FRPs blieb gerade einmal ein Jahr Zeit. In diesem Zeitraum mussten zwei Herausforderungen bewältigt werden. Zum einen galt es, die ERC-kritischen Mitgliedstaaten, weitere Interessenvertreter aus der Industrie und – allgemein – kommissionskritische Akteure umzustimmen. Zweitens stand die Kommission vor der Schwierigkeit, mitunter einen Gesetzesvorschlag vorbereiten zu müssen, für den sie keine rechtliche Grundlage aus den Verträgen hatte. Schließlich standen im Jahr 2005 die Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau der EU für den Zeitraum von 2007 bis 2013 an, an denen auch die Gesamtausstattung des 7. FRP hängen würde. 5.8 Entscheidungsjahre Nach der Veröffentlichung des Mayor-Berichtes und der Kommissionsmitteilung »Europa und die Grundlagenforschung« sollte eine weitere Debatte ausgelöst werden, in der es primär um die Frage ging, ob der Kommission zugetraut werden könnte, Grundlagenforschung nach den bereits zitierten Prinzipien der wissenschaftlichen Unabhängigkeit selbst zu fördern.89 Einen wichtigen Schritt auf der politischen Ebene der EUInstitutionen stellte ein Symposium im Rahmen der Irischen EU-Rats89 Eine grundsätzliche Irritation in dieser Debatte soll Erwähnung finden: Die Royal Society warf im Januar (2004a) erneut die Frage auf, ob es überhaupt eines ERC bedürfe. Diese Frage stellte sie zusammen mit der – vielleicht durchaus berechtigten – Forderung nach einer Abschätzung der in allen EU-Staaten investierten Mittel und Ausgaben sowie der internationalen Kooperationen im Bereich der Grundlagenforschung. Mit Blick auf die Verwirrung, die sie im Policy-Prozess gestiftet hatte, ruderte sie jedoch schnell zurück und bekräftigte eilig im März (2004b), dass 151 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC präsidentschaft zur ersten Hälfte des Jahres 2004 dar. Denn aus einigen Mitgliedstaaten, etwa aus Großbritannien, deuteten sich bereits Vetopositionen zum Vorschlag pan-europäischer Grundlagenforschungsförderung an – wenn diese durch eine neue Organisation bereitgestellt würde. Vor der anstehenden Konferenz zum ERC in Dublin wurde erwartet, dass der britische Minister für Forschung, David Sainsbury, sich eindeutig gegen den ERC aussprechen würde. In Anbetracht des kurzen Zeitkorridors bis zum nächsten Rahmenprogrammbeschluss und des britischen Stimmgewichts im Rat hätte dies wahrscheinlich das Ende der Initiative bedeutet. David Sainsbury sollte die Konferenzteilnehmer jedoch überraschen. Denn entgegen des von ihm erwarteten Redebeitrags habe der Minister eine flammende Rede auf die ERC-Initiative gehalten: »He made a strong statement, which goes more or less as follows: ›My research councils claim that we are the best in the world, they claim that we don’t need an ERC.‹ But he said, ›I want to see this! I would like to see this confirmed through a benchmark. So let them compete! Only then we can see, if what they are saying is correct.‹«90 (Thies) In einer nachträglich redigierten Textfassung seiner Rede sprach sich der Minister zudem klar für eine supranationale Förderung des ERC unter der ägide der Rahmenprogramme aus: »If it is going to be independent, focused solely on scientific excellence, and based on a transparent peer review process, we would see it as a valuable mechanism for allocating money to basic research as part of the next Framework programme.« (Sainsbury 2004, S. 52).91 Die Kommission konnte mit dieser klaren Aussage auf stärkere Unterstützung im Europäischen Rat hoffen, wenn sie einen ERC als supranationale Forschungsfördermaßnahme vorschlagen würde; hierzu wieder die Einschätzung des leitenden Kommissionsbeamten: eine pan-europäische Förderung von Grundlagenforschung ihren festen Platz innerhalb des ERA erhalten müsse. 90 Diese Geschichte wurde von allen Interviewpartnern, die an der Konferenz teilnahmen, in ähnlicher Weise wiedergegeben. Ferner berichtete die interviewte Leitung des EURAB, der Minister hätte von den britischen EURAB-Mitgliedern überzeugt werden können, sich gegen das negative Votum der Research Councils UK auszusprechen, die mit der anteiligen Förderung des ERC eigene Kosteneinsparungen ihrer Budgets befürchteten (vgl. Kapitel 5.5). 91 Allerdings kritisierte der Minister die Kommission für ihre zu drastische Darstellung einer Konkurrenzsituation Europas gegenüber den USA: »EU and US basic research are more or less on a par and EU researchers deliver better value for money. While the EU-10 are behind USA on total citation share (37 – 40), they are outperforming USA in Maths, Physics and Engineering. The EU-10 are actually ahead when it comes to the number of most cited publications (36–32)« (ebd.). 152 ENTSCHEIDUNGSJAHRE »And for us, this was a major breakthrough, because it meant that suddenly a very important country was taking our side. It was an enormous step forward in the entire political process, as we now had strong political allies. The UK, together with Sweden, Denmark, Ireland, the Netherlands, with Germany albeit still divided, became the big advocates of this concept.« (Thies) Diese legitimatorisch gestärkte Position ist insofern wichtig gewesen, da die Kommission insbesondere gegenüber dem Rat die Subsidiaritätshürde überwinden musste. Dies mag in der EU-Forschungspolitik zwar zunehmend über die Begründung eines europäischen Mehrwertes erfolgt sein, sofern die Realisierung eines Binnenmarktes eine interinstitutionelle Zusammenarbeit, v. a. zwischen Industrieunternehmen und öffentlichen Forschungseinrichtungen, begründet werden konnte (Neunreither 1993, S. 212–214; Tarschys 2005, S. 54ff.). Den geforderten ERC-Prinzipien zufolge sollte jedoch ein agonaler Wettbewerb zwischen Individuen gefördert werden. Genau dies versuchte die Generaldirektion Forschung nun als eigenständigen Mehrwert zu begründen: auf dem Irischen Ratspräsidentschaftssymposium sowie – im nahezu gleichen Wortlaut – bereits ein Jahr zuvor auf einer Veranstaltung des ELSF und Euroscience (21.–22.10.2003; ebenfalls in Dublin). Als treibende Kraft fungierte hier ihr Generaldirektor selbst, der immerzu den Wettbewerb eines eigenen Binnenmarktes der Forscher zu betonten versuchte: »Until now we have defined European-added value as the collaboration of teams. Now is time to bring a new definition to […], one that incorporates the principle of allowing a researcher in any one of our Member States to compete with all other researchers to win funding. Competition therefore becomes an essential new, forward-looking definition of European-added value« (European Life Sciences Forum 2003a). Diese Argumentationswende – von einem Mehrwert durch grenzüberschreitende Kooperation hin zu einem Mehrwert durch individuellen Wettbewerb – unterstrich erst die neue Begriffspolitik der Kommission. Der Generaldirektor versuchte Forschung assoziativ auf den EU-Binnenmarkt zuzurichten: »We can liken this to the question of what the internal market at European level adds to the market within any of our countries. The fact that competition is to be on a European scale, drawing on an enlarged pool of researchers« (Mitsos 2004, S. 36). Hier wurde metaphorisch ein Erkenntniswettbewerb unter Wissenschaftlern zu einem Realmarkt umgedeutet bzw. hierauf reduziert, aus dem ein Mehrwert – also ein zusätzlicher Gewinn für alle – entstehen würde (Schieder 2006, S. 325ff.). Diesen erfundenen Markt umgibt eine weitere Metapher: die des Europäischen Forschungsraums (Mitsos 2004, S. 34), der geostrategisch Sicherheit gegenüber dem (kulturell) Fremden außerhalb Europas schaffen würde – man erinnere sich an die Debatten um die Technologische 153 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Lücke (Kapitel 5) und die Mitteilung Europa und die Grundlagenforschung: »Ebenso wie die Menschen Häuser bauen, um sich vor den Unwägbarkeiten ihrer Umwelt zu schützen, fungiert die EU als Raum des Schutzes nach außen« (Schieder 2006, S. 216). In den Schlussfolgerungen des Wettbewerbsrates vom 11. März 2004 wurde die Kommission schließlich beauftragt, »bei der Ausarbeitung des nächsten Forschungsrahmenprogramms [...] die Möglichkeit einer spezifischen finanziellen Unterstützung für Grundlagenforschung mit Spitzenqualität im Rahmen dieses Programms zu prüfen« (Rat der Europäischen Union 2004, S. 18); diese Prüfung sollte bis Mai 2004 erfolgen.92 Der Prüfauftrag fand schließlich auch Eingang in die Schlussfolgerungen des Frühjahrsgipfels des Europäischen Rates: »The European Council sees merit in enhanced support for basic research […] It awaits with interest a proposal from the European Commission which may include the possibility of setting up a Research Council.« (Council of the European Union 2004b, S. 7) Neben Abstimmungen mit den einzelnen Mitgliedstaaten und einer weiteren Würdigung durch den informellen Wettbewerbsrat vom 1. bis 3. Juli 200493 arbeitete die Kommission nun mit vier Vertretern der EuroHORCs in einer Arbeitsgruppe zusammen.94 Nicht zuletzt sollte sie den Ratsaufforderungen nachkommen, nicht ausschließlich den »Wettbewerb zwischen den einzelnen Forschungsteams auf höchster europäischer Ebene« zu fördern, sondern auch »die Zusammenarbeit zwischen einzelstaatlichen Programmen« (Rat der Europäischen Union 2004, S. 19). Die ursprünglich auf Forscher ausgerichtete Zusammenarbeit, um einen europäischen Mehrwert zu erzeugen, wird hierdurch auf Organi92 Auch hier ist der oben genannte Binnenmarktdiskurs dominant, indem der Rat die Kommission ausdrücklich lobte, in ihrer Mitteilung die »Wirkung der Grundlagenforschung auf Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Lebensqualität in Europa analysiert« zu haben (ebd., S. 13). 93 Der Rat würdigte hier die konkreten Ziele der Kommission, »to create a mechanism to support research [in denselben Schlussfolgerungen zuvor noch »basic research« genannt] conducted by individual teams in a competition at European level«; siehe https://www.timeshighereducation.co.uk/news/european-research-policy-council-conclusions-extract-from-provisional-version-competitiveness-council-24-september/191438.article (zuletzt abgerufen; 10.12.2014). 94 Die vier Personen repräsentierten die Leitungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Engineering and Physical Sciences Research Council (EPSRC) Großbritanniens, dem/den französischen Centre/s national de la recherche scientifique (CNRS) und des spanischen Consejo Superior de Investigaciones Científicas (CSIC). Aus der Generaldirektion Forschung arbeiteten ein Direktor und ein Abteilungsleiter in der selbsternannten »High Level Working Group« mit. Als Vorlage diente ein Arbeitspapier der »HORCs« vom 21. Juli 2004 mit dem Titel »EuroHORC’s key principles for the foundation of a European Research Council«. 154 ENTSCHEIDUNGSJAHRE sationen ausgelagert. Auch die darauffolgende EU-Ratspräsidentschaft der Niederlande in der zweiten Hälfte des Jahres 2004 unterstützte die Kommission in ihrer Planung.95 An die Kommission war nun formal-institutionell der Auftrag erteilt worden, einen Gesetzesvorschlag zu erarbeiten. Unterstützt durch die Position der EuroHORCs stellte sie in einem Interim-Arbeitspapier vom 29. September 2004 für die Implementierung eines »basic research mechanism« ein Bündel aus drei Vorschlägen in Aussicht: (1.) die Governance-Struktur »of the new funding mechanism (Executive Agency, traditional EU Agency, or specific structure, for instance a Foundation, under Article 171)«, (2.) einen »Governing Council […] comprising representatives of the scientific community in Europe at highest level« und (3.) einen operationalen Rahmen, einschließlich der »grant evaluation and peer review, interdisciplinary research, etc.« (ebd., S. 2–3). Im Grunde genommen finden sich hier, bis hin zu den Details der finanziellen Ausstattung der ERC Starting Grants, bereits alle Elemente des von der Kommission später umgesetzten Spezifischen Programms »Ideen« (vgl. Kapitel 2). Im folgenden Jahr sollte insbesondere um die Governance-Struktur gestritten werden, aber auch die Frage nach der industriellen und allgemein wirtschaftlichen Relevanz des ERC stand weiterhin in der Diskussion. 5.8.1 Individualförderung als Subsidiaritätsproblem Seit dem Jahr 2004 versuchte die Kommission, auf die im Rat negativ eingestellten Vertreter der Mitgliedstaaten einzeln einzuwirken. Denn ein grundsätzliches Problem für sie bestand in der Überwindung des Subsidiaritätsprinzips, das eine individuelle und wettbewerbliche Förderung von Grundlagenforschung eigentlich nicht vorsah. Ein Beamter aus dem Kabinett der Forschungskommissare berichtete: »Im Rat kam 2004 die ganz große Frage der Subsidiarität auf. Just-Retour spielte da keine Rolle; rhetorisch ist das eh tabu, das kannst du da nie bringen! Das Argument aus Italien war: ›Es gibt keinen europäischen Mehrwert, wir brauchen für Projekte mindestens drei Forscherteams.‹ 95 Die niederländische Wissenschaftsministerin, Maria van der Hoeven, betonte, dass eine mögliche Finanzierung von Grundlagenforschung auf der EU-Ebene nicht auf Kosten industrieorientierter Entwicklungsmaßnahmen zu haben sei; siehe http:// cordis.europa.eu/news/rcn/22288_en.html (zuletzt abgerufen am 10.08.2014). Für diese Arbeit Befragte wollen wissen, dass dieser behutsame Hinweis auf die anstehenden Verhandlungen über den EU-Haushalt 2007–2013 anspielte, in dem auch der finanzielle Anteil der FRP mit Blick auf die Zielvorgaben der Ratsgipfeltreffen von Lissabon (2000) und Barcelona (2002) erhöht werden sollte. 155 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Ich glaube, Finnland und zwei weitere, eher kleinere Staaten hatten sich dieser Haltung angeschlossen.« (Eggert) Entsprechend versuchte die Kommission Einfluss auf die insgesamt fünf verhalten bis negativ eingestellten Mitgliedstaaten zu nehmen, entweder direkt und bevorzugt auch bilateral oder vermittelt durch Personen, die den zukünftigen ERC am ehesten im Rahmenprogramm verankert sahen. »There was an enormous amount of wheeling and dealing to our favour, all kinds of conferences and workshops took place, and there were even lunch meetings in embassies, you know: even in embassies! [laughs], to influence countries« (Thies). Die Einflussnahme auf Entscheidungsträger aus Italien und Finnland96 sollte sich jedoch als schwierig erweisen. Ein hoher Kommissionsbeamter erinnerte sich an vertrauliche Treffen, z. B. im Rahmen eines Workshops in Florenz, um unter Zuhilfenahme italienischer Wissenschaftspolitiker und -manager auf die italienische Regierung einzuwirken: »During their EU-presidency, the Dutch wanted to get the Italians on board, and they were quite frustrated by their resistance. I suggested to the Dutch Minister to organise a little workshop for the top leaders from Italy and Holland in S&T, which was then hosted by the Dutch Institute for the Studies of Arts. In that meeting, it always came down to the subsidiarity principle, an issue we could hardly resolve. Still, a joint statement was made between the Dutch and the Italians, which was a kind of compromise, but which was finally not accepted by Mrs. Moratti as the Italian Minister. Yet, at her level, she decided to continue fighting. But at a decisive Council meeting in November, where at a certain point of time decisions had now to be taken, she left the room before the very moment of decision. And then of course, Italy did not speak up, as she was only represented by her ambassador« (Thies). Den interviewten Kommissionsmitgliedern zufolge waren die mitgliedstaatlichen Positionen mehr und mehr zur erwünschten Position umgeschwenkt; Finnland und Italien sollten sich jedoch bis zum Schluss gegen einen ERC unter der ägide der Kommission aussprechen. Neben hochrangigen Persönlichkeiten nationaler Wissenschaftsorganisationen hätte eine zunehmende Anzahl von Abgeordneten des ITRE-Parlamentsausschusses die Kommission verteidigt. Mit Blick auf die zehn neuen 96 In der Position Finlands sollte später die Förderung von Grundlagenforschung durch die Kommission zwar prinzipiell begrüßt werden, allerdings scheint das Interesse an einer Ko-Finanzierung großer Forschungsprojekte dominiert zu haben, die von den Mitgliedstaaten mitgesteuert werden sollten. Über einen eigenständigen ERC wird in dem Ratspositionspapier kein Wort verloren (Council of the European Union 2005, S. 6). 156 ENTSCHEIDUNGSJAHRE Mitgliedstaaten konnten allgemein verhaltene bis negative Positionen97 gegenüber der Förderung von Grundlagenforschung relativ schnell umgestimmt werden; trotz und aufgrund der Strukturschwächen in diesen Staaten: Die Vertreter der neuen Mitgliedstaaten hätten kurz nach ihrem EU-Beitritt nicht als »Spielverderber« auftreten wollen, seien jedoch ohnehin in Vorbereitung auf die Abstimmungen über die zukünftige Finanzielle Vorausschau an der Verteilung der Agrar- und Strukturfördermittel interessiert gewesen: »These new countries had to focus on the negotiations on access to agricultural and structural funds to make their case there. They didn’t have the time and energy to say: ›By the way, I’m against basic research!‹ They had to depend on their core business. And these financial discussions were taking place in parallel, but they were well segregated from each other.« (Dupont) Mit der gesicherten Unterstützung Polens, einem im Rat und Parlament stimmgewichtigen EU-Mitgliedstaat, sollte zudem die Wahrscheinlichkeit steigen, dass das Subsidiaritätsargument gegen eine individual vergebene Förderung von Grundlagenforschung überwunden werden konnte.98 Zudem sei die zunehmend positive Haltung der neuen Mitgliedstaaten zum ERC von den interviewten Kommissionsbeamten auf die Glaubwürdigkeit des seit Anfang 2005 amtierenden Forschungskommissars Janez Potočnik zurückzuführen, der selbst unmittelbar nach seinem Amtsan97 Jerzy Buzek, der seit 2004 amtierende ITRE-Ausschussvorsitzende aus Polen, schlug zwar kurzfristig vor, die Forderung eines einzig an wissenschaftlicher Qualität orientierten ERC im Sinne der Strukturförderung für schwächere Staaten aufzuweichen. Jedoch traf sein Vorschlag auf großen Widerstand seitens der Abgeordneten und polnischer Wissenschaftseliten, z.B. Michał Kleiber, dem Präsidenten der polnischen Akademie der Wissenschaften und Jerzy Langer, einem Mitglied von EURAB und Euroscience (mehrere Interviewstatements), die zudem die Leitung des polnischen Wissenschaftsministeriums übernehmen sollten. Die einhellige Reaktion der ITRE-Abgeordneten gegen diesen Versuch lautete: Strukturförderung ist Sache der Strukturfonds! In Folge sei die Aufnahme von Grundlagenforschung zudem von einer Reihe starker Abgeordneter des ITRE forciert worden, u. a. von Angelika Niebler, Erika Mann, die sich allerdings zunächst für die Marie Curie Excellence Grants einsetzte, und Catherine Trautmann. Niebler sollte in den folgenden Jahren zudem als Rapporteurin für das Spezifische Programm »Ideen« fungieren, eine im Europäischen Parlament wichtige Funktion des Agenda-Settings (Benedetto 2005; Costello und Thomson 2010). 98 Andersherum formuliert: Für fünf Staaten, die nicht eindeutig für oder, wie Italien, klar gegen die Aufnahme von Grundlagenforschung in die EU-Förderung waren, bestand nur eine geringere Wahrscheinlichkeit, in einem qualifizierten Mehrheitsvotum des Rates gegen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen, Portugal, Österreich, allen Beneluxstaaten, Dänemark, Schweden, Tschechien und Ungarn und einer Reihe weiterer mittel- und osteuropäischer Staaten anzukommen. 157 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC tritt die Initiative unterstützte.99 Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Rat und in Teilen des Parlaments immer noch ein »stilles Misstrauen« vorhanden war, welches sich in der konkreten Diskussion um die Governance des ERC äußern sollte. Für die Kommission gab es in diesem Sinne zwar keine Garantie, dass sie eine EU-Richtlinie zur Förderung von Grundlagenforschung, zumal unter eigener administrativer Führung, durch den Rat und das Parlament erhalten würde. Aus Sicht der Führungsriege interviewter Kommissionsbeamter, war die Grundsatzentscheidung zur Einrichtung eines ERC allerdings im November 2004 auf dem Wettbewerbsrat gefallen: »But I think when everything was signed, sealed and delivered, hence the point of no return, which was at the end of November of 2004 at the Competitiveness Council. Then, we saw that we had an agreement among almost all member states, while Finland was still causing problems on the ERC. But that was already for me the point of no return, and now we could make sure in our proposal for FP7 a proposal for a big programme« (Thies). Entsprechend lohnt ein Blick auf den Wortlaut der Schlussfolgerungen des Wettbewerbsrates vom 25. und 26. November. Unter der Überschrift »Future European Policy to Support Research«, in Abschnitt C »Basic Research at European Level«, würdigte der Rat: »[…] in particular the case for funding investigator-driven basic research, with a view to supporting research in Europe so as to achieve the highest levels of excellence and creativity. European basic research should achieve maximum visibility, by encouraging more competition on the basis of excellence […]« und »[…] the usefulness of examining the setting up of a new operational mechanism aimed at supporting basic research of world class quality through a system of international peer review […]« (Council of the European Union 2004a, S. 27–28). Hierzu lud der Rat die Kommission ein, »[…] to develop such a mechanism, as part of its proposals for the Seventh Framework Programme, on the basis of consultations withnational authorities, the European scientific community and national funding agencies. Such a mechanism, including its legal and governance structure […]« (ebd.; kursiv hervorgehoben TF). 99 So habe sich Janez Potočnik das Vertrauen der neuen Mitgliedstaaten in seiner vorherigen Position, 1998 als Chefunterhändler der neuen mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten, 2002 dann als Europaminister Sloveniens und 2004 als EU-Erweiterungskommissar erarbeitet (wenig überraschend laut Interviewstatements aller Kommissionsbeamten). 158 ENTSCHEIDUNGSJAHRE Zu betonen sei an dieser Stelle, dass niemand anderes außer die Kommission durch den Rat eingeladen worden war, einen solchen Mechanismus zur Förderung »forschergetriebener« Grundlagenforschung zu entwickeln und dass sie dies als Teil des 7. FRP planen sollte. In ihrer Ausarbeitung des »Mechanismus«, so der Wettbewerbsrat, sollte sich die Kommission jedoch an den Prinzipen wissenschaftlicher Autonomie, Vertrauen und Glaubwürdigkeit, Komplementarität mit nationalen Forschungssystemen, Transparenz, Effizienz und Rechenschaft sowie Flexibilität im Sinne einer Nutzerfreundlichkeit orientieren (ebd.). Bevor eine Debatte um die Governance-Struktur des ERC im Jahr 2005 entfachte, hatte die Kommission zunächst im Frühjahr 2005 den in der Brüsseler Forschungspolitik mit Spannung erwarteten Vorschlag zum 7. FRP veröffentlicht (hierzu folgendes Kap.) und wartete nun mit einer weiteren begriffspolitischen Überraschung auf. 5.8.2 Gesetzgebung: Von Grundlagenforschung zu Frontier Research Am 6. April 2005 eröffnete die Kommission (2005b) mit ihrem Vorschlag zum 7. FRP das Mitentscheidungsverfahren, sprich den Gesetzgebungsprozess für diese EU-Richtlinie. An diesem Text fällt auf, dass die Kommission nun entgegen aller bisherigen Positionspapiere, Statements und selbst der Aufforderungen des Rates und Parlaments den Begriff der Grundlagenforschung (»basic research« oder »fundamental research«) nicht mehr anwandte. Zur Übersicht werden die zuvor im Policy-Prozess verwendeten Begriffe relevanter Organisationen nach Jahren sortiert dokumentiert: 159 02 Academia Europaea 04 All European Academies (ALLEA) 02-03 Tercentenary Foundation Sweden 02 Danish Research Councils 1990er EMBL & EMBO 03 ERC Expert Group (Mayor) 03 EIROforum 03 03 European Academy of Sciences and Arts 04 European Heads of Research Councils 03 European Life Sciences Forum 03 03 European Research Advisory Board 03 European Science Foundation 04 03 European University Association Euroscience / ESOF Initiative for Science in Europe All EU-Presidencies (Competitiveness) Council European Commission European Parliament At the frontiers of knowledge / Frontier research …at the forefront of science Science-driven Strategic research Investigator-driven/-led research Fundamental research Basic research POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC 04 03 03 02-04 02-04 00-04 03-04 05-06 05-06 05-06 Abbildung 5: Begriffe zur Beschreibung der ERC-Förderung Im Gesetzesvorschlag zum 7. FRP wird »basic research« nur ein einziges Mal genannt, allerdings nicht mit Bezug zum ERC, sondern lediglich allgemein als Teil des »Explanatory Memorandums« zur Ankündigung der finanziellen Größe des Rahmenprogramms: »The 7th Framework Programme addresses the main components of European research, namely cooperative research, basic research, human resources and research capacities.« (ebd., S. 57; Abs. 5.2). Für den Vorschlag des Spezifischen Programms »Ideen« – den ERC also – verwendete die Kommission nun den Begriff der »frontier research«, mit dem sie vorgab, auf die »most promising and productive areas of research« (ebd., S. 36) reagieren zu wollen. 160 ENTSCHEIDUNGSJAHRE »An autonomous European Research Council will be created to support investigator-driven ›frontier research‹ carried out by individual teams competing at the European level, in all scientific and technological fields, including engineering, socioeconomic sciences and the humanities.« (ebd., S. 3; siehe auch; S. 64). Interessanterweise wurde der Begriff Frontier Research nicht ausschließlich für den ERC reserviert, wenngleich hier an prominenter Stelle. Eine ähnliche Handlungsbeschreibung sah die Kommission für eine Fördermaßnahme innerhalb der klassischen Verbundforschung vor, nämlich für das Programm »Future and Emerging Technologies [...] to support research at the frontier of knowledge in core ICTs« (ebd., S. 24)100 und für die Thematische Priorität »Umwelt und Klimaschutz«, wo es heißt: »Environmental problems go beyond national frontiers« (ebd., S. 27). Auffällig ist zunächst die assoziative Vermischung von nationalen und wissenschaftlichen Topoi durch die »Frontier«. Für den ERC wird zudem der Wettbewerbsgedanke im Dienste einer wissensbasierten Wirtschaft starkgemacht. »Frontier Research« sei ein »key driver of wealth« und »instrumental in producing new knowledge leading to future applications and markets«. (ebd., S. 36). Doch weshalb bringt eine Organisation einen augenscheinlich neuen Begriff ins Spiel, der im bisherigen Policy-Prozess bisher keine Verwendung gefunden hatte?101 »And now, we had the possibility of funding excellent frontier research, in other words basic research without calling it so. This is something to which, even if they [national research councils] feared that in the long run it could turn against them, they couldn’t be against.« (Niosi) 100 Damit sollten die Fördermaßnahmen des Programms NEST aus dem 6. FRP fortgeführt werden, deren Mitarbeiter bereits organisationale Vorbereitungen für die zukünftige Verwaltung eines ERC trafen. NEST selbst gilt wiederum als Fortführung der »frühen« Fördermaßnahmen »Future and Emerging Technologies« (FET) unter der ägide der Generaldirektion »Information Society« – das Programm erhielt somit in diesem Vorschlag der Kommission seinen alten Namen zurück. Das Arbeitsprogramm des Foresight-orientierten NEST Programms aus dem 6. FRP strotzt vor Pionierbegriffen, alleine wenn man sich die Förderlinie »Adventurer« oder »Pathfinder« oder die allgemeinen Selbstbeschreibungen des Programms ansieht, in dem Europas wissenschaftlich-technologische Bedürfnisse antizipiert werden sollten, und zwar durch »unconventional and visionary research that explores new avenues of science and technology« (kursiv; TF); siehe ftp://ftp.cordis.lu/pub/nest/docs/sp1_annex_1_nest_en.pdf (zuletzt abgerufen am 10.07.2015). 101 Einzig die ESF schrieb in dem bereits zitierten ERC-Gutachten (2003, S. 1–2), »Europe […] must also establish the necessary institutional structures at the forefront of knowledge.« 161 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Grundlagenforschung sollte nicht mehr genannt werden, v. a. nicht mit Blick auf die Befürchtungen nationaler Research Councils, dass die Kommission unmittelbar in ihre Kompetenzbereiche intervenieren würde (vgl. Kap. 5.5) und langfristig betrachtet sogar eine vollständige Verlagerung von Grundlagenforschungsförderung von Bonn, Paris, London usw. nach Brüssel geschehen könnte (vgl. Gravier 2009). Die Kommission reagierte damit auf ihr eigenes demokratisches Legitimationsproblem begriffspolitisch, grenzte sich also sprachlich ab, ohne radikal anders zu begründen (vgl. Tömmel 2001). Das Objekt, gegen das sie sich anscheinend abzugrenzen versuchte, ist sowohl ein nationaler als auch ihr eigener, bisher dominanter Forschungsfördermodus. Der Rat und das Parlament102 adaptierten diese neue Semantik in ihren änderungsvorschlägen des Mitentscheidungsverfahrens. Nachfolgend sind die einzelnen Entscheidungsschritte bis zum Beschluss des 7. FRP zur Übersicht tabellarisch zusammengefasst:103 102 Siehe die änderungsvorschläge des ITRE-Ausschusses zum ERC vom 24.04.2006. Die gesammelten änderungsvorschläge zum 7. FRP einschließlich der Entwürfe wurden von Alfred Büttner, seinerzeit Büroleiter der Abgeordneten und Rapporteurin des Spezifischen Programms »Ideen«, Angelika Niebler, zur Verfügung gestellt. Für diese Unterstützung sei ihm an dieser Stelle herzlich gedankt. 103 Die Stellungnahmen des Ausschusses der Regionen (AdR) 16.05.2006 und des Wirtschafts- und Sozialausschusses (WSA) vom 17.03.2006 werden nicht mehr näher behandelt. Sie unterstützten den Kommissionsvorschlag zum ERC einhellig, erinnerten sie jedoch an die zu gewährleistende wissenschaftliche Unabhängigkeit der Einrichtung und an das »Exzellenzprinzip«. Beide Ausschüsse verwendeten in Anlehnung an den Kommissionsvorschlag den Begriff »investigator-driven frontier research« (siehe AdR 2006, S. 22; WSA 2006, S. 13–14). Der WSA betonte gar, dass es sich hierbei um einen »new type of research support« handele, mit dem die »dividing lines between the terms basic research, applied research and development« endlich ad acta gelegt werden könnten. 162 ENTSCHEIDUNGSJAHRE Kommission Rat 06.04.2005 Vorschlag 7. FRP 21.09.2005 • Spezifische Programme 23.12.2005 18.04.2005 • Beteiligungsregeln Parlament Erörterungen im Rat 17.06.2005 11.10.2005 1. Lesung 15.06.2006 28.06.2006 Überarbeiteter Vorschlag 7. FRP 24.07.2006 Gemeinsamer Standpunkt 26.09.2006 Annahme Gemeinsamer Standpunkt 2. Lesung 30.11.2006 06.12.2006 Standpunkt zu 2. Lesung Übermittlung Stellungnahme 2. Lesung an den Rat Annahme der 18.12.206 EP-Abänderungen in 2. Lesung durch den Rat Unterzeichnung des 7. FRP durch den 18.12.2006 Präsident des Parlaments und den Präsident des Rates Abbildung 6: Mitentscheidungsverfahren 7. FRP104 5.8.3 Streit um die Governance-Struktur des ERC Während die Kommission und viele der ERC-Befürworter auf die Vertreter der Mitgliedstaaten einzuwirken versuchten, sich für die Aufnahme von Grundlagenforschungsförderung als Bestandteil europäischer Forschungspolitik auszusprechen, wurde die Governance-Struktur des ERC kurzfristig zu einem Politikum. Zwar sorgten verschiedene Konferenzen und Workshops – zunehmend unter dem symbolischen Dach einer Initiative for Science in Europe – dafür, dass dem Anliegen der Grundlagenforschungsförderung in Vorbereitung auf das 7. FRP weiterhin 104 Der vollständige Gesetzgebungsprozess einschließlich aller Dokumente findet sich unter http://eur-lex.europa.eu/procedure/DE/192725 (zuletzt abgerufen; 20.07.2015). 163 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC Aufmerksamkeit zuteilwerden konnte, jedoch bedeutete dies eben nicht, dass EU-geförderte Grundlagenforschung auch automatisch durch die Kommission selbst verwaltet werden müsse. Den Beteuerungen des Forschungskommissars und weiterer Mitarbeiter seiner Generaldirektion, dem ERC größtmögliche wissenschaftliche Autonomie zu gewähren, wurde trotz des Kommissionsvorschlags zum 7. FRP misstraut. Gerade die Betreiber der ISE, aber auch Mitglieder der EuroHORCs, die zwar mit der Kommission zusammenarbeiteten, wiesen gleichzeitig auf die Gefahr hin, dass die Autonomieprinzipien durch eine Kommissionslösung verwässern könnten. Die Sorge bestand darin, dass der ERC unter den politischen Zielen eines Rahmenprogramms seine wissenschaftliche Selbstbestimmtheit verlieren könnte, dass das Peer-Review-Verfahren, um es drastisch zu formulieren, dem üblichen Gemauschel gut vernetzter Lobbyisten zum Opfer fiele, die versprochene Forschungsfreiheit durch politische Vordefinition und Bürokratie erstickt würde. Obwohl oder vielleicht gerade weil einiges darauf hindeutete, dass der ERC am ehesten als Teil des FRPs implementiert werden könnte, entbrannte sich also eine Diskussion um Organisationsmodelle. Als Gegenmodell zur Kommissionslösung (einer Exekutivagentur; siehe Kapitel 2) wurde die Einrichtung eines so genannten »Joint Undertaking« nach Art. 171 EGV vorgeschlagen, einer mitgliedstaatlich mitbestimmten Governance-Struktur, die in dem Mayor-Bericht (2003, S. 28) als »interagency body or a consortium of national actors« angedacht war. Die Kommission wäre hier womöglich ein stimmberechtigter Akteur geworden, und die EU hätte Teile des Budgets hinzufinanziert. In dieser politischen Gemengelage fiel bspw. das zitierte Rechtsgutachten von Armin von Bogandy und Dietrich Westphal (vgl. Kapitel 2) auch nicht vom Himmel, sondern wurde von der Max-Planck-Gesellschaft in Auftrag gegeben und im Rahmen einer ITRE-Anhörung im März 2005 vorgestellt. Irritierend für die Kommission war dies nicht zuletzt, weil ITRE-Ausschussmitglieder des Parlaments am 20. März 2005, einen Monat vor der Veröffentlichung des Kommissionsvorschlags zum 7. FRP, die Meinung vertraten, »dass der Forschungsrat nach einer kurzen Übergangsphase im Einklang mit Artikel 171 des EG-Vertrages errichtet werden sollte« (ebd., Pkt. 22.)105 »This is where we had big problems, but still that was only about the question how the ERC should be set up and not anymore if the ERC should be set up. Then of course we entered into a whole of discussions 105 Dass die italienische Abgeordnete Pia Elda Locatelli diesen Vorschlag einbrachte, um die ohnehin nicht mehr mehrheitsfähige Position ihrer Regierung gegen eine EU-geförderte Grundlagenforschung zu stützen, scheint nicht plausibel. Die Gegensätze, jedenfalls, zwischen der Abgeordneten Locatelli als Mitglied der radikal geltenden Partito Socialista Italiano und der Ministerin Moratti als Mitglied des Kabinetts Silvio Berlusconis hätten kaum größer sein können. 164 ENTSCHEIDUNGSJAHRE about the set up, right? And again, we had of course two schools. One including Max Planck, pushing forward the idea of an Art. 171 type of organisation. Max Planck lobbied in a clumbsy way, I must say, which even for a couple of times put the ERC into danger, because at the wrong moment, they organised a very important event – I never forget that! That was in the Renaissance Hotel in Brussels with the European Parliament, where they had in mind to completely sell their 171 approach, and tried to get all members of parliament behind it. This would have not meant that we would never have gotten an ERC, but it would have meant that we would not have gotten an ERC under FP7, because we would have simply not reached an agreement« (Thies). Abgesehen davon, dass ein solches »Joint Undertaking« zunächst nur ein »weißes Blatt Papier« dargestellt hätte (alle Interviewteilnehmer waren sich hierzu einig; auch diejenigen außerhalb der Kommission), das zu einem zeitaufwendigen Findungsprozess geführt hätte, kann diese Rechtskonstruktion jederzeit Gefahr laufen, durch die mitgliedstaatlichen Vertragspartner gestoppt oder geringer finanziert zu werden.106 Dies führte die Kommission auch als ein Gegenargument ins Feld. Ein weiterer Aspekt war, dass durch eine mitgliedstaatliche Einflussnahme die Autonomie des ERC auch und erst recht nicht gesichert wäre. Es ist aber v. a. die Benennung des ersten Scientific Council durch eine wissenschaftlich unabhängige Findungskommission gewesen (siehe Kapitel 2), die der Kommission hoch angerechnet wurde: »Der Schlüssel, also der zu bestehende Test für die Kommission war die Benennung des Wissenschaftlichen Rates, und da hat Janez Potočnik den Brief so unterschrieben wie er kam. Damit hatte Potočnik seine Glaubwürdigkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft untermauert und das Modell einer Exekutivagentur auch eine echte Chance erhalten« (Eggert). Nicht zuletzt war die knapp bemessene Zeit bis zum Beschluss des 7. FRP ein schlagendes Argument, auch weil sich die Verhandlungen um den EU-Finanzrahmen zunehmend problematisch erwiesen.107 Alle anderen Vorschläge, so bezeichnenderweise die Einschätzung eines inter106 Beispielsweise wenn keine Projekterfolge oder zu wenig Rückflüsse der Mittel befürchtet werden. Das Scheitern des Galileo GPS-Satellitenprojektes bringt die fragile Konstruktion der Artikel 169ff. EGV gut zum Ausdruck (Weyer 2008, S. 146ff.). 107 Ein länger andauender Streit zwischen Frankreich und Großbritannien um die Reduzierung der französischen Agrarsubventionen und die Abschaffung des so genannten »Britenrabatts« (vgl. Le Cacheux 2005, S. 7–10) konnte erst nach zähen Verhandlungen im Dezember 2005 beigelegt werden und hatte bisweilen auch den Verhandlungsprozess zum 7. Forschungsrahmenprogramm einschließlich der ERC-Förderung erschwert; die anfangs vorgeschlagenen rund 11 Milliarden Euro für das Spezifische Programm »Ideen« wurden auf rund 7,5 Milliarden Euro gekürzt. 165 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC viewten Generalsekretärs der ESF, wären durch das komplexe Entscheidungsgefüge der nationalen Forschungsräte untergegangen: »So the Commission staff simply watched the process but had to take the initiative, when they saw that the national research organisations keep discussing the ERC-issue without getting it to fly« (Spencer). 5.8.4 Wirtschaftliche Relevanz Mit der Aussicht auf einen ERC als Teil des FRPs und während der konkreten Verhandlungen im Mitendscheidungs- und Anhörungsverfahren (vgl. Kapitel 2), hielten es die Mitarbeiter in der Generaldirektion Forschung für wichtig, um die weitere Unterstützung von Industrievertretern zu werben, auch wenn der ERC bereits in einem vielzitierten, makroökonomischen Expertengutachten unter der Leitung von André Sapir (2003, S. 5, 134)108 an prominenter Stelle gefordert worden war: »The creation of an independent European Agency for Science and Research (EASR), functioning on the model of the US National Science Foundation (but also the Nordic and British research councils), a model which we hope will be emulated by other Member States.« (ebd., S. 134) Ein Jahr später wurde diese Empfehlung durch einen weiteren Bericht unter der Schirmherrschaft des ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten Wim Kok (2004, S. 21) bekräftigt: »Europe’s science base should be strengthened by funding and coordinating long-term basic research ranked by scientific merit via the creation of a European Research Council.«109 Doch dies, ebenso wie das einhellige Votum aus dem EURAB (vgl. Kapitel 5.7) schien der Generaldirektion Forschung als Sicherheit nicht auszureichen, denn es gab durchaus Gegenpositionen zu der Idee, einen wissenschaftlich unabhängigen und einzig der Grundlagenforschung verpflichteten ERC zu etablieren: Der europäischen 108 Der viel beachtete Bericht (vgl. Borrás und Radaelli 2012, S. 466ff.) wurde durch den Kommissionspräsidenten Romano Prodi in Auftrag gegeben, um die gesamten Anstrengungen der Lissaboner Wachstumsstrategie zu evaluieren und Vorschläge für weitere Reformen. 109 Der im Vergleich zum »Sapir-Report« weitaus kürzere Bericht von 55 Seiten forderte unter dem dreiseitigen Kapitel 2.1 (»Realising the Knowledge Society«) neben bekannten Allgemeinplätzen – mehr (Risikokapital-)Investitionen in F&E, bessere Arbeitsbedingungen für Forscher, bessere Zusammenarbeit zwischen privaten und öffentlichen F&E-Einrichtungen –, Bedingungen zu schaffen, um die besten Wissenschaftler nach Europa zu locken oder hier zu behalten. Diese Forderung ist uns aus der Debatte um Europas Technologischer Lücke gegenüber den USA und Japan bekannt und wird hier als ein War for Talents in der Wissenschaft ausgeweitet (vgl. Michaels et al. 2001; McDonnell 2011). 166 ENTSCHEIDUNGSJAHRE Industrie- und Arbeitgeberdachverband »UNICE«110 verfasste im Jahr 2004 eine verhaltene Stellungnahme und forderte ein Mitspracherecht ein: »[...] an ERC could provide a valuable contribution to Europe’s competitiveness but only if the ERC also focuses on and facilitates research in broad areas where Europe faces significant challenges. Identification of the specifics of these challenges can best be achieved if the board of the ERC is sourced as widely as possible from European society including representatives from industry.« (Statement UNICE; zit. aus einer Emailkorrespondenz zwischen Mitgliedern von ELSF und ISE) Mehrere hochrangige Beamte der Generaldirektion bestätigten, dass Grundlagenforschung ein rotes Tuch für diese Interessengruppen dargestellt hätte. Entsprechend versuchten sie sich für weitere Gespräche mit Industrievertretern Argumentationshilfen zu beschaffen, etwa in Form in Auftrag gegebener Expertengutachten an Innovationsökonomen: »I think, industry was from the very beginning of the project very sceptical and negative about the ERC. They feared that we would create a huge programme for fundamental research, and that money would not flow to them, but to academia. At a certain time when they saw that they could not stop this movement anymore, they started arguing that the priorities for the ERC should be determined or decided by industry, and not by the individual researchers. This was the second step, when they saw they could not stop it anymore. Of course, this was completely against the whole concept of the ERC. Then, I remember quite well, we were forced to have a study being drafted. I think it was Andrea Bonaccorsi who was invited to write a report as to why basic research is good for industry and competitiveness. You know I was really wrestling with it [industry], and I was really annoyed with it, so I had to put together a group of economists, and Andrea was one of them. Their report was very good in arguing that investing money into investigatordriven research is a good thing for industry. I think, industry took it up and calmed down a little bit, but it was never really a full love with industry.« (Thies) Vor diesem Hintergrund erkläre sich auch die Erstellung des Berichts Frontier Research – The European Challenge (eingehend in Kapitel 6.5 analysiert). Er sollte nicht nur auf die Gefahr von Subsidiaritätsargumenten gegen Grundlagenforschung eine neue Forschungsform affirmieren, sondern auch eine funktionssystemspezifische Unterscheidung – wissenschaftliche Grundlagenforschung auf der einen und industrie- bzw. 110 UNICE steht für Union of Industrial and Employers’ Confederation of Europe; der Interessenverband mit Sitz in Brüssel trägt seit Ende Januar 2007 den Namen BusinessEurope; beide sind Nachfolger des in Kapitel 4 angesprochenen European Round Table of Industrialists, dem ehemaligen Big 12 Roundtable. 167 POLICY-ANALYSE: ZUR ENTSTEHUNG DES ERC anwendungsorientierte F&E auf der anderen Seite – nivellieren. Nicht zuletzt sind aber zwei schlagende Argumente gegen die Bedenken industrieorientierter Lobbyisten vorgebracht worden. Erstens, alles sah danach aus, dass das Rahmenprogramm insgesamt finanziell anwachsen sollte, »in the sense that we were not taking money away from industrially-related research but we were adding to it« (Niosi). Zweitens lag ein mit dem ERC verbundenes Ziel in der Vereinfachung von Förderverfahren des Rahmenprogramms: »If the ERC could simplify things, it’s in the industrial interest in general« (ebd.). Schlussendlich wurde in den Beteiligungsregeln zur Förderung des Spezifischen Programms »Ideen« offengelassen, ob Antragsteller ihre Forschungsprojekte in öffentlichen oder in privaten Einrichtungen ansiedeln wollen. 5.9 Kapitelzusammenfassung In diesem Kapitel wurde der Policy-Entstehungsprozess hin zum ERC entlang zentraler Entwicklungen, Interessensströme und deren Akteure vorgestellt. Im Fokus stand die Entwicklung der ERC-Initiative, die sich Mitte der 1990er-Jahre zu formieren begann, eine Diskurskoalition ausbildete und ihr Anliegen erfolgreich in ein Agenda-Setting auf der EUEbene überführen konnte. Erstaunlich ist, dass angesichts der Kritik an der EU-Forschungspolitik der Kommission, z. B. aus dem Umfeld der Molekularbiologie, eine EU-geführte und dennoch recht eigenständige Organisation entstehen konnte. Ein genauerer Blick auf die Kommission zeigte zudem, dass diese ihre ursprünglich abwehrende Haltung allmählich änderte und schließlich die ERC-Initiative in ihrem eigenen forschungspolitischen Interesse zu nutzen wusste. Der Policy-Prozess wurde vor dem Hintergrund der kollektiv stabilisierten, jedoch teilweise konfligierenden Erwartungen an die gängige EU-Forschungspolitik diskutiert. Diese Erwartungen stellten ein Problem für die Kommission dar, ebenso wie die durch die Initiative festgelegten Prinzipien freier und selbstbestimmter Forschungsförderung – letztere waren nur schwer in Einklang mit ihren rechtlich normierten Aufgaben zu bringen. Um politisch Einfluss nehmen zu können, musste die Kommission, v. a. begriffspolitisch behutsam argumentieren, Zweckerwartungen an Grundlagenforschung anders »framen« und den Begriff schlussendlich aus ihrem Gesetzesvorschlag tilgen. Allerdings sollte von einer bewussten Strategie, wie sie bspw. der »discursive institutionalism« Vivian Schmidts behauptet, nicht zwangsläufig ausgegangen werden. Denn erstens agierte nicht die Kommission, sondern eine Handvoll von Mitarbeitern der Generaldirektion Forschung innerhalb eines Netzwerkes unterschiedlicher Personen und Interessengruppen. Zweitens verriet bereits ein kursorischer 168 KAPITELZUSAMMENFASSUNG Blick auf die im Policy-Prozess angewandte Sprache, dass erst gar keine überzeugenden Argumente zur Förderung von Frontier Research vorgebracht worden sind. Drittens ist es kommunikationstheoretisch nicht sinnvoll, anzunehmen, dass bspw. die den ERC umschreibenden Metaphern oder auch das neu ausgelobte Wettbewerbsprinzip zur Affirmation eines Binnenmarktes der Forschung jene Wirkungen erzielen würden, die ein Sprecher oder Textverfasser vielleicht beabsichtigt hatte. Viel wichtiger ist, dass die Bezugnahme auf wesensmäßig umstrittene Konzepte, wie den Binnenmarkt, Nutzen, Mehrwert und dergleichen, also einem recht festen und nahezu unhintergehbaren Schema folgen. Erst die geostrategische und auf wirtschaftliche Nützlichkeit ausgerichtete Erzählung scheint Akteure, wie die Kommission, befähigt zu haben, auf die dahinter liegenden sozialen Institutionen kommunikativ Bezug zu nehmen. Anhand von fünf zentralen Dokumenten einschließlich der Selbstbeschreibung des ERC werden im Folgenden die Gelingensbedingungen rekonstruiert, mittels derer Deutungskrisen europäischen Regierens bewältigt werden konnten. Erst diese zugrunde liegenden Schemata haben den ERC hervorgebracht, produzieren aber auch sein Dilemma mit. 169 6. Soziale Deutungsmuster der EU-Forschungspolitik In diesem Kapitel werden zentrale Texte aus dem zuvor dargestellten Policy-Prozess auf soziale Deutungsmuster untersucht. ähnlich sozialen Institutionen sind soziale Deutungsmuster als komplexitätsreduzierende Routinen aufzufassen, allerdings müssen sie nicht (unbedingt) einen geradezu generationenübergreifenden Institutionalisierungsprozess durchlaufen, um als kulturelles Wissen sinnstiftend Handeln zu bestimmen. Und ähnlich zu Diskursansätzen ist in sozialen Deutungsmusteranalysen angelegt, dass soziale Regeln mit sprachlichen Regeln korrespondieren; die Strukturregeln der Sprache geben Aufschluss darüber, wie situative Krisen des sozialen routiniert bewältigt oder – wie am Beispiel der Metapher – kreativ umgangen werden können. In dieser Arbeit steht die Deutungsmusteranalyse komplementär zu der Analyse der historisch gewachsenen, sozialen Institutionen europäischer F&T-Politik (Kapitel 4). An der konkreten Ausdrucksgestalt von »Objekten« (Texten) rekonstruiert sie die Regeln sozialer Krisenbewältigung der EU-F&T-Politik. So kann hinreichend abgeglichen werden, inwieweit konkrete, d. h. lebenspraktische Krisen1 der Wissenschaftspolitik im Allgemeinen und der EU-F&T-Politik im Spezifischen durch historisch gewachsene Institutionen bewältigt werden konnten, die ja selbst immer schon konkurrierende Erwartungen austarieren mussten. Für die im Weiteren entstehende objektiv-hermeneutische Rekonstruktion sozialer Deutungsmuster werden hie und da empirische und wissenschaftliche Quellen sowie korrespondierende Aussagen der Experten zur Unterstreichung der jeweiligen Ausdrucksgestalten herangezogen. Wohlgemerkt benötigt die Textrekonstruktion diese Quellen eigentlich nicht. In beeindruckender Weise bestätigen sie jedoch die verdichteten Ausdrucksgestalten; beeindruckend erscheint dies, weil die Deutungsmusteranalysen und die Interviews unabhängig voneinander erfolgten. Man könnte einwenden, dass, egal in welcher Reihenfolge erhoben und interpretiert wurde, die Deutungen des einen empirischen Materials auf die des anderen bezogen worden seien. Allerdings kannten die Interpretationsgruppen2 die Interviews nicht, die vor den gemeinsamen Deutungsmusteranalysen geführt wurden, den meisten Teilnehmern 1 Unter einer Krise wird hier nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Überschuss an Interpretationsmöglichkeiten verstanden. 2 Für die Unterstützung der Analysen zu danken ist insbesondere Marc Torka und Alfons Bora sowie Ali Hedayat, Jan Hodina†, David Kaldewey, Natalie Mevissen, David Kraft, Andrea Kretschmann sowie den an den Interpretationssitzungen 171 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK der Interpretationssitzungen war der Kontext des Themas auch gar nicht geläufig. Es scheint also, dass die »verschiedene[n] und durchaus disparate[n] Handlungsmaximen und individuelle[n] Entscheidungsregeln« der interviewten Experten als »kollektive Orientierungen und soziale Deutungsmuster« (Bogner und Menz 2005, S. 46) die jeweiligen Ausdrucksgestalten der Texte gewissermaßen in sich tragen. 6.1 Geregelte Texte, soziale Regeln: Zur Objektiven Hermeneutik Der hier gewählte Ansatz zur Rekonstruktion sozialer Deutungsmuster wird auf den Soziologen Ulrich Oevermann zurückgeführt, der ihn in den 1970er-Jahren im Rahmen sozialpsychologischer Forschungen zum Konzept der Familie entwickelt hatte. Die erkenntnistheoretische Motivation in der Entwicklung des Ansatzes lag darin, »die Willkür der Interpretationen von faktoren- und clusteranalytisch ermittelten Konfigurationen von Item-Werten zu überwinden und zu wirklich als Gesetzmäßigkeiten durchschaubaren realen Motivierungskomplexen zu gelangen, die zugleich als kollektive Strukturen eines sozialen Unbewußten zu gelten hatten« (Oevermann 2001a, S. 37). Dieser Ansatz wird als ein »spezifisch deutscher Beitrag zu der die Soziologie immer wieder aufs Neue beschäftigenden […] Debatte über das Verhältnis von Handlung und Struktur, Mikro und Makro, subjektiver Intentionalität und objektivem Sinngehalt« (Meuser und Sackmann 1992, S. 14) beschrieben.3 Selten habe wohl ein graues Papier, eine Skizze unveröffentlichter Gedanken in der Soziologie eine so starke Wirkung erzielen können, wie Oevermanns Manuskript mit dem Titel »Zur Analyse der Struktur von sozialen Deutungsmustern« aus dem Jahr 1973 und dies v. a. aufgrund der mitgelieferten Methode der Objektiven Hermeneutik (ebd., S. 14-15).4 Die Beobachtung über die Wirkmächtigkeit des Konzepts hat ihre Gültigkeit nicht verloren. Eine Vielzahl von Arbeiten in der Soziologie rekonstruiert heutzutage soziale Phänomene explizit beteiligten Kollegiatinnen und Kollegiaten des Bielefelder Graduiertenkollegs 724 »Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft«. 3 Dass die Methode über den deutschen Sprachraum hinaus vergleichsweise wenig rezipiert wurde, mag auf die späte, deutschsprachige Veröffentlichung (Oevermann 2001e) zurückgeführt werden, vielleicht ist sie aber auch der spezifisch deutschen Tradition der Hermeneutik geschuldet. Im englischsprachigen Raum ist wohl eher der methodologisch ähnliche, d. h. abduktiv angelegte Ansatz der »Grounded Theory« verbreitet. 4 Die Methode der Objektiven Hermeneutik wurde erst nachträglich in schriftlicher Form veröffentlicht (z. B. Oevermann et al. 1979; Oevermann 1981). 172 GEREGELTE TExTE, SOZIALE REGELN: ZUR OBJEKTIVEN HERMENEUTIK objektiv-hermeneutisch oder zumindest latent, das heißt wissenssoziologisch-hermeneutisch und wissenssoziologisch-diskursiv (vgl. Reichertz 2011). Auch können soziale Deutungsmusteranalysen durch die Methode der Objektiven Hermeneutik mit der kommunikativen Systemtheorie Luhmanns in den Untersuchungen von Semantiken korrespondieren, denn beide verschreiben sich der »Analytik operativer Strukturen« (Torka 2009, S. 57). Im Sinne einer methodologischen Korrespondenz wird auch hier vorgeschlagen, die Rekonstruktion sozialer Deutungsmuster mit ihrer Methode der Objektiven Hermeneutik zurate zu ziehen, um die Wirkung sozialer Institutionen und Diskurse fallspezifisch an Texten zu belegen – wohlgemerkt jedoch nicht objektiv-hermeneutisch zu rekonstruieren –, interessieren sich Deutungsmuster-, Institutionen- und Diskursanalysen doch für die Frage, wie »individuelle Einstellungen und Handlungsorientierungen von kollektiven Interpretations- und Legitimationsangeboten abhängig sind« (Ullrich 1999, S. 429). Als Deutungsmuster verstanden werden »krisenbewältigende Routinen, die sich in langer Bewährung eingeschliffen haben und wie implizite Theorien verselbständigt operieren, ohne daß jeweils ihre Geltung neu bedacht werden muß« (Oevermann 2001a, S. 38). Der angesprochenen Krise wird in diesem Ansatz eine geradezu sozial konstitutive Bedeutung zugewiesen. Jede Lebenspraxis, »jenes Abstraktum, in dem die einheitliche, alle sozialen Lebensäußerungen fundierende Schicht praktischen Handelns begriffen ist« (Oevermann 1981, S. 34), ist krisenhaft angelegt. Krisen zwingen zur Selektion, zu einer immer nur situativen Synthese von Begründungs- und Entscheidungszwang, die es einem handelnden Subjekt erst erlaubt, selbst Strukturen zu erzeugen und sich eine Selbstständigkeit zu erarbeiten (ebd., S. 8).5 Deutungsmuster bieten dabei eine Art Orientierungsfunktion in actu einer Lebenspraxis; ähnlich der symbolischen Funktion sozialer Institutionen – jedoch konkreter – und »wie Semantiken [sind sie] als sprachlich konstituierte, operative Strukturen angelegt, die einer sozialen Praxis konstitutiv zu Grunde liegen« (Torka 2009, S. 74). Im Kern sind Deutungsmuster gekennzeichnet durch – »einen hohen Grad der situationsübergreifenden Verallgemeinerungsfähigkeit«, – die bewährte Fähigkeit, potentielle Krisen zu unterdrücken oder aufzulösen und – »einen hohen Grad von Kohäsion und innerer Konsistenz« zur Bewältigung »konkret verschiedener Handlungssituationen« (Oevermann 2001a, S. 38). 5 Das Konzept der Krise weist eine gewisse Analogie zu dem in der Systemtheorie zentrierten Begriff der Komplexität auf. Die Routine bei Oevermann korrespondiert dann gewissermaßen mit Luhmanns anschlusskommunikativ selektiertem Sinn als »Unterscheidung von Potentialität und Aktualität« (Luhmann 1984, S. 100). 173 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Mit ihrer Ausrichtung auf konkret zu bewältigende, lebenspraktische Krisen stehen Deutungsmuster somit unmittelbar »im Zusammenhang mit der Rekonstruktion von gegeneinander abgrenzbaren subkulturellen Milieus«, sie wollen aber mehr zum Ausdruck bringen, nämlich »die kaum merklich sich in ständiger Transformation befindenden, den »Zeitgeist« ausmachenden »kollektiven Haltungen« (ebd., S. 37).6 Im Unterschied zu Semantikanalysen einer Systemtheorie oder auch einer linguistischen Diskurstheorie versucht die Objektive Hermeneutik »mit dem Deutungsmusterbegriff eine eigenständige Analyseebene der sinnstrukturierten Sozialwelt« (Torka 2009, S. 75) zu realisieren. Oevermanns Arbeiten zur Konzeptualisierung sozialer Deutungsmusteranalysen haben zu einer Reihe theoretischer und methodologischer Erweiterungen inspiriert, die dem Soziologen jedoch zu weit gingen. Zum einen ist dies aus seiner Sicht unnötige wissenssoziologische Aufladung (Plaß und Schetsche 2001; vgl. Oevermann 2001b) und zum anderen die gefährliche Nähe zu jener Intentionalität von Handlungen (Ullrich 1999), gegen die er zu argumentieren versuchte (vgl. Kassner 2003, S. 38–39). Zur Präzisierung schreibt Oevermann (2001a, S. 37) hierzu: »Der Grundgedanke war ein einfacher: Auf der einen Seite haben wir ein kollektiv vereinheitlichtes, gemeinsames Handlungsproblem in seiner objektiven Gegebenheit […]. Dieses Problem zieht in seiner Krisenhaftigkeit eine Deutungsbedürftigkeit nach sich. Es ist so gravierend, dass es nicht jedes Mal von neuem gewissermaßen von Null aus gelöst werden kann und muss, sondern jede einzelne Sozialisationspraxis sich auf voreingerichtete Tradition oder eben: Deutungsmuster – wie von selbst stützen können muss. Auf der anderen Seite stehen also den objektiven Handlungsproblemen, worin sie im einzelnen auch immer bestehen mögen, kollektiv verbürgte, in konkreten Milieus oder Lebenswelten verankerte Muster ihrer routinisierten Deutung gegenüber, die einen veralltäglichten Umgang mit diesen Problemen ermöglichen.« Um seine Abgrenzung sozialer Deutungsmuster gegenüber »konkurrierenden Begriffen für Bewußtseinsformationen«, d. h. »Meinungen, Einstellungen, Ideologien, Interessen, Motiven, Habitusformationen, Sozialcharakteren und Lebensstilen« (Oevermann 2001a, S. 39) zu vollziehen, erinnert Oevermann an die Bedeutung von »latenten Sinnstrukturen« (ebd.). Gemeint sind »die durch Regeln erzeugten objektiven Bedeutungen einer Sequenz von sinntragenden Elementen einer 6 Auch hier könnte konzeptionell eine für die Europaforschung fruchtbare Überbrückung geleistet werden, die sowohl nach der Strukturwirksamkeit von großangelegten Diskursen (Walters und Haahr 2005) als auch nach der lebensweltlichen und milieuspezifischen Krisenbewältigung (vgl. Favell und Guiraudon 2009; Bernhard 2011) sucht, bspw. von epistemischen Gemeinschaften oder allgemein von Expertenzirkeln innerhalb und rund um die EU-Organe hinsichtlich europäischer Governance-Herausforderungen. 174 GEREGELTE TExTE, SOZIALE REGELN: ZUR OBJEKTIVEN HERMENEUTIK Ausdrucksgestalt, in der alle nur denkbaren konkreten (Lebens-)äußerungen von Lebenspraxis-Formen verkörpert sein können.« (ebd.). Die Annahme der Existenz latenter Sinnstrukturen, »wo immer Ausdrucksgestalten produziert worden sind und hinterlassen wurden« (ebd., S. 41), bildet den methodologischen Zutritt zur Rekonstruktion von sozialen Deutungsmustern. Mit ihnen werden gestaltpsychologische und soziolinguistische Annahmen derart verknüpft, dass jede fallspezifische Krisenbewältigung in ihrer Regelhaftigkeit sich auf eine spezifische Ausdrucksgestalt verdichtet, welche eben als eine Ausdrucksgestalt, als eine typische Form von Regeln rekonstruiert werden kann. Latente Sinnstrukturen grenzt Oevermann gegenüber Annahmen über implizites Wissen ab, das immerzu auf das unbewusste Handeln des Einzelnen zurückgeführt werden muss. Latente Sinnstrukturen hingegen sind »[…] eine logisch von der Intentionalität und den psychischen Repräsentanzen der je konkret handelnden Subjekte unabhängige und entsprechend auch nicht notwendigerweise aktual psychisch repräsentierte Realität, die gleichwohl eine empirisch nachweisbare ist und auf das Operieren algorithmischer Regeln zurückzuführen ist« (ebd.). Dass latente Sinnstrukturen, also eine über das Subjekt hinausgehende objektivierte Regelhaftigkeit, offengelegt werden können, ist vielleicht als die radikale, strukturalistische Prämisse der Objektiven Hermeneutik anzusehen. ähnlich dem radikalen Konstruktivismus ruft die Objektive Hermeneutik zu erkenntnistheoretischer Bescheidenheit auf: Man muss sich von der Vorstellung trennen, einen direkten Zugang zur Wirklichkeit zu erhalten. Und selbst der in der klassischen Hermeneutik postulierte, sinnverstehende Zugang zur »protokollierten Wirklichkeit ist methodologisch prinzipiell nicht möglich«, da er durch das »Hier und Jetzt der Lebenspraxis« beschränkt bleiben wird (Oevermann 1993, S. 132). Mit anderen Worten gilt ein Realitätsprotokoll7 erst gar nicht als Abbild der Wirklichkeit, sondern es konstituiert eine auf eigenen Regeln basierende Wirklichkeit (Oevermann 1986, S. 47, 2001a, S. 62–63). So wird unterschieden »zwischen der Ebene der objektiven latenten Sinnstrukturen [des Textes] und der Ebene der subjektiv-intentionalen Repräsentanz« (Oevermann et al. 1979, S. 380). Letztere interessiert hierbei kaum. Erheblich ist der Text, der »Bedeutungsstrukturen generiert, die jenseits des Selbstverständnisses und des Selbstbildes einer sozialen Praxis liegen und sich nicht in den Meinungen, Intentionen oder Wertorientierungen dieser Praxis erschöpfen« (Wernet 2006, S. 18). Deshalb spielt in dieser Methode der Kon-text rund um das Realitätsprotokoll – im Sinne von: wie es die Verfasser wohl gemeint haben mögen – zunächst auch 7 Realitätsprotokolle liegen für diese Arbeit sie als Mitteilungen, Expertenberichte und Gesetzestexte der EU-Institutionen sowie als Konferenzprotokolle anderer Organisationen vor. 175 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK kaum eine Rolle, ebenso wenig wie der Erhebungskontext der Realitätsprotokolle. Denn die Textentstehung und die Interpretation des Textes fußen auf ja auf ein und denselben sozialen Regeln, welche nicht zuletzt in Form von Grammatik formalisiert worden sind: »Der Geltungsanspruch, den die objektiv-hermeneutische Bedeutungsexplikation erhebt, stützt sich auf die Inanspruchnahme geltender Regeln. Soziales Handeln konstituiert sich entlang dieser Regeln und die Interpretation der Protokolle dieses Handelns erfolgt unter Rückgriff auf unser Regelwissen […] Die fundamentale Bedeutung der Regelgeleitetheit ist in ihrer Nichthintergehbarkeit zu sehen. Das Konzept der Regelgeleitetheit formuliert, anders als etwa soziale Normen, nicht, was zu tun ist, sondern was es heißt, etwas zu tun.« (Wernet 2006, S. 13; kursiv i. O.) Durch eine gemeinsame Deutung entlang fester Interpretationsregeln von Texten können also die in ihnen inhärent liegenden, sozialen Regeln offengelegt werden. Die Objektive Hermeneutik kontrolliert die Konsistenz von Textregeln und spürt hiermit auch den sozialen Regeln nach. Diese methodisch kontrollierten und kontrollierenden Deutungen müssen idealerweise einen Prüfprozess durch mehrere Personen8, die über ein Mindestmaß an Verständnis textueller Regeln verfügen oder diese bereit sind zu lernen und untereinander zu akzeptieren, während einer Gruppeninterpretationssitzung durchlaufen. Spezifisch wissenschaftliche Methodenkenntnisse braucht es hierzu nicht. 6.2 Interpretationsregeln der Objektiven Hermeneutik In einer großen Zahl politikwissenschaftlicher Publikationen werden die Deutungsschritte bspw. von Institutionen- und Diskursanalyse nicht nachvollziehbar dargestellt, so dass Siegfried Schieder (2006, S. 33) diese methodische Kritik äußerte: »Die Etikettierung einer Methode als Diskursanalyse ist die eine Frage. Wie man methodisch kontrolliert intersubjektiv geteilte Bedeutungs- und Wirklichkeitskonstruktionen jedoch zu erkennen vermag, ist eine andere Frage. So zeigt sich das interessante Phänomen, dass es in der Folge theoretischer Überlegungen kaum zu methodisch fundierten Umsetzungen kam.« Für die Objektive Hermeneutik ist die Offenlegung der Lesarten einschließlich der Frage, weshalb man sich für eine Lesart entscheidet, erkenntnistheoretisch und methodisch konstitutiv. Die Bedingung dafür, 8 Auch hier sei nochmals an das radikal-konstruktivistische Konzept der zu Anfang diskutierten Autopoiesis erinnert, das Humberto Maturana auf die Notwendigkeit des kommunikativen Konsenses oder Karin Knorr-Cetina (1989, S. 137) auf die der »Rahmenkonversation« brachten. 