TRAJEI<TE
Eine Reihe des Zentrums
für Literatur- und Kulturforschung, Berlin
Herausgegeben von
Sigrid Weigel und Karlheinz Barck
Uwe Wirth
Die Geburt des Autors
aus dem Geist
der Herausgeberfiktion
Editoriale Rahmung im Roman um 1800:
Wieland, Goethe, Brentano, Jean Paul und
E. T. A. Hoffmann
Wilhelm Fink
Für Volker Bohn
8
INHALT
INHALT
3.4.3
3.4.4
3.5
Die Vorschrift als Ritual
.
.
Die Vorschrift als Protokollon und Aufpfropfung
Parergonale und performative Rahmungsfunktionen
.
.
Kommentar und Zitat
Fußnote, Titel, Unterschrift
.
Der Akt der Publikation im Rahmen der Funktion Herausgeber ..
Autorschaft und Herausgeberschaft bezogen auf den Akt
des Druckens
.
Autorschaft und Herausgeberschaft bezogen auf den Akt des Zitierens
.
Das Vorwort als Ort der poetischen Reflexion
Das Vorwort als Ort der Selbstreflexion und der Selbstbeobachtung
Das Vorwort und die Grenze zwischen dem Fingierten und
dem Fiktiven
.
Die performative und indexikalische Funktion der ,Selbstanzeige'
Fiktionalität im Kontext von Autoreflexivität und Metafiktionalität
Exemplarische Analyse von Rousseaus Vorworten zur Nouvelle Hiloi'se
4.
DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
.
143
4.1
Die narrative Funktion von Vorworten
.
143
3.2.2
3.2.3
3.3
3.3.1
3.3.2
3.3.3
3.3.4
3.3.5
3.4
3.4.1
3.4.2
93
96
99
99
103
108
111
114
118
118
122
126
128
132
4.1.1 Genettes Typologie der Vorworte im Hinblick auf die
4.1.2
4.2
4.2.1
4.2.2
4.2.3
4.2.4
4.3
4.4
4.4.1
4.4.2
4.4.3
4.5
4.5.1
4.5.2
4.5.3
4.5.4
Herausgeberfiktion
.
Die Herausgeberfiktion als Verkörperung der Funktion Herausgeber
Die Funktion des fiktiven Herausgebers mit Blick auf die Narration
Die narrative Funktion des fiktiven Herausgebers
.
Die Transkriptions- und Kommunikationsfunktion
.
Die Interdependenz von Informations- und Beglaubigungsfunktion
Die Interdependenz von Kommentar- und Organisationsfunktion
Die Rahmungsfunktion der Herausgeberfiktion
.
Die Rahmungsbedingungen des Briefromans
.
Der Brief als ,sprachliches Symptom' und ,dialogische
Vergegenwärtigung'
.
Der Brief im Spannungsfeld von Dialogizität und Polyperspektivität
Der Brief im Spannungsfeld von genuiner Indexikalität und
Authentizität
.
Die strategische Funktion des Herausgeberkommentars
.
Die Funktion zuverlässiger und unzuverlässiger Herausgeberkommentare
.
Der unzuverlässige Herausgeber im Kontext von implied author
und Funktion Autor
.
Konsequenzen für das strategische Verhältnis von Autor und Leser
.
Die Funktion Herausgeber als editoriales Dispositiv
144
149
151
152
152
156
158
160
164
165
169
172
177
5.
Exposition des Fragehorizonts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Funktion des performativen Widerspruchs im Rahmen der
Vorredenreflexion
5.2.1 Der "Nachbericht" zum Don Sylvio und das Vorwort zum
5.1
5.2
Don Quixote
5.2.2 Das Vorwort zur Insel Felsenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.3 Die "Preface" der Nouvelle Hiloi'se und der "Vorbericht" zur
180
185
186
191
191
193
193
196
5.5.3
5.5.4
5.5.5
5.6
Geschichte des Agathon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Die Geschichte des Agathon als ,wahrscheinliche historische Fiction' 201
201
Das Verhältnis zwischen Poet und Geschichtsschreiber
Der Poet als Historicus
203
205
Die Modulation des Begriffs ,historische Wahrheit' . . . . . . . . . . . .
Die ,historische Wahrheit' als Prinzip der ,wahrscheinlichen
historischen Fiction'
209
210
Die Auseinandersetzung mit dem Wunderbaren. . . . . . . . . . . . . .
Das Wunderbare in Abgrenzung zum Wahrscheinlichen . . . . . . . .
210
212
Das ,Wunderbare' als doppeldeutiger Begriff. . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Wahrscheinliche und das Wunderbare im Kontext des
"Vorberichts"
215
Die Funktion des Herausgebers in der Geschichte des Agathon
217
Konsequenzen der Ebenendifferenzierung in der Geschichte des
Agathon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Die Kommentarfunktion zwischen Leerstellenergänzung und
Digression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Die Darstellung der ,inneren Geschichte' als ,Originalzitat' . . . . . .
223
Die Digression als quasi-auktorialer Akt des Dazuschreibens . . . . .
226
Das Verhältnis von ,Herausgeber', ,Verfasser' und ,Autor'
227
Zusammenfassung
229
6.
VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LmDEN DES JUNGEN
5.3
5.3.1
5.3.2
5.3.3
5.3.4
5.4
5.4.1
5.4.2
5.4.3
5.5
5.5.1
5.5.2
6.1
6.2
6.3
6.4
177
DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
9
WERTHERS
233
Exposition des Fragehorizonts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das Vorwort der Leiden des jungen Werthers . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Authentizitätssuggestion des Herausgebers in den Fußnoten
zum Briefteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Konzepte des Schreibens und Lesens in den Leiden des jungen
234
236
Werthers
247
247
............
6.4.1 Der Werther im Kontext der Briefromanpoetik
Der
Werther
im
Kontext
von
Affektrhetorik
und
Symptom6.4.2
kOlumentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.4.3 Der Werther als Darstellung der ,inneren Geschichte'
242
252
255
10
INHALT
6.4.4 Der werther im Kontext der Sprachtheorien Herders und Lavaters
6.4.5 Der werther im Kontext von Youngs Conjectures on Original
Composition
6.4.6 Der werther als Darstellung einer kopierten und kopierenden
Existenzweise
257
8.3.4 Die Vorrede als Selbstdarstellung des Konzepts der Vorrede zum
.
261
.
265
270
8.3.5
8.4
8.4.1
8.4.2
8.4.3
8.5
6.5 "Der Herausgeber an den Leser"
.
6.5.1 Der Herausgeber-Erzähler des werther als Geschichtsschreiber und
Dichter
.
6.5.2 Die editoriale Rahmung der Zitate im werther
6.6 Zusammenfassung
7.
.
.
BRENTANOS GODWI IM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
Hesperus
273
276
282
285
7.1
Das Verhältnis von Autor und Kunstwerk im Kontext frühromantischer Poetik
.
7.2 Die poetische Performanz der ,romantischen Universalpoesie'
.
7.3 Die romantische Ironie als dedoublement und greffi
.
7.4 Brentanos Godwi als Verkörperung des Konzepts frühromantischer
Poetik
.
7.4.1 Inhaltliche und strukturelle Einflüsse auf den Godwi
.
7.4.2 Die Thematisierung von Perspektive und Rahmen im Godwi
.
7.4.3 Die Vorreden zum ersten und zum zweiten Band des Godwi
.
7.5 Die ironische Metalepse als Vollzugsform struktureller Verwilderung
7.6 Der Godwi im Spannungsfeld von written to the moment und
editing to the moment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.6.1 Ansätze einer Modulation des written to the moment im Hesperus .
7.6.2 Das editing to the moment und die Digression als wildes
300
300
302
305
311
315
315
9.
9.1
9.2
DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9.3
9.3.1
9.3.2
9.3.3
9.4
9.4.1
9.4.2
9.4.3
9.5
371
374
377
377
380
383
fiktivem Herausgeber
.
Die strukturbestimmenden Konzepte des Gesamttextes
.
Das Konzept der Kontrapunktik
.
Das Konzept der Arabeske
.
Das Konzept der mise en abyme
.
Beobachtungen zur ,penetranten Intertextualität' der Lebens-Ansichten
Die Schreibweise des Katers
.
Die Schreibweise des Biographen
.
Das ,Ineinander' der Texte
.
Die implizite Druck-Szene der Lebens-Ansichten: Makulaturblätter
als Löschpapier
.
Autorschaft im Spannungsfeld von literarischer und lebensweltlicher
Fiktionalisierung
.
Nachschrift zur "Nachschrift"
.
Zusamn1enfassung
.
389
327
328
8.
.
331
331
334
338
340
9.6
343
345
10. AUSBLICK
10.1 Nach der Herausgeberfiktion
9.7
9.8
365
367
369
384
386
.
.
Die Funktion des Vorworts in den Werken Jean Pauls
.
Die Vorrede zum Siebenkäs
.
Das Vorwort als Zone der Reflexion medialer Überblendungen ..
Namentausch und Doppelgängermotiv im Siebenkäs
.
Das Problem der doppelten Unterschrift am paratextuellen Rahmen
.
des Siebenkäs
8.3.3 Das Problem des Autornamens ,]ean Paul'
.
348
351
354
356
359
363
.
author
9.2.3 Das Arrangement der Vorworte als Selbstdarstellung des Konzepts
9.2.4 Das Vorwort als zone intermediaire zwischen fingiertem und
.
.
.
Exposition des Fragehorizonts
.
Die Begründung für das ,verworrene Gemisch fremdartiger Stoffe
durcheinander'
.
.
9.2.1 Die Funktion der editorialen Indices
9.2.2 Der unzuverlässige Herausgeber und die Frage nach dem implied
318
321
323
324
8.1
8.2
8.3
8.3.1
8.3.2
.
.
285
289
295
.
Die Vorrede als Ort der Reflexion der Funktion Selbstherausgeber
Die Schreib-Szene als Druck-Szene: Leben Fibels
.
Leben Fibels als Buch von der Schrift und als Buch vom Druck .
Der Traum vom Schreiben und der Körper der Schrift
.
Die Geburt des Autors mit dem Akt des Druckens
.
Prinzipien der Texterzeugung in Leben Fibels: Drucken, Pfropfen,
Adoptieren
.
.
8.5.1 Aufpfropfung und Adoption auf der Ebene der histoire
.
8.5.2 Pfropfen und Kleben auf der Ebene des discours
8.5.3 Editing to the moment als Inszenierungsform monumentaler
Bruchstücke
.
.
8.6 Zusammenfassung
Aufpfropfungsverfahren
7.7 Die Dynamik der Digression und das Problem der Perspektive
7.7.1 Perspektivische Übergänge in Text und Paratext des Godwi
7.7.2 Die performative Rahmungsfunktion der Fußnoten
7.7.3 Die performative Rahmungsfunktion von Winkelmanns
"Nachrichten"
7.8 Zusammenfassung
JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
11
INHALT
.
.
392
393
395
396
399
400
401
405
410
414
417
419
423
423
12
INHALT
10.2 Der Autor als Herausgeber um 1900
10.3 Der Ausblick im Rückblick
Literatur
• • . • • • • • • • • • • • • • • .,
•.••••
,
••••••••••••••••
.
.
0. • • • • • • • • •
427
432
VORWORT
435
"Wiewohl ich hier bloß des Herausgebers Namen führe, habe ich doch selbst mit
an dem Buch gearbeitet und mache daraus kein Geheimnis. Habe ich es darum
ganz verfertigt, und ist der ganze Briefwechsel erdichtet? Weltleute! Was liegt euch
daran? Für euch ist er gewiß Erdichtung."! Diese Passage der "Preface" zur Nouvelle Htloi'se enthält in nuce die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung: Was
ist ein Herausgeber? Wie verhalten sich Autorschaft und Herausgeberschaft zueinander? Welche Funktion hat der Herausgeber als diskursive Instanz im Rahmen
und am Rahmen literarischer Texte? Und: In welcher Form manifestiert sich die
Funktion Herausgeber an den Rändern von Texten? Auf diese Fragen gilt es Antworten zu finden, und zwar sowohl mit Blick auf die literaturwissenschaftlichen
Ansätze zum Thema Autorschaft als auch mit Blick auf die Literatur jenes Zeitraums, in dem sich der moderne Autorschaftsbegriff entfaltet: die Zeit ,um 1800'.
Dabei werde ich von der These ausgehen, daß es keine Autorschaft ohne Herausgeberschaft gibt - eine These, aus der sich die Aufgabe herleitet, zu klären, wie Autorschaft von der Funktion Herausgeber gerahmt wird und inwiefern Autorschaft
als ,Selbstherausgeberschaft' aufzufassen ist.
Wie der Autor ist der Herausgeber eine Instanz, die das "Prinzip einer gewissen
Einheit des Schreibens"2 sichert, und zwar auch dann noch, wenn der Autor abwesend - gestorben - ist. Der Herausgeber hat die Funktion eines ,zweiten Autors'.
Zugleich ist er der ,erste Leser' von bereits Geschriebenem. Diese Bestimmung der
Funktion Herausgeber ist, wie sich zeigen wird, reich an literaturtheoretischen Implikationen. Sie wirft aber auch aus literaturgeschichtlicher Sicht Fragen auf - insbesondere mit Blick auf das Phänomen der Herausgeberfiktion, die in der Literatur
des 18. Jahrhunderts aufgrund der Briefromanpoetik der Regelfall ist. Erst ,um
1800' wird die Herausgeberfiktion allmählich von der Fiktion eines auktorialen
Erzählers abgelöst - etwa in Goethes Wilhelm Meister, auf dessen Titelblatt die
Interferenz von Autorschaftskonzepten und Herausgeberschaftskonzepten anschaulich zum Ausdruck kommt, denn es heißt im Untertitel: "Ein Roman. Herausgegeben von Goethe".3
Vor dem Hintergrund dieser merkwürdigen Konstellation bleibt zu ldären, welche Rolle der fiktive Herausgeber bei der Genese moderner Autorschaft spielt, ja
ob der emphatische Autorbegriff der Genieästhetik womöglich nur eine spezifische
Transformation der Funktion Herausgeber ist. Ausgehend von diesen Überlegun1 Rousseau: Neue Htfloi'se, S. 5.
2 Poucault: "Was ist ein Amor?", S. 21, sowie, in neuer Übersetzung: ders.: "Was ist ein Amor? (Vortrag)", S. 1019. Im folgenden werden beide Übersetzungen verwendet.
3 Berlin bey Johann Priedrich Unger 1795.
14
15
VORWORT
VORWORT
gen, gilt es sowohl die narrative Funktion des fiktiven Herausgebers als auch die
Vollzugsweisen der Funktion Herausgeber zu untersuchen.
Dem Begriff der Performanz kommt in diesem Zusammenhang - nicht zuletzt
wegen seiner Mehrdeutigkeit4 - eine wichtige Rolle zu: Bei den Ausführungen der
Funktion Herausgeber handelt es sich um Sprechakte, die den "Performance-Akt
der Textwerdung"5 nicht nur beschreiben, sondern den Text im Rahmen der editorialen Tätigkeit allererst hervorbringen. Diese konstitutiven editorialen Akte erfahren im Kontext der Herausgeberfiktion eine "Doppelrahmung"6: Sie werden als
Editions-Szenen vorgeführt.
Auch im Hinblick auf die Debatte um Autorschaft sind von der Reflexion des
Performanzbegriffs neue Impulse zu erwarten? In ihrer Einleitung weisen die Herausgeber des Bandes Rückkehr des Autors auf das literaturwissenschaftliche "Mißtrauen gegenüber dem Autor als Interpretationskategorie"8 hin. Dabei nehmen sie
eine graduelle Differenzierung vor zwischen literaturwissenschaftlichen Modellen
wie den dekonstruktiven, die eine vollständige Entmachtung des Autors propagieren 9, mithin nur noch den Leser als bedeutungskonstituierende Instanz zulassen,
und jenen Modellen, "in denen die Bedeutung eines Textes mit Bezug auf eine
überindividuelle Instanz bestimmt wird", wobei der Autor immerhin noch eine
"Minimalfunktion" behält. lo
Diese Unterscheidung wird jedoch fraglich, sobald man berücksichtigt, daß
Theoretiker wie Barthes, Foucault und Derrida - aber auch Literaturwissenschaftler wie Genette, Iser und Eco - die Überindividualität der Bedelltungskonstitution
im Kontext von Austins Performanzbegriffbehaupten, und zwar sowohl mit Blick
auf den Autor als auch mit Blick auf den Leser.
Eine fundierte Untersuchung des Alltorbegriffs unter Berücksichtung performativer Sprechakte steht noch aus und soll daher im folgenden unternommen werden. Dabei verfolgt dieses Buch eine dezidiert pragmatische Strategie: Es geht um
keine ideologische Auseinandersetzung, sondern um eine Abschätzung ,theoretischer Folgekosten': Einerseits sollen die Einsichten der poststrukturalistischen Literaturtheorie in die Macht des Lesers als bedeutungsstiftende Instanz ernst
genommen werden, andererseits soll die Frage nach dem Autor als Frage nach den
performativen Rahmenbedingungen von Autorschaft als Herausgeberschaft neu
gestellt werden.
Aus dem Plan, Autorschaft als Herausgeberschaft im Rekurs auf den Begriff der
Performanz zu untersuchen, ergibt sich noch eine weitere, äußerst unübersichtliche Aufgabe, nämlich die, den Begriff der Schrift auf seine zeichentheoretischen
Implikationen hin zu befragen. Der Herausgeber hat es als zweiter Autor mit bereits Geschriebenem zu tun, dem er, im Zuge seiner editorialen Tätigkeit, schreibend etwas hinzufügt. Er ist insofern nicht nur zweiter Autor und erster Leser,
sondern ein ,Dazuschreiber', dessen Schrift den Rahmen des Textes überhaupt erst
konstituiert.
Ausgehend von diesen Überlegungen wird es darum gehen, die Begriffe Autor,
Performanz, Schrift mit Perspektive auf den Herausgeber systematisch auszuarbeiten. Die Analyse der Funktion Autor als Funktion Herausgeber, die im Einleitungskapitel vorgenommen wird, soll im zweiten Kapitel in eine performative
Schrift- und Rahmentheorie eingebettet werden, die, in Abgrenzung von Derridas
Schriftbegriff und im Anschluß an die Peircesche Zeichentheorie, den indexikalischen Charakter von Schrift stark macht. Dies wird indessen unter Beibehaltung der Hauptprämisse von Derrida (und Barthes) geschehen, daß Schrift nicht
nur als Geschriebenes (rJcrit), sondern als Schreibprozeß (ecriture) zu fassen ist.
Infolgedessen wird der Schreibprozeß als indexikalisch gerahmte greffe citationelle ll ausgezeichnet, wobei den Indices die Funktion zukommt, auf die
Rahmungsbedingungen12 der Schrift und des Schreibens hinzuweisen. Dies ist,
wie sich zeigen wird, auch von Relevanz für die Editionstheorie. Im dritten und
vierten Kapitel geht es um die diskursiven und narrativen Funktionen des Paratextes als "unbestimmter Zone"13 performativer und parergonaler Rahmungsakte,
die den Leser instruieren, wie zu lesen sei. Auch hier spielen indexikalische Rahmungshinweise eine entscheidende Rolle, insbesondere in Form von "Fiktions. Ien" . 14
SIgna
Das Ziel des gesamten systematischen Teils ist es, die Grundzüge eines allgemein
wirksamen editorialen Dispositivs herauszuarbeiten, das die Rahmungsoperationen
faktualer und fiktionaler Diskurse steuert. Verkörpert ist dieses Dispositiv im Rahmen des Textes als implizites editoriales Arrangement und am Rahmen des Textes
als expliziter editorialer Kommentar. Beide Vollzugsformen der editorialen Rahmungsfunktion dienen dazu, den Leser zu "Beobachtungen zweiter Ordnung" zu
ermuntern. 15 Paradigmatisch vorgeführt wird dies durch die Instanz des Herausgebers selbst: Er beobachtet als ,erster Leser' des Textes dessen Verfasser beim
Schreiben und sich selbst beim Dazuschreiben. Dergestalt ermöglicht der editoriale Kommentar die Reflexion der Funktion Autor und die Selbstreflexion der
Funktion Herausgeber. 16
4 Vgl. Austin: "Performative Äußerungen", 5, 305, sowie Wirth, "Der Performanzbegriff im Spannungsfeld von Illokution, Iteration und Indexikalität", 5.17 ff.
5 Gresillon: ",Critique genetique''', 5, 23.
6 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 178,
7 Vgl. Detering (Hg,): Autorschaft, Positionen und Revisionen, S. IX f.
8 Vgl. Jannidis/LaueriMartinez/Winko: "Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern", S. 11. Dieses Mißtrauen leitet sich, so die Herausgeber, von einer "recht ldeinen Zahl
von Kritiken" her. Genannt werden u. a. Barthes und Foucault, Beardsley, Kayser und Booth,
9 Vgl. Couturier: La figure de l'auteur, S. 19, wo vom strukturalistischen und dekonstl'uktivistischen
"militantisme anti-auteur" die Rede ist.
10 Jannidis u, a.: "Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern", S. 19.
11 Derrida: "Signature Evenement Contexte", 5,381.
12 Vgl. Goffman: Rahmen-Analyse, S. 57.
13 Genette: Paratexte, S. 10,
14 Iser: "Akte des Fingierens", 5, 135.
15 Luhmann: "Die Form der Schrift", S. 366.
16 Vgl. hierzu Gumbrecht: "Das Schreiben von Kommentaren", in: ders.: Die Macht der Philologie,
5.69 f.
16
17
VORWORT
VORWORT
Von dieser Möglichkeit wird am Rahmen der Herausgeberfiktion in einer Weise
Gebrauch gemacht, die den Schluß nahelegt, daß die "Vorredenreflexion"17 nicht
nm der Einübung eines "Fiktivitätsbewußtseins"18 dient, sondern auch der Einübung eines Bewußtseins für literarische Autorschaft. Bemerkenswerterweise läßt
sich dabei eine Interferenz von "Konzepten der Autorschaft" 19 und Konzepten der
Herausgeberschaft feststellen, die der These Vorschub leistet, daß die Geburt literarischer Autorschaft aus dem Geist der Herausgeberfiktion erfolgt.
Freilich gilt diese These nur mit Blick auf den Roman, der sich im 18. Jahrhundert als neue Kunstform neben Drama und Lyrik zu etablieren beginnt - auch
wenn es im Bereich der Lyrik, etwa bei Macphersons Ossian oder Arnims und
Brentanos Wunderhorn, ebenfalls zu Interferenzen von Autorschaft und Herausgeberschaft kommt, die jedoch nicht Gegenstand einer editorialen Selbstreflexion
werden. 20 Zugleich bleibt die Reichweite der hier vertretenen These auf das literarische Feld begrenzt und läßt somit die Frage unberücksichtigt, inwiefern die in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende editionsphilologische Tätigkeit auf Argumentationsfiguren zmückgreift, die bereits im editorialen Rahmendiskms der "factual fiction"21 durchgespielt wurden. Eine solche AufgabensteIlung
müßte letztlich den Nachweis erbringen, daß die Frage des faktualen Herausgebers
nach dem literarischen Autor bereits in der Frage des fiktionalen Herausgebers nach
dem fiktiven Autor vorformuliert ist. Man müßte also eine Verbindung zwischen
den Authentizitätsstrategien der Herausgeberfiktion und dem Problem der Authentizität im Rahmen der Editionsphilologie herstellen. 22
Im Zentrum des Interesses dieser Untersuchung stehen dagegen die poetologischen Prämissen, die es erlauben, die Frage nach dem literarischen Autor im Rahmen der Herausgeberfiktion zu stellen. Die wichtigste Voraussetzung hierfür ist ein
Bewußtsein für die Differenz von auktorialer Schrift und editorialer Rahmung: eine
Differenz, die in den ,großen Romanen' der Zeit, einsetzend mit Rousseaus La
Nouvelle Hiloi'se, immer wieder in den Paratexten erwähnt wird, ohne daß eine ldare
Differenzierung vorgenommen wird. Das Rätsel der Herausgeberfiktion besteht in
dieser Vermischung von Rahmenreflexion und Rahmenkonfusion: eine Konfusion,
die nicht selten in einen perfOrmativen Widerspruch mündet, da der Vorredenverfasser seine Autorschaft einerseits explizit verneint, andererseits aber eine Interferenz von Herausgeberschaft und Autorschaft andeutet: "Wiewohl ich hier bloß des
Herausgebers Namen führe, habe ich doch selbst mit an dem Buch gearbeitet und
mache daraus kein Geheimnis".23 Die exemplarischen Analysen des zweiten Teils
stehen im Zeichen dieser Interferenz von Herausgeberschaft und Autorschaft, deren
Akzente sich in der Literatur ,um 1800' allerdings grundlegend verschieben. Die
Formulierung ,um 1800' wird hier sehr großzügig gedeutet, nämlich als Zeitraum,
der von 1761 bis 1821 reicht.
Vor dem Hintergrund von Rousseaus epochemachendem Roman La Nouvelle
Hiloi'se (1761) werden zunächst Wielands Geschichte des Agathon (1766-1767)
und Goethes Die Leiden des jungen Werthers (1774) auf die an ihren Rändern zu
beobachtenden editorialen Rahmungsstrategien hin untersucht. In allen drei Fällen wird Autorschaft im Rahmen der Herausgeberfiktion verneint, zugleich aber
werden Übergangsformen zwischen fiktiver Herausgeberschaft und fiktiver Autorschaft vorgeführt. Mit Brentanos Godwi (1801) nimmt die Interferenz von
Autorschaft und Herausgeberschaft neue, romantische Formen an: Zum einen
verschärft sich die Konkurrenz zwischen fiktivem Herausgeber und fiktivem
Autor - dies belegt der Tod des Herausgebers am Ende des Godwi. Zum anderen wird Autorschaft immer offensichtlicher als Form der Selbstherausgeberschaft
in Szene gesetzt. Dies läßt sich bereits an den Romanen Jean Pauls feststellen, in
denen einerseits, wie im Hesperus (1795), die Herausgeberfiktion des Briefromans parodistisch auf die Spitze getrieben wird, andererseits, wie im Siebenkäs
(1796-1797), ein sich spaltendes Autor-Subjekt die Textbühne betritt, das sich
selbst herausgibt. In seiner ,inneren Zerrissenheit' wird das Autor-Subjekt durch
die äußere Form des Textes gespiegelt. Dies gilt für den Godwi ebenso wie für
Jean Pauls Leben Fibels (1812) oder E. T. A. Hoffmanns Lebens-Ansichten des Katers Murr (1821-1822) - drei Romane, in denen fragmentarisierte, im wahrsten
Sinne des Wortes ,zerrissene' Papiere durch ein editoriales Re-Arrangement eine
neue Rahmung erfahren. Dabei tritt nicht nur der fiktive Herausgeber, sondern
auch der Drucker als eigenwillige - und unzuverlässige - Instanz in Erscheinung.
Dieses explizite Zur-Schau-Stellen der medientechnischen Rahmungsbedingungen bildet in gewisser Hinsicht den Höhepunkt der Herausgeberfiktion ,um
Weber: Die poetologische Selbstreflexion im deutschen Roman des 18. Jahrhunderts, S. 20.
Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S. 123.
Riegel': "Autorfunktion und Buchmarkt", S. 147, sowie Städtke: "Auktorialität", S. VIII.
Vgl. Grimm: "Vorrede zu Deutsche Sagen (1816)", S. 50 ff., wo zwar ansatzweise über die "Treue
der Sammlung" reflektiert, dabei die ,Treue' der Sagen jedoch als inhärente Eigenschaft und nicht
als Resultat editorialer Rahmungsoperationen verstanden wird. Vgl. hierzu auch Köhler-Zülch:
"Der Diskl1l's über den Ton. Zur Präsentation von Märchen und Sagen in Sammlungen des 19.
]ahrhunderts", S. 26 ff. Anders verhält es sich dagegen mit dem "Discol1l's Preliminaire" zur Encyclopedie (1751), in dem d'Alembert eine ausführliche Selbstreflexion seiner Funktion als Herausgeber vornimmt (vgl. d'Alembert: Einleitung zur Enzyklopädie, S. 7).
21 Vgl. Davis: Factual Fictions, S. 36.
22 In diesem Zusammenhang wäre es sicherlich auch lohnenswert, das Verhältnis von "Autorkonfiguration" (Jannidis: "Autor, Autorbild und Autorintention", S. 28) und ,Herausgeberkonfigl1l'ation' zu erkunden. I-Iier könnte man zum einen an Bodmers Frage denken, ob die Varianten, die
er zu einigen Passagen des Nibelungenlieds (insbesondere "Chriemhildens Rache") entdeckt hat,
"des Verfassers" sind oder ob der "Abschreiber geschickt genug [war], sie zu machen" (vgl. Brief
an Schinz vom 6. 6. 1780, zir, nach Crüger: Der Entdecker der Nibelungen, S. 52, sowie ]annssen:
"Findet den, der es gemacht hat! - Über Autor, Text und Edition bei J.]. Bodmer und]. Grimm",
S. 14). Zum anderen wird die Frage nach dem literarischen Autor ,um 1800' aber auch noch in
anderer Hinsicht virulent, nämlich als ,homerische Frage' der Zuschreibung. So zieht Wolf in seinen Prolegomena ad Homerum die überkommene Auffassung in Zweifel, die Ilias sei dem "Dichtergenie" Homer zuzuschreiben (vgl. Wolf: Prolegomena zu Homer, S. 92, sowie Landfester:
"Editionsphilologie als Kulturwissenschaft? Zu einer neuen ,homerischen Frage' in der Germanistik", S. 484 f.).
17
18
19
20
23 Rousseau: Neue Hl!loi'se, S. 5.
18
VORWORT
1800'. Es ist zugleich die konzeptuelle Vorform jener editorialen Rahmungsoperationen, die mit den Montage-Techniken ,um 1900' aufkommen. 24
Das Ziel der exemplarischen Analysen des zweiten Teils ist es, die verschiedenen
Formen der Interferenz von Autorfunktion und Herausgeberfunktion im Kontext
der poetologischen Debatten der Zeit zu analysieren. Besondere Aufmerksamkeit
gilt dabei den Problemen der Schrift und des Schreibens, wie sie im Rahmen von
"Schreib-Szenen"25 und Editions-Szenen dargestellt werden. Dadurch wird - dies
ist das pragmatische Programm dieses Buchs - über die Analyse der Funktion Herausgeber ein neuer interpretatorischer Zugang zu Literatur vorgeführt.
1. DIE FRAGE NACH
DEM AUTOR
ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
Ziel dieses ersten Kapitels ist es, die Frage nach dem Autor als Frage nach dem Herausgeber zu refonnulieren. Genauer gesagt: Ich werde Barthes' These vom "Tod des
Autors" dergestalt mit Foucaults "Frage nach dem Autor" ins Gespräch bringen,
daß sich daraus die Frage nach dem Herausgeber ergibt. Dabei stehen fünf Punkte
im Fokus des Interesses: der Unterschied zwischen Autor und Schreiber, der Unterschied zwischen dem Autor als Person und dem Autornamen, der Unterschied
zwischen Text und Werk, die Verwendungsweise des Begriffs "performativ" und
die "Funktion von Vorworten". 1
1.1 Die Funktion Herausgeber im Kontext der Debatte
um den Tod des Autors
Entgegen der gängigen Meinung, Foucaults Frage nach dem Autor sei als Versuch
der Relativierung des Autorbegriffs zu werten 2, läßt sich meines Erachtens zeigen,
daß Foucaults Bestimmung der "Funktion Autot·" eine Rettung des Autors als diskursive Instanz darstellt. Doch selbst für Barthes läßt sich festhalten, daß die These
vom "Tod des Autors" keine "grundsätzliche Negation" von Autorschaft bedeutet,
sondern lediglich eine "funktionale Relativierung".3 Es geht um den "Tod der
Wertvorstellung Autor im Sinne ihrer Überlebtheit"4, das heißt, der Autor wird
"als eine auf bestimmte historische Rahmenbedingungen begrenzte Kategorie" vorgeführt. 5 Stärker noch als die ,historische Überlebtheit' betont Barthes die syste-
24 Vgl. Möbius: Montage und Collage, S. 46, sowie WetzeI: "Autor/Künstler", S. 485 f. Beiden Behauptungen liegt die ,mediologische' Prämisse zugrunde, daß es zwischen den "symbolischen Aktivitäten" der Autoren und den medientechnischen Organisationsformen, durch welche diese
symbolischen Aktivitäten verkörpert werden, determinierende Wechselwirkungen gibt (vgl. Debray: "Für eine Mediologie", S. 67).
25 Campe: "Die Schreibszene. Schreiben", S. 759.
1 Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1004.
2 So schreiben Jannidis u. a., Foucault unternehme den Versuch, "den Autor historisch zu relativieren. Der Autor erscheint ihm als ein in der Epoche der Moderne obsolet gewordener Begriff" (Jannidis u. a.: "Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern", S. 14). Städtke
deutet die Auseinandersetzung mit dem Autorbegriff dagegen primär als Akzentverschiebung: "Im
Mittelpunkt des Interesses steht nicht mehr nur die Person des Autors, dessen Texte vor allem anhand seiner Biographie und Schreibweise interpretiert werden, sondern in verstärktem Maße auch
das Relationsgefüge der Bedingungen, die seine Autorschaft überhaupt ermöglicht haben" (Städtke:
"Auktorialität", S. VIII).
3 WetzeI: "Autor/Künstler", S. 481.
4 Ebd.
5 Ebd.
20
21
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
LI DER HERAUSGEBER IM KONTEXT DER DEBATTE UM DEN TOD DES AUTORS
matischen Konsequenzen, welche die Kategorie Autor für den Text- und den
Schriftbegriffhat: "Donner un Auteur aun texte", schreibt Barthes, "c'est imposer
ace texte un cran d'arret, c'est le pourvoir d'un signifie dernier, c'est fermer l' ecriture",G Wenn der Autor die Schrift ,abschließt', kann die Öffnung der Schrift, so
der Umkehrschluß, nur noch erfolgen, wenn der Autor beseitigt wird, Ganz offensichtlich geht es Barthes mit dieser Argumentation darum, den Begriff des Autors über die Bestimmung der Schrift als "nicht arretierbaren Prozeß"7 in Bewegung
zu bringen, um die starre Ausrichtung der Literaturwissenschaft auf die Person des
Autors als "lebensweltliche Konstruktion"8 zu lockern. Die Ausrichtung auf den
Autor führt nämlich dazu, daß, sobald ein Werk erldärt wird, nur noch nach der
Stimme des Autors als der "voix d'une seule et meme personne" gesucht wird. 9
Als Alternative zur ,Suche nach dem Autor' entwirft Barthes das Konzept eines
überpersönlichen Schreibens, wobei er die vielzitierte Formulierung verwendet,
daß es die Sprache sei, die spricht, und nicht der Autor: "c'est le langage qui parle,
ce n'est pas l'auteur". 10 Gleich darauf erläutert Barthes, in welcher Hinsicht Schreiben eine "impersonnalite prealable" impliziert, nämlich, weil "seulle langage agit,
,performe" et non ,moi"'. 11 Das in Anführungszeichen stehende ,performe' ist ein
Verweis auf die Sprechakttheorie als eine Theorie, die davon ausgeht, daß jeder
Sprachhandlung ein konventionell präfigurierter, überpersönlicher Sprechakttyp
vorangeht, aus dem die jeweilige Äußerung als Anwendungsfall abgeleitet wird.
Während die Saussuresche Semiologie lediglich die Bezeichnungsfunktion als
überpersönliche Instanz voraussetzt, sind das bei Austin - und insbesondere bei
Searle - auch die kommunikativen Verwendungsweisen, Das heißt, das Performative steht für eine überpersönliche Intentionalität, der zufolge jede individuelle
Äußerung nur innerhalb des Rahmens einer vorangehenden kollektiven Intentionalität etwas bedeuten kann, Verstärkt wird das "non ,moi'" des Performativs als
überpersönliche Instanz durch die Unterscheidung zwischen der natürlichen Person eines empirischen Autors und der grammatischen Person beziehungsweise dem
grammatischen Subjekt einer textuellen Sprecherinstanz. Aus linguistischer Sicht
ist der Autor daher niemals mehr als derjenige, der schreibt, so wie ,ich' niemand
anderes ist, als der, der "ich" sagt: "le langage conna!t un ,sujet', non une ,personne"'.12 Das grammatische Subjekt erschöpft sich darin, "der Sprache zu folgen",13 Die Konsequenz dieser ,Erschöpfung' ist eine bestimmte Form der
,Entfremdung<14 beziehungsweise ~er Distanzierung zwisch~n der ernpirischen. Pern und dem grammatischen Subjekt. Der Autor verschwmdet gleichsam hmter
so . Kulisse - Barthes spnc
, 111' vom Verschwm
. d en" h'Illter d er I'lteransc
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Dieses Verschwinden des Autors hat zur Folge, daß er "mo erne lext au elentümliche Weise transformiert wird, und zwar sowohl in produktionsästhetischer
~ls auch in rezeptionsästhetischer Hinsicht: Der Text wird so ge[,1,1acht und gelesen,
als ob der Autor abwesend seLIG Insofern kann der literarische Außerungsvorgang
als leerer Prozeß betrachtet werden, der funktioniert, ohne daß er durch eine emph'ische Person ausgeführt w~rd.
..
. .
.
..
Das Prinzip, der Sprache m grammatIkalrscher WIe m pragmatIscher Hmsicht
zu folgen, verbindet auf e~gentümlicheWeise den stru.ktural,istischen Textualis.mus
mit der sprechakttheoretischen Grundannahme ,typIscher Verwendungswelsen,
die durch explizit performative Äußerungen angezeigt werden. Schreiben bezeichnet nicht mehr "une operation d'enregisrration, de constatation, de representation,
de ,peinture' (comme disaient les Classiques)", sondern Schreib~n ist, ~ie es die
sprechakttheoretischorientiert.e~ Lin~uisten "a la suite de la ~hrloso~hIe oxfordienne" nennen, "un performatIf 17: "eme seltene Verbalform, dIe auf dIe erste Person und das Präsens beschränkt ist und in der die Äußerung keinen anderen Inhalt
(keinen anderen Äußerungsgehalt) hat als eben den Akt, durch den sie sich hervorbringt - etwa das Ich erkläre (Je dtclare) von Königen oder das Ich singe (Je
chante) von sehr alten Dichtern".18 Hier sind nun zwei Punkte von Interesse: Erstens ist der Hinweis auf das ,ich singe' der sehr alten Poeten insofern für das Problem der Autorschaft relevant, als die Konstruktion von Autorschaft nicht primär
eine Form der Autoritätsausübung, sondern durch einen grundlegenden Verlust an
Autorität ausgezeichnet ist. 19 Zweitens ist Barthes' Rede von der Performativität
des Schreibens aufschlußreich. Schreiben bezeichnet nicht mehr die Resultate des
Schreibprozesses, also das Aufgezeichnete, Behauptete, Dargestellte oder aber das
im Sinne des 18. Jahrhunderts sprachlich ,Gemalte', sondern es geht um die Geste
6 Barthes: "La mort de l'auteur", S. 65: dt.: "Der Tod des Autors", S. 191.
7 Stingelin: "Nietzsches Poetologie der Autorschaft als Paradigma des französischen Poststrukturalismus", S. 105,
8 Jannidis: "Zwischen Autor und Erzähler", S. 540.
9 Vgl. Barthes: "La mort de l'auteur", S. 62.
10 Ebd.
11 Ebd.
12 Ebd., S. 63,
13 Ebd" S. 64. In die gleiche Richtung zielen Äußerungen Barthes' in seiner "Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen": "Ein Teil der zeitgenössischen Literatur hat den ,Protagonisten'
nicht angegriffen, um ihn zu zerstören (ein unmögliches Unterfangen), sondern um ihn zu ent-
personalisieren, was etwas ganz anderes ist [...]. In dieser Literatur gibt es immer noch ein ,Subjekt', aber dieses ,Subjekt' ist fortan die Sprache" (Barthes: "Einführung in die struluurale Analyse
von Erzählungen", S, 141, Pn. 42),
14 Vgl. Barthes: "La mort de l'auteur", S. 64, wo Barthes unter Hinweis auf Brecht den Begriff
"l'eloignement de l'auteur" verwendet.
15 Ebd,
16 Ebd.
17 Ebd.
18 Barthes: "Der Tod des Autors", S, 189,
19 So bemerkt Corti, in der Antike sei "der Vedusr der Autorität des Nichtautors - des göttlich inspirierten Sängers - die Bedingung für die Geburt eines Autors ohne Autorität. Der antike Sänger
besaß genau deshalb eine nicht anfechtbare Autorität, weil nicht er, sondern die Götter als Autoren seiner Lieder galten" (Corti: Die gesellschaftliche Rekonstruktion von Autorschaft, S, 131). Mit
Blick auf moderne Autorschaftskonzepte spricht Lämmert von der "unerhörten Möglichkeit", die
die elll'opäischen Schriftsteller seit dem 18. Jahrhundert wahrnehmen, "nicht mehr die Muse, sondern sich selbst anzurufen, um die eigene Einbildungskraft zu entzünden" (Lämmen: "Der Autor
und sein Held im Roman des 19. und 20. Jahrhundens", S. 415).
22
23
I. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
1.1 DER HERAUSGEBER IM KONTEXT DER DEBATTE UM DEN TOD DES AUTORS
des Schreibens selbst - eine Geste, die ihre Kraft unabhängig vom propositionalen
Gehalt des Geschriebenen entfaltet. Deshalb hat die poetische schriftliche Äußerung kein anderes Thema mehr als ihren eigenen Äußerungsakt.
In seinem Essay "Schriftsteller und Schreiber" unterscheidet Barthes zwischen
ecrivain und ecrivant: "Der Schriftsteller [ecrivain] erfüllt eine Funktion, der Schreiber [ecrivant] übt eine Tätigkeit aus".20 Während der Schreiber das Schreiben in
"transitiver Form" vollzieht, weil er etwas schreibt, vollzieht der Schriftsteller eine
intransitive und autoreflexive ,Geste des Schreibens'21: Der Schriftsteller wird als
jemand vorgestellt, "der seine eigene Rede bearbeitet"22, wobei sich seine Tätigkeit
sowohl an den technischen Normen "der Komposition, der Gattung, der Schreibweise" zu orientieren hat als auch an den handwerldichen Normen "der Mühe, der
Geduld, der Korrektheit, der Perfektion".23 Die wörtlich genommene Rede vom
,performativen Akt des Schreibens' mündet in den Begriff der "Scription", den Barthes in seinem unveröffentlichten Manuskript "Variation sur l'ecriture" entfaltet.
Dort wird die "Scription" als "muskuläre[r] Akt des Schreibens, des Buchstabenziehens" definiert, genauer gesagt, als "Geste, mit der die Hand ein Schreibwerkzeug ergreift (Stichel, Schilfrohr, Feder), es auf eine Oberfläche drückt, darauf
vorrückt, indem es sie bedrängt oder umschmeichelt und regelmäßige, wiederkehrende, rhythmisierte Formen zieht".24 Mit dem Begriff der Skription wird der Akt
des Schreibens als körperlicher Akt im Rahmen von "Schreib-Szenen"25 thematisiert.
Schreib-Szenen stellen die Spuren der Praktik des Schreibens mit der Hand dar. Dadurch kommt es zu einer Akzentverschiebung "vom Subjekt der Produktion zum
differentiellen Spiel des Textes".26 Die Untersuchung von Schreib-Szenen erlaubt
es ferner, das Geschriebene unabhängig von "der (juristischen) Person eines Autors"
zu denken. 27 Sie wird zum "Indiz für den technikhistorischen Stand der Dinge",
einen Stand, "der auch die Ideen bestimmt".28 So wird in Sternes Tristram Shandy
die Relevanz der Skription als körperlicher Aspekt des Schreibens auf die knappe
Formel gebracht: "Ask my pen, - it governs me, - I govern not it".29
Ein zweiter Aspekt, der die Körperlichkeit der Schrift und des Schreibens betrifft, ist der Akt des Zitierens, mit dem ein Fremdkörper, ein "corps etranger"30,
in den eigenen Text integriert wird. Compagnon faßt das Schreiben als "travail de
la citation", die immer schon "recriture"31 ist und sich deshalb als Collage, Glosse,
Zitat und Kommentar manifestiert. 32 Dabei begreift er den Akt des schreibenden
Zitierens als "geste archa'ique du decouper-coller"33 und als transplantierende
reffe"34 - ein Ausdruck, den auch Derrida verwendet, um die "Iterabilität" der
"g
•
Schrift
zu beschreiben. In "Signature Evenement
Contexte" ist von der "zitathaften Aufpfropfung", also del>greffe citationelle"35 die Rede, und in La Dissemination heißt es apodiktisch: "Ecrire veut dire greffer. C' est le meme mot".36
Auch bei Barthes findet sich der Gedanke, daß der Akt des Schreibens als Akt
des Zitierens zu fassen ist, wobei Barthes - wie Derrida - den Begriff zitierenden
Schreibens mit dem Begriff der Performanz verknüpft. Danach ist der "scripteur
moderne"37 nicht mehr durch seine schöpferische Individualität bestimmt, sondern
er ist eine überpersönliche Instanz des Schreibens, die den Text im Vollzug eines
performativen Aktes hervorbringt, weil er bereits Geschriebenes zitiert und arrangiert. 38 Wenn Barthes den Auteur durch den Scripteur ersetzt, tut er dies nicht nur,
20 Barthes: "Schriftsteller und Schreiber", S. 45. Die Differenzierung zwischen Schreiber und Autor
findet sich auch bei Ehlich, wenn er schreibt: "Die medial-fnnktionale Position des Schreibers läßt
die Frage der Urheberschaft prinzipiell noch ganz im weitestgehend institutionell-religiös geregelten Zusammenhang mündlicher Kommunikation" (EhIich: "Fnnktion und Stnüctur schriftlicher
Kommunikation", S. 34 f.).
21 Die Intransitivität schriftstellerischen Schreibens hat, wie es an anderer Stelle heißt, "etwas vom
Priester", insofern sein Schreiben "gewissermaßen eine Geste" ist (Barthes: "Schriftsteller und
Schreiber", S. 50).
22 Barthes: "Schriftsteller und Schreiber", S. 46.
23 Ebd. An gleicher Stelle wird der Schriftsteller von Barthes als Mensch charakterisiert, "der das
Warum der Welt radikal aufgehen läßt in einem Wie schreiben". Der Schriftsteller transformiert die
Frage nach den logischen Gründen und den kausalen Ursachen der Lebenswelt in die Frage nach
dem Stil, weil er "seine eigene Struktur nnd die der Welt in der Struktur des Wortes aufgehen läßt"
(ebd.). Dieses "Aufgehenlassen" der eigenen Struktur im Wort ist die Vorwegnahme der "Auflösung" des schreibenden Subjekts im Disknrs, wie sie in "Der Tod des Autors" nnd in Die Lust am
Text beschrieben werden.
24 Barthes: "Variation snr l'ecriture", S. 1535, zit. nach Stingelin: ",Unser Schreibzeng arbeitet mit
an unseren Gedanken"', S. 82 f.
25 Campe: "Die Schreibszene. Schreiben", S. 759.
26 Ebd.
27 Ebd.
28 Stingelin, ,,,Unser Schreibzeng arbeitet mir an nnseren Gedanken"', S. 83: Nach Stingelin versteht
die Hermeneutik das Schreiben dagegen als Ringen um Ideen, "in deren Dienst die körperlichen
und technischen Voraussetzungen des Schreibens als bloße Akzidentien stehen" (ebd.). Vgl. hierzu
aber anch Heideggers Überlegungen znm Schreiben mit der Hand in seinen Parmenides-Vorlesnngen. Für Heidegger steht die Schrift in einem "ursprünglichen Wesensznsammenhang" mit
dem Sein, "in den die zeigend-schreibende Hand gehört" (Heidegger: Parmenides, S. 125). So
kommt er zu dem Schluß: "In der Handschrift ist nun der Bezng des Seins zum Menschen, nämlich das Wort, in das Seiende selbst eingezeichnet" (ebd.). Bemerkenswerterweise ist sich Heidegger der Dimension der Schreibtechnik überaus bewußt, wie seine Überlegungen zur Differenz
zwischen dem Schreiben mit der Hand und dem Schreiben mit der Maschine belegen (ebd.,
S. 119). Derrida greift Heideggers Überlegnngen zur Handschrift in "Heideggers Hand" auf, wobei
er das Schreiben mit der Hand als besondere Form der "Gabe" begreift, die sich im Übergang vom
transitiven Geben zum intransitiven Sich-Geben befindet (Derrida: "Heideggers Hand", S. 68).
Im Anschlnß daran könnte man Herausgeberschaft als Form der Heraus-Gabe von Schrift und
Selbst-Heransgeberschaft als intransitives Sich-Herausgeben begreifen.
29 Stel'11e: The Lift and Opinions ofTristram Shandy, Gentleman, S. 403. Die moderne Variante hierzu
liefert Karl Kraus, dem das Schreiben und Dazuschreiben mit der Feder ebenfalls nicht fremd war:
"Ich beherrsche nur die Sprache der anderen. Die meinige macht mit mir, was sie will" (Krans:
Beim Wortgenommen, S. 326).
30 Compagnon: La Seconde main ou le Travail de la citation, S. 31.
31 Ebd., 5.32.
32 Ebd.
33 Ebd., S. 17.
34 Ebd., S. 31.
35 Derrida: "Signature Evenement Contexte", S. 381; dt.: "Signatur Ereignis Kontext", S. 32.
36 Derrida: La Dissemination, S. 431.
37 Barthes: "La mort de l''luteut'', S. 64.
38 Vgl. ebd., S. 65.
24
I. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
um den Akt des Schreibens als selbstbezügliche Geste zu thematisieren, sondern er
ergänzt die Performativität des Schreibens noch um den Aspekt des zitierenden Zusammenschreibens: "l'ecrivain ne peut qu'imiter un geste toujours anterieur, jamais
originel; son seul pouvoir est de meIer les ecritures". 39 Die so bestimmte Funktion
des Schreibens umfaßt beides: Schreiben als überpersönlichen und selbstbezüglichen performativen Akt sowie Schreiben als ,Mischen' von schon Geschriebenem.
Der Scripteur erweist sich mithin als "Bastard-Typus"40 aus Schriftsteller und Schreiber: Er ist Schriftsteller, insofern er den Akt des Schreibens selbstbezüglich vollzieht,
und er ist Schreiber, der bereits Vorhandenes mischend zusammenschreibt. Der
Scripteur ist als Bastard-Typus eine Hybridbildung, die ihrerseits Hybride erzeugt,
indem sie den performativen Akt des Schreibens als greffi citationelle vollzieht. Nach
Barthes ist jeder Text als ein "tissu de citations"41, als ein Gewebe aus Zitaten "ohne
Anführungszeichen"42 aufzufassen. Insofern der Text als Zitat-Teppich bestimmt
wird, verwandelt sich der Akt des Schreibens in die "Imitation einer immer schon
vorangegangenen Geste"43: Wer zitierend zusammenschreibt, der schreibt second
hand, denn der von ihm vollzogene Akt des Schreibens ist immer auch kopierendes Abschreiben. Insofern ist die Geste des Schreibens niemals ursprünglich oder
originell, sondern mischendes Hybridisieren und Pfropfen.
Was Barthes als ,Macht des Mischens' faßt, durch die ein Zitatteppich entsteht,
wird bei Kristeva zur intertextualite 44 respektive zur productiviti. 45 Der Begriff der
Intertextualität impliziert, daß jeder Text als "mosa'ique de citations" konstruiert
ist, das sich einem Prozeß der "absorption et transformation d'un autre texte" ver46
dankt. In die gleiche Richtung weiSt der Begriff der Produktivität: Er bezeichnet
die nicht stillzustellende "permutation de textes",47 Produktivität und Intertextualität kommen dabei - wie bei Barthes ,die Sprache' - als überindividuelle Bewegungen des Textes ins Spiel: Intertextualität wird zum Ersatzbegriff für
Intersubjektivität. 48
Gleichgültig, ob man das Funktionieren der Sprache Unter dem Vorzeichen der
Performanz oder unter dem Vorzeichen der Intertextualität betrachtet: Beide Modelle implizieren, daß die Akte des Sprechens, Schreibens und Lesens nicht als individuelle, selbstbestimmte Akte, sondern als fremdbestimmte travail du texte
vollzogen werden, die überindividuellen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Dies
schließt aber umgekehrt nicht aus, daß es gewisse individuelle Spielräume beim
Vollzug dieser überindividuellen Akte gibt. Zugleich stellt sich hier unter der Hand
39
40
41
42
43
44
45
46
Ebd.
Barthes: "Schriftsteller und Schreiber", S. 52.
Barthes: "La mort de I'auteur", S. 65.
Vgl. Barthes: "De I'ceuvre au texte", S. 73.
Ebd.
Kristeva: Semeiätike - Recherches pour une semanalyse, S. 146.
Kristeva: "Der geschlossene Text", S. 194.
Kristeva: Semeiätike - Recherches pour une semanalyse, S. 146. Vgl. hierzu auch Lachmanns Inrertextualitätskonzept (Lachmann/Schahadat: "Inrertextualität", S. 679 ff.).
47 Kristeva: "Der geschlossene Text", S. 194.
48 Vgl. Kristeva: Semeiätike - Recherehes pour une semanalyse, S. 146.
1.1 DER HERAUSGEBER IM KONTEXT DER DEBATTE UM DEN TOD DES AUTORS
25
ine Verbindung zwischen Theorien des Schreibens und Theorien des Lesens her:
~b man die Macht des Mischens als selbstbestimmten Akt eines individuell seleierenden und kombinierenden Subjekts deutet oder als überindividuellen Prozeß,
in jedem Fall muß man voraussetzen, daß der
Schreiber das, was er zitierend zusammenschreibt, gelesen hat: sei es in Form einer
bewußten Lektüre, sei es in Form einer unbewußten Prägung durch den kulturellen Kontext. Eine Einsicht, die gleichsam zum Credo postmoderner Ansätze geworden ist: "There can be no writing without reading", heißt es in de Mans
Interpretation der "Seconde Pdface" von Rousseaus Nouvelle Heloi'se. 49 Die literaturtheoretische Konsequenz dieser These ist die Interferenz der Instanz des Scripteur und der Instanz des Lecteur. Jedes Zusammenschreiben setzt immer schon ein
Zusammenlesen voraus, wobei die Funktion der Einheitsstiftung vom Zusammenschreiben auf das Zusammenlesen übertragen wird. Da das zitierende Zusammenschreiben nicht nur die Macht des Mischens, sondern auch die Kompetenz des
Lesens voraussetzt, wird dem Leser die Funktion der Einheitsstiftung der "ecritures multiples" überantwortet. 5o
Barthes' These vom "Tod des Autors" ruft die Erben auf den Plan: Der Scripteur
erbt als überpersönlicher Zusammenschreiber die Funktion des Schreibens. Der
Lecteur erbt als überpersönlicher Zusammenleser und Spurensammlet.51 die Funktion der Einheitsstiftung - und insofern er als Einheitsstifter fungiert, wird der
Leser zum ,Autor'.52 Die gleiche Einsicht gehört freilich auch schon zum theoretischen Repertoire der Romantik, so wenn Novalis behauptet, der "wahre Leser"
müsse "der erweiterte Autor seyn" .53
Bemerkenswerterweise hat sich die Literaturtheorie bislang darauf konzentriert,
die These vom ,Leser als Autor' zu plausibilisieren (oder aber zu kritisieren),
während die Frage nach dem Verhältnis von Autor und Herausgeber kaum berücksichtigt wurde. 54 Dabei verbinden sich im Herausgeber die Funktionen von Leser,
Schreiber und Autor in einer Weise, die alle bisherigen Überlegungen aufgreift: Der
Herausgeber liest nicht nur, bevor er schreibt, sondern er schreibt, indem er - wie
es der Herausgeber in Jean Pauls Leben Fibels tut - bereits Geschriebenes zusam-
~er nicht bewußt zu steuern ist -
49
50
51
52
De Man: "Allegory (Julie)", S. 202.
Vgl. Barthes: "La mort de I'auteur", S. 66.
Ebd., S. 67.
Mit Blick aufdie "Autorschaft des Lesers" betont Kleinschmidt, die produktive Auseinandersetzung mit dem Text rücke den Leser in die "funktionale Rolle einer ,zweiten' Autorschaft", während
umgekehrt jeder Autor "im Schreibprozeß immer auch schon die Aufgabe eines Lesers" hat (KleinschmidI': Autorschaft. Konzepte einer Theorie, S. 43): "Autor und Leser sind durch gleiche Anstrengung und Aufmerksamkeit in der Textarbeit vereint" (ebd.). Allerdings stellt Kleinschmidt
einschränkend fest, daß der "Leser als Autor" "ein qualitativ ganz ,anderer' Autor" ist als der
"primäre Verfasser" (S. 96).
53 Novalis: Vermischte Bemerkungen, in: ders.: Schriften, Bd. 2, S. 470. Bemerkenswerterweise wird
,Lun 1800' auch schon die These vom "Tod des Autors" antizipiert. So schreibt ]ean Paul in einem
seiner Briefe: "Die volendete Geburt ist für den Amor Begräbnis und er wird dan nur Leser." (Jean
Paul: Briefe, Bd. 4, S. 259)
54 Vgl. hierzu Couturier: La figure de l'auteur, S. 86.
---------------------26
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
menliest und dadurch eine Einheit stiftet. In besagtem Vorwort berichtet der fiktive Herausgeber, er habe die von französischen Marodeurs zerstreuten Blätter einer
bereits geschriebenen Biographie Fibels an dessen Geburtsort Heiligengut von der
dortigen Dorfjugend "zusammenlesen" lassen, "um aus allen biographischen
Papierschnitzeln geschickt jenen Luftballon zusammenzuleimen"55, der die Geschichte Fibels zu einer dichten Collage machen soll. Das mischende Zusammenschreiben zu einem Zitatteppich setzt - hier treffen sich Barthes' Thesen in "Der
Tod des Autors" mit de Mans Überlegungen zu Rousseaus Nouvelle Htloi'se - das
Zusammenlesen dieser Zitate voraus. Zugleich macht die Mehrdeutigkeit des Wortes ,Zusammenlesen' deutlich, daß die "editoriale Tätigkeit"56 mit der Kollektion
respektive der "Konsignation"57 von Schrift-Zeichen beginnt58 , dem "Sammeln
von Fragmenten"59, wie es bei Gumbrecht heißt, das vom "Verfassen von Kommental'en" begleitet wird. 60
Hieraus läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß der Herausgeber der erste
konsignative Leser und der letzte kommentierende Schreiber ist und, indem er
beide Rollen miteinander kombiniert, zu einem zweiten Autor wird. Während sich
der Auteur, wie Barthes schreibt, zu seinem CEuvre notwendigerweise im gleichen
"rapport d'antecedence" befindet, das "un pere entretient avec son enfant"61, ist das
Verhältnis zwischen dem Herausgeber und dem von ihm Herausgegebenen von der
Verpflichtung zur "alimentation" (eben hierauf verweist der Ausdruck "entretient")
entlastet: Er ist nicht der natürliche Vater, sondern er faßt den Entschluß zur Aneignung des Textes in Form der Adoption. Autorschaft steht dabei - wie Herausgeberschaft - an der Schnittstelle zwischen der determination des Werks durch die
Welt und der appropriation des Werks, nämlich der Zuschreibung an seinen Autor.
Gemäß der literaturwissenschaftlichen Auffassung vom Autor als Schöpfer ist der
Autor Vater und Besitzer seines Werkes: "I:auteur est repute le pere et le proprieraire des son oeuvre".62 Im Gegensatz dazu läßt sich der Text - verstanden als
emphatischer Gegenbegriff zum Werk - ohne die aneignende Einschreibung des
Vater-Autors lesen: "Le Texte, lui, se lit sans l'inscription du pere".63 Mit der Befreiung des Textes von den Fesseln der väterlichen Autorität des Autors verliert der
Autor auch sein Recht über den Leser,64 Gleichsam als Konsequenz dieserTheorie
des Lesens schreibt Barthes: "Schreiben heißt, es den anderen überlassen, das ei55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
Jean Paul: Leben Fibels, S. 375.
Vgl. Martens: "What Is a Text?", S. 216.
Vgl. Denida: Dem Archiv verschrieben, S. 12 f.
Vgl. hierzu auch Heidegger: "Was heißt Lesen?", S. 111: "Was heißt Lesen? Das Tragende und Leitende im Lesen ist die Sammlung". In seinen Pannenides-Vorlesungen wird das Lesen als "Sammeln (,Ähren lesen')" direkt aus dem Griechischen legein -logos abgeleitet (Heidegger: Parmenides,
S. 125).
Gumbrecht: Die Macht der Philologie, S. 14.
Ebd. Zur Funktion des Kommentars vgl. auch Raible: "Arten des Kommentierens", S. 54.
Barthes: "La mort de l'auteur", S. 64.
Barthes: "De I'ceuvre au texte", S. 74.
Ebd.
Vgl. Barthes: "Ecrire la lecture", S. 34.
I.! DER HERAUSGEBER IM KONTEXT DER DEBATTE UM DEN TOD DES AUTORS
27
ne Sprechen eindeutig zu machen".65 Hieraus folgt: In dem Maße, in dem das
~~ll1'eiben die Bedeutung des Gesagten zur Disposition stellt, erhält das Lesen eine
dispositive Funktion.
1.2 Die werkkonstitutive Funktion des Autors
Während Barthes den Begriff des Autors auflöst, weil er das Schreiben dem Scripteur und die auktoriale Funktion der Einheitsstiftung dem Leser überträgt, möchte
Foucault - meines Erachtens als Replik auf Barthes' These vom "Tod des Autors"
_ jene Orte aus~ndig ~ach,en, a~, denen der Autor "seine.~unktionau~übt"66 und
sein Fortleben "listenreich sichert .67 Foucault geht es erklartermaßen mcht darum,
mit Barthes das Verschwinden beziehungsweise den Tod des Autors erneut festzustellen, sondern "die freien Stellen und Funktionen, die dieses Verschwinden sichtbar macht, auszukundschaften".68
Dabei entfaltet Foucault den Begriff des Autors im Spannungsfeld zweier Befunde: zum einen die Gleichgültigkeit gegenüber demjenigen, der etwas geschrieben hat ("Wen kümmert's, wer spricht, hat jemand gesagt"), zum anderen die
65 Barthes: "Literatur und Bedeutung", S. 126.
66 Foucault: "Was ist ein Autor?", S. 7. Dabei ist die Rede von der "Funktion Autor" - ebenso wie
die These vom "Tod des Autors" - kritisch auf eine "Autorschafts-Semantik" zu beziehen, die von
der "Identität zwischen Künstler und Schäpfergott" und von der "autorzentrierte[n] Rezeption
von Literatur" ausgeht (Corti: Die gesellschaftliche Rekonstruktion von Autorschaft, S. 135). Nach
Corti ist die Frage nach dem Autor als Frage nach einer bestimmten Semantik aufzufassen: "Wie
alle Realität gewinnt der Autor erst durch Semantik eine faßbare und nachvollziehbare Wirldichkeit. Außerhalb von Semantik existiert Autorschaft nicht" (ebd., S. 129). In diesem Zusammenhang stellt sie - analog zu Luhmanns Analyse der Entstehung einer Individualitätssemantik im
Laufe des 18. Jahrhunderts - fest, daß die Einführung der Autorschafts-Semantik "zeitlich mit der
Umstellung der Struktur der Gesellschaft von Stratifikation zu funktionaler Differenzierung zusammen[fhllt]" (ebd.). Vor diesem Hintergrund kritisiert Corti den Modus, in dem Foucault die
Frage nach dem Autor stellt und beantwortet, da in beiden Fällen offensichtlich "die Existenz einer
ursprünglichen, von jeglicher gesellschaftlichen Funktion befreiten Autorschaft voraus[gesetzt]"
wird (ebd., S. 130). Nur aufgrund dieser Präsupposition kann die "moderne Reduktion des Autors auf seine gesellschaftliche Funktion" von Foucault "als Indiz für den Tod des ,eigentlichen'
Autors behandelt werden" (ebd.). Gegen diese kritische Einschätzung von Foucaults Antwort auf
die Frage "Was ist ein Autor?" läßt sich einwenden, daß Foucault, im Gegensatz zu Barthes, gerade nicht den "Tod des Autors" pl'Oldamiert, sondern vielmehr davon ausgeht, daß es eine "Funktion Autor" gibt, die unabhängig von der Annahme eines Schäpfer-Autors funktioniert.
67 Foucault: "Was ist ein Autor?", S. 13.
68 Ebd., S. 15. Vgl. hierzu auch Japps Feststellung: "Was Foucault tatsächlich (in Ansätzen) beschreibt, ist deshalb eine kritische Analyse der Funktion des Autors in der Ordnung des Diskurses, nicht das Verschwinden des Autors aus dieser Ordnung" (Japp: "Der Ort des Autors in der
Ordnung des Diskurses", S. 232 f.).
28
29
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
1.2 DIE WERKKONSTITUTNE FUNKTION DES AUTORS
Verwandtschaft des Schreibens mit dem Tod. Dies zeigt sich sowohl in der Verwischung "der individuellen Züge des schreibenden Subjekts" als auch im Wunsch,
durch das geschriebene Werk "unsterblich" zu werden. 69 Vor dem Hintergrund dieser beiden Befunde wird der Akt des Schreibens als doppelte Geste ausgezeichnet:
"Mit Hilfe all der Hindernisse, die das schreibende Subjekt zwischen sich und dem
errichtet, was es schreibt, lenkt es alle Zeichen von seiner eigenen Individualität ab;
das Kennzeichen des Schriftstellers ist nur noch die Einmaligkeit seiner Abwesenheit; er muß die Rolle des Toten im Schreib-Spiel übernehmen",7°
Liest man diese Passage als Kommentar zu Barthes' These, der Scripteur werde
in dem Moment geboren, in dem er den Text hervorbringt7 !, so kann man eine
polemische Umkehrfigur erkennen: Barthes' These vom überpersönlichen Scripteur als Totengräber des persönlichen Autors wird nicht nur überboten, sondern
zugleich ad absurdum geführt: Schreiben oszilliert zwischen dem Sich-Auflösen des
Individuellen im Überpersönlichen - also Tod - und dem äußerst persönlichen,
auktorialen Wunsch nach Wiedergeburt und Unsterblichkeit. An die Stelle von
Barthes' These, der Schreiber könne niemals ursprünglich und originell sein, sondern das Schreiben nur als "geste toujours anterieur" imitieren72 , rückt bei Foucault das Schreiben als widersprüchliche Geste. Der Akt des Schreibens führt nicht
zur Geburt des Schreibers, sondern umgekehrt, der Akt des Schreibens ermöglicht
es dem schreibenden Subjekt zu verschwinden, sich freiwillig auszulöschen, dabei
Schreibspuren zu hinterlassen und dadurch ein Werk zu schaffen, das es "unsterblich" macht. 73 Auch der Geste des Schreibens kommt eine andere Bedeutung zu:
"Dans l' ecriture, il n'y va pas de la manifestation ou de l' exaltation du geste d' ecrire; i1 ne s' agil' pas de l' epinglage d'un sujet dans un langage; il est question de
l' ouverture d'un espace Oll le sujet ecrivant ne cesse de dispara1tre",74 Foucaults
Behauptung, im Schreiben gehe es nicht um die Bekundung oder die Lobpreisung
des Schreibens als Geste, spielt offensichtlich auf Barthes' Rede vom Schreiben als
"geste toujours anterieur" an. Zwar spricht auch Foucault von der "geste d'ecrire",
aber seine Bestimmung des Schreibens als doppelte Geste verläuft konträr zur Barthesschen These, der Scripteur komme erst mit dem Schreibprozeß zur Welt.
Während Barthes die Prozessualität des Schreibens mit der ,Geburt' assoziiert, initialis iert das überindividuelle "Spiel der Schrift" bei Foucault das Sich-zum-Verschwinden-Bringen des schreibenden Subjekts. Die "geste d'ecrire" wird gerade
nicht mit der Geburt, sondern mit dem Tod assoziiert,75
Nicht nur die Überindividualität der Schrift, auch die Performativität des
Schreibens hat im Kontext der Barthesschen These vom "Tod des Autors" eine andere Funktion als im Kontext der Foucaultschen Frage nach dem Autor: Für Foucault sind es nämlich gerade die Begriffe Werk und Schrift, welche die Feststellung
vom Verschwinden des Autors blockieren und das Denken "am Rande dieses Verlöschens" festhalten,76 Eine Form des Festhaltens am Autor ist die Aneignungsfunktion, die dem Text einen Autor zuordnet, wobei Foucault davon ausgeht, daß
der Autor weder der Eigentümer seiner Texte ist noch für seine Texte die alleinige
Verantwortung trägt. In welcher Form der Autor Verantwortung für den Text zu
übernehmen hat, wird erst durch die Funktion Autor vorgeschrieben. Damit
kommt die performative Dimension ins Spiel. Anders als Barthes spielt Foucault
nicht den Text gegen das Werk aus, sondern fragt nach den performativen Rahmenbedingungen, nämlich wie der speech acp7 beschaffen ist, der es erlaubt, von
einem Werk zu sprechen. Dieser speech act ist nun nicht mehr der Akt des Schreibens, sondern der Akt des Zuschreibens, also der Sprechakt, durch den Geschriebenes zum Werk wird. Eben hier wird die Frage nach dem Herausgeber virulent:
"Wie lässt sich aus den Millionen von Spuren, die jemand nach seinem Tod hinterlässt, ein Werk definieren? Die Theorie des Werks existiert nicht, und denen, die
naiv daran gehen, Werke herauszugeben, fehlt eine solche Theorie, und ihre empirische Arbeit kommt rasch zum Erliegen",78
Ausgehend von der Unsicherheit des Werk-Begriffs - "Was ist das für eine komische Einheit, die man mit dem Namen Werk bezeichnet?" - will Foucault die
69 Foucault: "Was ist ein Autor?", S, 12.
70 Ebd, In der neuen Übetsetzung heißt es: "Durch alle Barrieren, die das schreibende Subjekt zwischen sich und dem, was es schreibt, errichtet, bringt es alle Zeichen seine\' individuellen Besonderheit durcheinander, Das Merkmal des Schriftstellers besteht nur noch in der Eigentümlichkeit
seiner Abwesenheit. Er muss die Rolle des Toten im Spiel des Schreibens einnehmen" ("Was ist ein
Autor? [Vortrag]", S, 1009).
71 VgI. Barthes: "La mort de I'auteur", S. 64,
72 Ebd., S. 65.
73 VgI. Foucault: "Was ist ein Autor?", S, 12.
74 FOllCault: "Qu'est-ce qu'un auteur?", S. 798, Diese Passage zitiere ich auf französisch, weil sowohl
in der alten als auch in der neuen Übersetzung Mängel festzustellen sind, In der Fischer-Ausgabe
heißt es: "Im Schreiben geht es nicht um die Bekundung oder die Lobpreisung des Schreibens als
Ges~e, es handelt sich nicht dal'Um, einen Stoff (Sujet) im Sprechen festzumachen; in Frage steht
die Öffnung eines Raumes, in dem das schreibende Subjekt (Sujet) immer wieder verschwindet"
(Foucault: "Was ist ein Autor?", S. 11). Es wurde vielfach bemängelt, daß sujet zunächst mit Stoff
und nicht ebenfalls, wie im nächsten Halbsatz, mit Subjekt übersetzt worden ist, da die Wendung
"ein Subjekt im Sprechen festzumachen" hier sehr viel sinnvoller erscheint. In der Fassung von
"Was ist ein Autor?", die in Texte zur Theorie der Autorschaft abgedl'Uckt ist, findet sich immerhin
eine Fußnote, welche die Mehrdeutigkeit von sujet vermerkt. In der Neuübersetzung von "Was ist
ein Autor" des Suhrkamp-Verlages wird die Stelle neutral übersetzt, aber doch so, daß Sujet und
Subjekt als nichtidentische Begriffe auftauchen: "Das Schreiben entwickelt sich wie ein Spiel, das
75
76
77
78
zwangsläufig seine Regeln überschreitet und so über sie hinaus tritt. Im Schreiben geht es nicht
um den Ausdruck oder um die Verherrlichung des Schreibens, es geht nicht darum, ein Sujet einer
Sprache anzuheften, es geht um die Öffnung eines Raumes, in dem das schreibende Subjekt unablässigverschwindet" (Foucault: "Was ist ein Autor? [Vortrag]", S. 1007). Problematisch bei dieser Übersetzung ist indessen, daß die "geste d'ecrire" unterschlagen wird, die jedoch - so meine
Vermutung - im Kontext der Barthesschen Rede vom Schreiben als "geste toujours anterieur" zu
verstehen ist.
Erst in Die Lust am Text findet sich auch bei Barthes das ambivalente Bild von der Selbstauflösung
im Prozeß des Schreibens, bei dem sich das Subjekt im Gewebe des Textes verliert und sich auflöst "wie eine Spinne" in den "konstl'Uktiven Sekretionen ihres Netzes" (Barthes: Die Lust am Text,
S,94),
Foucault: "Was ist ein Autor?", S. 13,
Ebd., S, 7,
FOllcault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1010,
30
31
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
1.2 DIE WERKKONSTITUTIVE FUNKTION DES AUTORS
komplizierten Operationen beleuchten, als deren Ergebnis Geschriebenes einem
Autor zugeschrieben wird. Dabei erhebt Foucault ganz offensichtlich Einwände
gegen die Verabschiedung des Autors. Der Verzicht auf den Schriftsteller und die
Beschäftigung mit dem Werk ,als solchem' führt nämlich nur zu einem re-entry der
im Zusammenhang mit dem Autorbegriff aufgeworfenen Probleme der Einheit
und der Einzigartigkeit,79 Das Buch als Erscheinungsform des Werks ist, wie Foucault in der Archäologie des Wissens bemerkt, nur vermeintlich ein "Gegenstand, den
man in der Hand hat", denn "seine Einheit ist variabel und relativ". 80 Die Einheit
des Werkes ist daher "weit entfernt davon, unmittelbar gegeben zu sein", vielmehr
wird sie durch ein "interpretatives Tun"81 konstituiert. Dieses interpretative Tun
setzt mit der Herausgabe des Werkes ein. 82
Die theoretischen und praktischen Probleme, die Foucaults Frage aufwirft, ob
alles, was ein Autor geschrieben und hinterlassen hat, Teil seines Werkes sei, besitzen insofern editionstheoretische Relevanz, als es der Editionstheorie ja darum geht
zu klären, wie sich aus "den Millionen von Spuren", die ein Schriftsteller hinterläßt, sein Werk bestimmen läßt. Gemäß der historisch-kritischen Werktheorie
gehören die Entwürfe, die Randbemerkungen, die "Hinweise auf eine Verabredung" oder die "Wäschereizettel"83 nicht zum Werk, sondern zum avant-texteauch wenn sie als Zeugnisse der Werkgenese im Apparat mit herausgegeben werden. Die Frage ist freilich, aufgrund welcher editorischer Vorentscheidungen und
Interpretationen die Grenze zwischen texte und avant-texte festgelegt wird und in
welches hierarchische Verhältnis der avant-texte, der Text und seine Varianten gebracht werden. 84
Poststrukturalistische Editionstheorien zielen darauf ab, den Prozeß sichtbar zu
machen, durch den diese Grenze entsteht. Dabei gerät sowohl die "editoriale Tätigkeit"85 als auch die Dynamik der Schrift in den Blick: Espagne betont im Rekurs
auf das von Foucault in der Archäologie des Wissens angewandte Verfahren und auf
Derridas in der Grammatologie entfalteten Schriftbegriff die entscheidende Funkt' on der editorialen Tätigkeit für die Wer1d<:onstitution. Nach Espagne läßt sich
~erridas Untersuchung der Schrift als Projekt deuten, das "Spiel der Varianten" zu
verfolgen, da das "Spiel der Schrift" dem "Spiel der Varianten" vorausgeht. 86 Dabei
erweist sich der editoriale "discours sur la genese ou la symbolisation de ses etapes"
als Interpretation, die auf der Fiktion beruht, daß der Herausgeber am Akt der
Schöpfung (l'acte createur) teilhat, während er den Entstehungsprozeß des Textes
als simulacre rekonstruiert. 87 Die so verstandene editoriale Tätigkeit entspricht einer
generativen Form der "strukturalistischen Tätigkeit"88: Das synchrone Zerlegen
und Arrangieren wird in ein diachrones - genetisches - Re-Arrangieren der Textvarianten transformiert, das letztlich die Dichotomie zwischen texte und avant-texte
ebenso wie die Dichotomie von bewußter und unbewußter Entscheidung für eine
Variante nivelliert.
Die Frage "Was ist ein Text?" wird im Bereich der Editionstheorie - ebenso wie
im Bereich der Literaturtheorie - auf zwei grundsätzlich verschiedene Arten beantwortet. Für die einen ist der Text ein fixiertes linguistisches Objekt, wobei die
Varianten - anders als die ,Lesarten' - nicht zum Text gehören, sondern als Abweichungen vom Text betrachtet werden. Für die anderen stellen die Varianten
verschiedene Versionen des Textes" dar. 89 Aus editorialer Sicht muß, so Martens,
~in Werk, das in verschiedenen Versionen vorliegt, als "historischer Prozeß" interpretiert werden, wobei alle Textversionen, die innerhalb dieses Prozesses entstanden sind, als "prinzipiell gleichwertig" angesehen werden müssen. 90 In diese
Richtung zielt auch die critique genetique, die versucht, "anhand der überlieferten
Schreibspuren den schriftlichen Entstehungsprozeß literarischer Werke zu rekonstruieren".91 Eine derartige editoriale Herangehensweise versteht den Begriff der
Literatur als "unabschließbare[n] Akt der Produktion und Rezeption".92 Dies bedeutet freilich auch, daß die critique genitique "ohne einen Begriff des schreibenden und lesenden Subjekts nicht aus [kommt]" - ein Subjekt, das dadurch
bestimmt ist, daß es sich "in immer neuen Facetten in den Produktionsprozeß einschreibt", das "nicht nur der erste Leser dieser seiner Produktion ist", sondern
"seine eigenen, oft in Exzerpten festgehaltenen Leseerfahrungen in die Schreibproduktion miteinbringt" .93
Entscheidend scheint mir dabei zu sein, daß mit diesem "noch zu theoretisierenden neuen Subjektbegriff" die scharfe Grenze schwindet, "die bislang zwischen
Produktion und Rezeption, zwischen Schreiben und Lesen gezogen wurde".94 Nach
79 Vgl. ebd.: "Deshalb ist es nicht ausreichend, zu bekräftigen: Verzichten wir auf den Schriftsteller,
verzichten wir auf den Autor und beschäftigen wir uns gleich mit dem Werk als solchem. Das Wort
,Werk' und die Einheit, die es bezeichnet, sind wahrscheinlich ebenso problematisch wie die Individualität des Autors". Vgl. hierzu auch Szondi, der die Behauptung Müller-Seidels, ,,[e]in Werk
als ganzes [sei] nicht beliebig auslegbar, sondern eindeutig gemeint", folgendermaßen kommentiert: "Der Irrtum dieses Satzes liegt nicht bloß in der Annahme, daß ein Werk als Ganzes eindeutig
gemeint ist, was nebenbei die Frage aufWirft, welche Vorstellung von der Struktur des Kunstwerks
es überhaupt zuläßt, daß es der Vieldeutigkeit im Einzelnen zum Trotz als Ganzes eindeutig gemeint sei. Falsch ist zudem die Alternative: wenn nicht ,eindeutig gemeint', dann ,beliebig auslegbar'" (Szondi: "Über philologische Erkenntnis", S. 29).
80 Foucault: Die Archäologie des Wissens, S. 36.
81 Ebd., S. 38.
82 Vgl. Gumbrecht: Die Macht der Philologie, S. 15, der behauptet, daß es sich bei der "philologische[n] Kerntätigkeit" nicht bloß um eine Ergänzung der Interpretationsarbeit an den jeweils erörterten Texten" handelt.
83 Foucault: "Was ist ein Autor (Vortrag)", S. 1010.
84 Vgl. Gresillon: ,,,Critique genetique"', S. 22, sowie Espagne: De l'archive au texte. Recherches d'histoire genltique, S. 179.
85 Vgl. Martens: "What Is a Text?", S. 216.
86 Vgl. Espagne: De l'archive au texte. Recherches d'histoire genltique, S. 177: die "jeux de l'ecriture [".]
sollt avant tout des jeus de variantes".
87 Ebd., S. 179.
88 Vgl. Barthes: "Die strukturalistische Tätigkeit", S. 158 ff.
89 Vgl. Martens: "What Is a Text?", S. 210.
90 Ebd., S. 212.
91 Gresillon: ",Critique genetique"', S. 14.
92 Ebd., S. 23.
93 Ebd.
94 Ebd.
-------------------------32
1.3 DIE FUNKTION AUTOR UND DIE FUNKTION DES AUTORNAMENS
Gresillon fallen beide Aktivitäten in einem Prozeß zusammen, "durch den Texte aus
Texten gemacht werden, und jeder Leser des entstehenden bzw. entstandenen Textes auf seine Art den Text weiterschreibt".95 Kritisch zu hinterfragen bleibt hier Weniger der zugrundeliegende Begriff des Schreibens als vielmehr der Begriff des
Lesens. So könnte man etwa mit Herbert Kraft einwenden, daß der Prozeß des Lesens den Texten als materialen Objekten immer äußerlich bleibt, mithin also "nicht
die Texte, sondern die Werke in ihrer Bedeutung" konstituiert. 96 Folglich gilt es,
die Differenz zwischen dem Prozeß des Lesens und dem editorialen Prozeß des Zusammenlesens herauszuarbeiten. Zugleich thematisiert der von Gresillion ins Spiel
gebrachte Begriff des "schreibenden Subjekts" erneut die Differenz zwischen Auteur und Scripteur, also zwischen einem einmaligen Akt poetischen Schaffens und
dem wiederholbaren Ausführen einer performativen Funktion.
. pliziert keineswegs, daß der Akt des Schöpferischen nur mehr als anonyDas. ~:ichenprozeß gedeutet werden muß, wie es Kleinschmidt nahelegt, selbst
met nan konzediert, daß der Autor als "personale Projektion" den Ausbruch "aus
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~licht die Funktion Autor, sondern umgekehrt: Das ganze "differenzierte
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- eu:e un ~.P die das schreibende Subjekt "von semer Epoche ubernimmt oder dIe es selt10~1, its modifiziert" .102 Dieses differenzierte Spiel des Schreibens ist zugleich ein
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was b elutet es nun, Individualität und Ich als performative Rahmungsfunktionen zu be-
1.3 Die Funktion Autor und die Funktion des Autornamens
, ".,:
33
1, DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
Während Barthes die einheits- und werkstiftende Funktion des Autors dem Lecteur
als interpretierendem Zusammenleser überantwortet, untersucht Foucault das ,interpretative Tun' als juridisch-institutionelles Performativ, überläßt die Autorfunktion also nicht dem Leser, sondern transformiert die Frage nach dem Autor in die
Frage nach der institutionellen Bedeutung des Autornamens - zum einen hinsichtlich der Bezeichnungsbeziehung zwischen Namen und Individuum, zum anderen
hinsichtlich der Zuschreibungsbeziehung zwischen Namen und Werk. Der Autor
als Individuum, als schöpferische Kraft, als Ursprungsort des Schreibens, ist für Foucault, "nur die mehl' bis minder psychologisierende Projektion der Behandlung, die
man Texten angedeihen läßt".97 Diese Einsicht impliziert jedoch keineswegs die Behauptung, es gäbe keinen realen Autor. Vielmehr stellt Foucault in Die Ordnung des
Diskurses fest: "Es wäre sicherlich absurd, die Existenz des schreibenden und erfindenden Individuums zu leugnen. Aber ich denke, daß - zumindest seit einer bestimmten Epoche - das Individuum, das sich daran macht, einen Text zu schreiben,
aus dem vielleicht ein Werk wird, die Funktion des Autors in Anspruch nimmt".98
Es geht Foucault also nicht um die Ablehnung schöpferischer Subjektivität99 ,
sondern darum, Autorschaft als eine performative Rahmungsoperation zu fassen.
95
96
97
98
99
Ebd., 5, 23 f.
Kraft: Editionsphitotogie, S. 9.
Vgl. Foucault: "Was ist ein Autor?", 5, 20,
Foucault: Die Ordnung des Diskurses, 5, 21.
Vgl. Blamberger, der die vermeintliche Ablehnung mit dem Argument kritisiert, sie beruhe "auf
der ontologischen Annahme eines transpersonalen Ursprungs von Kreativität" (Blamberger: Das
Geheimnis des Schöpferischen oder: Ingenium est ineffabite?, 5, 51).
greifen?
. '
.
.
Hier bieten sich zweI alternatIve ArgumentatIonen an, dIese Frage zu beantworten. Im Rückgriff auf Lejeune könnte man die Ansicht vertreten, daß der Name
von Autor, Erzähler und Figur in bestimmten Fällen identisch ist. 104 So besteht der
"autobiographische Pakt" in der Bestätigung dieser Identität durch den Text und
dUl'ch die performative Rahmung des Textes:
Der Text selbst bietet an seinem äußersten Rand diesen letzten Begriff, den Eigennamen des Autors, der zugleich textgebunden und unzweifelhaft referentiell ist. Diese Referenz ist deshalb unbezweifelbar, weil sie auf zwei sozialen Einrichtungen aufgebaut ist:
auf dem gesetzlichen Personenstand (einer Konvention, die jedermann seit der frühe-
100 Kleinsclunidt: Autorschaft. Konzepte einer Theorie, S. 80. Nach Kleinschmidt wird der "schöpferische Mensch" der "sprachlichen Zeichenmaske" mit dem Ziel unterlegt, "vom Gefühl eigenen
Unvermögens bei der Wahrnehmung von Texten" zu entlasten (5. 81). Dergestalt werten sich
Werk und Schöpfer-Autor im Rahmen der genieästhetischen Ideologie wechselseitig auf (5. 84).
Für den Leser wird der Autor angesichts "schwieriger Texte" wichtig, Diese "sekundäre ,Erfindung' des Autors als Schiedsinstanz" ist jedoch keineswegs "interesselos", da der Leser immer
auch "an seiner eigenen Macht" gegenüber dem Autor interessiert ist (5,95). Der Autor stellt für
die rezeptive Kommunikation also nicht nur "abstrakte Textmaskierungen" dar, sondern diese
Textmaskierung erhält durch den Leser allererst ihre Kontur (5. 94). Werber und Stöckmann
schlagen in ihrem Aufsatz "Das ist ein Auto!'!" einen dritten Weg "zwischen den hermeneutischen
Figuren einer vorgängigen Schöpfer-Autorität und der Genügsamkeit poststrukturalistischer und
diskurstheoretischer Analysen" vor. Ihr Ziel ist es, ein Autorschaftskonzept zu entwickeln, das
insofern den "Kontakt zur ,Wirldichkeit' literarischer Kommunikation" herstellt, als der Autor
ein "irreduzibler Selektionshorizont" ist: "eine Ressource gleichsam wie viele andere, ohne die es
- trivial, aber wahr - keinen Text geben würde" (WerberlStöckmann: "Das ist ein Autor!", 5, 249).
Dabei kann man vom Autor allerdings nur als einer "Werk-Funktion" sprechen: Er ist "eine systemre!ative Funktion literarischer Kommunikation" (5, 250).
101 Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 21.
102 Ebd, Dabei kann es durchaus zu epochalen Modifikationen und Umschreibungen der Autorfunktion kommen; doch sobald "das Individuum, das sich daran macht, einen Text zu schreiben", das in seiner Epoche gültige Bild vom Autor umstößt, "schafft es eine neue Autor-Position,
von der aus es in allem, was es je sagt, seinem Werk ein neues, noch verschwommenes Profil verleiht" (5. 22).
103 Foucault: Die Ordnung des Diskurses, 5, 22.
104 Vgl. Lejeune: "Der autobiographische Pakt", S. 228. Vgl. hierzu auch: de Man, "Autobiographie
als Maskenspiel", S. 133 f.
34
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
sten Kindheit in sein Innerstes aufgenommen hat) und dem Kontrakt der Herausgabe;
man hat sodann keinen Grund, an der Identität zu zweifeln. 105
Interessanterweise gründet für Lejeune Autorschaft nicht nur auf der referentiellen
Beziehung zwischen dem Autornamen und dem schreibenden "Schöpfer der
Rede"106, sondern auch auf dem Kontrakt der Herausgabe. Der Autor mit Erzählfunktion ist keine Person - wohl aber die Instanz, "die schreibt und veröffentlicht" .107 Insofern der Name auf dem Bucheinband und auf dem Deckblatt "die
gesamte Existenz dessen, den man den Autor nennt", zusammenfaßt, bezieht sich
der Name des Autors aber auch auf dessen Funktion, der Herausgeber seiner eigenen Schriften zu sein. Erst durch die Herausgabe qua Veröffentlichung nämlich
übernimmt die ,wirldiche Person', auf die der Name des Autors als "einziges Zeichen im Text von einem unbezweifelbaren Außerhalb-des-Textes" verweist, "die
Verantwortung für die Aussage des ganzen geschriebenen Textes". 108 Diese Person
stellt, da sie gleichermaßen "außerhalb des Textes" und "im Text" angesiedelt ist,
"die Verbindung zwischen beiden Bereichen her" .109 Aber ist es wirldich die ,wirkliche Person', die die Verbindung zwischen beiden Bereichen herstellt, oder nicht
doch nur der Name der ,wirklichen Person', ja, spielt die ,wirldiche Person' überhaupt eine Rolle?
An dieser Frage arbeitet sich Foucault ab. Im Gegensatz zu Lejeune bezeichnet
der Name des Autors auf dem Titelblatt für Foucault kein Individuum, keine wirkliche Person, sondern ist eine "Kennzeichnung" der Funktion Autor. Der Autorname ist "mehr als ein Anzeigen, eine Geste, mehr als ein Finger, der auf jemanden
zeigt; in gewisser Weise ist er gleichbedeutend mit einer Beschreibung". 110 Doch
was heißt das? Mit der Unterscheidung zwischen ,Bezeichnung' und ,Beschreibung'
rekurriert Foucault explizit auf Searles Analyse des Eigennamens im Rahmen seiner Sprechakttheorie. 111 Foucaults Behauptung, Eigenname und Autorname seien
105 Lejeune: "Der autobiographische Pakt", S. 243. Hinsichtlich der Beziehung zum eigenen Körper ist der Erwerb des Eigennamens bedeutsam: "Der erste empfangene und übernommene
Name, der Name des Vaters, und vor allem der Vorname, der euch von ihm unterscheidet, sind
zweifellos grundlegende Gegebenheiten in der Geschichte des Ich" (S. 242).
106 Ebd., S. 227.
107 Ebd. Lejeune faßt den Autor als "widdiche, gesellschaftlich verantwortliche Person", die "zugleich
der Schöpfer" ihrer Rede ist. Der Leser dagegen, "der diese widdiche Person nicht kennt und
doch an ihre Existenz glaubt, bestimmt den Autor als die Person, die in der Lage ist, diese Rede
hervorzubringen, und stellt sie sich also von dem her vor, was sie produziert" (S. 227). In dieser
doppelten Geste von auktorialer Selbst-Bestimmung und der Bestimmung durch den Leser besteht der Akt der Zuschreibung.
108 Ebd., S. 226. Weiter heißt es bei Lejeune: "In vielen Fällen beschränkt sich die Anwesenheit des
Autors im Text lediglich auf diesen Namen. Aber der Platz, der diesem Namen eingeräumt wird,
ist erstrangig, ist er doch nach allgemeiner Übereinkunft mit dem Engagement einer wirklichen
Person zur Verantwortlichkeit verknüpft" (ebd.).
109 Ebd., S. 227.
110 Vgl. Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1012.
111 Ebd. Foucault verweist dabei auf Seades Buch Speech Acts, das ein Kapitel über Eigennamen enthält (vgl. Seade: Sprechakte, S. 243-260).
1.3 DIE FUNKTION AUTOR UND DIE FUNKTION DES AUTORNAMENS
35
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1 Bedeutung und Smn. DIe Bedeutung lrefert den dIrekten,
Aspe<te
.. l' h d'
.
indirekten Zugang zum Referenzobjekt. Genauer. gesagt: Der Sm? ermog IC t Ie
Bezugnahme durch eine identifizierende BeschreIbung, welche dIe Art des Gegebenseins eines Namens ausmacht.
.
. .
Für die sprachphilosophische Auseinandersetzung mIt Fre~es Namenstheone 1st
die Frage zentral, in welchem Verhältnis die Bedeutung des .Elgenname?s - das Referenzobjekt - und der Sinn - die identifizierende Be.schrelbung - zuemand~r steund BeschreIbung
h en. Insbesondere stellt sich die Frage, ob BezeIchnung h'
wechselseitig
durcheinander ersetzt werden können. Frege sc emt d'leser A u Er~assun zu sein. Er nennt als Beispiel den Eigennamen Aristoteles. Dessen Smn
kö1171te zum Beispiel darin bestehen, ihn als "Schüler Platons und ~ehrer Alexander des Großen" zu kennzeichnen. 115 Mit seiner Auffassung, daß EIgennamen Bedeutung und Sinn haben, weicht Frege von der. Namenstheorie John S~uart Mills
ab der in seinem System 0/Logic festhält, daß EIgennamen nur denotative Bedeutu~g haben, aber keinen konnotativen Sinn. 116 Für Mill kann die denotative Funktion des Namens nicht durch seine Konnotation erfüllt werden. Für Frege dagegen
ist dies sehr wohl möglich. Das Problem, das sich Frege damit jedoch einhandelt,
ist, daß er davon ausgehen muß, Eigennamen und Beschreibungen ~eien sub.stituierbar, ohne daß sich der Wahrheitswert der Proposition ändert. MIt eben dIesem
,,11
112 Vgl. Seal·le: Sprechakte, S. 254: "MilI hatte darin recht, daß er glaubte, Eigennamen enthielten
keine Beschreibung einzelner Eigenschaften, es gebe für sie keine Definitionen; Frege wiederum
hatte darin recht, daß er annahm, mit jeder Bezeichnung eines einzelnen Gegenstands müsse
eine Art des Gegebenseins und damit - in einem bestimmten Sinne - ein Sinn verbunden
sein",
113 Frege: "Über Sinn und Bedeutung", S. 41.
114 Ebd.
115 Vgl. ebd., S. 42, Fn.: "Wer dies tut, wird mit dem Satze ,AristoteIes war aus Stagit'a gebürtig'
einen anderen Sinn verbinden als einer, der als Sinn dieses Namens annähme: der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexander des Großen. Solange nur die Bedeutung dieselbe bleibt, lassen sich diese
Schwankungen des Sinnes ertragen [...]".
116 "Proper names are not connotative: they denote the individuals who are called by them; but they
do not indicate or imply any attributes as belonging to those individuals" (Mill: A System ofLogic,
book 1, eh. 2, § 5, in: Mill: Collected WOrks, Bd. 7, S. 33). Zum Problem des Eigennamens im
literaturwissenschaftlichen Rahmen vgl. Bims: Poetische Namensgebung. Zur Bedeutung der Namen
in Lessings ,Nathan der weise', S. 21 ff., sowie Waltz: Ordnung der Namen, S. 20.
36
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
Problem hat sich die sprachphilosophische Eigennamentheorie bis heute ausein_
anderzusetzen. 117
Vor dem Hintergrund diesel' Auseinandersetzung nehmen sich Foucaults Bemerkungen zum Autornamen wenig originell aus. Foucault folgt nämlich weitge_
hend Searles Kompromißformel. Sowohl für den Eigennamen als auch für den
Autornamen gilt: "Der Eigenname und der Autorname liegen zwischen den beiden Polen der Beschreibung und der Bezeichnung; gewiss weisen sie eine bestimmte Verknüpfung mit dem auf, was sie benennen, aber wedel' ganz im Sinne
des Bezeichnens noch ganz im Sinne des Beschreibens" .118 Will man Foucaults
Auffassung eine Pointe unterstellen, so kann diese nur darin liegen, daß der Autorname, indem er beschreibt, was er benennt, keine identifizierende Beschreibung
liefert, welche die Bezugnahme auf eine Person sichert. Der Autorname benennt
vielmehr "eine gewisse Zahl von Texten", die dem Autor zugeschrieben wurden.
Indem man mit dem Autornamen "eine gewisse Zahl von Texten zusammenfassen,
sie abgrenzen und anderen gegenüberstellen [kannJ"119, wird der Eigenname zu
einem Klassennamen, der nicht mehl' nur ein Individuum, die Person des Autors
bezeichnet, sondern eine Klasse von Individuen, nämlich die vom Autor erzeugtel~
Texte. Der entscheidende Unterschied zwischen einem Eigennamen und einem
Klassennamen besteht darin, daß letzterer eine "propositionale Funktion" impliziert. Nach Russel zeichnet sich eine "propositionale Funktion" dadurch aus, daß
sie ein "reines Schema" ist: "a mere shell, an empty receptacle for meaning, not
something already significant".12o
Die schematische Funktion des Klassennamens besteht darin, die Klassenzugehörigkeit eines Individuums festzulegen: Wenn die Klasse a durch die propositionale Funktion A determiniert ist, dann ist x ein Mitglied der Klasse a, wenn gilt:
A (x). Was bedeutet das mit Blick auf den Autornamen? Sobald man den Autornamen nicht mehr nur als Eigennamen, sondern als Funktion A (x) betrachtet, werden
117 Obwohl Russe!, durchaus im Anschluß an Frege, davon ausgeht, daß Namen verkürzte Kennzeichl1lmgen (descriptions) sind (Russe!: Introduction to Mathematical Philosophy, S. 174), bleibt
er mit Blick auf die vollständige Substituierbarkeit der denotativen Funktion eines Eigennamens
durch die deskriptive Funktion einer Beschreibung skeptisch: "A proposition comaining a description is not identical with what that proposition becomes when a name is substituted, even
if the name names the same object as the description describes. ,Scott is the author of Waverly'
is obviously a different proposition from ,Scott is Scott'" (ebd.). Im Gegensatz zu Russe! vertritt
Kripke in Naming and Necessity eine Millsche Position, wenn er behauptet, daß Namen "starre
Bezeichnungsausdrücke" (rigid designators) sind (Kripke: Name und Notwendigkeit, S. 59), die
unabhängig von Beschreibungen funktionieren. Dabei rekurriert Kripke auf eine quasi adamitische Tauftheorie: "Am Anfang findet eine ,Taufe' statt. Hierbei kann der Gegenstand durch einen
Hinweis benannt werden, oder die Referenz des Namens kann durch eine Beschreibung festgelegt werden" (S. 112 ff.). Auf der Ebene des Gebrauchs von Namen reicht die Kommunikationskette bis zum Taufakt zurück (S. 107), während die Bezeichnungsebene, der zufolge
kodesignative Eigennamen salva veritate in allen "möglichen We!ten" austauschbar sind, durch
die rigid designators bestimmt ist.
118 Foucault: "Was ist ein Auror? (Vortrag)", S. 1013.
119 Ebd., S. 1014.
120 Russe!: Introduction to Mathematical Philosophy, S. 157.
1.3 DIE FUNKTION AUTOR UND DIE FUNKTION DES AUTORNAMENS
37
' zugeschriebenen Werke zu einer Klasse a, die durch die Funktion
d·· dem Au tor
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le l. A (,) determiniert ist. Mit anderen Worten: Der EIgenname des Autors lent
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lX ichnung e111er
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Neben seiner logischen FunktIOn ke~nzelChnet der Autorname auc el~e geCl' 1e Funktion. So heißt es bel Foucault, der Autorname kennzeIchne
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, b . llute Gesamtheit von Diskursen, und er bezle l' SIC 1 au en tatus lee111e e s t 1 1 1 .
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' Z hörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von gesellschaftlIchen DIS mrsen
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bezeichnet und beschreIbt e111e DIS mrszl~g.e10ng <elt. .egrel l' ma~: res~s, rr
J.el.eines-Diskurses-Sein' ebenfalls als propoSItIOnale Funktion, so erhalt der Autor'"
,
name eine Aussagefunktion.
,
Der Name des Autors auf dem Titelblatt dIent nur noch 111 zweiter L111le ,de~' Bezeichnung der Person, an erster Stelle steht die Kennzeichnun~ der Person 111 Ihrer
Funktion als Autor - eine Funktion, die durch einen Zus,chrelbungsak~ vollzoge,n
'rd und eine J'uristisch-performative Rahmung des DIskurses vornuumt. DIe
Wl
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weite Funktion des Autornamens besteht in der KennzelC
nung von D'l
IS mrs;renzen, Foucault spricht davon, ,daß de~' A~torname "in gewisser Weis~ a~ der
Grenze der Texte entlang läuft, sIe zertetlt, Ihren Kanten folgt, dass er Ihre Erscheinungsweise anzeigt oder zumindest charakterisiert". 124 ?och was ,bed~utet es,
daß der Autorname "an der Grenze der Texte entlang läuft? OffenSIchtlIch legt
diese Formulierung nahe, daß der Name des Autors nicht nur eine Zuschreibungs-,
sondern auch eine Rahmungsfunktion hat, Diese Rahmungsfunktion besteht sowohl in der Einheitsstiftung als auch in der Zuordnung zu einem bestimmten Diskurstyp. Nach Foucault gibt es nämlich durchaus auch Diskurse, in denen die
Funktion Autor unvollständig erfüllt wird, ja es gibt sogar Diskurse ohne Autorfunktion. So kann ein Privatbrief einen Schreiber haben, "er hat aber keinen
Autor".125 In Die Ordnung des Diskurses stellt Foucault Diskurse mit Autorfunkrion, nämlich literarische, philosophische und wissenschaftliche Texte, Diskursen
ohne Autorfunktion gegenüber: Beschlüsse, Verträge, Briefe, technische Anweisungen brauchen keinen Autor, sie können "anonym weitergegeben werden", 126
Diese Unterscheidung zwischen Diskursen mit und Diskursen ohne Autorfunktion
besitzt auch mit Blick auf die Barthessche These vom "Tod des Autors" Relevanz:
121
122
123
124
125
126
Foucault: Archäologie des Wissens, S, 133,
Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S, 1014 f,
Iser: "Auktorialität, Die Nullstelle des Diskurses", S. 240,
Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S, 1014.
Ebd.
Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S, 20,
38
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
1.4
Während Barthes vom scripteur moderne spricht, der den Auteur zum Verschwit '
den bringt, zeichnet Foucault eine Entwicldungslinie von Diskursen ohne Autö~
funktion zu Diskursen mit Autorfunktion nach.
In Umkehrung der Barthesschen Argumentation, die versucht, die Funktion des
Autors auf die des Schreibers zu reduzieren, der sich im Akt des Schreibens selbst
hervorbringt, zieht Foucault eine scharfe Grenze zwischen Autor und Schreiber.
Während die Autorfunktion durch den Autornamen auf dem Titelblatt gekennzeichnet wird, kann der Schreiber seine Akte anonym vollziehen, 127 Das Problem
der Anonymität koppelt die Differenzierung von Diskursen mit und Diskursen
ohne Autorfunktion an Foucaults historische Argumentation. Folgt man Foucaults ''I
11
These, im 17, und 18, Jahrhundert vollziehe sich die Genese moderner Autor- ':;I
schaf1'128, so kann man aus literaturgeschichtlicher Sicht behaupten, daß diese
Genese den Weg über die fiktive Herausgeberschaft nimmt, da die meisten literarischen Texte in dieser Zeit mit einer Herausgeberfiktion versehen sind,
Hier erwächst mit Blick auf die Geschichte des Romans - des Briefromans und ,i!iiI
der Manuskriptfiktion - zunächst die Aufgabe zu erldären, wie aus Texten ohne Au- ':'I
tO,rfunktion (Privatbriefe, gefundene Manuskripte, nicht zur Veröffentlichung be•.~
stImmte Tagebücher usw.) Texte mit Autorfunktion, nämlich literarische Werke
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werden können. Eine literaturgeschichtlich naheliegende Antwort lautet, daß dies~
Rahmungsfunktion durch Paratexte vollzogen wird, also durch Vorworte, Über- %1
schriften und Fußnoten, Bemerkenswerterweise handelt es sich bei der Romanli- '\11
teratur des 17. und 18. Jahrhunderts meistens um Romane mit Herausgeberfiktion, Das heißt, die Funktion Autor wird - im Rahmen der Herausgeberfiktion _
als Funktion Herausgeber ausgeführt. Hier stellt sich aus literaturtheoretischer und
literaturgeschichtlicher Perspektive die Frage nach dem Rahmungsverhältnis von
Autor- und Herausgeberschaft.
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1.4 Das historische Verhältnis
von Autor- und Herausgeberfunktion
Roger Chartier geht einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Nicht nur, daß er
die programmatische Forderung nach einer ,Rücld{ehr des Autors' bereits 1992 als
Tatsache feststellt I29 , er bemängelt auch, und dies ist für unseren Zusammenhang
entscheidend, daß Foucaults Frage nach dem Autor das editoriale Moment un127 Vgl. hierzu Zelle: "Auf dem Spielfeld der Aurorschaft", S, 30 f,
128 Vgl. Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1017,
129 Chanier: "Figures de l'auteur", S, 37, wo explizit von der "retour de l'auteur" die Rede ist - eine
Formulierung, die bei Jannidis, Lauer, Martlnez und Winko wieder auftaucht, die ihren Sammelband zur Autorschaft Rück/rehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffi nennen,
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DAS HISTORISCHE VERHÄLTNIS VON AUTOR- UND HERAUSGEBERFUNKTION
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1 d ls und des Buchdrucks: "a ronctIOn-auteur est p e111ement 111scnte ,<\
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~ e, 111' de la culture imprimee"131 - und
sowohl mit Blick auf die KonIntd'Ie
, zwar
,
,
trollmechanismen der Zensur a~s auch mIt Blick auf das Urheberrecht. ,In belden
Fällen leitet sich die A:-ut~rfunl~tIon vo~ den fundamentale~lTra,~sformatI~nen her,
die der Buchdruck mIt SIch bnngt I32 , 1st also schon sehr VIel fruher entWIckelt, als
l
Foucault a n n i m m t . ,
"
,
Hinzu kommt, daß sich ,der Autor am Ende des 18, Jahrhunderts 111 e111er SItuation befindet, die durch eine "radikale Inkommensurabilität"133 ~wischen den
l'terarischen Werken einerseits und den ökonomischen Rahmenbed111gungen an~ererseits gekennzeichnet ist. Der adlige Autor lebte nicht von dem, was er schrieb,
sondern von seinen Subsidien: Er entwickelte eine aristokratische Antipathie gegen
den Buchdruck und ließ seine Manuskripte statt dessen - am liebsten anonym im erwählten Kreise Gleichgesinnter zirkulieren. Interessanterweise wird just in
jener Phase, in welcher der Massenbuch~~'uckaufl~ommt, die aristo~ratische Anonymität, die sich in der höfischen TradItIOn etablrert hat, durch e111e neue Form
der Auslöschung des Autors ersetzt - gemeint ist das Sich-zum-Verschwinden-Bringen im Rahmen fingierter oder fiktive Herausgeberschaft: ,,1' absence du nom de la
Page de titre (c'est le cas avec Swift) , le recours ala fiction du manuscrit trouve par
' d ' un auteur apocryp1"
.
hasard [... J, ou encore 1a constructIOn
le ,134 D'Ie F0 1ge 1st,
daß nicht nur die Figur des Autors, sondern auch die Figur des Herausgebers als Garant der Einheit und der Kohärenz des Diskurses fungiert.
Hier bündeln sich die bisher angesprochenen Motive: Die Funktion Herausgeber verbindet die Funktion Autor im Sinne Foucaults - der Autor als Kennzeichnung einer bestimmten Zuschreibungs- und Rahmungsfunktion - mit Barthes'
Definition des Lesers als einheitsstiftenden Zusammenlesers. Die Funktion Herausgeber gründet darauf, daß Autorschaft keine "dem Schreibakt si~ultane Funktion, sondern ein nachträglicher Effekt von Relektüre" ist,135 Diese Uberblendung
130 Vgl. ebd., S, 39: "A distallCe de l'evidence empirique selon laquelle tout texte a un redacteur, la
131 ~~~,~i';,5a;,teur est le resultat d'operations specifiques et complexes",
132 Vgl. hierzu auch Ong, der die Relevanz der Typographie und des Buchdrucks sowohl für "das
Verhältnis
des Rahmenbedingungen
Lesers zur Textautorität"
auch für neue
betont,neben
Dies betrifft
insbesondere die
desals
Schreibens:
"Das"Schreibstile"
Dl'Ucken involviert
dem Autor
auch viele andere Personen in die Produktion des Buches - Verlage, Agenten, Lektoren, Herausgeber und andere" (Ong: Oralität und Literalität, S, 119),
133 Chartier: "Figures de ['auteur", S, 47,
134 Ebd" S. 48.
135 Kittler: Aufichl'eibesysteme 1800/1900, S. 118,
J~~-
40
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
fo
1.1
DAS HISTORISCHE VERHÄLTNIS VON AUTOR- UND HERAUSGEBERFUNKTION
41
von Schreibakt und Relektüre impliziert, daß die Funktion Autor zugleich als
Funktion Herausgeber gedeutet werden muß. Der Autor ist zuerst immer auch ein
Leser, der im Akt des Schreibens das Gelesene (und mithin bereits Geschriebene)
weiterverarbeitet. Gerahmt werden diese absorbierenden und transformierenden
Textverarbeitungsprozesse durch einen Kontrakt der Herausgabe, der sowohl die
Veröffentlichung als auch den Akt des Druckens mit einschließt.
Dem Akt des Druckens kommt indes eine entscheidende Bedeutung zu: Nicht
nur, daß er die entscheidende Schwelle bei der Veröffentlichung des Werks markiert, eine Schwelle, die durch einen direktiven Sprechakt - imprimatur! - über.
schritten wird, sondern der Akt des Druckens ist auch essentiell mit der Funktion
Autor verknüpft. Gemäß Furetieres Dictionaire universel von 1690 kann der Begriff des "Auteur" nur für denjenigen verwendet werden, dessen Werke in ge.
druckter Form zirkulieren: ,,Auteur, en fait de Litterature, se dit de tous ceux qui
ont mis en lumiere quelque livre. Maintenant on ne le dit que de ceux qui en ont
fait imprimer".l36 Bei dieser Kopplung der Autorschaft an das Gedrucktwerden erhält der Herausgeber eine Klammerfunktion. Der französische Ausdruck editeur
kann sich sowohl auf die editoriale Tätigkeit im Sinne des Arrangierens beziehen
als auch auf das Publizieren von Geschriebenem in Form des Druckens, so daß das
mis en lumiere zu einer Funktion des ftit imprimer wird. Bemerkenswerterweise
kommt etwa auf dem Titelblatt von Clarissa der Autorname nur im Kontext des
Druckens vor: "Printed for S. Richardson" liest man dort - ansonsten heißt es: "Published by the Editor of PAMELA". Das einzige, was der Herausgeber in seinem
Vorwort macht, ist "to promote a found manuscript to the rank of a printed
book".137
. als Funktion Herausgeber sichtbar gemacht - das heißt: performativ in Szene
Autor, Zu Idären bleibt, in welcher Form die Herausgeberfiktion über den Umweg
geseltzt'ria1er Verneinung" 140 die Funktion Autor als Funktion Herausgeber aus"au <to
Sowohl das Imprimatur als auch der Akt der Pllblikation sind das Resultat einer
"bewußten Entscheidung" seitens eines Subjekts, das Manuskript "zum Druck zu
schicken". Dieses Subjekt ist "in den meisten Fällen der Autor". 138 Die Übersendung an den Drucker beziehungsweise an den Verleger kann aber auch ein Herausgeber übernehmen - man könnte sogar argumentieren, daß der auktoriale Akt
der Publikation immer schon ein Akt der Herausgabe ist, nämlich ein Akt der
,Selbst'-Herausgabe. Auch die editionswissenschaftlich relevante Grenze zwischen
avant-texte und texte wird durch den Akt der Herausgabe markiert. Diese Grenze
scheint, wie Gresillon feststellt, mit dem Imprimatur Idar gezogen: "Alles, was
davor geschieht, gehört zur privaten Sphäre des Schreibprozesses, alles danach
gehört zur öffentlichen Sphäre der Publikation, durch die ein Text in die Hände
der Leser gelangt". 139 Jede Herausgeberfiktion ist - implizit oder explizit - eine
Selbstbeschreibung der editorialen Tätigkeit, nämlich eine Reflexion des Verhältnisses von texte und avant-texte einerseits und eine Inszenierung des Publikationsakts andererseits. Dergestalt wird im Rahmen der Herausgeberfiktion die Funktion
Der Autor als Herausgeber bringt die von Barthes - aber auch von Derrida 143 problematisierte ,väterliche Beziehung' zwischen dem Autor und seinem Text in ein
neues poetisches Verhältnis: Der Herausgeber ist kein ursprünglicher Texterzeuger,
sondern Adoptivvater eines textuellen Findelkindes, dem er seinen Namen gibt.
Dergestalt kulminiert die Frage nach dem Herausgeber - genau wie die nach dem
Autor - im Problem der Zuschreibung und der Aneignung des Geschriebenen. Das
Kausalverhältnis der Zeugung wird in das konventionale Vertragsverhältnis einer
Adoptivvaterschaft transformiert. So heißt es im "Prolog" des Don Quixote:
136
137
138
139
Furetiere: Dictionaire universei, Artikel "auteur".
