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Zimmerwald und die Spaltung der Internationalen Beitrag zur Tagung «Die internationale Bewegung der ArbeiterInnen gegen den Krieg» Adrian Zimmermann Hotel Bern/Volkshaus, Bern 4. September 2015 Der Streit in Zimmerwald: eine taktische Kontroverse «Die Resolution Lenin ist unannehmbar. Wir alle wünschen, dass es zu einer revolutionären Aktion komme, aber die detaillierte Aufforderung zu revolutionären Aktionen soll man nicht in die Welt hinaus posaunen. (…) In den kriegführenden Ländern wären die Unterzeichner und Verbreiter eines solchen Manifestes gleich erledigt schon deshalb kann, wer wirkliche Aktion will, ihm unmöglich zustimmen. Wir können nicht weitergehen, als dazu auffordern, den Klassenkampf wieder aufzunehmen, ihn mit den gewöhnlichen Mitteln fortzusetzen, solchen Mitteln, die auch im G. Ledebour Frieden zur Anwendung gelangen.» «Eine revolutionäre Bewegung kann nur aus dem Kampfe für den Frieden hervorgehen. Sie, Genosse Lenin, sind beherrscht nicht von dem Verlangen nach dem Frieden, sondern von dem Wunsche, die Grundpfeiler einer neuen Internationale aufzurichten: dies ist es, was uns trennt. Wir verlangen ein Manifest, das die Aktion für den Frieden fördern wird; wir wollen nicht betonen, was uns trennt, sondern was uns vereint (Lebhafter Beifall).» A. Merrheim Lenin «Die Sache steht so: entweder wirklicher revolutionärer Kampf oder nur leeres Geschwätz, das nur den Fahnenflüchtigen helfen wird, gegen welche Liebknecht sich in diesem Briefe so scharf äussert. Für den Frieden sein, hat an sich keine Bedeutung. (…) Den Frieden will jedermann. Wir müssen der neuen Situation gemäss neue, originelle Kampfesmittel schaffen, die weder den alten deutschen noch den russischen ganz ähnlich sind.» 1915-1916: “Zimmerwald” gegen “Den Haag”? • Die Zimmerwalder Konferenz entstand aus der Zusammenarbeit der italienischen und schweizerischen Partei (Konferenz von Lugano September 1914, «Südgruppe») • Dazu kamen Vertreter der sich in der Emigration befindlichen Führungen der russischen und polnischen Sozialdemokratie (Wichtige Ideengeber für «Zimmerwald» waren die russischen Menschewiki Pavel Axelrod und Julius Martow und der damals keiner Fraktion angehörende Leo Trotzki). • Parallel und teilweise konkurrierend («Nordgruppe») zu Zimmerwald: Das von Brüssel nach Den Haag verlegte Internationale Sozialistische Büro (ISB) versucht, die den Krieg unterstützenden Parteien wieder miteinander ins Gespräch zu bringen (Camille Huysmans, Pieter Jelles Troelstra, Hjalmar Branting, Thorvald Stauning). • Stauning protestiert anfangs Oktober 1915 bei Grimm gegen Zimmerwalder Konferenz. Danach weitere Verschärfung durch abwertende Äusserungen Huysmans’ über Zimmerwald Januar 1916 am Parteitag der niederländischen Sozialdemokratie und polemischer Briefwechel zwischen Huysmans und Platten im Vorfeld der Kientaler Konferenz. • Friedrich Adler dazu in offenem Brief an Huysmans: «Und so stehen wir vor der traurigen Tatsache: Der bürokratische Apparat der Internationale ist im Haag, die lebendige Idee der Internationale in Zimmerwald. Fern ist es von mir, den mit unsäglichen Mühen von Ihnen aufgebauten bürokratischen Apparat zerstören zu wollen, aber er hat nur soweit Wert, als er wieder Instrument wird wahrhaft internationaler Gesinnung und Aktion.» 1917: «Zimmerwald» gegen «Stockholm»? • In Deutschland und Schweden kam es 1917 zu Linksabspaltungen. Diese waren aber nicht von den «Zimmerwaldern» gewollt, sondern Folge von Massnahmen der Parteirechten. • Unter dem Eindruck der russischen Revolution versucht das Holländisch-skandinavische Komitee (u.a. Troelstra, Hjalmar Branting, Thorvald Stauning) im Sommer 1917 in Stockholm eine grosse Friedenskonferenz zu organisieren • Der Arbeiter- und Soldatenrat von Petrograd erlässt seinerseits am 27. März den berühmten Appell an die „Völker der ganzen Welt“ mit einer gemeinsamen Aktion den Frieden zu erkämpfen und verbindet dies später ebenfalls mit einer Einladung nach Stockholm • In der Zimmerwalder Bewegung war das Projekt Stockholmer Friedenskonferenz umstritten. • Sitzung des ISK mit russischen Mitgliedorganisationen in Petrograd am 28./29 Mai 1917. Für eine Beteiligung am Konferenzprojekt des Sowjets: Menschewiki, Sozialrevolutionäre, Rakowski und Grimm. Dagegen: Bolschewiki und Fraktionslose (Trotzki, Balabanoff und Rjasanow). • Kurz darauf führt «Affäre Grimm-Hoffmann» zu einer Krise der Zimmerwalder Bewegung. • Danach wird die ISK von der schwedischen Linkspartei zusammen mit A. Balabanoff geführt. • Trotzdem an der dritten Zimmerwalder Konferenz in Stockholm vom September 1917 erneut keine Mehrheit der «Zimmerwalder Linken». • Nach der Oktoberevolution 1917 übernahm die Stockholmer ISK faktisch die Aufgabe eines Propagandabüros der Sowjetregierung. • Konferenz eines Rumpfs der 2. Internationalen in Bern (3.