176 INTERPRETATIONSREGELN DER OBJEKTIVEN HERMENEUTIK dass die Deutungsmustern zugrunde liegenden, objektiven Strukturen erfasst werden können, liegt zunächst in der intersubjektiven Einigung auf Deutungsregeln.9 Dass in der Methodenbezeichnung der Hermeneutik vorangestellte »objektive« wird oftmals falsch verstanden und soll kurz erklärt werden: Objektiv bezieht sich nur auf den konkreten Gegenstand, der intersubjektiv zugänglich und somit verschieden interpretierbar ist. Die erkennbaren objektiven Textregeln können Aufschluss über geltende soziale Regeln geben, denen auch ein Objektivitätsanspruch über einzelne Subjekte hinaus zugedacht wird. Bei aller gebotenen Vorsicht soll nochmals betont werden: die objektive Hermeneutik interessiert sich sekundär für die inhaltlichen Aussagen der Texte, primär jedoch für die sozialen (als grammatikalische und lexikalische) Regeln, die dem Inhalt von Aussagen erst eine fallspezifische Ausdrucksgestalt verleihen können. Um die sozialen Regeln in Texten auf Konsistenz zu überprüfen, ist ein traditionell hermeneutisch zirkuläres Analysieren mit seiner »vorgängigen aufschließenden Funktion eines gegenstandsspezifischen Vorwissens« (Oevermann 2001d, S. 39) kontraproduktiv. Zunächst gilt es, sich gerade nicht durch Zusatzwissen ablenken zu lassen, sondern die Dinge unvoreingenommen und selbst das angeblich Gewöhnliche als eventuelle Besonderheit – und nicht als Gepflogenheit, Tradition oder Kultur – wahrnehmen zu können: »Deshalb ist der objektiven Hermeneutik […] das Fremde als Gegenstand willkommen, weil es den unvoreingenommenen Blick auf die Struktureigenschaften hinter dem opazisierenden Schleier des vorgängigen praktischen Wissens erzwingt, will man es als das verstehen, was es ist.« (ebd., S. 39–40). Dies heißt wiederum nicht, dass Kontextwissen zur Interpretation von Texten keine Rolle spielen wird. Doch dies findet erst Beachtung, wenn die Fallstruktur in ihrer Regelhaftigkeit als soziale Ausdrucksgestalt festgemacht worden ist. Erst dann kann der Kontext – auch zur Kontrastierung – in die Interpretation einfließen (ebd.). Kontextfreiheit ist das erste Deutungsprinzip der objektiv-hermeneutischen Interpretation. Idealerweise finden objektiv hermeneutische Deutungen in einer Gruppe statt, um vor der individualen, mit eigener Geschichte und Kontextwissen beladenen Auslegung von Texten zu schützen. Das zweite Prinzip lautet Wörtlichkeit und schließt unmittelbar an das Gebot der Kontextfreiheit an. Interpretiert wird entlang der nächstliegenden Bedeutungen der in Texten verwendeten Sprache, denn andernfalls könnte das methodologische Postulat der Inhärenz von sozialen in textlichen Regeln erst gar nicht eingehalten, der Text als Ausdruck jeder möglichen (und durchaus widersprüchlichen) Form von Sozialität 9 Umfangreiche Einführungstexte in die Methode der Objektive Hermeneutik haben u. a. Ulrich Oevermann, Tilman Allert, Elisabeth Konau und Jürgen Krambeck (1979), Ulrich Oevermann (2001d) und Andreas Wernet (2006) vorgelegt. 177 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK nicht ernst genommen werden. Freud’sche Versprecher werden zur Veranschaulichung dieses Deutungsprinzips gerne angeführt (z. B.; Wernet 2006, S. 23–26): Sie mögen zuweilen lustig oder peinlich sein, transportieren aber in ihrer äußerung eine soziale Spannung. Denn sie offenbaren, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang von sprachlichen und sozialen Regeln gibt, den der konkrete sprachliche Fauxpas als Regelbruch erst offensichtlich macht. Oevermann (2001d, S. 41) bezeichnet die v. a. auf das Prinzip der Kontextfreiheit und Wörtlichkeit bezogene Interpretationsstrategie als »methodisch kontrollierte Herstellung künstlicher Naivität, mit der wir als Soziologen die uns praktisch vertrauten Gegenstände auf die Distanz des Fremden bringen, um sie in dieser Distanz strukturanalytisch aufschlußreicher sehen können, statt sie nur in der Binnenperspektive der Praxis, die es gerade zu analysieren gilt, gehaltlos zu paraphrasieren«. In der konkreten Interpretationssitzung werden Bedeutungen von Wortpartikeln, Wörtern, Satzteilen und ganzen Sätzen in Form öffentlicher Gedankenexperimente geäußert. Geeinigt werden sollte sich dabei auf die möglichst nächstliegende Bedeutung der jeweils vorliegenden Sinneinheit. An die Prinzipien der wörtlichen und kontextfreien Deutungen schließt sich das Prinzip der Sparsamkeit an. Sparsam zu interpretieren bedeutet zuvorderst Lesarten zu bilden, die ohne Zuhilfenahme von Kontextwissen auskommen müssen. Mehr noch: Es müssen sich Geschichten um eine textliche Sinneinheit bilden lassen, die keinerlei außergewöhnlicher Deutungen bedürfen. Das Deutungsprinzip korrespondiert mit der Annahme über soziale Deutungsmuster: dass mit ihnen möglichst lebenspraktische Schemata, also Routinen bereitstehen, fallspezifisch Kontingenz bewältigen zu können. Denn es ist nicht sinnvoll, immerzu die abwegigste aller Möglichkeiten zu wählen, sei es in der Bewältigung einer konkreten Lebenssituation oder eben bei der Suche nach textimmanentem Sinngehalt. Das vielleicht wichtigste Deutungsprinzip der objektiven Hermeneutik ist in der Sequentialität von Interpretationen angelegt. Ihr zufolge kann jedes abgeschlossene Textprotokoll zu einer spezifischen Ausdrucksgestalt verdichtet werden, die sequentiell strukturiert ist. Analog zu sozialer Realität – Alter grüßt, Ego erwidert den Gruß – sind Texte in der Regel nicht einfach nur eine lose und willkürliche Ansammlung von Informationen. Eine alltägliche Gesprächssequenz hätte komische oder pathologische Züge an sich, wenn Gesprächsteilnehmer keinen sinnhaften Bezug aufeinander nähmen, sondern immerzu und willkürlich irgendetwas anderes besprechen wollten. Unregelmäßigkeiten, Devianzen, Pathologien offenbaren sich dem Beobachter erst durch die Gewohnheit des sinnhaften Aufeinanderfolgens – in der sozialen Welt, wie auch in der 178 INTERPRETATIONSREGELN DER OBJEKTIVEN HERMENEUTIK textimmanent sozialen Welt.10 »[D]ie Operation der Sequenzanalyse […] geht von der elementaren Feststellung aus, daß alle Erscheinungsformen von humaner Praxis durch Sequenziertheit konstituiert sind, wobei hier unter Sequenziertheit nicht die triviale Form von Temporalisierung im Sinne eines Nacheinanders verstanden wird, sondern der nicht-triviale Umstand, daß jegliches Handeln, selbst wenn es als monologisches oder individuell isoliertes in Erscheinung tritt, qua Regelerzeugtheit soziales Handeln ist« (Oevermann 2001d, S. 30; kursiv i. O.) Unter dieser Annahme bedeutet Sequenzen zu analysieren, »streng dem Ablauf, den ein Text protokolliert« zu folgen (Wernet 2006, S. 27), denn »[d]ie Rekonstruktion der Bedeutung einer Textsequenz stellt die folgende Sequenz in einen inneren Kontext«. (ebd., S. 29; kursiv i. O.). Gerade deshalb wird in dieser Methode auch den Eingangssequenzen von Gesprächsprotokollen, Titelblättern mitsamt ihrer grafischen Gestaltung oder auch – um das Analyseverfahren zu beschleunigen – den Inhaltsverzeichnissen so viel Bedeutung beigemessen. Wenn man sich einmal auf eine verdichtete Deutung der Ausdrucksgestalt eines Textes geeinigt hat, auf eine so genannte Fallstrukturhypothese, und durch die ihr folgenden Textsequenzen den Eindruck gewinnt, dass sie stabil bleibt, ihr also nicht sinnlogisch widersprochen wird, kann man bspw. zu anderen Textstellen »springen« und die Fallstrukturhypothese testen. Eine weitere praktische und den sequenzanalytischen Deutungsprozess beschleunigende Technik ist die der »gedankenexperimentellen Fortschreibung« (ebd.) einer Strukturhypothese. Angenommen, ein Satz wäre als einheitliche Sinneinheit hinreichend »ausgedeutet« worden und habe eine Strukturhypothese hervorgebracht. Daraufhin muss antizipiert werden, wie die folgenden Textsequenzen ausgestaltet sein werden, da sie auf die Ausdrucksgestalt des Textes sequentiell Bezug nehmen müssen. Würde diese gedankenexperimentelle Erwartung enttäuscht, müsste die Fallstrukturhypothese ausgebessert oder gar verworfen werden. Auch für diese Interpretationstechnik ist Kontextwissen nicht notwendig, denn »[d]ie gedankenexperimentelle Fortschreibung macht deutlich, dass der je konkrete Fall eine ›Entscheidung‹ vornehmen muss, das zu sein, was sie ist und sie macht die Besonderheit dieser Entscheidung kenntlich. Die Benennung unterschiedlicher Optionen verweist nämlich deshalb auf die Besonderheit des Falles, weil dieser dann als soziales Gebilde erscheint, das eine spezifische Wahl unter den gedankenexperimentell formulierten 10 Sequenzanalysen können gerade mit Blick auf das Genre der »Expertise« soziale Brüche aufdecken, sollten die Texte bspw. nicht halten, was ihre Titel versprechen oder Argumentationsbrüche aufweisen. Mit Blick auf Kontextwissen reicht es dann nicht zu behaupten, Mitarbeiter einer Organisation hätten bspw. unter Zeitdruck geschrieben und wenig Zeit für eine redaktionelle Überprüfung ihrer Texte gehabt. 179 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Möglichkeiten getroffen hat« (ebd., S. 29-30; kursiv hervorgehoben; TF). Durch das Gedankenexperiment möglicher folgender Schritte wird die prinzipiell für jedermann zutreffende Bewältigung von Deutungskrisen in sozialer Interaktion simuliert. Will diese Krisenbewältigung routiniert sein, sollte sie entlang einer konsistenten Abfolge von sinnhaft aufeinander Bezug nehmenden Schritten verlaufen. Erst wenn eine Hypothese hinreichend getestet wurde, kann in die gedankenexperimentellen Exkursionen Kontextwissen einfließen, bspw. aus der den Interpreten bekannten Literatur. Diese Technik fußt jedoch auf »theoretische[n] und praktische[n] Gedankengänge[n], die sich aus dem Material selbst erg[e]ben« (Oevermann 2001d, S. 46), sich ihm also sinnlogisch fügen und dem Prinzip der sparsamen Deutung nicht zuwider laufen. Als letztes Prinzip ist die Extensivität von Deutungen vorzustellen. In diesem Prinzip wird die Annahme methodisch umgesetzt, »dass sich in den protokollierten Ausschnitten sozialer Realität ein Allgemeines rekonstruieren lässt« (Wernet 2006, S. 32). Um die Allgemeingültigkeit einer Ausdrucksgestalt methodisch erfassen zu können, müssen alle dem Text zugrundliegenden Sinneinheiten, Bilder, Chiffren, Wortelemente, Wörter, Teilsätze, Sätze sowie ganze Absätze gedeutet werden. Kurzum: Alles wird intersubjektiv in der Gruppe interpretiert. Dies sollte ausführlich geschehen, d. h. mit Blick auf die zu bildenden Lesarten in einer sinnlogisch erschöpfenden Weise. Immer im Blick das Prinzip der Sparsamkeit, werden alle möglichen Deutungen expliziert und dem Text in seiner weiteren Abfolge als Strukturmöglichkeiten unterstellt, sequentiell validiert und so lange weitergeführt, bis sich eine zentrale Lesart herausgebildet hat. Mit dieser Ausrichtung geht es der Methode darum, für ein abgeschlossenes Textprotokoll eine allgemeine Strukturlogik seiner Erzeugung herauszuarbeiten, denn: »Die Sinnstrukturiertheit sozialer Gebilde ist nicht hintergehbar. Es gibt keine äußerungsform eines sozialen Gebildes, das die Sinnstrukturiertheit verlassen könnte« (ebd.). In nicht ganz stimmiger Analogie zu der von Clifford Geertz‘ ethnographisch motivierten, dichten Beschreibung, gilt es somit, das Spezifische in seiner allgemeinen Struktur zu überführen (Oevermann 2001a, S. 62–63). Während einer Deutungsmusteranalyse und insbesondere für ihre Verschriftlichung ist es geboten, die Deutungsmöglichkeiten und Entscheidungen zu explizieren: Welche Lesarten sind weshalb erarbeitet worden? Warum hat sich eine Lesart zu einer allgemeinen Ausdrucksgestalt verdichten lassen und andere Lesarten nicht? Diese Arbeitsweise ist insofern wichtig, als dass sie jedem die Möglichkeit bieten soll, eine möglichst vollständige Einsicht in den Deutungsprozess zu erhalten und – unter gleicher Prinzipienanwendung – konkurrierende Lesarten zu bilden. Dem gängigen, zumeist informell geäußerten Vorwurf, die objektive Hermeneutik mit ihren Deutungsprinzipien sei zu radikal (im Sinne eines: So-und-nicht-anders-Seins) und verliere den Blick für Vielfalt, kann 180 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN entgegnet werden, dass Gegenpositionen zu den Ergebnissen der Analysen im Rahmen eines wissenschaftlichen Falsifikationsprozess durchaus erwünscht sind. 6.3 Die rhetorische Frage von Kopenhagen In einer Abfolge von fünf zu untersuchenden Dokumenten, die allesamt als Resultate eines Krisenbewältigungsprozesses europäischer Governance gelten können, wird zunächst die Broschüre der Kopenhagener Konferenz mit dem Titel »Do we need a European Research Council? – Summary Report« analysiert. Die Konferenz wurde im Rahmen der dänischen EU-Ratspräsidentschaft am 7. und 8. Oktober 2002 ausgerichtet. Wie bereits in der Policy-Analyse ausgeführt gilt sie als ein zentraler Meilenstein im Agenda-Setting hin zur Entstehung des ERC. Den befragten Experten und den im Zuge des Policy-Prozesses verfassten Dokumenten zufolge markiert sie insofern eine Zäsur, als dass die Option einer pan-europäischen Grundlagenforschungsfördereinrichtung zum ersten Mal formalpolitisch gewürdigt und öffentlichkeitswirksam diskutiert wurde. Die Analyse nimmt zunächst auf die gestalterische Form des Dokumentes Bezug und wird markante Inkonsistenzen zwischen dem Klappentext, einem Vorwort, der darauffolgenden Zusammenfassung des Protokolls und dem weiteren Inhalt aufdecken. 6.3.1 Zeremonielle und legitimatorische Bedeutung des Klappentextes Der 27-seitige Konferenzbericht ist im Internet abrufbar11 und somit prinzipiell an jedermann adressiert. Bereits beim ersten Durchblättern fällt auf, dass das Dokument an bestimmten Stellen grafisch nachbearbeitet wurde, um als Broschüre bzw. als Prospekt veröffentlicht zu werden: Das Layout der Titelseite will nicht so recht zu den folgenden Seiten passen, insofern es zwei DIN-A4-Seiten im Querformat nebeneinander darstellt, während die restlichen Seiten hochformatiert wurden.12 11 http://www.eurosfaire.prd.fr/bibliotheque/pdf/ERC_2002_SummaryReportFinal_ DK.pdf (zuletzt abgerufen am 22.12.2014) 12 Auf den Charakter einer Broschüre deuten Druckfalzmarkierungen an den Rändern und in der Mitte der Titelseite hin. Zudem wird für die Titelseite eine andere und anscheinend durch ein Grafikprogramm gesetzte Schriftart verwendet, während der Rest des Dokuments wie eine schlichte Konvertierung eines schriftlichen Protokolls in ein PDF-Dokument wirkt. Nicht zuletzt ist der Mantel der Broschüre farblich gestaltet, was auf den Rest des Dokuments nicht zutrifft. 181 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Die Titelseite wirkt wie ein nachträglich hinzugefügter Klappentext einer Broschüre, in der sich – zumindest mit Blick auf die weitere Layoutgestaltung – ein lieblos bzw. hastig abgetipptes Protokoll befindet. Die Ausdrucksgestalt von Broschüren erfüllt i. d. R. die Funktion, aufmerksamkeitswirksam Information zu liefern, etwa als Gebrauchsanweisungen, zur Produkt- oder auch zur Parteienwerbung in politischen Wahlkämpfen. Im Hinblick auf die hier vorliegende Broschüre ist nicht klar zu entscheiden, ob sie lediglich zur Information dient oder einen werbenden Charakter haben soll. Hinsichtlich des nachträglich eingeführten illustrativen Broschürencharakters lassen sich zwei Lesarten bilden. Erstens, mit dem beigefügten Umschlag scheint Relevanz markiert worden zu sein, möglicherweise weil die Konferenz im politischen Alltagsgeschäft untergegangen13 wäre und somit ex post umworben werden musste oder weil die Organisatoren gegenüber einer wie auch immer gearteten Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen versuchen. Zumindest lässt sich vermuten, dass den Konferenzteilnehmern eine Protokollabschrift gereicht haben mag, darüber hinaus jedoch ein weiterer Adressatenkreis angesprochen werden sollte. Nicht zuletzt kann das broschürenartige Beiwerk darauf hinweisen, dass sich jemand, z. B. der Konferenzorganisator, erst im Nachgang der Bedeutung der Konferenz bewusst oder auf diese hingewiesen wurde.14 Daran schließt eine zweite komplementäre Lesart an, die den Aspekt der Temporalität in den Vordergrund rückt: Selbst wenn das Konferenzprotokoll, also der Inhalt des Dokuments, über ein vergangenes Ereignis berichtet, so präsupponiert das Medium der Broschüre – expressis verbis: das Prospekt – eben eine bestimmte Zukunft. Mithin scheint durch mediale Nachbearbeitung Vorsorge getragen zu werden, dass in Zukunft an eine bestimmte – und keine andere – Vergangenheit erinnert werden soll.15 Wer auch immer zu einem späteren Zeitpunkt Zweifel an der Wichtigkeit der ERC-Initiative haben mag, so könnte man meinen, solle sich an diese zentrale Konferenz erinnern, die bereits in der Vergangenheit eine bestimmte Sinnselektion für die Zukunft vornimmt. Die Adressaten mussten allerdings noch im Vollzug sein, wichtige Entscheidungen zu treffen. Entsprechend liegt eine Funktion der Broschüre dar13 Die Arbeitserfahrung des Autors im europapolitischen Kontext umfasst, dass man Woche für Woche einer Vielzahl von Einladungen zu Konferenzen, Matinées, Mittags- und Abendempfängen und vielerlei anderen Veranstaltungen in Brüssel, wie auch andernorts folgen könnte. 14 In wissenschaftlichen Kontexten ist die Verwertung von Konferenzen zu Sammelbänden (z. B. Proceedings) nicht unüblich. Sie kann mitunter zu eigenständigen Fachzeitschriften führen. 15 In Anlehnung an den Sinnbegriff Luhmanns muss »also in je gegenwärtigen Operationen darüber disponiert werden, welche vergangenen Ereignisse in welcher Form erinnert werden« Schützeichel 2003, S. 202. 182 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN in, an die Bedeutsamkeit, also die historische Tragweite der Konferenz zu erinnern, um ihren Adressaten Entscheidungsunsicherheit abzunehmen. Betrachtet man die grafische Gestaltung der Titelseite, so fallen zunächst zwei nebeneinanderliegende Quadrate auf. Das linke Quadrat zeigt ein Foto, auf dem ein prachtvolles, historisches Gebäude abgebildet ist. Vor dem Gebäude schießen Wasserfontänen aus einem Springbrunnen, dazwischen steht eine Reiterstatue – ihr Blick dem Gebäude zugewandt. Mit einer prachtvollen Kuppel versehen könnte es sich bei dem Gebäude um eine Kathedrale oder um ein Schloss handeln, in jedem Fall vermittelt sein Anblick einen glorreichen, ja feierlichen Anlass. Zudem insinuiert die Reiterstatue mit ihrem zeremoniell anmutenden Stab in der rechten Hand klerikale oder staatliche Exekutivmacht. Der Himmel auf dem Foto wirkt sommerlich und evoziert positive Assoziationen, die abgebildeten Fontänen suggerieren Frische und Dynamik. Die Motivmischung aus traditionsbasierter Zeremonie16 und Dynamik scheint weniger einen Gegensatz als etwas Komplementäres zum Ausdruck zu bringen: Die auf Tradition fußende Staatsmacht könnte das Fundament eines dynamischen Wan- Abbildung 7: Titelseite der dels darstellen. Der Begriff der Tra- ERC-Konferenzbroschüre 16 Zieht man die linke Hälfte der querformatierten Titelseite bereits jetzt hinzu – die eigentlich wie die Rückseite des Broschürenumschlags wirkt –, so wird das zeremonielle Element durch drei Fotos bestätigt; das Bild deutet allerdings auf ein eher geschäftliches als feierliches Event: Auf den Fotos sind Konferenzteilnehmer in Geschäftskleidung zu sehen. Neben zwei Bildern sind die skandinavisch, englisch und französisch bzw. wallonisch klingenden Personennamen genannt. Es kann also von einem internationalen Zusammentreffen ausgegangen werden. Auf zwei Fotos sitzen Personen an Tischen und scheinen einem Redner aufmerksam zuzuhören, ein drittes Foto bildet drei Personen während eines heiteren Gespräches ab. Die Bilder sowie die Fotobeschriftung, »Plenary Session«, sollen augenscheinlich machen, dass hier ein öffentlicher, quasi-parlamentarischer Austausch unter Gleichberechtigten stattgefunden hat. Die von den Personen getragenen Namensschilder lassen zudem auf einen großen Kreis von Teilnehmern schließen, die nicht regelmäßig zusammenkommen oder für Außenstehende zu Dokumentationszwecken kenntlich gemacht werden sollten. 183 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK dition stellt auf die soziale Handlung des Überlieferns ab, während er alltagsprachlich als etwas Passives im Sinne von Bewahren oder des unverändert Lassens gedeutet wird. Letzteres würde allerdings einen Konservatismus bezeichnen, sprich das auf Tradition bestehende bewahren zu wollen (Dittmann 2004, S. 22ff.). Unter Tradition ist hier allerdings gemeint, dass Akzipienten das zu Tradierende (ebd., S. 126–130) immer wieder aufs Neue re-interpretieren müssen, ohne es grundlegend abzulehnen. Gleichzeitig suggeriert das Bild aber auch einen dynamischen Übergang, insofern das Motiv der sprudelnden Wasserfontänen durch das danebenliegende Quadrat aufgegriffen wird: Unmittelbar rechts des Fotos schließt ein piktogrammatisch anmutendes Quadrat an, das einen Viertelausschnitt aus weißen, konzentrischen Kreisen auf aquamarinblauem Hintergrund darstellt und womöglich Schwingungen symbolisieren soll. Die Fontänen auf dem Foto und die Schwingungen des Piktogramms fließen ineinander. Die bereits in dem Foto dargestellte Verbindung von Tradition und dynamischem Wandel wird somit durch das Ineinanderlaufen der beiden Quadratinhalte aufgegriffen. Darüber hinaus mag das Ineinanderlaufen der sprudelnden Wasserfontänen in die Kreise des Piktogramms andeuten, dass etwas nachhaltig in Bewegung gesetzt wurde. An der unteren Seite des Fotos schließt rechtsbündig ein Orthogon an; im Maßstab des Fotos wirkt es circa zehnmal kleiner. Die Fläche dieses Rechtecks ist vertikal zweigeteilt. Auf seiner linken Fläche ist ein weißer Schriftzug (»eu2002.dk«) auf dunkelblauem Hintergrund gedruckt. Die rechte Fläche greift die weißen, konzentrischen Kreise des oben abgebildeten Quadrats auf, allerdings sind diese Kreise nun vollständig – und nicht geviertelt – auf rotem Untergrund dargestellt. Das Rechteck wirkt wie eine Bildunterschrift, was unmittelbar zu der Deutung verleitet, dass hiermit Anspruch auf die Urheberschaft des bildlich dargestellten Sinngehaltes der beiden Quadrate erhoben werden soll. Der Schriftzug in dem Rechteck, »eu2002.dk«, wird als Kürzel einer dänischen Internetadresse (».dk«) identifiziert, 2002 als Jahresverweis und »eu« als Europäische Union. Nun ließe sich eine Reihe weitreichender Deutungen anstellen, zunächst ist jedoch festzuhalten, dass (jemand in) Dänemark die Europäische Union im Jahr 2002 zum Thema gemacht hatte. Die Verknüpfung der Chiffre »eu2002.dk« und der daneben liegenden konzentrischen Kreise – bzw. Schwingungen – scheint zum Ausdruck zu bringen, dass im Jahr 2002 die Europäische Union oder EU-spezifische Topoi in Bewegung geraten sind. Dies bestätigt auch die sequentielle Lesegewohnheit: Die EU gerät 2002 durch Dänemark in Bewegung.17 Deutet man die weißen Ringe schlichtweg als konzentrische Kreise – gewissermaßen 17 Farblich korrespondieren die konzentrischen Kreise mit den Nationalfarben Dänemarks. 184 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN ohne das Element der Dynamik –, so ließe sich immerhin noch der Appell herauslesen: Wer 2002 etwas über die EU herausfinden möchte, der wende seinen Blick auf Dänemark, das diese ins Zentrum stellt. Ebenso könnten die Kreise auch Baumjahresringe (als Symbol langjährigen Bestands) oder einen Fingerabdruck (als Symbol für Identität) darstellen. Entsprechend wäre eine Lesart: das Ineinandergreifen von Tradition und Moderne, aus welchem eine Dynamik zu entstehen scheint, soll typisch für Dänemark stehen. Thematisiert das Land also die Europäische Union, erzeugt es Resonanz von nachhaltiger Dauer. Unterhalb des rechten Quadrats erscheint der Titel des Dokuments. Linksbündig steht in großer Schrift die Frage geschrieben: »Do we need a European Research Council?« Darüber steht in kleinerer Schriftgröße die Phrase »Towards a European Research Area«, darunter – ebenfalls kleiner geschrieben – der Hinweis: »Copenhagen, October 7–8, 2002«. Die beiden Zeilen rahmen die Überschrift ein und unterbrechen die sequentielle Lesegewohnheit. Entlang einer pragmalinguistischen ThemaRhema-Progression ist nicht klar zu entnehmen, welche Überschrift die Hauptaussage des Dokuments trägt. Konkret gefragt: Welche Phrase ist als Thema, also als eine bekannt vorauszusetzende und durch einen wie auch immer gearteten Kontext bereitgestellte Information zu bewerten, und welche Phrase ist als Rhema einzuschätzen, d. h. als eine neue, kommunikativ relevante und auf eine Frage antwortende Information?18 In der Gestaltung der Schriftgröße mag das Rhema bei der Phrase »Do we need a European Research Council?« liegen, nicht aber in einer sequentiellen Lesart. Diese Konfusion bestätigt auch der konkrete Aussageninhalt der beiden Phrasen: »Towards a European Research Area«19 vermittelt einen zeitlich offenen Prozess oder ein räumlich gedachtes Zuwenden oder Nähern (»towards«), das durch die Metapher des Raumes jedoch unspezifisch bleibt: Wie groß oder weit der Raum ist, lässt sich nicht abschätzen. Hingegen ist die zu beantwortende Entscheidungsfrage, »Brauchen wir einen Europäischen Forschungsrat?«, sehr konkret gestellt. Unerheblich, wie sie beantwortet wird, sie scheint zu einem noch nicht existierenden Forschungsraum beizutragen bzw. eine Hinwendung 18 Es ergibt sich eine Mehrdeutigkeit, weil nicht einschätzbar ist, ob es sich unter linguistischen Gesichtspunkten um eine lineare Progression handelt oder um einen so genannten thematischen Sprung. 19 Zur Deutung der Metapher des »Europäischen Forschungsraums«, siehe Kap. 6.3. Um dem vorzugreifen, bezeichnet diese Metapher des ERA den Versuch, einen primär der Wissenschaft zugeschriebenen Handlungsmodus (»Forschung«) politisch zu verräumlichen. Die Funktion dieser Verräumlichung scheint in der Bekräftigung europapolitischer Zuständigkeit zu liegen. Mithin werden innerhalb der Europäischen Union nationalstaatliche und funktionssystemspezifische (Wissenschaft, Wirtschaft, Politik usw.) Relevanzen infrage gestellt und geostrategische Abgrenzung sowie Zentralität nach außen manifestiert. 185 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK zu einem bereits existierenden Europäischen Forschungsraum (mit) zu vollziehen. Andererseits ist mit Blick auf den weitaus größer geschriebenen Titel davon auszugehen, dass erst nach der Prozessvollendung oder der Zuwendung zu einem Europäischen Forschungsraum die Frage gestellt werden muss, ob es eines Europäischen Forschungsrates bedarf. In dieser Lesart würde sich der Prozess hin zu einem Europäischen Forschungsraum einer ERC-Gründung unterordnen. Als Entscheidungsfrage wirkt der Titel, »Do we need a European Research Council?« angesichts der anberaumten Diskussionszeit von zwei Tagen (»October 7–8«) seltsam: Man kann ohne Weiteres unterstellen, dass ein Veranstalter kein Interesse hat, eine feierliche Veranstaltung zu organisieren und eine Vielzahl von möglicherweise wichtigen Gästen einzuladen, um schließlich die ins Zentrum gestellte Frage selbst zu verneinen oder kollektiv verneinen zu lassen. Der Konferenztitel ist als rhetorische Frage interpretierbar, deren Sinn in der Absicherung und Bestätigung einer Aussage durch ein Gegenüber liegt; im besten Fall sollte ein Rest von Zweifel unter den Beteiligten bzw. einer breiteren Öffentlichkeit ausgeräumt werden.20 Auffällig ist in der Frage zudem die Subjektbezeichnung (»we«), welche bereits eine Selbstbeschreibung als Kollektiv voraussetzt. Die Frage zielt darauf ab, entweder unter den Konferenzbeteiligten oder unter allen Lesern ein Wir-Gefühl a priori zu setzen. In einer weitreichenden Deutung wird sich jede Person, die den Konferenzbericht zur Kenntnis nimmt, als Teil eines Kollektivs 20 Sascha Bechmann (2010) veranschaulicht sprechakttheoretisch, dass rhetorische Fragen zumeist einen persuasiven Effekt im Hörer auslösen sollen, dieser also der Meinung des Sprechers folgt. Aus einer pragmalinguistischen Betrachtung heraus sind rhetorische Fragen weder semantisch noch pragmatisch mit Interrogativsatztypen – alltagsprachlich: Fragen – verwandt. Hingegen lassen sie sich als »indirekte assertive Sprechakte« (Bechmann 2010, S. 62–63) zusammenfassen, insofern der primäre Zweck oder das Motiv eines Sprechaktes nicht eindeutig in der sekundären Illokution, also dem wörtlichen Ausdruck des Gesagten oder Geschriebenen, verwirklicht wird. Somit können im Gegensatz zu anderen indirekten Redeformen keine semantischen oder pragmatischen Einschätzungen bezüglich der Qualität einer rhetorischen Frageaussage getroffen werden. Kurzum: Rhetorische Fragen »lassen keine Antwortalternativen oder Ausweichungen zu« (ebd., S. 35), sondern »erfüllen […] eine wesentliche kommunikative Funktion, indem sie über den Weg der Indirektheit dazu dienen, eine Meinung auszudrücken und diese dem Gesprächspartner gewissermaßen aufzudrängen«. (ebd., S. 118). ähnlich wie bei der Konventionalisierungsleistung durch Metaphern (vgl. Lakoff und Johnson 1980) setzt der Einsatz von rhetorischen Fragen ein Mindestmaß institutionalisierter Erwartungen oder auch eine Transformation von explizitem in »Allerweltswissen« (Berger und Luckmann 1980, S. 16) voraus; in der Linguistik wird diese Transformation »Lexikalisierung« genannt. Für die Analyse dieses Dokuments heißt dies: Allein durch ihr Erscheinen bestätigen die Konferenzgäste aus der Gewohnheit heraus die Notwendigkeit eines Europäischen Forschungsrats. 186 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN angesprochen fühlen müssen und implizit die gestellte Frage nicht individuell beantworten, d. h. schlimmstenfalls verneinen können. Unter der Titelfrage steht in gleichgroßen Buchstaben »Summary Report« geschrieben, darunter, am Seitenende der Satz: »Conference organised by the Danish Research Councils«. Die Phrase deutet zunächst auf die Verfasser des Dokuments hin, allerdings steht auf der Rückseite des Broschürenumschlags die Adresse der »Danish Research Agency«. Somit scheint eine Differenz zwischen Konferenz- und Dokumentenurheberschaft zu bestehen: Entweder haben die Forschungsräte die Konferenz organisiert, während eine dänische Forschungsagentur die gesamte Broschüre erstellte. Oder die dänischen Forschungsräte haben sowohl die Konferenz organisiert als auch das Protokoll der Konferenz erstellt, während die Forschungsagentur durch das Hinzufügen des Broschürenumschlags (zeremonielle) Bedeutung inszenierte. Mit Blick auf die sich bereits andeutenden Lesarten jedoch bleibt zu klären, welche Funktion der Konferenzbericht selbst eigentlich erfüllt. Die bisherige Ausdrucksgestalt des Dokuments lässt Zweifel aufkommen, ob tatsächlich über die Notwendigkeit, einen ERC einzurichten, noch ernsthaft diskutiert werden musste. Besonders der Konferenztitel in Gestalt einer rhetorisch anmutenden Frage nährt diese Bedenken. Zudem suggeriert die nachträgliche grafische Überarbeitung, dass einem Urheber wichtig erschien, darauf hinzuweisen, dass eine Vielzahl von Personen mit Rang und Namen die Option eines ERC überhaupt öffentlich diskutiert habe. Dies würde voraussetzen, dass der ERC das zentrale Anliegen der Konferenz gewesen ist, was noch nicht eindeutig festgemacht werden kann. Ableitend aus der Schriftgröße des Titels kann davon zwar ausgegangen werden, dass sequentiell gelesen die Titelfrage hintan steht, währenddessen der Entstehungsprozess oder die Hinwendung zu einem europäischen Forschungsraum vordergründig wirkt. Auf der zweiten Seite des Konferenzberichts steht das Inhaltsverzeichnis. Von einer grafisch mehr oder weniger aufwendig gestalteten Broschüre kann jetzt nicht mehr die Rede sein. Zunächst wird der Titel der Konferenz in einem rechteckigen Rahmen aufgegriffen. Unterhalb des Verweises auf die Organisatoren der Konferenz ist derselbe Titel wie auf dem Broschürenumschlag zu lesen. In der ersten Zeile steht: »Towards a European Research Area«, darunter die Zeile: »Do we need a European Research Council?«. Zweierlei fällt auf: Erstens zeigen die beiden Überschriften die gleiche Schriftgröße, es kann hier nicht mehr anhand des Layouts zwischen Überschrift und Unterüberschrift differenziert werden. Damit dominiert die Logik des sequentiellen Lesens, der zufolge die Aussage »Towards a European Research Area« im Zentrum steht. Allerdings werden die beiden Überschriften nun durch einen Doppelpunkt aufeinander bezogen. ähnlich eines Konditionalprogramms (einer Wenn-Dann-Aussage) liest sich die (vermutlich) rhetorisch gestellte 187 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Entscheidungsfrage zu einem ERC als Prozesselement zur Vollendung eines Europäischen Forschungsraums. Unterhalb des Rechtecks findet sich nun das eigentliche Inhaltverzeichnis, bestehend aus zehn Gliederungspunkten und Seitenangaben. Der erste Punkt, »Preface« weckt die Erwartung, dass sich eine unspezifische Leserschaft für die Vorgeschichte der Konferenz interessieren könnte; und diese Geschichte könnte Teil eines Grußwortes sein. Die Nachbearbeitung der Broschüre lässt aber auch die Annahme zu, dass eben ein solches Geleitwort erst nachträglich erstellt wurde, um auf ihre möglicherweise erst später sich entfaltende Bedeutung hinzuweisen oder um sie in Bezug zu vorherigen, parallel stattfindenden oder nachherigen Ereignissen setzen zu können. Unter dem Hinweis des »Preface« steht die Überschrift »Main Points«. Zu erwarten ist, dass hier die wichtigsten Konferenzinhalte kurz zusammengefasst werden, die in Policy-Dokumenten oder Expertisen üblicherweise unter dem Schlagwort einer »Executive Summary« vorzufinden sind, die unter Zeitnot leidenden Entscheidungsträgern einen schnellen Überblick über Verhandlungsgegenstände verschaffen soll. Erst danach erfolgt ein mit den Ziffern Eins bis Sechs untergegliedertes Inhaltsverzeichnis. Nach dem Geleitwort und dem Punkt Hauptaspekte wird nun zunächst eine weitere Einleitung (»1 Introduction«) angegeben, was zum einen der vermutlich multiplen Urheberschaft geschuldet sein könnte. Andererseits kann diese zusätzliche Einleitung auch auf eine inhaltliche Trennung zwischen dem Kontext der Konferenz und ihrem Inhalt hindeuten: Während das Vorwort bspw. eine Verbindung zwischen dem ERC und einem Europäischen Forschungsraum herstellte, würde sich der eigentliche Inhalt des Konferenzprotokolls in den Punkten 1 bis 6 ausschließlich dem ERC widmen. Die Deutung, dass es sich bei dem Konferenztitel um eine rhetorische Frage handelt, bestätigt sich die nun folgenden Inhaltsüberschriften. Denn ohne eine positive Stellungnahme zu der Entscheidungsfrage, »2 Do we need an ERC?«, könnten erst gar keine Gründe für die Etablierung (»3 Why an ERC?«) dieser Einrichtung genannt, v. a. aber nicht bereits deren Eigenschaften (»4 Characteristics of an ERC«), Förderung (»5 Funding of an ERC«) und erste Schritte zur Entstehung (»6 First Steps towards an ERC«) aufgeführt werden.21 Erhellend ist zudem ein Blick auf die jeweils veranschlagten Seitenzahlen der einzelnen Gliederungspunkte. Während die ersten drei Aspekte, d. h. die Einleitung, die Entscheidungsfrage und die Gründe, insgesamt zwei Seiten Text bedürfen, scheint es aufwendiger gewesen zu sein, Diskussionen um Eigenschaften, Förderbedingungen und über die Agenda zur Etablierung des ERC zusammenzufassen. Damit nicht genug, wird doch ein 21 Anders wäre es, wenn die Punkte eins bis fünf als Unterpunkte der Frage aufgeführt würden, ob es eines ERC bedürfe. 188 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN »Issue Paper« in einen Appendix ausgelagert. Dass die Frage des ERC ein »Issue«, mit anderen Worten ein diskussionswürdiges oder gar umstrittenes Thema, darstellen könnte, wird von der eigentlichen Konferenz getrennt betrachtet.22 Zuletzt wird das »Conference Programme« als ein zweiter Appendix aufgeführt; hier ist eine Auflistung der einzelnen Teilnehmer, Zeit- und Ortsangaben sowie gegebenenfalls Überschriften und Zusammenfassungen einzelner Programmpunkte zu erwarten und nicht weiter auffällig. 6.3.2 Zum »Preface«: Was geschah, ist unumkehrbar Der erste Satz des »Preface« fokussiert sich auf die Beziehung zwischen dem ERC und dem ERA: »The vision of a European Research Area has given new strength to the idea of setting up a European research council (ERC).« Erst die Vision eines Europäischen Forschungsraums scheint der bereits zuvor diskutierten Idee, einen ERC einzurichten, neue Bedeutung verliehen zu haben. Eine eindeutige Chronologie der Abfolge dieser Ereignisse lässt sich nicht festmachen, jedoch ist aber zu vermuten, dass Diskussionen um einen ERC zuerst geführt worden waren, die erst mit der Vision eines Europäischen Forschungsraums Fahrt aufnehmen konnten. Mithin entkräftet dieser Einleitungssatz die unidirektionale Lesart, der ERC sei lediglich Mittel, um den Europäischen Forschungsraum als Zweck zu erfüllen. Hier wirkt die Vorstellung eines Europäischen Forschungsraums wie eine Art Überbau, durch den spezifische Elemente, wie die Etablierung einer Grundlagenforschungsförderorganisation, erst legitimiert werden konnten. Dies schließt allerdings nicht aus, dass seine Elemente nicht auch reflexiv zur Verfestigung der Leitidee instrumentell sein können. Auffällig an der Formulierung »a European research council« ist zudem ihre Unbestimmtheit und ihr verhaltener Charakter: Noch wird einem »[r]esearch [c]ouncil« – man beachte die Kleinschrift – kein Eigenname zugebilligt. Hingegen mag der Europäische Forschungsraum als Leitidee bereits Strukturwirksamkeit entfalten; er erhält bereits einen Eigennamen. Im den nächsten zwei Sätzen ordnet der Text die Konferenz als Element einer bereits laufenden Diskussion ein: 22 Möglicherweise ist dieses Papier den Konferenzteilnehmern in Vorbereitung zugesandt worden. Es könnte aber auch nachträglich beigefügt worden sein; dies würde dem Charakter eines »Summary Report« allerdings Lügen strafen. 189 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK »The discussion on an ERC began during the Swedish EU Presidency in the first half of 2001. To discuss and analyse the topic, the Danish Research Councils organised a conference in Copenhagen in October 2002.« Zu entnehmen ist, dass ein politisches Agenda-Setting zur ERC-Frage durch die schwedische EU-Ratspräsidentschaft initiiert wurde. Weiß man um die halbjährige Dauer von EU-Ratspräsidentschaften, so verrät der Satz, dass der ERC nicht im Interesse zweier nachfolgender EU-Ratspräsidentschaften gestanden haben kann.23 Als Konferenzorganisatoren mögen die dänischen Forschungsräte also vor der schwierigen Aufgabe gestanden haben, eine bereits politisch erloschene Diskussion wieder anzufachen.24 Ob ihre Vorbereitungen auf die hier dokumentierte ERCKonferenz bereits jene Diskussionen wieder stimulieren konnten oder diese aus ganz anderen Gründen wieder entfachten, ist dem Satz nicht zu entnehmen. Immerhin geben die Organisatoren an, dass sie aus einem regelrechten Andrang von Interessierten selektieren mussten: »During the planning of the conference, discussions on an ERC gained further momentum, creating strong interest in the event, which enabled us to put together a programme of eminent speakers and attract highlevel participants.« Der Hinweis, dass Konferenzinteressierte entlang ihrer Stellung als angesehene Sprecher (»eminent speakers«) und als Teilnehmer hohen Ranges (»high-level participants«) ausgewählt wurden, bekräftigt die Lesart, dass im Text nachträglich Bedeutung inszeniert werden musste.25 Insofern besonders die gesellschaftliche Stellung der Teilnehmer hervorgehoben wird, haben komplexe Inhalte, die der Einschätzung kompetenter Experten bedürfen, gar nicht im Vordergrund der Konferenz gestanden. Mit anderen Worten: Man hätte angesichts des zu verhandelnden Themas auch den Verweis auf eine Selektion von »competent experts« oder auf eine Gruppierung hochrangiger und fachkompetenter Teilnehmer erwarten können. Reputation und Ansehen haben aber wohl ausgereicht, um politisch Aufmerksamkeit erzeugen zu können. »We are happy to see that EU ministers for research will be discussing the idea of an ERC at their next Council meeting.« 23 Denn diese EU-Ratspräsidentschaften – die belgische und hernach die spanische – werden nicht erwähnt. 24 Der Verweis auf den zeitweiligen Abbruch des Agenda-Settings lässt rückschließen, dass die Vision eines Europäischen Forschungsraums womöglich (noch) nicht jene Bindekraft hatte, wie sie ihr in dem vorherigen Satz zugeschrieben wurde. 25 Die im nächsten Satz geäußerte Entschuldigung, »[u]nfortunately, we also found ourselves in a position of having to turn down requests for participation«, bestätigt diese Interpretation eindrucksvoll. 190 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN An dieser Formulierung fällt auf, dass sie zwar keinen explizit kausalen Zusammenhang zwischen der Konferenz und dem Ratstreffen europäischer Forschungsminister machen will, jedoch wirkt der Hinweis auf das anstehende Ministerratstreffen in sequentieller Lesart suggestiv: Die Geleitwortgeber verweisen auf eine erloschene Diskussion und betonen, dass diese erst im Zuge ihrer Einladung zu einer weiteren Konferenz wieder entfacht bzw. dass das Treffen wohl gerade zum richtigen Zeitpunkt organisiert worden war. Das Interesse an der ERC-Frage sei dann so hoch gewesen, dass man mühelos unter einer Vielzahl von Interessierten wichtige und hochangesehene Personen auswählen konnte. Das Zusammentreffen dieser Persönlichkeiten habe dann soviel Aufmerksamkeit erzeugt, dass nun auch die Forschungsminister der EU-Mitgliedstaaten über einen ERC diskutieren würden. Die darauffolgende Aussage, dass die Konferenz von einer lebhaften Diskussionskultur geprägt gewesen sei und jeder, der sprechen wollte, hierzu auch Gelegenheit bekommen habe, erweckt einen seltsamen Eindruck: »The discussion at the conference was lively and everybody who asked for the floor got the opportunity to speak.« Denn in Anbetracht der zuvor beobachteten Bedeutungsprogression – am Ende werden sich der ERC-Idee sogar die Minister widmen! – wirkt der Verweis auf eine lebhafte Diskussionskultur zunächst fehlplatziert. Interpretiert man die Konferenz allerdings als Entscheidungsvorlage für das anstehende Ministertreffen, ist der Hinweis durchaus plausibel. Einerseits affirmiert der Pleonasmus »lebhafte Diskussion«, dass das Anliegen um den ERC nicht mehr totgeschwiegen werden kann. Mehr noch, scheint die Entscheidungsfrage, ob es eines ERC bedürfe, insofern bejaht, als dass jedermann die Gelegenheit erhielt, sich zu der Frage zu äußern. Ablehnende Haltungen von Konferenzteilnehmern zum ERC würden keinerlei Geltung mehr haben, sofern sie nicht auf der Konferenz öffentlich äußerten wurden. Man kann diesen Satz deshalb als Mahnung verstehen, v. a. wenn man sich die politische Praxis europäischer Governance vor Augen führt: Nach der Konferenz werden die Gäste – man stelle sich die Leiter nationaler Wissenschaftsorganisationen vor – untereinander sowie mit den für Forschung zuständigen Ministern Rücksprache gehalten und letzteren Positionsempfehlungen für oder gegen die Unterstützung eines zu gründenden ERC abgegeben haben. Um eine barsche Absage gegenüber der ERC-Initiative zu verhindern, wird im Text vorsorglich daran erinnert, dass man sich zu einem früheren Zeitpunkt bereits hätte positionieren können. 191 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Die mit dem letzten Satz des Geleitwortes adressierte Danksagung lässt v. a. Rückschlüsse auf den Charakter der Konferenz zu: »We should like to thank the speakers, the workshop chairs, the members of the organising committee and all the participants for their contributions.« Der Verweis auf mehrere Sprecher und Workshops einschließlich deren Leitung ähnelt dem eines Aufbaus wissenschaftlicher Konferenzen. Abermals bestätigt sich implizit die Deutung, dass durch die Konferenz keine Entscheidungsfrage zum ERC mehr beantwortet werden musste, sondern bereits in einer Reihe von »Workshops« Detailfragen über dessen Finanzierung, Ausgestaltung, Förderlinien und dergleichen besprochen wurden. Das Geleitwort, welches einen Monat nach der Konferenz (»November 2002«) verfasst wurde, schließt mit einer Unterschrift des Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden des »Board of the Danish Research Councils«. 6.3.3 Die »Hauptpunkte« als Entscheidungszumutung Auf den nächsten zwei Seiten des Konferenzberichts verzeichnet stehen die »Main Points«. Auffällig an der Gestaltung dieser Seiten ist zunächst ihr abweichendes Schriftbild: Die Größe der Buchstaben erinnert an Power-Point-Präsentationen, dem entsprechend die Aneinanderreihung von Phrasen durch Aufzählungszeichen (Bullet Points). Es scheint, also ob zwischen dem Geleitwort und der Einleitung eine Art »Sprechzettel« oder »Memo« zum schnellen Lesen oder zur weiteren Verbreitung, bspw. in Form von kurzen Präsentationen eingeschoben wurde. Genauer: Die Hauptpunkte werden dem eigentlichen Konferenzbericht vorgezogen. Lesern mit knapper Zeit sollten diese Punkte reichen.26 Für all diejenigen hingegen, die Entscheidungen gern wohlüberlegt treffen, müsste dieser Sprechzettel mit seinen vorgezogenen Schlussfolgerungen eine Zumutung darstellen, denn er suggeriert: ›Ich sage euch, was euch zuerst zu interessieren hat.‹ Unter der Überschrift »Do we need an ERC?« stehen die folgenden zwei Sätze unter einem Aufzählungszeichen: »A clear majority of the interventions at the conference found that the time had come to begin setting up an ERC which will fund and coordinate basic research at European level. A few interventions questioned the need for such a body.« 26 Der vorherige Verweis auf ein bald anstehendes Ministerratstreffen zum Thema ERC könnte bspw. der Anlass eines Redakteurs gewesen sein, die wesentlichen Punkte vor den Konferenzbericht zu stellen. 192 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN Nochmals bestätigt der Aussageninhalt eindrücklich den rhetorischen Charakter der Titelfrage: Nur wenige Teilnehmer scheinen Zweifel an der Notwendigkeit eines ERC geäußert zu haben, eine klare Mehrheit habe sich dafür ausgesprochen. Der Hinweis auf jene »klare Mehrheit von Einmischungen« erstaunt. Im politischen Nomos rekurriert der Begriff der »intervention« auf einen quasi-parlamentarischen Diskussionsakt. Der Verweis auf eine »klare Mehrheit« vermittelt ebenfalls das Bild einer parlamentarischen Auseinandersetzung und Abstimmung, auch wenn der Begriff des Votums nicht verwendet wird. Es bleibt offen, ob die wenigen Diskussionsbeiträge (»a few interventions«), welche die Notwendigkeit des ERC anzweifelten, in actu der Auseinandersetzung nunmehr für die Einrichtung des ERC überzeugt werden konnten. Fest steht jedoch, dass der Darstellung zufolge nur wenige Einwände gegen die Einrichtung des ERC vorgebracht worden waren, was den persuasiven Effekt der rhetorischen Frage bekräftigt. Die Aufgaben des ERC beschreibt der erste Satz ebenfalls: Nicht nur gehe es um die Förderung, sondern auch um die Koordinierung von Grundlagenforschung auf der europäischen Ebene. Es liegt also nahe anzunehmen, dass alle Teilnehmer im Bilde darüber waren, worum es in der Diskussion gehen wird. Unspezifisch bleibt, was unter jener europäischen Ebene (»European level«) gemeint sein könnte. Geht es um eine zusätzliche Organisation, die neben nationalen Förderern Gelder für Grundlagenforschungsprojekte bereitstellt, bedeutet Koordinierung auf der europäischen Ebene, dass nationale, trans- und supranationale Organisationen in ihrer Forschung und/oder Forschungsförderung koordiniert werden, oder sollen Forschungsförderorganisationen gar durch einen ERC ersetzt werden? Bezieht sich die Förderung und Koordinierung auf politische Zuständigkeitsbereiche, die (territorial) außerhalb der EU liegen, aber dennoch Europa zugerechnet werden? Diese Kontingenz ist mit dem Verweis auf eine europäische Ebene aufgerufen. Eine wohlwollende, d. h. sparsame und wörtliche Deutung muss zu dem Schluss kommen, dass das Ziel der ERC-Gründung in einer – territorial und politisch – gesamteuropäischen Förderung von Grundlagenforschungsvorhaben liegt: Aufgerufen sind damit die Finanzierung neuer Vorhaben und die Koordinierung bereits bestehender Grundlagenforschungsvorhaben einschließlich ihrer Fördermaßnahmen. Mit der nächsten Überschrift »Why an ERC?« ist eine Zusammenfassung von Begründungsformeln aus der Diskussion der Konferenzteilnehmer zu erwarten. Die unter der Überschrift zusammengefassten fünf Punkte lassen allerdings Zweifel aufkommen, ob deren Gründe hier überhaupt zusammengetragen worden sind. Denn mit dem ersten Satz wird abrupt ein ganz anderes Thema aufgerufen: 193 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK »The Lisbon Summit set the goal that Europe should become the world’s leading knowledge economy by 2010. New instruments of research funding are needed to enable Europe to catch up with its competitors.« Auffällig ist, dass der Satz gänzlich neue Informationen anführt. Zunächst ist über irgendein Gipfeltreffen in Lissabon zu lesen, auf dem das Ziel festgelegt wurde, dass Europa bis zum Jahr 2010 die weltweit führende Wirtschaft in Bezug auf Wissen werden müsse.27 Damit wird die vorab gestellte Frage, weshalb es einer Grundlagenforschungsfördereinrichtung bedürfe, ausschließlich unter das Primat der Wirtschaftsförderung gestellt. Die Aussage des zweiten Satzes fußt auf der uns bekannten Defizitanalyse einer technologischen Lücke (vgl. Kap. 4); sie ist als eindringliche Warnung zu verstehen: Europa geriete gegenüber Wettbewerbern ins Hintertreffen und müsse entsprechend einer Wettbewerbslogik aufholen. Wer die »competitors« Europas sein sollen, wird nicht benannt, ebenso wenig wird eine Begründung gegeben, welche neuen Forschungsförderinstrumente (»new instruments«) weshalb und wie bei einer wirtschaftlichen Aufholjagd hilfreich sein könnten.28 Überhaupt erstaunt der Begriff der Forschungsförderinstrumente an dieser Stelle, und zwar zum einen aufgrund des Plurals, geht es hier doch um eine einzige Forschungsfördereinrichtung. Zum anderen schmälert der Begriff des Instrumentellen die kolportierten Kompetenzen der zuvor eingeführten Körperschaft des ERC, die über die Forschungsförderung hinaus eine gesamteuropäische Koordinierung von Grundlagenforschungsvorhaben übernehmen soll. Hingegen assoziiert man mit einem Instrument lediglich ein Förderprogramm einer oder mehrerer bereits existenter Organisationen. Damit deutet sich bereits hier der soziale Konflikt an, welche Organisationsform der ERC bekommen solle (siehe Kapitel 2 und 5): Wird der ERC als eigenständige Organisation konzipiert oder als eine Fördermaßnahme unter der ägide einer oder mehrerer Förderorganisationen? Die Frage ist an dieser Stelle nicht beantwortbar, in jedem Fall liegt in der Etablierung des ERC aber der instrumentelle Zweck europäischer Wirtschaftsförderung begründet. Der nächste Satz wirft ein ähnliches Problem auf wie der vorherige: Er erweitert Kontingenz, anstatt sie zu reduzieren. Denn mit Blick auf die Überschrift, »Why an ERC?«, finden sich keinerlei plausible Begründungen, sei es in Gestalt von Abwägungen oder koordinierenden, subordinierenden und präpositionalen Konjunktionen. Auch lässt sich keine 27 Angesichts der weiten Zielsetzung und Zuständigkeit ist von einem Treffen europäischer Staats- und Regierungschefs auszugehen. 28 Begründbar wäre ja auch eine Stärkung bereits existierender Förderinstrumente, insofern die sie bereitstellenden Organisationen Erfahrung mitbringen und Transaktionskosten zum Aufbau einer neuen Organisation gering gehalten werden könnten. 194 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN Verknüpfung zu der vorherigen Inhaltsaussage herstellen. Stattdessen ist die Mahnung erkennbar, die EU und ihre Mitgliedstaaten seien seit einem weiteren Gipfeltreffen – diesmal in Barcelona – ihren gesteckten Zielen nicht nachzukommen, bis zum Jahr 2010 drei Prozent ihrer Bruttoinlandsprodukte für F&E zu investieren. Entsprechend müssten sie sich in den nächsten Jahren sehr anstrengen (»will have to invest heavily«), wenn sie dieses Ziel noch erreichen wollten: »The EU and its member states will have to invest heavily over the next years to reach the target of the Barcelona Summit that EU R&D investments should approach 3 % of GDP by 2010.« Was aus diesem, wie auch dem vorherigen Satz gelesen werden kann, ist vordergründig ein Dringlichkeitsappell: Werden nicht ausreichend Einnahmen in F&E reinvestiert, drohen der EU und den Volkswirtschaften ihrer Mitgliedstaaten noch herbere Verluste gegenüber Konkurrenten, die schon jetzt überlegen seien (siehe; die vorherige Aussage). Durch die Verknüpfung volkswirtschaftlicher Abhängigkeit von technologischer Suprematie greift die Aussage die seit den 1960er-Jahren angewandte politische Begründungsformel europäischer Integration im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik auf (siehe Kapitel 4.2). Noch expliziter wird diese Begründungsformel im nächsten Aufzählungsszeichen: »Europe must be made more attractive for industrial R&D investment in order to increase industry’s share of the total R&D investments in accordance with the Barcelona target.« Hier wird ein Gesamteuropa als Subjekt adressiert und nicht nur, wie zuvor, die EU und ihre Mitgliedstaaten. An wen sich auch immer der Appell (»Europe must«) richtet, es geht um die Attraktivitätssteigerung privatwirtschaftlicher Investitionen in industrielle Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen. Aufschlussreich ist hierbei das übergeordnete Ziel: Gemessen an allen Investitionen in F&E soll der Anteil von Industrieunternehmen gesteigert werden. In welchem Zusammenhang dies mit der Forderung nach neuen Instrumenten oder der Gründung ganzer Organisationen zur Förderung von Grundlagenforschung stehen mag, ist jedoch nicht erkennbar. Es lassen sich noch nicht einmal hinreichende Gründe ableiten, weshalb der Anteil von Unternehmensinvestitionen in F&EMaßnahmen gegenüber öffentlichen Ausgaben überhaupt wachsen sollte. Selbst wenn von einer mit genügend (europa- und wissenschaftspolitischem) Kontextwissen ausgestatteten Leserschaft ausgegangen würde, so müsste ihr auffallen, dass die unter der Überschrift genannten Gründe bisher keine plausiblen Antworten auf die offene Frage liefern, warum es eines ERC bedarf. Diese Erwartung löst auch der folgende Satz nicht ein. Weder wird ein kausaler Zusammenhang zur Einrichtung eines ERC aufgespannt 195 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK noch dessen spezifische Funktionen – Förderung und Koordinierung von Grundlagenforschung – begründet. »Research is increasingly collaborative across borders and in many fields there is a need to combine efforts and reach critical mass.« Die Aussage stellt auf Forschung im Allgemeinen ab. Alle bisherigen Spezifizierungen, wie Grundlagenforschung oder »industrial R&D« können darunter subsumiert oder gar vermischt werden. Durch diese Öffnung wird Kontingenz erweitert, ebenso wie durch die Einführung sozialer und räumlicher Zuschreibungen an Forschung: Der Hinweis »Research is increasingly collaborative« stellt auf eine Zusammenarbeit von mindestens zwei Personen ab, analog zur Formulierung grenzüberschreitender Handlungen (»across borders«) bleibt er allerdings unspezifisch. Zwar mag mit dem Topos Europa eine Überwindung territorialer Grenzen aufgerufen sein, allerdings können sich die Grenzen auch auf Wissenschaftsbereiche oder gar Funktionssysteme beziehen, wie Wissenschaft und Wirtschaft. Eigentümlich wirkt in dieser Phrase aber v. a. die aufgerufene Zeitdimension; wörtlich: Forschung ist in zunehmendem Maße eine grenzüberschreitende Gemeinschaftshandlung.29 Insofern der verbial bezifferte Ist-Zustand (»is«) augenscheinlich mit einer Prozess- bzw. Verlaufsbeschreibung (»increasingly«) zusammenfällt, vermittelt der Text abermals eine gewisse Dringlichkeit, insofern sich eine Zeit – Vergangenheit oder Zukunft – schlagartig in der Gegenwart kondensiert: Jetzt, also momentan, kommt es zu einem womöglich plötzlichen Anstieg grenzüberschreitender und gemeinschaftlicher Forschung, und hierauf müsse reagiert werden, so der zweite Hauptsatz: »[…] and in many fields there is a need to combine efforts and reach critical mass.« Was seltsam an der Bezugnahme der beiden Phrasen erscheint ist, dass sich aus der Beschreibung einer plötzlichen Zunahme grenzüberschreitender, gemeinschaftlicher Forschung nicht automatisch der eben zitierte Handlungsbedarf ableitet. Die Unplausibilität des Arguments zeigt sich darin, dass der Text nahelegt, beide Hauptsätze kausal aufeinander zu beziehen.30 Paraphrasiert lautete der Satz: Weil Forschung zunehmend gemeinschaftlich über Grenzen hinweg geleistet wird, müsse man Anstrengungen zusammenführen und eine kritische Masse erzeugt werden. Ein Kausalzusammenhang kann hier nicht erschlossen werden; 29 Erwartbar wäre das Perfekt beziehungsweise die vollendete Gegenwart (im Englischen: present perfect) gewesen. 30 Gewiss ließe sich bestreiten, dass durch die »und« Konjunktion beide Hauptsätze kausal oder konditional aufeinander bezogen werden sollen. Andererseits lässt sich keine andere Erklärung finden, weshalb sonst die Hauptsätze syntaktisch innerhalb eines Satzes zusammengeführt werden müssen. 196 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN eigentlich macht nur die gegenteilige Aussage Sinn: Wenn grenzüberschreitend und gemeinschaftlich geforscht wird, braucht es eben keine Anstrengungen mehr, diesen Zustand herbeizuführen. Hinzu kommt, dass aus der Metapher »kritische Masse« nicht klar wird, für was und welche Art kritische Masse erzeugt werden muss.31 Somit bleibt weiterhin zu konstatieren, dass bisher keine plausible Antwort auf die Frage geliefert wurde, weshalb ein ERC nötig ist. Der Satz deutet ein weiteres Mal auf eine politische Inszenierungsleistung hin. Auch hier ist der Schluss möglich, dass erst gar nicht inhaltlich argumentiert werden sollte, solange Phänomene die wirtschaftspolitische Relevanz des EU-Binnenmarktes untermauern können. Die bisher interpretierten Aufzählungen von Gründen zeugen allerdings weniger von Argumenten, sondern suggerieren eher eine »demonstrative Eile […], daß nichts mehr ›ausdiskutiert‹ werden kann. Alles Ernsthafte und Schwierige wird vertagt« (Luhmann 1984, S. 268; vgl. auch S. 255ff.). Wendet man sich dem letztgenannten Grund für die Notwendigkeit eines ERC zu, so lässt sich eventuell die bisher einzige Antwort finden, die eine gewisse Plausibilität verspricht: »Competition for funding on a European scale will stimulate the best research groups in Europe to perform even better and will help attract and retain the best young scientists.« Im Zentrum dieser Aussage steht die Forderung nach einem europaweiten (»European scale«) Wettbewerb um finanzielle Ressourcen, an dem die besten Forschergruppen in Europa teilnehmen sollen. Dass dieses »funding on a European scale« durch den ERC selbst bereitgestellt würde, ist allerdings nicht explizit herauszulesen. So könnte der geforderte Wettbewerb um eine Forschungsförderung auch lediglich durch den ERC koordiniert werden, während andere Organisationen daraufhin Fördergelder bereithalten würden. Gleichgültig, ob ein ERC selbst über Fördermittel verfügen oder lediglich andere Förderorganisationen koordinieren wird, der Sinn des »Competition for funding« scheint in der Herstellung eines Vergleichs der besten Forschungsgruppen in Europa zu liegen, mit dem Ziel, dass diese ihre Leistungen noch weiter steigern. Augenscheinlich an dieser Formulierung ist, dass sie einen geradezu klassischen, wissenschaftspolitischen Widerspruch zum Ausdruck bringt. Denn einerseits ließe sich in die Forderung nach wettbewerblicher Koordinierung von Forschergruppen eine gewisse Einsicht politischer Entscheider hineindeuten: Bedingt durch die Wissensasymmetrie zwischen dem Wissenschafts- und dem politischen System steuert letzteres 31 Dass mit dieser vorliegenden Sinnsequenz die wissenschaftspolitische Begründungsform einer in jeder Hinsicht grenzüberschreitenden Verbundforschung aufgerufen ist, welche mit dem Leitbild der ERC-Förderung partiell unvereinbar ist, soll an dieser Stelle ein Vorgriff sein, der nicht Teil der Deutungsmusteranalyse ist. 197 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK selten die Inhalte und Prozesse wissenschaftlicher Wissensproduktion. Mithin hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass über eine wettbewerbliche Verteilung von Ressourcen zumindest eine randständige Koordinierung des Wissenschaftssystems möglich sei (Braun 1998; van der Meulen 1998).32 Dass diese Koordinierung in Form eines Wettbewerbs um Ressourcen erfolgt, mag zudem von einem Misstrauen des Prinzipals (Politik) gegenüber dem Agenten (Wissenschaft) zeugen. Der Agent muss in der Konsequenz gegenüber Mitbewerbern eine kosteneffiziente Leistungserbringung unter Beweis stellen, die dem Machterhalt des Prinzipals dienlich erscheint, der wiederum selbst als Agent im Interesse einer Wählerschaft oder einer Organisation zu handeln versucht. Demgegenüber ist andererseits der Formulierung, »Competition […] will stimulate the best research groups«, eine gewisse Hybris zu entnehmen: Politische Entscheidungsträger scheinen sich bereits im Klaren darüber zu sein, wer zu den besten Forschergruppen zählt. Ebenso ist man sich sicher, dass ein Wettbewerb eben aus diesen Besten noch höhere Leistungen herausholen könne. Insofern sich diesem Deutungsmuster zufolge die Besten in einer Art sportlichem Wettkampf stets verbessern können, scheint die Betonung auf einem agonalen Wettkampf zu liegen. Hingegen rückt die Sachdimension, wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren, in den Hintergrund.33 Die Analogie zu sportlichen Wettkämpfen insinuiert auch eine Erwartungshaltung, der zufolge einem – wie auch immer gearteten – Publikum spektakuläre Wettkampfereignisse und mithin immer neue Superlative geboten werden müssen. Problematisch scheint v. a. die dahinter liegende Annahme einer planbaren Erfolgslinearität: Solange Wettkämpfe ausgerichtet werden, werden sich die Besten noch weiter verbessern; oder anders formuliert: Trainiert man nur intensiv genug, dann verbessert man sich auch.34 In der Meta32 Dieser Rückzug staatlicher Steuerung wurde in der politikwissenschaftlichen Literatur allerdings auch in anderen Politikfeldern beobachtet. Umschrieben wurden diese Phänomene mit einer Vielzahl von Begriffen, z. B. »Gewährleistungsstaat« (Schuppert 2001), »schlanker Staat« (Naschhold und Bogumil 2000), »aktivierender Staat« (Schuppert 2002) oder auch »Netzwerkstaat« (Castells 2003, S. 355ff.). Diese Begriffe deuten darauf hin, dass neben einer (klassischen) hierarchischen Steuerung vermehrt netzwerk- und marktförmige Koordinationsmechanismen (stellvertr. für viele; Benz 2004) beobachtbar sind. 33 Diese Interpretation korrespondiert mit gesellschaftlichen Diagnosen von Frank Nullmeier (2000), Sighard Neckel (2001) und Hartmut Rosa (2006), denen zufolge eine stärkere Betonung auf sachunspezifische Leistungsvergleiche zwischen Wettbewerbern zu beobachten ist. 34 Problematisch ist nur, dass die politische Koordinierung womöglich zu stark auf das agonale Moment personaler Konkurrenz in der Wissenschaft setzt, so dass feldspezifische und disziplinäre Eigenheiten trivialisiert werden (z. B. Schimank 2010; Flink und Simon 2014) und eine personale Wettkampforientierung mitunter 198 DIE RHETORISCHE FRAGE VON KOPENHAGEN pher des Wettkampfs ist auch angelegt, dass eine Differenzierung entlang unterschiedlicher »Leistungsklassen« (Heintz und Werron 2011, S. 379) etabliert werden könne; das Vergleichsmoment ist dabei global lokalisiert (vgl. Wildavsky 2010, S. 14ff.). Zwar lesen wir, dass sich die besten Forschergruppen in Europa durch einen Wettbewerb um Fördergelder noch weiter verbessern sollen; das Ziel lautet aber: »[to] help attract and retain the best young scientists«. Europa soll als Standort für die besten Nachwuchswissenschaftler attraktiver werden und bereits hier arbeitende Nachwuchswissenschaftler binden können.35 Mit dem letzten Sinnabschnitt des Satzes wird also das Bild eines globalen Wettbewerbs um den besten wissenschaftlichen Nachwuchs gezeichnet. Das interessante an diesem Narrativ eines War for Talents (Michaels et al. 2001) ist, dass der dahinterliegende Diskurs eben nicht mehr systemspezifisch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft differenzieren muss (ebd.; vgl. Criscuolo 2005; McDonnell 2011; Seeber und Lepori 2014). Denn nicht nur liegt mit der Handlung des Forschens »eine universelle soziale Form« vor, »die […] über die Grenzen der Funktionssysteme hinweg in Organisationen mit einem anderen funktionalen Primat exportiert werden kann« (Stichweh 2003, S. 20). Auch scheinen die Handlungssubjekte über das Wettbewerbsmoment ansteuerbar zu sein, wobei es unerheblich scheint, von welchen funktionalen Systemen ausgegangen wird (Kaldewey 2013, S. 380). 