Couturier: Textual Communication, S. 75 f.
Cervenka: "Textua! Criticism and Semiotics", S, 61.
Gresillon: ,,,Critique genetique"', S. 22.
we~~~lten wir zunächst ~est: ~er Al<t ~er Publik~tion
steht a.m Schnittpunkt von
. Problemkreisen. Mit BlIck auf die ZuschreibungsfunktlOn stellt sICh erstens
zwei
'
h"l'
' 1lungswelse
. nac h d em Copyd'e Frage nach d
en Eigentumsver
a tnlssen b
eZIe
~ ht 141 Dies betrifft nicht nur das für das 18. Jahrhundert virulente Problem des
ZKh~berrechts, sondern auch di~ Möglichl~eit technisc?er Repro~uzierbarkeit gei. en Eigentums überhaupt. Die ZuschreibungsfunktlOn - und 1l1sbesondere der
S~toriale Aln der Aneignung - wirft aber zweitens auch die Frage nach dem kaue len Verhältnis zwischen Autor und Text auf. Während sich der auktoriale Ver}:sser als Urheber im gleichen "rapport d'antecedence" 142 befindet wie ein Vater zu
seinem Kind, kann der Herausgeber allenfalls den Status eines Adoptivvaters für
sich reldamieren.
1.5 Die Funktion Herausgeber im Spannungsfeld
von Autorschaft und Vaterschaft
Müßiger Leser! Ohne Schwur magst du mir glauben, daß ich wünsche, dieses Buch, das
Kind meines Geistes, wäre das schönste, lieblichsre und versrändigste, das man sich nur
vorsrellen kann. Ich habe aber unmöglich dem Naturgesetz zuwiderhandeln können,
daß jedes Wesen sein Ähnliches hervorbringt; was konnte also mein unfruchtbarer, ungebildeter Verstand anders erzeugen als die Geschichte eines dürren, welken und grillenhaften Sohnes [...] .144
140
141
142
143
144
Genette: Paratexte, S, 267,
VgI. Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, S. 10.
VgI. Barthes: "La mort de !'auteur", S. 64.
VgI. Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S, 26.
Cervantes: Don Quixote, Bd. 1, S, 7.
42
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
Während der Vorredenverfasser hier zunächst - in viele Bescheidenheitsformel
geklei.det ~ als Autor und Vater auftritt, der sich für seinen Sohn entschuldigt, än~
dert sich diese Selbstbeschreibung kurz darauf, wenn es heißt: "Ich aber, der, wenn
ich auch der Vater scheine, nur der Stiefvater des Don Quixote bin, will nicht dem
Strome der Sitte folgen, dich nicht, geliebter Leser, wie andere wohl tun, fast mit
Tränen in den Augen bitten, daß du die Fehler, die du an diesem Kinde wahrnimmst, vergeben und übersehen mögest". 145 Was bedeutet dieser Wechsel vom
Autor als Vater zum Autor als Stiefvater - respektive Adoptivvater? Erstens scheint
das Verhältnis von Vorwortdiskurs und Haupttext in Analogie zum Verhältnis VOn
Vater und Sohn zu stehen. Zweitens distanziert sich der Autor in dem Maße vom
eigenen Werk, als er nicht mehr als "Vater der Buchstaben"146, sondern nur noch
als deren Adoptivvater auftritt. Das heißt, er entzieht sich der Verantwortung für
den Text und führt zugleich die "Führungslosigkeit" der Schrift vor, die "verwaist
und seit ihrer Geburt vom Beistand des Vaters getrennt ist". 147 Ein dritter Aspekt
der Vater-Sohn-Metaphorik mag darin liegen, daß ausgerechnet in den Jahrhunderten, in denen die Genese des modernen Autorbegriffs zu verzeichnen ist, Vaterschaft als gesellschaftliches Problem virulent wird. Das Thema Vaterschaft ist
aufgrund der "semantischen Verdichtung von biologischer und sinnmäßiger (Re-)
Produktion" eine "Ressource kultureller Selbstthematisierung".148
Betrachtet man das Prinzip der Vaterschaft im Zusammenhang der gesellschaftlichen Transformationsprozesse des 18. Jahrhunderts, insbesondere des Übergangs von der stratifikatorischen zur funktionalen Differenzierung der Geselll49
schaftsordnung , so stellt sich mit der "Vervielfältigung" 150 der Vaterfunktionen
die Aufgabe einer funktionalen Selbstbeschreibung. Das Problem der Selbstbeschreibung wiederum ist unauflöslich mit dem Prozeß der Individualisierung verknüpft: Durch Selbstbeschreibung lernt das Individuum, "sich selbst von sozialen
Anforderungen zu unterscheiden. Es doppelt sich in I und me, in personal und social identity".151 Die privilegierte Form der Selbstbeschreibung aber ist die Literatur - und tatsächlich werden die Probleme der Konvention, der Freiheit, der Individualität und der Vaterschaft im 18. Jahrhundert immer wieder als intrikates
Ensemble thematisiert - man denke an Lessings Miss Sara Sampson, an die Briefromane Richardsons, an Sternes lhstram Shandy, an Fieldings History ofTbm fones,
a Foundling, aber auch an Goethes Werther. 152
145
146
147
148
Ebd.
Platon: Phaidros, 275a.
Derrida: "Signarur Ereignis Kontext", S. 26.
Wellbery: "Kunst - Zeugung - Geburt", S. 13. Vgl. auch Koschorke: "Insemination. Empfängnislehre, Rhetorik und christliche Verkündigung", S. 89 ff.
149 Vgl. Luhmann: "Individuum, Individualitär, Individualismus", S. 163.
150 Lenzen: vaterschaft, vom Patriarchat zur Alimentation, S. 175.
151 Ebd., S. 152.
152 Überhaupt ist die Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wie Neumann fesrstellt, "geprägt von der Faszination durch das, was Anfang bedeutet - die Entstehung eines Menschen
durch Zeugung [...] Es sind Schöpfungsphantasien, die auch von der Lireratur Besitz ergreifen"
(Neumann: "Der Anfang vom Ende", S. 476).
1.5 IM SPANNUNGSFELD VON AUTORSCHAFT UND VATERSCHAFT
43
. h c I'st nicht nur Thema der Literatur, sie liefert auch ein Modell für die
Vaters'bc al't on Texten: Der Autor ubenllmmt
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als Namensspen d er d'le Fun l{tIon
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ZLIschrei ung
I Fall gefundener Manuskripte oder fremder Bnele ersc emt er lext
s Vaters, m
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ß 'T' .. hl' h
delterloses
Kind, das als Fmdl111g behandelt werden mu . latsac IC
dagegen
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va
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. 'b Cl tl've Herausgeberschaft das gefundene Manus mpt a s F'm d e11'
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teur bei ßarthes, der vom Scripteur und vom Lecteur beer bt WH'
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g unter seinem Namen herausgibt, Der Herausgeber 1st dabei zum e111en der Ar'/ .
' der Sch nltstuc
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deren ist er aber auch der zweite Autor, er lür le Ko d~enz er c. rntst~c {e sorgt,
Aus emer ltteraturgebeva r' er sie in einem Aln der Publikation zur Welt bnngt,
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Herausgebername dient im !,-ufsch~·eibes.Y~temvor un u.m ~ 800 ,,~u~ str~ ten. ~Iflzierung von Papierstößen ,153 DIe Edltlons-Szenen, dIe Sich bel dieser U1l1fiZle1'l1ng abspielen, werden im und am Rahmen der Herausgeberfiktion dargestellt, 154
1.6 Fragen nach dem Herausgeber
Im vorangehenden habe ich verschiedene Aspekte der Frage nach dem Aut~.r sl~z
ziert.und ihre Relevanz für die Frage nach dem Herausgeber angedeutet, namltch
das Verhältnis von Autor, Schreiber, Leser und Herausgeber im Zusammenhang
mit den Gesten und Funktionen, die für Autorschaft konstitutiv sind. Es ging mir
darum, die These zu plausibilisieren, daß Autorschaft von der Funktion Herausgeber g~rahmt wird. Vorläufig möchte ich festhalten, daß der Herausgeberrahmen
153 Kittler: Aufschreibesysteme 180011900, S. 127.
154 Dabei werden Autorschaft und Herausgeberschaft auf mehreren Ebenen in ein intrikates Verhältnis zueinander gesetzt. So schreibt Wolf Kittler: "Seit die Dichter es lieben, sich gelegentlich als Herausgeber zu veddeiden, pflegen sich Editoren mit Autoren zu verwechseln" (Kittler: "Literatur,
Edition und Reprographie", S, 215). Dieser Chiasmus impliziert ein genealogisches ,verhältnis, wonach Herausgeberfiktion und Editionswissenschaft Zwillingsgeburten sind. Diese Übedegung läßt
sich noch dadurch zuspitzen, daß mall Kittlers eher beiläufig geäußerte These stark macht, die "Verwechslung zwischen Autor und Herausgeber" habe "den modernen Roman begründet" (S. 214),
44
I. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
1.6 FRAGEN NACH DEM HERAUSGEBER
dazu dient, T?xte zu adoptieren, die zwar einen Schreiber haben, aber keinen Autor
D~rgestalt wIrd d.urch den H?rausgeberdiskurs eine sekundäre Autorschaft eta~
I,'
b.lrert. Vor dem Hmtergrund dIeser Annahmen gilt es nun, die verschiedenen HinsIchten zu klären, unter denen die Frage nach der performativen Rahmung d
Diskurses durch die Funktion Herausgeber zu stellen ist.
es
Erstens gilt es zu überprüfen, inwieweit Foucaults These der Autor seI' wed
' .
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er
der EIgentümer semer Texte noch der für sie Verantwortliche", er sei "weder il .
Produzent noch ihr Erfinder"155, daraufhindeutet, daß Autorschaft generell Unt~~
dem Aspekt der Herausgeberschaft zu betrachten ist.
Zweitens geht es darum zu ldären, was es heißt, daß die Funktion Autor im Rahmen der Herausgeberfiktion gerade durch eine Verneinungvon Autorschaft etabliert
wird. Warum vollziehen diese Gesten "auktorialer Verneinung" I56 die Zuschreibungsfunktion weitaus wirksamer, als jede affirmative Behauptung es je tun
könnte? Welche Rolle kommt hierbei der literarischen Anonymität oder Pseudonymität zu? U1~d inwiefer? scha~ft die Geste d~s Herausgebens als Verkörperung
der Geste auktonaler Verne111ung uberhaupt erst Jene "transzendentale Anonymität
d' eS Raumes "157 ,von der F"oucau1t spnc
. 11t - e111
. d'1SpOSltlver
..
Raum, 111
. dem die
Funktion Herausgeber als Ensemble performativer Gesten vollzogen und als Editions-Szene dargestellt wird.
D~'ittens betrifft die Fra!Se nach der Beschaffenheit des werkkonstitutiven speech
act l11cht nur das Zuschre1bungsverhältnis, sondern auch jene Form von direktiven, deldarativen und kommissiven Sprechakten, die in den Paratexten an den
Leser adressiert werden. Jeder Text wird implizit, jedes Vorwort sogar explizit als
Vertrag, nämlich als Fiktionsvertrag oder als Pakt zwischen Autor und Leser, aufgefaßt. So formuliert Lejeune in Analogie zum "autobiographischen Pakt" den
"romanesken Pakt", dessen Vertragsbedingung zum einen die offenkundige NichtIdentität von Autornamen und Figurennamen und zum anderen die Bestätigung
der Fiktivität (etwa durch den Untertitel "Roman" auf dem Titelblatt) sind. 15S Alle :.
-'":li
Formen des Paktierens zwischen Leser und Autor werden durch "die impliziten
oder expliziten Codes der Veröffentlichung" sowie durch die "Umsäumung des gedruckten Textes" bestimmt. Lejeune nennt: "Autorname, Titel, Untertitel, Name
-7
'l-···
der Sammlung, Name des Herausgebers", ja erwähnt sogar das "zweideutige[] Spiel
der Vorworte". 159 In diesem Zusammenhang wird nach den besonderen Vertragsbedingungen des editorialen Paktes zu fragen sein, aber auch nach den anderen
Formen von Performativa, die im Rahmen des "Vorwortakts" 160 vollzogen werden.
Die verschiedenen Modi des kommissiven Paktierens werden dabei durch direktive Leseanweisungen an den Leser und deldarative Selbstbeschreibungen, die den
logischen Status des Geschriebenen betreffen, verstärkt.
...
45
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1Uß der Ort untersucht werden, an dem die werldconstitutiven speech
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aets as b l~ingungen zwischen Autor und Leser festlegen. Es geht also um die perVertrags
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1111 " ,1me
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'fit 11 Darüber hinaus stellt sich aber auch d'1e Frage nach d er poeto l
oglsc
bel' stI· e.der Paratexte.
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Genette zufolge 1st das Vorwort, 111S eson ere as 1ctIve
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des von ihm inszenierten "SChW111
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auI" ratz auf dem die Editions-Szenen aufgeführt werden, er 1st auch der Ort,
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an dem die Trennung von "wirId'1Ch em Scl'fi
1n tste11"
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etlOna1em Sprec h"
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vollzogen wird:
Es ist bekannt, dass in einem Roman, der sich als Bericht e~nes. Erz~hler~ präse~tier.t,
das Personalpronomen in der ersten Person, das Präsens IndI1canv, die Zeichen fur.dle
Ortsbestimmung nie exakt auf den Schriftsteller verweisen, weder auf de~ Augenblick,
in dem er schreibt (moment OU il ecrit) , noch auf die Bewegung des Schreibens (au geste
mtme de son ecriture); sondern auf ein alter ego, dessen Distanz zum Schriftsteller mehr
oder minder groß sein kann und im selben Werk auch variieren kann. Es wäre also auch
ganz falsch, wollte man den Autor ~eim wirl?iche~ Schriftste!ler oder beim fiktionalen
Sprecher suchen; die Autor-FunktlOn vollzieht Sich gerade 111 der Spaltung (partage)
· d'leser D'Istanz. 164
selbst - in dieser Trennung un d 111
Anders als für Barthes, der das ,Schreiber-Ich' als grammatisches und in diesem
Sinne überpersönliches Subjekt begreifen wollte, das durch sein Geschriebenes
(ecrit) auf den performativen Akt des Schreibens (teriture) verweist, liegt für Foucault das performative Moment der Funktion Autor offenbar im Vollzug der partage, also in der Spaltung zwischen wirldichem Schriftsteller und fiktionalem
Sprecher. Damit bezieht sich Foucault auf die in der Narratologie gängige Trennung von realem Autor und fiktivem Erzähler. 165 Die performative Kraft der Funk-
"
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,
155
156
157
158
159
160
Foucault: "Was ist ein Autor?", S, 7.
Genette: Paratexte, S. 267.
Foucaulr: "Was ist ein Autor?", S. 14.
Vgl. Lejeune: "Der autobiographische Pakt", S. 232.
Ebd., S. 256.
Vgl. Genette: Paratexte, S. 279.
161' Foucault: "Was ist ein Auror? (Vortrag)", S. 1004, sowie ders.: "Was ist ein Autor?", S. 7.
162 Genette: Paratexte, S. 275.
163 Vgl. ebd., S.280,
164 Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1020, Die alte Übersetzung ist für den in unserem
Zusammenhang relevanten Punkt exakter als die neue, indem sie nämlich das au geste meme de
son ecriture nicht mir dem genus proximum der "Bewegung des Schreibens", sonden: präziser als
"Schreibgeste" übersetzt (vgl. Foucault: "Was ist ein Auror?", S. 22). In der alten Übersc~~ung
wird partage nicht mit "Spaltung", sondern mit "Bruch" übersetzt - welcher der beiden Ubersetzungen in diesem Fall der Vorzug zu geben ist, ist schwer zu entscheiden: partage bedeutet
neben "Spaltung" soviel wie "Teilung", "Aufteilung", "Verteilung", aber auch und vor allem
"Trennung".
165 Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 286. Auch Kayser betont, "daß der Erzähler in aller Erzählkunst
niemals der bekannte oder noch unbekannte Autor ist, sondern eine Rolle, die der Autor erfindet lind einnimmt" (Kayser: "Wer erzählt den Roman?", S. 91).
46
1. DIE FRAGE NACH DEM AUTOR ALS FRAGE NACH DEM HERAUSGEBER
tion Autor besteht also darin, daß sie nicht einfach auf ein "reales Individuum" verweist, sondern "gleichzeitig mehreren Egos Raum geben kann". 166 Dergestalt bewirkt Auktorialität als Nullstelle des Diskurses eine "Verdoppelung im Diskurs
selbst". 167 Die so bestimmte Funktion Autor wirft mit der Frage nach derparatextuellen Rahmung die Frage nach der peifOrmativen Rahmung auf, denn der Bruch
zwischen realem Schriftsteller und fiktivem Sprecher thematisiert nicht nur die Differenz zwischen dem ernsthaften Ausführen und dem inszenierenden Aufführen
von Sprechakten, sondern auch das Verhältnis zwischen dem Vorwort und dem
Haupttext - insbesondere dann, wenn der Vorwortverfasser wie im Falle der Herausgeberfiktion vorgibt, er sei gar nicht der Verfasser des Haupttextes.
Abg?sehen V01~ ~iesen dezi~iert literaturwissenschaftlichen Problemstellungen
lassen s1ch noch e1111ge allgememe Feststellungen über das Verhältnis der Funktion
Autor und der Funktion Herausgeber treffen, deren Implikationen es im folgenden nachzugehen gilt. In dem Maße, in dem die Ideologie des Autors, schöpferische Instanz zu sein, von der Funktion Autor verdrängt wird, gerät der Autor als
,Selbst'-Herausgeber - als quasi-editoriale Selektionsinstanz und als quasi-editorialer Diskursregulator - in den Blick. Die "Autorkonfiguration" gründet in einer
Herausgeberkonfiguration, die nicht nur die "weiterführende Operation"168 einer
nachträglichen Rahmung vornimmt, sondern als editoriales Dispositiv von Anfang
an textkonstitutive Funktion hat, Die Operationen des Selegierens und Regulierens betreffen dabei sowohl die institutionellen Rahmenbedingungen des Systems
I,
'heI1(ommun1'I'
"lteransc
(at10n "169 aIs auc h die Werk-Funktion, "deren konkrete
Operationalisierungen von spezifischen, selektionssteuernden Programmen betreut
und reguliert werden". 170 Was heißt das?
Erstens: Die Funktion Herausgeber bezieht sich auf die konstruktiv-kreativen
Aspekte einer vom Autor vollzogenen editorialen Tätigkeit; diese umfaßt alle Akte
des Mischens von Schriften und Schreibweisen im Sinne von Barthes, also das Zitieren und das Arrangieren, aber auch die kommentierende Rahmung von Geschriebenem. Im Rahmen der Funktion Herausgeber werden aber auch die Akte
der Selektion und der Diskursabgrenzung als dispositives "Spiel von Positionswechseln und Funktionsänderungen" vollzogen. l7l Begreift man das Spiel der
Schrift als selegierendes wie arrangierendes Zusammenschreiben und das Spiel der
Rahmung als dirigierendes wie kommentierendes Dazuschreiben, so wird ldar, daß
die Funktion Herausgeber die Funktion Autor in beiderlei Hinsicht beerbt hat: Die
Funktion Herausgeber ist ein editoriales Dispositiv diskursiver Machtverhältnisse,
Zweitens: Die Funktion Hera,usgeber bezeichnet ein interpretatives Tun, nämlich d~e rekonstruktiv-kritischen Aspekte der philologischen editorialen Tätigkeit,
also d1e nachträgliche Darstellung der Textgenese und des Spiels der Varianten.
166
167
168
169
170
171
Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1021.
Iser: "Auktorialität. Die Nullstelle des Diskurses", S. 240.
Jannidis: "Autor, Autorbild und Amorintention", S. 28.
Vgl. Plumpe: "Autor und Publikum", S. 377.
WerberlStöckmann: "Das ist ein Autor!", S. 250.
FOLlCault: Dispositive der Macht, S. 120.
1.6 FRAGEN NACH DEM HERAUSGEBER
47
konstruktiven
' 11S'' Neben der Differenzierung zwischen den .
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der
Funktion
Herausgeber
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172 Diese implizite editoriale Ral1mungsfunktion liegt sowohl der Funk1111tw ~ .
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räsupponiert werden, wenn es - W1e es 111 der L1teratur des 20. Ja 11' un ~rts er
~ gelfall ist - keine expliziten Verkörperungen des Herausgeberrahmens g1bt,
eViertens: Geht man davon aus, daß die Funktion Herausgeber im Vollzug perft '111ativer Rahmungsakte besteht, so müssen die verschiedenen Dimensionen des
l~~r in Anschlag gebrachten Performanzbegriffs entfaltet werden. Di~s wird im folenden geschehen. Dabei wird es nicht nur darum gehen, den Begnff der P~rfor
~anz und der Rahmung im Hinblick aufTheorien der Lektüre und der Schnft zu
Idären, sondern den Performanzbegriff einer semiotischen Kritik zu unterziehe~,
die darauf abzielt, den bislang unzureichend berücksichtigten Aspekt der Index1kalität der Schrift hervorzuheben. Die Resultate dieser semiotischen Kritik sollen
der Entfaltung eines Konzepts editorialer ecriture dienen, die sich an d.en Ränd?rn
des Diskurses manifestiert und indexikalisch auf die gerahmte Schnft verwe1st.
Darüber hinaus möchte ich den Performanzbegriff mit Blick auf Derridas These
entfalten, daß Schrift "wesensmäßig" durch ihre "Iterabilität" und durch ihre
"Möglichkeit des Herausnehmens und des zitathaften Aufpf~'opfens"174 aus~e
zeichnet ist. Die These, daß Schrift der Dynamik der greffe citattonelle gehorc1;t, 1st
meines Erachtens nicht nur die Explikation der apodiktischen Behauptung "Ecrire
veut dire greffer" 175; vielmehr wird die Aufpfropfung zu einem Modell dafür, wie
sich die Performativität von Schrift und Rahmen vor dem Hintergrund der Funktion Herausgeber zusammendenken lassen.
172
173
174
175
Vgl. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74.
Vgl. Booth: The Rhetoric ofFiction, S. 74.
Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 32.
Derrida: La Dissemination, S. 431.
2. PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
2.1 Performanz
Auf die Frage, was der Begriff ,Performanz' bedeutet, geben Sprachphilosophen,
Linguisten, Theaterwissenschaftler, Rezeptionsästhetiker, Ethnologen und Medienwissenschaftler sehr unterschiedliche Antworten. Performanz kann sich ebenso
auf das ernsthafte Ausführen von Sprechakten, das inszenierende Aufführen von
theatralen oder rituellen Handlungen, das materiale Verkörpern von Botschaften
im Akt des Schreibens und auf die Konstitution von Imaginationen im Akt des Lesens beziehen. Mit der Differenz zwischen Ausführen und Aufführen kommen all
jene Fragen ins Spiel, die in der Auseinandersetzung zwischen Derrida und Austin
anldingen.
Ein erster Fragekomplex betrifft das Problem, ob und aufgrund welcher Merkmale sich das ernsthafte Ausführen eines Sprechaktes von seiner inszenierenden
Aufführung unterscheiden lasse. 1 Ein zweiter Fragekomplex betrifft das Problem,
wie das Verhältnis von Performanz und Schrift vor dem Hintergrund der "wesensmäßigen Iterabilität"2 aller Zeichen zu bestimmen ist. In diesem Zusammenhang
wird die Dynamik der greffi citationelle virulent, aber auch die Dynamik performativer und parergonaler Rahmungsprozesse.
Die Zusammenführung dieser beiden Fragekomplexe hat für die Argumentation meiner Arbeit entscheidende Bedeutung, denn die editoriale Tätigkeit - und
mit ihr das Verhältnis von Autorschaft und Herausgeberschaft - wird wesentlich
durch das Verhältnis von Schrift und Performanz determiniert: Im Rahmen der
editorialen Tätigkeit werden Akte des Zitierens, Arrangierens und Kommentierens
ausgeführt, und zwar mit dem Ziel, den "Performance-Akt der Textwerdung"3 demonstrativ vorzuführen. Anders gewendet: Die editoriale Tätigkeit ist ein Verfahren, das erlaubt, mit Schrift Schrift zu rahmen und zugleich mit Hilfe editorialer
Indices auf die performativen Rahmungsbedingungen zu verweisen.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen werde ich im Folgenden eine grundlegende Untersuchung der Begriffe der Performanz, der Schrift und des Indexikalischen vornehmen und die Ergebnisse dieser Untersuchung anschließend auf die
editoriale Tätigkeit beziehen.
Vgl. hierzu ausführlich: Wirrh: "Der Performanzbegriff im Spannungsfeld von Illokurion, Ireradon und Indexikalirär", S. 9 ff.
2 Derrida: "Signarur Ereignis Konrext", S. 32.
3 Gresillon: ",Critique genedque"', S. 23.
50
2, PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
2.1.1 Der Performanzbegriff im Ausgang von Austin und Seade
Gemäß der Auffassung, die Austin in How to Do Things with WOrds vertritt, wird
der Gebrauch von Sprache durch bestimmte "conventional procedures" geregelt. 4
Die Bedeutung eines geäußerten Sprechaktes leitet sich aus dem wechselseitig
vorausgesetzten Wissen um den Verpflichtungscharakter des Sprechens und von
bestimmten essentiellen Gelingensbedingungen ab. Diese betreffen zum einen
die intentionalen Rahmenbedingungen, nämlich die ernsthafte Festlegung des
Sprechers auf ein Verhalten, zum anderen die institutionellen Rahmenbedin_
gungen.
Zum Kulminationspunkt der Auseinandersetzung zwischen Verfechtern der
Sprechakttheorie und Anhängern dekonstruktiver Ansätze wird die Frage nach der
Ernsthaftigkeit als essentieller Bedingung für das Gelingen von Sprechakten. In
diesem Zusammenhang kommt auch das Problem des Rahmens ins Spiel. Der zentrale Widerspruch zwischen dem ernsthaften Vollzug einer performativen Äußerung und einer inszenierenden Perflrmance besteht darin, daß im zweiten Fall _
folgt man der sprachphilosophischen Argumentation Austins und Searles - die essentielle Gelingensbedingung der Ernsthaftigkeit dispensiert ist, welche den Sprecher auf bestimmte Handlungskonsequenzen festlegt:
In einer ganz besonderen weise sind performative Äußerungen unernst oder nichtig,
wenn ein Schauspieler sie auf der Bühne tut oder wenn sie in einem Gedicht vorkommen oder wenn sie jemand zu sich selber sagt. Jede Äußerung kann diesen Szenenwechsel (sea-change) in gleicher Weise erleben. Unter solchen Umständen wird die
Sprache auf ganz bestimmte, dabei verständliche und durchschaubare Weise unernst
(not seriously) gebraucht, und zwar wird der gewöhnliche Gebrauch (normal use) parasitär ausgenutzt. Das gehört zur Lehre der Auszehrung (doctrine 0/etiolations) der Sprache. All das schließen wir aus unserer Betrachtung aus,5
Der "Szenenwechsel" impliziert nicht nur einen Wechsel des Kontextes, sondern,
wenn man Theater-Rahmen ausweitet und den Statusunterschied zwischen einem
gültigen Versprechen und einem inszenierten Versprechen betrachtet, auch einen
pragmatischen Perspektivenwechsel mit nachhaltigen Konsequenzen für die Konstitution der Äußerungsbedeutung. Die Konsequenzen eines Versprechens im Rahmen einer standesamtlichen Trauung sind andere als die Konsequenzen eines
Versprechens im Rahmen einer theatralen Aufführung. Zu fragen ist aber, ob der
Szenenwechsel vom ernsten, pragmatischen Kontext zum unernsten Inszenierungskontext tatsächlich als Übergang von "gelingenden" zu "nichtigen" Sprechakten aufzufassen ist. In diese Richtung zielt die dekonstruktive, aber auch die
rezeptionsästhetische Kritik der Sprechakttheorie.
Derrida stellt in "Signatur Ereignis Kontext" mit der Kategorie des Gelingens und
des Scheiterns von Sprechakten auch den Begriff des "parasitären Gebrauchs" von
4 Austin: How to Do Things with WOrds, S, 14 f.; dt.: Zur Theorie der Sprechakte, S, 37,
5 Ebd" S, 43 f. Die kursivierten Ausdrücke in Klammern sind dem Originaltexr entnommen (S, 22),
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2,1 PERFORMANZ
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Das Verwenden von Zeichen ist für Dernda glelchMehr noch: die Möglichkeit des Herl(ontexte "aujgepjropft, .wer en. Z. 1
Zltteren von elC len.
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bedeuten mit ~n , thaften Aufpfropfens", die greife citattonell~ also, ge l~tt "z:u
ausnehmens und es z1 ta 1 oder' geschriebenen Zeichens". 8 Jede Außerung 1st mlt'd esproc1lene 1
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2.1.2 Performanz als Rahmung
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inneren Spannungsver a t111S zu er 1 Klasse der expliziten Penormattva 111 e111em
6 Vgl. Derrida: "SignatUr Ereignis Kontext", S, 38 f,
7 Ebd" S, 41.
8 Ebd" S, 32,
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b D ,,'das Kritik am Intentionalismus der Sprechakt9 Ebd" S, 40, Hier ist freillch zu fradgen, 0, heilli'Ile stark konventionalistische Theorie handelt
f·c
'I I' h
, 'h "li' , Leere geht a es SIC um e
theone 11lC t vo 19 111S .'
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G . "h S 118) Derrida ist dagegen 0 renslClt 1C
(vgl Fermandois: Sprachsptele, Sprechakte, espräc ,e, 'H' ' fd lltet d'le Rede vom Fehlen eines
'
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d K . t interessiert lemu e
am Verhältnis von Konventlon un
ontex h' d
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I'e dl'e l'atsache daß J' edes Zeichen
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"(S 32) 111 as e enso w
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d'S I' 'f
d d'e Fl"lllr'llngslosigkeit des Verstehenabsoluten Verankerungszentlums
,
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zitiert werden kann, e111" g elt~n b' 'ff b'
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D' "d ' Declarations d'Independance , wo urc 1
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konventional definierten Begriff der dlokutlonaren Kraft.
52
2. PERFORMANZ ~ SCHRIFT - EDITION
lokutionären Kraft des normalen Sprechakts steht - insofern nämlich, als explizite
Perfonuativa bestimmte Aspekte gewöhnlichen Sprechens außer Kraft setzen, So
haben explizite Performativa, welche im Rahmen von Zeremonien und Rituaiel
geäußert werden, fast immer Aufführungscharaktel~da sie sich nicht an einel~
Kommunikationspartner, sondern an "die Gesellschaft" richten, 10 Darüber hinaus
sind explizite Performativa "an strikte Repetition gebunden"ll, das heißt, der all~
gemeine iterative Charakter hat die Form des wörtlichen Zitats. Eine Zeremonie
hängt davon ab, daß an einer bestimmten Stelle ganz bestimmte Worte geäußert
werden - auch wenn gleichbedeutende, anderslautende Ausdrücke zur Verfügung
stehen. 12 So betrachtet, sind Performativität und Iterabilität in ein Dispositiv der
Macht eingebettet.
Nach Foucault ist die allgemeinste Bestimmung der Macht die, daß sie ein
"K.räfteverhältnis"13 ist, das sich unaufhörlich wandelt und in Bewegung ist, Dabei
hängt die Machtausübung sowohl von einer "bestimmten Ökonomie der Diskurse"14 als auch von deren Vernetzung ab, Das Dispositiv steht sowohl für das
"Netz"15 zwischen verschiedenen Diskursen als auch für die unaufhörliche Bewegung der Vernetzung, es ist ein "Spiel von Positionswechseln und Funktionsände~
rungen", das einer Strategie folgt, die der Steuerung und der Selektion dient, 16 Das
~eiß~, das Di~posi:i~ is.t ein, Kräfteverhältnis in kontrollierter Bewegung. SchließlIch 1st das. DISPOSltlV llU Slllne Foucaults aber auch, ja vor allem, eine Strategie,
um "auf elllen Notstand (urgence) zu antworten",17 Diese letzte Bestimmung
macht ldar, warum der Begriff des Dispositivs hauptsächlich in juristischen, medizinischen und militärischen Kontexten Verwendung findet: Er bezeichnet jene
"Vorkehrungen, die eine strategische Operation durchzuführen erlauben", 18 In den
performativen Kräfteverhältnissen finden sich Spuren dieser strategischen Machtdispositive - etwa in Form des Rituals. Die dispositive Funktion des Rituals besteht darin, durch eine disziplinierende Einübung Gemeinschaft zu stiften. Dabei
speist sich die Kraft des Performativen zum einen aus dem "Vermächtnis früherer
überpersönlicher sprachlicher und außersprachlicher Praktiken". 19 Zum anderen
wird beim Gebrauch ritualisierter Performativa "nicht durch Verständigung, sondern durch das Einhalten einer Form" Gemeinschaft gestiftet. 2o Das heißt, ausgerechnet die expliziten Performativa, die bei Austin den Ausgangspunkt der
Sprechakttheorie darstellen, widersetzen sich aus ritualtheoretischer Sicht der In10 Vgl. Krämer: Sprache, Sprechakt; Kommunikation, S. 143.
11 Ebd.
12 Ebd,
13 FoucaLdr: Dispositive der Macht, S. 70.
14 Ebd., S. 76,
15 Ebd., S. 120,
16 Ebd.
17 Ebd.
18 Anmerkung der Überserzer Ulrieh Raulff und Walrer Seiner, in: Michel FOLlCault: Der Wille zum
Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, S. 35.
19 Krämer: Sprache, Sprechakt, Kommunikation, S. 144.
20 Ebd., S, 145.
2.1 PERFORMANZ
53
, n ' 'e allgemeine Theorie des kommunikativen Handelns. Rituale sind
ll1 e111 '
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aus, daß sich alle Außerungen Immer. auc a .s nszeurerungen,
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Iassen,23 So faßt FIscher-Lichte
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das 1leI'ß t als Performances betrachten .
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24
der Inszenierung" respektive "als Insze111erung von K~ tur esc r~1 e,n assen.
Der Begriff der ,Inszenierung' bezeichnet einen Akt, ml~. dem e~as m elllen Thea..ahmen gestellt wird, um es dort darstellend zu verkorpern.
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Für die Analyse der Rallmenbedingungen von PerlOrmaUvltat Im mne von ns. n g gewI'nnt Goffmans Ansatz der" Rahmen-Analyse grundlegende Bedeutung.
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den von Austm est·
Sle .schließt an Austins Sprechakttheone an, wobeI Goffman
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llten Sea-Change"26, durch den zum Beispiel Außerungen aus em ontext
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er
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Illokution,
sondern als "modulierende TransformatIOn
den
Moment
der
Transformation
von
einem
Rahmen zum anderen zu
deutel' . Um
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1 Md!"
beschreiben, führt Goffman den Begriff des key ein, der im De.utsc en ~ s" 0 ,u
übersetzt wird. 27 Ebenso wie der Notenschlüssel am Anfang elller ~artltur a~lZe~gt,
in welcher Tonart zu spielen ist, zeigt das Modul die Art und Welse an, wie eme
Handlung zu verstehen ist. Die Pointe des rahmentheoretischen Sc?lüsselko~zepts
besteht darin, daß der Begriff der Modulation Austins UnterscheIdung zw.~schen
ernsthaften und nicht-ernsthaften Sprechakten ersetzt, Der "Szene~lwe.chsel ,d~m
jeder Sprechakt ausgesetzt ist, sobald man ihn auf der Bühne oder 111 e111em fikuo21 BelligeriKriegel': Ritualtheorien, S. 2 L
22 Culler: Dekonstruktion, S. 133.
.
23 Unrel'sl'ürzung finder diese Sichr von unerwanerel' Seire,. nämlich von Seal'le, de~' sC~l'elbr: ,,~hough
evel'Y unerance is indeed a performance, only a vel'Y l'esrncred dass are performattves (Seade. "How
Pel'fol'marives Worle", S. 538).
24 Fischer-Lichre: "Grenzgänge und Tauschhandel", S. 29L
".
.
25 Nach Fischer-Lichl'e finder sich der frühes re Nachweis für den Ausdruck "meme en scene 111 Dldel'ors Salon aus dem Jahre 1765, und zwar unrer Bezug auf die Malerei. "Diese Verwendung
scheinr noch auf die alre Bedeurung des Worres ,Thearer' hinzuweisen, die auch fü~' das W~rt
,Szene' noch weirer gebräuchlich blieb: Schauplarz bzw. 01'1', an dem sich erwas des Zelgens Wurdiges ereignet" (Fischer-Lichre; "Inszenierung und Thearralirär", S. 82).
26 Ausdn; Zur Theorie der Sprechakte, S. 43 f.; Ausdn: How to Do Things with WOrds, S. 22.
27 Goffman: Rahmen-Analyse, S. 56, Fn. 14,
54
2. PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
nalen Kontext äußert, wird nicht mehr als Unfall oder als parasitäre Kranldleit, SOn_
dern als Rahmenwechsel darstellt. Dieser Rahmenwechsel ist das Resultat einer "systematische[n] Umwandlung", die das, was in den Augen aller Beteiligten vor sich
geht, "grundlegend neu bestimmt".28 So werden Handlungen, die im "primären
Rahmen" der Lebenswelt als "wirklich" betrachtet werden, auf der Bühne zu etwas
moduliert, "was nicht wirklich oder eigentlich geschieht. Trotzdem würde man
sagen, diese Handlungen würden wirklich oder eigentlich gespielt". 29 Bei der Modulation wird mit dem Rahmen, in dem die Äußerung erscheint, auch der interpretative Rahmen gewechselt. Jede Modulation bewirkt also auch einen Wechsel
des "Deutungsrahmens".30 Um anzuzeigen, wann und wo eine Modulation beginnt und wo sie endet, gibt es bestimmte "Hinweise"31, die den Charakter VOn
"Indices" im Sinne von Peirce haben. 32 Allerdings werden diese Rallmungshi n weise
erst durch ein bestimmtes Rahmungswissen les- und verstehbar. 33
Die besondere Leistung von Goffmans Modulationskonzept besteht darin, daß
es den sprechakttheoretischen Konventionalismus in einer Weise reformuliert, die
das Problem der Gelingensbedingungen in das Problem der Rahmungsbedingun_
gen transformiert. Dies zeigt sich im Hinblick auf den Phänomenbereich der Fiktionalität. Nach Searle gibt der Autor eines fiktionalen Textes vor, illokutionäre
Alne zu vollziehen. Im Gegensatz zu einer Täuschung mit betrügerischer Absicht
ist die fiktionale Verwendung von Wörtern im literarischen Kontext ein "Vorgeben ohne Täuschungsabsicht":34 Mit anderen Worten, die fiktionale Verwendung
28 Ebd., S. 57.
29 Ebd., S. 59.
30 Vgl. Assmann: "Im Dickicht der Zeichen. Hodegetik - Hermeneutik _ Dekonstl'uktion", S. 537.
Der Begriff des Demungsrahmens wird von Assmann - mit Bezug auf Goffman und Iser _ als gleichermaßen hermenemisch wie dekonstruktivistisch nmzbare Voraussetzungsstl'uktur gedeutet,
ohne die der Akt des Lesens nicht vollziehbar wäre. Der "Demungsrahmen" bezieht sich auf "kulturgeschichtliche Voraussetzungen" mit Steue1'llngsfunktion, das heißt interpretative Rahmenbedingungen, die "sowohl internalisiert also auch institmionalisiert" sind.
31 Goffman: Rahmen-Analyse, S. 57.
32 Vgl. Tambiah: "Eine performative Theorie des Rituals", S. 230, sowie Eco: "Semiotics ofTheatrical Performance", S. 110.
33 Das Rahmungswissen schafft ein Ensemble von Deutungsmustern und ist zugleich ein implizites
"Kognitions- und Performanzwissen", wie Soeffner erklärt: "Wer über dieses implizite Wissen und
über Mittel verfügt, mit deren Hilfe man sich als Kenner alltäglicher und kollektiver Handlungsund Situationstypen zu erkennen geben kann, verfügt zugleich sowohl über ein Typenrepertoire
als auch über Darstellungsmittel, in denen Hinweise auf eine spezifische Verwendung und Deutung von Typen in der Interaktion gegeben werden" (Soeffner: Auslegung des Alltags _ Der Alltag
der Auslegung, S. 143). Nach Willems ist es das Ziel der RahmendarsteIlung, "etwas und sich selbst
,lesbar' zu machen" (Willems: "Inszenierungsgesellschaft? Zum Theater als Modell, zur Theatralität von Praxis", S. 29).
34 Vgl. Searle: "Der logische Status fiktionalen Diskurses", S. 87. Das deceptive pretendingSearles wird
von Goffman als fitbrication bezeichnet. Der Unterschied zwischen Modulation und fitbrication
besteht darin, daß im letzten Falle die Transformationsmanöver des "Urbilds" verschleiert werden.
Ein Täuschungsmanöver ist "der Ge{;~hr einer bestimmten Art der Entlarvung ausgesetzt. Wenn
die getäuschte Seite herausfindet, was los ist, dann erkennt sie das, was einen ALlgenblick vorher
für sie noch Wirklichkeit war, als Täuschung, und damit ist es völlig zerstört. Es fällt in sich zusammen" (Goffman: Rahmen-Analyse, S. 99).
55
2.1 PERFORMANZ
.
., 't einen Wechsel der illokutionären Einstellung des Autors ~evon
Das Erkennen der illokutionären Einstellung des Autors
genüber
Kriterium zur Identifizierung eines
ß
für Searle deI. 1d' fferenzierteren Blick eröffnet Luhmann, wenn er
Ansc u
Einen sehr vIeh 1 h " 36 Fl'ktionalität als Resultat einer "Techl11k der DopGEJ
Ra ment eOlle
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" hl' 1
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an Gül man;'37 auffaßt. Weil das Kunstwerk immer auch el1~e tatsac lC ~e, ma :
pelrahmung.
. Wi lt" hat muß so Luhmann, "das MedlUm durch e111e Dop
riale Existenz ,,111
.
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eine Täuschung, die zugleich auf Grund
elrahmung konstltllleit wel . en he durchschaut wird".38 So dienen der Bilderbesonderer
;:ßcman das, was sich innerhalb dieser
abrahmen und dIe Buhn
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hIt" 39 Die Doppelrahmung etabltert also,
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.C1 it der Außenwe t verwec se .
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spielt, ,,11l ~t ~ Konzept der non-deceptive pretendings, ein Modell ~u'~ sc au:
analog zu eal es
Drüber hinaus bezieht die "Technik der Doppe ra mun~
barerBetrachter
Täuschungedn'
den
un d enaLeser'1co nstitutiv in den Prozeß der Fiktionserzeugung mIt
SätZenl1npl~lel
sei~l~ da:X~inzige
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A~halt.~pu~I~~z:~s i
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fiktion~len Tex~r
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Rah~en
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'elrahmun in der Malerei, im Theater und im Rom~?
Die Darstellung
de~111er
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das heißt er· "40
DabeI. ge h t es d'
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tel' die Doppelrahmfudn oB "elnslc .tllc nlSu~" ein Schauspiel ist, und daß SelbsttäuI' au
er u lne SIe 1t , ,
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. diesem Schauspiel Sche111we ten 111 er
schungen und Fren:dtal:'~~l~ndg~nElbnellendl'fferenzierung bei der Lektüre von Er.
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Sche111we t re~lase. '1, 's I n ein Roman die Strategie einer "Kon1UslOn
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von Rahmen verfolgen, 111 em er versuc . ' ': I fin iert (oder nicht fingiert?), daß
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er ,gefun ene neo e vor eg . f d' Standardsituation der Herausgeberfiktlon erDoppelra?mu~lg 1m Rekurs t~ ~e 'des Unterschieds zwischen Fiktion und Fal~
läutert, waft dIe Rede vom, o~cI el.n" d ' S h 'l'ft auf Woran erkennt man dIe
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. . h von der fingierten? We c e
,authentische Schrift' un~ WIe un~~rsc e~ ~t SIe SlC
Rahmungsbedingungen s111d dabeI 1m SpIel.
35 Ebd., S. 87.
rft S 401
36 Vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellscha , .
.
37 Ebd., S. 178.
38 Ebd.
39 Ebd., S. 177.
40 Ebd., S. 137.
41 Ebd.
42 Ebd., S. 414.
43 Ebd., S. 415.
44 Ebd.
56
2. PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
r
Im Folgenden wird es mithin darum gehen, den Begriff der Schrift sowohl au
dekonstruktivistischer als auch aus semiotischer Sicht zu beleuchten, Insbesonder~
stellt sich die Aufgabe, Derridas Modell der Schrift als greffe citationelle mit den
Peirceschen Konzept von Indexikalität ins Verhältnis zu setzen,
1
2.2 Schrift
2,2.1 Die Peircesche Semiotik
als Grundlage einer allgemeinen Theorie der Schrift
":Vährend de Man die Peircesche Zeichentheorie für eine Theorie der Interpretation und der Lektüre in Dienst nimmt 45 , liefert Peirce Derrida die Prämissen für
seine allgemeine Theorie der Schrift. Als Kommentar zu der von de Man angeführten Stelle, wonach "one sign gives birth to another, and especially one thought
brings forth another"46, schreibt Derrida in der Grammatologie: "Peirce kommt der
von uns intendierten Dekonstruktion des transzendentalen Signifikats sehr nahe,
welches letzten Endes dem Verweis von Zeichen zu Zeichen immer eine feste
G lenze
.
" 47 G egen d'le "reste
['
G renze,
" d'le d as "transzend entaIe SIgnIfikat'
"
, setzt,
setzt,
bringt Derrida im Rekurs auf Peirce einen prozessualen Zeichenbegriff in Stellung,
dessen entscheidendes Kriterium das "Indefinite[] des Verweises" ist. 48
Derrida verknüpft hier zwei Argumentationslinien, Die erste zielt darauf ab, das
Zeichen-Sein als Zeichen- werden zu fassen, die zweite darauf, daß das Bezeichnete _
sei es Signifikat, sei es Referent - ebenfalls Zeichencharakter hat. Diese vermeintlich
provokante Konsequenz nimmt sich im Rahmen der Peirceschen Semiotik vergleichsweise harmlos aus. Nach Peirce ist das Zeichen etwas, "das seinen Interpretanten determiniert, auf ein Objekt zu referieren, auf den es selbst in der gleichen
Weise referiert, woraufhin der Interpretant selbst zu einem Zeichen wird, und so weiter, ad infinitum".49 Umgekehrt bedeutet dies, daß die Relation zwischen Zeichen
und Objekt, auf das sich der zum Zeichen gewordene Interpretant nun bezieht, in
die Objektposition gerät, Insofern besteht der infinite semiotische Prozeß in der Interpretation eines Zeichens durch ein anderes Zeichen, Auf dieses Modell der ,infiniten Semiose' rekurriert Derrida in seiner Grammatologie, um das "transzendentale
Signifikat" der Saussureschen Semiologie durch das "Spiel der Schrift" zu ersetzen. 50
45
46
47
48
49
50
Ebd.
Peirce: Colleeted Papers, 2,229,
Derrida: Grammatologie, S, 85,
Ebd" S. 85 f.
Peirce: Colleeted Papers, 2.303.
Derrida: Grammatologie, S. 87.
2.2 SCHRIFT
re
57
"Cf d Spiels wird aus der "Bezeichnungsbewegung" der infiniten SeDer Begl1l : es
,
'
'
. ' d Z' 1
auf das Peucesche Diktum velwelst, as elC len
" l' wobei Dernda
, Se herge1elte ,
"51 d '
'h 1
[11IO ,
'd 1 r'weise eine series of successive interpretants , amlt es 111C l' a s
"tlge
1
ea
e
"
'
h
'd d'
O
ben
Zeichen zur Darstellung kommt,52 Zugleich le nt Dern a le
'
,'"
' 1 " ,I' 1
ollkommenes
11 lW
1 B stimmung der Schrift als "Abbtld beZiehungsweise a s "natur IC les
e
,
"b
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Saussurescle
1'"
Namen
der Arbitrarität des Zeichens
a, 53 D'le Sch'fi'
1'1 l' Ist "so wenig
SYmbo
" '
. 1len 0d er d as In d"IZ Im H us"/' h "Im
(' l'st nicht das Merkmal, das naturltclle
ZelC
atur IC sie
,
,
,
h' 1
' b' 1
rJ l' 1 Sinne) wie kulturell, so we111g physIsch WIe psyc ISC 1, so we111g 10 0Ser sc len,
, , '''55'1st d'le Sch 1'1'fl' Je
'doc h 111C
. 11l' e1'11[acl1
" " 54 Als trace 111Stltuee
isch WIe geistig ,
" '
,
'
,
. '
h "fi
g
, ' '1' 0 wie das arbiträre Zeichen 1m S111ne Saussures, sonde1l1 die Sc 11 l'
unmotlVler , s
" 56
h 'ß d'
'b
S "
. 'd c.nl't ihr eigenes Unmotiviert-Werden. Das eil', le "vere111 arte pur
Ist "ß111 1eIl ' Tätigkeit und nicht als ein Zustand begn'f'Cren werd en, al
' al(tlve
'
s e111e
[11U a s "e111e
,
b
S I " 57 U
eine Ent-Motivierung und nicht als e111e gege ene tru nur '
m
Bewegung, aIs
"
. ,"
b
. Th se zu begründen, Schnft befinde Sich 111 e111er Ubergangs ewegung von
se111e, ' r'ten
e zu unmotivierten Zeichen,
'"
. 11 D ern'da au fe111e
'
Passage d er
stutzt SlC
motlVle
" ,
d 'I ' h Z' h ' '
'Collected Papers, in der Pelrce dIe symboltschen un 1(o~lSC e~ elC en 111 e111 plO
"er'ha"ltnis setzt' Symbols grow, They come 1111'0 be111g by development
zessua1es v'
. "
" 1'
f h
fother signs, particularly from icons, or from mIxed slgns parta ([~g 0 l' e
out ~ f' ons and symbols. We think only in signs" .58 Der Rekurs auf diese Stelle
,
'fi b 'f'C F" 'h'
I'
nature 0 lC
- ' eI1tscheidende Konsequenzen für Derndas
Schn l' egn 1: ur 1 n Imp 11lat zweI
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"
, d Zl'tat zum einen daß sich Schrift als Prozeß des "UnmOtlVlert- wer ens
Ziert as
,
,.,,'
b fi d 59 Z
im Übergang von ikonischen zu symboltsch-arbttraren Ze,lchen e 111 et. ,um
anderen scheint diese Passage Derri,das Auss~hlu~ d~s An~elchens ,zu rechtfert~gen,
da der ,Index', jene Zeichenkategone also, dIe bel Pence dIe Funktion der Spur hat,
unerwähnt bleibt,
51 Peirce: Colleeted Papers, 2,303.
. , '
52 Peirce macht im Kontext seiner Definition des Zeichens als infin~;em InterpretatI01~s?t:?zeß et~e
Bemerkung, die Derridas Gedanken des "unendlichen Aufschubs und der "Iter~bdttat de~ Zetchens zu untermauern scheint: "No doubt, intelligent consciousness must enter tnto t1~e senes. I,~
the series of successive interpretants comes tO an end, the sign is thereby rendered unperfect
(Peirce: Colleeted Papers, 2.303).
"
53 Derrida: Grammatologie, S, 79, Die Schrift, die im Ausgang von Saussure als sekundares System
ein "Abbild" der lautlichen Signifikanten ist, wird dadurch zu einem "äußet~en Reflex. de~ Sprachwirklichkeit" abgestempelt. In der "synchronen Strl~kt,;t~· un~ it~ systet:nattsch~n ~nnzt~ d.er al~
phabetischen und allgemeiner der p~?netische;l Schnft tst t,lamltch ,,~{etn Verha~tnts ,t:atLul~~he:
Repräsentation, kein Verhältnis der Ahnlichkett o~er d~r.Ted~1abe, ketn ,~ym~olts~h:s ,;:ethaltnts
im Sinne Hegels und Saussures, kein ,ikonograplusches tm SU1l1e von Peuce unpltztett (ebd.),
54
55
56
57
58
59
Ebd" S, 83.
Ebd., S, 81.
Ebd., S. 83,
Ebd" S. 88.
Peirce: Colleeted Papers, 2.302.
,
,.
.
.
Derrida schreibt mit Bezug auf das Peirce-Zitat: "In seinem Entwurf etner SemlOttk schetnt Peuce
diesem irreduziblen Unmotiviert-Werden mehr Aufmerksamkeit gewidmet zu haben als Saussure,
Peirces Terminologie zufolge muß man von einem Unmotiviert-Werden des Symbols sp';echen,
wobei sein Begriff des Symbols dem Zeichenbegriff, welchen Saussure dem Symbol gegenuber gestellt hat, analog ist" (Derrida: Grammatologie, S. 83).
I
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i
I
1
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,1
58
2. PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
Meines Erachtens ist diese Exldusion des Index-Zeichens aus Derridas Schrift_
begriff jedoch in zweierlei Hinsicht problematisch: Erstens stellt der Rekurs auf
die Peircesche Zeichenldassifikation bei gleichzeitiger Exklusion des Indexzeichens
eine zeichentheoretische Unmöglichkeit dar, Zweitens wird der Ausschluß des Indexzeichens mit dem Argument begründet, Anzeichen seien ausschließlich als
"natürliche Zeichen" zu verstehen, Diese Auffassung stellt sich mit Blick auf die
Peircesche Bestimmung des Index (aber auch des Ikons) als grundlegender Irrtum
heraus.
,
'al re IatlOn
' "64 , die, durch
'd Teil einer motivierten, "exlstentl
,
'
1'1' Genuine Indlc~~ sl~nh I(
Ile,
, '1'''1''' bestimmt ist,65 In eben dieser Welse sllld
." d' natur IC e OntlgUl a
,
l'
'
'1'
I<ausahtat 0 el" I
tiviert 66 , Der Erkenntniswert ellles Symptoms legt III s~llle
me
S mpto
Imusa mo,
'dem worauf es verweist, das heißt, in seiner (auIntentionalität, Das
ist
alen MOtlVlerthelt und d
' b ' 1''' 67 Diese existentielle RelatlOn zu elllem
s, 'd f:
correspon 1'0 ltS 0 Jec ,
'd
I
by bllll act to
d c" . daß es sich um einen genulllen In ex, a so um
' d' Voraussetzung amI,
'h "h d I 68
Objekt Ist l e ,
' m ein natürliches AnzeIC en an e 1',
ein Symptom.
koinzidiert mit Husserls in
Logischhen
Diese Bestlmmung
D 1'. "
d
Anzeichens" als eines ZeIChens 0 ne
h
egebener el111ltlOn es"
h "d' H
Untersuc ungen
g
S ' d m Bel'spiel die fossilen Knoc en, le us, na I B deutung 0 Slll zu
"
h 'd d
, h'
konventlO e e
, "h 1'69 genuine Indices. In einer entsc el en en
'b 1-I
I B
B · 'I für AnzelC en elwa n ,
serl als eispie
, genulller
' In d eXl(a
'I I'Ität allerdings noch il er usserWT.I
s e-'
I d l' Begnff
Hinsicht ge 11' e ",1' hen AnzelC
'hens h'lllaus.. Ft"lr Peirce sind auch unsere waD'
lid
stimmung es natur IC I
l' matische Relationen determiniert,
le
nehmungsprozesse , durc 1 7~~u~ ments) repräsentieren das Wahrgenommene
Wahrnehmungsurtetle (percep, u J g
h
1 I'ndicates the direction of the
tom Just as a weat
(/Jercept) als "tl'ue symp,
" 70 er-coc (
l'
h
meter the temperature .
d 'I
wind'01'
, h e11 genuI'ner und degenerierter, In eXId(ada l' ermo"
' h d l' Ubergang ZWISC
e Imusa I motlVlette
" , . genu ine Index ist der"
degene.nerte
. "Hier Ateutet
d SICI der
. .In'ex_
htat an, 1 ers ,a ~
E' d
' 'tel' Index ist ein referentieller Zeiget. "a Plo
intentional motlVlert, III ~genener. . fin er is adegenerate index'',?1 Der
per name without significatl,on, a POI~l~~~ h d:r~uf daß sich bei deiktischen ReAusdruck degenerate bezieht sichI offenslc ,1' I~ I d CI'I(al'I'ta"t durch den Einfluß einer
h
'
'
d' Vi' 'tl'U (tur genulller n ex
ferenzhll1welsen le elw,elss l' "
1ehrt Ein degenerierter Index ist nicht me l'
bezugnehmenden Intentl~na Itat um (d . U
h sondern der Ausgangspunkt
' 'W' 1
lller abwesen en rsac e,
,
die
motlVlerte
Ir
Ulng
e
h
d
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ßt
er
ist
die intentionale Ursache ellles
einer hinweisenden Bezugna me, as el ,
u~willkür~i~henV.erbllld~~l:e~~erNi~htbezlehungg:;:~~~I~IIndice;'
2.2.2 Peirce: Das Anzeichen als genuiner und degenerierter Index
Nach Peirce besteht die zeichenkonstitutive Beschaffenheit von Indices in ihrer Relation zur Wirklichkeit,60 Zugleich sind Indices dadurch ausgezeichnet, daß sie
Aufmerksamkeit erzeugen: "Anything which focusses the attention is an index", 61
Die Aufmerksamkeit richtet sich indessen nicht auf das Objekt, sondern auf die
Relation zwischen Zeichen und Objekt. Das Indexzeichen "marks the junction between two portions of experience"62: Die beiden ,Portionen' aus der Erfahrungswelt
- hierzu zählen neben Wahrnehmungserlebnissen auch die Erinnerungen an Wahrnehmungserlebnisse - sind so miteinander verbunden, daß das eine Element als
Anzeichen des anderen Elements gedeutet werden kann, Dabei unterscheidet Peirce
zwischen ,genuinen' und ,degenerierten' Indices. 63 Die Differenzierung zwischen
genuinen und degenerierten Indices betrifft die Art und den Grad der Motiviert60 Vgl. Peirce: Co!!ected Papers, 4,531: Indices "fu1'11ish positive assmance of the reality and the nearness of their Objects", Im Gegensatz dazu ist das Icon ein Zeichen, das sich auf ein Objekt beziehen
kann, "das dmchaus (auch) nicht existieren kann" (Peirce: Phänomen und Logik der Zeichen, S. 65),
Ein Icon kann Peirce zufolge eine bloße Ähnlichkeit, ein Abbild oder ein Diagramm repräsentieren: "[,,,] jede beliebige Entität - Qualität, existierendes Individuum oder Gesetz _ ist ein Ikon
von was auch immer, wenn es diesem ähnelt und als Zeichen für es verwendet wird" (5, 124), Ein
Icon zeichnet sich durch eine grundlegende Offenheit für Ähnlichkeitsrelationen und Deutungsmöglichkeiten aus, da es "nur Ähnlichkeiten umfaßt", die weitergehend bestimmt werden müssen: "Each Icon partakes of some more or less overt character of its Object (4,531). Die ikonische
Teilhabe am Objekt betrifft nm die Offenheit des Icon für mögliche Ähnlichkeitsrelationen, nicht
jedoch sein ,Motiviertsein', denn, das ikonisch repräsentierte Objekt "may be a pme fiction" (ebd,),
Eben deshalb ist das ikonische Zeichen ,an sich' auch kein motiviertes Zeichen, sonde1'11 wird es
nm im Verbund mit Indices,
61 Ebd,,2,285,
62 Ebd,
63 Peirce: Phänomen und Logik der Zeichen, S. 157. Keller deutet das Indexzeichen dagegen _ genau
wie Derrida in der Grammato!ogie - ausschließlich als natürliches, mit dem von ihm Bezeichneten
kausal reliertes Zeichen: "Das Symptom ist in gewisser Weise das einfachste und archaischste Zeichen [".]. Symptome sind nur in bestimmtem Sinne Zeichen, denn sie werden nicht intentional
verwendet" (Keller: Zeichentheorie, S, 118). Dagegen zählt Keller jene Zeichen, "die ausgesprochenen ad hoc Charakter haben und Gegenstand pragmatischer Schlüsse sind", nicht zu den Symptomen: "Es handelt sich bei diesen Zeichen um Indizien ohne Symptomqualität, die Verdachtsmomente begründen mögen, Für die Dynamik der Zeichen spielen sie keine Rolle. Ich will aber
ge1'11e zugeben, daß es zwischen Symptomen und Indizien ein Kontinuum geben kann" (S. 122).
59
2.2 SCHRIFT
Sympto~n "f~rced
d~n
64 Peirce: Collected Papers, 2.283,
.
.
f' d' " n Kontiguitätsassoziationen ab _ im
h I . I
h I dIe act!ons 0 1Il Ices vo
"d S
65 So hängen, psyc 0 oglsc 1 gese e 1,. .,,<
d 11
1111d den intellectual operations . es ymsozlatlonen es m n s "
")
" I' hl'
d Ah
Gegensatz zu en
n IC {eltsas
I I d. I it e regularity of association (4.500 ausbols (Peirce: Collected Papers, 2,306), we c les UlC 1 e 1 "
gezeichnet ist,
66 Vgl. ebd., 8.335,
67 Ebd" 7.628.
.
d· I. Unterarte n v011 Sy mptoluen unterscheiden: "solche, deren
.
68 Nach Keller kann man lIlsgesamt le
II d
B deutllllg die Ursache-Wirkungs-Bezle.
'1 G
B' I ng ist so c le eren e
. ,T
Bedeutung die Tel - anzes- eZle Ul
.'
.
I'Z
I B . hllllg ist Wenn wir diese drei ypen
B d
dIe Mitte - wec {- eZle
.
d
Imng ist, und solche, eren e eutung
ß
. b chll'eßend definieren: Symptome
b .' .nd so mü ten wir a s
.
von Schlüssen kausal zu nennen eleH SI d 'd' d I
I n Schließens ist" (Keller: ZezchentheoI
.
etho e le es causa e
11"
sind Zeichen, deren nterpretatlOns~
.. r h At eichen", insofern sie kausale RücksCl usse
rie, S,121). Das heißt, Symptome sll1d "natlll IC e lZ
erlauben..
24
.
69 Vgl. Husserl: Logzsche Untersuchungeni' S, I 'I . . I' ellOugh that the perceptllal judgment IS
.
7628 . "On tle Wl0 e, It IS P all1 h" (7 635)
70 Peltce:
ColZectedP.-apers,.
not a eapy, iean, or diagram of the percept, however raug
.
.
71 Ebd., 5,75,
60
referentiellen Aktes der "Indikation".72 Der Unterschied zwischen ,genuin' und
,degeneriert' markiert also den Übergang von einem kausal motivierten zu einem
intentional motivierten Index, dessen Anzeigefunktion auf einer Vereinbarung beruht. In beiden Fällen besteht die semiotische Funktion des Indexes darin, als anwesender Teil eines nicht wahrnehmbaren größeren Zusammenhangs die
existentielle oder deiktische Relation zu diesem größeren Zusammenhang darzustellen oder herzustellen, um so die Aufmerksamkeit in einem ,nicht-propositio_
nalen' Modus auf das zu lenken, was mit ihnen existentiell verbunden ist: "The
index asserts nothing; it only says ,There!' It takes hold of our eyes, as it were, and
forcibly directs them to a particular object, and there it stops"?3
Degenerierte Indices befinden sich bereits auf halbem Wege zum symbolischen
74
Zeichen , denn sie sind zumeist nicht nur intentional motiviert, sondern auch
konventional determiniert. Bei Signalen handelt es sich also um nicht-natürliche
intentionale oder konventionale Anzeichen. Der Zeigefinger ist ein intentionaler
Index. Der Glockenschlag einer Kirche, die Leuchtfeuer der Küstenseefahrt, welche eine Untiefe anzeigen, beziehungsweise die Flaggen eines Schiffs, die anzeigen,
welchen Hoheitsrechten das Schiff untersteht, sind dagegen konventionale Indices?5 Neben den diversen Formen von intentionalen und konventionalen Signalen gibt es auch noch eine spezielle Klasse von degenerierten Indices im Rahmen
symbolischer Sprachverwendung: deiktische Ausdrücke, sogenannte Indexicals, die
als sprachlicher Zeigefinger fungieren. Hierzu zählen insbesondere Personalpronomen und Demonstrativpronomen, die abhängig von ihrem jeweiligen Äußerungskontext sind und dazu dienen, "to refer to the actual surrounding circumstances
of the occasion of its embodiment, like such words as that, this, I, you, which, here,
now, yonder, etc."?6 Derartige deiktische Ausdrücke, die auf die Umstände ihrer
Äußerung und ihrer Verkörperung verweisen, sind degenerierte Indices mit referentieller Funktion, die Propositionen in ihren Äußerungskontexten verankern.77
Dergestalt schaffen sie die Voraussetzung dafür, daß die Bedeutung von symbolischen Zeichen wachsen kann?8
72 Vgl. hierzu Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 99,
73 Peirce: Collected Papers, 3.361.
74 Das Symbol wird von Peirce als unmotiviertes Zeichen definiert, das von einer Konvention (convention), einer Gewohnheit (habit) oder einer natürlichen Regularität (a natural disposition) abhängt (Peirce: Collected Papers, 8,335). Als "allgemeines Zeichen" hat es "die Seinsweise der
Gesetzmäßigkeit" (Peirce: Phänomen und Logik der Zeichen, S, 66) und schließt damit auch alle
sprachlichen Zeichen im Sinne des Saussureschen signe mit ein, Als Beispiele für symbolische Zeichen nennt Peil'ce ein "allgemeines Wort, ein Satz oder Buch" (5.73), sowie ein Argument.
75 Vgl. Diderot/d'Alembert (Hg.): Encyclopedie, Bd. 15 (1765), Stichwort "signal", S. 183 f.
76 Peirce: Collected Papers, 4.447.
77 Ein Grenzphänomen der Indexicals sind die Fußnote, die Endnote oder neuerdings der Link, welche nur indirekt den "äußeren Kontext" der Äußerung betreffen, weil sie indexikalisch an die Ränder des Textes verweisen.
78 Das Symbol ist eine sprachliche oder gedanldiche Repräsentation, es weist in die Zukunft und ist
unbegrenzt interpretierbar, wobei seine Bedeutung wächst. "A symbol, once in being, spreads
among the peoples. In use and in experience, its meaning grows" (Peirce: Collected Papers, 2.302),
61
2,2 SCHRIFT
2, PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
. tel' rund der Peirceschen Unterscheidung von genuine~ und deVor· dem IHu:
. h D el'l'l'das These von der vereinbarten Schnftspur
dlcesgl"ß
a t slC
. . als
.
generterten n .d des Zel'chens reformulieren: Danach erfolgt das Unmotlvlett, . ·t Wel en
d '1 al'" I F 1
lJnmotlVlel - , im Über ang von genuiner zu degenerierter In eXl ( ltat: ~ 0Werden der SpUl.
. g . f"
Derridas Konzept der Schrift als greffe cztatzonelle
'lt es zu zelgen, 111Wle e11l
. 1'"
I
genden gl
c Id
genuiner und degenerierter Indexlka ltat ste lt.
im Spannungsre von
2.2.3 Derrida: Iterierbarkeit als Aufpfropfung
·
. ' . nis Kontext" verknüpft Derrida einige zentrale Aspekte seines in
In "Slgnatul Et~
twi kelten Schriftbegriffs mit dem Begriff der Aufpfropfung.
mato
der Gram
og~e ~n. c S '
l'l,d in das Modell einer infiniten Rekontex.
l'
d Z'
M d 11 der 111I1ll1ten emlOse w
Das 0 e .
d l' . d die Möglichkeit unentwegtel' Itenerbar (elt un
lh
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. ,n r
I" barkelt mo u lett, as
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Z·
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.
ll'zl'el't
79 Danach ist das Zeic en ll1C t nur ,,111 sel e
.
"
.
.
I'
, b ,I .t es elC ens unp
tler al ( e l .
] d . 1 inen Code geregelt", der es 111 se111er teta'" I Zelchen [marque utc 1 e
dd
. h b
d, die Iterabilität des Zeichens wir aran SlC tal',
Identltat a s. . , "80
d "1
81 N ch
"t konstltUlett ,son eln
b1'l'[ta"
. h
."
. At führungszeichen gesetzt - wer en (a111l.
a
daß j~tes Z~'~~t :~1 :~~.tl~:r~I~~ur ~es Geschriebenen selbst", daß jed~s geschr~ebene
De.rrt a ge .01 K' ft z~lm Bruch mit seinem Kontext" besitzt.82 ~lese Kra t zum
Zelchen "eute . la
"ß' I ' bilität" des schriftlichen Zelchens aus:
Bruch macht dle "wesensma 1ge tela
A f· d seiner wesensmäßigen Iterabilität kann man ein schriftliches Shynt:r~a ir~~e~'
u grun
. d
Eß d' e eben ist herausnehmen, 0 nea es a er
aus der Verkettung, 111 er es g~ a , t 0 er g
alle Möglichkeiten der
11 Möglichkeiten des Funktlonrerens un genau genommen I
'd
an es
a e
."
f ert Man kann ihm eventuell andere zuer (ennen, 111 em
,Kommunrkatlon ver r
d
'h
rfpfropft Kein Kontext kann es abschlreßen.
in
einschrer
die Möglichkeit und die
J
and~re Kett~n
'b
'
~~ ;~re~ro~:r~~7. gleich~eitig
n:'
U~-
N~chl'
wesensmäßigen Iterabilität (Wiederholung, Andershert)
mog rcrhrglcr:td~r~~c~~'~ftWi~rer
(cr e
,
ist (rr!petitionlalteritel. 83
. was Dern' d
'
r Be riff der Aufpfropfung macht explizit,
a melnt,.
we nn er
. davon
De. h t,gd'le wese nsma"ßige Iterabilität des Zeichens gründe auf e111er "Kraft zum"
spnc
b
I I d s zum Signifikat kommen
In seinem Rekurs auf die indefinite .Bez~ichnung~ ewegung'r~ed~;eS ~b~le ,,(i)n use and in expeaufschiebt, läßt Del'l'ida unberücksrchtIgt, daß ddl~ Bedebu:du g S"t e~ _ wobei es gerade die inde·
"" I
D'" d bender das ZItat vor resen er en a z ,
h"
nence wac 1st - ern a e
,
I" f
' h n zwei Porrionen von Erfa rung
xikalischen Zeichen sind, welche ell1e Ver (~1llpung zwrsc e
, ': 'b
,
d 'symbolrschen Bedeutllng vorantIer en.
W: I
herstellen un, d so d as .ac 1stum
al' Der'r'r'da'. "Signature Evenement
's K er
" S 32 VgI d as 0"
ngll1.
79 Del'l'ida: "Slgnatur Ererglll ontexr, . "
.
. d nite peur eIre rite mis entre grülle" S 381 11 te signe [ ] en peute ou en gtan e u ,
'
C
ontexte,.
:" ou
".
d'
dr ra I'infini de nouveaux contextes,
ments' par la il peut rompre avec tout contexte onne, engen e
, absolument non saturabl"
de fa~on
e,
80 Ebd., S. 25.
81 Ebd., S. 32.
82 Ebd., S, 27.
,
" S 377
83 Ebd,; im Original: "Signature Evenement Contexte,.
,
62
2. PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
Bruch" zwischen Zeichen und Kontext: Das "Herausnehmen" eines schriftlichen
Syntagmas ist als metaphorisches Herausbrechen eines Zweiges aus einem Baul11
zu verstehen, der auf einen anderen Stamm gepfropft und damit in einen anderen
Kontext ,verpflanzt' wird. In dem für die Derrida-Lektüre recht nützlichen Garten-Ratgeber Pfropfin und Beschneiden heißt es: "Im Grunde besteht jeder Pfropf_
vorgang darin, daß man Teile von zwei Pflanzen verletzt und dann so zusammen_
fügt, daß sie miteinander verheilen. Der eine Teil wird als Unterlage bezeichnet. Er
ist eine Art Gastgeber, der im Boden wurzelt und den anderen Teil, den Reis, mit
Nährstoffen versorgt". 84
Diese Stelle macht die strategische Pointe deutlich, die Derrida mit seinem Rekurs auf die Aufpfropfung gelingt: Die Aufpfropfung fungiert als Gegenmetapher
zu Austins Begriff des Parasitären, ja sie impliziert eine Umwertung des Begriffs parasitärer Sprachverwendung. Die negativ konnotierte "Auszehrung" (etiolation)85
des Stammes wird zur positiv konnotierten ,Veredelung' der Unterlage. Die Aufpfropfung führt gerade nicht zu einer ,Entkräftung' des Stammes, sondern zu einer
Potenzierung der Wachstumskräfte, die Wurzel und Pfropfreis verbinden und so
eine neue biologische Art entstehen lassen. Insofern entschädigt die grdfi citationelle für den Kraftverlust, den der illokutionäre Akt mit seinem Zitiert-Werden respektive Inszeniert-Werden Austin zufolge erleidet. Mehr noch: Der französische
Ausdruck "greffer" erlaubt eine semantische Verknüpfung zwischen der Aufpfropfung im botanischen Sinne und dem Schreiben, die im deutschen nicht möglich
ist, denn grdfi ist auch die Bezeichnung für eine Schreibkanzlei. Der Gre.ffier ist ein
Schreiber, der Schriftstücke kopiert, registriert und archiviert. 86 Wenn Derrida also
behauptet: "Ecrire veut dire greffer. Cest le meme mot"87, dann ist dies nicht nur
metaphorisch, sondern auch wörtlich zu nehmen.
Hier kommt noch ein zweiter Aspekt ins Spiel: Im Rahmen der Pfropfprozedur
wird eine neue Pflanzenart erzeugt, und zwar ohne geschlechtliche Zeugung, das
heißt, es handelt sich um ein Vervielfältigungsverfahren ohne vater. An die Stelle der
natürlichen Kausalität der Zeugung tritt die dispositive Intentionalität eines Konzepts. In der Encyclopedie wird die Aufpfropfung als"triomphe de l' art sur la nature"
bezeichnet; mit ihrer Hilfe ist es möglich, eine Frucht zu verbessern oder die Gat84 Allen: Pfropfen und Beschneiden, S. 62. Der Ausdruck "Gastgeber" impliziert als Pendant den Begriff des Parasiten im antiken Sinne - den Parasiten als "edlen Mitesser".
85 Vgl. Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S. 43 E; Austin: How to Do Things with W'ords, S. 22.
86 Vgl. Diderat/d'Alembert (Hg.): Encyclopedie, Bd. 7 (1757), Stichworte "Greffe" und "Greffier",
S.924.
87 Derrida: La Dissemination, S. 431. Insofern ist Sarah Kofman recht zu geben, wenn sie behauptet:
"Alle Schriften J. Derridas formulieren die Theorie der textuellen Püopfung" (Kofman: Derrida
lesen, S. 14). Bemerkenswerterweise ist die Aufpfrapfung nicht nur Derridas Metapher für das
Schreiben als une11lwegtes Zitieren, auch Compagnon koppelt in seiner umfangreichen Studie zur
"travail de la citation" den Alet des Zitierens an den Alet des Aufpfrapfens. Anders als Derrida geht
es Compagnon bei seiner Bezugnahme auf den Begriff der greffi jedoch nicht um das Verpflanzen
im botanischen, sondern im chirurgischen Sinne, also auf die Transplantation von Organen (vgl.
Compagnon: La Seconde main, S. 31). Die transplantierende greffi wird zur Metapher für die "empirischen Interventionen" des Künstlers, dessen Artefakte sich einer "geste archalque du decoupercoller" verdanken (ebd., S. 17).
63
2.2 SCHRIFT
e1 (ha ger !'espece) Um diesen Effekt zu erzielen, zwingt man die
tung zU wfiechs Fa n~tu;e) zu einem' neuen Arrangement (a prendre d'autresharran~e
Natur (on o:ce
. se ihre Formen ändert (changer ses firmes).88 Dem. Sea-c ~nge ~m
n Ht
mertts), da .
der als Szenenwechsel" in die auszehrende doctrme 0/ e.ttolatzon
Sinne AUSt11~ '. d m B~griff der Aufpfropfung das changer ses firmes bezIehungsmundet, wt· mit!' ~ece gegenübergestellt. Das heißt erstens, daß di~ Aufpfropf~ll1g
weise das c an~er e~t dem ein Rahmenwechsel vollzogen wird. ZW~ltens h~nde l' es
ein Verfahrenls~,
fl
um ein Zitier- und Kopierverfahren, mit dem SIC? neue
sid~ ~ei der ~~lEc~~~~:gPflanzentypen herstellen lassen. 9o ~rittens läßt sl.~h beOnginale,d na
. Prozed uren d.
von Gelingensbedmgungen
abhangen,
er pCr'opfung
IJ
•
d .
ß die
merken,
a
d
1
St
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Gelingensbedutgungen
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nderen mo a en a
,
d 1
. "con1
die el11en a
d
"91
S' h kten Im Gegensatz zu en mnvent!ona en,
. 1 . ce ures von plec a
.
. . d d' G l'
vent!~na pro di en' Gelin ensbedingungen der Sprechakttheone sm le e ~~,quasl-n~twen g es Pfro gfens von kontingenten Kontextfaktoren und vom Trelgensbedmgungen d
WT. Ph
1 ."fr abha"ngig So heißt es im Garten-Ratgeber
1'0'11
1 . 11' 'barer yyac stums Ga e .
ben un wntro ler h' 'd . [ ] selbst wenn man alle Bedingungen sorgsam enu l'
Pfropfen und Besc ~l~t~~~i~~~n vorgeht, muß man feststellen, da~ manche Pfrop. g . ht ,"VT.
dies so ist, weiß niemand genau und man genau na d
d
l' n an ere agegen lllC . YY'arum
•
1 'h " 92
funge~ ge mhge., . d as d.
rtigen Arbeiten einen zusätzlichen ReiZ ver el l' .
era
1 M
h 1''' D r
.
I Ge elmnlS,
es Ist e11
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G
' .d d'le Aucpfropfung
zur idea en etapb er rur d ediesem
rundWH
11
G
D G l'
n der Pfropfung ist nicht vorherseh ar, son ern
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"1'
bl" . D'
'd S rachkonzept: as e mge
1'1 as p
I l l 'ler b ar'el' ,"VT.acllstumskräfte
und -saIte a• langlg.
'b
T .b
en unmntro
YY'
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blei l' vom rel
f
f
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smodells
besteht
mithin
dann,
da
es le
es
theoretisch.e G~winn dd ARi~ roJ u~gheiterns dem jeder sprachliche Akt ausgeMö lichkelt eroffnet, as SI co es c ,
" . " f , 93
. ndsätzlich in Betracht zu ziehen und "als Gesetz zu pm en.
setztg.Ist, gm
~e
r
1
2.2.4 ,What is it that gets iterated?'
"ß' en Iterabilität" jedes Zeichens, die in der grefft ciDie These von der "wesensma Ig . f d' F'
f ob die Wiederholbarkeil' des
. II
Ausdruck kommt, Wir l' le rage au ,
94 Z .
mit dessen Zitierbarkeit
fellos kann man behaupten, daß das Zitieren eme Form er le er 0
~~~~~~n: ~~:ächlich
gl.eichgesetz~we;.e~k~n~~ng :~~
88 Vgl. Diderat/d'Alembert (Hg.): Encyclopedie, Bld . 7 .(175~d S~;~~;~~)G~'.e~~~r.)", S. 921, sowie
-LeX1con,.
'.
ds 22
1 S · I . pfr pfreis" in Zedlers Unzversa
(as tlC1Wort" ~
LI f. A
'. H
to Do Things wlth W'or. , S. .
89 Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S.. 13 ., .UStlll . . OW h d' Möglichkeit von Originalen zu
f f
f h · d ß Derl'lda we11lger d alUm ge t, le
90 Vieles d eutet d arau 111, a es
. h 0" al d Kopie zwischen Stamm und P rap _
d' Differenz ZWISC en ng1l1 u n ,
ffi b .
.....
t phorische _ Form der gre e, el
leugnen, sond ern d arum, le
.
S b I .b . 111 Dlssemznation e1l1e - me a
I"
reis zu nivellieren. ? e~c Hel t ei
f. f [ . 'd]" Daraus entsteht ein "Baum ohne Wurze
welcher "der Schößl1l1g Sich selbst aufgep !op t WIr .
(Derrida: Dissemination, S. 403).
91 Austin: How to do Things with W'ords, S. 14 f.
92 Allen: Pfropftn und Beschne~de~, S. 63. "
93 Vgl. Derrida: "Signatur Erelg11lS Kontext, S. 36.
.'
dA f fro fung", S. 23 ff.
94 Vgl. Wirth: "Original und Kopie im Spannungsfeld von IteIatlOn un u p p
64
2, PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
aber ist deswegen jede Form der Wiederholung auch schon als Zitat anzusehel1?
Und was bedeutet es, eine Zeichen-Kette als Zitat zu wiederholen? Sind die Zeichen, die zwischen den Anführungszeichen stehen und den sogenannten "AI1führungskomplex" darstellen 9S , Wiederholungen eines "Zeichen-Types" oder
Wiederholungen eines "Zeichen-Tokens"?96 Zu Recht weist Seade in "Literary
Theory and its Discontents" darauf hin, daß die Identitätskriterien für Types 1Il1d
Tokens verschieden sind. Nach Seade sind die "actual physical tokens" nicht wiederholbar, nur die Types "allow for repeated installCes of the same".97 Auch wenl1
Seade dabei außer acht läßt, daß physische Token als Kopien, genauer _ als phonisch oder graphisch aufgezeichnete Kopien von Token - sehr wohl wiederholbar
sind: Um die Frage "What is it that gets iterated?"98 kommt man nicht herum. Im
Rekurs auf die von Peirce stammenden Type-Token-Unterscheidung kann mal1
feststellen, daß das Problem der Iterabilität in zweierlei Hinsicht virulent wird: zum
einen mit Blick auf die Verkörperungsbedingungen von Zeichen, also auf die TypeToken-Relation, der sich das jeweilige Token verdankt 99 ; zum anderen mit Blick
auf ein verkörpertes Zeichen, das als veräußerlichtes Token manifest ist, ohne daß
sich definitiv sagen ließe, wie sein Type beschaffen sei, ja ob es überhaupt so etwas
wie einen Type gibt. Im ersten Fall rückt das Zeichen in seiner wesensmäßigel1
Wiederholbarkeil', im zweiten Fall in seiner phänomenalen Einmaligkeit in den
Fokus der Aufmerksamkeit.
Peirce trifft die Type-Token-Unterscheidung vor dem Hintergrund der begrifflichen Unschärfe des Wortes ,Wort', das gleichermaßen das Wort als Type und das
Wort als Token bezeichnet. Während der Type ein Abstraktum darstellt, ist das
Token ein "single event which happens once and whose identity is limited to that
one happening". 100 Auf einer Buchseite können zwanzig Token ein und desselben
Wort-Typs vorkommen - gleiches gilt für "a single copy of a book": Jedes Exemplar ist das Token ein und derselben Druckvorlage. Die materiale Qualität eines
Token bezeichnet Peirce als "Tone" beziehungsweise als "Qualisign".lOl Diese tonale Dimension betrifft nicht nur die "Äußerlichkeit des Zeichens"102, sondern die
95 VgI. Günther: "Der logische Srarus des Anführungszeichens", S. 131 fE., sowie Pantenburg: "Zur
Geschichte der Anführungszeichen", S. 29 ff.
96 VgI. Davidson: "Quotation", S. 32.
97 Searle: "Literary Theory and its Disconrents", S. 643,
98 Ebd.
99 Ganz ähnlich argumentiert Florian Coulmas, In seinet Abhandlung Über Schrift heißt es, die
Berücksichtigung der Type-Token-Relation ermögliche "die Unterscheidung zweier verschiedener Arten von Identität, die als absolute und als instantiierende Identität bezeichnet werden können, Absolut identisch ist jedes Objekt nur mit sich selbst, Die instantiietende Identität beruht
auf einer Art Ähnlichkeit, die bestimmte physische Objekte mit einem abstrakten Modell vetbinden" (Coulmas: Über Schrij2-, S, 138),
100 Peirce: Collected Papers, 4.537, Womöglich eignet sieh diese Definition auch für eine "Ästhetik
des Performativen als einer Aisthetik des Ereignens", wie sie Mersch vorschwebt (vgI. Mersch:
Ereignis undAura, S. 296).
101 VgI. ebd., 2.244,
102 Wellbery: "Die Äußerlichkeit der Schrift", S. 343,
65
2,2 SCHRIFT
. r "d Zeichens selbst - etwa d en T(1
I
ang der Stimme, die .FarbI
spezifische M~~~a l~~ere~ie spezifisch materiellen Eigenschaften typog~'apht~ leI'
es
ebung eiJ: '~IOe3s Dabei is:' die Materialität des Z~ichens n~.cht ~ur elll ~ lano~
~eichenmlttel.. I . I in dem sich die performatIVen Verkorpemngsbedlllgl.l11
,
d' Matel'ialität des Zeichens kann selbst ellle
me11aleS
. ' . esmltte
son d ern le
1(1
, . ..
, Ausdmc
gen manlfestieFIen'l tl'on haben _ man denke etwa an den ,warmen ang lellld~r
. Ieelt
' ge d eutet-"d
indexi'I(a rIS cheI -<une
Z . hen für Vertrauenswürdig
':II : Mehr nOCl:
1 . 1 le.
Stimme, der ~ s . e:~on von Zeichen kann als Ensemble indexlkalisc~ef C ~:Ia~er
mediale Kon IgUI~ For'lU von typographischen Dispositiven", we c 1 e ". le uIn
" Textsorte bzw. Gattung anzeigen.
.
" lO 4 .S0 Ist man
annehme~, etwa
.
u einer
gehörigkelt ellles TextBesl.z l in der Lage festzustellen, ob eine Seite aus emer Tages" 8 auf den ersten IC e
hau Ig
.
. em Dramentext stammt.
.'
d
._
Peirce _ funktional wie
elDn
bas
Das elc len
. m Zweiten vermittelt, und dIese" ntt eil' eze
schen einem Erstel110su nZd ell~eh . l' das Zeichen als Medium dadurch bestimmt, daß
ug elC IS ,
" h'b P '.
i
I H' d' m
net er a s 1V1e tU . • Th
d f being of a representamen ,sc rel l' elIce.,,, s
es wiederholbar 1st:" f~ mo. ~ 0" 106 Ein Repräsentamen, das einen "einmaligen
.'
pable olepetItIOn .
Ib
" 1" l'
such th~t I~. IS ca
.ßt dessen Verkörperung nicht wiederho. ar ware, (Qn~o~
Körper hatte, das hel,
d
"
lb l' 'T'eil der repräsentierten Tatsache.
"
in son ern ware se s 11
.
'd
kein Reprasentamen se .' A' d Wiederholung als Zitat zu fassen 1st. Dern a
Die Frage ist nun, ~b dIese . Ilt er . I h .ederhole hier noch einmal die entc Wl
I ' 1'n der Tat dIeser Anslc 11' zu sem.
sCle1l1t
. . 17
".
'd
d
Sa"tze
aus
Signatur
Erelgllls
1,-ontext
.
sc hel en en
"
zeitllngzo~e~ ausi::~ür
phänomen~l-
I?r~t~~:
~:~_
"
.
c,
t' Außerung
geI'l11gen, we nn ihre Formulierung nicht eine
d' F,coKönnte el11e penorma lVe
.
h 1
" .d
I't anderen Worten wenn le 01', ' b 'A
ge Wieder 0 en wut e, m
,
h
diene' oder Irener are ussa
"ff
el'l} Schiff oder el11e E e vom
. S'tzung zu ero nen,
h
mel, die ich aussprec e, um el11~ I . . b' Mlister konfiJrm identifizierbar wäre,
'J'
8
. ht als el11em Itener alen
1
Stapel laufen zu, ass~n, nlc. ,WT '
1 Zitat' identifiziert werden könnte?JO
wenn sie also nicht 111 gewisser welse a s , ,
,
. Nach Wehde setzt sich die Materialität eines Drucl~buch103 Wehde: TypographISche Kultur, S. 6 6 , , ,
Z
Vi rhältnis von Handschnft und
-c b
d 'I'" ersubstanz zusammen. um e
d B h
l
' D I N I Morisan liegt das Wesen es ucstabens aus "Druc uar e un la~
,
M'"
S 'h :1+ Inschrift; ru Cf(. ac}
. .
, I .
Druckschnft vgl. o11son. c rl.J',
6) A C
d dl' ses Cllal'aktenstikums elsc lelllt
.
' W'I'
"(S 1
ulgl'Un
e
,
drucks darin, "Schnft zu vervle a tlgen
'd 'd SI, 'b s" (S 5) denn die einzelnen Bu.
I
' l' Verwan tel' es Cll'el en
.,
bl ß' R
.' d' I d
hl'j'ebenen Codices, sondern, 0
eder Buchdruck zu Begu1l1 a s "atme
, I'
. I
ts" Wie le lan gesc
chexemplal'e sllld cellle "Slllg e even ' 0 den Buchdruck als qualil'ativen Sprun~, wenn, er
Plica-Token, Im Gegensatz dazu betont ng, , I I' Stl'ulTtLll'alisten war es nicht die Schnft,
'A
I
vieler semlOtlsC l e ,
.
d ' 'h dl' noetische Aktivirät effektiV vergegenfeststellt: "Entgegen d el nna lme
TI
I I 'das Wort un mit I m e
I
D
sondern der ruc c, we c lei
,
, ..
9) Hieraus leitet Ong die bemerkenswerte }e~e
ständlichte" (On?: Ora!ität ~ndLlter~/ta~I~ß~ lSchreiben, sondern vielmehr an die Typographie
ab, Dekonstruktlon sei we1l1gel "an as
gebunden" (ebd" S. 129),
104 Wehde: Typographische Kultur, S, 14,
105 Peil-ce: Collected Papers, 5,66.
106 Ebd., 5.138.
.."
40
107 Ebd,
108 Derrida: "Signatur El'elg1l1s Kontext , S,
,
66
2. PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
Anhand dieser Passage lassen sich drei Beobachtungen machen. Erstens verwendet
Derrida den Begriff des Zitats in ganz besonderer Weise: Er bezieht sich auf die
von der Sprachakttheorie ins Spiel gebrachte Differenz zwischen "Gebrauch" und
"Erwähnung"109, die mit Hinweis auf die Iterabilite nivelliert werden soll. Dabei
soll das Itederte "in gewisser Weise" als ",Zitat'" identifizierbar werden. Zweitens
deutet der Umstand, daß der Ausdruck ,Zitat' selbst in Anführungszeichen steht,
darauf hin, daß Derrida den Begriff des ,Zitats' an dieser Stelle in einem metaphorischen oder ironischen, jedenfalls in einem weiteren Sinne verwendet. Drittens deutet die Formulierung "iterierbares Muster" - im Original steht "model
e
iterable"l 10 - darauf hin, daß Derrida, genau wie Peirce, von einem Type-Token_
Modell ausgeht. Der französische Ausdruck modele läßt sich nämlich nicht nur mit
,Muster', sondern auch mit ,Typ' übersetzen. Mit anderen Worten: Derrida geht
wie Peirce davon aus, daß jedes Zeichen einem ,iterierbaren Typ' konform sein
muß.
Für Peirce ist das Zeichen als wiederholbares Zeichen die "Replica" eines Typs,
Die Replica ist als "Instance ofApplication"l11 eine spezielle Art von Token: Sie ist
die Verkörperung eines Typs, ohne deshalb ein "Gegenstand" zu sein. 112 ReplicaToken sind keine "occurrences that are regarded as significant", sondern Ereignisse,
deren Signifikanz in eben jener Regel liegt, deren Anwendung sie sich verdan113
ken. Jedes Vorkommen des Wortes ,Mann' ist ein Replica-Token des allgemeinen Wort-Typs ,Mann'. Der Wort-Typ wird erst dadurch zu einem bedeutungs_
fähigen Zeichen, daß seine Replicas im Anwendungsfall als Verweis auf die
Vorstellung ,Mann' interpretiert werden. So kommt Peirce zu dem Schluß: "The
word and its meaning are both general rules; but the word alone of the two prescribes the qualities of its replicas in themselves" .114
Offensichtlich differenziert Peirce hier zwischen zwei verschiedenen Regelsystemen. Die allgemeine Regel des Wortes kodiert als Replikationsregel den Transformationsprozeß des abstrakten Wort-Types in ein individuelles Wort-Token. Die
symbolische Signifikationsregel kodiert dagegen die konventionale Bedeutungszuschreibung, wie sie jedem symbolischen Bezeichnungsverhältnis zugrunde liegt. 115
Vor dem Hintergrund dieser Differenzierung läßt sich mit Blick auf Derridas Iterabilitätsthese der Schluß ziehen, daß der sprachliche Code als "Organon der Iterabilität" sowohl die Signifikationsregel als unentwegte "Bezeichnungsbewegung" 116
betrifft als auch die Replikationsregel, also die Wiederholbarkeil' des ,Zeichens
109
110
111
112
113
114
Vgl. Searle: Sprechakte, S, 119,
Vgl. Derrida: "Signature Evenement Contexte", S. 388 f.
Peirce: Collected Papers, 2,246,
Ebd,,4.447.
Ebd,,2,246,
Ebd., 2.292,
115 Insofern gilt für alle Schrift, gleichgültig, ob es sich um Handschrift oder Druckschrift handelt,
was Coulmas mit Blick auf die Kalligraphie feststellt, nämlich, daß diese sieh "als ausdrucksabhängiger Inhalt und inhaltsbezogener Ausdruck" darstellt (Coulmas: ÜberSchrift, S. 145).
116 Derrida: Grammatologie, S. 85 f.
2.2 SCHRIFT
67
ne hän en zusammen, weil Symbole immer nu~' abstrakt
,e!bst'. Beide. Regelsys~:ohnhefren beziehungsweise auf Regeln ver,:"els~n, ~~so
:lnd allge11l.eln al~f G verkörpert werden müssen, damit sie informatlv se111,ko~1
durch Repltca-,Dßo c.e~ s Symbol wird erst dann bedeutsam, wenn es als R~pl.lc; l~
117 Das hell', Je e
1 ,,' t. any information about a symbolls ll1I0lnen...
lontext veran ceH lS . "
"d I" 118 D' .
'Ilem Außerungs c
I'
f '1" alld a replica is strictly an indlVl ua.
le Jeel
ry
rep
lca
0
1,
.
.
d
R r D1 1
mado n abol~t e~e , el ist als Gesetz der Wiederholung 111 Je e~ ep ~ca~ 0 ce~
weilige Repltkatlo~sref
rkörpert also nicht nur eine symbohsche Slglllfikat~espeichert: Jede . e~ lCa v~
g
1 ndern 1St Immer auc h die mediale S'1'1l ur jener Replikationsregel, der SIe
ousrege , so
.
d
' nt der Umstand, daß der Akt des SchreIbens
Sich verdankt.
'd de Be eurung gew111
d' 1
d
'f,'
EntsC hel en , " f: ß ..d 119 Dieser gleichermaßen me la e un pel 01Is act of e11lbodY111g ge a l' W.H. d' Replica eines Symbols, wobei diese ReI' I
a "
d VJ 'körperung erzeugt le
mative Akt er e~
I d ex hat" 120 Schreiben bedeutet "to make a gr~p 1lCa
Plica "die Nat1ur e111~s ~: l t edsl'e Fr'a'ge nach der Indexikalität der Schrift 111 den
,
f" 12 Dam1t rucc
, 'd 'I I' h uf
repltca o ·
,
keil" edel' Akt der Aufpfropfung verweIst 111 eXl ca lSC a
Fokus der Aufmerksam, . { erabilität zurück. Der indexikalische Charakter ~es
das Gesetz der allgem~111~n ,1' d ß' d Replica-Token als modele iterable zugleIch
Spiels der Schrift b~sted1: al'lfn , a TJep evselweist aus dem das Replica-Token abge122 D d . .
d ' I Spur 1St le aU d en y ,
eine 11le la e
'd
.
. wieder abgeleitet werden kann.
a el Zl.
·d nd aus em es Immer
.
E
h
leItet WUl e u
. .h· . Richtung des Ortes se111er ntna me
pfte Text weltel 111 111
fd S
l"ß
d
tieren amgep
10
". . d
'1 I' h n Spur Der Begrif " er pur a l'
1] "123 "d rzurgenu111111 eXlcalsc e .
aus[strah ·l' . I ,WH . eIs U nmotlVler
. , '1',vTel'den"
fassen nämlich als Ubergang von
WI,
•
sich dab elmc1t nur,a "1 d '1 I' "1' sondern auch als Interferenz von genu111er
, er d nel'lerter n eXl ca lta ,
.,
I d'
genulll zu .ege
d 'I r" M't nderen Worten: Die Rephkatlonsrege, le
und degenel'lerter In eXl ~a 1tat. ~,a,
b din un en ewährleistet, kann soden Vollzug der ~erfor,matl~~n 0el~corpe~~7~~a~te s~ur~ un~ als genuin indexikawohl als degene~ler:e 111dex\~~2~S~n~r":etiert werden. Jedes Replica-Token ver~eist
!ische, "unbeabs1Chtlgt~ Sp~[ d '1 lis~he vereinbarte Spur" auf die ReplikatlOnszum einen als degen~ne~t 111 e~l ca
d~ren als genuin indexikalische "unbeabregel: der es si~~ vefr da~ ct , un z~~dae~ allgemeinen Iterabilität und der greffe
sichtlgte Spur au le D ynam
er
eitationelle.
117 Peil'ce: Collected Papers, 3.360,
118 Ebd,,2.315,
119 FM, 4.537.
120 Ebd., 4.500,
"
. "'k
'Konfiguration graphischer Metkmale" (Coul.
121 Ebd. Nach Coulmas Ist Jedes Replzca-lo en "ell1e
mas: Ober Schrift, S, 135).
1 'f' I't'd wie Wehde in ihrer auf Peirce re·
· h 1G It S 6 8 D'S
le c 11'l t W ,
122 Vgl. Wehde: Typograp hISC e u ur, . I" 1 l( ltlll'schreibt in besondel'erWeisevom Le·
.
dU' h
leI' typograp llSC len U
, "
.
1d .
kurneren en ntelsuc ung (
.
, ' " D 'T P teilt die FormatlOnsrege al,
.,
.
1 (T
) d Z ichenmlttels ,regiert, el y s "
"
glzelchen-Aspe (t yP:lS, es ~
'h
Z' h
emplare) ,angewandt' wurden ,
die auf die Zeichenerelgl1lsse (Sll1nZelC en, elc enex
123 Derrida: "Dissemination", S, 402,
."
124 Vgl. Krämer: "Sprache - Stimme - Schrift, S. 39.
68
2. PERFORMANZ - SCHRIFT _ EDITION
2.2.5 Die Indexikalität des Anführungszeichens
Besonders deutlich wird diese Interferenz von degenerierter und genuiner IndeX:i_
kalität bei den Operationen des In-Anführungszeichen-Setzens. Die Funktion des
Anführungszeichens besteht darin, "Anfang und Ende einer Anführung zu rahmen".125 Als Rahmungshinweis ist das Anführungszeichen "ein degenerierter Index:
seiner eigenen Eigenschaften". 126 Als Spur der allgemeinen Iterabilität der Schrift
beziehungsweise der greffe citationelle hat das Anführungszeichen dagegen den Status eines genuinen Indexes.
Im Kontext der von Searle vertretenen Gebrauchstheorie des Zitierens sind die
Anführungszeichen "Signale" dafür, daß der Satz "nicht in seinem normalen Sinne
verwendet wird, sondern als Gegenstand der Diskussion anzusehen ist".127 Dadurch wird das, was zwischen Anführungszeichen steht, bloß als Wort ,erwähnt'
beziehungsweise ,angeführt', aber nicht ausgeführt. Anführungszeichen signalisie_
ren indexikalisch, daß die illokutionäre Funktion der Äußerung außer Kraft gesetzt
wurde. 128 Insofern Signale zur Klasse degenerierter Indices gehären, haben sie analog zum Zeigefinger oder dem Demonstrativpronomen referentielle Funktion. 129
125 Benninghoff-Lühl: Figuren des Zitats, S. 104 f.
126 Vgl. Peil'ce: Phänomen und Logik der Zeichen, S. 157. Dabei ist die Indexikalität zwar nicht die
einzige, aber die dominante Zeichenfunktion. Das Zitar ist ein MisclllYP aus Symbol, Index und
Ikon (vgl. Compagnon: La Seconde main, S. 76 fE): Als logische Operation hat das Zitieren symbolischen Charakter, da es auf bestimmten Zitierkonventionen beruht. Das Anführungszeichen
verweist als Index auf die symbolischen Zitierkonventionen, im Rahmen derer der Alet des Zitierens vollzogen wird. Die ikonische Dimension berrifft die bildliche Darstellung des Zitatrahmens durch ,Gänsefüßchen', durch Kursivierung, durch eine andere Drucktype oder durch
Einrückung. Analog dazu lassen sich im Kontexr der gesprochenen Sprache "intonatorische Anführungszeichen" setzen (vgl. Bachtin: A'sthetik des WOrtes, S. 325).
127 Seal'le: Sprechakte, S. 118.
128 Vgl. ebd., S, 119: "Das Wort selbsr wird angifUhrt, und dann wird darüber gesprochen; und daß
es als ein Wort aufzufassen isr, das angeführt wird, und nicht als eines, das als konventionales
Mittel der Referenz verwendet wird, zeigen die Anführungsstriche. Das Wort verweist weder auf
etwas anderes noch auf sich selbst". Mir dieser Konzeption des Anführungszeichens serzt sich
Searle von Tarskis Eigennamentheorie des Zitierens ab. Gemäß dieser Theorie des Zitierens ist
der in Anführungszeichen stehende "Anführungskomplex" der "Eigenname" des angeführten
Ausdrucks. Die Voraussetzung für die lange Zeit dominante Eigennamentheorie Tarskis war die
These, daß in jeder Äußerung, die wir über ein Objekt machen, der Name des Objekrs verwendet wird und nichr das Objekt selbst. Deshalb muß die Metasprache in der Lage sein, "für jede
Aussage der Objektsprache einen Namen zu konstruieren" (Tarski: "Die semantische Konzeption der 'Wahrheir", S. 68). Im Gegensarz dazu vertritt die auf Quine zurückgehende Bildtheorie des Zitierens die Ansicht, daß das, was zitiert wird, überhaupt nicht mehr sprachlich-symbolischer, sondern ikonischer Natur sei. Der Anführungskomplex bezeichnet den angeführten
Ausdruck, indem er ihn abbildet. Dnldar bleibt, wie Günther anmerkt, ob die Bildtheorie "mehr
ist als eine suggesrive Metapher" (vgl. Günther: "Der logische Sratus des Anfüh1'llngszeichens",
S.133).
129 Dabei läßt sich mit Oraic Tolic zwischen den ällßeren und den inneren Signalen des Zitierens
unterscheiden. Äußere Signale sind "Anfüh1'llngszeichen, die Verwendung eines anderen Schrifttyps für die zitierte Passage", sowie die genauen Angaben über die Herkunft des Zitats (vgl. Oraic
Tolic: Das Zitat in Literatur und Kunst, S. 31). Zu den inneren Signalen zählt Oraic Tolk "die
69
2.2 SCHRIFT
".
.1
ielt die de enerierte Indexikalität. für D~vidsons ~eigee spzentraIe R0gll e. Davidson
wertet die Anfuhrungszelchen
I . 110 Ch als. .fm Sear.llle
IV1ell
,
I
.
theorie des Z1tl~ren~'~'e Termini die indexikalisch auf das Aus.drucksvor ~ommn~s
ls deiktische, Sl~g~~ ar f die eige:le Funktion als Anführungszeichen refen~ren: El~lnd autore~erentle ~~l eschriebene Ausdrucksvorkommen _ David~on sp~:lcht von
nerseits
;eine referentielle Funktion. Diese geht
"inscript.~on.~ns[ ] it is the quotation marks that do. all th? refernng '.
~1 f, e~er
zeichen uber. ,,'" l' tion marks create a context 111 whlch expressIOllS re er 1'.0
' l'cherl referieren also zum einen wie Demonstratlseits gilt: ,,[...] quof'~1
" 131 An ulrungsze
d
I Z . 1
thel11selves. f das was sie anführen, und sie referieren zum an eren ~ ~ elC len
vpronomen au
1
die einen Kontext erzeugen, in dem der zltlert? Ausauf sich sel~sr: als :1~~.;~ird. Anführungszeichen verweisen mithin nicht e~nf~ch
druck als
1 f den von ihnen eingeklammerten Ausdruck,.
sie. s111d
wie ein Zeigefinger a~.
d utoreferentielle Rahmungshinwelse, die anzeigen,
zugleich auch a:ltore - e~lve un aräumlichen Klammern" haben.132 Dabei fu.ngie~.t
daß sie selbst die Funktlon von" fl ' . und alltoreferentieller Rahmungshlllweis
'
. 1 als autore eXlver
.
1 .
das Anführungszelc len;
.
Rallmerlbedingungen der "travaü de a Clta. '
lien penonuatlven ,
" f
auf die instltutlone .
l\T
d' k 't der Indizierung des Eigennamens au
'"
. . l' mit der ,,1 votwen tget
" f l ' h "133
don. Es velwelS
"b d
Gesetz das zur Rahmensetzung verp lC tel' .
"
I 'b
l id' genu er em
die ",Sc lU
ge
d
Anfi.'lhrungszeichen implizierte, Zusc lrel ungs.
. d r Verwen ung von
dd
. . ,I
Diese,. mit 11'
e"
Ubergangsp h"anom en zWl'schen genuiner un egenenerrer
I . n-.
funkuon ste l' elll
. h
'
A ["I 'ungszelc
en zeigen
an, d aß der zitierte Text nac 1 wie vor
.
dexikalität d ar: n u lr d d
0 . . . Entnahme in einer existentiellen Bezle.
U·l bel' un em rr semer
. d'
" 134
mit semem r l e .
. I
ird zur renonciation a un drOlt auteur.
hllng steht: Das Anfuhrul~gsz~l~ l~~p'wright _ ;ine Institution, die als performativer
Dieses Ges.etz des Aut?rs 1St fü~' die Änwendung der zitierenden und kopi~renden
Rahmen die KOl:ve~t10nen..
llt 135 Das Anführungszeichen ist also mcht ~lur
Regeln der Re?llkatlon bdereZltste .. 'b
funktion sondern auch ein degenenert
. e erfol'matlve Geste er usch rel ungs
,,
~l~~e~ikalischer Verweis auf die Institution des Copyrtght.
~erh~rt ~;s"e~
an.dl~,~~~f~ll;n.gs,
Z.
~lld ang~f
son~ern
.,
d 'd' Verwendun des Autornamens im engeren oder wei,teTitelangabe des ZitIerten Textes o. el di.el I F' ,g ßel'er Signalisierung des Zitats findet Sich
d M
Z · " ( bd) DIe ra i ca ste olm au
len Kontexr d es ltats e " .
',"
1 zitathaftel' Rahmen), in der Position es
01'an den Rändern des Textes: 111 den Margl111al~e~ ( I
u"bel' dl'e textuelIen Vorläufer (unte"
"
I ftl' en rulmer Clmgen
tos (oberer Rand) oder 111 Wissensc la ~c 1
'1'.,
überschreitet dagegen "die Grenzen
rer Rand)" (S. 32). Die radikalste Fon,n l1mere r Signa flslel'llUlnlgl'lltertextuellen Rahmen. Die innere
L
d
" ( bd) d rwelst en esel au e le
I A
, '_ '1' Bal'tlles zu sprechen, eine Form ,,0 lne - nbestehender Texte e . un ve
'I ungscharakter
- sIe ISt, ml
Signalisierung Iur A- nsple
,
" S 73) Diese citations sans gUI'li e'h"
' ,
(B rthes' De I' oeuvre au t e x r e , . , , ,
d
führungszelc en zu zltleren a" ,."
' l l b i Imngsweise narrative Implikaturen, as
mets" (ebd.) sind die Grundlage fur twnversattone e ez e
heißt für fulspielungen,
130 Davidson: "Quotation", S, 37.
131 Ebd., S, 31.
132 Goffman: Rahmen-Anal:yse, S. 57.
133 Dünkelsbühler: Kritik der Rähmen-Vernunft, S. 74,
Ji ld von Illokution, Iteration und Indexika134 Compagnon: La Seconde main, S, ,40:
135 Vgl. Wirth: "Der Performanzbegnff Im Spannungs e
lirät", S, 49 ff.
70
2. PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
2.2.6 Die Indexikalität der Aufpfropfung
2.2 SCHRIFT
• •~
.iIi
.,J!
Während das Anführungszeichen nur in einem sehr allgemeinen Sinne als genuk]
ner Index für die Dynamik der Aufpfropfung zu werten ist, erhält der "An/~
führungskomplex"136 unter bestimmten Voraussetzungen in sehr spezifischer Weise'~
den Charakter eines genuinen Indexes. Nach Derrida können gewisse Aussageni
nämlich auch dann noch einen Sinn haben, wenn sie "einer objektiven Bedeutung;i
[significationJ beraubt sind".137 So kann der Satz "Das Grün ist oder" durch den~
Akt des Zitierens pragmatisch refunktionalisiert werden, wenn er als Beispiel fÜl'm
"Agrammatismus" herangezogen wird. 138 Nach Derrida wird der Satz "Das GrüllN
ist oder" zu einem "Anzeichen" 139 im Sinne Husseds, weil er im Rahmen eines.~.
grammatischen Diskurses zitiert, mithin auf diesen Diskurs aufgepfropft wird.
"
Der Vedust der illokutionären Funktion, der mit dem Erwähnen im Rahmen
eines Zitats einhergeht, wird dadurch kompensiert, daß die Aussage eine indexikali~
sche Funktion erhält. Eben hierin besteht die Pointe dessen, was ich als interpretative '
Aufpftopfimg bezeichnen möchte: Die interpretative Aufpfropfung nimmt eine Aufmerksamkeitsverschiebung vor, wonach die Äußerung nicht mehr unter dem Aspekt _~
ihrer illokutionären, sondern ihrer indexikalischen Funktion betrachtet wird. 140 Dergestalt erweist sich die aufpfropfende Einschreibung "in andere Ketten"141 zugleich
als interpretative Aufpfropfung, die einen Wechsel des Deutungsrahmens auslöst. Im
Fall der interpretativen Aufpfropfung bedeutet der Wechsel des Deutungsrallmens
eine "Umkodierung der Aufmerksamkeit" 142, die in direkter Analogie zur ästhetischen Rezeption von Zeichen steht, nämlich die "wahlweise Einstellung eines Leitinteresses" als "Realisierung konkurrierender Lektüremodelle" ermöglicht.143 Das
Umschalten vom illokutionären Modus der Analyse auf einen indexikalischen Modus
impliziert dabei immer auch eine Modulation im Sinne Goffmans. Die interpretative
AufpftopfUngwird insofern zu einer modulierenden AufpftopfUng, als das im Rahmen
des Zitats angeführte Material von den Beteiligten "als etwas ganz anderes gesehen"144
und dadurch in einen anderen "funktionalen Zusammenhang" gebracht wird. 145
Das bedeutet: Durch die Interferenz von interpretativer und modulierender
Aufpfropfung wird es möglich, Sprache als Symptom und als "signifikante Suuk136
137
138
139
Vgl. Günther: "Der logische Status des Anführungszeichens", S, 131 ff.
Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S, 30,
Vgl. ebd.
Ebd.
140 Vgl. Hirsch: Prinzipien der Interpretation, S. 75.
141 Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 27 f.
142 Lobsien: Wörtlichkeit und Wiederholung; S, 28,
143 Ebd, An gleicher Stelle schreibt Lobsien: "Wir haben offenkundig die Wahl, in einem poetischen
Texl alles als Wiederholung zu lesen oder aber alle Wiederholungen als gezielte Verfehlungen in
der Herstellung von Gleichungen, also als Verknüpfung von Singularitaten".
144 Goff.man: Rahmen-Analyse, S. 55 f. Als modulierende Aufpfropfung oszilliert der Alet des Zilierens zwischen "Demonstration" und "Dokumentation" (ebd., S, 57).
145 Ebd., S. 79.
146 Derrida: Grammatologie, S. 273,
71
b . richtet sich das Augenmerk auf "ein bestimmtes, vom
,«146 ZU betrachten. ~a el'l
Verhältnis zwischen dem, was er an verwende:en
selbst
dem, was er nicht beherrscht" .147 Die
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k;n te Struk.tur
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11ziehen einer interpretativen. AufpflOPers. tproduztertwel
Ch . en
kter. erst mtt
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dexikalischen
ara. erweise ist die Auffassung, daß Symptome ~rst Im a ~.men
c 11g Bemerkenswe~t
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duzlert wer d en, auc h bei nicht-dekonstruktivistlschen
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S ptom zu sein I
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Sprachltcle ete.
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'111 " r hes Anzelc en ur etwas a ,
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Analogie zum ra '.'
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. Auf fropfung als Rahmenwechse vom I 0P
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Halten wir fest: Die urter retatlve . d l'ITalischen Modus bewirkt eine Auf"
M d der Ana Iyse zum 111 ex .•
d' . h
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merksamkeltsverschle ll1. g, d
WT.·
"ondern aus der InterpretatIOn des
d . I l' rpretatlOn es" worts111ns , s
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nicht aus er. nh en
e S'111ns "h.1
l' 155 Die signifikante Struktur und er symptoel e1'1'e.
d' .
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matische S111n sm Je;e' ll I . " n Ebene des absichtlich Behaupteten au f d le
Rahmenwechsel von er I 0 mtl~n~rt 1 Sich-Zeigenden vollziehen. 156 Was sich
indexika1ische Ebene .des unab.s1c t lc l
01'es gilt auch für die Resultate jener
. h
h d S l' emes genu111en I n d exes.
zeigt, at en ta uS h
"157 die Foucault im Rahmen seiner archäologlsc en
,
monumentalen Betrac tung
Interpretation praktiziert.
