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Das Herz des Sultans

Das Herz des Sultans In Ungarn haben Archäologen möglicherweise einen spektakulären Fund gemacht: die Todesstätte von Sultan Süleyman, genannt «der Prächtige». Er wollte 1566 nach Wien, kam aber nur bis Szigetvár. Von Boris Kálnoky Im Garten eines Kelterhauses auf einem Weinberg in Südungarn steht ein grob gehauener Tisch, darauf Salami, Paprika, Wein und Pálinka (Obstler), das Nationalgetränk der Ungarn. Selbstgebrannt von Pál Fodor, der das geisteswissenschaftliche Forschungszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften leitet. Mit seinen halblangen weissen Haaren und seinem Schnauzer steht der Professor da wie eine Figur aus der ungarischen Vergangenheit und schenkt allen reihum ein. Gefördert von seinem Institut, wird hier seit Monaten nach etwas ganz Besonderem gesucht. Man hofft offenbar, es gefunden zu haben: Es wimmelt von Gelehrten, die fröhlich anstossen. Man gratuliert sich gegenseitig. Weiter hinten ragen die Köpfe von Feldarchäologen aus dem Boden. Hier ist der Fundort, da wird gemessen, dokumentiert, werden Proben entnommen für die Laboranalyse. Mauerreste sind zu sehen, die bis vor weni gen Wochen unter den Reben schlummerten. Wenn der Fund so gross ist wie die Hoffnung der Forscher, dann ist er sehr gross: die Todesstätte von Sultan Süleyman, den selbst seine Feinde «den Prächtigen» nannten. Noch ist aber nicht sicher, ob dies wirklich die Überreste der «Türbe» sind, des Mausoleums, das im späten 16. Jahrhundert an dem Ort errichtet wurde, an dem der Sultan starb. hatte das Osmanische Reich zu nie dagewesener Grösse geführt. Seine Eroberungen in Europa, im Nahen Osten und in Nordafrika schienen die Türken zur Weltherrschaft zu bestimmen. Rhodos, Teile Persiens, Nordafrika bis hin zum heutigen Algerien, weite Teile Südosteuropas waren unterworfen. Seine Flotten beherrschten das Mittelmeer. Seine umsichtigen Gesetze stärkten den inneren Zusammenhalt des Reiches. Die Künste erlebten unter seiner Patronage ein goldenes Zeitalter. Schutz und Segen von Maria Was er nicht sehen konnte, war die Zukunft: Nach ihm kam zunächst Stagnation, dann Niedergang. Mächtiger, als er es gemacht hatte, würde das Reich nie mehr werden. Das Königreich der Magyaren hatte er 1526 in der Schlacht bei Mohács zerstört, aber Ungarn war immer umkämpft geblieben und jetzt, vierzig Jahre später, auf seinem bereits siebten ungarischen Feldzug, schlugen seine Truppen sich immer noch mit den renitenten Magyaren herum. Nur 2300 Kroaten und Ungarn hielten seine Armee von bis zu 100 000 Mann seit Wochen auf und verhinderten damit eine eigentlich geplante weitere Belagerung Wiens, nach seinem gescheiterten Versuch von 1529. Sein Zelt, so will es die Legende, hatte der Sultan unter einem alten Lindenbaum aufgeschlaGrösster Herrscher der Osmanen: Darstellung des Sultans Süleyman. gen, der den Ortsansässigen als Nach Mekka ausgerichtet heilig galt und wo zur GottesWenn es das ist, was die Forscher hoffen, dann «Wir gingen davon aus, dass dies die Grundmutter Maria gebetet wurde. Da Maria auch endete an genau dieser Stelle das Leben des mauern einer Moschee oder einer Türbe sein im Islam als Mutter des «Propheten» Jesus vergrössten Herrschers der Osmanen. Der bereits müssen», sagt Ausgrabungsleiterin Erika ehrt wird, mag Süleyman sich von ihr Schutz greise Süleyman wollte als letzte Grosstat Wien Hancz. «Diese Mauer hier ist genau nach und Segen erhofft haben. Er hauchte seine Seebelagern, sass aber Anfang September 1566 vor Mekka ausgerichtet. Aber eine Moschee kann le aus, zwei Tage bevor die Verteidiger der der kleinen Festung Szigetvár in Südungarn es nicht sein, denn es gibt keine Spuren eines Burg einen letzten, verzweifelten Ausbruch fest und war unterwegs schwer erkrankt. Minaretts und auch keinen ‹Mihrab›, also eine versuchten und bis zum letzten Mann niederWie er im Sterben lag, nahe der von ihm belaVertiefung in der Wand, die anzeigt, in welgemacht wurden. Ungarn und Kroatien gecher Richtung Mekka liegt.» gerten Burg, wusste er, was hinter ihm lag: Er wannen in der Schlacht einen Nationalhelden 66 Weltwoche Nr. 46.15 Bild: AKG Images in der Person des Befehlshabers von Szigetvár: der kroatische Ban (Vizekönig) und ungarische Magnat Nikola Zrinski (Miklós Zrínyi). Spirituelles Zentrum des Islam Das Osmanische Reich hingegen verlor sein Herz, wenn die Beschreibung stimmt, die der Reisende und Geschichtenschreiber Evliya Çelebi im 17. Jahrhundert