6.3.4 Fazit zu Unterkapitel 6.3 Die Konferenz von Kopenhagen wird als Zäsur im Agenda-Setting-Prozess hin zur Etablierung eines ERC gesehen, und zwar aus zwei Gründen: erstens durch die öffentliche Positionierung der dänischen Regierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft, durch die ein Verfahren im Europäischen Rat eingeleitet werden konnte. Zweitens hat sie Akteure überzeugen können, das Anliegen der Initiative zu unterstützen. Für die fatale Folgen an ihren Beteiligten zeitigt: Beobachtet werden mitunter wahnhafte Orientierungen auf quantitativ belegbare Drittmittel- und Publikationserfolge sowie Wissenschaftspreise, die eine Abnahme von Kollegialität, aber auch eine zunehmendes Misstrauen gegenüber dem Wissenschaftssystem zur Folge haben können. In einigen Fällen berichten Wissenschaftler sogar von mitunter starken psychosomatischen Belastungen (ebd., S. 137ff.). Dass das agonale Wettbewerbsmoment allerdings unter Wissenschaftlern auf große Resonanz stößt, zeigten bereits laborkonstruktivistische Studien (u. a. Latour und Woolgar 1986). Norman Storer (1973) zufolge gilt das Grundbedürfnis von Wissenschaftlern nach Reputation gar als einzig treibendes Element des Sozialsystems. 35 Ob der Begriff des »scientist« auf die Naturwissenschaften einzuschränken ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. 199 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK objektiv-hermeneutische Interpretation des Konferenzprotokolls stellte sich die Frage nach einer spezifischen Begründung, weshalb eine zukünftige Grundlagenforschungsfördereinrichtung notwendig sei. Die im Text freigelegten Deutungsmuster veranschaulichen, dass primär Bedeutung inszeniert werden musste und erst kein einziges Argument zur Entstehung des ERC in den Vordergrund gestellt wurde: Im Nachgang wird eine Konferenz zum ERC zu einem historischen Ereignis erklärt – prospektiv sollte höchstwahrscheinlich für mögliche politische Entscheidungen Sinn vorselektiert werden. Zudem wurde nachträglich der Konsens als ein Erfolg intensiver Diskussionen markiert. Dies mag vielleicht auch zutreffen: Während in den Interviews befragte Konferenzteilnehmer beteuerten, dass zuvor noch gar keine einhellige Übereinkunft über die Einrichtung eines ERC geherrscht hatte, sei die Mehrheit der Teilnehmer nach zwei Tagen intensiver Diskussion der Überzeugung gewesen und habe beschlossen: Wir brauchen einen ERC! Dass der Konferenzbericht diesen angeblichen Deliberationserfolg zunächst mit all seinem Zeremoniell als sagenhafte Geschichte fortschreiben musste, illustriert aber zuvorderst die Fragilität der ERC-Initiative. Die politische Unbedeutsamkeit der Initiative wurde durch allerlei graphische und sprachliche Stilmittel kaschiert, der Text überhöht die Bedeutung eines Ereignisses und suggeriert mithin einen Mythos: Hier vereinten sich Tradition und Moderne, hier wurde Geschichte geschrieben – hier geschah das Wunder von Kopenhagen! Dies, wie auch die Überbetonung der Einigung auf höchster politischer Ebene scheinen eine spezifische Funktion zu erfüllen: Der Text schwört die Teilnehmer der Konferenz und die Außenstehenden auf einen finalen Beschluss ein, der quasi-parlamentarisch erwirkt worden sei – politische Entscheider höchsten Ranges hätten ja Gelegenheit gehabt, Einspruch zu erheben, doch jetzt aber sei es zu spät. Dass in dieser Begründungsfigur des Konferenzprotokolls politische Macht auf Argumente zugerichtet wird, scheint einen Dringlichkeitsappell zu unterstreichen: Jetzt muss nicht mehr diskutiert werden, Entscheidungsträger haben so schnell wie möglich zu handeln. Mehr noch: Um zukünftige Entscheidungen zu erleichtern, schiebt der Text buchstäblich und in einer mundgerechten Weise als Sprechzettel eine Reihe von Gründen vor, die einzig auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Wirtschaftsunternehmen ausgerichtet sind. Mithin wird die zunächst als ungewöhnlich und historisch wichtig dargestellte Konferenz auf einen anscheinend bereits dominanten, wirtschaftlichen und geostrategischen Diskurs der EU hin normalisiert. Mit Blick auf das eingeführte Vergleichsmoment eines globalen Wettbewerbs fällt auf, dass Europa in Anlehnung an die Kommissionsmitteilung Hin zu einem Europäischen Forschungsraum als eigenständige und kohärente Entität, nämlich als abgeschlossener Raum konstruiert wird, in dem der Forschung – nicht der Wissenschaft – eine geradezu schicksalhafte 200 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? Bedeutung zugeschrieben werden soll. Andere Begründungen für die Einrichtung eines ERC werden dieser Ausdrucksgestalt sequentiell nachgelagert. Aber auch hier zeigt sich, dass Grundsatzfragen wohl nicht mehr vordergründig diskutiert wurden, sondern dass man bereits über Organisationsmodelle, Finanzierungsschlüssel und über eine mögliche Arbeitsteilung zwischen nationalen, transnationalen und supranationalen Regulierungsebenen nachdachte. 6.4 Grundlagenforschung als europäische Geostrategie? Von zentralem Interesse für diese Untersuchung ist die Kommissionsmitteilung »Europa und die Grundlagenforschung«, in welcher sich die EU-Institution am 14. Januar 2004 zum ersten Mal in diesem PolicyProzess zu diesem Forschungshandlungsmodus öffentlich positionierte. Dies ist deshalb ungewöhnlich, da ihr bis dato keine Kompetenzen zur Förderung von Grundlagenforschung in den Europäischen Gemeinschaftsverträgen zugedacht worden waren. Zudem hatten sich die sozialen Erwartungen an die Rahmenprogramme insofern gefestigt, dass mit ihnen stark zweckgebundene und unmittelbar nützliche Forschung gefördert würde (vgl. Kapitel 4). Welche krisenbewältigenden Praxen können also aus dem Dokument rekonstruiert werden, die es zuließen, dass sich die Kommission dem Begriff der Grundlagenforschung zu nähern vermochte? 6.4.1 Eine »endgültige« Mitteilung als Handlungslegitimation Das Dokument vor wurde aus dem Internet von einer öffentlichen Adresse abgerufen. In der Kopfzeile ist links die Europaflagge abgebildet. Rechts neben dem Symbol stellt sich der Autor der Mitteilung vor: »Kommission der Europäischen Gemeinschaften«. Alltagsprachlich gedeutet führen Kommissionen in der Regel eine Funktionszuschreibung mit, wie z. B. »Kommission für Jugendmedienschutz«. Auffällig an der hier vorliegenden Funktionszuschreibung ist, dass eine funktionsspezifische Einrichtung gleich im Auftrag mehrerer Gemeinschaften kommuniziert.36 Das Dokument wurde anscheinend von einer zentralen Stelle europäischer Politik kommuniziert, es ist daher zu erwarten, dass hier keine Belanglosigkeiten vermittelt werden sollen. Für organisationale Kommunikationszusammenhänge charakteristisch ist der Text mit 36 Zum Begriff der Gemeinschaft; siehe die Diskussion in Kapitel 6.5.3. 201 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Orts- und Datumsangaben (hier: »Brüssel, den 14.1.2004«) versehen. Davon zu differenzieren ist das Aktenzeichen »KOM (2004) 9«, welches der Pragmatik von Organisationsprozessen zugeschrieben werden kann. In der Kombination aus Europaflagge und Absender ist der Titelkopf des Textes bemerkenswert. Ohne Kontextwissen suggeriert der Titelkopf, dass die Europäischen Gemeinschaften mit Europa (siehe Flaggensymbolik) gleichzusetzen seien bzw. dass sich sogar die Kommission der Europäischen Gemeinschaften als Repräsentantin der Gesamtheit Europas darstellt (vgl. Kapitel 6.4.1). Hinter dem Aktenzeichen steht der Begriff »endgültig«. Ein solcher Hinweis markiert offensichtlich das Ende eines Kommunikationsprozesses. An dieser Stelle sind mehrere Deutungen eines organisationalen Kommunikationsprozesses möglich. »[E]ndgültig« kann für einen organisationsinternen oder -externen Prozess stehen. Die zweite Möglichkeit ist wahrscheinlicher, denn das Dokument ist mühelos außerhalb der Organisation aufzufinden, was z. B. auf die Dokumentation eines Konsultationsprozess hindeutet. Nicht zuletzt stützt sich diese Lesart auf den Titel des Dokumentes (»Mitteilung«). Naheliegend ist, dass die Organisation am Ende eines möglicherweise externen und mitgestaltbaren Prozesses nun eine Ergebnissynthese mitteilt. Die Frage ist, welche Ziele Organisationen verfolgen, wenn sie eine externe Mitgestaltung zulassen. Zum einen können Konsultationsprozesse organisiert werden, um sinnhaft zukünftiges Organisationshandeln gegenüber den eigenen Mitgliedern zu begründen und zum anderen, um gegenüber der organisationalen Umwelt die eigenen Handlungen zu rechtfertigen. Welchen direkten Zielen diese Konsultation auch folgt, sie scheint nicht zuletzt der Legitimationsbeschaffung37 politischer Organisationen zu dienen.38 Ferner ist für den weiteren Verlauf erwartbar, dass auf die Teilnehmer und ihre Positionen des Konsultationsprozesses explizit verwiesen wird und womöglich eine Synthese bzw. eine eigene Stellungnahme der Kommission kenntlich gemacht wird. Der Verweis auf Endgültigkeit suggeriert aber v. a., dass zukünftige Organisationsentscheidungen über den mitgeteilten Sachverhalt keine externe Positionierung mehr zur Kenntnis nehmen brauchen: ›Nun soll nicht mehr geredet werden – endgültig –, jetzt wird gehandelt!‹ Diese Lesart stützt zudem der Begriff des 37 Ein dominanter Strang neo-institutionalistischer Forschung beschäftigt sich mit der These, dass die Existenz von Organisationen nicht funktional von der Bewältigung tatsächlicher Probleme abhängt, sondern von ihrer Legitimität, die sie durch gegenseitige Beobachtung und angepasstes Verhalten innehalb eines Feldes erlangen (v. a. Meyer und Rowan 1977; Scott und Meyer 1983, S. 201ff.). 38 Ob die Organisation Externen durch vorläufig verfasste Dokumente einen Einblick in ihre Organisationsabläufe gewährt, sie explizit zu Stellungnahmen aufruft bzw. ihren externen Einfluss legitimiert, bleibt offen. In jedem Fall suggeriert der Verweis auf Endgültigkeit, dass zukünftige Organisationsentscheidungen keine externe Positionierung mehr zur Kenntnis nehmen werden. 202 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? Mitteilens, der intransitiv auf eine unidirektional gerichtete Informationen abstellt, die stilistisch oft durch Deklarativa ihre Wirkung entfalten. Zweitens fungieren Mitteilungen genereller Art rahmenkommunikativ und übermitteln keine trivialen Botschaften.39 In dem vorliegenden Fall ist eine besondere Relevanzmarkierung ersichtlich, nicht zuletzt unter sequenzanalytischer Betrachtung des Dokumentenkopfes: Es gibt Informationen, die es anscheinend wert sind, allen europäischen Gemeinschaften mitgeteilt zu werden. Die Kommission sieht sich also berufen, die Wichtigkeit, die Tragweite ihres mitzuteilenden Inhalts »endgültig« einschätzen zu können. Würde diese Kommission nicht in pathologischer Weise kommunizieren – was methodisch ausgeschlossen werden muss –, dann ist zudem von einer Wissensasymmetrie auszugehen: Diese Kommission ist sich gewiss, dass ihre Mitteilung für (bestimmte) Adressaten relevant ist. Um der Interpretation an dieser Stelle vorzugreifen, müssen dies mit Blick auf den Titel und Inhalt der Mitteilung zunächst all diejenigen Gemeinschaftsmitglieder sein, die in irgendeiner Weise etwas mit Grundlagenforschung in Europa zu tun haben. Mit Blick auf das von jedem auffindbare Dokument ließe sich allerdings auch weltweit jeder Kommunikationsadressat darunter fassen, »und zwar unabhängig von der konkreten Thematik und der räumlichen Distanz zwischen den Teilnehmern« (Luhmann 1997, S. 150). Zusammenfassend scheint mit dem Format der Ankündigung einer endgültigen Mitteilung zukünftiges Handeln abgesichert zu werden, das nicht mehr infrage zu stellen ist. Mit Blick auf den Inhalt suggeriert der Text zudem, dass nichts Triviales, nichts Beiläufiges mitgeteilt wird, und gerade deshalb könnte man erwarten, dass den Adressaten kommunikative Möglichkeiten der Erwiderung eingeräumt würden; dies schließt der Zusatz der Endgültigkeit aber aus. Deshalb lautet die These, dass in dem anscheinend vorgelagerten Meinungsbildungsprozess die Kommission eben nicht einhellig beauftragt wurde, zu handeln und sich stattdessen ihre Handlungen nun sprachlich zusichern muss. Zweitens lässt die vorgegebene Endgültigkeit einer Mitteilung darauf schließen, dass sehr wohl weiter diskutiert wurde (vgl. Kapitel 5.8); einzig: die Organisation muss sich gegenüber anderen absichern, handeln zu können – und dies ist ihr ja auch definitorisch eingeschrieben. Ihre Legitimität zieht die Kommission eben nicht primär aus der Erwartung anderer, dass sie Keynote Speeches »anmoderiert« oder zu politischen Informationsabenden einlädt, sondern dass sie Policies lanciert und umsetzt. Mitteilungen 39 Man kennt dies aus alltäglichen Gesprächssituationen: Wenn jemand eine Gesprächssequenz mit den Worten eröffnet »ich habe dir/euch etwas mitzuteilen […]« oder gar »ich möchte Ihnen hiermit endgültig mitteilen […]«, folgt in der Regel nichts banales, zumindest nicht aus der Sicht desjenigen, der den Sprechakt beginnt. 203 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK mögen jedoch einen Rest von Unsicherheit zum Ausdruck bringen, ob ihre darauffolgenden Handlungen tatsächlich als institutionell abgesichert gelten können. 6.4.2 Europas Grundlagenforschung, ein Problem der Kommission Unter der Zeile »Mitteilung der Kommission« ist die Überschrift des Dokumentes platziert: »Europa und die Grundlagenforschung«. Die die Verknüpfung durch den Konnektor »und« in der Überschrift wird als auffällig bewertet, da hier ein historisch, kulturell und politisch verräumlichter Begriff (»Europa«) und ein assoziativ der Wissenschaft zuzurechnender Handlungsmodus (»Grundlagenforschung«) aufeinander bezogen werden. Der Konnektor »und« übernimmt in der Sprache unterschiedliche additive Funktionen (vgl. Breindl et al., S. 391ff.); und hier setzt er vermutlich verschiedene Begriffsklassen, zumal unterschiedlicher taxonomischer Abstraktion in Relation, vielleicht sogar innerhalb einer hierarchischen Ordnung.40 Eine weitere Funktion von Konnektoren besteht darin, auf eine (noch) problematische Beziehung von Begriffen hinzuweisen. Nach der funktionalen Grammatik werden sie gerne als Thema-Rhema-Figur ausgeführt (vgl. Kapitel 6.3.1), wobei die erstgenannten Glieder von Satzinhalten betont werden; in diesem Fall liegt also der Fokus auf Europa. Auffällig an der Überschrift ist nun, dass das Rhema mit einem bestimmten Artikel versehen wird. Es geht also nicht um Grundlagenforschung im Allgemeinen, sondern um eine spezifische, um »die Grundlagenforschung.« Ein bestimmter Artikel setzt zunächst das Gemeinte zum Leserwissen in Beziehung und kann etwas als bekannt voraussetzen. Der Text suggeriert also das Vorhandensein eines spezifischen Verständnisses von Grundlagenforschung, mit welchem sich Europa auseinanderzusetzen hat. Vergleicht man die hier gewählte ThemaRhema Figur mit ähnlich konstruierten Phrasen, so problematisiert der bestimmte Artikel den Sachverhalt; Beispiele wären: »Politik und die Medien«, »Wissenschaft und das (liebe) Geld«, »Europa und die Migranten«. Problematisch scheint also die Grundlagenforschung für oder in Europa – und nicht umgekehrt: Europa stellt für Grundlagenforschung kein Problem dar.41 40 Mit der Phrase »Wissenschaft und die Grundlagenforschung« wäre zumindest eine halbwegs sinnvolle Superierung begonnen, und sofern man dann noch andere Forschungsformen unter den Oberbegriff Wissenschaft fassen würde, könnte sie »komplexbildende Superierung« genannt werden. 41 Womöglich geht es aber auch darum anzudeuten, es gäbe eine spezifische Form europäischer Grundlagenforschung; allerdings wäre hierfür ein Possessivpronomen 204 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? Was Grundlagenforschung selbst bedeutet, erschließt sich aus der Trennung der beiden Wortpartikel; zunächst zum Wortstamm: Unter Forschung wird ein in der Regel strukturierter, womöglich aufwendiger Prozess des Suchens und Ergründens verstanden, der von allen möglichen Subjekten vollzogen werden kann. Mit Forschung wird i. d. R. die Suche nach bzw. Generierung von Erkenntnis, Wahrheit, Wissen oder auch Gewissheit assoziiert, die Handlungszuschreibung richtet sich alltagspraktisch an Wissenschaftler. Allerdings wäre dies womöglich eine zu schnelle Zuschreibung, da Forschen zunächst auf eine funktionsunspezifische Handlung abstellt; salopp formuliert: auch Jugend forscht.42 Das Partikel »Grundlagen-« ist der abhängige Teil des Wortes; es ruft Assoziationen wie Fundament, Basis oder Ursprung auf. Ferner evoziert es die Frage, von was etwas die Grundlage sein kann. Anders formuliert kann eine Grundlage sich nicht selbst genug sein; sie braucht unbedingt einen Aufbau, Fortführung, Ableitung oder Anwendung. Auf das Subjektpartikel »Forschung« bezogen, können unterschiedliche Erkenntnisse generiert werden, nämlich nicht-grundlegende Erkenntnisse und solche, die für einen Erkenntnisgewinn »grundlegend« sind: Mit Grundlagenforschung wird hier die Generierung grundlegenden Wissens bzw. fundamentaler Erkenntnis kommuniziert. Gleichzeitig bleibt Grundlagenforschung – wie Forschung überhaupt – hinsichtlich organisatorischer oder funktionssystembezogener Kontexte unspezifisch: Forschung ist daher eine »universelle soziale Form […], die […] über die Grenzen der Funktionssysteme hinweg in Organisationen mit einem anderen funktionalen Primat exportiert werden kann, und dies unabhängig von der Frage, ob die Ergebnisse dieser Forschungen in den Kommunikationsmedien der Wissenschaft transportiert werden« (Stichweh 2003, S. 20). Dies mag auch für Grundlagenforschung gelten (vgl. Pavitt 1993), gleichwohl wird mit ihr faszinierender Weise primär das Funktionssystem der Wissenschaft assoziiert; und dies nicht unbedingt in positiver Hinsicht. Mit der zunehmend industriellen und militärischen Verwertbarkeit von Wissenschaft ist Grundlagenforschung wahlweise als Semantik der Abgrenzung und der Andienung vindiziert worden. In dieser Semantik korreliert die Anschuldigung an und der Apologismus von Wissenschaft, nur indirekt oder mittelbar zu einer wirtschaftlichen Wertschöpfung und zu gesellschaftlichem Wohl beitragen zu können (vgl. (»Europa und seine Grundlagenforschung«) oder eine Adjektivkonstruktion (»europäische Grundlagenforschung«) adäquater. 42 Seit dem Jahr 2011 sind rund zwei Drittel der Investitionsausgaben des gesamten Forschungsaufkommens in Deutschland privatwirtschaftlichen Unternehmen zuzurechnen (Schasse et al. 2014, S. 51ff.). Zudem ist der Anteil von F&E-Personal im privatwirtschaftlichen Bereich beachtlich gestiegen (ebd., S. 61–64). 205 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Schauz 2014, S. 301–304). Der Ursprung der Verwendung von »basic research« liegt ironischerweise fernab dessen, was unter Grundlagenforschung assoziiert wird: Circa zwei Dekaden vor dem berühmten Bush-Bericht (1945), Science – The Endless Frontier, das historische Dokument zur Legitimation von Grundlagenforschung, wurde »basic research« im US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium zur Rechtfertigung von anwendungsorientierter Agrarforschung gegenüber einer Landwirtschaftslobby begriffspolitisch ins Feld geführt (Pielke 2012, S. 353ff.).43 Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Begriff primär zur Legitimation von staatlichen Forschungsaufgaben verwendet (vgl. Bora 2008; Knie et al. 2010; Kaldewey 2013; Schauz 2014) und schließlich als integraler Bestandteil des linearen Innovationsmodells popularisiert (Godin 2006a, 2006b). Man könnte behaupten, dass erst durch diese sprachlich-kategoriale Segmentierung eine Dichotomie zwischen wissenschaftlicher, erkenntnisorientierter Forschung einerseits und technologischer, verwertungsorientierter Innovation ermöglicht wurde, die schließlich als politisches Narrativ wirken kann (vgl. Somers 1994). Spricht oder schreibt man von Grundlagenforschung, scheint Wissenschaft von der Gesellschaft abgekoppelt – oder aus wissenschaftlicher Sicht: geschützt – zu sein; entsprechend kann sie aber auch als unnütz, das heißt »for no good purposes« oder als »merely Friday’s entertainment« (Calvert 2004, S. 204) desavouiert werden.44 Dies wiederum mag dazu führen, dass Akteure in der Wissenschaft ihre Nützlichkeit durch eine semantische Abkehr von Grundlagenforschung unter Beweis stellen wollen (Slaughter 1993, S. 280ff.). Bis hierhin ist festzuhalten, dass eine die Europäischen Gemeinschaften repräsentierende politische Organisation anscheinend eine problematische Bezugnahme Europas auf Grundlagenforschung vollzieht. Es liegt nahe, dass sich politische Organisationen nur zu Aspekten der 43 Die derzeitig überproduzierenden Landwirte befürchteten, dass ihre gesunkenen Verkaufspreise von Agrarprodukten durch F&E-bedingte Effizienzsteigerungen noch weiter sinken würden. Entsprechend wurde gegenargumentiert, dass durch die ministerial organisierten Programme bloß Grundlagen beforscht werden sollen, um diesen Befürchtungen die Spitze zu nehmen. 44 Zu einer ähnlichen Einschätzung kam auch John Ziman (2000, S. 18ff.), demzufolge seit den 1970er-Jahren dem Begriff »basic research« etwas eigentümlich Negatives und Unnützes anhaftete. Vor allem durch das Frascati-Manual der OECD sei das Kürzel »R&D« (also Research and Development) zum einem Gegensatz verkommen: Auf der einen Seite stünde nun die als unnütz dargestellte, »basic research« treibende Wissenschaft und auf der anderen Seite die anwendungsorientierten Entwickler im Dienste der Gesellschaft. 206 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? Förderung und Regulierung von Grundlagenforschung äußern werden.45 Die Erwartung ist nun, dass in der Mitteilung erstens Probleme von Grundlagenforschungseinrichtungen adressiert werden, die sich auf dem europäischen Kontinent befinden. Dies könnten Finanzierungsprobleme sein oder die politische Unter- bzw. Überregulierung von Forschungsaspekten, vielleicht aber auch Fragen der Effizienz von Grundlagenforschungsmaßnahmen, des Transfers in Anwendungen und dergleichen. Zweitens könnte Europa in Relation zu anderen Kontinenten bzw. – mit Blick auf die Europäischen Gemeinschaften – zu politischen Institutionen anderer Staaten und Regionen gesetzt werden. 6.4.3 Immer wieder die »Technologische Lücke« Auf der zweiten Seite der Mitteilung wird das Inhaltsverzeichnis abgebildet. Der Inhaltsangabe »Einleitung« folgen die Titel »2. Grundlagenforschung und ihre Wirkung« und hernach untergeordnet »2.1 Merkmale der Grundlagenforschung« und »2.2 Auswirkungen auf mehreren Ebenen«. Die Systematik wirkt zunächst nicht überzeugend, denn man würde zu Beginn einer Auseinandersetzung mit Grundlagenforschung eine Begriffsklärung bzw. eine Art Verortung erwarten. Es fällt auf, dass der Text mit der »Wirkung« von Grundlagenforschung beginnt, diese aber erst im folgenden Unterkapitel in ihren »Merkmale[n]« vorgestellt werden soll. Zumal wird nicht expliziert, worauf Grundlagenforschung eine Wirkung erzielen könnte. Insgesamt erwartet der Leser eine umgekehrte Reihenfolge. Gleichzeitig werden die »Auswirkungen« der Grundlagenforschung gleich zweimal diskutiert, wobei der Punkt »2.2« suggeriert, dass es Auswirkungen auf mehreren, nach wie vor unspezifisch gehaltenen Ebenen zu geben scheint. Die Überbetonung der Wirkungszusammenhänge von Grundlagenforschung, zumal doppelt vorliegend, lässt die Deutung zu, dass der Text überhaupt nicht an Grundlagenforschung selbst interessiert ist. Was hingegen einzig zählt, ist ihre Anwendung. Die unhintergehbare Tatsache dieser sequentiellen Abfolge wirft ein spezifisches Licht auf den Verfasser: Die Kommission, die als Organisation für die Europäischen Gemeinschaften entscheidet, muss zunächst Ergebnisse, Wirkungen und Resultate präsentieren. Drastischer formuliert: Aus dem bereits assoziativ generierten Überschuss an Deutungsmöglichkeiten zum Topos eines assoziativ wissenschaftlichen Handlungsmodus, der Grundlagenforschung also, werden lediglich Wirkungen selegiert – einzig hierzu scheinen die 45 Denn anders wäre fraglich, was eine Organisation eines politischen Systems mit der Generierung von Grundlagenwissen verbinden würde, es sei denn, sie wäre an einem neuen Steuerungswissen interessiert. 207 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK sozialen Institutionen der Europäischen Gemeinschaften dieser Kommission Legitimität bereitzustellen. Erst wenn die Kommission Aussagen über Wirkungen treffen kann, darf sie sich auch mit Merkmalen beschäftigen; aber auch sie müssen wiederum hinsichtlich der Auswirkungen taxiert werden. Zu vermuten ist, dass die zu adressierenden Wirkungen einzig auf den Nutzen für die Europäischen Gemeinschaften ausgerichtet sein werden; eventuell wird sich der Text aber auch zu Risiken wissenschaftlich technologischer Art äußern. Überschrift 3 beginnt mit einem Paukenschlag, denn der Text gibt nichts weniger vor, als eine Einschätzung über »[d]ie Lage in der Welt und in Europa« zu geben. Mit Lageberichten assoziiert man unmittelbar einen Teil militärischen Handelns, der sich in einer »aufeinander abgestimmte[n] und ein sinnvolles Ganzes bildende[n] Mehrzahl von geplanten, taktischen Zügen in einer Schlacht« einreiht (Schirmer 2012, S. 88). Der Begriff des Lageberichts ist auch über die Behauptung rationaler Planungsmöglichkeiten hinaus auffällig. Wer über die Lage zu berichten weiß, meint einen Gesamtüberblick über einen Zeitraum im Präsenperfekt geben zu können. Mit Blick auf die »Lage in der Welt« will hier ein auktorialer Erzähler am Werke sein. Er behauptet, über alles in der Welt – und spezifisch in Europa – über einen langen Zeitverlauf Bescheid zu wissen; durch den Titel des Dokuments ist dieser Wissensbestand spezifisch auf Grundlagenforschung und Europa zugerichtet. Von der Position der Kommission einmal abgesehen, scheint die Botschaft des Textes zu sein, dass es hier nicht um »Petitessen« (z. B. Nationalstaaten), sondern um globalpolitische Anliegen gehe. Während die Welt nur noch binnendifferenziert betrachtet werden kann, z. B. »als Ensemble füreinander konstitutiver Kommunikationen« (Willke 2001, S. 74), wird mit der »Lage in Europa« zu einer binnendifferenzierten, abgeschotteten und zugleich zu einer globalkomparativen Selbstbeobachtung aufgerufen. Der Fokus liegt auf einem globalpolitischen Vergleich; dies verdeutlichen die unter 3.1 bis 3.3 eingeführten Überschriften: Europa wird gegenüber den »USA« und »Japan« abgegrenzt. Bezogen auf Europas Problem mit der Grundlagenforschung wird ebenso ersichtlich, dass es sich bei den folgenden Semantiken um wettbewerblich motivierte Abgrenzungen handelt. Der Bezugshorizont bleibt die Welt. Neben Europa scheint sie absurderweise nur aus den USA und Japan zu bestehen (siehe »Die Welt und Europa«). Der Abschnitt »3.4. Stärken und Schwächen« dürfte sich auf die Analyse europäischer Performanz in der Grundlagenforschung beziehen, da ein Dokument einer für europapolitische Kontexte zuständigen Organisation vorliegt. 208 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? 6.4.4 Einleitung: Der Zwang der »wissensgestützten Wirtschaft« Mit dem ersten Satz der Einleitung verdichten sich einige der oben begründeten Lesarten: »Zurzeit wird in Europa eine wichtige Debatte über die Grundlagenforschung, ihre Probleme und den besten Weg für eine europäische Lösung geführt.« (ebd., S. 3) Zu Beginn wird uns ein temporaler Marker mitgeteilt (»Zurzeit«), der auf die Aktualität des hier eingeführten Themas verweist und dessen Relevanz unterstreicht, jedoch bezüglich des Vergangenen unspezifisch bleibt. Dass zudem eine Debatte »in Europa« geführt wird, verweist auf einen geographischen Kontext, der politisch nicht weiter ausgeleuchtet wird, es bleibt also offen, ob zwischen wissenschaftlichen oder politischen Akteuren der Europäischen Gemeinschaften, der Europäischen Union oder innerhalb und zwischen einzelnen Staaten eine Debatte stattfindet. Unter einer »Debatte« wird allenthalben eine öffentliche Auseinandersetzung verstanden. Auffällig erscheint die abermalige Verwendung des bestimmten Artikels (»die Grundlagenforschung«). Diese scheint ontologisiert werden zu können: Es gibt sie, und jeder in diesem offenbar politischen Kommunikationskontext habe zu wissen, worüber geredet wird.46 In der Fortführung des Satzes wird Grundlagenforschung auf »ihre Probleme« hin adressiert. Auch dies ist eigentümlich, denn eine Handlung selbst kann keine Probleme haben; erst wenn sie auf Handelnde bezogen würde, z. B. Grundlagenforscher, Wissenschaftler und dergleichen, wäre der Satz sinnvoll. Gleich im ersten Satz dieses Textes wird also alles, was bisher thematisch offen und fragwürdig kommuniziert wurde, zunächst in Bezug zur Grundlagenforschung gesetzt: Eine europapolitische Organisation hat ein Problem mit einer, in ihrem Verständnis ontologisierbaren Grundlagenforschung. Mit dem Hinweis auf eine Debatte, die den »besten Weg für eine europäische Lösung« (für die Grundlagenforschung) sucht, wird das territoriale Prinzip Europas auf eine politische Regulierungsebene hin enggeführt: Die Probleme der Grundlagenforschung, so suggeriert der Text, könnten nur durch eine europäische Lösung, also einer Regulierungsebene jenseits des Nationalstaates bewältigt 46 Wenn nicht einmal in der wissenschaftlichen Kommunikation eindeutige Selbstbeschreibungen bereitgehalten werden (z. B. Theorie, Grundlagenforschung, basic, fundamental research, frontier und investigator-driven research sowie pure science), die zumal historisch, disziplinär und womöglich geographisch variieren (vgl. Kaldewey 2013; Schauz 2014) und strategisch eingesetzt werden (vgl. u. a. Gieryn 1983; Slaughter 1993), kann an dieser Stelle nur von einer Zumutung politischer Kommunikation ausgegangen werden. 209 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK werden. An dieser Stelle zeigt sich ein recht drastisches Versprechen: Eingelöst werden kann dies nur, wenn Topoi gefunden werden können, die Probleme fundamentaler Wissensgenerierung außerwissenschaftlich beziffern. Ansonsten würde eine politische Organisation an dieser Stelle Kompetenzen für einen Bereich reklamieren, in dem sie per definitionem inkompetent ist. In der deutschen Wissenschaftspolitik spricht man von einer Kontextsteuerung (vgl. Stucke 2010). Die »Lösung« außerwissenschaftlicher Herausforderungen zur Generierung grundlegender Erkenntnisse könnte sich bspw. nun in Form von Finanzbeihilfen oder Regulierungen im Interesse von Forschern äußern. Im zweiten Satz heißt es: »Sie findet statt mit Blick auf die im Entstehen begriffene wissensgestützte Wirtschaft und Gesellschaft, den geplanten Europäischen Forschungsraum, in dessen Zusammenhang auf die Frage der Grundlagenforschung bislang nicht speziell eingegangen wurde, sowie im Hinblick auf das Ziel der Union, bis 2010 ihre Gesamtforschungsausgaben auf 3 % ihres BIP zu steigern.« Mit dem Personalpronomen »sie« kann sinnlogisch nur die Debatte gemeint sein. Der Satzteil »[...] mit Blick auf« fällt zunächst nur als stilistisch schwache Referenzleistung auf; er soll andeuten, dass sich die Verfasser an dieser Stelle nur auf einen bestimmten Sachverhalt beziehen. Der Text interessiert sich nur für die Funktion von Grundlagenforschung im Sinne wirtschaftlicher Leistungen für die »im Entstehen begriffene wissensgestützte Wirtschaft«. Auffällig ist, dass »im Entstehen begriffen« einen zeitlichen Marker zum Ausdruck bringt, der auf etwas noch nicht allzu lang Bestehendes und nicht Abgeschlossenes verweist.47 Damit zeigen sich die Verfasser auch implizit in privilegierter Stellung: Nur sie verfügen über eine Übersicht darüber, was »zurzeit« geschieht und »im Entstehen begriffen« ist. Letztere Konstruktion wirkt in diesem Kontext wie ein Sachverhalt: Falls der Leser es noch nicht gewusst haben sollte, wird ihm ein bestimmter und aktueller Sachverhalt nun mitgeteilt. Verstärkt wird diese Konstruktion durch den bestimmten Artikel »die [...] wissensgestützte Wirtschaft« – ähnlich wie in der Überschrift, in der der Text Sachverhalte über »die Grundlagenforschung« erläutert. »[D]ie wissensgestützte Wirtschaft« ist somit ein determinierbarer Sachverhalt, auf den sich die Verfasser und Leserschaft explizit beziehen können. Hier geht es jedoch nicht um wissenschaftliche Erörterungen, zumal sich die Wissensgesellschaft bereits im 19. Jahrhundert hinreichend entfaltet hat (z. B. Szöllösi-Janze 2004), sondern um die sprachliche 47 Begriffe, wie Wissensgesellschaft oder wissensbasierte Wirtschaft erhalten in politischen Kontexten eine sprachlich polymorphe Funktion; je nachdem, worauf sie abstellen, kann dann in der Politik nach Deregulierung (mehr Wissen gleich mehr wirtschaftliche Kommerzialisierbarkeit) oder mehr Kontrolle (mehr Wissen gleich mehr Ungewissheit) verlangt werden (vgl. Peter 2010). 210 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? »Re-souveränisierung« politischer Macht (Peter 2014, S. 55). Stilistisch liegt also eine Vignette vor, um dem Leser durch die Verwendung bedeutungsaufgeladener Begriffe zu suggerieren, man sei kompetent, sich einer überaus komplexen Sache anzunehmen. Mit Blick auf den weiteren Textverlauf ist davon auszugehen, dass von diesen sprachlichen Inszenierungen viel abhängen wird. Denn alles, was nun über Grundlagenforschung geschrieben wird, muss auf ihre wirtschaftliche Funktion bezogen werden. Der Zusatz, »wissensgestützte Wirtschaft und Gesellschaft« betont, dass es sich hier in erster Linie um einen primär ökonomisch ausgerichteten Diskurs handelt. Grundlagenforschung ist in dieser Ausdrucksgestalt in erster Linie von Relevanz für die Wirtschaft, die prioritär und abgekoppelt von der Gesellschaft betrachtet wird. Der Text setzt abermals eine gewisse soziale Akzeptanz eines bestimmten Sachverhaltes voraus, in dem nun über »den [bereits] geplanten Europäischen Forschungsraum« berichtet wird. Die Organisation der Europäischen Gemeinschaften ist also dabei, einen »Raum« zu entwerfen, der in seiner Begriffsfunktion nur metaphorisch Sinn ergeben kann, allerdings – von wörtlich geostrategischer oder geographischer Begriffsherkunft – auf einen langwierigen und auf bestimmte Funktionen ausgerichteten Prozess hindeutet. William Walters und Jens H. Haahr (2005, S. 11) argumentierten, die überaus häufig verwendeten Raumplanungsmetaphern seien ein Anzeichen einer unhinterfragbaren Gouvernmentalité: »European government orients itself to the creation, maintenance and regulation of these spaces« (ebd.).48 Der Verweis auf einen Europäischen Forschungsraum stellt das wissenschaftliche Normsystem infrage und muss somit auf außerwissenschaftliche Kontexte ausgerichtet sein. Während sich Wissenschaftskommunikation sich nicht für Standorte interessiert, wird Forschung hier in geographischen und funktional imperialen Räumen dimensioniert. Als geostrategischer Begriff ist der »Europäische Forschungsraum« insofern sinnvoll, als er von anderen Räumen abgegrenzt werden kann und ihnen gegenüber als konkurrierender Raum konstruiert wird. Vom europäischen Raum, in dem geforscht werden soll, werden die USA und Japan (siehe Inhaltsverzeichnis) abgegrenzt. Was bedeutet dies für das Verhältnis von Politik und Forschung? Ist eine geostrategische Gestaltung funktionsspezifischer Aktivitäten für die Forschung und v. a. für ihre Handlungssubjekte (Forscher) relevant? Von einer plausiblen Argumentation wäre nun verlangt, Gründe für die 48 Dass »authoritarian schemes to govern a European Grossraumwirtschaft [Anm.: des Nazionalsozialismus] […] just as the pioneering attempts of the OEEC to statisticalize a European economy« (ebd., S. 11; kursiv i. O.) eine ähnliche Sprache räumlicher Planung verwenden, wie die EU-Organe, wollen Walters und Haahr nicht als Überspitzung verstanden wissen, sondern meinen es Ernst. 211 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK geostrategische Handlungseingrenzung eines prinzipiell räumlich unabhängigen Funktionssystems zu nennen. Bleibt dieser Argumentationszug aus, dann kann die Legitimation einer spezifisch europäischen Räumlichkeit der Forschung nur Sinn machen, wenn das Räumlichkeitsprinzip für Europa relevant sein würde. Auch hier wäre das Bezugsproblem dann entweder ein politisches oder ökonomisches.49 Der Bezug zur Planung des europäischen Forschungsraums wird mit dem nachfolgenden Relativsatz eingeführt: »Sie findet statt mit Blick auf die im Entstehen begriffene wissensgestützte Wirtschaft und Gesellschaft, den geplanten Europäischen Forschungsraum, in dessen Zusammenhang auf die Frage der Grundlagenforschung bislang nicht speziell eingegangen wurde […]« (kursiv; TF). An dieser Stelle wird der Versuch eines kommunikativen Bezugs zwischen Grundlagenforschung und dem Europäischen Forschungsraum unternommen. Ihm ist zu entnehmen, dass in der Planung eines europäischen Forschungsraumes auf die – im Text noch nicht definierte – Grundlagenforschung »bislang nicht speziell eingegangen« wurde. Das Verb »auf etwas eingehen« wird alltagsprachlich als eine generelle Bezugnahme auf etwas bereits Bestehendes, z. B. auf Kommunikationsofferten, verstanden. Auffällig ist, dass in dieser Textstelle nicht argumentiert wird, weshalb auf Grundlagenforschung bislang nicht speziell Bezug genommen wurde und wieso dies hätte relevant sein können oder nun relevant wird. Was der Text erzeugt sind lediglich performative Effekte, die mittels des Relativsatzes hinreichende Begründbarkeit suggerieren. Denn welcher »Zusammenhang« zwischen der »Frage der Grundlagenforschung«, dem Europäischen Forschungsraum und einer »wissensgestützten Wirtschaft und Gesellschaft« besteht, wird hier (noch) nicht vermittelt. Die Schließung des Satzes erfolgt durch die Vervollständigung des Relativsatzes »[...] sowie im Hinblick auf das Ziel der Union, bis 2010 ihre Gesamtforschungsausgaben auf 3 % ihres BIP zu steigern.« Die argumentative Verknüpfung von Grundlagenforschung und Investitionszielen der EU lässt sich hier nur unidirektional deuten. So ist es nicht die Steigerung von Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, die zu einer verbesserten »Grundlagenforschung in Europa« führen soll; das Umgekehrte wird begründet. Einzig dadurch, dass die Kommission – fürsprechend für die Union – sich der Grundlagenforschung widmen und diese fördern will, soll das Ziel einer Gesamtinvestitionssteigerung 49 Auf die im Satz angesprochene Forderung des Ratsgipfels von Barcelona (2002), dass alle EU-Staaten bis zum Jahr 2010 durchschnittlich drei Prozent ihrer Bruttoinlandsprodukte für F&E investieren sollten, wurde bereits in Kapitel 6.4 eingegangen. 212 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? realisiert werden. Die feste Zielorientierung ist eine Investitionssteigerung, die vorher nicht möglich gewesen ist, jetzt aber realisiert werden kann, wenn sich Europa im Bereich der Grundlagenforschungsförderung stärker engagieren würde. 6.4.5 Zwischenfazit Der Text operiert sprachlich mit einer diffusen, bedeutungsaufgeladenen Verweisungstechnik, die sich quasi-wissenschaftlicher Begriffe bedient. Mit Blick auf den Inhalt wird behauptet, die Wirtschaft und – vernachlässigbar: die Gesellschaft – würden dahingehend transformiert, dass sie sich nun auf ein – nicht näher definiertes – Wissen stützten. Drittens konstruiert der Text eine geostrategische, globalökonomische Konkurrenzsituation, der sich Europa gegenüber anderen Regionen (USA und Japan) durch die Konstruktion von Räumen zu stellen versucht; Räume, in denen geforscht wird. Allerdings ist Forschung zunächst nicht selbst das Bezugsproblem, sondern eine fehlende Vollkommenheit oder Abgeschlossenheit des Raumes. Der Bezug zwischen einer sich nun auf Wissen stützenden Wirtschaft und dem Anliegen der Mitteilung, etwas über vorgegeben problembehaftete Beziehung zwischen Europa und Grundlagenforschung zu sagen, blieb bisher aus. Es lassen sich zwei Topoi erkennen: Einerseits wird eine Figur von Forschung suggeriert, die in irgendeiner Weise instrumentell oder final auf Europa als räumlich gedachtes Konzept sowie auf dessen politische Organisiertheit bezogen wird. Zum anderen scheint Grundlagenforschung von instrumentellem Wert für eine wissensgestützte Wirtschaft und – erst hernach – für eine Gesellschaft zu sein. Nach diesem Kommunikationszug wird Grundlagenforschung selbst als Problemquelle (»die Frage der Grundlagenforschung«) verortet. Was der Kern ihres Problems sein soll, bleibt jedoch offen. Fasst man die Versuche der argumentativen Züge zusammen, fällt unmittelbar ein Widerspruch auf. Einerseits dient Grundlagenforschung dem Erhalt Europas gegenüber anderen Globalregionen und soll der Wirtschaft und Gesellschaft zu Wissen verhelfen. Andererseits wird sie wortwörtlich als umstritten (in der englischen Fassung als »issue of basic research«) bzw. fragwürdig (»Frage der Grundlagenforschung«) dargestellt. Sollte dieser Widerspruch nicht aufgelöst bzw. im Text repliziert werden, lassen sich durch die spezifische Art der Textproduktion Rückschlüsse auf das Deutungsmuster ziehen: auf eine Argumentation (z. B. von Problem und Lösungsvorschlag) zielt der Text gar nicht ab, sondern ausschließlich auf eine performative Wirkung, mittels derer sich die Organisation als relevant darstellen kann. 213 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK 6.4.6 Die USA: Feind- und Leitbild europäischer Forschungsförderung Mit dem folgenden Satz bemühen sich die Verfasser, den bisher widersprüchlichen Sachverhalt – Grundlagenforschung sei Teil politischer Räume, und dennoch umstritten – historisch zu kontextuieren: »In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als Europa und die USA begannen, Forschungspolitik zu betreiben, lag der Schwerpunkt auf der Grundlagenforschung.« Damit wird ein Bruch zum vorherigen Kommunikationsangebot deutlich, in dem der Text noch auf aktuelle Entwicklungen verwies. Nun wird auf die Geschichte zweier politischer Entitäten rekurriert; Europa und die USA. Geschichtsnarration und Vergleiche mit anderen Staaten werden in der politischen Kommunikation des Öfteren dann bemüht, wenn neue und v. a. unsichere politische Initiativen als historisch konsequent oder unter dem Verweis auf »best practices« begründet werden sollen.50 In der hier vorliegenden Narration wird behauptet, Forschungspolitik sei erst nach dem zweiten Weltkrieg entwickelt worden – zuvorderst mit dem Ziel der Förderung und Regulierung von Grundlagenforschung. Zur Untermalung seiner Narration heißt es im Text weiter: »Dies veranschaulicht sehr gut die Erklärung des wissenschaftlichen Beraters Präsident Roosevelts Vannevar Bush in seinem berühmtem Bericht von 1945 ›Science: the Endless Frontier‹: Der wissenschaftliche Fortschritt auf breiter Front ist das Ergebnis des freien Spiels unabhängiger geistiger Kräfte, die bei ihrer Arbeit auf selbst gewählten Gebieten von ihrer Neugierde nach der Erforschung des Unbekannten getrieben werden.« Auffällig an diesem nachgeschobenen Zitat ist, dass es in keiner Weise Bezug zu Grundlagenforschung im engeren Sinne, das heißt mit Blick auf die vorherige Sinnselektion nimmt. Denn das Zitat aus dem Bush-Bericht plädiert lediglich für wissenschaftliche Freiheit und Erkenntnisinteresse, für die »Neugierde auf das Unbekannte«. Einer sequentiellen Textlogik folgend greift das Zitat an dieser Stelle keine der vorherigen Fragmente eines Argumentationsversuchs auf. So kann sie lediglich als bedeutungsmächtige Untermalung der Behauptung interpretiert werden: aller Anfang der Forschungspolitik sei die Förderung von Grundlagenforschung in der Nachkriegszeit gewesen. Unterschlagen wird der Begründungszusammenhang des Berichts, dem eine doppelte Ironie zugrunde liegt: 50 Das gleiche gilt wohl auch für die konservative Argumentationsalternative: Warum abweichen, wenn der Verweis auf Erfolgsgeschichte oder auf andere Staaten nahelegt, dass sich das Festhalten an einer Entscheidung bewährt. 214 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? Erstens plädierte Bush für eine Forschungsfreiheit, die in den fordistisch durchgeplanten Universitäts- und Institutslaboren während der Indienstnahme US-amerikanischer Aufrüstung eben genau nicht gegeben war.51 Diese Entwicklungsprojekte erwiesen sich in ihrer konkreten Kriegsanwendung nützlich, womöglich konnten sie mittelbar aber auch für zivile Zwecke kommerzialisiert werden. In diesem Zusammenhang etablierte sich auch eine Rechtfertigungsrhetorik des Technologietransfers mit Begriffen wie »Spin-off«, »Fall out« und »Spill over« (Knie et al. 2010). Dem Bericht ging es darum, eine politische Begründung zu liefern, öffentliche Haushaltsausgaben nach Kriegsende weiterhin rechtfertigen zu können (vgl. Bora 2009). Die zweite Ironie liegt in der Tatsache begründet, dass das Freiheitsplädoyer des Berichts weniger normativ als effizienzgerichtet (vgl. Wilholt 2012), v. a. aber nicht genuin wissenschaftlich, sondern politisch im Sinne einer bürokratischen ämter- und Budgetmaximierung motiviert war (besonders; Pielke 2012). Außerdem stellt sich die Frage: Weshalb bezieht sich der Text auf einen US-amerikanischen Kontext, der auf die Gründung der National Science Foundation (NSF) abstellt, und nicht auf einen europäischen? Wieso werden nicht die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Research Councils UK, die Centres National de la Recherche Scientifique oder die Max-Planck-Gesellschaft genannt? Eine sehr wahrscheinliche These lautet, dass erstens mit der Anspielung auf die NSF ein föderalistisches Bild einer europäischen Polity gezeichnet werden soll. Damit ist zweitens der für diese Untersuchung konstitutive Begründungszusammenhang des ERC impliziert. Die zuvor genannten Forschungs- und Forschungsfördereinrichtungen mögen, der Lesart zufolge, für einzelne Nationalstaaten Wissenschaft alimentieren, ein europäischer Föderalstaat würde aber eine entsprechend supranationale Fördereinrichtung benötigen. Die führende Wissenschaftsnation – so könnte hinzugefügt werden – zeige doch bereits, dass nützliche Wissenschaft Freiheit brauche. Die Analyse offenbart ein weiteres Mal, dass nicht von einem Text ausgegangen werden kann, der seine Wirkmächtigkeit durch stringent geführte Argumente entfaltet, sondern lediglich performativ wirken soll. Hierbei fällt der zuvor zitierte Abschnitt insbesondere durch sein Missverhältnis auf: Er wertet eine kurze Narration durch das Zitat eines nachgeschobenen, historischen Dokuments auf. Die Textstelle setzt Grundlagenforschung (als Vortext) und wissenschaftliche Freiheit (Zitat) 51 Dass gegen die Planung, Forschungsfinanzierung auf Bundesebene bereitzustellen, stark opponiert wurde (z.B. Kevles 1977, S. 10–12) – es bestand die Sorge: staatliche Finanzierung führe zu sozialistischer Planung –, unterschlagen wissenschaftliche wie wissenschaftspolitische Huldigungen des Bush-Berichts in der Regel; die mythische Funktion des Berichtes unterstreicht dieser Umstand umso mehr. 215 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK unvermittelt gleich. Im nächsten Satz folgt nun gewissermaßen die dialektische Antithese: »Wegen der Bedeutung der Forschung für die industrielle Wettbewerbsfähigkeit und ihrer Rolle bei der Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse hat sich der Schwerpunkt und damit die staatliche Finanzierung im Laufe der folgenden Jahrzehnte nach und nach auf die angewandte Forschung sowie die technische und industrielle Entwicklung verlagert.« Diese Aussage soll das adressierte Problem von Grundlagenforschung auf den Punkt bringen: Zu Unrecht sei sie in Vergessenheit geraten. Die Erwartung, dass der Text darauf abzielt, diesen Missstand auszuräumen, bestätigt sich im nächsten Satz. Er ist zudem Ausdrucksgestalt einer künstlichen Darstellung reaktiver Politik. 6.4.7 Taktvoll unternehmerisch: die Kommission inszeniert sich In dem hier vorliegenden Analysedokument hat sich bereits angedeutet, dass sich die Kommission als eine Organisation inszeniert, die Verständnis für die Belange der Wissenschaft hat. So wird sie versuchen zu begründen, dass sie geradezu gebeten wurde, auf einen immer größer werdenden Bedarf nach der Förderung von Grundlagenforschung zu reagieren. In den folgenden Sequenzen verdichtet sich diese Ausdrucksgestalt. Sequentiell an das letzte Zitat anschließend folgt die Feststellung: »Inzwischen erkennt man wieder mehr und mehr, wie wichtig die Wissensvermehrung im Allgemeinen ist und welche Bedeutung die Grundlagenforschung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung hat.« Zuvorderst52 interessiert sequenzanalytisch der Anfang des Satzes (»Inzwischen erkennt man wieder mehr und mehr«). Die Verwendung des Adverbs »inzwischen« lässt vermuten, dass man bei der Texterstellung auf präzise Zeitangaben verzichtet hat. Dies könnte entweder ein Hin52 Auf die primär wirtschaftliche Ausrichtung einer Begründung von Grundlagenforschungsförderung wurde bereits hingewiesen; hier wiederholt sie sich. An dieser Stelle selektiert der Text zwei Funktionen von Grundlagenforschung. Erstens werden »Wissensvermehrung im Allgemeinen« und die »Bedeutung [der] Grundlagenforschung« argumentativ voneinander getrennt. Zweitens wird die Wissensvermehrung expressis verbis unspezifisch gehalten, wohingegen Grundlagenforschung zur Erreichung ganz bestimmter Zwecke textlich instrumentalisiert wird. Sie dient nur der »wirtschaftliche[n] und soziale[n] Entwicklung«. Die Annahme ist, dass die von der Kommission hier sehr früh getroffene Begründungsauswahl erhebliche Auswirkungen auf die Bedingungen der Forschungsförderung haben wird (vgl. Kapitel 2). 216 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? weis auf eine Verschleierung sein, nämlich dass die angesprochene Erkenntnis tatsächlich schon sehr lange vorherrscht, so dass es peinlich wäre zuzugeben, jetzt erst darauf Bezug zu nehmen. Oder es ist in der Tat schwer einzuschätzen, wem sich genau wann diese Erkenntnisse eingestellt haben. Nicht zuletzt könnte aber auch damit aufgerufen sein, dass die Verfasser trotz ihres Überblicks über »die Lage in der Welt und in Europa« gar nicht genau beziffern können, wann sich Erkenntnisse durchgesetzt haben; diese Vermutung stützt auch die sehr unspezifisch wirkende Subjektbezeichnung (»man«).53 Immerhin bringt der nächste Satz hier etwas Licht ins Dunkel: »Die Debatte über die Grundlagenforschung wurde bislang v. a. in Wissenschaftskreisen geführt, wobei die Notwendigkeit eines ›Fonds für die Grundlagenforschung‹ und eines ›Europäischen Forschungsrates‹ im Mittelpunkt der Überlegungen stand.« Die Deutung, es handele sich bei der »Debatte über die Grundlagenforschung« um eine fachspezifische bzw. metaphysische Auseinandersetzung unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, ist höchst unwahrscheinlich; schließlich wurde die Debatte »über die Grundlagenforschung« geführt. Es muss daher ein Streit über die Ausgestaltung, Bedeutung oder über sonstige Rahmenbedingungen von Grundlagenforschungsvorhaben stattgefunden haben. Der Begriff »Wissenschaftskreise« suggeriert zunächst eine Auswahl von Wissenschaftlern mit unterschiedlichen, politischen bzw. administrativen Funktionen54, denn nicht alle Wissenschaftler interessieren sich für Grundlagenforschung. Zweitens klingt in der Formulierung ein tendenziell loser, unverbindlicher und selbstbezüglicher Austausch an: »[V]or allem in Wissenschaftskreisen« heißt v. a. nicht in wirtschaftlichen oder politischen Kreisen. Mit den Hinweis auf einen »Fonds55 für die Grundlagenforschung«, der »im Mittelpunkt der Überlegungen« stand, bringt der Text ungewollt auf den Punkt, was der Leser aus den unspezifischen Debatten »in Wissenschaftskreisen« noch nicht entnehmen konnte: Es ging schlichtweg um mehr Geld für Grundlagenforschung. Worin die »Notwendigkeit ei53 Man wird zudem den Eindruck nicht los, dass in der Formulierung eine gewisse Überheblichkeit mitschwingt: Der Verfasser scheint es gar nicht nötig zu haben, auf Einzelheiten einzugehen, zumal ja alle Welt (»man«) wisse, worum es geht. 54 Mit Wissenschaftskreisen scheinen zudem Personen gemeint zu sein, die im Namen einer Organisation eine Sprecherrolle innehaben. Dadurch dass eine politische Organisation auf eine Debatte über Grundlagenforschung Bezug nimmt ist es naheliegend, Wissenschaftskreise als Repräsentanten von Forschungs- und Forschungsförderorganisationen bzw. als Sprecher von Fachgemeinschaften zu deuten. 55 »Fonds« sind sowohl aus dem privatwirtschaftlichen als auch dem öffentlichen Bereich bekannt, sie bezeichnen in der Regel Formen von Kapitalanlagen. 217 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK nes Fonds« bestand, scheint hier erst gar nicht nachgewiesen werden zu müssen, die Gründe gehen ja bereits aus dem Inhaltsverzeichnis hervor: Japan und die USA werden als Konkurrenten benannt, welche wohl jeweils über solche Fonds verfügen.56 Wichtig scheint aber auch der Hinweis auf einen Fonds zu sein. Anstatt dass Wissenschaftler ihre Forderungen an die vielen Fördereinrichtungen Europas um jeweils bessere finanzielle Ausstattung richteten, so der Text, gehe es hier um ein einziges Anliegen. Erst nach der Erwähnung eines »Fonds« werden Forderungen nach einem Europäischen Forschungsrat57 genannt. Sequentiell hierarchisiert der Text die beiden Elemente: Zuvorderst geht es um Forschungsfinanzierung durch eine Kapitalanlage, womöglich – aber nicht unbedingt! – deutet der Konnektor »und« darauf hin, dass der geforderte Forschungsrat über die Ausgaben des Fonds mitentscheidet. Mit dem folgenden Satz spezifiziert der Text dann auch, was unter »Wissenschaftskreisen« verstanden werden soll: »So haben sich während der letzten Monate zahlreiche Persönlichkeiten, Organisationen und Einrichtungen zu dieser Frage geäußert.« An den daraufhin aufgezählten Akteuren (»eine Gruppe von 45 Nobelpreisträgern, [...] der Verband der Leiter und Präsidenten der nationalen Forschungsräte« usw.) offenbart sich wiederum der erheblich inszenatorische Aufwand der Kommission. Sinn ergibt eine solche Inszenierung nur dann, wenn man davon ausgeht, dass der Text auch jenseits wissenschaftspolitischer »Kreise« rezipiert wird. Gleichzeitig soll Anerkennung gegenüber anscheinend wichtigen Personen aus der Wissenschaft und der Forschungspolitik ausgesprochen werden, die sich mit Fragen um europäische Grundlagenforschungsförderung beschäftigt haben. Schließlich habe das Europäische Parlament eine bereits erschienene Mitteilung der Kommission zur Kenntnis (»In die Forschung investieren: Aktionsplan für Europa«) genommen, in der es die Kommission aufgefordert habe, »dass die europäische Forschungspolitik die Grundlagenforschung durch die Schaffung eines ›Europäischen Forschungsrats‹ stärker unterstützen solle«. An dieser Formulierung können wiederum mehrere Auffälligkeiten diskutiert werden. Die sachliche Information, dass es anscheinend keinerlei Gelder oder Organisationen auf der EU-Ebene zur Förderung von Grundlagenforschung gab, sollte aus dem Text eindeutig abzulesen sein. 56 Damit setzt der Text die EU mit nationalstaatlicher Souveränität gleich. 57 Anscheinend wird mit diesem ein übernational organisiertes Beratungsgremium für Forschung in Europa handeln. Ob der Rat aus Forschern besteht ist dem Text nicht zu entnehmen, es liegt aufgrund der Forderung aus »Wissenschaftskreisen« jedoch nahe, dies anzunehmen. 218 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? Hier ist die einzig gültige Lesart, dass unter »europäischer Forschungspolitik« eigentlich nur die supranationale Förderung von Grundlagenforschung gemeint sein kann, für die die Kommission keine Legitimation hatte.58 Auch wenn sie bereits Mitteilungen über die Notwendigkeit einer Grundlagenforschungsförderung verfasst haben mag – man erinnere sich an die politisch kommunizierte Zumutung der Endgültigkeit von Mitteilungen –, ein Vollzugsmandat ist ihr anscheinend bisher versagt geblieben. Damit ist das zentrale Deutungsmuster des Textes bereits aufgedeckt: Die verfasste Kommissionsmitteilung ist Ausdruck einer Krisenbewältigung europäischen Regierens, das heißt einer Legitimationssuche der Kommission, um in einem bisher nicht-mandatierten Policy-Bereich Kompetenzen zu erlangen. Dieses Vorhaben scheint sie mit äußerster Vorsicht mitteilen zu müssen; nur so erklärt sich die textliche Absicherung durch hohe Persönlichkeiten aus der Wissenschaft und durch Zitate berühmter wissenschaftspolitischer Schriften. Und nur so erklärt sich auch der Absicherungsaufwand des nun folgenden Satzes. Die Kommission gibt an, mit der vorliegenden Mitteilung wolle sie »[…] einen Beitrag zu dieser Debatte leisten und gleichzeitig helfen, die politische Diskussion in Gang zu bringen.« Da die von ihr anfangs erwähnte Debatte nur als eine politische Debatte gedeutet werden konnte, erscheint der zweite Teil, eine »politische Diskussion in Gang zu bringen« zunächst redundant; die Debatte wurde ja bereits geführt und scheint zumindest im Organisationskontext der Kommission (»Mitteilung […] endgültig«) zu einem Abschluss gekommen zu sein. Naheliegend ist, dass die eingangs erwähnte Debatte auf einen Konsultationsprozess hindeutet, in dem unterschiedliche Positionen angehört wurden. In Abgrenzung dazu ist mit der »politische[n] Diskussion« mit aller Wahrscheinlichkeit der Organisationskontext supranationaler Politik der EU gemeint. Unter Zuhilfenahme von Kontextwissen bedeutet dies, dass eine politische Diskussion nun auf der offiziellen Ebene der EU-Institutionen, d. h. im Zusammenspiel von Kommission, Parlament und Rat, lanciert worden ist. Dokumentiert wird also eine unmittelbar bevorstehende Entscheidungsphase. Die Mitteilung verfolgt eine dreigliedrige Zwecksetzung. Der erste Zweck soll sich in Form einer Bestandsaufnahme vollziehen, mittels der die Mitteilung die »allgemeine Lage der Grundlagenforschung auf europäischer Ebene und in der Europäischen Gemeinschaft untersucht«. Was unter einer »allgemeine[n] Lage der Grundlagenforschung« zu verstehen ist, bleibt unspezifisch. Die Fortführung »auf europäischer Ebene« 58 Schließlich sind assoziativ – ebenso wie die oben zitierten Interviewpartner – eine Reihe von transnationalen Forschungs- und Forschungsförderorganisationen in der Grundlagenforschung verortet, allen voran CERN, EMBO/EMBL, COST und die ESF (vgl. Kap. 4). 219 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK und »in der Europäischen Gemeinschaft« deutet jedoch wieder auf die politische Kontextualisierung hin, d. h. die Förderung und Regulierung von Grundlagenforschung. Diskussionswürdig scheinen aus der Sicht der Verfasser alle Organisationsebenen zu sein, denn die »Probleme sowie Stärken und Schwächen« beziehen sich in Folge auf Gesamteuropa. Ferner erklärt die Kommission, ihre Mitteilung sei kein Text der Entscheidung: »Sie leistet einen Beitrag zu den Überlegungen und Diskussionen, indem sie verschiedene während der Debatte angeschnittene Punkte klarstellt, präzisiert und durch Informationen ergänzt.« Dass mit diesem Text jedoch offensichtlich ein politisches Ziel verfolgt wird, zeigen die folgenden beiden Sätze: »Mit dieser Mitteilung über die Grundlagenforschung will die Kommission einen Beitrag zu dieser Debatte leisten und gleichzeitig helfen, die politische Diskussion in Gang zu bringen. Damit kommt sie insbesondere der Aufforderung des Rates »Wettbewerb« vom 22. September 2003 nach, zu diesem Thema Stellung zu nehmen.« Vergleicht man die Deutung über endgültige Mitteilungen zu Beginn des Dokumentes (Kap. 6.4.1) mit dem ersten Satz, so wirkt die Aussage der Kommission, »einen Beitrag zu dieser Debatte [zu] leisten« zunächst auffällig bescheiden. Auch hier scheint sie kurzfristig zu einer recht vorsichtigen Einschätzung ob ihres eigenen Beitrags zu kommen. Daraufhin jedoch beansprucht sie, eine politische Diskussion »in Gang zu bringen«. Augenscheinlich trennt sie zudem zwischen Debatten innerhalb der beschriebenen »Wissenschaftskreise« und Diskussionen auf der politischen Ebene. Diese Unterscheidung überzeugt aus zwei Gründen nicht. Zum einen erwartet man eine Zuordnung von Arten argumentativer Auseinandersetzung in genau umgekehrter Reihenfolge: in der Wissenschaft wird diskutiert, in der Politik debattiert. Debatten unterscheiden sich von Diskussionen vielleicht weniger durch den Grad der Emotionalität als durch ihre kommunikative Rahmung: Debatten folgen zumeist Regeln, etwa denen einer parlamentarischen Geschäftsordnung, während Diskussionen diese Struktur nicht aufweisen müssen.59 Zweitens kann auch allein die künstliche Trennung zwischen den Subjekten – der Wissenschaft einerseits und der Politik andererseits – nicht überzeugen, denn die der Wissenschaft zuzurechnenden Akteure agierten ja auch innerhalb eines politischen Kontextes (siehe Kapitel 5.2). In der Deutung dieser Sequenz sind zwei Schlussfolgerungen notwendig. Es bestätigt sich, dass die Organisation vorsichtig argumentieren, ja 59 Man kann mit Freunden bis spät in die Nacht hinein diskutieren, was für Parlamentsdebatten vielleicht auch zutreffen mag, aber nur, weil die Geschäftsordnung eine solche Zumutung an ihre Abgeordneten (und Stenographen) erlaubt. 220 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? abwägen musste, ob und wie sie in Folge politisch agieren wird. Außerdem scheint die Kommission durch ihre textlich herbeigeführte Trennung zweier Diskussionszusammenhänge die Forderungen der »Wissenschaftskreise« zwar anzuerkennen, aber auch gleichzeitig auf eine Umsetzungsschwäche hinzuweisen. Erst sie könne die politische Diskussion in Gang bringen, also in ein EU-politisches Verfahren überführen. Die Kommission geriert sich damit als zwingend notwendiges Bindeglied zwischen der Interessenkoalition und den EU-Institutionen.60 Dass sie nun, wie im folgenden Absatz entsprechend formuliert, beabsichtige, »die europäischen Leistungen in der Grundlagenforschung zu verstärken und die notwendigen Mittel bereitzustellen«61 sowie »Vorschläge für das weitere Vorgehen« zu erarbeiten, kann bereits aus den Sequenzen zuvor antizipiert werden. 6.4.8 Eine gescheiterte Definition von Grundlagenforschung In den letzten Kapiteln verdichtete sich die inszenatorische Funktion des Textes: Will die Kommission sich Kompetenzen auf diesem Gebiet erarbeiten, so kann und sollte sie zwar wissenschaftliche Forderungen zur Kenntnis nehmen. Vor allem aber ist sie gezwungen, Grundlagenforschung einzig raumstrategisch und ökonomisch zu rubrizieren und hier eine politische Handlungsdringlichkeit zu suggerieren. Bestehende nationale und transnationale Organisationen, die in Europa Grundlagenforschung betreiben oder fördern, werden unter Kapitel 3.3 als nicht ausreichend, schlecht vernetzt und eben – gegenüber politischen Konkurrenzregionen – als rückständig degradiert. Weshalb aber die Kommission überhaupt für Grundlagenforschung Mittel zur Verfügung stellen will, um (europäischen) Wirtschaftsunternehmen zu höherer Leistung zu verhelfen, ist nach wie vor erklärungsbedürftig. So könnte entgegnet werden, dass Wirtschaftsunternehmen Forschungsvorhaben selbst finanzieren, schließlich profitieren sie ja auch von der Kommerzialisierung der Forschungsergebnisse. Zudem ist v. a. durch eine bisher ausbleibende 60 Nicht zuletzt ging ja bereits aus dem Inhaltsverzeichnis hervor, dass die Kommission sich zuschreibt, diese Diskussionen in ein Bild über »die Lage in der Welt und in Europa« zu setzen. 