~dlriftstel1er
~n 'I::'~I, (~~:d
"sign~.~
Is~;l
147 Ebd.
148 Ebd.
149 Keller: Zeichentheorie, S, 123.
150 Ebd., S. 121.
,
I'
. ',]l' d' . n verpflichtet, die den Positionen Derridas dia151 Hirsch ist als starker Intentlona 1st e1l1el la 1110
metral entgegenstehen muß,
,
152 Hirsch: Prinzipien der Interpretatton, ~'175s,
S 201 wo er die "Mitteilung" mit dem "An153 Ebd, Vgl. hierzu auch Luhmann: Sozta e 'Ysteme"
,
zeichen" im Sinne Husserls koppelt.
154 Ebd.
155 Ebd,
156 Vgl. Derrida: Grammatologie" S, 273"
157 Vgl. Foucault: Die Archäologie des Wissens, S, 149.
72
2. PERFORMANZ - SCHRIFT _ EDITION
73
2.2 SCHRIFT
2.2.7 Die Indexikalität des Monumentalen
Die diskursanalytische Aussagekraft einer "historischen Aussage" resultiert für Po u
cault nicht aus dem, was gesagt wurde, sondern aus der Tatsache, daß sie gemacht
wurde.
Der ilIokutionäre Akt ist nicht das, was sich vor dem Augenblick der Aussage selbst abgewickelt hat (im Denken des Autors oder im Spiel seiner Absichren); es ist nicht das,
was nach der Aussage selbst sich hat vollziehen können in der SPUl~ die sie hinter sich
gelassen hat, und den Konsequenzen, die sie ausgelöst hat; sondern das, was sich durch
die Tatsache selbst vollzogen hat, daß es eine Aussage gegeben hat _ und genau diese
Aussage (und keine andere) unter ganz bestimmten Umständen. 158
Diese Monumentalisierung des illokmionären Aktes impliziert einerseits eine Monumentalisierung der Geschichtsschreibung 159 und bringt andererseits auf spezifische Weise die Materialität der Aussage und deren indexikalische Aussagekraft ins
Spiel. Das "Monument" wird im Rahmen der Geschichtswissenschaften als "denkwürdiger Überrest" gefaßt, der "unmittelbar von der Begebenheit übriggeblieben
ist"160 und durch Tradition übermittelt und wiedergegeben wurde. Mit anderen
Worten, das "Monument" ist ein Zeichen der Vergangenheit, das in einer existentiellen Relation zu dem historischen Ereignis steht, auf das es verweist, Zugleich ist
es unabhängig von jeder intentionalen Motivation. Das Monument ist eine "unwillkürliche Quelle"161, deren Aussagekraft gerade in ihrer unmittelbaren Nichtintentionalität besteht. 162 Aus diesem Grund hat das Monument den semiotischen
Status eines genuinen Indexes. 163 Dies gilt nicht nur für "Sachüberreste", sondern
auch für "schriftliche Überreste": Die Pointe der Poucaultschen Archäologie besteht
158 Ebd., S, 121.
159 Die moderne Geschichtsschreibung hat nach Foucault einen interpretatorischen Standortwechsel gegenüber der Aussagekraft von historischen Dokumenten vollzogen (vgL Foucault: Die Archäologie des Wissens, S. 14). So ist nicht mehr das, was historische Dokumente propositional
mitteilen, die genuine Infonnationsquelle, mit deren Hilfe man zu rekonstruieren versucht, "was
die Menschen getan oder gesagt haben, was Vergangenheit ist und Wovon nur eine Spur verbleibt"; vielmehr arbeitet die moderne Geschichtsschreibung _ hier bezieht sich Foucault offensichtlich auf die Schule der französischen Annalen-Gruppe _ darauf hin, historische Dokumente
Ol1l
in ihrer M unentalität zu betrachten. Damit grenzt sich Foucault von einer Herangehensweise
ab, welche den "stummen Monumenten", den "bewegungslosen Spuren" und den "kontextlosen Gegenständen" "nur durch die Wiederherstellung eines historischen Diskurses" Sinn verleiht
(S. 15).
160 Von Brandt: werkzeuge des Historikers, S. 52.
161 Ebd., S. 57.
162 VgL ebd., S. 53: "Unabsichtlich dient uns jede Quelle, die, ,unmittelbar von den Begebenheiten
übriggeblieben', in ihrer Entstehung nicht den Zweck historischer Unterrichtung der Mit- oder
Nachwelt verfolgt, sondern entweder aus anderer Zwecksetzung oder zweckfrei entstanden ist".
163 Allerdings gibt es auch Monumente mit degenierr indexikalischem Charakter, etwa ein Denkmal,
das die intentionale Struktur eines hinweisenden Zeigefingers hat und die illokutionäre Rolle einer
Direktive besitzt, welche die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt hin ausrichtet (vgL
Peirce: Coffected Papers, 5.75, sowie Assmann: "Kl1ltur als Lebenswelt und Monument", S. 13).
.
, '11 , 164 Dies beI ich auch als Monumente zu 111terpretlele
darin,
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als
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Aufpfropfung
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.
h
'
'
Rahmen
der
Funktion
des
Archivs,
son
ern auc
definIert
historischen Aussage lllC t nur 1m
der Funktion Herausgeber zu betrachten,
2.3 Edition
2.3.1 Die Funktion Herausgeber und die Funktion des Archivs
'" I S
.
Aussagemöglichkeiten" und
,
Foucault deutet d~s ArchIV pl'l~nhar ,: s 'd' ystle mg:~~llschaftliches Gedächtnis".J7o
'I I I
' 1 renden Spelc el 0 er a s "
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11
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' B ' d f, t teilt um le u elwlegen e
J
Ubel'resten, wie von lan t es s
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..
11 I" n" (von Brandt: werkzeuge ues
delt), das die Archive dem Historiker zur VerEngung ste en mnne
Historikers, S, 53),
165 Foucault: Die Archäologie des Wissens, S, 126,
166 Ebd., S, 146.
167 Ebd" S, 148,
168 Vgl. ebd., S, 149.
169 Ebd" S, 150,
170 Ebd., S. 187,
171 Ebd" S, 188.
74
2. PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
fern es die Auswahl von Aussagen, deren Arrangement und deren assoziative und
argumentative Verknüpfung steuert: Es ist der performative Rahmen, in dem sich
die "gesagten Dinge [...] in distinkten Figuren anordnen, sich aufgrund vielfältiger
Beziehungen miteinander verbinden". 172
Die dispositive Funktion des Archivs als System der Auswahl und der Anord_
nung beziehungsweise der Formation und der Transformation wird von Derrida
als "Einheit einer idealen Konfiguration" bezeichnet, die sich der "Konsignation"
verdankt: "Kein Archiv ohne einen Ort der Konsignation, ohne eine Technik der Wiederholung und ohne eine gewisse Außerlichkeit. Kein Archiv ohne Draußen". 173 Die
"gewisse Äußerlichkeit", durch die das Archiv bestimmt ist, betrifft die monumentale Indexikalität und die wiederholbare Materialität der konsignierten Zeichen. Sie betrifft aber auch die Technik des Sammelns und die Wiederhervorhol_
barkeit der archivierten Zeichen, also deren "Bestellbarkeit".174 "Kein Archiv ohne
Draußen" bedeutet insofern zugleich: kein Archiv ohne Rahmung, durch welche
die Zugangsmöglichkeiten gesteuert und gesichert werden - eben hierin besteht
die Politik des Archivs. Die konsignative Versammlung der Zeichen wird dabei
durch die ,äußerliche Technik' des Sammelns gerahmt, denn "die technische Struktur des archivierenden Archivs bestimmt auch die Struktur des archivierbaren Inhalts schon in seiner Entstehung".l75
An dieser Stelle deutet sich die Möglichkeit einer Engführung der Archivfunktion mit der Funktion Herausgeber an, denn die editoriale Tätigkeit ist zugleich
immer auch eine archivalische Tätigkeit: Der Editor ist der Vermittler zwischen
dem Archiv und dem Text. Die Funktion des Herausgebers besteht wie die Funktion des Archivars im Sichern der Sammlung als Konsignation der Zeichen, in der
Steuerung des Zugangs zu den konsignierten Zeichen sowie in der rahmenden Einheitsstiftung, also dem kohärenten Arrangement der Zeichen. In diesem Sinne erweist sich das Archiv als technisches Dispositiv der Bereitstellung.
75
2.3 EDITION
"
t 177 Das heißt:
Das
"hli en Stätten der Ku1tur " entstamm.
".
.
von Zitaten,1das '"unza
un d gl{Lr1ture11 es Netzwerk"178 tatsächlicher undmogltcher
W'
d
Archiv als d~s {L~srve~odell der enzyldopädischen Verknü~fung vo; 1 ,rs.s~.n"u:;9
Aussagen fo gt . em .n em ermanenten Prozeß "redistributlver Pro u <tlvrta~ :
terlieg t zugleich el d pp d 1 . '1'''1' urld der Intertextualität werden neuerdl11gs
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seiner Fixiertheit immer neue interpretatlve Lesllen' andererserts bnngt er tlOtz, h d' Geschlossenheit des Textes als verfaßtes,
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nung zwrsc en er
,
11
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l
historisches Produ.<t un ,er. en Pole reduziert werden. 181 Vielmehr soll die J?raso Martens, aufk~l11en de~ beldp 1
einer theoretisch fundierten Binnendlffelekdk zwischen dr,ese~ rel~~ . ~;~ ;~hren, Die editoriale Tätigkeit besteht zum
renzierung der edltona en a:~rf,< tlichen nämlich im Idealfall diejenige Textver'llen darin, einen Text zu vel'o en.
,'
, , '1' hat 182 Zum anderen soll der
er
d h' . prlmatur autonsler
.
sion, die der Autor urc edr~ 1m h' den'en Textvarianten und Fassungen doku'd hauch re versc le
Herausgeb er Je oc
" r h b stimmt waren _ etwa d're Uvorstuf,en
mentieren, die nic,ht;.ur ~er:~fenl:;el~t~gge:ichtet werden, hängt von der jeweides avant-texte. Wre lese er, en ,
b und in welchem Umfang Emenda, Politik der Edition ab: SIe bestlmmt, 0
d 183
I1gen
d K '1 I' vorgenommen wer en.
don Kontamination un
onJe <~u
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r'chäologisch-relwnstruktive
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b r nrmmt au 19 "el11e a
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Der ,ldassl e eraus?eal~ 1 E f
aller erreichbaren Textzeugen, a er
Haltung ein" ,18~ Der archrv lS~ Ü~erl:e%Srl~:g svarianten folgt die editoriale EntEntstehungsvan~nten und daller 185 J d edi~oriale Entscheidung muß gekenne e
scheidung für el11en Grun text.
<
•
P~l d~r "te~.t~ei~;~ ~:rr~i~~ufgabe,
beide~
z~
2.3.2 Die Funktion Herausgeber im Kontext der Editionstheorie
Das Archiv ist eine Institution, die Dokumente und Monumente sichert und über
die Politik des Archivs (also die Zugangsmöglichkeiten) die Politik der Edition
(nämlich die Veröffentlichungsmöglichkeiten) steuert. Das editoriale Dispositiv,
im Rahmen dessen das konsignierte Material selegiert, arrangiert und kommentiert wird, kann einerseits als Macht zum ,Mischen der Schriften' gedeutet werden,
andererseits als Macht, historische Zusammenhänge "herzustellen"176: Nicht nur
das textuelle Syntagma, sondern auch das archivalische Paradigma ist ein "Gewebe
172 Ebd. Vgl. zur Geschichte der Archivierungspraktiken: Vismann: Akten. Medientechnik und Recht,
S.91.
173 Derrida: Dem Archh) verschrieben, S. 25.
174 Heidegger: "Die Frage nach der Technik", S. 20.
175 Derrida: Dem Archiv verschrieben, S. 35.
176 Baßler: "Einleitung - Literaturgeschichte als Poetik der Kulrur", S. 18.
177 Vgl Barthes: "La mort de I'auteur", S, 65.
. . b'
t Netzwerk von Verhandlungen
I " S 55' Eine Kultur Ist e1l1 estuum es
hI "
.
178 Vgl. Greenblatt: "Ku tur,. , "
.. II n Gütern, Vorstellungen und - durc nstltu[negotiations] über den Austausch von ~atell~ e I "
tionen wie Sklaverei, Adoption oder Heirat - ensc len .
179 rr-I'steva' Der geschlossene Text", S. 194,
f1'
the Receptional Significance of
•
'T'
180 1'0.
Martens:• ",,(De)Construct1ng
lexts by Ed"ltlng.. Re ect10ns on
,
. D finin a Central Concept in Editorial Theory",
Textual Apparatuses", S. 132,
181 Vgl. Martens: "What Is a Text? Attempts at e
g
. .
S,221.
.
h H . r;' rit et l'imprime", S. 8, und Scheibe: "On the Edltonal
ay." ec
182 Ebd., S. 224. Vgl. hIerzu auc
Problem oftheText", S. 201.
d '1" einer historisch-kritischen Aus183 Eine ausführliche Beschreibung der ,,~Ieme%t~e~ ~e;tan tel e
.
gabe findet sich in Plachta: },äitionswtss.e~;c aJ'"
184 Boetius: "Textkritik und E.~it.ionstechnlkall;iJr~~ke räsentieren, um die Textentw~cldun~ s.icht185 Der Herausgeber kann naturh.ch auch Pal<. 'd d' AI~hiv-Ausgabe" in eine "histonsch-kfltlsche
bar zu machen. In dieser zweIten Phas~ WH .le".
Ausgabe" transformiert (vgl. Kraft: Edzttonsphtlologze, S. 13).
76
2. PERFORMANZ - SCHRIFT _ EDITION
2.3 EDITION
zeichnet werden, nämlich in Form von editorialen /, d"
"
men editorialer Indexikalisierung ist die Le
,n, t~es, Em,e de,r wlchngsten Fo rmLmansle~ung, Sie dient zur A.rchivie_
rung der nicht im Textteil wiederge b
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ge enen esarten 1m Apparat J d W< I I
zu er es eme Variante gibt wird im A
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Editor nicht zur Textherst~llung verwPalPdalat wLle er 1011', und es werden "die vom
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1 ten esarten auflgeführt" 186 D' L
matlslerung mppelr eine bestimmte Fon d' , ' ,
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LeltpnnZlpien unterscheiden dl'e J'e 'I
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e I 10nst leorensche
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, w e l s von lIenerenden 11
b' h
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,ext~ e,zle ungswelse
utorbegnffen geprägt sind: zum einen die EditiOl 1
nahme ausgeht daß der J'ew '1"
, ~, etZtel Hand, die von der An" e i s spateste autonSlerte 11 l'
"fl" d
,
Autor intendierten Text" repräsentati '-,187
d ex zeuge ur. en "vom
t
Hand', bei dem man davon ausgeht JaAs ,,, zu~ an eren das Prinzip ,früher
Überfremdung aufWeisen" 188 Z ' '1" d,spatere, eugen einen höheren Grad an
stimmung darin daß dl'e ~e 1'1 WISC ?en, lesden belden Ansätzen bestehtÜberein_
, "
.11 X mnsntUtlon
L'"
d
zu folgen hat. 189
em eltpnnZlper Autorintention"
Während die critique gtnetique darauf abzielt d P,
konstruieren, fokussieren die historisch 1 ," l' Eedl~ , lOzeß der Textgenese zu re"
- Wtlsc le ltlon und die C
11 Ed'
, o p y - ext- 1tlon - von emem traditionellen Textverständ '
~uf dei: Text als Produkt eines vorangegangen:~s s~~g~hend,-lhre Aufmerksamkeit
I' 1 a el?SplO.zesses, Der vom Autor
mtendlerte Text manifestiert sich im
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wesent Je len erst In dem v
Ed' 1" I
a,us a en Entstehungsstufen erstellten Text", 190 Der Sel fEi
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Verdopplung der editorialeil Ta"tal' li ~e11', so ,a I edr ~s hest und überarbeitet, Diese
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Der Autor wird in seiner Funktion gespalten in S h 'b
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186 Boetius: "Texrkritik und Editionstechnik", S, 75.
187 Braun-Rau' Copy tEd' ,
d"
188 Ebd,
."
- ext- ltlon un Hlstol'lsch-kritische Ausgabe", S, 210 E
189 Ebd,; vgl. auch Plachta: Editionswissenschafl, S, 75 E
190 Braun-Rau' Copy l'
Ed"
d'
.
191 Ebd.
'"
- ext- ltlon un HlstOl'lsch-kritische Ausgabe", S, 212.
77
Das grundsätzliche Problem diesel' Herangehensweise ~esteht darin, da~ der Edi~or
davon ausgehen muß, er: kön~le den Verlauf des, kreanven ~<ts und die ~erschle
d nen Etappen, durch die er 1I1S Werk gesetzt wU'd, tatsäch1Jch rekonstnueren,l92
eweniger der Editor die Distanz mit einberechnet, die ihn von seinem Objekt
J~ennt, desto mehr identifiziert er sich mit seinem Objekt und desto teleologischer
~erden seine Rekonstruktionen, Zugleich wird aber deutlich, daß die Aufgabe des
Editors darin besteht, das durch den Autor vollzogene erste textkonstitutive Editing des Arrangierens und Revidierens im Rahmen eines zweiten textktitischen Edidonsverfahrens zu rekonstruieren, In beiden Fällen wird Autorschaft - freilich von
unterschiedlichen Instanzen - durch einen editorialen Rahmungsprozeß konstituiert. In eben diese Richtung scheint Wolf Kittlers These zu zielen, die "Verwechslung zwischen Autor und Herausgeber" habe den modernen Roman begründet l93 ,
eine These, die er im Rekurs auf Karl Lachmanns Lessingedition entfaltet, Lachmann reldamiene in einem Rechtsstreit, in dem es um sein Honorar als Herausgeber geht, eine Art editoriale Autorschaft, Er begründet seinen Anspruch mit dem
Argument, daß der Editor, um den Text zu rekonstruieren, "jeden Augenblick und
bei jedem Zweifel dem Verfasser in seine geistige Werkstatt schauen und ganz die
ursprüngliche Tätigkeit desselben reproducieren" müsse und dabei die Grenze zum
Schöpferischen" überschreite,194
" Die Abwendung vom Ideal des ,besten Textes' führt dazu, statt des werkoriendenen editorialen Rahmungsverfahrens der historisch-kritischen Edition ein prozeßorientiertes Rahmungsverfahren zu vollziehen, also "anhand der überlieferten
Schreibspuren den schriftlichen Entstehungsprozeß literarischer Werke zu rekonstruieren" ,195 Dabei wird der Rekonstruktion des nicht abgeschlossenen Prozesses der Entstehung der Vorzug gegenüber dem "Imperativ der Struktur"
beziehungsweise "der geschlossenen Form" eingeräumt,l96 Die critique genitique
faßt den Text mithin als "offenes Gebilde" beziehungsweise als "Produktivität"
auf, Dieser Text läßt sich nur noch als Hypertext darstellen: "Alles, was zum Performance-Akt der Textwerdung dazugehött, hat seinen Platz im Netzwerk des entsprechenden Hypertextes, Der Drucktext gehört genauso dazu wie jede seiner
Vorstufen",197 Die Tatsache, daß die Textwerdung als "Performance-Akt" gefaßt
192 Vgl. Espagne: De l'archive au texte. Recherches d'histoire genetique, S,180: "Moins I'editeur-interprete prend en compte la distance qui le separe de son objet, plus il s'identifie a son objet, et plus
ses constructions genetiques sont telelogiques, pretendent reconstituer infailliblement le derouletnent d'un acte de creation et en exposer les etapes jusqu'a I'oeuvre achevee".
193 Kittler: "Literatur, Edition und Reprographie", S. 214,
194 Lachmann: Kleinere Schriften zur deutschen Philologie, S, 566,
195 Gresillon: ",Critique genetique"', S. 14 f. Vgl. hierzu auch Lernour: ",Critique genetique' und
Philologie", S, 128 ff.
196 Gresillon, ",Critique genetique"', S, 14 f,
197 Ebd., S, 23. Dabei unterscheidet Gresillon zwischen den "Kopfarbeitern", bei denen "relativ wenige Schreibspuren auf dem Papier erhalten sind, da sie erst spät im Produktionsprozess zur Feder
greifen", und den "Allesschreiber[n]", die alles auf Papier festhalten, "was ihnen durch den Kopf
schiesst" (S, 16), Bei den "Allesschreibern" lassen sich die "produktorientierten" und die "prozessorientierten" unterscheiden, Die ersteren gehen systematisch vor, legen "programmatisch"
78
wird, impliziert, daß die editoriale Tätigkeit wesentlich auf eine Re-Inszenierung
abzielt, also auf die Darstellung der "Schreib-Szene", 198 die im Rahmen einer Editions-Szene erfolgt.
2.3.3 Der Herausgeber als Leser und Zeichendeuter
In den neueren Editionstheorien ist die Tendenz zu erkennen, das "jeu de varian_
tes" als "Spiel der Schrift" zu deuten. 199 Dabei kommt neben Derridas Schriftbe_
griff der Peircesche Zeichenbegriff ins Spiel 2oo : Der Textträger, also das "Zeichen
als solches", wird zu einem Zeichen in Bewegung. 201 Demzufolge besteht die Aufgabe des Herausgebers darin, die Variabilität des Textes einzufangen _ dies scheint
nicht zuletzt deshalb geboten zu sein, weil die Arbeit des Autors ja ebenfalls als
Artikulation einer dynamischen Beziehung zwischen Textträger und Bedeutung
aufzufassen ist. Der Prozeß der Textentstehung, der in den Korrekturen und Überarbeitungen des Autors sichtbar wird, ist ein Indiz dafür, daß die Bedeutung des
Textes ständig in Bewegung ist. 202 Zu fragen bleibt, in welcher Form die monumentale Indexikalität der Schrift im Rahmen dieses TextlTIodells ins Spiel kommt.
Manuskripte und Varianten haben als Äußerungs-Token zugleich den Status von
geschriebenen Monumenten. Der Herausgeber interpretiert diese geschriebenen
Monumente also zunächst als "sprachliche Symptome"203, das heißt als kausal motivierte genuine Indices der Text-Genese. Die Tatsache, daß der Text in der vorliegenden Gestalt publiziert wurde, ist dagegen als degenerierter Index dafür zu
werten, daß der Text den Kriterien desjenigen entsprach, der die Entscheidung für
den "Veröffentlichungsakt"204 getroffen hat. Das ist in den meisten Fällen der
"Autor des Werkes", der das Manuskript ,zum Druck gibt'. Es kann aber auch "jemand anders als der Autor sein", etwa ein Herausgeber, der sich in seinem Handeln entweder "nach dem Willen des Autors richtet" - oder eben auch nicht.205 In
all diesen Fällen ist jedoch - und das ist hier das entscheidende Argument _ Intentionalität im Spiel, deren Katalysator der Veröffentlichungsakt als "Knotenpunkt"206 des literarischen Prozesses ist. Der Veröffentlichungsakt impliziert für
Cervenka eine "totale Restrukturierung des Textes, die man als Verschiebung von
198
199
200
201
202
Stoffsammlungen, Entwürfe und Pläne an, "die letzteren hingegen schreiben immer schon textartige Gebilde, die dann in endlosen Revisionen und Um-Schreibvorgängen zum edierten Text
führen" (ebd.). Vgl. hierzu auch Plachta: Editionswissenschcrji, S. 46 ff.
Vgl. Campe: "Die Schreibszene. Schreiben", S. 764.
Vgl. Espagne: De l'archive au texte. Recherches d'histoire gendtique, S. 177.
Vgl. Martens: "What Is aText? Attempts at Defining a Cel1tral Concept in Editorial Theory",
S.220.
Ebd., S.216.
Ebd.
203 Vgl. Hirsch: Prinzipien der Interpretation, S. 75.
204 Cervenka: "Textual Critieism and Semiotics", S. 62; dt.: "Textologie und Semiotik", S. 144.
205 Cervenka: "Textologie und Semiotik", S. 145.
206 Ebd., S. 144.
79
2.3 EDITION
2. PERFORMANZ - SCHRIFT _ EDITION
sich auch
. l' "t beschrel'b en 1mnn" .207 Dabei verschiebth'd
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d Werk entstan en IS .
I
11 Zllseh en I'st '" aufgrun eren . asdErzeugung ell1es
.
'T'extes
in ein intentiona es
II
der Zeugung
r%hrt der Text eine kausale
ent tranSfOl'llllert WH ,e .
b nabelt wad. Zugleich erAdn:alh1gJ::er vom Autor als
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le Remotlvlerung u
I1.
d
f die vorangegangenen Se e <tlOns- un
f:'hrt der Text ell1e Il1tentlona
alllüsse, die das Textarrangement hau. h Autor wird aus einem Ensemble vo.n
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1
I"ßt Der hypot etlsc e
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im Rekurs aufPelrce
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an
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sich
"Spuren
des,
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. Is b eru h en "211.) Spuren des Wirkens
d
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.
d es Matena
.
· uf der Struktunerung
fe I<te d le a
. hl . ce, 212
einer' "künstlerischen ,Persönhc. <e~t . numentalen Indices erschlossene ,:Subjekt
Das vom Editor aufgrund dl~ser mo othetische Autor _ entweder. mit Booth
des Werks"213 kann - ebe.nso wie der hyp I-Autor" efaßt werden. In Jedem Falle
· l'led author oder mit Eco als "Model
g
aIs Imp
fi~ät
bezieh~tl~gs",:e.~e
psychophys~s~her Perdso~c~ J~~e
t~'venka
~ntmotivi~run~,
als"I~
207 Ebd., S. 145
208 Derrida: Grammatologie, S. 81.. ."
45
. "
C
k . 1'extologie und SemIOtik, S. 1 .
I C . " . m and Semiotlcs ,S. 76, En. 1.
209 erven a. "
.
\' I Vi·' n Textua ntlC1S
h" h b
210 Ebd., S. 146, Fn. Vgl. auch dIe el:g Isc.le erslOet;tibcr der (früheren) deutschen einen. oc st ev
englisch~n Ve~:slO~~~I~:t~S ~:~
o~~k~~:.
In der (späteren)
Cervenka hier den Begriff des IndexesI::
merkenswerten UnterschIed, nam.
' . ork rhen, rhe variant need not be va
y
W
auf Peirce einführt: "ln the analys:s of a Pr°e~ce ue~t versions. Ir will be interpreted, r~~hel: as ,;
itself and its direct effect on the S la,re. 0 ~uil:d~' in Charles Peirce's well-known dassl Icatlon .
. It 11as the nature of a charactellstlc 01 ,
Slgn.
(S.69).
ifbau des literarischen Werks, S. 61 f.
211 Cervenka: Der Bedeutungsau
. . " S 69
.
212 Cervenka: "Textual Criticism an~Se~~l1,ott~;che~ We~ks, S. 62. In Abgrenzung zu Huschs A~~~~~,
213 Cervenka: Der Bedeutungsaufba~, es It~~~au der eigentlichen Bedeutung des Werks a~s~ I' t;er~
der die "sprachlichen Symptom~ vom. I
'ttelbar auf den Autor und ha~en .mlt e d
betont Cervenka: "die Indexzetche:l ~Ie en U11l~~einsam daß sie zur Konstitution Ihrer Be eu:
sönlichkeit des Interpreten [".] ledt.gl.t~~l ~as ~ezi iente~ erfordern als Zeichen anderen Typs
.
ho"ller'en Grad von AktIVItat es
p
tung el11en
(S.75).
80
2. PERFORMANZ - SCHRIFT - EDITION
handelt es sich um einen inferierten Autor, der durch den Editor-Leser entworfen
wird. Booth definiert den implied author als "a core of norms and choices".2I4 Dieser Kernbereich ist weder dem empirischen Autor noch einer textinternen Erzählinstanz zuzuordnen - dennoch bestimmt er die intentionale Struktur des Textes,215
Dabei wird deutlich, daß der implied author ein hypothetischer Autor ist, der vom
Leser anhand von Textspuren erschlossen wird: "We inftr him as an ideal, literary,
created version of the real man"21G, schreibt Booth. Dieser Gedanke wird von Eco
im Rahmen seiner Theorie der interpretativen Kooperation aufgegriffen und weiter entwickelt, Nach Eco muß der empirische Leser einen "hypothetischen Autor
emwerfen",217 Dieser Modell-Autor ist als "Interpretationshypothese" des Lesers
das "Subjekt einer Textstrategie, die aus dem zu untersuchenden Text sichtbar
wird".218 Die Textstrategie wird dabei als "System von Instruktionen" definiert: Instruktionen, die darauf abzielen "einen möglichen Leser zu produzieren, dessen
Profil durch und im Text entworfen ist",219
Für Eco wie für Cervenka ist der Bedeutungsaufbau des literarischen Werks eine
Leistung des Lesers: Der Bedeutungsaufbau ist das Resultat des interpretativen
Nachvollzugs der textkonstitutiven, selektiven Akte und kompositorischen AlTangements, die von einem hypothetischen "Subjekt des Werks" ausgeführt wurden,
Da jeder Editor immer auch Leser ist, bedeutet dies, daß der editoriale Prozeß als
interpretatorischer Prozeß zu betrachten ist, Auch Martens kOmlnt zu dem Schluß,
die Definition des Textes als literarisches Zeichen müsse den Leser und den Editor
als Instanz der Textkonstitution berücksichtigen. 22o Dabei geht die editoriale Tätigkeit jedoch in einem Punkt entschieden über den Akt des Lesens hinaus: Der Herausgeber muß im Rahmen seiner editorialen Tätigkeit nicht nur interpretativ die
Bedeutungsdimension eines Textes erschließen, sondern er muß "den Textträger
durch bestimmte Bedeutungsannahmen konstituieren".221 Die Funktion Herausgeber besteht also darin, den Text sowohl aus der "materialen Überlieferung" als
auch auf der Grundlage eines interpretativen "Verstehens" zu rekonstruieren.222 Insofern ist die WerIdmnstitution immer an den Deutungsrahmen des Herausgebers
rückgebunden,
214 Booth: TheRhetoricofFiction, S, 74,
215 Ebd" S. 74 f,: "The ,implied author' chooses, consciously or unconsciously, what we read; we
infer him as an ideal, literary, created version of the real man; he is the sum of his own choices."
216 Ebd"
217 Eco: Lector in fibula, S, 77,
218 Ebd., S, 80,
219 Eco: Der Streit der Interpretationen, S, 39,
220 Martens: "What 1s a Text? Attempts at Defining a Central Concept in Editorial Theory", S, 215,
So kann der Herausgeber die Zugehörigkeit von Texten zu einem bestimmten Werk nur durch
Akte des Lesens feststellen,
221 Ebd" S, 216 (meine Übersetzung),
222 Martens: ",Historisch', ,kritisch' und die Rolle des Herausgebers bei der Textkonstitution", S. 22,
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION
DES PARATEXTES
im
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zu untersuchen, Damit dies mögltch WIrd, gIlt es
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3.1 Die Frage nach dem Rahmen
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Rahmen grun
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d N' h 'D l' 'D Xl' und Paratexl'. Während noch rur 01'Text und Kontext, Text un
1C 1'- ex, e
'h s ezeichnet ist daß er die
man der Rahmen eines Wortkunstwerks dadurc aNu,gh 'T' l' ist"4' schließt die
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n allem trennt, was 1C 1'- .lex
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Grenze darstel I1', d le en" ext ~o " ,
poststrukturalistische Texttheodl'lel~lt,I~:r,~;n de~t11 Ge~~be"G gefaßt wird, solch
I Pro u <tlVItal' 0 er a s "
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des Buches ... l11e sau er u~ I
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In die gleiche Richtung g:ht Derndhals u aSSsunh~I'fVtlcorp"us" mehr ist, ,kein mittels
"b l b h'ß 1 1 bgesc ossenes c r
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es in U er e en el 1',,, <e n ~
"d
'
f ß 'G halt" sondern ein "diffeeines Buchs oder mittels semer Ran er emge a tel e
,
1 Foucault: Die Archäologie des Wissens, S;, 142.
2 FOllCault: "Was ist ein Autor? (Vortrag) ,S, 1004.
3 Ebd.
.
'.
300 Alles was jenseits der Linie verläuft", gehört - so
4 Lotman: Die Struktur ltterartscher Texte, S.
,
,' "
d . kein Werk oder es ist ein anderes
Lotman - nicht mehr zur Struktur des Werkes: "es Ist entwe el
Werk" (ebd,)
5 Kristeva: "Der geschlossene Text", S. 194,
6 Barthes: Die Lust am Text, S, 94.
7 Foucault: Die Archäologie des Wissens, S, 36,
82
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
3.1
rentielles Netz", ein "Gewebe von Spuren di
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' e en os au an eres verwei "
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ze1tlg a er - und dtes wird bisweilen vergessen _ betont
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kann. Jeder Text wirft daher die question du limin ".. ~,ganfglOzu l lm. ge\Vlllnf'h
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n~c 1 er rellZe urc 1 en Hinweis auf deren paradoxal L '1" 11 b
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Das ,Paradox des Rahmens' besteht darin daß es zwar'
muß dam't
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I man emen ugang zum Gerahmten bekommt daß d'
aber leel'll eIes
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leser .l'iJlIlllQfl1
e renze mar Gert sondern ein b
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Passe-partout i~t, das seine Wirku~g in einer dop;~:~ll~e~:e';,'ech~lr~hr~n, ein
zum VerschwInden bringt Auch
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::~:~~~:~e(~~;:e~)lg~el~~:~:;,c~ud~~~~ltS.i~~
u~'~n~~:~td:e~~:I:~d:~~i~f~~~al'e
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·nterschrift das innerhalb des R h
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~ußerhalbhde.s ~ah~en.s liegende Referentiell: l~;~:n~~::d:~:~~:~~:~~l~bd~s
te~~:tlta~~e I~~~fte~~~f~c~~~:~~~;terT'kext" ndicht all~ G.renzen. 12 Viel:Ueh~ u~~
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wesent1Iche Beziehung mit dem Spiel der R 1
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er setzt, eIne
der Grenzen"13, die nicht nur das norm 1 ,,~lmungd un ~er paradoxalen Logik
h'
l' "
a e ystem er R elerenz erschüttert, sondern zugleich
auc "eIne wesent lche Struktur der Referentialität" fE; b . 14
Das paradoxale Spiel der Rahm
"b .
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manz"15 des Werks"det l' . . . 1 ~ngE; rmgt, 0 wo~l es die "singuläre Perfor-
~~~:e~~~~;~~;;~:~I~es~~~:~g'\~~~:r:~~:bn:~~~he~~::g~:~z~~e:~:~:~i~~i:n~~
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egung ezelC net Dernda 1m Aus an
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ant, mIt em Begriff des Parergon. In der Kritik der Urteilskraj/heißt es~
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Selbst was man Zieraten (parer a)
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stellung des Gegenstandes als B~~ta~~~t~t~k j~~et~;~~11Ige, w~s nich~. in di~ ganze VOl'gehört und das Wohlgefall d G h
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'"sondern nur außerhch als Zutat
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durch seine FOt'In' Wl' E' f:
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Säulengänge um Prachtgeba"ude B t I b na e,Z~ er ewänder an Statuen, oder
. es elt a er d er terat . h lb ' d
d. h .ntc t s~ st tn er schönen
Form, ist er, wie der goldene Rahmen bl ß
Beifall zu empfehlen an ebracht. so ' . 0 t~m UlC seInen ReIZ das Gemälde dem
Schönheit Abbruch.t7 g
.
hetßt et alsdann Schmuck, und tut der echten
8 Derrida: "Überleben", S. 130.
9 Ebd., S, 129,
10 Derrida: "Hors livre. Prefaces", S. 24.
11 Derrida: Prtijuges, S. 77.
12 Vgl. Derrida: "Überleben", S. 129.
13 Derrida: Prtfjuges, S. 77.
14 Ebd,
15 Ebd., S. 78.
16 Vgl. ebd., S. 80,
17 Kam: Kritik der Urteilskraft, S. 142.
DIE FRAGE NACH DEM RAHMEN
83
Z fi' gen bleibt, in welchem Verhältnis Parergonalität und Perfonnativität zueinL l~ stehen. Derrida weist darauf hin, daß sich das Problem des Rahmens gean .e~lin auf die Frage nach dem "Ort des Rahmens" reduziere: "Wo hat der
el1l
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? H at er emen
.
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Rahmen seinen .rt."
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was 1st s.eme
. ere Grenze? Seme außere Grenze? Und seme Oberfläche ZWIschen den belden
~~~nzen?,,18 Die so ~estellte. Frage 1~~ch ~em ~arer~on bezieht sich a:Lf d~n fes~en
Rahmen eines Gemaldes. Em Gemalde 1st, wIe es In der Encyclopedze heIßt, e1l1e
Repräsentation, die durch einen geschmückten Raum (espace orne; - für gewöhnlich einen Rahmen (cadre) oder einen Rand (bordure) - eingeschlossen ist. 19 Der
feste Rahmen als Begrenzung eines Bildausschnitts entspricht dem von Langen für
das 18. Jahrhundert festgestellten "Prinzip der Rahmenschau"20, und der "Blick
durch den Rahmen" ist - durchaus auch im Sinne der Systemtheorie - als "Blick
des Beo bachters " zu verste hen. 21
Das Parergon im Sinne Derridas konstituiert nun nicht nur die räumliche Einheit des Eingerahmten oder dessen Konzeprualisierbarkeit. 22 Parergonalität betrifft
vielmehr den dynamischen Prozeß der Rahmung, des Rahmenwechsels, aber auch
das Zum-Verschwinden-Bringen des Rahmens. Das Parergon wird, wie es in Die
Wahrheit in der Malerei heißt, "ins Innere hineingerufen", um einen Rahmen
,,(von) innen zu konstituieren".23 Der Rand wird, mit anderen Worten, als dynamische ,Wirkungskraft' begriffen. 24 Dabei steht das Parergon im Spannungsfeld
zweier widersprüchlicher Wirkungskräfte: Einerseits wirkt es "von einem bestimmten Außen her, im Inneren des Verfahrens mit"25, zeichnet sich also durch
eine parergonale Kraft des Hineinwirkens aus; andererseits ist das Parergon "eine
Form, deren traditionelle Bestimmung es ist, sich nicht abzuheben, sondern zu ver-
d
°
°
18 Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 84.
19 Diderot/d'A1embert (Hg,): Encyclopedie, Bd. 15 (1765), S. 806, Srichwort "Tableau", In der Malerei bedeutet Tableau eine "repr6sentarion d'un sujet que le peinu"e renferme dans une espace O\'11e
pour I'ordinaire d'un cadre ou bordure".
20 Langen: AnschauungsfOrmen in der deutschen Dichtung des 18. Jahrhunderts, S.6.
21 Campe: Spiel der Wahrscheinlichkeit, S. 312.
22 Vgl. Dünkelsbühler: Kritik der Rahmen-Vernunft. Parergon- Versionen nach Kant und Derrida, S. 54.
Nach Dünkelsbühler macht die "essentielle Partizipierung des Rahmens am zu Rahmenden" die
Übersetzung "von Rahmen zu Parergon norwendig" (ebd.). Zugleich ist das Parergon jedoch weiterhin auch starisch determiniert, denn: "Als Parergon oldmpiert der Rahmen so etwas wie einen
buchstäblichen ,Para-sit(z)' (para-site), entlang einer site, aber gleichzeirig auch, parallel zum Präfix von Para-dox, dagegen" (Dünkelsbühler: "Rahmen-Gesetz und Parergon-Paradox", S. 210).
23 Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S, 84,
24 Vgl. auch Simmels Aufsatz "Der Bildrahmen. Ein ästhetischer Versuch". Simmel sieht die Funkrion des Rahmens darin, daß diesel' "die Gleichgülrigkeit und Abwehr nach außen und den vereinheitlichenden Zusammenschluß nach innen in einem Akte ausübt. Was der Rahmen dem
Kunsrwerk leistet, ist, daß er diese Doppelfunktion seiner Grenze symbolisiert und verstärkt" (Simmel: "Der Bildrahmen. Ein ästherischer Versuch", S. 101). Ebenfalls an Derrida anschließbar ist
Simmels These, die ästhetischen Posirion des Rahmens werde "nicht weniger durch eine gewisse
Indifferenz als durch jene Energien seiner Form bestimmt [",j, deren gleichmäßiges Fließen ihn
als den bloßen Grenzhüter des Bildes charakterisiert" (S. 106),
25 Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74.
84
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
schwinden, zu versinken, zu verblassen, in dem Augenblick zu zerfließen, wo
seine größte Energie entfaltet".26
es
Das Zum-Verschwinden-bringen der Rahmenwirkung könnte man in Anschluß
an Luhmann als ,parergonale Latenz' bezeichnen. Aufgrund diesel' Wirkung ist d
Bild nicht mehr als sichtbarer, gerahmter Raum zu begreifen, sondern als unsich:~
bare Rahmu~g - S? wie zum Beispiel die Zentralperspektive das Bild von innen
rahmt. DabeI verlIert zwar der äußere Bilderrahmen nicht "seine Funktion al
Gren~e der Komp~sition", aber: die Beobachtungsverhältnisse und die Zentralper~
spektlVe demonstneren, "daß dIe Welt über den Bildrahmen hinausreicht und daß
eigentlich die beobachtbare Welt abgebildet wird. So kann auch das unsichtbar
Bleibende in das Bild hineingezogen, durch es sichtbar gemacht werden".27 Die
Entwicldung der Zentralperspektive in der Malerei der Renaissance ist also, mit
Luhmann zu sprechen, auf eine "Latenzbeobachtung" zurückzuführen, die eine
,,~nsic~tbare Bedingung des. natürlichen Sehens" erfaßt 28 : Die Perspektive macht
eU1erSeltS "den Beobachter stchtbar - und zwar gerade in dem Punkte, in dem er
für sich selbst unsichtbar ist"29, sie eröffnet andererseits die Möglichkeit, "zu zeigen, was im Bild sichtbare Personen sehen und was sie dank ihrer Stellung im
Raum nicht sehen können", das heißt, durch sie "werden Personen im Bild als Beobachter beobachtbar.".3o Hier~us folgt, daß die Perspektive ein dynamisches, parergonales Verfahren 1st, das mcht nur die Einheit des Bildes garantiert, sondern
das ü~er den "f~sten Bilde~rahmen" hinaus funktioniert, indem die Zentralperspelwve das unsIchtbar BleIbende ins Innere hereinruft.
Dabei steht die Parergonalität im Spannungsfeld von "Beobachtung zweiter
Ordnung", "Doppelrahmung" und "Latenzbeobachtung". In der "Doppelrahmung"31 manifestiert sich eine bestimmte Form von Beobachtung zweiter Ordnung, die sich nicht nur auf die Beobachtungsinstrumente eines anderen Beobachters r~chtet, sondern auch auf das, was durch die Verwendung dieser BeobachtungsU1strumente an Beobachtungsmöglichkeiten ausgeschlossen wird. 32 Diese
Beobachtung der ermöglichenden und ausschließenden Beobachtungsweise ist die
"Latenzbeobachtung": Sie ist als eine "die Welteinheit sprengende bzw. ins Unbeobachtbare verschiebende Distanziertechnik eines Beobachters zweiter Ordnung" zu begreifen: 33 Die Kunst ist das Feld, auf dem Doppelrahmung und Latenzbeobachtung emgeübt und zunächst "nur im Bereich des Fiktionalen" aus34
probiert werden. Der Ausgangspunkt der Doppelrahmung ist eine bestimmte
Form der Rahmenschau, wie sie die perspektivische Malerei und das Bühnenthea26 Ebd., S. 82.
27 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 142.
28 Ebd., S. 140.
29 Ebd.
30 Ebd., S. 142.
31 Vgl. ebd., S. 178.
32 Ebd., S. 137.
33 Ebd., S. 138.
34 Ebd.
3.1 DIE FRAGE NACH DEM RAHMEN
85
' . 1 die im 18. Jahrhundert vom "mo dernen Roman "b
a ge I"ost werden. 35
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" 1 ' L 1: d
r etabl1ere 1,
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in der Entwicldung von Latenzbeobac tungen ge lt 1m aUle es
Die Fu tung"
..
d ' 11 f d
d 18. Jahrhunderts "auf das Theater und dIe LIteratur un speZIe au e~
17. un "bel''' 36 Die Erzählstruktur des Romans mobilisiert die AufmerksamkeIt
. 11 d'1e Auiga
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Roman u. fl"ll' . latente Motive" und hat zug1e1c
e, d'lese "Iur
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.
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e .b'
nachen",37 Die Latenzbeobachtung führt insofern eU1e UnterSClei ung
errat ar zu 1 ,
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dd
.1.
" . 1 11 dem'was
illokutionär im Text ausgesagt WIr ,un em, was SlC 1 meIn zWISC le
.
dexikalisch am Text zeIgt.
.
.
.
Für die Frage nach der performatlven bez1eh.ungswe1se parergonalen Rahmung
. d' U stand relevant daß Luhmanns Begnff der Doppelrahmung sowohl an
1st er
'
l
.
als auch an Goffmans
Rahmen-Ana ;yse ansc·11'
1 1eßb ar 1St.
. Smrechakttheorie
Austlns P
"38 1 .
.
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'a"gte systemtheoretische Interesse an Rahmungen
e1tet SlC 1 ma Das ausg epr
" . . .
d ß 11 B b
' 1 n Goffmansjr.<'1me-Begriffher, nämlIch von der El11S1Cht,,, a a e eogebl1e 1vo
. 1U
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'de Seiten der Form voraussetzen müssen, d'1e SIe
a s ntersc leI ung
ae1ltungen bet
.
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. R 1men' verwenden".39 Goffmans Rahmen-Analyse WIederum deutet en von
ode1, al
" d L b
Austin festgestellten "Szenenwechsel"40, d~rch den Auß~rungen von ,er e ens. d'Tlleaterwelt versetzt werden , 111cht als Entkraftung, .sondern alsd'"mowe1l' 111 1e
1
·
1 d e Tr'ansformation"41 von einer Bedeutungsebene auf el11e andere,1 1e .a s
duleren
Rahmenwechsel wahrgenommen wird. Um anzuzeigen: wann und wo so ~h e1.ne
Transformation beginnt, und wo sie endet, gibt es b~stlmmte Ra.hmu~gshtnwetse,
" l' h einmal zeitliche I<:lammern", "auf deren W1rkungsberetch dIe Transforna1n 1C
"
')"1
"d' d
mation beschränkt sein soll", und zum anderen "räumlIche I\.lammern, 1e" as
Gebiet an[zeigen] , auf das sich die Modulation in dem betreffenden Fall erstr~cken
der modulIerten
11" 42 Alles , was innerhalb dieser I<:lammern steht, muß unter
so.
.
db. 1 d
Perspektive betrachtet werd~n. Die .Rahmun~shinweise fungIeren a e1 a s mo ulierende Schlüssel (key)43, dIe von el11em bestlmmten Außen her ~en Zugang :um
Gerahmten eröffnen und zugleich im Inneren des Verfahrens etue EbenendIfferenzierung vornehmen. Insofern haben Modulationen immer auch parergonale
Funktion.
35 Ebd., S. 177. Vgl. auch Esposito: "Fiktion und :'irt:lalität", ~. ~73:. ~er ~ufolge .~ie ~entralper
spektive der Malerei als "Bezugspunkt der Ko~rdmatlon de~ Fll~uon m die "al1~a~l1tlge und a~l~
wissende Perspektive des Erzählers" transformiert wurde, Mn Bhck al:f d~s Ve~:hal:11ls v.on Malete~
und Schauspiel schreibt Langen, die "Form des umrahmten Ausschnlttbl1d~s. beim B~ld und ~el
der Schaubühne mache diese in ihrem "Su'eben nach Illusion und perspektiVischer Wll'kung vollig gleich" (Langen, Anschauungsftrmen in der deutschen Dichtung des 18. Jahrhunderts, S. 83).
36 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 142.
37 Ebd., S. 144.
38 Vgl. Stanitzek:"Im Rahmen?", S. 17.
39 Luhmann: "Dekonst1'llktion als Beobachtung zweiter Ordnung", S. 19, Fn, 21.
40 Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S. 43 f.; Austin: How to do Things with Words, S. 22.
41 Goffman: Rahmen-Analyse, S. 55 f.
42 Ebd., S. 57.
43 Ebd" S. 56, Fn. 14.
86
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
3.2 Das Vorwort als VOr-Schrift
Aus literaturwissenschaftlicher Sicht betrifft das Verhältnis von Ergon und Parer"
gon die performativen und parergonalen Rahmungsfunktionen von Paratexten. Das
heißt, daß die Frage, wie der speech act beschaffen ist, "der zu sagen gestattet, daß
ein Werk vorliegt"44, mit der Frage nach der "Funktion von Vorworten"45 Verknüpft wird, Mit dieser Verknüpfung wird impliziert, daß ein Text erst durch perfonnative Rahmungsakte zum Werk wird, wobei sowohl die Ausführung als auch
die Aufführung dieser Rahmungsakte der Funktion Autor respektive der Funktion
Herausgeber obliegt. Die Orte, an denen die diskursiven - juristischen wie rhetorischen - Rahmenbedingungen verhandelt und reflektiert werden, sind die Para- _
texte - allen voran das Vorwort.
Paratexte sind Texte, die als Rahmen für Texte fungieren. Neben den Vorworten sind dies: Buchtitel, Dedikationen, Inhaltsverzeichnisse, Kapitelüberschriften,
Unterschriften, Fußnoten, Endnoten, Nachworte. Faßt man diese textuelle Rah"
mung als perfonnativen Rahmendiskurs, so stellen sich drei Fragen: Erstens, welchen Gelingens-, Inszenierungs- und Verkörperungsbedingungen gehorcht der
Paratext? Zweitens, wodurch wird der Paratext zum "szenischen Rahmen des
Schreibens"?46 Drittens, inwiefern konstituiert dieser szenische Rahmen des
Schreibens den Rahmen des Textes? In seiner Untersuchung der Paratexte bestimmt
Gerard Genette das Vorwort als
Beiwerk, durch ~as ein Text zum Buch wird und als solches vor die Leser und, allgemeiner, vor die Öffentlichkeit tritt, Dabei handelt es sich weniger um eine Schranke
oder eine undurchlässige Grenze als um eine Schwelle oder - wie es Borges anläßlich
eines Vorwortes ausgedrückt hat - um ein ,Vestibül', das jedem die Mäglichkeit zum
Eintreten oder Umkehren bietet; um eine ,unbestimmte Zone' zwischen innen und
außen, die selbst wieder keine feste Grenze nach innen (zum Text) und nach außen
(dem Diskurs der Welt über den Text) aufweist,47
Bei seiner Definition des Vorworts als ,unbestimmter Zone' rekurriert Genette auf
eine Überlegung von Compagnon, der in La Seconde main den Bereich zwischen dem
hors-texte und dem Text als Perigraphie bezeichnet, als "zone inrermediaire"48, die man
passieren muß, um Zugang zum Text zu erhalten. Diese vermittelnde Zone liegt
weder eindeutig außerhalb noch eindeutig innerhalb dessen, was sie rahm0 9; es han44
45
46
47
Foucault: "Was ist ein Amor? (Vortrag)", S, 1004,
Ebd,
Vgl. Campe: "Die Schreibszene, Schreiben", S, 764.
Genette: Paratexte, S, 10,
48 Compagnon: La Seconde main, S. 328. Ganz ähnlich argumentiert übrigens auch Ehrenzeller in
seinen Studien zur Romanvorrede, wo er behauptet, die Vorrede schütze das Werk in einem poetischeren Sinn, "als eine Art Schwelle nämlich, die Schein und Sein auseinander hält und die Welt
des Buchs gegen die Wirldichkeit hin abgrenzt. Die Vorrede ist die Bühnenrampe des Romans,
könnte man sagen" (Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, S, 138),
49 Vgl. hierzu Dünkelsbühler: "Rahmen-Gesetz und Parergon-Paradox", S, 208, wo ebenfalls vom
Rahmen als einer "transitorischen und prozessualen, oszillierenden Zone des Zwischen, zwischen
Innen und Außen" die Rede ist.
87
3.2 DAS VORWORT ALS VOR-SCHRIFT
, Z one des Übergangs, Compagnon
vergleicht sie mit einem 1.(00
Bilder'11m eme
,
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ddt slC 1 l d ) d ,das Bild (tableau) einschlteßt50 und den Zugang zum ,,1 orper
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AspekteA l t der typographischen Verkörperung des Paratextes em, v.:enn er ?eauf den ~ped{ bl ß Abschreiben verschaffe "der Idealität des Textes eme schnftbereIts as 0 e
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t?nt, der lautliche Materialisierung", die sich paratextueIl auswl~ {e, "n lesern
fährt Genette fort, "läßt sich gewiß
es ke1l1e,n Text.
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b '1' i l'
' ' '1' und Perfonnativität im Rahmen des "Vorworta {ts
au. as vorw r , s
in dreifacher Hinsicht Vor-Schrift: Es, versucht
,Leser ,e1l1e
~~:re Lektürehaltung vorzuschreiben und hat msofern, dIe Funk:lOn e1l1es dlrekI, n S rechakts, Zweitens folgt das Vorwort vorgeschnebenen El~g~ngs~ormeln,
tlve , P, 1 ml'thin als rhetorisches Ritual, das heißt als Performatw 1m S1l1ne der
erweIst SlC 1
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d" Pr'oblemkreise hinein die Ansorge bel semer Untersuchung et Roman
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vorre de ausmacht 53 , 11aoomlich erstens die unterschiedltc en ea IsatlOnslOlmen
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Vorrede im Roman, zweitens die Beziehung zwischen Haupttext un .vorre e, nttens die poetologische Funktion der Vorrede als Ort der SelbstreflexlOn.
lI~he ~
lI~hI~~~h
behau~ten, d~ß
ohn~
~rstens, ~em
3.2.1 Die Vorschrift als Instruktion
In der Vorrede zu seinen Fabeln stellt Lessing fest: "Eine Vor~'ede soll ~ichts,~nt
halten, als die Geschichte des Buchs".54 Im Geg~nsatz zu Lessmg, d~~' dIe ~ol1ede
als Ort bestimmt, an dem die EntstehungsgeschIChte des Buches erzahlt WIrd, betont Novalis die pragmatische Dimension des V~lwortakts: "Der Gebrau~~5~es Buches - die PhiI[osophie] seiner Lektüre wird 111 der Vorrede gegeben. Ganz
50 VgL Compagnon: La Seconde main, S, 328: "Sa peripherie, ce qui n'est ni ~edans ~i deh;rs, c?;:prend toute une serie d'elements qui I' enveloppent, comme le cadre ensell~ le ~a eau un t1 ,
d'une signature, d'une dedicace, Ce sont amant d'entrees dans le corps du livre. ..
dT
51 Genette: Paratexte, S, 11, Vgl. hierzu auch Nutt-Koforh: "Text lesen - Text sehen: Edltlon un ypographie", S, 4,
52 Vgl. Genette: Paratexte, S, 279,
.
53 Vgl. Ansorge: Art und Funktion der Vorrede tm Roman, S, 14,
54 Lessing: Fabeln, in: ders,: werke, Bd, 5, S, 354.
55 Novalis: Schriften, Bd, 3, S, 361.
88
3.2 DAS VORWORT ALS
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
ähnlich wird die "Preface" in der Encyclopedie als ein "avertissement" definiert, das
vor das Buch gestellt wird, "pour instruire le lecteur de l' ordre & de la disposition
.
.
qu,on y a 0 bserve'" .56 D as 'T
vorwort gl'b l' Leseanwelsungen,
111dem
es über die Ordnung und die Disposition, die sich im Haupttext beobachten lassen, Vorbericht erstattet. Zugleich erfüllt das Vorwort aufgrund seines Instruktionscharakters aber
auch selbst eine dispositive Steuerungsfunktion. Der Instruktionscharakter des Vorworts rührt daher, daß es eine Lektüreanweisung darstellt, die dem Leser einen interpretativen Zugang zum Werk eröffnen soll. Das Minimalziel ist, daß das
Vorwort überhaupt "eine Lektüre bewirkt", das Maximalziel ist, daß "ein guter Verlauf der Lektüre" ermöglicht wird. 57 Dabei befindet sich das Vorwort in einer
merkwürdigen funktionalen Zwischenlage: Es ist eine Zone perflrmativer Uberblendunge.n von funktionale? Gelingensbedingungen, phänomenalen Verkörperungsbed1l1gungen und quasI-theatralen Inszenierungsbedingungen.
Beginnen wir mit den Gelingensbedingungen. Nach Genette zeichnet sich das
Vorwort durch die "illokutorische W'irkung seiner Mitteilung" aus 58 , und auch Barthes bezeichnet d~s .vorwort als "illokutionären Akt".59 In die gleiche Richtung zielt
Maclean, wenn SIe 1m Anschluß an Genette betont: "The paratext involves aseries
of first order ~llocu.tionary acts in ~hich the author, the editor, 01' the prefacer are
fre~uently uS111g .dlrect performatives. They are informing, persuading, advising,
o~' 1l1deed exhort1l1g and commanding the reader".60 Als Lektüreanweisung überl11mmt das Vorwort die illokutionäre Rolle eines explizit performativen, direktiven
Sprechakts. Sobald es darum geht, den logischen Status des nachfolgenden Haupttextes festzustellen, hat das Vorwort dagegen die Funktion eines Kommissivs oder
eines Deldarativs.
Seinen kommissiven Charakter offenbart das Vorwort sowohl bei "autobiographi.schen Pakten"61 als auch bei "Fiktionsverträgen"62 - beide versprechen, den
logIschen Status des Eingerahmten von vornherein, nämlich vom Vorwort her, zu
determinieren, wobei freilich unklar bleibt, ob und inwiefern dieses Versprechen
jemals einge.löst wird. Zugleich kann das Vorwort als Ort gedeutet werden, an
dem der logIsche Status des nachfolgenden Diskurses in Form eines poetischen
Deldarativs ve:'k~ndet wird. In allen drei Fällen ist das Problem, welchen logischen Status dIe 1m Vorwort vollzogenen Sprechakte haben, an die Frage gekoppe~t, ob das Vorwort tatsächlich vor dem Buch - hors livre - steht, oder ob es als
!ed des Werks zu gelten hat. Aus dieser Aussage erwächst die Aufgabe zu Idären,
111 welchem Verhältnis der Diskurs des Vorworts und der Diskurs des Haupttextes zueinander stehen.
56 Didel'Ot/d'Alembert (Hg.): Encyclopedie, Bd. 13 (1765), Stichwort "Preface", S. 280.
57 Genette: Paratexte, S. 191.
58 Ebd., S. 17.
59 Vgl. Bar;hes: "Preface ,~a pal'Ol~ it~termediare' de Fran<;:ois Flahault", S. 849: "[,,.] la preface est
en effet I un de ces actes ,IllocutOlres , dont notre auteur se fait ici I'analyste".
60 Maclean: "Pretexts and Paratexts: The Art of the Peripheral", S. 274.
61 Lejeune: "Der autobiographische Pakt", S. 231.
62 Genette: Paratexte, S. 209 f.
a
VOR-SCHRIFT
89
und 'Textherstellung
. er' sprechakttheoretischen Studie zu Kommunikation
. .
Ins~n
die
Bedeutung
des
Vorworts
als
Paratext
111
mehreren
Thesen
zusammen.
fa ßl' Cl10
.,
)'T'
B h
sind
Paratexte
erstens
"Elemente,
durch
dIe
e111
(Haupt.lext
zum uc
.
1
d " 63
DanacI1
..d" Zweitens sind Paratexte aber "Immer dem Hauptwer (untergeor net .
Wl!'
'
n fol l' der zweite Satz l(e111eswegs
aus dem ersten - man 1'"
mnnte sogal umgelil r'gguluentieren daß die Rahmung, di.e der Haupttext durch den Paratext er{e 11'1' a
'
d
D1
al Beleg dafür gelten kann daß der Haupttext dem Paratext untergeor net
d 11'1', s
'
NI
ist'
I diese Richtung weist Derrida, wenn er die Ansicht vertritt, daß das Vorwort
der mit Blick auf Rousseaus
Jiouvelle HIloi'se die Frage stellt, "ob das VO,~'wort .für de~ Ha~pttext, oder der
Haupttext für das Vorwort geschrieben wurde .65 EVIdent WIrd die Auffass~ng,von
der Unterordnung des Haupttextes unter den Paratexl', wenn man das Vorwort a~s
metakommunikative Textsorte" auszeichnet. Für Pötsch.ke hat das Vorwort dIe
J:<unktion einer "Gebrauchsanweisung" für den Umgang mIt dem Text: "Man kann
daß die Rezeption des ,eigentlichen' Textes durch das Vorwort gesteuert
. " 66 .
d'
.. S
.
sagen,
.
.
DIese ISpOSltlVe teuerungs.
'd
um
eine optImale RezeptIon zu erreIchen.
Wl! ,
. .
.
c I(tion ist insofern metakommunikativ, als sich das Vorwort von e111er zweIten,
lun
I .
dem Haupttext übergeordneten Ebene aus auf den Haupttext a s e111er ersten
Ebene bezieht.
.
.
Die zweite, metakommunikative Ebene, die durch das Vorwort etablrert WIrd,
ist zugleich auch jene Ebene, von der aus Beob.ach~ungen z~eiter Ordnung möglich werden. Die so bestimmte, metakommul11katIve FunktIon des Vorworts koinzidiert mit der in der Encyclopedie gegebenen Definition, wonach der Leser vom
Vorwort über die Disposition des Haupttextes instruiert wird. 67 Sie ist aber auch
mit der in Zedlers Universal-Lexicon gegebenen Bestimmung der Vorrede kompatibel, die neben dem Hinweis auf die Steuerungsfunktion des Vorworts den
Wunsch äußert, "daß alle Vorreden ein Perspectiv wären, dadurch man den ganzen
·
Buch es u"b erse h en 1"
Plan und d en Wert h e1l1es
wnnte " .68
rö~er sei als der Haupttext64 , ebenso wie de Man,
Cho: Kommunikation und Textherstellung, S. 175.
Derrida: "Hors livre. Pr-efaces", S. 73.
De Man: "Allegory (Julie)", S. 205.
Pötschke: Ist das Vorwort eine metakommunikative Textsorte?", S. 189.
.
Vgl. Dide;~t/d'Alembert (Hg.): Encycloprfdie, Bd. 13 (1765), S~ichwort "Pr.eface", S. 280.
68 Zedlers Universal-Lexicon, Artikel "Vorrede", S. 1073 f. Dort wH·d der Begnff der Vorrede aus deI
Praefatio und dem Pl'Ooemium hergeleitet und als "schriftliche Nachricht" definiert, "welche die
Schrifft-Steller ihren verfertigten Werken aus unterschiedener Absicht vorzusetzen pflegen. Man
beschreibt sie auch, daß sie eine Schrifft sey, SO einem Buche vorgesetzet wird und entweder ~en
Innhalt desselben vorträgt, damit der Leser wissen möge, was er in jenen suchen soll; oder el11e
Vertheidigung in sich fasset, damit der Werth und verdiente Ruhm des Werl~es gerettet we~'de; ~~er
eine Materie abhandelt, den Leser zu unterrichten. Es ist eine Vorrede bey el11em Buche el11e nutzliehe Sache, und die Gelehrten urtheilen nieht übel, welche sagen, wenn man ein Buch lesen wo!le,
so müsse man vor allen Dingen die Vorrede und das Register desselben ansehen. Denn obgleich
die Vorrede nicht zu dem Wesen eines Buches gehöret, und man vor vielen derer ältesten Bücher
dergleichen gar nichr finder; so hat doch der.~ortheil, b~y einem Buche die ~bs!cht und :ndere
Umstände zu wissen, gar bald gelehret, daß el11Ige Nachncht voranzusetzen nothlg sey [".] .
63
64
65
66
67
3.2 DAS VORWORT ALS VOR-SCHRIFT
90
91
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
Sieht man die Funktion des Vorworts darin, den Leser durch eine paratextuelle
Gebrauchsanweisung zu steuern, und geht man zugleich davon aus, daß Paratexte
Teil des Gesamttextes sind, erfaßt die paradoxale Logik der Grenze den Rahmen des
fiktionalen Diskurses. Vor dem Hintergrund einer fiktionstheoretischen Diskussion
scheint die Auffassung, die metakommunikative Funktion des Vorwortalns bestehe
darin, dem Leser eine Gebrauchsanweisung zu geben, an Searles These anschließbar,
Regieanweisungen seien die einzigen ernsthaften Äußerungen, die im Kontext fiktionaler Sprachverwendung vorkommen können. 69 Es ist allerdings fraglich, ob die
Regieanweisungen tatsächlich im Rallmen des fiktionalen Diskurses gegeben werden,
da Regieanweisungen direktive Sprechakte sind, die den realen Schauspielern Anweisungen geben, wie sie fiktive Sprachhandlungen im Rahmen einer Inszenierung
des Werks verkörpern sollen. Ebenso unldar bleibt, ob das Vorwort noch als ernsthafter illokutionärer Akt anzusehen ist, sobald man es als Teil des Werks ansieht. Als
Teil des Werks ist das Vorwort nämlich auch Teil des fiktionalen Diskurses und besitzt als prätendierter performativer Alet keine illokutionäre Kraft mehr. Der fiktionale Diskurs ist gemäß den Auffassungen von Austin, Searle und Habermas durch
eine "Einldammerung der illokutionären Kraft" ausgezeichnet, die ihn vom pragmatischen Druck der "handlungsfolgenrelevanten Verbindlichkeiten" entbindet,7° Dies
betrifft natürlich auch den pragmatischen Druck, den Leseanweisungen ausüben.
Mithin bleibt zu fragen, wo die Einldammerung der illokutionären Kraft stattfindet, ob sie vor dem Vorwort oder durch das Vorwort vollzogen wird. Genette beantwortet diese Frage in seinem Aufsatz "Fiktionsakte" , indem er Searles Argument
modifiziert, die einzigen ernsthaften Sprechakte im Kontext des fiktionalen Diskurses seien Regieanweisungen. Für Genette ist die fiktive Rede von Figuren in
Dramen und Erzählungen "innerhalb ihres fiktionalen Universums durchaus ernsthaft".71 Gerahmt wird diese ,intrafiktionale Ernsthaftigkeit' durch eine besondere
Form der poetischen Perftrmanz: Sobald der reale Autor eine pretended assertion mit
literarischer Absicht produziert, vollzieht er immer auch den ernsthaften, poetischperformativen Alet, "eine Fiktion zu produzieren".72
Hieraus könnte man im Anschluß an Goffman folgern, daß der Rahmen des
fiktionalen Diskurses einen äußeren und einen inneren Rand besitzt. Am äußeren
Rand des Rahmens stellt sich die Frage, "welchen Status das ganze eigentlich in der
äußeren Welt hat",73 Am inneren Rand stellt sich die Frage nach der intrafiktionalen Relevanz. Die Innenseite des Rahmens ist, wie es bei Luhmann heißt, die
"markierte Seite": "Von dort aus hat man die folgende Operation zu starten. Die
Innenseite hat also Anschlußwert",74 Die Modulation eines Rahmens betrifft des69 Vgl. SeaL'le: "Der logische StatL\s fiktionalen Diskurses", S. 91. Nach Searle entspricht die illolmtionäre Funktion der Regieanweisung "der illokutionären Rolle eines Rezepts zum Kuchenbacken"
(S.92).
70 Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 236.
71 Genette: "Fiktionsakte", S. 62 f.
72 Ebd., S. 48.
73 Goffman: Rahmen-Analyse, S. 96.
74 Luhmann: "Dekonstruktion als Beobachtung zweiter Ordnung", S. 18.
sen äußeren und dessen inneren Rand, und das heißt im Falle der "Doppelrahmung" des fiktionalen Diskurses: Der erste, poetisch-performative Akt wird am
äußeren Rand vom realen Autor vollzogen, wobei sich der reale Autor mit dem Al<t
des Schreibens in eine überpersönliche, extradiegetische Aussageinstanz am inneren Rand transformiert. Was diese extradiegetische Aussageinstanz "within the fiction frame" sagt, meint sie intrafiktional ernst. 75 Eben dies ist die Pointe des
Ansatzes von Mardnez-Bonati, nämlich die Erkenntnis, daß sich der reale Autor
mit dem Al<t des Schreibens in ein fiktionales Aussagesubjekt "transfiguriert" ,76
Die mit dem poetisch-performativen Al<t einhergehende Trennung zwischen Autor
und extradiegetischer Erzählinstanz führt zu jener partage zwischen wirklichem
Schriftsteller und fiktivem Sprecher, durch welche die Funktion Autor ausgezeichnet ist,77 Dabei interagiert die Autorfunktion mit der "Funktion von Vorworten"78,
denn Vorworte markieren jene Übergangszone am Rand des Textes, an der die
Spaltung zwischen wirklichem Schriftsteller und fiktionalem Sprecher vollzogen
und die position des Autors zum Text bestimmt wird: Dadurch nämlich, daß in
dieser Zone der werkkonstitutive speech act im Licht einer performativen Überblendung vollzogen wird. Bei Sprechakten in literarischen Paratexten wird der Ausführungscharakter vom Aufführungscharakter überblendet. Darüber hinaus zeigt
sich, daß der werldmnstitutive speech act nicht nur performative, sondern parergonale Rahmungsfunktion hat, denn er wirkt "von einem bestimmten Außen her, im
Inneren des Verfahrens mit",79
Der Al<t, durch dessen Vollzug eine Fiktion erzeugt wird, setzt zugleich eine partage zwischen dem ,wirklichen Schriftsteller' und der fiktiven Aussageinstanz intrafiktional in Szene. Darüber hinaus determiniert dieser Akt den Status des
Geschriebenen in der äußeren Welt, indem er ein juristisches Performativ mit Zuschreibungsfunktion etabliert, durch welches am äußeren Rand des Diskurses das
Verhältnis zwischen Autor und Text festgelegt wird: "Jeder rechtschaffende Mann
muß sich zu den Büchern, die er herausgibt, bekennen"8o, heißt es in der "Preface"
zur Nouvelle Hiloi'se. Vom inneren Rand des Diskurses her betrachtet, erscheint die
Zuschreibungsfunktion als kommissiver Sprechakt, der den logischen Status des
Textes entweder im Sinne des "autobiographischen Pakts" oder des "Fiktionsvertrags" festschreibt. Dabei hat der werkkonstitutive speech act immer auch deldarativen Charakter: Er impliziert entweder eine Authentizitätserklärung oder eine
Unabhängigkeitserldärung. Im ersten Fall wird das Prinzip der Übereinstimmung
der proponierten Behauptungen mit den Fakten zum Orientierungsmaßstab erklärt, im zweiten Fall sagt sich der fiktionale Diskurs von seinen Verankerung in
extratextuellen Kontexten los.
75 Henry: PretendingandMeaning, S. 107.
76 Mardnez-Bonati: "On Fictional Discourse", S. 71.
77 Vgl. Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1020.
78 Ebd., S. 1004.
79 Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74.
80 Rousseau: Neue lUloi'se, S. 5.
3.2 DAS VORWORT ALS VOR-SCHRIFT
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
92
Die These vom Funktionsverlust der Vorrede läßt sich als Prozeß "illokutionärer Entfunktionalisierung"86 auffassen, der allerdings durch eine gegenläufige Tendenz zur poetologischen Refunktionalisierung des literarischen Paratextes begleitet
wird87: Die metakommunikative Funktion des Vorworts wird durch metafiktionale und meta-performative Funktionen überlagert. Die metafiktionalen Funktionen bestehen darin, vom Vorwort her die Fiktionalität und den Illusionscharakter
des nachfolgenden Haupttextes zu reflektieren 88 , wobei sich immer wieder die
Frage stellt, inwieweit die Elemente des Rahmens "Teil der eigentlichen Fiktion
sind".89 Die meta-performativen Funktionen des Vorworts dagegen betreffen die
rhetorisch-rituellen Eingangsformeln, mit denen ein Anfang ,gemacht' wird.
Die Frage nach dem Verhältnis von Vorwort und Haupttext eröffnet neben dem
literaturtheoretischen auch einen literaturgeschichtlichen Problemhorizont. So wird
in der Forschungsliteratur zur Romanvorrede - beinahe einstimmig - eine historische Entwicldung unterstellt, die den Status der Vorrede ebenso betrifft wie die
Rahmenkonstitution. Ansorge weist darauf hin, daß sich im späten 18. Jahrhundert die "scheinbare Kluft zwischen der historischen Wirklichkeit des Vorworts"
und "der fiktiven Wirklichkeit der handelnden und erlebenden Charaktere" im
Roman nicht mehr als "unüberwindbarer Abgrund" darstellt, sondern daß es
"Brücken von hüben nach drüben" gibt, "die einer Verbindung beider Bereiche förderlich sind" .81 Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang Webers Unterscheidung zwischen der "selbständigen Vorrede", die dem Roman vorangestellt ist,
und der Vorrede als einem in das Romangeschehen "integrierten Text"82, kann man
für das 18. Jahrhundert eine Entwicldungslinie von der "selbständigen Vorrede"
zur "integrierten Vorrede" feststellen. Diese Behauptung deckt sich bis zu einem
gewissen Grade mit Ehrenzellers These, die Romanvorrede, die in den "Kinderjahren des Prosaromans" eine "unerläßliche Bedingung" gewesen sei, habe im 18.
Jahrhundert ihre "sachlichen Funktionen" abgelegt, um schließlich bei Jean Paul
eine "zwecldos heitere Verklärung" zu erfahren83 ; die Vorrede habe sich also von
einer "Zweckform mit ganz bestimmten Aufgaben" zu einem rhetorischen Ritual
gewandelt. Dieser "Entformungsprozeß"84 mündet nach Ehrenzeller zunächst in
den "Kult der Vorrede um der Vorrede willen"85 und führt schließlich zu ihrem
3.2.2 Die Vorschrift als Ritual
Verschwinden.
81 Ansorge: Art und Funktion der Vorrede im Roman, S. 17.
82 Weber: Die poetologische Selbstreflexion im deutschen Roman des 18. Jahrhunderts, S. 20.
83 Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, S. 7 f. Die "Enrfunktionalisierungsrhese" kann aber auch
mit der entgegengesetzten Chronologie behauptet werden. So schreibt Miller, die "Appretu r der
Herausgabe" verstehe sich als eine "mehr oder minder dekorative Eingangsregelung, die einer allgemeinen Einstimmung dienen soll", sie sei "der deutliche Notbehelf einer Romanperiode, die
zum Anfang ein spezifisches Unverhältnis und Mißtrauen besaß: ,der Anfang ist in jedem Fall zu
überspielen'" (Miller: "Die Rollen des Erzählers", S. 63).
84 Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, S. 158.
85 Ebd., S. 17. Zu fragen bleibt, ob der "Kult der Vorrede" tatsächlich erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzte, wie Ehrenzeller behauptet, oder nicht schon sehr viel früher. So stellt Babenko
mit Blick auf die Verbreitung der Vorreden im 16. Jahrhundert fest: "Die Verbreitung der Mode,
Texte verschiedener Art mit Vorreden zu versehen, ist zurückzufUhren auf das Bestreben der Verfasser und Herausgeber, nicht selten der Drucker oder Verleger, durch das gedruckte Wort nicht
nur die eigentliche Veröffentlichung zu erläutern und zu begründen, sondern auch, sich Ruhm Zl)
verschaffen, den eigenen Namen zu verewigen, der eigenen Veröffentlichung größere Bedeutsamkeit zu verleihen" (Babenko: "Vorreden des XVI. Jahrhunderts in soziokultureller und sprachgeschichtlicher Sicht", S. 288). In die gleiche Richtung weist Schwitzgebel, der zufolge es im 16.
Jahrhundert zwar kaum zeitgenössische Äußerungen der Vorredenschreiber über die Bedeutung
der Vorrede gibt, doch lasse "das Vorgehen der Herausgeber Rückschlüsse darauf zu, daß sie als ein
wesentlicher und notwendiger Bestandteil des Buches gesehen wurde", denn:"Im 16. Jahrhundert
gelangt kaum ein Buch ohne Vorrede zum Leser, und in der Regel werden die Originalvorworte
mit dem Buch weitertradiert" (Schwitzgebel: Noch nicht genug der Vorrede, S. 2). Dabei erweisen
sich die Stellungnahmen der Autoren über ihre Intention als "Konstante aller Vorreden gleich welcher Gattung" (S. 47).
93
L
I,
!
"In prologo auctor reddit lectores benevolos, attentos, dociles", schreibt Cicero in
De inventione. 90 Die Vorrede soll sich der Aufmerksamkeit und des Wohlwollens
der Hörerschaft versichern. Sie ist ein vom Erzähler vollzogener "Schwellenritus" .91
Diese Annahme impliziert unter einem ritualtheoretischen Gesichtspunkt, daß der
Vorwortakt eine "meta-performative kommunikative Handlung"92 darstellt, die
dem kommunikativen Handeln insofern vorausgeht, als der Vorwortakt die Geltung bestimmter Konventionen allererst "etabliert, einführt und konstruiert".93
Nach Belligel' und Krieger suspendieren ritualisierte Handlungen die Frage nach
den Geltungsansprüchen gemeinsam akzeptierter Normen, um statt dessen die
Wahrheit deldarativ zu "verkünden" .94 Das heißt, ritualisiertes Handeln ist keinen
Verifikationsprozeduren unterworfen, sondern "die Wahrheit des Rituals" wird
95
durch Prozeduren der Initiation mimetisch internalisiert.
Eben dies ist die Funktion jenes Teils des Prooemiums9G , der als Invocatio bezeichnet wird und traditionellerweise der Musenepildese dient. Bereits in der Antike ist allerdings eine "Entwertung des Musenamufs" zu verzeichnen, sofern man
diesen als echtes Gebet auffaßt. 97 Die Invocatio dient danach nicht mehr der reli86 Krämer: "Sprache ~ Stimme ~ Schrift", S. 43.
87 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Feststellung von Dugast, die Frage der Ästhetik habe
sich "zur Peripherie hin verlagert. Dort ist die Verwandlung des Paratextes in Text, der Parerga in
Werke möglich" (Dugast: "Parerga und Paratexte", S. 110).
88 Frank: Narrative Gedankenspiele, S. 49.
89 Wolf: Asthetische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzählkunst, S. 222.
90 Cicero: De inventione 1,20. Vgl. auch Quintilianus: Institutionis oratoriae libri XlI, Bd. 1, S. 406
(IV, 1 ff.).
91 Neumann: "Der Anfang vom Ende", S. 484.
92 BelligeriKrieger: Ritualtheorien, S. 23.
93 Ebd.
94 Vgl. ebd., S. 29.
95 Ebd.
96 Quintilian: Institutionis oratoriae libri XlI, Bd. 1, S. 406 (IV, 1 ff.)
97 Vgl. Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, S. 28. So betont bereits Quintilian an Stelle der "vertikalen" Anrufung der Götter den rhetorischen Wirkungsaspekt der poetischen Invocatio, die als
3.2 DAS VORWORT ALS VOR-SCHRIFT
94
95
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
giösen Kontaktaufnahme mit den Göttern, sondern der Kontaktaufnahme mit
dem Publikum. 98 Die Invocatio erweist sich mithin als rituell-performative Äußerung, die sich als Bitte um göttlichen Beistand ausgibt, tatsächlich jedoch phatisch-rhetorische Funktion hat: Sie will sich der Aufmerksamkeit und des
Wohlwollens der Hörer vergewissern. Insofern kann man sagen, daß die Höreransprache auf eine ,Horizontalisierung' der Invocatio zurückzuführen ist, die dann
in die Leseransprache des schriftlichen Vorworts mündet. Kommerell bezeichnet
die Vorrede als "ansprechende Gebärde": als kommunikativen Versuch, mit dem
Leser eine "Verbindung" zu knüpfen. 99 So betrachtet, hat die Leseransprache
primär den Charakter eines performativen Rituals und nicht einer illokutionären
Regie- beziehungsweise Gebrauchsanweisung: Das Vorwort markiert die "Schwelle
des Textes" und wirft (sozusagen als Liminalphänomen) die "question du liminaire" auf. loo Dabei zeigt sich, daß das Vorwort als Zone performativer Überblendung aufzufassen ist, in der sich rituelle, instruktive und indexikalische
Funktionen überlagern. Während die instruktive Funktion darin besteht, den
Leser über die Disposition und das Konzept des Werks zu unterrichten, besteht
die indexikalische Funktion darin, den Leser auf verschiedene Aspekte dieser Disposition im Haupttext hinzuweisen. Das Ritual der captatio benevolontiae, mit
dem der Zuhörer respektive der Leser aufmerksam, gelehrig und wohlwollend gelOI
macht wird - attentum parare, docilem parare, benevolum parare -, ist die Voraussetzung dafür, daß das Prooemium seine instruktiven und seine indexikalischen
Funktionen erfüllen kann.
In seiner Rhetorik bestimmt Aristoteles das Prooemium als "Hinweis auf die folgende Rede, damit man im voraus wisse, wovon die Rede handelt, und der aufcaptatio benevolentiae eine publikumsorientierte, "horizontale" Ausrichtung erfährt. Nach Ehrenzeller ist die Anrufung der Gottheit "die wichtigste Urform der Romanvorrede" (ebd.). Ehrenzeller spricht von einer "vertikalen Vorrede", die mit erhobenen Augen den Himmel anruft.
Das Prooemium bezeichnet er dagegen als "horizontale Vorrede", die sich auf die rhetorische Anrede der Rezipienren bezieht. Während die mittelalterlichen Eingangsverse noch "in beide Richtungen hinausrasten, die Vertikale aber immer noch stärker betonen", tendieren "die Vorreden
zum Prosaroman - Grimmelshausen etwa - bereits deutlich zur Horizontalen" (S. 11).
98 Vgl. Quintilian: Institutionis oratoriae libri XII, Bd. 2, S. 651 (IX, 115 f.).
99 Kommerel1: ]ean Paul, S. 158.
100 Vgl. Derrida: "Hors Livre. Prefaces," S. 24. Siehe auch Maclean: "Pretexrs and Paratexts: TheArt
of the Peripheral", die mit Blick auf die Schlüsselfunktion der Titel von einer "manifestation of
liminality" spricht, diese Schlüssel- und Schwellenfunktion jedoch sogleich zum Charakteristikum aller Paratexte macht: "Of course any part of the paratextUal is in a way liminal. A frame
acts as treshold [...]. Yet the liminal is most easily perceived as being associated with entry"
(S. 275). Eine historische Begründung findet man in Sven-Aage J0rgensens Aufsatz "Warum und
zu welchem Ende schreibt man eine Vorrede?", wo es heißt: "Soll der Leser gewonnen und gelenkt werden, tut man es am besten sofort, am Eingang des Werkes. So ist die Vorrede, die in der
deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts häufiger, ausführlicher und kunstvoller ist als im 17.
und 19. Jahrhundert, obwohl es gattungsbedingte Schwankungen gibt, die Stelle, wo man sich
am schnellsten und leichtesten über die Ängste und Hoffnungen des Autors und über seine nötigen Erinnerungen an den Leser unterrichtet. Der Autor findet aber nicht ohne weiteres seinen
Leser" (S. 5).
101 Vgl. Kositzke: "Einleitung", Sp. 979.
merkende Verstand nicht in Ungewißheit bleibe, denn das Ungewisse verursacht
ein Umherirren. Wer uns also den Anfang gleichsam in die Hand gibt, der bewirkt, daß man seiner Rede folgen kann". 102 Aristoteles setzt das Prooemium der
epideiktischen Rede in funktionale Analogie zum musikalischen Präludium und
zum Prolog im Theater. Genau wie die Flötenspieler, die "das, was sie gerade gut
blasen können", als Vorspiel vortragen, muß auch der Verfasser bei den epideiktischen Reden "zunächst irgend etwas, was ihm beliebt, sagen und sogleich in die
Einleitung übergehen und die Verbindung herstellen" .103 Dieses Herstellen der
Verbindung ist zum einen als Vollzug eines Schwellenrituals zu werten, mit dem
die Kluft zwischen Vorwort und Haupttext überbrückt wird. Zum anderen gründet das Herstellen der Verbindung auf einer degeneriert indexikalischen Geste, die
vom Vorwort aus auf das Thema des Haupttextes verweist. So besehen zeichnet
sich das Prooemium dadurch aus, daß Schwellenrituale und Interaktionsrituale inl04
terferieren.
Dies wird insbesondere bei den Prologen des Dramas deutlich. In der dramatischen Exposition fungiert der Prolog als "Anfangs-Inszenierung" 105, die instruktive
und indexikalische Funktionen einerseits, Schwellenrituale und Interaktionsrituale
andererseits miteinander koppelt. Dabei dient der Prolog neben der Begrüßung des
publikums und der erklärenden Einführung in die Motive des Stücks auch dazu,
den Theaterrahmen zu markieren. Der Prolog ist ein inszenierter Paratexl', der als
performative Geste und degenerierter Index die Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne thematisiert - sei es in Form eines ,Vorspiels vor dem Vorhang',
sei es in Form eines Kommentators, der das Stück als "redende Fußnote" kommentiert.IOG Das Prooemium grenzt in diesem Falle die "endliche Welt der Rede"
von der sie umgebenden "unendlichen Welt" ab, hat also eine "modellbildende
Funktion" im Sinne Lotmans, da es die "Grenzen der künstlerischen Welt" 107 vorführt.
102 Aristoteles: Rhetorik, S. 206 (IlI, 14, 6).
103 Ebd., S. 204 (IlI, 14, 1). Während das Prooemium der epideiktischen Rede aus Lob und Tadel
gebildet wird, haben die Prooemien der Gerichtsrede die gleiche Wirkung "wie die Prologe der
Dramen und die Prooemien der Epen" (S. 205 [IIl, 14, 5]).
104 Vgl. Goffman: Das Individuum im öffentlichen Austausch, S. 97 ff.
105 Neumann: "Der Anfang vom Ende", S. 484.
106 Goffman: Rahmen-Analyse, S. 252. Goffman nennt hier das Beispiel des "Orators", der im Thearerrahmen des 17. Jahrhunderts gleichzeitig als Zuschauer und als Bühnenfigur agiert. Dadurch
wird der Orator zu einem sich selbst beobachtenden Beobachter, der mit seiner Operation der
Selbstbeobachtung Rahmungsgrenzen sichtbar macht.
107 Vgl. Lotman: Die Struktur literarischer Texte, S. 307. Lorman erwähnt als Grenze den "Ral1men
des Gemäldes", die "Rampe im Theater", den "Anfang und das Ende eines literarischen oder musikalischen Werkes" sowie "die Oberflächen, die eine Plastik oder eine architektonische Konstruktion von dem nichteinbezogenen Raum abgrenzen" (vgl. ebd., S. 301).
3.2 DAS VORWOll'T ALS VOR-SCHRIFT
96
97
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
3.2.3 Die Vorschrift als ProtokolIon und Aufpfropfung
Hier ist nun zu fragen: Wie wird der Vorwortakt als "Schwellenritus"10S zu einer
"Inszenierung des Anfangs"?109 Und wodurch wird die Vorrede als "Bühnenrampe
des Romans"l1O zum "szenischen Rahmen des Schreibens"?I11 Offensichtlich dadurch, daß das Vorwort den Akt des Davorschreibens vorführt. Die Aristotelische
Definition des Prooemiums als Einleitung, die uns "den Anfang gleichsam in die
Hand gibt"112, läßt sich dabei so deuten, daß der Vorwortakt das "Erscheinen des
Textes" als Akt des Zitierens und die typographische Verkörperung seiner selbst als
davor geschriebenes Anführungszeichen in Szene setzt. Das Vorwort ist ein "sagen
wollen nach dem Wurf"113, das sich selbst so darstellt, als ob ein "auteur cache et
tout puissant"114 dem Leser einen Text, der in der Vergangenheit geschrieben
wurde, zu einem gegenwärtigen Zeitpunkt präsentieren wolle. Das Pri der Prqace
_ das zeitliche und das räumliche Davor - suggeriert eine Form "offenkundiger Gegenwärtigkeit"ll5, doch dieses Davor ist, wie Derrida schreibt, nur ein "textuelles
Täuschungsmanöver" (feinte textuelle).116 Damit ist der hinlänglich bekannte Umstand angesprochen, daß das Vorwort nur in räumlicher Hinsicht davor, in zeitlicher Hinsicht jedoch zumeist danach geschrieben wird. Wichtiger als die
Feststellung, daß das Vorwort ein "sagen wollen nach dem Wurf" 117 ist, erscheint
mir die Aufgabe zu klären, wie mit dem Akt des Davorschreibens performativ ein
Anfang gemacht wird.
Mit Blick auf diese Problemstellung vergleicht Derrida die Prqace mit dem Protokollon. Das Protokollon ist die Bezeichnung für jene den antiken Schriftrollen aufgeldebte erste Seite mit Inhaltsverzeichnis, die als "anticipation discursive"l1s, als
108 Neumann: "Der Anfang vom Ende", S. 484.
109 Derrida: "Hors livre. Prefaces", S. 57. "Das Inszenieren (Ja mise en scene') eines Titels, eines Anfangs (,incipit'), eines Mottos, eines Prätextes, eines ,vorworts' eines einzelnen Keims wird niemals einen Anfang machen". Unberührt bleibt davon das Problem, daß der Anfang - aber auch
das Ende _ immer "etwas Gewaltsames" haben, "das dem Wesen des Buchs, seiner Idee, aufgezwungen wird" (Mil1er: "Einleitung", S. 7). Vgl. hierzu auch Stadler: "Die Verfügbarkeit des absoluten Anfangs", der die "Gewaltsamkeit des Anfangs" als "Einschränkung" begreift: "Die dem
Autor oder der Autorin offenstehenden Möglichkeiten werden mit der Niederschrift des ersten
Kapitels, ja des ersten Satzes, drastisch eingeschränkt" (S. 64).
110 Ehrenzel1er: Studien zur Romanvorrede, S. 138.
111 Vgl. Campe: "Die Schreibszene. Schreiben", S. 764.
112 Aristoteles: Rhetorik, S. 206 (IIl, 14,6).
113 Derrida: "Hors livre. Prefaces", S. 13.
114 Ebd.
115 Ebd.
116 Ebd., S. 48.
117 Ebd., S. 13.
118 Vgl. ebd., S. 14 f.: "A tel1e anticipation discursive, le protocole substitute le monumenr d'un
texte: premiere page col1ee par-dessus l'ouverture -la premiere page - d'un regisn'e ou d'un en~
semble d'actes. Dans toUS les contextes Oll il intervient, le protocole reunit les significations de
la formule (ou du formulaire), de la preseance er de l'ecriture: de la prescription. Et par san
,col1age', le protokol1on divise er defait la prerention inaugurale de la premiere page, comme de
toUr incipit. Tour commence alors -loi de la dissemination - par une doublure".
Double119 aller paratextueller Funktionen angesehen werden kann: Das ProtokolIon steht synekdochisch für Titelblatt, Inhaltsverzeichnis, Avant-propos, Vorwort,
Kommentar, Fußnote, Register, Appendix. Es ist nicht einfach nur das erste Blatt
oder die Oberfläche (la premiere face ou la sur-face) , auf der sich wie auf einer Bühne
etWas abspielt oder von dem aus sich wie mit einem Fernrohr eine Vorschau (privoir) über den Text gewinnen ließe; vielmehr verkörpert das ProtokolIon die performative Geste paratextuellen Vor-Schreibens: Es verweist als diskursive Spur am
äußeren Rand des Textes auf jene iterative Aufpfropfungsdynamik, der sich der Text
und der Paratext verdanken - eine Dynamik, die allen Akten des Schreibens und
Davorschreibens zugrunde liegt.
Dabei zeigt sich, daß die Dynamik der Aufpfropfung disseminativ und digressiv zugleich ist. Nach Derrida impliziert die Dissemination "eine bestimmte
Theorie _ der wie einem Gang (,marche') von sehr alter Form zu folgen wäre der Digression" .120 Als Beispiele erwähnt Derrida neben den beiden "Prefaces" zu
Rousseaus Nouvelle Hrfloi'se die Vorworte und Einschübe in Swifts A Ttde ofa Tub
sowie die "Appendices" bei Jean Paul. Zugleich faßt Derrida die Dissemination als
Verallgemeinerung der Theorie und der Praxis "der Aufpfropfung ohne eigenen
Körper"121: Das Vorwort gehorcht als Vor-Schrift der iterativen Aufpfropfungsdynamik der Schrift l22 , indem es sich dem "Körper des Buches"123 aufpfropft.
Durch die Kopplung der Begriffe der Dissemination und der Digression wird die
Aufpfropfung als digressives Davorschreiben und Davorldeben faßbar. Der Vorwortakt erweist sich als Collage von immer neuen ersten Seiten, das heißt als sich
davorschreibende Intervention des Autors in Form einer "geste archa'ique du decouper-coller" .124 Durch die prinzipiell unbegrenzte Möglichkeit der Wiederholbarkeit dieser Geste bringt das Vorwort als aufpfropfende Vor-Schrift einen
unentwegten Rahmungsprozeß in Gang - und eben hierdurch ist die pdface incessante 125 ausgezeichnet. Besonders deutlich wird dies an Swifts A Ttde ofa Tub,
wo sowohl der Verlauf der Geschichte als auch ihr Beginn unentwegt durch
davor- und dazwischengeschaltete paratextuelle "Digressions" aufgehalten wird.
Dem "Preface" geht eine "Epistle Dedica1'Ory, 1'0 his Royal Highness Prince Posterity" voraus, der Epistle ist eine Note "The Bookseller 1'0 the Reader" vorangestellt, dieser Note wiederum eine Dedikation "To the right honorable John
Lord Sommers" sowie ein "Postscript" und eine "Apology" des fiktiven Herausgebers. 126
119 Vgl. ebd., S. 37 ff.
120 Derrida: "Buch-Ausserhalb. V01'1'eden/Vorwo rte ", S. 35.
121 Vgl. ebd., S. 19.
122 De1'1'ida: "Signatur Ereignis Konrexr", S. 41. Zum Verhältnis von Vorwort und Digression aus
erzähltheoretischer Sichr vgl. Ansorge: Art und Funktion der Vorrede im Roman, S. 210.
123
124
125
126
Vgl. Compagnon: La Seconde main, S. 328.
Ebd., S. 17.
Vgl. Derrida: "Hors livre. Pdfaces", S. 57.
Swift: A Tale ofa Tub, S. 1-45.
98
3.2 DAS VORWORT ALS VOR-SCHRIFT
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
Halten wir fest: Das ProtokolIon ist als Modell paratextueller Funktionen und
als psycho-semiotische Metapher l27 "größer als das Buch", ja es ist "überall"128
weil es als Vor-Schrift die iterative Dynamik der Schrift an den Rändern des Texte;
:erkörpert und sic~ selbst als Quasi-Anführungszeichen in Szene setzt. Allerdings
Ist das Davorsch~'elben und Davorkleben als a~lfpfropfende Rekontextualisierung
zu verstehen, bel der das
des Vorworts kemen festen Rahmen, sondern eine
fließende Randung ins Werk setzt. Es kann immer noch ein weiteres Vorwort
geben, etwa aus Anlaß einer neuen Auflage, das alle vorangegangenen Vorworte _
einschließlich Haupttext - neu rahmt. Das Vorwort ist eine priface incessante, weil
es durch immer neue, aufpfropfend davorgeldebte respektive davorgeschriebene
Blätter den Rand des Textes in Bewegung hält.
Der Aln des Davorschreibens hat insofern performative Rahmungsfunktion, als
das erste Blatt aufgrund der bloßen Tatsache seines Vorhanden-Seins und seines
Davor-Geklebt-Seins eine paratextuelle Demarkationslinie zieht. Dabei verweist
das Vorwort als Quasi-Anführungszeichen degeneriert indexikalisch auf jene Rahmungsakte, die es vollzieht. Das Vorwort führt einen implizit-deldarativen Sprechakt aus, indem es erklärt, wo das Buch anfängt. Es initiiert aber auch ein Schwellenritual, das der Leser mimetisch nachvollziehen muß, um einen Zugang zum
Werk zu erhalten. Schließlich hat der Aln des Davorschreibens parergonale Rahmungsfunktion, weil die Aufpfropfungsdynamik der Schrift vom äußeren Rand
des Diskurses her - als Vor-Schrift - am inneren Rand des Diskurses - als Schrift
- mitwirkt. Seine Respondenz findet der Aln des Davorschreibens durch das Ritual des Umblätterns: Der Aln des Umblätterns der ersten Seite ist die Voraussetzung dafür, daß der Leser einen Zugang zum Werk erhält. Dabei hat der Aln des
Umblätterns zugleich parergonale Kraft, da er konstitutiv "im Inneren des Verfahrens"129 der Lektüre mitwirkt.
Die Interferenz der performativen, meta-performativen und parergonalen Rahmungsfunktion beim Vorwortakt zeigt sich daran, daß das davorgeldebte ProtokolIon seine Rahmungsfunktion auch dann noch innehat, wenn es unbeschrieben
bleibt. "Werden nicht deshalb", fragt Jean Paul in seinem "Appendix des Appendix" zum]ubelsenior,
vor
zwei leere Blätter, eines an die Vorrede, eines an den Beschluß, vom Buchbinder vorund nachgestoßen, gleichsam als weiße Türspäne zum Zeichen der Immission, zum Zeichen, das nächste Blatt sei ebenso unbewohnt und ebenso offen beliebigen Schreibereien? Doch sind diese den Garten des Buchs einfassende leere Hahas auch die
Wüsteneien, die ein Buch vom anderen sondern müssen, wie große leere Räume die
Reiche der Germanier oder die der Nordamerikaner oder Sonnensysteme auseinanderstellen. 130
127 Derrida sieht das ProtokolIon als "davorgeldebtes Deckblatt" in Analogie zu dem "oberen Deckblatt", wie es Freud im Rahmen seines Wunderblockmodells beschreibt (Vgl. Freud: "Notiz über
den ,Wunderblock"', S. 369).
128 Derrida: "Hors livre. Prefaces", S. 73.
129 Vgl. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74.
130 Jean Paul: "Appendix des Appendix" zum]ubelsenior, Bd. 7, S. 545.
99
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Colgt. Das ProtokolIon als erste weiße Seite wird zur unsichtbaren Grenze,
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1riebenen Vorworte ihren Ort finden können.
ges~~r dem Hintergrund dieser Überlegungen läßt s.ich die These,. daß die Rahmung
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der unterschreibende Verfasser des Vorworts wie
~ el11er" na langlg eeltserIdäru ng"132 durch einen noch nicht autorisierten deldaratlven Ale.t selbst das Rec~1t zu~
schreibt, vorschreiben zu dürfen. Deshalb stellt das Vor.w0rt e111e Zone ~ar, .~n der
deldarativ-autopoetische Alete vollzogen werden - ~kte, die dadu.rch, daß sie geaußert
werden, das schaffen, was sie behaupten, und damit der Produktl~n des Text~Systen~s
durch das Netzwerk seiner eigenen Operationen"133 Vorschub !eJsten. Zwettens: Die
Möglichkeit des Dazuldebens immer n?uer Seiten ist nicht n~lr hinsichtl~ch de.r ersten
Seite gegeben, sie ist auch eine Form, Im Modu~ der colla~lerenden DlgresslO~ unntwegt neue Anmerkungen zu machen und bereits Geschnebenes zu kommentieren.
~ie Inszenierung des Anfangs findet sowohl auf der Ebene der Schrift als auch auf der
Ebene des Trägermaterials statt. Was im letzten Falle als Alet des Davorldebens und Dazuldebens vollzogen wird, erscheint im ersten Falle als aufpfropfendes Davor- und
Dazuschreiben. Dergestalt erfüllt die priface incessante ihre parergonale Rahmungsfunktion sowohl am äußeren wie am inneren Rand des Diskurses.
3.3 Parergonale und performative Rahmungsfunktionen
3.3.1 Kommentar und Zitat
"Was ist nun ein Parergon?" fragt Derrida in Die Wahrheit in der Malerei - seine
Antwort lautet: "Es ist der Begriff der Anmerkung" .134 Nicht nur die collagierende
Aufpfropfung, auch die kommentierende Anmerkung entspringt einem parergonalen Verfahren: Die Anmerkung ist ein Verfahren, ins Werk hineinzuwirken und
131
132
133
134
Bhabha: The Location ofCulture, S. 7.
Derrida: "Unabhängigkeitserldärungen", S. 14.
Luhmann: "Die Form der Schrift", S. 351.
Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 75.
100
so einen Zugang zum Werk zu eröffnen - oder aber ihn zu erschweren. "Wie kann
man", fragt Foucault in Die Ordnung der Dinge, "wenn die Welt ein Geflecht aus
Markierungen und Wörtern ist, außer in der Form eines Kommentars über sie
sprechen?,,135 Der Kommentar ist eine besondere Form der Wiederholung: Er muß
"zum ersten Mal das sagen, was doch schon gesagt worden ist", und zugleich muß
er "unablässig das wiederholen, was eigentlich niemals gesagt worden ist" 136; eben
deshalb legt die Wiederholungsstruhur des Kommentars den Grund sowohl für
seinen eröffnenden als auch für seinen verschließenden Vollzug der performativen
Rahmungsfunktion. Der Kommentar verbleibt, wie Foucault schreibt, "vor der bös.chungsartigen Befestigung des voraufgehenden Textes und stellt sich die unmöghche, stets erneuerte Aufgabe, dessen Entstehung in sich zu wiederholen". 137
Das Besondere des Kommentars besteht nun darin, daß er nicht nur eine Wiederholung, sondern "schon eine Interpretation"138 ist: eine Interpretation, die am
Rand eine schriftliche Rahmungsspur hinterläßt. Das Verfassen historischer Kommentare wird, wie Gumbrecht betont, "von einem Verlangen nach Überfluß getrieben", das sich "auf die leeren Ränder" richtet, "die den zu kommentierenden
'T'
139 Inso f,ern erweIst
..
. unendliche Auf.text umge b"
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SlCh der Kommentar aIs e111e
gabe: Das kommentierende Dazuschreiben ist eine Dynamik, die niemals zu einern
Ende kommt. 140 Zugleich beschreibt Gumbrecht das Verhältnis zwischen Kommentar und Text als parasitäres: Der Text fungiert als ,Wirt', der Kommentar als
parasitäre Wucherung am Rande des Textes 141 , und das heißt als Aufpfropfung.
Dergestalt initiiert das Kommentieren eine digressive Dynamik, die an den Rändern neue Texte entstehen läßt und zugleich parergonal von einem "bestimmten
Außen her im Inneren des Verfahrens" mitwirkt. 142 Insofern zielt der Kommentar
nicht nur auf die Erläuterung des Textes ab, sondern kann im Rahmen seines interpretierenden Dazuschreibens ein neues Werk schaffen. 143 Dabei koppelt der
135
136
137
138
139
140
141
142
143
3.3 PARERGONALE UND PERFORMATIVE RAHMUNGSFUNKTIONEN
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 115.
Ebd., S. 18.
Ebd., S. 117.
Derrida: "Nachwort", S. 222.
Gumbrecht: Die Macht der Philologie, S. 18. Vgl. hierzu auch Assmann: "Text und Kommentar",
S. 30 f., sowie Raible: "Arten des Kommentierens", S. 65 ff.
Gumbrecht: "Fillup Your Margins!", S. 444. Allerdings unterscheidet Gumbrecht im Gegensatz
zu Derrida zwischen einer "never ending task of commentary" und einer "finite task of each interpretation" (ebd.). Für Derrida ist dagegen der Kommentar als Interpretation eine "never ending task" und eben deshalb das Modell der Dekonstruktion.
Vgl. ebd., S. 451: "The closeness between the ,host' text and the ,parasitical' deconstructive disc.ou,;se rea.ches its indeed insuperable fulfillment in the deconstructive claim of their inseparabi!Ity . Alelda Assmann betont dagegen den überschüssigen, supplementären Charakter des
Kommentars, wenn sie davon spricht, daß dieser "als komplementäre Ergänzung zum Text hinzutritt", ja daß er "das Auffangbecken für einen dem Dekorum zuliebe abgespaltenen Informationsüberschuß [bildet]" (Assmann: "Der Eigen-Kommentar als Mittel literarischer
Traditionsstiftung", S. 360.
Vgl. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74.
So heißt es bei Todorov: "Wie kann man einen Text schreiben und dabei einem anderen Text treu
bleiben, ihn unversehrt lassen: wie kann man eine Rede artikulieren, die einer anderen Rede
101
entar die schriftliche Aufpfropfungsbewegung der greife mit den Möglich. ,.,
. D 'd d'
. . der interpretativen Aufpfropfung: In La Dlssemznatzon vertrItt ern a [e
k e [die
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n · ähnele "jenen Radlügrap
.
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(
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eleich Spuren eines Rahmenwechsels sind. Sobald wir nämlich "an dieser tex[ezug
.
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d~g[SC
llen Materie, die hier aus gesprochenen oder geschnebenen Worten gemac
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tue . I' l(['atzen', erkennen WIr
. d'[e BesclHel
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G· ema"ldes [... ] , d as, aus
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Rahmen gegangen, anders gerahmt und nach e111em Bruch 111 e111 se111erseltS
eInem
. '
.
C ß
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f iner Seite zerbrochenes VIereck w[edere111gera I' wur e .
au ~ie Aufpfropfung fungiert also offensichtlich nicht n~1l' als Metapher für die
11 emeine lterabilität"146 des Gerahmten, sondern betrIfft den Rahmen selbst:
g ufpfropfende Wiedereinschreibung bringt unaufllörlich neue Rahmen herl~ da r Rahmen befindet sich in einem mouvement incessant: "Ohne sich selbst zu
vor, e
.,
f,
. h
dC
.
so Wl'e er ist in der Abfolge der SUbStItutIOnen, ormt er S[C un IOrmt
zergen,
'
".
" .
.
sich um [il se forme et se transforme] .147 DIese unaufuorhch~ FormIerung und
Transformierung von Rahmen koppelt das Konzept des modulterenden Rahmenwechsels im Sinne Goffmans an die unaufllörliche Aufpfropfungsbewegung der
riface incessante. Der Kommentar ist ein parergonales Rahmungsverfahren un.d
bat als Modulation interpretative Schlüsselfunktion. Zugleich hat er aber auch d~e
Funktion einer "räumlichen Klammer"148, die in Analogie zum AnführungszelKommentar, der die Ränder des Textes bevölkert und
h n steht. Der parergonalee
c
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d d'
sich in den Paratexten verkörpert, ist, ebenso wie das Anführungszelc en, as le
Ränder von Zitaten markiert und die institutionellen Rahmenbedingungen des Copyright verkörpert, die sichtbare Spur einer Aufpfropfungs~ewegung.
Wenn die Möglichkeit des Herausnehmens und des zttathaften Aufpfropfens
."
. benen Z elC
. h ens ge I10[1'
" . "149 ,ann
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. l'
zur Struktur Jedes
gesprochenen 0 der gesch ne
lS
die Kraft zum Bruch" mit dem jeweiligen Kontext als parergonale Kraft zu begreifen. Das bedeutet zum einen, daß die greife citationelle als iterative Rek~ntex
tualisierungsbewegung der Rahmung und der Umrahmung von Kontexten."lm Inneren"150 aller Verfahren des Schreibens und der Rahmung des Geschnebenen
mitwirkt. Es bedeutet zum anderen, daß die unentwegte Aufpfropfungsbewegung
als Ausdruck der allgemeinen Iterabilität sprachlicher Zeichen Spuren der Rahmung
6.
144
145
146
147
148
149
immanent ist? Aufgrund der Tatsache, daß es um ein Schreiben und nicht mehr.ntlr um ein Lesen
geht, sagt die Kritik etwas, was das untersuchte Werk nicht sagt, selbst wenn s.le behau~tet, da~
selbe zu sagen. Aufgrund der Tatsache, daß die Kritik ein neues Buch erarbeItet, vermchtet sie
dasjenige, von dem sie spricht" (Todorov: "Poetik", S. 106).
Derrida: "Dissemination", S. 404: im Original: "La Dissemination", S. 434.
Ebd.
Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 41.
Derrida: "Dissemination", S. 404.
Goffman: Rahmen-Analyse, S. 57.
Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 32. Vgl. im Original: "Signature Evenement Contexte",
S. 381.
150 Vgl. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74.
102
und der "Umrahmung eines Kontextes" hinterläßt. 151 Diese Rahmungsspuren sind
wie oben bereits gesagt wurde, durch ihre doppelte Indexikalitdt ausgezeichnet: '
können ebenso als genuin indexikalische Symptome der unentwegten Bewegung
des aufpfropfenden Rahmenwechsels wie als degeneriert indexikalische Signale gedeutet werden, die Rahmengrenzen markieren: Anführungszeichen verweisen Vom
Rahmen her auf den gerahmten Anführungskomplex, die "inscription inside", und
konstituieren damit zugleich "a context in which expressions refer 1'0 themselves".152
Anführungszeichen haben mithin den Status von autoreferentiellen degenerierten
Indices: Sie referieren auf das, was sie anführen und auf ihre Funktion als Anführungszeichen, Darüber hinaus signalisieren Anführungszeichen aber auch, daß
das zitierte Syntagma mit dem Kontext, aus dem es herausgenommen wurde, nach.
wie vor in einer existentiellen und institutionellen Beziehung steht. Das Anführungszeichen dient dazu, am Rande der Aufpfropfung "die Schuld gegenüber
dem Gesetz zu signalisieren". 153 Dieses Gesetz ist das Copyright, das im Namen des
Eigentumsrechts die "Notwendigkeit der Indizierung des Eigennamens"154 vorschreibt. Dies betrifft sowohl den Namen des Urhebers eines Textes als auch den
Namen des Buches, also des Ursprungskontextes, dem ein Text entstammt.
Halten wir fest: Anführungszeichen sind Rahmungshinweise, die indexikalisch
auf die iterativen und institutionellen Rahmenbedingungen des Bruchs mit dem
Kontext verweisen. Zugleich setzen Anführungszeichen den Akt des Zitierens als
typographische Performance in Szene, um fremde Rede einzurahmen (encadrer)
und abzugrenzen (isoler) 155: sei es in Form von Guillemets l56 , die Anfang und
Ende des Anführungskomplexes markieren, sei es in Form von Leerzeilen, die das
Zitierte durch typographische Hahas rahmen, sei es in Form von caractere italique, die als drucktechnische Modulation der "intonatorischen Anführungszeichen"157 gelten können. Nach Goffman sollen derartige typographische Inszenierungen nicht nur Rahmengrenzen sichtbar machen, sondern sie eröffnen die
Möglichkeit der Ebenendifferenzierung und der kommentierenden Darstellung
von Rahmenwechseln: "Neben Satzzeichen und Fußnoten, die zum Artikulationskanal gehören, verwendet der Autor auch Klammern, um seinen eigenen Text
151
152
153
154
3.3 PARERGO N ALE
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
VgI. Derdda: "Nachwort", S. 234.
Davidson: "Quotation", S. 37.
Dünkelsbühler: Kritik der Rahmen-Vernunft, S. 74.
Ebd.
155 Compagnon: La Seconde main, S. 40. VgI. hierzu Pantenburg: "Zur Geschichte der Anführungszeichen", S. 29 ff. Zu den Inkonsistenzen beim Gebrauch der Anführungszeichen im
18. und 19. Jahrhundert vgI. Weyers: "Zur Enrwiclclung von Anführungszeichen in gedruckten
Texten", S. 19 ff. Mit Blick auf die Entstehung von Anführungszeichen ist die Praxis des Petrus
Lombardus bemerkenswert, in dessen Kommentaren "die Schlüsselwörter mit hellroten Linien
auf Quecksilberbasis unterstrichen [sind]". IIIich stellt weiter fest: "Er überläßt es nicht dem Leser,
Zi tate zu erkennen, sondern er führt einfache Anführungszeichen ein, um anzudeuten, wo ein
Zitat beginnt, und wo es endet. In den Marginalien gibt er Verweise auf die Quelle, aus der er
zitiert" (Illich: Im Weinberg des Textes, S. 105).
156 VgI. Diderot/d'Alemberr (Hg.): Encyclopedie, Bd. 7 (1757), Stichwort "Guillemets", S. 1007.
157 Bachtin: Asthetik des WOrtes, S. 325.
UND PERFORMATIVE RAHMUNGSFUNKTIONEN
103
, Ebene - in einer anderen Rolle und einem anderen Rahmen · r an d eren
aU f el11 e
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zu kom~ell~t1e~:o~dere für Korrekturzeichen: KorrekturzeichenZu~ldhan~~~: ~yr:Dies gl l' ll1S
hl'nter' den Kulissen verwendeten elC en
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vom Verfasser des
gewöhn1Jc 1, . a a~
'der kommentierenden Bezugnahme auf bereIts eist" .162 Dabei tauc t mit
der Metas rache auf: Während "die Aussage ,Hersehriebenes
auf etwas
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BUC1selte
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1· Analogie zum Bühnentaum ste t.
Gestaltungsraum 111 un mona er
einstel1e~";61d a~e~ aU~7n~:S~~~~;se~~ l~icht
.auc~ ~a~ PI~~~~~:
i~
Haupttexte~ ge~gt
se~bst
3.3.2 Fußnote, Titel, Unterschrift
.,
ale Rallmungsfunktion von Fußnote, Titel und
.