verfasste: Süleymans «Herz, Leber, Magen und andere Innereien wurden entfernt und in einem goldenen Gefäss an diesem Ort begraben, wo Khan Süleymans Zelt stand». Sein Tod aber wurde sechs Wochen lang geheim gehalten, der einbalsamierte Leichnam nach Istanbul transportiert. Über der Todesstätte wurde später die Türbe errichtet, daneben ein Derwischkloster und eine kleine Kaserne, um das Heiligtum zu bewachen. Es wurde mit der Zeit zu einer Pilgerstätte, einem spirituellen Zentrum des Islam in Europa, sagt Norbert Pap von der Universität Pécs, der das Forschungsprojekt anstiess und leitet. «Die Sache mit dem goldenen Gefäss ist Legende», meint er, «sie hält sich aber so beständig, dass noch heute jedes Kind in der Region mit der Geschichte vom Herz im goldenen Topf aufwächst.» Nicht nur Kinder scheinen das geglaubt zu haben. 1664 eroberten die Habsburger den Ort zurück. Pap weist auf ein tiefes Loch, das seine Forscher im Boden des nun entdeckten Gebäudes fanden. Er glaubt, dass habsburgische Truppen dort nach dem goldenen Topf suchten. Zwischen dem Tod des Sultans und der Gegenwart der Pálinka trinkenden Professoren liegt eine geschichtsträchtige Zeit. 1693 liess der österreichische Versorgungsoffizier Gallo Tesch das Mausoleum abreissen, um dessen Dach und Turmbedeckung sowie die vergoldete, kugelförmige Turmspitze zu Geld zu machen. In Wien löste das grosse Empörung aus, als es bekannt wurde, und er musste das Geld in die Staatskasse zahlen. Der Zahn der Zeit nagte weiter an den Ruinen, und irgendwann war keine Spur mehr zu sehen. Erste Forschungen begannen 1970, die Sache schien einfach – meinte doch die ganze Gegend zu wissen, dass eine 1770 errichtete Sein Tod wurde sechs Wochen lang geheim gehalten, der Leichnam nach Istanbul transportiert. Kirche genau über der abgerissenen Türbe erbaut worden war. Aber weder unter noch neben der Kirche fand man irgendwelche Mauerreste. Andere Lösungen schienen sich aus alten Landkarten zu ergeben. 1689 vermass Leandro Anguissola die Burg von Szigetvár und markierte neben einem Bach namens Almáspatak einen Ort mit der Notiz: «Orth wo der Türckhische Kayssser Solimanus ist gestorben.» Eine zweite Vermessung aus dem 19. Jahrhundert notierte ebenfalls einen «türkischen Friedhof», aber an anderer Stelle. Grabungen an beiden Orten oder zumindest an Orten, die die Forscher für die angegebenen hielten, blieben aber ergebnislos. Osmanische Ziegelreste Vor drei Jahren stellte Norbert Pap dann ein Forschungsprojekt auf die Beine, das zunächst von der türkischen Regierung gefördert wurde (mittlerweile sichert der ungarische Staat einen grossen Teil der Finanzierung). Die Idee war, in Archiven in aller Welt nach bisher unbekannten Dokumenten zur Türbe zu suchen und mit einer Computersimulation die Landschaft der Gegend im 16. Jahrhundert zu rekonstruieren. Ein entscheidendes Indiz fand der Geograf Máté Kitanics nebenan im örtlichen Kirchenarchiv. Ein Landstreit aus dem Jahr 1737. Darin berichtet ein Herr Kolovics, zu jener Zeit achtzig Jahre alt, wie das Mausoleum aussah, als er noch ein jüngerer Mann Mitte dreissig war. Dort, am Weinberg, fanden die Forscher auf Anhieb jede Menge osmanische Ziegelreste. Anwohner berichteten, sie hätten über die Jahre karrenweise solche Trümmer wegräumen müssen. In ein Computerprogramm eingespeist, verwandelten sich Daten zur Dichte der Trümmer pro Quadratmeter in eine Landkarte, auf der sich Stadtteile abzeichneten. Zwei Wohnviertel, zu deren Existenz die Wissenschaftler auch Erwähnungen in alten Dokumenten fanden. Um die Türbe war offenbar ein kleiner Ort entstanden. «Vier- bis fünfhundert Menschen mögen hier gelebt haben», meint Erika Hancz, «es gab eine Schule, eine Karawanserei und eine Moschee.» Präsidententreffen geplant Etwas abseits davon brachte ein Bodenradar die Umrisse eines grösseren Gebäudes unter der Erde zutage: die Grundmauern, die das Team nun ausgegraben hat und von denen die Forscher hoffen, dass sie zur Türbe gehören. «Wir fanden Zierkacheln wie jene von Süleymans Grab in Istanbul», sagt Pál Fodor. Der Leichnam des Sultans – ohne Herz und Innereien – war in der Reichshauptstadt begraben worden. Aber sicher wollen und dürfen die Forscher noch nicht sein. «Ende November wissen wir hoffentlich mehr», sagt Pap. Sollte der Fund bestätigt werden, wird das Folgen haben: Für 2016 ist bereits ein Treffen der Präsidenten der Türkei, Ungarns und Kroatiens in Szigetvár im Gespräch, und es gibt bereits Pläne, wie man türkische Touristen anlocken g könnte.