61 Was sich hier notwendigerweise wiederholt, ist die geostrategische und marktimperative Kontextualisierung von Grundlagenforschung (»europäische Leistungen in der Grundlagenforschung«; kursiv TF), die innerhalb eines »Forschungsraums« vollzogen wird. Da raumbezogene – nämlich »europäische« – Leistungen allgemeiner Grundlagenforschung im Lichte eines an Erkenntnisgewinn orientierten Handlungsmodus unsinnig erscheinen, ist nur die Deutung zulässig, dass Leistungen in der Grundlagenforschung von instrumentellem Wert für eine in Europa ansässige Wirtschaft (und nachgeordnet: Gesellschaft) sind. 221 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Definition von Grundlagenforschung nicht ersichtlich, weshalb (prinzipiell alle) Unternehmen Europas von diesem bestimmten Forschungsmodus abhängen oder sich für diesen interessieren sollen. Im Text fehlt diese spezifische Deutung von Grundlagenforschung. Anscheinend wird eine bestimmte Auffassung, was Grundlagenforschung beinhaltet, in der Leserschaft vorausgesetzt; erwartet wird diese Klärung dennoch. Erst wenn sie erfolgt, kann der wirtschaftliche und politisch-instrumentelle Wert von Grundlagenforschung hinreichend begründet werden. Das Kapitel »2. Grundlagenforschung und ihre Wirkung« ist in zwei Unterkapitel aufgeteilt und beginnt mit »2.1 Merkmale der Grundlagenforschung«. Die Überschrift suggeriert die Existenz einer spezifischen Form »[…] der Grundlagenforschung«, welche mehrere »Merkmale« aufweist. Der erste Satz des Kapitels lautet: »Es ist vielfach und auf unterschiedliche Weise versucht worden, den Begriff der Grundlagenforschung zu definieren oder diese zu beschreiben, häufig durch ein Bündel von Merkmalen wie den Zweck (allein auf die Wissensvermehrung ausgerichtete Forschung), ihre Abgrenzung gegenüber der Anwendung (Erforschung der grundlegenden Aspekte von Phänomenen) oder den Zeithorizont (langfristige Forschung).« Zunächst ist mit Blick auf die Einleitung des Satzes festzustellen, dass durch die Passivkonstruktion (»Es ist […] versucht worden«) eine Subjektzuschreibung vermieden wird. Das Passiv suggeriert einen allgemein bekannten Sachverhalt, der durch eine unspezifische Anzahl von Subjekten festgestellt wurde. Die Behauptung, dass Definitionen und Beschreibungen »vielfach und auf unterschiedliche Weise versucht« worden seien, unterstreicht diese Suggestion: Die Leserschaft wird aufgefordert, einem vermeintlich kenntnisreichen Verfasser Glauben zu schenken. Gleichzeitig suggeriert der Text, es sei unnötig, angesichts der vielen Versuche hier noch auf Details einzugehen. Die Formulierung (»vielfach und auf unterschiedliche Weise«) evoziert die Erwartung, dass bisherige Definitionsund Beschreibungsversuche gescheitert sind, das flüchtige Objekt ist eindeutig die Grundlagenforschung, die weder definier- noch beschreibbar ist. Auffällig ist die Spezifizierung der Beschreibungs- und Definitionsversuche: Sie zeichne sich »häufig durch ein Bündel von Merkmalen« aus. Diese herausgestellten Merkmale, so der Text, seien: »Zweck (allein auf die Wissensvermehrung ausgerichtete Forschung), ihre »Abgrenzung gegenüber der Anwendung (Erforschung der grundlegenden Aspekte von Phänomenen)« »oder de[r] Zeithorizont (langfristige Forschung)«. In einer interpretativen Engführung scheint den Verfassern die definitorische Bündelung aus Zweck, Abgrenzung und Zeithorizont nicht auszureichen; zumal vermutet der Leser durch den Verweis auf ein Bündel nun weitere Definitionen. Mithin eröffnen sich den Verfassern zwei 222 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? Möglichkeiten: Entweder sie versuchen sich an einer eigenen Definition oder sie folgen – wohlbegründet – Definitionsversuchen anderer. Weiter im Text: »Bei Arbeiten im Rahmen der so genannten Technowissenschaft wird zudem behauptet, die Forschung werde stets mit Blick auf die möglichen Anwendungen betrieben und alle Forschungsarbeiten stünden in einem bestimmten Zusammenhang mit der Anwendung.« Der Satzanfang (»Bei Arbeiten im Rahmen der so genannten Technowissenschaft […]«) wirkt sperrig und verworren. Dass hier bspw. nicht geschrieben werden konnte, »Techniksoziologische Forschungen haben ergeben […]«, zeugt von einem inhaltlich unsicheren Umgang mit wissenschaftlichen Quellen; man weiß also nicht wirklich, worüber man schreibt, und dies unterstreicht das ausschließlich auf Inszenierung ausgerichtete Deutungsmuster an dieser Stelle. Zuvorderst soll dem Leser Kenntnisreichtum über fach- und interdisziplinäre Forschungsergebnisse weißgemacht werden; der selektive Rückgriff auf eine bestimmte Reflektion über Wissenschaft scheint im politischen Kontext auszureichen.62 Durch die Satzkonstruktion, »[es] wird zudem behauptet«, soll zudem die Schwierigkeit weiterer Definitionsversuche untermauert werden: Nicht einmal die Reflektionswissenschaft der Wissenschaft könne sich auf eine Definition einigen und müsse sich mit Behauptungen begnügen. Interessant ist, dass nun im Text begründet werden soll, es gebe keinerlei Unterscheidungen im Hinblick auf die Ziele von Forschung im Allgemeinen.63 So würde jede Forschung »stets mit Blick […]« auf Anwendung »betrieben« und »stünd[e] in einem bestimmten Zusammenhang mit der [hier ebenfalls ontologisierten:] Anwendung«. Auf die Behauptung des ersten Satzes hin bezogen soll angedeutet werden, dass auch Grundlagenforschung nicht nur immer Bezug zu Anwendung nehmen, sondern auch von ihr abhängen würde.64 Das Argument beansprucht mit dem Nachfolgenden eine Absolutheit, d. h., es wird geschlossen, ohne Alternativen zuzulassen: »Von einigen Ausnahmen abgesehen, werde in keinem Fall Forschung allein zur Vermehrung des Wissens durchgeführt« (kursiv; TF). Die Aussage wirkt in ihrer Formulierung drastisch, denn dem Text zufolge gebe es wohl keinerlei erkenntnismotivierte Forschung, auch 62 Denn »Technowissenschaft« ist ein Begriff, der Lesern Kenntnisse über interdisziplinäre Forschungen (z. B. der Wissenschafts- und Technikphilosophie und -Soziologie bzw. der Science and Technology Studies) abverlangt; vgl. Nordmann (2005). 63 »[D]ie Forschung« wird um ein weiteres Mal ontologisiert. 64 Der hier zitierte »bestimmte Zusammenhang mit der Anwendung« wird allerdings nicht näher expliziert; schließlich beruft sich der Text auf Behauptungen der Technowissenschaft. 223 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Grundlagenforschung sei hiervon nicht ausgenommen. Damit offenbart sich eine denkwürdige Argumentationsfigur: Im ersten Schritt werden Beschreibungs- und Definitionsschwierigkeiten von Grundlagenforschung dargestellt. Aus einer (behaupteten) Vielzahl von Merkmalen werden willkürlich drei herausgegriffen, die selbst in ihrer Bündelung definitorisch nicht zufriedenstellend sein können, wobei sogar zugegeben wird, dass es womöglich auch noch andere Zusammenstellungen geben könnte. Daraufhin folgt die Behauptung, es gäbe überhaupt kein Alleinstellungsmerkmal von Grundlagenforschung, da jegliche Forschung in einem Zusammenhang ihrer potentiellen Anwendungen stünde. Wichtig ist, dass die Verfasser in dem Text bisher keine eigene Positionierung vorgenommen haben, sondern lediglich eine höchst seltsame Zusammenschau angeblicher Beschreibungen und Behauptungen anderer präsentieren. Zu erwarten wäre daher nun ein Fazit bzw. eine Abwägung der bisher angeführten Beschreibungen, um die eigene Positionierung endlich zu offenbaren. Allerdings bestätigt der Text diese Vermutung nicht, denn die folgende Sequenz weist sinnlogisch eine radikale Zäsur auf: »Die Rahmenbedingungen der Forschung und ihrer Finanzierung haben sich ebenso wie die der Forschungspolitik geändert.« Die Definitionsarbeit am Begriff der Grundlagenforschung scheint mit dem Verweis auf Rahmenbedingungen und Finanzierung ergebnislos beendet worden zu sein. Ins Zentrum der Aussage rücken jetzt »[d]ie Rahmenbedingungen der Forschung und ihrer Finanzierung«. Während es allenthalben klar ist, was Forschungsfinanzierung bedeuten kann, gilt dies wohl nicht für »Rahmenbedingungen der Forschung«. Bedingungen werden alltagssprachlich als Voraussetzungen für etwas begriffen, die ermöglichend oder begrenzend wirken. Das Kompositum aus Bedingung und Rahmen suggeriert, dass es hierbei nicht um irgendwelche Bedingungen der Forschung geht, sondern um tragende bzw., der Metapher des Rahmens folgend, um umfassende Voraussetzungen, die sowohl konditional als auch kausal auf Forschung wirken können. In diesem Zusammenhang ist dann suspekt, dass zwischen Rahmenbedingungen und Finanzierung unterschieden wird, wären letztere doch auch zu Rahmenbedingungen, z. B. im Sinne einer positiven, ermöglichenden Freiheit, zu zählen (Wilholt 2012, S. 23ff.). Ferner fragt sich, wer eben diese unspezifischen Rahmenbedingungen setzt. Forschungspolitik wäre als rahmensetzende und finanzierende Instanz naheliegend65 doch sie wird an dieser Stelle seltsamerweise von der Finanzierung und von den Rahmenbedingungen abgegrenzt: »Die Rahmenbedingungen und […] Finanzierung 65 Politik wird durch Gesellschaft legitimiert, Gesetze zu verabschieden, um Forscherinteressen gegenüber gesellschaftlichen Normen abzuwägen, um Steuereinnahmen zur Finanzierung von Forschungsaktivitäten umzuverteilen oder um Unternehmen zu fördern, F&E zu betreiben. 224 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? haben sich ebenso wie die der Forschungspolitik geändert.« Implizit liegt in dieser Thema-Rhema-Progression die Last auf den veränderten, politischen Rahmenbedingungen – die Legitimation also, Entscheidungen zu treffen –, die dann wiederum Wirkungen auf die Finanzierung und Zweckkonditionierung der Wissenschaft zeitigen. Gleichzeitig bleibt offen, durch welche anderen Faktoren (»ebenso«) Rahmenbedingungen gesetzt werden, wer also sonst außer Politik Forschung finanzieren könnte, hier jedoch keine Erwähnung findet. Zunächst ist auf die Frage nach weiteren Rahmenbedingungen hin zu vermuten, dass nicht notwendigerweise nach einem legitimierten und folglich handelnden, also rahmensetzenden Subjekt zu suchen ist, doch können alle möglichen Faktoren, bspw. Umweltbedingungen, sich ändern und somit andere Voraussetzungen für Forschung setzen. Man könnte hier noch viel spekulieren, fest steht, dass dem Leser eine Menge referentieller Leerstellen zugemutet wird, die der Text nicht mehr auszufüllen in der Lage ist. Man soll den Textaussagen Glauben schenken. Der Versuch eine zentrale Aussage im folgenden Satz zu finden, scheitert ebenfalls, und zwar an einer Vielzahl unverständlicher Aussagen, und nicht zuletzt fehlt jegliche Verknüpfung zu dem vorherigen Sinnabschnitt: »Diese Entwicklung schmälert jedoch nicht die Bedeutung einer Unterscheidung, die in jedem Fall theoretisch sinnvoll und in der Praxis größtenteils nützlich ist.« Erstens setzt der Text voraus, man müsse über »[d]iese Entwicklung« etwas wissen, allerdings wird nicht klar, welche Entwicklungen gemeint sind. In sequenzieller Lesart müsste der Satzanfang Bezug zu dem vorherigem Sinnabschnitt (Satz) nehmen, allerdings wurde dort gar keine Entwicklung erwähnt. Deshalb bleibt nur zu vermuten, dass die angesprochene Entwicklung auf einen der drei Aspekte, der »Finanzierung«, der »Rahmenbedingungen« und der »Forschungspolitik« oder auf diese insgesamt rekurriert. Völlig verworren wirkt nun die Kernaussage des Satzes: »[Diese Entwicklung] schmälert jedoch nicht die Bedeutung einer Unterscheidung […].« Man kann nicht einschätzen, wer eigentlich zwischen wem oder was und wozu überhaupt unterscheidet. Auch hier lässt sich nur wohlwollend mutmaßen, dass die »Bedeutung einer Unterscheidung« auf Grundlagenforschung und anwendungs- bzw. verwertungsorientierte Forschung abstellt; mit anderen Worten: Wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Science and Technology Studies zeigen zwar, dass die Einteilung in Forschungskategorien obsolet ist, in politischen Kontexten sei diese Unterscheidung jedoch immer noch sinnvoll, wolle man Rahmenbedingungen und Finanzierungsarten – kurzum: Forschungspolitik – machen. Der Verfasser versteckt seine eigene Position, er windet sich geradezu um eine stringent argumentierte Stellungnahme. 225 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Schlussendlich werden Definitionsversuche von Grundlagenforschung im Stil einer richterköniglichen Jurisdiktion pragmatisch abgebrochen.66 Diese pragmatische Schließung bestätigt die sequentiell folgende Aussage: »Auch wenn es keine strenge und zugleich allseits akzeptierte Definition der Grundlagenforschung gibt, so lässt sich in der Praxis doch feststellen, welche Forschungsarbeiten ohne direkten Bezug zu einer bestimmten Anwendung und mit dem vorrangigen, wenn auch nicht ausschließlichen Ziel der Wissensvermehrung durchgeführt werden und welche nicht.« Auffällig ist die Einführung eines nicht näher bestimmten Praxisbegriffs. Assoziativ drängt sich unmittelbar das Gegensatzpaar von Theorie und Praxis auf, das im Satz zuvor bereits eingeführt wurde. Auf eine konkrete Forschungspraxis oder die Praxis der Wissenschaft ist der Begriff dabei zunächst gar nicht zu beziehen, sondern – im Allgemeinen – auf Handlungen einschließlich der damit verbundenen Ziele. Pragmatismus wird hier gegenüber Definitionsarbeit (»keine strenge und […] allseits akzeptierte Definition«) präferiert. Auf den Fall bezogen bedeutet dies, dass die Kommission sich geradezu mit einer Selbstverständlichkeit als politisch zu erkennen gibt, in dem sie – analog zu einer Ausrichtung auf Technikförderung – konstatiert, dass theoretisch fundierte Unterscheidungen keine Rolle spielen, solange Politik umgesetzt werden könne. Problematisch an dieser Textstelle ist die Funktion der Quasi-Definitionen selbst. Aus dem Kontext gerissen und axiomatisch an den Beginn einer Erörterung gestellt, scheinen sie einzig der Textperformanz zu dienen, durch die die Organisation sich mit einem wissenschaftlichen Habitus schmücken will. Wer wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und zugibt, kategorial unpräzise Forschung zu fördern, kann der Deutung zufolge jedoch Forschung nicht primär im Interesse der Wissenschaft fördern. Die nach wie vor einzige Funktion des Textes liegt darin, Aufmerksamkeit unter Forschungspolitikern zu stiften und zugleich anzudeuten, man habe umfassend über den Sachgegenstand nachgedacht. Die Inszenierungsleistung fällt aber v. a. durch ihre Sinnselektivität auf, derzufolge Grundlagenforschung auf einen instrumentellen Nutzen beschränkt wird. Dieser politisch eng definierte Nutzen penetriert auch die quasiwissenschaftlichen Definitionsversuche des Phänomens. So schickt sich die Kommission an, durch eine Ex-post-Bewertung von nicht näher definierten »Forschungsarbeiten« deren Zwecke und Intentionen bestimmen 66 Über die pragmatische Verwendung von Klassifikationen unterschiedlicher Forschung hinaus vermittelt der Text jedoch ein Deutungsmuster politischer Übergriffigkeit auf Wissenschaft. So verhalten zuvor auch argumentiert wurde, nun wird ein Absolutheitsanspruch auf »theoretisch sinnvoll[e]« Unterscheidungen reklamiert. 226 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? zu können. Ihr Interesse liegt dabei selbst in der Suche nach praktischen Verwendungszwecken (allgemeiner) »Forschungsarbeiten ohne direkten Bezug zu einer bestimmten Anwendung«. So wird Grundlagenforschung als jene Forschung definiert, die keinen Bezug zu einer bestimmten Anwendung habe. Jedoch sollten politische Rahmenbedingungen durch die Kommission mitgestaltet werden, aufgrund derer Grundlagenforschung erst ihre Nützlichkeit ersichtlich würde. Eine Antwort auf die Frage, wofür Grundlagenforschung in Abgrenzung zu anderen Forschungsformen von Nutzen sei, erfolgt erst gar nicht. Durch das argumentative Problem des Textes offenbart sich der politische Kommunikationskontext ebenso wie die ausschließlich auf außerwissenschaftliche Nützlichkeit ausgerichtete Funktion des Textes. Dies bestätigt sich auch in dem Text unter der Überschrift »2.2 Auswirkungen auf mehreren Ebenen«: »Schaut man sich das Schicksal der großen Entdeckungen an und betrachtet man die Realitäten unserer täglichen Umwelt, so stellt man fest, dass nahezu alle Verfahren, Erzeugnisse und Verwirklichungen, die zu einem wirtschaftlichen oder kommerziellen Erfolg und/oder zu einer konkreten Verbesserung der Lebensqualität geführt haben, auf der Grundlagenforschung im eigentlichen Sinne basieren.« Die Nützlichkeit der Grundlagenforschung wird als mittelbar dargestellt; durch das Argument des Schicksals – alltagsprachlich ein negativ konnotierter Begriff – also einer zwangsläufigen Entwicklung, wird auch ihre Förderung als alternativlos begründet. Insgesamt kann dieser pathetisch klingende Satz als Argument für eine stärkere Förderung nicht überzeugen. Denn erstens lassen sich assoziativ viele Beispiele kommerziellen Erfolgs und besserer Lebensqualität finden, die nicht zwangsläufig auf wissenschaftliche Grundlagenerkenntnisse zurückgeführt werden müssen.67 Zweitens könnte nun für eine bessere Verwertbarkeit von Grundlagenforschung argumentiert werden. Hingegen vermittelt der Text lediglich das lineare Innovationsmodell der 1960er-Jahre und widerspricht sich mit Blick auf die oben zitierten Erkenntnisse aus der Technowissenschaft. In den folgenden drei Absätzen werden Beispiele von Anwendungsund Nutzenerfolgen der Grundlagenforschung aufgezählt; in sequentieller Reihung zuerst aus der Physik, dann der Biotechnologie und schließlich aus hybriden Forschungsfeldern, wie der Klimaforschung. Im Kern kommt hier die Figur des Gesellschaftsvertrags zwischen Politik und Wissenschaft zum Ausdruck: Der Souverän sichert der Wissenschaft in 67 Zudem wird die Bedeutung von Grundlagenforschung tautologisch, sollten irgendwann einmal kommerzialisierbare oder lebensverbessernde Anwendungen darauf aufbauen. Denn auf die Spitze getrieben ließe sich an dieser Stelle auch die Finanzierung des Katholizismus einfordern; die dialektische Auseinandersetzung mit ihm brachte ja auch einen Modernisierungsschub mit sich. 227 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Unkenntnis ihrer Tätigkeiten Finanzierung und Schutz zu. Auch wenn ihm einige seiner Forschungsinvestitionen nutzlos erscheinen mögen, die Gewinnmarge wird insgesamt ausreichen. Im letzten Absatz wird die als bisher zwangsläufige Ausrichtung der Grundlagenforschung auf einen gesellschaftlichen Nutzen abermals vorgebracht. Das vorgebrachte Argument ist das des Zufalls, Fall-out oder Spin-Off gilt als Klassiker der Wissenschaftspolitik spätestens seit den 1950er-Jahren: »Doch es kommt auch vor, dass sich für Arbeiten, die lange Zeit ohne Folgen geblieben sind, plötzlich eine praktische Nutzungsmöglichkeit findet [...].« Gänzlich fehlen Argumente, die wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn als Eigenwert stützen (vgl. Oevermann 2005). Immerhin wird in Folge ein indirekter, gesellschaftlicher Nutzen angedeutet: »Auch wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen der Grundlagenforschung am offensichtlichsten und am bedeutendsten sind, so stellen sie doch nicht den ganzen direkten und indirekten Nutzen dar, den die Gesellschaft von dieser Art Forschung erwarten kann, sondern nur den wichtigsten Teil dieses Nutzens.« Sequentiell bleibt dieser jedoch hinter dem utilitaristischen Motiv: Die »wirtschaftlichen Auswirkungen« von Grundlagenforschung seien nicht nur »am offensichtlichsten«, sondern auch »am bedeutendsten« und stellten, wie weiter unten erneut aufgegriffen, »den wichtigsten Teil ihres Nutzens« bereit. Als eine sequentiell betrachtet unwichtigere Funktion von Grundlagenforschung wird im nächsten Satz die »Ausbildung der Wissenschaftler« erwähnt. Die utilitaristische Ausdrucksgestalt bricht hier jedoch nicht ab; im Gegenteil: »Durch die Forschungsarbeit in den Universitätslabors [...] gewinnt er [der Wissenschaftler] das Können und die Fähigkeiten, auf die er während seiner ganzen Laufbahn in diesem Bereich oder in der angewandten Forschung zurückgreifen wird. Aus diesem Grund wird die Grundlagenforschung auch weiterhin im Mittelpunkt der Tätigkeit und der Aufgaben der Universitäten stehen, die in ihr und in der Lehre ihre Daseinsberechtigung finden« (kursiv; TF). Wissenschaftler, die forschen, müssten feldspezifisch ausgebildet werden – und dies auch grundlegend –, um eben weitere Forschung betreiben zu können, die ökonomischen Zwecken diene. Erneut betont der Text lediglich die Relevanz einer nutzenorientierten Grundlagenforschung. Diese wird auf die Organisation der Universität ausgedehnt, die sich dem Text zufolge eben nicht an Wissenschaft orientiere. »Was die Universitäten im Vergleich zu anderen Lehranstalten generell auszeichnet und einen besonderen Pluspunkt darstellt, ist die 228 GRUNDLAGENFORSCHUNG ALS EUROPäISCHE GEOSTRATEGIE? Möglichkeit einer wissenschaftlichen Ausbildung durch Forschungsarbeiten, die sie allen anbieten« (kursiv; TF). Die Aussage verwirrt zunächst, da Universitäten mit unspezifischen »anderen Lehranstalten generell« verglichen werden. Fraglich ist zudem, was, wenn es einen »besonderen Pluspunkt« der Universitäten gäbe, dann ihre anderen Pluspunkte seien, und warum diese hier keine Erwähnung finden. Der Verweis auf das Angebot an »alle« ist hier ausschließlich von der Warte instrumenteller Brauchbarkeit sinnvoll. In der folgenden Sequenz betonen die Verfasser die Rolle staatlicher Fürsorge für die Wissenschaft und markieren zeitlich eine Zäsur, insofern deren Relevanz heutzutage noch weiter gestiegen sei. Gründe für die Notwendigkeit (»seit jeher«) permanenter staatlicher Unterstützung der Grundlagenforschung werden nicht genannt. Jedoch wird der Leser darauf vorbereitet Gründe zu erfahren, die die bisherige Notwendigkeit staatlicher Unterstützung von Grundlagenforschung in den Schatten stellen würden (»Heute ist eine solche Unterstützung aus folgenden Gründen noch notwendiger denn je«). Die als Spiegelstriche in der nächsten Sequenz aufgeführten Gründe sind gesellschaftstheoretisch gerahmt, indem gesellschaftliche Funktionen wissenschaftlicher Tätigkeit (Grundlagenforschung) aufgezählt werden. »Die Grundlagenforschung hat eine indirekte, aber unbestreitbare Wirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, das Wachstum und ganz allgemein auf den Wohlstand.« Das dominante Motiv liegt erstens und in Anbetracht bereits analysierter Sequenzen wenig überraschend auf der Wirtschaftsförderung durch Forschung. Das zweite Motiv reiht sich einerseits in die dominante Nutzenlogik von Wissenschaft für Wirtschaft ein und übertrifft es andererseits. Nicht nur seien die Kosten für Forschungsvorhaben gestiegen – diese sind vornehmlich auf Natur- und Technikwissenschaften (»Kosten der Instrumente«) bezogen. Auch sei eine stärkere öffentliche Alimentierung notwendig, weil »angesichts des höchstens indirekt zu erwartenden Kapitalrückflusses« Wirtschaftsunternehmen die Kosten von Grundlagenforschung nicht tragen würden. Nur dann, wenn man argumentiert, Grundlagenforschung sei wohlstandsfördernd und gleichzeitig aus rationalen wirtschaftlichen Argumenten durch Wirtschaftsunternehmen (zu hohe Kosten, keine klaren und verlässlichen Kapitalrückflüsse) nicht finanzierbar, würde die Förderung von Grundlagenforschung zu den Staatsaufgaben gelten. Indem der Text unter dem letzten Spiegelstrich Wissen als »öffentliches Gut« aufführt, gibt er einerseits der breiteren Verwendung von Grundlagenforschung statt, fasst dies allerdings wieder in der bisherig festzustellenden instrumentellen Logik. Die Struktur des Textes ist hier sehr stabil auf eine wohlfahrtstaatlich gerahmte Ökonomie zugerichtet. Im weiteren Textverlauf lassen sich keine Passagen 229 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK finden, die dieser Struktur widersprechen. Hingegen wird sie geostrategisch dramatisiert: Nach einem Stärken-Schwächen-Vergleich zwischen den USA, Japan und Europa hinsichtlich des wissenschaftlichen Outputs und der Verwertung grundlagenorientierter Forschungen sieht sich die Kommission dazu gezwungen, einer »Abschottung der einzelstaatlichen Forschungssysteme entgegenzuwirken« (S. 13). Mit der Mitteilung will sie »eine Basis für die politische Debatte insbesondere in den Institutionen der Union« liefern, um mit Blick auf das geplante 7. FRP »Überlegungen über den ›Europäischen Forschungsrat‹« (S. 15) auf die Ebene der politischen Institutionen (Rat und Parlament) zu bringen. 6.4.9 Fazit zu Unterkapitel 6.4 In der Analyse der Mitteilung »Europa und die Grundlagenforschung« wurden soziale Deutungsmuster rekonstruiert, die ein Legitimationsproblem der Kommission zum Ausdruck brachten. Um ihre politische Macht in einem für sie neuen Kompetenzbereich zu sichern, musste die Kommission ihr Vorgehen – mit Bedacht – durch inner-europäische Binnenmarktrelevanz und außereuropäisch drohende Konkurrenz absichern. Gleichzeitig waren Reformbestrebungen in der Wissenschaftspolitik zu adressieren. Die Kommission nimmt in ihrem Text Bezug auf unterschiedliche Kreise und geriert sich als verständnisvolle Zuhörerin und als ausführendes Organ einer vernunftbasierten Politik. Dabei instrumentalisiert sie die Reputation der einen Leserschaft – Wissenschaftler und Wissenschaftspolitiker intermediärer Organisationen, die für mehr Grundlagenforschungsförderung plädieren – für ihre Begründung gegenüber einer anderen Leserschaft: den entscheidungsgebenden EU-Organen. Da vernehmbar ein allseitiges Misstrauen gegenüber der Kommission vorherrscht, Grundlagenforschung zu fördern, welche allerdings auch besonders voraussetzungsreich zu begründen ist, versucht sich die Kommission in einer Art Definitionsarbeit, die aufgrund eklatanter Fehler nicht ernst genommen werden kann. An dieser Stelle zeigt sich, wie auf höchst selektive Weise die Nützlichkeit von Grundlagenforschung weisgemacht werden soll – teilweise wird dies so weit geführt, dass dieser Forschungsform jegliche Distinktion abgesprochen wird. Außerdem illustriert dieses Argumentationsschema das Legitimationsproblem einer politischen Organisation, Bezüge zu Handlungsformen der Wissenschaft herzustellen, die ihr nicht vertraut sind. Textperformativ täuscht die Kommission mithin Reflektionswissen vor, um sich als entscheidungs- und handlungskompetent für einen neuen Politikbereich zu bewerben. Grundlagenforschung bleibt jedoch ein wesensmäßig umstrittenes Konzept, das sich mit Blick auf das Funktionssystem Wissenschaft nur schwer wirtschaftlich und geostrategisch instrumentieren lässt. 230 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU 6.5 Frontier Research als Geostrategie der EU 6.5.1 Die Frontier – raubeinige Einzelkämpfer des Wilden Westens Die »Frontier« ist in den USA ein ebenso gepflogener Begriff wie bspw. der »American Dream« nach James Truslow Adams. So finden sich im Internet unzählige Beispiele ihrer sprachlichen Verwendung, wie Cafés, Kinos, Automobilmodelle, Solarfirmen, Finanzdienstleister, Fluggesellschaften, Schulen und Forschungseinrichtungen. In Europa hingegen ist diese Metapher kaum geläufig oder stellt in den naheliegenden Sprachgemeinschaften Großbritanniens und Frankreichs (»frontière«) nur einen höchst selten verwendeten Sonderbegriff der »Grenze« dar.68 Die Unterscheidung zwischen dem US-amerikanischen und europäischen Gebrauch der Metapher gilt ebenso für den Bereich der Wissenschaft und der F&T-Politik. Die »Frontier« taucht begrifflich nur selten in wissenschaftlichen Selbstbeschreibungen (vgl. Abb. 8) wie auch im forschungspolitischen Kontext Europas auf.69 Dass ihre Verwendung nahezu exklusiv in Amerika gepflogen ist und hier eine spezifische Bedeutung entfalten konnte, ist historisch begründet. Ihre erste Konjunktur erlebte die »Frontier« im 19. Jahrhundert zur Zeit des Wilden Westens, hier umschrieb der Begriff wörtlich einen tatsächlich stattfindenden und besonderen Prozess der Erkundung und Landnahme: Pioniere verschoben durch ihre wagemutigen Auskundschaftungen sukzessiv einen Grenzraum des Unbekannten, bis sie v. a. die West- und Südgrenzen der USA erreichten. Man lebte an der »Frontier«, also in einer immerzu provisorisch errichteten Transitzone, die diffus, d. h. nicht klar abgesteckt, in das Unbekannte hineinreichte.70 Erst mit dem Erreichen der natürlichen Grenzen Amerikas wurde die »Frontier« metaphorisch71 aufgeladen (Slotkin 1973; Stoeltje 1987; 68 Vielleicht kennt man noch die Anfang der 1970er-Jahre in Paris gegründete Organisation »Médecins Sans Frontières« und die seit 1989 in Großbritannien bestehende Hilfsorganisation »Frontier«. 69 Die seit 1989 in Straßburg ansässige Organisation »Human Frontier Science Program« mag eine Ausnahme darstellen, ihre Gründung geht allerdings auf die Initiative Japans in Kooperation mit den USA zurück. 70 In diesem Sinne darf die »Frontier« nicht als klar definierte Grenze verstanden werden. Vielmehr stellt gilt sie als »lokal begrenzt manifestierender Typus einer prozesshaften Kontaktsituation« (Osterhammel 2010, S. 471). 71 Die Frontier ist eine Metapher, eine Trope also, deren Hauptleistung in der Bildung einer Analogie liegt. Metaphern können u. a. etwas effizient ausdrücken, das sonst viel Zeit für lange Erläuterungen beanspruchen würde (»Schlüsselbart«), negativ konnotierte Dinge umschreiben oder beschönigen (»entschlafen« anstatt 231 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Stuckey 2011). Sie wurde zum Sinnbild eines Aufbruchs ins Unbekannte, der Erkundung und Zivilisierung bzw. Ausbeutung des »Wilden« und schließlich zu einem heroisch konnotierten Inbegriff des risikoaffinen, individualen, liberalen Pragmatismus (insbes. Hofstadter und Lipset 1968; Ceccarelli 2013). Die metaphorische Transformation der »Frontier« wird maßgeblich auf die Arbeiten Frederick Jackson Turners (1893; 1921) zurückgeführt. Unermüdlich72 vertrat der Historiker die spektakuläre wie umstrittene These, dass sich durch die Erfahrung an der »Frontier« eine exklusiv-amerikanische Lebenseinstellung, ja sogar eine urtümliche Charaktereigenschaft ausgebildet habe: » [A]s the frontier successively emerged and vanished […] a special American character was forged, marked by fierce individualism, pragmatism, and egalitarianism« (Cronon 1987, S. 157). Erfahrungen an der »miraculous frontier« hätten, so Turner, umfassend transformatorische Konsequenzen für die Physis und Psyche eines jeden Individuums und die US-amerikanische Gesellschaft gehabt: »[M]an and society were separated from their past and forced to assume a new physical and spiritual appearance. Most importantly, human institutions were so disturbed by the shock of frontier conditions that the traditional forms of government collapsed.« (Turner 1989, S. 27–28). Diese Transformation sei insbesondere bei europäischen Immigranten beobachtbar gewesen, die im Angesicht der »Frontier« geradezu gezwungen waren, ihr grüblerisches Dasein hinter sich zu lassen und einen pragmatischen »American Spirit« anzunehmen (Coleman 1966, S. 31–32). Dabei verstieg sich Turner in evolutionsbiologische Erklärungsversuche (ebd., S. 23–24), insbesondere in Anlehnung an den Botaniker Jean-Baptiste de Lamarck (1744–1829), um die Anpassungsleistung jedes Individuums (im engl. Wortlaut: »germs«, also Keime) unter widrigen Bedingungen zu rühmen. Nur durch die Bewährung an der »Frontier«, verklärte Turner, konnte aus der losen US-amerikanischen Gesellschaft ein widerstandsfähiger Organismus – eine robuste Form des gemeinschaftlichen Zusammenhalts – reifen. Damit brachte der Historiker auch seine Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen zum Ausdruck (Turner 1921, S. 271–272). Die echte und die metaphorische »Frontier« idealisieren daher eine wagemutige Privatunternehmung, eine Mobilisierung des Selbst vor und zugleich im Dienste einer Mittelmaßgesellschaft, die staatliche Institutionen nicht braucht bzw. erst »sekundär »sterben«), abstrakte Phänomene sinnbildlich vereinfachen oder ähnliche Eigenschaften zweier Dinge betonen. 72 Zum ersten Mal präsentierte Turner seine These vor der American Historical Association in Chicago unter dem Titel »The Significance of the Frontier in American History«, die im Jahre 1893 am Rande der dort ausgerichteten Weltausstellung (»World’s Fair: Columbian Exposition«) stattfand. Die Abhandlung veröffentlichte er mehrfach in jeweils überarbeiteter Form. 25 Jahre integrierte Turner sie als erstes Kapitel in seinem berühmten Buch »The Frontier in American History« (1921). 232 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU staatlich-imperialen Schutz genießt oder von staatlicher Seite gezielt instrumentalisiert wird« (Osterhammel 2010, S. 471). Die Talentiertesten der Gesellschaft sollten also nicht nur das Recht auf eine risikofreudige Selbstmobilisierung genießen, sondern stünden auch in der Pflicht, dies zu tun; die ähnlichkeit zur selbstmobilisierenden und selbstoptimierenden Exzellenzsemantik – ebenfalls ein US-amerikanischer Exportschlager – ist augenscheinlich (vgl. Peter 2013, S. 26). Neben dem Moment des risikobereiten, unternehmerischen Selbst liegt der metaphorische Schwerpunkt der »Frontier« ganz klar auf dem Wagnis, das Unbekannte zu erkunden. Und so gelang Turner auch der metaphorische Brückenschlag zur Wissenschaft: Dem Historiker zufolge habe nicht jeder in der Gesellschaft das Zeug zum Pionier, so wie auch zurzeit des Wilden Westens nicht jeder ein »Frontiersman« sein konnte. Auf die Frage, wer die neuen »Frontiersmen« im Dienste der US-amerikanischen Gesellschaft sein sollten, kamen Turner moderne Experimentalwissenschaftler (»university men«) in den Sinn: »[S]cientific experiment and construction must be applied to all of nature’s forces in our complex modern society. The test tube and the microscope are needed rather than the ax and rifle in this new ideal of conquest« (Turner 1920, S. 284). Zweitens bot sich die Wissenschaft als Objekt der »Frontier«-Metapher an, weil Wissen, Nichtwissen und deren Differenz ohnehin und oftmals durch Räumlichkeitsmetaphern (»Grenzen des Wissens«, »Wissensräume« usw.) umschrieben werden. Seit Turners Lancierung der Metapher hat jeder US-amerikanische Präsident (vgl. Ceccarelli 2013) die Metapher der »Frontier« auf die Wissenschaft angewendet. So griff Herbert Hoover Turners Ideen in seinem Buch American Individualism direkt auf: »[T]he days of the pioneer are not over […]. The great continent of science is as yet explored only on its borders, and it is only the pioneer who will penetrate the frontier in the quest for new worlds to conquer« (Hoover 1922, S. 64). John F. Kennedy warb 1960 für die massive Investitionsausweitungen in der Raumfahrtforschung mit den Worten: »Beyond that frontier are uncharted areas of science and space.« Und Jimmy Carter forderte 1979 eine allgemeine Steigerung der Bundesausgaben in F&E ein: »We are pushing back the frontiers in basic research for energy, defense and other critical national needs.« Die wohl prominenteste Verwendung der »Frontier«-Metapher jedoch ist auf den Expertenbericht des US-Präsidentschaftsberaters Vannevar Bush unter dem Titel, Science – The Endless Frontier (Bush 1945), zurückzuführen (vgl. Pielke 2012; Ceccarelli 2013). Dem Bush-Bericht und den zuvor zitierten Verwendungen der »Frontier«-Metapher ist gemein, dass sie das wissenschaftliche Risiko immer dann positiv zu konnotieren versuchten, wenn F&E-Förderprogramme der bundesstaatlichen Ebene vor hohen Legitimationsproblemen standen, insbesondere im Bereich der Grundlagenforschung. Der Bush-Bericht, welcher in der wissenschaftspolitischen Praxis wie 233 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK auch der Wissenschaft und Wissenschafts- und Innovationsforschung allzu gern als Legitimationsfolie für Grundlagenforschung oder gar die freie Wissenschaft Verwendung findet, muss zuvorderst als ein Antwortversuch auf ein großes politisches Legitimationsdefizit gelesen werden: Wie können hohe Staatsausgaben in F&E weiterhin gerechtfertigt werden, wenn die US-amerikanische Kriegswissenschaft, so erfolgreich ihre F&E-Ergebnisse waren, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gebraucht wurde (vgl. Pielke 2012)? Zweitens übernehmen die zitierten wie nahezu alle forschungspolitischen Begriffsverwendungen in den USA (hierzu insbes. Ceccarelli 2013) von der »Frontier« einzig die positive Konnotation des Risikos und die des unternehmerischen Einzelkämpfer-Daseins.73 6.5.2 Die gekünstelte Übertragung der »Frontier« auf den EU-Kontext Der Titel des zur Analyse ausgewählten Dokuments lautet: »Frontier Research: The European Challenge« (Harris 2005). Er ist eine Anspielung auf den zuvor angesprochenen Bericht von Vannevar Bush (1945) »Science – The Endless Frontier«; somit wird 60 Jahre später die US-amerikanische Semantik der »Frontier« in den forschungspolitischen Kontext der EU eingeführt. Doch diese Analogiebildung stellt nur einen Teil des europäischen Expertenberichts dar: Der Untertitel des Analysedokuments spielt auf das bereits zitierte Buch »The American Challenge« an (Servan-Schreiber 1968), das in den 1960er-Jahren ein düsteres Bild für Europas Volkswirtschaften angesichts einer Übermacht wirtschaftlich und technologisch überlegener Unternehmen aus den USA zeichnete. Die im Sinnbild der »Frontier«-Metapher begründete F&T-Politik der USA scheint also eine Irritation in Europa ausgelöst zu haben. Warum wird die »Frontier« nun so zentral in einen politischen Kontext eingeführt, in dem sie keinerlei historische Schwerkraft besitzt und somit begrifflich eben nicht ihre metaphorische Geltung entfalten kann? Und auch in der europäischen Wissenschaft ist der Begriff kaum geläufig, dies zumindest scheint eine bibliometrische Schlagwortsuche aller im Web of Science gelisteten Zeitschriftenaufsätze (ausgenommen sind historische 73 Eine nennenswerte Ausnahme stellt eine Rede von George W. Bush dar, der hinsichtlich einer Deregulierung in der Forschung an embryonalen Stammzelllinien vor ethischen Gefahren warnte, die hinter der Frontier lauerten: »[…] while we must devote enormous energy to conquering disease, it is equally important that we pay attention to the moral concerns raised by the new frontier of human embryo stem cell research. Even the most noble ends do not justify any means« (Bush 2001). 234 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Beiträge). Die y-Achse zeigt Publikationen aus den zehn Staaten, in denen der Begriff am häufigsten verwendet wurde. 600 500 400 300 200 100 0 USA UK CANADA FRANCE JAPAN PR CHINA GERMANY ITALY AUSTRALIA SPAIN Abbildung 8: Frontier Research als Forschungssemantik der USA Die hier vorliegende Analyse versucht zu klären, welche Funktion diese offensichtliche Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Semantik für den Kontext europäischen Regierens übernehmen sollte. Der Bericht wurde im Format DIN-A4-Format angelegt. Über das Internet als PDFDatei und in gedruckter Form74 ist er prinzipiell jedermann zugänglich. Das Dokument wurde farblich und schriftbildlich einheitlich gestaltet. Sollten mehrere Autoren bzw. ein Herausgeber am Werk gewesen sein, kann also von einem abgestimmten Vorgehen ausgegangen werden. Bevor im Weiteren der Berichtstext untersucht wird, soll zunächst Vorderund Rückseite des Dokuments analysiert werden. 6.5.3 Frontier Research im politischen Auftrag der Kommission Als erstes fällt die Abbildung der Europaflagge links oben auf der Vorderseite auf.75 Rechts daneben steht in Kapitälchen der Text »European 74 Seite 4 und der Buchrücken des Dokuments weisen eine ISBN-Nummer auf. 75 Das Titelblatt wird in gewohnter Richtung gelesen: von oben nach unten und von links nach rechts. 235 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Commission«76 geschrieben; die blaue Schriftfarbe gleicht der des Flaggenuntergrunds; die im Blocksatz gehaltenen Wörter »European« und »Commission« suggerieren eine Art Markenname oder Symbol mit Wiedererkennungswert, möglicherweise auch einen amtlichen Urkundenstempel. Unterhalb der Flagge stehen in weißer Schriftfarbe die Worte »Community research« auf beigem Untergrund geschrieben. In dem offenkundig europapolitischen Kontext scheint der Begriff der »Community research« eigentümlich. Auszuschließen ist, dass er hauptsächlich auf die Handlung gemeinsamen Forschens abstellt, z. B. in Form einer sozial koordinierten Arbeitsteilung. Denn erstens stehen hierzu gewohnte Begriffe, wie Verbundforschung (»collaborative research«) zur Verfügung. Zweitens muss eine soziale Koordinierung von Forschung nicht auf Gemeinschaftsprinzipien fußen oder diese besonders hervorgehoben werden – Zusammenarbeit könnte schlichtweg verordnet werden. Wird hingegen davon ausgeAbbildung 9: gangen, dass »Community research« Titelblatt des Expertenberichts die Forschung einer Gemeinschaft zu »Frontier Research« umschreibt, so liegt die Betonung in Anlehnung an Ferdinand Tönnies (1979 [1935]) auf einem geteilten Wertekanon, der oftmals in familiären, freundschaftlichen oder auch nachbarschaftlichen Verhältnissen entsteht.77 Nun stellt sich mit Blick auf »Community research« die Frage, 76 Auf den Begriff der Europäischen Kommission wird an dieser Stelle nicht eingegangen, denn er wurde bereits hinreichend interpretiert. Auffällig ist, dass aus den verschiedenen Bezeichnungen für diese Organisation – mal heißt sie Kommission der Europäischen Gemeinschaften, mal EU-Kommission und mal Europäische Kommission – nicht nur unterschiedliche Kompetenzzuschreibungen ablesbar sind. Auch lassen sich hierdurch Rückschlüsse auf ihre eigenen politischen Gestaltungsansprüche ablesen, die anscheinend auf eine wertebasierte Vergemeinschaftung aller politisch erfassbaren, sozialen Zusammenhänge auf dem europäischen Kontinent zugerichtet sind. 77 Die Erlebniswelten der Individuen strukturieren lokal begrenzte Abstammungsund Herkunftsbindungen (erweitert von Weber 1972), ebenso wie unmittelbare 236 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU weshalb eine Wertegemeinschaft der Forschenden überhaupt – und an dieser Stelle im Text – aufgeführt werden muss und welche Werte sie internalisiert haben mag. Zum einen könnten hierunter Akteure der Wissenschaft gefasst und ihr gemeinschaftliches Element als Ergebnis eines Sozialisationsprozesses innerhalb spezifischer Denkschulen (Fleck 1980[1935]) oder vorherrschender Objektivitätsparadigmen betont werden (Kuhn 1970; Krohn und Küppers 1989, S. 45, 73ff.; Galison und Daston 2007, S. 55ff.). Würden sie in lokal begrenzten Forschergruppen, bspw. innerhalb einer Universität, zusammenarbeiten, so könnte eine zusätzliche Betonung dieses Umstands auf ein Legitimationsdefizit hinweisen. Und selbst zueinander auf Distanz benötigen Wissenschaftler keine politische Zusatzbegründung, dass sie gemeinschaftlich aufeinander Bezug nehmen. Denn die geographische Ausbreitung der Wissenschaft hat deren gemeinschaftliche Selbstbezüglichkeit wohl kaum aufgehoben, auch wenn sich die Wissenschaft disziplinär ausdifferenziert und mithin regional ausgebreitet hat (Stichweh 2003). Somit kann hinterfragt werden, ob Wissenschaft überhaupt einen zusätzlichen Verweis auf eine – hier: europäisch territoriale – Vergemeinschaftung durch politische Instanzen braucht. Mit anderen Worten ist davon auszugehen, dass nicht ein spezifisch normativer Gemeinschaftssinn der Wissenschaft betont werden muss, prinzipiell kosmopolitisch und international78 ausgerichtet zu sein. Ebenso wenig Sinn ergibt die Zuschreibung des Europäischen an eine Forschergemeinschaft in der Weltgesellschaft des 21. Jahrhunderts, wenn hierunter eine wie auch immer spezifisch europäische Wertegemeinschaft gemeint wäre.79 Somit bleibt davon auszugehen, dass der Verweis auf »Community research« als ein Versuch der Kommission zu sehen ist, Forschung supranational zu koordinieren. Denn auffällig ist an der Komposition der Sinnelemente innerhalb der beigen Fläche, dass die Kommission über der Gemeinschaftsforschung steht. Hierbei wäre zu fragen, ob sie Forschung spezifisch dafür einsetzen will, um eine Gemeinschaft entstehen zu lassen. So könnte die Kommission mit ihrem Verweis ein gesellschaftliches Gemeinschaftsdefizit80 und mithin ein politisches Legitimationsdefizit bearbeiten, bspw. durch Kommunikation und nicht-egalitäre Rollen- und Machtverteilungen (zur Diskussion von Gemeinschaft und Gesellschaft (u. a. Peters 1993; Bora 1999, S. 38–57). 78 Siehe u.a. Daston (1991), Crawford et al. (1993b), Dienel et al. (2002), Stichweh (2003); Münte (2004). 79 Stellvertretend für viele; siehe Wallerstein (1986), Lepsius (1990, S. 256ff.), Luhmann (1997, S. 571), Fürstenberg (2001, S. 60ff.). 80 Jeder Kommunikationsakt trägt die Zumutung einer »Annahmeerwartung« (Luhmann 1984, S. 267) in sich. In der Botschaft »Community research« scheint dies besonders ausgeprägt, insofern es als umstritten gilt, ob Handlungen der Europäischen Kommission überhaupt auf Gemeinschaftsprinzipien begründet werden können (Majone 1993; Featherstone 1994; Greven und Pauly 2000; Bach 2008). 237 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Forschungsförderung und -regulierung.81 Zweitens mag der Verweis darauf hindeuten, dass die Kommission selbst Forschung über den Stand europäischer Vergemeinschaftung betreiben könnte, »research« also das Subjekt und die »Gemeinschaft« der Forschungsgegenstand wäre. In einer weiteren Lesart wäre die Kommission ebenfalls selbst der Forscher, allerdings würde sie sich auch als die Europäische Gemeinschaft begreifen. Mithin ginge es ihren Mitarbeitern gar nicht um die Erforschung oder Herstellung gemeinschaftlicher Forschung in Europa, sondern um die Forschung am eigenen Selbstverständnis, z. B. mit dem Ziel organisationaler Prozessoptimierung, der Steigerung ihrer Popularität oder der Ausweitung ihres Einflusses. Die bereits interpretierten Elemente sind auf einem kaum merklich beige-weiß gestreiften Untergrund abgebildet, der den Eindruck einer rauen oder schraffierten Oberfläche vermittelt. Links oben im Bild füllt die Fläche in etwa ein Sechstel der Seite und dünnt zum rechten Seitenrand aus. Unter ihr liegt eine hellblaue Fläche, die bis zum Seitenende reicht, zwischen diesen beiden Flächen lagert eine Art blaugefärbter Schweif, der sich ebenfalls von links nach rechts verjüngt. Auf der hellblauen Fläche steht in der Mitte der Seite in großer Schriftgröße und fett gedruckt der Text »Frontier Research:« geschrieben, darunter in gleicher Schrift die Phrase »The European Challenge«; beide Zeilen scheinen zusammenhängend die Überschrift des Dokuments auszumachen. Einige Zeilen unter der Überschrift ist in etwas kleinerer Schriftgröße der Hinweis »High-Level Expert Group Report« und hierunter der Datumsverweis »February 2005« abgedruckt. Links unten am Seitenrand steht in weißer Schrift das Wort »Report« innerhalb eines vertikalen und blaugefärbten Rechtecks82 geschrieben; die Grundierung des Rechtecks weist die gleiche blaue Farbe des Schweifs auf. Zudem ist am Seitenende rechtsbündig eine weiß gefärbte Chiffre (»EUR 21619«) erkennbar.83 Auffällig an der Bildkomposition ist, dass auf der beigen und der blauen Fläche jeweils eine soziale Adresse positioniert ist: oben links die »Europäische Kommission« und in der Mitte des Dokuments die »hochrangige Expertengruppe«. Mithin kann (noch) keine eindeutige Autorenschaft des Dokuments festgemacht werden. Zwar mag man annehmen, das Dokument sei von der Expertengruppe verfasst worden, steht diese doch zentriert unter dem Titel des Dokuments. Andererseits suggeriert 81 An dieser Stelle ist nicht feststellbar, ob der Text auf ein Defizit des Systemapparats oder der Voraussetzungen gemeinschaftlicher Willensbildung hinzuweisen versucht (Peters 1993, S. 327ff.). 82 In der vorliegenden Druckfassung des Dokuments zeigt sich, dass dieses Rechteck nicht auf dem Buchrücken, sondern auf dem Titelblatt liegt. 83 Die Kombination aus Chiffre und der Mitteilung »Report« unten links auf dem Dokument könnte der Verweis auf eine Schriftenreihe sein. In jedem Fall deutet die Chiffre auf einen Ordnungsprozess bürokratischer Organisationen hin. 238 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU die Komposition der drei Flächen, dass der Bericht vordergründig von der Expertengruppe verfasst wurde, dass dahinter aber eigentlich die Kommission steht, so etwa als Auftraggeber, Miturheber oder als Eigner der Studie.84 In einer zweiten Deutung sehen wir mit Blick auf den dargestellten Schweif, dass dieser die blaue und die beige Fläche anscheinend gar nicht vollständig voneinander trennt (siehe oben rechts im Bild): Die Hintergründe (oder auch Motive) der beiden sozialen Adressen laufen sukzessive ineinander, die Trennung zwischen der Europäischen Kommission und der Expertengruppe löst sich allmählich auf. In Analogie zu einer Logarithmusfunktion könnte sogar das Bild bemüht werden, dass der Schweif eine Interaktionssteigerung zwischen der Kommission und der Expertengruppe darstellt. Drittens ist denkbar, dass es sich bei der Komposition der Flächen um eine bildliche Darstellung der Überschrift oder ihrer Teilelemente handelt. Dann würde der Schweif die »Frontier«85 symbolisieren, die zwischen der europapolitischen Entscheidungsinstanz und der Expertengruppe steht. Das Ausdünnen des Schweifs würde auch den Kerngedanken der Frontier aufgreifen: Sie ist provisorisch angelegt und will immerzu aufgelöst werden. Eine vierte Interpretation widerspricht dieser Deutung nicht, insofern in den drei Flächen das Bild von Wasser (blaue Fläche), Brandung (der Schweif) und Festland (beige Fläche) gedeutet werden kann.86 Bildlich gesprochen spült eine Flut von Expertise bisweilen unbekannte Ideen in die Europapolitik: Einige Ideen bleiben, andere zieht der Gezeitengang wieder zurück. Oder aber man sieht hier das Bildnis seefahrender Entdekker bemüht: Auf dem sicheren und bekannten Terrain Europas steht die Europäische Kommission. Ihr untersteht eine eingeschworene Gemeinschaft der Forscher, aus deren Mitte sie eine Expertengruppe beauftragt, den europäischen Horizont zu erweitern, neues Terrain zu entdecken, 84 Die Zusammensetzung aus dunkelblauem Schweif und beiger sowie blauer Fläche suggeriert, dass sich ein blaues Papier von einer dahinterliegenden beigen Fläche ablöst. 85 Wie bereits in der Einleitung des Kapitels beschrieben wird die Frontier nicht als eine beliebige Grenze gedeutet, sondern als Kontaktsituation zu einem unbekannten und bisweilen unergründeten Raum. Sie fällt in die Pionierzeit des 19. Jahrhunderts, in den »Wild West«, in die Zeit der Landnahme bis zum Pazifischen Ozean, des Goldrauschs und der Utopie, in ungeahnten Weiten sein Glück machen zu können. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, diente die Frontier nicht nur als Metapher für die Entdeckung des Weltraums, sondern auch zur diskursiven Unterstützung eines Wettlaufs um die geostrategische Vorherrschaft, v. a. gegenüber der Sowjetunion (Carter 1988; Slotkin 1992). 86 Dass der Schweif eine Art Stratosphäre ausdrücken könnte, wirkt nicht plausibel, denn ein Planet (beige Fläche mit Europaflagge, Europäischer Kommission und gemeinschaftlicher Forschung) müsste gegenüber dem Weltall (blaue Fläche und Dokumentenüberschrift) konvex – und nicht konkav – gewölbt sein. 239 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK zu kartieren und möglicherweise Außenposten zu gründen. Auch dieses Bild korrespondiert mit dem Begriffstitel der »Frontier« sehr gut. Das unbekannte Land scheint zudem im Verhältnis zum bekannten Festland übermächtig groß. Die Frontier könnte aber auch durch den Expertenbericht das unbekannte Terrain ein kleines Stück erweitern; darauf deutet die gleiche Farbe des Schweifs und der blau unterlegten rechteckigen Fläche mit der Aufschrift »Report« links unten im Bild hin. In einer letzten Deutung stehen sich zuvorderst die beiden Lexeme der »Community research« und der »Frontier Research« gegenüber. Insofern die Dokumentenüberschrift als Bedeutungseinheit durch das Dokument zentriert wird, scheint es also um einen Appell zu gehen bzw. darum, eine Hinwendung zu bekunden: Bisher wurde die Kommission lediglich zu einer gemeinschaftlichen Forschung beauftragt. Die Gemeinschaft, ließe sich ableiten, ist sich selbst nicht mehr genug; die Frontier der Gemeinschaft auszuweiten, stellt sich ihr als zentrale und für ganz Europa geradezu schicksalhafte Herausforderung (»The European Challenge«). Wohlgemerkt ist diese nicht eine unter vielen, sondern die einzige oder wichtigste Herausforderung Europas (»The European Challenge«; kursiv TF).87 Man könnte die Deutung anschließen, dass einzig die Expertengruppe die Frontier durch Forschung ausweiten würde, während die Gemeinschaft im Hinterland verweilt. Die »Challenge«, eine negativ (Bedrohung)88 wie positiv (Wettkampf) konnotierte Herausforderung, ist eindeutig auf Europa gemünzt. Europa, der Ort, wo bisweilen lediglich »Community research« betrieben wurde, stellt sich der Herausforderung Frontier Research zu betreiben, und dies, um seine einzige Chance wahrzunehmen oder sich eben der Bedrohung schlechthin zu stellen. Der sich verjüngende Schweif könnte die Forderung symbolisieren, dass Europa sich einem neuen Handlungsmodus der Forschung annähern sollte, um Neuland zu betreten. Diesen Modus einzuüben, stellt allerdings die wichtigste europäische Herausforderung dar. Damit ist zweitens angelegt, dass womöglich jemand anderes außerhalb Europas bereits Frontier Research betreiben und eben Vorteile haben würde, während Europa mit seiner Gemeinschaftsforschung ins Hintertreffen geraten sei. In jedem Fall, das heißt gleichgültig, ob andere bereits Frontier Research außerhalb Europas betreiben, steht eine transformatorische Leistung im Zentrum des Textes: Die 87 Hätte man es mit einer unter vielen spezifischen Herausforderungen zu tun, würde ein weniger bedeutungsaufgeladenen Titel, wie »Frontier Research as a European Challenge« oder »[…] as a Challenge for Europe« erwartet werden können. 88 Beispielsweise wurde das Nazi-Regime als »Challenge« bezeichnet, mit der man es aufnehmen müsse; siehe http://www.telegraph.co.uk/history/world-wartwo/6086350/4TH-SEPT-World-War-2-Britain-takes-up-the-Nazi-Challenge-tosave-liberty-itselfWor.html (am 04.09.1939 erschienen in der Zeitung The Daily Telegraph; hier zuletzt online abgerufen am 10.11.2014.) 240 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU einzige Chance für Europa besteht in seinem Aufbruch in unbekanntes Terrain durch die Erforschung der Frontier. Belanglos, welche Lesart gewählt wird, auffällig ist die starke Selbstbezüglichkeit, die in Frontier Research als einzige europäische Herausforderung semantisch eingelassen ist. Die Bedrohung, bzw. das damit aufgerufene Bild eines Feindes oder Wettbewerbers, bleibt notwendigerweise noch unentdeckt und ist integraler Bestandteil der Frontier.89 Zweitens ist eine gewisse Widersprüchlichkeit in der Inszenierung angelegt: Während Bild- und Textkomposition von einer Bedeutungsschwere zeugen, soll es ausreichend sein, der einzigen und unvermeidlich anzunehmenden Herausforderung Europas mit einem »Report« (siehe links unten auf der Titelseite) beizukommen, auch wenn beteuert werden muss, es handele sich nicht um einen von vielen Berichten, sondern um das Werk einer »High-Level Expert Group«.90 Dies signalisiert Unentschiedenheit in Bezug auf die Frage, wie einer derart großen Herausforderung – Bedrohung oder Chance – begegnet werden soll, und selbst der Ratschluss einer hochrangigen Expertengruppe scheint eines bürokratischen Akts nicht entbehren zu können. Möglich ist, dass die Größe der Bedrohung bzw. der Chance durch den Verweis auf hochrangige Expertise lediglich inszeniert wurde. Entweder wurde diese Inszenierung der Expertengruppe von der Kommission beauftragt oder in (zunehmender) Interaktion, d. h. im Schulterschluss von beiden geleistet. Unwahrscheinlich, aber dennoch möglich, ist zudem, dass der Bericht einen Dissens zwischen den Einschätzungen oder auch zwischen den üblichen Publikationsformaten der Expertengruppe einerseits und der Europäischen Kommission andererseits zum Ausdruck bringt: Während die Expertengruppe die Bedeutsamkeit von Frontier Research zur zentralen Herausforderung Europas erhebt, lässt die Kommission deren Erkenntnisse lediglich in die Form eines Berichts eingehen. Eventuell 89 Man ist gewillt, »hinter der Frontier« zu schreiben, allerdings ist dieser Raum immerzu unergründet und potentiell unendlich angelegt. 90 Der Begriff des Experten verweist bereits auf eine herausgehobene Stellung von Personen, sei es durch die Aneignung umfangreichen Fachwissens oder anderer Fähigkeiten, die in der Regel auf eine Wissensasymmetrie gegenüber anderen Personen hindeuten. Interessant ist, dass Experten auch zugeschrieben wird, ihre eigenen Fähigkeiten angemessen einschätzen zu können (vgl. Chi et al. 1988). Daher ist anzunehmen, dass der besondere Verweis auf die Hochrangigkeit begründungsaufwendig ist, dass eine solche Begründungsleistung allerdings weniger von den Experten als vom Auftraggeber des Berichts erfolgen wird. Ebenfalls können wir Begründungen über die Konstituierung einer Expertengruppe erwarten: Was zeichnet sie als Gruppe außer ihrer exponierten Stellung aus? Sind es bspw. einzelne Fachkompetenzen, die zur Beantwortung der Herausforderung zusammengeführt werden? War die Expertengruppe bereits vorher vereint und haben wir es mit einzelnen Experten zu tun, die die Kommission zusammenbringt? 241 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK wurde ihr die Wahl anderer Publikationsmöglichkeiten untersagt. Die Klärung der Autorenschaft wird an diesem Punkt der Analyse essentiell. Als Verleger bzw. Herausgeber des Berichts wird auf dessen Rückseite die Europäische Kommission mit einer Adresse und einem »Publication Office«91 aufgeführt, damit ist die Autorenschaft allerdings noch nicht eindeutig belegt. Naheliegend wäre, dass die Expertengruppe von ihr beauftragt wurde, den Bericht zu verfassen. Zumal stehen auf Seite drei des Berichts unter den aufgelisteten Mitgliedern der Expertengruppe neben Wissenschaftlern auch Kommissionsmitarbeiter. Ein Blick auf den Klappentext92 der Rückseite gibt noch keinen Aufschluss über die Verantwortlichkeit des Berichts; diese Frage ist also weiter im Auge zu behalten. Dafür fördert der Klappentext Erstaunliches zutage: »This report focuses specifically on the assessment of different effects and benefits that will arise if the European Research Council is put in place and is successful in attracting the participation of teams of the highest level of excellence in Europe. The report analyses these impacts and, through an analysis of existing data, provides a clear indication of the types of effects and benefits that may be expected, and their scientific and economic significance, taking account of the variety of R&D systems and the political and economic environments of different Member States. The report also considers the potential benefits that will be foregone if a European-level mechanism for supporting basic research is not established.« Die Eingangssequenz, »This report focuses specifically on the assessment […]«, fällt durch ihre mehrfache Spezifizierung auf. Sie steht in einem auffälligen Gegensatz zu der Aussage auf der Titelseite, welche die zentrale gesamteuropäische Herausforderung beschreibt, ja sogar das 91 Die ISBN-Nummer verrät, dass es sich nicht um ein geheimes oder verwaltungsinternes Dokument handelt. 92 Paratexte sollen Leser werben, indem sie kurze Informationen zum Inhalt des Textes oder zu dessen Autor liefern (Genette 2001). Die Frage, wer das letzte Wort bei der Festlegung dieser Texte haben darf, führt oftmals zu Streitigkeiten zwischen Autoren und Verlagen, weil Autoren ihr Werk in der Regel in ein falsches Licht gerückt sehen, während Verlage auf möglichst werbewirksame Botschaften zur Erhöhung von Verkaufszahlen drängen (ebd.). An dieser Stelle lässt sich nicht einschätzen, ob es einen Konflikt zwischen der High-Level Expert Group und der Europäischen Kommission gekommen ist, da bisweilen nur eindeutig ist, wer den Bericht verlegt hat, nicht aber, wer der Autor ist. Bemerkenswert ist hier allerdings, dass der vollständige Bericht erst gar nicht mehr im Internet aufzufinden ist: Auf der Website des ERC und der Europäischen Kommission liegt lediglich ein sechsseitiges Dokument vor, im Titel wurde der Verweis »February 2005« mit »Executive Summary« ausgetauscht; siehe http://erc.europa.eu/publication/Frontier-research-european-challenge-high-level-expert-group-report (zuletzt abgerufen am 10.09.2014). 242 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU großartige Unbekannte als Bedrohung oder Chance ins Zentrum der Argumentation stellen will. Im Unterschied dazu betont der Einleitungssatz des Klappentexts, dass der Bericht auf eine Bewertung spezifisch fokussieren werde, was wie eine Tautologie93 anmutet. Der Begriff des Assessment deutet auf einen spezifischen bürokratischen Akt der Prüfung hin, der z. B. aus dem Bereich von Evaluationen bekannt ist. Das auf der Titelseite implizierte Drohpotential der »European Challenge« fällt indes weg, insofern nun neutral Effekte, v. a. aber Vorteile (»benefits«) prognostiziert werden (»will arise«).94 Eigentümlich ist zudem das Prüfen von Effekten oder gar Vorteilen, die möglicherweise in Zukunft auftreten; möglicherweise deshalb, da sie von einer Kette jeweils eventuell eintretender Faktoren abhängen. Eben diese Eventualitäten bringt der Konditionalsatz zum Ausdruck: »[…] if the European Research Council is put in place and is successful in attracting the participation of teams of the highest level of excellence in Europe.« Es scheint bereits einen Europäischen Forschungsrat zu geben; hierauf deutet der Eigenname (Großschrift) hin, zumal die Verwendung des bestimmten Artikels (»the«) insinuiert, dass die Einrichtung einer Leserschaft bekannt sein sollte. Unter einem Council wird eine aus mehreren Personen bestehende Einrichtung verstanden, die expressis verbis eine beratende Funktion innehat. Unklar ist, ob die Einrichtung selbst Forschung betreibt, um aus den hieraus gewonnenen Erkenntnissen befähigt zu sein, Ratschläge an europäische Adressaten zu erteilen, oder ob sie ihren Rat an europäisch ansässige Forscher und deren Einrichtungen erteilt. Hingegen ist eine finanzielle Förderung von Forschung zunächst nicht automatisch in der Semantik des Forschungsrats angelegt. Ganz nach dem Motto, guter Rat ist teuer – kann man davon ausgehen, dass diese Einrichtung eine nicht-triviale Beratungsleistung anbietet. Auf der anderen Seite existiert diese Einrichtung aber wiederum wohl doch noch nicht, ansonsten wäre es nicht nötig, den konditionalen Hinweis, »if the European Research Council is put in place« (kursiv; TF) anzuschließen. Die gewählte Zeitform projiziert auf eigentümliche Weise etwas Zukünftiges in die Gegenwart hinein: Die Kommission teilt mit, dass der ERC bereits existiere oder nicht mehr wegzudenken sei, allerdings müsse er noch richtig platziert werden. Anders formuliert, lässt sich etwas nicht an einen Platz stellen, von dem nicht gesagt werden kann, dass es nicht bereits da sei oder mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sehr bald ins Leben 93 Es versteht sich von selbst, dass eine Fokussierung immer auf Spezifisches erfolgt. 94 Die Auflistung von Effekten und Vorteilen ist eigenartig, da wir eine Gegenüberstellung von Nachteilen und Vorteilen erwarten. Insofern wirkt der Begriff »Effekte« wie ein Euphemismus für etwas negativ zu bewertendes. 243 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK gerufen würde.95 Der ERC ist also bereits vorhanden, jedoch steht er noch nicht an seinem rechten Platz, oder er ist eben noch nicht vollständig einsatzfähig. So könnten bereits Entscheidungen getroffen worden sein, einen ERC einzurichten, während man auf die Bewilligung seines Budgets, die Besetzung von ämtern, die Ausstattung von Büroräumen und dergleichen warten muss. Dramatischer wäre die Möglichkeit, dass sich Organisationselemente eines ERC bereits konstituiert haben, allerdings noch keine finale politische Entscheidung über dessen Etablierung getroffen wurde, so dass wir von einer Art Organisation auf Abruf sprechen müssten.96 Nicht zuletzt kann der Hinweis auf das Platzieren eines ERC wörtlich genommen werden: An welche Adresse in Europa wird man an den ERC seine Post versenden und wo dessen Türklingel finden können?97 Das wohl eher in Alltagskontexten verwendete Verb (»to put in place«) suggeriert dabei, dass die Etablierung des ERC eine natürliche oder gar triviale Angelegenheit sei; andernfalls würde man – und gerade in bürokratischen oder wissenschaftlichen Kontexten – den Einsatz formaler Sprache (bspw. »to constitute« oder »to establish«) erwarten. Darüber hinaus können wir mit dem Einleitungssatz die Frage nach der Leserschaft des Dokuments stellen. Mit Blick auf die ISBN-Nummer mag man zunächst vermuten, die Kommission teile sich unter Zuhilfenahme der High-Level Expert Group einer allgemein wissenschaftlich oder wissenschaftspolitisch interessierten Öffentlichkeit mit.98 Der Hinweis, dass der ERC lediglich noch seinen festen Platz bekommen müsste, kann aber auch als Appell an politische Entscheider gelesen werden, eben diese Platzierung doch endlich vorzunehmen.99 95 Spekulationen über gesellschaftliche und natürliche Zustände in ferner Zukunft finden wir in politischen Dokumenten recht häufig, allerdings sind sie selten auf die Existenz einer einzigen Einrichtung gemünzt, sondern skizzieren in der Regel großangelegt gesellschaftliche Zustände, sei es in utopischer oder dystopischer Weise. 