Auch die performatlve und parergonal'
Ancu"hr'ungszeichen Die Fußnote ist
·e
h' Ei 1t' naler An ogle zum II
•
•
Unterschnrt ste t 111 U~l <: 10 11
.
al der Herkunftsort einer InformatlOn
der Ort, an dem auf dIe Que e verWiesen, so
158
159
160
161
Goffman: Rahmen-Analyse, S. 253.
Ebd., S. 254.
Ebd"
Ebd., S. 253.
162 Ebd.
. ' , de Bemerkung ,,[sic]", die bedeutet, "daß ein Z~rat
163 Ebd. Hiethet gehört auch die komdmentlher~nb
F hl r' (odet die gewöhnliche Ausdrucksweise)
.
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nd er sc e111 are"e e
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' d Zitats an die Möglichkeit
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dazugehört, und daß jemand andetes a~ ber ~I a~,~r t :;i unkorrekt, während in Wirklichkeit
Leser könne Anlaß zu der Vermutung a en, as la
der zitierte Text die ~igenschaf: hat" (ebd.,l' m theatrale Inszenierungsformen transformiert und
164 Daß das Buch als sknptographlsches MdedlU
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'I diegen Neues - so ste
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speichert, Ist a el nlc ts gru 1
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derfrühen Neuzett, S. 308). Dei Buchdruc( ~I.O
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benennen, die Einführungen, 111 denen er utor er at,
auszeichnet (Illich: Im Weinberg des Textes, S. 110).
104
3. DIE RAI-IMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
oder eines Zitats nachgewiesen wird, Dies geschieht meistens durch die Nennung des
Autornamens und des Buchtitels, Zugleich ist die Fußnote der Ort, kommentierend
auf den Haupttext Bezug zu nehmen, also von einem bestimmten Außen indexik _
a
lisch in den Text hineinzuwirken. 165 Die Fußnote gehorcht einer digressiven Dyna_
mik, wobei sie degeneriert indexikalisch auf die von ihr kommentierte Textpassage
referiert: Sie ist ein referentieller Zeiger - eine "graphische Geste"166, die an den Rand
des Textes verweist. Dadurch bewirkt die Fußnote zugleich eine Differenzierung Von
Rallmen167, das heißt, sie zieht eine Grenze in den Text ein und macht _ in funktio_
naler Analogie zum Bühnenrahmen - verschiedene Ebenen sichtbar. Dabei überlagern sich in der Fußnote performative und indexikalische Aspekte: Die Fußnote stellt
als degenerierter Index eine Verbindung zwischen dem Haupttext und dem kolUmentierenden Text am Rande her, Der kommentierende Text am Rande verweist seinerseits auf eine Quelle, die sich außerhalb des Textes befindet.
Damit dieser doppelte referentielle Akt gelingt, muß der degenerierte Index als
Teil eines direktiven Sprechaktes betrachtet werden, das heißt als eine Regieanweil68
sung , die einen gerichteten Akt des Lesens initiiert. Die Perfonnativität der Fußnote changiert dabei zwischen Ausführungs- und Aufführungscharakter. Die
Direktive, daß auf die Quelle Bezug zu nehmen sei, hat den Charakter eines explizit performativen Sprechaktes. Die Art und Weise, wie mit den Anmerkungen
in der Fußnote Belegmaterial dem herrschenden "standard of relevance" 169 gemäß
arrangiert wird, ist dagegen Teil einer rhetorisch-argumentativen Inszenierungsstrategie, Darüber hinaus vollzieht die Fußnote als indirekter deldarativer Sprechakt
eine Zusammengehörigkeitserldärung, da sie zwischen der markierten TextsteIle
und dem Kommentar der TextsteIle Kohärenz unterstellt respektive herstellt. Die
thematische Kohärenz verdankt sich dem Zusammenspiel der indexikalischen
Funktion des Kommentars, der auf eine bestimmte Textstelle Bezug nimmt, mit
der dispositiven Funktion, welche als Regieanweisung an den Leser die Art der Bezugnahme steuert, Fehlt eine dieser Funktionen, dann werden die Anmerkungen
zu standortlosen Digressionen. So im Fall von Jean Pauls Feldpredigers Schmelzles
Reise nach Flätz, wo durch ein Versehen die indexikalische Bezugnahme des kommentierenden "Noten-Souterrain" auf den Haupttext fehlschlägt,170
165 Damit leistet die Fußnote einer "visuellen Organisation" der Seite Vorschub, die mit dem Einsatz der Drucktechnik immer ausgefeiltere Formen annimmt. In funkionaler Analogie zu den alphabetischen Indices nimmt die Fußnote eine "Entlastung der Wörter aus dem Diskurs" und
ihre gleichzeitige "Einbettung in den typographischen Raum" vor (Ong: Oralität und Literalität,
S, 124),
Vgl. Neumann: "Theatralität der Zeichen", S, 97,
Goffman: Rahmen-Analyse, S, 253,
Vgl. Rehm: ,,]ean Pauls vergnügtes Notenleben", S, 316.
Grafton: The Footnote, S. 16 f. Grafton untersucht die Fußnote im Kontext der Kommentarfunktion des Historikers, dessen Aufgabe in zweierlei besteht. Erstens soll er alle Quellen erforschen, die für das gestellte Problem relevant sind; zweitens soll er ausgehend davon eine neue
Darstellung beziehungsweise eine neue Argumentation entwickeln, Die Fußnote ist der Beleg
dafür, daß beide Aufgaben ausgeführt wurden (ebd., S. 5).
170 Als Kommentar dieses Fehlschlags schreibt der Vorwortverfasser: ,,[...] ich hatte meine eignen
Gedanken (oder Digressionen), womit ich die des Feldpredigers nicht stören durfte, und die bloß
166
167
168
169
3.3 pARERGONALE UND PERFORMATIVE RAI-IMUNGSFUNKTIONEN
105
,
. der Fußnote, so interferieren auch beim Titel die in,dexikalisch~ und die
WIe bel
F I'
171 D1'e Rahmungsfunktion des T1tels verknupft den
,
I' hd ' " .
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. d em Name11 des Buches und vollZIeht zug elC
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Der
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sClle"172 sondern wird, wie Derrida in Prejuges schreIbt,
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"Ilt oder von den ihn vertretenden Editoren, deren Eiim allge~el~l;i~er~s~ EI~~~:l:~:;~nd garantiert die Identität, di~ Einheit und dide ~r~?gentum
e'sprung
"I'1C1len ,vr'l
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wel ces, das
' er betitelt. Es versteht Sich von selbst, a le
.
zen es U l .
d der Wert eines Titels eine wesentliche Beziehung zu so etwas wie
h I die es sich nun um einen Titel im allgemeinen oder um
Machtbefugnisse ~111l1
dem Gesetz untel la ten, . al . ,
"
173
den Titel eines Werkes, sei es hteransch adel nIcht.
,
f gl' wie es an anderer Stelle heißt, der strengen Bestimmung eines
Der Titel unte11e d , d, d' R dl'nien festlegt".l7 4 Die parergonale RahmungsI 'ehen Co es,,, er 1e an 1
ß ' d G
tapO ~glS
Titels besteht dabei darin, von einem bestimmten Au en 111 aso efunktlon
, ,I
d heißt mit Hilfe einer indexikalischen Geste e111en
rahmte h111e111zu:"ll. (en, S~s h
'om Buchdeckel ab stellt der Titel die äußere
h
zu konstltUleren, 1e l' man v
'.
Ra men WT I da1' we1'1 er den Eigennamen des Buches m1t dem Autornamen
G' nze des wer (es
,
I ß
. D' in1e
s ", Iso degeneriert indexikalisch nach innen und naC1 au en ze1 gt. 1e d
l
as o,zlle.lt, a Funktion des Titels ist grundlegend sowohl f~r die Hy~ot.lese
~on er
dex1kahsche ,
.
."175 I
h für Archiv1erungsmogltchke1t und
B
d rhe1t der L1teratUl
a saue"
.
11' ß
" e~ol~ ~
d "176 des Werkes dem er als ProtokolIon vorangestellt 1st, SC11e, ~es a]'(~~tsco. e d Titel eine~ Rechtstitel', ist also ein juristisches Performatlv,
heh reprasentlerter
,
d
reschrieben oder bear'1' dem der Verfasser sein Eigentumsrecht an em, was e g
d",
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cht In einer anderen Kultur als der unseren 0 er 111 e111.er anbeItel' hat, gelte~~ ma . D ..·d
r tellbar daß das Eigentumsverhältnis und
deren Epoche ware es - so erll a - vo s
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T I mit den
die Bestimmung der Identität des Textes, also das "SpIel m1t dem 1te,
~es.
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mlichkeit in ein besonderes Neben-Maals Noten hinter der Linie fechten m~ndtenN'aus edque . I
I'e man sieht mit ihrer Nummer
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nd Je e ote or ent lIC 1, W
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I1 d f. d H llpt-Manuskripts bezog; ich hatte aber
nuskript zusammen gesc l'l~ en.u
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d · . h bl ß f die Seltenza 1 es rem en a
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bei dem Kopieren des letztem vergessen, 111 el1 eXIl' se .e
h' I'ch Gebrauch davon machen
d ßd' Sachege d rucUWOl d en,e
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[....] Ich habe nur zu e agen, a ~e . I
(h"tt' .chs vor dem Drucke gewußt) wären nicht
können. Himmel! welche fernsten
spie ungen a I
n und welche scheinbare Unangein jeder Texr-Seite und Noten-Nummehr ~u veld"st~dc~ gew_~l:ere der Karten" (Jean Paul: Feldmessenheil' in die wirldiche Gemessen eil' un 111S oten
predigers Schmelzles Reise nach Flätz, S. 1~ f.).
d" 111 en eine entscheidende Rolle
171 Dabei kommt auch hier den drucktechn~sch~nR;hI7e~.be 111g~n ~sychischen Orte'" der Rede
zu. Nach Ong vergegenständlicht das ge ruc ue llC 1 ~e ~v::enstand wobei das Titelblatt den
und wird zu einem aus Buchstaben zusammenge~~tztendLe~ g !' ät S 1'26)
. h " ·1 "lt (Ong" Oralztät un ztera zt , .
Status eines "Warenzere ens el 1a
..
b' ]ean Paul S. 112.
, .
172 Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede von Grzmmelshausen zs
173 Derrida: Pnijuges, S. 39.
174 Derrida: "Titel (noch zu bestimmen)", S. 18.
175 Derrida: Prquges, S. 80.
.
"
.
. Archive ohne Titel".
176 Vgl. Derrida: "Titel (noch zu bestlmmen) ,S. 20. "Ke1l1e
106
Unterschriften, mit seinen Rändern oder den Rändern anderer Korpora, dieses
ganze System der Ral~mung ~nders.un~ mit and~ren konv~ntionellenGar~n.tien"
funktionierte. 177 Derl'lda erwahnt dIe mIttelalterlIche RegulIerung der IdentItat des
Textes, die "der umbildenden Initiative von Kopisten" überlassen blieb respektive
"den Pfropfungen, wie sie durch Erben oder andere ,Autoren' praktiziert wurden
(ob anonym oder nicht, unter individuellen oder kollektiven, mehr oder wenige!'
identifizierbaren Pseudonymen maskiert oder nicht)" .178 Die Frage, wie sich die
Eigentumsverhältnisse und die Identität von Texten bestimmen lassen, betrifft die
Rahmungsfunktion der Unterschrift als Geste der Zuschreibung von Autorschaft
sowie die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen von Autorschaft.
Nach Derrida mündet die aus der Bewegung der Iteration resultierende Führungslosigkeit, der das Lesen und Schreiben ausgesetzt sind, in die Frage nach dem
Autor als dem "Schreiber und Unterzeichner", der die Vaterschaft für das "scheinbar ,in seinem Namen' Geschriebene" reldamiert. 179 Die allgemeine Iterabilität der
Schrift ist der Ausdruck dafür, daß die Schrift "seit ihrer Geburt vom Beistand des
Vaters getrennt ist". 180 Deshalb kann die Schrift auch dann noch wirken, "wenn
der sogenannte Autor des Schriftstücks nicht mehr für das, was er geschrieben und
anscheinend unterschrieben hat, einsteht". 181 Lejeune deutet das Ensemble von
Autorname und Titel des Werkes auf dem Titelblatt als Unterschrift l82 , das heißt
als authentifizierende Beglaubigung einer Identitätsbeziehung zwischen dem
Namen des Autors als Person und dem Namen des Autors als Kennzeichnung der
Funktion Autor. Allerdings ist völlig unldar, welche Aussagefunktion Unterschriften an den paratextuellen Rändern von Büchern haben. Sabry bezweifelt, daß der
Name des Autors im Paratext - auf dem Umschlag und dem Titelblatt _ noch den
Wert einer Signatur hat, da die denotative Bezeichnungsfunktion des Autornamens
als Eigenname völlig "neutralisiert" beziehungsweise "enteignet" zu sein scheint. 183
Dies hat mit der besonderen Schriftlichkeil' der Signatur zu tun:
Die "rätselhafte Originalität" der Unterschrift besteht darin, daß diese einerseits
vorgibt, "absolut einmalig" zu sein, andererseits, um zu funktionieren, eine "wiederholbare, iterierbare, imitierbare Form haben [muß]". 184 Aus semiotischer Sicht
besteht die Pointe der Unterschrift mit dem eigenen Namen darin, daß hier _ und
nur hier - die degenerierte Indexikalität des Eigennamens durch die genuine Indexikalität der Schreibgeste ins Verhältnis einer poetischen Performanz gesetzt wird:
Die Geste des Unterschreibens macht im Akt des Unterschreibens das, was sie
Derrida: Prejugtfs, S. 80.
Ebd.
Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 26.
Ebd.
Ebd.
Vgl. Lejeune: "Der autobiographische Palet", S. 231.
Sabry: "Quand Ie texte pade de son paratexte", S. 90: Sabry schreibt, der Name des Autors werde
"totaIement nelltralise, abrase, iI est depossede de toute signification ,propre' par Ies mecanismes
routiniers de !'edition".
184 Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 43.
177
178
179
180
181
182
183
107
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
,,'
" . S rache artikulierten und als solchen lesbaren Eige?na:
185 Die Signamr reprasennert den 111 e1l1?r p
. . epresenre Ie nom propre, arncule
. .,
h .ß"· la slgnarure au sens propre I'
,
I' I
.d S"
S 46 f) Dabei geht es wese11t 1C 1
men wie es 111 Slgrteponge e1 t."
'
I' 'bl
l' I" (Der1'1 a' Igneponge,.
..
.
dans une langue et 1Sl e comme
dA
' e
. 1'1'''1' l'm AlTt des Unterschreibens. Die
h' . "e
utorelerenna
1a
,
um die Kopplung von Autent 1zl.tat u(n. ,
'bI)'i! est bien celui qui eerit: voiei mon
a thent1fier Si c est POSS1 e l'quJ'e Ie fais donc en mon nom" (ebd).,
[ ],
Signatur".... sengage a u ,
e tel qu on me nomme, e
'"
d' " I' h
nom Je me relere a mOl-mem ,
. I
.
d' I n "erkörperungsmo 1, nam lC
'
. h d' S'
l' I' ZWlSC len zwei me 1a e v'
.
186 Nach Coulmas bewegt SlC le 19na ~ . . al .
h"ndiges Unterschreiben ,authennsche
dem der Schrift und dem der 0alere1: ~le 1st. s ~g~~~ ~Ii raphie (vgl CouImas: Über Schrift,
Schrift', und sie ist als Unterzeichnen e1l1e POlIm. e el. ap gl'111 der Kalligraphie sei, die zwischen
. . d ß die Untersc 11'111' e1l1e 0
.e
S. 139). Coulmas argumennert, a
'b
d d M I s oszilliert. Für die Unterschnrt
d Schrei ens un es a en
I
.
b d·
l' r dar.d1·sierten Elementen eines grap lem1den Verkörperungs e 1l1gungen es .. h'
e I
. h d' S 1 thens1ert e1t aus s al
.
I
ist CouImas zuro ge "l11C l' le y l d ' U
.
h Ibarkeit der Gesamtkonfiguranon a s
"
B d
ondern 1e nvetwec se
schen Systems von e eutung, ':s..
.'
"ra hisches Zeichen".
Gestalt" (S. 140). Die Untersch1'1ft 1st 1l1sofem e1l1 "autog p
187 Derrida: "Limited 1nc abc...", S. 95.
•
188
189
190
191
192
193
,,,,,'
A
Ebd.
" S 88
Sabry: "Quand le texte pade de son paratexl'; ,'. .
Vgl. Poucault: "Was ist ein Autor? (Vorn:ag) ,S."r020.
Iser: "Auktorialität. Die Nullstelle des I?lskurses , S. 240.
Derrida: "Unabhängigkeitseddär~1l1g?n , S. 14.
Vgl. Kripke: Name und Notwendigkeit, S. 107.
108
3.3 PARERGONALE UND PERFORMATIVE RAHMUNGSFUNKTIONEN
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES .
3.3,3 Der Akt der Publikation im Rahmen der Funktion H'
elausge ber
Insofern die allgemeine Iterabilität der S h " f
'
Schrift "seit ihrer Geburt vom B I' l' d d c ,~I l' dei Ausdruck dafür ist, daß di
d' V:
h
es an es vaters getrennt' "194 d
e
le, atersc aft' des Autors an seinem 11 195
, I S t , ementien sie
wortschreiben mit dem "Sprechen des Va;~'~'" ~uglelch setzt ,Derrida das Vor_
nen Anteil nimmt" also c.",'
S I ' gleich, der "an semem Geschrieb
, , , n u semen 0 ln die Ve'
"b'
e'
amlt
einen
Akt
der
ZuschreibU!
11 ' 1
lantwortung u ernunmt"197 und
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19 vo zle 11' Das heißt· D' F l '
d
v~rwan d e1l' sich in die eines Heraus ebers d~r '
" I~ un nlOn es Autors
emem aufpfropfenden Al l' d Z" g
:
Sich als edltonaler Adoptivvater m'
'
( es ltlerens e111es gefund
S h 'C.I "
11'
von Int'
' d b '
enen, c 1'111' ands annimmt
L lteraturgeschichtlich
,1'
.
' ,
elesse Ist a el daß a
'
usgelec 111et Im 18. Jahrhun
d ert, also 111 Jener Epoche in d ' ' h'
der Autor in den meisten Fällel el ~IIc elm ~~phatischer Autorbegriff herausbildetlnlcltas, vater des Text "196' E I '
'
es
In rsc lemung tritt
son d ern als dessen editorialer Ad
' ' ,
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0ptlvvatel Der Her
b" b
'
nlC l' nur ie Rolle des Adopti
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ausge er u ernimmt aber
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vvatels, son ern auch die d 'H b
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. ~I e amme, Er ist die
nstanz, welche bei der Geburt der Z elc
facher Weise zur Welt bringt I" I' I
en , and anlegt, mdem er diese in zwei"fiLI' 1
' lam IC 1 zum
e111en als Fi! d '
d
S"
1 el, zum an eren als Vero rent IC leI' des Manuskripts I d'
Konsequenz der Tatsache d'ß n ~eI-sle~ mnle Ist ~ie Rolle des Veröffentlichers die
, a d el elausge )er 111cht d 'T
d
, d S'
er vater es von ihm herausgege benen Werkes ist sOlld '
Vi
, e i n "nU! er 1'1efVater" 198
ersteht man unter dem Aln d ,p bl'l'
c.'
~us der Hand des Herausgebers ine~ieuH~~~~o~~;le ~-:1era~sgabe des Manuskripts
Ist der Herausgeber die entscheid d ' C ~edegels oder des Druckers, so
S h'
11
en e tlanslOnlllerende
d
'
c nIttste e im technischen AbI u f d Z '
un transmIttierende
~~r das rahmenbildende Protolroall es MUI-Wellt-!<ommens des Buches. 199 Er ist
'
" on am anus (1'1pt
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Zustan Ig, a er auch für die
Vb ermittlung der handschriftli h Z' h
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lese nac 1 der Replikationsregel des D 1 ' b I' ,eg~1 un
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ruc (S m e leblg VI 1 B hl '
olmlert wer en. Der Aln der P bI'I '
e e uc <oplen trans,
u I (a1'1on, verstanden als b
ß Eh'
" ewu te ntsc eldung"
d,as M anus1mpt "zum Druck zu sch'IC1(en "200 markiert'
b' C
emen "Durchbruchsmoment"201 i d 'G 'h' 1
' wie es el ervenka heißt
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es e 11', as anuskript ,zur
we l' zu bringen', besteht seine i! pI"
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vierte xlstenzmodus des Textes " I' 1 d' 'T'
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us es lextes eginnt D' K
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ext- enese eziehungsweise d ,11
Z
'
le ausa ltät der
el ext- eugung erfährt durch den Aln der HerV
'
194 Derrida''" S'19natur E'
< relgnis Kontext" S 26
195 Ebd., S, 40,
,. .
196 Vgl. Barthes: "De l'ceuvre au texte" S 74.
197 D 'd
,. .
198 Vern a: "Buch-Ausserhalb, Vorreden/Vorworte" S 53
g , Cervantes: Don Quixote S 7
"
.
199 Vg,I I"
' Ed'
' ,,
uerzu Kuder:
. "Literatur,mon
un d Reprographie" S 21
d
d'
es E Itors seI "zunächst weder von der d D' I
, , 0 , wo er betont, die Funktion
200 Cervenka: "Textologie und Semiot'l" S ~~5 lUC cers noch von der des Verlegers getrennt".
1 c"
,
201 Ebd., S, 147,
109
be eine ,Entmotivierung', aber auch eine ,intentionale Remotivierung' . Dieo\Llsga
, ,
' d d urch d'le P0I'11'1'1(er
d Ed"ltlon d eterm1l1lert.
,.
, 'Pro
der RemotlVlerung
wu'
zeß
set Bier könnte man mit Bachtin zwischen der "Außenpolitik" und der "Innenpol' '1 "202 der Edition unterscheiden, Der Akt der Publikation als "Einführung in die
;e~t" macht den ,außenpolitischen', die kohärenzstiftende "Kombination der
Elem
"203 den ,innenpolitischen' Aspekt der editorialen Tätigkeit aus, Themaente
'siert und kommentiert wird die Politik der Edition durch paratextuelle Editions~zenen,204 Diese Editions-Szenen spielen sich an den Rändern des Diskurses ab,
'e manifestieren sich in editorialen Indices, die im Vorwort, in den Fußnoten, aber
sl
in den Überschriften zu finden sind und von einem bestimmten Außen her
uch
~uf
die im Inneren des Diskurses wirkenden, parergonalen Textkonstitutionsverfahren hinweisen,
Die Editions-Szenen betreffen die inszenierende Darstellung aller editorialen Ope205
rationen, die mit dem Sammeln und Auffinden von Schriftstücken , also mit der
Konsignation"206 der Zeichen zu tun haben; sie betreffen aber auch alle editorialen
Operationen, die mit dem Arrangement der Schriftstücke, nämlich der Kombination der Zeichen zu tun haben. Die editoriale Konsignation ebenso wie die editoriale Kombination der Zeichen verweist direkt oder indirekt auf die grundlegenden
Editionsmaximen, denen der Herausgeber folgt, das heißt auf die Politik der Edition. Im Falle einer literarischen Herausgeberfiktion wird die Reflexion dieser Editionsmaximen Teil der poetischen Selbstreflexion des Schreibens und konstituiert
dadurch den Rahmendiskurs. Schließlich wird im Rahmen der Editions-Szenen auch
der Akt der Publikation selbst thematisiert. Die Editions-Szenen stellen den "PerfOlmance-Akt der Textwerdung"207, also das Verhältnis zwischen dem Drucktext und
seinen Vorstufen, dar, aber auch die technischen Rahmenbedingungen, etwa die
Übermittlung des Manuskripts an den Drucker. Dabei steht der Aln der Publikation im Spannungsfeld von editorialeI' Aneignung und editorialer Übertragung. Die
editoriale Aneignung nimmt ihren Ausgang bei der Auffindungsgeschichte des Textes, während die editoriale Übertragung mit der Übersendung des Textes an den Verleger endet, Der Aln des Herausgebens transformiert das originale Manuskript in
eine Buchkopie ~ und erst durch diese Transformation wird das Geschriebene zum
Werk. Die Funktion des Veröffentlichungsalm muß insofern in ihrem Zusammenspiel mit der Funktion der Auffindungsgeschichte betrachtet werden, Im Rahmen
der Herausgeberfiktion wird die Erzählung der Auffindungs- respektive der Adoptionsgeschichte zum Pendant einer historisch-kritischen Darstellung der Textgenese,
202
203
204
205
Bachtin: Die Ästhetik des WOrtes, S, 176,
Ebd,
Vgl. Lee: Le roman d editeur, S. 18 ff,
Bei einer Herausgeberflktion schützt, so Vogt, "die Autorinstanz, die sich in Titel, in Vor- und
Nachbemerkungen, Fußnoten zu den Briefen, eingefügten Kommentaren usw, vernehmen läßt,
die Rolle eines vorgeblichen Sammlers, Bearbeiters und Herausgebers von Briefen vor" (Vogt:
Aspekte erzählender Prosa, S, 78),
206 Derrida: Dem Archiv verschrieben, S, 25,
207 Gresillon: ",Critique genetique"', S, 23,
110
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
, Im Vorwort zu Schnabels Insel Felsenbur b .. 1
eIllem Wirtshaus einen Gast beobachtet d'K, ~Ic::e~~e~~er~usgeber, er habe
Sachen las, welche er in einem z
,ei" estan 19 leJenlgen gescl11'11eb(~nf'h'
den kommen ließ" 208 B' . uAsabml~eng~bundenen Paquet selten von
reise wird d'
G
.
. "'Urin."
.
el seIller
überfahren und schwer verletzt D ' H,
b leser, ast von eIller
. el elausge er be1'1chtet:
Ich ließ die Post fahren , und bll'eb bey d'lesern Im
, gr" l' S I
l'
ten, welcher, nachdem er sich um Mitterna ht -2 ?s ~n c l~lerzen legenden Parien.
fort nach seinem Paquet Schriffltell fl'
,c sd elbt elln we111g ermuntert hatte,
h
agte, un so a d m 'h d' lb
s~rac er zu mir: Mein Herr! nehmet und beh 11' d'
pan I I~ lese en gereicht,
vIelleicht füget euch der HiJ
11' d h ,a et leses aquet m eurer vel'wa'h""h_
Ib
nme 11 er urc em Glücke
I I 'I
e en sollen. Hierauf begehrete er d ß
d
zu, we c les lc 1 nicht habe er.
lein lassen sollte, mit welchem er d' a l,uan eIn anwesenden Geistlichen bey ihm
2 . l' h
enn seme See e wohl b r l'
d
eIl' IC e mit dem Ewigen verwechselt hatte. 209
e a en, un gegen Morgen das
Diese Auffindungsgeschichte ist die eines textllellen F'
.
Herausgeber annimmt. Der 'tod d
," l'h
. Illdelklnds, dessen sich der
es ursplung JC en EI
t"
'd
.
unter b1'1cht als kontingentes Erei n"
1]
fI
gen umelS er Manuskripte
der Veröffentlichung münden sog11 ISS J~nenS l'lalns ~rmationsprozeß, der in den Akt
'
. eIlle te e l11mmt nl nd 'H
b
E r besorgt die Einleitung, die Druclde un
d d' V< " I . el erausge er ein:
g
tel' der Herausgeber, beim Durchlesen d g uMn leI ~roffentllchung.210 So berich.
es anus UlptS das'
"1 I' 1 h
. c.
h
cerwelse
lür eIlle alchemistische S h" c. h' 1 " . ' , el zunac 1st ra sc Hb
·
C 1111' le l' sei III Ihm d B . d
h',
le egler e ent rannt
" d lese Geschichte selbst vor dl'e H d
an zu ne men III m" l' 1 0 d
'
og lC 1ste r nung zu bringen, ~nd !ler~ach dem Drucke zu überlassen". 21 {
Die edlto1'1ale Tätigkeit ist dabei durch zw ' S h
el . c wellenmomente gerahmt: Das
erste Schwellenmoment ist die Auffind
J:!erausgebertätigkeit, sie etabliert den ~:rgescl~~~:e. Sie ma:lciert den Beginn der
nerens, durch den der Heraus b d
men U1 Jenen aneignenden Akt des Ziselbst als Adoptivvater instituti~~a~:iel~s ~:~~lie Fi~delkind .adoptiert und sich
e ~ es sich um eIll anonymes textuelles Findelkind, so hat der Heraus b',
Buches"212 zu bestimmen lInd ' ge. el sogar as Recht, den "Taufnamen des
seIllen eigenen Nam
1
'A
te1blatt zu setzen. Das zwel'te S h 11
' en a s zweiter utor auf das Ti"
c we enmoment 1 l' d Al d
Ubergabe des Manuskripts an dei D, l '
s .er ,n .es Druckens. Mit der
Veröffentlichungsakt. Dies gilt au~h ;i.~:.c'~~ee;~fn ~le edlto1'1ale Tätigkeit und der
dem Akt des Druckens ein Protokoll d J. D,
e, III denen ~er Herausgeber nach
men mit dem fehlerhaft gedruckten 'tel lllck~~hlera~lfert1gt, um dieses zusamder Druckfehler muß gedruckt w l,d exbt zu velOffentllchen: Auch das Protokoll
,
,
e en, evor man es v '''ffl I' h 1
1st ZWischen dem nachträglichen p, 1 11 d
elO ent lC en (ann. Hier
er Druckfehler des publizierten TexlOto m
208 Schnabel: Insel FelsenburO" S 11
209 Ebd,
6"
,
210 Vgl. Voßkamp'."Th"
eOlle un d Praxls, der literarischen Fikt· ,
Roman ,Die Insel Felsenburg'" S 131 f.
lOn 111 ]ohann Gonfried Schnabels
211 Ebd" S. 10,
".
212 Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, S, 112,
3.3 PARERGONALE UND PERFORMATIVE RAHMUNGSFUNKTIONEN
111
nd dem editorialen Kommentar der Fehler im unpublizierten ,Original-Ma-
~el~s~~'ipt' zU unterscheiden. So berichtet der Herausgeber im Vorwort zu Schnabels
Insel Felsenburg:
An vielen Stellen hätte ich den Stylum selbst ziemlich verbessern können und wollen,
allein, man forderte mich, die Herausgabe zu beschleunigen, Zur Mundirung des ConceptS ließen mir anderweitige wichtige Verrichtungen keine Zeit übrig, selbiges einem
Copisten hinzugeben, möchte vielleicht noch mehr Händel gemacht haben. Hier und
dort aber viel auszustreichen, einzuflicken, Zeichen zu machen, 2ettelgen beyzulegen und
dergleichen, schien mir zu geHihrlich, denn wie viele Flüche hätte nicht ein ungeduldi213
ger Setzer hierbey ausstossen können, die ich mir alle ad animum revociren müssen.
Nl dieser Passage zeigt sich eine merkwürdige Interferenz zwischen dem Aln des
Zitierens und dem Aln des Druckens: Der Herausgeber begründet seinen Verzicht
auf die Korrektur des Original-Manuskripts mit der pragmatischen Fiktion, er habe
den Druck beschleunigen wollen. Zugleich ist der Verzicht auf editoriale Eingriffe
aber auch als Hinweis auf eine bestimmte Politik der Edition zu werten, die sich
der Treue zum Original verpflichtet hat.
Damit werden zwei Fragen aufgeworfen: Erstens die Frage nach dem Verhältnis
von Autorschaft und Herausgeberschaft bezogen auf den Alu des Druckens. Zweitens die Frage nach dem Verhältnis von Autorschaft und Herausgeberschaft bezogen auf den Akt des Zitierens. Beide Fragen berühren das Verhältnis von Original
und Kopie.
3.3.4 Autorschaft und Herausgeberschaft bezogen auf den Akt des Druckens
Der Buchdruck stellt die "Reproduktionstechnik"214 zur kopierenden Verkörperung und Wiederverkörperung von Ideen bereit, Zugleich ist der Buchdruck einem
Gesetz unterworfen, das die Zirkulation der Kopien steuert, indem es parergonal,
von einem bestimmten Außen her im Inneren der technischen und juristischen
Verfahren der Reproduktion und Replikation mitwirkt. Damit nimmt die Institution Buchdruck eine performative Rahmung auf zwei Ebenen vor: Zum einen auf
der drucktechnischen Ebene, die für die mechanische Erzeugung von ReplicaTaken zuständig ist, zum anderen auf der rechtlichen Ebene, die die Herstellung
von Replica-Token autorisiert.
Bosse weist in Autorschaft ist Werkherrschaft darauf hin, "daß das Nachdruckzeitalter mit der Genie-Periode der Literatur zusammentrifft; als hinge die Herrschaft über die Kopien damit zusammen, daß der Herrscher selbst nicht kopiert".215 Die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Nachdrucks mündet nicht nur
213 Schnabel: Insel Felsenburg, S, 11.
214 Vgl. Benjamin: "Das Kunstwerk", S. 436,
215 Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, S. 10, "Das moderne Urheberrecht enthält vermögensrechr-
liehe Elemente, wie den Anspruch, aus einem Werk möglichst lange Nutzen zu ziehen, und personenrechtliche Elemente, wie die Voraussetzung, daß im Werk die Individualität eines Schöpfers
112
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
in das Copyright, das Recht zum Kopieren wird zugleich mit einer Theorie des 0,'
gina~s und der 01:igit~ali,tä~ begründet,. welche ~o,:"ohl eine ästhetische Theorie d~~
Genies als auch eme Junstlsche Theone des geistigen Eigentums ist. 216 Das C
. ht Ist
. zunac
"11st lcem
' UI'1le berrec1lt, es ist ein zeitlich begrenztes verlegerisch
opy.
rzg
Nutzungsrecht. Eine Veränderung dieses Rechtsverhältnisses tritt erst mit der Fr es
zösischen Revolution ein, die nicht nur zur Erklärung der Menschenrechte al1.
' SOI1dern auch zur "declaration des droits du genie" schreitet. 217 Linguet schreibt in
sei.
nen Betrachtungen über die Rechte des Schriftstellers und seines Verlegers: D'
I:'
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Vierrertlgung
emes uc es, es sey was es für eins wolle, ist eine wahre Schöpft
'
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das Manuscnpt 1st em lei semer Substanz, welche der Schriftsteller aus sich hIl1g,.
, 1l-Herausgeben koppelt die
. Frage nach dem Urheb et·'.
ausgl'b t " .218 D'leses Aus-slc
et
'
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F
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d
re~1lt m emer "orm mlt em Pro~lem der. Herausgabe, daß man den Eindruck ge.
w~nnt, Autorschaft werde durch die Funktlon Herausgeber gerahmt, ja, Autorschaft
sei so besehen nicht anderes als eine Art von ,Selbstherausgeberschaft'. Das bedeutet aber zugleich, daß der Begriff der Autorschaft wesentlich an den Veröffentli.
chungsakt gekoppelt ist - ein Akt, der in der Entscheidung des Autors besteht219
das Buch zum Druck herauszugeben. Mit Blick auf die Definition des Autors i~
Furetieres Dictionaire universel von 1690 stellt Chartier fest, der Begriff "Auteur"
beziehe si~h 11l~r a.uf diejenigen, "qui en ont fait imprimer". 220 Der Begriff der Au.
torschaft 1st mlthm daran geknüpft, daß das Werk in gedruckter Form zirkuliert
während,der Schrei~er, d~r "Scribe": o~ne den Hinweis auf die Drucldegung sei~
ner Schnften definIert WIrd. 221 Er Ist Jemand, "qui gagne sa vie a escrire a co.
. "222
'
pIer.
Neben der Kopplung von Autorschaft und Druckens entwickelt sich im 18,
Jahrhun~ert jedoch auch n?ch ein anderer, emphatischer Autorbegriff, durch den
der Schnftsteller als gottglelCher Schöpfer zum Autor wird. Der Autor als Urheber
ist, so Zed~ers Universal-Lexicon, derjenige, "der eine Sache zuerst anfänget, und
von dem sIe also entweder gänzlich, oder doch grossentheils, allemahl aber anf'angI'lCh , 1lerru"hret "223
I
. U n d auch'm d er Encycwpedie
heißt es über den "auteur odzum Ausdruck gelangt. Diese beiden Momente waren von Anfang an, das heißt seit dem Ende
des 18. Jahrhunderts, präsent: einmal in der Frage des Nachdrucks, zum anderen im Problem des
Schöpferischen" (ebd,), Vgl. hierzu auch Lauer: "Offene und geschlossene Autorschaft" S.463.
216 In eine ähnliche Richtung weist Cortis Versuch einer gesellschaftlichen Rekonstruktiot; von Autot'schaft, wenn sie mit Blick auf die Entwicklung des Urheberrechts einerseits und die Genieästhetik andererseits feststellt, daß erst die Verldammerung von Geniesemantik und
Urheberrecht die Werke "mit ihren Autoren rückgekoppelt" habe, und zwar insofern als Werke
"welche die innovativsten Merkmale aufWeisen, [".] auf die besondere Genialität d:s Künstler~
sC,hließen [lassen]" (Corti: Die gesellschaftliche Rekonstruktion von Autorschaft, S. 32).
217 ZIt. nach Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, En, 21, S, 147,
218 Ebd., S, 10,
219 Cervenka: "Textologie und Semiotik", S. 145, bzw, Cervenka: "Textual Criticism and Semiotics", S. 61.
220 Vgl. Furetiere: Dictionaire universeI, Artikel "auteur" .
221 Chartier: "Figures de l'autelll''', S, 49.
222 Vgl. Furetiere: Dictionaire universei, Artikel "scribe".
223 Zedlers Universal-Lexicon, Artikel "Urheber", S, 1533,
3.3
pARERGONALE UND PERFORMATIVE RAI-IMUNGSFUNKTIONEN
113
. [" er sei. det. et'ste
. , der ein Thema behandle, ohne daß es dafür bereits ein Moglna ~be.224 Der Urheber ist als Schöpfer ~ie p:ima causa sei~les ~~rl~s, und a~s soldeU g . mt l' die gleiche SystemsteIle em wIe Gott. 225 DIe naturhche Vanante,
1er 11lm e I d ' Z
D er Aler
Cl .. ferische prima causa zu sein, ist die Vaterschaft, aso le, eugung.
schop
steht dabei in Analogie zur Vervielfältigungstech111k des Buchdrucks
der Zeugung
.
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horchen als Kopierverfahren emer Rep 1catlOnsrege .
- bel, e' ge.. tl'sche Frage lautet wer das Rec h tat,
h d'lese Rep1'1'
. 1anzuI <:atlOnStege
Die JUliS
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_ nd wie lange dieses Recht, Kopien herzustellen, wahrt. Seit er llU en
wen den
u das allemlge
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'1'lCh un d"ortl'1Ch b e. .rd
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Buch ern a1s zelt
Neuzeit Wl
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226'"
h
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privileg an den Drucker-Verleger verhehen - Junstlsc unentsc le en
gte~bzteds en bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Frage des Büchernachdrucks.
d 1" d R h
blei t ageg
1
rs Universal-Lexicon heißt es zum Thema "Nach ruc c : "as ec t, we In Zedl'Buchhändler
e
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an dem Drucke und Ver age semer ac le at, grun et SIC h
h e1l1 nd Verträge".227 Dieser verlegerische Pakt Wird
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s onsensuellB'
e eZleaU fP acte u
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1d' 1". I: • •
ischen Autor und Verleger gedeutet,228 Der Artikel "Nac 1 tuc c relenelt
hung z w ,
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' ge h"oten,
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d' A ffassung von Birnbaum, der zufolge die
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uroten
ie, u, was ihre eigne Erfindungs-Krafft hervorgebracht, ihr unermüdeter Fleiß
"daSJenlge,
,
" 229
'd N 1d 1 '
,
t Ordnung zusammengesetzt, ihr eigen sey,
Damlt er ac 1 ruc c emes
111 gu e
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' I'1Ch un d"ortl'lCh
Buches als Diebstahl verfolgt werden kann, muß nlC t nur as zelt
. nzte C0'P.'1Iright des Verlegers geschützt werden, sondern auch das Recht des
begte
J
"
Autors,
seine Gedanken
bei "künfftlgen
wie d erh 0 1ten ed'lrungen "230 zu ver1<:au fIen.
Damit wandelt sich der verlegerische Pakt, nämlich der "I~onsens des Autors zur
Veröffentlichung seiner Arbeit", in die Vorstellung vom "Eigentum des Autors an
, . Arbeit".231 Diese Position wird von Fichte in seinem Beweis der Unrechtse1l1er
. 1'" d
mäßigkeit des Büchernachdrucks präzisiert, indem er zwisch en d er M atena
Itat es
224 Diderotld'Alembert (Hg.): Encyclopedie, Bd. 1 (1751), Artikel "Auteur", S. 894...
.
225 Vgl. Zedlers Universal-Lexicon, Artikel "Urheber", S. 1534: "Beyläuffig mercken wir 1;ler mit an,
daß, da alles, was natürlicher Weise geschiehet, nach der Ordnung der ~atur ge~chlehet,.Gott
aber der Urheber der Ordnung der Natur ist, man auch alles, was natürhcher Weis: gesc.hlehet,
ihm als dem Urheber, zuschreiben müsse, Wenn hingegen endliche Geschöpffe Sich die Hervorbringung einer Sache, als die Erbauung einer Stadt, und so weiter, angelegen .seyn lassen, so
sind sie allerseits als ihre Urheber, derjenige aber, welcher zuerst darauf verfallen 1St, oder Hand
angelegt hat, ist als der anfängliche, erste und in engerem Vers rande sogenannte, Urheber derselben anzusehen".
226 Vgl. Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, S. 29.
227 Zedlers Universal-Lexicon, Artikel "Nachdruck", S, 62.
228 So vertritt Justus Henning Böhmer in seinem "Sendschreiben an die Verfasser" (1718) die Ansicht: ,,[.,,] wer ein Werde ausarbeitet, muß auch billig das Recht .des Verla~es haben, ~~' daß er
ohne dessen Consens niemand üben kann" (Böhmer: "Sendschrelben an die Verfasser, S. 682;
zit. nach Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, S. 32). Nach Bosse bereitet Böhmer mit seiner Argumentation, die das Verlagsrecht aus der Autorschaft herleitet, de~ Weg dafür, daß aus dem
Schutz des verlegerischen Copyrights das Urheberrecht des Autors wu,d.
229 Zedlers Universal-Lexicon, Artikel "Nachdruck", S. 61.
230 Böhmer: Zum Geschickten Gebrauch der ACTen, S. 517 f.; zit. nach Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, S, 163 f.
231 Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, S. 33.
114
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
Buchs und seiner Form unterscheidet: Die Materialität des Buches betrifft seine
Verkörperungsbedingungen und Vervielfältigungsmöglichkeiten, also die Replika_
tionsregel, mit der Buchexemplare als Replica-Token hergestellt werden. Diese l11aterialen Buchexemplare können den Besitzer wechseln, die "Ideenverbindung, in
der, und die Zeichen, mit denen sie vorgetragen werden", also die geistige Form,
bleiben hingegen für immer "unveräußediches, angeborenes, unzuveräusserndes
Eigenthumsrecht" des Autors. 232
Während der Hinweis auf das Eigentumsrecht des Autors an seinen Ideenver_
bindungen ein genieästhetisches Konzept von Originalität impliziert, deutet die
Tatsache, daß das Eigentumsrecht des Autors als Recht der "künfftigen wieder_
holten edirungen"233 gefaßt wird, darauf hin, daß Autorschaft durch die Funktion Herausgeber gerahmt wird. Dabei ist die Funktion Herausgeber als RahmeI'
von Autorschaft in spezifischer Weise auf die allgemeine Iterabilität der Schrift bezogen: Autorschaft als Recht an den Kopien des eigenen Werks impliziert das
Recht, sich selbst zu zitieren.
3.3.5 Autorschaft und Herausgeberschaft bezogen auf den Akt des Zitierens
Der Akt des Zitierens läßt sich mit Derrida und Compagnon als Verfahren der Auf234
pfropfung oder mit Goffman als Verfahren der Modulation fassen, wobei die
11'eue zum Original variieren kann, je nachdem, "wie viele Modulationen zwischen
der Kopie und dem Originalliegen".235 Indes entscheiden die (pfropfenden respektive modulierenden) Interventionen, die den Akt des Zitierens begeleiten,
nicht nur über die Originalität des angeführten Materials, sondern auch über den
logischen Status des Diskurses. Das Zusammenspiel dieser beiden Aspekte ist für
die Analyse fiktionaler Rahmungen und für die Analyse der Funktion Autor konstitutiv. Folgt man Jakobsons Auffassung, ,,[j] ede poetische Mitteilung" sei "eigentlich zitierte Rede"236, so stellt sich die Aufgabe, den "eigentümlichen und verwickelten Problemen" nachzugehen, "welche die ,Rede innerhalb der Rede' dem
Linguisten aufedegt".237 Eben dies tut Martfnez-Bonati, der die These von der Zitathaftigkeit der poetischen Botschaft auf das Verhältnis von wirklichem Schriftsteller und fiktionalem Sprecher anwendet. Danach konstituiert sich die Aus-
3.3 pARERG ONALE UND PERFORMATIVE RAHMUNGSFUNKTIONEN
115
d fi1 tionalen Diskurses durch eine Geste des Zitierens als Sich-selbstsageinstanz es I (
.
..
_.
Zitieren.
. tfaltet zunächst eine ArgumentatlOn, dIe 1m wesentllch~3~
Mardnez-Bonatl en d. E' thaftigkeit intrafiktionaler Sprechakte folgt.
hl' R h
d.
A ffassung von er rns
Genettes. Ud d'
del1 Figuren geäußerten Sprechakte sowo Im amen er
h
. h e"239 ,erns.~
. th fte BeDanac. s111 Ie
Is von
auch der narrativen Fiktion als "auth entlsc
.
Im Gegensatz zu Sem'le, der gewissermaßen vom außelen
dramatIschen a
n zu werten.
II
hal' R hhauptung~1 .onalen Diskurses her argumentiert, wenn er a e SP.rec (te 1~40 a .
Rand des I (~I
iskurses als non~deceptive pretended assertzon auffaßt ,almen des fiktionalen D .
, R nd her wenn er erldärt, alle intrafiktionalen
. . Genette vom 1I1nelen a ,
. d
I
gumentlert . . Rahmen der Fiktion ernsthaft - ebenso WIe er vom r~a en
. , 241 Am inneren Rand spielt sich das "dramatische
Sprechakte selen ~ d
f
. mt" 242 Am äußeren Rand stellt
Autor vollzogene <:t er po~e~zs.
I "b das den ReZIpIenten "ge angen!1lm
.
I " 243
~esch.e 1e~ ea 'ach dem Status des fiktionalen Diskurses "in der äußer.en We t Ib
sIch ~Ie Flag n
des Rahmens startet dagegen die "folgende Operation,
a
Vom II1nere~l Rand hl ß . 'co h t 244 Mardnez-Bonati faßt das Wahrhelts- und
. l e I t e Ansc u welt
a.
I . }7 h"
dIe nnens . ) . . bl
.
.h Ib des fiktionalen Diskurses a s e1l1 AO arenzdas ErnsthaftI~keltsptod em 1I1 n.e r . aAussagen des Erzählers als "privilegierte Ausd
.
k
.
d r Figurenre e, wo b elle
bl
pro em
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Rede dieserh
Aussage1l1stanz
"245 e erten S1l1
I <:tlOna Ie
'ann ernst
D'
sagen
zu w d
la~ge ihre Aussagen nicht als inkohärent ersc e1l1en. Ie
genommen wer en, so.
n MaI.tinez-Bonati liegt nun darin, daß der Autor
.
d' Argumentation vo
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.
p0111te
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. ht von außen konstituiert,
son ern von 1I1nen,
.
f'l' n DIS mrses lesen l1lC
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' . von 11m
'1 seIbst erfundenen Aussage1l1stanz zztzert:
indemIer
dIe Re d e emer
h
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.
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d· ch beim lauten Vorlesen erzeugten realen
Die vomyerfasser beIm
fiktiven Erzählers in demselben
Sprachzetchen stehen z~ el I (
I
S .hl ute zu denJ' enigen stehen, dIe Ich
. d
d'
Ir ausgesproc1enen plac a
A
. direkter Rede wörtlich zitiere. Ich nenne
nis, 111 em Ie von ~ .
wörtlich zitiere, wenn Ich Jemandes d ussage I~ d. ateriellen ikonischen Darstellung
diese Sprachäußerungen, deren Be eutl.lng 111 el m
J
"+
246
von anderen Sätzen besteht, P'Seuuosa.ze.
1C~~~Iti~~n°R:~ea~es
Ve:h~lt
.
, , ' d . h Is retended assertions im Sinne von Searle zu verDIese Pseudosatze sm. 11lc. t,,~ ~thentische" S rechakte der dramatis personae
stehen, sondern als "lmag1l1a l a G h' ht ~7 Zugleich nivelliert Martinezinnerhalb der fiktionalen We lt d er esc 1C e.
.
",S. 65 , sowie
. ders'" "Die logische Struktur der
238 Vgl. Martfnez-Bonati: "On Ficrional DIscourse
232 Fichte: "Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks", S. 227, 233. VgI. auch Kants
Antwort auf die Frage "Was ist ein Buch?" (Kam: Metaphysik der Sitten, S. 406).
233 Böhmer: Zum Geschickten Gebrauch der ACTen, S. 517 f.; zit. nach Bosse: Autorschaft ist werkherrschaft, S. 163 f.
234 Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 32, sowie Compagnon: La Seconde main, S. 31.
235 Goffman: Rahmen-Analyse, S. 92. VgI. hierzu auch Benjamins Überlegungen zur Aufgabe des
Übersetzers: "Treue und Freiheit - Freiheit der sinngemäßen Wiedergabe und in ihrem Dienst
Treue gegen das Wort - sind die althergebrachten Begriffe in jeder Diskussion von Übersetzungen" (Benjamin: "Die Aufgabe des Übersetzers", S. 17).
236 ]akobson: "Linguistik und Poetik", S. 111.
237 Ebd.
239
240
241
242
Dichtung", S. 188 ff.
'1'
I " S 44f
'l'
I te
" ,
S .62. f, sowie ders.:
cte,.
.
Vgl. Genette:" PHt!onsa,
. "Fl monsa
"
Vgl. Searle: "Der logische Status fiktionalen Diskurses, S. 91.
Vgl. Genette: "Fiktionsakte", S. 59.
Goffman: Rahmen-Analyse, S. 96.
243 Ebd
.
d
"s 18
244 Luh~ann: "Dekonsrruktion als Beobachtung z:-relter ~r Sn~~~,. .
245 Martfnez-Bonari: "Die logische Struktur der Dichtung,.
.
246 Ebd., S. 188.
M .f
BOllati besteht darin, daß er zum einen
.
d f"
.
h . .. I . d Ansatzes von alt nez247 Die doppelre Sc wlellg ,elt es . ,
d'
f~ I läßt wie aus einem Zitar,
as ur
mit einem inadäquaten Zitatbegnff openert, zum an elen 0 e 1
,
116
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
3.3 PARERGONALE UND PERFORMATlVE RAHMUNGSFUNKTIONEN
Bonati die von Hamburger behauptete Unterscheidung von "Mimesis der
li~hkeit" und "M!mesis der Wirldichkeitsaussage",248 Eben dies ermöglicht es
dIe Rede des fiktiven Erzählers unabhängig davon, ob es sich um eine ErsteDritte-Person-Erzählung handelt, als Zitat zu fassen. Damit führt der llarTatlVe
Akt, der den fiktionalen Diskurs ins Leben ruft, norwendigerweise zu einer Ver,
doppelung der Instanzen. Der reale Autor erfindet beziehungsweise imaginl' ,
d' d
'
.
elt
. F'
eIlle Igur, le as, was sIe sagt, Im Rahmen der Fiktion ernst meint also a
' h spnc
. h t. S0 b ese'h en inszeniert der Autor die eigene Rede als
' zitiene
Ut,
h entlsc
fremde Rede. 249
Deutet man den fiktionalen Diskms in diesem Sinne als Selbstzitat eines real
Autol:s, deI: die Rede einer von ihm erfundenen Erzählinstanz anführt, so verwa~~ ...•.•...
delt SIch dIe reale Autorenrede durch den Akt des Zitierens in Erzählerrede 250~:;
~ie~e Erzählerrede i,st d~shalb auth,entisch, weil sie als Figmenrede im Rahmender'
FlktlO~ ernst gemeIllt ISt. Das heIßt aber, mit dem Akt des Zitierens wird eine
moduherende Nemahmung vollzogen: Nicht nm die Sprechakte der erzählenden
Figuren, sondern auch die des diskmsstiftenden Autors sind im Rahmen des fiktionalen Diskmses als der "fiktive authentische Diskurs eines imaginären Sprechers"
anzusehen: "all fictional discourse is fictive authentic discourse of a purely ima-
ihn "real inauthentische" Rede ist, die "imaginär-authentische" Rede des fiktionalen Diskurses
werden soll ~vgl Martinez-Bonati: Fictive Discourse and the Structure 0/ Literature, 5,78 f,), Der
Grund für dieses Dilemma ist die Charakrerisierung des Zitats als nicht-Iinguistischell Pselld _
satz[es]", dessen Bedeutung "in der materiellen ikonischen Darstellung" (Martinez-Bol;~ti: D~e
logische Struktur der Dichtung", S, 188) eines real authentischen Satzes besteht, wobei di~' Ursa.~I~e se~ner ,Inauthenrizität' in der ,Ikonizität' seiner Darstellung zu liegen scheint, Scheffel bestangt diese Auffassung, wenn er schreibt: "Ein Satz ist ,authentisch', wenn er ,linguistisch' etwas
bedeutet, d. h, wenn er auf konventionelle Weise einen Gegenstand bezeichnet. Er ist inauthenri~c~', wenn er ,ikonisch' eLwas b~deutet, d. h., wenn er das reproduziert, wofür er ein Zeichen Ist (Scheffel: Formen selbstreflextven Erzählens, S, 35). Nach Martlnez-Bonati hat das Zitat
als nicht-ling~ds,~isch~ Re?roduktiOl~ ein~s Iin?uistischen Satzes den Zeichencharakrer eines "gemalten Portrats , es Ist ell1e "matenelle JlwllJsche Darstellung" (Martinez-Bonati: Fictive Discourse and the Structure 0/ Literature, S, 78 f,). In die gleiche Richtung weist auch Scheffels
Paraphrase, wonach fiktionale Rede "als imaginäre Rede" anzLlsehen ist, "die dmch ein pseudove~'bales Ikon re~räsenriert wird" (Scheffel: Formen selbstreflexiven Erzählens, S. 37). Die Kennzeichnung des Zitats als ikonische Darstellung ist insofern inadäquat, als sie die indexikalischen
~spe:ne der Schrift und des Anführungszeichens außer acht läßt. Das explizite Zitat ist nicht nur
Ikolllsch dargestellte Rede, sondern vor allem indexikalisch gerahmte Rede,
248 Vgl. Hamblll'ger: Logik der Dichtung, S. 260, sowie Martinez-Bonati: "Die logische Struktur der
Dichtung", S, 189.
249 Vgl. Martinez-Bonati: "On Fictional Discomse", 5.65 f., wo es heißt: "The real author in this
case, has to be thought of as somebody who is the scribe who writes down a discourse that he
has merely imagined and that he has not imagined as being his own discourse, bLlt the discomse
of a merely imagined person" (ebd.).
250 Vgl. hierzu Martinez und Scheffel, die das Prinzip des Zitierens auf die literarische Kommunikation anwenden, Danach ähnelt die Kommunikation zwischen Autor und Leser dem Zitieren
der Rede eines anderen" (Martinez/Scheffel: .B'infiihrung in die Erzähltheorie, S.
Beim Zitieren "l~~ermittelt man dem Leser Sätze, die jemand anders behauptet hat, die aber nun, im Akt
des ZltJerens, ohne behauptende Kraft weitergegeben werden" (ebd.).
17).
117
nicht vor, von außerhalb des fiktionalen
I ." .251 Der Autor gibt also
, ary spea<:er
.
d'
d '
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'A"llßerung zu machen sondern er zitiert le Re e eIlles I <:tlven
h ens el11e
,
" ß
h
Ra n\ ' d I' innerhalb des fiktionalen Rallmens ernsthafte Au erungen mac t,
SchreI ers, Meartfnez-Bonati zu dem Schluß, daß sich der Autor, sobald er schreibt,
So k~mml:
. rt" respektive "transfiguriert": "Writing a third-person fictional narfiktlO nahIthol'
ISle
If' 252 I nIeSeI'"
d'
er,
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",
fictionalizes and transfigures h'Imse.
irans fiIgura.la tIve , t e, al t sl'ch nun eben J' ene partage, dIe
. laut FoucauIt zur PI,
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, n" ereIgne
. 'ura rtat h er'
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n führt 253 Allerdings erfährt dIe These Foucaults eIlle entsc er.
. 11' h S h 'c
A ssagelnstanZe
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"Ullg' Der Bruch wird dadurch erzeugt, daß der wIr<: IC e c rlItdende uanCler
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' Rede eines fiktionalen Sprechers ,zmert , den er selbst erfun en at, er
11er dle
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'doc h mrt
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. hel'nt als realer Schöpfer seiner Rede"2 , brrngt seIlle e e Je
Autor e r s c "
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' r'ten auktorialen Einstellung hervor, daß es 111C t ,seme e e, son ern
der
' Ien E'IllsteI
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, l11sz
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'nären Person ist,255 Diese InszenIerung
emer
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dIe e1l1er Imagl
II d D' I
"256
, ' Operation mit der sich der Autor an der "Nullste .e es IS mrses
lung 1st e 1 l 1 e ,
.
h
h d A ' "b '
. Al d s Schreibens in einen Scripteur transfigunert. Me I' noc , er utor u er11~1 <:t ~ Doppelrolle'' Er zitiert als,Scri1>teur
die Rede seiner Figuren, und er
1'. .
d
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nimmt e1l1e
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I " ler' Raum" erzeugt 257 der die MöglichkeIt e1l1er I <:t!ven e eXlOn au
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e111 "au <:toIla
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"au <:torra e aum er
das I(onzep t des Schreibens und Erzählens eröffnet. DIeser
I . A
b
h fI" ,
Selbstreflexion ist der Inszenierungsrahmen f~r die Fun <:t.lOn utor, ~ er a~c " UI
die Funktion Herausgeber. Seinen Ort hat dIeser aukt~nale respektive ~dltoIl~le
Raum in der unbestimmten Zone des Paratextes, In dIesem performatlVen Nle-
251 Mardnez-Bonati: "On Fictional Discourse", S. 69. Martlnez-Bonati verwendet die ~llsdrü~ke
dazu werden die Begnffe
B . " fictitious" und purely imaginary" synonym. Imb Gegensatz
" Icltve , " "
h I
,."..
W'·I 19
BI ," nd imaginär" bei Iser jedoch nicht synonym ge rauc t. magll1lar Ist Jene 11 UII ,
" I mv u
"
I'
d
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.
"
.
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die fiktionale Rede im lesenden Bew~ßtsein auslöst. ~i mv un magmar sm a so ut Ise I' kom plementäre und für Martlnez-Bonatt synonyme Begnffe.
252 Martinez-Bonati: "On Fictional Discourse", S. 71.
.
.
253 Das "Transfigurationsmodell" von Martlnez-Bonati ist aber auch an Warnmgs These vom "menierten Diskurs" als verdoppelter Übernahme einer Rolle und an Goffmans Analyse des The~
sz
Maße,
terrah me I1S anscl11l'eßb"I'
" .N"ch
" Warning findet der Mensch seine Identität nm
. in dem
.
. I "lt1
"
dem er sich verdoppelt mittels Übernahme einer Rolle" (Warning: "Der l~lSZel1lert.e DiS ,urs,
S. 203). Diese Verdopplung des Ichs steht in Analogie zu jener Unters.cheldung, .dle Goffman
zwischen dem Schauspieler als Darsteller und dem Schauspieler als Verk01'pe~un~ emer Rolle auf
der Bühne trifft (vgl. Goffman: Rahmen-Analyse, S. 147:. In beiden Fäl:en ISt die Verdopplung
als Modulation zwischen dem äLlßeren Rand und dem Ilmeren Rand elt1es Rahmens aufzufassen, welche die Inszenierungen in der Welt von der Welt der Inszenierung trennt.
254 Vgl. Lejeune: "Der autobiographische Pakt", S. 227.
255 Vgl. Marrinez-Bonati: "On Fictional Discour~e", S. ~: f.
256 Vgl. Iser: "Auktorialität. Die Nullstelle des DIskurses, S. 221.
, .
' ,
257 Mardnez-Bonati: "On Fictional Discourse", S. 66: "This seperate ~'ealm, whl~l~ IS an ,authon~1
space of fictive reflection surrounding the fictive activity of n,anattng and wnnng, can, be easJl~
confused with the real eircumstances of the real author, and It may rese~nble thel~ velY much
(ebd.). Martinez und Scheffel sprechen in diesem Zusammenhang von e.It1~,m "Frelrau~, de~.~en
Ausgestaltung im wesentlichen der Imagination des Autors ü~erlassen ~!eJb.t un~ der "g~undsatz
lich alle Teile der Erzählung [betrifft]" (Martinez/Scheffel: Emführung m die Erzähltheorte, S, 19).
118
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
mandsland wird der Bruch zwischen wirklichem Schriftsteller und
Sprecher als Bruch zwischen Vorwort und Haupttext inszeniert,
3.4 DAS VORWORT ALS ORT DER POETISCHEN REFLEXION
tll{:tlonalern/~il
3.4 Das Vorwort als Ort der poetischen Reflexion
258 Nach Lindner kann sich die Funktion Autor auf zwei Arten selbst thematisieren, nämlich entweder "durch Abgrenzung vom Haupttext (Vorwort, Herausgeberschaft o. ä.) oder durch Reflexion der Autorposition (als Erzähler, Kommentator, autobiographisches Ich)" (Lindner: ,,]ean
Paul oder der ,auktorial subversive' Autor", S. 24).
259 Rieger: "Autorfunktion und Buchmarkt", S. 147.
260 Weber: Die poetologische Selbstreflexion im deutschen Roman des 18. jahrhunderts, S. 19.
261 VgI. Genette: Paratexte, S. 279,
262 Ebel" S. 280.
263 Ebel., S. 279,
264 Ebd,
265
266
267
268
Weber: Die poetologische Selbstreflexion im deutschen Roman des 18, jahrhunderts, S, 20,
Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S, 123,
Genette: Paratexte, S, 275,
Oura: "Roman journale et mise en scene editoriale", S, 5,
. . Is Schau latz von Editions-Szenen implizi~rt eine Rahmungsbe-.
D as VOlwott a
"Pb.
ergang von d en Gelingensbed111gungen ernsthaftet
"
'
d' ich im U
weg ung , le s" ß ren Rand des Diskurses zu den am inneren Rand verkorperten
Sprechakte am au le,
'''269 befindet, Die im Rahmen des Vorwortal,ts voll, h t Fun et10nSWelsen
"
S Ib t
errsc
spiei
e
1 fl'
't
uf diesen Übergang
hin - sei es 111 Form e111er e s"
S
Ibstre
eXlOn
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e
'Zogen 'be
i es in Form einer Selbst111szelllerung:
, ,
beschrel ung, se
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I ml'ch el'n Vorwort schreiben - ich stelle
'I mir
'1mich
'
'b ' Vorwort - lCl
Ich schrei e ,el~l h '1 ' ViOl'wort schreiben sehe _ ich sehe mich, wie lC 1 mlc 1 mir
' wie lC mlcl e1l1
d'
I
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di se
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270
ter den Spiegel gelangt.
3.4,1 Das Vorwort als Ort der Selbstreflexion und der Selbstbeobachtung
Die Reflexion der Grenze zwischen Vorwort und Haupttext ebenso wie die Reflexion
der Interferenzen zwischen Autorschaft und Herausgeberschaft finden im Rahmen
von paratextuellen Editions-Szenen statt. 258 Dabei erlaubt die "Inszenierung der Textrahmen" Rückschlüsse auf die jeweils herrschenden "Konzepte der Autorschaft",259
Zugleich ist die Romanvorrede aber auch der "Ort" und das "Medium" einer "poetologischen Selbstdeutung des Romans",26o Deshalb ist der "Vorwortakt"261 für Genette der paradigmatische Fall dafür, was "Literatur schlechthin" ausmacht, und das
Vorwortschreiben ist "unter allen literarischen Pral,tiken vielleicht die am typischsten
literarische",262 Der Vorwortal,t setzt das "spielerische Selbstbewußtsein"263 der poetischen Reflexion in Szene und wird dadurch zu einem "selbstgefälligen Abbild seiner eigenen Verfahren",264 Mit anderen Worten: Die "Vorredenreflexion" ist der
Schauplatz der Selbstbeschreibung der auktorialen respektive editorialen Tätigkeit.
Sie trägt dazu bei, "ein Bewußtsein von der Geschichdichkeit des Romans" und "von
der eigenen Mitteilungsfunktion"265 zu entwickeln, Neben der Selbstbeschreibung
der Funktion Autor bzw, der Funktion Herausgeber dient die "Vorredenreflexion"
zum einen der Konstitution eines "Fiktivitätsbewußtseins"266 für den nachfolgenden
Text, Zum anderen besteht aber auch die Möglichkeit, bereits im Rahmen des Vorworts ein "schwindelerregende[s] Inkognito"267 zu inszenieren, das sich gleichermaßen auf den nachfolgenden Text und auf das Vorwort selbst bezieht, dann
nämlich, wenn sich der Autor als Herausgeber "tarnt",268
119
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des Haupttextes ansc lle at IS
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Weise erweitert: Das Vorwort stellt das KOdnze~~ jenes ~e:I~~i~s ::sn ~~l~~~~~~~~
stellt ist, Insofern verkörpert das Vorwort as onzep e
"
269
270
271
272
273
Genette: Paratexte, S, 265,
Ebd" S, 279 f.
]akobson: "Linguistik und Poetik", S, 92~
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S, 187,
Derrida: "Hors livre, Prefaces", S, 22,
..
1
120
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
Phänomen",274 Zugleich verkörpert das Vorwort aber auch das Konzept seI'n .
"
er eIgenen Rah mungsfunktron - eIne Rahmungsfunktion, die sich auf halbem We .,
zwischen Bühne und Anführungszeichen befindet: Die Bühne markiert als r'" ge
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~eichen zeigt als logische und typographische Klammer den Bereich an, in dem
Illokutionäre Kraft der zitierten Rede ausgeldammert ist. Das Vorwort verbit d
diese beiden Rahmungsfunktionen: Es markiert einen Inszenierungsraum 1 et
einen Anführungsbereich.
Zweitens: I?er. Umstand, daß das Vor:V0rt als "schriftliche Nachricht"275 immer
auch Vor-Schnft 1st, hat zur Folge, daß dIe Vorredenreflexion als Selbstinszenierun
und als Selbstbeschreibung auftritt, die ein mediales Differenzbewußtsein initial'~
siert. Diese mediale Differenz zwischen mündlichem, handschriftlichem und I
drucktem Diskurs ist insofern von Relevanz, als die Schriftlichkeit der Vorrede e"in·'e- c,""c.
"verdopplung der Sprache in zwei Wahrnehmungsformen" impliziert und dadurch
den "Modus der Beobachtung" ändert. 276 Zwar wird das Vorwort noch metaphorisch
als ,Vorrede' bezeichnet, doch zugleich entwickelt der Vorwortdiskurs ein Bewußt.
sein seiner eigenen gedruckten Schriftlichkeil'. Der Vorredner inszeniert mit den
r~ledi~len Möglichkeiten der Schrift eine quasi-mündliche Kommunikationssitua_
tron, m der Schwellen- und Interaktionsrituale vollzogen werden, Der Vorbericht
al.s A.nsprache an einen fikti:en Le~er findet seine Rücldmpplung in der Vorstellung,
dIe sIch der reale Leser von Jenem Imaginären Autor macht, der als Sprecherinstanz
des Vorwortes auftritt, Da diese Sprecherinstanz jedoch nicht mehr durch direkte
Ansch~uung die rhetorische Wirkung des Textes auf den Leser überprüfen kann,
muß dIese Aufgabe vom Leser selbst übernommen werden. Auf seiten des Autors
manifestiert sich die Selbstkontrolle des Kommunikationsprozesses im Selbstkom277
mentar
und im Einsatz von "Ersatz-Anzeichen".278 Schriftlichkeil' bewirkt also,
daß aus Autor und Leser "selbstbeobachtende Einheiten" werden, die aufgefordert
sind, "sich selbst (und damit auch andere) als Beobachter zu beobachten".279 Gerade der "Kult der Vorrede um der Vorrede willen"28o führt dazu, daß die Beobachtung zweiter Ordnung zur Selbstbeschreibung medialer Differenzen wird.
Drittens: Die Schärfung des Bewußtseins der Differenz zwischen Fiktivität und
Faletizität findet ihren Ausdruck darin, daß es dem Roman von der Mitte des 18. Jahrhunderts an gelingt, "einen eigenen literarischen Wahrheitsanspruch geltend zu machen", und zwar durch die "Auseinandersetzung mit einem präziser gewordenen
Fiktivitätsbewußtsein".281 Dieses präzisierte Bewußtsein wird zum einen durch Stra274 Ebd. Dorr ~eißt es: "I:autopresentation du concept est la vraie preface de toutes les pl-efaces. Les
prefaces eCl'ltes sont des phenomenes exterieurs au concept".
275 Vgl. Zedlers Universal-Lexicon, Artikel "Vorrede", S. 1073 f.
276 Luhmann: "Die Form der Schrifr", S. 358.
277
278
279
280
Vgl. Assmann: "Der Eigen-Kommentar als Mittel literarischer Traditionsstiftung", S. 356.
Ebd., S. 365.
Ebd., S. 366.
Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, S. 17.
281 Berrhold: Fil?tion und Vieldeutigkeit, S. 123. Berrhold weist darauf hin, daß eine historische
Untersuchung der Ausdifferenzierung des Fiktivitätsbewußrseins vor dem kaum zu lösenden Pro-
3.4 DAS VORWORT ALS ORT DER POETISCHEN REFLEXION
121
. d' Selbstbeobachtung in der Kunst"282, zum anderen durch die "Technik der
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des Fiktivitätsbewußtsern geht also ernerserts den Umweg uber dre "hteranscl:e Selbst.1 nung der erfundenen Geschichten"29o, die durch eine Geste "auktonaler Verver. eug "291 in Szene gesetzt wad
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Selbstbeobachtung, sondern auch zur Selbstrahmung durch emen ~et d~.s Selbs~z1l' fahig - mehr noch: Sie kann "List, Trug, Täuschung selbst auf dre Buhne brmta s
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.
" 292
gen und so das, was sie selbst praktIZIert, m SlC se st memcop1eren.
282
283
284
285
286
287
288
2.89
290
291
292
blem srehr nachzuweisen, "ob die Zeirgenossen die als Hisrorien auftrerenden Romane nicht sof~rt
als fiktiv durchschaut haben" (S. 125). Dabei bleiben insbesondere zwei Fr~gen offen. ~rsre;~s 1st
unldar, warum Romane auch im späten 18. Jahrhunderr noch "Beglaublgungstech1l1ken anwandten obwohl die Leser womöglich schon "in der Lage waren, deren Fiktivität zu durchschauen"
(S. 127<Zweitens ergibt sich eine für die Lesegeschichte paradoxale Konstellation. Geh~ man.:lä~
lich davon aus, daß die Authentizitätsfiktion dazu diente, die moralstrengen Romanfell~de f~lr die
Romanlektüre zu gewinnen, und deshalb der Tendenz folgte, die Gattungsgrenze zur Hlstonographie und zur Autobiographie "im eigenen Marktinteresse unkenntlich" zu machen (S. 124.), so
wirft dies die Frage auf, wie diejenigen, die fiktiven Texten mit Vorbehalten entgegel~traten, "durc~l
Romane dazu veranlaßt werden [konnten], auch dann noch Romane zu lesen, als SIe deren Fakt!zitätsfingierungen zu durchschauen lernten" (S. 129). Mit anderen Worten: Die Entwicl~ung eines
Fiktionsbewußtseins ist nicht nur ein aufldärerischer Rationalisierungsprozeß des ästhetischen Bewußtseins sondern auch ein Prozeß permanenter "Verhandlung" mit ökonomischen und moralischen Bedenken gegen das Kunstwerk als reinen Selbstzweck (vgl. Greenblatt: "Kultur", S. 55).
FranIe Narrative Gedankenspiele, S. 63.
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 178.
Ebd., S. 177Vgl. Iser: "Akte des Fingierens", S. 135.
Vgl. Goffman: Rahmen-Analyse, S. 537.
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 415.
Ebd.
Ebd., S. 414.
Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S. 123.
Genette: Paratexte, S. 267.
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 430.
122
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
Was bedeutet dies für das Vorwort der Herausgeberfiktion? Nach Genette erfordert die glaubwürdige Inszenierung einer Herausgeberfiktion "mehr als eine pet:
formative Erklärung": Sie "muß mit Hilfe überzeugender Details ROi1sti'uif.,>'KI
werden; sie muß also gefestigt werden, und das wirksamste Mittel zu diesem
besteht anscheinend darin, ein seriöses VOrwort zu simulieren mitsamt allen Ver~
satzstücken an Diskursen und Mitteilungen, das heißt an Funktionen, die
einhergehen".293 Mit anderen Worten: Das Vorwort der Herausgeberfiktion folgt
einer diskursiven Strategie, die mit konstruierten Ersatz-Anzeichen, also mit inszenierten genuinen Indices, ein "schwindelerregendes Inkognito"294 in Szene setzt,
wobei "der vermeintliche Status ihres Adressanten [gemeint ist offensichtlich der
Absender - U. W] nicht wirklich oder nicht dauerhaft ernst genommen werden
muß".295
Hier stellt sich erstens die Frage nach den Gelingens- und Inszenierungsbedin_
gungen der am Rahmen vollzogenen speech acts hinsichtlich ihrer Ernsthaftigkeit
respektive Authentizität. Zweitens stellt sich die Frage, welche Funktion dem Vorwort bei der Schärfung des Fiktivitätsbewußtseins zukommt, und zwar mit Blick '.
sowohl auf die Grenze zwischen Fiktivität und Faktizität als auch auf die Grenze
zwischen Fingiertem und Fiktivem. Beide Fragestellungen implizieren eine Untersuchung der Rolle der Ersatz-Anzeichen, die als inszenierte genuine Indices sowohl
im Rahmen als auch am Rahmen des fiktionalen Diskurses ihren Platz haben.
3.4.2 Das Vorwort und die Grenze zwischen dem Fingierten und dem Fiktiven
Der Grund, warum Sprechakte im fiktionalen Kontext ihre ilIokutionäre Kraft verlieren, besteht darin, daß der Autor nur prätendiert, einen Sprechakt zu vollziehen,
ohne ernsthaft an die Erfüllung der Gelingensbedingungen zu denken. 296 Die E11I'scheidung darüber, ob es sich um Fiktion handelt, liegt also beim Autor, weil nur
er sich ,ernsthaft' auf eine Überzeugung festlegen kann. 297 Die Fiktion ist dabei ein
"Vorgeben ohne Täuschungsabsicht" (non-deceptive pretending), das Fingieren ein
"Vorgeben mit Täuschungsabsicht" (deceptive pretending).298 Dies entspricht der
von Hamburger getroffenen Differenzierung zwischen dem Fiktiven und dem FinGenette: Paratexte, S. 266.
Ebd" S. 275.
Ebd" S. 265.
Vgl. Searle: "Der logische Status fiktionalen Diskurses", S, 82,
Der Leser entscheidet dagegen darüber, ob das Werk als "literarisch" gelten soll oder nicht, Litel'arur ist die Bezeichnung "für gewisse Einstellungen, die wir einem Diskursausschnitt gegenüber
einnehmen", aber keine Bezeichnung "für eine intel'l1e Eigenschaft des Diskursausschnitts" (vgl.
Searle: "Der logische Status fiktionalen Diskurses", S. 81),
298 "In einem Sinn von ,vorgeben' täuscht man seine UmwelI', wenn man vorgibt, man sei, was man
nicht ist, oder tue, was man nicht tut, Im zweiten Sinn von ,vorgeben' hingegen benimmr man
sich, wenn man vorgibt, etwas zu tun oder zu sagen, so, als ob man dies täte oder wäre, und hat
dabei nicht die mindeste Täuschungsabsicht" (Seal'le: "Der logische Status fiktionalen Diskurses", S, 87).
293
294
295
296
297
123
3.4 DAS VORWORT' ALS ORT DER POETISCHEN REFLEXION
des Fin ierens wird die Grenze zwischen Fak:ischem und.FiktiFall:einer durchschaubaren Fiktion wird dIe
ve11l verschlelert':7 .
leichsam vom inneren Rand her thematISIert. Das FI (Faktischem und. I 1(tI~~%tg nicht wirldich zu sein, denn ,,[z]wischen dem Erzählen
tive ist wahr: ~:{te~ ~~steh~ kein Relations- und das heißt Aussageverhälrnis, s~nlI nd dem Erza .
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nicil~r~~~~:~.:~~t~~~·~;:~·o~~:le;t::~~h;iftlichfixie~·ten
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h Is Her'ausgeber oder als großzügiger Bearbel.
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I n Ja er WI nur noc a
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zu Dokumenten
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f ungleren
' . " .305 Ungeklärt bleibt dabei allerdmgs Ie rage,
tel' von
299 Hamburger: Logik der Dichtung, S. 113,
300 Ebd., S. 247,
,
",'
Mimesis der Wirldichkeitsaussage" (Hamburger:
301 Ebd. Für H,amburger Isr das F~lg~e::~:~:~~lb ist die fingierte Wirldichkeitsaussage nicht ,,,ec~t".
Lorrik der Dichtung, S, 260), un e e
l A b ' Ir" (ebd S 247) echte Wlrklrch'"
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' e c 1tes ussagesu Je,
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Während in der Iynsc 1en attu~lg em{I E a"Ilung mit einem Aussagesubjekr zu run, das unkeitsaussagen macht, hat man es m der c 1- firzl ~
E' "Ilung dagegen macht ein erfundenes
,
.
1 I fi 'rr In d er Hl'IVen < rza 1
echte Aussagen mac 11', a so mgle " b. d . h die offen eingestandene Nicht-WirklichkeIt
Aussagesubjekr unechte Aus.sag:n, dIe a el UIC
des Erfundenen ihre EchrheIt WIedererlangt.
302 Ansorge: Art und Funktion der Vorred~ im Roman, ~,75i in Vorwort und Nachwort" gerroffe303 Ansorges Typologie ist ~Is :eite.re~lwI.cldu:~~e~o:in~~~;tg fil~gierten und zweideutigen VOl'wornen Unterscheidung ZWISC en em eUl'llg ,ec h' Vi' rr ein Autor als Mittler zwischen der
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I d w; I als Rahmenfigur an Stelle des wll'k,
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d N I , " S 351ff) Aufg1'l1nd der haufigen
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haltung" als die des Fl11glertsems, ge lren ,a as I nlv: I Vi
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Fiktion zu erkennen gl'b t, ebenso ec hit
l' s wie ein auktona es orWOlt.
304 Ansorge: Art und Funktion der Vorrede im Roman, S. 45,
305 Ebd" S, 46.
124
3, DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
warum der fingierte Herausgeber dergestalt in seine Rolle schlüpft, daß sie "seinel
wirklichen Status, nämlich den des Verfassers und Autors, niemals
ver~
deckt",306 Beim dritten Vorredentyp wird eine fiktive, ,gedichtete' Figur als
denverfasser eingeführt, Diese als ,Herausgeber' bezeichneten oder mit
Namen versehenen Vorredner fungieren nach Ansorge "stets als Herausgeber lInd
Erzähler zugleich und stehen mit der Romanwelt in irgendeiner Beziehung",307
Prototypisch verkörpert wird diese Form eines Herausgeber-Erzählers in Goethes
Leiden des jungen Werthers,308
Für Ansorge wird die Trennung zwischen Herausgeber-Rolle und Herausgeber"
Figur zur Folie einer historischen Argumentation, die offensichtlich die Weiter_
entwicldung vom Fingierten, Unechten zum Fiktiven, Echten feststellt. Demzu_
folge kommt es bei der Herausgeber-Rolle "lediglich auf den naiven Beglaubi_
gungsversuch und das einfache Illusionierungsbestreben" an, also "auf einen _
wenn auch kaum jemals ernst gemeinten - Täuschungsversuch", während die Entscheidung für die Herausgeber-Figur "den Willen des Dichters" widerspiegelt, "den
Vorredner zum Erzähler zu erhöhen, ihn damit zu einer Figur der Romanwelt zu
machen und ihn möglichst von jeglicher Bindung an den realen Autor und an die
tatsächliche Wirldichkeit zu lösen".309 Der Übergang von der fingierten Herausgeber-Rolle zur fiktiven Herausgeber-Figur ist als fiktionalisierende Modulation
der Tendenz zur "Verwahrscheinlichllllg" zu deuten 3IO , wobei das Prinzip der "internen Stimmigkeit" zum Leitprinzip der Textproduktion und der Textrezeption
wird. Demgemäß ist die historische Entwicldung der "romanhaften Vorrede" von
der "Verdichtung des Vorredners vom Autor über den Erzähler bis zur Figur" geprägt, d, h. von der "Verdichtung der Vorredenwelt von der realen Wirldichkeit
über den fiktiv-realen Zwischenbereich bis zur völligen Fiktion", 311 Dabei geht Ansorge allerdings davon aus, daß der Vorredner in der Herausgeber-Rolle - im Gegensatz zur Herausgeber-Figur - seinen "Status als Autor" beibehält:
Mit der Herausgeber-Rolle projiziert sich der Autor in das sieh aufbauende Fiktionsfeld der Briefroman-Vorrede hinein, ohne jedoch die deutlichen Konturen des wahren Verfassers einzubüßen oder einbüßen zu wollen, Es geht dem Autor in der
Herausgeber-Rolle, genau wie dem wirklichen Autor in der Vorrede, in erster Linie
um seine Person als Dichter, um sein Werk, dem er Lob und Gerechtigkeit zllteil werden lassen möchte, und, hier als Novum zu betrachten, um den naiven Versuch, die
Illusion der Echtheit der Briefe, der Wahrheit des berichteten Geschehens und der
Wirklichkeit der in Korrespondenz stehenden Personen mit wortreichen Beteuerungen hervorzurufen,312
306
307
308
309
310
311
312
Ebd,
Ebd" S, 78,
Ebd" S, 53,
Ebd" S, 79,
Benhold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S, 149,
Ansorge: Art und Funktion der Vorrede im Roman, S, 33,
Ebd" S, 77.
3.4 DAS VORWO RT ALS ORT DER POETISCHEN REFLEXION
125
ß bezweifelt werden, denn je naiver der Versuch ist, die Il' se Einschätzung
muerzeugen, d es t 0 gro"ßer ist die Wahrscheinlichkeit,d daß der
Dle
h h 'I' zu
h
IL1sio n ~er Ec .: ~~hun sversuch durchschaut, Gerade die Naiy,ität. wäre, e~n~c
Leser d~esen i~udaß d~' Täuschungsversuch nicht ernst gememt. Ist, Dle,~et Em:
ein IndIZ ,dt u~, h auch auf Genettes Behauptung, die "glaub,:ürdlge ,~usf~?rung ,
wand bezle 11' Sl~ 'fiktion erfordere "mehr als eine performatlv~ Erldarung , ,~s seI
einer Herausge. el I '''ses Vorwort zu simulieren".313 Ein "senöses Vorwort sagt
daher nötig, :,el~bse~'ld' Beziehung zwischen ihrem Autor und dem folgenden
,:Y::~~I~i~~tati~~
V~rworts ~mpliziert
d~r A~~~~
"die
eines seriösen
mithtf,dtß
Text,
ob er die Wahrheit über seme BeZIehung zum nac o,gen en ,
nll1' so tut" als 111' sich die Frage, wie sich das deceptive vom
sagt, Dab~1 ste , F'
die nicht nur die ErnsthaftigkeIt beIm Vollzug emes
unterscheIdet. Edm~ tag~ d' e Ernsthaftigkeit beim Simulieren eines Sprechaktes
Sprechaktes, son etn auc I
n~nde:epttvepreten~zng
berLihrt,hAt' mu ß man b'
dem
"bloßen
elm S0-l1Ull - Als-Ob (pretence) zwischen
,
'd
h
Nac ~s~~_Verhalten" (mere-pretence-behaviour) und ?er "S~mul~tlon es e~, .~
So-Tun-Als
' b eh
'
'lated) unterschelden. 3 5 DIe GlaubwUt
h I " (genuzneavtDur-szmu
d
1
ten V~r a tens 1 Als-Ob-Verhaltens hängt vom Aufwand ab, mit dem as, ec l~e
digkelt des :o-T~I.- "d Mit anderen Worten: Es gibt unterschiedliche "sltuatlVerhalten slmultett WH ,
h' dl' 1 So-Tun-Als-Ob-Verhalten erfor,
d' "in denen untersc le 1C les
"
'
ons of pteten, mg , dl
d S l1un-Als-Ob-Situation ist, daß das "offentltche
. I' D Grun age er 0.
d'
derhc lIst, le d'
d'
I'rldl'che Intention zu verldeiden beziehungsweIse le
H
h I "dazu lent, le w
'1 f
d
ver a ten
,"
l' . n" 316 Der Unterschied ZWIschen ernstla tem un
",,:ahr~ Intentl~~_;~~'~~~~~~~äl~gtwesentlich davon ab" in w~lcher, Form m~n
splelellschem
1 b
h will Austin unterscheIdet hIer ZWIschen "pledas publikum etwas1? aUbel~ m~,c3Ie~Das' pretending" betrifft primär den illoku1 1 d'
d ' " nd maGng e l e v e , , ,
ten
u"
.
b eleve
I' "den perlokutionären Aspe (1', aso·h 1le
' "1l1g A
l t das ma IGng
uO,naren auf
spe<:,
1"
318 D'e
WIrkung
das Pub 1'I{lIm.
I Frage nach der Ernsthaftigkeit von Sprec H-
313 Genette: Paratexte, S, 266,
C
,
d dein Vorwort orientiert sich dagegen
'I
dem VorWOl'tvenaSSel un
f
,
, I
314 Ebd, Die BeZle1ung zWlsclen,
'fc S " 't"t' ulld Authentizität' verweisen also au
",,'
D
Begrl
le
ellOSI
a
,
am Begriff der ,Auth entlZltat, le
,
'A I
"t"t' bezeichnet das BeA I · d ' ZuschreibungsfunktlOn, , ut lentlZI a
,
zwei verschiedene spe cte el
f s" '", d Bekenntnis zur Verfasserschaft des nachkenntnis zur Vorwort-Verfasserscha t" ellOSltat as
folgenden Textes,
315 VgI. Austin: "Pretending", S, 208 f,
316 Ebd" S, 216,
317 Ebd" S, 214,
, d
hiedlichen Formulierungen "pretending
318 Diesel' Unterschied findet nach Austidn 111 ern uFntel1rsc
pl'etending that" liegt die Betonung
1
'
'"
I Aus ruc { m a e von"
,
that" und "pretend 111g to se111e 1
"
I
f' em kognitiven Zustand" (Austln:
'
d r Erinnerung a so au e111
"
auf dem Verbergen von W Issen 0 e
,
b" d
ake-believe" weil man eine be',,,d
d ' "s 217) H' , ibt es auch e111e Ver 111 ung zum "m
"Preten 111g"
,lei g cl ," I t illd e111e
'd
' slmu
' 11' eI't , rln Fall des " pretendll1g to ,aan eie
stehende Ü berzeugung unter .1llC { I
I 'ß
b' Al t1'Il' [ ] topretend that you are 111
' " I I
or S0 lei t es el I s ,,, ",
gegen täuscht man nur eill ver la ten v,
h
' t to pretend to be in love with her
love with hel' is to dissemble your aware1:ess t at y~u aIe no ,
is to dissemble your indifference or averSIon to her (ebd,),
126
3.4 DAS VORWORT ALS ORT DER POETISCHEN REFLEXION
3, DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
l Signalen aufgerufen werden. So bezeichnet das Fiktionssignal nicht etwa die
elen
,
.
1 del
F'ktion schlechthin, sondem den ,Kontrakt ZWischen Autor und Leser, dessen Rege326
1 eil den Text nicht als Diskurs, sondem als ,inszenierten Diskurs' ausweisen.
1ung
ten im Kontext des fiktionalen Diskurses erfährt damit eine UmLol'l I'
d
h' h
11
TIU lenUl
enn es ge t nlc t mehr nur darum, ob der Autor beim fiktionalen So- 'T' Arg,
Ob T" 1
b . h
.,
lun- s
.. ausc lUngsa SIC ten h~t, sondern ~lmgekehrt darum, ob der Rezipient d"
Tauschungsversuche ernst lllmmt oder 111cht.
le
3.4.3 Die performative und indexikalische Funktion der ,Selbstanzeige'
Hie~' ~tellt sich die Frage, aufgrund welcher Anzeichen oder Ersatz-Anzeichen der
Rezipient erkennt, daß es sich um ein So-Tun-Als-Ob ohne Täuschungsab' 1ten
handelt. Iser unterscheidet mit Blick auf das fiktionale So- Tun-Al -Ob s~c lh
. M" l' hl'
Al
..
S
ZWISC en
zwei og IC eetten, ete des F111glerens zu vollziehen nämlich eitlmal als I ..
l'I.slerung,
.
"d as 1lei'ß ta1s "Uberführung
..
'
" llea·
wiederholter lebensweltlicher Realit"t" ,
el~.en
~ea.lität
an;ere~~
Kontext,
in dem
kopierte
Zeichen fürdes
etwas
wad. Zum
anderen
kanndiese
der Alet
des F111glerens"zum
als "Realwerden
Imagit ". "
vollz
d
d h'ß
.
.. b
laien
ogen wer en, as el t, er ISt"U erführung des Imaginären in die Bestimm
heit von Zwecken".319 Iser zufolge ist es ein Kennzeichen der Literatur daß i . ~
durch ein Signalrepertoire als fiktional zu verstehen gibt" und daml't'"
.s e sdlc
. L'
. 320
anzeigt, aß
!ser zufolge wird der Unterschied zwischen dem täuschend
sie Iterat~r Ist.
und1dem
111cht-täuschenden
So- Tun-Ais-Ob durch einen Alet dei' "SeIbsanzeige
t
. ,,~~~
d' .
.
mal' e~~rt, le e111e "Entbl~ßung"322 der Fiktion als Fiktion vornimmt. Mit dem Ah
~ntblo~en?er Selbs~an~elge ändert sich der Status des Fiktiven radikal gegenüber
Jenen FlktlOn~n, "die. SICh als solche nicht zu erkennen geben".323
..Problematisch bel.Isers Versuch, das Fiktionsbewußtsein als Folge der eiltbl~ßen.den Selbstanze~ge zu erklären, ist, daß er die indexikalischen und die perfo~matlven Aspekte dieses Alets unberücksichtigt läßt. Unldar bleibt nämlich ob
m.tt dem Akt d~r entblößenden Selbstanzeige ein "Fiktionsvertrag"324 geschlo~sen
w~rd oder ob die Selbstanzeige lediglich als "Fiktionssignal"32 5 fungiert. Nach I .
~~
~
im !ext markierte Fiktionssignal [...] erst zu einem solchen durch bestimmte historisch
va1'11erende Konventionen, die Autor und Publikum teilen und die in d:n entspre319
320
321
322
Iser: "Akte des Fingierens", S. 124.
Vgl. ebd., S. 135.
Ebd., S. 136,
Ebd.
323 EFbd · ~a, wo d.ie Entblößung unterbleibt, "geschieht das mit Rücksicht auf die Erldärungs· und
un d lerungs1eJsrungen, die die Fiktion zu erbringen hat. Dabei muß dei' "ei' I' h· f d' E
bl"ß
I' h '
VI Z C tau
le nt~ u.ng noc 1. l11C t ell~mal einer Täuschungsabsicht entspringen; sie hat allein deshalb zu untelbleIben'"weIi sonst die GeltU~lg der :rbrachten Erldärung bzw, Fundierung in Mitleidenschaft
gezogen wwde. In der Verschleierung Ihres Status gibt sich eine auf Erklärun b d h F'I'
den An h '
R I"
d
'
g e ac te I (uon
.
sc e1l1 von ,ea Itl1t, en Sie in diesem Falle allerdings auch braucht, weil sie nur so als
uanszendentale Bed1l1gung der Konstitution von Realität funktionieren kann" (ebd)
324 Vgl. Genette: Paratexte, S, 209 f.
..
325 Iser: "Akte des Fingierens", S. 135
127
\.:.• :.'•
i•.·
:
f
I.
r
•
. Behauptung, das Fiktionssignal "bezeichne" den "Kontrakt" zwischen Autor
IsetS
. h nen d e e111es
.
P'l'
" me111es E rach tens
dIeser sei also d as Bezelc
I etlonsvertrages, Ist
un d;ei Gründen problematisch. Erstens hat ein Kontrakt einen anderen Status als
aUS
. 1m~mlsslver.
.. Sprecha1.et, e.111
. S'Ig.~a1dagegen. e111
. deein Signal. Ein Kontral
et'Ist .e111
erierter Index. Deshalb Ist zweitens fragItch, ob e111 Signal uberhaupt e111e verg~~11iche Beziehung zwischen Autor und Leser stiften kann, da es als Fiktionssignal
tr gI' indexikalisc1
'
F'l'
. d'lesen ~vertrag
Tb
1 au f
. e111en
I <tlOnSvertrag verweist,
a er '
nlch t zu;~~ch performativ .ausführt. Geht ~an davon au~, daß Fi~etionssig~ale~~e ?leic~e
Funktion haben Wie Anführungszeichen, so verh111dern sie sogar die MogItchkett
ernsthafter Vertragsabschlüsse, da sie eine illokutionäre Entkräftung anzeigen. Dadurch verlieren die Sprechakte am Rahmen aber auch ihre Kraft, dem Leser ernst
zunehmende Instruktionen zu geben oder mit ihm ernst zu nehmende Kontrakte
abzuschließen. Hieraus folgt drittens, daß das Fiktionssignal nicht auf ein außerhalb des Fiktionsrahmen liegendes System von Konventionen verweist, sondern als
autoreflexiver Rahmungshinweis zu verstehen ist: ein Rahmungshinweis, der als
Akt entblößender Selbstanzeige performative und indexikalischer Funktion hat.
Die performative Punktion entblößender Selbstanzeige besteht darin, daß sie eine
Differenzierung zwischen dem Fiktiven und dem Fingierten einführt und dadurch
einen modulierenden Rahmenwechsel vollzieht. Die indexikalische Funktion entblößender Selbstanzeige besteht darin, daß sie diese Modulation als autoreflexives
Fiktionssignal markiert, Was seine performative und indexikalische Punktion betrifft, steht das Fiktionssignal als Al<t entblößender Selbstanzeige in Analogie zum
Vorwortakt. Auch das Vorwort erfährt, sobald es in den fiktionalen Diskurs integriert wird, eine illokutionäre Entkräftung, gewinnt dadurch jedoch an indexikalischer Kraft: Das Vorwort ist ein Quasi-Anführungszeichen, das als degenerierter
Index autoreflexiv auf seine Rahmungsfunktion verweist.
326 Ebd. Bezüglich seiner Verwendung des Ausdrucks "inszenierter Diskurs" verweist Iser einmal auf
Warnings Bestimmung des "inszenierten Diskurses", wonach der fiktionale Diskurs "über den
illokutionären Modus eines Als-ob-Handelns" im Sinne "spielerischen HandeIns" zu beschrei·
ben ist (Warning: "Der inszenierte Diskurs", S. 191). Zum anderen stützt sich Iser aufEco und
behauptet, daß "ein fiktionaler Text seinen eigenen Code inszeniert" (Iser: Der Akt des Lesens,
S. 114). An der von Iser erwähnten Stelle spricht Eco allerdings nicht explizit vom Inszenieren
~ vielmehr heißt es dort mit Blick auf die "Poetik des Neuen" der Genieästhetik und der Idassi·
sehen Avantgarde, "Das Werk ist die Begründung der nie dagewesenen Regeln, auf die es sich
stützt; aber umgekehrt kann es nur für den kommunizieren, der diese Regeln schon kennt, Daher
rühren die vielen Vorerldärungen, die der Künstler über sein Werk geben muß" (Eco: Einftihrung
in die Semiotik, S, 264 f.). Die Inszenierung des eigenen Codes erfolgt entweder dadurch, daß
das poetische Konzept seitens des Autors durch seine "Vorerldärungen" explizit gemacht wird,
oder dadurch, daß der Rezipient dieses poetische Konzept aus der Organisationsweise des Werkes erschließt. Im Fall der expliziten Leseanweisung hat die "Vorerldärung" den Charakter eines
direktiven Sprechakts. Im zweiten Fall ,sagt' das Vorwort etwas anderes über den Text, als sich
indexikalisch am Text zeigt.
128
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
3.4.4 Fiktionalität im Kontext von Autoreflexivität und Metafiktionalität
Die ~erücksichti~ungder perfonna~iven un~ i~dexil~alischen Funktion fehlt nicht
nur 111 Isers Ause111andersetzung mit dem FiktlOnssignal, sondern auch in seill.d;~,
Auseinandersetzung mit dem Konzept der Autoreflexivität. Iser begründet die A~I}~.;
toreflexivität fiktionaler Rede zum einen damit, daß ihr "die Verankerung in dI."
Realität und in einem Situationskontext fehlt"327, zum anderen mit der Autotef~I""::
rentialität fiktionaler Rede als Repräsentation von "ikonisch organisierter" Rede. 328
Mit Bezug auf Ecos Definition des ikonischen Zeichens als "Modell von Bezie'!~
hungen"329 argumentiert Iser: "Die ikonischen Zeichen fiktionaler Texte vetkör':":2~
pern daher eine Organisation von Signifikanten, die weniger der Bezeichnung VOll
Signifikaten dienen, sondern vielmehr Instruktionen für das Produzieren VOn SigS=
nifikaten darstellen", 330 Das ikonische Zeichen bildet zwar keinen Gegenstand ab
aber es stellt jene "Vorstellungs- und Wahrnehmungsbedingungen" bereit, die de:'
Leser braucht, um das von den Zeichen bezeichnete Objekt als Vorstellung zu konstituieren.
Zu einem ahnlichen Ergebnis kommt ]akobson, wenn er der "poetischen Funktion" eine "Tendenz zur Diagrammatizität" und damit zur "Ikonizität" unter331
stellt.
Die "poetische Funktion" besteht in der "Einstellung auf die Botschaft als
solche" beziehungsweise in der "Ausrichtung auf die Botschaft um ihrer selbst willen".332 Mit Bezug aufJakobson bestimmt Eco die "ästhetische Funktion" einer
327
328
329
330
Vgl. Iser: Der Akt des Lesens, S, 106,
Ebd,
Eco: Einfiihrung in die Semiotik, S, 213,
Iser: Der Akt des Lesens, S, 107,
331 Vgl. ]akobson: Semiotik, S, 96, Mit seiner Diagrammatizitäts-These möchte ]akobson _ im Anschluß an die Peircesche Unterscheidung zwischen ikonischen, indexikalischen und symbolischen
Zeichen - Saussures Willkürlichkeitsthese durch den Nachweis entkräften, daß sprachliche Äußerungen durch ein "System der Diagrammatisierung" determiniert sind (S, 95 ff.), Damit the_
matisiert ]akobson die "ikonischen und indexikalischen Konstituenten sprachlicher Symbole"
(ebd,), wobei er die PeircescheArgumemation in Dienst nimmt, die "vollkommensten Zeichen"
seien solche, "in denen die ikonischen, indexikalischen und symbolischen Züge so gleichmäßig
wie möglich miteinander verschmolzen sind" (Peirce: Collected Papers, 4.448; vgl. ]akobson: Semiotik, S, 119), Nach PeilTe ist es "schwer, wenn nicht gar ganz unmöglich", ein Zeichen zu finden, "das überhaupt keine indexikalische Qualität hat" (Peirce: Collected Papers, 2,306),
332 ]akobson: "Linguistik und Poetik", S, 92, Dichtung eröffnet zudem die Möglichkeit der "Verdinglichung einer poetischen Botschaft" und der" Umwandlung einer Botschaft in ein dauerhaftes Ding" (S, 111), Scheffel kritisiert im Rahmen seiner Diskussion von Isers Autoreflexivitätsthese diesen Aspekt der "poetischen Funktion" und weist dessen Erweiterung der Bühlerschen Umerscheidung von expressiver, appellativer und referentieller Sprachfunkrion um die
poetische, phatische und metasprachliche Funktion mit der Begründung zurück, daß mit der
"Einstellung auf die Mitteilung als solche" nicht "die bloße Materialität des Zeichenträgers"
gemeint sei, "sondel'11 eben auch seine Bedeutung, d, h, seine ausdrückende, darstellende und
appellierende Dimension" (Scheffel: Formen selbstreflexiven Erzählens, S, 40), Deshalb kommt
Scheffel zu dem Schluß, es gebe "keine ,Mitteilung als solche' jenseits der linguistischen Kommunikation (die definitionsgemäß diese drei Funktionen umfaßt), und die ,poetische Funktion'
der Sprache bedeutet nichts anderes als eine besondere ,Einstellung' von Sprecher und Hörer ge-
3.4 DAS VOR:W ORT ALS ORT DER POETISCHEN REFLEXION
129
,
I sich auf sich selbst beziehend (autoreflexiv) erscheint"
schaft darin, daß sIe ",a s es Em fän ers vor allem auf ihre eigene Form lenken
ßot d' AufmerksamkeIt d
p g" D Akt des Lesens die These aufstellt,
ld" le
b ' I ich Iser wenn er 111 er
,,
lU'II" 333 rIierauf eZIell: SI' R'de gr'l"lnde darin daß sie als ikonisch orgalllsierte
Wl .
, , "I' fi <tlOna er e
'"
JI b
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'I
"1' 334 Allerding vernachlässIgt er - WIe a <0 son ~U1
d·le }\utoreflexlvlta
d Bezelc lnete se.
d '1 I' "
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Rede "selbst as , ende As ehe der Autoreflexivität: ihre In eXI <a I~at ~n ~
P
Ec o - zwei entscheId I 'd d Cl"Ir' Autoreflexivität ist nicht allein, daß sIe "Ikolllsch
' '" Entsc leI en 11
, d E c"
," u
d 'I daß sl'e die AufmerksamkeIt es mp1angers a f
Per,formatlv,tat"
" R d 1st son er 1 < "
,
, d 'I
organisierte ,e ;335 'lenkt. Damit hat Autoreflexivität einen domm~nt ~I~ eXI <~dl'e eigene Form d
hP I'r'ce I'st alles was AufmerksamkeIt erregt, e111
"
1 I' renn nac e
",
,
Ib b "1'
lisehen C lar~ <te
Worten: Autoreflexivität gründet auf emer se sI' ezug 1Index",336 M~: ~n, e~~~ikalischen Geste, Insofern Auto,reflexivität dur:ch Autorefeehen, degene~,e~t ~n ',d ist sie jedoch auch Resultat e111er performatlven Geste"
relltialität de m~e~: ~I~ 'nicht nur das definiens von Autoreflexivität, sonde,rn SIe
Autoreferenna Itat ,st
d P r,cormative Eingang in die Literaturtheone fin'I
rt unter d enl as e 11
, '" I '
, h
'
ist das StlC lWO ,
P .C.
'I'1'''1' und Autoreferentlalrtat eItel' SIC unter
337 d'
GI 'h tzung von ellormanv a
deI', Die elC se
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h. daß Schreiben ein performativer Alu un eme
Barthes lese er,
, , d'
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anderem
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i autore eXlve G es I'e I'St .338 Autoreferentlelilst lese
" ß este es
I 'la ,
intransitive UllL , Al'
rachliche Form ist, bei der die Au erung <emen
weil der performatlve b<t emde spAI I' durch den sie sich ausdrückt.339 Allerdings
l
anderen Inhalt hat ase
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cl,
,
"
d ' 11, zur Betrachtung von Rede
,
R d d'
Ihrer
Verabso IutIelung,
, als'einem
I ' tra.n·
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genliber elller e e, le zu, "
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tung die poetische FunktIOn seI <ellle,," ezendentalen Objekt [,,,], führt (eb ,')', le, elEa:lp 1I ' " läßt sich mit dem Hinweis entkräfd rn ledlghch ellle" Illste ung , '
'11
f
, "( bd)
mentarfunktIon e "I I'
son 'I
e l' I d er relerentIe
"
.' 1Ien Spl'ach"LIlll<tion
von einer "Elllste ung dau
l'
ten, daß Jakob~~n a~LC 1 11ll~1C 11' IC 1 , b' der konativen Funktion von "Ausrichtung auf en
die Referenten spncht beZle~Ungswelsel ~I
d ' Einstellung auf den Kontakt" (Jakobson:
" d b' d ' hatIschen Fun mon von el"
"
1
Empfanger 0 er el el p
, d
B 'ff d . EI'llStellung" ist also eine "proposlt!ona e
I1 d
P '[" S 88 ff) Mit elll egn el "
d
,
d"
"Linguistik un oetI
, ("
d' d G ,l', g bed111gungen
el velschl'edenen illokutionären Ro en er
Einstellung" gemelllt, le en e Ill ens" I E'
d dl'e EI'nstellung auf die Botschaft als solche
,
I ' hb " l' Sclle fTe s Illwan,
' d h
Sprechakttheone ve,rg elC ,~I ,I~,' d Z'chenträ ers, sondern auch seine Bedeutung, kann urc
betreffi.e nichl nur dIe Matel1ahtat es el"" Ig
," I wiesen werden: Die Bedeutung der
,
,
fJ I b
D' 'a1l1111atIZltatstlese ZUlL\C <ge
,
, ,
,
,
I'
"
h 'RepräsentatIon, sondern elllel
den HlllwelS au .a (Q sons lagt
"d' ici" - verdankt sIch kelller ,lllgLllstlSC en
I
Wortfo ge "velll, VI I, v
fd' An d d r Wort-Token
, 1'1' chen' Ausrichtung der Einstellung au
le 01' nung e
,semIOS
"
"
Llf
,
333 Eco: Einführung zn die SemIOtik, S, 115 "
d .D
'
z der referentiellen FunktIon
~'
L
S 106 In dIesel' von el omlllan
I
334 Vgl. Iser: Der Akt des esens"
' " , 11 "." h
uch Habennas und Ohmann die "weendasteten, "eigentü~Ii~!len S~lb~t~~uI~~~~:~~t I ~a~:I~as: Der philosophische Diskurs der Moterschließende FunktIon poetlSc el hP A
~' h Definition ofLiterature", S, 17 f.),
derne, S, 237, sowie Ohmann: "Speec - cts an t e
335
336
337
338
339
Eco: Ei~führung in die Semiotik, S',l~lf.thin which focusses the attention is an index",
Vgl. Pwce: Collected Papers, 2,28~;" Y
g
Vgl. Barthes: "La mort de I' auteur ,S" 64:"
0
Vgl. Barthes: "Schriftsteller und Schrel~el ,S. 5 '.
h,'b
der Begriff der Performanz löse
'I J
d Willer wenn sIe sc leI en,
,
In diese Richtung zle en aeger un
, d' D
'I d s sprachlichen Prozesses selber III
h I " d H' I' trete le
ynaml ( e
S
sich "zusehends vom prec a,er, a u
k d" S. h
d die Per!0rmanz des Literarischen
J'
den Vördergrun d " (J aeger /W111eI", Das Den en er 'Prac e un
um 1800, S, 24),
130
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
steht die literaturwissenschaftliche Indienstnahme des Performanzbegriffs damitf
der Gefahr einer kurzschlüssigen Gleichsetzung von Nicht-Referentialität und P .
fonnativität. 340 Sie läßt außer acht, daß die Autoreferentialität expliziter Perf,
mativa dadurch zustande kommt, daß die Beschreibung der J::Iandlung durch cl
entsprechende Wort und der Handlungsvollzug durch das Außern des entspr
chenden Wortes zusammenwirken. Das heißt, der außersprachliche Handlung
vollzug, der alle Formen illokutionärer Akte umfaßt (auch die assertiven), darfb
der Autoreferentialität expliziter Performativa gerade nicht ausgeblendet werden;"
Die "poetische Funktion" im Sinne ]akobsons impliziert dagegen eine andere Forl1\~~!
der Autoreferentialität als diejenige expliziter Performativa: Sie rekurriert nicht allf;"~'
das Verhältnis von sprachlicher Handlungsbeschreibung und außersprachlichem2:
Handlungsvollzug, sondern darauf, daß sich an der Struktur der sprachlichen Be- . ~Ä
schreibung das zeigt, was beschrieben wird. Das heißt, die "poetische Funktion" ...
gründet darin, daß fiktionale Rede eine Inszenierung sprachlicher Symptome Vornimmt und zugleich die Rahmenbedingungen dieser Inszenierung reflektiert.
Das Problem der Autoreflexivität ist in spezifischer Weise mit der Frage
dem Vorwort gekoppelt. Die "Vorredenreflexion"341 impliziert eine autoreflexive
Geste auf das dem Gesamttext zugrunde liegende poetische Konzept. Das ,wahre
Vorwort' ist eine Selbstdarstellung des Konzepts: In der Selbstdarstellung des Kon.
zepts erfüllt sich nicht nur die poetische Funktion des Vorworts, sondern sie eröffnet auch die Möglichkeit einer metafiktionalen Reflexion. Dies gilt in besonderem
Maße für die Herausgeberfiktion: "la preface ,editoriale' est une meta-fiction, flction sur une fiction". 342 Die durch das Herausgebervorwort ins Werk gesetzte Metafiktion ist insofern "fiction about fiction"343, als sie den "status as fiction"344
kommentiert. Das heißt, Metafiktionalität impliziert einen expliziten oder impliziten Selbstkommentar des fiktionalen Status mit Blick auf die Prozesse der Produktion und der Rezeption.
Nach Wolf ist die Metafiktion "im Gegensatz zur allgemeinen literarischen Autoreferentialität als intendierte selbstbezügliche Aussage aufzufassen"345, nämlich
als Aussage, die den Leser auf den Kunst- und Fiktionscharakter346 von Literatur
aufmerksam macht. Nach Frank bezeichnet Autoreflexivität "eine spezifische Re.
lation eines Erzähltextes zu sich selbst", nämlich eine "immanente Selbstbetrach340 Vgl. Menninghaus: ,,,Darstellung"', S. 208 ff., sowie Bier!, der so weit geht, aus der Selbstrefe.
341
342
343
344
345
346
rentialität expliziter Performativa auf die Selbstbezüglichkeil' der Performance zu schließen (vgl.
Bier!: Der Chor in der Alten Komödie, S. 54).
Weber: Die poetologische Selbstreflexion im deutschen Roman des 18. Jahrhunderts, S. 20.
Oura: "Roman journale et mise en scene editariale", S. 17.
Hutcheon: Narcissistic Narrative, S. 1.
Ebd., 2. Auflage, S. xii. Vgl. auch Ommundsen: Metafiction?, S. 104
Wolf: )fsthetische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzählkunst, S. 226 f.
Dabei kann zwischen dem "fictio·Charakter" und dem "ficmm-Charakter" von Literatur unterschieden werden. Der "fictio-Charakter" von Literatur bezeichnet sowohl ihr Artifizialität als
auch den Umstand, daß sie nicht primär Gebrauchszwecken dient, sondern um ihrer selbst wil.
len aufgenommen wird. Der "fictum-Charakter" stellt das Kunstwerk dagegen als "imaginäre
Wirklichkeit vor Augen" (Frank: Narrative GedankenspieIe, S. 78. Vgl. hierzu auch Wolf: A'sthe.
tische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzählkunst, S. 39).
3.4 DAS VORW
ORT ALS ORT DER POETISCHEN REFLEXION
131
. I "347 Metafiktionalität impliziert dagegen "eine
oder selbstbdesptfiegle.ungale·n Status" die in romanpoetologische oder gatng
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beraubt 1St. er durch Illusionsbrüche geschehen. Typlsc le
anomel~e er
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tafikti s111 aSerl::siges Erzählen beziehungsweise "Figuren, dle ,al~s dem Ra. Zuhörers, unzu.v . 1 .
1'11 Bewußtsein von ihrer fiktionalen EXlstenz beslt1 'belsple swelse e
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353
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~l~I~~:~~;~~~n:
Die explizite Metafi1~tion~ritt alsd,,~e~balisier~e~:~~~~~~~l~~~~~:d
d'
: . iell immer einer Vermmlerngur 0 er -111stanz e
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, R hmen der Fiktion kommentierend das zur Sprache
auf,,, 1~ ~r111z1p fll'
die expl1Z1te !VIeta 1<t10n lm . a al insofern auf einer quasi-ilIokutionären Ebene
bung
.. l' was Sle zu sagen h at, SlCh so
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, h at d'le 1'mplizite Metafiktion die Struktur einer Andeutung: s" mnenbewegt,
347 FranI<: Narrative Gedankenspiele, S. 51.
M fil' lit"t offensichtlich als Form der Aurore( B ' b trachtet dagegen eta I(tlOna a
h'
348 Ebd,.."
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So schreIbt er mIt IC Ieau f d'le Metaflktionalität des Don Quic
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e styles of the imagination I' at I' le
chen, "indirectly thematize the .ph;lOm en.oz ~ '~n~ t~:e~etics ofthe Novel, S. 68).
wode displays" (Mardnez-Bonau:, on Quzc 0 e
349 FranI<: Narrative Gedanleenspiele, S. 50.
350 Ebd., S. 55.
s Modell für ein kommentierendes, metafiktionales Aus351 Goffman: Rahmen-Analyse, S. 537. Da.