-6. Februar 1919). Die meisten «Zimmerwalder» (inkl. Grimm und die SPS) lehnen Teilnahme wg. Präsenz von rechten «Sozialpatrioten» ab. Treffen von «Zimmerwaldern» im Hotel National. • 2.-6. März 1919: Gründung der Kommunistischen Internationale («3. Internationale» oder „Komintern“) in Moskau • Erklärung Lenin, Sinowjew, Platten aber auch Rakowski und Trotzki: «Die Zimmerwalder Vereinigung hat sich überlebt. Alles, was wirklich revolutionär war in der Zimmerwalder Vereinigung, geht in die kommunistische Internationale über. Die endesunterzeichneten Teilnehmer von Zimmerwald erklären, dass sie die Zimmerwalder Organisation für liquidiert betrachten und ersuchen das Bureau der Zimmerwalder Konferenz, alle seine Dokumente dem Exekutivkomitee der III. Internationale zu übergeben.» • Trotzdem wollten auch die das ganze Zimmerwalder Spektrum abdeckenden Parteien (v.a. USPD, SPS und PSI) anfänglich der KI beitreten • Erst die vom 2. Komintern-Kongress im Juli/August 1920 aufgestellten «21 Bedingungen» führten zur Spaltung der USPD, SPS, PSI und SFIO Von Zimmerwald nach Moskau? Die Erben der “Zimmerwalder Mehrheit” im Kampf um die Einheit • Dezember 1920: Berner Vorkonferenz der Parteien, die sowohl die 21 Bedingungen als auch einen Wiederanschluss an die 2. Internationale ablehnen. Sie gründen die Internationale Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien (IASP, auch als «Wiener Arbeitsgemeinschaft» oder 21/2 Internationale bekannt). • 1922 auf Initiative der IASP im April 1922 Konferenz der drei Exekutivkomitees in Berlin • Nach Wiedervereinigung von MSPD und USPD 1923 Fusion des Rests der 2. Internationale und der IASP zur Sozialistischen ArbeiterInternationale (SAI). SPS trat der SAI wegen Vorbehalten (namentlich seitens Grimm) gegen Zusammenarbeit mit vormals «sozialpatriotischen» Kräften erst 1926 bei. • Andere «Zimmerwalder» (namentlich Ledebour und Angelica Balabanoff) versuchten ab 1924 linkssozialistische (Splitter-) Parteien im «Pariser Büro» (in den 1930er Jahren als «Londoner Büro» weitergeführt) zu vereinigen Fazit: Zimmerwald setzte ein Zeichen für die Einheit nicht die Spaltung • Lenin und seine Anhänger hatten in Zimmerwald und Kiental vergeblich versucht, die Spaltung der einzelnen Arbeiterparteien und den Aufbau einer «dritten Internationale» zu propagieren. • Die Spaltung einzelner nationalen Parteien (Deutschland, Schweden) ging nicht von den «Zimmerwaldern», sondern den Ausschlussmassnahmen der rechten Parteiführungen aus • Erst der Erfolg der Oktoberrevolution 1917 einerseits und die Empörung über die Kollaboration der MSPD-Führung mit konterrevolutionären Kräften nach der Novemberrevolution 1918, führten dazu, dass Lenins Projekt einer neuen Internationale eine breite Unterstützung erhielt. • Die vom 2. Komintern Kongress im Juli/August 1920 erlassenen 21 Beitrittsbedingungen spalteten gerade die «Zimmerwalder», was Lenin durchaus so beabsichtigte. • Von der knappen Mehrheit der “Zimmerwalder”, die sich der KI anschlossen, verliessen viele die kommunistischen Parteien – meist unfreiwillig durch Ausschluss – relativ schnell wieder. Von den übrigen wurden fast alle später Opfer des Stalinismus. • Der einzige “Zimmerwalder”, der auch nach Stalins Säuberungen eine Rolle in der kommunistischen Bewegung spielte, war der Bulgare Wasil Kolarow. Er hatte übrigens in Zimmerwald die Erklärung Radek/Lenin nicht unterschrieben. • Die grosse Mehrheit der “Zimmerwalder” wollte die Einheit, nicht die Spaltung der Arbeiterbewegung, viele setzten sich auch nach der Spaltung dafür ein, die verfeindeten Internationalen wieder anzunähern. • Die Behauptung, dass die “Zimmerwalder Konferenz der Keim der Dritten Internationalen” gewesen sei (William Z. Foster) ist daher unhaltbar. Der “Inhalt und die These von Zimmerwald” Robert Grimm am Parteitag der SPS vom 2. Februar 1919: «Man kann nicht behaupten, Zimmerwald sei bolschewistisch oder antibolschewistisch, spartakistisch oder antispartakistisch. Wer das behauptet, sagt eine Unwahrheit, die auf Verkennung der Tatsachen beruht. (…) Wir haben eine ganze Reihe von Auffassungen und Strömungen, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. So ist es schliesslich auch in Zimmerwald gewesen. Sie werden gestatten, dass ich darüber auch ein Urteil habe, weil ich dabei war. Unter dem Namen Zimmerwald verstehen wir: Kampf gegen den Burgfrieden, gegen die Solidarität mit den besitzenden Klassen, Wiederaufnahme des Klassenkampfes. Voraussetzung der Herstellung einer Internationale ist der nationale Kampf der Arbeiterklasse in einem jeden Land gegen die sie bedrückende Klasse. Das ist der Inhalt und die These von Zimmerwald.»