96 Kontextwissen würde dies bestätigen. 97 Standortdebatten gemeinschaftlich europäisch eingesetzter Organisationen bergen mitunter eine Menge politischen Sprengstoffs, weil einzelnen Staaten eine Reihe von Vorteilen (u. a. Prestige, örtliche Nähe, Beschäftigung für Arbeitnehmer) zugeschrieben wird, selbst wenn pro forma alle EU-Mitgliedstaaten gleichsam beteiligt sind. Dies zeigte nicht zuletzt die Debatte um die Frage, wo ein womöglich einzurichtendes European Institute of Technology angesiedelt werden könnte; siehe http://www.welt.de/print-welt/article680948/EU-plant-Elite-Technologieschmiede-in-Strassburg.html?config=print (zuletzt abgerufen am 20.10.2014). 98 Zumal suggeriert ja der Titel des Dokuments, jeder müsse über diese für Europa einzige Chance oder Bedrohung durch eine hochrangige Expertengruppe informiert werden. 99 Es scheint sich an dieser Stelle nicht zu schicken, jemanden spezifisch zu adressieren, den ERC einzurichten. Greift man auf Kontextwissen zurück, so finden sich eben auch Gründe für ein solch verhaltenes Vorgehen: Der Bericht erschien im Februar 2005, d. h. kurz vor dem Kodezisionsverfahren des 7. FRP, das durch einen 244 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Der zweite Bedingungskontext wird durch die Konjunktion (»and«) eingeführt und verpflichtet den womöglich noch nicht an seinem richtigen Ort stehenden ERC bereits zum Erfolg: »[…] and is successful in attracting the participation of teams of the highest level of excellence in Europe.« Gleichzeitig machen die Autoren des Dokuments sich und andere in doppelter Weise abhängig von Bedingungen. Nicht nur wird der ERC an seinen richtigen Platz zu stellen sein, sondern er muss auch erfolgreich darin sein, eine Anziehungskraft auf – unspezifisch bleibende – Teams auszuüben, die sich an irgendetwas beteiligen. Von sprachlicher Pathologie100 absehen suggeriert diese Phrase, dass der ERC sich selbst nicht genug sein kann, Mittel und Zwecke seiner Beratungstätigkeit zu definieren. Sein Erfolg wird bereits definiert: Es gilt Teams zu motivieren, sich an der Konstituierung des ERC zu beteiligen. Selbst, wenn für den Moment Kontextwissen einblendet wird – der ERC wird letztendlich Forschungsfördermittel verteilen –, so scheint durch die Sequenz eine starke Hybris hindurch: Forschungsgelder sind nur unter Inkaufnahme unspezifischer Teilnahmebedingungen zu bekommen, wobei dem Text zufolge die Mindestvoraussetzung zur Teilnahme in der Aufgabe individueller Autonomie gegenüber einem Kollektiv liegt: dem Team (u. a. Janis 1972). Der Begriff des Teams ist in mehrerer Hinsicht interessant. Erstens wird mit seiner textlichen Einführung bereits eine soziale Strukturierung vorweggenommen: Der Teamlogik ist immanent, dass weder Organisationen noch Individuen, sondern kleine Gruppen adressiert sind, sich um der Bewältigung spezifischer Probleme willen innerhalb eines festen Zeitrahmens (vgl. Janz et al. 1997) koordinieren zu müssen: Teams bearbeiten in der Regel endliche Projekte (Torka 2009). Diese Spezifizierung bricht um ein weiteres Mal mit der Offenheit, aber auch mit der dargestellten Bedeutungsschwere des Dokumententitels: Für all die Weite und das Ungewisse in der Zone der Frontier scheinen bereits Konditionalprogramme einer im Werden begriffenen Organisation und ihrer Teams angelegt. So unspezifisch der funktionale Kontext dieser Teams bleibt, so detailliert sind bereits die Qualitätsanforderungen an sie gestellt, denn schließlich geht es um »teams of the highest level of excellence in Europe«. Gesetzesvorschlag der Kommission am 6. April 2005 eingeläutet wurde. Formalrechtlich stand im Februar 2005 aber noch offen, ob der ERC als eine durch die Kommission supranational bestellte Einrichtung, also als Teil des FRPs, vorgeschlagen würde oder als transnationale Einrichtung europäischer Staaten. 100 Dass Anziehungskraft nicht auf die Beteiligung, sondern zunächst auf Teams ausgeübt werden kann, darauf soll nicht näher eingegangen werden; einzig: Die Autoren sind Meister sprachlicher Verschleierung oder haben unüberlegt bzw. hastig geschrieben. Oder aber der Text wurde schlecht redaktionell überarbeitet. 245 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Nicht nur wird durch die Personenanrede »Seine…« oder »Ihre Exzellenz« die Souveränität eines (in der Regel anderen) Staates oder der Kirche als überstaatliche Institution anerkannt, sondern auch die vortreffliche Eignung der Person, diese Herkunftsinstitution ad personam mehr als jeder andere repräsentieren zu können. Somit verschwimmen im Begriff der Exzellenz eine Sach- und Personenzuschreibung. Die personale Zuschreibung des Begriffs »Exzellenz« mag zwar antiquiert wirken (Peter 2015, S. 10), dies schmälert aber nicht seinen Aufstieg als allgegenwärtigen »Leitbegriff des Mobilisierens und Optimierens« (ebd.; unter Berufung auf Nassehi 2012) , der mit einer »diskursiven Wucht« (Peter 2015, S. 11) in geradezu allen Lebensbereichen eine kommunikative Strukturwirksamkeit entfaltet. In beidem, der Personen- sowie der Sachzuschreibung von Exzellenz, schwingt eine Kommunikationszumutung mit: Dass jemand – und mithin alles, was er oder sie tut – exzellent sein muss, ist wohl oder übel hinzunehmen und nicht hinterfragbar.101 Auffällig an der Textstelle ist zudem, dass die »Teams« und damit auch ihre Leistungen mehr als exzellent sein sollen; an der Qualitätsbeschreibung »teams of the highest level of excellence« fällt in erster Linie ihr Pleonasmus auf. Denn eigentlich braucht die Zuschreibung von »Exzellenz« im Sinne von Vortrefflichkeit, höherer oder hervorragender Stellung keine Steigerung mehr. Solche Differenzierung findet innerhalb einer opaken Zone der Superlative statt: Es geht um die Besten der Besten; niemanden weniger darf der ERC adressieren, nicht einmal Teams, die lediglich exzellent wären. Die Unterscheidung evoziert zudem ambivalente Erwartungen. Entweder würde sie jene desavouieren, die sich bisweilen für die Besten hielten, weil andere Teams eben durch den ERC erwählt werden, oder aber sie will niemanden diskreditieren: Selbst wenn man nicht am ERC teilhaben dürfte, so könnte man sich zumindest auch noch für exzellent halten. In jedem Fall besteht die Funktionserwartung an den ERC darin, das Matthäus-Prinzip (v. a. Merton 1968) innerhalb einer europäischen Elite fortzutreiben: Eine Auslese der Besten soll um ein Weiteres gefördert werden, sofern der ERC ihre Beteiligung sichern kann. Mit Blick auf die Syntax des Satzes liegt die Anforderung an diese Auslese wiederum einzig in der Teilnahme an dem ERC selbst (»attracting the participation«). Begründet werden also mögliche Vorteile einer zirkulären Selbstbezüglichkeit. Dabei geht es um eine spezifisch europäische Selbstbezüglichkeit, denn amerikanische, asiatische, transkontinentale oder anderswo ansässige Teams werden entweder nicht zu einer Teilnahme eingeladen oder sie müssten nolens volens nach Europa ziehen. Bisher 101 Gerade mit Blick auf die Wissenschaft ist der Erfolg dieser Erfolgssemantik (vgl. Hänzi et al. 2014) eigentümlich, verlangen ihre Akteure sich doch gegenseitig noch am ehesten aufwendige Beweisführungen ab. 246 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU können wir an wohlgemerkt keiner Stelle festmachen, dass die Teilnahme von Teams auf eine Förderung von Forschungsvorhaben abstellen würde; hier scheint es zunächst nur um Institution-building zu gehen. So unklar die Funktion des ERC bleibt, außer dass er durch eine Elite konstituiert werden soll, so unbestimmt bleibt auch die Funktion des nächsten Satzes: »The report analyses these impacts and, through an analysis of existing data, provides a clear indication of the types of effects and benefits that may be expected, and their scientific and economic significance, taking account of the variety of R&D systems and the political and economic environments of different Member States.« Unspezifisch bleibt zunächst, was in dem Bericht analysiert werden soll, da »these impacts« nicht näher erläutert werden.102 Weder erfährt der Leser, was als einflussnehmend analysiert wird, noch wird ihm verraten, worauf etwas Einfluss nehmen wird. Das, was über den Expertenbericht mitgeteilt wird, ist, dass es sich um eine Sekundäranalyse handelt (»analysis of existing data«) und dass er einen klaren Hinweis (»clear indication«) auf möglicherweise auftretende Effekte und Vorteile liefern wird. Eine Spezifizierung, was diese Effekte und Vorteile sein sollten, wird nicht vorgenommen. Erneut zeugt die Passage von einer Hybris. Denn erstens folgt einer kommunikativen Schließung sogleich die Öffnung zu etwas unspezifisch Bleibendem, was wiederum einer argumentativen Schließung dienen soll. Zweitens wird auf der Titelseite inhaltlich etwas buchstäblich Großartiges inszeniert, in der Zusammenfassung des Berichts verkümmert diese Inszenierungsleistung aber durch die Verwendung einer zaghaften, spekulativen und technokratisch anmutenden, ja kleinlichen Sprache. Anhand dieser Sprachwirrungen können Rückschlüsse auf den oder die Verfasser des Textes sowie auf die Leserschaft gezogen werden. Die Verfasser wollen dieser glaubhaft machen, dass ein Thema von schicksalhafter Tragweite diskutiert werden müsse, allzu große Sorgen bräuchte man sich aber nicht machen, da bereits eine expertokratische Lösung gefunden worden sei: Eine Organisation wird sich gemeinsam mit den Besten der Besten darum kümmern und es bedürfe nur noch weniger Schritte bis zu ihrer Entstehung. Näheres könne aber noch nicht mitgeteilt werden, entweder weil man hierzu nicht befugt sei oder weil die wenigen Schritte eventuell doch politisch delikat sein könnten. Die Anforderungen an eine Leserschaft sind mithin ironischerweise sehr hoch. Ihr wird abverlangt, auf Plausibilitätsprüfungen von Argumenten zu verzichten, Widersprüche zu übersehen, an einigen Stellen sich Gewissheit zu verschaffen, an anderen Stellen wiederum im Dunkeln zu verbleiben und schließlich einfach glauben müssen, es wäre 102 Es findet kein Anschluss an die vorherigen Textteile statt, wie man bei der Verwendung von »these« annehmen könnte. 247 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK sich einer großen Herausforderung zu stellen, gleichzeitig aber technokratische Prüfprozesse abzuwarten. Immerhin offenbart der Text nun in Folge zwei Bedeutungshorizonte, in dem wissenschaftliche und wirtschaftliche Signifikanz als mögliche Effekte aufgeführt werden (»their scientific and economic significance«), auch diese bleiben aber unspezifisch. Lediglich ist interpretierbar, dass wissenschaftliche Bedeutung einen wie auch immer gearteten Erkenntnisfortschritt darstellt, der einzig für das Wissenschaftssystem von Bedeutung ist. Zweitens könnten hierunter Bedingungen gefasst sein, die wissenschaftlichen Arbeiten nutzen können: Geld, Personal und Infrastrukturen ebenso wie Freiheiten in der Verwendung der bereitgestellten Mittel und Freiheiten in ihrer Zweckverwendung. Unter ökonomischer Bedeutung könnten wirtschaftliche Erträge oder eben auch Voraussetzungen, um wirtschaftliche Wertschöpfung zu ermöglichen, subsumiert werden. Mithin wird indirekt vermittelt, was der ERC und die an ihm teilhabenden Teams mit Blick auf die beiden Bedeutungshorizonte wohl leisten sollen: forschen und ausbilden, beides um der Erkenntnis und der wirtschaftlichen Wertschöpfung willen. Auffällig an der Aussage ist aber v. a. ihr Behauptungsgehalt: Auf der Basis existierender Daten, so der Text, könnten Voraussagen über zukünftige wissenschaftliche Erkenntnisse und wirtschaftliche Wertschöpfung getroffen werden. Assoziativ liegen »Foresight« oder auch »Forecast«-Techniken nahe, mit denen ein klassisches Motiv staatlicher »Vorsorge und Planung« (Wiemken 2010, S. 35) aufgerufen wird. Denn seit den 1940er-Jahren finden sich staatliche Förderprogramme und ganze Institute, die staatliche Förder- und Regulierungsentscheidungen durch »Prognose bzw. Analyse langfristiger Technologieentwicklungen« unterstützen (ebd., S. 45). Die hier vorliegende Textpassage stellt allerdings weniger auf Risikofolgenabschätzung ab (z. B. Perrow 1987; Abels und Bora 2004), sondern auf Voraussagungen über wissenschaftlich-technologische Entwicklungen. Zu den Techniken dieser Voraussagungen (»Foresight«) zählen Trendexplorationen, morphologische Analysen, Cross-Impact-Matrizen, Delphi- und andere Befragungsmethoden (Wiemken 2010, S. 45). Entwickelt wurden diese in Einrichtungen wie dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) oder der Science Policy Research Unit der Universität Sussex (SPRU). Noch in den 1980er-Jahren versprachen einige ihrer federführenden Autoren durch »Foresight in Science« ein »Picking the Winner« (wörtlich; Irvine und Martin 1984) realisieren zu können und spiegelten die Erwartung einer damals technology-push-getriebenen Innovationphilosophie wider (Braun-Thürmann 2005, S. 31ff.). Hingegen rücken heutige Foresight-Programme die Bedürfnisse potentieller Nutzer 248 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU in den Vordergrund,103 denn nicht einmal die institutionellen Rahmenbedingungen der Forschung scheinen adäquat erforscht zu sein, um sichere Aussagen über die konstitutiv angelegte Unsicherheit des Forschens treffen zu können (u. a. Heinze und Krücken 2010; Singh und Fleming 2010). Umso erstaunlicher wirkt die Behauptung, man könne eine Einschätzung über den »Impact« für das gesamte Wissenschafts- und Wirtschaftssystem104 machen und hierbei die institutionellen Eigenheiten aller EU-Mitgliedstaaten105 berücksichtigen. Denn der Satz schließt mit der Phrase: »[…] taking account of the variety of R&D systems and the political and economic environments of different Member States.« Es wird versichert, dass die Expertengruppe über alle Forschungs- und Entwicklungssysteme sowie über alle wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten der EU-Mitgliedstaaten Bescheid wüsste. Selbst unter all diesen Bedingungen könne die Nützlichkeit einer ERC-Elitenförderung begründet werden. Außerdem wird in dieser Ausdrucksgestalt eine Leserschaft projiziert, die über eine Menge Expertenwissen und Glauben verfügen muss, um den Inhalt der Aussage plausibel finden zu können. Auch von ihr muss erwartet werden, Kenntnisse über die Vielfalt von Forschungs- und Entwicklungssystemen und über die politischen und wirtschaftlichen Umwelten unterschiedlicher Mitgliedstaaten zu haben. Auffällig weiterhin bleibt die Schließung des Klappentextes durch den letzten Satz: »The report also considers the potential benefits that will be foregone if a European-level mechanism for supporting basic research is not established.« Markiert durch die »if-clause« stellt der Satz ein Konditionalprogramm dar; seine Kernbotschaft lautet: Wenn der ERC nicht eingerichtet wird, müsse auf Vorteile verzichtet werden. Die zuvor begründeten Effekte gehen jedoch abhanden. Wir lesen nur noch von möglichen Vorteilen 103 Man beachte das aktuelle Leitbild des Competence Center Foresight des ISI; siehe http://www.isi.fraunhofer.de/isi-de/v/ (zuletzt abgerufen am 13.03.2015). 104 Dass Prognosen über das Verhalten von Akteuren auf Märkten allenfalls einen Mythos darstellen, zeigen u. a. Arnoldi (2009) und Fox (2010) am Beispiel der letzten Weltwirtschafts- und Finanzkrisen. Und selbst hochtechnisierte, v. a. aber vollständig algorithmisierte Handelssysteme können Akteuren keine Entscheidungssicherheit bieten, denn »Orderentscheidungen sind […] immer unsicher, weil es kybernetisch gesprochen keine Beobachtung der Gegenwart gibt, die so viele Informationen aus der Vergangenheit umfassen könnte, dass daraus zukünftige Preisentwicklungen ablesbar wären« (Schwarting 2014, S. 4). 105 Man muss von der EU ausgehen, da nun im Text »Member States« geschrieben steht. Diese Einschränkung gibt zu denken. Sollten die zuvor adressierten Teams nicht aus ganz Europa kommen? 249 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK (»potential benefits«), auf die verzichtet werden müsse (»will be forgone«), sollte ein Unterstützungsmechanismus für Grundlagenforschung (»a mechanism for supporting basic research«) auf der europäischen Ebene nicht eingerichtet werden. Zunächst lässt sich daraus keine eindeutige Verbindung zwischen diesem einen, also unbestimmten Mechanismus und dem bereits existierenden, jedoch auf Abruf stehenden ERC herstellen. Den ERC scheint es zwar bereits zu geben; einzig: er muss noch an seinen richtigen Ort platziert werden. Auch – so der Text – soll dieser die Beteiligung irgendwelcher Teams in Europa motivieren. Über diesen wird ausgesagt, dass es sich um einen eventuell einzurichtenden Mechanismus106 handelt, der eben noch nicht existiert, von dem allerdings erwartet wird, Grundlagenforschung zu unterstützen. Dies evoziert die Erwartung, dass ein bisher beratendes Gremium eingerichtet wurde, das die allerbesten Teams – nun naheliegend: Forschergruppen – zur Mitarbeit motivieren will und welchem politisch ein Mechanismus zur Förderung von Grundlagenforschung in Aussicht gestellt wird. Sollte dieser Mechanismus zur Förderung von Grundlagenforschung nicht etabliert werden, so die Drohung, entgingen politischen und wirtschaftlichen Systemen Vorteile aus weiterer F&E. Auffällig ist die Aussage, es gebe auf der europäischen Ebene noch keinen Mechanismus zur Unterstützung von Grundlagenforschung, was mit Blick auf die vielen in Europa ansässigen Forschungsfördereinrichtungen bestritten werden kann. Selbst, wenn dem Text zugutegehalten wird, dass unter European-level eine überstaatliche Regulierungsebene – trans- oder supranationaler Art – gemeint ist, entpuppt sich diese Aussage angesichts der European Science Foundation, der EG-Forschungsrahmenprogramme (inkl. Euratom) und vielerlei bi- und multilateraler Fördermaßnahmen als haltlose Behauptung. Bleibt zu deuten, dass mit dem Text zuvorderst Dringlichkeit inszeniert werden sollte. Mithin ist anzunehmen, dass die Forderung unterstützt werden sollte, eine auf Abruf eingerichtete Organisation mit Ressourcen auszustatten, wobei stilistisch, ähnlich der Gestaltung des Titelblatts, Vorteile versprochen und negative Konsequenzen angedroht werden. Die im Text verwendete technische und Sachverstand suggerierende Sprache verklärt, dass der ERC in spe auf einem wackligen Fundament steht; ihre Aussage, Voraussagungen über Vor- und Nachteile treffen zu können, bleibt bislang eine Behauptung. Produktiv gewendet, veranschaulicht der Text, dass seine Autoren es nicht nur vielen unterschiedlich gelagerten Akteursinteressen recht machen, sondern auch die Bedeutsamkeit einer anscheinend noch bevorstehenden Entscheidung unterstreichen mussten. Es stellt sich die Frage, welche Funktion Frontier Research zugeschrieben wird und – mit 106 Unter einem Mechanismus verstehen wir eine Maschine, ein Werkzeug oder schlichtweg eine Funktionsbedingung. 250 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Blick auf den oder die Autoren – weshalb diese begriffliche Konstruktion geleistet werden musste. 6.5.4 Seltsame Autoren- und Begriffsvermischungen In der Hoffnung, Klarheit über die Autorenschaft sowie über die Verbindung zwischen der vordergründig verwendeten Leitsemantik Frontier Research und der Einrichtung des ERC zu erhalten, wird nun der Innenteil des Berichts untersucht. Auf der zweiten Seite stehen linksbündig eingerückt zwei Textblöcke. Der obere Textblock beginnt mit einer Art Werbeslogan, »Interested in European research?«, darunter wirbt der Text für eine vierteljährig erscheinende Zeitschrift »RTD info«.107 Auffällig ist der Adresskopf links unten auf der Seite. Unterhalb der fettgedruckten Adresse, »European Commission«, werden zeilenweise und in hierarchischer Folge Organisationseinheiten genannt: Unterhalb der Generaldirektion Forschung steht die Abteilung »Directorate B – Structuring the European Research Area«, darunter die Unterabteilung »Unit B1 – Anticipating Scientific and Technological Needs (NEST activity); Basic Research«. Schließlich findet sich hierunter die Emailadresse »rtdfrontier@cec.eu.int.« Es schließen unterhalb ein Personenname als Ansprechpartner, dessen postalische Anschrift, Telefon- und Faxnummer und Emailadresse an. Der aufgeführte Personenname findet sich in der Mitgliedsliste der Expertengruppe wieder (siehe auf S. 3 des Berichts); die hochrangige Expertengruppe, so lässt sich ableiten, kann kein von der Kommission unabhängiges Gremium gewesen sein. Die Vermischung von Experten und Kommission korrespondiert auf eigentümliche Weise mit einer Begriffsvermischung von »basic research« und »frontier research«. Dies zeigt sich an der im Text angeführten, für den Bericht anscheinend zuständigen Organisationseinheit der Kommission, v. a. an ihrer neu eingerichteten Emailadresse »rtd-frontier@cec. eu.int.« Doch zunächst zu den Einheiten der Kommission: Innerhalb der Generaldirektion Forschung108 scheint eine Abteilung für die aktive Strukturierung (»structuring«) eines Raums zuständig zu sein, in dem geforscht wird.109 Teil dieser eigentümlichen Raumstrukturierung ist vermutlich die Antizipation von wissenschaftlichen und technologischen 107 Das Kürzel steht für »Research, Training and Development«. Auf diese Werbemaßnahme und den darunterliegenden Adresskopf einer Informations- und Kommunikationsabteilung der Europäischen Kommission wird nicht näher eingegangen. 108 Eine anscheinend große und allgemein (»General-«) für Forschung zuständige Organisationseinheit ist hier gemeint. 109 Eine Interpretation des Europäischen Forschungsraums ist bereits in Kapitel 6.5 erfolgt. 251 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Bedürfnissen oder Erfordernissen – beide Bedeutungen trägt der Begriff »needs« in sich. Unter Antizipation ist eine vorwegnehmende Handlung zu verstehen, die voraussetzt, dass jemand in diesem spezifischen Kontext fähig ist, vorausschauend zu handeln. Die angesprochenen Bedürfnisse aller im Forschungsraum befindlichen Akteure müssen vorausgesehen werden. Dabei setzt Antizipation eine Handlungsträgerschaft voraus. Der Akteur, der dies zu leisten vorgibt, muss überzeugt sein, dass die Natur auf Gesetzmäßigkeiten beruht, die er verstehen und gar beherrschen könne. Wissenschaftliche Forschung wird in diesem Zusammenhang als Hilfsmittel zur Stärkung eines Akteursglaubens durch die Ontologisierung von Naturgesetzen angesehen, sie stiftet den Mythos des Rationalen mit (Toulmin 1990; Drori et al. 2003).110 Mit Blick auf das Objekt antizipativen Handelns, »Scientific and Technological Needs«, ist davon auszugehen, dass weniger Akteursbedürfnisse111 vorausgesagt werden sollten, die dann in entsprechende Handlungen resultierten. Eher ist »needs« auf die Vorabschätzung sachorientierter Erfordernisse ausgerichtet, auch wenn diese immer auf den Bedarf der in der Forschung aktiven Personen zurückgeführt werden müssten. Doch selbst die Antizipation von sachorientierten Erfordernissen wäre von einer Hybris des Politischen gekennzeichnet, denn nicht einmal die Wissenschaft selbst kann ihre zukünftigen Forschungsfragen, methodische und andere Probleme vorabschätzen, ganz zu schweigen von Unvorhersehbarkeiten.112 Dementsprechend können wir eher davon ausgehen, dass die Organisationseinheit die kaum realisierbare Funktion übernimmt, Chancen und Risiken möglicher wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen für andere Systeme abzuschätzen, die daraufhin in politische Regulierungs- und Förderprogramme der Kommission einfließen. 110 Problematisch erscheint die Ausrichtung auf Handlungen v. a. dann, wenn darin angelegte – oder dem vorauseilende – und womöglich strukturwirksame Kommunikationsprozesse missachtet werden (Stichweh 2015, S. 25). Denn Antizipation ist ein Aspekt responsiver Kommunikation, ein Antworten auf Fragen, die womöglich gar nicht gestellt werden (Waldenfels 2008, S. 94). 111 Denn es wäre seltsam, wenn Wissenschaftler- oder Ingenieursbedürfnisse antizipiert werden müssten, insofern man diese bei den Personen auch einfach erfragen könnte, auch wenn dies Principal-Agent-Probleme aufwirft (Guston und Keniston 1994; Pielke 2007). 112 So diskutiert u. a. Thomas Kuhn (1970, S. 56–59) eine Reihe historischer Beispiele für den produktiven Umgang der Wissenschaft mit Zufällen (»accidents«). 252 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Hinter dem eingeklammerten Kürzel »NEST activity«113 steht durch ein Semikolon abgetrennt der Begriff »Basic Research«. 114 Ob die Antizipationshandlungen der Kommission auch auf Grundlagenforschung bezogen sind, kann aufgrund der nicht eindeutig bestimmbaren Funktion des Semikolons kaum abgeschätzt werden.115 Wichtiger jedoch ist, dass die Organisationseinheit unterhalb ihrer Tätigkeitsbeschreibung nun die Emailadresse mit dem Verweis auf »-Frontier« angibt, wo sie sich doch zuvor als für Grundlagenforschung zuständig beschreibt. Die Differenz zwischen dem Titelthema des Dokuments (»Frontier Research«) und dem Klappentext auf dessen Rückseite (»supporting basic research«) verdichtet sich auf zwei Zeilen. Der Leser hat es also mit einer an der Erstellung des Expertenberichts beteiligten Organisationseinheit zu tun, welche sich u. a. um »Basic Research« kümmert, allerdings über eine Emailadresse angeschrieben werden konnte, wenn man den Begriff »-Frontier« verwendet. Mehr noch: direkt unter dem Adresskopf werden die beiden Begriffe wiederum aufgegriffen, diesmal allerdings in umgekehrter Reihenfolge: »For further information on Frontier research in the EU, please refer to the following website: http://europa.eu.int/comm/research/future/basic_research/index_en.html«116 Derjenige, der weitere Informationen über »Frontier research« erhalten möchte, soll eine Internetadresse mit dem Begriff »basic_research« aufrufen. Die Begriffe, so ist anzunehmen, sind für die Organisationseinheit, wenn nicht gar für die gesamte Kommission beliebig austauschbar. Zudem könnte man mit Blick auf den Adresskopf die Deutung anstellen, dass »rtd-Frontier« die Antizipationsleistung emergierender Wissenschaften und Technologien und Grundlagenforschung kommunikativ inkludiert. Mithin stellt die Frontier in der Lesart der Organisationseinheit eben nicht den diffusen Grenzraum für Europa oder das Ungewisse für 113 Zur Rolle von NEST im Policy-Prozess; siehe Kapitel 5.7. Selbst unter Rückgriff auf Kontextwissen – NEST steht für New and Emerging Science and Technology –, ist nicht ersichtlich, ob in dieser Organisationseinheit jenseits der Antizipation noch weitere Handlungen auf neue und emergierende Naturwissenschaften (»science«) und Technologie ausgerichtet sind. Der Verweis auf Emergenz wird wahrscheinlich auf die Verwendung verwissenschaftlichter Alltagsprache zurückzuführen sein, da mit ihm gerade nicht eine Entstehung nach Plan gemeint ist (Luhmann 1997, S. 65; insbes. S. 134–135). 114 Es ist davon auszugehen, dass die Organisationseinheit selbst keine Grundlagenforschung betreibt, sondern in irgendeiner Weise politisch begleitet, sei es fördernd, regulierend oder allgemein beobachtend. 115 Der Hinweis, man sei auch für Grundlagenforschung zuständig, wirkt fast wie eine nebensächliche, zu vernachlässigende Information. 116 Fett hervorgehoben; TF. Die angegebene Website kann nicht mehr aufgerufen werden. 253 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK die Forschung dar, sondern kann organisational antizipiert, also durch einen Akt bürokratischer Planung erschlossen werden. Drittens wird behauptet, es gebe bereits »Frontier research in the EU« (kursiv; TF). Die zuvor gebildete Lesart einer Differenz zwischen Gemeinschaftsforschung innerhalb der EU und der von Outsidern betriebenen Frontier Research muss spätestens an dieser Stelle abgeschwächt werden. Das gleiche gilt für die Lesart, die EU würde lediglich Gemeinschaftsforschung betreiben, solle aber einen wörtlich zu nehmenden oder metaphorischen Aufbruch zu risiko- wie chancenreicher Forschung ins Unbekannte hinein wagen. Hingegen ist im Text zu lesen, Frontier Research würde bereits innerhalb der EU betrieben, und dies scheint Anlass zu sein, dass sich der Bericht hiermit näher beschäftigen soll. Kurzum: Das Problem wird der EU zugeschrieben. Vielleicht gibt es hier, wie auch immer messbar, zu wenig von dieser Art von Forschung, vielleicht wird sie mit Blick auf die zu attrahierende Auslese der besten Teams innerhalb Europas nicht ausreichend gefördert. Eigentlich aber geht es um die Zukunft der Grundlagenforschung; dies suggeriert zumindest die Internetadresse (»future/ basic_research«). Das Lavieren zwischen diesen beiden Begriffen mag auf die unklare Autorenschaft rückführbar sein. Während kommissionsexterne Experten die größte Herausforderung Europas in der Frontier Research sehen, könnten bspw. (die aufgeführten) Mitarbeiter der Kommission darauf beharren, es gehe letzten Endes um die Zukunft der Grundlagenforschung oder umgekehrt. Der Kompromiss bestünde darin, zukünftige Grundlagenforschung einfach als Forschung an der Frontier auszuweisen. Somit würde diese aber auch ihres Anspruchs enthoben, notwendigerweise die Grundlage für etwas darauf Aufbauendes zu sein. Sie könnte dies, sie muss es aber nicht sein, solange mit ihr unbekanntes Terrain betreten würde. Vielmehr wird das geostrategische Moment der Aussage betont: Wer innerhalb der EU Forschung an ihrer Frontier betreibt, dehnt entweder ihre territorialen Grenzen aus oder eben, in einem metaphorischen Sinn, den supranational-politischen Zuständigkeitsbereich ihrer Forschungsförderung. Pointiert: Wer Forschungsförderung durch den zukünftigen ERC in Anspruch nehmen würde, zöge en passant die Selbstverständlichkeit nationalstaatlicher Grundlagenforschungsförderung in Zweifel. Auf der dritten Seite wird der Titel der ersten Seite abermals aufgegriffen. Darunter steht ein weiteres Mal »High-Level Expert Group«. Mit einigem Abstand lesen wir auf dem letzten Viertel der Seite den Hinweis: »This report has been produced thanks to the efforts of the High-Level Expert Group on ›Maximising the wider benefits of competitive basic research funding at European level‹.« 254 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Darunter taucht in zentrierter Schrift ein weiteres Mal die Adresse der Europäischen Kommission mit ihren zuvor bereits diskutierten Organisationseinheiten auf, links davon steht das Datum »2005«, rechts die bereits auf der Titelseite erscheinende Chiffre »EUR 21619«. Die zitierte Sequenz klärt nun in vielerlei Hinsicht die vorherigen Deutungsversuche auf, insofern eine Öffentlichkeit über den Hintergrund des Expertenberichts informiert wird. Gedankt wird einer High-Level Gruppe, die durch eine Analyse in Vorleistung gegangen ist (»thanks to the efforts of the High-Level Expert Group«).117 Diese Vorleistung für den vorliegenden Expertenbericht scheint eine weitere Expertise gewesen zu sein, die den Titel trägt: Maximising the wider benefits of competitive basic research funding at European level«118 Die hochrangige Expertengruppe wurde beauftragt zu analysieren, wie Vorteile oder auch Gewinne (»benefits«) von Grundlagenforschungsförderung maximiert werden können, d. h., nicht den Wissenschaftsnormen entsprechende, uneigennützige empirische Forschung wurde fokussiert, in der offen nach Effekten von Grundlagenforschung gefragt wurde, sondern es handelte sich um einen politisch motivierten Auftrag, deren Vorteile maximieren zu können. Der Auftrag war augenscheinlich aber noch spezifischer gefasst: Es sind umfangreiche Vorteile oder Gewinne, die maximiert werden sollen; suggeriert wird also, dass durch Grundlagenforschungsförderung zwar Gewinne erzielt würden, diese jedoch gesteigert werden müssten. Unter Gewinnen wird die positive Differenz zwischen Ertrag und Aufwand, alltagsprachlich auch der zumeist ökonomisch gemeinte Überschuss von (Güter- oder Geld-)Einnahmen über die Ausgaben verstanden. Der Aufwand bzw. die Ausgaben sind in dieser Sequenz auf die Förderung, also die Grundlagenforschung zu 117 Es ist davon auszugehen, dass es sich um dieselbe Expertengruppe handelt, auf die nun die Kommission rekurriert, weil sich die Expertengruppe kaum selbst oder einer anderen Expertengruppe gedankt haben wird. 118 Die Studie ist nicht oder nicht mehr im Internet abrufbar, auf der Seite des Informationsdienstleisters CORDIS der Europäischen Kommission findet sich jedoch eine Pressemitteilung, die den Bericht als Auftragsstudie der Europäischen Kommission im Zeitraum vom 18.10.2004 bis 16.03.2005 ausweist; http://cordis.europa.eu/news/rcn/22784_en.rtf (zuletzt abgerufen am 16.03.2015). Auf der Seite des Nachrichtendienstes EurActiv wird die Studie zudem als ein die britische EURatspräsidentschaft in ihren Investitionsentscheidungen zum 7. FRP unterstützendes Dokument dargestellt; http://www.euractiv.com/science/uk-presidency-rdpriority-finding-consensus-fp7/article-141874 (zuletzt abgerufen; 16.03.2015). Allerdings wurde sie, greift man auf das Vorwort des Berichts vor, von der Europäischen Kommission mit dem dezidierten Ziel beauftragt, Grundlagenforschungsförderung auf der supranationalen Ebene legitimieren zu können. 255 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK investierende Kosten bezogen.119 Opak bleibt hingegen, was unter »wider benefits« auf der Seite des Ertrags verstanden werden kann. Ob dies Vorteile für Wirtschaftsunternehmen, Erkenntnis- und Reputationszuwächse für Akteure des Wissenschaftssystems, Macht- bzw. Legitimationszuwächse für Akteure des politischen Systems oder eine wie auch immer geartete Steigerung gesellschaftlicher Wohlfahrt sind, kann an dieser Stelle nicht erschlossen werden. Ebenso wenig kann festgemacht werden, auf wen sich das wettbewerbliche Element (»competitive basic research«) der europäischen Ebene bezieht; das heißt: Wer sind die Wettbewerber auf der europäischen Ebene?120 Es liegt nahe, dass hierunter die im Klappentext erwähnten Teams gefasst werden, womöglich können aber auch Forschungs- und Forschungsförderinstitutionen adressiert sein. Was die Sequenz jenseits dieser kontingenten Aussagen transportiert, ist eine Spezifizierung von Frontier Research als wettbewerbliche Grundlagenforschung. Im Umkehrschluss wird ein gemeinschaftliches Miteinanderforschen, also »Community research« mit dem Begriff ausgeschlossen. Die Teams, welche auf der Rückseite des Dokuments zur Partizipation am ERC attrahiert werden sollen, sind zueinander als Gegner zu begreifen. Die Lesart lässt sich aber noch weiter führen: In Europa konkurrieren zwei Prinzipien der Grundlagenforschung; ein gemeinschaftlich ausgerichtetes und ein wettbewerblich ausgerichtetes. Letzteres soll vermehrt zum Tragen kommen, um eine in Wartestellung befindliche Organisation mit Geld ausstatten zu können, deren Ziel in der Elitenförderung liegt. Allerdings scheint es für die Kommission politisch heikel zu sein, sich dem Thema Grundlagenforschung zu widmen. Dies zeigt nicht zuletzt das Impressum auf der nächsten Seite: »LEGAL NOTICE: Neither the European Commission nor any person acting on behalf of the Commission is responsible for the use which might be made of the following information. The views in this report are those of the authors and do not necessarily reflect the views and policies of the European Commission.« Während soeben noch die Kommission als Verantwortliche des Expertenberichts identifiziert werden konnte, zieht sie sich durch den rechtlichen Hinweis aus der Verantwortung. Mehr noch: Eine Öffentlichkeit wird vorauseilend darüber informiert, dass die Ansichten in diesem Bericht weder Rückschlüsse auf die Auffassungen der Kommission noch auf ihre Politikinhalte und ihre Art der Politikgestaltung wiedergeben.121 Man darf, mit anderen Worten, über alles spekulieren, Expertisen beauf119 Hierunter werden zu bezahlende Personal- und Sachmittel verstanden. 120 Unter einem »European level« können kommunale, regionale, nationale, transund supranationale Regulierungsebenen verstanden werden. 121 Aus dem Arbeitsalltag mag man diese Art Hinweise am Ende einer Email als Haftungsausschluss oder auch Vertraulichkeitsvermerke kennen. 256 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU tragen und durch eigene Teilnahme beeinflussen, solange keine Verantwortung – zumal rechtsverbindlich – übernommen wird. Darüber hinaus schwingt in dieser »Legal Notice« aber auch ein Problem der Experten mit: Ihnen wird alle Verantwortung übertragen. Der Bericht ist somit im Besitz der Kommission, doch traut sie ihren eigenen Experten nicht, weiß also nicht, welchen Schaden deren Aussagen ausrichten könnten. Diese Unsicherheit lässt den Schluss zu: Der Europäischen Kommission fehlte es zu dem Erscheinungsdatum an institutioneller Legitimation, die Expertise zu veröffentlichen und hinter den Aussagen122 des Berichtes zu stehen. Damit wird offensichtlich, dass der Bericht der »High-Level Expert Group« einzig Ausdruck einer politischer – und nicht einer wissenschaftlichen – Kommunikation ist (Luhmann 1991, S. 173). Wie in diesem Bericht allerdings Zuständigkeiten vertuscht werden, bleibt auffällig. Denn auch wenn sich die Kommission zunächst als Auftraggeber des Berichts nennt, dann aber jegliche Verantwortung dessen Inhalt von sich weist, werden dennoch Mitarbeiter ihrer Generaldirektion als »Members of the HLEG« aufgelistet. Die Gruppe wird durch drei Unterkategorien gegliedert. Zuvorderst werden zwei Personen als »Chairman« und »Vice-Chairman« aufgeführt, gefolgt von zwölf Personen unter der Überschrift »Members« und am Ende der Seite zwei Personen unter der Kategorie »Commission«.123 Die Dreiteilung suggeriert eine Hierarchie zwischen den Untergruppen der Expertengruppe. Die Chairmen stehen zuoberst; sie könnten möglicherweise die Mitglieder der Gruppe zusammengestellt und ihnen spezifische Sprecherrollen zugewiesen haben, Gruppendiskussion moderiert, im Sinne eines Agenda-Setting die zu bearbeitenden Inhalte vorgegeben und den Bericht inhaltlich sowie redaktionell überarbeitet haben. Eventuell tragen sie auch jene Verantwortung, die die Kommission mittels der »Legal notice« von sich gewiesen hat. Die Mitglieder der Gruppe scheinen für die Erarbeitung des eigentlichen Berichtsinhalts zuständig gewesen zu sein. Auffällig 122 In wissenschaftlichen Publikationskontexten würde eine solche Absicherungsstrategie vermutlich Befremden auslösen und Zweifel ob des Wahrheitsgehalts der Publikation nähren. Denn man stelle sich die Situation vor, einen wissenschaftlichen Sammelband oder eine Monographie mehrerer Autoren aufzuschlagen und noch vor dem Vorwort oder der Einleitung der Herausgeber den Verweis hinnehmen zu müssen, dass sie sich von dem Inhalt des Buches ausdrücklich distanzieren würden. Dieser Art Absicherungen finden sich auch in der Regel nicht in Schriftenreihen von Institutionen; siehe hierzu etwa die Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (www.e-fi.de). Auch die vom Bundesministerium Bildung und Forschung herausgegebenen Berichte, benötigen keine derartigen Disclaimer; siehe z. B. www.bildungsbericht.de/daten2014/bb_2014. pdf (zuletzt abgerufen am 16.03.2015), 123 Der Verweis bezieht sich auf die Europäische – und nicht irgendeine – Kommission. 257 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK ist ihre Durchmischung hinsichtlich der institutionellen Herkunft: Neben Wissenschaftlern öffentlicher Forschungseinrichtungen finden sich Wirtschaftsvertreter der Firmen Nokia, Saab und der Zinnia Unternehmensgruppe vor, zudem reiht sich ein Minister für Wissenschaft und Technologie des damals neuen EU-Mitgliedslandes Polen in die Aufzählung ein.124 Drei Mitgliedern kommt eine im Bericht nicht explizierte Funktion des Berichterstatters (»Rapporteur«) zu; zwei dieser Berichterstatter stammen aus Universitäten, ein weiterer aus einem Unternehmen. Wem die Personen Bericht erstatten mussten,125 bleibt unerwähnt. Allerdings ist der Verweis auf Rapporteure an und für sich bedeutsam, da er mit Blick auf den Entstehungskontext des Berichts insinuiert, dass die Gruppe während der Erstellung des Berichts die Kommission oder Außenstehende informieren oder sogar Aussageninhalte abstimmen musste. 6.5.5 Inhaltsverzeichnis: Legitimationsherausforderungen der Kommission Aus dem Inhaltsverzeichnis lässt sich die Argumentstruktur des Berichts ablesen. In der zunächst eingeführten Unterscheidung von »Preface« und »Foreword«126 verstetigt sich zum einen die unklare Autorenschaft. So zeigt sich, dass der damals amtierende Forschungskommissar mit einem Geleitwort die Bedeutung der Darlegung unterstreichen musste. Die High-Level Expert Group wiederum offenbart in ihrem Vorwort einige Hintergründe zur Berichterstellung und dankt der Europäischen Kommission für die Projektfinanzierung und für ihre inhaltliche Mitarbeit. Die Vermischung von Auftraggeber- und -nehmer, von »actors« und »analysts« (Collins und Evans 2004, S. 240) bestätigt sich also. Von der danach aufgelisteten »Executive Summary« ist zu erwarten, dass sie einer viel beschäftigten Leserschaft die wichtigsten Punkte des 124 Mit Ausnahme einer Wissenschaftlerin von einer US-amerikanischen Universität stammen alle anderen 15 Mitglieder der Expertengruppe aus europaansässigen Einrichtungen. Offensichtlich wurden sie nicht nach Länderproporz der EU-Mitgliedstaaten ausgewählt. 125 Im Kontext der EU ist der Verweis auf »Rapporteure« insbesondere verwirrend, da diese Position eigentlich für das Parlament reserviert ist. Der Rapporteur organisiert die Positionen innerhalb eines Parlamentsausschusses für die dann anstehende Lesung im Plenum. Mit diesem Verweis soll womöglich weniger auf die Leistung der Synthese als auf jene der öffentlichen Berichterstattung hingewiesen werden, um Legitimität der Experten zu steigern. 126 Auf unterschiedlichen Funktionen von »Geleitworten« und »Vorworten« wurde bereits in der Dokumentenanalyse des Konferenzberichts der dänischen Ratspräsidentschaft mit dem Titel »Do we need a European Research Council?« eingegangen. 258 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Berichts zusammenfasst. Unter einer funktionssystemspezifischen Perspektive wird mithin deutlich, dass der Kommunikationsadressat politisch oder wirtschaftlich zu verorten ist, während in wissenschaftlicher Kommunikation in der Regel »Abstracts« für Zusammenfassungen Verwendung finden.127 Der Bericht ist in fünf Kapitel unterteilt. Der Inhalt und die sequentielle Anordnung der Überschriften erlauben, einige der zuvor gebildeten Lesarten schließen zu können. Bereits ein oberflächlicher Blick auf den Inhalt des Verzeichnisses bestätigt die gebildete Lesart aus der Interpretation des Klappentexts, dass es im Bericht nur vordergründig um Frontier Research geht, denn der Begriff taucht lediglich als Thema zweier Unterkapitel auf; in einem Fall ist er einer anderen Unterüberschrift gar nachgeordnet. Hingegen taxieren zwei Hauptkapitel die »Benefits of an ERC« (Kap. 4) und den »ERC in the European Research Area« (Kap. 5). Vergleicht man die für die beiden Themen benötigten Seiten, so wird ebenso offensichtlich, worum es der Expertengruppe eigentlich geht. Um Frontier Research als die europäische Herausforderung zu diskutieren, benötigt sie gerade einmal zwei Seiten Text, für die Diskussion des ERC jedoch knapp 20 Seiten. Im ersten Kapitel wird die im Dokumententitel inszenierte Bedeutung auf ein historisches Ausmaß vergrößert (»1. A[n] Historic Challenge«).128 Auffällig ist, dass wir nicht mehr von der spezifischen europäischen, sondern nur noch von einer historischen Herausforderung lesen, die anhand zweier Unterkapitel diskutiert werden soll. Der erste, d. h. der prioritäre Teil der Herausforderung, liegt in dem Vorschlag eines ERC (»1.1 The Proposal for an ERC«). Der Verweis auf einen konkreten Vorschlag stellt eine bemerkenswerte Sinnverschiebung gegenüber dem Klappentext dar, wo der ERC als wie auch immer bereits existent scheint, jedoch nur noch seinen rechten Platz finden muss. Da wir nicht von einem Widerspruch ausgehen müssen, lässt die im Klappentext verwendete Handlungsbeschreibung (»to put in place«) auf einen konkret zur Verhandlung stehenden Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission schließen. Anders als eine Gesetzesvorlage, die die Kommission ausschließlich dem Rat und dem Parlament vorlegt, richtet hier eine Mischform aus Kommissionsbeamten und externen Experten gemeinsam den Expertenbericht an eine unspezifische, wissenschafts- und innovationspolitisch interessierte Leserschaft. Damit liegt die Funktion des Expertenberichts 127 Gleichzeitig sollten im Text keine der Zusammenfassung widersprechenden oder gänzlich neue Argumente auftauchen bzw. sollte die Zusammenfassung keine Argumente aufführen, die nicht im Text erscheinen, so wie dies am Fall des Konferenzberichts »Do we need a European Research Council?« ersichtlich war. 128 Der sprachliche Fehler, »an« anstatt »a historic challenge« zu schreiben, kann auf eine Eile im Produktionsprozess des Berichts hindeuten. 259 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK nahe: Sofern nicht alle Entscheider von dem Vorschlag überzeugt waren, mussten Sachverständige aus unterschiedlichen Ländern und funktionssystemspezifischen Kontexten zusätzliche Begründungen zur Einrichtung des ERC ausarbeiten, da die gewohnten Argumente zur Förderung von Grundlagenforschung durch die öffentliche Hand129 nicht auszureichen schienen. Um eine vorgegeben historische Herausforderung zu bewältigen, muss nicht nur der ERC etabliert, sondern mit ihm erst eine in europapolitischen Kontexten ungewöhnliche Begrifflichkeit eingeführt werden. Unterkapitel »1.2 Frontier Research« ist mithin das sprachliche Hilfsmittel zur geplanten Organisationsgründung. Zu beantworten bleibt jedoch nach wie vor, welche weiteren Funktionen durch Frontier Research semantisch erfüllt werden sollen, außer eine Differenz zu Grundlagenforschung markiert und Chancen sowie Risiken für Europa anzukündigen. Das zweite Kapitel trägt den Titel, »The European Research System«. Unter dem Begriff des Systems wird zunächst eine aufgabenspezifisch, sinnhaft oder auch zweckmäßig aufeinander bezogene Menge mindestens zweier Elemente verstanden. In diesem Fall stellen die Elemente auf Forschung ab, es ist also hierunter einer Koordinierung von Akteuren zu verstehen, die in Europa ansässig sind und miteinander forschen. Die Unterkapitel teilen sich in die Themen »2.1 Stärken«, »2.2 Frontier Research in the European Research System« und »2.3 Potential Alternatives to an ERC« auf. Im Vergleich zum ersten Kapitel erfolgt die Anordnung von Frontier Research und dem ERC nun in gegenläufiger Richtung.130 Das eine Element scheint ohne das andere nicht auskommen zu können. Die ersten beiden Unterkapitel der Kapitelüberschrift ordnen sich sinnlogisch mühelos der Überschrift unter: Die Autorenschaft hält sich für kompetent, Aussagen über das gesamte Europäische Forschungssystem zu machen, über dessen Stärken, d. h. also Vorzüge europäischer Forschung selbst oder (gar) über Stärken des institutionellen Arrangements von Forschungsorganisationen.131 Zweitens soll Frontier 129 Zur Erinnerung: Grundlagenforschung kommt v. a. in traditionellen Innovationsmodellen der 1960er-Jahre eine zentrale Rolle zugute (Godin 2006b), politischen Steuerungstheorien zufolge (z. B. Scharpf 1999, S. 36, 60; Bozeman 2000, S. 632) sollte sie aufgrund des »market failure paradigm« (ebd.) staatlich organisiert werden, um die Erzeugung von Wissen als öffentliches Gut bereitstellen zu können. 130 Zuvor wurde erst der ERC und dann Frontier Research angeführt. 131 Letzteres taxiert eine klassische wissenschaftspolitische Frage: Sind die Aufgaben und Kompetenzen von Organisationen innerhalb spezifischer Innovationssysteme so arrangiert, dass Friktionen und Redundanzen vermieden, eine organisationale Versäulung aufgehoben und ein Wissenstransfer zwischen funktionsspezifisch ausgerichteten Instituten ermöglicht werden können (z. B. Knie und Simon 2010, S. 30ff.)? 260 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Research als spezifischer Handlungsmodus innerhalb des europäischen Forschungssystems besprochen werden. Diese Art der Forschung existiert aus Sicht der Autoren demnach bereits in Europa, entweder reicht sie jedoch noch nicht aus oder aber sie ist, weshalb auch immer, problematisch. Während die beiden Überschriften auf Forschung fokussieren, hebt sich jedoch das dritte Unterkapitel hiervon mit dem Verweis auf den ERC ab, in dem potentielle Alternativen zu dieser Einrichtung (»2.3 Potential Alternatives to an ERC«) diskutiert werden. Dem englischen Sprachgebrauch zufolge kann das Adjektiv »potential« auf eine Eventualität hindeuten, in technischen Kontexten kann es zudem für etwas derzeitig Unerreichbares und Unrealistisches stehen. In beiden Fällen wird die Lesart affirmiert, der ERC sei die favorisierte institutionelle Lösung, zumal die Alternativen nicht beim Namen genannt werden. Es liegt nahe, dass diese unbezifferten Alternativen nicht von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wurden. Gleichzeitig suggeriert der Verweis auf Alternativen, dass die Etablierung eines ERC (»an ERC«) alles andere als politisch abgesichert gelten kann. Um eine Begründung für dessen Etablierung zu leisten, präsentiert die Expertengruppe im dritten Kapitel insgesamt fünf Herausforderungen, die sie zusammengenommen als »The European Challenge« betrachtet; der Titel des Dokuments wird an dieser Stelle also wieder aufgegriffen. Als erste Herausforderung wird genannt: »3.1 Reinforcing Excellence, Especially in New, Fast-Growing Sciences«. Exzellenz scheint wieder verstärkt werden zu müssen, während es zuvor noch um das Werben von bereits und auf höchster Ebene exzellenten Teams ging, die sich bereits in Europa befinden. Der Dringlichkeitsappell wird verstärkt: Wissenschaft in Europa war einmal exzellent, diese Exzellenz müsse nun aber und hier v. a. in neuen, schnell wachsenden Wissenschaftsbereichen gestärkt werden.132 Das Argument impliziert eine geostrategische Konkurrenzsituation, in der ein wissenschaftlicher Wettbewerb verräumlicht wird. Die zweite Herausforderung, »3.2 […] Staying Ahead« ebenso wie die vierte Herausforderung, »3.4 […] Competing for Talent« bekräftigen diese Konkurrenzsituation. Die Überschrift des Unterkapitels 3.2 suggeriert, es gebe auch Wissenschaftsbereiche, in denen Europa weltweit führend sei. Strengt man sich allerdings nicht an, droht ein Verlust gegenüber anderen Staaten oder Regionen. Mithin vermischen beide Un132 Offenkundig wird an dieser Stelle wieder begriffspolitisch Bedeutung inszeniert. Argumentativ ist eine abermalige Stärkung von etwas gänzlich Neuem wenig sinnvoll. Unserer Assoziation zufolge deutet die Förderung neuer und rapide wachsender Wissenschaften auf eine natur- und technikwissenschaftlich ausgerichtete Trendförderung. Zu erwarten wären in dem Bericht bibliometrische Analysen, in welchen die Gründung neuer wissenschaftlicher Fachzeitschriften beobachtet wurde. Ebenso können auch Konjunkturen innerhalb bereits bestehender Forschungsfelder beobachtet worden sein. 261 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK terkapitel das Argument des ortsungebundenen Erkenntniswettbewerbs mit einem Wettbewerb um Akteure sowie um Produkte und Dienstleistungen, die aus wissenschaftlicher Erkenntnis resultieren. Über den geostrategischen Steuerungsanspruch hinaus werden wirtschaftliche Herausforderungen in der dritten und fünften Überschrift adressiert. Mit dem Verweis auf »3.3 […] Linking Science to Technological Innovation« greift die Autorenschaft eine geradezu klassische innovationspolitische Forderung nach einer direkteren und schnelleren Überführung wissenschaftlicher Erkenntnisse in technologische Innovationen auf (stellvertr. für viele; Bozeman 2000; Godin 2006; Knie und Lengwiler 2008; Knie et al. 2010). Die fünfte Herausforderung, »3.5 […] Encouraging Greater Investment«, schließt hieran an: Durch die Etablierung einer Frontier Research fördernden Organisation sollen Akteure zu höheren Investitionen ermutigt werden. Hier sind zwei Deutungen möglich. Erstens ist noch nicht ausgemacht, ob durch den ERC zusätzlich Gelder für Forschung investiert werden sollen; somit liest sich die fünfte Herausforderung als Appell an politische Entscheidungsträger, Ressourcen nicht schlichtweg aus anderen Forschungsförderprogrammen für den ERC umzuwidmen, sondern schlichtweg mehr Geld in Forschung zu investieren. Zweitens könnte unter dieser Herausforderung eine Art Werbeeffekt impliziert sein: Der ERC setzt ein Fanal, dass es lohnt, in europaansässige F&E zu investieren. Das vierte Kapitel widmet sich den Vorteilen der Einrichtung (»Benefits of an ERC«). Vorauseilend meint man im Unterkapitel 4.1 versichern zu müssen, dass die Einrichtung im Dienste der Gesellschaft stünde (»4.1 Serving Society«), jedermann also von ihr profitieren würde. Allerdings werfen die nächstgenannten vier Unterkapitel ein zweifelhaftes Bild auf die versprochene gesellschaftliche Wohlfahrt bzw. auf das dahinterliegende Ideal einer Gesellschaft: »Excellence and Prestige«, »Fostering Leadership Qualities« und »Stimulating Greater Selectivity«133 – die Titel des zweiten bis vierten Unterkapitel – stehen allesamt im Zeichen 133 In der Wissenschaftsforschung wird v. a. das Argument der Varianz gegen die Forderung nach Selektivität gesetzt, so z. B. von Michel Callon (1994), dem die Vielfalt der Wissenschaft als Grundlage für einen gesellschaftlichen – und eben nicht rein ökonomischen – Nutzen nicht genug ist (zur Diskussion von Wissen als öffentliches Gut; siehe Coase 1974; Foray 2004). Neben Beobachtungen, die auf die Bedeutung impliziten Wissens (tacit knowledge), die Notwendigkeit der Redundanz von Forschungsvorhaben (duplications) und auf den Zufall (serendipity) hinweisen (Collins 1974), stehen eine Reihe demokratietheoretischer Argumente. Wissenschaftliche Varianz ist dann zulässig, wenn Forschungsagenden »deliberativ erarbeitet werden« (Bora und Kaldewey 2012, S. 24; mit Bezug zu Kitcher 2003, S. 65ff.). 262 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU einer auf Erfolg und Leistung ausgerichteten Selektion von Eliten.134 An die Ausbildung und Festigung von Eliten wird auch die Stärkung von Forschungseinrichtungen geknüpft (»4.6 Strengthening Research Institutions in a Single European Research Space«).135 Dies erfolgt auf das Ziel der Europäischen Kommission hin, die territorialpolitische Zentralität Europas zu steigern. Die aufgeführten Überschriften erklären nicht zuletzt das auf dem Titelblatt erkennbare Desiderat, mit einer bisweilen gemeinschaftlich ausgerichteten Organisation der Forschung durch die EU zu brechen. Unklar bleibt, worin ferner die Vorteile liegen sollen, Talente und Disziplinen zu verbinden (»Linking Talents and Disciplines«), zumal der wissenschaftspolitische Diskurs bereits weit vor der Zeit der Veröffentlichung des Expertenberichts eine Interdisziplinarität innerhalb der Wissenschaft und Transdisziplinarität über Funktionssysteme hinweg erfordert (vgl. Bogner et al. 2010). Im siebten Unterkapitel verspricht die Expertengruppe durch den ERC eine Reihe von Vorteilen für die Wirtschaft (»Benefitting the Economy«). Die Argumente bringen den gängigen wissenschaftspolitischen Diskurs zum Ausdruck, in dem öffentlich finanzierte Forschung an ihrer Nützlichkeit gemessen wird. Die Versprechen, durch den ERC eine Kreativitätsgrundlage (Kapitel 4.7.1) zu schaffen und Industrien einen Pool von Talenten (Kapitel 4.7.2) bereitzustellen, respondiert mit dem bereits diskutierten Paradigma eines Marktversagens (Bozeman 2000). Die Kapitel 4.7.3, »Attracting R&D Intensive Firms« und 4.7.4, »Contributing to Spin-off Creation«, stellen ebenfalls ein klassisches Motiv in der F&TPolitik dar, wissenschaftliche Erzeugnisse unmittelbar – und nicht erst über den langen Weg des linearen Innovationsmodells – in wirtschaftliche Wertschöpfung zu überführen (vgl. Knie et al. 2010). Insgesamt fällt an diesem Kapitel auf, dass Vorteile für die Wirtschaft sehr genau 134 Philip Kitcher (2003, S. 141ff.) erinnert daran, dass Vannevar Bush in seinem Bericht »Science – The Endless Frontier« zur Legitimation von Grundlagenforschung ein Bild skizzieren musste, in dem eine weise Wissenschaftselite die Bedürfnisse der Bevölkerung habe voraussehen und entsprechend Vorsorge leisten können. Die Verbindung von Grundlagenforschung und Elitismus sei allerdings deshalb widersprüchlich, weil »[t]he emphasis on the serendipity of discovery, which sees scientific breakthroughs coming in unanticipated ways, hardly demonstrates that what a group of scientists views as the hot topics for ›basic science‹ will yield the means for satisfying the desires of a wider public.« 135 Eine Analogie zur Elitenbildung bietet der Bereich der Wirtschaft(-swissenschaften), wo der »Master of Business Administration« (MBA) als eine Selektions- und Sozialisationsmaßnahme zur Ausbildung eines geschlossenen Zirkel zukünftiger Top-Manager institutionalisiert worden ist. Kritisch diskutiert wird diese Entwicklung v. a. in der Managementforschung selbst (siehe u.a. Whitley et al. 1985; Grey 2002; Pfeffer und Fong 2002; Vaara und Fay 2011). 263 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK bezifferbar sind, wohingegen viele der zuvor aufgeführten Vorteile recht unspezifisch blieben. Das fünfte Kapitel, »ERC in the European Research Area«, adressiert zwei zentrale Herausforderungen zur Etablierung des Europäischen Forschungsrats. Liest man im Unterkapitel 5.1 von »Funding and Political Commitment«, so lässt sich hieraus die oben angedeutete Lesart verdichten, dass der ERC in der Tat in den Startlöchern steckte, jedoch weder über ausreichende Finanzierung noch über die entsprechend politische Unterstützung verfügte. Hinzu kommt, dass der ERC nicht einfach als eine weitere Forschungsförderorganisation innerhalb der EU und ihrer Mitgliedstaaten eingerichtet werden konnte, sondern institutionell mit anderen »EU Mechanisms« abzustimmen war. Fraglich ist, ob unter EU-Mechanismen auch nationalstaatlich oder transnational eingerichtete Forschungsfördermaßnahmen und -einrichtungen fallen, bspw. Research Councils, COST, EUREKA und die ESF, oder einzig die Förderprogramme und -organisationen unter der ägide der EU bzw. der früheren EG.136 Koordinierung könnte mithin die Frage beantworten, welche Einrichtung bestimmte Themen durch bestimmte Programme mit Fördermitteln ausstatten würde oder eben die Förderung anderen überließe.137 Aufschlussreich ist der Hinweis auf Koordinierung auch für die Deutung, dass sich die Kommission dem Ziel verschrieben hat, Forschungs- und Forschungsfördereinrichtungen innerhalb der EU miteinander zu vergleichen und ihre Aufgaben und Tätigkeiten im Sinne einer europäischen Vergemeinschaftung zu komplementieren. Das Inhaltsverzeichnis endet mit dem Verweis auf eine »Conclusion«, die mit dem befremdlichen138 Zusatz »Looking Forward« versehen ist; gefolgt von einer Bibliographie und einem Abkürzungsregister. Unterhalb des Verweises auf die siebenseitige Bibliographie wird angemerkt, dass auch nicht-wissenschaftliche Quellen (»other sources used in the preparation of this report«) verwendet worden seien, was auf die unterschiedliche institutionelle Herkunft der Experten zurückgeführt werden 136 Denn schließlich subsumiert die Kommission alle F&T-relevanten Institutionen unter ihr Konzept des Europäischen Forschungsraums. 137 Die Koordination mit Forschungseinrichtungen, d. h. Universitäten, außeruniversitären Forschungsinstituten und Unternehmen, könnte bedeuten, dass zu fördernde Themen und Forschungsförderformate abgefragt, Gutachter um Mitarbeit gebeten sowie Modalitäten der Projektberichterstattung und des Finanzmanagements (Overhead-Kosten, Buchführungsmodelle usw.) vorab geklärt werden müssen. 138 Seltsam wirkt der Hinweis »Looking forward« im Sinne von Vorfreude, da man in einem Expertenbericht wohl eher eine zur Neutralität verpflichteten Sprachverwendung erwartet. Auch hier ist redaktioneller Unsicherheit auszugehen. 264 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU kann ebenso wie auf die unklare Zuschreibung, ob der Bericht als politische oder wissenschaftliche Expertise zu verstehen ist. 6.5.6 Die Kommission, auch im Dienste der Wissenschaft: Grußworte eines Forschungskommissars Blickt man auf die Grußworte (»Preface«) des Forschungskommissars, bestätigt sich abermals, dass Frontier Research nicht im Zentrum des Berichts steht, sondern der Institutionalisierungsversuch des ERC. Unmittelbar fällt die Rahmung dieses Institutionalisierungsprozesses auf, insofern sich die Kommission als Dienstleisterin der Wissenschaft in Szene setzt.139 Denn die wissenschaftliche Gemeinschaft (»scientific community«), so der Einleitungssatz, habe den ERC als notwendiges Element innerhalb des Europäischen Forschungsraums vorgeschlagen, erst daraufhin wurde er »ein serious political prospect«, insofern sich die Kommission engagiert habe, »to making it a reality«. Erst dann war – und hierüber zeigt sich der Forschungskommissar erfreut – ein wachsendes Interesse beobachtbar, »[…] growing commitment to this exciting project on the part of the public authorities as well as the research community, throughout the European Union.« Die zitierten Dokumente und Experten sprechen gewiss eine andere Sprache. Zum einen stellt sich die Kommission als politischer Impulsgeber dar. Erst nachdem sie im Interesse der wissenschaftlichen Gemeinschaft aktiv geworden war, sei eine zunehmende Unterstützung durch »public authorities« innerhalb der EU beobachtbar. Zum anderen scheint man mit der Idee eines ERC nicht bei allen Akteuren der Forschung auf offene Türen gestoßen zu sein; damit könnten bspw. Interessenten einer entwicklungs- und anwendungsorientierten Forschungsförderung gemeint sein, die sich zumal auf das Einwerben von Verbundforschungsprojekten innerhalb der FRP spezialisiert haben. Im zweiten Absatz findet sich die gewohnte Reihenfolge der Begründungsformeln eines europäischen Binnenmarktparadigmas. Der ERC wird die Qualität und den Einfluss (»impact«) europäischer Forschung insgesamt verbessern, um zuvorderst die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Wirtschaften (aus der Sicht der Kommission: »our economies«) und erst danach gesellschaftliche Wohlfahrt (»our well-being«) 139 Die Expertengruppe hingegen gibt im ersten Satz ihres Vorwortes (siehe S. 9) an, die Kommission habe im Jahr 2004 einen »mechanism to stimulate excellence in basic research through competition between individual researchers, and between research teams, at a European scale« vorgeschlagen. 265 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK zu verbessern.140 Im nächsten Satz rechtfertigt die Kommission – für europapolitische Kontexte ebenso nicht überraschend – ihr Handeln durch die Ziele der Lissabon-Strategie: »It will reinforce the contribution of science and engineering to the achievement of the Lisbon objectives […].« Die Stärkung von F&E wurde als zentraler Eckpfeiler der Lissabon-Strategie im Jahr 2000 definiert und der ERC soll eben Teil dieses Eckpfeilers sein. Auffällig ist nun allerdings die zweite Hälfte des Satzes: »[…] and will make a vital contribution to Europe’s quest to master the research and technologies on which our future will depend.« Die Leistung des ERC läge darin, ganz Europa in seinem Streben (»quest«) zu unterstützen, Forschung und Technologien zu beherrschen. Mit Bedeutung aufgeladen wird der Satz zum einen durch die Verwendung der Metapher »quest«. Diese Suchmission, sei es eine (Homerische) Heldenreise mitsamt der zu bestehenden Prüfungen, den Abenteuern und der Suche nach wertvollen Objekten oder auch das sakrale Streben nach Sinn und Erlösung, wird auf die Beherrschung (»to master«) von Forschung und Technologien bezogen. Die auf dem Titelblatt evozierte Vorstellung von (womöglich seefahrenden) Abenteurern findet hier Anklang. Zum anderen wird – abermals – diese Suchmission als Europas Schicksal beschrieben: Der ERC würde hier einen lebenswichtigen Beitrag (»vital contribution«) leisten, von dem die ganze Zukunft der Europäer (»our future«) abhängt. Durch den nächsten Satz markiert der Text eine Differenz innerhalb politisch vorprogrammierter wissenschaftlich selbstdefinierter Forschungsförderung: »Complementing the existing EU research framework programmes, the ERC will provide a distinctive funding mechanism devoted to scientific excellence: it is anticipated that most of the proposals received by ERC will be put forward by researchers on their own initiative, focusing on scientific opportunities they themselves have identified.