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O. "der sich über Aspekte der Insze.
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über den Theaterrahmen
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S: 252). Als "re e~ e ~ n~t., f der Bühne steht, außerhalb des Bühnengeschehens,
hll1aus und stellt SIch, 0 wo el ~u
, d E ählkunst, S. 226.
352 Wolf: Asthetische Illusion und Illuszolnsd;ch~rechunff!.n I' erh~:' Edition und Typographie", S. 4.
353 Ebd. Vgl. noch einmal Nutt·Kofon:" ext esen - ex se
.
354 FranI<: Narrative Gedankenspiele, S. 59.
132
fiktionale Selbstthematisierung" ist sie keine "von der Handlung getrennte und
Sprechakt sich vollziehende Reflexion, sondern [...] eine erzählstrukturelle
ligkeit".355 Mit anderen Worten, eine implizite Metafiktion folgt der Strategie
rativer Implikaturen"356, wobei die "erzählstrukturelle Auffälligkeit" erst
Rahmen einer kommentierenden Lektüre zur "signifikanten Struktur"357 wird.
Hinweise auf die Symptome "erzählstrukturell vermittelter Metafiktionalität"35~
werden häufig in den Paratexten gegeben, können aber auch in Form einer kom_
mentarlosen "narrativen Metalepse"359 oder einer mise en abyme erfolgen. 36o Ob,
wohl Paratexte "keineswegs immer identisch mit Metafiktion" sind, weisen sie oft
"einen beachtlichen Anteil an Affinität" auf361 und können sich als "Indizien
eine metafiktionale Intention" zu erkennen geben. 362 Metafiktionale Paratexte
haben "den Status von Kommentaren zum eigenen Text".363 Dabei dient der Ult:"=1
tafiktionale Paratext entweder der Selbstdarstellung des poetischen Konzepts, oder
er hat eine Irritationsfunktion, sorgt also dafür, "daß Selbstbeschreibungen irritier_
bar bleiben und von innen heraus dynamisch werden".364 Indem sie sich dergestalt
autoreflexiv auf die Rahmungsbedingungen des fiktionalen Diskurses beziehen, er.
höhen metafiktionale Paratexte "die Aufmerksamkeit für Rahmungen".365
3.5 Exemplarische Analyse von Rousseaus Vorworten
zur Nouvelle Heloi'se
Eine der wirksamsten Operationen, um die Aufmerksamkeit auf die diskursive
Rahmung von Fiktionen zu lenken, ist es, "den Unterschied zwischen Fiktionen
und Fakten" zu löschen 366 und damit einen "performativen Widerspruch"367 in
355
356
357
358
359
360
361
362
363
364
365
366
367
Ebd., S. 60.
Vgl. Henry: Pretending and Meaning, S. 107.
Derrida: Grammatologie, S. 273.
Frank: Narrative Gedankenspiele, S. 60.
Genette: Die Erzählung, 5.168.
Dällenbach: Le redt speculaire, S. 22.
Wolf: Asthetische Illusion und I!!usionsdurchbrechung in der Erzählkunst, 5, 262 f.
Ebd., S. 265,
Ebd., 5, 260.
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, 5, 401.
Ebd" S. 415,
Ebd., S. 414,
Nach Habermas tritt ein performativer Widerspruch dann ein, "wenn eine konstative Sprachhandlung ,Kp' auf nicht kontingenten Voraussetzungen beruht, deren propositionaler Gehalt der
behaupteten Aussage ,p' widerspricht" (Habermas: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 90). Zum Begriff des performativen Widerspruchs vgl. Gebauer: ,,]ürgen Habermas und
das Prinzip des zu vermeidenden performativen Widerspruchs", S. 23 f., sowie ]ay: "The Debate
over Performative Contradiction", 5, 184,
133
3.5 ROUSSEAUS VORWORTE ZUR NOUVELLE HEWlsE
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
setzen. Diese Konfusion des Rahmens, die auch das Verhältnis von AuSzene zU
.
11
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,1ft und Herausgeberschaft berührt, wad zum Appe an en Leser, e111e 111tO~SC.l~tive Aufpfropfung zu vollziehen und seine Aufmerksamkeit von der
tellPIle . nären Ebene auf die indexikalische Ebene des Textes zu verschieben, um
il MUtIO '
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die diskursive FunktIOn des mszenzerten perflrmatzven Wtuerspruc s a s "nal1atlve
I likarur"368 zu erschließen.
mL1 auffälliger Form wird die.se .Strategie in den. beiden Vorw~rten zu Rousseaus
.r elle Heloi'se vorgeführt, dIe Im Folgenden e111er exemplanschen Analyse unlVO ttV
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Rahmen des Briefromans 111 rsc e111ung tmt, prototypIsc ver mrpern. el ousseau heißt es:
Wiewohl ich hier bloß des Herausgebers Namen führe (je ne porte ici que le titre dEditeur], habe ich doch selbst mit an dem Buch gearbeitet (jai travaillt moi-meme ce livre]
und mache daraus kein Geheimnis. Habe ich es darum ganz verfertigt, und ist der g~l1Ze
Briefwechsel erclichtet? [Ai~je fait le tout, et la correspondance entiere est-elle une fietton?]
369
Weldeute! Was liegt euch daran? Für euch ist er gewiß Erdichtung.
a
Dieses editoriale Deldarativ wirft nicht nur die Frage auf, ob Rousseau der Autor
adel' "bloß" der Herausgeber ist, sondern auch, ob es sich bei dem Briefwechsel um
ein authentisches, faktuales Portrait oder um ein erfundenes, fiktives Tableau d'Irntlgination handelt. Im ersten Fa.ll geht es um das ~uschreibungsver~~ltnis: im
zweiten um den referentiellen, logIschen Status des Bnefwechsels, wobeI 111 belden
Fällen der Frage der Aufrichtigkeit im Sinne der sprechakttheoretischen "sincerity
condition"37o eine zentrale Bedeutung zukommt: So betont der Vorwortverfasser:
Jeder rechtschaffende Mann muß sich zu den Büchern, die er herausgibt, bekennen
[Tout hormete homme doit avouer les livres qu'ilpublie]. Ich nenne mich also auf clieser
Sammlung Titelblatt; nicht, um sie mir anzueignen, sondern um dafür einzustehen Ue
' de ce recuez,'I non pour me I
' " mazs pour en repon
' dre] .371
me nomme donc a' l
a tete
approprzer,
Obwohl der Herausgeber behauptet, sich die Sammlung nicht aneignen zu wollen, tut er genau dies, indem er die Verantwortung für sie übernimmt. Diese Aneignungsstrategie besteht darin, sich zugleich als Herausgeber und als Autor zum
Text zu bekennen, was notwendigerweise bedeutet, die Authentizitätsbeteuerung
368 Vgl. Henry: Pretending and Meaning, 5, 107, sowie Moravetz: Formen der Rezeptionslenkung im
Briefroman des 18. Jahrhunderts, wo die Widersprüchlichkeit der Aussagen des Herausgebers über
den logischen Status der Briefsammlung als Mittel der Leserlenkung gedeutet wird: "So gelingt
es dem Herausgeber, den Rezipienten immer wieder aus seiner illusionistischen Perspektive aufzuschrecken und ihn damit zu einem eigenständigen Reflektieren zu animinieren" (5. 211), Dies
betrifft insbesondere die Frage der Authentizität des von ihm herausgegebenen Textes, der gegenüber sich der Herausgeber·"äußerst ambivalent" verhält (5. 208).
369 Rousseau: Neue Heloise, 5, 5; im Original: Nouvelle Heloise, S. 5.
370 Vgl. Austin: How to Do Things with WOrds, S. 14 f,
371 Rousseau: Neue Heloise, S. 5,
134
3.5 ROUSSEAUS VORWORTE ZUR NOUVELLE HEWlsE
3. DIE RAI-IMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
und die Fiktionsbeteuerung in das Verhältnis eines wechselseitigen Dementis
bringen. Das widersprüchliche Bekenntnis zum Text läßt die Frage des L,USCb.reiJ
bungsverhältnisses bewußt offen - "Weltleute! Was liegt euch daran?" - und welchl)g.~;1
damit jedem Versuch aus, den logischen Status des Textes eindeutig zu oe:,tltnlllehC"-');1
Würde sich Rousseau als Autor der Briefe zu erkennen geben, müßten diese als
tion erscheinen. Durch das Bekenntnis zum fiktionalen Charalcter des Textes
jedoch die Authentizitätsfiktion der Briefsammlung zerstört - also beteuert Ro _
us
seau, "bloß des Herausgebers Namen" zu führen. Die Nouvelle Heloi'se erweist
mithin als "factual fiction", die ihre Fiktionalität im Rahmen der Fiktion
372
neint.
Die "factual fiction" ist eine "Parallelfiktion"373, die in der "OlTerlel1"7
Paradoxie"374 gründet, daß der Herausgeber den "Eindruck der Faktizität" zu evo c ••
zieren sucht, zugleich aber zu verstehen gibt, daß die "scheinbare Fiktionsauthe.__:-::
bung" bloß die Strategie einer Authentizitätsfiktion ist,375 Vor dem Hintergrund
dieser Überlegungen wird Idar, warum Rousseaus Stellung in der Nouvelle He!oi'se
"gerade durch seine Federführung als ,editeur' bestimmt [ist]".376 Fraglich bleibt
jedoch, ob Rousseau aus der Figur des Herausgebers ein Darstellungsmittelmacht,
"das seiner persönlichen Haltung dem Buch gegenüber Ausdruck verleiht",377
Diese Auffassung Picards läßt zwei Probleme unberücksichtigt: Erstens übersieht
er die Differenz zwischen dem Autornamen ,Rousseau' und der Person Rousseau,
zweitens geht er nicht auf die ostentativ vorgetragene Unentschiedenheil' des Bditeur ein, mit der dieser der Frage nach dem logischen Status der von ihm herausgegebenen Briefe ausweicht. Dies mündet unmittelbar in die Frage, was die
Behauptung "RecueiIlies et Publiees par],]. Rousseau" auf dem Titelblatt der Nouvelle Heloi'se bedeutet,
Geht man mit Derrida davon aus, daß Titel und Titelunterschrift vor dem Text
378
stehen , so ist die Titelunterschrift als extrafiktionales, direktes Kommissiv zu
werten, das sich angesichts der Fiktionalität des Haupttextes nachträglich als unehrliches Titelversprechen beziehungsweise als falsches Deldarativ über den logischen
Status des Haupttextes herausstellt. Betrachtet man Titel und Titelunterschrift dagegen als Teil des Werkes, so läßt sich das ,Recueillies et Publiees par]. ]. Rousseau'
mit Genette als intrafiktionales Performativ verstehen, weil das konsignierende
Sammeln ja nur im Rahmen der Herausgeberfiktion ein Sammeln ist. Die Titelunterschrift erscheint in diesem Falle als ernsthafter fiktionaler Sprechakt, der je-.
372 Vgl. Davis: Factual Fictions, S, 36: "While romance was pl'esented as unframed invention founded on quasi-historieal material, the novel was represented as an ambiguous form _ 'I factua! fiction which denied its fictionality", Bei der Bestimmung des Verhältnisses von "factual" und
"fictional" rekurriert Davis auf GoffJnans Konzept der Rahmen (vgl. Goffman: Rahmen-Analyse,
S,96),
373 Voßkamp: "Theorie und Praxis der literarischen Fiktion in ]ohann Gottfried Schnabels Roman
,Die Insel Felsenburg'", S, 131.
374 Werber: Liebe als Roman, S. 69,
375 Ebd" S, 69,
376 Pieard: Die Illusion der Wirklichkeit im Briefroman des achtzehntenfahrhunderts, S, 74,
377 Ebd.
378 Vgl. Derrida: "Titel (noch zu bestimmen)", S, 19,
135
I'
'ahmenkonstitutive Funktion mehr haben kann, weil er ja becemde
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" ßer't wird . Dieses Problem verschärft sich noch,
dach ,insofern
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reits 1]11
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dl'e Zweideutigkeit der in den Vorworten getroffenen FestmIt e an
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wenn man
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srel111ngendüb~r I ~ltl dOl,gelsdcarauf abzielt die entweder!oder-Logik" auszuhebeln. 379
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' I1 en Statlls übertragen , nämlich au as SZI leren
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Ni~ht- ral;n Positionen "fingiert und nicht-fingiert" .381 Mit ]auß kann, m~~ l~
ZWlschen d
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des logischen Status als "die schärfste Provokatlon der
Nicht--TransparenMz, 'I ' 'Hl'lce soll sich die Fiktion dieses Briefwechsels "gegen
f: "deuten: 1t llrer
11
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gen des Lesers als eine Antifiktion erweisen, um emer neuen a}falle Erwartun b h "382 Diese neue Wallrheit die in der Nouvelle He!oi'se zum
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I"ßt ich aus den paradoxen Thesen der Vorworte g elC sam. ex
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A druc c commt, a s
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s einem verkehrenden Spiegel bestimmen :
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negatlv~, WIe ~~, moralischen Einstellung" vor, die durch eine "Umkehr,un~,~~~
Verhältnisses von Fiktion und Realität in Gang gebracht [wIrd] .
tDr~ ltbl~~r~fft auch das Verhältnis von Autorschaft und Herausgebe:~ch~~tb'l 'b d'
les
d R'"
el I' le
I d 'Konversation zwisch en" N ." un"
. m d er "Seconde Pre1ace
n er" immer wieder aufgeworfene Frage nach der Autorschaft u~lbeant,:"or
tel' ,wo b'
el" R"
. als Begründung für das Ausbleiben der Antwort semen Wülen
"U;l~e r~I~~
vO~85N,
zur Wahrheit anführt:
N, Wenn ich Sie frage, ob Sie der Verfasser dieser Briefe sind [si vous hes l'auteur],
warum weichen Sie dann meiner Frage aus?
,
R, Eben deswegen, weil ich kein~ LUge aus,sprechen WIll.
N S' ei ern sich aber auch, dIe WahrheIt zu sagen,
,
R' ~:;it~ibr man ihr auch noch die Ehre, wenn man erldärt, man .w0ll~6 sIe verschweigen [C'est encore lui rendre honneur que de declarer qu'on la veut tazre] ,
Dl'e Formulierung declarer" verbindet auf eigentümliche Weise die Fra~e nach, der
"
penormatlven
I fi" d' In
Wahrheit mit der Aussagefunktion
des Autor-Herausge b e~~7und d ~r,
Funktion des Schreibens, Diente das "Je declare" Barthes als Belspie ur .. le ~
dienstnahme überindividuell präfigurierter Sprecha~<.ttypen durch den SCfr~fts~1 ,
ler, so wird hier der deklarative Sprechakt zu el11er Sprachfigur, we c e er
379 De M~n: ,,~legory (Julie)", S,
380 Starobll1skt: Rousseau, S. 123.
381
382
383
384
385
386
387
V19~,
h He'lmann: Die Krise der Aufklärung als Krise des Erg. aue
1..
Cf
zäh!em. Tiecks, William Love!!' und der europäIsche Brzeftoman, S. 172 .
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S, 414,
.
]auß: Asthetische Erfthrung und literarische Hermeneuttk, S. 598.
Ebd" S. 600,
Ebd,
Vgl. Vedder: Geschickte Liebe, ~02 f, . .
..
Rousseau: Neue I-Nloi'se, S, 25; l1n Ol'igll1al: Nouvelle He!otse, S, 27 f.
Vgl. Banhes: "La mon de l'auteur", S. 64.
136
3.5 ROUSSEAUS VORWORTE ZUR NOUVELLE HEWlsE
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
Autor-Herausgeber als Souverän seines Werkes ver
d
'
und damit seine Rechtmäßigkeit als D' 1 'b 1 wen et, u,m seme Autorsehaflt
IS uus e lerrscher u
'
~
' ,
sen. ereIts un ersten Vorwort erlrl"'" . 1 R
- n ungeWIssen Zu 1'1
B B fd
" .~ alt SIel ousseau - d ' 11 'd'
<8,ezug au er "Geschichte ·Wahrheit" _ für außersta d
,~lt a. el Ings nur nlit
zIehen: "Quant ala verite des faits, je deel'
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n ,e: em ,eutlg Stellung Zu be_
des deux amans, je n'y ai jamais OU1 arlera~~l ~l ~yant, ete plusI~urs fois dans le pa 8
Ja er merkt sogar an daß 1
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el o~tentatlve Hmweis auf die "groben Fehler"
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Sa. 1 eIt zu e <ennen oder sie zu finden"
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e:, vo~' Iesem Hinn~ler Bejahung" und "auktorialer V~'neinu~lf.~~2n~s~h~edenhelt
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d er Akt der Zuschreibung' da s E'mem-.text-semen-N
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Fest1egung impliziert.
'i: 7
R, [.. ,] Ich bin der Herausgeber dies B h
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geber nennen,
es uc es; und Ich werde mich darin als HerausN, Sie, wollen sich darin nennen? Sie?
R. Ja, Ich.
N'JWie ? ~ie wollen Ihren Namen auf den Titel setzen'
" ,
R , a, me1l1 Herr,
N. Ihren wahren Nam en,'J
J
, ean- acques Rousseau', mit allen Buchstaben?
388 Rousseau: Nouvel!e Heloi'se 5 5
389 Rousseau: Neue Heloi'se, 5, '5,' ,
.
..
390 Huet: Traite de l'origine des romans, 5, 86 f. VgI. Hie'
mentar, der mit Blick auf die intendierten U
t~u a~lch 5tang: Emlettung-Fußnote-Komnen "als Konsequenz der gefühlsbetol t 5' ngena~ugl:elten und Fehler schreibt, diese erschie.. b I
1 en ll1nesart seI
I'
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u ersc 1wänglichen Herzensschrift und würd d
en a s~.ll1SZel,l1erte genuine Indices einer
an Authentizität" verleihen (5, 50),
en en llefen daruber hll1aus "einen erhöhten Grad
B"
391 Foucault: Dispositive der Macht 5 76
392 Vgl. Genette: Paratexte, 5, 267."
,
137
R Jean-Jacques Rousseau' mit allen Buchstaben.
N. 'Das denken Sie doch nicht im Ernst? Was wird man von Ihnen denken?
R Was man will. Ich nenne mich auf dem Titel dieser Sammlung, nicht um Sie mir an-
.
zueignen,
san dern um d alc.'"ur e1l1zusteIlen. 393
De Man thematisiert in Allegories 0/ Reading die diskursive Funktion dieser Konversation, die "N." und "R." über den referentiellen Status der ,Briefsammlung'
und uber die Zuschreibung der Autorschaft führen. "N." ist als Leser darauf angewiesen, ,die Wahrheit' über den referentiellen Status der Briefe herauszufinden.
Deshalb geht er davon aus, daß der Autor den Schlüssel zu dieser Frage besitzt. Die
Frage nach dem Autor als Frage nach der Wahrheit verlmüpft die Logik des Schreibens mit der Logik des Lesens. Wie Barthes verweist de Man auf die "exlcusive coneenuatio n on authorship at the exelusion of the reader"394, geht aber in
entscheidender Weise über Barthes' Credo vom Leser als Autor hinaus, wenn er
feststellt: "There can be no writing without reading, but all readings are in errar
because they assume their own readability. Everything written has to be read and
every reading is susceptible oflogical verification, but the logic that establishes the
need for verification is itself unverifiable and therefore unfounded in its claim to
truth".395
Wenn Lesen bedeutet, den Text zu verstehen, und wenn Verstehen bedeutet, den
referentiellen Status eines Textes zu determinieren - dann impliziert die Unmöglichkeit, den referentiellen Status eines Textes festzulegen, seine ,Unlesbarkeit'. In
diesem Spiel der Referenzverhältnisse besteht die Funktion des Autors darin, eine
Metapher fUr ,Lesbarkeit' zu sein. 396 Was bedeutet das für das in den beiden Vorworten der Nouvelle Hiloi'se inszenierte Spiel der Zuschreibungsverhältnisse? Wenn
sich Rousseau sowohl in der "Preface" als auch in der "Seconde Preface" der wieder und wieder gestellten Frage nach der Autorschaft entzieht, verkehrt er die
Funktion des Autors, nämlich Metapher für Lesbarkeit zu sein, ins Gegenteil:
Wegen der Weigerung Rousseaus, sich für eine der Alternativen zu entscheiden,
also zu erldären, ob es sich bei den Lettres de deux Amans um eine Erfindung oder
um einen Dokumentenfundhandelt, ob er mithin der Autor oder ,bloß' der Herausgeber ist, wird die "Seconde Preface" zu einer Allegorie der Unlesbarkeit. Die
Unlesbarkeit resultiert aus der Unmöglichkeit, zwischen den Alternativen zu unterscheiden und dadurch die Frage nach dem referentiellen Status in den Zustand
397
einer "intolerable semantic irresolution" zu überführen.
Ausgehend von der Frage, ob es sich um einen "wirldichen Briefwechsel" oder
eine "Erdichtung" handelt, entwirft "N." folgende Alternative, die das Problem des
referentiellen Status in der Terminologie bildlicher Repräsentation entfaltet.
393
394
395
396
397
Rousseau: Neue Heloi'se, 5, 24,
De Man: "Allegory (Julie)", 5. 201.
Ebd" S. 202,
Ebd,
Vgl. ebd., wo de Man schreibt: "[,,,] the mere confusion offiction with reality, as in the case of
Don Quijote, is mild and curable compared to this radical dyslexia",
138
3, DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
3,5 ROUSSEAUS VORWORTE ZUR NOUVELLE HEWJSE
N. ,[.:.] Ein Porträt hat stets seinen Wert
" , .
Ong1l1al sein mag. Bei einem G "Id ,wenn es. nur ahnhch 1st, so seltsam
nation] aber muß jede
der
run Tableau auch
oder das Gemälde tau I' nicht
g II uge haben, die dem Menschene .
alle
sind gut, so bleibt
terschied übrig, daß
eser
Allgemeinheit gefallen
wenige Leute l11teressiert; das Gemälde allel' Il
R '
n<annd
et'
S' . Ich
d folge Ihren Gedankell . Wcenll d'lese B'
nefe P
" . d
ahmen sie schlecht nach. Ist
so interessieren sie nicht':
menschIic~~;i ~ ~~s., E1l1biId~ll1gskraft
d:S Portr:~ Ges~tzt, ~eide
~~G:~~~~~1~~~~.39~0
noc~ ~?e1l1
~~t~~~~l:I:~?
Der Dialog zwischen "
R" 'Ulld
. z "h . C
"N"
. sch'
e111t sIch
zu d re
en,
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Co"
h
.
r, gen e lext lUr sIch b unac hst ellllach nur um d'le F'rage
magmation oder ein Portrait zu sein399
b' deanspr~c en könne, ein Mbleau d".
der Briefsammlung in beiden P"ll ' ':°d el las Urteil über den ästhetischen Wr t·
B.' C
•
a en l11e ersc lmett ' d' Al
wen
.uele Un111teressant, weil ihre Schreibe"
e111. 1st: s Porträts sind d'
Briefe aufgrund der mangelhaften
s111d, und als Gemälde
a ~ung. Bed~utet dieser "valorisierende Ko~I:;~a t),l~'gs Autors schlechte NachV~lworten semer "persönlichen Halt
d
tal
, daß Rousseau in beidet
1elht"?401 Im Anschluß an de Man
Buch gegenüber Ausdruck
aufstellen. Danach geht es in der Se
;h;~~f:e al~dere Interpretationshypothese
sche~ "R." und "N." das Spiel der 'Rete~:z~ le ace darum, .mit dem Dialog zwineut.111 Gang zu bringen.
und das Zuschrelbungsverhältnisse er-
d~e
slc~~~Ete\ess~n\
sin~
läßtU;~g ~m
ver~
DIe Briefsammlung als Gem"ld
. als Tc, bl d"
a e respeI<tlve
.
nen extratextuellen, referentiellen St
b
a eau tmagmation kann keiDie Briefsammlung wäre dem
h ~tusG ea~~spruchen, sondern ist eine Piktiol
nac em emalde a d E ' b'ld
1.
. h'
seaus; mIt 111 kann Rousseau im S .eI d
. us er 111 1 ungskraft RousAutors übernehmen. Wird Cu"1' d Y1B 'fer Zuschrelbungsverhältnisse die Rolle de
. kl
11
le ne sammlu d
d
s
tratts re amiert, dann muß deren Bezu
. ng agegen er Status eines Portorschaft Rousseaus eingetauscht werd g ~~ d~ extratextuelle Welt gegen die Auen
Portrait erweist sich so beseh
I Al . ~e ternative zwischen Gemälde oder
h' Eb
en a s ternatlve
. h A
~1t. en diese "entweder/oder-Lo
ik" '. .ZWIS~ en ut.orschaft oder WahrWl.ld 1m Dl.alog zWIschen R. und N. in
Plage gestellt.402 Obwohl das SchwanT
torschaft in den beiden Vorworten Z~:l ;,::~c~e~,~eJa!len und Verneinen der Aun lZ a ur WIrd, daß die Leser nicht im
398 Rousseau: Neue HIloi'se, S. 8.
399 Vgl. ,I?ide~'ot~d'Alembert (Hg.): Encyc!opedie Bd 1
.
P~1tJaIt Wird 111 der Encyc!opedie als ein Bild cl fi : 3 (1765), Artikel "Portrait", S. 153 f. Das
d apres nature I'image la figure I
"
,e lIuen, das nach der Natur gemalt wird - ' '.
,
'
, a repleSentatlOn d ' l I l "
"lITI1te
gegen "sllnplement I'idee" (ebd.), ZLlm Verhältnis 1 person~le . Das "Image" repräsentiert dastellung von "vollkomene[n] Figuren (b 11'
~o)nIPort,ralt.und Tableau mit Blick auf DarGoethezelt, S. 119 f.
' e e ames a s WirklIch" vgl. Engel' D R
J
400 G '
4
,enette: Paratexte, S, 270,
ft 0 1 Plcard: Die Illusion der Wirklichkeit im B '
'
.I
Sl'llne glauben sollen, Rousseau sei ,bloß' der Herausgeber, bedeutet dies
jedoch auch nicht, daß die Leser vom Gegenteil ausgehen dürfen,
~tl~ dete~ daß Rouss eau der Autor dieser Briefe ist. Die Strategie des VorwortdisnaI11lC ielt vielmehr darauf ab, die beiden Assoziationsketten aufzulösen, neu zu
kurs~'~ieren und durch diesen Rahmenwechsel zu einer "Allegorie" werden zu laskon~o~ Die Hypothese, es handele sich um ein Werk, das seinen "referentiellen Stasen;, 'n Frage stellt, impliziert die allegorische Lesart, "that such a work can be read
tUS 1
., f .
.
" 404
.1 e portrait
0 Its own negatlve gesture .
aS Bi: Selbstbeschreibung Rousseaus, ,bloß' der Herausgeber zu sein, ist das erste
Glied einer Metalepse, in der die eingangs formulierte Alternative - entweder ist es
Fiktion, also ein Tableau d'imagination, dann ist Rousseau der Autor, oder es handelt sich um einen authentischen Briefwechsel, der ein Portrait der Wirklichkeit
'st dann kann Rousseau ,bloß' der Herausgeber sein - moduliert werden muß:
l.fhe original pairing of author wirh ,tableau' has now been reversed, and instead
~fbeing paired with editor, ,portrait' is now paired with author".405 Die Funktion
des Herausgebers, Briefe zu finden, zu sammeln und als ,Portrait' der Wirldichkeit
zU ptlblizieren, wird somit auf die Funktion des Autors übertragen: Es ist gleichgültig, ob der "konsignative Ort"406 der Sammlung die Einbildungskraft des Autors oder die reale Lebenswelt ist, denn die Logik des Entweder-oder wird durch
den Dialog zwischen "R." und "N." in eine Logik des Sowohl-als-auch transformiert. An die Stelle der Alternative Autor oder Herausgeber tritt die Verknüpfung
beider Funktionen: Rousseau entwirft sich in seinen Vorworten als Herausgeber
1
WO"I' dlClel
.. eits
und Autor zugleich.
Das Löschen des Unterschieds zwischen Fakten und Fiktion wird dadurch vollzogen, daß mit der Bejahung von Autorschaft und Herausgeberschaft gleichzeitig
die Frage offen bleibt, von wem die Briefe verfaßt wurden. Dadurch erhält die negative gesture eine indexikalische Funktion, welche die illokutionäre Entkräftung
kompensiert, die Rousseaus Aussagen über den referentiellen Status des Haupttextes erleiden. Nicht was das Vorwort sagt, sondern was sich an der negativen
Geste, die es vollzieht, indexikalisch zeigt, ist "signifikant" .407 Da die beiden Vorworte nicht nur als metafiktionale Kommentare den referentiellen Status des
Haupttextes reflektieren, sondern die Weigerung einer eindeutigen Festlegung des
referentiellen Status als negative performative Gesten vorführen, werden sie zur
Selbstdarstellung einer widersprüchlichen Rahmungsstl'ategie, die auch das Verhältnis von Vorwort und Haupttext betrifft.
403 Vgl. de Man: "Allegory (Julie)", S. 199: "The polariry between ,portrait' and ,tableau' does not
engender extra-textual referents, The inside is always already outside. In the process of this discovery, however, the original system undergoes some transformation, At the onset of the text, ,tableau' and ,portrait' were associated with author and editor respectively: if the wode was
imaginary, then Rousseau had to be the author; if it were to be an actual collection of letters, the
portrait 01' copy of a written text, then Rousseau was merely the editor".
er oman uer
102 Vgl. de Man: "Allegory (Julie)", S, 196, I~:efro,mandes~ch:.zehnten/ahrhunderts, S. 74.
len des Erzählers", S. 64: Dies
Wi d 'Rglelchel Welse außert Sich bereits Miller 1'11 D' R I
,
"
em, e el- oman 1 I B . r
" le 0el1lem ,Sowohl-ais-auch' da J'a wed . d I
- 10C 1- nelsammlung' antwortet ROLlS
.
.F'
'
,
el as nteresse d L
'
seau mit
sei lage grundSätzlich berührt werden",
es eselS, noch der Wahrheitsgehalt von die-
139
404
405
406
407
Ebd,
Ebd.
Derrida: Dem Archiv verschrieben, S, 25,
Derrida: Grammatologie, S. 273.
140
Wenn de Man davon spricht, daß "such a worle can be read as the ,POrtrait'
its own negative gesrure", dann ist zu fragen, was er mit "such a wode"
0
Meint er das Ensemble aus Vorwort und Haupttext? Meint er den beiden YI)J\,.F.
wOl:ten nac.hfolgenden Haupttext? C?der meint er ,nur das ,vorwort? D.e Man gibt
darüber keine Auskunft, Fest steht Jedoch, daß die negative Geste, die den refe_
rentiellen Status des nachfolgenden Textes in Frage stellt, zunächst nur im
zu beobachten ist. Hieraus folgt, daß das Portrait dieser negativen Geste ein Portrait des Vorworts sein muß.
Parallel zur Frage nach dem Autor verläuft die Suche "N.s" nach Äußerungen
innerhalb des Textes, "that establishes the margin between text and externaIrefe_
rent, that clearly marks off an intra-texrual form an extra-texrual field".408 Derge_
stalt thematisiert die "Seconde Preface" die "question du liminaire''409 als Frage
nach der Grenze zwischen dem Text und dem, was außerhalb und vor dem Text
ist. Das Problem besteht darin, daß keine Äußerung, die innerhalb des Textes eine
Aussage über den Status des Textes macht, in einem "extratexruellen" Sinne wahrheitsfähig sein kann,410 So kommt de Man zu dem Schluß, daß die zahllosen Texte,
die unser Leben bestimmen, auf einem "agreement" über ihre "referential authority" gründen, Dieses refirential agreement ist "merely contracrual, never constitutive".411 Was bei Iser der Kontrakt zwischen Autor und Leser im Sinne eines
412
Fiktionsvertrages ist , wird bei de Man zu einer Allegorie für die semantische Arbitrarität der sprachlichen Bezugnahme auf die Welt überhaupt, Auf dieser Allegorie gründet seine Unlesbarkeits-These: Die arbiträren, sprachlichen Kontrakte
und referentiellen Vereinbarungen können laut de Man jederzeit wieder gebrochen
und damit die Lesbarkeit dessen, was zunächst als referierendes Dokument erschien, in Frage gestellt werden. 413 Durch solch ein dilemmatisches agreement ist
aber auch der Bezug der "Seconde Preface" auf den Haupttext der Nouvelle Heloi'se
ausgezeichnet. Nicht nur, daß die "Seconde Preface" keinen befriedigenden Aufschluß über den referentiellen Status des nachfolgenden Haupttextes liefert; "Seconde Preface" und Haupttext präsentieren ihre eigene Unzulänglichkeit auch noch
in einer Weise, die es unsicher erscheinen läßt, "ob das Vorwort für den Haupttext
oder der Haupttext für das Vorwort geschrieben wurde".414
An dieser Stelle muß kritisch gegen de Man eingewendet werden, daß er zwar
das allgemeine referential agreement problematisiert, das jeder Form der Bezugnahme zugrunde liegt, dabei aber die Aspekte der Indexikalität und der Performa408
409
410
411
412
413
nWORTE ZUR NOUVELLE HELO/SE
3.5 ROUSSEAUS VO ,'-
3, DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
De Man: "Allegory (]ulie)", S, 203 f.
Vgl. Derrida: "Hors Livre, Prefaces", S, 24,
De Man: "Allegory (]ulie)", S, 204,
Ebd,
Iser: "Akte des Fingierens", S, 135
Ebd,
414 Vgl. de Man: "Allegory (]ulie)", S, 205: ,,[.. ,] rarely has apreface been less able to shed light on
the meaning of the text it ilUroduces, to the poilU of thematizing this impotence ilUo the
Imowledge of an ignorance which the main text will, in its turn, have to challenge, We can no
longer be certain, at this pOilU, whether the preface was written for the main text 01' the main
text for the preface",
141
, I' J, b ewu ß"
t ausspar't
, .415 Das wechselseitige
. IDementi
'
,.. icht berückslC ltIgt, a~, , F 1tion verweist nicht nur auf die al gememe
tivltat I~stativer und perfor~:nat~vel un ~ndern wirft die Frage nach dem R~hmen
von Sprach,e
der Nouvelle Heloi'se
em
~~l:~~rkeit
t~erih;~~tB:'iefwechsel
Ul~ fo~-
al:f,Gldei~hllg~l~i:~ ~;;e~~~'i~aginationhhandeslt" die enbo:~:~I~~c~~s7~~,s~:~~~~
er
"
'I, Im-Ra men- ezn .. 1
't 0
tra/d Dar'stellungswelsen 1st IU
,
el'n dl'e durch einen geschmuc eb 'er '
" R präsentation zu s ,
,
dei Tableaus' definler~: ell1e ~ , (dre) oder einen Rand (bordure) "emgees, aum, nämlich emen Ra Imen c~ thematisiert sowohl die Frage nach der
ten R, "ist 416 Dieses Im-Rahmen-Sem,
l' h Struktur der Referenschlossen I 'L gik der Grenze" als auch Jene "wese?t IC e , l 1 dexikalität
aradoxa en 0
h' eis aufgrund semer parergona en n
"P'll'tät"417, die jedem Rahmungs lm:"b Allegorical narratives tell the story of the
na'
,
w< de Man sc uel t: "
h
I'
zugrunde hegl'''418en:~ erweist sich dieses telling bei näherd'er Betr~c f~,l~~~ ~1:d:~~
failure to rea d' ' Scheitern wird nicht nur erzählt, son ern vorge u ,
, denn leses
,
"
'd 419
negative Gesten
Man im Vorwortdiskurs zur
es
hl n die negative este,
"
lell möchte vorsc age ,
h"
I'n Form eines inszeJ11erten perI
I Rahmungs II1welS
,'
.
hTouelle Heloi'se ausmaClt, a sfz f:
D ,'Torwortverfasser ,Rousseau mszeJ11ert
IV'
W'd' 'uchs au u assen. er v'
b h 'b n
formativen 1 erspr,
' h inerseits als Herausgeber esc rel t, a el'nen Selbstwiderspruch, mdeml'~ßr slCb e 'h bei den Briefen um erfundene oder
' F
offen a t 0 es SIC
,
1'
' b I ß' der Herausgeber zu sem, setzt
dererseits jedocI1 d le rage
,'
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handelt,
Das
Be
eenntJ11S"
0
B
gefun d ene ue
shOd~:;j~
ind~xikahs~h aGngezelgd\:~e
, ' " das Verhältnis zwischen
konsta'd
d ' L .' De Mans 1mpetattv
415 Ebd, Vgl. aber Hamacher, er t,n" ectt~"
l' S rache thematisiert und damit gletchsam en
tiv-referentieller und performattver :Ut~ltton,e;t Jans vollzieht. Ausgehend von der paradoxaerfonnative turn' der '\Inlesbarketts-" les,e .. \-Ia:nacher die Auffassung, daß die Struktu~, der
Struktur des "referenttal agreement,' vett,tttt
Verstehens und in det sich die Lektüre thres
Selbstreflexion, "in der sich de~ Text setne~, et~:~::l Unmö lichkeit zerbricht, "det~ refere~1tiellen
Sachlichen Grundes zu vergewIssern dsuRChfit 'la,
zusatngtnenhalten könnte, zwetfelsfret zu be"rt~he
'
Status
des Bandes, d as Re,fl'
ext~n lU1 e" e ettertes
~, ielle Funktion der Sprache auf'etgentum
,
"(S 154) Dabei tst dte konstattv-te erent
I b h
t t daß der performattve
,
stttnmen
,
'
,
I '
, hmt Hamac ler e aup e , "
WTeise durch die performattve Fun won gera
I"
I gt'sch illegitime rhetorische Ftgur,
w'
I' h Vi' " digung a s eptstemo 0
Vi
Alet des Versprechens mög te er etstan
II
'd tl zu können, Denn was vom erspre,
'
ß um va zogen wer e "
I
1
als Metalepsis, struktunert setn t~u:,
nö liches Verstehen _, wird mit ihm sc lOn a S gecll en erst für die Zukunft angekundtgt tst - t ,g
, "htlliche Konflikt" innerhalb des
189) Dteser "unvetso
'11
d d'
genwärtig wirksam be Ilauptet" (S ' d
'I d" d ß sich die konstativ-referentte e un te
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Verstehensprozesses 1tn et setnen
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pendieren, Die Tatsache, a er "pet,~0 I' , d S ' he wec se setttg sus
d S re
I
performative Fun won er ptac
d d'
ihm dependierenden Formen es P, mative Alet des Imper~tivs - de~' ~p~c~~~ l~~nktt~i:o~ufmerksamkeit auf die vor-performattve
chens und Verstehens suspendtert e~ als ~fformativ bezeichnet (S, 190),
"
Verfaßtheit der Sprache, dte Hamache; 'ed" Bd 15 (1765), S, 806, Stichwort "Tableau,
416 Vgl. Didetot/d'Alembert (Hg,): Encyc op te,
'
417 Derrida: Prejuges, S, 77,
l~n
418 De Man: "Allegory (Julie)", S, 205, d' , d 'I It'sch sich zeigende Unlesbarkeit den Charak"hst vo"li'tg 0 f~en , ob te tn 1ext<aI d S mptom einer grun d"
419 Dabei bleibt zunac
satzI'tcI1en Verut,
a
so
as
y
d
h
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'
I
inen
Indexes
tel' eines metap ystsc len genu
, I
'
'tlszeniertengenuinen In ex an d eIt, d eI' das
' 0 d'
1 um etnen t
h
'Narrafaßtheit der Sprach e tst,
er 0 b es stC
,
. I r I I' Verständigung im Ra men etner
grundsätzlich immer mögliche Schettern sptaC 1 tC le
tion vorführt,
142
3. DIE RAHMUNGSFUNKTION DES PARATEXTES
aber notwendigerweise voraus daß es '1
stellt bereits die Tatsache daß'd 'H SIC 1 um gefundene Briefe handelt. Inso c
,
el erausge ber d' F·
1 d
' lel'n
Status der Briefe überhaupt auL.· . e '
c le lage nac 1 em referentiell
IWHlt, emen perlOrm t' en S Ib
'd
en
'
a l:v
e stWI erspruch cl '
D leser Selbstwiderspruch kann al' 1".
genen logischen Status und als
Kommentar des
gedeutet werden Gleiches gl'lt e" , d U ' mdexlkaiJscher Rahmungshinwe'
'
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rul en mstand d ß' d
S
IS
a m er" econde Preface"
1(eme Antwort auf die Frage nach dem refe' "
geben ~ird, daß also die Frage "fingiert odel~~~~~~l~~ ~t~t;~~2~es Dargestellten ge.
der loglsc~e Status des Haupttextes schwebend bleib~glelt
unbeantwortet und
Auch hIer handelt es sich um einen im l' '
"
indexikalischen Rahmungshinwel's d .' Pdlzllten medtafiktlOnalen und autorefleJeiY
e
e
' el Je oc 1 erst ur h"
,
pIl'oprung seitens des Lesers als Fiktions i 1 1
c ,eme mterpretatlve Auf.
Aufmerksamkeit von der illokutionäre:l g;~e~~(~~~b~l:~Ird;, Der ~eser ~uß seine
Ebene verschieben, Zu jener Eben I
f d . I," re ace zur mdexlkalischen
lichkeit des Vorwortdiskurses als SI' el~fislo, au SeI 1dIe performative Widersprüch_
'VT
d'
g 11 I (al1te tru (tur deutb' 'd M'
worten, le Widersprüche im d't
,'1 P
al WH', 1t anderen
1
häftung von Sprechakten am Re 1 OIla en afill'at~xt führen die illokutionäre Em'
almen von I monal I D' k
d' A efll IS ursen vor, gewinnen
d ad urch mdexikalische Kraft und erh"l
gen".42l Das bedeutet zugleich daß? len s,o le" u merksamkeit für Rahmun.
'
mszel1lerte perform ' W'd
des fiktionalen DiskuI'ses 1"
atlve I ersprüche a1l1
R amen
' h1
a s mszel1lerte gem i I d'
,
I ne n lces anzusehen sind
d le a s degenerierte Indices ' na<"ITII'ICh a1s F'l'
I etlOnsslgn 1 ' D'
'
d en. Dergestalt findet das UnmotivI'el't-'VT 'd "422 ade, m lenst genommen wer"
"
wer en
er Spur d S h 'e '
l I D 'IS1(urses.
er c rlrt seme Ver1wrperung am Rahmen des filrtl'
~ 0 Ja en
al:t~~~~~i~~:' r~etafi~etlO,naler
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
:t
I Folgenden soll die Frage nach der Grenze zwischen Vorwort und Haupttext
n~ie nach der Position des Autors im Buch noch einmal unter narratologischen
~orzeichen aufgeworfen werden. Damit erfährt Foucaults diskursanalytisch motiierte Frage nach dem werkkonstitutiven speech act und der "Funktion von Vor:orten"l eine Modulation, die beim Begriff des Diskurses ansetzt,2 ,Diskurs'
bedeutet nun primär ,narrativer Diskurs'.3 Es gilt es daher zu untersuchen, worin
die narrative Funktion des Vorworts besteht.
4.1 Die narrative Funktion von Vorworten
Die bisherige Analyse hat gezeigt, daß die Funktion des Vorworts darin besteht,
Teil einer diskursiven Strategie zu sein, die durch den Einsatz von "Ersatz-Anzeichen" den literarischen Kommunikationsprozeß konditioniert und eine "Doppelrahmung"4 ins Werk setzt, Als performatives Niemandsland wirft das Vorwort die
Frage auf, wer "und mit welchem vorgeblich eigenen Namen"5 den deldarativen
Akt, der ein literarisches Werk konstituiert, unterzeichnet. Dieser autopoetische
Akt an der "Nullstelle"6 des fiktionalen Diskurses stellt die Voraussetzung für alle
weiteren narrativen Alete und für alle Aufspaltungen, Duplizierungen und Potenzierungen der Aussageinstanzen dar. Dabei erweist sich der Vorwortakt in zweifacher Hinsicht als autoreflexiver Rahmungsakt: Erstens ist das Vorwort als
äußerliches Phänomen eine metonymische "autopresentation du concept"7 des Ge1 Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S, 1004,
2 Der diskursanalytische Begriff des Diskurses bezeichnet die Gesamtheit aller Prozesse des Denkens
und Interpretierens, des Sprechens und HandeIns, die Elemente der kommunikativen Praxis sind,
Folgt man Foucault, so geht es bei der Diskursanalyse darum, "jene duniden Formen und Kräfte"
aufzustöbern, "mit denen man gewöhnlich die Diskurse der Menschen miteinander verbindet"
(vgl. Foucault: Die Archäologie des Wissens, S, 34), Hierbei erwähnt Foucault als "große Diskurstypen" u, a, Wissenschaft, Literatur und Philosophie,
3 Zur narratologischen Definitondes Diskursbegriffes vgl. Barthes: "Einführung in die strukturale
Analyse von Erzählungen", S. 107 f" sowie Mardnez/Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie,
S.25,
420 Luhmann: Die Kunst der Gesellschal+ S 414
421 Ebd,
y'"
,
422 Derrida: Grammatologie, S, 83.
4 Vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 178,
5 Derrida: "Unabhängigkeitserklärungen", S, 10 f,
6 Iser: "Auktorialität, Die Nullstelle des Diskurses", S, 240.
7 Derrida: "Hors livre. Pn~faces", S, 22.
...----------------144
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIYER RAHMUNG
samttextes. Zweitens ist das Vorwort eine Bühne, auf der das werldmnstitutive I
. 1e Selb'
'111 Szene gesetzt wird, und zwar als G
' au {tona
stzltat a1s Al<t d
er Herausgabe
··
d'
1. l'
.
eSte d e~ Z lt1e~:~I~s,
I~ ~ug elC : e111e negative ~este, nämlich eine Geste "auktorialer Ver_
ne111ung ImplIziert. Die Interferenz dieser Gesten läßt die Rede des Autors al
fremde, als allographe Rede, in Erscheinung treten.
S
4.1.1 Genettes Typologie der Vorworte im Hinblick auf die Herausgeberfiktion
Allographie ist Genette zufolge "eine bestimmte Weise der Trennung" zwischen
dem Au.tor des .Textes und dem .Verfasser des Vorworts. 9 Die allographe Trennung
schaff~ Jene D.lstanz: welche ~Ie Bewertung des nachfolgenden Textes und die
RefleXIOn der 111tentlOnalen Emstellung des Autors allererst möglich macht. D'
auktoriale Verneinung ist dabei nicht nur eine Geste literarischer Selbstvel.le le
10
"ugnun~" ,sol~~ern sie vollzieht allererst die partage zwischen dem "wirklichen
SchrIftsteller und dem "fiktionalen Sprecher". II Im weiteren werden die verschiedenen Modi untersucht, in denen sich dieser Bruch in Szene setzen läßt.
. Währe~ld Ehrenzeller, Weber und Busch Autor, Leser und Werk als Endpunkte
e111es Dreiecks sehen 12, scheint es geboten, diese drei Funktionen mit einem vierten Punkt in Relation zu setzen, nämlich dem des Vorwortverfassers. Nur so läßt
sich der Differenz zwischen "Autor" und "Vorwortverfasser" Rechnung tragen.13
Genette: Paratexte, S. 267.
Ebd., S. 252.
Vgl. Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S. 123.
Vgl. FOllcault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1020.
Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, S. 36. Nach Ehrenzeller steht die Vorrede im Spannungsf~ld von ~erk-, Autor- ~nd Leserfunktion. Unter diese drei Gesichtspunkte versucht Ehrenzeller
dIe verschIedenen rhetonschen Aspekte der Vorrede zu subsumieren. Zur Werlifunl?tion zählt Ehren~elle~': 1. die ,,~nhaltsangabe" ~~ziehlu~gsweise die "Angabe des thematischen Grundgedankens"
s~wle dle.:,Ges.duchte ~es Werl~s , wobeI auf Quellen oder Vorgänger Bezug genommen und der
TItel erklart wIrd; 2. dIe verschIedenen Formen der "ästhetischen, moralischen und hygienischen
Rechtfertigungen" des Werkes sowie "die besonders im Mittelalter auftretende Wahrheitsbeteuerung'.m!t ihrer romantischen Variante, der Manuskriptfiktion, und ihrem satiri;chen Gegenstück,
der Flk~lOnsbeteuerung" (ebd.); 3. die "Verteidigung" gegen Feinde und Rezensenten - meist in
~orm :ll1er Attacke gegen :,Momus lu~d Zoilus", aber auch gegen Nachdrucker - sowie die Klage
uber dIe Druckfehler; 4. dIe kommel'Zlellen "Empfehlungen" und "Ankündigungen", also Eigenwe~·bung. Zur ~ese~nktion zähl:: 1. die.Kontaktaufnahme zum Leser, also die "Al1l'ede", die captat~o benevolentzae mitsamt den Sie begleitenden Bescheidenheitsformeln. Hierher gehört auch die
Widmung des Werks. Die Leserfunktion betrifft die Weisungen an den Leser - etwa, bei welcher
Gelegenheit und mit welcher Einstellung das Werk zu lesen sei und welches Publikum als Leser
geeignet ist. Die Autorfunktion bezieht sich auf all jene Aspekte der Vorrede, in denen sich der
Autor vorstellt und auf sein Werk Bezug nimmt - sei es, in Form des "Abschieds vom Werk", sei
es in Form des "Wiedersehens" mit neuen Auflagen, sei es in Form des "Selbstkommentars", also
der Beurteilung des Werkes durch den Autor selbst (ebd.).
13 In diese Richtll~g weist Busch, der zwar auch davon ausgeht, daß die Vorrede im Spannungsfeld
von Autor, PublIkum und Werk steht, dabei aber die Funktion des Vorworts so bestimmt daß dieses "ein Für-Wort für das ,Haupt-Wort' isr" (Busch: "Vorwort und Nachwort", S. 349).'Die Vor8
9
10
11
12
4.1 DIE NARRATIYE FUNKTION VON YORWORTEN
145
e differenziert zwischen "auktorialem", "aktorialem" und "allographern"
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. d em ViorGenet t'1'14 J'e nachdem ob die Verfassersch art
es Haupttextes
emem mit
Vorwor ,
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. erfass er namenSIdentIschen Autor, elller FIgur der Handlung 0 er emer ganz
wodrn: Person zugeschrieben wird. Dem fiktiven auktorialen, dem fiktiven alloanra eren
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g otialer Vernemung zugrunde. Das auktonal vernemende Vorwort vernemt die
aU .l<1' berschaft rur
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der mit dem Namen des realen Autors unterzelc net - etwa ousseau m semer
"preface" zur Nouvelle !!eloi'se -, vor~ibt, "bloß de.s Heral~sgebers Namen zu
C"h' 11" stellt das vernemende, auktorIale Vorwort eme "fiktIOnale Verleugnung
rU le ,
. . . .
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des [Haupt-]Textes" dar. 15 Dieses Vorwort Ist zwar m semem Zusc rel un?stypus
uthentisch, da sein Verfasser ja der reale Autor des nachfolgenden Textes Ist. Zualeich ist es aber "weitaus fiktionaler, da der tatsächliche Autor darin behauptet g h hier ohne es uns nachdrüddich einreden zu wollen - er sei nicht der Autor
auc
des Textes" .16 Indem sich der reale Autor als Herausgeber ausgl'b l' un d entwe d er
mit seinem eigenen Namen oder mit der anonymen Funktionsbezeichnung Der
Herausgeber unterschreibt, schreibt er sich die Rolle einer allographen AussageeInstanz zu. Fiktive Allographie impliziert immer eine Verneinung der A~torschaft,
und diese negative Geste ist die Voraussetzung für jede HerausgeberfiktIOn.
Der Herausgeberfiktion kommt gerade auch aufgrund der Möglichkeit textinterner Kommentierung eine doppelte Aufgabe zu: Zum einen schafft sie Distanz
zu der vermeintlichen Quelle, um "die Absichten und Schwierigkeiten" des Projekts zu thematisieren l7 , zum anderen dient der Kommen.tar ~es ~ktiv~n Herausgebers dazu, die Authentizitätssuggestion der QuellenfiktIon 11'0111sch 111 Frage zu
stellen und so eine "Parallelfiktion" ins Werk zu setzen. 18 Dieser doppelte Alet der
Distanzierung wird im editorialen Paratext aus- und aufgeführt, und zwar im Rahmen jener vier Funktionen, die Genette für das fiktive Vorwort ausmacht: Die erste
wortfunktion besteht also darin, "Fürsprache" für den Haupttext zu leisten. Diese "Fürsprachefunktion" des Vorworts kann dabei verstärkt den Autor selbsr betreffen - beziehungsweise seine
Bitte um Wohlwollen -, oder sie kann sich auf den Leser beziehen, wenn das Angenehm-Nützliche des Buchs betont wird. Schließlich kann die Fürsprache auch dem Werk selbst gelten, etwa in
Form von Direktiven, wie das Buch aufzufassen sei.
14 Vgl. Genette: Paratexte, S. 173.
15 Ebd., S. 181.
16 Ebd., S. 179. Nach Genette ließe sich dieser Typus auch als "krypto-auktorial" bezeichnen, "da
sich der Autor darin als solcher verbirgt", oder auch als "pseudo-allograph", "da er darin als allographer VorwOl'tverfasser auftritt und innerhalb des gesamten Werks nur für das Vorwort verantwortlich zeichnet" (ebd., S. 180). Das Ableugnungsmanäver ist, so Genette, die wichtigste und
mitunter einzige Funktion dieses Typus.
17 Stang: Einleitung- Fußnote - Kommentar, S. 63.
18 Vgl. Voßkamp: "Theorie und Praxis der literarischen Fiktion in Johann Gottfried Schnabels Roman
,Die Insel Felsenburg"', S. 131. Im Gegensatz zur "Parallelfiktion", die als Distanzierungssnategie
begriffen werden kann, drückt sich im Beharren aufAuthentizirät die Haltung aus, sich der Wirklichkeit "so weit als möglich zu nähern und jede Distanz, die sich aufgrund der Vermittlung zwischen dem Faktischen und dem Leser durch Fiktion ergibt, aufzuheben" (Voßkamp: "Dialogische
Vergegenwärtigung beim Schreiben und Lesen", S. 91).
146
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
4.1
~unktion des fiktionalen Herausgebervorworts besteht in der Beschreibung der
tlven Umstände, unter denen der Herausgeber in den Besitz des Textes gelan .
· U"b erl'lererungsC
b
' h ungswelse
. d'le Aufftndungsgeschichte. 19 Die Zw
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1 d le
aso
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Funktion besteht in der fiktionalen editorischen Notiz der Korrekturen und Alte
derungen, also der Beschreibung des Textes als Monument und der SeIb
schreibung der editorialen Tätigkeit; die dritte Funktion besteht in einer fiktiol~tl e·
' b ung d es verme1l1t
. l'lehen Autors beziehungsweise e'a en..
b·10grap h'ISCh en BesclHel
Charakterisierung der maßgeblichen Erzählinstanz. Die vierte Funktion des ~:~~
ausgeberrahmens "ist der mehr oder weniger valorisierende Kommentar des '"
"20 d h d d
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lex·
t~s ,urc e~ er Heraus~ebe~ se1l1e eigene Me1l1ung zum Ausdruck bringt. In
dIeser Kommentlerungsfunktlon hegt für Genette der wichtigste Grund für die Bltionale Zuschreibung eines Textes, denn sie eröffnet - über den Umweg der fikt~,._.
ven Allographie - die Möglichkeit des Selbstkommentars. Glaubt man Barthes'
dann, ha~ ein A.utor nicht die Macht,. sich seIbst}u kommentieren: "C' est pourquol
le prefacler, aglssant comme une VOIX seconde .21 Im Fall eines fiktiv allographen
Herausgebervorworts kann der Autor in der Maske des Herausgebers eine zweit
Stimme etablieren und das, was er selbst geschrieben hat, als Lektüre eines fre1U~
den Textes kommentieren. Mit diesem auktorialen Selbstkommentar in der Maske
eines editorialen Textkommentars wird eine Transformation vom auktorialen Ich
zum allographen Er vollzogen, das heißt, es wird die Fiktion etabliert, daß nicht
der eigene Text, sondern ein ftemder Text Gegenstand des Kommentars sei. Durch
die ,Allographisierung' der eigenen Schrift entsteht also ein editorialer Raum, in
dem Selbstbeobachtung und Selbstkommentierung möglich werden.22
Die durch die Herausgeberfiktion vollzogene auktoriale Verneinung schreibt die
Urheberschaft im Fall eines Briefromans dem oder den fiktiven Schreibern, im Fall
einer Autobiographie einem fiktiven Autor zu. In beiden Fällen prätendiert der
,wirkliche Schriftsteller', ein allographer Vorwortverfasser zu sein, und weist die
"Vater~chaft" am Haupttext "dem Erzähler zu[...J".23 Durch dieses Verleugnen der
auktonalen Vaterschafr entsreht Ego-Pluralität, denn der ,wirkliche Schriftsteller'
entwirft sich im Vorwort als jemanden, der "bloß" die Rolle des Herausgebers hat,
und "transfiguriert"24 sich dadurch in eine fingierte oder fiktive Aussageinstanz.
Im verneinend auktorialen Vorwort tritt der ,wirldiche Schriftsteller' als fingierter
Hera~sge~er auf: im fiktiv allograr,hen Vorwort kommt er dagegen als Herausgeber-Figur Ins SpIel. So etwa das mIt "The Publisher to the Reader" betitelte Vor-
t
19 Genette: Paratexte, S. 267 f.
20 Ebd., S. 270.
21 Barthes: "Preface a ,la Parole intermediare' de Fran<;:ois Flahault", S. 849. An gleicher Stelle heißt
es: ,,]'imagine volontiers que le role du prefacier consiste a enoncer ce que I'auteur ne peut dire,
par pu~eur, modestie, discretion, etc. 01', en depit des mots, il ne s'agil' pas la de scrupules psychologlques. Dn auteur peut vertes dire ,je', mais illui est difficile, sans susciter quelques vertige,
de commenrer ce moi par un second ,je', forcement differenr du premier" (ebd.).
22 Vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 69 f., sowie Assmann: "Der Eigen-Kommentar als
Mittel literarischer Traditionsstiftung", S. 355.
23 Genette: Paratexte, S. 180.
24 Mardnez-Bonati: "On Fictional Discourse", S. 71.
DIE NARRATIVE FUNKTION VON VORWORTEN
147
. von "Richard Sympson" zu Gulliver's 1!avels. 25 Im ~arat~xt zu .Gulliver's 7~awatt
. h bel' auch ein fiktives Aktonal, das zugleich e1l1 fiktlves Auktonal
Bndet slC a
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vels .. I' 1 der vorangestellte Brief von Capta111 Gulhver an se111en OUS111, m em
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d Ed"Itlon rugt:"
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'rect Account of my Travels .
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BI' a1{toriale Vorwort das als Sonderfall des fiktlv allographen Vorworts
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et'den kann ist den Ich-Erzählern vorbehalten - es "Slmu lert as ub trac ltet w ,
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ebiograp h'levot'wort" .27 Prototyp für das fiktive aktonale Vorwort Ist er
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1 d' d s Viot'wort Gil Blas au Lecteur" zu seiner eigenen fiktiven AutoGI B as, et a "
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h'le ve t,caßt
aber zugleich auc e111l1
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1: . In diesem Fall ist das fiktlve Aktonal
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. Alt t'ial und damit gerade kein fiktiv aktonales Herausgebervorwort.
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tlves u { 0
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'f, renz von fiktiver Allographie, fiktivem Aktonal un 11 mvem u {\'ona Ist
lntet de 1bar wenn die Autobiographie mit einem fiktiv allographen Vorwort verdann en { ,
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ie im Fall von Defoes Robinson Crusoe, wo das rJ mve {\'ona a s I{.
se1len Ist, w
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. A l{torial bereits auf dem Haupttitelblatt durch en H1l1wels" tltten y
tlves u
d' . 1 I d . S
HiJUself" etabliert wird. 29 Die Instanz, di~ diesen e ltona .en n ex 111 zene setzt,
. d' ~1 tiv allographe Herausgeber, der Im Vorwort verSichert, er glaube, daß es
Ist et lJ{
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f" h d 1 h
sich bei Crusoes Tagebuch um e1l1e wahre "HIstory 0 Fact an e e, 0 ne "any
.,
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30
Appearance 0f Flctlon 111 lt .
. .
Die Fiktionalität des Herausgebers und seines Vorworts kennt unterschledltche
Grade. Wird das fiktiv allographe Vorwort mit dem Namen des realen Autors unterschrieben, so nährt dies den Verdacht, daß sich der reale Autor als Herausgeber
25 Vgl. Swift: Gulliver's Travels, S. 43: "T~e author of t~ese Travels, Mr. Lemuel Gul,liv:r, is my an~
eient and intimate friend; there is likewlse some relation between us by the moth~I s sIde..[...]. Be
fore he quitted Redriff, he left custody of the following papers in my han~s, wlth the lrb.erty ~o
dispose of them as I should think fit. I have carefully perused them three tImes: the ~tyle .IS plal11
and simple; and the only fault I find is, thaI' the author, after the ma~ner of travellers, IS a llttle too
eircumstantial. There is an air of truth apparenr through the whole .
26 Ebd., S. 5.
27 Genette: Paratexte, S. 278.
.
28 Ein fiktives aktoriales Herausgebervorwort muß von einer fiktiven Herausgeber~gur verfaßt sem,
die in der herausgegebenen Erzählung als Figur, aber nicht als ~ch-Erz~hler auftritt. ~twa da.s Vorwort zu Zeno Cosisi, in dem der Psychoanalytiker aus Rache dIe AufzeIchnungen semes Patienten
herausgibt, in denen er selbst als behandelnder Arzt vorkomI:nt. r:ier ist der Verfas~er.des :rorw~rt~
nicht mit dem Ich-Erzähler der herausgegebenen Erzählung Identisch, sondern le~Iglrch eme Figur
beziehungsweise eine Nebenfigur dieser Erzählung, in der er - aus der Perspektive des herausgegebenen Ich-Erzählers - als dritte Person erscheint.
29 Defoe: Robinson Crusoe, S. 2.
30 Ebd., S. 3. Nach Iser wird hier der Fiktionsverdacht durch eine Fiktio~ in Abrede gestellt: "Das
aber macht nun die Herausgeberfiktion auffallend paradox, wodurch sie etwas .anderes :u. erkeI;nen gibt als das, was sie zu besagen scheint. Denn nic~ts ~at ~ich so ereign~t, WIe ~s explrzlt ver~I~
chen wird; statt dessen ist alles reine Erfindung. Was SIch m dIesem SelbstwIde~s~ruch bezeugt, 1st
der Versuch die Nullstelle des auktorialen Instanz materiell zu verkörpern, dIe m der Herausgeberfiktion i1~re Gestalt gewinnt" (Iser: "Auktorialität. Die Nullstelle des Diskurses", S. 222).
148
4, DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
"tarnt".31 Diese Form fingierter Herausgeberschaft, die im Namen des realen
tors vollzogen wird, läßt sich mit Oura als "semi-fiction" bezeichnen,32 Dem
spricht die fingierte Herausgeber-Rolle Ansorges und das verneinende" ",,,r,,,...
Genettes. Unterscheidet sich dagegen der Name des realen Autors vom Namen d
fiktiven Herausgebers wie im Falle des fiktiven Allographs, so handelt es sich u~
eine "vollständige Herausgeberfiktion".33 Der editoriale Rahmendiskurs der voll.
ständigen Herausgeberfiktion ist ,fiktiver' als der editoriale Rahmendiskurs der
34
semijiction , da er vollständig in einen Fiktionsrahmen integriert ist, Die expli.
zite oder implizite Selbstdarstellung des jeweils in Anschlag gebrachten Konzepts
von Herausgeberfiktion im editorialen Rahmendiskurs hat den Charakter einer
metafiktionalen Reflexion.
Der Übergang vom verneinenden Auktorial zur fiktiven Allographie wird durch-zwei Phänomene verkörpert, die - im Verein mit der Herausgeberfiktion _ für die
Literatur des 18. Jahrhunderts signifikant sind, nämlich durch die Anonymie und
die Pseudonymie: Man denke an die anonymen Erstveröffentlichungen der Ge.
schichte des Agathon und der Leiden des jungen Werthers und an die pseudonyme
Veröffentlichung des Godwi sowie der Romane Jean Pauls. Eine anonyme Veröffentlichung mit Herausgeberfiktion ist eine namenlose, auktorial verneinende Ausführung der Funktion Herausgeber, Eine pseudonyme Veröffentlichung ist dagegen
eine Ausführung der Funktion Herallsgeber unter einem "zweiten Autornamen",
Dieser zweite Name ist, so Lejeune, "ebenso authentisch wie der erste, er deutet
nur auf diese zweite Geburt hin, die das veröffentlichte Schrifttum darstellt".35 Das
Pseudonym ist insofern also kein fiktives, sondern ein authentisches Auktorial, bei
dem man das als Autorname auf dem Buchdeckel angegebene Pseudonym gerade
nicht mit dem Namen einer fiktiven Person "im Inneren des Buches" verwechseln
darf, "selbst wenn diese Person den Status des Erzählers innehat".36 Die Tatsache,
daß man mit einem anderen Namen signiert, deutet aber auch darauf hin, daß in
der Pseudonymie ein diskursiver ,Wille zur Allographie' zum Ausdruck kommt37,
31 Oura: "Roman journale et mise en scene editoriale", S, 5,
32 Ebd" S, 7,
33 Ebd" S, 17,
34 Vgl. ebd,
35 Lejeune: "Der autobiographische Pakt", S, 228,
36 Ebd" S, 229, Vgl. hierzu Niehaus, der die Auffassung vertritt, Pseudonymität sei "als Fiktionalisierung der Autorfunktion das Gegenstück zum Operieren mit Authentizitätssignalen" (Niehaus:
Autoren unter sich, S, 87),
37 Mit Bezug auf Stiegler srellt Wegmann fest, die Wahl eines PseLldonyms impliziere "die Enteignung der Aneignllng des Eigennamen" (Wegmann: "Zwischen Maske lind Marke", S, 129, sowie
Stiegler: Die Aufi;abe des Namen, S, 67), Nach Wegmann zieht die Vervielfältigung des Namens
per Pseudonym "eine Vervielfältigung des Schreibens" nach sich (S, 129), wobei er dafür plädiert,
zwischen der Pseudonymität früherer Zeiten, "in denen Autorschaft noch eine eher untergeordnete Rolle spielte, lind den ,Pseudonymen' neuerer Zeit zu differenzieren", denn erst mit der "Inthronisation von Autorschaft im Kontext der Genieäsrhetik des 18. Jahrhunderts, die Schrift als
Ausweis des Individuums verhandelI' und ein Werk schließlich auch juristisch mit einem Urhebernamen verknüpft, sind auch mannigfache Techniken ihrer Verschleierung und Fiktionalisierung möglich geworden" (S, 131), Söhn beanrwortet die Frage, was Autoren dazu veranlaßr, sich
149
4,1 DIE NARRATIVE FUNKTION VON VORWORTEN
,
] D oppe Iung Im
. Diskurs"38 ist. ' die der Modulation von
, . leI' reflexlve[n
der IndiZ
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Herausgeberschaft
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Boden bereitet.
, .ter zU [I <:tlver
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als Verkörperung der Funktion Herausgeber
4,1,2 Die Herausgeb er,fiktion
1
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Bn ierter zu fiktiver Herausgeberschaft läßt sich mit Gene~te
Der übergangl vÜ~ I. ~ng von einer auktorial verneinenden Herausgebe~'-~olle, zu
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LInd Ansorg a s ,erg He I' s eber-Fi ur fassen, Die fiktive Allographle Ist eme
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zugleich alle Möglichkeiten von fikeiner fiktiv aktonalAen I
. nder u<:toua 11'a U
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Form verne~ne
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geber-Rolle zu fiktiver eil
8esamttextes wird. Bei verneinend
Vordas Vorwort
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I Zuschr'eibung des Textes, bei fiktiven allographen
I
um le 11 <:t1Ona e
Ib 39 I'
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d' f1l ionale Zuschreibung des Vorwortes se SI'.
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Fall behau~tet deI: ml~ sI-Iem,em el : r des nachfolgenden Textes. Im zweiten Fall ist
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n ein offensichtlicher performativer Widerspruc Z';ISC en
dalen Vorworte, m ene T Ibl _ d dem Namen des Vorwortunterzelchners
dem Autornamen auf dedrn Alte ~tt u~ dem Titelblatt kaltblütig die fiktive Zubesteht, weil der Name es urorhslau
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d Erzä er d ementlett.
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schreibung es lextes an en
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sielt sich der literaturgeschichtliche Ubergang
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'Bktiven Herausgeber-Figur im Zentrum
von der fingIerten Herausge er- 0 e ZUl I
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'dem H'I11welS,
' daß "in der Regel keine
u entziehen, mit
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d rn lediglich eine Verschleierung, die mogdem Verlangen nach I enn lZIelUng z
solute Tarnung der Verfasserschaft angestr~ tWill' 'Visonf: e 'scl1aft verbergen soll, während man auf
b 19 dIe wa ue er assel
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Jicherweise nur d er engeren mge L U d
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' . Vi r rängung er elge 1
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der Bühne des Liter~tu~:berr,le es an :::~~: d:ß die Aufschlüsselung der Pseudonymirät bereltwtlsiert ist. Im Gegentetllaßr Sich festst
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.1 etwa Kürschners Deutscher
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.1 1" (Söhn: Literaten hinter was en,
toren liefern ohne Umschweife die entsprec en en nrel agel
S, 10 f,),
,I
" S 228
38 Iser: "Auktorialität. Die Nullstelle des DIS mrses, ' . ,
39 Vgl. Genette: Paratexte, S. 266,
40 Ebd" S, 181.
41 Berrhold: Fiktion und Vieldeutigluit, S, 123,
150
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
jenes Spaltungsbewegung ab, die zur Ego-Pluralität im Sinne Foucaults führt
fingierte Herausgeber-Rolle und die fiktive Herausgeber-Figur werden \cll.ler·1ieiti';';'~ I
durch die Funktion Herausgeber verldammert, die hier 1m-extensiv mit der
tion Autor ist. Andererseits sind die fingierte und die fiktive Herausgebersch ~.
Prosopopoiia der Funktion Herausgeber zu deuten. 42
at
Die Prosopopoiia dient der Personifizierung überpersönlicher Instanzen43 .
'1
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" dIe Herausgeberfiktion der' SIe
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tlon erausge er e1l1 eSlc 11': le nnglerte Herausgeber-Rolle und die fiktiv lllle,
ausgeber-Figur sind Maskierungen der Funktion Herausgeber - Allegori:n d
Lesens als Schreiben, wenn man so will. Die Prosopohoiia wirft dabei nicht n1 . d?S
Frage nach dem Individuum als einer vermeintlich ~teilbaren Einheit auf45 II le
d
. .d
1
.
,Son,
ern sie wir auc 1 zur "FIgur für die Frage ,wer spricht'?"46. Hamacher zufol-~spricht das Individuum "nicht als die Substanz unteilbarer SubJ'eluivität sond ge ',,-' .
'
erll
aus der DIstanz und unabschlteßbaren Distanz-Erweiterung".47 Diese u b
11'
ßb
D'
na
s~ 1 le. are Istanz-Erweiterung verschiebt die Erfüllung des Anspruchs der Ind'_
vIdualttät auf "unteilbare Subjektivität", wobei der Anspruch aufIndividualität d 1
Subjekt in ei~e Po~ition l;nanövriert, in der es sich maskiert: "Erst vermöge d:;
Maske kann sIch dIe IllUSIOn bilden, hinter ihr sei ein Gesicht, ein seiner seIb
durc.haus .mächtiges Subjekt. verborgen". 48 Im Anschluß an diese Überlegung e;~
scheInt dIe HerausgeberfiktIOn erstens als personifizierende Verkörperung jenes
Maskenwechsels, durch den der wirldiche Schriftsteller ein Bewußtsein dafür erlangt, daß er als Individuum die überindividuelle Funktion Herausgeber vollziehen muß. Zweitens ist die Herausgeberfiktion eine Verkörperung jener
Spaltungsbewegung, durch die der wirldiche Schriftsteller mit dem Al<t des Schreibens und mit dem auktorialen Selbstzitat49 in eine fiktionale Aussageinstanz transfiguriert wird.
42 VgI. hierzu Iser: "Auktorialität. Die Nullstelle des Diskurses", S. 222.
43 VgI. ~~usberg: Handbuch der litera~ischen Rhetorik, § 826, Die Erweiterung der Pl'Osopopoiia auf
Tote fuhrt dazu, daß "auch PhantasIepersonen, ja eine lebende, aber abwesende Person zugelassen
werden", das heißt, die Prosopopoiia wird alsfictio pmona gefaßt.
44 VgI. de Man: "Autobiographie als Maskenspiel", S, 140.
45 VgI: KI~in~,chmidt:, Auto~schaft: Konzepte einer Theorie, S. 84, dem zufolge der Text nm als "TextproJe!mon les~ar 1St', "dl~ als 111stru~1~ntalisierte Sprachmaske das Individuum mehr verbirgt als
~nthullt. Das sIch amkuherende IndIVIduum geht als jeweilige, historisch konkrete Erscheinung
111 der Zeichenwelt seiner Medialität verloren" (ebd.).
46 Menke: Pro:opopoiia, S, ~39, Die Prosopopoiia als "Figur für die Frage ,wer spricht'?" wird somit
auch zur Suchwortgebenn der Frage "Wen kümmert's wer spricht", mit der Foucault seine Untersuchung der AutOl'funktion eröffnet (Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S, 1003),
47 Hamacher: "Disgredation des Willens", S. 334,
48 Ebd., S. 333 f.
49 VgI. Martlnez-Bonati: "Die logische Struktur der Dichtung", S. 188.
4,2 DIE FU N
KTION DES FIKTIVEN HERAUSGEBERS MIT BLICK AUF DIE NARRATION
151
4.2 Die Funktion des fiktiven Herausgebers
mit Blick auf die Narration
t
. Pers ektive der Erzähltheorie ist der fiktive Herausgeber eine Instanz, die
r
Aus
d .pNarration"50 als Akt der Edition vollzieht. Der fiktive Herausgeber,
den ~th er 1'I'S vorgeblicher Allwissenheit, sondern aus (ebenso fiktiven) Dokua
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I-Ierl'aus l' n schöpfen läßt" .52 Das heißt, der Herausgeberrahmen hat die FunkDo
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erden können. Die Nähe zWischen fiktivem Erza 1 er un I <t!vem elgege ben .w
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bereits von Voßkamp
betont: "Je me'
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;. II . des Eingreifens und Kommentierens nutzt, esto e er gerat er 111
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schein kommen .
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In die gleiche Richtung zielt Lees ArgumentatIOn, wenn s.le, au~gehend von Genettes Erzähltheorie, betont, die Instan~ des Erzä~llers}a~se SIC? mIt .der Instanz des
Herausgebers gleichsetzen. "Narrateur un~ ,,~dlteur s~nd dlskurs~ve Do~~le ~es
Autors im Universum des Romans 55 , wobeI SIch verschleden~ "a~t1tu~es edlto!1aE1I1gnffe des HerIes "56 unterscheiden lassen, je nachdem, in welchem Maße dIe
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den
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der
Erzählung
bestimmen.
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des Veröffentlichers', des ,Titelgebers', des ,Kopisten', des ,Ubersetzers , des ,Korrek;ors', des ,Informateur', des ,Organisateur', des ,Annotateur' sowie des ,KO~l
mentators' ,57 Diese zehn Aspekte sind auf die fünf grundlegenden ErzählfunktIonen zu beziehen, die Genette in Die Erzählung anführt. 58
.
Die narrative Funktion bezieht sich auf die propositionalen Aspekte der hzstoire. 59 Die Regiefunktion bezeichnet die metasprachliche respektive.metanarrative Bezugnahme des Erzählers auf den narrativen Text, "um desse~ GI~ederung~n,
Verbindungen und wechselseitige Bezüge, kurz seine innere Orga~lsa.tlon ~e~;ltch
zu machen" .60 Die phatischen und konativen Aspekte der "ErzahlsItuatIOn be50 Vgl. Genette: Die Erzählung, S, 16,
51 Vogt: Aspekte erzählender Prosa, S, 78,
52 Ebd.
53 Ebd" S. 79.
54 Voßkamp: "Dialogische Vergegenwärtigung beim Schreiben und Lesen", S. 93.
55 Lee: Le roman a editeur, S, 18,
56 Ebd., S. 23,
57 Vgl. ebd., S. 24 f.
58 Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 183.
59 Ebd,
60 Ebd.
152
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
DIE FUNKTION DES FIKTIVEN HERAUSGEBERS MIT BLICK AUF DIE NARRATION
153
4.2
die "Ausrichtung des Erzählers auf den Adressaten"61 1 d'
Itre~fen
<:atIOnsfunktion. Die testimoniale oder Beglaubigungsb 1 . '~sod Ie
U.IU1l111h:
"Ausrichtung des Erzählers auf sich selbst"62.
D~n cdtI?nl at agegen lllit
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zu tun. Ie" Ire <:ten oder ind' 1
es Erzählers in die Geschl'cl1 t"
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1 . ungen
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I eo ogIsc e Funktion des Erzählens 63 die zu 1 . 1 1 K
unter die
Erzählens gelten kann.
, g eiC 1 a s ommentarfunktioll des
n ..
4.2.1 Die narrative Funktion des fiktiven Herausgebers
Die n~rrative Funktion des fiktiven Herausgebers besteht - in An
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FunktIon des Vorworts 64 _ darin dI'e' T •
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alogle zur ersten
vOlgesc IC te es .textes ZL . ä h l .1
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1IC 1 zum einen. die.Auffindungsgeschichte,
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u HatIOnsgesc IC te, welche die Umstände der \lj ,"fft l' 1
g~hört auch die Geschichte, wie das Werk zu ~~~ne~t~~tlrngl eschrel~t. Hierzu
dIe Erzählung der fiktiven Vorgeschichte des Text I ~
~om~~n l~t. Durch
menerzählung etabliert die mit Hilfe
J des WH , e111e, e itonale Rah·
11
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von pretenue assertzons e111e p .
(5 e st-) Beschreibung
der editorialen Täti 1 . . 5
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H.Ib
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lographen Instanz in seinen editorialen Rahmendiskur . h xt.~mel I etIven alvollzieht er digressive Aub fra b
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. s emsc .rel t, zum anderen
Rahmendisk!t.s
hIer Kommentar- und Transkriptionsfunktion.
. nso e1l1 Hlterleneren
e~itorialen
"ko~~~~:~r;~e~~~:~~~,?~~cfne~el~e~urc~ s~inen
4.2.2 Die Transkriptions- und Kommunikationsfunktion
1?ie Transkriptionsfunktion umfaßt alle editorialen Täti keiten d
..
Ubel:s~tzensun~ Korrigierens. Das kopierende Abschreibe~ h {S Koplelen~,
das zltlerende Emschreiben und das 1 .
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ge orc t, ebenso WIe
der modulierenden Aufpfrapfung un~~~f;tadtIeVlleHu~ammebnschlreIG'ben, der Logik
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61 Ebd., S. 184.
62 Ebd,
63 Ebd.
64 Vgl. Genette: Paratexte, S. 267 f.
65 Vgl. Genette: Die Erzähfunu S 16
6
.""
.
6 Vgl. Neuhaus: Typen muft/perspektivischen Erzähfens, S. 76.
Der Herausgeber als treuer Kopist ist eine Instanz, die, ohne einzugreifen,
aL~~: I' ch zitiert und so die Authentizität des Originals sicherstellt. Der Herausge:o~~{s unzuverlässiger Kopist macht entweder unabsichtlich Fehler, oder er verf:~{ cht das Original absichtlich: sei es, daß er eigenmächtige Emendationen
l~ s ufüg t sei es, daß er Textstellen unterdrückt und zensiert.
1111~as Pr~blem der Treue zum Original betrifft auch die "Aufg~be des Überset's" 67 Diese ist insofern mit der des Kopisten vergleichbar, als Ubersetzung und
~~~pi~ "sprachliche Transformationen" sind. 68 Die Funktion des Übersetzers kann,
ie die des Kopisten, vom Herausgeber selbst übernommen oder aber delegiert
:erden. So ist in Wielands Geschichte des Agathon der Herausgeberr~hmen ein
übersetzerrahmen. Im Don Quixote fallen dagegen Herausgeber- und Ubersetzerrolle auseinander. 69 Dabei erweist sich die Begründung für diese Trennung zugleich
als Element der Auffindungsgeschichte:
Ich fand aber diese Geschichte auf folgende Weise. Eines Tages war ich auf der Straße
Alcana von Toledo; da kam ein Junge mit alten Schreibebüchern und Papieren, die er
einem Seidenhändler verkaufen wollte. Da es nun meine Leidenschaft ist, alles zu lesen,
und wenn es auch zerrissene Papiere von der Straße wären, so folgte ich auch hier meiner natürlichen Neigung, nahm einige Blätter von denen, die der Junge verkaufte, sah
67 Vgl. Benjamin: "Die Aufgabe des Übersetzers", S. 17, wo es heißt: "Treue und Freiheit - Freiheit
der sinngemäßen Wiedergabe und in ihrem Dienst Treue gegen das Wort - sind die althergebrachten Begriffe in jeder Diskussion von Übersetzungen". Das Verhältnis zwischen Original und
Übersetzung ist dabei dadurch bestimmt, daß sie "niemals, so gut sie auch sei, etwas für das Original zu bedeuten vermag" (S. 10). Dennoch steht sie "mit diesem kraft seiner Übersetzbarkeit im
nächsten Zusammenhang" (ebd.), Benjamin faßt diesen Zusammenhang als "natürlichen" beziehungsweise "lebendigen" Zusammenhang (ebd.), der als "modulierende Transformation" im Sinne
Goffmans verstanden werden kann.
68 Vgl. Lee: Le roman a editeur, S. 28. Diese aus übersetzungstheoretischer Sicht sicherlich fragwürdige Analogie zwischen dem Kopieren von Schriftzeichen innerhalb einer Sprache und dem Übersetzen von einem Schriftzeichensystem in ein anderes Schriftzeichensystem ist unter der Voraussetzung zulässig, daß man erstens, den Begriff der Transkription sehr weit faßt und zweitens die
diskursive Funktion der Transkription berücksichtigt, nämlich einen Raum zu eröffnen, innerhalb
dessen der Herausgeber als treuer beziehungsweise als untreuer Transkribent zu Wort kommen
kann.
69 Nach Raible besteht der Hauptvorteil des Verfahrens, einen kopierenden Autor einzusetzen, "zweifellos in der Fiktionsironie, welche die Nicht-Identität von Autor und Erzähler voraussetzt" (Raible:
"Vom Autor als Kopist zum Leser als Autor", S. 142). Raible verpaßt meines Erachtens die eigentliche Pointe der im Don Quixote inszenierten Übersetzerfiktion, wenn er behauptet, Cervantes thematisiere in seinem Werk "das implizite Verhältnis zwischen Erst- und Zweitautor" und
führe damit "die Unterscheidung zwischen dem Autor einerseits und dem Erzähler andererseits
ein, Der Erzähler oder Zweitautor ist nicht identisch mit dem Erstautor, Anders gesagt: Der Autor
Cervantes zerfällt in zwei Instanzen, in einen Erstautor und in einen Zweitautor oder Erzähler, Der
Zweitautor ist damit weiterhin gleichzeitig der erste Leser des Werks" (ebd., S. 149), Plausibler als
die von Raible getroffene Unterscheidung ist die, daß der arabische Verfasser des Don Quixote der
Erstautor ist, während der Erzähler und der Übersetzer Instanzen sind, die als erster Leser und
zweiter Autor jeweils die Rolle eines nacherzählenden Herausgebers beziehungsweise eines übersetzenden Herausgebers übernehmen. Vgl. hierzu auch Martlnez-Bonati: ,Don Quichote' and the
Poetics ofthe Novel, S. 69.
154
4, DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
sie und erkannte die arabischen Lerrern. Ich kannte nun zwar die Buchstaben, kann
sie aber nicht lesen und sah mich also um, ob ich nicht einen halbspanischen MOriskete
fande, der sie lesen möchte. Es war auch nicht schwierig, ~inen solchen Doll11etsch~~
anzutreffen, denn man hätte dort wohl welche selbst für ell1e bessere und ältere SP1'
Q..
che finden können. Kurz, der Zut:'111 führte einen herbei, gegen den ich meinen Wunsc\
äußerte und ihm das Buch in die Hand gab; er schlug es in der Mitte auf, und als er eh:
wenig gelesen hatte, fing er an zu lachen. Ich fragte ihn, worüber er lache, und er antwortete, über etwas, das in diesem Buch als eine Bemerkung auf den Rand geschrieben
sei. Ich bat ihn, es mir zu sagen, und er, ohne sein Lachen zu unterbrechen, sagte: ,Bier
steht, wie ich gesagt habe, auf dem Rand geschrieben: Diese Dulcinea von Tobos o, die so
oftmals in dieser Historie genannt wird, hatte nach Berichten unter allen Frauenzimmern
in La Mancha die glücldichste Hand, Schweinefleisch einzupökeln, 'Als ich Dulcinea VOn
Toboso nennen hörte, war ich erstaunt und überrascht, denn mir fiel sogleich ein, daß
dieses unnütze Papier wohl die Geschichte des Don Quixote enthalten möchte.7 0
Hier sind Herausgeber und Übersetzer zwei verschiedene Figuren, die gemeinsam -die Funktion Herausgeber erfüllen. Der Übersetzer lacht über eben jene Randbe_
merkung, die für den Herausgeber zum sprachlichen Symptom dafür wird, daß es
sich bei dem Manuskriptfund um die Fortsetzung der Geschichte des Don QuiXOte
handelt. Das Makularurblatt entpuppt sich als "Historia des Don Quixote von La
Mancha, geschrieben vom eide Hamete Benengeli, arabischem Historienschreiber" ,71
Der ,Zufall' besteht nicht nur darin, daß das Manuskript die Geschichte des DOll
Quixote enthält, sondern daß das Manuskript von Hamete Benengeli genau an der
Stelle einsetzt, an der die Geschichte des Don Quixote abbricht. Eben dies ist die
Entdeckung, die der zweite Autor macht, nachdem er die Übersetzung des "Mohren" in Händen hält: "Auf dem ersren Blatte war Don Quixotes Schlacht mit dem
Biscayer ganz nach dem Leben abgemalt".72 Die Tatsache, daß sowohl der Historienschreiber als auch der Übersetzer Araber sind, impliziert nun allerdings ein doppeltes Wahrheitsproblem, denn "dieser Nation" ist es, wie der zweite Autor
feststellt, eigentümlich "zu lügen",73 Andererseits hat die marginale Bemerkung
über die Pökelkünste der Dulcinea von Toboso eine indirekte Beglaubigungsfunktion. Die Randbemerkung fungiert als genuiner Index dafür, daß Dulcinea existiert
hat, daß mithin das Manuskript die Wahrheit sagt, auch wenn es durch die zweifelhafte Modulation des übersetzenden "Morisken" verfälscht wird.
Im Gegensatz zu der kopierenden und der übersetzenden Modulation kann die
Korrekturfunktion eigentlich nur durch den Herausgeber selbst übernommen werden. Das Ziel dieser Tätigkeit besteht darin, eine unlesbare Schrift in eine lesbare
zu transkribieren und dadurch einen Zugang zum Text zu eröffnen,74 Der Editor
70 Cervantes: Don Quixote, 5. 70 f.
71 Ebd" 5. 71.
72 Ebd., 5, 72.
73 Ebd., 5. 72 f,
74 Allerdings kann auch die Unmöglichkeit, einen Zugang zum Text zu gewinnen, in Form eines
monumentalen Kommentars protokolliert werden. 50 bemedcr der Herausgeber der Elixiere des
Teuftls in seinem Vorwort, daß es ihm fast unmöglich gewesen sei, die Papiere des Kapuziners
4,2 DIE FUNKTION D
ES FIKTIVEN HERAUSGEBERS MIT BLICK AUF DIE NARRATION
155
.. 1turinstanz historisch-kritisch auf die formalen und materiabezieht sich als I~orte <en der Texterfassung. Dabei nimmt er gegenüber dem v~n
len Rahmenbed111~~n~ Itllng eines Symptomdeuters ein, der den Text als ?en~1l1
te
ihm ediel:
behandelt und auf diesen Text in
c
indexikahs 1es
. n en Kommentare und Fußnoten Bezug lllmmt.
le <,~l
dexikalischer
ist zugleich die phatische Vo.raussetzung
tische Modulatl~~r wird. Als phatisches Herstellen eines ?ememsal~en C.~~es 1st
daß der Text les c l '
di KommunikationsfunktIOn anschheßbal.
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Leser
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f 1 ion besteht nach Genette arm, onta <t ZU~TI .
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b 'ifft die tec lllSC -me la e ,
funktion etr en b din un en dieses Prozesses. Aufgrund der sc 1'1 t lC en 01.rischen Rahm.
e. g g der Autor den Leser nicht kennen und wedel: sel~l
munikationssltllatlOn kanln. R 1tl'onen kontrollieren. 78 Die Kommulllkatl. h"t en nOC1 seme ea<
h'f .
Interesse emsc a z.' f b
. d medialen Möglichkeiten der Sc 1'1 t eme
onsfunktion hat die ~u?a e,.mlt. en 'nszenieren, um mit dem Leser in Konmündliche KommunlkDat~olnssltu.~tdlOznu;ul~terarischen Form", in die das Konzept
men Der la og WH
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1 . .t"79 wird . Als diskurSives
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mün lC er. 0t der fi1'
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I' mit einer Ansprache an emen anonymen
I{tlve erausge e h ' d'
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Autors eg111n
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d. a +atio zu verstehen ist, sondern auc e1l1e 1Sd' . ht nur Im 1I1ne er c 'P.'
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Leser, le nlC
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h 80 Im Zuge der Leseransprac e wir
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nd eine bestimmte interpretative Halpositive Steueru~gsfu~ m~\l at.
eine bestimmte dlskurs~e 0 ~t~g~w~~~;~~
~ugleich
eine "Leserfiktion"81, die im
e
tung nahelegt. Diese ". es~rro ce 1 ~ d
dient den perspektivischen Ort des
d K mun1katlonsrun mon azu
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fJl .
Rahmel~
er. om "82 . An . h des fiktiven Herausgebers an einen I <tlOLesers emzu1'1chten. Die
sp1ac e
7Te~o~~m:nt
At:me~:~ I~01':ektors
Fort~ dege~~e~~r\l~
daf~r,
,,5 li e eine sehr kleine, unleserliche mönchische Handschrift geMedardus durchzulesen, "da deI e g
"
,
b ' I uilgsweise kopiertes Pergamentblatt
5 Il b" ht em zltIertes eZIe 1
d
schrieben" hatte. An an erer te e llC
I
d H" lisgebers ab, Hier wird, günstiger Leser,
" . d D I d Anmer ülng es ela.
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des alten Malers mIt er 0 gen en
d I' I d ß weiter etwas zu entziffern ganz un"
5 h 'f d i r n Malers so un eut IC 1, a
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die halb erloschene c 1'1 I' es a e
"d
,I" d' n Kapuziners Medardus zuruc (
" II'cll ist Wir kehren zu dem Manusknpt es mel (wur Ige
mog,
" ' , TI 'hl 5 515)
(E, T, A. Hoffmann, Die E!txlere des eUJe:, "1' "1
FeIlleI' begrenzen ohne diesen Vorschlag
,
I' d K" I I' rs auf dIe StI IStISClen
" ' I
75 Lee will dIe Fun mon es Olle (0 'M'
5 30) Meines Erachtens sollte man un Gegente,I
weiter zu begründen (Lee: Le roman ~ tteur, " I '
. der Makulatur hinzurechnen, DIe
,
1 c 11 'd I pnmatur beZIe lungsweise
sogar noch dIe Druc ne 1 et es m
f
11' h F I leI' die außerhalb des Heraus, " b ' I 'h d
auch au sprac 1 IC e e 1 ,
kritische Transl~IptlOn ,ezie ~t SI~ an~ehler im Manuskript wurden vor seiner Entdeckung begebel'1'ahmens hegen: DIe sptachh,chen"
h d Al der Publikation, sofern man darunter den
gangen, die Druckfehler des Impl'1lnatlu nac em n
Weg zum Verleger versteht. " ,
l ' d E" "hlens mit den Funktionen des Kopisten,
76 Auch Lee bringt die Kommu11lkatlO~ls~l~n b(~IO~l es (vtg~a Lee' Le roman aediteur, 5, 58),
des Übersetzers und des Entdeckers m ver m ung
,
.
77 Genette: Die Erzählung, 5. 184,
,"
78 Vgl. Luhmann: "Die Form der 5chnft ,5, 365,
79 Ebd,
80 Vgl. Iser: Der Akt des Lesens, 5. 60.
81 Ebd" S. 59,
82 Ebd., 5. 248.
,T:fj
156
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
4.2 DIE FU
nalen, anonymen Leser findet ihre dialogische Rücld<opplung in der Vor l' 11
'h del'.lea1e Lesel.
'
' SlC
dle
von der Sprechennstanz
des Vorwortes macht Ds ecl Ullg)
' de111e
' lmagmare
,
'" 10mmuni
T.(
'mtlOnssltuatlOn
1'"
h ergestellt.
' a Ul'ch
wu'
4.2.3 Die Interdependenz von Informations- und Beglaubigungsfunktioll
Die Informationsfunktion des Herausgebers besteht darin, sachliche I-Entel"
cl
' I:,'
"b ,d' "
h'
glUll_
111IOunatlOnen u elle vorgesc lchte der Handlung und der Personen z I' I:
,
u leiel'll
' , d'
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m em von Ihm herausgegebenen fiktlven Manuskript angeblich nicht el' "I )
·d 83 D
'" b '
d
'
.
wa Illt
wd,elBen'h 'bamlt u ,ernu~mt er J:1er~usgeber e111e narrative Funktion, die Übel'
se111er eIgenen edltonalen Tätigkeit hinausgeht und er tr"
,
oleptlmlerung
"esc rel ung
d
,"1
, a g t ZUl
er narratlven 0 <onomie bei. Unter der Informationsfunktion 1
sen sich all jene Anmerkungen subsumieren, die den Leser auf bestimmt as" d e aufmerksam machen. 84 Hierzu kann die von Ge e gesch'lCh l'I'lC h e H'111tergrun
"h
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erwa nte vorwortmn won gezählt werden, über die biographischen HintergI'" cl
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e111es 1<tlVen, utors zu 1~formieren85, aber auch die Erzählung der Vorgeschichte
des Manusknpts. Das heIßt, daß die Informationsfunktion des fiktiven Hel'a
b "
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"
usgeeIS 1m R men der narra1'1ven FunktlOn vollzogen wird, wenn es um die Erzählung der Auffindungs-, Konsignations- und Publikationsgeschichte .geht, D'
E "hl
. d 'h
'
lese
rza un,gen S111 1 rerselts an die Beglaubigungsfunktion gekoppelt, die nach Lee
"la fonctlOn la plus characteristique de l' editeur"86 ist. So schreibt etwa der Herausg~ber z~ Robinson Crusoe, in seinem Vorwort: "The Editor believes the thing 1'0
be a Just HIstory of Fact; nelther is there any Appearance of Fietion in it". 87
, Unldar bl~ibt, welchen sprechakttheoretischen Status die Beglaubigungsfunk1'1on h~t, Da 1m Rahmen der Beglaubigungsfunktion Behauptungen über den re.
ferentlellen Status des nachfolgenden Textes aufgestellt werden, müßten alle
Aussagen ü,~er d~n ~ext als fiktiona~e assertive Sprechakte angesehen werden. Für
Gen,ette druckt, SIch 111 der. Beglaubigungsfunktion dagegen in erster Linie ein affel~tlves, n:oraltsches, und 111tellektuelles Verhältnis zum Text aus - ihm zufolge
mußte es SIch also ,~el ~er Be~la,ubig~ng um einen fiktionalen expressiven Sprechak~e hande,ln. Tatsachltch OSZIllIert dIe Beglaubigung des Herausgebers bei Defoe
z':lschen e111er:r expr~ssivec? Modu~, in dem er seiner Überzeugung Ausdruck ver.
leIht ("The Edltor belteves ), und emem assertiven Modus, in dem er feststellt daß
~ie ~es~l~~chte keinerlei Fiktion enthalte ("neither is there any Appearance Fic1'1~n In l';8J' wa~, d~rch, das ~~ch, auf dem ,Haupttitel~latt,stehende "Written by
J:Ilmself ,beklaftlgt WIrd. Fur dIe Beglaublgungsfunktlon 1st dabei weder die Aufnchtung e111er glaubhaften Authentizitätsfiktion entscheidend noch die Frage, ob
oi
83
84
85
86
87
88
Vgl. Lee: Le roman Cl editeur, S, 65,
Vgl. ebd" S, 31 ff.
Genette: Paratexte, S. 270.
Lee: Le roman Cl editeur, S. 59.
Defoe: Robinson Crusoe, S, 3,
Ebd" S. 2,
NKTION DES FIKTIVEN HERAUSGEBERS MIT BLICK AUF DIE NARRATION
157
, us eber den zum Ausdruck gebrachten Glauben tatsächlich ernst meint,
derdB~la ll;in der Umstand, daß die Frage der Authentizität überhaupt verhandelt
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I' nicht darum, dem Leser die Authentizität des Manuskripts glaubhaft
Es ge 11'1 g~ sondern die Funktion der Beglaubigung besteht vielmehr in der TatzU maCle ,
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sache, daß der Herausgeber den Akt ~er Begdlalbl ~~ungRahs per 0drmaBtlvel eb~te vo . 1 Der fiktive Herausgeber übernImmt a el 1m amen er eg au 19ungs;lCllt.. n dl'e Rolle eines Grel+ier, der als "officier public"9l, das heißt als notarieller
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euge der Schrift' auftritt und die von Ihm herausgegebenen Manus mpte
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M~;erials aufwirft, als indirekter deklarativer Sprechakt anzusehen, mit dem der
Herausgeber erklärt, er sei dazu autorisiert, die Beglaubigungsfunktion ausz~
fuhren, Das Ausführen der Beglaubigungsfunktion impliziert also eine Selbstins1'1tutionalisierung des fiktiven Herausgebers als maßgebliches Subjekt ~es Diskurse~.
Zum Signalrepertoire dieser Selbstinstitutionalisierung gehört zum eme~l, d~ß dIe
ßeglaubigungsfunktion ostentativ vollzogen wird, zum anderen" daß dle,Dlsku~
sion der Authentizität mit einem bestimmten Aufwand betneben WIrd. DIe
ßeglaubigungsfunktion des Herausgebers besteht also darin, mit d~m Veröffen,tlichungsakt den Kontrakt der Herausgabe einzulösen. Die Beglaublgungsfu~lwon
kann dabei im Rahmen des Vorworts als interne Reflexion über den authen1'1schen
Status vollzogen werden oder aber eine unentwegte Beglaubigungsdynamik in
Gang setzen, bei der in immer neuen Vorworten die Aussagen der vorangegangenen Vorworte in Frage gestellt werden,
So wird die in der "Pl-eface du Redacteur" der Liaisons Dangereuses vollzogene Beglaubigung des Materials durch das davorstehende "Avertissement de L:Editeur"
wieder in Zweifel gezogen. Während der "Redacteur" sowohl in seinem Vorwort als
auch in seinen Fußnoten suggeriert, er gebe eine Auswahl aus einer tatsächlichen
Brieflmrrespondenz heraus, negiert der "Editeur" diese Authentizitätsfiktion, wenn
er schreibt: "Nous crayons devoir prevenir le Public, que, malgre le titre de cet Ouvrage et ce qu'en dit le Redacteur dans sa Preface, nous ne garantissons pas l' authenticite de ce Recueil, et que nous avons meme de fortes raisons de penser que ce
89 Vgl. hierzu NUnning: Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion, S, 166.
90 Lee: Le roman Cl editeur, S, 1.
91 Diderot/d'Alembert (Hg,): Encyclopedie, Bd,15 (1765), Stichwort "signature authentique", S, 187.
92 Vgl. ebd.
" ""1
,11
158
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
4.2 DIE FUNKTION DES FIKrIVEN HERAUSGEBERS MIT BLICK AUF DIE NARRATION
n'est qu'un Roman",93 Hier geht es nicht allein um d'
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sondern'vor
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gungs un tlOn es fiktiven Herausgebers mit seiner Kommentarlun
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Der Kommentar ist als Möglichkeit
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DIese Ideologische Funktion gibt dem Eil'
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Die Anwesenheit des Autors manifestiert ,~esen .el,t I~ se111em Werk benennt",97
phisc~en Verkörperung seines Kommenta:~c d:~~lt~~ Jeroch nur in ~er typograsenhell' an den Rändern des Textes od ' I ' I ,leI t a s typographIsche Anwebetrifft insbesondere die von Goccman el~ähs marsnerter Kommentar im Text. Das
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erw, nten atzz i h
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e ~ e~, u noten und Klamern , um den "eigenen Text auf einer andere
e111em anderen Rahmen _ zu kommentieren ~9~b~~e - 111 ~111er anderen Rolle und
berkommentars hat dabei eine glel' h' ß
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le ~erkorperung des Herausge_
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gen er ersonen zu beuneilen100 , bezelc
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93 De Laclos: Liaisons Dangereueses, S, 2,
94 Frank: Narrative Gedankens"iele S 5 I
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ura: "Ron~an jonrnale er mise en scene editoriale" S 17
96 Generte: Die Erzählung, S, 184,
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97 Ebd" S. 186.
98 Goffman: Rahmen-Analyse, S. 253,
,
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,
99 V~1. Asmann: "Der Eigen-Kommenrar als Mi I!' - ,,'
mll' Blick auf die Rolle der Typog' I' R ,r:e /telallschel Trad1l'1onssl'lfwng", S. 369 sowie
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lap ue, emlglUS BUI . , D' S·
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ua,,, le runme er Typographie" S,375.
100 Lee: Leromanatfditeur S 35 L fi"h'
,ee u 11' ne en er ](ommentarlU k .
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rlOn es Annorareur ein die el'lle V' I hl
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J' n tton zusatz IC noch die Funk, I e za rec I' unterschi d!' h F
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e IC ~r ormen des Anmerkens bUnd eh, nämlich, I, das Anzeigen einer zitiertel1
zu korrigieren; 2. Anmerkungen dl'e d _ L Que e ---: auch um die Fehler des expliziten Erzählers
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g, len davon, daß die Anmerkungen über
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e eIrs el nlOl'lnal'lon fi I ' "
man gegen Lee _ und letztlich auch
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' . s un et10n zugeor net wurden, könnte
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g n um a 1'. as lI1dexIkahsche Anzeigen einer zi tierten
valorisierenden Kommentar des Textes" als jene Funktion, "in der die
l1~tte 1 ~:o~~ des allographen Vorworts am stärksten auftritt" .101 Durch dieses siSll1t ~ allographe Vorwort kann sich die Funktion Autor im Rahmen der Funkl~lule~~~'ausgeber selbst beschreiben und kommentieren. Dabei vollzieht der
tl~~ kommentar als Form "textinterner Kommentierung"102 zugleich eine SelbstSd~ stzierung und eine "Ebenendifferenzierung" ,103 Selbstdistanzierung und Eben-
4.2,4 Die Interdependenz von Kommentar- und 0,Iga11lsatlonsrunktion
. , c.
EI:zähl~rs in die Geschichte" Ausdru~~ld~/~e~~~ ~d~r 111dlrekt~n Einmischung des
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voraussetzung f"ur d'le meta fi1etlOna
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e Die Regiefunktion des Erzählers bei Genette deckt sich mit der OrganisationsfI lktion des fiktiven Herausgebers bei Lee. lOG Die Regie- und Organisationsf~~ktion betrifft sowohl die Ordnung als auch die Perspektivierung des präsen-8
tierten Materials l07 und Ulnfaßt damit alle Aspekte der werkinternen dispositiol0 :
jene Operation des "digerere in ordinem atque disponere" 109 also, die mit der Auswahl und dem Arrangement des Geschriebenen zu tun haben. Faßt man die Regieund Organisationsfunktion als editoriales Dispositiv, das die Auswahl und das Arrangement des Geschriebenen rahmt, so wird der Dispositiv-Begriff in zwei Hinsichten an den Diskursbegriff anschließbar: zum einen verweist das Dispositiv auf
Machtverhältnisse, die sich in der "Ökonomie des Diskurses" als steuernde ,,I(räfteverhältnisse"110 manifestieren: Kräfteverhältnisse, die die Dynamik des Textes
und mit ihr die Dynamik der "redistributive[n] produktivität"lll determinieren,
ZUlU anderen kann der Dispositiv-Begriff auch als Beschreibung jener rhetorischen
Quelle als inhaltliche Korrektur des herausgegebenen Erzählers, die Leserführung als wiederholende Gedächtnisstütze und die Anmerkung über die Herausgeberpolirik (also das Weglassen
oder Unterdrücken besrimmter Stellen oder das Ersetzen von Namen durch Sternchen) wären
demnach allesamt Aufgaben der Kommenrierungsfunkrion, die in der Anmerkung lediglich
"ihren Ausdruck" finden.
Genette: Paratexte, S. 270.
Stang: Einleitung - Fußnote - Kommentar, S, 63.
Bickenbach: Von der Möglichkeit einer ,inneren' Geschichte des Lesens, S, 206,
FranlG Narrative Gedankenspiele, S, 51.
Bickenbach: Von der Möglichkeit einer ,inneren' Geschichte des Lesens, S. 206,
Vgl. Lee: Le roman a editeur, S, 17, Allerdings setzt Lee die diskursive Darsrellung der OrganisationsJunktion eines fiktiven Herausgebers mit den Aufgaben eines realen Herausgebers gleich, So
schreibr sie, die Funktion des fiktiven Herausgebers bestehe darin, "de donner de I' ordre selon
l'ordre dej1t suggere dans le manuscripr meme (la chronique, le sujet, les interlocuteurs, etc.)"
(ebd.). Was Lee nicht berücksichtigt, isr der Umstand, daß es für einen fikriven Herausgeber
keine vQrgängige textuelle Ordnung des "manusctipr meme" gibt, der er folgen könnte,
107 Zum Unterschied zwischen "Perspektivismus", "Perspektive" und "Perspekrivität" vgl. Lobsien:
Theorie literarischer Illusionsbildung, S, 42 ff. Nachdem Lobsien den Begriff des Perspektivismus
als obsolet verabschiedet haI', unterscheider er zwischen der Perspektive im Sinne der Leserperspektive und "Perspekrivitär" als Zusammenspiel von Blickpunkr, Abschattung und Horizont
101
102
103
104
105
106
108
109
110
111
(ebd,),
Vgl. Lausberg: Elemente der literarischen Rhetorik, S, 28.
Calboli Monrefusco: "Dispositio", Sp, 831.
Foucault: Dispositive der Macht, S. 70.
Kristeva: "Der geschlossene Text", S, 194,
I
I
---------
..
160
4.3 DIE RAHMUNGSFUNKTI0N DER HERAUSGEBERFIKTION
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
Transformationsprozesse in Dienst genommen werden die am Über
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e:o:uttO stat~finden,II,2 In d~~sem Fall kommt das Dispositiv als e~1'
Klaftevelhaltms, 1Il den BlIck, das dIe Ausfuhrung, aber auch die Verkörperun 11\
Konzepten beswnmt,
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Im Kontext der Herausgeberfiktion stellt die Regie- und Organisations1::1 '
, Mas I~e der Fun I'
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Won Herausgeber respektive eine Personifizierung dtUn d'
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Rahmung, Das Arrangement des Materials findet im Rahmen der Regie- 1 d Oe~\
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1gamsatlOnsrun mon, le Re exion des Arrangements findet dagegen im R h
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Kommentar des Textes 1st lIlsofern Immer auch ein expliziter oder impliziter S Ib
kommentar der Editionspolitik, Dabei hat der Kommentar als Beschrel'bun e stB,eurtel'I,ung d
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es Haup~textes mcht nur ~en Charakter fiktionaler assertiver respektIve fiktlOnaler expreSSIver Sprechakte; Vielmehr kann der Kommentar auch I d'
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h l a s Ire Imver prec an gewertet werden, wenn er als Kommentar der Regie- d
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Leseanweisungen gibt und damit eine verbindli I R
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Mehr noch, Kommentare können sogar den Char~ner.~nd~rekter deldaratIver Sprechakte annehmen: Mit jedem Kommentar erklärt
s~ch namltch der Kon~mentator fürs Kommentieren zuständig und vollzieht damit
elllen Sprechakt, der 1Il funktionaler Analogie zu dem von Derrida in Un abh" _
gigkeitserklärungen" beschriebenen Deldarationen steht, 114 Der erste I<omm an,
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ental
I~t le rmä,c tlgung für alle weiteren Kommentare und bringt damit die digresSlve DynamIk des ,unentwegten Vorworts' in Gang,
4.3 Die Rahmungsfunktion der Herausgeberfiktion
Die ~ben,endifferenzierung und die Selbstdistanzierung, die durch die Kommentar-
~un!mo~ lIlS ~erl~ geset~t w~rden, pnden in Genettes Unterscheidung zwischen "ext-
IadiegetIscher ,,,lIltradlegetlscher und "metadiegetischer" Ebene 115 ihren narratologischen Ausdruck - eine Unterscheidung, die eine Reformulierung von älteren
112 Vgl. Barthes: "Einfühnll1g in die strukturale Analyse von Erzählungen", S, 107,
113 Ebd., S, 42.
114 Vgl;, Derrida: "Declarations d'Independance", S, 16, sowie Derrida: "Unabhängigkeitserldärungen, S. 14,
115 Vgl. Genette: Die Erzählung, S, 163 fE.
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161
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schaftlichen Ansätze zur Rahmenerzählung und zur "Rahmenkom, semem
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Art1']<.e I'1m Rea /'/text'k on zwel,nar'
' 'atllrWlssen
Jtte~"
"116 ermöglicht, Kanzog erwähnt 1Il
postnO~l I Motivationen für das Verwenden von Rahmenerzählungen: Zum emen
ratoJOgtSClle I tlg zum anderen den Versuch der Autoren, sich hinter Rahmener, Leser en (U ,
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t'stecken um die Innenweltdarstellung und das Sptel mtt Erza 1 per"I
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organisieren, Ebenso wie für Martlllt, dem zufolge der Ra men as eeknven
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'1' einer persönlichen Erzählperspe ~tIve urc 1 nngt , tst tUt' nzog d'te
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me' tad. rschiedenen Ebenen lassen sich mit Hilfe von degenenerten
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der Leerzeilen, Allerdings sind auch "narrative
mogI'tCh , b et' d enen
oder Wechsel zwischen den Ebenen ellle
, "KonmslO~
1::' d er Rah me~,
"125 aus I"ost, GI'
" ethes gilt für die mediale Ebenendifferenzierung zwtschen dem Zttteren von mundfieher Rede und dem Zitieren von schriftlicher Rede - auch hierbei kommt es zu
einer Konfusion der Rahmen, Jäggi faßt die Rahmenerzählung als "Sonderform des
mehrschichtigen Erzählens", die in ihrer einfachsten Form von einer zwei~chich:i
gen Struktur determiniert ist, wobei "die erste Textebene (der Ra~me,n) ~te z;vette
(die Binnenerzählung) umgibt" ,126 Obwohl die Struktur der ZwetschtchtIgkett be116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
Sldovskij: Theorie der Prosa, S. 49 ff,
Martini: "Die deutsche Novelle im ,bürgerlichen Realismus"', S, 265,
Kanzog: "Rahmenerzählung", S, 322,
Ebd,
Ebd,
Ebd,
,
Bertram: Studien zu Adalbert Stifters Novellentechnik, S, 30, In gleicher Weise argllmentlert Stephan, der die Art der Rahmung als erzähltechnisches Mittel deutet, ,um "au~ ~iner Flil!e von, Möglichkeiten, die dem epischen Dichter zu Gebote stehen, durch die Qualltat d~r Dlstanzlerung
eine bestimmte Erzählhaltung einzunehmen" (Stephan: Das Problem des novellIstIschen Rahmen-
zyklus, S, 19),
Lllhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S, 415,
Genette: Die Erzählung, S, 168,
Lllhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 415,
Jäggi: Die Rahmenerzählung im 19, Jahrhundert, S, 62,
162
4.3 DIE RAHMUNGSFUNKTION DER HERAUSGEBERFIKTION
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
ziehungsweise der Mehrschichtigkeit auch bei Herausgeber- und Manuskriptflk_
tion zu finden ist, möchte Jäggi den Begriff der Rahmenerzählung so eng fassen,
daß Herausgeber- und Manuskriptfiktion herausfallen müssen, weil ihnen das Moment der Mündlichkeil' fehlt. 127 Das entscheidende Argument für die Trennung
von Rahmenerzählung und Manuskriptfiktion ist lallt Jäggi jedoch nicht die l1lediale Differenz zwischen schriftlicher und mündlicher Erzählsituation, sondern die
Tatsache, daß der "Herausgeberhinweis", welcher der Erzählung vorausgeht, Vortäuscht, der Herausgeber sei "eine Figur der echten Wirldichkeitsaussage", gehöre
also "nicht zur Welt der Erzählung". 128 Mit der strikten Trennung von Herausge_
benahmen und Welt der Erzählung impliziert Jäggi, daß Manuskriptfiktionen die
Instanz eines fingierten Herausgebers benötigen. Unplaus~?el wird diese Argumentation dadurch, daß Jäggi an gleicher Stelle betont, die Außerungen der Herausgeberinstanz müßten "als fiktional beurteilt" werden, da sie "einem Erzähler
ersten Grades zugehörig" seien. 129 Mit dieser Behauptung nivelliert Jäggi die Von
ihm eingeführte Differenz zwischen der Figur des Erzählers und der Aussageinstanz
einer Herausgeberfiktion, denn im Gegensatz zum fingierten Herausgeber agiert
der fiktive Herausgeber immer schon als Figur im Rahmen der Fiktion.