« Im Gegensatz zu den Forschungsrahmenprogrammen fördert der ERC wissenschaftliche Exzellenz und gewährt Forschern die Möglichkeit, selbstbestimmt Themen zur Förderung vorzuschlagen. Diese zweifache Abgrenzung impliziert eine Kritik des damals amtierenden Forschungskommissars an den Forschungsrahmenprogrammen. Durch diese wird offenbar keine wissenschaftliche Exzellenz gefördert und Forschern 140 Die Beschreibungen »our economies« und »our well-being« sind merkwürdig, da die Kommission anscheinend ihr Selbstverständnis als Motor der Integration und Fürsorgeinstanz affirmieren muss. Gleichzeitig offenbaren sie die Strategie der Kommission, bei den Lesern des Berichts ein motivierendes Wir-Gefühl zu stiften. 266 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU keine Freiheit zugestanden, Forschungsthemen »on their own initiatitve […] they have themselves identified« einzubringen. Gleichzeitig scheinen die Förderprinzipien des ERC zum Zeitpunkt der Berichtsveröffentlichung noch nicht politisch ratifiziert (»it is anticipated«), einzig über das Primat der finanziellen Förderung (»distinctive funding mechanism«) wissenschaftlicher Exzellenz scheint eine gemeinsame Position gefunden werden zu können (»the ERC will provide […]«). Im vorletzten Satz des Grußwortes verdeutlicht sich zum einen das Legitimationsproblem des ERC und zum anderen der bereits im Klappentext aufscheinende Hybridanspruch des Textes: »This report gives us the opportunity to understand more clearly how European competitive funding of investigator-driven frontier research will generate scientific and economic added value, and how the benefits of such a scheme can best be achieved.« Die Ankündigung, einen ERC zu etablieren, scheint für hinreichend Verwirrung oder gar Missstimmung gesorgt zu haben. Durch den Bericht sollten also Missverständnisse ausgeräumt werden; denn der Satz verspricht Aufklärung: Man wollte eben klarer verstehen (»to understand more clearly«), wie eine Förderung von »investigator-driven frontier research« wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Mehrwert141 erzeugen könne. Womöglich waren noch nicht alle Entscheidungsträger über die Leistungen und Funktionen des ERC ausreichend informiert oder von ihnen überzeugt. Fraglich allerdings ist, wie ernst die versprochene Aufklärung gemeint ist. Denn einerseits wird vorgegeben, man wolle besser verstehen (d. h. lernen), wozu »Frontier Research« dienlich sein könnte. Andererseits scheint man bereits zu wissen, dass Frontier Research einen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Mehrwert erzeugen wird.142 Mit dem letzten Satz des Grußwortes wird angedeutet, dass im Zeitraum der Berichterstattung anscheinend die gesamte europäische Forschungspolitik, das heißt ihr interinstitutionelles Zusammenspiel zwischen nationalen, transnationalen und supranationalen Akteuren, diskutiert wurde: »As such, it provides a valuable contribution to the debate on European research policy in the lead-up to the Seventh Framework Programme, and I commend it to all those with an interest in these important matters across the EU and beyond.« 141 Der bereits vielfach verwendete Begriff des Mehrwerts stellt eine klassische Begründungsformel der Kommission dar, ihre Handlungen v. a. über nationalstaatliche Handlungen hinaus zu rechtfertigen. 142 Unwahrscheinlich wirkt die Deutung, der Kommissar selbst habe den Bericht noch gar nicht gelesen und müsse nun ebenfalls noch lernen, welche Vorteile der ERC einbringen würde. 267 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Somit bestätigt sich, dass mit dem Bericht Möglichkeiten aufgezeigt werden sollten, den ERC innerhalb eines institutionellen Gefüges einordnen zu können. Dabei ist es wichtig gewesen, die politische Debatte über die institutionelle Neuausrichtung europäischer Forschungspolitik auf die Entstehung des 7. Forschungsrahmenprogramms hin zuzuspitzen. 6.5.7 Frontier Research als supranationaler Steuerungsanspruch Im Zuge der bisherigen Deutungen fiel auf, dass die Begriffe Basic Research und Frontier Research zur Legitimation des ERC fast schon beliebig und austauschbar verwendet wurden. Allerdings wurden einige Zusatzattribute eingeführt, um Frontier Research als eine in europäischen Kontexten ungewöhnliche Begrifflichkeit einzuführen und gegenüber Basic Research abgrenzen zu können. Denn unter der Leistungsbeschreibung, Basic Research zu fördern, wäre das Ansinnen der Kommission, einen ERC einzurichten, problematisch geworden. In Frontier Research aber ist der Wettbewerb zwischen Forschern – und nicht zwischen Wissenschaftlern – das Kriterium der Exzellenz und die doppelte Zweckdienlichkeit zugunsten wissenschaftlicher Erkenntnisse und wirtschaftlichem Nutzen zur Lösung der gesamteuropäischen Herausforderung zugleich angelegt.143 Ein Blick in das Vorwort der Expertengruppe bestätigt: Ihre Aufgabe lag in einer »assessment of the potential benefits that could accrue to Europe if such a pan-European ›basic research‹ [2] funding scheme were to become a reality«. Freimütig wird eingeräumt, man habe eine Fördermaßnahme für Grundlagenforschung hinsichtlich ihres Nutzens bewerten sollen. Denn hinter dem Begriff Basic Research wird eine Fußnote angeführt, in der die Gruppe erklärt: »In the main report, we explain why the term ›frontier research‹ is more appropriate than the conventional ›basic research‹, but we use the latter here until we have defined exactly what we mean by ›frontier research‹.« In seiner Ausdrucksgestalt suggeriert das Zitat einen wissenschaftlichen Schreibstil: Begriffe »exakt definiert« und Interpretationen expliziert (»what we mean by […]«) werden, bis dahin bleibe man jedoch bei einem konventionellen Sprachgebrauch. Zudem wirkt der Hinweis, die Verwendung von »Frontier Research« sei passender als der gewohnte 143 Aus einer pragmalinguistischen Perspektive bleibt jedoch noch unklar, wie stark die Variation und Themaentwicklung durch das Mittel der Substitution angelegt ist (Hausendorf und Kesselheim 2008, S. 121). 268 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Begriff Basic Research, fast schon wie ein Erziehungsauftrag: Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, solle sein Vokabular entsprechend angleichen. Tatsächlich ist eher nicht davon auszugehen, dass der Begriff der Grundlagenforschung innerhalb der letzten einhundert Jahre derartig in Verruf geraten ist (vgl. Pielke 2012), dass sich seine Verwendung verbieten würde. Mit Blick auf die bereits erarbeiteten Lesarten ist an dieser Stelle einzig eine Deutung plausibel: So erscheint es als geradezu notwendig, dass die Autoren darauf hinweisen müssen, dass diejenige Handlungspraxis, die allenthalben als Grundlagenforschung bezeichnet wird, nicht mehr als solche bezeichnet werden sollte, da sich die in sie gehegten Erwartungen stark verändert haben. Entsprechend sah sich die Kommission veranlasst, eine Begriffskorrektur in Auftrag zu geben. Allerdings lässt sich beobachten, dass Grundlagenforschung zur Selbstbeschreibung nach wie vor in wissenschaftlichen Beiträgen,144 in Forschungseinrichtungen145 und Forschungsförderorganisationen146 zentral verwendet wird. Forschung zu fördern und diese Grundlagenforschung nennen zu dürfen, scheint also einzig ein Problem der Europäischen Kommission gewesen zu sein.147 Dies muss nicht bedeuten, dass 144 Alleine in der Fachzeitschrift Science kann der Begriff »basic research« im Zeitraum von 1965 bis 2010 jährlich in über einhundert Beiträgen gefunden werden (Kaldewey 2013, S. 365). 145 Der Autor war am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung beschäftigt, das die Tätigkeiten seiner Mitarbeiter als »problemorientierte Grundlagenforschung« zusammenfasst; siehe http://www.wzb.eu/de/ueber-das-wzb (zuletzt abgerufen am 27.03.2015). 146 So ist auf der Homepage der Max-Planck-Gesellschaft zu lesen: »Die derzeit 82 Max-Planck-Institute betreiben Grundlagenforschung in den Natur-, Bio-, Geistes- und Sozialwissenschaften im Dienste der Allgemeinheit«; siehe http://www. mpg.de/kurzportrait. Auch auf der Seite der Research Councils UK findet sich der Hinweis, man fördere »basic research excellence« (siehe http://www.rcuk. ac.uk/about/aboutrcuk/rcuk-ambition). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft lud gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft sogar am 21.03.2012 zu einer Abendveranstaltung in die Berliner Vertretung der Europäischen Kommission ein, um über »HORIZON 2020 – Grundlagenforschung in Europa« zu diskutieren; http://dfg.de/service/termine_veranstaltungen/2012/120321_parlamentarischer_abend_horizon_2020/index.jsp (alle zitierten Internetquellen zuletzt abgerufen; 27.03.2015). 147 Mit Blick auf das in Kapitel 6.1 rekonstruierte Agenda-Setting hin zu einem ERC wurde von den interviewten Experten ebenso wie in den Zeitschriftenbeiträgen aus Nature und Science bestätigt, dass die Kommission auf der Grundlage der EG-Verträge keine Grundlagenforschung fördern durfte. Und genau dieses Problem hatten die Lebenswissenschaftler laut Interviewaussagen in den 1990er-Jahren, insofern sie sich den stark zweckgebundenen Rahmensetzungen der EG-Forschungspolitik unterordnen mussten, um Drittmittel aus den Forschungsrahmenprogrammen einwerben zu können. 269 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK die an der Berichterstellung beteiligten Experten an die Abkehr vom Begriff Basic Research und die Hinwendung zu Frontier Research selbst nicht glauben. So fragte Stefan Kuhlmann, ein Mitglied der High-Level Expert Group, in der Zusammenfassung einer internationalen Konferenz in Wien mit dem Titel »Rethinking the Impact of Basic Research on Society and the Economy«, ob es während der zweitägigen Diskussionen überhaupt um Basic Research gegangen sei. Kuhlmann riet den Teilnehmern zur sprachlichen Verwendung des »relatively new term ›frontier research‹, which means cutting-edge, high-risk research« (FWF 2007, S. 45). Der nächste Satz des Berichtes stellt eine wörtliche Wiederholung des Klappentextes dar, insofern die Expertengruppe (seltsamerweise sich selbst) zitiert, ihre Aufgabe habe darin bestanden, »to provide, by collecting and analysing existing data, a clear indication of the types of effects and benefits that may be expected, and their scientific and economic significance[3]«. In einer weiteren Fußnote 3 grenzt sie ihre Aufgabe weiterhin ein. Es sei eben nicht ihre Aufgabe gewesen, »to set out the basic parameters of an ERC (this has, in any case, already been done by others), nor to consider the details of how an ERC should be structured and how it should operate«. Diese Parameter sowie weitere Details, wie der ERC strukturell aufgebaut sein und operieren sollte, waren also bereits ausgearbeitet. Da die Expertengruppe im nächsten Satz angibt, ihren Bericht unter der Prämisse ausgearbeitet zu haben, der ERC sei »free-standing« und »governs and administers funds as part of the overall budget for Framework Programme 7«, bestätigt sie implizit ihre ex-post-legitimatorische Funktion. Diese habe einzig in der Sichtung und Zusammenführung bereits existierender Analysedaten gelegen. Auch im folgenden Satz schmälert die Gruppe zunächst ihre eigenen Aufgaben, insofern weitere konzeptionelle Entwicklungen und eine »exploration of options regarding its design and functions« jenseits ihres Aufgabenbereichs lagen. Allerdings muss die Gruppe betonen, sie habe einen umfangreichen (»substantial«) Bericht erarbeitet, eine »authoritative analysis of the issues involved«. Die zitierte Fußnote und die darauffolgenden Sätze wirken mit Blick auf die Expertise der Mitglieder entmündigend; alle Fakten lagen ja bereits auf dem Tisch. Der Gruppe musste zudem Amtsautorität zugesprochen werden, um analysieren (»authoritative analysis«) zu können. Primär ist wichtig gewesen, dass die Kommission qua Statuszuschreibung an die Expertengruppe (Radaelli 1999, S. 763) behaupten konnte, es seien hochrangige Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik am Werke gewesen, den Mehrwert des ERC belegen könnten (Haas 1992; einen Fokus auf die Reputation der Experten legt Haverland 2009, S. 4–5). 270 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Mit dem folgenden Absatz differenziert die Expertengruppe ihre Leserschaft in hierarchischer Reihenfolge aus: »This is likely to be of interest to advisors of policy-makers and those preparing political decisions as well as the wider research community. The report also contains an executive summary for key decision-makers and others who, while interested in the subject, have only time to digest a short summary of the main issues and conclusions.« Zunächst ist der Bericht an Berater von Entscheidungsträgern gerichtet bzw. an all diejenigen, die politische Entscheidungen vorbereiten, aber auch eine weiter gefasste Forschergemeinschaft könne der Bericht interessieren. Auffällig ist v. a. die empfohlene Lesestrategie im zweiten Satz: Alle, die sich als zentrale Entscheider definieren oder sich sonst um das Thema bemühen, aber nicht viel Zeit zum Lesen hätten, für die sei auch die kurze Zusammenfassung des Berichts ausreichend. Die Anmaßung, über das Lesebefinden von Entscheidungsträgern urteilen zu können, bringt zwei soziale Funktionen zum Ausdruck. Über die Berücksichtigung von Zeitknappheit suggeriert die Expertengruppe, sie habe Verständnis für das schnelllebige Politgeschäft hochrangiger Entscheidungsträger und wolle diesen deshalb eine Entscheidungsfindung und -rechtfertigung erleichtern. Zugleich bringt der Satz abermals, in problematischer Weise die Verschränkung von Experten und politischen Entscheidern zum Ausdruck: Unter einer akteurszentrierten Perspektive ließen sich politische Entscheidungsträger Begründungsformeln durch Experten vorbereiten; die Experten wurden von der Europäischen Kommission, über deren Gesetzesvorschlag es abzustimmen galt, als hochrangig und »authoritative« bezeichnet. Die Experten selbst legten den Entscheidern nun nahe, dass sie ihre ausgearbeiteten Argumente erst gar nicht prüfen, sondern schlichtweg die Zusammenfassung überfliegen sollten, um die Etablierung des ERC mitzutragen. Deshalb wäre eine genaue Analyse des »Executive Summary« auch nicht aussagekräftig, da hier Begründungen lediglich angedeutet werden mit dem Verweis, die Experten stützten sich ja auf valide Quellen; oder wörtlich: »The arguments presented in the report are supported by extensive references to published studies and data.« (S. 11) Des Weiteren ist eine Aneinanderreihung von kurzen Begründungsabschnitten enthalten, die inhaltlich wie auch stilistisch sehr ähnlich zum »Executive Summary« des interpretierten Kopenhagener Konferenzberichts auch als Sprechzettel in einer Briefingmappe eines hochrangigen Entscheiders liegen könnten. Bevor die Deutungsmusteranalysegruppe nun die Zusammenfassung aufschlug, konnte sie bereits mit einer hohen Sicherheit voraussagen, dass der ERC nun als historisch bedeutsame Entscheidung, d. h. innerhalb der auf den Ministerratsgipfeln von Lissabon und Barcelona formulierten Ziele, mehr in F&E zu investieren, 271 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK heraufbeschworen und als integraler Bestandteil des Europäischen Forschungsraums eingeordnet würde. Zudem würden sicher alle möglichen Vorteile wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Art für Europa angepriesen, gewiss auch explizit auf einen »Europeanadded value« verwiesen. All diese Erwartungen bestätigten sich, selbst die Reihenfolge der aufgeführten Begründungsformeln kam dem Vermuteten recht nahe; die Autoren haben sich strikt an die Struktur des Inhaltsverzeichnis gehalten. Da an dieser Stelle kein weiterer, erhellender Hinweis zur Verbindung von Experten und der Europäischen Kommission mehr zu erhalten ist, zumindest keiner der Lesart widersprechender, wird nachfolgend die Suche nach Begründungsformeln für die Entstehung des ERC fokussiert. Dass das hierzu eingeführte Kapitel 1.1 (»The Proposal for an ERC«) vor der eigentlichen Definitionsarbeit »1.2 Frontier Research« steht, bestätigte ja bereits die eigentliche Intention des Berichts. 6.5.8 Der ERC als »historische Herausforderung« Die Eingangssequenz des ersten Kapitels eröffnet mit einer Rahmung des ERC durch den Verweis auf den Lissaboner Ministerratsgipfel: »High-quality research has come to be seen as vital to the realisation of the dynamic and competitive knowledge-based European society envisaged in the Lisbon European Council strategy of March 2000.« Den Autoren zufolge habe sich die Erkenntnis erst zum Millennium durchgesetzt, dass eine dynamische und wettbewerbliche Wissensgesellschaft Forschung von hoher Qualität voraussetzen würde. Ein Subjekt wird an dieser Stelle ausgespart. Zwar mögen die Verfasser implizit auf die europäischen Staats- und Regierungschefs verweisen, allerdings liest sich ihre verwendete Passivkonstruktion (»has come to be seen«) wie eine allmählich gereifte Erkenntnis, die jetzt aber auch gar nicht hinterfragt werden muss. Dass der im nächsten Satz begründete Übergang in die Wissensgesellschaft tatsächlich erst im 21. Jahrhundert beobachtbar sei, sollte allerdings bezweifelt werden (vgl. Kapitel 6.4). »The accelerating pace of technological advance associated with the transition to a knowledge-based society, the recent enlargement of the EU and the imminent definition of the Seventh RTD Framework Programme have all contributed to an intensification of the political, financial and administrative debates on future research policies in the European Union including action by the Commission.« Der Dreischritt, Entwicklung einer Wissensgesellschaft, EU-Erweiterung und die politische Zielbestimmung des 7. FRP, habe die Diskussion um 272 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU zukünftige Forschungspolitiken einschließlich jener der EU intensiviert. Die Argumentationsfigur führt von einer möglichst breiten hin zu einer spezifischen Zielrichtung. Die Erwartung ist nun, dass der Bericht nur noch spezifisch auf konkrete Forschungspolitik ausgerichtet sein wird; Diskussionen um die Beschaffenheit einer Wissensgesellschaft oder – im Hinblick auf den Titel: über die Funktion von »Frontier Research« – müssten sich dem beugen. Wenig überraschend wird die Notwendigkeit zur Einrichtung des ERC mit einem zunehmend rapiden technologischen Wandel und einem globalen wirtschaftlichen Wettbewerb begründet. Europa wird hier in eine Opferrolle gedrängt, es sei »confronted not only by increasingly rapid technological change, but also by growing competition on a global scale […]« und natürlich läge der Kontinent hinter den USA zurück. Schicksalhafte Zustände und äußere Bedrohungen seien es, die ein Handeln notwendig machten. Die Dramatik dieser Bedrohungen steigert der Text, indem er auf Konsequenzen hinweist, die sich ergäben, wenn eben nicht gehandelt, d. h., keine »basic research of the highest-quality standards« gefördert würde. Europa würde einen »part of its heritage and identity« verlieren, zu einem Kontinent der »imitators rather than innovators« verkümmern, »economically, as well as politically, in a globalising world« verdrängt werden und »aspiration of developing its own vision of a desirable future for humanity« aufgeben. Deshalb, so der Text, »[i]t has also become increasingly accepted that Europe would benefit tremendously from a new mechanism to fund basic research«. Selbst die Überalterung der Gesellschaft (»ageing of the European population«) sei eine Herausforderung, auf die Grundlagenforschung adäquate Antworten finden könne. Diese Überbetonung eines Allheilmittels gegen die ubiquitäre Bedrohung Europas kann nicht überzeugen, deshalb wird in einer Fußnote (Fn. 5) eingeräumt, andere Forschungsmaßnahmen würden ebenso dringend gebraucht, der ERC stelle nur einen »part of the solution« dar. Doch auch dies schmälert nicht die Lesart, dass mittels Untergangsdrohungen politische Dringlichkeit erzeugt werden sollte. 6.5.9 Frontier Research – ein weiteres Definitionsscheitern Im Kapitel 1.2 führt der Text vier Merkmale in Form von Bullet Points auf, um die Einführung des Begriffs Frontier Research zu legitimieren. Der Versuch der Expertengruppe, eine distinkte und neue Forschungsform zu definieren und ihren Bedarf zu rechtfertigen, wird in diesem Kapitel aufgrund der zu starken Vermischung von Kommissions- und Experteninteressen scheitern müssen; noch konnte ja nicht einmal ermittelt werden, wer eigentlich für den Text verantwortlich zeichnet. 273 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Um die Einführung des Begriffs Frontier Research zu begründen, werden zunächst Beispiele aus »emergierenden« Forschungsfeldern (»biotechnology, ICT, materials and nanotechnology, and cognitive sciences«) aufgelistet, an denen sich die Obsoleszenz der Unterscheidung von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung manifestieren würde. Diese beiden Forschungshandlungsmodi werden im Umkehrschluss ontologisiert: Früher seien sie getrennt voneinander aufzufinden gewesen, in der heutigen und zukünftigen Forschung jedoch immer zusammen anzutreffen und Forschung letztendlich nicht mehr in dieser Hinsicht zu dichotomisieren. In dem zitierten Satz spart der Text allerdings aus, dass die Unterscheidung zwischen »basic« und »applied research« allen voran eine soziale Konstruktionsleistung zur Selbst- oder zur Fremdbeschreibung darstellt: Oft grenzen sich hierdurch Wissenschaftler oder Wissenschaftsorganisationen in innerwissenschaftlichen Deutungskämpfen gegenüber anderen Wissenschaftlern und Organisationen ab (u. a. Gieryn 1983), ebenso wie dies in außerwissenschaftlichen Kontexten geschieht (Calvert 2004). Von einer außerwissenschaftlichen Warte aus betrachtet werden Nützlichkeitserwartungen in Form von Sprache (bspw. mit dem Begriff der »anwendungsorientierten Forschung«) ebenfalls an das Wissenschaftssystem herangetragen, um politische Freiheiten zu gewähren. Auch die politische Kommunikationscodierung ist auf diese Begriffe angewiesen. Insgesamt fällt also auf, dass mit dem Satz zwar ein neues Forschungsverständnis begründet werden soll, dies in seiner Ausdrucksgestalt jedoch einer dichotomen Engführung von linearen oder kaskadierenden Innovationsverständnissen des 20. Jahrhunderts folgt (Kaldewey 2013, S. 371–373). Die Wiederholung im dritten Bullet Point reaffirmiert lediglich die starke Wirkmächtigkeit dieser dichotomen Engführung: »With frontier research researchers may well be concerned with both new knowledge about the world and with generating potentially useful knowledge at the same time.« Im Text kommt dabei gar nicht primär eine begriffliche Abgrenzungsarbeit von wissenschaftlichen gegenüber außerwissenschaftlichen Kommunikationsteilnehmern zum Ausdruck, vielmehr geht es um sprachliche Abgrenzungs- und Nützlichkeitsbehauptungen der Kommission gegenüber anderen politischen Organisationen. Das Ziel liegt in der Aneignung von Forschungsförderkompetenzen, die sozialen Erwartungen zufolge auf Grundlagenforschung ausgerichtet sind. Es sind also nicht Erwartungen an Grundlagenforschung, sondern spezifische Erwartungen an die Kommission, die das von ihr implizit adressierte Problem darstellen. Entsprechend, so der Text, müsse schlichtweg ein anderer Begriff eingeführt werden: »We [Kommission und Expertengruppe] therefore prefer to use the term frontier research to basic research.« Mit 274 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Frontier Research sei ein Verständnis von Forschung zum Ausdruck gebracht, welches »stands at the forefront of creating new knowledge and developing new understanding. Those involved are responsible for fundamental discoveries and advances in theoretical and empirical understanding, and even achieving the occasional revolutionary breakthrough that completely changes our knowledge of the world«. Der Absatz wirkt so, als solle nichts als Forschung im Allgemeinen begründet werden, belanglos, ob theoretisch oder empirisch ausgerichtet. Die dritten und vierten Bullet Points bringen ebenso keine definitorische Distinktion zutage, sondern verweisen auf multi-, inter- und transdisziplinäre Forschung, »from different disciplinary backgrounds, with different theoretical and conceptual approaches, techniques, methodologies and instrumentation, perhaps even different goals and motivations. Therefore, there is a much closer and more intimate connection between the resulting science and technology, with few of the barriers that arise when basic research and applied research are carried out separately«. Die Hoffnung sei, eine intimere Verbindung zwischen Wissenschaftsund Technologiebereichen zu stiften, die weniger durch die Trennung von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung gehemmt ist. Wenn man nur forscht und gern zusammenarbeitet – mit wem, worin und woran spielt keine Rolle –, scheint man unmittelbar an der Frontier zu stehen. Der Text fordert in jeder Hinsicht eine Auflösung von Differenzen. Vor allem aber transportiert er den Mythos wissenschaftlicher Durchbrüche, die »our knowledge« – zur Persuasion wird die erste Person Plural eingeführt – über die Welt vollständig verändere.148 Zweitens stellt der Textabschnitt die Bedeutung der »risky endeavour« ins Zentrum. Risikohaftes, gewagtes oder auch riskantes Handeln, so opak der Begriff des Wagnisses149 hier zunächst bleibt, ist eine an den Forscher gestellte Forderung. Damit appelliert der Text an den Pioniergeist und für den Aufbruch ins Ungewisse: »[T]he approach or trajectory that may prove most fruitful for developing the field is often not clear. Researchers must be bold and take risks« (kursiv; TF). Nur »researchers [Fn. 10] are generally in a position to identify the opportunities of greatest promise«. Interessant scheint an dieser Stelle die eingeleitete Fußnote: 148 Genau diese Mythenbildung wird dem Bush-Bericht nachgesagt; (Sarewitz 1996). 149 Man assoziiert hierunter auch den Idealtypus des Unternehmers, der zweckunabhängig »des änderns und Wagens« willen motiviert ist (Schumpeter 1964, S. 138). 275 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK »This includes (frontier) researchers working in industry as well as those in universities and public research organisations. (There have been several examples of Nobel Prizes awarded to researchers employed in company research laboratories.)« Zunächst wird die bereits bekannte Aufhebung funktionssystemspezifischer Zuschreibungen bemüht: Auch in Unternehmen, so muss betont werden, seien Forscher an der Frontier anzutreffen. Auffällig ist jedoch an dieser Stelle, dass, obwohl zuvor eine begriffliche Neuschöpfung zugegeben wurde, die »Pionierforscher« als gegeben, also de facto existent erscheinen sollen. Denn gerade die Umklammerung in »(frontier) researcher« suggeriert, dass dieser Typus ja besteht, nur bislang nicht als solcher bezeichnet wurde. Zur Steigerung der Inszenierung wird auf Reputation gesetzt: Als sei es kaum der Rede wert, weist der Text in Klammern darauf hin, man könne hier mühelos eine (unspezifische) Vielzahl von Nobelpreisträgern (»several examples«) aufführen, die in Forschungslaboren von Unternehmen arbeiteten. Die erste Funktion könnte also darin liegen, in industrieunternehmerischen Kreisen um Legitimation für Grundlagenforschungsförderung zu ersuchen. Zweitens und offensichtlich soll der Nivellierung einer Unterscheidung von »basic« und »applied research« mit dem gleichen Argument – also Reputation – Ausdruck verliehen werden: Es gibt diese Unterscheidung praktisch nicht, selbst eine Vielzahl von Nobelpreisträgern in Unternehmen würde dies bezeugen. Der Satz setzt auf Überraschung: Wer hätte geglaubt, dass Nobelpreisträger nicht ausschließlich in Universitäten oder anderen öffentlich finanzierten Forschungsinstituten anzutreffen sind. Drittens scheint durch das beiläufige Einstreuen dieser Überraschung150 eine Wissensasymmetrie zwischen Verfassern und Lesern eingeführt, die Kenntnisreichtum ausstellen soll. Nachfolgend versucht der Text, »to identify the opportunities of greatest promise«, den organisationalen Bedingungskontext zu begründen: »The task of funding agencies is confined to supporting the best researchers with the most exciting ideas, rather than trying to identify priorities.« 150 Zur Klarstellung: Es soll gar nicht bestritten werden, dass Nobelpreisträger nicht auch in privatwirtschaftlich geführten Unternehmen forschen und womöglich ihre preisgekrönten Entdeckungen hier gemacht haben. Es soll in der Deutungsmusteranalyse auch nicht darum gehen, aufzudecken, dass diese Behauptung bar jeder empirischen Evidenz erfolgt und derzeitig erst beforscht wird (siehe Pauline Mattssons und Katarina Nordqvists Projekt am Karolinska Institute; http:// www.ingenio.upv.es/en/seminars/entrepreneurial-laureates; zuletzt abgerufen; 01.08.2015). Einzig die Tatsache, dass an dieser Stelle in einer Beiläufigkeit ein Staunen herbeigeführt werden soll, interessiert in ihrer Ausdrucksgestalt. 276 FRONTIER RESEARCH ALS GEOSTRATEGIE DER EU Zweifellos liest sich dieser Satz wie ein politischer Appell; eigentlich wäre ein »should« anstelle des »is« erwartbar gewesen. Durch die Verwendung des Indikativs wirkt Aussage jedoch noch ausdrucksstärker – Ebenen des Seins und Sollens blenden ineinander über: Forschungsförderorganisationen seien darauf beschränkt, die besten Forscher mit den spannendsten Ideen zu fördern, und sollten selbst keine Prioritäten setzen. Mithin klingt in der Unklarheit aus Indikativ und Imperativ auch eine Kritik gegenüber anderen »funding agencies« an: All diejenigen, die Prioritäten setzten, sollten sich eher auf die Förderung der Besten beschränken. Hierdurch vermittelt der Text auch einen Trade-off: Wer Themen (politisch) vordefiniere, würde eben nur akademisches Mittelmaß fördern. Angesichts der Autorenvermischung von Kommissionsmitarbeitern und Experten könnte an dieser Stelle der Schluss gezogen werden, dass sich die Kommission mit Blick auf ihre bisherige Ausgestaltung der Rahmenprogramme selbst kritisiert bzw. kritisiert wird. Gewiss blieb bisher die Bezugnahme von metaphorischen Frontiers auf tatsächlich räumlich existierende, nämlich nationalstaatliche Grenzen, aus. Dies führt der Text als letztes Argument zum Verständnis von Frontier Research ein: »Because a range of knowledge and skills is required for frontier research, it often cannot be found within single nations, especially smaller ones. Member States of the EU may have well-established national funding mechanisms for supporting basic researchers within their own countries. But Europe lacks a pan-European mechanism for encouraging and funding the best researchers in whichever country they may be found.« Das Argument einer fehlenden kritischen Masse ist geradezu klassisch unter den Begründungen, eine europäische Integration voranzutreiben. In diesem Sinnabschnitt fällt auf, dass der Text zwar natürlich zunächst Aussagen zu Frontier Research trifft und durch seine eigene definitorische Vorarbeit nun auch mühelos behaupten kann, dass einzelne Staaten innerhalb der EU nicht genügend Ressourcen hierzu aufbringen könnten. Daraufhin muss er allerdings wieder auf gewohnte Beschreibungen zurückfallen und Forschungsfördereinrichtungen in Rechnung stellen, dass sie Grundlagenforschung innerhalb ihrer Grenzen förderten. Dass Frontier Research schlussendlich keinen wissenschaftlich identitären Wert besitzen kann, sondern hier ausschließlich politisch genutzt wird, um subsidiäre Handlungsbeschränkungen der Kommission zu umgehen, zeigt sich in dem letzten Satz des Zitats. Durch Frontier Research solle die EU eine Forscherelite fördern, gleichgültig, in welchem EU-Mitgliedstaat sie ansässig ist. In diesem Sinne bricht das geostrategische Deutungsmuster gleich mit zwei Normen: der kosmopolitischer Offenheit Europas und jener universalistischen Inklusionsnorm einer Weltwissenschaft (vgl. Stichweh 2003, S. 5–8). Radikal gedeutet würde die Semantik der Frontier 277 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Research diesen Normen geostrategisch entgegenstehen: Die Besten sollen in und für die EU und im Dienste ihrer Wirtschaft forschen. Weitere Lesarten sind in diesem Dokument nicht aufzufinden. Der Text wird lediglich noch ein paar Einschätzungen aus den Innovationund den Science Policy Studies zusammenfassen, Defizite national und institutionell zerklüfteter F&E sowie mangelnde Investitionsbereitschaft lamentieren, Drohszenarien einer wissenschaftlich-technologischen Lücke empirisch zu affirmieren versuchen und als optimale »Lösung« eine durch die Kommission eingerichtete Forschungsförderorganisation vorschlagen. 6.5.10 Fazit zu Unterkapitel 6.5 Eine Untersuchung des vorliegenden Expertenberichts Frontier Research: The European Challenge förderte inhaltlich wenig Überraschendes zutage. Frontier Research scheint nicht mehr als eine späte, im Nachgang beauftragte Definitionsarbeit zur politischen Legitimation der Kommission darzustellen. Die im Text vorgebrachten Gründe, Frontier Research – und nicht mehr Grundlagenforschung – zu sagen, schreiben oder auch zu fördern, wirkten allesamt schwach; im Vergleich zu den Argumenten in der Mitteilung Europa und die Grundlagenforschung finden sich erst gar keine neuen geschweige denn erhellenden Gründe. Wie bereits zu Beginn der Analyse betont, sollten aber auch nicht primär die teils fragwürdigen Argumente des Textes fokussiert werden; vielmehr interessierte das dahinter liegende Narrativ und die Problematik, auf die es Bezug nahm. Die Behauptung, dass Distinktionen von Handlungsmodi der Forschung obsolet seien, scheint insbesondere auf die Aufhebung von Differenzen politischer Handlungskompetenzen abzuzielen. Mit anderen Worten: Es ist die Kommission, die durch die begriffliche Aneignungen einer US-amerikanischen Semantik selbst eine Frontier auszudehnen versucht, und zwar in Form einer politischen Erkundung bisher nationaler Handlungskompetenzen. Die USA stehen in diesem Bericht gleich in mehrfacher und paradoxaler Hinsicht Pate; dies brachten die Analysen des Titels und des Inhaltsverzeichnisses zum Ausdruck: Sie sind Leit- und Feindbild zugleich. Analog, so könnte man meinen, wird der Mythos der Risikofreude und »Boldness« aus dem Bush-Bericht in die Begründungsformeln des Textes übernommen, ebenso wie die aus heutiger Sicht überzogenen Versprechungen unerschöpflicher Möglichkeiten an der Frontier des Wissens. Während der Bush-Bericht eigentlich zur Legitimation von »basic research« geschrieben wurde, also den erst eventuellen und mittelbaren Nutzen von Grundlagenforschung zusichern sollte (Sarewitz 1996, S. 97ff.), will der hier vorliegende Text von Segmentierungen 278 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM nichts mehr wissen. Forschung sei immerzu außerwissenschaftlich nützlich und innerwissenschaftlich erkenntnisgetrieben. Eine weitere Besonderheit dieses Expertenberichts stellt die seltsame Vermischung sozialer Rollen dar. Bereits die Analyse des Klappentextes und der ersten Seiten verdeutlichten, dass nicht einfach eine Expertise bestellt wurde, auf die die Kommission dann ihren Namen setzte. Es ist, bildlich gesprochen, aber auch nicht eine Art deutsche »Expertenkommission Forschung und Innovation« gewesen, die wie jedes Jahr der Bundesregierung ein Gutachten zum deutschen Forschungs- und Innovationsstand überreicht. Beide, die Expertengruppe und die Kommission grenzen sich teilweise voneinander ab, beziehen sich aber auch stark aufeinander. Seitens der Kommission wird jegliche Verantwortung an dem Bericht bestritten, während der Kommissar für Forschung zugleich ein Grußwort schrieb und der Expertengruppe für ihre Arbeit dankte. Die Gruppe selbst war gemischt und bestand aus Wissenschaftlern, teils aus der Innovations- und Science-Policy-Forschung, und u. a. Personen aus der Privatwirtschaft. Man kann vermuten, dass diese starke Durchmischung eben auch jegliche Distinktionsmöglichkeiten von Frontier Research unterminieren musste. Auch korrespondiert der selbst gegebene Status, High-Level-Group zu sein, mit den inhaltlichen Forderungen nach Frontier Research, einzig die besten Forscher zu fördern. 6.6 Analyse des Beschlusses zum Siebten Rahmenprogramm In diesem Kapitel wird die beschlussfassende Rechtsakte für das 7. FRP im Hinblick auf die Etablierung des ERC bzw. des Spezifischen Programms »Ideen« untersucht. Gesucht werden Strukturmuster, die die politischen Entscheidungsinstanzen der EU (Kommission, Rat und Parlament) mit Gründen ausstatteten, um einen ERC legitimieren zu können. Das der Analyse zugrunde liegende Dokument hat eine Kopfzeile, die zentriert den Titel »Amtsblatt der Europäischen Union« führt. Rechtsbündig steht die Chiffre »L412/1«, linksbündig ein Datum 30.12.2006 und eingerahmt die Buchstaben »DE«.151 Der Begriff des Amtsblattes deutet auf einen Verwaltungskontext152, darüber hinaus suggeriert das Kompositum von »Amt« und »Blatt« eine Vermengung von Formalität 151 Die Chiffre »L412/1« suggeriert, dass kein natürlicher Text vorliegt, bspw. ein durch eine Einzelperson verfasster Brief, sondern ein redigiertes Dokument. Auch zeigt ein erster Blick auf den Text eine gewisse Struktursystematik in Form einer Gliederung. 152 So auch die Chiffre »L412/1«, die auf eine Mitteilungskette oder bürokratische Verweisungsstruktur schließen lässt; die Ziffer »1« wird sich als Seitenzahl 279 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK und Informalität. Der Urheber des Amtsblattes ist die »Europäischen Union«. Eine »Union« meint die Vereinigung mehrerer natürlicher oder juristischer Personen zur gemeinsamen Zielerreichung oder Zweckerfüllung. ähnlich wie der Begriff der Gemeinschaft vermittelt die Union zudem einen auf geteilten Werten fußenden Zusammenschluss; sie ist keine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Zuordnung des Adjektivs »europäisch« zum Substantiv »Union« weist auf einen speziellen Typus des Zusammenschlusses hin, hier einer segmentären Ordnung bisweilen getrennter territorialer und politischer Einheiten. Unterhalb der Kopfzeile erscheint zunächst die Ziffer römisch »I« und deutet auf eine Systematisierung des Dokumentes: Es sollten mindestens zwei Abschnitte zu finden sein und es werden auch genau zwei sein.153 Merkwürdigerweise wird nach der Einführung der römischen Ziffer keine Überschrift angeführt. Eine Zeile unter der Ziffer »I« steht in Klammern gefasst und kursiv gesetzt die Wortfolge »Veröffentlichungsbedürftige Rechtsakte«.154 Diese Darstellungsart wird als auffällig notiert: Die Tatsache, dass der Text unter der Ordnungsziffer »I« steht und eingeklammert wurde, lässt zunächst auf die Redundanz dieser Textpassage schließen. Naheliegender ist, dass die Textumklammerung eigentlich nur für solche Leser eine Hilfestellung leisten soll, die in diesem spezifischen Rechtskontext nicht kompetent sind. Die eigentlich adressierte Leserschaft verfügt aber gewiss über diese entsprechende Fachkompetenz. Recht wird auch alltagsprachlich als normative Sozialordnung einer wie auch immer bestehenden Gesellschaft verstanden, die durch Sanktionen hergestellt und aufrechterhalten wird.155 Aufgrund der Verbindlichkeit rechtlicher Entscheidungen muss Recht veröffentlicht werden. Gerade deshalb aber wirkt der Verweis auf eine Veröffentlichungsbedürftigkeit auffällig – europarechtlich geschulte Experten benötigen diesen eigentlich nicht. Zudem scheint es in der EU auch nicht-veröffentlichungsbedürftige Rechtsakte zu geben; womöglich verwaltungsrechtliche Verfahrensprozeduren, die organisationsinterne Handlungen bestimmen. An dieser Stelle ist keine eindeutige Lesart ermittelbar. Es bleibt zu vermuten, dass das Anliegen über Fachkreise hinaus einer Öffentlichkeit herausstellen. Die eingerahmten Buchstaben »DE« klären sich als Kürzel für die deutsche Sprache auf. 153 Unter römisch »II« wird der rechtlich nicht mehr normierte Annex, das heißt eine Zusatzerklärung über die einzelnen Inhalte des Rahmenprogramms aufgeführt. 154 Der Begriff der »Rechtsakte« suggeriert die Vereinigung eines mit bestimmten Funktionen zugeordneten Papierwerks mit dem Akt, d. h. einer endlichen und diskreten Handlungssequenz. 155 Gewiss müsste zwischen abstrakten Normen und dem law in action, also dem menschlich zur Geltung gebrachten Recht unterschieden werden (vgl. Zippelius 2012). 280 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM mitgeteilt werden muss, was auf eine primär politische Rechenschaftspflicht hindeutet. Etwa drei Zeilen unter dem Hinweis folgt die fettgedruckte und in Großbuchstaben gesetzte Textpassage »Beschluss Nr. 1982/2006/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates«. Zunächst ist festzustellen, dass also irgendetwas zu beschließen ist bzw. beschlossen wurde. Unter sequentieller Bezugnahme zum Begriff der Rechtsakte drängt sich die Lesart auf, dass ein politischer Prozess (siehe; »Parlament« und »Rat«)156 nun in das Rechtssystem überführt wird. Die Schließung des Sinnabschnittes erfolgt durch ein zeitliches Ordnungsprinzip. Die Zeitreihung »1982/2006«, um das Deutungsverfahren hier abzukürzen, verweist auf einen gültigen Zeitraum völkerrechtlicher Verträge, aus denen hier abgeleitet Sekundärrecht normiert wird. Die Bezeichnung »[…]/2006« korrespondiert mit dem Jahresdatum der Kopfzeile (»30.12.2006«). Die Phrase »Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates« ist jedoch auffällig, da sich die in der Kopfzeile ankündigende »Europäische Union« in zwei voneinander getrennte und beschlussfähige Entitäten aufteilt, die erst dadurch eine Union bilden, dass sie gemeinsam Dinge rechtlich normieren; in diesem Fall eine EU-Richtlinie. Es kommuniziert also nicht die Gemeinschaft oder Union selbst, sondern ihre mit Rechtskompetenzen ausgestatteten, politischen Auftragnehmer. Beschlossen wurde »Das Siebte Forschungsrahmenprogramm«. 6.6.1 Universitäten für das Überleben von Unternehmen Der Begriff des Siebten Rahmenprogramms interessiert zunächst mit Blick auf seine Nummerierung; durch sie deutet sich an: es gab bereits sechs Rahmenprogramme, und möglicherweise folgt dem siebten auch ein achtes. Das in Großbuchstaben geschriebene Personalpronomen (»Sieben«) verweist zudem auf einen Eigennamen. Dem Wortstamm zufolge steht das Programm im Zentrum. Der Begriff beschreibt nicht die Welt, sondern nimmt eine inhaltliche und temporale Selektion vor. Wie bei einer Maschine oder einer Computersoftware soll ein Programm so ablaufen, wie es vorgedacht war, sofern alle Aufgaben richtig »programmiert« wurden und sich hernach alle Aussagen von anderen ableiten lassen.157 Mit dem Suffix des »Rahmens« erfährt das Programm wei156 Das Kürzel »/EG« wird mit Rückgriff auf Kontextwissen als Europäische Gemeinschaft(en) identifiziert. 157 Kybernetisch gewendet sollen politische Programme in der Regel wie triviale Maschinen funktionieren: Dem intendiertem Input soll auch ein absehbarer Output folgen, so zumindest in der Vorstellung politischer Planung (vgl. von Foerster 1984). 281 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK tere Selektionen. Wie bei einem Bild grenzt der Rahmen die Innen- von der Außenwelt ab.158 Hier stellt sich die Frage, wie stark der Inhalt des Programms durch seinen ihn umgebenen Rahmen bestimmt wird, d. h., der politische Rahmen die Inhalte des Programms beeinflussen mag. Mit Blick auf die Nummerierung (»Siebtes Rahmenprogramm«) ist zudem unklar, ob sechs vorlaufende Rahmenprogramme bereits beendet worden oder weiterhin aktiv sind. Ebenso unklar ist, ob die jeweils nachfolgenden Rahmenprogramme auf ihre Vorläufer aufbauen müssen, sie ergänzen, sich von ihnen eventuell programmatisch oder nur bezüglich ihrer Rahmen unterscheiden. Es wäre möglich, dass die Inhalte, d. h. die Programme, dieselben geblieben sind; oder umgekehrt: dass sich unter derselben (politischen) Rahmung die Inhalte im Zeitverlauf geändert haben.159 Dem Passus »Beschluss über das Siebte Rahmenprogramm« folgt der Abschnitt »[…] der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007–2013)«. Durch den Konnektor »und« müssen die Begriffe »Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration« nicht zwingend aufeinander Bezug nehmen, auch wenn sie auf den Eigennamen eines Siebten Rahmenprogramms ausgerichtet sind. Zudem vermittelt die Bezeichnung der Europäischen Gemeinschaft für Forschung und Weiteres, dass die Organisatoren der Rahmenprogramme selbst keine Forschung betreiben, sondern lediglich Dinge für diese bereitstellen wird.160 Ebenso auffällig ist die spezifische Anordnung der Reihung in (1) Forschung, (2) technologische Entwicklung und (3) Demonstration; sie ist nicht alphabetisch geordnet und könnte auf eine sequentielle Hierarchie hindeuten.161 Der Hinweis »2007–2013« markiert nicht nur einen Zeitraum, sondern in158 Rahmen können mitunter eine große Wirkung auf ein Bild haben; ein fett- und in Gold gerahmtes Bild wird sicherlich anders auf den Betrachter wirken, ihn mitunter sogar vom Bildinhalt ablenken. Veranstaltungen erhalten oftmals einen Rahmen, mit dem bspw. bestimmte Themen, Programmleitfäden, zeitliche und inhaltlich Brüche vorgegeben werden. 159 Unter politischen Rahmen wären dann Finanzierungs- und Regulierungsfragen oder das »Aufhängen« der Programminhalte an spezifisch politischen Zielen zu verstehen. 160 Dies bspw. im Unterschied zur Deutschen Forschungsgemeinschaft, die über die Förderung hinaus auf eine ideelle Verbindung ihrer Gemeinschaftsmitglieder setzt, sich zu einer unentgeltlichen Begutachtung entschlossen hat, ihren Mitgliedern aber auch Mitspracherechte bei der Ausgestaltung von Förderlinien einräumt. Jeder DFG-Antragsteller bindet sich also an die Gemeinschaft (Torka 2009, S. 101ff.). 161 Der Begriff der Demonstration steht in technologischen Entwicklungskontexten für Prototypisierung und Visualisierung, v. a. im Bereich der Informatik. In der Wissenschaftsforschung wurde er u. a. als Legitimationsinstrument diskutiert: Der Demonstrator wird mitunter genutzt, um die eigentlichen Forschungsinhalte 282 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM sinuiert eine Zäsur, der die Vorstellung einer nicht naturwüchsigen Entwicklung unterliegt: Forschung, Entwicklung und Demonstration ließen sich demnach innerhalb eines festen Zeitraums planen; mit Unabwägbarkeiten umzugehen – keine Seltenheit in der Wissenschaft –, wird dann wohl kein Spielraum mehr vorhanden sein. Der erste Satz des Dokumentes lautet: »In Erwägung nachstehender Gründe.« Generell haben Gründe den Charakter, dass sie informieren und legitimieren. Auffällig ist, dass obwohl Legitimation bereits vorher erwirkt wurde (siehe die Verweise auf den Gemeinschaftsvertrag), dies jedoch nicht auszureichen scheint. Nach dieser Einleitung kündigen zwei Formulierungen, »Nach dem Vertrag hat die Gemeinschaft zum Ziel [...]« und »Die zentrale Rolle der Forschung [...]«, weitere Erwägungsgründe an. Auch diese Formulierung ist merkwürdig, denn im Gegensatz zu Gesellschaften – sie finden Ausdruck in Verträgen162 – folgen Gemeinschaften geteilten Werten und bedürfen daher eigentlich keines Vertrages. An dieser Textstelle werden somit unterschiedliche soziale Ordnungsformen zusammengegossen. Bereits hier kann die Deutung angestellt werden, dass die seltsame Verbindung von Vertrag und Gemeinschaft im Lichte einer permanent gestellten Legitimationsfrage europäischen Regierens steht. Eine Gemeinschaft, die Entscheidungen auf Vertragsbasis fällen muss, wirkt ob ihrer geteilten Wertfundierung unsicher, oder sie stellt nur eine Scheingemeinschaft dar. Die erste, den beiden Einleitungssätzen folgende Begründung lautet: »Nach dem Vertrag hat die Gemeinschaft zum Ziel, die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der Industrie in der Gemeinschaft zu stärken und dadurch ein hohes Maß an internationaler Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.« Mit dieser ersten Begründungsformel wird der Primat des gesamten Forschungsrahmenprogramms eingeleitet. Die Rahmenprogramme sollen – alternativlos – der Industriestärkung dienen. Mit der Zielformulierung der Stärkung wird Zukunft selbst in Aussicht gestellt; ihrer ist man sich bereits sicher. Hier wird deutlich, dass politische Entscheidungsinstanzen bereits überzeugt sind, zukünftige Herausforderungen anderer Sozialsysteme – in diesem Fall der Wirtschaft – bewältigen zu können. Dem Satz liegt also eine politische Steuerungsfiktion zugrunde. Differenziert wird zwischen der Stärkung wissenschaftlicher und technologischer Grundlagen. Unter wissenschaftlichen Grundlagen versteht man zuvorderst theoriegeleitetes, empirisch validiertes und von einer wissenschaftlichen durch eine Show zu schützen, die nicht-wissenschaftlichen Publika geboten werden muss (Baumeler 2009, S. 73–74). 162 Ein Vertrag koordiniert und regelt soziales Verhalten nach dem Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung, er funktioniert jedoch v. a. aufgrund der zuvor festgelegten Sanktionsmöglichkeiten für den Fall eines Vertragsbruchs. 283 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Gemeinschaft akzeptiertes Wissen selbst. Hier zeigt sich somit die politische Begründungsfigur einer wissensbasierten Wirtschaft (vgl. Kapitel 6.4.4), jedoch ordnet sich diese Figur wiederum einem geostrategischen Argument unter: »[…] und dadurch ein hohes Maß an internationaler Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen« (kursiv; TF) Deutlich wird hier die Selbstzuschreibung der EU-Institutionen, Einfluss auf einen internationalen Wettbewerb ausüben zu können. Es bleibt allerdings unklar, wer international wettbewerbsfähig werden oder bleiben soll – es fehlt eine Subjektverbindung zum Relativsatz. Bezöge sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit nur auf die Industrie, so könnte der Wettbewerb zwischen Unternehmen in den einzelnen Staaten der EG gemeint sein und/oder zwischen Industrieunternehmen der Europäischen Gemeinschaft und derjenigen außerhalb der Gemeinschaft. In jedem Fall scheint die Industrie in dieser Ausdrucksgestalt aber den wichtigsten Teil der Gemeinschaft auszumachen; alle anderen Gemeinschaftsmitglieder, so sie denn in diesem Schema überhaupt existieren, finden keine Erwähnung. Verliert nun diese Wirtschaftsgemeinschaft im internationalen Wettbewerb, so verliert dieser Lesart zufolge auch die (womöglich übrige) Gemeinschaft als Ganze, zerfällt oder löst sich ganz auf. Zu lesen ist eine zweistufige Legitimationsform mit dem Ziel der Aneignung von Handlungskompetenzen. Wissenschaft und Technologie werden im Interesse der Industrie gefördert, und deren Fortkommen dient dem Überleben der Gemeinschaft. Dies bekräftigt der nachfolgende Satz: »Im Hinblick darauf muss die Gemeinschaft alle für erforderlich gehaltenen Forschungsmaßnahmen unterstützen.« Mit Blick auf »alle dafür erforderlich gehaltenen Forschungsmaßnahmen« stellt sich auch hier wieder die Frage nach dem spezifischen fordernden Subjekt. Eine Aufschlüsselung des Subjekts ist jedoch nicht ersichtlich, sondern wird unter dem Deckmantel der »Gemeinschaft« kommunitarisiert. Auch fällt in der Begründungsformel das Wortsuffix »Forschungsmaßnahmen« auf. Maßnahmen bedürfen eines Maßstabes, sie müssen sich an Maßeinheiten und Messungen, also systematisierbaren Erfahrungen orientieren und beruhen bspw. auf Vergleichen. Assoziativ sind Maßnahmen dem Recht oder politischer Steuerungskontexte zuzuordnen. Hier werden sie als politisches Instrument zur Herstellung eines erwünschten Zustandes »ergriffen«; der erwünschte Zustand würde dann das Maß aller Dinge darstellen. Allerdings kann erst nach einer Messung bewertet werden, ob ein Zustand optimal oder suboptimal ist. Entweder produziert hier der Text einen Widerspruch oder die bisherigen Maßnahmen der Gemeinschaft – naheliegend: alle vorherigen Rahmenprogramme – waren den Maßstäben zufolge suboptimal. Ebenso deutet sich durch den Begriff »Maßnahmen« der Versuch einer 284 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM technokratischen Herstellung von Gemeinschaft an, die notwendigerweise dann scheitern muss, wenn diese Gemeinschaft sich nicht – oder nur segmentär – durch gemeinsame Normen entfalten kann. Die Erwartung ist nun, dass sich aufgrund der typisch selbstreproduzierenden Verfasstheit politischer Systeme die Begründungsformel im Textverlauf fortsetzen wird. In Anlehnung an Alfred Schütz dominieren bisher »Um zu«-Motive für die Begründung von Maßnahmen zur Förderung von Forschung. Um der Wissenschaft selbst willen werden bisher keine Gründe für eine Förderung von Forschung angeführt. Stattdessen werden die für erforderlich gehaltenen Maßnahmen weiter spezifiziert: »insbesondere durch die Förderung der Forschung und der technologischen Entwicklung in Unternehmen.« Auch hier produziert der Text den politischen Primat der Unternehmensförderung durch Forschung – nun explizit in Unternehmen. Merkwürdig ist, dass erst gar nicht der klassisch angestammte Platz von Forschung – Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen – angesprochen wird. Sinnlogisch wäre die hier vorliegende Verortung also nur, wenn Forschung auf technische Entwicklungen enggeführt würde. Warum Forschung als in Unternehmen stattfindend begründet wird, offenbart die nachfolgende Aufzählung des Satzes: »Im Hinblick darauf muss die Gemeinschaft alle für erforderlich gehaltenen Forschungsmaßnahmen unterstützen, insbesondere durch die Förderung der Forschung und der technologischen Entwicklung in Unternehmen, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen (nachstehend »KMU« genannt), Forschungszentren und Hochschulen« (kursiv; TF). Spätestens jetzt wird die instrumentelle Begründung einer Stärkung von Forschung in Unternehmen eindeutig, insofern Hochschulen und Forschungszentren nicht neben, sondern sequentiell nach Unternehmen aufgeführt werden. Diese eindeutig wirtschaftlich orientierte Sequenzierung passt zudem in die zweistufige Legitimationsart der Gemeinschaft: Hochschulen stehen prioritär hinter Unternehmen, und unterstützen deren Wettbewerbsfähigkeit, was wiederum dem Erhalt der Gemeinschaft diene. In der hier aufgeführten Begründung kommt also eine drastisch neoliberale Weltanschauung über Institutionen der Bildung und der Wissenschaft zum Ausdruck. Diese stark wirkende Orientierung universitärer Leistungen an Unternehmensinteressen lässt mehr oder weniger radikale Deutungen zu. In der schwächsten Lesart verwenden politischadministrative Organisationen ungewohnte funktionale Zuschreibungen u. a. dann, wenn sie auf den identifizierten Handlungskontext keinen unmittelbaren und politisch legitimierten Steuerungszugriff haben; hier wird dann mittels Behelfskonstruktionen versucht, eine Begründung herbeizuführen. Zweitens, und spezifisch naheliegend für den Kontext der EU, ist die funktionale Hierarchisierung von Unternehmen und 285 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Universitäten und ihre enge Nachbarschaft zudem deshalb sinnvoll, weil der Adressatenkreis des EU-Binnenmarktes ausgeweitet werden soll. In jedem Fall fördert der Satz schonungslos ein instrumentell-hegemoniales Deutungsmuster zutage, indem Universitäten auf eine ökonomische Funktion zugerichtet werden. Die Radikalität dieses Deutungsmusters können Zusatzerklärungen nicht abschwächen. Natürlich mag man unter dem Topos der Wissensgesellschaft Begriffe wie Humankapital (statt Menschen) finden, oder eben Phrasen, mit denen Bildung als kostspielige Investition begründet wird; auch kennt man eine Vielzahl von Selbstbeschreibungen unternehmerischer Hochschulen (stellvertr. für viele; Clark 2001; Etzkowitz 2003; Maasen und Weingart 2006). Das schmälert allerdings nicht die sprachlich zum Ausdruck gebrachte Unterordnung öffentlicher Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen unter wirtschaftlich orientierte Unternehmen. Der interpretierte Satz hat mithin sprachlich alternative Deutungen geschlossen und eröffnet sequenziell für den folgenden Satz hinsichtlich der so zugerichteten Funktion von Universitäten die Möglichkeit der Selektion und Priorisierung. Dies bestätigt sich insofern, als dass die Gemeinschaft eben nur bestimmte Bereiche fördern soll: »Dabei sollte jenen Bereichen und Vorhaben Priorität eingeräumt werden, in denen eine gemeinschaftliche Finanzierung und Zusammenarbeit von besonderer Bedeutung ist und einen Mehrwert bietet.« Zu betonen ist hier also die Selektion; nur Zukünftiges (»Vorhaben«) soll gefördert werden, das für die (Wirtschafts-)Gemeinschaft von »besonderer Bedeutung« ist, d. h., »einen Mehrwert« bieten kann. Bedeutung und Mehrwert müssen hier auf das unmittelbare Ziel ökonomischer Wettbewerbsstärkung von Unternehmen zugespitzt sein, damit rekursiv ihr gemeinschaftlicher Erhalt gesichert werden kann. Eine politische Instanz will hier anscheinend vertraglich eine Form von Gemeinschaft erwirken, indem sie Prioritäten durch »gemeinschaftliche Finanzierung und Zusammenarbeit« setzt. Die kommunikative Schließung scheitert jedoch, nicht zuletzt durch die den Konjunktiv (»sollte«), der sich wie eine vage Absichtserklärung liest. 6.6.2 Pionierforschung als funktional-politischer Expansionismus Nun folgende Erläuterungen schließen wiederum bei der »Erwägung nachstehender Gründe« an. Mit dem nächsten Satz liefert der Text den ersten dieser Gründe: »Durch ihre Unterstützung für die Pionierforschung, die angewandte Forschung und die Innovation möchte die Gemeinschaft Synergien in 286 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM der europäischen Forschung fördern und dadurch dem Europäischen Forschungsraum zu einem stabileren Fundament verhelfen.« Auffällig ist zunächst die Einführung eines Neologismus: Durch den Beschluss des 7. FRP soll – sequentiell an erster Stelle angeführt – »Pionierforschung« unterstützt werden. Der Begriff der Pionierforschung wirkt ungewöhnlich – zumindest den an der Deutungsmusteranalyse teilnehmenden Sozialwissenschaftlern, einige davon mit forschungspolitischer Arbeitserfahrung, ist er als Beschreibung einer Forschungsform noch nie zuvor begegnet.163 Andererseits werden Persönlichkeiten der Wissenschaftsgeschichte etwa als Pioniere bezeichnet.164 Hier, wie auch in anderen Kontexten umschreiben Pioniere Menschen, denen aufgrund von Erstentdeckungen und -leistungen Anerkennung gezollt wird, vergleichbare Metaphern wären die des »Vorreitens« oder des »Bahnbrechens«.165 Auf Forschung bezogen müssen Pioniere aber nicht nur eine Entdeckung als erste gemacht haben, metaphorisch gesprochen also ein bisher unbekanntes Terrain auf der »Forschungslandkarte besetzt« haben (vgl. Kapitel 6.5.1). Dieses Terrain muss von der Nachhut, entweder der Normalwissenschaft oder auch von Unternehmern als nutzbar anerkannt worden sein. Das heißt: in jedem Fall stellt sich der Pionier in den Dienst anderer. In sequenzanalytischer Lesart erschließt er durch Forschung unbekannte Terrains, damit Unternehmen im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig werden oder bleiben können und hierdurch die Gemeinschaft gestärkt wird. Durch die Abgrenzung der Pionierforschung wird die übrige Forschung zur Normalwissenschaft degradiert. Ihr wird implizit unterstellt, sie würde im Gegensatz zur Pionierforschung eben kein neues Wissensterrain erkunden, sondern vielmehr auf ausgetretenen Pfaden laufen. Nicht zuletzt wurden Pioniere 163 Eine Internetrecherche ergibt, dass dieser Begriff außer für den hier diskutierten forschungspolitischen Kontext nirgends aufzufinden ist – auch nicht bei einer Volltextsuche des Web of Science oder unter Zuhilfenahme der Google Suchmaschine N-gram Viewer für den Zeitraum von 1800 bis 2012. 164 Man nehme eine beliebige Berühmtheit der Wissenschaft und tippe in einer Internetsuchmaschine ihren Namen sowie den Begriff »Pionier« ein. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird man nun eine legendäre Geschichte lesen können; hier wurde exemplarisch der Geowissenschaftler Alfred Wegener, ein so genannter »Pionier der Tektonik-Forschung« ausfindig gemacht; http://www.deutschlandfunk.de/ das-puzzle-des-herrn-wegener.740.de. html?dram:article_id=111401 (zuletzt aufgerufen; 03.08.2015). 165 Während Pionieren zugeschrieben wird, mit widrigen Umständen kämpfen zu müssen, variieren ihre Leistungszuschreibungen je nach historischen und funktionsspezifischen Kontexten: Im Wilden Westen waren sie Aufklärer und gegebenenfalls Wegbereiter, sofern sich die Wege und Territorien als gangbar erwiesen. Im vorliegenden Sinnabschnitt scheint letztere Tätigkeit vordergründig: das Wegbereiten, dezidiert mit dem Ziel, Nützliches zu schaffen. 287 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK in der Regel als männliche, asoziale Einzelkämpfer stilisiert (Ceccarelli 2013, S. 4–5); diese Betonung des Raubeinigen ist geradezu konstitutiv für ihre metaphorische Wirkmächtigkeit. In diesem Sinne grenzt sich das politisch begründete Forschungsmotiv eines harten, gegeneinander gerichteten Wettbewerbs auch von der gewohnt gemeinschaftlichen Idealisierung der Verbundforschung (vgl. Kap. 4) radikal ab. An dieser Stelle lohnt ein Blick auf die englische Beschlussfassung, die zwar nicht den Begriff der Pionierforschung bemüht, sondern die bereits aus Kapitel 6.5 bekannte Semantik einer »research at the frontiers of knowledge«; später dann »Frontier Research« genannt. Zur Erinnerung: Die Frontier stellt ein diffuses »Borderland« dar. Es scheint aber nicht der unbekannte Wissensbereich per se mit der Frontier metaphorisch aufgerufen zu sein, sondern eine politische Ausweitung sinnübertragener Landnahme: Durch Pionierforschung an den Frontiers wird die Kompetenz der EU in der Forschungspolitik ausgedehnt (vgl. Kap. 6.5.5). Im Umkehrschluss ist Grundlagenforschung genauso wie angewandte Forschung bereits klar auf die Kompetenzen von Nationalstaaten und randständig auf die der EU verteilt. Ein neuer Kompetenzerwerb der EU – die politisch funktionale Ausdehnung der »Frontier« also – kann sich hier nur durch die Konstruktion einer unscharf definierten »Kontaktsituation« (Osterhammel 2010, S. 471) vollziehen. Somit wird Pionierforschung bzw. Frontier Research gegenüber anderen manifesten Forschungstypen im nächsten Satz abgegrenzt: »Durch ihre Unterstützung für die Pionierforschung, die angewandte Forschung und die Innovation [...]«. Im Gegensatz zur Pionierforschung stellt die »angewandte Forschung« nicht einen weißen Fleck auf der Landkarte dar, dessen Entdeckung und Vermessung den Pionieren vorbehalten ist. Sie würde der Pionierforschung erst sequentiell folgen, so z. B. um Modelle und Verfahren zu optimieren und die Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen zumindest vorzubereiten. Auffällig ist der an dritter Stelle eingeführte Begriff der Innovation. Diese könnte sowohl durch Pionierforschung als auch durch angewandte Forschung initiiert werden, nicht zuletzt, wenn Innovation alltagssprachlich zunächst allgemein mit Neuerung und Modernisierung assoziiert würde. In diesem Textpassus wird der unspezifischste aller Begriffe zum Schluss eingeführt und suggeriert somit einen Öffnungsprozess: vom Nukleus der Pionierforschung zum anwendungsbezogenen Teil der Forschung hin zur Innovation. Durch die Unterteilung in drei Kategorien will »die Gemeinschaft Synergien in der europäischen Forschung fördern«. Eine solche Aufteilung erscheint deswegen merkwürdig, weil sie einerseits eine funktionale Segmentierung begründet, andererseits aber gerade diese Segmentierung Synergien erzeugen soll, und zwar »Synergien in der europäischen Forschung«. Forschung wird hier zudem räumlich kategorisiert (europäische Forschung wird wohl in 288 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM Europa betrieben), womöglich aber auch kulturell als spezifisch europäischer Stil des Forschens begriffen. Da Letzteres in keiner Weise definiert ist und die Deutung sequentiell vorgenommen wird, bleibt es bei der territorialpolitisch ausgerichteten Lesart. Und dieser wird zum Ende des Satzes noch stärker Ausdruck verliehen: Es sollen Synergien erzeugt werden, um »[...] dem Europäischen Forschungsraum zu einem stabileren Fundament [zu] verhelfen«. Das Bild eines Europäischen Forschungsraums wird in diesem Text zum ersten Mal erwähnt und mit ihm ein zweiter Neologismus eingeführt, der einen Zusammenhang zwischen Raum und Handlung suggeriert. Nicht zuletzt korrespondiert diese Metapher mit denen der Pionierforschung und der Frontier Research: Die Pioniere an der Frontier erweitern unter Risiken und im schonungslosen Wettbewerb ein Terrain, während der erschlossene Raum ausgebaut wird, also eine Art Fundament und klar abgesteckte Dimensionen erhält, um schließlich den Gemeinschaftsmitgliedern Sicherheiten bieten zu können (vgl. Schieder 2006). In der Verwendung der Verben »zu einem stabileren Fundament verhelfen« – zuvor hieß es auch »fördern« und »stärken« – stellt sich die EU als Dienstleisterin dar; mit Blick auf das Fundament des Raumes geriert sie sich als Architektin oder Baumeisterin (ebd.). Jener, der Textsuggestion zufolge bereits existierende Europäische Forschungsraum scheint also fragil zu sein, denn sein Fundament soll stabiler werden. Dabei passen sich die Metaphern der Pionierforschung und der angewandten Forschung nicht reibungslos an die Metapher des Fundaments eines Raumes an: So könnte argumentiert werden, dass die Stabilisierung des Fundaments eine Grundlage(nforschung) benötigt, und nicht den Aufbruch in unbekannte Terrains durch risikobereite Pioniere. Die unpassende Anwendung gleich mehrerer kreativer166 Metaphern zeugt an dieser Stelle eventuell von einer überaus konstitutiven Unsicherheit des Textes gegenüber den nicht zu vereinenden Erwartungen der Leser. Der Absatz des Textes endet mit einer Prognose: »Dies wird sich positiv auf den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritt aller Mitgliedstaaten auswirken.