Obgleich Jäggis Begründung einer strikten Trennung von Manuskriptfiktion
und Rahmenerzählung nicht überzeugen kann, besteht zwischen dem Erzähler
einer Rahmenerzählung und einem fiktiven Herausgeber tatsächlich eine gravierende Differenz, die sich auf zwei Ebenen feststellen läßt - in beiden Fällen hat die
Differenz mit dem Akt des Zitierens zu tun: Der erste Unterschied betrifft das genealogische Verhältnis - den "rapport d'antecedence"13o - zwischen dem Rahmendiskurs und der angeführten Geschichte. Im Gegensatz zur Vorzeitigkeit des
Schreibaktes eignet der Herausgeberfiktion eine eigentümliche Form der Gegenwärtigkeil' beim Darstellen des gefundenen Materials. Die schriftliche Darstellung
im Rahmen der Herausgeberfiktion ist keine narrative Repräsentation von Gehörtem oder Erlebtem, sondern eine zitathafte Präsentation von Schriftstücken im "dramatischen Modus".131 Dies gilt nicht nur für das temporale Verhältnis der
Briefschreiber innerhalb des Rahmens des Briefromans, sondern auch für das Ver127 Ebd., S. 73. Ein Blick in die Begriffsgeschichte der ,Rahmenerzählung' zeigt, daß der Reklll's auf
die Mündlichkeit dutchaus Tradition hat: Nach Goldstein handelt es sich bei der Rahmenerzählung "um eine Form, die eine Anzahl selbständiger Teile zu einer größeren Einheit zusammenschließt" (Goldstein: Die Technik der zyklischen Rahmenerzählung Deutschlands, S. 13 f.). Die
Funktion des Rahmens liegt darin, dem Dichter Gelegenheit zu geben, die Binnenerzählung zu
kommentieren oder zu interpretieren. Zentral für die Binnenerzählung ist nach Goldstein, daß
sie eine Fiktion der Mündlichkeit erzeugt. Auch Lämmert weist darauf hin, daß dem Leser die
Fiktion der Mündlichkeit dadurch immer wieder ins Bewußtsein gerufen wird, daß der Redefluß des Binnenerzählers durch Bemerkungen des Rahmenerzählers unterbrochen wird (vgl.
Lämmert: Bauflrmen des Erzählens, S. 209).
128 Jäggi: Die Rahmenerzählung im 19. jahrhundert, S. 74.
129 Ebd.
130 Barthes: "La mon de l'autelll''', S. 64.
131 Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 122 ff., sowie Martinez/Scheffel: Einfi.ihrung in die Erzähltheorie, S. 50.
163
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Vorze1tl . . 1 . d' "\ T . ssetzung für J' ede kommentieren e Bezugna me es ist Vorzeltlg ce1t 1e v01au
.
H 'ausgebers auf den Text.
.
H
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twen e 1 .
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Erz'a'hler und dem fiktlVen erausge et e.
. D1fferenz ZW1SC en em
d . . d'
D1e zwe1te
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Akt des Zitierens ausführen un W1e Sle 1e
trifft die Art und welse, w1e. sle en . , . Rahmenerzählung wird mündliche
,'
F' urenrede präsentleren, Be1 emet
'd
b
zltl erte 1.g .
. f"h' Die Archiv- oder Manuskriptfiktlon setzt agege~ eRede schnftl~ch votge u. tt, d d. 1 editoriale Akte des Zitierens aus emem
reits Geschnebenes vor~~s, a~, ut~ 1 anderen Schriftrahmen eingeschrieben
Schriftrahmen he~·a~sgelo.stdunD ~nB~~nfenman steht im Spannungsverhältnis zwi'
knb1ert WH
er tle ro
.
respe1ctlve trans
.
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18 Jahrhundert propag1erte
·
b
'den
Rahmungsver
a
lren.
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.
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d"
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h oment133 zielt darauf ab, eine "se mn are
sehen d lesen e~
Briefromanpoetlk des wrttten to t e m.
. h d' b ndere Funktion von difh"
"1'''135
" d1ichkeit"134 in Szene zu setzen, d1e "dutc 1e eso
Mun
.
.h 1b
Rahmen in den Text memcop1et
h D'
.
,
d n Rahmen mnet a von
ferenZleren ,e
,
'
ra hie nicht nur als "typographisc es lSPOS1wird. Zugle1ch gewmnt d1e Jypog
"137 eine narrato10gische Bedeutung:
tiv"136, s~nd~rn ~ls""Schwe e z:lm o~a\ische Einrichtung des Textes wird in
Das Schnftbl1d, ja uberhaupt d1e t~pogtEaPT A Hoffmanns Lebens-Ansichten des
'1 l' H' . ht man den1ce nut an . , .
, b 1
V1e er e1 mslC ---:
'T' '1 d . D'
"d s heißt die Typograph1e e mmmt
Katers Murr - zu emem "J.e1 et legese, a
,
.
. h" F l' 138
eine "synd1egetlSC e Al un ,.tlO 1:"
chI' freilich auch deutlich, daß die Diffe1 h G
.
' Bl' k uf den er d es Z ltlerens ma
E111
1~ a
. "1 g und Heraus eberfiktion durc 1 i re ememrenzen zW1schen RahmenerzahDun Al d Zitie~ens setzt einen diskursiven Bruch
es
samkeiten aufgewogen werden. er er b . h n und det' intradiegetischen Ge·
.
h
Herausge
etra me
zwischen dem extrad 1egetlSC en 'h
' . "h1ter Schreiber in Szene. Der
ungswe1se erza
.
einsch afI' erza"hltel' E r~~"hIer .beZle
h n Ebene zur intradiegetischen beziehungswelse
Übergang von der extra 1egetlSC e .
d' t1'schen läßt sich J'eweils als modud'
d'
t' hen Ebene zut meta lege
d
von er 111tra lege lSC
M d l'
d il vom extradiegetischen Ran
lierende Aufpfropfung auffass:n. 0 u te~~ ,;e he Schichten hinzugefügt werdes Rahmens her immer neue mnere meta lege lSC
K
n:
132 Richardson: Clarissa, S. 35.
V:'
des Erza"hlens,5. 176 ff., der im written to the
.
. d A ifklä n als 1\.rzse
133 Vgl. Heilmann: Dze Krzse er u
rU ~
d 1 d . Literatur' in der zweiten Hälfte des 18.
moment ein "zentrales Datum des ,Fun I(tlonswan e s er
Jahrhunderrs" sieht.
.
1 der Schriftkultur" , S. 588.
134 Vgl. Koch/Oesterreicher: "Funktlonale Aspe (te
135 Ebd.
136 Wehde: Typographische Kultur, S. 14: "
.
. S'
d 'Typographre 5.375.
.
I ."
137 Bunra: "Dre tlmme er
.
F'
11
.r er Schriftvergessenhert der Narrato ogre
138 Ebd. Vgl. hierzu auch I~aus Werffi.ars .~stste ung er 1 "
(Weimar: "Wo und was rsr der Erzahler , S. 499).
,I
164
4, DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
den können. 139 Aufpfropfend, weil der narrative Akt ein Akt des Zitierens ist, n1it
dem eine extradiegetische Aussageinstanz die Rede einer intradiegetischen Aussageinstanz rahmt. Dadurch werden Rahmenerzählung und Herausgeberrahmen
zur Verkörperung jener Geste des Selbstzitats, mit der sich der Autor auf die ÄUßerungen einer von ihm erfundenen Erzählinstanz bezieht. 140
4.4 DIE RAHMUNGSBEDlNGUNGEN DES BRIEFROMANS
165
.. b
hehen 144 im Rahmen einer allgemeinen
hel als media1es U ertragungsgesc
,
.. "146 d B'i f
wec s . d . Sendun "145 darstellen läßt, Das "postalische DISPOSltlV ,es~. e "rh~ort b::rifft dab~ drei Aspekte: erstens den Brief als Ausdrucks~edlt~, l~~f
wec se s . . h
. d . Gemütsbewegung ihres Verfassers; zweItenS en ne
lich als schn~t1hc .e Spur di:~ nämlich als Spur eines Dialogs; drittens den Brief als
.1 1(ommu11l <atlOnSme
,
T
.,
Zeichen
alS
d ' " l' h als postalische Spur einer ransmlSSlOn von
.
Übertragungsme lUm, nam 1C
4.4.1 Der Brief als ,sprachliches Symptom' und ,dialogische Vergegenwärtigung'
4.4 Die Rahmungsbedingungen des Briefromans
Nachdem im Vorangegangenen die Differenzen und Gemeinsamkeiten von Rahmenerzählung und Herausgeberrahmen beschrieben wurden, gilt es nun, auf die
Besonderheiten der Herausgeberfiktion im Briefroman unter performativ-media_
len Gesichtspunkten einzugehen. Der fiktive Herausgeber eines Briefromans ist ein
Autor zweiter Ordnung: Er zitiert die Rede erzählter Schreiber, die den narratologischen Status intradiegetischer Instanzen haben. Die zitierte Rede dieser intradiegetischen Instanzen etabliert eine metadiegetische Ebene, die den inneren Rand
des Zitatrahmens darstellt. Der äußere Rand dieses Zitatrahmens ist die intradiegetische Ebene, die jedoch erst durch editoriale Indices der extradiegetischen Herausgeber-Instanz konstituiert wird. Diese editorialen Indices haben den Status von
protokollartigen Kommentaren: Sie zeigen an, wer wann wo was geschrieben hat.
Zugleich haben diese kommentierenden editorialen Indices parergonale Rahmungsfunktion: Sie wirken von einem "bestimmten Außen" her "im Inneren des
Verfahrens" der Ebenenkonstitution durch Ebenendifferenzierung mit. 141 In seinen Kommentaren tritt der fiktive Herausgeber als Leser zweiter Ordnung auf: Der
fiktive Herausgeber liest auf der extradiegetischen Ebene einen schriftlichen Dialog, der auf der intradiegetischen Ebene von fiktiven, erzählten Schreibern geführt
wurde. Hieraus folgt, daß der reale Leser eines Briefromans ein lesender Beobachter dritter Ordnung sein muß, der den Herausgeber als Leser und Autor zweiter
Ordnung bei seiner editorialen Tätigkeit beobachtet.
Die Edition von Briefen setzt eine Reflexion der medialen Verkörperungs- und
Übertragungsbedingungen voraus. Die Herausforderung an jeden Herausgeber einer
Brieflwrrespondenz besteht darin, die assoziativen und dialogischen Verknüpfungen
zwischen den Briefen sowohl speichernd zu dokumentieren als auch arrangierend
zu edieren. 142 Im Briefroman wird dieses editoriale Arrangement eines Briefwechsels als "Form in der Form" situiert l43 , was die Frage aufwirft, wie sich der Brief139
140
141
142
143
Goffman: Rahmen-Analyse, S. 96.
Vgl. Martlnez-Bonati: "Die logische Struktur der Dichtung", S, 186,
Vgl. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S, 74,
Vgl. Nickiseh: Brief, S. 229.
Vgl. Pankow: Brieflichkeit, S, 124, wo es mit Blick auf die Praxis des Briefromans heißt: "Der eigen:tliche Briefkorpus wird in diesen Werken als Form in der Form situiert, Dabei positioniert der
d
. b sondere kommunikative Funktion: Sie sind
Briefe haben im 18. !alhlrhunE.er~'be1l1e e d Weiterentwiddung der NatürlichkeitsMedium das SIC zur 1l1U ung un
. f d' E'
"das .
' b ' " 147 Semiotisch betrachtet verdankt der Bne le 1genvorstellung~n al~::~~f~ktausdrucks zu sein, einer merkwürdigen Interferenz v~n
schaft, MedlUm
.
I d '1 1'" DI'e Aufgabe des Herausgebers besteht III
'.
d genulller n eXI<a ltat.
. d
degenenelter u n .
I d 'k lität Der Brief refenert e.0
nisation dieser belden Formen von n ex~ a ·
' . d d'
~~~~ri~~~indexik~lischa~fc~~ifre~~~i~~e~:~l~:~~n~s:;~::r~~~.:~c;n~~~~,n~eu:lei:~
Dauerun ? u~d dIe Unhtl~[sh S
"148 das unfreiwillige Begleitelemente des
ist der Bnef elll "sprac IC es ymptom
,
"
, f I Textinnenraum und zugleich als die privilegierte Form,
nicht-briefliche Rahmen den Bl'le a s b h
'd 1
Die dem Brief oft zugemutete Auf,
I' 11'
A sdruck ge rac t wer en eann.
,
h
durch die Inner IC 1eelt zum u . h' d' I I 'I ent der Introspektion zu dienen, at
als
Organon
geschützter
Pl'lvat
elt
0 er a s nstlU 11
~b e,
"
hier ihre formale Entsprechung .
' I ' ' ' ' 'd d b I' wie Denida in Carte Postale feststellt,
, h 'Kommunl catlon WH a e,
,
'
144 Die VorsteII ung "postaIISC er
.
Cf'
• d
D I'ulnents" beziehungsweise "semes
, Id" .. l' h die vom lranspolt es 0 ,
, ,
durch eine "WUTe ee, nam IC
'd
'~ n k
S 131) In gleicher Weise charaktenslert
,
T .. " b '
t (Denl a: Die rost arte,.
.
II
matenellen mge~s estlmm , , '{1' tiven Übertragungsbedingungen, wenn er festste t,
Beebee den Bnef un Ra~lm~n s~mer, per orma, -h 'cess of transmission" (Beebee: Epistolary
daß der Brief "as matenal slg11lfler mtervenes m t e pro
Fiction in Europe. 1500-1850, S. ~5).
I Goffman' Rahmen-Analyse, S. 554 f" der mit Blick
145 Derrida: Die postk~rte, S. ~: Vgl hler~u ~uC1d beide~ Funktionen, das "maßgebliche Subjekt
auf den Urheber emer Erzahlung ZWISC 1e~ en.
. , h I'det Eine allgemeine "Theorie der
" d d S d -der Aussage zu sem, untelSC e
.
.
I
der Aussage un er" en er
.'
F I'
d Herausgebers ZU befassen, die Ihn a s
Sendung" hätte sich demnach mit Jenen un monen es
sekundären Sender von Schriftstücken ~Ietr~ffenh' .. " S 165 sowie Siegert: Relais, Geschicke
146 Vgl. Binczek: "Medien- und Kommul11 catlonst eone,.
,
44f
der Literatur als Epoche der Post. 1751-191~, SI'8 h"h del't und ihre Genese", S, 221. Nach
. e h ' h K nzepte Im . Ja I un
147 Nörtemann: "Bnelt eoretlsc e ° M d'
d n WTeg frei für eine direkte, ver'b d B' f I hinbar transparentes e IUm e VY'"
f
Wegmann gl t er ne a ~,sc e ,
" GeH'hl SZ ustände innerer Motivationslagen, alustfreie Artikulation und Ubermlttlung elgeneDI 'k u d E' ,"~~damkeit S, 77), Dabei ist das
,
I
h'ld
"(Wegmann: IS urse er mrJ"
,
fektlver Chara etersc 1 erungen
Ib b h 'b
I es um die Beschreibung der elge,
.
c
'
F 'I der Se st esc rel ung, a s
Briefeschreiben mSOlern e1l1e 01 TI
d
S Ib b
"'r'd zum Merkmal des Menschen
, hl'
h D'
. mpfln same e st ezug W I "
, ,
nen Beflndhc (elt ge t. lesel "e ,
h I d" I"
Mensch zu Mensch kommul11Zleren
'
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Bnefwec
se
He
et
von
.
h
h
schlec t 111, a man u er
f] d
"s Ib tb zuges im Akt des Briefeschreibens,d ver. ' N h 11
des emp 111 samen e s e
kann: "Hler, Im ac vo zu~
,
.
11 h f l' I 1 (Funktions-)Bezügen gründen engewissert man sich seiner - Jenseits von gese sc a t IC 1e 1
Humanität" (ebd" S. 78),
,
Z Brief als S mptom vgl. Vedder: Geschickte Liebe,
148 Hirsch: Prinzipien der InterpretatIOn, S. 75. um
Y
S. 55 f,
167
4.4 DIE RAHMUNGSBEDINGUNGEN DES BRIEFROMANS
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
166
Sinns" zum Ausdruck bringt und damit auf die "unbewußten Akte" des Schreib .
. . 149 D es h aIb Wir
. d d er Bne
. f zum Gegenstand e111er
.
verweist.
kommentierenden Leers
1-
~
türe, der es darum geht, den Brief als sprachliches Symptom respektive als sig
fikante Struktur" zu beurteilen. 150
" 111Ebenso wie der Klang einer Stimme oder die Eindrücldichkeit eines Farbt
kann das Schriftbild, die Eigenart eines Schriftzugs, die Häufigkeit der
chungen zum Syn:ptom der Umstände des Schreibens werden. Eben hierin besteht
das Zusammenspiel aus 'fl"uth und Nature, das der Editor für Richardsons Briefromane reldamiert. 151 Im "Preface" zu Clarissa heißt es, die Briefe seien
Unter~i~~~
wri~ten while the heans of the writers mus l' be supposed to be wholly engaged in their
su~!ects: .the ~vents at theyme generally dubious - so thaI' they abound not only with
flecti~ns,
m~y
cnucal sItuauons, but with what may be called instantaneous descriptions and '.
which
be brought home to the breast of the youthful reader: as also, w::h
affect111g conversaUons, many of them written in the dialogue 01' dramatic way.i52
Da bei diesen ,natürlichen' Briefen die Herzen der Schreiber derart mit ihrem Gegenstand und mit der Schreibsituation verknüpft sind, daß das Geschriebene als
~nmittelbar~r Ausdruck der Situation des Schreibens gewertet werden muß, haben
sIe den semIOtischen Status von inszenierten genuinen Indices: Der Brief ist also
nicht ~ur Ausdruck eines Gedankens zu einem bestimmten subject, vielmehr ist er
153
auch, ja vor allem, der natürliche Abdruck der Seele.
Dieser Abdruck kommt
dadurch zustande, daß der Brief existentiell in der ,kritischen Situation' des Schreibens verankert ist. Diese existentielle Relation zwischen dem Moment des Schrei·
bens, nämlich der Geste der "Scription"154, und dem Gemütszustand des
Schreibers l~ßt den Brief im Rahmen der Briefromanpoetik des 18. Jahrhunderts
zur authentischen Herzensschrift werden. 155 Die genuine Indexikalität dieser Art
149 Ebd.
150 Derrida: Grammatologie, S. 273.
151 Vgl. Richardson: Pamela, S. 31, wo der Herausgeber im "Preface by the Editot" schreibt: "If these
be laudable 01' worthy recommondations, the Editor of the following Letters, which luve their
foundation in both in Truth and in Nature, ventures 1'0 assert, what all these ends are obtained
he.re,. together. Confi~ent thetefore of the favoutable teception which he ventutes to bespeak of
thls llttle Work, he thmks any apology for it unnecessary: and this rather for two reasons: Ist, Because he c~n appeal from his own passions, (which have been uncommonly moved in perusing it)
to the passIons of every one who shall read with attention: and, in the next pla~e, because an Editor can judge with an impartiality which is rarely to be found in an Author". '
152
153
154
155
Richardson: elarissa, S. 35.
Vgl. hierzu Campe: Affikt undAusdruck, S. 207.
Vgl. Barthes: "Variation sur l'ecriture", S. 1535.
Zum I~onze?t der. authentischen.Herzensschrift vgl. Schneider: Die erkaltete Herzensschrijt, S. 9:
Schnel~er fuhr: die I?-erzensschnft auf die ,wahre Schrift' zurück, die der Apostel Paulus in seine.m Bnef an die .Kormtl:er po~tuliert. Die Gemeinde selbst wird dort als Empfehlungsbrief bezeichnet, "geschneben 111cht mit Tmte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf
Tafeln aus Stein, sondern aufTafeln aus Fleisch, nämlich eure Herzen" (2. Korinther 3, 2). Nach
Schneider ist diese "spirituelle Gottesschrift [...] eine der merkwürdigsten und folgereichsten me-
Brief leitet sich wesentlich aus der Augenblickhaftigkeit des Schreibaktes, das
von
b d
f " d . h d'
heißt aUS seinem written to the moment ab - un~ e e~l arau gru~ et ~1C i~ po~. he Wahrheitsfähigkeit der natürlichen Schreibweise. So schreibt Dlderot 111 selLobrede auf Richardson": "Sein Schauplatz ist die Welt, in der wir leben; der
net "
1 h b d'
11 TI 1'" d'
..
Inhalt seines Dramas ist wahr; seine Gesta ten a en le vo e l:'..ea ltat, le mog-
tlS~
· h'1st.
"156
.
'
kommt ein weiterer Aspekt ins Spiel, nämltch
der Aspekt der
dramatlsche.n
11C I-lier
Dr~ma?etreff~~
Unmittelbarkeit. Die Vergleichspunkte zwischen Ron:an und
die
erformativen und die indexikalischen Aspekte des Bnefs. Der Bnef tritt als zltlerte
Henrede an die Stelle jener theatralen Gesten, die im Theaterrahmen Aus157
der Darstellung von Affekten sind. Der Briefroman als Sammlung
. d"d 11
S h 'b S
"158
b'
on Briefen dient der Inszenierung von 111 lVI ue en" c rel - zenen
,wo el
'; der einzelne Brief den semiotischen StatuS eines inszenierten genuinen Index hat,
Je
.
d' 1 . h 1.T
..
•
der auf der papierenen Bühne des Briefromans se111e" la oglsc e vergegenwartl-
~.
:t~cksmittel
I~
un " erfährt. 159 Was heißt das?
g
der antiken Brieftheorie stellt der Brief "gleichsam die eine Hälfte des Dialogs" darl60: Er ist ein "schriftliches Gespräch",
" . dessen
. 161Stilideal
D' F sich
. am
' d"natürlih .
che[n1 Plauderton des täglichen Ver1{eh rs onentlert.
le rage l~t Je oc , wie
dieser halbe Dialog durch den Briefwechsel zu einem Gespräch
Ab,:-reenden werden so11 162 und wie sich der natürliche Plauderton verschnftltchen laßt.
dialogischen Vergegenwärtigung der Briefsituation trägt maßgeblich bei, daß
der Empfänger so angeredet wird, als ob er anwesend wäre. 163 Diese brieflich ver-
zWl~c~en
~ur
dienpolitischen Erfindungen, die die Geschichte kennt". Zu den.medialen Paradoxien der authentischen Herzensschrift vgl. Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr, S. 309.
156 Diderot: "Lobrede auf Richardson" , S. 404.
157 Vgl. Käuser: "Körperzeichen und Körperausdruckstheorie", S. 51.
S.chrelbe~l
158 Campe: "Die Schreibszene. Schreiben", S. ! 5 9 . . .
"
159 Vgl. Voßkamp: "Dialogische Vergegenwärtlgung beim
Ul:d Lesen. ' S. 8.1.
160 Zit. nach Koskenniemi: Studien zur Idee und Phraseologie des griechISchen Briefes biS 400 n. ehr.,
S. 43. Demetrios bezieht sich in seinen Ausführungen über das Briefeschreiben aus dem 1. Jahrhundert n. ChI'. auf eine Sammlung von Briefen des AristoteIes, als deren Redaktor Artemon genannt wird (vgl. S. 20).
161
S. 44. die kritischen Anmerkungen Haverkamps in "l11usion und E;upathie", S: 252 f.
162 Ebd.,
Vgl. hierzu
163 Der antiken Brieftheorie dient der Brief weniger der Informationsübermlttlung als vtelmehr der
G:Freundschaftsbekundung: Der Brief ist philophrenesis, ein Beweis für eine
sinnung. Eben deshalb soll sich der Brief ein unmittelbares Plaudern zum Ziel setzen, da dies die
natürliche Form des kommunikativen Umgangs zwischen Freunden ist. Die Freundschaft
wie AristoteIes im 8. Buch seiner Nikomachischen Ethik schreibt, im lebendigen Umgang praktiziert werden, was die räumliche Anwesenheit der Freunde zur Voraussetzung hat. Zwar hebt die
räumliche Distanz "nicht die Freundschaft schlechthin auf, sondern nur ihre Betätigung", dauert die Trennung allerdings zu lange, "so kann sie wohl auch die Freundschaft selbst vergessen
machen. Darum sagt man: ,Viele Freundschaften hat der Mangel an Gespräch aufgelöst'"
Aristoteles, Nikomachische Elhik, S. 238). Der Brief wird zu einem anwesenden Stellvertreter fur
den abwesenden Freund; die Briefsituation ist dadurch ausgezeichnet, daß man sich
seitig die Anwesenheit des Partners vorstellt" (Koskenniemi: Studien zur Idee und Phraseologie des
f~eundschaftlic~e
mu~,
(v~:.
"wec~lsel
griechischen Briefes, S. 38).
168
4, DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
mittelte Anwesenheit ist zwar nur eine imaginierte doch hat sie eine ents h 'd
I
J:'
d
'
c el end
Ionsequenz: nsoiern man er Auffassung folgt, daß die Worte des Briefs h. 'b e
,
I
d . F· I
.
.
,
c tet er
nlC It aus et etlle mmmen, sondern dem Empfanger "glelchsam persöl I' h b S
"164 ' ·d d' A f
I
I
'
" l l C e·
~,egnen
, WH
le u mer ~sam ~elt ,auf ~en Augenbltck des Bnefempfangs e.
llchtet. Im 18, Jahrhundert wIrd dIe dIalogIsche Vergegenwärtigung die d . B~
' zwar d'lent d er Brief immer noch der Vergegenwärtigu
'
el ' t'tef
aus I"ost, erweltert,
d'laIoglsc
' h en S"ItuatlOn, wel'I er aIs "gesch nebene
'
,
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Anrede an elllen Abwesend etner
"165
zugleich "die Stelle eines Gesprächs vertritt"166, doch die Ideologie der em e~ d
'C
d des wrttten
'
pun .
samen H erzenssch nit un
to the moment betont nicht mehr d A
genblick des Briefempfangs, sondern den des Briefschreibens, Der Briefe~ l\t.
. hl'lCh es Symptom d
'
"
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er SIchtbare
Effekt ellles
Schreibmoments, den er v1st' a s
genwärtigt, Dabei fungiert Schrift als genuin indexikalisches "Ersatz~Anzeichee:,~~;
t
~ür G~gel~wärtigkeit - ~ic~t zule~zt ~ad~rch, daß eine stilisierte Form von M~nd.~:~~f
ltchkelt "lll..den, Text hlllelnkofler~ ~lrd,168 Das heißt, der Brief versucht, das
Konzept mundltcher KommulllkatlOn 1m medialen Rahmen der Schrift zu' \'
,
D d' 1
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169
lea t..
SIeren, er zatogue or ramatic way des Briefromans besteht mithin in det· I
J:'
"
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tenerenz 111szenlerter Dia ogizität und inszenierter genuiner Indexikall'ta"t
'
J:'
'
- ellle
I ntenerellZ,
dle durch das Ideal der Natürlichkeit determiniert wird,
Der natürliche Brief imitiert die mündliche Dialogizität des Gesprächs er t"
' S II '
, 11tt
an" dle te e elller mündlichen Rede", 170 Deswegen muß sich der Briefschreibel'
,,~er Art zu denken und zu reden, die in Gesprächen herrscht, mehr annähern \
elller sorg,fälti,gen und geputzten Schreiban",l7l Der schriftliche Dialog der Bl:i:f~
kommulllkatlOn erfordert als "freye Nachahmung des guten Gesprächs" ,
'CI'lChe M'tmeslS'der mündlichen Sprechweise: Es handelt sich um eine schrift.
ellle
s,ch rat
lt~he Mündlichkeit, die beim Leser einen natürlichen Eindruck hinterlassen soll.
Dlese Interferenz von medialer Schriftlichkeit und konzeptioneller Mündlicllkelt,
' "172 bnngt
'
"
Gottsched zum Ausdruck, wenn er den Brief zum einen als "geschnebene Anrede an einen Abwesenden" 173 definiert, zum anderen die
,Natürlichkeit' des poetischen Briefes betont:
I(
An eine besondere künstliche Disposition bindet sich ein Poet in seinen Briefen nicht
[..,], Die Vernunft v:eis ihm schon, ohne solelle Gängelwägen, eine natürliche Ordnung
der Gedanken an dIe Hand zu geben, Es muß ohnedem in Briefen was freyes und un.
164 Koskenniemi: Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen Briefts, S, 46.
165 Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst, S, 145,
166 Gellert: "Briefe, nebst einer prakrischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen",
S, 111.
167 Luhmann: "Die Form der Schrift", S, 365,
168 Ebd,
169 Richardson: Clarissa, S, 35,
170 Gellert: "Briefe, nebst einer prakrischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen",
S, 111.
171 Ebd.
172 Vgl. Koch/Oesterreicher: "Schriftlichkeit und Sprache", S, 588,
173 Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst, S, 145,
4.4 DIE RAHMUNGSBEDINGUNGEN DES BRIEFROMANS
169
s seyn: und die Einfälle hängen gemeiniglich so am besten zusammen, wie
gezwungene
, 174
,
l'
tel'
einander
entstanden s1l1d,
Sie lIn
'
türliche Ordnung der Gedanken' den Prinzipien der Assoziation ge-
" III deXl'I<aI'ISChen
Da dle ,na.1 "It ihre schriftliche Darstellung in dem Maße genu111
.. '
d
d I
I10 rcht,I et.lal'n dem sie der Abdruck',
175 der naturlIchen Ordnung er Ge alHen
chara {tet,
ist,
"
4.4,2 Der Brief im Spannungsfeld von Dialogizität und Polyperspektivität
' Blick auf die Dialogizität des Briefromans stellt Voßkamp fest, der Idealtypus
MIt
'
, B'
' det' wech 'd . zweiseitige oder me h
rsnmmlge
ne fw ec h seIroman "176 ,da erst 111
seIl ~1," 1 Korrespondenz J' ene Vergegenwärtigung des Geschehens möglich wird,
se seIttge 1
"
"
d' d Abstand zwischen dem Geschehenen und Benchteten auf e111 M1111mum
~e~~lzie;t und im gegenseitigen Bri~faustausch den C:ang der Handlung dialogisch
. t. ibt" 177 Dabei steht der Bnefwechselroman 1m Spannungsfeld von momvoran te
'
I' Id' hl'
h I "
fter Vergegenwärtigung einerseits und der Augenb 1C 1C <elt wec se semger
enOI a
,
' ,
h . 1 ."178 d B: [Äußerung andererselts, Der "polyperspek~lVlscheC ata <te~
~s lle t,~m~ns
, 'bt sich daraus, daß die Briefschreiber elllen doppelten Dlalog fuhren, namltch
erg1
"
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Rahmen .essen d'le M'lttel'I ung an e111en
abwe, . mal einen äußeren DIalog,
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senden Gespräc~spart1ler g~s~ndet wird, zum an er~~ e111~n 111.neren la.o~ m~t
sich selbst, der e111er "Reaknvlerung des Vergangenen SOWle det "Selbstvetstandlgung" un d d er" SeIb staussprach e", d'lent" 179
"
,
'
Der fiktive Herausgeber des Bnefromans zelchnet als Persolllfikanon ellles, ~dltorialen Dispositivs für den Akt des Zitierens und für das A:rran~ement des ~mer
ten verantwortlich, das den Briefwechsel als Geflecht dlaloglscher Relanonen
präsentiert, Mehr noch: Mit dem Arrang~ment der 7itierten Briefe, ric~tet der fiktive Herausgeber die Perspektiven der fiktiven Schrelber aus und WIrd 1m Rahmen
seiner Organisationsfunktion selbst zum perspektivischen "Fluchtpunkt"180 des
'Ies der R
h " ,181
von ihm ins Werk gesetzten" SpIe
a mungen
174 Gottsched: "Von poetischen Sendschreiben oder Briefen", S. 146.
.
,
"
175 Gellert: "Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke 111 Bnefen ,
S,138,
176 Voßkamp: "Dialogische Vergegenwärtigung beim Schreiben und Lesen", ,S, 96: Weg~n der be.
trächtlichen Unterschiede bei der Realisation kann nach Voßkamp "von e1l1er eIgentlichen Poe·
rik des Briefromans, was seine Gesamtstruktur betrifft, kaum gesprochen werden" (S, 95). Der
memoirenhafte "Briefbekennmisroman" erinnert an autobiographische Lireratur, welche der
"monologischen Technik" der "tagebuchartigen Literatur" nahesteht (vgl. ebd,),
177 Ebd.
178 Mandelkow: "Der deutsche Briefroman. Zum Problem der Polyperspektive im Epischen", S, 201.
Vgl. hierzu auch Neuhaus: Tjpen multiperspektivischen Erzählens, S, 1, sowie Moravetz: Formen
der Rezeptionslenkung im Briefroman des 18. Jahrhunderts, S. 35,
179 Voßkamp: "Dialogische Vergegenwärtigung beim Schreiben und Lesen", S. 99,
180 Vgl. Kimpel: Der Roman der Aufklärung, S, 91.
181 Derrida: Pl'lfjuges, S, 77.
170
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
Mit Bezug auf die Perspektivenstruktur macht Mandelkow in der ROl
...
tik des 18, Jahrhunderts bekanntlich zwei grundsätzlich verschiedene EI~~:lhoe
tungen aus, nämlich das "standortfeste" und das "standortlose Erzählen" I~~
standortfeste Erzählen wird paradigmatisch durch Fieldings TOm Iones, da
dortlose Erzählen durch Richardsons Clarissa vertreten, Mit Clarissa
s -'''''''.{''./J
Richardson den Versuch, "die Erzählperspektive auf mehrere Romanfiguren
' d'le 0 rgal11sattonsmstanz
'"
Zu
l' el'Ien "183
: Zugl'
elCh trItt
"a1s Erzä111er und Arrangeur"
den Hmtergrund und "läßt seine Figuren sich selbst erzählen",184 Hieraus lOI(,AOo">""
Mandelkow, Richardson entwickele mit dem polyperspektivischen Briefrom
, 1le Form, d'le der eplsc
'1len Struktur des Erzählens "als Antitypus entgegen~"';
an
poetlsc
s~eht", 185 ,Die S~andortlosigl~eit des Erzäh,lens im~liziert eine Polyperspektivik, di~
~\~hi~~:a~~~:~:~:::r~li~~~~~I;~~:~~~~':~t::t~~I:ll~:~~~~'e~:~~C~l~i:~~~t~~:e:i;nserll~:.··
.•·.··d'
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1 I' "
es eXt·
r~ lege~lsc en, .ext~rn fo <a ISlerten Herausgebers,I86 Da es keine Instanz gibt,
sIch zWIschen dIe FIguren und den Leser stellt, eröffnet das polyperspektivische
zählen dem Leser "die Möglichkeit der intimen, unvermittelten, distanzlos
Kontaktaufnahme mit der Selbstaussage der einzelnen Gestalten", 187 Der dial
' dem dB'c
or dramattc' way, m
er nenoman geschrieben ist, betrifft damit nicht ogue
n .
d~e ~insze?ierte Distanzlosigkeit" der symptomatischen instantaneous descriptionl~;
dIe llU Bnef zum Ausdruck kommt, sondern auch den Modus der Rezeption: D .
Leser nimmt den Briefroman als Sammlung von sprachlichen Symptomen wal~r
de~en Arra~.gem~nt die dial~giscl~e Interak~ion der beteiligten Personen szenogra~
phlsch reprasentlert, Das heIßt, dIe dramatIsche Gegenwärtigkeil' des Briefromans
rührt zum einen daher, daß die briefliche Schilderung des Geschehens written to
th~ moment erfo.lgt, zum a?deren daher, daß die "typische Gegenwärtigkeil''' des
Bnefs "durch seme dramatIsche Fügung gesteigert [wirdJ",189
Meines Erachtens verdankt sich die "dramatische Fügung" - ebenso wie die
"dramatischen Effekte", die sie hervorbringt - der Performativität eines editorialen Dispositivs, das den BriefWechsel als dialogisches Geflecht arrangiert, Der Eindruck der Gegenwärtigkeil' der Fügung verdankt sich dagegen dem Umstand, daß
jeder Briefzitierte Figurenrede, also Rede im dramatischen Modus ist. Im Rahmen
182
183
184
185
186
187
Mandelkow: "Der deursche Briefroman. Zum Problem der Polyperspektive im Epischen", S, 202:
Ebd., S. 201.
Ebd.
Ebd.
Vgl. Genette: Die Erzählung, S, 135.
Ebd. Vgl. hierzu auch Neuhaus: 7}pen multiperspektivischen Erzählens, S. 1, der unter dem Begriff des ,multiperspektivischen Erzählens' all jene Romane und Erzählungen zusammenfaßt, "in
denen sich ein Autor nebeneinander mehrerer Erzählperspektiven bedient, um ein Geschehen
wiederzugeben, einen Menschen zu schildern, eine bestimmte Epoche darzustellen [".]". Dabei
kann sowohl in der Ich-Form wie in der Er-Form multiperspektivisch erzählt werden. Entscheidend ist jeweils der Perspektivenwechsel zwischen der Perspektive des Ich-Erzählers und der des
Erzählers sowie der "shifting viewpoint" im personalen Roman (S. 2).
188 Richardson: Clarissa, S. 35.
189 Pieard: Die Illusion der Wirklichkeit im Briefroman des achtzehnten Jahrhunderts, S. 26.
4.4 DIE RAHMUNGSBEDINGUNGEN DES BRIEFROMANS
171
'sllcht der Autor Briefschreibaugenblick für Briefschreibau. ' ""
. '
.
'iefro mans ver
des B~ 1" den Leser mittels eIner "genau mszel11erten psychologIschen Sltua:lOn
e
genbh <dl n smäßigen Konstellation an diesen Schreibmoment, den SchreIber
oder han III glt des Briefes zu fesseln", 190 Die Schreibumstände werden dadurch
. , '
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d den In 1a
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" , . l' daß der Leser dazu angeregt WIrd, l11terpretattve AUlpnoplllngen
'gegenwarttg
,
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ver l' hund J' eden Brief immer auch als sprac IC es ymptom f"ur eIe
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111lrung 1m
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• die Rezeption der verschIedenen SchreIbsItuatIOnen urc e11len" auhll1 allS 1stwr chsel der Perspektive" ausgezeich net, 192 Der Lesel' rezIpIert
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etzung dafür daß die Polyperspektivik des Bne romans asessen Slgdie varauss
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"
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. d n teleologischen Arrangements le Bnele so angeor net wer en, a ß
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"bereits eine Hierarchisierung der ~edeutungsposl,tt~nen vorgezelc net Ist. ,Zle l'
, l' hermaßen polyphones wIe polyperspelmvlsches Arrangement darauf ab,
eIn
gele
. anzuordnen, d aß d'le" d'IS1<urSlve
' D'IS1<on' P
. pektivenvielfalt derart kontrasttv
dle ers
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.
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• . "1''' des BriefWechsels die AufmerksamkeIt au
le Ivergleren en F'Igurentll1Ulta
190 Voßkamp: "Dialogische Vergegenwärtigung beim Schreiben un~ Lesen", S'. 10~.
.
191 Vgl. Hume: A Treatise ofHuman Nature, Bd. 1, S. 534, wo .es heißt: "The mll1d lS a ~([nd of thea-.
. " Di se Sicht findet ihre kontemporäre Entsprechung m der Auffassung de Kelckhoves, dei
ue. e
.
.
.
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I
zu <ondavo n sp richt , daß die Lektüre eines Romans dazu emlädt, "ell1e Art ,mneres Ieater
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.
struieren" (de Kerckhove: Schriftgeburten, S. 82). Mit Blick auf Bachtins Karneva st eone -: em
Prass vor, dieses
I(onzept V on Theatralität ohne trennende Bühnenrampe - schlagen Encke und
d'
D' I
Neben er ,mneren la 0Konzept ,auch auf das Verhältnis von Text und Leser zu übertragen:
.
" fi
II
gizität' des gerahmten Textes wäre mithin das "Im-Spiel-Sem des L~sers estzuste en
(Encke/Pross: "Arena des Wortes", S. 280). Vgl. auch Gerald Wildgrube~·:.:,Dle 1ns~anz ~;r Szene
im Denken der Sprache", S. 53 f., sowie Gerhard Naumann: "Theatralttat der Zeichen, S. 94.
192 Vosskamp: "Dialogische Vergegenwärtigung beim Schr~ibe~l Ul~d Lesen", S. 108.. .
.
193 Moravetz geht mit Bezug auf Bachtin der Frage nach, m"':lewelt d~r f0lyperspekttvlSche Brtefroman auch als mehrstimmiger, polyphoner Roman anzusehen 1st, wobei Sie - gege~ Voßkamp - geltend macht, daß die Begriffe Polyperspektivik und Polyphonie "durchaus l1lcht synonym zu
verwenden sind" (Moravetz: Formen der Rezeptionslenkung im Briefroma~ ~es 18: Jahrhunderts,
S. 35). Die Polyphonie des Briefromans kann nur dann mit Polyperspektt:;tl{ glelch~esetzt ",:erden, wenn Erzählerperspektive und Erzählerstimme koinzidieren: d~s hel0t wenn J~der Bn.efschreiber als narrateur auftritt, der in seinem brieflichen micro-rectt emen eigenen potnt-ofvtew
vertritt (ebd.). Eine zweite Bedingung für die Gleichsetzung von Polyphonie .und Polyperspel~
tivik ist, daß die Redevielfalt erhalten bleibt. Sind im einstimmigen, monologischen Roman die
verschiedenen Stimmen der dramatis personae der Stimme des privilegierte~ Aus~a?es~bjekts untergeordnet, so gibt es im mehrstimmigen, polyphonen Roman gerade kem pnvtlegler:e~ Subjekt der Aussage mehr. Polyphonie ist dann gegeben, "wenn mehre~'e Bedeut~ngspOSltl~nen,
mehrere Stimmen auf intra- wie auch auf extradiegetischer Ebene gleichberechtigt nebenell1ander bestehen ohne daß diese Redevielfalt eine Hierarchisierung oder Homogenisierung erfährt"
(ebd.). Schli~ßlich hängt die Gleichsetzung von Polyphonie und Polype.rspektivil:.von ~er Art
ab, wie die Organisationsfunktion mit Blick auf das Arrangement der Bnefe ausgeubt wad.
194 Ebd., S. 40.
172
4.4 DIE RAHMUNGSBEDINGUNGEN DES BRIEFROMANS
4, DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
perspektiven l~nkt. ~95 Das heißt aber nichts anderes, als daß
"
das edltonale
gement der Bnefe l11cht nur über den dial ' h Cl al
oglsc en lar <:tel' des R
"b d' 1 '
auch u er le mtischen Lektürem"ogl'IChl'
Olnans,
<elten d es Lesers entscheidet.l96
4.4,3 Der Brief im Spannungsle
I: Id
.
von genumer
Indexikalität und A I ' .
.
ut lentlZltät
.
Die DIalogizität der Figurenp' l '
.d
briefs überlagert: Die Ränder ~~:,p;l~:%en ~~r von ~er Ind~xikalität des Einzel.
kert, da )eder Brief durch seine raum-ze~~~h~\:~: . e~ene~erten Indices bevöl.
Ortes semer Abfassung, abel' ,auch d urCl
Iseme
' per" IZlelung
l' h I d' es. Datums
. und des
Anrede und der Unterschrift perspektivisch
s~nllc ~ n IZler~ng ~n Form del'_egem,äß der Ideologie der empfindsamen He~;~;l1C~:et Ist. ~u~lelch ~st ~er Brief .....
der 111neren, psychischen Disposition des Schreib:~~lft ge~u~n I~~exlkaltsch mit
bumständen verknüpft. Diese genuin ind 'I l'
en un ,en außeren Schrei.
se/seitiger Äußerung hinterläßt ihre SeXI.(a Is~he Au?enbltckhaftigkeit wech.
M h h' h ' I .
pUlen Im Bnef Nach Vi
.
" e rsc IC t1g <elt des Vergegenwaltlgens
",.
" d er Ge n t" . dl' hl '"oss Ist die
c
geschuldet. 197 So zel'gt SIC
. h an d er geordnet [ ]" S gefI 1s an lC1 (elt des Brieies
vorliegt", etwas, das durch die Intel:' retatio e n at~? ge, we c~e im Drucktext
n
zählung wird, die sich einer Sympt~md t des RdezlPllel~tge8n zu e111er zweiten Er·
" '
eu ung ver an<:t
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gegenwart1gende Leistung der briefll'ch M' 'I
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1 noc:
le Ver·
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en Ittel ung muß Im R h '
mlOtlsc en Lektüre als signifikante Strukt ' . d '
amen e111er se·
von der illokutionären zur indexikalisch ~~ Plo UZlert werden, wobei der Leser
Möglichkeit aufmerksam, wenn er bet~~t de~eB~~;ch~lt~~. Vohss macht auf diese
pelten Sinne des Wortes mit d
" el He sc rel er abe sich im dop.
(auch dies im doppelten Wortsi~: a~s sel ner Hdand herv~rgehenden ,Schreiben'
velstan d en - as ,Schreiben' alS D'111g, etwa lln
,
195 Ebd, Vgl. hierzu auch Neuhaus; 7Jpen multipers ektivische"
,
der Mehrfachperspektive unterschel'd t B . d rp,
n Erzahlens, der ZWischen zwei 'rypen
"
e, el em emen 'ryp si d d' A
an d er zeitlichen Folge des aus besch ," I
PI'
"n le utoren am AlTangement
'
lan nen erspe mven E' "11"
ren Typ interessiert dagegen allein die S
d E' I Iza 1 ten mteresslert", bei dem ande196 Mit anderen Worten' Die Illstallz d fiulm.me el: ll1ze perspektiven (S. 160),
,
'
es I mven (biS zu '
,
tischen) Herausgebers dient entweder d z d B el~ll:m gewls~en Grade auch die des fak," I "(M
a u, en etel Igungssplelr
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scIHan ,en
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' Ien kun . im B ',t:..
aum es esers emzuS
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: 3), oder aber dazu, den Leerstellenbetra
d d g,
rteJ,o,man es 18, Jahrhunderts,
vttät des Lesers zu erhöhen D I ' I ' . I gun damit den AnreiZ zur interpretativen Akti·
'
. es gesc He H etwa ann
d' R d 'I
un d die Stimme des Editors in glel' h ,WT' cI' I' : wenn le e eVle falt potenziert wird
c et welse 10 ,a ISlert 't ' d' F'
' IS .wIe le Igurenstimmen (ebd,),
Im Fa II der Einschränkung des Beteili un ss ielr
das Material quasi-auktorial zu hierar~hisf p ~u~~1 zl,elt die Herausgeberfiktion darauf ab,
der Ausführung seiner Regie- und 0,
,ele~l, fel I ~tlve Herausgeber übe1'1limmt also mit
" ,
rga1l1SatlOns unktion die i B" f'
tlon e1l1er auktonaleIl Instanz und ver! 'I d
R
m ne roman vakante FunkIm Fall einer Erhöhung des Bet T
eilt, lern oman dadllrch monologischen Charakter.
"
el Igungssple raums besteht d ,Al d LI
er , nIE: Ies i erausgebens darin '
d le verschiedenen Briefe als genuI'1le I n d'Ices f'"ur dl S'
präsentieren und die Briefschreiber scheinb ' I
e , 1'11~men;le ~ t der Briefschreiber zu
d
lassen,
al O11le e !tonale E1l1gnffe zu Wort kommen zu
197 Voss: Erzählprobleme des Briet:..omans S 184
198 Ebd,
J'
"
,
173
, 11' Handschreiben', wie als Akt) ,mitgeteilt'" ,199 Die Mitteilung erfolgt also
ln
\X!ortS
" der illokunonaren
. "
' proposltlonalen
' .
,
I allf
respektive
Ebene dessen, was gesagt
ell~J~U1n anderen hat die Mitteilung auf der indexikalischen Ebene dessen, was
'~th ~n ihr zeigt, den Charakter eines sprachlichen Symptoms, So werden etwa im
'~:rther die affektbedingten Unterbrechungen des Schreibflusses durch Aposiope"
·t "200
sen verI(Orper
.
.
Die Mitteilung als sprachlIches Symptom verdankt Sich dem Umstand, daß sie
d Resultat einer Geste des Schreibens ist, die sich in "der Materie" mitgeteilt
I a~. eben deshalb glaubt der Empfänger, in dem Originalbrief "ein Stück"201 vom
~~l;reiber zu besitzen. !n dieser Hins~cht antizipiert Voss den Barthesschen Beriff der Skription als e11ler performatlVen Schreibgeste und Wellberys Argument
~on der "Äußerlichkeit der Schrift" ,202 Darüber hinaus macht Voss aber auch
noch auf einen Punkt aufmerksam, der die Verkörperungsbedingungen des
Briefromans im Rahmen der literarischen Kommunikation berührt: Die dramatische Vergegenwärtigung des Briefes betrifft nicht nur den Moment des Schreibens im Sinne des written to the moment, sondern auch die Präsentation des
Briefes im Rahmen einer gedruckten Sammlung. 203 Der dramatische Modus des
Briefromans leitet sich so besehen auch aus dem Umstand her, daß es sich bei der
Darstellung der Briefe um eine Form der zitierten Figurenrede handelt, die im
Zuge der Authentizitätsfiktion als Dokumentation monumentaler, sprachlicher
Symptome behandelt wird.
Dergestalt koppelt die Briefromanpoetik auf eigentümliche Weise die Probleme
der Originalität mit den Problemen der Authentizität im Rahmen einer paradoxen
Konstellation: Zum einen versucht der Schreiber, sich mit der "exkarnativen Geste"
des Schreibens "möglichst unverstellt und authentisch in die Schrift zu retten.
Unter diesen Voraussetzungen entsteht das Ethos von der Schrift als Transkription
des Lebens", 204 Zum anderen verliert die Schrift ihre Authentizität in dem Moment, in dem sie in den Druck gegeben wird. Die Druckschrift als Übertragungsmedium bewirkt, daß der Schreiber "enteignet, ja sogar umgebracht [wird] durch
die anonyme Masse der Leser".205 Dieses ,Paradox der Exkarnation' interferiert mit
dem ,Paradox der Empfindsamkeit'206: in beiden Fällen geht es um das Problem
der medialen Modulation 207 von Schrift. Das Paradox der Exkarnation betrifft den
Akt der Veröffentlichung, im Rahmen dessen der Akt des Druckens ausgeführt
wird. Der Akt des Druckens wiederum nimmt eine mediale Modulation der au-
199
200
201
202
203
204
205
206
207
Ebd., S, 181.
Vgl. erwa Werthel's Brief vom 10, October (W', S. 171),
Ebd,
Wellbery: "Die Äußerlichkeit der Schrift", S, 343,
Vgl. Voss: Erzählprobleme des Briefromans, S, 183.
Assmann: "Exkarnation", S, 150,
Ebd" S, 136,
Vgl. Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr, S, 309,
ZUlU Begriff der medialen Modulation vgl. Wirth: "Hypertextualität als Gegenstand einer intermedialen Literaturwissenschaft", S, 420,
'I
I'
174
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAI-IMUNG
thentischen Herzensschrift vor: Die einmalige Handschrift wird in eine replizier_
baren Drucktype verwandelt. 208
Durch den Akt der Publikation ist der Brief nicht mehr an eine angesprochen
zweite Person gerichtet, sondern an ein Publikum, das als mitlesende Instanz die
Position eines Beobachters zweiter respektive dritter Ordnung einnimmt. So is~
beim Briefroman nicht nur "die Indiskretion des Mediums Teil der Fiktion"209
vielmehr fällt beim gedruckten Brief der private Rahmen der brieflichen Äußerun '
weg, "weil der Leser das besondere Verhältniß, das zwischen mir und der Perso~
ist, an die ich schreibe, nicht weis".2IO Durch seine drucktechnische Modulation
wird der Brief aus seiner existentiellen Relation zum Adressaten und zur Situation
des Schreibens herausgelöst. Insofern sich die Authentizität des Briefes daraus able.~tet~ da~ er .eigenhänd.ig VO~l seinem Ur?eber verfaßt wurde, geht diese Eigenhandlgkelt mit der Vervlelfältlgung des Bnefes verloren, denn nun ist er nur noch
eine Kopie, ein technisch erzeugtes Replica-Token. Das heißt, der Brief steht wie
die Signatur in einem Spannungsverhältnis zwischen der genuinen Indexikalität
seiner Entstehungssituation und dem Gesetz der allgemeinen Iterabilität, das der
technischen Reproduzierbarkeil' zugrunde liegt.
Im Anschluß daran ist zu fragen, ob die ,Enteignung der Schrift', die durch Veröffentlichung und Druck statthat, notwendigerweise einen Verlust an Authentizität nach sich ziehen muß oder ob es auch eine Form der Authentizität gibt, die
w~möglich überhaupt erst durch den Akt der Veröffentlichung hergestellt wird.
Diese F:age läßt s.ich auf das Problem der Originalität übertragen: Ist Originalität
ta:sächhch nur ~lt Bez~g auf Ursprünglichkeit und in der Differenz zur Kopie bestlmmbar, oder gibt es e111e Form der Originalität, die sich daran zeigt, wie der Akt
des Kopierens ausgeführt wird?
Geht man von der Analogie zwischen Brief und Signatur aus, so läßt sich die
Frage nach den Authentizitätsbedingungen von Briefen durch die Klärung der
Authentizitätsbedingungen von Unterschriften beantworten. Bemerkenswerterweise wird in der EncyclopMiezwischen der "signature originale" und der "signarure authentique" unterschieden. Die signature originale ist ein "ecrite de la main
meme de celui dont elle contient le nom".211 Das heißt, der von der eigenen Hand
208 Vgl. Bolz: Am Ende der Gutenberggalaxis, S. 197, dem zufolge die "Ausschaltung der Handschrift
[...] der entscheidende grammatologische Schnitt der Neuzeit [ist]. Seit ,die zeigend-schreibende
Hand' medientechnisch entlastet wird, ist die Hand nicht mehr Mens.chenzeichen, sondern befehlende Finger, lmd das Wort ist nicht mehr Menschenwort, sondern!Information. Die von der
Hand getragene grammatologische Einheit von Zeigen, Zeichnen und Zeichen zerfälIr",
209 Haverkamp: "Illusion und Empathie", S. 253.
210 Geliert: "Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen",
S. 108. An gleicher Stelle heißt es über das Verhältnis des geschriebenen Briefes zum gedruckten: "Und wer ist gleichwohl ein getreuerer Verräther, als ein Brief? Streicht man bey dem Drucke
solche Umstände weg: so geht es gemeiniglich den Briefen, wie allen unverbundenen Dingen,
denen man einen Theil entzieht. [...] Man darf zuweilen einen gewissen Umstand nicht bekannt
machen, oder man kann ihn beynahe nicht erldären; und gleichwohl ist oft der ganze Brief, oder
sein größtes Verdienst auf diesen Umstand gegründet. Also fallen dergleichen Briefe, wenn man
sich zum Drucke entschließt, wieder weg".
211 Diderotld'Alembert (Hg.): hncyclopedie, Bd. 15 (1765), Artikel "Signature", S. 187. Zur Institution der Unterschrift vgl. Giesecke: Der Buchdruck in derftühen Neuzeit, S. 458.
4.4 DIE RAI-IMUNGSBEDINGUNGEN DES BRIEFROMANS
175
geschriebene Name ist existentiell und kausal mit der Geste des Schreibens reliert.
Der semiotische Status der signature originale ist mithin der eines genuinen IndexZeichens. Die Authentizität der Signatur besteht indes nicht in der Eigenhändigkeil' des Unterschreibens, sondern in der öffentlichen Beglaubigung der Eigenhändigkeil' des Unterschreibens durch eine offizielle Instanz. Die signature
authentique verlangt, daß die Niederschrift "en presence de ceux qui ont recu
racte" bekräftigt wird: "Ces fortes d' ecritures sont ordinairement appellees publiques, 6' a~th~ntiq~es".212 Ich mö~hte vorschlagen, die Modulation d~r .si~natu~e
origmale 111 e111e stgnature authenttque als besondere F?-rm des "UnmOtlVlelt-~er
dens" der "trace instituee"213 zu deuten, nämlich als Ubergang von der genu111en
Indexikalität des eigenhändig Geschriebenen zu der degenerierten Indexikalität
eines institutionellen Aktes, der die Eigenhändigkeit des Schreibens öffentlich beglaubigt. Die in~titutionelle Instanz der öffentliche? Beglaubigung ist der ~otar:
Er tritt als offizIell bestellter Augenzeuge der Schnft auf, und er bezeugt offentlich, daß die Geste des Unterschreibens vom Unterschreibenden vor seinen Augen
vollzogen wurde.
Insofern die authentische Unterschrift eine öffentliche Unterschrift ist, muß der
offizielle Rechtsakt, der die originale Echtheit bekräftigt, von einem Akt des Öffentlich-Machens begleitet werden. Hier zeigt sich die Relevanz juristischer Authentizitätsbegriffe für die Ausbildung des literarischen Authentizitätsbegriffs. Im
Verlauf der Leserevolution des späten 18. Jahrhunderts tritt neben die of~~iellen
Institutionen des Staates die gesellschaftliche Institution der "literarischen Offentlichkeit" .214 Damit wandeln sich auch die Authentizitätsbedingungen für Briefe:
Diese leiten sich nicht mehr nur von der Eigenhändigkeil' des Schreibens her, sondern maßgeblich vom Akt der Publikation, mit dem die Briefe dem Urteil der ,literarischen Öffentlichkeit' vorgelegt werden. Dergestalt nimmt der Akt der
Veröffentlichung die gleiche Systemstelle ein wie der offizielle Akt notarieller Beglaubigung.
Dies hat direkte Auswirkungen auf die Rahmenfiktion des Briefromans: Da die
Rahmungsoperationen immer auch den Akt der Publikation betreffen, müssen die
Beschreibungen, wie es zu diesem Akt der Publikation gekommen ist, als Aussagen
betrachtet werden, die Teil einer Authentizitätsstrategie sind. Dabei wird der Her-
212 Ebd.
213 Derrida: Grammatologie, S. 81.
214 Vgl. Habermas: Strukturwandel und Öffintlichkeit, S. 116 ff., sowie Sennetts Spezifizierung der
öffintlichen Sphäre: ",Öffentlich' bedeutete, ,dem prüfenden Blick von jedermann zugänglich',
während als ,privat' ein abgeschirmter, durch Familie und enge Freunde begrenzter Lebensbereich bezeichnet wurde" (Sennett: Verftll und Ende des öffintlichen Lebens, S. 31). Mit Blick auf
die Poetik des Briefromans kann man dabei von einer "Überlagerung des Öffentlichen durch das
Private" sprechen _ einer Interferenz, die "einen besonders starken Reiz auf das bürgerliche Publikum aus [übte]" (ebd., S, 44). Dies betrifft auch den Reiz an der Veröffentlichung von Privarem. Ein häufig zu beobachtendes Phänomen beim Briefroman besteht darin, daß "vertraute
Briefe" vorgelesen, abgeschrieben und in den Druck gegeben werden. In Fällen, in denen das
Einverständnis des Verfassers fehlt, entscheidet der Herausgeber "für ihn" (Wegmann: Diskurse
der Empfindamkeit, S. 79).
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I
I
176
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4, DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RA
4.4 DIE RAHMUNGSBEDlNGUNGEN DES BRIEFROMANS
HMUNG
ausgeber entweder selbst zur Be 1 b'
,
hentizität der von ihm veröffentTI~~~e~:~ng~~nst~nzfür die ?riginalität und<!·,""'
Rolle eines notariellen A
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Atlt'.:.'.'.t."':.d,'
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t1l1111t cl":""'"
die Rolle
Notariatsschreibers,
1 le enen, respe <:tlve abgedruckten Schriftstücke
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zur Beglaubtgung vorlegt Der E' d 1
det lttetanschen Offent!' jjge.
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erst mit dem Akt der' Tet:o"fi'C "I' thn ruc< von Alll'hentizität"216 entsteht l't'b lel <eit
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die öffentliche Beglaubigung
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j~ristische InstitUti~eg.le.
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anstatt der Handschrift von Ihrer Sternheim '
Ihnen auf einmal die ganze Verräterei entd ~mele~ruckte Copey zu erhalten, welche
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c, unvelantwortllch S'
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er reundschaft ein Werk Ihrer Einbild
I ' fi' le vertrauen mIr Unter den Rosen
zu Ihrer eigenen Unterhaltung fi
ungs 'dIa t und Ihres Herzens an, welches bl ß
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au gesetzt wor en
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le mIr), damit Sie mir von meiner Art
war. " Cl sen e es Ihnen (schreiben
ich mir angewöhnt habe, die GegenstänZ;eecf:pfinden, ~on dem Gesichtspunkt, woraus
den Betrachtungen welche s'h '
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s menschlrchen Lebens zu beurteileIl v
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WIC ,eln pflegen, Ihre Meinung sagen und 'h e, dwel ste ~ aft gerührt ist, zu euthabe [.. ,j" ,218
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"'Yiela~ld gibt sich hier als ,eigenmächtiger Heraus eb "
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'1' zvet etzung 111Wetst, die der Herausgeber gerade begangen hat D '
B ' Co, h
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uvate nel wechsel wird öffentIlC gemacht und die Intimita"t d' , d
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zeIgt steh zugleich,daß
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en Ong111alttätsbedingungen gekoppelt
177
, G I man mit Goffman davon aus, daß sich die Treue einer Wiedergabe, daran
1St: li~t:t"Wie viel~ M~dul,atio~en zwischen ~er K~pie und d~~ ,?riginalye ge?"219,
bell b deutet dtes fur dte Bnefromanpoettk: Dte Authenttzttat der prasentterten
da;11\t:tücke hängt von der Art und Weise ab, wie der Herausgeber das KopierSc l,r:hungsweise das Zitierverfahren vollzieht, Insofern wird ,originalgetreues Zi~e~1 'zur Voraussetzung für Originalität und Authentizität,220 Der Briefroman ist
tieren icht nur ein R
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' h af t h'metU
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amen,
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ut enttzttats t won 1l1C t arm zu e aupten, d'te
, a
Briefen dargestellten Ereignisse seien wahr, sondern sie liegt darin zu beden
:~~upten,
die Brie~e seien ?r~ginal-D~kumente" die ,origi~alge~~'eu' zitiert werden,
Auf diese Weise wtrd das Zitterte zu etUer "medtalen Spur 221 fur das angewendete
Zitierverfahren,
4.5 Die strategische Funktion des Herausgeberkommentars
4.5.1
Die Funktion zuverlässiger und unzuverlässiger Herausgeberlcommentare
Der fiktive Herausgeber übernimmt als Verkörperung des editorialen Dispositivs
die Verantwortung für die Ausführung der Organisationsfunktion, Indes kann er
die Organisationsfunktion zuverlässig oder unzuverlässig ausführen, Anders gewendet: Zuverlässigkeit und Unzuverlässigkeit sind zwei Möglichkeiten, die editoriale Tätigkeit zu vollziehen, Der Eindruck der Unzuverlässigkeit kommt auf,
wenn man bemerkt, daß jemand beim Erfüllen einer Aufgabe zuwenig Sorgfalt
walten läßt. Mit Blick auf die Tätigkeit eines Herausgebers könnte dies zum Beispiel bedeuten, daß der edierte Manuskriptkorpus unvollständig ist, daß die
Manuskripte fehlerhaft abgeschrieben wurden oder daß die Kommentare des Herausgebers gewagte oder widersprüchliche Aussagen über die Entstehung und
Bedeutung der Manuskripte enthalten, Dabei haben all diese Formen der Unzuverlässigkeit - insbesondere aber der unzuverlässige Kommentar - rezeptions-
215 Vgl. Diderot/d'Alembert (Hg)' Encycl ed' B
fier", S, 924: "Greffier (scriba' ~ctual'I'uos'Pn te, " and 7 (1757), Stichworte "Greffe" und Gref-
ästhetische Relevanz,
Aus rezeptionsästhetischer Sicht dient ein Kommentar dazu, Leerstellen zu beseitigen und Kohärenz herzustellen, Herausgeber oder Erzähler wollen mit ihren
kommentierenden Bemerkungen "die Auffassung der Erzählung einheitlich machen",222 Dutch diese Operation sinken jedoch die Möglichkeiten des Lesers, sich
D
218 W'
219
220
221
222
a'
"
, ,
"
otallus aman
')
~st prepose poU!' recevoir & expedier les j
&-.'
uenSlS ul'lspl'Ud,) est un officier qui
216 ~ est aussi charge du depot de ces actes q~7~:~:;~ell a~tres,;~es qui emanenr d'une jurisdiction;
ovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit S 19 fee grejje ,
217 In d:r Romantik erfahrt diese Authentizitä~sstr~t ' ,
,
fenrhchkeit hergestellt wird" m 1 'I d
h e~le dann el1le andere Wendung: Indem 0" f" "
'
' ac 11' SIC 1 as sc reIb I d I 1
er romantISche Brief, S 25)
eIe Cl "vera11gemeinerbar" (vgl B h'
"
,
leiand: "Vorwort" zu La Roches Geschichte des Fräuleins von Sternheim, S, 5,
'
0
w,
Goffman: Rahmen-Analyse, S, 92,
Vgl. hierzu auch Mersch: Ereignis und Aura, S, 174,
Vgl. Krämer: "Sprache - Stimme - Schrif!"', S, 39,
Iser: "Die Appellstruktur der Texte", S, 238,
178
an der textuelIen Mitarbeit zu beteiligen, weil der Autor im Kommentar selbst s
. E rza"hl ung zu verste
. h en seI."223 , un d d
' etwaIge
. Un b
'
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1· seIne
"we
amIt
estImmth
.
"
.
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ste11en e~l:scharft. Neben dIeser Selbstauslegungsfunktion, die zugleich eine Form
der explrzIten Selbstdarstellung des Konzepts ist, kann der Kommentar aber a 1
die Funktion haben, "daß Selbstbeschreibungen irritierbar bleiben und von in~IC r
. h
d " 224 . .
ren
h emus d ynamlsc
wer en.
DIes 1st etwa dann der Fall'wenn
der Leser'
"
In
e e's
Textes de!c1 ~Indruck geWInnt, daß die Kommentare dieses Textes "wie bloße H _
pothesen wU'ken und "Bewertungsmöglichkeiten" implizieren, "die sich von d~
aus den erzählten Vorgängen unmittelbar ableitbaren unterscheiden",225 Im F ~
eines dergestalt unzuverlässigen Kommentars vergrößert sich der Leerstellenbetr.:
und der Grad der Unbestimmtheit,
g
Der,Widerspruch zwischen dem, was der Kommentar über den Text sagt, und
dem EIndruck, den der Leser durch seine eigene Lektüre gewonnen hat, wirft für
den Leser die Frage auf, ob er seiner eigenen Lektüre oder der kommentierende
Lelnüre des Autors beziehungsweise des Erzählers trauen soll. Wenn sich das Au:
sagesubjekt des Textes "in der Rolle eines Kommentators zwischen Geschichte und
" "226 un d SIC
' h d'Ie I(ommentare d'Ieses Aussagesubjekts als unzuverläsL.eser d r~ngt
SIg erweIsen, muß der Leser Hypothesen aufstellen, "um die Bewertung der Vorg~ng~ selbst zu fin~en",227 Die Tatsache, daß der Kommentar unzuverlässig ist,
wIrd 1m Rahmen eInes Erzähldiskurses zu einem Anzeichen dafür, daß sich der
Leser den Deutungsrahmen des Textes nicht mehr vom Kommentator in Form direktiver Sprechakte vorschreiben lassen, sondern seinem eigenen Urteilsvermögen
den Vorzug geben soll. Dergestalt wird die instruktive Funktion des Kommentars
durch die interpretativen Hypothesen des Lesers ersetzt,
Die Unzuverlässigkeit des Kommentars zielt also einerseits darauf ab, die Zahl
der Unbestimmtheitsstellen des Textes zu vergrößern und dadurch die aktive und
kr~tische Mitarbeit des ~esers zu ~rovozieren, Andererseits hat die UnzuverlässigkeIt des Kommentars eIne strategIsche Funktion, "die sich auf die Steuerung des
Lese~'s d~rch den Text bezieht",228 Auch wenn unzuverlässige Kommentare keine
verblndlrche Bewertung des Geschehens mehr geben können, versehen sie den
Leser immer noch
mit gewissen Einstellungen, die er nachvollziehen muß, um sich das Geschehen entsprechend zu erschließen; sie überziehen die Geschichte mit Beobachrungsperspektiven, deren Orientierung allerdings wechselt, So eröffnen diese Kommentare einen
Bewertungsspielraum, der neue Leerstellen im Text entstehen läßt. 229
223
224
225
226
227
228
229
4.5 DIE STRATEGISCHE FUNKTION DES HERAUSGEBERKOMMENTARS
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMKfIVER RAHMUNG
Ebd.
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 401.
Iser: "Die Appellstruktur der Texte", S. 239.
Ebd.
Ebd,
Ebd., S, 252, En. 11.
Ebd., S. 239.
179
Der interpretative Spielraum ergi~t si~h aus der Diskrepanz ,zwis~hen der erzähl~
Ge schichte und den unterschledlrchen Bewertungen, dIe der Kommentator
~d der Leser in ihrem jeweiligen Deutungsrahmen vornehmen, In dem der unzuun
verlässige
Kommentar eine eindeutige Bewertung d er G esch'rch te ausspart, er~"ff
-en
diese
Unbestimmtheit
dem
Leser
einen
autonomen
Bewertungssplelnet eb230 Der Eindruck der UnzuverlässIgkeIt
. .
'Jedoch niC
' h l' nur d urch d'Ie
entsteht
raum,
d
h
d
h
'W'd
" hl'IChlcelt,
'
Unbestimmtheit des Kommentars, son ern auc urc seIn,e 1 erspruc
I' unzuverlässige Kommentar wirkt "als latentes DementI unserer aus der BeobDe
,
" 1ce "231
achtUng
der erzählten Geschrchte
gewonnenen E'In d ruc
, D'Ieses 1atente D ~menti impliziert einen performativ~n Widerspruc~, del:n was der ~e~t sa?t, WIderspricht dem, was sich am Text zeIgt, Da~urch WIrd dIe .unzuverla~sIgkeit zum
inszenierten genuinen Index dafür, daß "eIne Textstrategie gegen dIe vom Text
" C" 232
selbst erzeugten Erwartungen Iamt ,
"
'
Als inszenierter genuiner Index wird der performatIve Wlderspruc.h zu eInem
Appell an den Leser, "selbst zu entdeclc,en",23~ Dies bede~tet ein~ SteIgerung ~er
.. thetischen Wirkung des Romans, wel1 er seme Unbestimmtheitsstellen "durch
~en Leser beseitigen läßt",234 Historisch gesehen, hat dieser Ap?ell an de~. Leser,
seinem eigenen Urteilsvermögen mehr zu vertrauen als der explrzlten Leserfuhrung
des Erzählers, eine aufldärerische Tendenz,235 Die durchsichtige Täuschung des Lesers - sei es in Form von Doppelrahmungen, sei es in Form ostentativer ~ahmen
konfusionen, sei es in Form inszenierter, performativer Widersprüche - WIrd gegen
Ende des 18, Jahrhunderts zu einem probaten Mittel, das Vermögen zum selbständigen Vollzug interpretativer A~fpfropfungen her~uszuf?rd~rn, indem de~ Leser
an den Rändern des fiktionalen DIskurses lernt, der IllokutIonaren Ebene der Sprache mit aufldärerischem Mißtrauen zu begegnen und statt dessen seinen eigenen,
aus der Beobachtung der indexikalischen Ebene gewonnenen Schlußfolgerunge?
zu vertrauen, Die Tatsache, daß die Unbestimmtheit in literarischen Texten seIt
dem 18, Jahrhundert ständig zunimmt 236 , deutet darauf hin" ~aß sic? die "he~'
meneutischen Operationen" des Lesens in dem Maße intenSIVIere?, m de~ dIe
maßgebliche Aussageinstanz des Textes darauf verzich~et, ihre IntentIon explrzlt, ~~l
formulieren, Das heißt freilich nicht, daß der Text keIne steuernde IntentIOnalrtat
,
d 'T'
"237
mehr besitzt, sondern, daß die Suche nach den "IntentIOnen es lextes
erschwert wird, Diese Erschwerung schärft das Bewußtsein dafür, daß das Feststel,
d as P1'0 d u1Cl' d er LI"
len der Intentionen des Textes Immer"
.e cture'" 1st, 238
230
231
232
233
234
235
236
237
238
Vgl. ebd., S. 233.
Iser: "Det Lesevorgang", S. 268.
Ebd.
!seI': "Die Appellstruktur der Texte", S. 243.
Ebd.
Vgl. Iser: Der Akt des Lesens, S. 78.
Vgl. Iser: "Die Appellstruktur der Texte", S. 241.
Eco: Der Streit der Interpretationen, S. 39.
Iser: "Die AppeIlsrruktur der Texte", S. 243.
180
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
4.5.2 Der unzuverlässige Herausgeber im Kontext
von implied author und Funktion Autor
Mit Blick auf das seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gehäuft auftretende Phäno_
men unzuverlässiger Herausgeberkommentare läßt sich festhalten, daß insbeson_
dere durch die Unzuverlässigkeit der editorialen Instanz ein Spiel in Gang gebracht
wird, das den realen Leser dazu zwingt, eine Instanz hinter der Szene zu vermuten,
die einer übergeordneten diskursiven Strategie folgt. Aufgrund ihrer strategischen
Funktion wirft die Unzuverlässigkeit des Kommentars die Frage nach dem implied
author auf: Der implied author dient der Bezeichnung einer zentralen, aber unsichtbaren Instanz - Booth spricht von "a core of norms and choices"239 -, welche
die Struktur des Textes bestimmt, aber weder dem empirischen Autor noch einer
textinternen Erzählinstanz zuzuordnen ist. Daß es eine solche Instanz gibt, wird
erst dann plausibel, wenn sich die Aussagen oder Handlungen des Erzählers nicht
in Übereinstimmung mit den "Normen des Werks" befinden 240 , das heißt wenn
sich der Erzähler als unreliable narrator entpuppt. 241
Im Gegensatz zu Booth leugnet Genette die Notwendigkeit, den implied author
zu einer eigenständigen narrativen Instanz zwischen Erzähler und realem Autor zu
242
machen , denn er geht von einer übergangslosen Trennung der Ebene des fiktiven Erzählers und der Ebene des realen Autors aus. Die Erzählung "wird fiktiv von
ihrem Erzähler produziert und faktisch von ihrem (realen) Autor; zwischen ihnen
wird kein Dritter aktiv, und jegliche textuelle Performanz kann nur dem einen oder
dem anderen zugeschrieben werden, je nachdem, welche Ebene man wählt".243
Damit verneint Genette zugleich die Möglichkeit, vom Phänomen eines un..
reliable narrator auf die Instanz eines implied author zurückzuschließen. Seiner
Ansicht nach gibt es für den Autor nur zwei Möglichkeiten, "ein untreues Bild
239
240
241
242
Booth: The Rhetoric ofFiction, S. 74.
Vgl. ebd., S. 158 f.
Ebd.
Vgl. Genette: Die Erz:ählung, S. 291. Genette spricht allerdings nicht vom implied author, sondern vom "implizierten Autor", der das "Bild des Autors im Text" ist (ebd., S. 285). Hier ist zu
fragen, ob Genette - aber auch andere - die Ausdrücke "implicit" und "implied" nicht fälschlicherweise gleichsetzen. Insbesondere mit Blick auf die Gricesche Theorie der konversationellen
Implikaturen ließe sich nämlich zeigen, daß das "Implizite" nicht mit dem "Implizierten" gleichgesetzt werden kann.
243 Ebd., S. 286. In diese Richtung zielt der Vorschlag von Kindt und Müller, "den Begriff des implied author schlicht durch den Begriff author zu ersetzen" (Kindt/Müller: "Der ,implizite Autor"',
S. 285). Nünning kritisiert dagegen primär die Begriffswahl, da der Ausdruck implied author eine
"Personalisierung" suggeriert (Nünning: "Renaissance eines anthropologisierten Passepartouts",
S. 4), mithin die Tatsache seiner Abstraktheit verschleiert. Bai akzeptiert das Konzept des implied
author allenfalls als Passepartout für jene "theoretischen Überreste", welche die Erzähltheorie in
kein kohärentes Modell integrieren kann (BaI: "The Laughing Mice or: On Focalization",
S. 209). Meines Erachtel1s muß hier grundsätzlich zwischen zwei Fragestellungen unterschieden
werden: Die Frage, ob der Begriff des implied author aufgrund seiner personalen Konnotationen
passend gewählt ist, darf nicht mit der Frage verwechselt werden, ob es plausibel ist, eine dritte
Instanz zwischen Erzähler und realem Autor anzunehmen.
4.5 DIE STRATEGISCHE FUNKTION DES HERAUSGEBERKOMMENTARS
181
"entweder in Form einer "unwillentlichen Offinbaoder aber in Form "einer bewußten Sirung einer unbewujJten erson zc" h:
.
Werk vor, er habe eine andere
l'
d h der reale Autor tausc t m semem
. "245 I G
11lU at1~n, '."
. d' ,'n Wirklichkeit hat oder zu haben memt .
m ePersönlrchkelt als dle, le er 1 .
d' M" ll'chi el'teines unreliable narrator
G
l"ßt Nünnmg zwar le og
'"
gensa.~zl·~~ be~e~~l ~ückschluß auf die Instanz des implied aut?or für unzuldäszu, 246
er ( alt a er .
'1" . en Erzählers bekommen "dle Aussagen es
sig.
Im ~alle. emes. unzuver asslg nd von ihm nicht beabsichtigte Zusatzbeder privilegierten Erzählinß der Rezipient zwar das Werte- un d
deutung ur en eser '"
stanz erkennen zu konnen, m~. ". h "braucht aber nicht auf den imNormensystem des ~esamttex~es mzuz{e a:e'die relevante Bezugsgröße ist".248
plied author zu rekurr~e~'e?, "well.~as .Wer ~. h d n Begriff des implied author
Kindt und Müller. kntlSleren NUn~lrgs "~;~~h~n~sweise des "Werkganzen" zu
tur
durch die Kategone der "Gesamtstbrlu'(b
1-1 r' worin die literaturtheoretische
. d
A ument es el e un ua ,
"
.
ersetzen, mlt em rg . 'b
h
11 249 Worin besteht der Grund dleser
Funktion" dieser Kategonen este en so e.
.
seiner selbst zu
pr~fi'duz~re~. :{ hkeit"244
T
Erzählersfi.~l~ lh~l n~~~~7b~:u~~;~nzuverlässigkeit
Unldarheit?
" hge"oren 1a
t Nu"nning
. 1 'd 1extes
u " die Perspektivenstruk.
.
d T 7 . P ndenzrelationen ZW1Zur Gesamtstru (tUf es
.'
1
11'
d dle Kontrast- un l'\..orres 0
tur, dle Flguren wnste atlOn ~n b 1
Eb
bezel'chnet die Gesamtstruktur
'
" 250 A f elner a stra (ten ene
.
ehen den F19uren.
u
d b " "251 die eme
,
s.
. . I . 11 Kontrast- und Korrespon enz ezuge
die "Summe aller stru (ture e:
. d . doch erst im Rezeptionsprozeß
"virtuelle Struktur" bilden. Dles e S~nhlktur ::Ji~chen Bestandteilen eines Textes
·· [ ] indem der Leser BeZle unge
. d
rea1lSlert ... ,
.
I d'le G
t truktur des Textes mlt en vom
esa~ ~extstruktur gleich Dadurch fällt
konstituiert".252 N ünnmg setzt a so d.
m
Leser aufgestellten Hypoth~sen über le
e. die semiotischen u'nd rezeptionsPun
er jedoch in einem entscheldende n E (t. ..~nlt~rEr' zieht nämlich die Möglichkeit
. h A"
on Iser un d co zuruc (.
. d' .
I
. 1d höheren Textebene als überm lVlästhetlsc en nsatze ~
nicht in Erwägung, dle Gesta tun~sm1tte er
duelle Intentionalität einer Strategle des Textes zu fassen.
t:
244 Genette: Die Erzählung, S. 28: f. . h
'1 en Kategorienfehler, da er den unreliable narr~
245 Ebd. I-lier begeht Genette memes Erac te~ds et1 "11 . . . r der reale Autor" die entschelFa en Ist Imme"
ß
.
t
ht'
In
bel
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."
.
tor als unreliable aUfhor ml vers e . . . I . h f'C b I'ende unbewußte Persönlichkeit , zum
.
I
Willentlic ~ SIC 0 len a
"
.'
dende Instanz - zum emen a s u n d '
," ht el'ne andere Persönlichkeit zu sem.
.c
.
I S'
I t' s-Instanz le vortausc ,
anderen als intenttona e Imu a ton
, ..
P
't ts" S 15 Nünning verwtl'lt
.
.
I 'pologlslerten assepar ou "
.
246 Vgl. N ünning: "Renalss:nc~ eme.s ant ~10dun daß die durch den "unreliable narrator" entsteg
den "unreliable narrator mit dei Begrun , d ,
d L er die Werre und Normensysteme
,
d
bemerkt wu' wenn er es
"ß'"
hende InkonSistenz,. nur. al1l1
'1 d -W; 'k anze hierfür die "relevante Bezugsgrö esel,
des Gesamttextes" hmzuzleht. Eben wel as er g
könne man auf den implied author verzichten.
247 Ebd.
248 Ebd.
'" S 275
249 Vgl. Kindt/Müller: "Der ,implizite Autor .'.'
.
,
"s 22
.
250 Nünning:"Renaissance emes
ant I~ropoIog Islerren Passepartouts ,.. .
251 Ebd., S. 19.
252 Ebd.
182
4.5 DIE STRATEGISCHE FUNKTION DES HERAUSGEBERKOMMENTARS
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
" Der B.~gr.iff der ,Str~tegie' läßt sich, ebenso wie der Begriff der ,Struktur'
F:l11ktlo.n
Anders als der Strukturbegriff implizier;
~tlate~le Jedoch keme ,N~cht-I~tentlOnalität', sondern eine nicht-individuelle Fo .1e
mtentlOnalen Geladensems. E1l1e Struktur kann als Wirkung einer unb 1 nten
tlll
Ursache
durchaus
nicht-intentionalen
Charakter
haben
_
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e
<:ßan
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g es un ewu te 11l d
mlt . 1l1111C
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1 t-mtentlonale
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.Handlungsmuster. Eine Strateg1'e l'st d agegen Immer
11
t~ntlona , we1 .sle e1~er zlel~ericht~t~n Handlungsdynamik gehorcht, muß ab~~
n~cht ~otwend1gerwe1sean e1l1 IndlVlduum geknüpft sein. Eben hierin lie l' auch1
P01l1te des
Er drückt eine überindividuelle und überge1:s ..
liche Form der Intentlonalität aus. Gleiches gilt für das Disposit1'v . PS' Oll·
Foucau1·
. Aus d ruc<:
1 e1l1er
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"strategischen Funktion"253 di
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Der
Stl'ategiebegriff
b'ld
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d' K I '
1 et amlt geWlssera~mer zWIschen persönlichen, performativen und dispositi
a ~111 1e
ven
Ausfu 1nmgsmod1 von Intentionalität. 255
Es bleib.t die Aufgabe herauszuarbeiten, welche literaturrheoretischen K
von Begriffen wie ,Textintention' und
a en. . ug elch 1st zu fragen, ob mit Hilfe von Ecos Modell der interpretati .
den Einwänden Genettes und Nünnings gegen Booths Begriff des
p. ted au~hor Rechnu,~g getragen werd~n kann, ohne dessen strategische Funktion
~l~le~n "tealen A~tor (Genette) oder e1l1er statischen "Gesamtstruktur" (Nünnin )
." 2~7
u ~tlassen zu mussen. Ecos Pendant zum implied author ist der Modell-A
Er 1st d R 1
.
"
uto! .
Tt
"~~8 esu tat e~ner vom Leser aufgestellten Hypothese über die "Strategie des
extes
und hat 1l1sofern inferentiellen Charakter. Bemerkenswerrerweise h
author erschließen la"ßt.. "WT
',r; gl~ t
auch Booth
davon
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' . . aus, daß sich. der im1llied
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we tnJer 11111
as
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Ideal,
litetaty,
created
verSlOn
of
the
real
man"
259
D1'es
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f·
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d' I
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.
e eutet te11Ch , daß
1e .:s.tanz ~s tmplted,~~~hor "vom empirischen Leser als Rezeptionsleistung ausgeatAeltet wetde~ muß
, ~bwohl der Ausdruck ja "gerade eine Rückbindung an
d en . utor und dIe Senderselte nahelegt" .261
. ~~edAlternativen scheinen klar zu sein: Entweder man ersetzt den Begriff des
tmp te author durch den Begriff author und billigt damit dem realen Autor die
ub.erpe~·s~nliche
~le
~!s
Funktio1~sbegriffs:
6u~nze2~6d~e ~e1:we1:dung
I~~operatlon
begreife~.
,Erzählstra~~i:~
:;~~
253 Vgl. Foucault: Dispositive der Macht, S. 120.
254 Foucault: Der Wille zum Wissen, S. 116.
255 Vgl. hierzu Wetze!: "Autor/Künstler", S. 482 der betont daß Foucault d' D'
. d P
son des Autors aus seiner Anal se der R k"
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, l e llnenSlOn er erals fL 1 " I ffl
. '. ~
un tton Autor ausldammert, "um dadurch eine Leerstelle
' p' Im ~~ollna .od,~nes DISPOSltlV entstehen zu lassen, das von der ecriture als Raum eröffnendes
S le erru l' WIr .
256 Vgl. Kindt/Müller: "Der ,implizite Autor"', S. 286.
257 Eco: Lector in fabula, S. 77.
258 Ebd.
259 Booth·: The Rhetori
S 74 . D'lesen Gedanken greift Chatman auf, wenn er schreibt:
. c 0),f.'R'tct'IOn:.
S~;;.lght bettel speak of the ,111ferred' than of the ,implied' author" (Chatman: Coming to Terms,
260 N'"unnlllg:"R
'
.
enalssance
ellles
anthropologisierten Passepartout" S 10
261 Ebd " ..
S 11
' Nünning unter "Rückbindung" die "alleinige
S,.
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I . H'leI' scIlelllt
Kontrolle
über den Text"
zu vels.te len: anstatt d~s V,erhältnis von Autor und Leser, wie Eco, als Interaktion zweier Textsttateglen mIt unterscluedhcher "intentionaler Ausrichtung" zu sehen.
183
zentrale strategische Entscheidungsfunktion zu, oder aber man transformiert den
irrtplied author in einen inferierten, hypothetischen Autor, der erst durch den Interpretationsakt des Lesers hervorgebracht werden muß. Eine dritte Möglichkeit besteht in der Annahme, "daß Autor und Autorfunktion miteinander identisch
sind" .262 Sie impliziert, daß der Begriff des implied author in der Funktion Autor
aufgeht. Tatsächlich läßt sich diese These mit Blick auf eine Variante gegen Ende
263
von Foucaults "Was ist ein Autor?" plausibilisieren.
Dorr heißt es:
[...] der Autor ist keine unendliche Quelle von Bedeutungen, die das Werk erfüllen, der
Autor geht dem Werk nicht voraus. Es ist ein bestimmtes funktionelles Prinzip, durch
das man in unserer Kultur begrenzt, ausschließt, auswählt, selegiert: kurz, das Prinzip,
durch das man der freien Zirkulation, der freien Manipulation, der freien Komposition,
264
Dekomposition und Rekomposition der Fiktion Fesseln anlegt.
Durch diese _ keineswegs positiv konnotierte - Rahmungsfunktion wird die Funktion Autor zu jenem Prinzip, das, wie es später in Die Ordnung des Diskurses heißt,
"der beunruhigenden Sprache der Fiktion ihre Einheiten, ihren Zusammenhang,
ihre Einfügung in das Wirkliche gibt".265 Die Funktion Autor umfaßt so besehen
drei Aspekte: Sie begrenzt erstens die "krebsartig wuchernde Ausbreitung" der Fiktion. Sie ist zweitens "das Prinzip der Ökonomie in der Verbreitung des Sinns"266,
und drittens besteht der ideologische Aspekt der Funktion Autor darin, daß die
Präsentation des Autors als schöpferisches Genie seine Rolle verschleiert, die er seit
dem 18. Jahrhundert spielt, nämlich die eines "Regulators von Fiktion" .267
Die Funktion Autor koinzidiert darin mit dem Konzept des implied author, daß
sowohl die Funktion Autor als auch der implied author Selektionsinstanzen sind.
Während die Funktion Autor jedoch als überpersönliches, funktionales Prinzip
wirksam ist, durch das man die Möglichkeiten der freien Komposition und der Rekomposition "begrenzt, ausschließt, auswählt, selegiert"268, erscheint der implied
author als ideales Bild einer individuellen Persönlichkeit. Der implied author repräsentiert als ideale Version des "real man" die "sum of his own choices"269, die
er "consciously 01' unconsciously" getroffen hat. Geht man nun davon aus, daß
Foucault grundsätzlich Recht hat, wenn er die Funktion Autor als institutionelles
und ökonomisches Prinzip der Verbreitung und der Regulierung von Sinn ansieht,
dann ist der implied author als personaler Teilbereich der überpersönlichen Funktion Autor anzusehen. Mit anderen Worten: Der implied author, gefaßt als "the
262 Corti: Die gesellschaftliche Rekonstru/aion von Autorschaft, S. 130.
263 1970 trug Foucault an der Universität Buffalo eine veränderte Version von "Was ist ein Autor?"
vor, die 1979 in den Vereinigten Staaten veröffentlicht (infra, NI'. 258) und von Foucault auto264
265
266
267
268
269
risiert wurde.
Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1030, Fn.
Foucau[t: Die Ordnung des Diskurses, S. 21.
Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1029, Fn.
Ebd., S. 1030, Fn.
Ebe!.
Booth: The Rhetoric ofFiction, S. 74.
184
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAI-IMUNG
entire range of choices made by the author"270, trifft seine Wahlentscheidu
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ngen
Im~eI sc ~n 1m a m~n der ~unl~tlOn Autor, HIeraus folgt me111es Erachtens, daß
es s111nvolllst, den Begnff des tmplted author als Aspekt der Funktion Autor Zll d
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' d urch d'Ie Fun1<:tlOn
' Herausgeber gerahmt und durch ein Geu' I1rerseIts
ten, d Ie
samtdispositiv"271 gesteuert wird,
" eIch möchte noch einmal auf das Phänomen des unzuverlässigen Komment '
.. ldw~men, um dessen strateglsc
'he Fun1<tion zu beleuchten: Wenn die KOIaIS_
zuruc
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mentare e111es Erzählers oder eines fiktiven Herausgebers für den Leser erkennb ,
falsch sind, dann eignen sie sich nicht mehr zu einer expliziten Leserlenkung D~I
explizite Leserlenkung durch den Erzähler- oder Herausgeberkommentar ersci1 . le
. l'
mIt
1In a1s d as T äusc h ungsmanöver einer Instanz, die als Regisseur' hinter e1l1t
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Szene wu',1n, 272 In dem Maße, m
' dem SIch
" dIeses Täuschungsmanöver
'
el
als durchschaubares erweist, wird die Unzuverlässigkeit Bestandteil einer diskursiven Gesamtstrategie, die ihr Beabsichtigt-Sein in Form einer "narrativen Implikatll1'''
signalisiert,273
Die selbstentblößende wie selbstanzeigende Unzuverlässigkeit des Kommentars
hat dann d,ie F~nktion e~ner impliziten Leserlenkung: Der unzuverlässige K0111ment~r besItzt em strategIsches "Lenkungspotential"274 mit dispositiver Funktion.
Da dI,eses Lenkungspotential aber erst im Rahmen eines Schlußfolgerungsprozes_
ses seItens des Lesers entfaltet wird, geht die dispositive Funktion von der Aussageinstanz des Textes an den Leser über. Die dispositive Funktion findet ihren
Ausdruck in einem inszenierten Machtgefalle zwischen beiden Instanzen, Die Unzuverlässigkeit des auktorialen oder editorialen Aussagesubjekts entbindet den Leser
davon, sich dessen dispositiver Steuerungsmacht zu überlassen, Statt dessen übernimmt nun der Leser - scheinbar autonom - die dispositive Interpretationsmacht.
Das durch die Unzuverlässigkeit geweckte interpretative Mißtrauen lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers von den Aussagen des Textes auf die Form der Botschaft
Das heißt, der unzuverlässige Kommentar bringt den Leser dazu, durch den Voll~
zug interpretativer Aufpfropfungen seinen Deutungsrahmen zu modulieren. Eben
hierin besteht die strategische wie dispositive Funktion des unzuverlässigen Kommentars,
. Deutet man die offensichtliche Widersprüchlichkeit zwischen den Sprechakten,
die Erzähler beziehungsweise fiktiver Herausgeber äußern, und den indexikalischen
Informationen, die sich aus der Organisation der Gesamtstruktur herauslesen lass~n, als strateg!schen performativen Widerspruch, so hat dieser eine doppelte FunktlOn:. Er soll eme R~h~enkonfusion auslösen und zugleich als Rahmungshinweis
ft~ngleren. ~er semlOtlsche Status dieses Widerspruchs changiert zwischen inszel11erter genUIner und autoreflexiver degenerierter Indexikalität, Insofern der strategische performative Widerspruch sein Inszeniertsein im Modus der "Selbstan270 Ebd.
271 Foucault: Der Wille zum Wissen, 116.
272 VgI. Barrhes: "La morr de l'auteur", S. 64.
273 Henry: Pretending and Meaning, S. 107.
274 Iser: Der Akt des Lesens, S. 100.
4.5 DIE STRATEGISCHE FUNKTION DES HERAUSGEBERKOMMENTARS
185
. "275 entblößend zu verstehen gibt, wird er zu einem Signal für das strategische
*ft'~(en eines editorialen Dispositivs, das die Verläßlichkeit der im Text gemachten
en in strategischer Absicht untergräbt. Mit anderen Worten, der unzuverAuss ag
, G
b .d A
lässi e Herausgeberkommentar ist als negative performatlve este el er usführ~ng eines editorialen Dispositivs anzusehen.
4,5,3 Konsequenzen für das strategische Verhältnis von Autor und Leser
Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen gilt es nun, das strat~gische
Verhältnis zwischen Autor und Leser zu bestimmen, Nach Genette wend~t SIch ~er
Autor einer Erzählung "an einen Leser, den es in de~ Moment, wo er Sich ~n Ih~l
h nicht gibt und vielleicht nie geben wU'd, Im Gegensatz zum Imphwen det , noc
,
. klo h A
.
Autor
Zierten
" der im Kopf des Lesers , die Vorstellung von, emem wtr
11 tc en ' utor
ist, ist der implizierte Leser, im Kopf des realen Autors, die Vorste ung von emem
möglichen Leser".276
,
,
Nach Eco verdanken sich der Autor ,im Kopf des Lesers ebenso wIe der Leser
, K pf' des Autors inferentiellen Prozessen, im Rahmen deren Autor und Leser
,nu
0
'b
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.. hAt '
Hypothesen aufstellen, Mit dem Akt des Sch~'el ens entwlr t ,er e~plfl~c e u 01
einen hypothetischen Modell-Leser, Da er dIese Hy.pothese ?~m seme 7;gene Stra~
tegie übersetzt", kennzeichnet er sich selbst "als SubJeln der Außerun~ , ~~~/war,
"in strategischen Begriffen und zu.glei~h als ei~e Art textueller Operat~on " Der
hypothetische Modell-Leser erweIst SIch dabeI ebenso als Entwurf WIe d~r hypothetische Modell-Autor, den der Leser aus "den Daten der Textstrategie ded~. 't" 278 Entscheidend ist nun daß sowohl die Hypothesen des Lesers als auch dIe
zier "
, fi' . d
Hypothesen des Autors Entwurfscharakter haben: Der Autor"entwlr t mit, el~
hypothetischen Modell-Leser ein Konzept,des Textes, genall WIe der ~eser ml: seInen Hypothesen über den Modell-Autor em Konzept de~ ~extes entwIrft: Der empirische Leser stellt die Hypothese auf, daß der empmsche Autor emen Tex~
entworfen hat, aus dem er, der empirische Leser, ersehen soll, welchen Modell-Leser
der Autor konzipiert hat. Diese Hypothese ist abe~ nicht ?~r di~ Hypothese v,om
Modell-Autor, sondern sie ist der Modell-Autor, DIeser eXlstlert uberhaupt nur als
hypothetischer Entwurf des Lesers, Umgeke~rt eXistiert,auch der Modell-~~ser nur
als Hypothese des empirischen Lesers, der Sich also gle,Ichsam selbs~ entwuft. I?~r
Selbst-Entwurf eines Modell-Lesers aus der InterpretatlOnsperspelmve des empII1sehen Lesers ist also verschieden von dem Entwurf eines Modell-Lesers aus der Produktionsperspektive des empirischen Autors. Dieser vom Autor entworfene Leser
ist der "intendierte Leser",279
275
276
277
278
279
Ebd., S. 136.
Generte: Die Erzählung, S. 291.
Eco: Lector in fabula, S. 76.
Ebd., S. 77Vgl. Iser: Der Akt des Lesens, S. 59.
li
186
,
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4, DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATlVER RAHMUNG
4.5 DIE STRATEGISCHE FUNKTION DES HERAUSGEBERKOMMENTARS
Wä~rend der inte?dierte Leser letztlich immer eine Hypothese des empirischel
Autors 1st, verdankt sIch ~e~' Modell-Leser im Sinne Ecos einer Dialektik von Frem~
dentwurf durch den empmschen Autor vor dem Akt des Lesens und Selbstent f
' Al
' ,
WUr
~m n des Lesens durch ~en empmschen Leser. Als kohärenzerzeugendes Prinzip
11n Aln des Lesens kann SIch der Modell-Leser von den strategischen Hypoth
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A
esen
es ~t~rs: Ie 1m rrangeme~t d~s ~extes i~ren Niedersc?lag gefunden haben,
emanZIpieien - ,a~ch wenn e,r SIch 111 Irgende111er Form zu Ihnen verhalten lUuß,
Sobald der emp11'Ische Leser Jedoch Hypothesen über die Organisation des Textes
durch den Autor aufstellt, betreffen diese Hypothesen nicht den ,wirldichen Al l' "
, G
'
101,
':Ie enette ~nnlm.mt, sondern einen ,möglichen Autor', Deshalb muß der em insche Leser 111 zweIfelhaften Fällen - etwa beim unreliable narrator - zwei UI
schiedlic~le Modell-Autoren entwerfen. Im Entwurf dieser zwei Modell-Aut~I:~
muß e,r SIch aber auch selbst als zwei unterschiedliche Modell-Leser entwerfen_
das heIßt, er erfä~rt die I?konsistenz zweier widerstreitender Interpretationshypo_
thesen als InkonSIstenz se111es hypothesenaufstellenden Bewußtseins. 28o Der Selbstentwurf des Lesers bekommt in dem Moment strategisches Lenkungspotential, in
dem der Modell-Leser die Unzuverlässigkeit des Erzählers beziehungsweise d
Herausgebers nicht nur als Inkonsistenz der Hypothesen über den Modell-Allt~:'
erkennt, sondern als absichtlich hervorgerufene Inkonsistenz auffaßt: als Inkonsistenz, die deI: Leser d~zu veranlassen soll, hypothetisch eine diskrete Strategie anzuneh~en, 111 der SIch der Plan des Werks realisiert. So besehen wird die
InkonSIstenz des hypothesenaufstellenden Leser-Bewußtseins zu einer Selbstdarstellung des Autor-Konzepts.
t
4.5.4 Die Funktion Herausgeber als editoriales Dispositiv
Zusammenfassend lassen sich drei Konsequenzen festhalten: Erstens erfährt der
~uto,r an der "Nullstelle des Diskurses"281 eine Verdopplung: Einerseits ist er als
111fenerter Autor das Resultat einer Hypothese seitens des Lesers, andererseits entwirft er sich im Aln des Schreibens in einer Art und Weise, die zu einem Bruch
zwischen wirldichem Schriftsteller und fiktionalem Sprecher führt,282 Zweitens
kann man diesen Selbstentwurf mit Mardnez-Bonati als initialen Aln des Selbstzitats a~ffassen, be! dem sich der Autor als hypothetische Aussageinstanz entwirft
u~~ SIch durch eI~ ~elbstzitat,als eben ~iese Aussageinstanz repliziert. Dergestalt
w11,d der Aln de~ ZitIerens zu e111em poetIschen Aln des Hervorbringens einer narratIven Aussage111stanz. Drittens vollzieht der Autor mit dem Aln des Selbstzitats
gewisserma,ßen eine Selbstaufpfropfung: Das Autorschaftskonzept der genuinen
Zeug:111? WIrd durch da~ Konzept der nachträglichen Adoption des Geschriebenen
substItuIert, Dadurch wzrd Autorschaft zur Selbstherausgeberschaft,
280 Vgl. Poulet: ,:PI:e~10m~nology ofReading", 5,54, sowie Iser: "Der Lesevorgang", S. 273.
281 Iser: "Auktonalitat. Die Nullstelle des Diskurses", 5, 240.
282 Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1020.
187
Was bedeutet die These, Autorschaft sei als Selbstherausgeberschaft aufzufassen,
.
, bezug aufdas Phänomen der Herausgeberfiktion?
111 Der narrative Akt, durch den eine fiktionale Aussagein~t~nz 111S ~erk gesetzt
'.d gründet auf einer implizit vorausgesetzten oder explIZIt vorgefuhrten, ~er
~:rr:ativen Geste des Zitierens. Indem diese Geste ,ausgeführt und ~ufgeführtWI~'~'
vollzieht sich der Bruch zwischen wirldichem Schnfts:eller und fiktIOnalem Schl.eIbel'. Im Fall der Herausgeberfiktion ist der Bruc~ ~wlschen Autol: und Aussage111~
stanz sogar durch eine doppelte Geste des ZIt~eren,s ausgezeIchnet: ~us ~eI
ativen Geste auktorialer Verneinung am extradiegetIschen Rand des DiskUlses
~elgt daß der narrative Akt mit dem eine intradiegetische Aussageebene erzeugt
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wird, als Akt des Zitierens aufgefaßt w~rden mu . Das. eIl', el. ut?t , t111~t
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EI'zähldiskurs zur Welt indem er 111 der Maske fingIerter odet filmvet Hete1l1en
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'schaft die schriftliche Rede seiner eigenen IntradiegetISC len Iguren zmert.
ausgebet
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Diese Form des Selbstzitats impliziert aber auch e111 ZItat er un <twn utOI. ~nauer gesagt, die partage der verschie~enen~ussageinstanze~, durch w~lc~e d~e
Funktion Autor laut Foucault ausgezeIchnet Ist~83, verdankt SIch der petfot.mauven Geste eines ersten, diskursstiftenden SelbstzItats an der Nullstelle des DIskurses, dem weitere Zitatgesten folgen.
,.
.
Während Foucault nur die Spaltung zwischen wlrldlchem Schnfts~eller und fiktionalem Sprecher erwähnt, läßt sich vor dem Hit~tergrund des blsl~ng Ausgeführten sagen, daß der fingierte ebenso wie der fil~tIv~ Heraus~eb~r e111e ~el1tl'ale
Rolle in diesem diskursiven Prozeß der Spaltung e1111l1mmt, wer! dI~se berden Instanzen den Übergang zwischen wirldichem Schriftsteller und fiktIonalem. Spr~UI1
d modulI'et'en
Der fingierte Herausgeber .befindet, SICh 111
.
Ch er mar1
Geren
·
telativer Nähe zum wirldichen Schriftsteller - hat aber du~ch dIe negatIv,e Ges.te
auktorialer Verneinung den Bruch mit der Idee eines ,genu111en Erzeugers bereIts
vollzogen. Die fiktive Herausgeber-Figur steht in .relativer Nähe zu der Instanz ~es
Erzählers leitet sich aber ihrerseits von der fingIerten Herausgeberschaft her, 1st
also dere~ ,Spaltprodukt'. So betrachtet stellen fingierte un~ fiktive Herausg~ber
schaft Modulationen des Bruchs zwischen wirklichem Schnftsteller und fiktIvem
Sprecher dar.
Was bedeutet die These, daß Autorschaft als Se~bstherausgeberschaft ~ufz~fa~sen ist, mit Blick auf den paratextuellen Rahmendiskurs der. He:ausgebelfiktIon.
Der Rahmendiskurs der Herausgeberfiktion ist ein indexikalIscher Rahmu~gs
hinweis und hat gleichermaßen performative wie parergonale Rahmung~funktIo~.
Dabei koppelt die Herausgeberfiktion die Operation der Selbstbeschreibung mIt
der Operation der Selbstrahmung, indem sie die Aufpfropfung ~ls V,erfahren,des
Zitierens und Rahmens vorführt. Als Verfahren der Rahmung trItt dIe AufpflOpfung in Form von parergonalen Kommentaren in Erscheinung. Der Ko.mmentar
hat neben seiner performativen wie parergonalen Funktion ~ls typographI~cheVerkörperung eines Rahmens auch poetische u?d metafiktwn~le FunktIon. Der
Kommentar ist eine Selbstbeschreibung der "E111stellung auf dIe Botschaft als sol283 Vgl. Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1020,
188
4. DIE NARRATIVEN FUNKTIONEN PERFORMATIVER RAHMUNG
he
"284, d'le"a1..
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s mten d'lerte selb st bezügliche Aussage"285 über die performat'
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un narratIven Ra mungsbedmgungen aufzufassen ist und als allographer Y
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'\.01'11.
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mental' masIoert WIr, amlt er Autor (in der Maske des Herausgebers) a
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eXlvau en eIgenen .lext Bezug nehmen kann. Versteht man unter Botscl C 1
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so c le en Haupttext, so kann der editoriale Kommentar auf den Haupttext als
Dokument oder als Monument Bezug nehmen. Im ersten Fall bezieht sich d '
Kommentar auf die illokutionäre Rolle und den propositionalen Gehalt der B er
schaft, im zweiten F:ll auf deren monumentale Indexikalität. Versteht man un~~;'
"Botschaft als solche den Paratext, von dem her kommentiert wird, so erweist sich
der Kommentar als Selbstkommentar, der einen explizit oder implizit metafiktio_
nalen Cha,rakter hat. I~ zweiten Fall reflektiert der Selbstkommentar nicht nur die
performatlVen und poetIschen Rahmenbedingungen des Haupttextes sondern s t
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eme autopresentatzon u concept m Szene: Dadurch nämlich, daß er den Bruch zwi.
s~h~n Paratext und ~aupttext sowie den Bruch zwischen den Aussageinstanzen,
dIe 1m Paratext und 1m Haupttext zu Wort kommen, performativ vorführt, In d '
,:"orführung dieses doppelten Bruchs vollzieht sich die Funktion Autor als Funl~~
tlon Herausgeber,
~as b~deu~et die These, daß Autorschaft als Selbstherausgeberschaft aufzut1ssen l~t, mlt BllCk auf die Funktion Herausgeber?
DIe These, Autorschaft sei als Selbstherausgeberschaft zu deuten, gründet auf
d~r Annahme, daß die, Funktio~ Autor v?n der Funktion Herausgeber gerahmt
Wl1'd. Il~ ~ahmen fik~lOnaler DIskurse wIrd die Funktion Herausgeber implizit
d~rch dIe !eden narra:lven Akt begleitende Geste des Zitierens und explizit durch
dIe InszenIerung fingle:ter oder fiktiver Herausgeberschaft verkörpert, Diese beiden FOl'l~en perf~rmatlver Prosopopoiia sind Maskierungen der Funktion Herausgeber., DIe Funktlon Herausgeber hat als Bündel performativer Operationen der
S~lel<tlon und der Regulation, die der Organisation des Diskurses und der strategls,che,n Steue,run~ ~es Lese~'s dienen, den Status eines Dispositivs. Der Begriff des
edztorzalen DzsposzttvS läßt SIch sowohl auf die Funktion Autor als auch auf die Instanz des implied aut~or ~eziehen. So kann eine fiktive Herausgeber-Figur als
Maske der Autor~unktlo~ l~~'e ~extstrategie expli~it mitteilen oder implizit zu verstehen geben. GleIches gIlt fur emen Autor, der seme Autorschaft verneint und sich
mit einer fingierten Herausgeber-Rolle tarnt. Jede Form der Autorschaft wird durch
die Funktion Autor gerahmt. Die Funktion Autor wird ihrerseits wiederum durch
die Funktion Herausgeber gerahmt - ein Umstand, der durch die Editions-Szenen
der Herausgeberfiktion explizit vorgeführt wird. Die Klammer zwischen den drei
Ebenen ~ealität, ,~unktio~ u~d Fiktion ist ~as editoriale Dispositiv: Es verknüpft
als fu~ktl.onales, ub~rpersonlrches und übel'lndividuelles Prinzip die äußere Ebene
de~ wlrldlchen Schl'lftst~llers mit der inneren Ebene einer fiktiven Aussageinstanz.
Ml~ an~ere~ Worte~, dIe Funktion Autor, der implied author und der reale Autor
greIfen JeweIls auf em editoriales Dispositiv zurück. Und insofern das, was diese
284 ]akobson: "Linguistik und Poetik", S, 92.
285 Wolf: Asthetische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzählkunst, S, 226 f.
4.5 DIE STRATEGISCHE FUNKTION DES HERAUSGEBERKOMMENTARS
189
Begriffe jeweils bezeichnen, durch ein editoriales Dispos,itiv de,terminier,t ist, .ist es
leichgültig, welchen dieser Begriffe man verwendet. DIese mIt dem HmwelS auf
~as ubiquitär wirkende editoriale Dispositiv begründete Gleichgültigkeit gegenüb r der Frage ,Wen kümmert's wer spricht?' scheint mir die angemessene Beant:ortung eben dieser Frage zu sein. Die Differenz zwischen dem, was die Funktion
Autor, der implied author und der reale Autor bezeichnen" kann -:- sofern man
davon ausgeht, daß es eine Differenz gibt - als Differenz zWIschen Jenen Ebe~en
verstanden werden, auf denen das editoriale Dipositiv seine RahmungsfunktlOn
entfaltet.
Was bedeutet die These, daß Autorschaft als Selbstherausgeberschaft aufzufassen ist, mit Blick auf die Rede vom editorialen Dispositiv?
Mit Bezug auf das editoriale Dispositiv lassen sich drei Feststellung~n treffen:
Erstens ist das editoriale Dispositiv ein parergonales und performatlves Rahmungsverfahren. Parergonal, weil es aufgrund seiner strategischen Funktion von
einem "bestimmen Außen" her, "im Inneren des Verfahrens"286 der Leserle~lmn,g
mitwirkt, Performativ, weil die editoriale Tätigkeit im Spannungsverhält?ls Z~l
sehen der Ausführung und der Aufführung von Rahmungsakten steht: Dl~ edItodale Rahmungsfunktion changiert zwischen den Polen der funktlon~len
Ausführung all jener ernsthaften Sprechakte, die den, kritisch~n und ?en, kreatlven
Akt des Herausgebens konstituieren, und der InszenIerung dIeser edltonalen Akte
Szene mlt"
' D oppe1rahmung".287
'.
als Ed1tlons,
Zweitens steht das editoriale Dispositiv mit Blick auf die Verkörperungsbedmgungen im Spannungsverhältnis von iterativen Aufpfropfungs~e,:",~gungen ein~r
seits und den Replikationsverfahren der wiederholbaren Mate,n.alrtat ander~rselts.
Das editoriale Dispositiv steuert und sichert die Akte des Zlt~erens, Kop~er?n~,
Archivierens und Dokumentierens, indem es diese an die technIschen und Junstlsehen Rahmenbedingungen rückbindet, also alle Akte des Zitierens wie des Replizierens durch indexikalische Rahmungshinweise sichert. Der Akt der Herausgabe
vollzieht eine Transformation von den internen performativen Rahmungen des Zitierens zu den externen performativen Rahmungen des Publizierens - unter
Berücksichtigung der drucktechnischen Replikationsverfahren, ,
'
Drittens steht das editoriale Dispositiv im Spannungsverhältl1ls von genumer
und degenerierter Indexikalität, Geht man davon aus.' daß die editori,ale Tätigkeit
wesentlich im Zitieren, Arrangieren und Kommentleren von Schreibspuren besteht, impliziert der Vollzug der editorialen Tätigkeit einen semiotischen Prozeß
des Unmotiviert-Werdens"288, weil die genuine Indexikalität monumentaler
Sch;~ibspurendurch degenerierte editoriale Indices gerahmt wird, ,Diese editorialen Indices verweisen von einem bestimmten Außen her auf das 1m Inneren gerahmte Material und wirken zugleich durch die Geste des Verweisens parergonal
im Inneren des Rahmungsverfahrens mit.