« Auffällig ist zunächst der Begriff des Fortschrittes. Mit ihm manifestiert sich ein in die Zukunft gerichtetes Versprechen (»wird sich […] auswirken«), einen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritt einzuläuten. Eine Erklärung für diese, unserer Vermutung nun invers angeordneten Versprechungen ist, dass eine rein wirtschaftliche Nützlichkeit von Forschung und technologischer Entwicklung nicht ausreichen würde, 166 Kreative Metaphern finden in der Regel Verwendung, um neue, ungewöhnliche, insbesondere aber auch inkonvenable Dinge sprachlich adressieren zu können. 289 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK um den Erhalt der Gemeinschaft durch wissenschaftliche Forschung begründen zu können. Nachträglich, so scheint es, werden weitere Vorzüge einer gemeinschaftlichen Forschungsunterstützung aufgeführt. Diese Qualitäten wirken textperformativ umso plausibler, wenn der soziale und kulturelle Fortschritt erst gar nicht weiter spezifiziert werden. Denn hierdurch eröffnet sich die Möglichkeit, viele und insbesondere positive Dinge zu assoziieren.167 Nicht zuletzt werden die Begriffe derart allgemein gehalten, dass ihr Sinn nicht hinterfragt werden muss: Wer könnte schon gegen sozialen oder kulturellen Fortschritt sein? 6.6.3 Wirtschaftlicher Fortschritt und Abgrenzung als gemeinschaftliche Überlebensstrategie Im nachfolgenden Absatz (2) werden soziale und spezifisch wirtschaftliche Zielen aufeinander bezogen. Forschung soll eben nur dann ihre Förderung erhalten, wenn sie einen »Wirtschaftsraum« unterstützt, »der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einen größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen«. Der soziale Zusammenhalt bleibt unspezifisch, die wirtschaftlichen Ziele werden hingegen genau beziffert. Dass Forschung primär der wirtschaftlichen Belange wegen politisch gefördert werden soll, zeigt sich in der Satzfolge: »Die zentrale Rolle der Forschung wurde von dem Europäischen Rat in Lissabon am 23. und 24. März 2000 anerkannt […] die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.« 168 Diese Phrase suggeriert, dass es auch Wirtschaftsräume gibt, die noch nicht dynamisch und noch nicht wissensbasiert sind. Auch hier wird Forschung eine Art Reformfunktion zugeschrieben. Durch die in die Zukunft gerichtete Zielformulierung »die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen« bezichtigt sich die Union zudem selbst, gegenüber anderen Wirtschaftsräumen im Hintertreffen zu sein. Ihre Rückschrittlichkeit bezieht sie nicht auf irgendeinen, sondern auf einen »wissensbasierten« Wirtschaftsraum (vgl. Kapitel 6.5.4). Die nicht näher spezifizierte Metapher eines wissensbasierten Wirtschaftsraums scheint der Text durch eine weitere geometrische Figur erklären zu müssen: 167 Soziale und kulturelle Fortschritte suggerieren eine moderne, aufgeklärte Gesellschaft, die eben soziale und kulturelle Herausforderungen (Arbeitslosigkeit, demographischer Wandel, xenophobie usw.) intelligent löst. 168 Für Deutungen zu den Ratsgipfeln; siehe Kapitel 6.4. 290 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM »Das Dreieck des Wissens — nämlich Bildung, Forschung und Innovation — ist ein wesentliches Instrument für die Erreichung dieses Ziels [...].« Zunächst werden durch die geometrische Form des Dreiecks drei Bestandteile – Bildung, Forschung und Innovation – als notwendigerweise zusammenhängende Bedingungen metaphorisiert.169 Durch die Formulierung, »[…] ist ein wesentliches Element für die Erreichung dieses Ziels […]«, wird Wissen, gleichgültig, ob durch Bildung, Forschung oder Innovation erzeugt, auf wirtschaftliche Nützlichkeit ausgerichtet. Ebenso verstetigt sich das Legitimationsbedürfnis der EU durch ihre Selbstzuschreibung, »[…] die erforderlichen Forschungs- und Innovationskapazitäten zu mobilisieren und zu stärken«. Der nachträgliche Hinweis, dass die Gemeinschaft »[…] die Anstrengungen der Mitgliedstaaten und der europäischen Industrie ergänzt« lässt sich in zweierlei Hinsicht deuten. Zum einen scheint der Versuch beabsichtigt, Rezipienten des Textes zu beschwichtigen, dass nicht mehr als bloß eine ergänzende Maßnahme beschlossen würde. Zum anderen entsteht der Eindruck, die Mitgliedstaaten und die Industrie würden gleichermaßen gerügt, sich für den Zusammenhalt der Gemeinschaft nicht ausreichend zu engagieren, d. h., Forschung, Innovation und Bildung nicht in angemessener Weise fördern. Allerdings mäandert die Formulierung von Fremd- zu Selbstzuschreibung. Denn die Fremdzuschreibung, die Mitgliedstaaten würden sich nicht genügend anstrengen, wirkt rekursiv auf sie: die Europäische Gemeinschaft. In dieser Begründungsform wird im Text die Legitimation additiven Handelns der EU prononciert: Sie stiftet durch Sonderleistungen einen Mehrwert. Das Dreieck des Wissens wird in dieser Lesart auch offensichtlich als ein »Instrument« bezeichnet. Die zweckrationale Selbstzuschreibung der EU-Institutionen liegt dann in der Schaffung von Verbindungen zwischen den Mitgliedstaaten. Forschungsförderung wird demnach nicht nur als Ziel der Forschungspolitik verortet, sondern kann zur Unterstützung aller möglichen Dinge mit Nützlichkeit ausstaffiert werden (Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs-, Kultur-, und sonstige Förderung). Die für die EU-Institutionen selbstlegitimatorische Begründung zeigt sich v. a. dadurch, dass öffentliche Investitionen nicht per se zur Verbesserung von Forschung getätigt werden. Die Begründung verläuft genau entgegengesetzt: Es sind die Forschungs- und Entwicklungsausgaben, die der Steigerung von Investitionen dienen sollen (»der Marke von 3 % des BIP«), allerdings wird nicht ersichtlich, weshalb diese Steigerung notwendig ist, außer dass sie beschlossen wurde: 169 In unserer Vorstellung können die drei aufgeführten Elemente sowohl die Knotenpunkte oder Schenkel des Dreiecks darstellen, sie benötigen allerdings einander, da das Dreieck als geometrische geschlossene Form sonst nicht existieren könnte. 291 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK »Im Einklang mit der Strategie von Lissabon hat sich der Europäische Rat in Barcelona am 15. und 16. März 2002 darauf verständigt, dass die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung (FTE) und Innovation in der Union erhöht werden sollten, um sich bis 2010 der Marke von 3 % des BIP anzunähern, wobei zwei Drittel durch Privatinvestitionen erbracht werden sollten.« In Abschnitt (4) fällt abermals eine Verwendung von Superlativen ohne begründete Zwecke auf: »Förderung von Spitzenforschung von Weltrang« könnte – der Sequenzlogik zufolge – nur dann Sinn machen, wenn sie letztendlich dem Ziel der Gemeinschaftsstärkung und deren Abgrenzung gegenüber Weltregionen dient. Bemüht wird eine Art Untergangsmetaphorik, insofern die Nicht-Durchführung dieser hehren Ziele zu einem Verfall der Gemeinschaft und ihres »sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhalts« führen würde. Suggeriert wird, eine politisch eingeschworene Gemeinschaft befände sich in einer unwirtlichen Welt. Handelt sie bzw. handeln ihre Institutionen nicht, um ihre Unternehmen zu retten, bedeutet dies: Untergang durch Müßiggang. Unverhofft kommt nun der Einschub: »wobei in erster Linie das Kriterium der wissenschaftlichen Exzellenz die Richtschnur sein muss«. All das, was vorher im Vordergrund stand – Unternehmensförderung, sozialer und kultureller Fortschritt usw. – scheint nun einer wissenschaftlich superlativischen Qualität genügen zu müssen. Zwar ist eine solch ausgerichtete Formulierung ad futuram hinfällig, denn erst retrospektiv lässt sich die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten einschätzen, doch schreiben sich die EU-Institutionen hier jedoch zu, prospektiv Qualitätsaussagen über Forschung machen zu können und diese gar als Bedingung für ihre übergeordneten, marktorientierten und geostrategischen Ziele zu formulieren. In diesem Kontext bleibt ungeklärt, warum in dieser Textstelle plötzlich wissenschaftliche Exzellenz als einzig gültiges Kriterium zur Förderung der Forschung und demnach zur Unterstützung von Unternehmen eingeführt wird, wollte man zuvor bloß mehr Forschung fördern. Offensichtlich fällt hier jedoch die Figur eines wirtschaftlichen mit der eines wissenschaftlichen Weltmarktes zusammen. Nur die weltbeste Forschung könne Unternehmen auf dem Weltmarkt Absätze garantieren. Für wissenschaftliche wie wirtschaftliche Argumente der Vielfältigkeit, der Innovation durch Nischen und dergleichen ist in diesem Wachstumsnarrativ kein Platz. Der Begriff der »Richtschnur« deutet zudem auf eine typisch politische Zumutung hin, klare Kriterien zur Vermessung von wissenschaftlichen Arbeiten zu fordern, mit denen dann Exzellenz – ein unspezifischeres Kriterium mag es wohl kaum geben – hervorgebracht werden könne. Dass das Wohl von Unternehmen und ganzer Volkswirtschaften hiervon abhängig wäre, ist mit Blick auf die Wissenschaftsgeschichte jedenfalls fragwürdig. 292 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM Da sich keine neuen Lesarten finden, die diese geostrategische Begründungsfigur infrage stellen oder Neues zutage fördern, wird ein Teil des Textes übersprungen. Bei den Zielen des Rahmenprogramms, die in Folge mit Spiegelstrichen angeführt werden, wird die Prüfung wieder aufgenommen. Zur besseren Lesbarkeit der Analyse sind die Zielsetzungen nummeriert wiedergegeben. Unter Absatz 8.2 wird Wissenschaftlern als Handlungssubjekten »Unabhängigkeit« zugesichert, allerdings nur bei der »Definition der Grundzüge für die Forschung« (kursiv TF). Diese Formulierung wird als schwach gedeutet. Insgesamt wirkt Absatz 8.2 seltsam. »Dynamik und Kreativität«, die man unmittelbar mit wissenschaftlicher Forschung assoziiert, werden den »herausragende[n] Leistung der europäischen Forschung« nachgeordnet erwähnt. Die herausragenden Leistungen werden im gleichen Atemzug zudem als verbesserungsbedürftig dargestellt. Die Einleitung des Absatzes 8.3. besteht zunächst in der Forderung der Verfasser nach mehr und besser ausgebildeten Forschern und v. a. Forscherinnen: »Das Humanpotenzial in der europäischen Forschung und Technologie sollte quantitativ und qualitativ gestärkt werden.« Die Formulierung wirkt für einen dem politischen System zuzuordnenden Text nicht auffällig; Bezeichnungen wie »Humanpotenzial« sind in politischer Rhetorik üblich, jedoch deuten sie auf die Aneignung wirtschaftlich unternehmerischer Sprache, die das herausgearbeitete Deutungsmuster stabilisieren. Interessant ist in Folge die Forderung der »Anerkennung des Berufs des ›Forschers‹« aufgrund seiner Polyvalenz. Mit Blick auf die im Text idealisierte »wissensgestützte Wirtschaft« scheint die Profession des Wissenschaftlers in einen Normalberuf des Forschers umgemünzt zu werden. Derjenige, wo auch immer er forscht, würde dann gleichberechtigt neben dem an Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen tätigen Wissenschaftler gestellt. Die EU konstruiert Forscher somit als Berufskategorie und legt sie quer über soziale Funktionssysteme (Wissenschaft, Wirtschaft usw.). Forschung ist hier kein an Erkenntnis orientierter Handlungsmodus einer sich selbst sozialisierenden Profession mehr, sondern zuvorderst eine normale Dienstleistung. Man forscht dann wohl allerorten, insbesondere in und für Unternehmen. Im weiteren Verlauf des Absatzes wird das bereits bekannte und widersprüchliche Begründungsmuster bemüht, nach welchem einerseits »der hervorragende Leistungsstand der europäischen Forschungseinrichtungen und Hochschulen« betont wird, diese jedoch »quantitativ und qualitativ ausgebaut werden« sollen. Implizit schwingt hier wieder die Begründung eines permanenten Wettkampfes mit, in dem selbst die Besten sich ständig zu verbessern zu haben, um keine Verluste befürchten 293 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK oder hinnehmen zu müssen. Ebenso findet ein solches Begründungsmuster Anschluss an das zuvor aufgespannte Szenario einer sich permanent in Gefahr befindlichen Gemeinschaft: Leistet sie nicht genug, droht ihr Zerfall.170 Rekapituliert man die wohlgemerkt unter der Überschrift »Ziele« eingebrachten Punkte, einschließlich bis Absatz (12), so ist festzustellen, dass diese Ziele sehr allgemein gehalten werden. In den Absätzen wirkt das Wort »sollte« unpassend, da Zielformulierungen einer gewissen Verbindlichkeit unterliegen, sonst wären sie lediglich als lose Wünsche oder Absichtserklärungen zu verstehen. Allerdings muss mit Übersetzungsproblemen eines Originaltextes ins Deutsche gerechnet werden. Andererseits kann die konjunktive Ausgestaltung auch den Charakter des Rahmenprogramms unterstützen, insofern es lediglich als Rahmen fungieren würde, dessen Inhalt noch konkret auszugestalten ist. Durch die bisherigen Analyseschritte ergeben sich zwei Strukturperspektiven: Entweder wird sich der Text weiterhin auf eine einmalig erhobene Wunschformulierung beziehen, die wie im Dokument angekündigt aus den Zielvereinbarungen eines »Lissabon-Vertrags« hervorgeht. Jedoch müsste man konkrete Maßnahmen und Ziele – d. h. Ableitungen – erwarten können, die recht schnell hätten demonstriert werden müssen. Oder aber mit dieser Konjunktivformulierung geht einher, dass man die hier formulierten Ziele selbst nicht einfach durchsetzen kann. Andere müssten beauftragt werden, diese Ziele zu verfolgen. Der Gestaltungsdrang der EU-Institutionen mag somit zusammenbrechen, wenn andere sich ihrer Ziele nicht annehmen. Auch an dieser Stelle wird abgekürzt und unmittelbar zu den Textstellen gesprungen, die den ERC begründen sollen. 6.6.4 Rechtliche und politische Begründung des ERC Der Absatz 15 führt in den Europäischen Forschungsrat ein: »Im Bereich des Programms ›Ideen‹ sollten die Maßnahmen durch einen Europäischen Forschungsrat durchgeführt werden.« Auffällig ist die Formulierung »sollten durchgeführt werden«, denn aus dieser Textstelle geht nicht hervor, ob es einen Europäischen Forschungsrat gibt und ob es ihn überhaupt geben wird. Seine unsichere Existenz 170 Schließlich wird unter Abs. 9 ein Dialog zwischen Wissenschaft und Bürgertum gefordert, um »eine Wissenschafts- und Forschungsagenda zu entwickeln, die den Anliegen der Bürger, u. a. durch Förderung des kritischen Nachdenkens, Rechnung trägt«. Textsequentiell liegt diese Forderung jedoch weit hinter den auf wirtschaftliche Nützlichkeit ausgerichteten Zielen, und selbst hinter denen, die Forschern den größtmöglichen Freiraum bieten sollen, ihre Forschungsthemen selbst zu definieren. 294 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM wird durch die Verwendung des unbestimmten Artikels (»einen«) unterstrichen, der im Gegensatz zum bestimmten Artikel lediglich eine verminderte Determinativfunktion übernimmt. Das, was in diesem hier vorliegenden Dokument kommuniziert wird, sind allgemeine Randbedingungen, wie bspw. das Programm »Ideen« organisiert werden soll. Diese Lesart setzt sich auch in der konjunktivisch formulierten Wunschvorstellung weiter fort (»der über ein hohes Maß an Autonomie verfügen sollte«). Dieses unspezifisch hohe Maß von Autonomie wird allerdings als conditio sine qua non kommuniziert, »um auf EU-Ebene Pionierforschung auf sehr hohem Niveau zu entwickeln«. In den nachfolgenden Sätzen deutet sich eine Einschränkung der Autonomie des ERC an, da dieser nicht nur »regelmäßige Kontakte zu den Wissenschaftlern«, sondern auch »zu den Gemeinschaftsorganen pflegen« sollte. Somit lässt sich zunächst lediglich die Etablierung einer klassisch intermediären Förderorganisation feststellen. Die Etablierung des ERC ist vorläufiger Natur, denn ihm wird eine zum 7. FRP halbzeitige Evaluation eingeschrieben. Bereits nach drei Jahren soll der ERC evaluiert werden, mit dem möglichen Ergebnis, »dass weitere Verbesserungen vorgenommen werden müssen, die entsprechende änderungen erfordern«. Evaluationskriterien werden im Text nicht festgelegt. Widersprüchlich scheint auch die Formulierung, dass einerseits »Pionierforschung auf sehr hohem Niveau« entwickelt werden soll, dass diese jedoch bereits »auf den Spitzenleistungen in Europa aufbaut«. Dies unterstellt entweder, die Spitzenleistungen seien qualitativ eben doch nicht allzu hochwertig, oder es greift die zuvor begründete Logik superlativischer Wettkämpfe auf: Selbst die Besten können sich niemals auf ihren Lorbeeren ausruhen. Aufschluss mag der folgende Passus bieten, insofern dass zwar »Spitzenleistungen in Europa« erbracht werden, deren »Ansehen auf internationaler Ebene« jedoch noch gestärkt werden sollte. International bezieht sich also auf außereuropäische Kontexte, d. h.: Europa ist sich gut genug, die Welt sieht dies aber anders. Die bisher herausgearbeiteten Lesarten zur Begründung von Pionierforschung und des ERC werden in den folgenden Absätzen nicht widerlegt. Die bisherigen Begründungsformeln für eine Förderung von Forschung durch die EU – und demgemäß die Deutung ihrer eigenen Funktionszuschreibung – bestätigt sich im letzten Absatz 35: »Da das Ziel der gemäß Artikel 163 des Vertrags zu ergreifenden Maßnahmen, nämlich zum Übergang zu einer wissensgestützten europäischen Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags festgelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten 295 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht das Siebte Rahmenprogramm nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.« Im Absatz wird nicht nur die Funktionszuschreibung der EU-Instituionen für die Förderung von Forschung wiederholt (»zum Übergang zu einer wissensgestützten europäischen Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen«), sondern diese wird als rechtlich kodifizierte Handlungsanweisung betont. Auffällig wirkt dabei die Unterscheidung zwischen einer »Ebene der Mitgliedstaaten« und einer »Gemeinschaftsebene«. Letztere scheint von der ersten abzuhängen, da sie erst dann – und nur unter der Berufung auf geltendes Recht – tätig werden kann, wenn ihre Mitglieder Handlungsdefizite (»nicht ausreichend«) zeigen. Die Gemeinschaft, die sich immer aus Mitgliedern – hier Staaten – zusammensetzt, scheint darüber hinaus ein Eigenleben zu haben, welches jedoch auf einer so unsicheren Legitimität fußt, dass sie sich auf vertraglich gesichertes Recht berufen muss, um zusätzlich handeln zu dürfen. Es ist aber gerade nicht das Prinzip von Gemeinschaften, sich auf Recht zu berufen, da sie dieses aufgrund gemeinsamer internalisierter Werte und Normen nicht benötigen.171 Unter Art. 1, Abs. ii) wird das Spezifische Programm »Ideen« beschlossen; in der Einleitung der Rechtsakte wurde bereits angekündigt, dass das Programm durch einen Europäischen Forschungsrat implementiert werden soll: »ii) Ideen: Unterstützung von wissenschaftlich angeregten Forschungsarbeiten in allen Bereichen, die von einzelnen nationalen oder internationalen, auf europäischer Ebene miteinander konkurrierenden Teams durchgeführt werden.« Wissenschaft soll selbst ihre Forschungsarbeiten »anregen« und die EUInstitutionen wollen dies unterstützen. Die in der Präambel zugesprochene Autonomie der Wissenschaft wird in den Artikeln der Rechtsakte allerdings getilgt. Ebenso fehlen die Spezifikation von Pionierforschung und jeglicher Hinweis auf einen Europäischen Forschungsrat. Auffällig ist zudem die Formulierung, dass »Forschung in allen Bereichen« adressiert ist. Die Erwartung wäre nun, dass alle wissenschaftlichen Disziplinen motiviert werden, sich um Fördergelder zu bewerben. Diese kommunikative Öffnung wird jedoch rasch wieder geschlossen, insofern der Text selektiert, dass Förderung nur von »einzelnen nationalen oder 171 Zudem fällt auf, dass der 1. Artikel der Rechtsakte erst auf der vierten Seite des Dokuments eingeführt wird. Alles, was demnach zuvor als Text erscheint, müsste als eine Art Präambel oder als weitere Form des Verständigungsprozesses aufgefasst werden, der viele Zeilen in Anspruch nimmt. Ein derart hoher Textaufwand vor dem eigentlichen Thema des Schriftstückes (»Rechtsakte« und »Beschluss«) scheint nur mit Blick auf den hohen Legitimationsaufwand der Gemeinschaft plausibel. 296 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM internationalen, auf europäischer Ebene miteinander konkurrierenden Teams« erwartet werden kann. Damit wäre prinzipiell die Förderung von Einzelpersonen ausgeschlossen. Die Textstelle gibt allerdings weitere Rätsel auf. Wäre es bspw. möglich, dass nur mindestens zwei Teams von Wissenschaftlern Förderung erhielten, insofern sie die gleiche Forschungsarbeit in Konkurrenz durchführten? Nach diesem Verständnis würde sichtlich ein Widerspruch zur Deutung von Pionierforschung bestehen. Wenn zwei Teams das gleiche Forschungsthema bearbeiteten, wären sie genau genommen keine Pioniere mehr, da sie nicht allein ein unbekanntes Terrain ergründeten. Auffällig ist auch, dass das im letzten Absatz der Präambel bekräftigte Subsidiaritätsprinzip durch die Förderung von nationalen Teams zur Disposition steht. Wenn die Europäische Gemeinschaft nationale Teams fördern darf, müsste zumindest ein Defizit nationaler Förderung von dem jeweiligen Mitgliedstaat angekündigt worden sein, so dass ein subsidiärer Eingriff durch die EU erlaubt wird. In den weiteren Artikeln der Rechtsakte finden sich keine Hinweise auf die Förderung von Pionierforschung oder auf einen Europäischen Forschungsrat. Der nächste Hinweis zum Europäischen Forschungsrat taucht bezeichnenderweise erst im »Anhang« des Dokumentes (S. 27) auf, in dem die einzelnen Spezifischen Programme des 7. FRP näher erläutert und begründet werden. Wie im Anhang zu den anderen Spezifischen Programmen, erfolgt auch hier eine Unterteilung nach Zielen, Begründungen und Maßnahmen. Allerdings wird zunächst keine Zielbeschreibung vollzogen, sondern eine Wertung der europäischen Forschung insgesamt, die als bereits dynamisch, kreativ und herausragend leistungsfähig charakterisiert wird: »Dieses Programm soll die Dynamik, die Kreativität und die herausragenden Leistungen der europäischen Forschung in den Grenzbereichen des Wissens (›Pionierforschung‹) verbessern.« Zum ersten Mal wird im Dokument Pionierforschung definiert, nämlich als »Forschung in den Grenzbereichen des Wissens«. Im Vergleich mit vorherigen Textpassagen fällt auf, dass zuvor von »Grenzräumen« und nicht »Grenzbereichen« die Rede ist. Im englischen Sprachgebrauch erscheint diese Inkonsistenz nicht, verweist der englische Text doch in allen Teilen – in der Präambel, den rechtswirksamen Artikeln und im Anhang – mit der Phrase »research at the frontiers of knowledge« auf den bereits diskutierten Begriff der Frontiers. In beiden Fällen, deutsch wie englisch, stellt die Frontier eine Kontrastierung zu übriger Forschung dar, deren Sinn und Wirkung in Frage gestellt wird. Gleichzeitig ist die Begründung, Forschung von unbekannten Wissensräumen stelle einen Sonderfall dar, für wissenschaftliches Handeln unsinnig, denn für Wissenschaft wäre dies der Normalfall. Zudem fragt sich, weshalb kein Rückgriff auf 297 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Semantiken, wie »Grundlagenforschung«, »fundamental research« oder »basic research« vollzogen wird, Begriffe, die in der Wissenschaft und Wissenschaftspolitik anerkannt sind. Im Folgesatz zeigt der Text universelle Strukturbildungen durch Projekte: »Dies wird durch die Unterstützung von wissenschaftlich angeregten Forschungsprojekten erfolgen, die in allen Bereichen von einzelnen, auf europäischer Ebene miteinander konkurrierenden Teams durchgeführt werden. Die Projekte werden auf der Grundlage der von den Forschern des privaten und des öffentlichen Sektors zu Themen ihrer Wahl eingereichten Vorschläge gefördert und ausschließlich anhand des Kriteriums der Exzellenz, die im Wege der gegenseitigen Begutachtung (»Peer Review«) beurteilt wird, bewertet. Ein wichtiger Aspekt des Programms ist die Weitergabe der Forschungsergebnisse.« Projekte können als zeitlich befristete, klar konturierte Forschungsaktivitäten definiert werden, deren Ende zu Anfang der Projekte bereits gewiss sein muss. Doch gerade wenn die Frontiers des Wissens überschritten werden sollen – hier stößt man notwendigerweise auf Unbekanntes –, würde die Projektförmigkeit der Forschung in ihrer sozial vorstrukturierenden Weise dem entgegenstehen. Die Projektsemantik wird zudem verstärkt, da im Text Projekte »durchgeführt« werden. Durchführen ließe sich nur das, was bereits vordefiniert wäre. Auch der nachfolgende Satz zeigt, dass »Projekte [...] gefördert« werden und nicht etwa Personen. Keine Einschränkung scheint es gegenüber der organisationalen Herkunft der Forscher zu geben; somit können Forscher sowohl »des privaten als auch des öffentlichen Sektors« Anträge stellen. Private Unternehmungen würden bspw. aus dem Normalverfahren bei DFG-Anträgen ausgeschlossen. Insofern scheint eine Lücke gefunden zu sein, sich gegenüber nationalen Forschungsfördereinrichtungen abzugrenzen. Des Weiteren lässt sich diese Spezifikation der Semantik der Frontiers und der Forschung selbst unterordnen: Frontiers können eben überall überwunden werden, in öffentlichen wie auch in privaten Kontexten. Ebenso konnten ja den einstigen »Frontiersmen« Siedler mit allen möglichen Absichten folgen. Übersetzt sollen die Pionierforscher der EU jedermann, insbesondere den Verwertungsabsichten von Unternehmen Nutzen bringen. Und wie gesagt: Forschung selbst ist in diesem Text auch nicht mehr systemspezifisch zugerichtet, sie kann überall stattfinden.172 172 Auffällig wirkt im deutschen Sprachgebrauch die Ankündigung, Forschungsanträge sollen »im Wege der gegenseitigen Begutachtung (›Peer Review‹) beurteilt« werden. Diese umständliche Formulierung kann mit Blick auf das englische Textpendant nur als Übersetzungsmissstand gedeutet werden, denn im Englischen heißt es: »on the sole criterion of excellence as judged by peer review«. Abgesehen 298 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM 6.6.5 Pionierforschung als nützlichere Grundlagenforschung Im Unterkapitel »Begründung« fällt zuerst auf, dass der Text abermals eine Definition von Pionierforschung anführt. Diese wird nun definiert als das, was »gemeinhin als ›Grundlagenforschung‹ [betrachtet]« wird. Neben der nunmehr eindeutigen Zuschreibung dessen, was unter Pionierforschung betrieben werden soll, ist merkwürdig, warum eigentlich ein neuer Begriff eingeführt wird, gerade wenn Grundlagenforschung eine geflügelte Begrifflichkeit darstellt und somit bspw. aufgrund ihrer Wiedererkennungsfunktion hier im politischen Begründungskontext Anwendung finden könnte. Wie bereits zuvor gedeutet besteht eine Möglichkeit darin, dass Neuheit im Politischen durch Neu-Etikettierung konstruiert werden muss. Der Pionierforschung als äquivalent zur Grundlagenforschung wird in Folge unterstellt, sie stelle eine »Schlüsselvoraussetzung für Wohlstand und sozialen Fortschritt« dar. Die Notwendigkeit einer EU-geförderten und durch Wissenschaftler angeregten Pionierforschung wird also durch klassische Innovationsheuristiken begründet. Ob die Metaphorik linear- oder kaskadenhaft ausgerichtet ist, bleibt allerdings offen: »[…] da sie neue Möglichkeiten des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts eröffnet und für die Generierung neuen Wissens, das künftige Anwendungen und Märkte erschließt, entscheidend ist.« Das bisherige Deutungsmuster bleibt dergestalt stabil, dass es nun die durch (wissenschaftliche) Forschung erzeugten Grundlagen auf den Nutzen für ökonomische Märkte engführt. Die Generierung neuen Wissens wird somit nur im Kontext seiner Anwendung zur Förderung eines unspezifisch gehaltenen, technologischen Fortschritts und zukünftiger Marktanwendungen fundiert, mehr noch: Im darauffolgenden Satz springt die Argumentation von der Notwendigkeit der Grundlagen- bzw. Pionierforschung (Grundlagen, Anwendung usw.) hin zu der eines Wissens- und Technologietransfers: »Trotz vieler Erfolge und eines hohen Leistungsstands in sehr vielen Bereichen könnte Europa mehr aus seinem Forschungspotenzial und seinen Ressourcen machen. Europa braucht dringend mehr Kapazitäten, die Wissen hervorbringen und es in wirtschaftliche und gesellschaftliche Werte und Wachstum umsetzen.« Effizienzsteigerung wird hier fokussiert, es geht um schnellere, um unmittelbare Umsetzung von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung. Gutes Potenzial liege brach, es müsse nur in einen »wirtschaftlichen von dieser Pathologie würde der Text bedeuten, dass Begutachtete und Gutachter sich gegenseitig begutachten. 299 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Wert« (und apologetisch: »gesellschaftlichen Wert«) – kurzum: in Geld und irgendetwas anderes Nützliches – umgewandelt werden. Die Phrase, etwas »aus […] seinen Ressourcen machen« beklagt die Verschwendung öffentlich bereitgestellter Ressourcen. Dem Text zufolge müssten nun eigentlich Technologietransferbüros sowie öffentlich abgesichertes Risikokapital für Spin-Offs und Verwertungsgesellschaften gefördert werden, und eben nicht Grundlagenforschung. Damit bricht allerdings sinnlogisch die Forderung nach »mehr Kapazitäten, die Wissen hervorbringen«. Hierunter können Personen (also das bereits beschriebene »Humanpotential«) oder – im Allgemeinen – Forschungsinfrastrukturen (Großforschungsgeräte usw.) gemeint sein. Die Indienstnahme der Wissenschaft von Wirtschaft – und nachgeordnet von Gesellschaft – erweist sich als stabiles Deutungsmuster (»Wissen […] in wirtschaftliche und gesellschaftliche Werte und Wachstum umsetzen«). Eine Abgrenzung von Pionierforschung zu anderen Handlungsmodi der Wissenschaft scheint nicht zu gelingen, denn alle anderen Handlungsmodi in der Forschung begründen bereits seit vielen Jahrzehnten das, was hier politisch als neu inszeniert wird. Die durch Pionierforschung gestellte Forderung nach Wissen, das so schnell wie möglich »in wirtschaftliche und gesellschaftliche Werte und Wachstum« überführt werden soll, rückt dennoch ein ganz anderes Problem in den Vordergrund: Offenbar würde zahlreichen173 und nicht unmittelbar wirtschaftlich verwertbaren bzw. auf Wachstum ausgerichteten Wissenschaftsbereichen eine Förderung versagt bleiben müssen. Der Beginn des nächsten Absatzes stellt einen eigentümlichen Versuch dar, als erstes die Relevanz des Spezifischen Programms »Ideen« zu untermauern. Zweitens begründet der Text nicht nur eine Art Passfähigkeit zu bestehender Forschungsförderung, sondern wird auch als Beschwichtigungsversuch gegenüber den die Europäischen Gemeinschaften konstituierenden Mitgliedstaaten und ihren eigenen Institutionen gedeutet. »Eine (die einzelstaatliche Förderung nicht ersetzende, sondern ergänzende) europaweite, wettbewerbsorientierte Förderungsstruktur für die durch einzelne — nationale oder internationale — Teams betriebene Pionierforschung ist eine Schlüsselkomponente des Europäischen Forschungsraums und ergänzt andere gemeinschaftliche und nationale Maßnahmen. Eine solche Förderungsstruktur wird dazu beitragen, Europa dynamischer und für die besten Forscher sowohl aus europäischen Ländern als auch Drittländern sowie für Investitionen der Industrie attraktiver zu machen.« Die »Förderstruktur« wird als »eine Schlüsselkomponente des Europäischen Forschungsraums« identifiziert. Eine räumlich dimensionierte 173 Man denke an Archäologie, Bereiche der Physik sowie an ein geistes- und sozialwissenschaftliches Reflexionswissen. 300 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM Interpretation von Forschung – hier europäische – deutet zunächst nur auf einen geostrategischen Abgrenzungsprozess gegenüber anderen Räumen hin. Dass ein solches Verständnis einem ubiquitären und universell geltenden Konzept von Wissenschaft als kommunikative Praxis widerspricht, überrascht nicht. Bestätigung findet es in den Adjektivzuschreibungen »national« und »international«. Auffällig ist jedoch die paraphrasierte Iteration: sowohl am Satzanfang steht eingeklammert die Aussage einer »die einzelstaatliche Förderung nicht ersetzende[n], sondern ergänzende[n] […] Förderstruktur« als auch am Satzende: »und ergänzt andere gemeinschaftliche und nationale Maßnahmen«. Anscheinend gibt es einen Anlass, gleich zu Anfang wie auch am Ende des Satzes zu unterstreichen, dass durch die Förderung staatliche Forschungsförderprogramme nicht obsolet würden. Die verhaltene Textaussage deutet auf eine prekäre Legitimationsbasis der EU hin, aufgrund welcher etwas Neues nur vorsichtig und beschwichtigend lanciert werden kann. Diese kommunikative Vorsicht scheint der Lector in fabula nicht nur gegenüber einem nationalstaatlichen Publikum walten zu lassen, sondern auch gegenüber seinesgleichen, insofern auch die Förderweisen der Forschungsrahmenprogramme bzw. anderer Forschungsförderungen der EU nur ergänzt werden sollen. Andernfalls würde der Sinn eigener politischadministrativer Handlungen infrage gestellt werden. Fest steht, dass mit der neu etablierten »Förderstruktur« nicht spezifiziert wird, welche »anderen gemeinschaftlichen und nationalen Maßnahmen [...] ergänzt« werden sollten, und weshalb dies notwendig sei. Diese hätte etwa durch Verweise auf Input- oder Outputdefizite der Forschung begründet werden können. Versprochen wird nur vage, dass »Europa dynamischer« werden soll, dass die Fördermaßnahme die besten Forscher innerhalb und außerhalb Europas anlocken würde und dass hierdurch »Investitionen der Industrie« attraktiver seien. Die Begründungen erscheinen in ihrer unspezifischen Formulierung nicht überzeugend, um eine Differenz gegenüber nationalstaatlichen und anderen Gemeinschaftsinitiativen hinreichend zu plausibilisieren. Stärker formuliert lässt sich weder ein notwendiger noch hinreichender Grund im Lichte der oben diskutierten Subsidiaritätsklausel finden, nach welcher die Institutionen der EU handeln, um mitgliedstaatliche Defizite auszuräumen. 6.6.6 Zum Kapitel »Maßnahmen« Im Kapitel Maßnahmen nehmen die Spezifikationen des Spezifischen Programms Ideen zu: »Diese Maßnahmen sind für die aussichtsreichsten und produktivsten Forschungsbereiche und für die besten Möglichkeiten zur Erzielung 301 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK wissenschaftlicher und technologischer Fortschritte in und zwischen den Disziplinen, einschließlich der Ingenieurs-, Sozial- und Geisteswissenschaften, bestimmt.« Das Förderprogramm scheint mehrere Maßnahmen zu vereinen. Dies zu begründen wird zunächst eine Unterscheidung vollzogen: Mit der Formulierung, »die aussichtsreichsten und produktivsten Forschungsbereiche« zu bestimmen, grenzt der Text durch Superlative Forschungsbereiche von solchen ab, die weniger aussichtsreich bzw. produktiv sein würden. Noch pointierter würde der Sinnabschnitt den Umkehrschluss zulassen, dass jene Forschungsbereiche, die nicht durch das Spezifische Programm »Ideen« gefördert werden, unproduktiv und aussichtslos erscheinen. Allerdings bleibt eine Erklärung dahingehend aus, nach welchen Kriterien Produktivität und Aussichtsreichweite eigentlich gewertet werden und durch wen. Wie bereits oben gedeutet, werden darüber hinaus nationalstaatliche und alle übrigen gemeinschaftsfinanzierten Forschungsunternehmungen – selbst diejenigen Spezifischen Programme des 7. FRP – in Frage gestellt. Ein gesonderter Aufruf gilt den »Ingenieurs-, Sozial- und Geisteswissenschaften«, und es werden disziplinäre und interdisziplinäre Wissenschaft adressiert (»in und zwischen den Disziplinen«). Eine nähere Aufschlüsselung, wer gefördert werden soll, wird ebenfalls bereitgestellt: »Nachwuchsforscher, neue Gruppen sowie bereits bestehende Teams«. Allerdings fragt sich nun, wie sich »Gruppen« von »Teams« abgrenzen und warum mit dem Spezifischen Programm Nachwuchsforscher – zumal: ab und bis wann gilt man als solcher? – gefördert werden sollen. Denn personelle Nachwuchsforschung wird bereits durch das Spezifische Programm »Menschen« gefördert. Im Widerspruch steht auch die Förderung von Personen, wohingegen zuvor von Projektförderung die Rede war. In Anbetracht der anfänglichen Beschwörung, die »aussichtsreichsten und produktivsten Forschungsbereiche« durch die Maßnahme bestimmen zu können, wirkt die weitere Begründung des Förderprogramms beliebig und unpräzise. Es ist nicht ersichtlich, worin mit dem Spezifischen Programm ein Unterschied gegenüber nationaler und gegenüber der übrigen Gemeinschaftsförderung gemacht werden kann. Im folgenden Abschnitt wird der Europäische Forschungsrat angekündigt: »Die Gemeinschaftsmaßnahmen zur Pionierforschung werden von einem Europäischen Forschungsrat durchgeführt; dabei handelt es sich um einen unabhängigen wissenschaftlichen Rat, der von einem ihm zugeordneten überschaubaren und kosteneffizienten Durchführungsgremium unterstützt wird. Die Geschäfte des Europäischen Forschungsrates führt eigens hierfür eingestelltes Personal, dem auch Beamte der EU-Organe angehören und das ausschließlich Verwaltungsaufgaben 302 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM wahrnimmt, um die für eine effiziente Verwaltung notwendige Stabilität und Kontinuität zu gewährleisten.« Durch die Formulierung, »Die Gemeinschaftsmaßnahmen zur Pionierforschung werden von einem Europäischen Forschungsrat durchgeführt« wird deutlich, dass es mit Blick auf den unbestimmten Artikel scheinbar noch keinen Europäischen Forschungsrat gibt. Untersucht man den Begriff Forschungsrat genauer, werden dessen Funktion und Bedeutung nicht klar. In einer schwachen Deutung stellt ein »Rat« lediglich Beratungsleistungen in Aussicht. Der Verbindung aus Wortstamm (»-rat«) und Präfix ist zu entnehmen, dass dieser Rat alle möglichen die Forschung betreffenden Aspekte bearbeitet. Dass der Rat aus Forscherinnen und Forschern besteht, muss nicht notwendigerweise der Fall sein. Zudem ist er für Europäische Forschung tätig. In analytischer Zuspitzung kann sich der Begriff »Europäisch« nicht auf die Ebene der Europäischen Union bzw. der Europäischen Gemeinschaften beschränken. Der Beratungskontext und -anspruch soll sich für ganz Europa aufspannen. Andererseits werden die »Gemeinschaftsmaßnahmen zur Pionierforschung […] von einem Europäischen Forschungsrat durchgeführt«. Deshalb wird gedeutet, dass der Forschungsrat über die Beratung hinaus Fördergelder (»Gemeinschaftsmaßnahmen«) vergibt und die Konditionen der Vergabe (mit-)bestimmt. 6.6.7 Deutungsmuster zur Governance des ERC Der Forschungsrat besteht aus einem »unabhängigen wissenschaftlichen Rat«, der von einem »ihm zugeordneten überschaubaren und kosteneffizienten Durchführungsgremium unterstützt wird«. Somit steht der wissenschaftliche Rat an erster Stelle und stellt exklusiv den Forschungsrat dar. Das so genannte Durchführungsgremium scheint ihm nur operativ Unterstützung zu leisten und nimmt daher die klassische Form einer verwaltenden Geschäftsstelle an. Interessant scheint jedoch die Zusammensetzung des Durchführungsgremiums zu sein, dem auch »Beamte der EU-Organe« angehören. Dies sowie der Hinweis, dass das Durchführungsgremium »ausschließlich Verwaltungsaufgaben« wahrnimmt, scheinen für die Frage der Unabhängigkeit markant zu sein. Denn fraglich ist, ob jenseits der dem wissenschaftlichen Rat zugesprochenen Unabhängigkeit »von politischen oder sonstigen Interessen« Beamte der EU-Organe von geltendem EU-Recht abweichen könnten. Was passiert, wenn der wissenschaftliche Rat Entscheidungen fällt, die geltendem EU-Recht bzw. dessem Verwaltungsverfahren widersprechen? Doch selbst in Anbetracht dieser Frage folgt die Governance-Struktur des Europäischen Forschungsrates dem Modell einer klassischen 303 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Forschungsfördereinrichtung. Die Strategie wird durch Vertreter wissenschaftlicher Fachgemeinschaften entwickelt: sie sollen »höchsten Ranges« sein und »die Vielfältigkeit der Forschungsgebiete« widerspiegeln. Allerdings scheint die administrative Durchführung der Förderung nicht allein der Autonomie des wissenschaftlichen Rates folgen zu müssen. Denn in Folge heißt es, »[d]ie Kommission wird als Garant für die vollständige Autonomie und Integrität des Europäischen Forschungsrates fungieren«. Die Kommission scheint also als politische bzw. juristisch bemächtigte Instanz, als Protegé über dem wissenschaftlichen Rat des ERC zu wachen. Auch ist es nicht der wissenschaftliche Rat alleine, der nach dem Prinzip der wissenschaftlichen Exzellenz und wissenschaftsautonomer Selbstbestimmung handeln kann: »Sie [die Kommission] sorgt dafür, dass der Europäische Forschungsrat im Einklang mit den Grundsätzen für wissenschaftliche Exzellenz, Autonomie, Effizienz und Transparenz handelt«. Dann wiederum heißt es im Text, »Sie [die Kommission] sorgt dafür [...], dass er [der Europäische Forschungsrat] genau der Strategie und der Durchführungsmethodik folgt, die vom wissenschaftlichen Rat festgelegt wurden«. Dies klingt nach einer trickreichen juristischen Formulierung, nach der große Ermessensspielräume zwischen der Autonomie des wissenschaftlichen Rates und geltendem EU-Recht vorhanden sind: Die Kommission soll einerseits die Strategie des wissenschaftlichen Rats umsetzen und darüber wachen, dass das operative Geschäft des ERC im Einklang mit geltendem EU-Recht steht. Andererseits soll sie auch den wissenschaftlichen Rat des ERC – deren Ausführungsorgan die Kommission ist – dazu anhalten, seinen eigens festgelegten Prinzipien zu folgen. Diese Prozedur soll innerhalb von drei Jahren überprüft werden. Die Prinzipien der Mittelverteilung werden nicht näher erläutert; maximal fünf Prozent des gesamten Programmbudgets (7.51 Milliarden Euro über einen Zeitraum von sieben Jahren) dürfen für Verwaltungskosten der Geschäftsstelle ausgegeben werden, der Rest muss für die Förderung der wissenschaftlich angeregten Pionierforschung investiert werden. Interessant scheint an der Begründung, dass bereits bekannte Förderstrukturen – v. a. in nationalen Kontexten – nicht einfach kopiert werden können, sondern etwas Zusätzliches begriffspolitisch erfunden werden muss. Dies geschieht auf verschiedene Weise und hier spezifisch durch die Erfindung eines neuen Forschungstyps: der Pionierforschung. Durch diesen Neologismus offenbart sich der Versuch, einen Mehrwert dessen zu begründen, was Sinn und Zweck eines Europäischen Forschungsrates sein soll. Dieser Mehrwert wird argumentativ an weitreichende Konsequenzen geknüpft, wie z. B. an den globalen Wettbewerb von europäisch ansässigen Wirtschaftsunternehmen und – hierdurch vermittelt – den Fortbestand der europäischen Gemeinschaft selbst. Je dezidierter und spezifischer die Begründung dieser neuen Förderorganisation wird, 304 ANALYSE DES BESCHLUSSES ZUM SIEBTEN RAHMENPROGRAMM desto inkonsistenter und widersprüchlicher werden jedoch auch die Argumente. Schließlich kollabiert der begriffspolitisch eingeführte Neologismus der Pionierforschung, indem der Text selbst aufdeckt, dass hierunter »gemeinhin […]›Grundlagenforschung‹« zu verstehen ist. 6.6.8 Fazit zu Unterkapitel 6.6 In dieser Analyse sollte geklärt werden, welche Sinnselektion seitens der politischen Institutionen der EU im Text aufleuchtet, um einen Europäischen Forschungsrates legitimieren zu können. Der Grund, gerade dieses Dokument zu wählen, liegt zum einen in seinem Wirkungsgrad begründet, denn es handelt sich um den rechtskräftigen Beschluss zum 7. Forschungsrahmenprogramm, in dem auch das Spezifische Programm »Ideen« und der Europäische Forschungsrat bereits rechtlich normiert wurden. Bildlich beschrieben stellt dieses Dokument in der Policy-Genese den Endpunkt eines Trichters dar, in dem alle möglichen Begründungsmuster und deren dahinter liegende Deutungsmuster zur Etablierung des Europäischen Forschungsrates eingegangen und gefiltert wurden. Aus der objektiv hermeneutischen Analyse lassen sich folgende Strukturhypothesen über das Deutungsmuster bilden: Die EU benötigt den ERC zur Selbstlegitimierung. Denn die EU als politisch legitimierte Ordnung ist sich ihrer Legitimität nicht sicher. Die Existenz einer Gemeinschaft muss ständig und – wie der Text zeigte – überzogen und dramatisch beschworen werden: Der globale Wettbewerb, Konkurrenz und Kämpfe aller Art bedrohen die Gemeinschaft von außen, stärken sie aber auch hierdurch identitär im Inneren. Es werden jedoch immer weitere Mechanismen, in allen Lebensbereichen, notwendig, um in diesem globalen Wettbewerb zu überleben. Hierbei wird Unternehmen eine Sonderrolle zugeschrieben. Ihr Überleben heiligt nahezu alle Mittel – entsprechend schreibt ihnen das Narrativ die größte Bedeutung zu. Forschung wird als zentrales Behelfsinstrument der Unternehmensförderung reklamiert, zudem würde sie nachgelagert auch sozialen und kulturellen Fortschritt mit sich bringen. Das nächste Problem besteht im Subsidiaritätsdilemma, denn Forschung und Forschungsförderung existieren ja bereits auf der nationalen Ebene. Hier greift die EU nach einer weiteren sprachlichen Selbstlegitimationsformel: Postuliert wird ein Alleinstellungsmerkmal. Der ERC soll ausführen, was es angeblich noch nicht gibt. Allem voran war man auf der Suche nach sprachlicher Absicherung, um etwas exklusiv-europäisches in einer Forschungsfördermaßnahme finden und begründen zu wollen. Das Mittel, diese zu erbringen, besteht in der Behauptung eines scheinbar neuen Forschungstyps, der hier Pionierforschung heißt und der sich von Grundlagenforschung dadurch unterscheidet, dass er ein 305 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Wegbereiter für den Nutzen einer unspezifischen, v. a. aber wirtschaftlich orientierten Nachhut sein soll. Ganz unterschiedliche Akteure, Interessen und Wissenstypen seien mithin angeregt, in diesem neu erschlossenen Feld ihren Platz zu finden. Durch die Metapher der Grenzen und ihrer Überschreitung wird nicht nur politische Legitimität für Wissenschaft im engeren selegiert: In der Binnenperspektive stellt sich die EU als grenzoffene Marktgemeinschaft dar, die ihren Mitgliedern Schutz vor den äußeren Aggressoren bietet. Nur wer für die Marktgemeinschaft nützlich ist, kann ihr auch von außen beitreten. Pionierforschung, also das, was »gemeinhin als Grundlagenforschung« verstanden wird, entfaltet ihre Funktion in beiderlei Hinsicht: Sie affirmiert das Wettbewerbsmoment und soll zugleich den Raum ausdehnen sowie schützen. Als Binnendifferenzierung unterschiedlicher Arten der Forschung erfüllt diese keinen Sinn. Ihre performative, also persuasive Funktion dieser wie auch der anderen Metaphern liegt v. a. darin, dass sich die EU-Institutionen selbst neu erfinden können: Hier liegt der Rechtstext eines neuen, nämlich des Siebten Forschungsrahmenprogramms vor, das von seinen Vorgängern unterschieden werden muss. Interessant scheint hier die Logik dieses politischen Systems, sich einerseits als Entrepreneur zu begreifen (»wir setzen […] in Kraft«) und andererseits von der Gestalter- in die Dienstleisterrolle zu wechseln. Fakt ist, dass Wissenschaft und Forschung in der Begründungslogik der EU-Institutionen keinen Eigenwert haben, denn das, was sich in dem Textdokument immer wieder reproduziert sind die wirtschaftlichen und hegemonialpolitischen Um-zu-Formeln. Wäre jetzt zu erwarten, dass sich der ERC anders positioniert? Etwa indem er die »Pionierforschung« anders darstellt, als Grundlagenforschung relativiert oder insgesamt die Pionierforschung anders definiert. Oder wird der ERC eben jene Begründungsformeln der »Pionierforschung« zur Ausweitung und zum Erhalt der Gemeinschaft anwenden, durch die sich die EU-Institutionen politisch legitimieren? Fügt sich also die Selbstdarstellung der Organisation in die politischen Begründungsformeln ein, und wenn ja, warum? Noch weiter gefragt: Konstituiert sich die Organisation des ERC überhaupt als etwas Eigenständiges? Denn letztlich ist der ERC nur eine Maßnahme innerhalb eines Forschungsrahmenprogramms, der nicht einmal über eine eigene Satzung verfügt. Die Frage ist daher, ob und inwieweit sich diese Einrichtung nun selbst legitimiert und ob sie von dem hier spezifischen Deutungsmuster der europäischen Entscheidungsorgane abweicht. Ebenso wie die EU-Institutionen steckt der ERC in einem Dilemma. Würde er jenen Nützlichkeitserwartungen folgen, auf die die EU-Institutionen hin Politik gestalten müssen, käme er womöglich in Legitimationsschwierigkeiten gegenüber den an ihm teilnehmenden Wissenschaftlern und gegenüber den ihn stützenden nationalen Forschungs- und Forschungsförderorganisationen. Ignoriert der ERC seine in ihn eingelassenen Programmerwartungen, v. a. 306 DIE SELBSTBESCHREIBUNG DES ERC den politischen »Rahmen« des Programms, so könnten ihm seine politischen Prinzipale Legitimation entziehen. 6.7 Die Selbstbeschreibung des ERC Die Analyse dieses Kapitels wird rekonstruieren, welche Deutungsmuster den ERC zu einer Selbstbeschreibung befähigen. Dies zu leisten, wird das Selbstbild immer wieder auf den rechtswirksamen Beschluss des 7. Forschungsrahmenprogramms hin kontrastiert werden. 6.7.1 »About us« – Geburts- und Schöpfungsmetaphern Die nachfolgend erörterte Selbstdarstellung des ERC findet sich auf der Website der Organisation vom August 2010, unter dem linken Reiter »About us« und hier eingeordnet in die Rubrik »Mission«. Die Website erscheint zunächst in englischer Sprache. Rechts oben werden fünf Länderflaggen angezeigt.174 Es erscheint ein rot gepunktetes Logo, aus dessen Kern rechtsbündig die Buchstaben »erc« herausstehen. Die Punktewolke des Logos ist kreisförmig Abbildung 10: ERC Logo angeordnet und strahlt nach außen aus. Je weiter sich die Punkte dem Kern entfernen, verkleinern sie sich. In seiner farblichen Tingierung von Rot und Orangetönen könnte das Gebilde ebenso eine Kugel darstellen. Gleichzeitig vermittelt das Logo den Eindruck einer Bewegung: Aus dem Inneren des Kerns sprudeln Elemente nach außen. Die Assoziation einer Quelle oder einer Blüte liegt auf der Hand, ebenso wie ein naturwissenschaftlicher Kontext, insofern Partikel oder Moleküle aus einem Zentrum heraus explodieren. Im Kern steht der Buchstabe »e« für Europa, wohingegen »r« (»Research«) und »c« (»Council«) rechts vom Kreismittelpunkt abgebildet sind. An dieser Stelle könnte man sich zu weitreichenden Deutungen versteigen wie dieser, dass das Europäische im Zentrum steht, wohingegen nationale – und noch weiter außen – regionale Forschungs174 Hierbei stellt sich heraus, dass es sich um die Spracheinstellungen für die Website handelt, welche in englischer, französischer, deutscher, spanischer und polnischer Sprache existiert. Im Gegensatz zum englischen Text, der in ausgedruckter Form etwa zwei Din-A4-Seiten umfasst, wird in der deutschen sowie in den anderen Sprachen lediglich ein Dreizeiler zum Europäischen Forschungsrat angezeigt. 307 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK und Forschungsfördereinrichtungen in der Peripherie liegen, aber immerzu auf den Mittelpunkt Europas ausgerichtet sind. Ebenso könnte angenommen werden, dass die Abbildung begründet, dass Europa mit seinen politischen Institutionen, Quell für Forschung (»research«) und (Forschungs-)beratung (»council«) sei. Im Text werden beide Lesarten als Begründungsmuster aufzufinden sein. Rechts oben im Bild ist die Überschrift »Bringing Great Ideas to Life« abgebildet, deren graphischer Hintergrund die im Logo verwendeten Punktewolken darstellt. Die Phrase suggeriert einen anmaßend schöpferischen Sinnspruch, eine Formel der Verwirklichung. In Kombination mit dem Logo könnte auch ein lebenswissenschaftlicher Kontext vermutet werden. In jedem Fall scheint sich die Organisation durch die Phrase »bringing to life« als Geburtshelfer zu glorifizieren. Fraglich ist nun, ob dem Organisationsverständnis nach jene großartigen Ideen bereits bestehen und nunmehr realisiert werden sollen oder ob die Organisation sich selbst als ideenstiftend versteht. Denkbar wäre auch eine Zwischenform, der zufolge größere Ideen und ganze Forschungskonzepte aus dem Nukleus einer ersten Idee wachsen. Im griechischen Wortursprung eidos liegt die Vorstellung eines solchen Urbildes bereits begründet. Die Verwirklichung von Ideen würde zunächst auf eine starke Selbstzuschreibung von Kompetenz hindeuten. Der Sinnspruch oszilliert zwischen zwei Lesarten. Mit ihm könnte die Organisation ihre eigenständige Entwicklung und Ausarbeitung von Ideen betonen, oder die Förderung bereits vorhandener Ideen, welche sonst verkümmerten. In jedem Fall ist die Geburt neuer und großartiger Ideen nicht auf Wissenschaft beschränkt; es geht ja allgemein um die funktionssystemunspezifische Handlung des Forschens (vgl. Kapitel 6.4–6.7). Auch wirtschaftliche Unternehmer könnten sich zuschreiben, großartige Ideen zu haben oder diese zu realisieren. Das Logo und der Sinnspruch deuten also auf eine schöpferische Selbstzuschreibung hin. Die Selbstzuschreibung des Schöpfers, des transzendenten und nicht mehr hinterfragbaren175 Ursprungs bzw. der Erstursache (zur Realisierung) von Ideen, zeugen von einer drastischen Selbstüberhöhung. Im Folgenden wird diese Hybris textlich zum Ausdruck gebracht. 6.7.2 Der ERC auf Mission Die Selbstbeschreibung des ERC ist auf Dropdown-Reiter unter der Spalte »About Us« und hierunter in der Kategorie »Mission« zu finden. Missionen verweisen zunächst einmal auf die Bewältigung einer schwierig 175 Siehe Max Webers (1988, S. 552) Ausführungen über den Begriff der Rationalität, die selbst eine ultima ratio dergestalt benötigt, als dass sie von einem transzendentalen Eigenwert abgeleitet werden muss. 308 DIE SELBSTBESCHREIBUNG DES ERC gearteten Unternehmung, teils mit offenem Ausgang hin. Mitunter gelten ihre Ziele als geheiligt; auch hier findet sich erneut eine sakrale Selbstzuschreibung der Organisation wieder, einem höheren Zweck zu dienen und auf einer Sendungsmission zu sein. In zumeist christlichen Kontexten verfolgten Missionare den Auftrag, Heiden zum Glauben sowie zu besseren, disziplinierten und im »besten Fall« zu zivilisierten Menschen zu bekehren.176 Der Kombination der Begriffe »Über uns« und »Mission« zufolge könnte der ERC sich nicht nur übergeordneten Zielen verschreiben, nämlich sinngemäß: ›Was sie über uns wissen sollten ist – wir verfolgen eine Mission!‹ Genauso könnte er sich auch selbst als der übergeordnete Zweck präsentieren. Der nächste Satz bestätigt, dass die Mission einer Tautologie nahekommt, denn unter dem Titel »Mission« steht nun wiederum die Frage: »What is the ERC?«. Die Mission liegt also in der Beantwortung der Frage, was der ERC selbst ist. Die selbstgestellte Glaubensfrage wird mit dem folgenden Satz beantwortet: »The European Research Council (ERC) is the first European funding body set up to support investigator-driven frontier research« (kursiv; TF). Der Formulierung ist zunächst eine Unterscheidung zu entnehmen, der zufolge bisher keine Organisation in Europa existiert haben kann, die wissenschaftlergetriebene Frontier Research unterstützt. Würde die genaue Formulierung nicht explizit auf den Terminus »frontier« zwischen den Partikeln »investigator-driven« und »research« gemünzt sein, sondern bspw. »basic research« – wie dies im Rechtsbeschluss zum 7. FRP zugegeben wird –, so wäre mit dem Satz eine Falschaussage gemacht worden. Diesen Eindruck verstärkt die Formulierung »European funding body«, denn nicht nur nationale Fördereinrichtungen könnten sich als »europäisch« selbstbeschreiben, sondern auch Organisationen, wie die 1974 gegründete ESF, COST oder EMBO, von den bereits diskutierten Förderprogrammen FET und NEST (vgl. Kapitel 5.8) einmal abgesehen. Auf der einen Seite liegt es nahe, dass der Begriff »europäisch« auf die supranationale Regulierungsebene der EU hinweist, die Organisation sich also gegenüber allen nationalen und transnationalen Organisationen abzugrenzen versucht. Sie muss sich also durch Sprache verselbständigen, um so ihre Existenzberechtigung zu untermauern, was darauf hindeutet, dass sie keine Selbstverständlichkeit ist. ›Wir sind neu und machen alles anders!‹ muss wohl v. a. in politisch gesättigten Bereichen behauptet werden. Durch diese Pointierung fällt auch die zweite Funktion der Formulierung auf: Neu- und Einzigartigkeit werden zu 176 Dieser Hinweis auf das Moment der Bekehrung, besseren Menschen zu formen, ist an dieser Stelle nicht sarkastisch zu verstehen; liest man die folgenden Sätze der ERC-Selbstbeschreibung, sollte man schnell einsehen, weshalb diese Deutung zulässig ist. 309 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK einem Selbstzweck erhoben. Trotz der Betonung des neuen und einzigartigen kann der Text allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Organisation sich nicht selbst gegründet hat; dies geht aus dem Partizip Perfekt »set up to support« hervor: Der ERC wurde »aufgestellt«, allerdings schreibt er nicht, von wem. In Anlehnung an die zuvor bemühte Lesart leugnet der Schöpfer damit seinen eigenen Schöpfer. Dass die Organisation vorgibt, »investigator-driven frontier research« zu sein, zeigt v. a. mit Blick auf das vorherige Kapitel, dass sie sich von den politischen Formulierungen ihrer Begründer nicht lösen konnte, die sie hier anscheinend nicht mehr erwähnen will. »Investigator-driven« deckt sich mit der systemunspezifischen Begründung des politischen Programms (vgl. Kapitel 6.7): Ein »Investigator« muss sich nicht im öffentlich geförderten, wissenschaftlichen Kontext bewegen, auch wenn hier der »Principal Investigator« oft den Teamleiter einer Forschergruppe bezeichnet. Zudem scheint der Begriff eine Differenz zur üblichen EUForschungsförderung markieren zu wollen. Sie muss folglich nicht vom Erkundungsdrang getrieben sein, sondern von allen möglichen Gründen (vgl. Kapitel 4). Der Terminus Frontier Research ist, wie bereits diskutiert, in der gesamten europäischen Forschungspolitik ungewöhnlich. Auch hier scheint seine Funktion in der politischen Begründung des Neuen zu liegen.177 Im nächsten Satz taucht eine Reihe auffälliger Formulierungen auf: »Its main aim is to stimulate scientific excellence by supporting and encouraging the very best, truly creative scientists, scholars and engineers to be adventurous and take risks in their research. The scientists are encouraged to go beyond established frontiers of knowledge and the boundaries of disciplines.« Zunächst geht es der Organisation um die Förderung von wissenschaftlicher »Exzellenz« (für Deutungen des Begriffs; vgl. Kapitel 6.5.1). Interessant scheint hier die Differenzierung der unterschiedlichen Adressaten, denn nicht nur Wissenschaftler (»scientists«) und allgemein Gelehrte (»scholars«) sollen gefördert werden.178 Auch führt die Organisation In177 Der Begriff Frontier Research wird im außereuropäischen Kontext üblicherweise themenspezifisch verwendet: Bspw. definiert die Universität Houston einen ihrer Forschungsschwerpunkte als »Energy Frontier Research«; siehe http://energy.utexas.edu/. Das japanische Forschungs- und Technologieministerium (JAMSTEC) finanzierte, ebenfalls auf Themen eingegrenzte, Frontier Research Centers, die in der Geschichte der Forschungspolitik allerdings als staatlich verordnete Grundlagenforschung (»strategic research«) mit starken Verwertungsabsichten charakterisiert wurden (vgl. Darmon 1996; Salter und Martin 2001). 178 Der Szientismus markiert die säkuläre Ablösung des modernen und nicht zuletzt praktisch orientierten Lebens (»vita activa«) gegenüber der kontemplativen Scholastik (»vita contemplativa«); mit ihm wird auch der Übergang von einer klerikalen 310 DIE SELBSTBESCHREIBUNG DES ERC genieure in Abgrenzung zu Wissenschaftlern und Akademikern auf. Das Angebot gilt allen möglichen forschenden Subjekten, die Forderung nach Exzellenz wird aber auch an alle Gruppen gestellt. Auffällig ist zudem die nähere Spezifikation von »frontier research« im zweiten Satz. Im ersten Passus des Satzes »to go beyond established frontiers of knowledge« wird das bereits in der Beschlussfassung des 7. Forschungsrahmenprogramms bemühte Bild einer unerschlossenen Landkarte des Wissens bedient, die Forscher abenteuerlustig und risikofreudig erschließen sollen. Die zweite Formulierung stellt auf interdisziplinäre Forschung ab (»to go beyond the boundaries of disciplines«). Fraglich ist hier, ob ein kausaler Zusammenhang in der Erkundung diffuser, ungekannter Räume des Wissens – als vorhanden und doch nicht erschlossen ontologisiert – und der Überwindung disziplinärer Grenzen (»boundaries«) besteht. Ferner begründet die Organisation im Gegensatz zu ihrem politischen Gründungsdokument, dass keine Projekte, sondern Personen gefördert werden sollten. Welche Arten von Risiken diese Personen eingehen sollen, bleibt jedoch offen. Dies wird auch nicht im folgenden Satz erläutert, der nun merkwürdigerweise ein ganz anderes Thema aufgreift: »The ERC complements other funding activities in Europe such as those of the national research funding agencies, and is a flagship component of the ›Ideas Programme‹ of the European Union’s Seventh Research Framework Programme (FP7).« Die Formulierung changiert zwischen einer selbstüberhöhenden Darstellung, »Flaggschiff« des 7. FRP zu sein, und jener einer schlichten Ergänzung (»to complement«) nationaler Fördereinrichtungen. Zunächst zum Flaggschiff: In der Metapher eines Kriegsschiffgeschwaders kommandiert dieses Schiff den gesamten Verbund, es ist am stärksten bewaffnet und soll durch die Flagge des befehlshabenden Admirals für das Geschwader sichtbar sein. Die Metapher reiht sich problemlos in die Frontier-Eroberung ein. Zieht man einen Vergleich zur rechtswirksamen Beschlussfassung des 7. FRP, so stellt sich die hier kommunizierende Organisation also weit über die Kommission. Mit ihrer eigenen Aussage verhehlt sie demnach, dass sie das »Flaggschiff« gar nicht ihr Eigentum nennen darf: Der Admiral (also der ERC Scientific Council) gibt vielleicht das Kommando über ein Schiff (das Spezifische Programm »Ideen«), mehr jedoch nicht. Schiffskommandeure handeln zudem im Standesbezeichnung (»scholar«) zu einer sich allmählich entwickelnden Profession (»scientist«) sichtbar (Kaldewey 2012, S. 229–241). Allerdings manifestiert sich in diesem Übergang auch die Differenz zwischen dem primär theoretischem und dem primär auf Nützlichkeit abstellenden Forschungsinteresse sowie zwischen Rationalismus und Empirismus und – mit Blick auf den aktuellen Kontext, vielleicht zwischen geisteswissenschaftlichen Studierzimmern und den »Labs« der Natur-, (Ingenieur-) und Lebenswissenschaften. 