286 Vgl. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74,
287 Vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 178,
288 Derrida: Grammatologie, S. 81.
'1I1
5. DER pi\RATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
5.1 Exposition des Fragehorizonts
\Xfie!ands Geschichte des Agathon gilt als erster moderner Roman im deutschen
S rachraum. So heißt es bei Lessing, durch seine selbstreflexive Erzählweise lege es
leser "erste und einzige Roman für den denkenden Kopf, von ldassischem Geschmacke" 1, darauf an, bei seinen Lesern ein Bewußtsein für "verschiedene Möglichkeiten der Deutung" zu schaffen. 2 Dabei kommt dem "Vorbericht" der
Geschichte des Agathon eine "zentrale Bedeutung"3 zu, denn er führt nicht nur "einschlägige positionen"4 der poetologischen Romanreflexion des 18. Jahrhunderts
vor, sondern auch die Prämissen für das Verständnis "der immanenten Poetik des
Romans".5 Im Vorbericht wird eine Umwertung der Begriffe ,Geschichte' und ,historische Wahrheit' eingeleitet, die dem Prinzip des Wahrscheinlichen eine entscheidende Rolle zuweist. Dies impliziert ein neues Verständnis "der
Einbildungskraft des Dichters" als des "Medium[s] der Darstellung" und der "wirkungsästhetischen Absicht des Romans". 6 Der Vorbericht thematisiert jedoch nicht
nur "die Absichten und Schwierigkeiten"? des Projekts, sondern ironisiert die
"zeitübliche Berufung auf historische ,Wahrheit'" und rückt statt dessen "die Bedeutung der Fiktionalität" in den Blick. 8 Insofern der editoriale Rahmendiskurs
dazu beiträgt, "im Erzählen das Erzählen selbst transparent zu machen"9, hat er
eine metafiktionale Funktion, durch die der Text "sich selbst, seinen Status, sein
Realitätsverhältnis kritisch thematisiert" .10
Im Folgenden soll untersucht werden, wie in den Paratexten der Geschichte des
Agathon das Verhältnis von Fiktion und Nicht-Fiktion thematisiert und Autorschaft
als Herausgeberschaft inszeniert wird. Auch wenn dem Vorbericht zur Geschichte
des.Agathon zentrale Bedeutung zugesprochen wird, bleibt sein logischer Status und
seine diskursive Funktion für den Haupttext auf merkwürdige Weise unldar. Diese
Unldarheit ist programmatischer Natur. Der Paratext der Geschichte des Agathon
1 Lessing: Hamburgische Dramaturgie, in: ders.: Werke, Bd. 4, S. 555.
2 Vgl. Preisendanz: "Die Auseinandersetzung mit dem Naehahmungsprinzip", S. 93.
3 Sehrader: Mimesis und Poiesis, S. 31.
4 Vgl. }l;H'gensen et al.: Wieland. Epoche - Werk - Wirkung, S. 122.
5 Friele Providenz und Kontingenz, S. 388.
6 Sehrader: Mimesis und Poiesis. Poetologische Studien zum Bildungsroman, S. 31 f.
? Stang: Einleitung - Fußnote - Kommentar, S. 63.
8 Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 87.
9 Friek: Providenz und Kontingenz, S. 389.
10 Ebd., S. 491 f.
I,i:
192
5.1 EXPOSITION DES FRAGEHORIZONTS
5, DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
g~bt sich al~ "zone intermediaire"ll,; als Zone pe.rformativer Überblendungen, tun
dIe "TechnIk der Doppelrahmung 12 am "szenIschen Rahmen des Schreibens"13
vorzuführen. Der Vorbericht versucht - wie die "Preface" zur Nouvelle Hiloi'se_
mit Hilfe einer Rahmenkonfusion die Aufmerksamkeit auf die poetischen Rahmungsbedingungen zu lenken:
Der Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte siehel' so wenig Wahrscheinlichkeit Vor
sich, das Publicum überreden zu können, daß sie in der Tat aus einem alten Griechis~hen Manuskript gezogen sei; daß er am besten zu tun glaubt, über diesen Punkt gar
111chts zu sagen, und dem Leser zu überlassen, davon zu denken, was er will. 14
Irritierend wirkt der Umstand, daß das Angebot eines Fiktionsvertrags durch die
Selbstbeschreibung des Vorwortverfassers als ,Herausgeber' gleichsam in actu dementiert wird. Durch diese Selbstbeschreibung wird der editoriale Rahmendiskurs
"zum Medium", das dazu dient, "einen Widerspruch in mehreren Varianten vorzuführen". 15 Zu ldären bleibt zum einen, inwieweit und inwiefern dieser Widerspruch als "Verfahren der Rahmung"16 zu deuten ist. Zum anderen gilt es, die
poetologische Rolle des Prinzips der Wahrscheinlichkeit zu beleuchten, auf das sich
der Herausgeber beruft, während er einen performativen Widerspruch begeht.17
Nach Berthold gibt das Prinzip der Wahrscheinlichkeit in der Romanpoetik des
18. Jahrhunderts den Rahmen vor, innerhalb dessen der "Gegensatz von Fiktivität
und Realität entschärft werden konnte".18 Zunächst führt die Orientierung am
Prinzip der Wahrscheinlichkeit jedoch dazu, daß die "Tatsächlichkeits-Vorspiege_
lung der Texte"19 radikalisiert wird, wodurch das Prinzip der Wahrscheinlichkeit
mit dem Prinzip der Wahrheit in Konflikt gerät. Zur Darstellung dieses Konflikts
wählt die "Vorredenteflexion"2o von der Mitte des 18. Jahrhunderts an den inszenierten performativen Selbstwiderspruch. Die Voraussetzungen hierfür werden
durch eine Reihe von Vorreden geschaffen, an die der Vorwortdiskurs der Geschichte des Agathon produktiv anschließt. Neben dem Don Quixote sind hier die
11 Compagnon: La Seconde main, S. 328, Dabei befinden sich in der Ausgabe letzter Hand zwischen
dem Vorbericht zur ersten Ausgabe und dem einleitenden Aufsatz" Über das Historische im Agathon" der Ausgabe von 1773 jeweils noch die kurzen Vorworte: "An die Leser des Agathon" (1773)
sowie "Vorbericht zu dieser neuen Ausgabe" (1794), Bemerkenswerterweise stehen diese beiden
Vorworte nicht vor dem jeweils älteren Vorwort, bewegen sich also nicht digressiv nach außen,
sondern die Vorworte zu den Ausgaben von 1773 und 1794 sind chronologisch dem Vorbericht
der Erstausgabe nachgeordnet, wobei der Aufsatz "Über das Historische im Agathon" sowohl 1773
als auch 1794 die Schwelle zum Haupttext markiert.
12 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 178.
13 Vgl. Campe: "Die Schreibszene, Schreiben", S. 764,
14 Wieland: Geschichte des Agathon, S, 11. Im folgenden wird im Text mit der Sigle A zitiert.
15 Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 110.
16 Campe: Spiel der Wahrscheinlichkeit, S. 313,
17 Vgl. ebd" S. 322.
18 Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S. 136.
19 Ebd.
20 Weber: Die poetologische Selbstreflexion im deutschen Roman des 18, jahrhunderts, S. 20.
193
-rede zur Insel Felsenburg und die "Preface" zur Nouvelle Hiloi'se zu nennen, aber
21
auch Wielands "Nachbericht " zum D on SI'
~ mo.
11
vor
5.2 Die Funktion des performativen Widerspruchs
im Rahmen der Vorredenreflexion
5.2.1 Der "Nachbericht" zum Don Sylvio und das Vorwort zum Don Quixote
I D n Sylvio wird der Prozeß der "Ebenendifferenzierung"22 z,:ischen Autor, Er-
~leI~
und Herausgeber mit einem performativen Widerspruch m Gang gebracht.
a
zD . U"ber'schrift des Vorworts lautet: "Nachbericht des Herausgebers welcher aus
le
.
h
d" 23 D p.f,
Vi' hen des Abschreibers zu einem Vorbenchte gemac t wor en '. as er orers.e dl'eses Widerspruchs leitet sich von dem im Titel protokollIerten druckmatIve
technischen Unglücksfall her: Liegt ein Versehen d es Absch rel'b ers vor, d ann wur·de
dieses entweder vom Herausgeber vor dem imprimatu: o~er vom ~rucker vor de~
Druck entdeckt. Beides wäre möglich. Unwa~rschemlIch erschel~t dagege.n.d~r
'1'
d Fall daß das Versehen des Abschrelbers bemerkt, aber nIcht korngiert,
vor legen e
,
.
.
4
" 1
. ·d d' . d'
d rn lediglich protokolliert und kommentIert wlrd. 2 Verstal' <t WH leser le
~~k~rperungsbedingungen betreffende performative Widerspruch dadur,7h , daß
der Verfasser im Rahmen des "Nachberichts" auf sich selbst als "Vorredner ~ez~g
,
t wenn er schreibt: [1] ch kenne die Ehrerbietung sonst ganz wohl, dIe em
Ulmm ,
"
ld' . "25 D
. d
N hbe
Vorredner dem hochansehnlichen Publico schu 19 l~t . . . er ~lt em:,. ac . ~
richt" ins Werk gesetzte performative Widerspruch ImplIZIert nIcht nur eme 11021 Vgl. Oettinger: Phantasie und Erfahrung, S, 95,
,
22 Bickenbach: Von der Möglichkeit einer ,inneren' Geschichte des Lesens, S. 206., b '
h d'
23 Wieland: Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva, S. 9., Bemer:(enswerterWel~e, ~u:n~ auc. 1~
Geschichte des weisen Danischmend mit einem performanve~ WI~erspruch, dei Sl~ I11C t n~l,t ~u
die Verkörperungsbedingungen bezieht, sondern ein offenslChthc,hes Parado: dat.st~l1r D~l ~t~l
des Vorworts zur Geschichte des weisen Danischmend lautet: "Ke1l1e,~?rrede ,,Die 0. gen e . o,trede enthält die Begründung, warum das Werk keine Vorrede benongt: "E1l1e VO~le~e :ot e~1
Werk wie die Geschichte des Filosofen Danischmend? - Nein, bey allem wa~ gut~st, lC, w~ e
keine'VOl'rede dazu machen, es erfolge auch daraus was will!" (Wieland: ~eschlchte es, welsen a-
nischmend und der drey Kalender. Ein Anhang zur Geschichte von ~c~eschtan, Cum notls ~rzorurr:'
S.4 f.). Zm l'Omanpoetischen Einordnung vgl. Schönert: "Der sanl'lsche Roman von Wleland biS
Jean Paul", S, 221.
' d
N hb " h" j)
llt
24 Vgl. hierzu auch Stockhammer: Leseerzählungen, der mlt Bezug auf en "" ac eIlC t estste .'
dieser erwecke "nicht nur den Verdacht, es können Verän~el'Ungen,Verfal.schung~~ und ~tel~
schobene Zusätze in den Roman geraten sein, sondern [er] 1st selbst deren elstes un etztes eug
nis" (S. 106).
25 Wieland: Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva, S. 11.
194
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
5.2 DlE FUNKTION DES PERFORMATIVEN WIDERSPRUCHS
nisierung der Manuskriptfiktion 26 sondern zeigt d' U
IC
ausgebers an. 27 Die performativ v~rg c"l' U
le l"n~uve.r ässigkeit des Ll-.'.·..'.· .;•.•.•·.•.'..•••.'
h d
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ellll1te nzuver asslgkett d H
qeN{c ,
at en semtottschen Status eines inszenierten en'
es erausgeb"H"
Funktion eines degeneriert indexikalischen Ir;nYezugleich
men kann
1<ttonsslgnals i'b
~
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I er!leh_
~~~l~.Iln~ex, ~er
~is<
DeI' unschwer
, der Don Q .
.
. zu erratende Prätext des Don Si'
~ VIO 1st
nur d led~ntertextuelleVorlage für den Haupttext liefert _ in beid u;ote, der !licht
der schwärmerischen Einbildungskraft denHolndlane!l geht
eIn auc lllr en Paratext. D i .
11
es e en_
Sylvio enthält ahl .. 1 h ' . e palatextue e "Rahmenkomposition"28 d 'SOIl_
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h . lelC le l' emattsche und formale Anspielungen aufd D
es Don
dD le l' eson
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.d elt des D,on Q'
utxote beste h l' darin, daß erst am Ende den .on Qu'IXOfe,.
~s ~lm leh~~rsdtellung
n~~th ~Hd'
dadß es sIch um eine Herausgeberfiktion handelt in e~ elst~ Buchs.
.
lC, 111 em er Text abrupt abbricht. Es fol l' d . 1 'd
'
em Otnelif1St nun aber schade und zu beldag n d ß ' d' g el apl are Kommentar: Da
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d'
H e , a In lesem Moment U1 d Z .
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u~or leser istorie diese Schlacht abbricht mit d . E h ld' 1 ettpunkt der
WeIteres von Don Quixotes Taten . . fI cl
el ntsc u Igung, daß er nich
Der Hinweis auf den "Autor
als
er
erzählt
her als Erzähler auftrat die FunI 1"
,
H Impltzlert, daß dIe Instanz, die bis
, ( ton eInes erausgeb' h D h d
d' . 1 eIS at. urc en Abbruch
d er G.eschichte und den sich anschließend
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. 1
en e Itona en Symptoml
. d es E rza"hl ers und de mmmentar
S er ruc ZWISC len der Instanz des AurOlS,
H
b wird
zene gesetzt. Der auktoriale Erzähler entpuppr . h 1 H
s erausge ers ill
neuen Rolle jedoch gleich wieder zum Erzähler ~~r/ s" e~'ausgeber, d~.r in se~ner
wunderbaren Auffindungsgeschichte. Im .. h
I( na.mltch ~um Erzahler e11ler
geber-Erzähler, wie er auf einem Bazar zu~~~. s,te~ ~ttel ben~htet der Heraus,zufällig' taucht ein "halbspanischer MOl:' 1 '~olg fe111 e bandschnft findet. Ebenso
M k 1
IS ( au d er eauftra l' . d d'
1 '
gWH', le "ganze
a u atur zu übersetzen [ ] ohne tw
es sich dabei um die Forts~~zung d e. Gas ahu~zhu asdsen noch hinzuzufügen",31 Daß
el esc lC te es Don Q .
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Ulxote an e 1', wird
d em H erausgeber erst ldar als de Üb
nuskripts lachen muß Na'ch d l' G ~rsedtzer, ü er eine Randbemerkung des Ma.. b
.
em lun se111es L 1
b f
U ersetzer, am Rand stehe geschri b
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aClens e ragt, antwortet der
trefflich darauf Schweineflel'sch ,e e~:I IU c111.ea von Toboso verstehe sich vor.
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e111zupo (e n Dl E,"h
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C111ea von Toboso" wird für den H
b ' ~ lwa nung es Namens "Duld' G h' 1
erausge er zu elllem Indiz d fl" d ß
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le esc lC lte des Don Quichot h d 1 M h .
a ur, a es SlC 1 um
schichte ,zufällig' an genau deI' St leI a~ e t. e 1 noch: er stellt fest, daß die Ge'
e e elllsetzt an der da . M I '
~ eIste anus urpt abbricht.
E Ine Modulation dieser Konstell t' b '
nung der Transkriptionsfunktion a 10.n hegegHnet uns 1m Don Sy{~io, wo die TrenZWISC en erausgeber und Ubersetzer über-
die:~lfus~~ri:~~ ~~s berei~s
habe",2~
~~ ~g). ;~effe::;;:rmen selbstreflexiven Erzählens, S. 104 (Fn. 47).
. g.
1 SO~l.
eNarrative Strategy ofWieland's Don S lvio vo
that the edItor who writes the Nachbel: h.'· b' d !Y
~ Rosalva, S. 21: "We must conclude
, I C t IS lase as unr I bl W' I d h
.
. 11
l}'olllca yopenedthebookwithaclearindi t'
f h d~la, e. lean asintentionallyand
28 Sklovsldj: Theorie der Prosa, S. 49 ff.
ca Ion 0 tee Itors unreliability [...)".
29 Cervantes: Don Quixote, S. 68.
30 Ebd., S. 71
31 Ebd. Zum Begriff der Makulatur vgl. Zedlers Universallexikon, Bd. 19, S. 95.
I
195
n wird, Der editoriale Vorredenverfasser des Don Sylvio bezeichnet sich als
nOl11n~ des Übersetzers, der von diesem beauftragt wurde, "die Ausgabe dieses
F1et~r ZU beso rgen ".32 Anders als im Don Quixote beauftragt hier nicht der HerWer {~er den Übersetzer, sondern der Übersetzer beauftragt den Herausgeber. Dieau~g~ogik der Inversion folgend, übernimmt der Herausgeber die Rolle des
ser I 1s33 um mit seinem Lachen nicht nur die Unterhaltsamkeit des Werks, son~a:l:ucl~ dessen Nützlichkeit als gesundheitsfördernde Maßnahme zu belegen,34
er{\ der Geschichte des Agathon wird der Herausgeber schließlich selbst zum
üb~rsetzer, der im Rahmen seiner Transkriptionsfunktion die Vorlage des "grie'sche Autors" kommentiert, Da die editoriale Tätigkeit in diesem Fall mit der
n
11
.. b ersetzers "I(0111Z1
. .d'lert, 10
e~en
I daraus e b
clAufgabe
des U
en 'Jene P1'0 bl eme, d'le
Benjamin umreißt, wenn er schreibt, jede Ubersetzung impliziere, daß sich das
Original "ändert".35..Dabei steht .die Frage, nach dem "Zusammenha~?"3~zwiehen Original und Ubersetznng 111 Analogie zur Frage nach dem Verhaltnls von
shistoris cher Wahrheit' und ,Geschichtsschreibung', Beide Fragestellungen werden sowohl im Don Quixote als auch in der Geschichte des Agathon an zentraler
Stelle verhandelt,
Angesichts der Verfasserschaft des arabischen Historienschreibers Cide Hamete
Benenglis klagt der Herausgeber des Don Quixote über die Verlogenheit der Araber, die im offenen Widerspruch zum Gelrnngsanspruch eines Geschichtsschreibers steht, Der Geschichtsschreiber sollte, so der Herausgeber, "genau sein,
wahrhaft, ohne Leidenschaft, weder von Eigennutz noch Furcht beherrscht, weder
Haß noch Liebe dürfte ihn vom Wege der Wahrheit verleiten, deren Mutter die
Geschichte ist, die Nebenbuhlerin der Zeit, das Archiv aller Taten, Zeugin des Verflossenen, Beispiel und Rat des Gegenwärtigen, Warnerin der Zukunft".37
Diese Passage ist für das Verständnis der Geschichtsfiktion deshalb "kaum zu
überschätzen"38, weil es sich um ein fast wörtliches Cicero-Zitat handelt,39 Ciceros
Formel "historia magistra vitae" wird zum Schlüsselwort, das auf eine Kontroverse
verweist, in der es um die konkurrierenden Wahrheitsansprüche von "Philosophie,
Poesie und Historiographie"40 geht. Diese Kontroverse motiviert das Konzept der
Geschichte des Agathon, Der Roman übernimmt die Funktion einer "pragmatischkritischen Geschichte" (A, S. 317) und tritt zugleich mit dem Anspruch auf, diese
41
Funktion poetologisch thematisieren und reflektieren zu können. Dadurch wird
32 Wieland: Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva, S. 9.
33 Vgl. Wilson: The Narrative Strategy ofWieland's Don Sylvio von Rosalva, S. 21.
34 Vgl. hierzu Bickenbach: Von der Möglichkeit einer ,inneren' Geschichte des Lesens, S. 201 ff.
35 Benjamin: "Die Aufgabe des Übersetzers", S. 51.
36 Ebd.
37 Cervantes: Don Quixote, S. 73.
38 Hemmerich: Christoph Martin Wielands "Geschichte des Agathon': S. 24.
39 Vgl. Ciceto: De oratorelÜber den Redner, S. 228 (Il, 36), wo es heißt: "Historia vero testis tempomm, lux veritatis, vita memoriae, magistra vitae, mll1tia vetustatis, qua voce alia nisi otatoris immottalitati commendatllt?".
40 Hemmerich: Christoph Martin Wielands "Geschichte des Agathon ': S. 25.
41 Vgl. ebd., S. 32.
196
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER Gh"SCHICHTE DES AGATHON
5,2 DIE FUNKTION DES PERFORMATIVENWIDERSPRUCHS
der editoriale Rahmendiskurs zum Ort' , '
metafiktionalen Reflexion.
e111el glelchermaßen metahistorischen42
, AI ahme, daß es sich bei dem nachfolgenden Text womöglich um eine "ge-
DI~I ~lFiction" handeln könnte, wird jedoch sofort wieder dementiert, wenn der
SChIC<t
'h selbst zur R"ason ru fit:
.
d 11verfass er stc
VOl'l'e e
'
.Allein, wo gerate ich hin? Ich sollte dir, geneigter Leser, fast die Gedanken beibringen,
5.2.2 Das Vorwort zur Imel Felsenburg
Mit Blick auf die diskursive Rahmun der G h'
Rekurs auf Iser von einer "Entblöß1ll~ der ;{c ~ch~; ~es Agatho,n spricht Fdck
baren Herausgeberfiktion"43, die VOl1gfl '
Iwo~ 111 Form elner "durchs I
derlichen Fata' erinnert" 44 H' , ", d eme an Gnsanders Vorrede zu del ~;all.
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lauter Wahrheiten lesen mögen nur eb gfnSlllnlger Köpfe wegen, die sonst nichts als
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,'yde zu bestarcken wären? Warum soll d
, a s elll usus Ingenu, so gar verächtlich und verwerfflich sey~~~~
42 Y!?l. White: Metahistory, S, 20 f,
43 Fnck: Providenz und Kontingenz S 488
44 Ebd" S, 389,
"
,
45 Ebd,
46 Ygl. Davis: Factual Fiction, S, 36,
47 Werber: Liebe als Roman S 69
48 YO,ßkamp: "Theorie und P~axi~ der lirerarischen Fi"
,
,Die Insel Felsenburg'" S 131
kuon 111 ]ohann Gorrfried Schn b I R
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I b I Insel Fe!senbur"
,c lna e halte "nur noch ganz locker am Wal rI'
lese re e zum Anlaß für die Behauptung
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tl?n allmählich literaturfahig zu machen und d::,~~nspru,ch fest und versucht im übrigen die Fik~
dzen zur Romanvorrede von Grimmelshausen b' 1 Rant~sle das Wort zu reden" (EhrenzeIlei" Stuzs Jean-au" S, 128),
'
als ob gegenwärtige Geschichte auch ni~hts a~ders als pur l~utere Fictiones wärei:? Nein!
dieses ist meine Meynung durchaus I11cht, Jedoch soll mIch auch durchaus l11emand
dahin zwingen, einen Eyd über die pur lautere Wahrheit derselben abzulegen,51
o.
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I
Die Weige1'llng, die Aut~le~tizität de: ~eschichte,m,it einem "cörperlichen Eyde zu
bestäl'cken", sich also mit emem expltzlten kommlsslven Sprechakt auf deren Wahrheitfestzulegen , läßt sich durch das gleichzeitige Dementi ihrer "lauteren Fiktio1alität" als doppelte, negative Geste fassen, die der Frage "fingiert - oder nicht
tng "52 ausweicht, freilich erst, nachdem diese Frage bereits umständlich eröriert
tel't wurde, An die Stelle eines prätendierten "referential agreement"53 tritt damit
eine Rahmenkonfusion. Der perlokutionäre Effekt dieser Rahmenkonfusion ist die
illokutio näre Entkräftung des editorialen Rahmendiskurses im Hinblick auf all jene
Behauptungen, die den fiktionalen Status der Geschichte betreffen, Zugleich impliziert jede "Par~lelfiktion" einen Wide~'spruch, da sie nicht nur die Fra?e der Authentizität aufwirft, sondern auch eme paradoxale Selbstbeschreibung des
AllSsagesubjekts als Autor und Herausgeber provoziert. Dieser performative Widersp1'llch verweist auf jenen zentralen poetologischen Konflikt, der die zweite
Hälfte des 18. Jahrhunderts bestimmt: Der Konflikt zwischen der "erzähltechnisehen Faktizitätsbeglaubigung und deren eigener Glaubwürdigkeits-Unterminiel'ung".54 Die paratextuelle Inszenierung dieses Konflikts läßt sich sowohl an der
"Preface" zur Nouvelle Htloi'se als auch am Vorbericht der Geschichte des Agathon
beobachten,
5.2.3 Die "Preface" der Nouvelle Htloi'se
und der "Vorbericht" zur Geschichte des Agathon
Während der Vorwortverfasser zu den "Briefen zweier Liebenden" die Behauptung
aufstellt, er habe, wiewohl er "bloß des Herausgebers Namen führe", doch "selbst
mit an dem Buch gearbeitet und mache daraus kein Geheimnis"55, ohne daß daraus der Schluß abgeleitet werden dürfe, der ganze Briefwechsel sei erdichtet, bezeichnet sich der Vorwortverfasser der Geschichte des Agathon ohne Einschränkung
als "Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte", der dem Leser das Urteil über
den logischen Status der von ihm eingeleiteten Geschichte überläßt, nämlich
51 Schnabel: Insel Felsenburg, S, 7 f,
52 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S, 414,
53 Vgl. de Man: "Allegory (Jl1lie)", S, 205,
54 Berrhold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S, 123.
55 Rousseau: Neue Htloise, S, 5,
198
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATI-fON
"davon zu denken, was er will" (A, S. 11). Fast gleichlautend heißt es in de'
"Preface" zur Nouvelle Hiloi'se: "Ein jeder denke, wie es ihm gefalltl"56, wobei de~
Appell
zum Selbstdenken
sondern
erst am E de
'
.noch nicht im ersten Satz erfolgt,
n
des vierten Absatzes, als die Frage nach "der Geschichte Wahrheit" in einer Weise
aufgewo~'~e~ - und ?ffeng.elassen - wird, die impliziert, daß zwar Zweifel an der
AuthentlZl:~t der Bnefe, .111cht aber an der Glaubwürdigkeit des Herausgebers aufkomn: en ko~nen. Ang~slchts der Tatsache, "daß man an einigen Stellen grobe Fehler wider die Beschreibung der Gegenden" gemacht habe 57 , überläßt es der
Herausgeber der Nouvelle Hiloi'se dem Leser zu beurteilen, ob es sich dabei um .
T"auschungsmanover
"d
b
.
etn
0 er a er um die Unwissenheit des Verfassers handelt D'
"groben Fehler" erhalten dabei - als "faussetes significatives"58 _ die Funktio~1 1~
nuiner Indices, die gegen die Authentizität der Briefe und für die Glaubwürdigl;~t
de.s Heraus?ebel:s sprechen. Der performative Widerspruch besteht nun darin, daß
l-r: lt dem H111weiS des Herausgebers auf die mögliche Nicht-Authentizität der Brief
dl.e Glaubwürdigkeit seiner Selbstbeschreibung als Herausgeber in Frage gestell~
Wird.
Einen analogen performativen Widerspruch impliziert die Argumentation des
Vorwortverfassers zur Geschichte des Agathon. In seinem ersten Satz überläßt es der
"Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte" scheinbar dem Leser, die Plausibilität
der J';1anuskriptfiktion - und damit auch deren Authentizität - zu beurteilen. Ande~'s Jedoch al~ der Vorredenverfasser der Nouvelle Hiloi'se wird die Frage, ob es sich
bel der Geschichte des Agathon um eine Dichtung handelt, nicht mit einem provokanten "Was liegt euch daran?"59 repliziert; vielmehr wird das Fiktionsbekenntnis performativ als poetologisches Konzept vorgeführt, das eine Modulation des
Begriff~ der .Geschi~hte und der Geschichtsschreibung in Gang bringen soll. Die
Strate~le, mit der diese Modulation ins Werk gesetzt wird, besteht in der beinahe
. l'lChen""60 Insze111erung
.
. penormatlven
l'
•
"aun1'd1111~
e111es
Widerspruchs, der in "mehreren Vananten 61 vorgeführt wird.
Die erste Variante dieses performativen Widerspruchs besteht darin, daß sich
der ~orredenv~rfas.ser selbst als "Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte" beschreibt, zug1elch Jedoch eingesteht, daß die Geschichte nicht aus einem alten
Griechischen Manuskript gezogen", sondern "so gedichtet sei, d~ß kein hinlänglicher Grund angegeben werden könne, warum es nicht eben so wie es erzählt wird
hä~te ~eschehe.n l~önnen" (A, S. 12). Die Selbstbeschreibung als Herausgeber er~
weist Sich bere1ts 1m ersten Satz als fausseti performative.
?ie zwei~.~ yariante de~ per~~rmativen~iders?ruchs begeht der "Herausgeber
dei gegen;va~tlge~ Geschichte, wenn er e111erse1ts behauptet, er sehe "so wenig
Wahrsche1111lchke1t vor sich, das Publicum überreden zu können, daß sie [d. i. die
56
57
58
59
Ebd.
Ebd.
Huet: Traittf de l'origine des romans, S. 86 f.
Rousseau: Neue Htfloi'se, S. 5.
60 Vgl. J0rgensen: "Warum lll1d zu welchem Ende schreibt man eine Vorrede?", S. 16.
61 Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 110.
5.2 DIE FUNKTION DES PERFORMATIVEN WIDERSPRUCHS
199
Geschichte - U. W] in der Tat aus einem alten Griechischen Manuskript gezogen
sei" (A, S. 11), daß er die Beantwortung dieser Frage dem Leser überlassen wolle.
weiteren Verlauf der Geschichte nimmt der Herausgeber jedoch dann immer
r1nieder
.
. F
auf das Manuskript des griechischen Autors Bezug: sei es 111 "orm romanWoetologischer Reflexionen über die narrative Wahrscheinlichkeit der Geschichte,
Pies in Form editorialer Symptomkommentare, die sich auf ,monumentale Leer:~ellen' des Manuskripts beziehen, so wenn der Herausgeber darauf hinweist, das
Manuskript sei "an diesem Ort halb von Ratten aufgegessen" (A, S. 493).
Die dritte Variante des performativen Widerspruchs betrifft den Umstand, daß
die Struktur des ersten Buchs das im Vorbericht vorgestellte poetologische Programm
iner mit dem Lauf der Welt" (A, S. 11) übereinstimmenden Geschichte zu wider~egen'~cheint.62 Damit stellt sich auch die Frage, inwiefern der Vorbericht als hors
63
d'oeuvre außerhalb des Werks steht oder ob er als Teil des Werks zu gelten hat.
.
Alle drei Varianten lenken die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Gegensatz ZWIschen Fiktivität und Realität64 , der in einen Konflikt zwischen Wahrscheinlichkeit
und Wahrheit mündet. Dieser Konflikt betrifft jedoch nicht nur den Begriff der
Wirklichkeit, sondern auch die "moralischen Erwartungen"65, die Autor und Leser
dieser Wirldichkeit gegenüber haben. Eben hierin besteht das Grundproblem aufldärerischen Denkens und aufklärerischer Romanpoetik. Dabei sind drei Aspekte
zu berücksichtigen: erstens "die Konzentration auf das menschliche Subjekt", zweitens die "Verpflichtung auf die Kausalität als Zentralkategorie des aufldärerischen
Weltbildes", drittens "die Ersetzung statischer Vollkommenheit durch einen dynamischen Vervollkommnungsprozeß".66 Das bis dato ungelöste poetologische Problem
besteht darin, diesen dynamischen Vervollkommnungsprozeß nicht mehr als final
vorherbestimmten, sondern als kausal motivierten darzustellen. Eben hierauf zielt
die zentrale Forderung ab, die Blanckenburg in seinem Versuch über den Roman aufstellt - eine Forderung, die er in der Geschichte des Agathon mustergültig realisiert
findet: Die Einflüsse der äußeren Ereignisse auf den Charakter sollen als "innre Geschichte"67, das heißt als "innre Verbindung" von "Wirkung und Ursach"68 dargestellt werden. Hieraus folgt, daß der Dichter "das ganze innre Seyn der handelnden
Personen, mit all' den sie in Bewegung setzenden Ursachen"69 sehen lassen soll.
62 Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 98.
63 Während Miller bei seiner Untersuchung des Romananfangs der Geschichte des Agathon erst mit
dem ersten, "Anfang dieser Geschichte" überschriebenen Kapitel einsetzt und damit impliziert,
daß für ihn der Roman erst nach dem Vorbericht beginnt (Miller: Der empfindsame Erzähler,
S. 113 sowie Miller: "Die Rollen des Erzählers", S. 39 f.), geht Wilson davon aus, daß der Vorbericht der Geschichte des Agathon ebenso Teil der Fiktion ist wie der "Nachbericht" des Don Sylvio
(vgl. Wilson: The Narrative Strategy ofWieland's Don Sylvio von Rosalva, S. 26).
64 Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S. 136.
65 Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 98, sowie Jacobs: "Fehlrezeption und Neuinterpretation von Wielands ,Agathon''', S. 274.
66 Vgl. Engel: Der Roman der Goethezeit, S. 91.
67 Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 391.
68 Ebd., S. 319 f.
69 Ebd., S. 264 f.
200
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
Nach Engel besteht das Innovative der Geschichte des Agathon darin,
Wieland nicht damit zufrieden gibt, "die theoretisch wie empirisch
\.l<ll~sil)W!~;1if{;r
Einheit von Finalität und Kausalität episch zu plausibilisieren", sondern daß
Grundproblem einer Vermittlung von Moralität und Empirie, physischer
licher Natur auch diskursiv lösen [will]", und Zwar "ohne am Beginn des Rolb. "
projekts übel' eine solche philosophisch-systematische Antwort zu verfügen",7o~)j
dem Hintergrund diese~ Überlegung kann man s,a~en: ?i~ Geschi~hte des Agath~~
stellt den Versuch dar, dIe Darstellung des Kausalltatspnnzlps an dIe finalisieretld
Tendenz des Romans zu koppeln: Kausalität wird als "innre Verbindung" eitlel e
teleologisch-diskursiven Rahmen integriert,7l Diesel' poetologische Integratiol\;:
versuch transformiert die Erzählung der charakterlichen Entwicldung Agatho in
tls
eine "pragmatisch-kritische Geschichte" (A, S. 317). Die im Begriff des Pragtna~
tismus angelegte Spannung zwischen historischen und moralisch-teleologischen
Prinzipien wird dabei vom Herausgeber vorgeführt, der zugleich die Vermitt_
lungsinstanz zwischen der Rolle des Poeten und der des Geschichtsschreibers ist.
Obwohl sie als Passepartout der Briefromanpoetik alles andere als neu ist, komlb.t
der Herausgeberfiktion in der Geschichte des Agathon eine besondere Rolle zu: Verpackt als Politik der Edition, werden mit dem Prozeß der editorialen Rahmen_
konstitution die Schwierigkeiten und Widersprüche der Modulationsversuche
vorgeführt, die das Konzept des Romans fordert. Der Herausgeber operiert dabei
an der Schnittstelle zwischen psychologischem Kausalitätsprinzip und poetologi_
schem Finalitätsprinzip. Er etabliert einen diskursiven Ral1men, innerhalb dessen
ein "shift from causality 1'0 intentionality" und eine Modulation "from outward
into inward motivation" vollzogen wird,72
Indessen zeigt sich, daß das im Vorbericht implizierte Konzept eines poetischen Geschichtsschreibers nur durch eine modulierende Aufpfropfung realisiert werden kann,
bei der die Funktion des Poeten die Funktion des Geschichtsschreibers ,veredelt'. Die
auf Finalität abzielende intentionale Einstellung des Poeten wird auf die vom Kausalitätsprinzip determinierte intentionale Einstellung des Geschichtsschreibers aufgepfropft. Dies führt zu einer Erweiterung des Begriffs der Wahrscheinlichkeit und
mündet in eine Modulation des Begriffs ,historische Wal1rheit', der freilich auch nach
seiner Modulation "keineswegs eindeutig festgelegt" ist,73 Vielmehr dient der performative Widerspruch zwischen der ironischen Illusionsdurchbrechung der Manuskriptfiktion im Vorbericht und der wiederholten Berufung auf ein griechisches Manuskript im Haupttext dazu, "den Leser ständig zum Reflektieren zu zwingen: über
das, was eigentlich ,Geschichte' und inwiefern sein Roman ,eine Geschichte' sei",74
70
WAHRSCHEINLICHE HISTORISCHE FICTION'
. GSCHICHTE DES AGATHON ALS ,
5.3 Die Gj;"
201
5.3 Die Geschichte des Agath~n. ,
as
1 ,wahrscheinliche historische Flct10n
5.3.1 Das Verhältnis zwischen Poet und Geschichtsschreiber
.
athon behau Ptel' der Herausgeber, daß alles, ,was
der Geschtchte dhe~ Alg,t uSluacht eben so historisch, und vielleicht
I111 'Torbericht
v'
l' 1 d' er Gesc IC 1 e a ,
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das Wesent IC 1e les d
' , i als irgend ein Stück der glau wur Igsten
"11um manchen Gra geWIsser se"
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'haben" (A S. 12). Auch 111
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1 ' 'b' 1 he WIr au zuweIsen
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in seiner Einleitung
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sche 1m Agat "on '"
Namens einer Geschtchte l1lcht unwur Ig
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Sinne ein fiktionaler Text - als solchen gibt
bildungskraft g~hore, "d~s
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der' Herausgeber dIe Gesc tC te
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eben so hlsto1'lsC se n
'T b " ht ZI'elt darauf ab den Begn
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Geschichtschrei er " '" h' Wahrheit' zu modulieren, indem er das , e~tste torischen' und der ,hlst~IlsC en d
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len der res a
, 1 75 S schreibt der Vorredenverfasser.
Geschichte ausspie t.
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,,~ber
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I n ewesen (wie dann in der Tat, um dIe Ze,It,
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:d n I'st ein komischer Dichter dle,
,,' G hichte gesetzt Wal' e
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in welche die gegenwartlge ~~c I ,'fen Platons bekannt sein muß:) gesetzt aber auc~,
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ses Namens den Freunden et c UI I' , h '
en II'eße als wenn er geboren wor,
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'hts WIC tIgers s a g ,
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daß sich von dIesem g~t on 111~ 'I Kinder er gezeugt, und wenn, und an ,was ur
den, wenn er sich verheIratet, :"le Vle ürde uns bewegen können, seine GeschIchte zu
einer Krankheit er gestorben seI: ,:as w.
", d ß sie in den Archiven des alten
wale, a
Iesen, un d we nn es gleich gerichtlICh erWIesen
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DI'e ArgumentatIOn dIeser Passage strelc l'
" d n zu suchen sich für dIe Ge,
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Beweggrun e
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Wesentliche dieser Gesch IC ,te 111 en, 1
l' das neunte Kapitel der Poetik 111S
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r,kt Aristoteles daß es nlC 11'
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Schreibers abgrenzt. Im neunten
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as WU' IC gesc
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Aufgabe des Dichters 1St mitzutel el~~ R In der Wahrscheinlichkeit oder Notwas geschehen könnte, d. h. das nac en ege
Engel: Der Roman der Goethezeit, S, 142,
71 VgI. Buddecke: C. M Wielands EntwicklungJbegrijf, S, 209, VgI. hierzu auch Voßkamp: Romantheorie in Deutschland, S, 195,
72 Cervenka: "Texrual Criricism and Semiotics", S, 61.
73 Oettinger: Phantasie und Erfthrung, S, 79,
74 Ebd. VgI. auch Esposito: "Fiktion und Virtualität", S, 272. Nach Esposito entsteht der ,moderne
Roman' dadurch, daß der Autor "in seiner Erzählung von der historia im Idassischen Sinne (als
Aufbewalmmg und Wiedergabe der exempla der Vergangenheit) absieht und die Ereignisse in einer
history situiert, die vom Roman selbst konstruiert wird" (ebd,),
· Ab'SlCI11',,, de"n Leser. zu. der Er.
"
em Vorbericht generell dle
75 Nach J0rgensen verfolgt Wleland 111 sem
al F I . 't"t des Mitgeteilten, als Ubere1l1stlmmung
kenntnis zu bringen, daß Wahrhe,it verstanden, SI <~ m~i:sicht verspricht, sondern daß die W~hr
mit vielleicht sehr trivialen überheferten F~<tend (el;~ tischen zu suchen ist, weil die Tatsächhchheit in der fiktional gegebenen Interpr~ta.tl~: ~s r a ~ und dargestellt wird" (J 0rgensen: "Warum
g
keil' hier auf ihre allgemeine ~edeutsal~ (el~ In de?:,a 12), Mit Blick auf die oben zitierte Stelle
s
und zu welchem Ende schreibt n:anem~ d o~: e~k~lll:t darum geht, die Wahrheit in einer Interließe sich kritisch fragen, ob es mcht gem e g
pretation des Fiktiven zu suchen,
202
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
wendigkeit Mögliche",76 Während der Geschichtsschreiber das wirldich Gesch h
. - '1" b h 'b
.
" e ene
fo!.11tt~1 t, e~~, rel t ~er Dlcl:.ter, ,,:vas gesc?ehen könnte",77 Die "philosophische
Ubetlegenhelt der DIchtung uber dIe GeschIchtsschreibung folgt für Aristoteles d .
aus, daß die Dichtung "mehr das Allgemeine", die Geschichtsschreibung dage al" l 78 D
gen
d Besond ere"mlt:el
"as
t. . as ~esondere betrifft die res ftctae, die Dichtung zielt
dagegen aufAllgememes, wetl "em Mensch von bestimmter Beschaffenheit nach d .
Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit bestimmte Dinge sagt oder tut" und d el
obwohl die Dichtung "den Personen Eigennamen gibt",79
,as,
Breitinger rekurriert im Kapitel "Von der Verwandlung des Würcldichel .
M"ogl'ICh'"
C .. h
l111S
e semer rztzsc en Dichtkunst auf die von Aristoteles getI'offene UI t .
'd
.
h
1 eIsch el ung. ZWISC en Poet und Geschichtschreiber80 , wobei er die Aristotelische Argume~tatlOn mit der rationalistischen Terminologie von Leibniz und Wolff
verknupft, wenn er vorschlägt, "daß ein J'edes wohlerfundenes Gedichte als el'
ne
· . 0 der Erzehlung aus einer andern möglichen Welt anzusehen sey".81
'
H.lston.e
BereIts bel Go~tsc?ed ~eraten die Begriffe der ,gedichteten', poetischen Erzählung und
d~r ,wa~ren , hlst.onschen Erzählung in Bewegung. 82 Die Fabel ist für ihn nämlich
~le Erzahlung "emer unter bestimmten Umständen möglichen, aber nicht wirkhch vorgefallenen Begebenheit, darunter eine nützliche moralische Wahrheit verb·
1 Rah mung erfolgt in Form eines vorab gewählten
olgen. l'legt ".83 D'l~se moral'ISCle
"lehrreIchen morahschen Satz[es], der in dem ganzen Gedichte zum Grunde li _
"84 .
. d
b" h .
e
gen ~o 11 , WIe es I~ em erue tIgten Rezept Gottscheds für das Herstellen litera~:lsche~' Texte heIßt. Eb~n diese moralische Rahmung durch einen ,Zielsatz'
entfallt bel ~er ArgumentatlOn Breitingers. An die Stelle der moralischen Nutzanw~ndun~;nt~. da~ Aufführ~n ~er Gesetze, die den natürlichen Lauf der Dinge bestImmen ,namltch das Pnnzlp der Kausalität und das daraus abgeleitete Prinzip
der Wahrscheinlichkeit. 86
76 Aristoteles: Poetik, S. 29.
77 Ebd.
78 Ebd.
79 Ebd., S. 30 f.
80 Breitinger: Critische Dichtkunst, Bd. 1, S. 289 f.
81 Ebd., S. 271. Vgl. hierzu ~uch .B!ume~1berg: "Wirldichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans",
S: 1~. N.ach Blu~enbel:g ImP.IJzI~rt dl~ ontol?gische Frage nach der Möglichkeit des Romans als
elllet "dle Fundlerung Im WlrkIJchkeusbegnff aufsuchende[n]" Möglichkeit einen neuen GeltL:ngsanspruch ~er Kunst, nämlich "nicht mehr nur Gegenstände der Welt, nicht einmal mehr nur
~Ie Welt nachbIldend darzustellen, sondern eine Welt zu realisieren. Die Welt _ nichts Geringeres
1st Thema und Anspruch des Romans" (S. 19).
82 V!il. Preisendanz: "DieAuseinandersetzung mit dem Nachahmungsprinzip", S. 74, sowie kritisch:
Kuupe!, Der Roman der Aufklärung, S. 78.
83 Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst, S. 204.
84 Ebd., S. 161.
85
V~l. Voßka~up: R0m.a~:heorie in Deutschland, S. 154, der betont, daß die "Dialektik von Möglich.
kelt..und W11'Idlchkelt
III
den Romanberrachrungen Bodmers und Breitingers "nicht nur in der Ge.
genub~rstellung vo~ mor~lischem und historischem Charakter zur Erscheinung [kommt]", sondern
daß bel der Beurtelhlllg ellles Kunstwerks die Wahrscheinlichkeit eine "zentrale Rolle" spielt.
86 Vgl. ebd., S. 194.
5.3 Die GESCHICHTE DES AGATHON ALS ,WAHRSCHEINLICHE HISTORISCHE FICTION' 203
5.3.2 Der Poet als Historicus
Der Poet, der die Gesetze kennt, "nach welch.en alle ~ürckungen ,;l11d Verä~d?
, 1gen in der gegenwärtigen Welt der würcldlchen Dmge erfolgen , und deI dIe
ruNatur
1
der Dinge"
versteht87 , übernimmt insofern d'le Ro11'
e emes GI'
esc :lC.hts"chreibers, als er sich bei seiner Darstellung an den Gesetzen der Wahrseh~mltch
~eit orientiert. Der Begriff ,historisch' bezeichnet dabei nicht länger den Semsm~
dus des Beschriebenen als res ftctae, sondern den Modus der ~eschreibung, als~ dIe
semantisch-pragmatische Einstellung, die dem Al<:t d~s ~eschrelbens zugr~n~e lte~t.
· historische Beschreibung orientiert sich am Pnnzlp der Wahrschemltchkelt,
D le
d
bl'l
.
.
d zwar im Hinblick darauf, daß das Beschriebene für as Pu I (Um e111 gewls~:s Maß an Glaubwürdigkeit besitzen muß. Die gedichtete, mögliche Welt entsteht
aUS einer biossen Aenderung der gegenwärtigen Zusammenordnung der erschaf"
. hten ".88
fenen .
D111ge nach an dern AbSlC
.
.: .
Die Glaubwürdigkeit der Dichtung hängt wesentlIch davon ab, w~e das Punzlp
der Wahrscheinlichkeit ins Werk gesetzt wird. Die Dichtung besteht 111 der "neuen
Zusammenordnung der würcldichen Dinge"89, wobei sie den. "bekannten von der
Natur eingeführten Gesetzen folget" .90 Dabei zeigt sich, daß ~le "n.eue Z.usammenordnung" das Resultat einer modulierend~n Aufpfropfung 1st, ~le d~nn best.eht,
daß der Dichter "den Stof und die Matene aus der Welt der wurcldl.chen Dl.nge
entlehnen" und das entlehnte Material "in eine willkürliche und vor Ihre AbSIchten vortheilhaftere Verknüpfung versetzen" kann. 91 Bei seiner a:lfpfrop~ende~ "Verndlung des Würcklichen ins Mögliche" muß sich der DIchter emerselts a~
W;eyspiel der Natur"92 orientieren, andererseits soll die Dichtung so möglich schel~en als die historischen Wahrheiten, die sich würcldich zugetragen ha~en, und
dur~h glaubwürdige Zeugen bekräftigt s.ind".93 F~lglich mu~ der ~oet ~111e doppelte Funktion übernehmen: Er beschreIbt zum e111e~, v:as ,,1~ verandelten Umständen in die er seine Personen versetzet, wahrschemltch hatte geschehen und
erfolge~ können"94, ist also derjenige, ~er als Dichter die Persone~ in "veränderte
Umstände" versetzt, mithin eine modulterende Aufpfropfung vorn.lm~t. Z~m a.nderen verhält sich der Poet seiner eigenen Erfindung gegenüber WIe e111 "HIstoneSchreiber", der ein "aufrichtiger Zeuge"95 des Geschehens ist. Das heißt, der Poet
übernimmt die Rolle eines "Original-Historicus".
..
.
Der Begriff des "Original-Historicus" wird von Bodmer ~nd BreltI~ger 111 den
Discoursen der Mahlern eingeführt, um eine Klasse von GeschIchtsschreIbern zu be87 Breitinger: Critische Dichtkunst, Bd. 1, S. 271.
88 Ebd., S. 264.
89 Ebd.
90 Ebd., S. 265.
91 Ebd., S. 27292 Ebd.
93 Ebd., S. 273.
94 Ebd., S. 277.
95 Ebd.
204
5, DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DESA
J
GATHON
schreiben, "welche an de B b 1 '
haben",96 Der Original~lH,ege" en :ce~ten ,die sie erzehlen/ selbst A..t1the'l
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h d . 0der' außeren
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emen als semiotischer Sym l'
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c el" ngmal-Historicus"
102
p omelza er und Sympt 1
zum
dgen ,zum anderen soll er dl' e U'tsach en d er be b 1om mmmentator zu beta"t'
< 1en. So schreibt Breitinger gegen End
' . U 0 ac 1teten Symptome herausfin_
W~rcldiche? ins Mögliche" _ Unter ;xse;i~~:er ~tersuchung der "Verwandlung des
telm der anstotelischen Poetik:
p
ezugnahme auf das neunte Kapi?a nun von dem Poeten nicht gefodert wird daß ' '
hchern Umständen, in welche die Natur sie'
el seme Personen nur in denen würckzen Gemüthes-Stand abmahle, welches da:~:zet hat, auff~hre, und,nach ihrem galltda er aller/ey wahrscheinliche und tn" I' h U t"deds Geschlchtschrelbers ist, sondenl
"
og IC e mstan e erB d
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von emer gewIssen Haupt-Leidenschafit Lll d N '
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met, un seme Personen nur
w d' , d'
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elgung char t " ,
en Ig m lesen erdichteten Um t" d h d 1
ac eUslrt, so muß er sie not
' I'IChl,eH
' mit sich bringet d ßs an
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' , end an
I' e n u nd'le d en I
assen,'
wIe es die Wahr'-dd
' a sIe m erg elchen U
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un arum kommen seine Bilder nicht nur ein
I d~~tan en wurden gethan haben;
em n lVIduo, sondern mehrern Zll,103
Mit dieser Aristoteles-Lektüre bezieht si h B "
Wahrscheinlichkeit und Notwendl'l ' . c H,rebllt~nger auf das Zusammenspiel von
flund
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g celt Im 111 Ick uf d' 1 'bI
ener IndIviduen, Der Men h 1 G
a
le p ausl e Darstellung er,VT_l
h' I'
sc asegenstand d . D' h
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wanrsc el11IChkeit oder Notwendi 1 . b '
,ei lC tung, er "nach der
gceH est1mmte Dl11ge sagt oder 1'111'''104' ,
6 B d
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,1st e111
9
o mer/Breltlnger Die D'
97 Ebd" E 2, S, 36,'
ISemme der Mahlern, Erster Theil, V. Discours, EI, S, 34,
98
99
100
101
102
Ebd., E 1, S, 34,
Ebd,
Ebd" E 3, S, 37,
Ebd,
Vgl ' C
,ampe,'Alffik
e t und Ausdruck, S. 37: Di
."
'"
s~hre,bens und Kritisierens) in systelnat' h" 'Ae Ob l~g1l1ale, dIe dIe hIstorische Arbeir (des AufdIe S
"
ISC
el
I eH verdop
'd d'le dIe
. Seelenbühne lind
ymptomerzählung beherrschenden P t D' I'
. peIn, sln
10 Ele~,enren fixiert die Affektfigur als Zeic~e ~~1, le 11Sl'Onsche Suche nach den Differenzen lind
3 B~~lt1nger: Criti~che Dichtkunst, Bd, S.
104 AllstoteIes: Poetik, S. 30 f.
.
1, ;;9'
' GESCHICHTE DESAGATHON ALS ,WAHRSCHEINLICHE HISTORISCHE FICTION'
205
5.3 Dle
d' 'dllllm, dessen existentielle Wirldichkeit im Spannungsfeld von wahrscheinliIn I,VI 1d notwendiger Möglichkeit steht. Die Kopplung beider Aspekte bewirkt eine
eher ~1:el'ung des Prinzips der Wahrscheinlichkeit und eine Modulation des poetischen
~~e~heitsbegriffs: Im ersten Fall bezieht sich die Wahrscheinlichkeit auf das Erfind 11~öglichel' Ursachen, im zweiten Fall auf die Wirkung des Kausalitätsprinzips im
R~lmen der erdichteten Umstände. Diese Integration des notwendigen Kausalitätrinzips in den Rahmen des fiktionalen Diskurses gewährleistet dessen "interne
itinllnigkeit"105 und kom~el~siertzugl~ich di? nic~t ei~zulösenden ,ex~ratex,tue~len
Wahrheitsansprüche der FlktlOn, DamIt bemlßt SIch die Wahrsche111ltchkelt e111es
Textes nicht mehr an der "Tatsächlichkeits-Vorspiegelung"106, sondern das Lektüreinteresse wird auf die "immanente Fabelrationalität" 107 gelenkt. Was bedeutet dies
mit Blick auf das Verhältnis von Geschichtsschreiber und Dichter?
5,3.3 Die Modulation des Begriffs ,historische Wahrheit'
Der Vorteil des Dichters gegenüber dem Geschichtsschreiber besteht darin, daß er
das Rechr besitzt, die "mangelhaften Nachrichten", die er von einer Geschichte hat,
durch geschickte Zusätze auszuführen und zu ergäntzen" ,108 Das heißt, der Dichter wird zu einem ergänzenden Dazu- und Zusammenschreiber, Die entscheidende
Differenz zwischen dem Geschichtsschreiber und dem Dichter besteht darin, daß
letzterer das Mögliche als Wirldiches beschreibt und dadurch eine "Verbindung des
Erdichteten mit dem Wahren" herstellt. Wenn jedoch "die wahrhaften und die
erdichteten Umstände mit einander streiten, so wird seine Erzehlung keinen Glauben finden, weil die Wahrscheinlichkeit einer Erzehlung eben in der Übereinstimmung aller Umstände gegründet ist" ,109 Hier wird deutlich, daß das Prinzip der
Wahrscheinlichkeit, dem die Dichtung hinsichtlich ihrer Bezugnahme auf die historischen Umstände unterworfen ist, das Prinzip der Widerspruchsfreiheit impliziert. Da die "Übereinstimmung aller Umstände" 1 10 nicht als Korrespondenz mit
der historischen Wirklichkeit gefaßt wird, sondern als Konsistenz der wahrhaften
und der erdichteten Umstände, gründet die Wahrheit der Dichtung in einem Prinzip der Wahrscheinlichkeit, mit dem das extratextuelle Prinzip der Kausalität zu
einem intratextuellen Prinzip der Widerspruchsfreiheit moduliert wird,
Im Vorbericht des Herausgebers der Geschichte des Agathon bündeln sich jene
Argumentationslinien, die im Zusammenhang von Breitingers Auseinandersetzung
mit der "Verwandlung des Würcldichen ins Mögliche" entfaltet wurden. So hebt
sich der Herausgeber von einem auf die Darstellung der res factae abzielenden Geschichts- und Wirklichkeitsmodell ab, wenn er schreibt:
105
106
107
108
109
110
Ebd.
Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S, 136,
Ebd,
Breitinger; Critische Dichtkunst, S, 278 f,
Ebd" S, 279.
Ebd,
206
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
Di~ Wahrheit, welche von einem Werke, wie dasjenige, so wir den Liebhabern hietnit
vodegen, gefoden werden kann und soll, bestehet darin daß alles mit deIn L fd
\Xli
"
daß d'le Character nicht willkürlich,' und bloß nach der Phantaau er
. eIt u"b ere111Stll~me,
~Ie, o~er den,AbsIchten des Verfasse~'s gebildet, ~ondern aus dem unerschöpflichen Vo rlat deI Natlll selbst hergenommen; 111 der EntWIcklung derselbell s
hl d' ,
d' ' I '
" I'
, ,
. .
0 wo
le 111nere als
le le attve Mog Ichkelt, die Beschaffenheit des menschlichen Herzens die Natll' .
'd L 'd
h fi
' II
'
I ell1er
je en el ensc a t, mit a en den besondern Farben und Schattierungen wel h .
durch den In.dividual-Character und die Umstände einer jeden Person beko;nme~l e s~e
genaueste beIbehalten (A, S, 11).
' an s
I,n dieser Passage werden die historischen Umstände dem Prinzip der wahrsch .
ltch~? Möglichkei: unterstellt, wäh~'end die "Beschaffenheit des menschli'chen ~~~~
zel:s . als a!lgeme111e anthl:opo!oglsche Konstante im Spannungsverhältnis Von
Mogltchkelt
h
' h und NotwendIgkeit
'
. , steht . 111 Entscheidend I'st d a bel,. d aß d er l'
llerans
ervolge ende poetIsche "IndIVIdual-Charakter" einen Anspruch auf,vr h ,I .
ld'
1
wa Ilelt re. an:leren .{ann, auch ohne daß ihm eine historische Person entspricht, 112 Agathon
IS,t el~, fiktIver Ch~,rakter, ,dess.en En~icldung so geschildert wird, wie sie in den
hlstonschen Umstanden, 111 dIe er h111einversetzt wird, "wahrscheinlich hätte eschehen und erfolgen können". 113
g
De~ Ei~en~am~ "Agathon" er~eist sich in. diesem Zusammenhang als intertex~ueller Ven,;els mit program~atIschenImpltkationen. Kurz nachdem Aristote!es
111 der Poetzk feststellt, daß dIe Dichtung aufs Allgemeine zielt obgleich I' d
P
E'
'b"114
,se"en
ersonen .Igen~amen gl t
,er.w~hnt er die, Tragödie Antheus des "Agathon"115:
Agathon, eIn Ze~~genos~e des ~unpI~es, war e111 attischer Tragiker, der von Aristot~les de~halb erw~?~t WIrd, weIl er l11cht mehr der bis dahin gängigen Praxis folgte,
SIch b~\~6er Tragodle an "Namen von Personen [zu halten], die wirldich gelebt
haben,
Nun kann zwar der Name Agathons als Name einer Person gelten, die
111 ':gl.
hierz~l Th~mes Int~rpretation der angeführten Passage, wonach sich "Wahrheit in der Fik-
t~on [...] I1lcht m der :WIedergabe tatsächlicher Eleignisse, sondern in der Übereinstimmung Bkt1ve~ Gescheh~ns ~It den Strukturen der Realität [bestimmt], Die Literatur produziert eine
zweite NaulI, ~Ie l1l.cht durch das autonome Bewußtsein des AutOIS, sondern durch die struktu-
112
113
114
115
116
. .
"
lelle HomologIe mit der eIsten Natur legitimiert ist ' ,mit deIn Lauf deI' WT
we It' U"b eremstlmmt
(Th
ome: Rom~n und N.aturwissenschafi. Eine Studie zur Vorgeschichte der deutschen Klassik,
S:. 188~. !=hb~1 stellt :VIeland - analog zu d'Alemberts Zuordnung von Geschichte und Gedachtn~s 111 semem "Dls:oL~rs Preliminaire" zur Encyclopedie - "die Reproduktion des Faktischen
untel ell1e Er~nd~l11g ~nogltcher, durch abstrahierte Empirie gewonnenel Fakten" (ebd., S. 191).
Nach
.
' he P rogramm des Romans formuliert,
" , Engel
, WIrd 111 dIesel' Passage indireIct d as plagmatlsc
~amltch d~e Darstellung von Kausalität so "mit einer eindelItig finalen Zielsetzung" zu verbintugelldhafitell
. IceIt Ilaben
en,
. d daß
( Sich der Helcl am Ende des Romans zu einem "
a nMn" enrwlc
WH' Engel: Der Roman der Goethezeit, S. 141).
Brei tinger: Critische Dichtkunst, Bd. 1, S. 277.
Aristoteles: Poetik, S. 30 f.
Ebd., S. 31.
VOll PI a t on zum G astge b er d es S'JmposlOns
. gemacht wird, darf
Ebd,
, Da der nämliche Agathon
"
deI Agathon aus der Al'1stot~ltschen Poetik und der "den Freunclen der Schriften Platons" (A,
S. 11). bekannte Agathon als Identisch angenommen werden (vgl. hierzu auch Kranz: Geschichte
der grtechlschen Literatur, S. 219).
5.3 Die GESCHICHTE DES AGATHON ALS ,WAHRSCHEINLICHE HISTORISCHE FICTION'
207
wirklich gelebt hat, die Geschichte der Entwicldung von Agathons Charakter ist
jedoch die Geschichte einer Person, die nicht wirldich gelebt hat, Die Wirldichkeit
von Agathons Individual-Charakter ist vielmehr einer rekontextualisierenden Aufpfropfung geschuldet, b~i d~r ein fiktives II:divi,duum mit dem Namen einer historisch realen Person 111 e111en realen, hIstorischen Kontext versetzt und so
geschildert wird, ~ls ob es sic~ um ~in historisch reales Individuu~ handelte. .
Der Hiatus ZWIschen der dtehtenschen Darstellung des Allgeme111en und der hIstorischen Darstellung des Besonderen wird im Rekurs auf die "Beschaffenheit des
menschlichen Herzens" überbrückt, Das menschliche Herz ist jene Instanz, welche die "äußere Geschichte" der res ftctae in die "innere Geschichte" der psychologischen Motivation von Handlungen transformiert. 117 Aus der Darstellung dieser
psychologischen Motivation leitet sich der Wirldichkeitsanspruch der Gesch~chte
des Agathon her: Es geht nicht mehr um die Erzählung der idealen Geschtehte
eines tugendhaften Helden (A, S. 13), sondern um die "pragmatisch-kritische" (A,
5, 317) Erzählung des Kausalzusammenhangs zwischen innerer und äußerer Geschichte eines fiktiven Charakters. 118 Dabei suggeriert die Argumentation des Herausgebers zum einen, daß der fiktive Charakter Agathon durch die Wahl eines auf
Kausalzusammenhänge ausgerichteten Modus der Beschreibung zu einem "wirklichen Menschen" (A, 5, 13) wird,119 Zum anderen wird mit der Argumentation
des Herausgebers ein ,poetischer Wirldichkeitsbegriff' skizziert, der einen ,poetischen Wahrheitsbegriff' impliziert, Aus diesem Grund kann der Herausgeber
behaupten, daß "alles so gedichtet sei, daß kein hinlänglicher Grund angegeben
werden könne, warum es nicht eben so wie es erzählt wird, hätte geschehen können, oder noch einmal wirldich geschehen werde", wobei er hinzufügt: "Diese
Wahrheit allein kann Werke von dieser Art nützlich machen, und diese Wahrheit
getrauet sich der Herausgeber den Lesern der Geschichte des Agathons zu versprechen" (A, 5, 12).120
Der mit dieser Aussage angesprochene poetische Wahrheitsbegriff verknüpft
Breitingers Überlegungen zur möglichen Wahrscheinlichkeit mit Wielands eigener, in seiner "Theorie und Geschichte der Rede-Kunst" entfalteten Argumenta117 Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 391 f.
118 Vgl. ebd., S. 263.
119 Vgl. Preisendanz: "Nachahmung und Illusion", S. 196, sowie Frick: Providenz und Kontingenz,
S. 392. Frick modifiziert die Ansicht, im Agathon werde nicht mehr der tugendhafte, sondern
der wirldiche Mensch zum Gegenstand der Nachahmung gemacht, wenn er schreibt: "Als neuer
Gegenstand der Nachahmung erscheint der Versuch eines wirklichen Menschen, tugendhaft zu
sein (und, trotzdem, glücldich zu werden)" (ebd.). Nach Wellbery ist das Thema der Geschichte
des Agathon nicht der Sieg "einer sich identisch bleibenden Tugend", sondern der "Weg zur Identität" beziehungsweise die Gefahr des "Identitätsverlusts" (Wellbery: "Die Enden des Menschen.
Anthropologie und Einbildungskraft im Bildungsroman", S. 603 f.).
120 Vgl. hierzu auch den einleitenden Aufsarz "Über das Historische im Agathon", der in der Ausgabe von 1773 und 1794 gleichsam als "Seconde Preface" den ersten Teil der Geschichte des Agathon eröffnet. Dabei werden das ,Erdichtete' und die ,historische Wahrheit' unter Berufung auf
Fieldings Fündling als Einschreibung des "Historisch-wahre[n] in die Erdichtung" bestimmt (A,
S. 573 f.).
208
tion, welche.die Relevanz des Prinzips der Wahrscheinlichkeit auch für die pragmatische Difuension poetischer Rede betont: "Die wahrscheinlichen historischen
Fictionen begreifen alle diejenigen besondren Umstande in sich, welche der Poet
erfindet, um eine gewisse Begebenheit oder Handlung in einem Gtad wahrscheinlich zu machen, d. i. dem Leser begreiflich zu machen".121
Wahrscheinlichkeit wird hier als ein poetisches Verfahren des "Wahrscheinlich_
Machens" vorgestellt, das produktionsasthetisch und rezeptionsasthetisch gefaßt
werden kann. Parallel zur rezeptionsasthetischen Kopplung des Prinzips der Wahrscheinlichkeit an das Leserbewußtsein nimmt Wieland eine produktionsastheti_
sche Bestimmung des Poeten als ,umstandlichen Historicus' vor. Beim Erfinden
wahrscheinlicher historischer Fiktionen macht der Poet "nichts anders, als daß er
dasjenige umstandlich entwickelt [...], was der Historicus nur mit wenigen Worten anzeigt". Die Aufgabe des Poeten besteht namlich darin,
daß er von den Wirkungen, bey deren Erzählung der Historicus stehen bleibt, die Ursachen und Ressorts mit ihren besondersten Umständen auf eine psychologische Art
und nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit entdeckt und endlich, daß er die Lücken
ausfüllt, welche der Geschichtsschreiber gelassen hat. In diesen historischen Dichtungen ist also der Poet eigentlich ein Philosoph. 122
Wie für Aristoteles ist für Wieland die Dichtung "etwas Philosophischeres [...] als
Geschichtsschreibung".123 Der poetisch-philosophische Geschichtsschreiber erganzt mit seiner Erzahlung der psychologischen Ursachen jene Leerstellen, welche
die "Erzahlung des Historicus" hinterlassen hat. Dergestalt wird die poetische
Tatigkeit zu einer veredelnden Aufpfropfung der Geschichtsschreibung, und die
Dichtung wird zur ,wahrscheinlichen historischen Fiction', die im Spannungsfeld
von wahrscheinlicher Möglichkeit und perlokutionarer Wahrscheinlichkeit steht.
Die perlokutionären Effekte der ,wahrscheinlichen historischen Fiction' leisten
dabei sowohl dem delectare als auch dem prodesse Vorschub: Der perlokutionaren
Effekt des delectare, der sich an ein auf Neuigkeiten abzielendes Publikumsinteresse richtet, soll sich mit dem moralisch gerahmten perlokutionaren Effekt des prodesse verbinden, um, wie es bei Blanckenburg heißt, "durch das Vergnügen zu
unterrichten" .124 Diese Zielsetzung umreißt post festum das poetologische Programm des pragmatischen Romans, der einen ",eingreifenden' Wirkungsanspruch
der Gattung"125 postuliert und damit eine perlokutionarePragmatisierung des poetischen Wahrheitsbegriffs impliziert.
121
122
123
124
125
5.3 Die GESCHICHTE DESAGATHON ALS ,WAHRSCHEINLICHE HISTORISCHE FICTION' 209
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
Wieland: "Theorie und Geschichte der Rede-Kunst", § 10,5.344.
Ebd.
Aristoteles: Poetik, 5. 29.
Blanckenburg: Versuch über den Roman, 5. 249.
Engel: Der Roman der Goethezeit, 5. 98 f.
5.3.4 Die ,historische Wahrheit'
als Prinzip der ,wahrscheinlichen historischen Fiction'
D d n Lesern der Geschichte des Agathon vom Herausgeber gegebene Versprechen,
d ~ I~es nach dem Lauf der Welt" "gedichtet" sei, weil es aus dem "unerschöpfa Vo';rat der Natur selbst hergenommen" ist (A, S. 11), laßt sich zunachst als
I~II~nnsvet'trag
deuten der sich beim Dichten einer ,wahrscheinlichen historischen
(t/O,
d d' . . 'h'
.
'auf
einen
poetischen Wahrheitsbegriff festlegt un te "tmltatlO Istonae
·
'
PIct/on
als Aspekt der imitatio naturae" ins Sp~el ~ringt. 126 All erd'Ulgs blel'b l' vor d ~m.H'I~d det' Annahme eines solchen FIktIOnsvertrages vollkommen unldat, wie dte
tergrun
[d' H '
.
. d
fol ende Behauptung des Herausgebers zu deuten tst: "AlleUl, a. er ~t etause;er - U. W] selbst gewiß zu sein wünscht~, d.aß er d~r ~elt keUle Htrnge~pen
~ter für Wahrheit verkaufe; so wahlte er denJentgen [namltch den Protag01l1ste~,
das heißt Agathon - U. W], den er am genauesten kennen zu lernen Gelegenhett
I
gehabt hat" (A, S. 12).
H ' 'nimmt der Herausgeber nicht nur einen modalen Rahmenwechse. vor,
teter die wahrscheinliche Möglichkeit zur poetisch en Wtr
' Id'tehl'
indem
(ett erkl"art, sondern er initiiert eine Konfusion der Rahmen, wenn er behauptet, ,~r habe "Gele~
genheil' gehabt", den Protagonisten "gena~estens kennen zulernen (~b~.). D~b~t
ist nicht nur die metaleptische KonstruktIOn bemerkenswert, daß det Dtehtet d~e
von ihm gedichtete Figur "genauestens" kennt, sondern auch - und vor allem - dte
'T'
latsach e, daß der Vorredenverfasser hier nicht als Dichter, sondern
b . als. Herausgeber
0" 1
auftritt· Als Herausgeber wohlgemerkt, der behauptet, er ha e wte eUl" ngUlaHistori~us" an den geschilderten Begebenheiten "selbst Anteil" ge.habt l27 un~ verhalte sich ihnen gegenüber wie ein "aufrichtiger Zeuge" .128 Dte poetologtsche
Pointe dieser Aussage besteht darin, daß sich der Heraus~eber als Auge~zeuge von
·d· hteten Umstanden"129 beschreibt und dadurch zu eUler Instanz wtrd, welche
"eI IC
h
kl
D'
die Funktion des "Original-Historicus" mit der des Dic ters v~r amme~'t. amlt
erhalt der Herausgeber die Funktion, die Modulation de~ Geschlchtsschre~berszu~
Poeten mit einem Rahmen zu versehen und dadurch eUlen neuen Begnff ,poetischer Wirldichkeit' respektive ,poetischer Wahrheit' zu eta~lieren. ,.
Daher kann der Herausgeber im direkten Anschluß an dte oben z1t1erte P~ssage
"ganz zuverlassig versichern", daß Agathon und di~ meiste,n anderen dramatts Pe.rsonae wirkliche Personen sind, dergleichen es von Je her vtele gegeben hat, ~nd m
dieser"Stunde noch gibt" (A, S. 12). Daraus leitet er, wie bereits erwahnt, dIe Behauptung ab, daß alles, "was das Wesentliche dieser Geschic~te au.smacht,. ebe~. so
historisch und vielleicht noch um manchen Grad gewisser set, als 1l'gend eUl Stuck
der glaubwürdigsten politischen Geschichtsc~reiber, welche wir a~fzu~~isen
haben" (ebd.). Plausibel wird diese Behauptung Jedoch erst vor dem HUltetglUnd
1'\
F
I
126
127
128
129
5chrader: Mimesis und Poiesis, 5, 35. Vgl. hierzu auch Oettinger: Phantasie und Erfahrung, 5. 84.
BodmeriBreitinger: Die Discourse der Mahlern, Erster Teil, V. DiscoUl's, E (5 .. 34).
Breitinger: Critische Dichtkunst, 5. 277,
Ebd., 5. 279.
210
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
von Breitingers Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Geschichtssch· 'b
. W' I d ..
lei er
d D" h
un . ~c ter s~wle le an s Uberlegungen zum Poeten als Erfinder einer waI.
11
schemltchen historischen Fiction', die gemeinsam in das Konzept eines po t: h G esch'lCh tssch.·b
.. d
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en. Zu fragen'
bleibt, welche Rolle dabei dem Kr'e ISC.. en
d . GI b .. d' I '
I
ltellul1l
~.l
au wur Ig {e~t z.u wmm: - ~ine Frage, die sich mit Blick auf die Ge enb egl1f~e des Wahrschemltchen, namltch das ,Unwahrscheinliche' und das WJg d
bare, stellt.
' un er-
5.4 Die Auseinandersetzung mit dem Wunderbaren
5.4.1 Das Wunderbare in Abgrenzung zum Wahrscheinlichen
~l:otz .des ei~gangs gegebenen yersprechens, "daß alles mit dem Lauf der Welt übelemstlmme (A, S. 11), daß sich also die Schilderung der Individual-Charal t .
und
. d e~en sie
. aUftreten,
L
<eie_
. der
. Um
.. st"a,n d e, m
am Prinzip der wahrscheinlichen Mö
11C~k:lt O1~entlere, verweist der Herausgeber in seinem Vorbericht auch auf dfe
Mo~ltc?kelt ~es Unwah~sc~einl!chen, wobei er jedoch leugnet, daß das Unwahrschemltche die Glaubwurdlgkelt der Geschichte Agathons in Zweit I . h· E
wü d
h" b '1 . d'
ab h
e Zle t." s
r e se r u .erel t sel~, l~ \Xl: reit des C~al:akters unseres Helden deswegen in
Verdacht zu zlehe~, weil es ofter unwahrschemltch ist, daß jemand so gedacht oder
gehandelt habe, wie er" (A, S. 12).
Wa,r den ~es~rn der Geschic~te ~es Agathon gerade noch versprochen worden,
daß die Wahl~elt des W~rkes mcht 1ll der Beschreibung des tatsächlich Geschehen:n, sondern m der gedIchteten Wahr~cheinlichkeit des Beschriebenen liegt, so
Wird. v~m Leser nun erwartet, daß er Sich selbst von der Beschreibung unwahrsc~emltch:r H~ndlungen und Handlungsverknüpfungen nicht irritieren läßt. Begrundet Wird dIese Erwartung mit einer spitzfindigen Argumentation ex negativa:
Wenn es unmöglic~ sein wird, zu beweisen, daß ein Mensch, und ein Mensch unter
den beson.dern Besummungen, unter welchen sich Agathon von seiner Kindheit an befun.den, 1~ICh~ so denl~en oder handeln könne, oder wenigstens es nicht ohne Wunder~~lke, ~111flusse unsichtbarer Ge.ister, oder übernatürliche Bezauberung hätte tun
wnnen.
So glaubt der Verfasser mit Recht'
erwarten zu Iro"nnen ,a
d ß man 1'h m au fse1l1
'
Wi
I
ort gaube, wenn er positiv versichert, daß Agathon wirldich so gedacht oder gehandelt habe (A, S. 12 f.).
t~ch wenn m~~ konze~iert, die .Unwahrscheinlichkeit eines Ereignisses sei noch
<em ~eleg .dafur, daß dlese~.EreIgnis nicht wirldich habe geschehen können, so
stellt Sich die Fra~e, welche Uberzeugungskraft eine Argumentation für sich beanspruchen darf, die nur darauf pocht, daß sich das Gegenteil nicht beweisen lasse.
5.4 DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM WUNDERBAREN
211
Und wieso glaubt der Herausgeber, der an dieser Stelle auf sich als "Verfasser"
Bezug nimmt, mit Recht erwarten zu können, man werde ihm "auf sein Wort
glaube [n]", daß Agathon "wirldich so gedacht oder gehandelt habe" (A, S. 13)? Bemerkenswerterweise tritt an die Stelle eines überzeugenden Beweises ein kommissiver Sprechakt des Verfassers, der zur Klammer zwischen zwei Prinzipien wird, die
in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen: das Prinzip der Wahrscheinlichkeit und die Kategorie des Wunderbaren.
Obwohl die Anerkennung der Gültigkeit genauer Ursache-Wirkung-Relationen
die Voraussetzung für eine "strenge hisroriographische und ästhetische Konsistenzl31
bildung" ist l30 , behält das Wunderbare für Wieland eine zentrale Bedeutung : Die
Spannung zwischen dem Kausalitätsprinzip und der Möglichkeit des Wunderbaren
ist Gegenstand poetologischer Reflexion am Rahmen und Motor der Handlung im
Rahmen des Diskurses. 132 Sowohl im Don Sylvio als auch in der Geschichte des Agathon geht es um eine kausale Motivation des Wunderbaren: Im Don Sylvio wird die
schwärmerische Einbildungskraft des Helden als Ursache für die wunderbare Verknüpfung seiner Gedanken dargestellt. Der vollständige Titel des Don Sylvio ist das
Protokollon dieses Programms: Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder Die Aben-
teuer des Don Sylvio von Rosalva. Eine Geschichte worin alles Wunderbare natürlich zugeht. In der Geschichte des Agathon kommt das Wunderbare in Form von Zufallen ins
Spiel, die als äußere Ursachen die innere Entwicldungsgeschichte Agathons motivieren. Während die äußere Geschichte auf der Ebene der histoire als kontingente Abfolge von Ereignissen, nämlich als "unbeständiges Spiel des blinden Zufalls" (A, S. 40)
geschildert wird l33 , bedarf die Darstellung der ,inneren Geschichte' einer Rekonstruktionsleistung auf der Ebene des discours. Dabei zielt die Geschichte des Agathon
nicht auf die Wiedergabe "eines Ensembles von Zufälligkeiten oder einer Vielfalt von
merkwürdigen Ereignissen" ab 134 , sondern es geht um "das Aufzeigen der ,Natur'Konstanten, denen als allgemeines, verbindliches Rahmen- und Grundgesetz das
Kausalitätsprinzip zugrunde liegt".135 Vor dem Hintergrund der Annahme, daß das
Kausalitätsprinzip unhintergehbar ist und daß das Wahrscheinlichkeitsprinzip der
Orientierungspunkt für jede glaubwürdige Geschichtsschreibung ist, wird das ,Wunderbare' in der Geschichte des Agathon als doppeldeutiger Begriff eingeführt.
130 VoEkamp: Romantheorie in Deutschland, S, 157.
131 Ebd., S. 158. Erhart spricht dagegen von einer "explizite[n] Ablehnung imaginierter ,wunderbarer' Welren" durch Wieland, was die Einführung eines "fikrionalen Wahrheirsbegriff[s]" erforderlich macht, "der sich sratt an den historisch verifizierbaren,res facrae' an der konstanten
Strukrur kausal-empirisch erfaEbarer Naturgesetzlichkeiten orientiert" (Erhart: Entzweiung und
Selbstaufklärung, S. 87).
132 Vgl. hierzu Campes These, die Figur der "unwahrscheinlichen Wahrscheinlichkeit" sei "tief verbunden mit der Entwicklung des Romans" (Campe: Spiel der Wahrscheinlichkeit, S. 312).
133 Kurz darauf wird dieser Gedanke noch einmal aufgegriffen und weiter geführt: "Wie ähnlich ist
alles dieses einem Traum, wo die schwärmende Phantasie, ohne Ordnung, ohne Wahrscheinlichkeit, ohne Zeit oder Ort in Betracht zu ziehen, die betäubte Seele von einem Abenteur zu
dem andern [...] fortreiEt?" (ebd.)
134 VoEkamp: Romantheorie in Deutschland, S. 194.
135 Ebd.
------------212
S. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCI-lICHTE DES AGATHON
S.4 DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM WUNDERBAREN
5.4.2 Das ,Wunderbare' als doppeldeutiger Begriff
Der Begriff des ,Wunderbaren' ist der Katalysator für eine Konfrontation d 'p
'l von B 0 dmer un d Breltrnger
"
, den emp11'1stlsc
.. . hen Ansätzen von Locke elB Oe.
t 1(
mIt
und Helvetius,136 Der Begriff des Wunderbaren eröffnet die Möglichkeit cl' lUlle
tologischen Ansätze der Schweizer, die noch dem rationalistischen Sy;t le poe.
d 'VT lfif h l'
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."
el11 Von
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l11Z un . ",:0 ver artet sm .: ~n 1e p 11osoph1s~hen Uberlegungen der en .
lrschen Emp~r~sten und der franzos1schen Enzyldopäd1sten anzuschließen,137 Bo~.
mer und Breitmger betonen parallel zum Postulat des "Wahrscheinlichkeitsp .. .
' he Re1evanz d es Wunderbaren. 138 So ist für Breitinger das Wundunzlps
' POetlSC
d 1e
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"n1c ts an ers, a s em vermummetes Wahrscheinliches"139 wobei die po t' 1
'Tvermummungsstrategie" darauf abZielt, die
.Aufmerksamkeit
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'des Lesers zu erre
e 1SC le
.. d'19 zu WH'
. 1(en. D'1es gesch'leh t vor d em Hintergrund der fll gen,
o h ne ung1au bwur
den anthropologischen Prämissen. Erstens wird der Mensch "nur durc~lg~n.
gerühret, was er glaubt; darum muß ihm der Poet nur solche Sachen vorlegen
er glauben kan,
le
, welche zum wenigsten den Schein der Wahrheit haben",, zwel.'t ens
verwundert slCh der Mensch nur "über dasjenige, was er vor etwas ausserordentl'.
ches hält", weshalb der Poet seinem Leser nur solche Sachen vorlegen soll d1'e 1
, " ausser der Ordnung des gemeinen Laufes sind".140 Daher darf der poetisc1
Geschichtsschreiber auch die nach dem gewohnten Lauf der Dinge seltenen W 1~
1'' 11 "141 '
,
'" un
d ~r b aren. Z u~a
e
~n seme Geschichte einfügen und diese "nach Belieben, und
~le es mlt semen AbSichten am besten übereinkömmt, zusammentragen, und l11it
e1.nande~' verbinden, weil es ihm frey stehet, die Umstände selbst zu erdichten, in
dIe er serne Personen versetzen will". 142
Die vo~ ~oete.n erdichteten ~m~tände orientieren sich zwar am Prinzip der
Wahrschernhchkelt, stehen aber rn ernem permanenten Spannungsverhältnis zur
poetischen Freiheit des Dichters: Der Dichter darf die wunderbaren Zufälle "nach
t
136 Zum Einfluß von I-Itunes Enquiry Concerning Human Understanding und von Helvetius' De
l'Esprit aufWieland siehe Meyer: Das Zitat in der Erzählkunst, S. 108, 109 f.
137 gl. Oettinger: Phan~a:ie und I!rfahrung, S. 53. Nach Oettinger gerär die "Schulphilosophie Leibl1lz-W~lf~sc~erTradltlon [...] 111 der Begegnung mit der ,modernen' englisch-französischen Philosophie 111 ell1e schwere Krise - eine Krise, in die dann auch die Ästhetik, soweit sie vom alten
System abhängig ist, hineingezogen wird" (ebd.). Voßlcamp bemerkt unter Hinweis aufOettinger, Wieland ziehe den Trennungsstrich, "nach der Lektüre ,moderner' englischer und französische~' Philosophen (vor allem Locke und d'Alembert) [...] nichr nur gegenüber der Schweizer
Po~tlk, sOI~dern offenbar zugleich gegenüber der ihnen zugrundeliegenden Leibniz-Wolffschen
PhIlosophie, d. h. auch gegenüber der romantheorerisch überaus wichrigen Möglichkeitsvor~telh~ng. ~as geschieht dadurch, daß Wieland den Leibnizschen Gedanken möglicher Welten
un S111ne e111es Wunderbar-Phantastischen interpreriert und damit den romantheoretisch-utopischen Ansatz, den Bodmer und Breitinger durchaus sehen, übergeht" (Voßkamp: Romantheorie
in Deutschland, S. 193).
138 Vgl. ebd., S. 41, sowie Hoffmann: Aufklärung, S. 37.
139 Breiringer: Critische Dichtkunst, Bd. 1, S. 132.
140 Ebd.
141 Ebd., S. 278.
142 Ebd.
V.
213
. l'11a11der verbinden und in den intentionalen respektive strategischen
· ben" m1te
,
..
..
Be1le
. es Erzähldiskurses rntegneren, dessen ZIel es 1st, das Interesse des Pu"
. die
. poetlsche
.
. . d urc11 d as p:
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R,a!1ruen se111 'r'egen Umgekehrt Wird
FreIheit
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I' hkeit gerahmt, da das Wunderbare ansonsten "a ent 1euer lC un d
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desjenigen Wunderbaren [...], welches d urc h'
e111en ZIem
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" rad der Wahrschernlrc (eit gemass1get 1st.,
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G , 'd zwei Punkte festzuhalten: Erstens WIrd dem P11nzlP deI Wah1schernBier s111
,
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'11 ' - gerade auch mit Blick auf das Wunderbare - erne parergona e Ra ltc 1<e1~ 1tion zugewiesen14S: Das Prinzip der Wahrscheinlichkeit soll von einem
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Außen her - dem in der Natur wirkenden Kausa itätsgesetz - 1m nbestimmen
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. d poetischen Verfahrens mItWIrken, um erne "Immanente Fa e ratlona"
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1 ' des Lesers erregen. Diese Funktion kann es allerdrngs nur als Wun er ares, as
(elt P:1 zip der Wahrscheinlichkeit gerahmt wird, erfüllen, da es andernfalls unvom 111
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underbaren zu differenzieren. So unterscheIdet D1derot 111 "De a
Forme11 des W
,
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" dramatique" zwischen dem Wunderbaren 1m Srnne des Außerordent lC en
PoeSle
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(le merveilleux) und dem Wunderbaren im Sinne des Ubernatür 1C en e mzracu"
leux).147
.
.
.
Die Konsequenzen dieser Differen,~ierung ~;rden ~m Vorberlch~ zur r:e:chzchte
J A athon diskutiert. Er stellt den "Ubergang 148 ZWIschen der ratlonalrstlsch geues
g. Poetik der Schweizer und der empiristischen Ast
.. h etl'1( D'd
rägten
1 erots h
er,'rn d e~
~r eine argumentative Leerstelle überbrückt: Bezog sich der von Bo~mer und ~re~
ringer entfaltete Begriff der Dichtung als "Nachahmung der Nat~r rn ~em Mogl~hen"149 auf ein rationalistisches Konzept möglicher Welten, so 1st dIe Kategone
der Möglichkeit für den Empiristen Diderot an die sinnlich erfahr~are Wirldic~"
keit gekoppelt, ISO Der entscheidende Unterschied zwischen ~er P~etlk der Schwe~"
zer und der Diderots liegt in der Auffassung der Natur. 1S1 Fur D1derot besteht dIe
Aufgabe des poete darin, den ordre naturel beziehungswei~e. den ordre general des
choses sichtbar zu machen, indem er in seinem Werk "une lra1son apparente et sensible" etabliert, Diese sichtbar gemachte Verknüpfung ist "moins vrai et plus vraisemblable que l'historien",ls2 Nichts anderes behauptet der Herausgeber, wenn er
143
144
145
146
147
148
149
150
151
152
Ebd., S. 298 f.
Ebd., S. 265.
Vgl. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74.
Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S. 136.
Diderot: "De la Poesie dramarique", in: ders.: CEuvres esthetiques, S, 213.
Vgl. Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S. 154, sowie Oetringer: Phantasie und Erfahrung, S. 47.
Breiringer: Critische Dichtkunst, Bd, 1, S, 262.
Vgl. Oettinger: Phantasie und Erfahrung, S. 58,
Ebd., S. 63.
Dideror: "De la Poesie dramatique", in: ders.: CEuvres esthetiques, S. 213 f.
214
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GE:SCHICHTE DE:SA
'
in seinem Vorbericht schreibt daß d
Wi
.
.
I:~ch um manchen Grad gewi;ser sei, :~s i/~~:~t~~~e ~~Iner Geschichte "vielle'
huschen Geschichtschreiber" (A S 12) g
Stuck der glaubwürdigst I
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er. 111WelS auf Gewißheit und Glaubwürd' l ' .
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~och e111en zweiten philosophischen Bezug erl Ig <eIl' hlston~ch?r Berichte 1"
e111andersetzung mit den Mira 1 ".
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Human Understanding. D"abel. WH
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rung zwischen dem Außerordentlich (
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ra l. ) ff, . 1
en mervettteux) und dem Wi d
cu eu~ 0 enslC 1tlich auf Hume zurückgeht d' . h
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respekuve extraordinary und dem was'
,~I ZWISC en dem, Was """r1lf.·".,.,'"
ren verknüpft Hume das Probl ' d mWizracudlous Ist, un~erscheidet.153 Zlun
1 .
em es un erbaren m d
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celt, wenn er der Frage nachgeht .
It em er Glaubwürd'
' wIe man ohne Augenz
Ig-- _._-.
" l' 1 .
nach trag IC 1 e111 Urteil über die Wu d b .' l '
euge gewesen zu se' - ,-,
H
I n er enClte Im Neuen Te t.
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Ill,
~mes nteresse gilt dabei den Prinzi ien für das
"es ament !ällen kann
und deI:
von
wagen zweIer Uberzeugungen _ ausscll . b JC. e111. IC ~elt esteht im Ab.
Für-Wahr-Haltens. 154
1 agge en Ist JeweIls der Grad des
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Gla~bwürdigkeit
Ze~gnissen W~l~,sc~a~z~~~tr.~ahrscheinlich~
Sowohl im Don Sylvio als auch in der G h' h
spielungen auf Humes Argumentation
eS~t te desmAgathon finden sich An,
"so würde Herodot
erinnert die
Wahrheit dIeser anmaßlichen Geschichte sein"155 g I~. e~ . ewährs-Mann für die
densart "Ich würde dies nicht glauben Ib
an ~e el Hume erwähnte Reim nächsten Satz nicht nur H
,se st wenn es mIr eato erzählte"156 zumal
l' ,
ume, son d ern auch das Pr bl
d Wi
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exp lZlt erwähnt wird. In der Geschi ht. d A h 1
0
em es underbaren
Hinweise auf Hume aber auch fC eIes t<dat. o~ a~sen sich gleichfalls deutliche
SI'
au Loc ce un Lelb111z erl
157 S
.
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~ ons c 1wärmerei auffällige Parallelen ZI' ,r'" cennen.
0 zeIgt Aga111 seinem Essay Concerning Hu
Tl /
Jened,1~e l~lOsen Schwä~:merei, die Locke
." ( Of
man unuerstan mg Im Kap't 1 Ub d'
I e." . er le Schwärmerel " Enthusiasm") mit Blick auf die Wi h 'h .
Wunderbare impliziert die S h"
,"
a I eltsfrage dIskutIert. 158 Wie das
c warmeleI eut Problem des Für- wr
..
wa111-' H a1tens: Pur
Formuli.eru~g
selbst~~:i~~hin?~~~~"
r ~on ~ylvio
153 Hume: Untersuchung in B ,Ir'cf,
,
154 Ebd., S. 103 E N I
etr0~ es r:zenschltchen Verstandes, S, 103.
b
. ac 1 Hume leitet SIch der Gl'llnd warul
~rn Glauben beimisst", aus einer aufErfahl'lln ';~"un d ~ man Zeugen oder Geschichtsschreidie Kraft (fOrce) des Glaubens (belz'ej)
. g .gd en en Erwartungshaltung ab, die durch
al .
gespeist WH' Wel
. Z
. Z
. ' . 111 el11e eugenaussage überzeugender
s el11e andere erscheint so gewinnt d
Ilan d un d erscheint insofern
'
as el11e eugl1lS mIt d I K· e I d
als üb .
d'
e TI Ia, tver ust es anderen die Über" , et ~zeugen .
155 Wieland: Die Abente
156 H
uer des Don Sylvto von Rosalva S 345
ume: UntersuchunlT in B t ,Ir'cf,
h .
,.
157 S fi"l d G
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e r0J es mensc lzchen Verstandes S 103 C
o Ultt . as . esprach
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. es IpplaS mit Agathon die Krise,d.
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und konflOntiett sIe mit dem engll's h E
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es Lelbl1lz-Wolffschen Systems vor
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d
.
b h
c en "mpll'lsmus Auch
tInger e auptet, "fast wörtlich" (Oettinger' Ph
" d wenn IpplaS abei nicht, wie Oetvon Lockes Essay zitiett, lassen sich doch zahlr ~~tas; uno Erfthrung, S. 69 f.) das 33. Kapitel
onskapitel- aber auch auf andere Kapit I d ;'IC le ~splelungen auf das berühmte Assoziaties
auch der Einfluß von Leibniz und s~iJleel' A . ssayds- ,eststellen (vgl. A, S. 87). Dabei läßt sich
t'
I
usel11an ersetzung I . d L I I
IOn ercennen (vgl Leibniz' Dz'e rl. d'
S 4)
nrt er oc cesc len Argumenta.
1 neo zcee,
.3
158 L I '
2, S. 404 fE
oc ce: Versuch über den menschlichen Verstani
Bd.
5.4 DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM WUNDERBAREN
GATHON
215
. die Schwärmerei der Glauben an eine göttliche Offenbarung, der auf
L?cke Istderem beruht als auf "starker Einbildungskraft": eine Einbildungskraft,
l1~chtS .an neues Prinzip leicht alles mit sich fort[reißt], wenn sie den gesunden
ein
die llwIl~enverstand
verläßt" .159 Der einzige Grund, den die Schwärmer für die
MenSc
. d aß SIe
. "star1c
1.1 it der von I'h nen vertretenen Aussagen an f"l
u ll'en 1"
mnnen, 1st,
Wa l\:I~en überzeugt sind" .160 Daher bleibt von den Urteilen der Schwärmer, soV~~dI an "ihre Worte der bildlichen Ausdrücke des Sehens und Fühlens entldei~'l
nichts weiter übrig als das eben Gesagte" .161 Dies ist offensichtlich die
;,t~l ..~ für das Argument des Hippias, man solle den idealistischen Verkündern
_"~~I~~discher Welten verbieten, sich "irdische[r] und sinnliche[r] Materialien zu
~. dienen", und ihre Welten würden "in den Schoß des Nichts zurückfallen, wora~s sie gezogen worden" (A, S. 87) ..Auch Hippias' Frage nach dem "untrügliche[n]
Kennzeichen", das Agathon zu beSItzen glaube, um "das Wahre von dem was nur
scheint" und das, "was du würldich empfindest, von dem was du dir nur einbildest", zu unterscheiden (A, S. 63), hat eine Vorlage in Lockes Kapitel über die
Schwärmerei. Locke fordert, nichts "als eine Offenbarung oder auch nur als wahr
an [zu]sehen, bevor wir nicht neben unserm Glauben noch ein anderes Kennzeichen dafür haben, daß es sich um eine Offenbarung handelt" .162
tu]
5.4.3 Das Wahrscheinliche und das Wunderbare im Kontext des "Vorberichts"
Wenn der Herausgeber im ersten Satz seiner Vorrede "wenig Wahrscheinlichkeit"
sieht, "das Publicum zu überreden", bringt er eine argumentative Bewegung in
Gang, die im wesentlichen Humes Überlegungen folgt, wie sich die "Wahrscheinlichkeit gegen die Ansicht der Zeugen"163 steigern läßt. Das Humesche Gedankenexperiment anzunehmen, daß eine Zeugenaussage "wahrhaft wunderbar" und
"das Zeugniss, an sich betrachtet, vollständig beweisend sei"164, wird im Vorbericht
unter negativen Vorzeichen durchgespielt. Wenn es unmöglich ist "zu beweisen,
daß ein Mensch [...] unter den besondern Bestimmungen, unter welchen sich Agathon von seiner Kindheit an befunden, nicht so denken oder handeln könne",
dann folgt aus dieser Unmöglichkeit eine Schwächung derjenigen Position, die
davon ausgeht, die Geschichte des Agathon dürfe aufgrund ihrer Unwahrscheinlichkeit keinen Wirldichkeitsanspruch erheben. Dieser illokutionäre Kraftverlust der
Gegenposition macht die vom "Verfasser" vertretene Position überzeugender, daß
Agathon "wirklich so gedacht oder gehandelt habe" (A, S. 13). Eben hieraus leitet
der Herausgeber sein Recht ab, "daß man ihm auf sein Wort glaube" (ebd.). Dabei
markiert der kommissive Sprechakt des Herausgebers zugleich jene poetologische
159
160
161
162
163
Ebd., S. 408.
Ebd.
Ebd.
Ebd., S. 416.
Hume: Untersuchung in Betreffdes menschlichen Verstandes, S. 104 f.
164 Ebd.
216
5.5 DIE FUNKTION DES HERAUSGEBERS IN DER GESCHICHTE DES AGATHON
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
Systemstelle, an der es zu einer Modulation des Begriffs des Wunderbaren k0 111men muß, damit er mit dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit kompatibel wird.
Die Art, wie die Begriffe der ,historischen Tatsache' und des ,Wunderbaren' im
Vorbericht thematisiert werden, erinnert an die Art, wie in der "Seconde Preface"
der Nouvelle Htloi'se die Frage erörtert wird, ob die Briefsammlung als Portrait oder
als Tableau d'imagination zu gelten habe. 165 Man könnte beinahe annehmen, die
Begriffe Portrait und Tableau d'imagination seien durch das Wahrscheinliche und
das Wunderbare ersetzt worden. Anders als das strikte Entweder-oder in der "Seconde Preface" der Nouvelle Htloi'se, das keinen Übergang zwischen der historischen Darstellung der Wirklichkeit und der Erdichtung der Einbildungskraft zu
erlauben scheint, wird in der Geschichte des Agathon der Begriff des Wunderbaren
ins Spiel gebracht, mit dem Ziel, zwischen dem wahrscheinlichen Lauf der äußeren Welt und der in der inneren Welt wirkenden Einbildungskraft zu vermitteln.16G
Das Wunderbare wird als "maßgebliche Signatur poetischer Darstellung"167 zur
"zentralen Kategorie"168, die den Übergang zwischen äußerer und innerer Welt ermöglicht.
Dabei erfahrt die Semantik des Wunderbaren eine interne Differenzierung
durch das Prinzip des Wahrscheinlichen: Die "unwahrscheinlichere[n] Dinge" (A,
S. 12), denen man im Leben begegnet, sind wunderbar, weil sie außerordentlich
sind. Die Unwahrscheinlichkeit der "Wunderwerke" (A, S. 13) leitet sich dagegen
von der Annahme her, daß sie übernatürlich sind. Das Außerordentliche ist das
Wunderbare im Rahmen der Naturordnung, das Übernatürliche sprengt diesen
Rahmen. Das Wunderbare, das außerhalb der Natur steht, hat aus empiristischer
Sicht "auch in der Dichtung nichts zu suchen". 169 Die Pointe der poetologischen
Reflexion im Vorbericht liegt darin, den Begriff des Wunderbaren mit dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit zu koppeln und dadurch einen modulierenden Rahmenwechsel vorzunehmen. Dieser modulierende Rahmenwechsel wird durch den
Herausgeber vollzogen, der das Außerordentliche als das wahrscheinliche Wunderbare auszeichnet und damit in den Gegenstandsbereich wahrscheinlicher historischer Fiktionen integriert. Zugleich wird mit der internen Differenzierung des
Wunderbaren die Differenzierung der narrativen Ebenen vorbereitet.
165 Rousseau: Nouvelle Htfloi'se, S. 8.
166 Vgl. hierzu auch Wellbery: "Die Ellden des Menschen. Anthropologie und Einbildungskraft im
Bildungsroman", S. 605 f. Nach Wellbel'Y erhält die Einbildungskraft in der Geschichte des Agathon eine "anthropologische Funktion", die darin besteht, einen Bogen "zwischen Urspl'llng und
Ziel" zu spannen und dadurch zum "Vehikel" der "konstitUtiven Vorläufigkeit" des menschlichen Daseins zu werden (ebd.).
167 Preisendanz: "Die Auseinandersetzung mit dem Nachahmungsprinzip", S. 75.
168 Oettinger: Phantasie und Erfithrung, S. 45.
169 Ebd., S. 65.
217
5.5 Die Funktion des Herausgebers
in der Geschichte des Agathon
Nach Frick besteht die "bedeutende Einsicht" von Wielands Romanprojekt darin,
daß er die Erfüllung des im Vorbericht entworfenen Konzepts "verschiedenen Textinstanzen" zuweist und insofern eine "Aufspaltung der narrativen Funktionen"
vornimmt. 170 Erhart sieht den Grund für die "Aufspaltung des Erzählers" in den
widerstreitenden Intentionen des Romans". 171 Ihm zufolge benötigt Wieland "die
ironische Trennung in einen antiken Autor und einen gegenwärtigen Herausgeber,
" ". 172
d b ·
um die Romangeschichte überhaupt erzähl en un d zu E nenngen
zu 1
mnnen
l73
Versteht man die "ironische Trennung" mit Foucault als Spiel der partage , so
wird die Ebenendifferenzierung zur Voraussetzung dafür, daß sich die Funktion
Autor als Funktion Herausgeber in Szene setzen läßt. Dies wird deutlich, sobald
man Foucaults These um die Einsicht Martlnez-Bonatis erweitert, daß die Auf.·
spaltung des Erzählers als Folge eines auktorialen Selbstzitats anzusehen ist, wobei
der reale Schriftsteller die Rede seines fiktiven Erzählers zitiert. 174 Hieraus ergi~t
sich die Aufgabe, die modulierenden Aufpfropfungen zu untersuchen, welche "die
Rahmenfunktion in den Romantext ein[pflanzen]"175 und damit zugleich den
Bruch zwischen den verschiedenen Aussageinstanzen darzustellen.
5.5.1
Konsequenzen der Ebenendifferenzierung in der Geschichte des Agathon
Der Verfasser des Vorberichts stellt sich als fingierter Herausgeber vor, der sich zugleich als Quasi-Amor ins Spiel bringt, wenn er zu verstehe~ gibt, die von ihm .herausgegebene Geschichte sei auch von ihm selb.st gedichtet worde~. Dieser
performative Widerspruch wird durch die ModulatIOn der Selbstb~,schrelbu~gverstärkt, im Zuge deren sich der "Herausgeber" auch als "Verfasser beschl:elbt
S. 13). Im Haupttext befindet sich der fingierte Herausge.b~r des Vorbe:lc~t~ Im
Übergang zu einer fiktiven Herausgeber-Figur, die ~as ,Ol'lgm~lman~skl'lpt emes
fiktiven griechischen Autors übersetzt und kommentle~t.Allerdmg~ Wird. der Bruch
zwischen fingiertem und fiktivem Herausgeber übersplel~. A~sgesplelt WIrd n.ur der
Bruch zwischen dem deutschen Herausgeber und dem gnechlschen Autor, mit dem
eine strikte "Ebenendifferenzierung"176 eingeführt wird. Die Verantwortung für
\A,
170 Frick: Providenz und Kontingenz, S. 489 f.
• .
171 Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 159. Im Gegensatz dazu betont Horst Thome die
Entsprechung zwischen den "Intentionen des ,Vorberichts'" und den "Kommentare[n] des Erzählers im Text selbst" (vgl. Thome: Roman und Naturwissenschaft, S. 196).
172 Ebd.
173 Foucault: "Was ist ein AUtor? (Vortrag)", S. 1020.
174 Vgl. Martfnez-Bonati: "Die logische Stl'llktur der Dichtung", S. 188, Fn.
175 Campe: Spiel der Wahrscheinlichkeit, S. 322.
176 Bickenbach: Von der Möglichkeit einer ,inneren' Geschichte des Lesens, S. 206.
-
218
------------
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
die "alte Handschrift" (A, S. 494) und die gewaltsame Finalisierung des Erzähldis_
kurses obliegt eindeutig dem griechischen Autor. Er ist als narrative Instanz für die
wahrscheinliche kausale Verknüpfung der Ereignisse im Rahmen der Geschichte
zuständig. l77 Die Kausalität, aber auch die Kontingenz des Geschehens werden
durch eine auktoriale Intentionalität gerahmt, der es darum geht, "stringente Finalität"178 herzustellen. Allerdings kann diese aufs Ende zielende Intentionalität
Kausalität und Kontingenz auch in einer Weise in Dienst nehmen, die dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit widerspricht, weil sie Lücken in der kausalen Motivationskette läßt.
Der deutsche Herausgeber ist als editoriale Instanz dafür zuständig, die alte
Handschrift zitierend und übersetzend anzuführen und gleichzeitig seine Politik
der Edition transparent zu machen. Sein Rekurs auf das Prinzip der Wahrscheinlichkeit und die ,historische Wahrheit' erfolgt dabei nicht nur mit Blick auf den
Status der alten Handschrift als historisches Monument, sondern auch mit Blick
auf die Erzählweise des griechischen Autors. Der Herausgeber fungiert mithin als
meta-narrative Instanz, indem er die Handlungsführung des griechischen Autors
vor dem Hintergrund der möglichen Welt des Romans reflektiert und jede Abweichung vom Prinzip der Wahrscheinlichkeit kritisch kommentiert.
Allerdings offenbart diese Ebenendifferenzierung einen performativen Widerspruch. Sah der Herausgeber im Vorbericht "wenig Wahrscheinlichkeit", das Publikum zum Glallben an die Manuskriptfiktion zu überreden, so bekräftigt er im
Verlauf des Romans immer wieder, daß er sich auf Manuskripte und Originaldokumente stützt. Das im Vorbericht entworfene Konzept einer ,wahrscheinlichen
historischen Fiction' wird durch die vom Herausgeber im Haupttext in Szene gesetzte Authentizitätssuggestion wieder dementiert. Der Herausgeber übernimmt
also die Rolle eines Geschichtsschreibers, dessen Funktion von der des Romandichters scharf unterschieden wird. So heißt es im romanpoetologisch zentralen
achten Kapitel des fünften Buches:
Wie groß ist in diesem Stücke der Vorteil eines Romanendichters vor demjenigen, welcher sich anheischig gemacht hat, ohne Vorurteil oder Parteilichkeit, mit Verleugnung
des Ruhms, den er vielleicht durch Verschönerung seiner Charaktere, und durch Erhebung des Natürlichen ins Wunderbare sich hätte erwerben können, der Natur und
Wahrheit in gewissenhafter Aufrichtigkeit durchaus getreu zu bleiben! Wenn jener die
ganze grenzenlose Welt des Möglichen zu freiem Gebrauch vor sich ausgebreitet sieht;
[...] [s]o sieht sich hingegen der arme Geschichtschreiber genötiget, auf einem engen
Pfade, Schritt vor Schritt in die Fußstapfen der vor ihm hergehenden Wahrheit einzutreten, jeden Gegenstand so groß oder so klein, so schön oder so häßlich, wie er ihn
würklich findet, abzumalen; die Würkungen so anzugeben, wie sie vermöge der unveränderlichen Gesetze der Natur aus ihren Ursachen herfließen (A, S. 159).
177 Nach Oettinger gehört es zu einer Geschichte, "daß die Begebenheiten in kausaler Ordnung erzählt werden". Hieraus folgt, "daß die blinden Zufälle eliminiert sind und die Kontingenz teleologisch integriert wird" (Oettinger: Phantasie und Erfthrung, S. 100).
178 Engel: Der Roman der Goethezeit, S, 111.
5.5 DIE FUNKTION DES HERAUSGEBERS IN DER GESCHICHTE DES AGATHON
219
Ob diese Passage tatsächlich als "Abrechnung mit der Zürcher Ästhetik"~79 Z~I we~'
ten ist, mag dahingestellt bleiben. Fest steht, daß der Herausgeber damit seme e~
enen, im Vorbericht aufgestellten, Prämissen dementiert: Dort ging es. darum, die
~renze zwischen dem poetischen Romandichter und dem histonschen Gehichtsschreiber aufzuheben und in das Konzept eines poetischen GeschichtsS\reibers zu transformieren: eines Geschichtsschreibers, dessen Aufgabe es ist, mit
~er Verwandlung des Wirldichen ins Mögliche eine "wahrscheinliche historische
Fiction" zu erfinden und sich ihr gegenüber als "aufrichtiger Zeuge"180 zu verhalten. Auch der zu Beginn des zweiten Kapitels formulierte poetische Freibrief, onach eine historisch wahre Geschichte "zuweilen viel seltsamere Begebenheiten
erzählt, als ein Romanen-Schreiber zu dichten wagen dürfte" (A, S. 23), scheint
vergessen zu sein. Statt dessen wird de.r die Wel~ de~, Möglichen frei ge~rauchende
Romandichter" dem "arme[n] GeschIChtsschreiber (A, S. 159) gegenubergestellt,
der sich genötigt sieht, "auf einem engen Pfade, Schritt für Schritt in die Fußstapfen der vor ihm hergehenden Wahrheit einzutreten" und jeden Gegenstand, der
ihm begegnet, getreu der Realität "abzumalen" (ebd.).
Der Herausgeber identifiziert sich eindeutig mit der Rolle des ,armen Geschichtsschreibers', der sich dem Verdikt der historischen Wahrheit verschrieben
hat und deshalb von jeder Form der Finalisierung Abstand nehmen muß. Auch
wenn der Herausgeber "aus verschiednen Gründen in Versuchung" gerät (A,
S. 163), eine teleologische Umschrift der Geschichte des griechischen Auto~s v~r
zunehmen, verzichtet er schließlich doch darauf, "der historischen Wahrhe.1t dieses einzige mal Gewalt anzutun, und unsern Agathon, wenn es auch durch Irgend
einen Deum ex Machina hätte geschehen müssen, so unversehrt aus der Gefahr,
worin er sich würldich befindet, herauszuwickeln" (A, S. 163).
Die Konsequenz einer gewaltsamen teleologischen Umschrif: wäre nämlich. gewesen daß diese einzige poetische Freiheit uns nötigen würde, m der Folge semer
Begeb'enhe:~en so viele andre Veränderungen vorzunehmen, daß die Geschichte
Agathons würldich die Natur einer Geschichte verloren ~ätte" (~, S. 1~3.)' Der na~'
rative Herausgebereingriff unterbleibt also mit HinweiS auf eme Pol1t1k der Edition, der es um die ,historische Wahrheit' geht, wobei diese nicht nur den Stat~s
der Geschichte als ,wahrscheinliche historische Fiction' betrifft, sondern auch die
alte Urkunde" (A, S. 517) als Monument.
" Dabei gerät die auf ,historische Wahrheit' abzielende Politik der Edi:ion .in ein
poetologisches Paradox: Der Herausgeber darf nämlich selbst dann 111.cht ~n das
Griechische Manuskript eingreifen, wenn die Handlungsführung des gnechlsc?en
Autors dem vom deutschen Herausgeber vertretenen Prinzip der Wahrscheinhchkeit widerspricht. Das heißt, der Herausgeber ist gezwungen, die Erzählung des
griechischen Autors auch dann noch ,originalgetreu' wiederzugeben181, wenn sich
dessen Erzählweise als nicht "allzu wahrscheinlich", ja womöglich als "wunderbar"
:v
179 Oettinger: Phantasie und Erfthrung, S. 76.
180 Ebcl.
181 Vgl. Goffman: Rahmen-Analyse, S, 92.
220
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
erweist. Damit hat die Aufspaltung der narrativen Funktionen direkte Rückwi ._
kungen auf die "Fi~lalproblematik des Romans"182: Sie führt die Brüchigkeit ein~s
auf G.eschlossen~eltund .harmonische ~ynthes~s zielenden Romal1projekts vorl83,
und SIe schafft mit der strIkten Ebenendifferenzierung die Voraussetzung dafür, daß
der Herausgeber eine ironisch distanzierte Haltung gegenüber den teleologisch
E'1l1g1'1uen
'iX
"184 des g1'1ec
. h'ISCh
en
en Autors'
e1l1nehmen kann. So heißt es"
zu Beginn
d
es
fünften Kapitels des zehnten Buchs:
Der Autor der alten Handschrift, aus welcher wir den größesten Teil dieser Geschichte
gezogen Zl~ ha~en gestehen, triumphiert, wie man gesehen hat, darüber, daß er seinen
Hel~en mit selll~r ganze~ Tugend von einem Hofe hinweggebracht habe. Es würde allerdlllgs etwas selll, das elllem Wunder ganz nahe käme, wenn es sich würklich so verhielte (A, S. 494).
Das Eingestän~nis des d~~tsche~ Herausgeber-Übersetzers, die Geschichte Agat~ons ~um "große~t~n Ted aus e1l1er alten Handschrift gezogen zu haben, impliZI:rt el~e A~thentlzltätssuggestion, die in direkter funktionaler Analogie zu dem
E1l1gestandl11s des Vorwortverfassers der Nouvelle Heloi'se steht, er habe, wiewohl er
"bloß des Herausgebers Namen" führe, "doch selbst mit an dem Buch gearbei. h d er ganze Text offen als Dichtung zu erkennen geben,' wäre
" 185. 'VT
tet.
wo.11 te SIC
so~ch el~ H~nweis übe~·~üssig. Mithin verstärkt das editoriale Eingeständnis der
~ltarbe.It dIe A~thentlzltätsfiktion für all jene Teile, an denen der Herausgeber
l11cht mItgearbeItet hat. In gleicher Weise verstärkt die Aussage, die Geschichte des
Aga~hon sei.zum "größesten Teil" aus einer "alten Handschrift" gezogen, die Ebenendlf~erel~zlerung. Den "größesten Teil" macht demnach das Originalmanuskript
des g1'1echlschen Autors aus, während der verbleibende ldeinere Teil vom deutschen
Herausgeber im Rahmen seiner Kommentarfunktion ,dazugeschrieben' wird.
5.5 DIE FUNKTION DES HERAUSGEBERS IN DER GESCHICHTE DES AGATHON
221
"Dank sei" (so ruft hier der Autor des griechischen Manuskripts, als einer, dem es auf
einmal ums Herz leichter wird, aus) "Dank sei den Göttern, daß wir unsern Helden aus
dem gefährlichsten aller schlimmen Orte, wohin ein ehrlicher Mann verirren kann, unversehrt, und was beinalle unglaublich ist, mit seiner ganzen Tugend davon gebracht
haben! Er hat allerdings von Glück zu sagen", fahrt das Manuskript fort; "aber - beim
Hund (dem großen Schwur des weisen Socrates) was hatte er auch an einem Hofe zu
tun? [...]" (A, S. 492).