311 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Auftrag imperialer Herrscher und selten in eigener Sache: Die Ressourcen und das Handlungsmandat erteilen in diesem Fall letztendlich die EU-Institutionen. Dass ein solcher Autarkieanspruch also in dieser Radikalität nicht zu begründen wäre, deutet die zusätzlich eingeführte Nominalbezeichnung »component« an. Und dennoch: Ansprüche gegen die sie beauftragende politische Herrschaft unterstreicht die Organisation in Form von Abgrenzungen: »Being ›investigator-driven‹, or ›bottom-up‹, in nature, the ERC approach allows researchers to identify new opportunities and directions in any field of research, rather than being led by priorities set by politicians. This approach ensures that funds are channelled into new and promising areas of research with a greater degree of flexibility« (kursiv; TF). Indem der Text hervorhebt, Forschern die Möglichkeit einzuräumen, »to identify new opportunities and directions in any field of research« nach dem »investigator-driven« und »bottom-up« Prinzip, scheint er abermals all jene Forschungsförderung desavouieren zu müssen, deren Prioritäten politisch gesetzt würden. Verstärkt wird diese Selbstzuschreibung als Naturgesetzmäßigkeit (»in nature«). Wohlgemerkt werden damit jegliche Forschungsfördermaßnahmen, einschließlich der des Forschungsrahmenprogramms diskreditiert, dessen Teil aber auch der ERC ist. Denn auch sein Spezifisches Programm »Ideen« wurde ja letztendlich unter dem starken Primat gemeinschaftlicher Unternehmensförderung gefördert. Im weiteren Verlauf dieses Argumentationsmusters (»This approach ensures that funds are channelled into new and promising areas of research with a greater degree of flexibility«) verdichtet sich die Herabstufung all jener nationalen und supranationalen Forschungsfördermaßnahmen, die dem Ansatz des ERC nicht gleichkommen, also nicht forscher- und bottom-up-getrieben sind. Vor dem Hintergrund einer sehr jungen Organisation, die zur Zeit dieser Textanalyse gerade einmal knapp drei Jahre lang existierte, wirken derlei Formulierungen in doppelter Hinsicht wie eine sehr starke Selbstüberhöhung. Die Formulierung, der ERC-Ansatz sichere ein höheres Maß an Flexibilität (»greater degree of flexibility«), wirft allerdings eine grundsätzliche Frage auf. Ist das höhere Maß an Flexibilität auf die Definition von Forschungsthemen und/oder auf den flexiblen Einsatz der Mittel gemünzt? Welche Freiheitsgrade genießt die Organisation gegenüber der primärrechtlich befähigten Kommission und dem von ihr verwalteten FRP in der Definition von Forschungsthemen? Und wie flexibel ist sie in der Handhabung der Mittel zur Unterstützung von Forschern und Forschungsprojekten? Eben eine solche Unterscheidung bleibt unklar. Zudem stellt sich die Frage, welche Freiheit dem ERC gewährt wird: zur 312 DIE SELBSTBESCHREIBUNG DES ERC Förderung von Forschern oder von Projekten. Der nächste Satz erscheint zunächst aufschlussreich: »ERC grants are awarded through open competition to projects headed by starting and established researchers, irrespective of their origins […]« Auffällig ist zunächst die stilistische Vermischung von Fördermittelvergaben und Preisverleihungen, insofern der ERC »grants awarded«. Diese Auszeichnungen erhalten nun wiederum nicht Personen, sondern Projekte (»to projects«), die von Forschern geleitet werden. Zur Antragstellung seien Forscher unabhängig ihrer Herkunft (»origin«) berechtigt; letztere könnte sich auf Wissenschaft oder Wirtschaft, ebenso wie auf geographische Kategorien, wie Länder, beziehen. Die einzige Bedingung sei, so der Folgesatz, dass die ERC-finanzierte Forschung innerhalb der EU durchgeführt werden müsse. Hier grenzt sich der ERC von anderen ab, bspw. nationalen Fördereinrichtungen. Und in der Tat: Ein in China ansässiger Forscher hätte es vermutlich schwer, sich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft um Fördermittel zu bewerben. Mit dieser Besonderheit konnte sich der ERC, um hier Kontextwissen einfließen zu lassen, in der Tat programmatisch hervorheben, allerdings bleibt dieser Hinweis im Text unspezifisch. Während die Herkunft von Antragstellern keine Rolle spielen, betont der Text die Bedeutung der besten Ideen und »Gehirne«. Mit dem folgenden Passus stimmt die Organisation das politische Lied der bereits diskutierten technologischen Lücke und des hegemonialen »War for Talents« an: »The aim here is to recognise the best ideas, and retain and confer status and visibility to the best brains in Europe, while also attracting talent from abroad.« Die Anerkennung der besten Ideen scheint dabei nicht allzu sehr ins Gewicht zu fallen – sie wird hier, wie in den folgenden Absätzen auch gar nicht näher expliziert. Das Gewicht liegt eben auf der zweiten Zielsetzung, also dem War for Talents. Die Ressource Mensch, hier ausschließlich auf ihre kognitiven Leistungen (»brains«) reduziert, soll geostrategisch innerhalb der europäischen Grenzen gehalten oder hierhin gelockt werden. Damit nicht genug: Die Hybris des ERC offenbart sich mit der anschließenden Sequenz, in der er weit über die ihm zugedachte Kompetenz der Forschungsförderung hinausreichen will: »However the ERC aims to do more than simply fund research. In the long term, it looks to substantially strengthen and shape the European research system. This is done through high quality peer review, the establishment of international benchmarks of success, and the provision of up-to-date information on who is succeeding and why« (kursiv; TF). 313 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Die Organisation avisiert nichts weniger als langfristig das europäische Forschungssystem als solches zu stärken (»substantially strengthen the European research system«), v. a. aber auch zu formen (»shape [...] the European research system«). Im Hinblick auf die dreijährige Existenz des ERC wirkt diese Selbstverortung äußerst drastisch, zumal sein politischer Auftrag lautete, seine eigenen Maßnahmen an national existierender Förderung auszurichten. Hier erweckt die Selbstverortung den Eindruck, als müssten sich nationale Förderstrukturen an den Weisungen des ERC orientieren: Er setzt die »international benchmarks« und entscheidet über Erfolgskriterien, und er beabsichtigt ein richtungsweisendes Informationssystem zu etablieren. So könnte der ERC Qualitätsstandards für wissenschaftliche Begutachtungen veröffentlichen, die anderen Forschungsförderorganisationen als Richtschnur dienen sollen.179 Bezieht man die Formulierung, »this is done through high quality peer review« sequenzanalytisch auf den Neuheitsanspruch des ERC, liest sie sich implizit als Kritik gegenüber den allen in Europa existierenden Fördereinrichtungen: Alle anderen würden demzufolge nicht nach solchen Standards begutachten, die der Stärkung des europäischen Forschungssystems genügen könnten. Zweitens stellt der ERC in Aussicht, internationale Erfolgskriterien bzw. Orientierungswerte zu etablieren. Dies könnten personenbezogene Benchmarks sein, in denen die »wissenschaftliche Exzellenz« und das »Kreativitätspotential«, so wie es der ERC schreibt, von Individuen bewertet werden. Vorstellbar wären aber auch Rankings und Ratings von Organisationen, deren Mitglieder sich um ERC-Förderung bewerben oder die um erfolgreiche ERC-Bewerber anderer Institutionen buhlen. Beides, das heißt also die Performanz von Organisationen sowie von Personen, könnte unter den Begriff des Benchmarking fallen.180 Die Lesart, dass das gesamte Forschungssystem durch ERC-Standards und -Benchmarking reformiert werden soll, drängte sich dem Leser also geradezu auf. Damit beansprucht der ERC, leitendorientierende Forschungsfördereinrichtung aller europäischen Forschungseinrichtungen zu sein. Es ist diese »provision […] on who is succeeding and why«, also die Verfügung über den Erfolg selbst, die diesen Anspruch affirmiert und jenen anderer Fördereinrichtungen für nichtig erklärt. Über wessen Erfolg verfügt werden will, konkretisiert die Organisation im nächsten Satz: 179 Oder es ließe sich eine Art Kompetenzleihgabe an andere Organisationen vorstellen, indem andere Forschungsfördereinrichtungen oder sonstige Mittelgeber den ERC beauftragten, wissenschaftliche Begutachtungen für sie durchzuführen. 180 Diesen Befund stützt die unspezifisch bleibende Aussage, »and the provision of up-to-date information on who is succeeding and why«. Über die reine Vermessung von Forschungsleistungen hinaus scheint sich der ERC für fähig zu halten, Gründe für seine Vermessungsergebnisse nennen zu können. 314 DIE SELBSTBESCHREIBUNG DES ERC »The hope is that these processes will help universities and other research institutions gauge their performance and encourage them to develop better strategies to establish themselves as more effective global players.« Der ERC schickt sich also in der Tat an, einen Wettbewerb zwischen Personen, v. a. aber auch zwischen Forschungseinrichtungen innerhalb der EU auszurichten. Somit geriert sich die Organisation als eigenständiger wissenschaftspolitischer Förderer und Richter zugleich, dessen Entscheidungen europaweit Konsequenzen haben würden. Der Anspruch des ERC in dieser Formulierung wirkt stark überzeichnet: Erst durch seine Maßnahmen würde ein Prozess in Gang gesetzt, in dem Universitäten und andere Forschungseinrichtungen bessere Strategien entwickelten. Auf die Frage, ob die damit verbundene Zielerreichung bereits als gesichert gelten kann, lässt der Text keine Zweifel zu: Dadurch, dass Forschungseinrichtungen ERC-Förderung einstreichen wollten und sich hierzu seinen höchsten Qualitätsstandards unterwerfen müssten, würden sie zwangsläufig Strategien entwickeln, um »more effective global players« zu werden. Damit unterstellt die Organisation allen Forschungseinrichtungen unmittelbar, sich einem globalen Wettbewerbsfetisch hinzugeben.181 Zur Diskussion steht nun, ob die Selbstüberhebung des ERC gegenüber der ihm im 7. FRP zugewiesenen Funktionen erst dadurch ermöglicht wurde, weil dem ERC Scientific Council in der Beschlussfassung des 7. FRP ein hohes Maß an Autonomie für die Entwicklung einer Globalstrategie, für die Ziele der Mittelvergabe und für die Organisation des Begutachtungsverfahrens zugesprochen wurde. Dies wäre zwar möglich, jedoch klärt sich nicht aus dem Vergleich, weshalb eine derartig auffällige Anhäufung von Superlativen, Selbstzuschreibungen von Fähigkeiten und Selbstüberhebungen gegenüber anderen Forschungsförderorganisationen und -mechanismen in der Mission einer erst neu gegründeten Organisation notwendig ist. Denn die Deutung, dass die Organisation eine politisch und temporär rechtlich zugewiesene Autonomie gegenüber der Europäischen Kommission bei der Forschungsfördervergabe genießt, zieht nicht automatisch nach sich, dass diese neue Organisation anderen Forschungseinrichtungen Erfolgskriterien vorschreiben muss. 181 Man könnte gewiss rückfragen, wer diese Unterstellung angesichts eines weltweiten Kampfes um die besten Universitätsrankingplätze noch bezweifeln würde (Wildavsky 2010, S. 70ff.), die Hybris einer gerade neu entstandenen Organisation, diesen Prozess für ganz Europa bestimmen oder neu ausrichten zu können, schmälert diese Einsicht jedoch nicht. 315 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK 6.7.3 Geniale Geister, bahnbrechende Erfindungen Mit dem nächsten Satz springt der Text nun zu Erwartungen, die er an die ERC-geförderten Personen und deren Forschungsergebnisse hegt: »By challenging Europe’s brightest minds, the ERC expects that its grants will help to bring about new and unpredictable scientific and technological discoveries – the kind that can form the basis of new industries, markets, and broader social innovations of the future.« Die zuvor zitierten Gehirne bekommen nun immerhin einen Verstand (»mind«) und wieder zeigt sich ein Anspruch der Superlative: Für die Einrichtung scheint es selbstverständlich zu sein, die »klügsten Geister« zu einem Wettbewerb herausfordern zu können, denn nur hierdurch sei zu erwarten, dass wissenschaftlich und technologisch unerwartete Entdeckungen hervorgebracht würden. Da das Unerwartete womöglich auch negatives zutage fördern kann, muss eilig hinzugefügt werden, »the kind that can form the basis of new industries, markets, and broader social innovations of the future«. Damit kann es mit der Überraschung durch das Unerwartete aber auch nicht mehr weit her sein. In diesem Zusammenhang erhält das Verb »to expect« eine eigentümlich planerische Bedeutung: »Expectations« transportieren mehr als Hoffnungen oder unsichere Erwartungen; sie beabsichtigen Konkretes und tragen eine imperative Note (»I expect you for dinner«). Hier äußert sich abermals das Deutungsmuster einer Selbstüberschätzung: Es wird gezielt erwartet, dass ERC-Förderbewilligte wissenschaftlich-technologische Entdeckungen machen, die zudem die Grundlage182 für gänzlich neue Industrien, ganze Märkte und soziale Innovationen der Zukunft bilden. Dies alles soll erst durch die Förderung des ERC möglich gemacht werden. Selbstverständlich stützt die Sequenz damit das lineare bzw. kaskadenförmige Innovationsmodell: Neue Entdeckungen bilden die Grundlage (»basis«) für neue Industrien, Märkte und soziale Innovationen der Zukunft, also mittelbar. Einzig die Zwischenstufen –anwendungsorientierte Forschungsarbeiten, Entwicklungen, Prototypisierungen, Markterprobungen und dergleichen –werden hier nicht erwähnt. Der Text erfährt nun durch die Einführung zweier voneinander getrennter Rahmen oder Boxen eine Zäsur. Die erste Box trägt den Titel »ERC in a nutshell«, die zweite »What is ›frontier research‹ and what are its benefits?«. In den Boxen sind stichwortartige Phrasen aufzufinden, die 182 Selbstverständlich offenbart die Sequenz damit das klassische Linear- oder Kaskadenmodell der Innovation: Neue Entdeckungen bilden die Grundlage (»basis«) für neue Industrien, Märkte und soziale Innovationen der Zukunft; einzig: die Zwischenstufen, wie bspw. anwendungsorientierte Forschung, Entwicklung, Prototypisierungen und Marktpilotprogramme werden ausgespart. 316 DIE SELBSTBESCHREIBUNG DES ERC Lesern schnell einen Überblick über die Organisation und ihre Prinzipien geben sollen. Der Sprachstil folgt der bisherigen Ausdrucksgestalt: die Phrasen strotzen vor Superlativen: »channel funds into the most promising or [most] distinguisehd researchers«, to »put excellence at the heart of European research«). Durch den Einsatz von Elativen und Exzessiven soll dem Leser gebetsmühlenartig eingebläut werden, er würde nur auf das Beste vom Besten treffen: »[to] support the best of the best scientific efforts« und »[to] raise the status [...] of [...] the very best researchers«. Die Funktion dieser Übertreibungen liegt offensichtlich in der Werbung, mit der in einem womöglich bereits gesättigten Markt Aufmerksamkeit erzielt und/oder von eigenen Problemen abgelenkt werden soll; hierzu unvermeidlich Luhmann (1996, S. 87): »Sie [die Form der Werbung] erscheint als durch sich selbst determiniert, als nicht weiter klärungsbedürftig, als unmittelbar einleuchtend. Sie bietet also keinen Anlaß zu weiterer Kommunikation.« Wer mit einer derart extremen Sprache um sich werben muss, scheint notwendigerweise nicht über jenen Status zu verfügen, den er vorgibt zu haben. Vermutlich ist dies auf das Problem zurückzuführen, dass eine Organisation hier etwas anbietet, was andere Organisationen in Europa seit langem anbieten. Es fehlt ihr an Möglichkeiten, Differenz und Distinktion auf einer Sachebene herzustellen; deshalb muss sie sprachlich superlativisch begründet werden.183 ähnliches lässt sich mit einem Blick auf die weiterhin diffuse Mixtur von Zielverlautbarungen verweisen. Zum einen sehen wir innerhalb der Box, dass sich der ERC nicht zwischen einer Personenförderung (siehe »established and next generation of independent top research leaders« usw.) und der Förderung von »innovative proposals« oder der »quality of ideas« entscheiden kann. Zweitens bricht die Organisation mit der vorherigen Zwecksetzung, in der sie der neu ausgelobten Pionierforschung bereits zumutet, ganze Märkte und Industrien zu erzeugen. Vor der Einführung einer zweiten Box bemüht sich die Organisation abermals um eine Definition des Begriffs Frontier Research und erklärt, was ihr ihr Nutzen sein soll (»What is ›frontier research‹ and what are its benefits?«). Zu lesen ist die bereits in Kapitel 1 zitierte Erklärung, 183 Zur Selbstlegitimation scheint der ERC darauf angewiesen zu sein, Wissenschaftler auf seiner Website abzubilden, die mit angesehenen Preisen ausgezeichnet wurden. So z. B. wurde betont, dass in den Reihen ERC-Geförderter Mathematiker seien, die eine Fields-Medaille gewonnen hätten; die höchste Auszeichnung in der Mathematik. Die Hervorhebung schließt nicht nur jene Personen ein, die erst durch einen »ERC-Grant« gefördert wurden und – so die Organisation – daraufhin mit diesem Forschungspreis ausgezeichnet wurden. Auch betont die Organisation, dass selbst Fields-Medaillenträger sich noch auf einen ERC-Grant bewerben würden. Mit anderen Worten eignet sie sich die bereits bestehende Personenzuschreibung von Exzellenz an; siehe http://europa.eu/rapid/press-release_ IP-14-927_en.htm (zuletzt abgerufen am 10.11.2014). 317 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK »[t]oday the distinction between ›basic‹ and ›applied‹ research has become blurred, due to the fact that emerging areas of science and technology often cover substantial elements of both. As a result, the term ›frontier research‹ was coined for ERC activities since they will be directed towards fundamental advances at and beyond the ›frontiers‹ of knowledge.« Die oben gestellte Frage wird offensichtlich nicht direkt beantwortet, sondern bedarf zunächst einer Einleitung. Die Organisation behauptet, Grenzen zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung seien heutzutage verschwommen; emergierende Felder in Wissenschaft und Technologie würden substantielle Elemente von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung beinhalten. Vermischt wird so eine auf aktuelle Zustände zugerichtete Feststellung mit einer Antizipation zukünftiger Entwicklungen, die allerdings spontaner Natur ist – denn nichts anderes bezeichnet der Begriff der Emergenz.184 Deswegen, so ist im Folgesatz zu lesen, sei der Begriff Frontier Research neu geprägt worden (»coined«), mit dem ein Verständnis begründet würde, dass die ERC-Maßnahmen fundamentale Fortschritte an und über den »Frontiers« des Wissens hinaus fördern sollten. Versprochen werden eben »breakthroughs«, die dann Wissenschaftsforscher, ähnlich wie in dem Expertenbericht Frontier Research: The European Challenge als Auftragsarbeit der Kommission ex post bezeugen dürfen (Laudel und Gläser 2014). Interessant an dieser nun eindeutig formulierten Definition ist, dass sie im Gegensatz zu vorherigen Begriffsklärungen das Ziel einer spezifischen Forschungsförderung negiert. Stärker formuliert: In der Forschungsförderung des ERC müsste es seiner Definition zufolge unerheblich sein, ob Forschungsanträge für »klassische« Grundlagenforschung oder bspw. für eine dezidiert anwendungsorientierte, technologische Entwicklung gestellt werden; einzig: Antragsteller sollen einen »fundamental advance« versprechen. Damit scheint die Organisation mit ihrer all-inclusive-Definition der Frontier Research Beobachtungen einer Post-normal-Science, einer Modus-2-Wissenschaft politisch zu streifen, ohne dass diese ernsthaft umgesetzt werden müssen. In der nachfolgend eingeführten Box werden nun die in der Überschrift behaupteten »benefits« erläutert. Im ersten Bullet Point werden mehrere Gründe aufgegriffen. Der erstgenannte Vorteil hebt auf eine klassische, wettbewerbliche Elitenförderung ab: »By creating open and direct competition for funding between the very best researchers in Europe, the ERC will enhance aspirations and achievements.« 184 Emergenz vorauszusetzen und sie zugleich in ihrer Eigenschaft, unvorhersehbar zu sein, antizipieren zu können, deutet wieder einmal auf die Hybris der Organisation hin. 318 DIE SELBSTBESCHREIBUNG DES ERC Erst der Wettbewerb unter den Allerbesten resultiere in weiterer Strebsamkeit und Erfolgen. Hier könnten assoziativ viele Gegenargumente angebracht werden. Dass ein textimmanenter Widerspruch zum Argument der Emergenz produziert wird, also der Unvorhersehbarkeit wissenschaftlich-technologischer Entwicklungen, mag an dieser Stelle genügen. Zuvorderst nutzt die Organisation dieses Argument, Klasse statt Masse zu stärken, um sich von nationalen Förderverfahren abzuheben: »It will enable the best ideas and talents to be recognised from a larger pool than exists at national level.« Zudem wird die – abermals unhinterfragbare – Behauptung aufgestellt, Internationalität trage einen Mehrwert der Forschung in sich. Dies würde allerdings voraussetzen, dass alle Forscher stets ihr Augenmerk auf den ERC richteten, schließlich sei die Organisation international, d. h. also sichtbarer und reputationsträchtiger. Diese Art der Überhöhung gegenüber nationalen Fördereinrichtungen wird in einem weiteren Punkt behauptet: »[...] with a degree of agility not always possible in national funding schemes.« Dass sich die Organisation als »agil« begreift, heißt wohl im Umkehrschluss, dass nationale Organisationen starr, verkrustet bzw. unbeweglich sind und bloß »normal science« förderten; die abschwächende Formulierung »not always possible« schmälert dieses anmaßende Verdikt kaum. Eben darum führt der Text fort, der ERC ermuntere »research organisations to invest more in the support of promising new talents«. Erst der ERC mache sie, so die implizite Fortführung des Arguments, zur »next generation of research leaders«: Dem ERCgeförderten Forschungsnachwuchs wird mithin automatisch eine Führungsposition in der Wissenschaft versichert.185 185 Die letzten zwei Punkte spannen nochmals das Argument einer größeren Tragweite der zu fördernden Forschung auf. Hier unterstellt der ERC sich selbst durch eine sehr allgemein gehaltene Formulierung, durch seine Forschungsförderung wissensbasierte Industrien zu »nähren«. Andererseits wird der Text hier recht spezifisch, indem er sich selbst Relevanz in der Förderung von forschungsbasierten Ausgründungen (»research-based spin-offs«) zuschreibt. Im letzten Punkt wird hingegen auf die gesamtgesellschaftliche Tragweite hingewiesen. Hier sehen wir einerseits die bekannte Selbstüberhöhung, z. B. indem sich der ERC selbst aus der gesellschaftlichen Perspektive zu betrachten versucht (»from a societal perspective«) oder seine Bedeutung für Gesellschaft aufzeigt, nämlich rasch in neue Themen zu »investieren«, mit denen die Gesellschaft konfrontiert würde. Fraglich ist, wie es dazu kommen könnte, dass sich der ERC selbst diese Aufgabe setzt, in diese neuen Anliegen zu »investieren«. Die einzig sinnlogische Antwort würde lauten, dass durch den ERC geförderte Wissenschaftler sich dieser Aufgabe widmen müssten. Allerdings würde dies einer Bevormundung gleichkommen, da sie dem Prinzip der Organisation widerspräche, ausschließlich »investigatordriven research« zu fördern. 319 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Besonderes Augenmerk wird nun auf den unteren Rand der Website gelegt, auf dem üblicherweise ein Disclaimer oder ein Impressum erscheinen muss. Links unten befindet sich das Datum der letzten Websiteaktualisierung vom 15. April 2008, welches etwa dem Zeitpunkt von drei Monaten nach dem rechtskräftigen Beschluss zum Start des 7. Forschungsrahmenprogramms bzw. zur Gründung des ERC entspricht. Rechts daneben sind die Felder Homepage, Legal Notice und FP7 abgebildet. Klickt man auf die Legal Notice, erscheint eine Seite, die darauf hinweist, dass die Website des ERC der Europäischen Kommission gehöre, diese allerdings keinerlei Haftung für den Inhalt der Seite übernimmt. Neben den per Mausklick aufrufbaren Optionen erscheint abermals das graphisch gestaltete Logo des 7. FRP. Ganz rechts auf der Seite sehen wir die Europaflagge abgebildet. Genau zwischen diesen beiden Logos ist ein kaum lesbar zu finden: »The ERC is established by the European Commission and funded through the EU 7th Research Framework Programme.« Der eigentliche Schöpfer des Schöpfers kann also doch nicht ganz geleugnet werden, er wird aber kaum sichtbar gemacht bzw. auf Abstand gehalten. 6.7.4 Fazit zu Unterkapitel 6.7 Organisationen haben im Hinblick auf die an sie gerichteten Erwartungen in der Regel ein Problem: nämlich andere Organisationen, auf die die gleichen Erwartungen zutreffen. Diese Problematik kann sich zudem als ein Dilemma darstellen: Man darf weder radikal anders handeln noch sich den Handlungen anderer Organisationen vollständig angleichen. Insbesondere neu entstehende Organisationen müssen mit einem solchen Dilemma umgehen: Weshalb braucht man sie überhaupt, wenn andere doch bereits Grundlagenforschung fördern? Warum nicht bestehende Organisationen reformieren, sondern neue gründen? Und umgekehrt gefragt: Was nützt eine Organisation in einem institutionellem Feld, die vorgibt, radikal anders zu handeln? Im zuletzt Dargestellten konnten genau diese Probleme anhand der Selbstbeschreibungen des ERC vorgefunden werden. Von ihren politisch gerahmten und rechtlich normierten Zweckbestimmungen durch die Beschlussfassung des 7. FRP grenzte sich die Organisation klar ab. Es wäre nun auch erwartbar gewesen, dass sie sich in Bescheidenheit übt, um nicht Enttäuschungen zu evozieren, oder dass sie sich durch die Betonung von wissenschaftlichen Ziele gegenüber ihren politischen Prinzipalen abzugrenzen versucht. Nicht zuletzt hätte sie auf Erfolgsmodelle nationaler Forschungsfördereinrichtungen verweisen und daraufhin 320 KAPITELZUSAMMENFASSUNG schlichtweg fehlende Ressourcen zur Förderung von Grundlagenforschung als eigenen Existenzgrund anführen können. Stattdessen wurde ein Text vorgefunden, in dem eine Organisation vorgab, sich selbst geschaffen zu haben und auf einer Mission zu sein, die Elite der Forschung in Europa schlechterdings zu züchten. Sie wolle alle Grenzen einreißen, Hauptsache, die Besten der Besten würden gefördert. Zudem würde sie nichts von politischer Themensetzung ihres Rahmenprogramms wissen wollen, als selbsternanntes Flaggschiff könne sie es sich gar herausnehmen, die EU-Kommission wie auch alle Forschungsförderer in Europa zu kritisieren. Dabei würde sie die gesamte Forschungspolitik Europas reformieren; ab sofort sei sie der Goldstandard exzellenter Forschung für alle Personen und Organisationen in Europa. Im Vergleich zu den anderen vier analysierten Dokumenten verwendete dieser recht kurze Webseitentext wohl am stärksten Elative und Superlative, um der Selbstüberhöhung der Organisation Ausdruck zu verleihen. Hinter diesen sprachlichen Techniken steht ein soziales Problem: In seiner Suche nach Distinktion repliziert der ERC die Legitimationskrise der EU-Institutionen, allen voran der Kommission, von der er sich so mühevoll abzugrenzen versucht. Nur so scheint es möglich, einen Autoritätsanspruch geltend machen zu können und sich selbst als Selbstverwaltungseinrichtung der Wissenschaft zu inszenieren. Das legitimatorische Handlungsdefizit der EU Grundlagenforschung zu fördern, kann jedoch nicht textlich abgeschüttelt werden, denn in den Nationalstaaten sind bereits andere Organisationen anzutreffen. Das heißt: Der ERC muss auch die Legitimitätskrise der Kommission mitbearbeiten. 6.8 Kapitelzusammenfassung In diesem Kapitel wurden fünf Dokumente analysiert, die die ERC-Entstehungsgeschichte kommunikativ generierte. Diese Realitätsprotokolle sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Policy-Making entstanden und stellen unterschiedliche Texttypen dar: Untersucht wurden ein Konferenzprotokoll (November 2002), eine Kommissionmitteilung (Januar 2004), ein Expertengutachten (Februar 2005), der Rechtsbeschluss des 7. FRP (Dezember 2006) und die Selbstdarstellung des ERC (zuletzt August 2010). Die Analyse konzentrierte sich auf die Frage, welche sozialen Deutungsmuster textlich manifestiert sind, durch die der ERC (so und nicht anders) entstanden ist. Erstaunen bewirkte bei dieser Untersuchung, dass trotz der unterschiedlichen Dokumententypen immer wieder die Ausdrucksgestalt des gleichen Deutungsmusters rekonstruiert wurde. Methodologisch kann dies nicht auf die zum Teil bestehenden Querverweise der Texte zurückgeführt werden und schon gar nicht auf die 321 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK Leistungen von Akteuren – denn im Sinne der objektiven Hermeneutik steht die Ausdrucksgestalt eines jeden Textes für sich. Die Stabilität dieser Ausdrucksgestalt europäischer Politik ist auch nicht auf die Deutungsgewohnheiten von Personen zurückzuführen, die an den Interpretationssitzungen teilnahmen.186 Die Gelingensbedingungen zur Legitimierung von Grundlagenforschung auf der EU-Ebene haben sich seit dem Jahr 2000 mithin kaum geändert, grosso modo blieb die Argumentationsfigur gleich: Grundlagenforschung wurde ausschließlich im Sinne einer wirtschaftlichen Unternehmensförderung gerechtfertigt, von deren Überleben auch das Schicksal einer europäischen Gemeinschaft abhängig gemacht wurde. Einzig die Dramatik des politischen Entscheidungsproblems änderte sich – für politische Entscheidungsfindung gewöhnlich (Luhmann 2002, S. 156) war eben auch hier eine gestiegene Dramatisierung der Begründungsformeln zu beobachten: Im Zeitraum von 2002 bis 2010 übertrumpfte jeder weitere Dokumententext in seiner performativen Eindringlichkeit den vorherigen. Bei allem Nachdruck und steigender Bedeutungsschwere ging jedoch auch die inhaltliche Bestimmtheit zunehmend verloren, was nicht zuletzt der inszenatorischen Leistung durch sprachliche Simplifizierungstechnik geschuldet war. Zudem scheint es, dass im Sinne des Garbage-Can-Modells organisationaler Entscheidungsfindung (Cohen et al. 1972) sprachlich Lösungen bereitgehalten wurden, um Probleme erst konstruieren zu können. Dies war insbesondere an den unklaren Mittelund Zweckzuweisungen im Hinblick auf die soziale Konstruktion von Grundlagenforschung ablesbar. Unter unbegründeter Zuhilfenahme selektiver und zuweilen umstrittener Erkenntnisse der Wissenschaftsforschung wurde einem anscheinend sozial anerkannten Handlungsmodus der Wissenschaft – Grundlagenforschung – jegliche Distinktion abgesprochen. Das begriffspolitische Negieren jener anerkannten Unterscheidung – Grundlagen- und/oder anwendungsorientierte Forschung – schien jedoch nicht auszureichen, um unter der Hand Grundlagenforschungsförderung auf der EU-Ebene einführen zu können. Jenseits der ein- und weitergeführten Drohszenarien, der Schicksalhaftigkeit sowie der Versprechungen unmittelbar ökonomischer Gewinne musste eine Begriffspolitik kommunikativen Anschluss finden, mit der das Unsagbare metaphorisch umgangen werden konnte: Erst die Einführung der Frontier in den europapolitischen Kontext unterdrückte eine ganze Bandbreite legitimatorischer Probleme: Die assoziativ indirekte und ungewisse Nützlichkeit von Grundlagenforschung – egal ob linear 186 Die Gruppen waren personell immer unterschiedlich zusammengesetzt, zudem fanden die Interpretationssitzungen in so weiten Zeitabständen statt, dass von einer eingeschliffenen Routine keine Rede sein kann. 322 KAPITELZUSAMMENFASSUNG oder kaskadenförmig187 begriffen – konnte durch eine unmittelbare Kontaktsituation des Pionierforschers zwischen dem Ungewissen und dessen Nutznießern substituiert werden. Zugleich wurde an das Leitbild der USamerikanischen National Science Foundation Anschluss gefunden und europäische Supranationalität mit einem amerikanischen Föderalismus analogisiert, um nicht zuletzt in Europa befindliche, nationalstaatliche Förderorganisationen als nicht ausreichend kleinzureden und europäisches Regieren geostrategisch nach außen absichern zu können. Darüber hinaus zeigte sich in diesem Kapitel eine seltsame Hybridisierung von wissenschaftlichem Reflexionswissen und Forschungspolitik. So illustrierte die Ausdrucksgestalt des Expertenberichts Frontier Research – The European Challenge eine Grenzverschwimmung sozialwissenschaftlichen Reflexionswissens und forschungspolitischer Selbstlegitimation auf der EU-Ebene. Die Verantwortung für die Berichterstellung wies die Kommission von sich, obwohl sie hierdurch, d. h. nach dem Augenschein der Wissenschaftlichkeit (Experten) neue Kompetenzen erlangen wollte, was wiederum nur auf ihre prekäre institutionelle Verfasstheit zurückgeführt wurde: Europäische Integration in der Grundlagenforschung, so scheint es, konnte selbst noch im Jahr 2005 nur auf dem »Leisepedal« gespielt werden. Umso lautstarker erschien dann wiederum die Selbstbeschreibung des ERC. Während alle anderen Dokumente noch Teil des politischen Entstehungsprozesses bis zum Rechtsbeschluss des 7. FRP waren und die oben genannten, marktlichen und geostrategischen Begründungsformeln europäischen Regierens immer weiter zugespitzt worden sind, überraschte die Abgrenzung des ERC gegenüber seinen Programmeignern ebenso wie die Selbstüberhöhung einer erst neu gegründeten Organisation. Man hätte auch erwarten können, dass sich die Organisation nunmehr nach ihrer Etablierung in Bescheidenheit übt. Die untersuchte Selbstdarstellung des ERC wirkt jedoch geradezu arrogant, seine organisationale boundary work gegenüber allen anderen Forschungsförderorganisationen seltsam: Einerseits grenzte sich die Organisation von der Kommission, wie auch von anderen Wissenschaftsorganisationen mit ihrem gesamteuropäischen Führungsanspruch ab. Gleichzeitig aber führte sie die Begründungsformeln 187 Das lineare Innovationsmodell zeichne sich, so Martin Carrier (2010, S. 24ff.) v. a. durch eine zeitliche Sequentialität aus, das Kaskadenmodell durch das substantielle Fortlaufen wissenschaftlicher Erkenntnis in die Verwertung. Was Wissenschaftsphilosophen und Innovationsökonomen (vgl. Rosenberg 1994) anscheinend missachten, ist die metaphorische Wirkung dieser Modelle auf Akteure. Ob das lineare Innovationsmodell tot oder das Kaskadenmodell immer schon eher des Pudels Kern gewesen sei, scheint angesichts der Verwendung oder Ablehnung dieser sprachlichen Figuren soziologisch weniger relevant zu sein (vgl. Kaldewey 2013, S. 371ff.). 323 SOZIALE DEUTUNGSMUSTER DER EU-FORSCHUNGSPOLITIK der Selbstbehauptung einer anscheinend demokratisch nicht-gefestigten Europäischen Union fort. 324 7. Fazit und Ausblick Anliegen dieser Arbeit ist es gewesen, die Entstehung des Europäischen Forschungsrates zu untersuchen. Bereits die Governance-Struktur des ERC verwies auf einen sozialen Konflikt, der aus unvereinbaren, wissenschaftlichen und politischen Erwartungen resultierte. Die Spannungen wurden einerseits auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik zurückgeführt, andererseits auf jenes zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission. Ein genauerer Blick auf die Selbstbeschreibung des ERC offenbarte eine für wissenschaftspolitische Kontexte in Europa unübliche Sprache. Sie fand Anwendung, damit das oben benannte zweifache Dilemma unterdrückt werden konnte: das der Nützlichkeit wissenschaftlich frei bestimmter Forschung und jenes der Nützlichkeit supranationaler Europapolitik. Die Fokussierung auf Sprache führte zu einer konstruktivistischen und sinnverstehenden Theorieanlage der Analyse. Es ist betont worden, dass Selbst- und Fremdbeschreibungen der Wissenschaft und der Politik nicht bloß Gerede sind, sondern den Dingen – manifesten wie abstrakten – erst ihre spezifische Bedeutung verleihen. Andere Bedeutungen werden für den Moment der Kommunikation sinnhaft ausgeschlossen, neue Möglichkeiten des Sinnbezugs wiederum eröffnet. Sprache und ihre Bedeutung fallen jedoch nicht einfach vom Himmel. Sie sind Ausdruck historisch gewachsener, sozialer Erwartungen und folgen generativen Regeln, aus denen wiederum eine Fülle neuer Begriffe erzeugt werden können. Entsprechend wurden die eigentümliche Sprache und ihre Strukturwirksamkeit für den Entstehungsprozess des ERC nicht nur als Ausdruck einer akuten, krisenbewältigenden Lebenspraxis (Deutungsmuster) europäischen und wissenschaftspolitischen Regierens rekonstruiert; sie wurde auch auf historisch gewachsene, soziale Institutionen zurückgeführt. Zunächst wurde also eine Geschichte der sozialen und politischen Institutionen trans- und supranationaler F&T-Politik ausgebreitet. Durch sie sollte illustriert werden, dass sich die kollektiven Erwartungen in Europa frühzeitig, d. h. spätestens seit Anfang der 1970er-Jahre, zwischen einer transnationalen und einer supranationalen Forschungs- und Forschungsförderung ausdifferenziert hatten: Zwischenstaatlich gegründete Organisationen konnten durchaus und bereits früh Grundlagenforschung betreiben oder fördern, so z. B. in der Teilchenphysik (CERN) und der Molekularbiologie (EMBL). Die Erwartungen an die supranationale Forschungsförderung der Kommission hingegen verengten sich auf Maßnahmen, die einen konkreten Mehrwert in den nationalen Volkswirtschaften der EG erbringen sollten. Zu lösende Energieproduktionsengpässe erweiterten zwar zunächst das Handlungsmandat der 325 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES Kommission, jedoch wurde sie rasch in die Förderung indirekter und wirtschaftlich relevanter F&T-Maßnahmen gedrängt, die lediglich ein Anhängsel für die F&T-Politiken der EG-Mitgliedstaaten darstellten. Nicht einmal eine nationale Koordinierung in F&T konnte die Kommission erwirken. Die Einengung ihrer geförderten Forschungsmaßnahmen auf das Ziel, wirtschaftliches Wachstum nationaler Volkswirtschaften innerhalb einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anzukurbeln, stellt somit eine sich früh stabilisierende Erwartung dar. Durch die Aufnahme teils strukturschwacher Staaten in die EG – und schließlich in die EU – sollte zudem ein Gemeinschaftsideal technokratisch in Form der Verbundforschung eingeübt werden. Im Zuge des europäischen Binnenmarktprojektes wurde das mit der Verbundforschung hinterlegte Leitbild einer politischen Gemeinschaft abermals von einer marktorientierten und wettbewerblichen Orientierung in F&E überwölbt: Die Erwartungen, durch die supranational geförderte F&E der Kommission einen wirtschaftlichen Nutzen zu haben, indem jeder Einzelne innerhalb eines Verbundprojektes kosteneffizienter forschen und entwickeln und vom Know-how der Anderen profitieren könne, stabilisierten sich. Hinzu kommt, das diese sozialen Erwartungen durch die Vorstellung gestärkt wurden, Europa müsse sich geostrategisch gegenüber Konkurrenzregionen abschirmen; die seit Ende der 1960er-Jahre befürchtete »Technologische Lücke« wurde zu einer wissenschaftlich-technologischen Lücke ausgeweitet. Unter diesen institutionellen Voraussetzungen wurde in Kapitel 5 der Policy-Entstehungsprozess des ERC im Zeitraum von 1994 bis 2007 rekonstruiert. Dieser Prozess begann also weit wesentlich früher, als dies von der Organisation des ERC und der Kommission dargestellt wird. Als Auslöser der ERC-Initiative konnte zunächst eine im Akteursspektrum der molekularbiologischen Lebenswissenschaften1 verortete Kritik an den eben skizzierten Erwartungen an die EU-Forschungspolitik dingfest gemacht werden. Massiv beklagt wurde, dass die EU-Forschungsrahmenprogramme hauptsächlich außerwissenschaftlichen Zielen dienten und kaum mehr wissenschaftliche Freiheiten in der Zielsetzung und Mittelverwendung von Forschungsvorhaben zuließen. Kurzum: Forschungsförderung aus Brüssel einzuwerben war – und ist zum Teil noch – ein äußerst mühsames und zuweilen ärgerliches Geschäft2, ähnliches gilt für die konkrete Projektabwicklung, das Einhalten der starr bürokratischen 1 Die vorgegeben »radikale Vision« (Breithaupt 2003, S. 337) der Lebenswissenschaftler in den 1990er-Jahren, endlich so etwas wie eine föderalistisch orientierte Science Foundation der EU gründen zu wollen, entpuppte sich – wenig überraschend – als eine boundary work zur Einwerbung möglichst zweckfrei verwendbarer Forschungsdrittmittel. 2 Deshalb haben auch so viele öffentliche und private F&E-Einrichtungen Dependancen in Brüssel aufgebaut, um Antrags- und Projektmanagementberatung für 326 FAZIT UND AUSBLICK Arbeitspläne und Verwertungsabsichten, was den Prinzipien erkenntnis- bzw. zufallsoffener Grundlagenforschung widerspricht. Die bereits Mitte der 1990er-Jahre vereinzelte und unorganisiert geäußerte Kritik formierte und vergrößerte sich zu einer Interessengemeinschaft bzw. Diskurskoalition. Die Initiatoren etablierten ein Sekretariat, organisierten Konferenzen und bekamen zunehmend mediale Unterstützung durch angesehene Fachzeitschriften und Persönlichkeiten. Konkret wurde nun ein ERC mit dem Ziel einer wissenschaftlich selbstbestimmten und international ausreichenden Finanzierung von Grundlagenforschung gefordert – das Hauptargument hieß zunächst nur: Forschung ermöglichen, die nicht an wirtschaftliche und politische Nützlichkeitserwägungen hing, und ihre Qualität einzig durch wissenschaftliche Fachgutachter sichern. Dem wurden Begründungen nachgelagert, die entweder im Sinne des linearen Innovationsmodells argumentierten und somit die mittelbare Relevanz von Grundlagenforschungserkenntnissen betonten, die Unterscheidung von Grundlagen- und angewandter Forschung negierten oder die die glücklichen Zufälle (»serendipity«) wissenschaftlicher Arbeiten betonten. Im Verlauf des Policy-Prozesses, v. a. des Agenda-Setting, selektierte der EU-Diskurs einzig die wirtschaftlich und geostrategisch relevanten Gründe zur Förderung von Grundlagenforschung, was sich gut mit der Lissabonner Wachstumsagenda und dem Leitbild des Europäischen Forschungsraums verknüpfen ließ. Das Paradoxe an diesem Policy-Prozess scheint also, dass eben jene Gründe zur Legitimation Eingang fanden, gegen die zu Anfang des Policy-Prozesses argumentiert worden war. Einmal eingeschlagen, änderten sich die Begründungsformeln der EU-Forschungspolitik im Hinblick auf die Entstehung des ERC in einem Zeitraum von sechs Jahren kaum. Bereits auf der ersten offiziellen Konferenz von Kopenhagen zur Frage des ERC wurden die wirtschaftlich ausgerichteten Ziele anderen, bspw. normativen Argumenten freier Wissenschaft, buchstäblich vorgeschoben. Lediglich punktuell, jedoch weit hintangestellt, konnte »ein Aufbrechen dieser Sinnordnungen, ein Aufbrechen, dem selbst nicht der Charakter der dramatischen Aberration, sondern der Normalität von Bedeutungsüberschüssen zukommt« (Reckwitz 2006, S. 342), beobachtet werden. Hie und da tauchten zwar Begriffe wie Kreativität, wissenschaftliche Selbstbestimmtheit, Forschungsfreiheit und dergleichen auf, jedoch »normalisierte« sie ein europapolitischer Diskurs, der anscheinend kaum über Alternativen verfügte. In diesem Policy-Prozess schien die Erzählstruktur also nur dann erfolgreich zu sein, wenn sie der Chimäre eines geostrategischen Sicherheitsverständnisses (Abschottung durch den Europäischen Forschungsraum) Universitäten, Forschungsinstitute und Firmen anzubieten oder deren Interessen gegenüber der Generaldirektion Forschung zu vertreten. 327 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES und einer Prosperitätsidentität (Marktimperativ der EU) folgen würde. Der EU-Diskurs ließ kaum Narrative jenseits der auf nationalökonomische territorialsichernde Zwecke (z. B. Borg und Diez 2016, S. 147) ausgerichteten Forschungspolitik zu. Gleichwohl konnten nicht schlichtweg dieselben Begriffe und deren Begründungsmuster verwendet werden, wie sie in nationalen Forschungspolitiken (vgl. Guston und Keniston 1994) gebräuchlich sind; radikal anders als national gewohnte Begründungen durften sie aber auch nicht sein. Dieses Oszillieren zwischen Abgrenzung und Angleichung (Tömmel 2001) kennzeichnet ein zentrales Dilemma der Kommission. Es repliziert einen typisch ökonomisch geprägten Fortschrittsdiskurs der Moderne, verengt diesen jedoch (z. B. Beck und Grande 2007, S. 69) auf die rechtlich normierten Formeln der Subsidiarität und des Mehrwerts für den EU-Binnenmarkt. Wenn bereits nationalstaatliche Politik an die Wissenschaft ökonomische – und notorisch zweitrangig: gesellschaftliche – Nützlichkeitsanforderungen stellt (vgl. Wilholt 2012)3, so gilt dies verstärkt für die EU-Ebene. Denn hier muss die Kommission wiederum ihre Nützlichkeit gegenüber den Mitgliedstaaten darstellen. Im Hinblick auf die Entstehung des ERC als Einrichtung zur Förderung von wissenschaftlich selbstbezüglicher Grundlagenforschung hatte dies zur Konsequenz, dass die in nationalen Innovationssystemen üblichen Begriffe rund um die Narrative linearer oder kaskadenförmig verlaufender Innovationen verändert werden mussten. Während gängige Modelle der Grundlagenforschung eine nur indirekte oder geringe Bedeutung für Innovation (vgl. Fagerberg 2005, S. 8–10) beimaßen, wurde für den ERC der Begriff der »Frontier Research« (»Pionierforschung«) in den europapolitischen Kontext neu eingeführt und diskursiv gestärkt (Harris 2005). Das Narrativ betonte den unmittelbaren Nutzen wagemutiger und wettbewerbsgestählter Einzelgänger, an denen das Wohl der gesamten europäischen Gemeinschaft hängen würde. Semantisch konnte somit eine Reihe von Legitimationsproblemen bearbeitet werden. Erstens und simpel: Da Grundlagenforschung bereits in den europäischen Nationalstaaten gefördert wird, sollte und konnte die neue Metapher 3 Es mag Ausnahmen geben: So z. B. können die gut situierte Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft ihre Förderungen durchaus normativ an Prinzipien wissenschaftlicher Freiheit binden, allerdings blicken sie auf eine bewegte Geschichte zurück und sind Organisationen einer der weltweit reichsten Volkswirtschaften, die ihnen dies erst erlaubt. Hingegen genügt bereits ein Blick über den ärmelkanal, um Forderungen nach stark ökonomischen und sozialen Zweckbindungen von Forschungsvorhaben in den Antragsformularen der Britischen Research Councils zu entdecken. Und zweckfrei wissenschaftliche Grundlagen an einer süd- und osteuropäischen Universität erforschen zu können, scheint vielen dort beheimateten Wissenschaftlern finanziell kaum möglich zu sein (stellvertr. für viele; Ackers und Gill 2009, S. 187ff.). 328 FAZIT UND AUSBLICK – Frontier Research als Substitut für Grundlagenforschung – die Subsidiaritätshürde umgehen. Zweitens und etwas komplexer: Die sequentielle Abfolge unterschiedlicher Forschungs- und Entwicklungsmodi innerhalb des linearen Innovationsmodells – Grundlagenforschung, angewandte Forschung, Entwicklung, Marktdiffusion – ist teils wissenschaftlich bestritten4 und teils sinnhaft auf einen Antagonismus reduziert worden (vgl. Flink und Kaldewey 2016).5 Anwendungsorientierte Forschung folgt nicht mehr bloß der Grundlagenforschung, sie desavouiert diese mitunter auch als unnützes, verschwenderisches oder zumindest als unberechenbares Unterfangen; im schlimmsten Fall gilt Grundlagenforschung als eine die gesellschaftlichen Probleme ignorierende Freizeitbeschäftigung selbstgefälliger Wissenschaftler (bspw. Calvert 2006). Die Vorstellung einer anwendungsorientierten Forschung scheint aber ebenso in Verruf geraten zu sein, da mit ihr ein zu starker politischer oder wirtschaftlicher Einfluss auf die Inhalte6 wissenschaftlicher Forschung in Verbindung gebracht wurde; um diese Erwartung zu nähren, standen die EU-Forschungsrahmenprogramme jahrelang Modell. Damit konnte sich der Policy-Prozess hin zu einem ERC auch nicht auf neuere Beschreibungen des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft stützen, wie sie seit den 1990er-Jahren in der Wissenschafts- und Innovationsforschung beobachtet und teilweise mitproduziert werden. Die Frontier-Metapher – und dies ist ein zentraler Befund der Arbeit – brauchte also erst gar nicht explizit auf lineare oder kaskadenförmige Innovationsmodelle Bezug nehmen – auch nicht in Abgrenzung. Ihre soziale Wirkung entfaltete Frontier Research eben nicht als eine Art »use-inspired basic research« (Stokes 1997, S. 112). Und schon gar nicht musste Frontier Research als Ausdruck einer sozialen Forderung nach einem entdifferenzierten Verhältnis zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft herhalten.7 Es 4 Das lineare Innovationsmodell und die Leitunterscheidung zwischen Grundlagenund anwendungsorientierter Forschung für tot zu erklären (unvermeidlich; Rosenberg 1991, S. 335), ist mittlerweile zu einem billigen Ritual verkommen (vgl. Balconi et al. 2010; Mirowski 2011, S. 47). 5 Die immer noch stark ausgeprägte Denkweise in den Kategorien des linearen Innovationsmodells mag der Tatsache geschuldet sein, dass seine einzelnen Komponenten als soziale Tatsachen immer wieder aufs Neue gedeutet werden müssen; mitverhandelt wird, insbesondere über den Begriff der Grundlagenforschung, also die (Un-)abhängigkeit der Wissenschaft von der Gesellschaft (ebd.). 6 Der Titel des Dossiers in der Wochenzeitung Die Zeit »Die gekaufte Wissenschaft« spricht für sich; siehe http://www.zeit.de/2013/32/gekaufte-wissenschaft (zuletzt aufgerufen; 11.09.2015). 7 Hier wird die Wissenschaft als post-normal (Funtowicz und Ravetz 1993; Funtowicz 2001), post-modern (Rip und van der Meulen 1996), post-akademisch (Ziman 2000), im zweiten Modus der Wissensproduktion (Gibbons et al. 1994) oder gar im dritten Modus eines Quadrupel- und Quintupel-Helix-umwobenen 329 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES mag sein, dass Frontier Research implizit auf neueren Ansichten der Wissenschaftsforschung über das vorgegeben entdifferenzierte Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft hie und da Bezug nahm. Allerdings scheinen diese Referenzen zunächst performativer Funktion gewesen zu sein, um Politik gestalten zu können. Nicht zuletzt deshalb scheinen Personen aus der Innovations- und Wissenschaftsforschung in den Politikprozess involviert gewesen zu sein (z. B. Nedeva et al. 2003; Krull und Nowotny 2004; Harris 2005; Nowotny 2006).8 Dies wirft auch Fragen über die gemeinsame Produktion eines Herrschaftswissens durch politische Regime und der Wissenschaftsforschung auf (Torka 2015, S. 18ff.). So zeigt die Involvierung von Wissenschaftsforschern in den Politikentstehungsprozess des ERC, wie diese eine opake Expertenfunktion ausfüllen (Collins und Evans 2002, S. 240): als Analysten, die das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft untersuchen und zugleich als Akteure, die die »wissenschaftspolitischen Programmatiken zur Gestaltung dieser Beziehung« (Torka 2015, S. 22) mitbestimmen oder zumindest meinen, hierzu in der Lage zu sein. Paradoxerweise wurde also der ERC mit dem Prinzip der wissenschaftlich selbstbestimmten Grundlagenforschung implizit durch eine Reihe von Wissenschafts- und Innovationsforschern gestützt, die ein entdifferenziertes Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft herbeisehnen und eine sozial robuste, nutzerorientierte Forschung fordern. Dies mag aber vielleicht noch nicht einmal problematisch sein, immerhin konnte hierdurch in Brüssel das Prinzip wissenschaftlicher Selbstverwaltung erkämpft werden. Problematisch scheinen eher zwei weitere Fragen zu sein. Erstens: ob mit der semantisch exklusiven Zurichtung des ERC auf »Exzellenz« und »Frontier« nicht Versprechungen über die Wissenschaft gemacht werden, Innovationsumfelds beschrieben (tatsächlich ernstgemeint; Carayannis und Campbell 2012) und normativ eine sozial robuste (Nowotny 2003) und nutzerorientierte (Edler und Georghiou 2007) Forschung für gut befunden. 8 So z. B. kann die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny ihre Modus-2-These einer nunmehr an wissenschaftsexterner Validität ausgerichteten Wissensproduktion (Gibbons et al. 1994) mühelos mit der Semantik der Frontier Research und dem ERC als Grundlagenforschungsförderorganisation vereinbaren. Ihre im Journal of Science Communication erschienene Hommage (Nowotny 2006) auf den kurz zuvor verstorbenen Wissenschaftsforscher John Ziman und sein Buch Real Science: What It Is and What It Means (2000) wirkt auf den ersten Blick für Außenstehende angesichts des starken Werbeelements für den damals zu begründenden ERC recht seltsam. Die Wissenschaftsforscherin und damalige ERC-Präsidentin fragt gleich im ersten Satz, »what would John have made of the European Research Council?« In den folgenden Absätzen argumentiert sie, Frontier Research produziere sowohl sozial robustes als auch wissenschaftlich valides Wissen und würde mithin Zimans Sorge vor einer Entakademisierung der Wissenschaft ausräumen können. Einzig entscheidend sei der Wettbewerb unter Forschern, der erst zu exzellenten Forschungsergebnissen führe. 330 FAZIT UND AUSBLICK die diese nicht einzuhalten imstande ist. Die Annahme, eine Organisation würde einzig »teams of the highest level of excellence«« fördern, die es schaffen, einen »revolutionary breakthrough« (Harris 2005) nach dem anderen zu erreichen, mag falsche Erwartungshaltungen an die Wissenschaft nähren. Nicht umsonst forderten jüngst die acatech, die Leopoldina und die Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften in einer gemeinsamen Stellungnahme eine neue Sachlichkeit in der Darstellung von Forschungsvorhaben und -ergebnissen (acatech et al. 2014): Medial verstärktes »Heureka!«-Geschrei führt notwendigerweise zu Enttäuschungen. Zweitens fragt sich: bis zu welchem Härtegrad kann und will die – wenngleich idealisierte – Wissenschaftsgemeinschaft den Wettbewerbsgedanken mittragen, wie ihn der ERC verherrlicht? Dass einige Wissenschaftler und Forschungsorganisationen einen verstärkten Stratifizierungskurs unterstützen, scheint unbestritten. Aber diese Entwicklung ist nicht mit einem originären Wettbewerbsgedanken um wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermischen, sondern Ausdruck veränderter Rahmenbedingungen, wie der Finanzknappheit für Organisationen und Personen (Ferlie et al. 2008, S. 334), dem massiven Anstieg wissenschaftlichen Outputs und mithin dem möglichen Relevanzverlust individueller Beiträge durch sinkende Aufmerksamkeit bzw. Aufnahmefähigkeit (de Solla Price 1974), was wiederum zu sinkender Anerkennung führen kann. In der Konsequenz wird offensichtlich durch den ERC (Kap. 6.6) das »immer schon gegebene Reputationsstreben in der scientific community« (Schimank 2010, S. 235) europa- und weltweit geschürt, es »geht also in immer schärfere Ressourcenkonkurrenz über. Wer kann wo veröffentlichen, wirbt wie viele Drittmittel ein und bekommt welche Stellen mit welcher Ausstattung und welchem Einkommen angeboten?« (ebd.). Uwe Schimank könnte prinzipiell entgegnet werden, dass dem ERC doch ein faires Peer-Review-System eingeschrieben worden sei, in dem nicht nur die bisherigen Leistungen (übersetzt: die Reputation) des Antragstellers, sondern auch dessen vorgeschlagene Idee begutachtet werden. Doch erstens werden Zweifel an den Bewertungspraktiken des Peer Reviews im Sinne einer wissenschaftlichen Qualitätsverbesserung gehegt (z. B. Hirschauer 2004; Lamont et al. 2006; Reinhart 2012, S. 191ff.). Zweitens ist beobachtet worden, dass Peer Review zunehmend als Mittel für ein Scheingeschäft (»collusion«) dient: Für die Wissenschaft mag diese Bewertungspraxis für Qualität stehen, doch heiligt sie auch eine politisch organisierte Rationalisierung ihrer verfügbaren Ressourcen (Musselin 2013, S. 1169–1171), von der lediglich eine Elite innerhalb der Profession profitieren kann (bezogen auf den ERC; hierzu jüngst Gengnagel et al. 2016, S. 73–76). Marc Torka (2015, S. 32) hält dagegen, der hinterlegte Wettbewerb sei zwar als »Kontingenzformel […] ubiquitär institutionalisiert. Als solche determiniert sie aber nicht die Antworten von Wissenschaftlern, die in verschiedenen Handlungssituationen 331 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES in ihren Sog geraten«, zumindest sei dies bis dato empirisch nicht eindeutig belastbar (ebd.). Vor diesem Hintergrund könnte eine weitere Erforschung der Organisation des ERC und seiner geförderten Wissenschaftler aufschlussreich sein. Gehen, mit anderen Worten, die Semantiken des ERC, sei es Frontier Research, Exzellenz, Wettbewerb, Proof of Concept und dergleichen als Praxisdiskurse in Fleisch und Blut der Professionsangehörigen über? Erleben wir bald wirklich einen neuen Ordnungsanspruch (Gengnagel et al. 2016) ERC-geförderter Exzellenzen, ist »boundary work« identitätsbildend (Kaldewey 2013), und wenn ja: gegen wen würde die Abgrenzung erfolgen? Welche Auswirkungen würde also der Exzellenzexzess des ERC auf den Zusammenhalt der Profession Wissenschaft haben, die ohnehin mit starken, außerwissenschaftlichen Nützlichkeitsanforderungen zu kämpfen hat und immer stärkeren Kontrolltechniken ausgesetzt ist (Heintz 2008; Sauder und Espeland 2009; Biester und Flink 2015)? Zurück zur Frage der Sprachspiele. Ausgehend von der Beobachtung der aus den USA importierten Frontier-Metapher zur Legitimation des ERC steht die Frage im Raum: Brauchen nicht-staatliche Regime alternative Selbstbeschreibungen? Bereits die OECD musste in den 1960erJahren mit dem so genannten linearen Innovationsmodell einen neuen und einhelligen Begriff erfinden, mit dem sie sich schließlich ihre institutionelle Akzeptanz gegenüber den Nationalstaaten sichern konnte (Godin 2006b). Die Semantik des linearen Innovationsmodells beruhte ja auf der Leitunterscheidung nationalstaatlicher Forschungspolitik in Form von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung, hauchte ihr aber eine andere und zwar eine kausale Innovationsgeschichte ein, während zuvor in nationalstaatlichen Kontexten mühevoll um glückliche Zufälle aus der Grundlagenforschung argumentiert werden musste (vgl. Knie und Lengwiler 2008). ähnlich die Geschichte in dieser Arbeit: Der EU-Diskurs musste sich mit der Frontier eine US-amerikanische Semantik entleihen, damit die politischen Kompetenzen der EU, ihr institutionell ungefestigtes Regime also, ausgedehnt werden konnten. Die hierdurch geäußerte europäische Sehnsucht, irgendwie amerikanisch sein zu wollen, spielt zwar vordergründig auf die dortigen, üppig finanzierten Elite-Universitäten an (hierzu kritisch; Schreiterer 2009), auf die zahlreichen Nobelpreise, die Wissenschaftler in den USA erhalten, oder auch auf die damals finanziell gut ausgestattete National Science Foundation und die National Institutes of Health. Womöglich steckt aber mehr dahinter, und zwar ein Appell an das verlorengegangene Leitbild einer föderalistischen Europäischen Union, die eben auch eine Art bundesstaatliche Forschungsförderorganisation braucht. In jedem Fall heroisiert die Frontier eine Art pragmatisch-amerikanischen Nomos, der im europäischen Kontext eigentlich brutal anmutet, auch wenn die damit assoziierte »Landnahme […] nach Außen (gegenüber anderen Völkern) und nach 332 FAZIT UND AUSBLICK Innen (für die Boden- und Eigentumsordnung innerhalb eines Landes) [den] Ur-Typus eines konstituierenden Rechtsvorganges« (Schmitt 1950, S. 17) einst dargestellt haben mag. Der EU-Diskurs selektierte offenbar allein das mit der Frontier begründete Aufbruchsmoment, das Pionierhafte, um sich gegenüber den gewohnten Selbstbeschreibungen nationaler F&T-Politik in Europa abgrenzen zu können. Womöglich unbewusst wird damit aber auch ein quasi-fatalistisches liberales Prinzip amerikanischer Provenienz mit importiert, dass es an der Frontier und im Exzellenzwettbewerb notwendigerweise wenige Gewinner und viele Verlierer geben wird (Osterhammel 2010, S. 465). Das pathologische an den Metaphern ist ihre dezidierte Abkehr vom Zusammenhalt: »[S]eparation and conflict are envisioned as necessary precursors to progress« (Ceccarelli 2013, S. 4). Problematisch ist, dass in Europa jener Fortschritt (»progress«) – politisch wie ökonomisch – ins Stocken geraten ist. Die fetten Jahre der Integration sind wohl zunächst vorbei, europäisches Regieren ist von Wirtschafts- und Finanzkrisen gezeichnet, ihre Auswirkungen zeigen sich in fataler Weise an einer neuen nationalterritorialen Angst (Borg und Diez 2016), am Rechtspopulismus und anderen Formen des Extremismus und schließlich an den Abspaltungsbestrebungen. Auch die Begriffspolitik der EU-Forschungspolitik scheint hierauf zu reagieren, und dies – wieder einmal – in irrwitziger Weise unter Rückgriff auf eine in den USA populäre Metapher: Im Jahr 2009 rief die EU zur Bewältigung der so genannten »Societal Challenges« für Europa auf, die förderprogrammatisch Eingang in das 8. Forschungsrahmenprogramm (»Horizon 2020«) fanden (Flink und Kaldewey 2016). Um gesellschaftliche Großprobleme zu lösen, so das Versprechen dieser Semantik, müssen Interessen privater und öffentlicher Akteure überbrückt und insbesondere nationale Grenzen überwunden werden, jeder Bürger könne und müsse sich gar an der Bewältigung der großgesellschaftlichen Herausforderungen beteiligen. Die Wissenschaft wird hierbei als responsiv idealisiert, d. h. Problemlagen antizipierend, sozialverantwortlich und inter- sowie transdisziplinär. (Kaldewey et al. 2015; vgl. Matthies et al. 2015). Im Hinblick auf weitere Forschungsfragen könnte daher interessieren, inwieweit die Semantik der Grand Challenges als schützende9 Klammer vor die Forschungsförderung der nunmehr krisengeschüttelten EU gezogen wird, die gerade erst mit dem ERC das Prinzip eines harten Drittmittelwettbewerbs eingegangen war, sich also auch offen zu einer Selektion 9 Mitchell Young (2013) deutet die Auslobung der Grand Challenges in Horizon 2020 dahingehend, dass die EU-Kommission einerseits offen, das heißt ohne Vorschreibungen an die wirtschaftlich krisengebeutelten Staaten und andererseits sozialverträglich und bürgernah den Imperativ des Binnenmarktes und der exzellenzbedingten Stratifikation weiter fortschreiben könne. 333 DIE ENTSTEHUNG DES EUROPäISCHEN FORSCHUNGSRATES weniger Gewinner gegenüber vielen Verlierern bekennt. Insofern scheint die Kommission eine neue Geschichte erzählen, ja einen »break from the past« (Commission 2011, S. 2) begründen zu müssen. Durch die Semantik der Grand Challenges muss insbesondere in Aussicht gestellt werden können, dass prinzipiell alle gesellschaftlichen Großprobleme lösbar seien. ähnlich wie im Sport wird versprochen, dass nicht-triviale Ziele einzig durch genügend Anstrengungen erreicht werden könnten. Zudem scheinen Grand Challenges, seien sie im Gesundheits-, im Klima-, Demographie- und Energiebereich zu verorten, mit den Beobachtungen bzw. normativen Forderungen der neueren Wissenschaftsforschung hervorragend zu korrespondieren, denn diese fordert ja eine gesellschaftlich eingebettete und sozial verantwortliche Wissenschaft. Daher wird das Konzept der Grand Challenges auch diskursiv durch eine weitere Begründungsformel abgesichert, der »Responsible Research and Innovation« (z. B. Stilgoe et al. 2013; von Schomberg 2013), die sich ihrerseits semantisch zu erforschen lohnen würde. Die EU erlebt derzeitig also eine seltsame Differenzierung ihres forschungspolitischen Diskurses. Grand Challenges stehen neben dem Programm der »excellent science«, worunter nun der ERC fällt, und neben dem Ziel eines globalen, »industriellen Führungsanspruchs« (Commission 2011, S. 5ff.; Kaldewey et al. 2015, S. 18). Dieses Nebeneinander mag einerseits die Pfadabhängigkeit der historisch gewachsenen und neu etablierten Strukturen erklären. Möglich wäre aber auch, dass Grand Challenges lediglich ein (weiteres) Feigenblatt darstellen. Dieser Lesart zufolge könnte dann, wie gehabt, Verbundforschung, Mobilitätsmaßnahmen und der ERC gefördert, jedoch für die Verlierer der EU-Forschungsförderung auch eine Strukturförderung bereitgehalten werden, ohne in den Verruf zu geraten, ihnen eine »affirmative action« anzubieten. Die Vermutung ist, dass gesellschaftliche Inklusion (Bürgerbeteiligung) nicht ernstgemeint, sondern lediglich zur Unterstützung des Marktimperativs beteuert wird, so wie bereits in der EU-Förderung von Biotechnologie in den 1990er-Jahren. Dies alles sind offene und zu erörternde empirische Vermutungen, die bereits ein Blick auf die verwendete Sprache in den Dokumenten aufwirft. Solange die EU keine echte politische Gemeinschaft darstellt und ihre Institutionen immer nur reflexartig auf nationale Egoismen (Menasse 2012) und einen Marktimperativ (Guérot 2016) reagieren können, sind die in dieser Arbeit untersuchten, seltsamen Metaphern wohl vorprogrammiert. Sie und ihre möglichen Auswirkungen auf das Verhältnis der Wissenschaft zu ihrer Umwelt werden zu klären sein. 334 Literaturverzeichnis Abbott, Alison (1994): European research heads move to sharpen their talons. In: Nature 372 (6504), S. 306. Abbott, Alison (1995a): Brussels bids for Framework ›top-up‹ funds. In: Nature 377 (6551), S. 666. Abbott, Alison (1995b): EMBO seeks stronger voice on policy. In: Nature 377 (6551), S. 666. Abbott, Alison (1996): Brussels urged to back more basic science. In: Nature 381 (6579), S. 180. 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