Der Herausgeber-Übersetzer zitiert den griechischen Autor wörtlich, unter Verwendung von Anführungszeichen. Seine eigenen Kommentare markiert er durch
Klammern, vollzieht also mit I-Elfe editorialer Indices eine strikte Ebenendifferenzierung, da Anführungszeichen und Klammern dazu dienen, "Rahmen auseinanderzuhalten" .186 Eine Seite später findet sich die Anzeige einer Textverderbnis, die
durch einen editorialen Symptomkommentar gerahmt wird. Die an dieser Stelle
stehenden "verschiedenen Digressionen" des griechischen Autors könnten, so der
Herausgeber, nicht mitgeteilt werden, da "das Manuskript an diesem Ort halb von
Ratten aufgegessen" beziehungsweise "durch Feuchtigkeit so übel zugerichtet" ist,
daß es leichter wäre, aus den Blätter der Cumäischen Sibylle, als aus den Bruch;tücken von Wörtern, Sätzen und Perioden, welche noch übrig sind, etwas Zusammenhängendes herauszubringen" (A, S. 493). Da die fehlenden Digressionen
für den Fortgang der Geschichte des Agathon offensichtlich nicht relevant sind l87 ,
stellt sich die Frage, welche diskursive Funktion der editoriale Hinweis auf die Textverderbnis an dieser Stelle hat. Frick interpretiert den Rattenfraß als "Ironisierung
der Manuskript-Fiktion"188, läßt damit allerdings unberücksichtigt, daß mit der
Ironisierung zugleich eine Bekräftigung der Manuskriptfiktion einhergeht.
Plausibler scheint mir daher die folgende Erldärung, daß die Lücken im Manuskript als aufdringliche Rahmungshinweise für die Authentizität der Manuskripte und als Appelle zur editorialen Leerstellenergänzung fungieren. 189 Dabei
folgt der Herausgeber exakt jenem Programm, das Wielands "Theorie und Ge-
5.5.2 Die Kommentarfunktion zwischen Leerstellenergänzung und Digression
Die editorialen Akte des Dazuschreibens rahmen die editorialen Akte des Zitierens
und haben entweder die Form der Leerstellenergänzung oder die der Digression.
Im zehnten Buch, zu Beginn des vierten Kapitels, das "Nachricht an den Leser"
überschrieben ist, heißt es:
182 Frick: Providenz und Kontingenz, S. 488.
183 Ebd., S. 489 [
184 Ebd., S. 492. Aus dieser ."Divergenz der wertenden Perspektiven resultiert" so Frick weiter ein
l~öchs~ reizvolle~ g~dankliches Wechselspiel zwischen den moralischen beziel1llngsweise spezifisch
hteranschel~ Pr~on~äten, den~I~, in der Sicht des Herausgebers, der Manuskriptautor gefolgt ist,
und den Krttenen Jener empiristIschen Wahrheitstheorie (und Poetik), die sein modemer Kritiker für unverzichtbar hält. Eine wechselseitige kontrastive Erhellung von Realität und Fiktion ist
der beabsichtigte Effekt" (ebd.).
185 Rousseau: Neue Hl!loi'se, S. 5.
186 Gaffman: Rahmen-Analyse, S. 254.
187 Der Herausgeber gesteht, daß ihm der Verlust dieser ManuskriptsteIle deshalb so "nahe geht",
weil er begierig darauf sei, die "neun und dreißig Ursachen zu wissen", die in der Digression
"warum es für einen ersten Minister gefährlich sei, zuviel Genie, zuviel Uneigennützigkeit, und
zuviel Freundschaft für seinen Herrn zu haben" beschrieben werden (vgl. A, S. 493).
188 Frick: Providenz und Kontingenz, S. 490.
189 Das Problem der Leerstellenergänzung wird auch in Wielands Roman Der goldne Spiegel thematisiert. Dessen erstes Vorwort, die "Zueignungsschrift an den Kaiser Tai-Tsu", weist am Ende eine
Lücke auf, die vom lateinischen Übersetzer wie folgt kommentiert wird: "Hier bin ich genöthigt
gewesen eine Lücke zulassen, welche sich zwar in meinem Sinesischen Exemplare nur zufalligel'
Weise befand, die ich aber aus Mangel eines anderen Exemplars nicht ergänzen konnte" (S. XX).
Eine mögliche Erklärung für die zufällige Lücke im sinesischen Exemplar ist auch hier - wie in
der Geschichte des Agathon - der Rattenfraß. In einer Fußnote der Einleitung beldagt der Herausgeber-Übersetzer die unnütze Stiftung des Sultan Lolo, der alle Katzen auf Staatskosten fUttern ließ, weshalb diese aufhörten, Ratten zu fangen (vgl. Wieland: Der goldne Spiegel, S. 4). Die
,monumentale Leerstelle' im sinesischen Exemplar führt die beklagenswerten Folgen dieser
unnützen Idee vor Augen.
222
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
5. 5
,, ,
schichte der Rede-Kunst" propagiert: Er füllt die "Lücken" aus, "welche cl . G
schichtsschreiber gelassen hat".190 Indem der Herausgeber die ,monul1le~1 I
Leerstellen' des griechischen Manuskripts ergänzt, kommt eine Aufpfl'oPful1ltadelf,':J
namik in Gang, im Zuge derer der Herausgeber als Quasi-Autor auftritt, sob;~ y~
in die Textlücken seine eigenen Gedanken als Digressionen einschreibt. Diese' d:1
gressive Akt des Dazuschreibens erweist sich als doppelte performative Geste ~~dem Akt des Dazuschreibens wird eine parergonale Rahmung und eine parta~e It
diskursiven Ebenen vollzogen, Dort die auktoriale Intentionalität des griechisch
Autors, die finalisierend auf ein glückliches Ende abzielt; hier die editoriale Intee~
tionalität des deutschen Herausgebers, der reflektierend die performativen Rahmungsbedingungen eines poetologischen Konzepts reflektiert: ein Konzept, da
sich am Prinzip der Wahrscheinlichkeit orientiert. Das Wechselspiel dieser beideli--intentionalen Einstellungen zeigt sich an der "Apologie des griechischen Autots"
in der der deutsche Herausgeber als Geschichtsschreiber argumentiert, wenn er di~
,wundersame Poesie' des griechischen Autors auf ihr Verhältnis zum Wahrschein_
lichkeitsprinzip hin befragt:
Bis hierher scheint die Geschichte unseres Helden in hauptsächlichen Stücken, dem ordentlichen Lauf der Natur, und den srrengesten Gesetzen der Wahrscheinlichkeit so
gemäß zu sein, daß wir keinen Grund sehen, an der Wahrheit derselben zu zweifeln,
Aber in diesem eilften Buch, wir müssen es gestehen, scheint der Autor aus dieser unsrer Welt [, ..] ein wenig in das Land der Ideen, deI' Wunder, der Begebenheiten, welche
gerade so ausfallen, wie man sie hätte wünschen können, und um alles auf einmal zu
sagen, in das Land der schönen Seelen, und der utopischen Republiken verirret zu sein
(A, S. 512),191
Noch deutlicher wird der Herausgeber, wenn er kurz darauf bemerkt, der Schluß
der Geschichte zeichne sich durch eine "nicht allzuwahrscheinliche Verbindung
glücklicher Umstände" aus (A, S. 513), ja dem griechischen Autor bleibe bei seinem Versuch, dem Charakter des Romanhelden und damit dem Romanende die
"gehörige Konsistenz" (ebd.) zu verpassen, nur der diskursive "Sprung aus dem
Fenster" (A, S. 516). Hier wird deutlich, in welcher Form die Orientierung am
Prinzip der Wahrscheinlichkeit die Ebenendifferenzierung verstärkt: Während deI'
griechische Autor auf der intradiegetischen Ebene sein "nicht allzuwahrscheinliche[s]" Ende konstruiert, versucht der deutsche Herausgeber-Übersetzer, dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit zumindest auf der extradiegetischen Ebene Geltung zu
verschaffen. Allerdings werden die Verstöße des griechischen Autors gegen das Prinzip der Wahrscheinlichkeit nicht korrigiert, sondern die an seiner Erzählung festgestellten Widersprüche zwischen dem Wunderbaren und dem Wahrscheinlichen
werden als Symptomkommentare in den editorialen Rahmendiskurs integriert, Das
heißt, die auktoriale Intentionalität wird von der editorialen Intentionalität gerahmt. Dies belegt die folgende Passage, in der der Herausgeber schreibt:
190 Wieland: "Theorie und Geschichte der Rede-Kunst", § 10, S, 344,
191 Vgl. den Kommentar von Mayer: Der deutsche Bildungsroman, S, 32,
'S HERAUSGEBERS IN DER GESCHICHTE DES AGATHON
DIE FUNKTION OE
223
es will so beladet sich der Herausgeber, wie er
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'ich vielleicht manche, ungeachtet des Titels und der Vorre e,
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5,5.3 Die Darstellung der ,inneren Geschichte' als ,Originalzitat'
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b im Haupttext vollzogene strikte Ebenendifferen:-ierung führt
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224
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER Gl<."SCHICHTE DES AGATHON
ches (sichern Anzeigen nach) von der eignen Hand des Agathon sei, und wovon er
durch einen Freund zu Crotona eine Abschrift erhalten. Dieser Umsrand macht begreiflich, wie der Geschichtschreiber habe wissen können, was Agathon bei dieser und
andern Gelegenheiten mit sich selbst gesprochen; und schützet uns gegen die Einwürfe
die man gegen die Selbstgespräche machen kann, worin die Geschichtschreiber den Poe~
ten so gerne nachzuahmen pflegen, ohne sich, wie sie, auf die Eingebung der Musen
berufen zu können (A, S. 37 f.).
Diese metadiegetische Manuskriptfiktion läßt keinen Zweifel daran, daß die ,innere Geschichte' Agathons von keinem auktorialen Erzähler beschrieben, sondern
von einer editorialen Instanz zitiert wird. 192 Die relativ komplizierte Editionsgeschichte, die an die Stelle der für Herausgeberfiktionen typischen Auffindungsgeschichte tritt, dient dazu, die Authentizität des Tagebuchs aus "sicheren Anzeichen"
(A, S. 38) abzuleiten. Allerdings kann die Beurteilung dieser "sichern Anzeichen",
sofern sie sich auf die genuine Indexikalität des "von der eignen Hand" Geschriebenen stützen will, weder vom Herausgeber noch vom griechischen Autor vorgenommen werden, sondern muß sich auf jenen "Freund zu Crotona" berufen, von
dem der griechische Autor eine Abschrift des Tagebuchs erhalten hat. Des "ungenannten Verfassers" anonymer "Freund zu Crotona" übernimmt damit zwei Funktionen: Er ist erstens der einzige auktoriale Bürge für die Authentizität der
Geschichte Agathons, zweitens ist er der Kopist, der die Abschrift von Agathons
Tagebuch besorgt hat. Das heißt, der "Freund zu Crotona" koppelt als Greffierl93
die Transkriptionsfunktion mit der Beglaubigungsfunktion. Das Original des griechischen Autors, auf das sich der deutsche Herausgeber bezieht, erweist sich mithin selbst als zitierende Abschrift, die eine auktoriale Rahmung erfahren hat. Diese
auktoriale Rahmung unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der editorialen
Rahmung, denn beide Rahmungsverfahren setzen einen Al,:t des Zitierens voraus.
Die Darstellung der ,inneren Geschichte' Agathons ist so besehen das Resultat einer
Doppelrahmung, wobei die editoriale Tätigkeit des deutschen Herausgeber-Übersetzers eine Spiegelung der auktorialen Tätigkeit des griechischen Autors ist: Die
editoriale Tätigkeit des deutschen Herausgebers pfropft sich in Form der Transkriptions- und Kommentarfunktion der auktorialen Tätigkeit des griechischen Autors aufl94, die ihrerseits der Abschrift von Agathons Tagebuch eine finalisierende
192 VgL hierzu auch Buddecke: C. M Wielands Entwicklungsbegriff, S. 184, für den das Selbstgespräch das Instrument ist, "um Höhepunkre des inneren Vorganges einerseits durch inrensive
Besinnung festzuhalten und herauszuarbeiten, andererseits sie überhaupt erst zu schaffen".
193 VgL Dideror/d'Alembert (Hg.): Encyclopedie, Band 7 (1757), Srichworte "Greffe" und "Greffier", S. 924.
194 Die Möglichkeiten digressiver Übersetzerkommentare werden in Der goldne Spiegel ausgelotet
und potenziert. Dort wird eine mehrfach gerahmte Übersetzerfiktion eingeführt, das heißt, es
handelt sic~ um die Übersetzung einer Übersetzung einer Übersetzung. Das Werk ist, so der Herausgeber-Übersetzer in seiner Einleitung, ein Werk, "welches Hiang-Fu-Tse, ein wenig bekannter Schriftsteller, in den letzten Jahren des Kaisers Tai-Tsu, unter dem Nahmen des goldnen
Spiegels ins Sinesische, - der ehrwürdige Vater I.G.A.D.G.I. aus dem Sinesischen in sehr mittelmäßiges Latein, und der gegenwärtige Herausgeber aus einer Kopie der Lateinischen Handschrift, in so gutes Deutsch, als man im Jahre 1772 zu schreiben pflegte, übertragen wlirdig
5.5 DlE FUNKTION DES HERAUSGEBERS IN DER GESCHICHTE DES AGATHON
225
Tendenz aufpfropft. Diese doppelte Geste der Aufpfropfung pflanzt die "Rahrnenfunktion in den Romantext" ein195, sie eröffnet aber auch den Raum für metafiktionale Reflexionen und metaleptische Rahmenbrüche, die, obwohl sie eine
Metaebene zum Erzählen bilden, "gerade darum unverzichtbar zum Bau des Rornans selbst gehören",196 So schreibt der deutsche Herausgeber im vierten Kapitel
des achten Buchs:
[...] wir bedenken uns besser - was für Betrachrungen könnten wir anstellen, daß nicht
diejenige welche Agathon selbst, sobald er Muße dazu hatte, über sein Abenteur machte,
um soviel natürlicher und interessanter sein sollten, als er sich würldich in dem Falle
befand, worein wir uns erst durch Hülfe der Einbildungs-Kraft setzen müßten, und die
Gedanken sich ihm freiwillig darboten, ja wohl wider Willen aufdrangen, welche wir
erst aufsuchen müßten. Wir wollen also warten, bis er sich in der ruhigern Gemütsverfassung befinden wird, worin die sich selbst wiedergegebene Seele aufgelegt ist, das Vergangene mit prüfendem Auge zu übersehen (A, S. 330) .197
Die Pointe dieser Stelle besteht darin, daß die "Hülfe der Einbildungs-Kraft" gerade nicht in Anspruch genommen werden muß, weil sich der Protagonist "würklieh in dem Falle befand", in dem sich ihm Gedanken "darboten" beziehungsweise
"aufdrangen" (A, S. 330).198 Dabei wird Agathon als Augenzeuge seiner eigenen
,inneren Geschichte' in Szene gesetzt, die vom Herausgebers als innere Gedankenrede originalgetreu zitiert wird. Diese Konstellation mündet in eine "narrative Metalepse"199: Um nicht zum Dichter werden zu müssen, wartet der Herausgeberwir wollen also warten" - und bittet den Leser mit ihm zu warten, bis sich der
Protagonist "in einer ruhigeren Gemütsverfassung befinden wird", damit sich ihm
(dem Protagonisten) die Gedanken "freiwillig" darbieten, die der Herausgeber
sonst mit "Hülfe der Einbildungskraft" erfinden müßte.
Doch hier geschieht noch mehr: Der editoriale Al,:t des Zitierens kommt um der
,historischen Wahrheit' willen als Substitut des poetischen Alets der Erfindung ins
befunden hat" (Wieland: Der goldne Spiegel, S. 30 f.). Die verschiedenen Übersetzer werden zu
Reflexionsinstanzen, die sieh nicht nur immer wieder auf den Haupttext beziehen, sondern sich
wechselseirig kommenrieren. So wenn der lateinische Übersetzer den sinesischen Übersetzer des
Irrtums hinsichtlich seiner Anmerkungen zum Tempel der Isis zeiht und seinerseits vom deutschen Übersetzer und Herausgeber zurechtgewiesen wird (ebd., S. 228 f.).
195 Campe: Spiel der Wahrscheinlich/eeit, S. 327.
196 Ebd.
197 Zugleich handelt es sich hier um eine der Stellen, die Blanckenburg als Beispiel für die von ihm
geforderte Darstellung der "innern Geschichte" heranzieht, da die moralischen Betrachtungen
durch den Herausgeber-Erzähler darauf beschränkt werden, "sich selbst sein innres Seyn aufzuldären und Rechenschaft davon zu geben" (Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 407 f.).
198 Im Gegensatz dazu behauptet Preisendanz, in der Geschichte des Agathon ließen sich viele Stellen finden, "wo die Fiktion, es handle sich um eine historische Wirldichkeit, die dem Autor durch
historische Quellen bekannt wurde, aufgehoben wird und wo sieh die angebliche Geschichte als
Produkt der Einbildungskraft erweist" (Preisendanz; "Die Auseinandersetzung mit dem Nachahmungsprinzip", S. 87).
199 Genette: Die Erzählung, S. 168.
226
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
Spiel. Zugl~.ich.wird der Akt des Z~tiere.ns aber auch zum Verscl~windengebrflch;jfi';'
Dadurch namltch, daß der extradlegetlsche Herausgeber auf die Rede Agath t'LY"
Bezug nimmt, ohne die intradiegetische Instanz des griechischen Autors Zu b ...O;l~/
e
sichtigen. Das Resultat ist ein metaleptischer Rahmensprung: Der Herausgeblll.C,<auf einmal in der Lage, die innere Gedankenrede Agathons als quasi-auktoria~I;St
20o
stanz wiederzugeben. Der Herausgeber überspringt dabei die intradiegetisctEbene des griechischen Autors und tut so, als könne er Agathons Gedanken ~e
ein direktes Zitat anführen. Durch dieses ,Ausblenden' des griechischen AUtorsw;e
dazwischenliegende
·
..
, Zitierinstanz erfährt die innere Geschichte Agathons eine ,rl~t~
radlegetlslerung.
5. 5 DIE FUNKTIO
N DES HERAUSGEBERS IN DER GESCHICHTE DES AGATHON
227
Heraus eber in eine quasi-auktoriale Instanz verwan~elt,
·den sondern das den d' , ? Rahmen seiner Digressionen seine FunktIOn,
wer'
, .
d', . I
eb 'transzen lelt Im ,
Der l1erausg er. "
oder originalgetreu zu übersetzen: Mit semer .Igr~sslv~ 1
fremde Re,~e;ut~~~)~~4 wird er selbst zum Erzeuger originaler Re~~dd~ s a~~:
Methode ( "
, " , Geschichte Agathons aufgepfropft WH " en~
~orialer Diskurs au~ die z~t~l~~'~benten an gleicher Stelle davon abrät, seme dlgre,sBrausgeber dem Jung~ ( 1 A S 370) macht er freilich auch klar, daß sem
si:e
anzuwen
diskursiven Rahmen
quasi-aukto~'lalesJ?az~se~Ende der Geschichte: Der digressiven Dynamtl(:e~ ~?~
Method~
~ei~~~ z~al: eine~
etabli~ren kan~,
:~~~~~~:~'f~::~'~~,'~::,j:U~::~~:::;;~n~~e;;:~:,~nJ,:t~~,~~~
m
1
5.5.4 Die Digression als quasi-auktorialer Akt des Dazuschreibens
Die Modulation des Herausgebers zu einer quasi-auktorialen Instanz läßt sich insbesondere dort beobachten, wo der Herausgeber seine Kommentarfunktion ausführt, um den Text des griechischen Autors mit eigenen Digressionen zu rahlhell.
Dabei eröffnen Digressionen einen diskursiven Raum, in dem der Herausgeber als
Autor auftreten kann, insofern er dort seine eigenen Ideen mitteilt. 201 Dies betrifft
auch das Verwischen der Grenze zwischen eigener und zitierter Rede, So beginnt
das fünfte Kapitel des fünften Buches mit dem folgenden Zitat: ",Die Quelle der
Liebe', sagt Zoroaster, oder hätte es doch sagen können, ,ist das Anschauen eines
Gegenstandes, der unsre Einbildungskraft bezaubert'" (A, S. 148),
Mit dieser Rahmenkonfusion aus echtem Zitat und "Scheinzitat"202 erfahrt die
Transkriptionsfunktion des Herausgebers eine ironische Brechung: Er gibt mit seiner Formulierung "oder hätte es doch sagen können" zu verstehen, daß er hier dem
Konzept der ,wahrscheinlichen historischen Fiction' folgt. Damit räumt sich der
Herausgeber selbst das Recht ein, als Quasi-Autor aufzutreten, der historische Odginalzitate erfindet, Die zahlreichen Digressionen, Abschweifungen und ironischen
Irritationen sind nicht nur editoriale Kommentare, die das Zitierte reflektieren,
sondern autoreflexive, auktoriale Diskurse, in denen sich der Herausgeber als eigenständige und eigensinnige Aussageinstanz "selbst ins Spiel''203 bringt. Dergestalt erweist sich die Dynamik der Digression als parergonales Verfahren, durch das
nicht nur Originalmanuskripte gerahmt und narrative Aussageebenen getrennt
200 Vgl. hierzu Buddecke, der behauptet, der mit der Herausgeber- und Quellenfiktion einhergehende Anspruch auf "Geschichtlichkeit" impliziere eine "Begrenzung der Erzählperspektive",
denn die "Pflichten eines Geschichtsschreibers verbieten die Einnahme eines allwissenden Standpunktes" (Buddecke: C. M Wielands Entwicklungsbegriff, S. 217).
201 Die Digressionen werden auch im Hinblick darauf gerechtfertigt, daß die Geschichte des Agathon
ein Mißerfolg werden könnte (vgl. A, S. 147,355).
202 Vgl. Meyer: Das Zitat in der Erzählkunst, S. 91, der mit Blick auf diese Stelle den Begriff des
"Scheinzitats" beziehungsweise des "unzuverlässigen Zitats" einführt.
203 Müller: Wielands späte Romane, S. 24 f. Was Müller erst für den Goldnen Spiegel und den Danischmend feststellt, gilt insofern ansatzweise auch schon für den Agathon: Hier wie dort ist "Erzählen ein Sich-in-Szene-setzen des Erzählers" (ebd.),
ist, wenn man 11 all Das heißt der Herausgeber wird zwar zu emer quasz-au "205 herste en so .
,.
hens
. ht aber zu einer narratzven Instanz.
toria!en,
11lC
5.5.5 Das Verhältnis von ,Herausgeber,, ;Verfasser'cl
un ,Au tor'
fl d .C1 im Übergang vom fingierten Herausgeber
Die Geschichte des Agatho~ be meßt sld 1,
1 das Verhältnis von Autorschaft und
em Proze
el auc 1
'ff,
E "hl
zUlU fiktiven rza er -:
. , h' der mehrdeutigen Verwendung der Begn e
Herausgeberschaft b,emfft;, wledslc an ," zel'gt Die erste begriffliche Überlappung
'
" f' h
b " Vl 'fasser un Autor
,Herausge er '" er
'h
"d 'H usgeber zugleich als "Verfasser au SIC
,
. h' Vl rbenc l' wo et era
b '"
'T
ereignet SIC Im, 0
"hreibun en Verfasser" und "Herausge er 1m vort
Bezug nimn: . Dle~~n dl~ ~~s~beschreitun~ derjenigen Instanz, die als Herausged Herausgeber gegen Ende des Romans,
bericht der mtranSltlven e s ,
bel' das Vorwort verfaßt hat, so l11 mmt .er . h n Autor' als unseren Verfasser"
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Buch studieren, so lang IC e e ...
205 Engel: Der Roman der Goethezeit, S. 111.
228
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
Die Frage, wer mit "Verfasser" gemeint ist und wer mit "Der Herausgeber" unterschreibt, ist hier schwieriger zu beantworten als im Vorbericht. Die Bezeichnun
"Verfasser" kann sich nämlich nicht nur auf den griechischen Autor beziehen, son~
dern auch auf jene Instanz, die für die Disposition des Gesämttextes verantwOrt_
lich ist. Die Bezeichnung "der Verfasser" steht in diesem Falle wahlweise für einen
implied author als Abbild des realen Autors Wieland 206 oder für eine disktll'Siv
Strategie, die im Rahmen eines editorialen Dispositivs alle Ebenen des Textes ko~
ordiniert. Doch welche Instanz unterschreibt dann mit "Der Herausgeber"? Offensic~tlich .führt die Fußnote einen konstitutiven Akt der Selbstrahmung vor, bei
dem sICh mit dem "Verfasser" und dem "Herausgeber" zwei quasi-auktoriale Instanzen am Rand des Textes begegnen. Der "Verfasser" ist diejenige Instanz, die für
die Ausführung der Geschichte zuständig ist. Der "Herausgeber" kommentiert und
reflektiert dagegen die performativen Rahmungsbedingungen - hier sind es die
Hindernisse, die der Ausführung der Idee des Verfassers im Wege standen. Dabei
übel'l~immt der Heraus~ebe.r gegenüber dem Verfasser nicht nur eine RahmungsfunktIon, sondern er weIst SIch als allwissende, auktoriale Instanz aus: er weiß, daß
der Verfasser seine Idee "lange mit sich herumtrug", kennt mithin dessen ,innere
C?eschichte'. Die Differenzierung zwischen ,Verfasser' und ,Herausgeber' erweist
SIch so besehen als Binnendifferenzierung eines impliziten, auktorialen Bewußtseins, das seine Funktion als Autor im Rahmen einer Herausgeberfiktion ausführt.
Die Unterschrift "Der Herausgeber" fungiert dabei als Prosopopoiia der Funktion
Herausgeber: als rhetorische Maske eines editorialen Dispositivs.
. B~stätigt wird diese These in der unmittelbar darauffolgenden, letzten Fußnote,
dIe ewe Bemerkung über die "Grundsätze des Aristipp" kommentiert. In dieser
Fußnote heißt es: "Dieses Urteil von der Philosophie Aristipps, und dem Charakter, mit welchem er im Agathon aufgeführt ist, hat unser Autor (wenn wir nicht
irren) durch die ausführliche Darstellung, die er von beiden in seinem Kommentar über die Horazischen Episteln gemacht hat, hinlänglich gerechtfertigt. Der Herausgeber" (A, S. 584).
Wurde in der Geschichte des Agathon durchgängig nur der griechische Autor als
Autor bezeichnet, so nimmt diese Fußnote eine Modulation des Begriffs ,Autor'
vor: "Unser Autor" ist nicht mehr der griechische Autor, sondern der KommentatOr der Horazischen Episteln - ein Text, der von Wieland verfaßt wurde. 207 Die
Kennzeichnung "unser Autor" bezieht sich also offensichtlich auf die Funktion
Autor, die Wieland als Verfasser der Geschichte des Agathon und als Verfasser ande206 Das Problem der realen Autorschaft taucht auch an einer Stelle des Vorberichts auf, an der eine
F.ußnote erwähnt wird (A, S. 14), die in der ersten Fassung von 1766 von Seiten des Verlegers
el1lgefü~t wurde, offenbar mit der Absicht, das Gespräch zwischen Hippias und seinem Sldaven
gegen E1I1wände der Zensur abzusichern (vgl. Mangel': "Stellenkommentar" ZUl' Geschichte des
Agat,hon, S. 968 ff.). Dabei srelh sich die Frage, welche Instanz auf diesen Eingriff des Verlegers
reagIert.
207 Wieland besorgte Übersetzung und Kommentar der horazischen Episteln, die allerdings erst 1782
erschienen - insofern kann man das oben angeführte Argument nur mit Einschränkung gelten
lassen.
5.5 DIE FUNKTION DES HERAUSGEBERS IN DER GESCHlCHTE DES AGATHON
229
rer Texte hat. Doch auch hier stellt sich die Frage: Welche Instanz tritt in der Klammer ,,(wenn wir nicht irren)" auf und signiert mit "Der Herausgeber"? Die Signatur "Der Herausgeber" ist auch hier als Prosopopoiia der Funktion Herausgeber zu
verstehen, die einen Akt der Selbstrahmung beglaubigt. Ein Akt, bei dem sich der
Autor nicht zum Verschwinden bringt, sondern bei dem Autorschaft als eine Form
der Selbstherausgeberschaft vorgeführt wird. 20B
5.6 Zusammenfassung
Im Vorangegangenen hat sich gezeigt, daß der Vorbericht zur Geschichte des Agathon eine Modulation des Verhältnisses von Autor und Herausgeber vorbereitet,
indem er die Kopplung von Herausgeber und Geschichtsschreiber einerseits sowie
von Autor und Poet andererseits löst. Der poetische Geschichtsschreiber erfindet
als Autor eine ,wahrscheinliche, historische Fiction', die er mit der intentionalen
Einstellung eines Geschichtsschreibers wiedergibt und widerspruchsfrei mit der
Rolle des Poeten verldammert. 209 Zugleich aber, und das erweist sich als "signifikante Struktur"210 der im Agathon latent zu beobachtenden Rahmungsstrategie,
wird mit dem Versuch, Poet und Geschichtsschreiber in ein widerspruchsfreies Verhältnis zu bringen, ein doppelter performativer Widerspruch in Szene gesetzt. Der
erste performative Widerspruch folgt aus der Selbstbeschreibung des Vorredenverfassers als ,Herausgeber', der als Herausgeber die Fiktionalität des Haupttextes eingesteht. Der zweite performative Widerspruch folgt daraus, daß das im Vorbericht
entworfene Konzept eines poetischen Geschichtsschreibers im Haupttext nicht eingelöst wird, sondern der Herausgeber versucht, die Ebenen des Geschichtsschreibers und des Poeten sauber zu trennen.
Der durch den Vorbericht ins Werk gesetzte, doppelte performative Widerspruch spiegelt sich also in den narrativen Strategien des Romans wider. Das
"Romanschlußproblem"211 auf der intradiegetischen Ebene gründet auf einem Widerspruch zwischen der für die histoire geforderten Befolgung des Kausalitätsprinzips und der finalisierenden Tendenz, die den discours des griechischen Autors auszeichnet. Parallel dazu wird auf der extradiegetischen Ebene des deutschen
Herausgeber-Übersetzers ein Widerspruch in Szene gesetzt, der sich aus der Art
208 Die These von AUl'Orschafr als Selbstherausgeberschaft wird auch unter editionstheoretischen
Vorzeichen evident, insofern Wieland in der "Ausgabe von der letzten Hand" "die Funktion des
Autors mit der des Editors" vereinigt (Kitder: "Literatur, Edition und Reprographie", S. 212).
209 Breitinger: Critische Dichtkunst, Bd. I, S. 263.
210 Derrida: Grammatologie, S. 273.
211 Vgl. hierzu Hoffmann: Aufklärung, S. 126, der das ,Romanschlußproblem' der ersten Fassung
als diskursives Scheitern auffaßt.
230
5. DER PARATEXTUELLE RAHMEN DER GESCHICHTE DES AGATHON
und Weise ergibt, wie die editoriale Tätigkeit ausgeführt wird: Der Herausgeber_
Übersetzer ist im Rahmen seinerTranskriptionsfunktion dazu verpflichtet, die Erzählung des griechischen Autors auch dann noch originalgetreu zu präsentieren,
wenn diese dem poetologischen Konzept einer ,wahrscheinlichen historischen Fietion' widerspricht. Das Dilemma dieses Konzepts besteht darin, daß jeder editoriale Eingriff in die Erzählung den Herausgeber zu einer unzuverlässigen Instanz
werden läßt, welche die ,historische Wahrheit' des Manuskripts verfälscht. 2l2 Jedes
Nicht-Eingreifen unterminiert dagegen das vom Herausgeber im Vorwort gegebene poetische Wahrscheinlichkeitsversprechen, daß alles "mit dem Lauf der Welt"
übereinstimmt. Die Funktion Herausgeber ist insofern in einem poetologischen
double-bind gefangen und befindet sich im Übergang zwischen der Maske eines
fingierten Herausgebers und der Figur eines quasi-auktorialen Herausgebers.
Die Geschichte des Agathon schwankt zwischen dem im Vorbericht entfalteten
Konzept, ,historische Wahrheit' als Prädikat für eine ,wahrscheinliche historische
Fiction' zu verwenden, und der im Haupttext mit Blick auf die historische Monumentalität des Manuskripts in Szene gesetzten "Tatsächlichkeits-Vorspiegelung".2l3 Zwar wird damit das im Vorbericht skizzierte Konzept durch den
Haupttext dementiert, doch zugleich wird dieses Dementi selbst "zum integralen
Moment des Werkes"2l4, nämlich zur "autopresentation du concept".2l5
Der inszenierte performative Widerspruch zwischen den poetologischen Entwürfen des Vorworts und der Nicht-Einlösung dieser Entwürfe im Haupttext initiiert als "Demontage des vom Erzähler präsentierten Programms"2l6 eine "Dekomposition der vom Leser erwarteten Erzählstrukturen":2l7 Der von Wieland
entworfene Modell-Leser soll der "die Widersprüche des Romanexperiments erkennende ,philosophe'" werden. 2l8 Der Roman zielt darauf ab, den Leser durch
eine Modulation seines Deutungsrahmens in einen philosophischen Leser zu ver..
wandeln. Dies ist freilich nur dann möglich, wenn der Leser eine interpretative
Aufpfropfung vollzieht: Er muß seine Aufmerksamkeit von der illokutionären
Ebene der Wahrheits- und Wahrscheinlichkeitsversprechen auf die indexikalische
Ebene des Textes verschieben. Mit dem Vollzug dieser interpretativen Aufpfropfung lassen sich die performativen Widersprüche des Textes als inszenierte, genuine
212 An diesem Dilemma ändern auch die Modifikationen der Fassung von 1773 und 1794 nichts.
Zwar muß man Schaefer Recht geben, wenn diesel' von "eminent wichtigen Änderungen"
spricht, die Wieland in der Fassung letzter Hand von 1794 mit der Streichung der "Apologie des
griechischen Autors" und dem Hinzufügen der "Geheimen Geschichte der Danae" sowie des Archytas-Teils vornimmt (Schaefer: "Der Schluß von eh. M. Wielands ,Geschichte des Agathon'
- Ein Werk in Wandlung", S. 46 fE.); allerdings werden damit keineswegs die performativen Widersprüche zwischen den diskursiven Positionen aufgehoben, die der deutsche Herausgeber und
der griechische Autor jeweils verkörpern.
213 Berrhold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S. 136.
214 Frick: Providenz und Kontingenz, S. 464.
215 Derrida: "Hors livre. Prefaces", S. 22.
216 Erharr: Entzweiung und Selbstaufklärung, S. 93.
217 Ebd., S, 94.
218 Ebd" S. 97,
5.6 ZUSAMMENFASSUNG
231
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die zugleich den Charakter von degenerierten Indices hab~n und
In d lces eu en,
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dadurch zu Fiktionssignalen werden. In dieser doppe ten n ex\t ~at s~ ~m de
ellative Instruktionscharakter"219 des Textes auf: ei,n Appe. ' . er SiC a.i: ~s
~~'~ögen des Lesers richtet, das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion selbstandig
zU reflektieren.
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219 Iser: Der Akt des Lesens, S, 107,
6. VOM HERAUSGEBER ZUM
ERZÄHLER:
DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
. Feststellung, daß es sich bei den Leiden des jungen Werthers nicht mehr um
o,le Briefroman im eigentlichen Sinne handele, gehört zu den Gemeinplätzen der
~n~l~hungsliteratur.l Insofern der Herausgeber ausschließlich Werthers Briefe prä, ersetzt er den für die Briefromane Richardsons und Rousseaus typischen
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e~~'kenswerterweise wurde eine Konsequenz dieser Modulation des Briefroman3
IronzeptS bislang e~er b?iläufig thema:isiert. In. den Leiden des junr;en Werthers
vollzieht sich nämlich mit der Modulation des Bnefromankonzepts el11e Transformation der Funktion des Herausgebers als maßgeblicher Aussageinstanz: Im Werther läßt sich die Geburt des Erzählers aus dem Geist der Herausgeberfiktion
beobachten. Eben hierin liegt meines Erachtens einer der wichtigsten Gründe für
die "einzigartige Stellung"4 dieses Werks in der Geschichte des europäischen Ro-
or:
mans.
Die Geburt des Erzählers aus dem Geist der Herausgeberfiktion findet im sogenannten Berichtteil des Werther statt - in jenem letzten Viertel des Romans also,
in dem sich der Herausgeber an den Leser wendet. Während sich der Berichtteil
unter poetologischen und narratologischen Gesichtspunkten als überraschend innovativerweist, erscheint der Briefteil zunächst als überraschend rückschrittlich.
Ganz im Gegensatz zum Herausgeber der Geschichte des Agathon macht der Herausgeber des Werther im Briefteil keinen Gebrauch davon, "sich in seinem Werk
selbst zu seiner Erzählweise raisonierend zu äußern". 5 An die Stelle komplexer pa7
ratextueller Rahmenreflexionen 6 und paradoxer Rahmenkonfusionen tritt im
Briefteil des Werther eine Form der Authentizitätssuggestion, die auf "Topoi der
traditionellen Briefroman-Vorrede" anspielt8 , indem sie "Wirldichkeitsanspruch"9
erhebt. Die Frage "fingiert (oder nicht fingiert?)"10 wird - anders als in der Nou1 Vgl. u. a. Flaschka: Goethes, Werther', 5. 183, sowie Haverkamp: "Illusion und Empathie", 5. 257.
2 Mattenldott: "Die Leiden des jungen Werthers", 5. 69.
3 Ausnahmen bilden Flaschka: Goethes, Werther', 5. 182 ff., sowie Nelles: "Werthers Herausgeber",
5.2
4 Mattenldott: "Die Leiden des jungen Werthers", 5. 67. Vgl. auch Wellbery: "Morphisms of rhe
Phantasmatic Body: Goethe's ,The 50rrows ofYoung Werther"', 5.181.
5 Lämmert: "Goethes empirischer Beitrag zur Romantheorie", 5. 11.
6 Vgl. Weber: Die poetologische Selbstreflexion im deutschen Roman des 18. Jahrhunderts, 5. 20.
7 Vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, 5. 415.
8 Sauder: "Die Leiden des jungen Werthers", 5, 772.
9 Waniek: "Werther lesen und Werther als Leser", S. 52. Vgl. auch Miller: "Die Rollen des Erzählers",
5.67, sowie Nelles: "Werthers Herausgeber", 5. 7.
10 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, 5. 414.
234
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WhllTHERS
velle HrJloi'se oder der Geschichte des Agathon - nirgendwo aufgeworfen, vielmehr
präsupponiert die Vorbemerkung unhinterÜagt, daß es sich um "gefundene Briefe"
handelt, die von einem "verläßlichen Herausgeber"ll präsentiert werden. Damit
dementiert der Text sowohl das poetologische Konzept der Authentizitätsfiktion,
die ein durchsichtiges So-Tun-Als-Ob in Szene setzt, als auch das der "factual Bction"12, welche die Frage der Authentizität ostentativ offenläßt. Dennoch fallen_
so möchte ich behaupten - die Leiden des jungen werthers nicht hinter die Rahmungsstrategien der Nouvelle HrJloi'se und der Geschichte des Agathon zurück, sondern bringen vielmehr ein neuartiges Authentizitätskonzept in Anschlag. Daher
möchte ich ldären, welche diskursive Funktion die Authentizitätssuggestion in den
Leiden des jungen werthers hat und wodurch sie sich von den Beglaubigungsstrate_
gien anderer Herausgeberfiktionen abhebt.
6.1 Exposition des Fragehorizonts
Viele Versuche, die Besonderheit der Herausgeberfiktion im werther vor dem Hintergrund der europäischen Briefromantradition und der poetologischen Debatte
der Wahrheitsansprüche des Romans herauszuarbeiten, gehen nicht wesentlich
über das hinaus, was sich über die Herausgeberfiktion im allgemeinen sagen läßt.
Flaschka zufolge tritt der Herausgeber der Leiden des jungen werthers als "Gewährsperson"13 und als "notwendige Instanz für die Redaktion der Briefe" auf 14 , wodurch es dem Autor gelingt, "die verlorengegangene epische Überlegenheit des
Erzählers auf anderem Wege wieder zurückzugewinnen".15 Diese Behauptung erscheint jedoch allein schon deshalb unplausibel, weil der Roman des 18, Jahrhunderts - bis auf wenige Ausnahmen - auf das Konzept der Herausgeberfiktion
rekurriert: ein Konzept, das noch gar keine "epische Überlegenheit des Erzählers"
kennt. Insofern kann diese Überlegenheit beim Erscheinen der Leiden des jungen
Ft'rthers, also 1774, auch noch nicht verloren gegangen sein - im Gegenteil: diese
Uberlegenheit mußte überhaupt erst gewonnen werden. Ich möchte daher im Folgenden die These vertreten, daß die Pointe des werther darin besteht, erstmals so
etwas wie ,epische Überlegenheit' in Szene zu setzen, und zwar nicht wegen, son11
12
13
14
Haverkamp: "Illusion und Empathie", S. 257,
Vgl. Davis: Factual Fiction, S, 36.
Flaschka: Goethes, Werther; S. 183.
Ebd., S. 185.
15 Ebd. Vgl. auch Miller: "Die Rollen des Erzählers", S. 67, der die meines Erachtens ebenfalls unzutreffende Behauptung aufstellt, daß die "erschöpften" Möglichkeiten des Briefromans Goethe
dazu "zwingen", "in einer besonders ausgeprägten Weise die HerausgeberEiktion für den Anfang
ins Spiel zu bringen" (ebd.).
6.1 EXPOSITION DES FRAGEHORIZONTS
235
dem trotz der Herausgeberfiktion, Anders gewendet: Im ?1erthe~ g~win~t, der Erähler seine Überlegenheit im Rahmen der Herausgeberfiknon, Dies Impl1Z1ert aber
z h daß es im werther zu einer Interferenz der Funktion Autor und der Funkauc ,
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B ' fi 'I
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' n Herausgeber kommt: eine Interferenz, die im Ubergang vom ne tel zum euo
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sichtbar wird, Während der Herausgeber des Bne
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fünf Fußnoten in "konzentrierter Knapp h'''16
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g, ut der Herausgeber im Berichtteil zugleich eine narrative FunktiOn: Er
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integriert die schriftlichen Zeugnisse Werthers in einen Rahmen IS mrs, 111 em er
1 Herausgeber-Erzähler"17 die Geschichte der letzten Tage Werthers rekonstru~e:~~d darstellt, Dabei vollzieht sich mit dem Übergang vom Briefteil zu~ Berichtteil eine doppelte Transformation: Zum einen wird aus dem finwert~n
Herausgeber des Briefteils nun ein fiktiver Herausgeber l8 , zum and~l:en trltt dl~
ser fiktive Herausgeber auch als fiktiver auktorialer Er,zähler a~f - freilich ohne die
Authentizität des gerahmten Materials jemals in Zweifel zu Ziehen.
,
Bei genauer Betrachtung läßt sich meines Erachtens sogar feststel.len, daß HD
Werther - parallel zur Interferenz der Funktion ~ut~r und der Funkn~n He:'au~eber - die Interferenz zweier Authentizitätsbegnffe 111 Szene gesetzt wud: Die hl~torische Authentizität der präsentierten Schriftstücke wird m,it d~r e~otion,alen
Authentizität der Leseeindrücke gekoppelt. Anstatt den Leser 111 e111e distanzierte
Haltung zum Text zu versetzen, appelliert der Herausgeber an ~as Gefühl und das
"mitempfindende Verständnis der Leser"19, die den Wahrheltsgehalt d~r "Geschichte des armen Werther" in der vom Herausgeber vorausgesagten ~motlOn~en
Reaktion "beglaubigt finden werden",2o Dergestalt wir~ ?er L~ser 111, eben Jene
Logik des Gefühls und des ,sympathet~schen Vers:ehens 111te?nel:t, d~e ~erther
Leiden verursacht, Werthers Leiden Wird durch die ErfolglOSigkeit se111el Suche
nach "Einzigartigkeit und Authentizität"21 hervorgerufen, ~ine Suche, die so nur
möglich ist, weil sich mit der Epoche der Empfindsamkelt, un.d, des Sturm und
Drang die Authentizitäts- und Originalitätserwartungen radlkaltslere~,
.,
In den Briefromanpoetiken Richardsons und Gellerts verdanke~ SICh On~111a
lität und Authentizität dem Umstand, daß die Briefe als eigenhändig Geschnebenes vorgestellt werden, die - written to the moment- existentiell mit dem Herz des
16 Waniek: "Werther lesen und Werther als Leser", S, 5 , 1 . .
"
17 Vgl. Voßkamp: "Dialogische Vergegenwärtigung beull Schreiben und Lesen, S. 94.
18 Vgl. Ansorge: Art und Funktion der Vorrede im Roman, S. 17.
19 Waniek: "Werther lesen und Werther als Leser", S, 52, Vgl. auch Müller-Salget: "Zur ~t~'uktur von
Goethes ,Werther"', S. 541, dem zufolge die "überkommene Figur des Her.ausgebers Im Werther
gerade nicht dem Zweck dient, "den Leser in eine distanziert-kontempl~tlve Haltun~. zu versetzen". Vielmehr lasse Goethe den Herausgeber"unverstohlen und suggestiv an das. Gefuhl des Lesers appellieren" (ebd.). Nach Jäger strebt die Vorbemerkung des Herausg~bers "mit der We~dung
an das Herz des Lesers, mit der Personalisierung des Leserkontaktes ein Seelen- und ~Ieund· typISC
. h'Ist "(J"ager:" DI e Wer schaftsverhältnis zur Literatur an, wie es für die Emp Ei111 d samI(elt
therwirkung. Ein rezeptionsästhetischer Modellfall", S. 395).
20 Waniek: Werther lesen und Werther als Leser", S. 52.
21 Erhart: "Beziehungsexperimente. Goethes Werther und Wielands Musarion", S. 345.
236
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
Voe:fassers und der Geste der Skription22 relbt sind. Zugleich hängt die Authent~z~tät aber auch davon ab, da~ die Briefe seitens des Herausgebers ,originalgetreu'
zitlert werden. Im letzten Dnttel des 18. Jahrhunderts wird dieses Originalitätsund Authent~itätskonzeptdurch Youngs Thesen zum Original-Kunstwerk, aber
auch durch dIe :,on Herder und Lavatel' entfachte Debatte U,m den Ursprung der
Sprache emphatlsch aufgeladen. Originalität und Authentizität werden nun daran
rückgebunden, daß das Individuum in der Natur verwurzelt ist und dieses Verwurzeltsein in seinen Schriften zum Ausdruck kommt. Das heißt, Originalität wird
zu einer Gabe der Natur, die es authentisch auszudrücken gilt. Diese Differenz zwischen alten und neuen Originalitäts- und Authentizitätskonzepten wird in den Leiden des jungen Wt:rthers an der Ebenendifferenz von Rahmen und Gerahmtem
deutlich: Auf der extradiegetischen Ebene der Herausgeberfiktion wird Authentizität im Sinne der Briefromanpoetik suggeriert, während auf der intradiegetischen
E?ene Werthers erfolglose Suche nach Authentizität und Originalität vorgeführt
WIrd.
6.2 Das Vorwort der Leiden des jungen Werthers
Die Leiden des jungen Wt:rthers beginnen mit der berühmten Vorbemerkung des
Herausgebers:
Was ich von der Geschichte des armen Werther nur habe auffinden können habe ich
mit fleiß gesammlet, und leg es euch hier vor, und weiß, daß ihr mir's dank~n werdet.
Ihr ~cönnt seinem Geiste und seinem Charakter eure Bewunderung und Liebe, seinem
SchIclcsale eure Thränen nicht versagen. Und du gute Seele, die du eben den Drang
fühlst wie er, schäpfe Trost aus seinem Leiden, und laß das Büchlein deinen Freund
seyn, wenn du aus Geschick oder eigener Schuld keinen nähern finden kannst! (w,
S. 11).
Die Differenz zwischen dieser Fassung der Vorbemerkung des Herausgebers von
1787 und der Erstfassung von 177423 beschränkt sich auf minimale orthographische Abweichungen. 24 Die signifikanteste Änderung betrifft das Ausrufezei22 Vgl. Barthes: "Variation sur l'ecriture", S. 1535.
23 Zur Textgeschichte der Leiden des jungen Werthers vgl. den Kommentar von Wiethölter und Brecht
in der Frankfurter Ausgabe von Goethes Sämtlichen Werken, S. 916. Hier werden die beiden Fassungen von 1774 und 1787 im Paralleldruck präsentiert. Zur Editionsgeschichte vgl. auch Mattenklott: "Die Leiden des jungen Werthers", S. 58.
24 So wird in der ersten Fassung "weiß" mit "s" geschrieben und bei dem Satz "Ihr könnt seinem Geiste und seinem Charakter eure Bewunderung und Liebe, und seinem Schicksale eure Thränen
nicht versagen" ist das "und" vor "seinem Schicksale" gestrichen.
6.2 DAS VORWORT DER LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
237
chen am Ende der Vorbemerkung. Dieses Ausrufezeichen macht den performativen Status des Satzes explizit und unterstreicht dadurch den ohnehin sehr direktiven Charakter der drei Sätze der Vorrede. Dem Leserappell an die "gute
Seele", Trost zu schöpfen und das Büchlein als guten Freund aufzufassen, ist die
gleichfalls direktiv gefaßte Behauptung vorangegangen, daß man dem "Geiste"
Werthers und "seinem Schicksale" die "Thränen" nicht versagen könne - hier
wird durch den Herausgeber en detail der perlokutionäre Effekt fest- und vorgeschrieben, den der Leser der Geschichte Werthers schuldig ist: Vom Leser werden
nicht nur Bewunderung und Liebe, d. h. eine innere, emphatische Einfühlungsleistung, sondern auch Tränen als äußere, genuine Indices der einfühlenden Anteilnahme gefordert. 25 Der Hinweis auf die "Thränen", die man Werthers
Schicksal nicht versagen kann, dient dazu, einen empfindsamen Freundschaftsvertrag zwischen dem Herausgeber, dem Leser und dem Büchlein zu stiften.
Dabei sind die "Thränen" die Tränen der "guten Seele", die nicht als kollektives
Lesepublikum, sondern als vereinzeltes, lesendes Individuum angesprochen wird.
Dies signalisiert der Übergang vom "ihr" zum "du"26, auf den in der Erstausgabe
zusätzlich dadurch verwiesen wird, daß an dieser Stelle die Seite umgeblättert werden muß.27
Der erste Satz der Vorbemerkung beschreibt die drei typischen Akte, welche die
editoriale Tätigkeit prima facie umfaßt: das Auffinden, Sammeln und Vorlegen von
Geschriebenem. Der letzte Teil des ersten Satzes leitet dagegen eine recht selbstgewisse Leseransprache ein. Der vom wissenden Vorwortverfasser antizipierte Dank
des Lesepublikums gibt den perlokutionären Rahmen vor, in dem sich die im zwei25 Zum Problem des natürlichen Zeichens in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts vgl. Wellbery: Les-
sing's Laocoon, S. 26 f.
26 Dieser Übergang findet sich auch in dem von Gräf präsentieren Entwurf für das Vorwort zum
Werther, der mutmaßlich im März 1774 entstand. Dort heißt es: ,,[...] lege euch seine Verlassenschaft hier ziemlich vollständig vor. Schöpfe nicht nur wollüstige Linderung aus seinem Leiden,
lass, indem du es liesest, nicht den Hang zu einer unthätigen Missmuth in dir sich vermehren, sondern ermanne dich und lass dir dieses Büchlein einen tröstenden Freund sein, wenn du aus Geschick oder eigener Schuld keinen nähern finden kannst, dem du vertrauen magst und der seine
Erfahrungen mit Klugheit und Güte auf deinem Zustande anzupassen und dich mit oder wider
Willen auf den rechten Weg zu leiten weiss. Dadurch bin ich angetrieben worden den Fussstapfen
des Unglücldichen emsiger nachzugehen, ich habe seine Freunde vermocht, mir manche ZUl'ückgehalrnen Papiere mitzutheilen und daraus einige Unrichtigkeiten der Abschreiber verbessern, und
hier und da eine Lücke allsfüllen können, und wünsche, dass euch diese Bemühung angenehm
sein möge" (zit. nach Gräf: Goethe fiber seine Dichtungen, S. 500 f.). Flaschka bemerkt, im Vergleich zu dem Entwurf des Vorworts falle auf, "daß Goethe den geradezu aufdringlich zur Identifil<ation mit dem Werk auffordernden Vorwortentwurf abschwächt und dem Herausgeber in der
Endfassung weit mehr Zurücld1altung auferlegt" (Flaschka: Goethes, Werther', S. 185). Die "Imnzentrierte Knappheit" (Waniek: "Werther lesen und Werther als Leser", S. 51) des Vorworts
gegenüber seinem Entwurf zeigt sich auch daran, daß die Details der Auffindungs- und Editionsgeschichte weggelassen werden. Im Vorwort findet sich weder ein Hinweis darauf, daß "zurückgehaltene" Papiere mitgeteilt werden, noch daß der Herausgeber Korrekturen oder Konjekturen
vorgenommen hat.
27 Faksimiledruck der Ausgabe der Leiden des jungen Werthers in der Weygandschen Buchhandlung
von 1774, S. 31/32. Vgl. auch Waniek: " Werther lesen und Werther als Leser", S. 54.
238
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DESJUNGEN WERTHERS
ten und dritten Satz geforderte einfühlende Anteilnahme abzuspielen hat. 28 Dankbar .für die G.eschichte de~ armen Werther ist nämlich nur derjenige, der seinem
Schicksale seme Tränen nicht versagen kann, beziehungsweise derjenige, der aus
d~m B~chlein Trost ~chöpft. Zugleich werden die Tränen als sichtbare genuine Ind~ces el11es vorgeschnebenen perlokutionären Effekts zum Selektionskriterium für
die erlesen~ Lek~üre- ~nd Interpretationsgemeinschaft der Leiden des jungen wer"
thers. Dabei schlteßt dieses Kriterium apriori niemanden aus, sondern es schließ
aposteriori - nach der Lektüre des Buches - all jene ein, die ihr Einfühlungsver~
mögen tränenreich unter Beweis gestellt haben. 29
Der erste Satz der Vorbemerkung ist indes nicht nur eine Beschreibung der verschiedenen Operationen der editorialen Tätigkeit, sondern auch ein assertiver
Sprechakt, der das Auffinden und Sammeln in einem Behauptungssatz als Tatsache. feststellt - ein Assertiv, von dem das Lesepublikum der ersten, anonym erschienenen Ausgabe von 1774 noch nicht weiß, daß es sich um ein fiktives Assertiv
handelt, zumal auch jede Gattungsbezeichnung auf dem Umschlag und dem Titelblatt fehlt. 30 Der erste Satz der Vorbemerkung erweist sich als "narrative Implikatur"31, die den logischen Status des Haupttextes betrifft. Es handelt sich um die
Aussage eines anonymen Herausgebers, der fingiert, daß es Schriftstücke - Werthers Briefe an Wilhe1m - gibt, die er "gesammleI''' hat und nun dem Lesepublikum
vorlegt. Dies wirft quasi automatisch die Frage nach der ,Authentizität' der Briefe
auf - eine Frage, die jedoch in der Vorbemerkung zum Werther - anders als in
~ousseaus N~~velle I!eloi's~ oder in Wielands Geschichte des Agathon - überhaupt
nicht themattslert Wird. Die Vorbemerkung setzt vielmehr unreflektiert eine Allthentizitätssuggestion ins Werk, die durch die insgesamt fünf Fußnoten des Briefteils und die Erzählung des Herausgebers von den letzten Tagen Werthers im
Berichtteil noch verstärkt wird.
Durch die Art und Weise, wie der Herausgeber mit dem ersten Satz die Akte des
Auffindens, Sammelns und Vorlegens beschreibt, simuliert er nicht nur ein "seriöses Vorwort"32, sondern sein editorialer Stil verweist als inszenierter, genuiner Index
28 ~er einkalkulierte Dank im Vorwort ist für Flaschka ein Indiz dafür, "wie sehr der Herausgeber
die Gefühle und die Gestimmtheit seines Publikums einzuschätzen weiß und sich innerlich mit
diesem verwandt fühlt" (F1aschka: Goethes, Werther', S. 186).
29 Nach Wanie~{ engt. die "vor,;egnehmend postulierte Übereinstimmung von Lesererwartung und
Herausge~el'lntent1on [...] die offene Grundlage des mit der Lelnüre immer eingegangenen Vertr~ges zWlsc~en Autor und Leser bezeichnend ein: Einsprüche werden, wenn auch nicht erfolgreich abgeWiesen, so doch von v01'11herein erschwert" (waniek: "Werther lesen und Werther als
Leser", S. 53): Zl~r Funktion der Empathie als "hermeneutische[r] Grund,operation, die der Wirkung der !lh~slOnl11 der Lelnüre zugrundeliegt", vgI. Haverkamp: "Illusion und Empathie", S. 246.
30 VgI. FaksllnIledruck der Ausgabe der Leiden des jungen Werthers in der Weygandschen Buchhandlung von 1774. Nach Nelles fungiert die editoriale Vorbemerkung daher "nicht nur als Vorwort
für das folgende Buch, sondern auch als nachgestellte Erläuterung zu den auf seinem Titelblatt vermerkten respektive verschwiegenen Angaben, die gleichsam Instruktionen für die Lektüre liefe1'l1,
noch bevor der Leser einen Blick in das Innere des Werkes geworfen hat" (NelIes: Werthers Herausgeber", S. 7).
"
31 VgI. Henry: PretendingandMeaning; 5.107.
32 Genette: Paratexte, S. 266.
6.2 DAS VORWORT DER LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
239
auf seine diskursive Persönlichkeit. Die Formulierung "Was ich von der Geschichte
des armen Werther nur habe auffinden können" impliziert einen gewissen Vollständigkeitsanspruch, der mit der Formulierung "habe ich mit Fleiß gesammlet"
noch unterstrichen wird. Der Herausgeber beschreibt jedoch nicht allein den Aufwand, welchen er beim Auffinden und Sammeln betrieben hat, sondern er behauptet auch, daß er den Lesern das, was er nur habe auffinden können, "hier"
vorlegt. Dieses "hier" bezieht sich auf den nachfolgenden Haupttext als Ort, an dem
die Briefsammlung erscheint, er steht aber auch für eine degeneriert indexikalische
Geste, die von der Vorbemerkung als Rahmen der präsentierten Schriftstücke ausgeht. Das "hier" hat als Indexical den gleichen semiotischen Status wie ein Zeigefinger, es verweist auf den Ort, an dem das gefundene und versammelte Material
zum Erscheinen gebracht wird, und auf den Ort, an dem dieses Erscheinen als "anticipation discursive"33 angekündigt wird. Die degenerierte Indexikalität des "hier"
verweist aber auch als selbstreflexive Geste auf das "ich" des anonymen Herausgebers, der sich als maßgebliches Subjekt des Auffindens und Sammelns in Szene setzt:
Was ich von der Geschichte des armen Werther nur habe auffinden können, habe
mit Fleiß gesammlet" ('Iv, S. 11, meine Hervorhebungen - U. W).
Insofern das "hier" auf den Ort der Rahmung verweist und sich das "ich" in
einen Zusammenhang mit dem Auffinden, Sammeln und Vorlegen bringt, ist der
Akt der Selbstbeschreibung als Herausgeber zugleich ein indirekter deldarativer
Akt, mit dem eine Erldärung über den logischen Status der gerahmten Schriftstücke abgegeben wird. Im Vorwort beschreibt sich der anonyme Herausgeber als
Aussageinstanz, die bestimmt, in welchem Rahmen das aufgefundene und gesammelte Material vorgelegt wird: Dieses Vorlegen ist einerseits als Akt des Zitierens
und Inszenierens zu werten, mit dem Geschriebenes in einen szenischen Rahmen
gebracht wird. Zum anderen ist das Vorlegen ein Synonym für den Akt der Publikation, mit dem etwas der literarischen Öffentlichkeit präsentiert wird, ein Akt,
mit dem das Geschriebene der literarischen Öffentlichkeit zur Beglaubigung, das
heißt zur Authentifizierung vorgelegt wird.
Indem das Vorwort darauf abzielt, die Frage der Authentizität an das Publikum
zu delegieren, wird das paratextuelle Schwellenritual der captatio benevolontiae in
ein "fishing for empathy"34 moduliert. Kriterien für die Authentizität der Geschichte des armen Werther werden die Bewunderung, die Liebe und die Tränen
des emphatisch mitempfindenden Lesepublikums. Damit wird die Authentizität
der Geschichte Werthers an die perlokutionären Effekte gekoppelt, die diese in der
literarischen Öffentlichkeit auslöst - und insofern wird die literarische Öffentlichkeit zur maßgeblichen Beglaubigungsinstanz. Diese Übertragung der Verantwortung für die Authentizität an die Leser schließt direkt an die Appelle zum
Selbstdenken an, wie sie sich in der "Preface" zur Nouvelle Heloi'se - "Ein jeder
denke, wie es ihm gefälld"35 - und im "Vorbericht" zur Geschichte des Agathon fin-
ich
33 Derrida: "Hors livre. Prefaces", 5.14 f.
34 Haverkamp: "Illusion und Empathie", S. 261.
35 Rousseau: Neue Hetoise, S. 5.
240
6.2 DAS VORWORT DER LEIDEN DESJUNGENWERTHERS
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
den, wo es der Herausgeber dem Leser überläßt, "davon zu denken, was er will",36
Allerdings - und das ist entscheidend - wird in der Vorbemerkung zum Werther
aus dem Appell zum Selbstdenken ein Appell zum Selbstfühlen.
Explizit gemacht wird die gleichberechtigte Stellung des Gefühls neben dem Urteilsvermögen im VOlwort zu den "Briefen aus der Schweiz", die, wenige Jahre nach
dem Wertherverfaßt, explizit an dessen Herausgeberfiktion anschließen 37 :
Als vor mehreren Jahren uns nachstehende Briefe abschriftlich mitgeteilt wmden, behauptete man sie unter Werthers Papieren gefunden zu haben, und wollte wissen, daß
er vor seiner Bekanntschaft mit Latten in der Schweiz gewesen. Die Originale haben
wir niemals gesehen, und mögen übrigens dem Gefühl und Urteil des Lesers auf keine
Weise vorgreifen: denn, wie dem auch sei, so wird man die wenigen Blätter nicht ohne
Teilnahme dmchlaufen können,38
Der Herausgeber der "Briefe aus der Schweiz" distanziert sich von seiner Beglaubigungsfunktion, indem er daraufhinweist, daß er nur Abschriften, nicht aber die
Originale zu Gesicht bekommen habe. Zugleich erklärt er das Gefühl des Lesers
zu einer Beglaubigungsinstanz, verschiebt also das Authentizitätsproblem von der
Quelle - den Originalen - zum Ziel, nämlich den perlokutionären Effekten des
empfindsamen Lesers. 39
Eine analoge Modulation läßt sich in den Leiden des jungen Werthers ausmachen:
Zum einen fordert die Vorbemerkung vom Leser die Einstellung einer "kunstvoll
in der Schwebe verharrenden, distanzierten Identifikation"40, wodurch der Leser
erkennen soll, daß in den Briefen die Tradition der Empfindsamkeit zitiert wird,
mit dem Ziel, "sie umzubiegen".41 Zum anderen nimmt der Text das Gefühl des
Lesers als Aurhentifizierungsstrategie in Dienst: Die traditionelle Form der Au.·
thentizitätssuggestion, die darauf abhebt, die Echtheit des Materials zu fingieren,
interferiert mit der Authentifizierung der Schriftstücke durch die emotionalen Leseeindrücke ihrer Rezipienten, Die auf den logischen Status des Textes bezogene
Frage "fingiert (oder nicht fingiert?) "42 wird durch die affektrhetorische und damit
im weitesten Sinne rezeptionsästhetische Frage ersetzt, ob die Gefühle, die der Text
beim Leser auslöst, ,echt' sind. Das heißt, an die Stelle der logischen "Konfusion"43
von Rahmen - etwa in Form des performativen Widerspruchs - tritt die "parado-
xale Logik"44 des Gefühls. Dabei birgt der Reku,rs a~f das G,e~ühl dur,chaus fiktitheoretische Implikationen: Dem Gefühl WIrd 1m Empmsmus eme analoge
ons (tion zugeschrieben wie dem ebenendlnerenzleren
'JT
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d en F'l""
' 45
1WVltats b ewu ß tsem.
Fun I
., L I ' d' G
.
In Humes Enquiry markiert das Gefühl des ,F~r-Wal,lr-Ha tens, 1~, renze Z.wl~
schen Fiktion und Nicht-Fiktion. Der UnterschIed ZWIschen "fictlOn und "bellef
' l' in some sentiment 01' feeling, which is annexed to the latter, not to the forIleg
,
." "46 Es handelt sich um ein Gefühl, das l11cht
nach BeI'leben durch'
e111en Al(1'
:elWillens hervorgerufen werden kann. Vielmehr muß dieses Gefühl der Diffe,es be excited by nature, like all other sentiments" ,47 Demnach wurzelt auch das
lenz"
' der N atur.
G f" hl der Differenz zwischen Fiktion und Nich 1'- F'l'
1(1'lOn In
eI~ den Leiden des jungen Werthers zeigt sich nun, daß die gefühlte Diff:renz ~wi
hen Fiktion und Glauben durch eine schwärmerische RahmenkonfusIOn ~1Vel
sl~ . wird welche die Stärke des Für-Wahr-Haltens als Indiz für die WahrheIt des
leH
,
k I'
,. E'
11
Ge laubten ansieht. Die Schwärmerei wird von Loc e a s eme ge~stlg~ l~ste ung
wird, sondern allem dIe Starke ausbescghrieben , bei der ein Urteil nicht begründet
. ,
J:'d " 48 D'le Schwar"
hlaggebend ist mit der sie sich der Embtldungskraft aUll rangt,
sc
"
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merei entspringt, "den Eingebungen emes
erhItzten
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emg~ b'ld
1 eten G eh··
11ns "49
d ist dabei zugleich Ausdruck einer emotionalen Selbstbestlmmung, denn "nur
un gern folgen die Menschen den Impulsen, d'le aus 1'h rem elg~nen
'
I~nern stan:zu
" 50 Im Rückblick auf Lockes Ausführungen zur Schwarmerel treten dIe
von Humes
eines
. 11Z zwischen Fiktion und Nicht-FIktIOn zu Tage: DIe Schwarmereilst namhch 111
le
d'
, d' 1VJ: h
der Lage, das Gefühl für Differenzen zu stören, Genau 1~~ ~lr ~~ wert er v~rgeführt: Werthers Schwärmerei für die Natur u~d das ~at:ll'hche ub~rlager~ p~la
sitär das natürliche Gefühl für die Differenz ZWIschen FIktIOn u~d Nlcht-Flktlo,n,
Diese schwärmerische Rahmenkonfusion wird durch den editonalen RahmendISkurs nicht nur vorgeführt, sondern durch die Appelle d~s Herausgebers ~n de.n
Leser zur "distanzierten Identifikation"51 geradezu proVOZIert: So besehe~ zl~lt d~e
diskursive Strategie des Werther darauf ab, dem Lese: dur~h seme Int:gratlOn.111 dIe
Inszenierung der schwärmerischen RahmenkonfusIOn dIe EbenendifferenzIerung
zu erschweren,
~~wierigkeiten
Behal~pt~ng
natü~'lichen ?efühl~ ~ür ~ie 1?if~e
36 Wieland: Geschichte des Agathon, S, 11.
37 Der enge Konnex zwischen den Leiden desjungen Werthers und den "Briefen aus der Schweiz" mag
38
39
40
41
42
43
auch daraus erschlossen werden, daß Goethe "zum Zeitpunkt der von ihm verantworteten ersten
Ausgabe an stets beide Abteihll1gen zusammen und stets gemeinsam mit dem Werther in einem
Band veröffentlichte, eine Praxis, der auch noch die Weimarer Ausgabe folgt" (Müller: "Briefe aus
der Schweiz", S, 274),
Goethe: "Briefe aus der Schweiz", S, 594,
Vgl. Flaschka: Goethes, Werther', S, 187,
Waniek: "Werther lesen und Werther als Leser", S. 57,
Mattenldott: "Die Leiden des jungen Werthers", S, 64,
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S, 414,
Ebd., S, 415,
241
44 Derrida: Prijuges, S. 77.
45 Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S, 123,
46 Hume: Enquiry Concerning Human Understanding, S. 48 (§ 39).
47 Ebd,
48 Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 2, S, 407.
49 Ebd,
SO Ebd., S, 408.
51 Waniek: "Wertherlesen und Werther als Leser", S. 57,
I
I.
242
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES jUNGENWERTHERS
6.3 Die Authentizitätssuggestion des Herausgebers
in den Fußnoten zum Briefteil
Im Anschluß an die Vorbemerkung führen die insgesamt fünf Fußnoten 52 d
Briefromanteils ihre Kommentarfunktion im Rahmen einer poetischen Strate ?S
· ganz Im
. D'lenst d er A
l"
gle
aus, d le
ut lentlzltätssuggestion
zu stehen scheint. In den Fußnoten zu den Leiden des jungen werthers tritt eine editoriale Instanz in ErscheinU!1g
welche die meisten referentiellen Spuren zur ,wirldichen Lebenswelt' aus Gründ ,
~er Di~k:etion verwisc~t: ~lle Bezüge, die eine räumliche oder auch eine persö~~
hc.h~ F1Xlerung der EreIgnIsse erlauben würden, werden anonymisiert, pseudon _
mlslert oder gelöscht.
y
Der erste editoriale Eingriff verweist darauf, daß alle im Buch vorkommenden
Ortsnamen verändert wurden: "Der Leser wird sich keine Mühe geben die hier genan~ten Orte zu suchen; man hat sich genöthiget gesehen, die im Originale befind~IChen wahren Nahmen zu verändern" (W'; S. 27). Das "man" erscheint hier
als e111e unpersönliche Instanz, welche nicht nur ,sich genötigt sieht', die Namen
zu verändern, sondern auch den Leser nötigt, die Suche nach den "wahren Orten"
überhaupt nicht erst zu beginnen. Die Formulierung "Der Leser wird sich keine
~ühe geben" is.t nic.ht~ anderes als ein direktiver Sprechakt, und die PseudonymISlerungsstrategle, dIe 111 der Veränderung der Namen ihren Ausdruck findet ist
die Fortsetzung der implizierten Authentizitätssuggestion des Vorworts. 53 Die
scheinbare Diskretion, welche die Motivation für die editoriale Manipulation der
"wahren Nahmen" zu sein scheint, legt zugleich nahe, daß die "wahren Namen",
so man sie nicht durch fiktive Namen ersetzt hätte, auf die wirldichen Orte referie~en, an dene~ sic~ W~rthers Ges.chichte zugetragen hat. Dies präsupponiert zugleICh, daß es e111e wlrldlChe GeschIchte Werthers gegeben hat. 54 Insofern wird das
Verschweigen der "wahren Namen" zu einem Beleg für die Wahrheit der Geschichte des armen Werthel'. Mit dem Verschweigen des "wahren Namens" steigert
der Herausgeber die Glaubwürdigkeit seiner Authentizitätssuggestion und bietet
dem Leser damit, übel' die negative Geste des Verschweigens des "wahren Namens",
ein "referential agreement"55 an. Verstärkt wird diesel' Authentizitätspakt dadurch,
daß sich der Herausgeber im letzten Viertel des Romans selbst an den Ort des Geschehens begibt und so seine eigene, editoriale Existenz mit der Existenz des Ortes
koppelt.
52 Vgl. S. 26/27, S. 42/43, S. 44/45, S. 66167, S. 138/139.
53 Zu fragen bleibt, ob und inwiefern diese Pseudonymisierungsstrategie der "Fiktionalisierung der
Autorfunktion" dient (Niehaus: Autoren unter sich, S. 87).
54 Vgl. Nelles: "Werthers Herausgeber", S. 13, sowie Flaschka: Goethes, Werther', S. 187: "Die Zurückhaltung des ursprünglichen Ortsnamens ist nur ein Vorwand. Im Grunde geht es darum, ein offenes Durchschimmern von literarischer Fiktionalität im Text zu verhindern und sie vor dem Leser
zu verschleiern. Wenn die ,Geschichte' tatsächlich ,wahr' sein soll, so muß auch der Ort existent
sein, an dem sie gespielt hat".
55 Vgl. de Man: "Allegory (Julie)", S. 205.
6.3 DIEAUTHENTIZITÄTSSUGGESTION DES HERAUSGEBERS
243
Die erste Fußnote des Herausgebers zeigt freilich auch, daß die Funktion des
Herausgebers keineswegs nur auf das Auffinden, Sammeln und Vorlegen beschränkt ist, sondern daß der Herausgeber den Text auch verändert, indem er
Namen und Textstellen löscht. Mit anderen Worten: Der Herausgeber übt eine
Zensurfunktion aus. Diese Zensurfunktion steht im Dienste einer poetischen Fußllotenpolitik, die es systematisch darauf anlegt, Leerstellen zu schaffen anstatt
Lücken auszufüllen 56 - Leerstellen, die jede Bezugnahme auf die ,wirkliche Lebenswelt' unmöglich machen sollen. Damit wird mit dem Akt des Löschens zugleich auch impliziert, daß solch eine Bezugnahme auf die ,wirldiche Lebenswelt'
ohne die vom Herausgeber geschaffenen Leerstellen möglich wäre. Das heißt, die
Lücken werden zu inszenierten genuinen Indices für die Authentizität der Schriftstücke und für die Geschichte, die in ihnen erzählt wird. Mehl' noch: Durch die
ostentativen Hinweise auf die editorialen Akte des Unterdrückens und Löschens
5
täuscht die Instanz des Herausgebers im Modus des deceptive pretending vor ?, es
handle sich bei den Briefen Werthers um ,authentische' Schriftstücke.
Dies gilt auch für den zweiten editorialen Eingriff, der Lottes Geschmacksurteil
übel' ein nicht zu Ende gelesenes Buch betrifft, ein Buch, das ihr ebenso wie schon
das zuvor gelesene nicht gefallen hat. "Ich erstaunte, als ich fragte, was es für Bücher
wären? Und sie mir antwortete: * - " (W'; S. 43). Lottes Antwort wird gelöscht,
Werthers Reaktion dagegen, der perlokutionäre Effekt des Erstaunt-Seins, wird
mitgeteilt. 58 An die Stelle von Lottes Antwort tritt ein Sternchen und ein Gedankenstrich. Der Gedankenstrich verweist als inszenierter genuiner Index auf eben
jene Leerstelle des Textes, die als Spur des editorialen Eingriffs zurückgeblieben ist;
das Sternchen verweist als degenerierter Index auf die rechtfertigende Fußnote, die
in Form eines selbstreflexiven Symptomkommentars die Gründe für den editorialen Eingriff erläutert: "Man sieht sich genöthiget, diese Stelle des Briefs zu unterdrücken, um niemand Gelegenheit zu einer Beschwerde zu geben. Obgleich im
Grunde jedem Autor wenig an dem Urtheile eines einzelnen Mädchens, und eines
jungen unstäten Menschen gelegen seyn kann" (W'; S. 43).
Auch hier trägt der Akt des Löschens als "Spiel der Wirklichkeitsverschleierung
zum verstärkten Wirldichkeitsanspruch der Briefe bei".59 Die Fußnotenpolitik des
Herausgebers nimmt nicht nur Rücksicht auf die von Lotte verurteilten Autoren,
sondern zielt darauf ab, sich selbst vor einer "Beschwerde" zu schützen, die den
Herausgeber als juristische Person treffen könnte. Damit gibt der Herausgeber der
Leiden des jungen werthers - wie schon der Herausgeber der Nouvelle Heloi'se - zu
erkennen, daß er für die Texte "einzustehen" hat60 , die er versammelt und veröffentlicht. Obwohl sich der Herausgeber der Leiden des jungen werthers nicht wie
Rousseau auf der "Sammlung Titelblatt" nennt, impliziert die Rücksichtnahme auf
56 Vgl. den Entwurf zum Vorwort, wo der Herausgeber berichtet, er habe "hier und da eine Lücke
ausfüllen können" (zit. nach Gräf: Goethe über seine Dichtungen, S. 501).
57 Searie: "Der logische Status fiktionalen Diskurses", S. 87.
58 Vgl. Nelles: "Werthers Herausgeber", S. 16.
59 Flaschka: Goethes, Werther', S. 189.
60 Rousseau: Neue Heloi'se, S. 5.
244
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DESJUNGEN WERTHERS
mögliche Beschwerden, daß sich der anonyme Herausgeber verantwortlich fühlt
daß er davon ausgeht, für die rechtlichen Folgen einer Beschwerde einstehen Zl;
müssen. Auch damit suggeriert der Text, daß die in den Briefen gemachten Aussagen "echte Wirldichkeitsaussagen"61 sind und daß der Herausgeber diesen logischen Status durch seinen Umgang mit den Briefen bezeugt. Der Beleg für die
Authentizität der Briefe wird mithin durch die Art und Weise erbracht, wie sich
die editoriale Tätigkeit am Rand des Textes in Szene setzt.
Auch die dritte Fußnote betrifft ein literarisches Werk - Werther berichtet im
gleichen Brief an Wilhelm, daß er seine Bewegung nicht unterdrücken konnte, als
er Lotte "mit solcher Wahrheit im Vorbeygehn vom Landpriester von Wakefield
von * - reden hörte" (W; S. 44), so daß er außer sich geriet und ihr "sagte, was ich
mußte" (ebd.). Die an das Sternchen anschließende Fußnote lautet: "Man hat auch
hier die Nahmen einiger vaterländischen Autoren weggelassen. Wer Theil an Lottens Beyfalle hat, wird es gewiß an seinem Herzen fühlen, wenn er diese Stelle lesen
sollte, und sonst braucht es ja niemand zu wissen" (W; S. 45).
Anders als bei Lottens Antwort, die ganz unterdrückt wird, ermöglicht es das
"Weglassen" der Namen (das in der Fassung von 1774 als "Auslassen" bezeichnet
wird) dem Leser zu erschließen, welche literarische Richtung Lotte schätzt. 62 "Lottens Beyfall" erhalten sowohl empfindsame Briefromane, die in der Nachfolge
Richardsons stehen - dies belegt der auf der gleichen Seite gegebene Hinweis sowohl auf Miß Jenny Thiel, die Titelheldin aus Marie-Jeanne Riccobonies Histoire
de Miss fenny Glanville, als auch auf Oliver Goldsmiths Roman The Vicar ofWake"
field, der bezeichnenderweise den Untertitel Supposed to be Written by Himse{f
trägt. 63
6.3 DIE AUTHENTIZITATSSUGGESTION DES HERAUSGEBERS
245
Die vierte Fußnote betrifft die Rechtfertigung der Auslassung nicht nur einer
Textstelle, sondern eines ganzen Briefs. Es handelt sich um den Brief des Ministers,
der sich schützend vor Werther stellt, als dieser von seinem direkten Vorgesetzten
bei Hof verldagt wird. Werther schreibt: "ich stand im Begriffe meinen Abschied
zU begehren, als ich einen Privatbrief* von ihm erhielt, einen Brief vor dem ich
niedergekniet, und den hohen edlen weisen Sinn angebethet habe" (W; S. 139).
Der Herausgeber begründet das Weglassen dieses offensichtlich hochbewegenden
Briefs wie folgt: "Man hat aus Ehrfurcht für diesen trefflichen Herrn gedachten
Brief, und einen anderen dessen weiter hinten 66 erwähnt wird, dieser Sammlung
entzogen, weil man nicht glaubte eine solche Kühnheit durch den wärmsten Dank
des PublicUlus entschuldigen zu können" (W; S. 139).
Auch hier dient die Begründung des Weglassens der Konstruktion einer indirelnen Argumentationskette, die das Weglassen als Indiz für die Authentizität der
präsentierten Schriftstücke ausgibt. Zugleich setzt sich der Herausgeber als Instanz
in Szene, die im Falle der Publikation dieses Briefes für ihre Kühnheit einzustehen
hätte. Der Brief wird deshalb nicht nur dem Akt der Publikation entzogen, sondem der Sammlung von Schriftstücken überhaupt, welche als "Konsignation"67
von Zeichen die archivalische Grundlage für das "Büchlein" ist.
Bemerkenswerterweise gerät der Herausgeber durch die Art und Weise, wie er
seine selektive Macht über das Archiv - und damit seine dispositive Macht über den
Diskurs - ausübt, in Widerspruch zu seiner im Vorwort gemachten Behauptung, er
lege "hier" vor, was er "nur habe auffinden können" (W; S. 11). In der vierten Fußnote zeigt sich nämlich, daß der Herausgeber das dem Leser in der Vorbemerkung
explizit gegebene Versprechen auf Vollständigkeit implizit durch seine ,Politik der
Edition' bricht. Wie schon beim Löschen der Eigennamen macht der Herausgeber
mit dem Weglassen zweier Briefe deutlich, daß politische Erwägungen der Rück.
sichtnahme für ihn ein höheres Gewicht haben als die Einhaltung des eingangs geschlossenen Pakts mit dem Leser. Die Rücksichtnahme auf den Minister wird mit
der Rücksichtslosigkeit gegenüber der Neugierde des dankbaren Publikums bezahlt.
Wie im ersten Satz des Vorberichts, so demonstriert der Herausgeber auch hier
eine überheblich wirkende Gewißheit. Das Verhalten des Herausgebers, sich gegen
Das Weglassen der "vaterländischen Autoren" wird nun nicht mehr mit der
Möglichkeit einer "Beschwerde" begründet, sondern damit, daß der geneigte Leser
(und die geneigte Leserin) schon "an seinem [respektive ihrem] Herzen fühlen"
werde, was Lotte meint, "wenn er diese Stelle lesen sollte" (W; S. 45). Das heißt,
der Herausgeber erwartet, daß die Lektüre dieser "Stelle" eine Form von literari.
schem Mitgefühl auslöst. Die vom Herausgeber erzeugte Leerstelle im Text kann
vom Leser indes nur dann ergänzt werden, wenn die perlokutionären Effekte seiner Lektüre in Analogie zu den von Lotte geschilderten perlokutionären EtleJ{\:el1, """,,,';', j,
stehen. Dergestalt garantiert das fühlende Herz als "Medium"64 des gemc~in:,aro.ert·~--i~_'-"'c::-.=. fr[m:e:it~le~H~e:r:vorhebung _ u. W], wird es gewiß an seinem Herzen fühlen" (W', S. 44). Hier ist nicht
Verständnisses "die Verbindung zwischen Gleichgesinnten".65
das allgemeine literarische Publikum angesprochen, sondern offenbar nur jene Nacluuirtagsge61 Vgl. Hamburger: Logik der Dichtung, S. 246.
62 Zugleich gibt diese Fußnote Aufschluß darüber, "daß der Herausgeber die Wirksamkeit von Dich,
wng weniger in der angenehmen Verbindung von Nutzen und Vergnügen, als vielmehr in der un!
mittelbaren und lebhaften Erregung des Herzens [...] sieht - mithin eine Position einnimmt, die
nicht der tradirionellen Aufldärungspoetik, sondern einer empfindsamen Wirkungsästhetik entspricht". (Flaschka: Goethes, Werther', S. 188).
63 Vgl. WiethölteriBrechr: "Kommentar", S. 948 f.
64 Vgl. Blanckenburg: versuch über den Roman, S. 260, sowie Nelles: "Werthers Herausgeber", S. 19.
65 Nelles: "Werthers Herausgeber", S. 19. Blickt man in die Fassung von 1774, so eröffnet sich
eine alternative Deutungsmöglichkeit. Die Erstfassung weicht in einem entscheidenden
der Fassung von 1787 ab - in der Erstfassung heißt es nämlich: "Wer Theil an Lotrens Beyfall
sellschaft, auf der Lorte ihren Beifall äußen, das heißr eine Gruppe von Lesern, die das von Lorte
Gesagte als lebensweltliche Ohrenzeugen besrätigen könnten. Der Herausgeberkommentar suggerien also Authentizität, indem er auf historische Zeitzeugen verweist, die das, was Werther in
seinen Briefen schreibt, besrätigen können. Damit rufr die poetische Politik des Fußnotenkommelltars in der Fassung von 1774 das Konzept des "Original-Historicus" auf, der als Augenzeuge
selbst Anteil an den erzählten Begebenheiten gehabt hat (vgl. BodmeriBreitinger: Die Discourse der
Mahlern, Erster Theil, V. Discours, E 1, S. 34). Eben dieses Konzept liegt dem letzten Vienel der
Leiden des jungen Werthers zugrunde, wo sich der Herausgeber selbst an den Ort des Geschehens
begibt, um Zeugenaussagen der Beteiligten zu sammeln.
Ein zweiter Brief des Ministers wird in dem "zur Nachricht" überschrieben Brief vom 19. April
(W; S. 149) erwähnt.
Vgl. Derrida: Dem Archiv verschrieben, S. 25.
246
die "Kühnheit" der Publikation des Ministerbriefes und damit gegen d
.
",.,'
sten Dank des Publicums" zu entscheiden, wird zum genuinen Index eJlfi:Vä, ." ','
der Rahmen seines Publikationsprojekts von politischen Prinzipien bestina ll1~ ~aß
die parergonal, "von einem bestimmten Außen her, im Inneren des V:I~\w.lrdi
mit[wirken]". 68 Das heißt, die Akte des Unterdrückens und Löschens w~.~ lrens
genuinen Indices für eine bestimmte archivische und editoriale Politik, di~ R~l zu
schlüsse auf die Selektionskriterien des Herausgebers erlauben. Zugleich erh"t ü~k.
Herausgeber durch die Begründung seiner Entscheidungen in den Fußnoten\~ er
tur: Seine "Ehrfurcht" gegenüber dem Minister, die er als VerhinderungsgrUI d~~~
die Publikation von dessen Briefen anführt, erweist sich als ,Unabhängigke~ts u~
klärung' gegenüber seinem Lesepublikum, dessen Neugierde er aus politischer
"den lllC
. hl' bell'le
I:' d'19t.
eil
Grun
I
i,
"
6.3 DIE AU T
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DESJUNGEN WERT1fE!?S
Dadurch wird der Herausgeber zu einer Instanz, die zwischen den Geltllllg
an·
sprüchen der äußeren Lebenswelt, seiner dispositiven Macht zur Selektion sund
Kombination der Briefe und Blättchen sowie den Interessen des Lesepublikums z
vermitteln hat. Die Konturierung des Herausgebers durch seine Fußnotenpoliti~
wird allerdings dadurch konterkariert, daß seine Identität mit dem editorialen Vorberichtverfasser durch keinen expliziten Hinweis - etwa eine Signatur - gesichel'l
ist. Der persönliche Ton der Vorbemerkung, in dem der Herausgeber mit "ich" auf
sich Bezug nimmt, steht im Widerspruch zu dem überpersönlichen "man", mit
dem die ersten vier Fußnoten beginnen. Das "man" ist der "Signifikant für eine
nicht näher charakterisierte Instanz"69, deren Ansprüchen "Vorrang gegenüber der
authentischen Form eines brieflichen Dokuments eingeräumt wird",70 Diese nicht
näher charakterisierte Instanz ist die Funktion Herausgeber als überpersönliches,
editoriales Dispositiv, das allein durch seine selektiven Entscheidungen Persönlichkeit gewinnt und mit seiner Fußnotenpolitik am Unteren Rand des Textes zugleich einen editorialen Raum schafft. Dieser editoriale Raum weitet sich im letzten
Viertel des Romans auf den Haupttext hin aus, das heißt, die Funktion Herausgeber wird nicht nur marginal am Rallmen verkörpert, sondern wird zu einer allgegenwärtigen Rahmungsinstanz.
Die fünfte Fußnote zeichnet sich durch zwei Auffälligkeiten aus: erstens nimmt
in ihr der Herausgeber nicht mehr mit dem unpersönlichen "man", sondern mit
dem überpersönlichen wir auf sich Bezug. Zweitens wird hier das einzige Mal explizit ein authentischer Eigenname genannt: "Wir haben nun von Lavatern eine
treffliche Predigt hierüber, unter denen über das Buch Jonas" (TI!', S. 67), schreibt
der Herausgeber anläßlich einer Bemerkung Werthers über die "üble Laune vom
Predigtstuhle" und bezieht sich damit auf Lavaters Predigt über "Mittel gegen Unzufriedenheit und üble Laune" aus dem Jahr 1773,71 Vor dem Hintergrund einer
68 Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74.
69 NelIes: "Wenhers Herausgeber", S. 15. Dabei läßr sich nach Nelles darüber spekulieren, ,,[o]b
,man' den Herausgeber oder den/die Nachlaßverwalter (womöglich Wilhe1m und/oder Wilhe1ms
Mutter) bezeichnet".
70 Ebd.
71 Vgl. WiethölreriBrecht: "Kommentar", S. 966.
HENTIZITÄTSSUGGEST10N DES HERAUSGEBERS
247
U terdrücken und Löschen von Namen ~u
olitik, der es nur um das n em Rahmen, Über die Gründe für dl~Fußnoten~nt, fällt die fün~te Fuß~ote ~~s~um einen kommen mit der namentltgehen sch . darf spekulIert werden :
II Folie ins Spiel zum anderen
S h" ften als mtertextue e
'd
F' 1gerzelg
sel1 11 "hnung Lavaters c II
Z ' 'd
nun" eine autoreflexive Wen ung
ehen Erd~a fu"nfte Fußnote durch den de1tl~ eX "d1' AlTte des Dazuschreibens und
cl "lt le
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, un d am1t au f e ~
el1 la n Moment der E ltlon - d r Editions-Szene' stattfinden.
,
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die im Rahmen e '. Schriften für den Werther einzugehen 1st,
Komm . auf die Relevanz von Lavatersd' I '
f das Gerahmte gelenkt werden,
13ev~rBlick vom editorialen Ra~men 1S mrs ~~undert maßgeblichen brief- und
soll der ,dem Hintergrund der fur ,das 18 , ~ah 11 n zwischen den Schriftstücken
UI11- vor
. h Konzepte - die" Sch n1ttste e
1.
1sc
Poetolodg end denen des b esch"lle bener1 Werther"73 zu mar Geren.
roman,
eS sC11 relben en un
e~rierens,
d
64 Konzepte des Schreibens und Lesens in den
.
Leiden des jungen Werthers
!l 1 Der Werther im Kontext der Briefromanpoetik
6.1.
, h n Schreib-Szenen zeichnen sich nicht
Die im Werther vorg~führten m~nolog~~~ei~ des writing to the moment" aus7~, so.nsowie der sie begleitenden ed1tonaImr durch eine "gesteigerte Unhml~tbelSba
" d 'd'
,Sc re1 - zenen 75'
L .
dem das Verstan 111S leser.
hon mündigen Leser" voraus ,ell1en eS,er,
enen
len Rahmungs-Sz
- setzt ell1en ':.sc" ' I"ßt und in der Lage ist, interpretatlve
.
h' he Le1(ture ell1 a
. h M' 'I
der sich auf ell1e "empat ISC
I d' B' I: nl'cht nur als sprachltc e me1 unh en aso 1e riete
d'
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Aufpfropfungen vorzune m .' S m tome" zu deuten76: Symptome, le au as
gen, sondern auch,als ."spr;ch~~:~er~ zJrückschließen lassen, der im Moment des
empfindsame Herz ell1es .c.
Thema verwoben ist,77
Schreibens vollkommen ~lt sell1e~ 'Briefen leitet sich daher, daß diese offenDer Tagebuchcharakter von Werthers
" l' h Verkehrs"78 unterworfen
. h I' h nicht mehr dem Reglement des posttag 1C en
SIC l' 1C "
. B" f
,
. ' ebun Lavaters (und seine spärere Erwähnung 1m lle
72 Flaschka deurer die "demonstratdlveIHfe~:~lh nd ~chrungsvolle Geste des jungen Goerhe an den
15 Se tember) als freun Sela r lC le u
,
.' TPIleo Iogen" (Flaschka:
vom
SchweIzer
" Goethes, Werther , S. 189).
'k S 630 f
73' Nelles' Werthers Herausgeber, S. 2.
."
d I'
. h Hermeneutt, ,
.
74 Jauß: Asthetische Erfahrung un Iterarzsc e
.
"
. '1 ung " un dAnzeIchen
75 Ebd.
. S 75 Zum Verhältnis von "Mlttel
"
76 Hirsch: Prinzipien der Interpretatzon, . .
vgl. Luhmann: Soziale Systeme, S. 201.
5
77 Richardson: Clarissa, S. 3.,
.
.
ochederPost, 1751-1913, S. 4.
6 Al s Begru"ndung
78 Vgl Siegen: Relais. Geschicke der Lzt~ratul aidS EPB" c
. W:as Werthers Briefkonvolut von allen
.
d'le D ane rung er llele an, "
für .seine These führt Slegert
248
6, VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
sind, also das "postalische Dispositiv"79 der Übertragungsbedingungen ignorieren:
"Werthers Briefe sind entweder nie abgeschickt worden oder, was dasselbe ist, sie
sind gar keine Briefe, sondern ein Tagebuch. Der postlagernde Brief eines Toten an
ein Lesepublikum".80
Auch wenn die These, Werthers Briefe seien nie abgeschickt wurden, unhaltbar
ist 81 , spricht einiges dafür, daß Werther seine Briefe täglich verfaßt und ansch.
ließend gesammelt an Wilhelm schickt. 82 Dergestalt trägt Goethes Held Goethes
Vorbehalten gegen den Brief als Medium der Mitteilung Rechnung. In einem Brief
[sic!] an die Gräfin von Stolberg stellt Goethe fest, ein Schreiben, das Bekenntnis
intimer Geheimnisse der Seele sein wolle, sei allein in Form eines Tagebuchs "von
Moment zu Moment" möglich. 83 Mit "von Moment zu Moment" sind offensichtlich Schreibmomente gemeint. Anders als Richardons Konzept des written to
the moment blendet Goethe jedoch das postalische Moment der Übersendung _
den moment o[transmission - bewußt aus. 84 Damit ist das Geschriebene nicht mehr
eine intentional auf den Adressaten ausgerichtete Mitteilung, sondern ein Protokoll von äußeren Ereignisabläufen und inneren Seelenzuständen, das mehrere
Schreibmomente umfaßt. Dies wird in Werthers Brief vom 16. Junius deutlich, wo
er schreibt: "Ich hab's nicht überwinden können, ich mußte zu ihr hinaus. Da bin
ich wieder, Wilhelm, will mein Butterbrod zu Nacht essen und dir schreiben" (W';
S. 39). Das "Da bin ich wieder" verweist als Indexical auf die Momenthaftigkeit
des Schreibaktes, der existentiell mit dem Wieder-Dasein Werthers verknüpft ist.
Dadurch wird der Satz zugleich zum genuinen Index für das Ende einer Schreib.
pause, die durch Werthers Besuch bei Lotte entstanden ist: Werthers Protokoll der
äußeren Ereignisse ist zugleich ein Protokoll der von ihm vollzogenen Schreibakte
"von Moment zu Moment".
79
80
81
82
83
84
anderen zeitgenössischen Briefkonvoluten unterscheidet, ist die - mit einer Ausnahme - völlige
Gleichverteilung der Briefdaten über die Wochentage: Werther schrieb 15 Mal montags, 14 Mal
dienstags, 9 Mal mittwochs, 11 Mal donnerstags, 11 Mal freitags, 13 Mal samtags und ebenfalls
13 Mal an einem Sonntag. Faktisch gelaufene Briefe dieser Zeit weisen dagegen ein Maximum kmz
vor oder an einem bestimmten Wochentag auf: den sogenannten Posttag nämlich, an dem die
wöchentlich verkehrende Ordinari-Post abging" (ebd., S. 45).
Binczek: "Medien- und Kommunikationstheorie", S. 165,
Siegert: Relais, S, 45.
Diese These ist deshalb nicht haltbar, weil z. B. der Brief vom 19. April impliziert, daß Weither
Wilhe1ms Briefe prinzipiell beantwortet. Dort es heißt: "Danke für deine beiden Briefe, Ich antwortete nicht, weil ich dieses Blatt liegen ließ, bis mein Abschied vom Hofe da wäre" (117, S, 149),
Darüber hinaus führt Werther auch noch ein Tagebuch, das nicht abgeschickt wird. In einem Zusatz zum Briefvom 8. August, der in der ersten Fassung von 1774 fehlt, schreibt Weither: "Abends,
Mein Tagebuch, das ich seit einiger Zeit vernachlässiget, fiel mir heut wieder in die Hände, und
ich bin erstaunt, wie ich so wissentlich in das alles, Schritt vor Schritt, hineingegangen bin!" (117,
S.89).
Goethe, B 14.-19, Sept. 1775, 1962-1967: 1, S, 194, zit. nach Siegert: Relais, S. 46,
Vgl. hierzu Heilmann, dem zufolge der Briefroman Richardsonschen Typs mit dem Weither einen
"Funktionswandel" erfährt (Heilmann: Die Krise der Aufklärung als Krise des Erzähtens, S. 182),
Nach Heilmann markiert die zeitgenössische Diskussion um den "Werther "einen Schritt zur Erweiterung der Spielräume des Romans in ,Letters, written (...) to the Moment'" (ebd.).
6.4 KONZEPTE DES SCHREIBENS U. LESENS IN DEN LEIDEN DESJUNGENWERTHERS
249
Mediologisch betrachtet, ist das Konzept des written to the moment Ausdruck
jenes "semiotischen Dilemmas"85, in dem sich die Schrift in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts befindet: Wie kann Schrift zum unmittelbaren, natürlichen Ausdruck der Seele werden, obwohl sie ein vermitteltes, konventionales Zeichensystem
ist? Dieses ,Paradox der Empfindsamkeit' wird von Koschorke wie folgt umrissen:
Einerseits ist die Sprache natürlich und die Schrift widernatürlich. Andererseits ist die
dem Kalkül der Redekunst gehorchende Rede unnatürlich, während sich das Schreiben
als spontaner Akt alle Resourcen der Authentizität zueignet. So kommt es zu dem paradoxen Effekt, daß gerade die Pioniere der Schriftkultur sich am ,Buchstabenwesen'
der Rhetoriker stören. Im Gegensatz zur ,wahren' Schrift, die, Effekt und Produzent
emotionaler Erwärmung, aus dem Herzen des Absenders ins Herz des Adressaten fließt,
wird die Rhetorik im Rückblick als trügerisch und kaltsinnig denunziert [...]. Man
schreibt in Vergessenheit aller Regeln, so wie man fühlt; nur das Gefühl kann das Geschriebene beglaubigen. 86
Dieser auch in den Leiden des jungen W1erthers sehr deutlich zu erkennende Anspruch wird durch die maßgeblichen brieftheoretischen Überlegungen des 18)ahrhunderts forciert, in denen es darum geht, eine besondere Form natürhchen
Sprechens in den szenischen Rahmen der Schrift hineinzukopierenP So fordert
GelIert in seiner "Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen", man solle
sich beim Verfassen von Briefen "keiner künstlichen Ordnung" bedienen, sondern
sich der "freywilligen Folge seiner Gedanken" überlassen, "und setze sie nach einander hin, wie sie in uns entstehen: so wird der Bau, die Eintichtung, oder die
Form eines Briefs natürlich seyn".88 Damit dies gelingt, muß die Natürlichkeit
einer dispositio, die sich der "freywilligen Folge seiner Gedanken" überläßt, auf die
lineare Manifestation einer schriftlichen elocutio übertragen werden, die sich am
Konzept mündlicher Kommunikation orientiert. Diese inszenierte mediale Modulation hat zwei Konsequenzen: Erstens ist die sekundäre Mündlichkeit im Medium der Schrift eine stilistische Imitation primärer Mündlichkeit - freilich einer
höchst elaborierten Form primärer Mündlichkeit. Obwohl man sich im Schreiben
der Worte bedient, "die in der Welt üblich sind", redet man in Briefen gerade nicht
so, "wie andre im Umgange sprechen. Man ahmet vielmehr ihre Sprache geschickt
nach".89 Erst durch diese Nachahmung verlieren die umgangssprachlichen Ausdrücke ihre Gemeinheit und erhalten "durch die Art, wie man sie braucht, durch
die Stellung und Verbindung, die man ihnen giebt", jene "gewisse Zierlichkeit",
85 Vgl. Wellbery: "Das Gesetz der Schönheit", S. 181.
86 Koschorke: Kb'rperströme und Schriftverkehr, S. 309.
87 Vgl. Luhmann: "Die Form der Schrift", S. 365. Zum Aspekt der im Briefroman zum Ausdruck
kommenden "sekundären Mündlichkeil''' siehe Koch/Oesterreicher: "Schriftlichkeit und Sprache",
S. 588. Darüber hinaus muß auch die druclctechnische Dimension des ,Hineinkopierens' berücksichtigt werden. Vgl. hierzu Couturier: Textual Communication, S, 74, sowie Binczek: "Medienund Kommunikationstheorie", S, 168.
88 Gellert: "Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen",S. 126.
89 Ebd" S, 112 ff,
250
KONZEPTE DES SCHREIBENS U. LESENS IN DEN LEIDEN DESjUNGENWERTHERS 251
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DESJUNGEN lVF
w'ERTHERS
die sie so natürlich wirken läßt,,, d aß Je
. d er g1au b t er würde eb
. ~n s~ :on der
gesproch en h aben".9o Zweitens läßt die Schrift m:hr Z .
also, ohne Gefahr unnatürlich zu werden etwas SOl' f.~~t zu~ dzsposztzo: "Man~"~;l1,e,,';'"!n'i ...
~nd ~o.rte,
Verbit~d~l1~g~~1~
danken
in den Wendungen :wd
derlW':bahl seiner Ge.
Unter semlOtlschen Vorzeichen k"
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urnert au~ ewe Inszenierung genuiner Indexikalität im R h Ul 1C e Rhetorik re·
ten sprachhcher "Diagrammatizität" 92 Das heißt d'
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1otschaft iU
ge eutet werden, sondern als monumentale Tat h
os~tlona en Gehalts
Disposition indexikalisch etwas zum Ausdruck 1sac e, a~.derel: dlagrammatischel'
Rhetorik besteht also nicht in der Fiktion d ß<01~m,t, 1~ P01~te der natürlichen
gebe, sondern darin, daß die rhetorische I~ z a , e~ <ewe / et~nsche Inszenierung
die durch eine vom Leser zu vollz1'ehe1 d . s enletUn,g au zweI Ebenen stattfindet
1
1 e ll1terpretatlve Al fi fi· fi
"
'
ge mppelt werden: Die Gefühlsdispositionen der S h.'b 1 WIP ung m1te111andel'
durch expressive Akte verbal zum A d. 1
d c re1 en en mmmen nicht nU1'
us tUc <, son ern auch durch d d'
sch e A rrangement ihrer Briefe Erst d h d Z
.
as 1agrammati_
.
urc as usammensp1el de' '11 1 '
. d '1
un d d er 111 eXl (alischen Ebene wird d e1. B.·
f
1 1 0 <Utlonären
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Zugleich zeigt sich die Wahr'hel't de A d lzum wdahren Ausdruck des Herzens
1
s US ruc (S an l' N "r hl . d
'
~ atur lC <elt er Gedan<enverbindung. So heißt es bei G 11 " M
in Worten und in einzelnen Ged~ll~~~ ~in:snB~u2 endl~h d~s ~atürliche nicht bloß
Zusammenhange der Gedanken Unter einandel~ :~~~n ~1~ w em Ganzen, in dem
Zum entscheidenden Anzeichen einer n ." 'f h en.
die Lebhaftigkeit, mit der ein Gedanke verl:~~l:~t :~r1~sdrucks",:,eisewird ,dab~i
des Ausdrucks verweist genuin indexikalisch a~f d' G '.,den.n d1~ ~eb~aft1gke1t
hebers zurück:
1e emutsd1sposlt1on Ihres Ur-
cf
Wer recht ?erührt, recht betrübt, recht froh, recht ZOO • l' h .
.
findung 111cht an das Sinnrel'ch
d'
.
a lt lC 1st, dem verstattet seme Emp.
e, 0 el an eme meth od' I O d
se~ne Gedanken sind geschwinde und ab edrungene ISC ~~ r ~ung zu denken. [...]
DIe Rede wird, gleich dem Gefil"hl
~l d
AbdlUcke semer Empfindungen.
.
1 e, stal (un unterbroch
W'
wenn es m Wallung ist, geschwinder und t" 1 '. hl"
el~ seyn: le unser Herz,
s ar (eI sc agt, und dIe vOrIge Ordnung nicht
90 Ebd.
91 Ebd. Dabei erweist sich die dispositio der Dia ramma ' . ..
.
Normallage des ordo naturaNs. Sie proJ'iziert dgl'
.: tll~IltatoalsdInsze1l1erungsform der sprachlichen
'
. N h
e "natlll lC le I' nung der G d I " fd'
d er ewcutto. ac Lausberg besteht d,.J
el oruo natura /..
zs III der d h'
. eI an cen au Ie Ebene
entsprechenden Abfolge deI' Ge I h'
'd"
em lstonsclen Geschehensverlauf
sc le nIsse 1ll er nar~ t' "(L b
'
S, 27). Der ordo artzifizcialis berllht da
f .
a 10
aus erg: Handbuch der Rhetorik
gegen au elller figur t'
U'
'
seI' rhetorischen Operation werden di
H
d a ~ven .mgrupplerung der verba. Bei diee "von aus aus er mvent
I ...
von d en "zentral der elocutio zugehörigen Wor fi , "
10, zuge longen Gedankenfiguren"
nen liefern das Material, das auf der Eb
d ,t)f!;ule~l. unterschIeden (ebd., S, 79) - beide Eben VgI. Jakobson: Semiotik, S. 96.
ene el zsposttzo umgeformt wird.
93 Ebd
Geliert:
von d em guten G esch maclce in Briefen" S. 120
94
S "Abhandlung
1
., . 21.
'
.
6. 4
ehr hält: so unterbricht auch der Mfder die gewöhnliche Art zu denken, und sich ausI11ldrücken, Es ist also in solchen Briefen nichts unnatürlicher, als das, was Nachden'LI
ken, Kunst, un
d M"h
" h 95
u e verrat .
Wie bei Richardson96 ist bei Gellert der Brief ein "abgedrungener Abdruck" jener
S hreib-Umstände, in denen er verfaßt wurde. Er verkörpert als Abdruck den symcomatischen Zwischenraum97 zwischen rhetorischer dispositio und psychischer
bisposition u~d liefert so ~~n diskursiven Rahn:.e~, inner.halb desse.n Truth. und
Nature98 mite1l1ander verknupft werden. Der naturhche Bnef ahmt dIe psychIsche
Disposition einer a~fektgel.adenen Pe.rson na~h und prä~entiert ihre Schreibspure~
als inszenierte genu1l1e IndIces. DabeI steht dIe "method1sche Ordnung zu denken
im Spannungsverhältnis mit der psychischen Unordnung des Gefühls.
Im Werther finden die Wallungen des Herzens ihren sprachlichen Ausdruck in den
eingestreuten "Os" und "Achs"99, die affektbedingten Unterbrechungen des Schreibflusses werden dagegen durch Aposiopesen - oder durch Gedankenstriche - verkörpert. Dergestalt erweisen sich die Gedankenstriche als "abgedrungene Abdrücke" für
die Unaussprechlichkeit des Gefühls: Was man im Text nicht sagen kann, das muß
sich am Text zeigen. Die semiotische Pointe dieser Konstellation besteht darin, daß
sich bei den gesetzten Gedankenstrichen die degenerierte Indexikalität intentionaler
Zeichenverwendung und die genuine Indexikalität der HerzensschriFt überlagern, In
dieser doppelten Indexikalität des Gedankenstrichs wird das semiotische Dilemma,
das die ,Paradoxie der Empfindsamkeit' ausmacht, auf die Spitze getrieben - und aufgehoben, Dies zeigt sich in Werthers Brief vom 10. Ocrober, wo er schreibt: "Wenn
ich nur ihre schwarzen Augen sehe ist mir es schon wohl! Sieh, und was mich verdießt, ist, daß Albert nicht so beglückt zu seyn scheint, als er - hoffte, als ich - zu
seyn glaubte, wenn - Ich mache nicht gerne Gedankenstriche, aber hier kann ich
mich nicht anders ausdrücken - und mich dünkt deutlich genug" (W'; S. 171).
Das ,Paradox der Empfindsamkeit' wird hier bereits als ironisch gebrochenes
vorgeführt, und zwar durch den monumentalen performativen Widerspruch, daß
Werthers Behauptung, er mache nicht gerne Gedankenstriche, durch vier Gedankenstriche gerahmt wird. IOD Die durch diese Gedankenstriche typographisch ver95
96
97
98
99
Ebd., S. 138.
Vgl. Richardson: Clarissa, S. 35.
Vgl. Didi-Huberman: L'image survivante, S. 496.
Richardson: Famela, S. 31.
Vgl. hierzu den schwärmerischen Brief vom 21. Junius: ,,0 es ist mit der Ferne, wie mit der Zukunft! ein großes dämmerndes Ganze ruht vor unserer Seele, unsere Empfindung verschwimmt
darin wie unser Auge, und wir sehnen uns, ach! unser ganzes Wesen hinzugeben, uns mit aller
Wonne eines einzigen, großen, herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen - Und ach! wenn wir hinzueilen, wenn das Dort nun Hier wird, ist alles vor wie nach, und wir stehen in unserer Armut,
in unserer Eingeschränktheit, und unsere Seele lechzt nach entschlüpftem Labsale" (W; S. 57).
100 In der Fassung von 1774 sind es sogar sechs Gedankenstriche. Dort heißt es: "Wenn ich nur ihre
schwarzen Augen sehe, ist mir es schon wohl! Sieh, und was mich verdrüst, ist, daß Albert nicht
so beglükt zu seyn scheinet, als er - hoffte - als ich - zu seyn glaubte - wenn - Ich mache nicht
gerne Gedankenstriche, aber hier kann ich mich nicht anders ausdrücken - und mich dünkt
deutlich genug" (W; S. 170).
-~--_._------
252
6, VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN D '
KONZEPTE DES SCHREIBENS U, LESENS IN DEN LEIDEN DESjUNGENWERTHERS
ESjUNGENWERTHERS
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c saus ruc< e111er Per
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son un der
P tomatlsc len Ausdruckskraft der auf P ' . 1 ..
Brief wird als Ensemble von Schrift un~p~er :e~' corpe~te~l Schrift hergestellt.
' d aprer zum ee enporträt: Die Dl1rh ,,,. "'~ .•~-" ••....
ben übernehmen die Rolle der A
bers spiegelt, 102 Damit werden a~~~~:~G~:~~ sich ~er Seedienzustand des Schrei·"
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Lektüre in den Rah
d'
anna men er physiogl1o ' 1 ~~-,-,L~c_"
men er Bl'lefromanlektüre hineinkopiert.
mrsc lelt'-:7T--'~ ~
6.4,2 Der Werther im Kontext von Mfektrhetorik und Symptom1mmmentat
Die ~hysi?gnomischeLektüre gründet auf einem Verfahre .
teils ff, 1 .1 n d~: Srn~~~mdeutUl1g,
,ersetzung mit den natürlichen Anzeichen d~s Kö a ~ et1 ~etollsc en "Auseil1al1_
s~ognomische Körper-Diskurs nicht erst b i D'd ~p~~~verd~nkt, Daberrst der phye111 Diskurs über poetische Ausdrucksm~ I' rhler~t 'Sson ern schon bei Bodmer
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103 VgI. Schäffnel"'" D as Z'
elCIlen d es Unsichtbaren D ... , I'
,
Jahrhundert und frühen 19, Jahrhundert" S 483 el alzt Iche Bltck und die Semiotik im 18,
104 VgI. Campe: Affekt undAusdruck S 207"
,
105 V I D'd .
"
,
106 Bgei I elO~: ."Das Paradox über den Schauspieler" S 485
o mer: Crttzsche Betrachtungen, S, 283,
,,'
253
6, 4
A ehend von diesel' physiognomischen Grundannahme, entwickeln sich zwei
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die im Zentrum aller affektrhetorischen Überlegungen stehen,
~
in
es um die produktionsästhetische Frage, wie die natürlichen Anen
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",aber auch d'le" Ste1
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zel : des Cörpers"107 - innerhalb des künstlichen Systems der sprachlichen
n zum Ausdruck kommen können, und zwar so, daß der einzelne Sprach~l~ghen
eldruck "als Zeichen der Anwesenheit oder des Ausbruchs eines Affekts" deutbar
~\l:s'd 108 Dies betrifft die natürliche Rhetorik des Sprechens im Rahmen des TheaWl~I09 ebenso wie die des Schreibens im Rahmen des Romans, I10 Zum anderen geht
telabel' auch um die rezeptionsästhetische Frage, wie sich im Rahmen der poetischen
~prach- und Zeichenverwendung - ,in~bes.ondere ~urch ?ie Inszenierung ~enuiner
~ -Indices _ Affekte erzeugen lassen, dre aqUIvaient smd mrt den Affekten, dre durch
die Wahrnehmung genuiner Indices im Rahmen der Lebenswelt ausgelöst werden,
In Bodmers "Von den Figuren der Rede" werden diese beiden Problemstellungen miteinander verknüpft, In seinem Kommentar zum "Trauergedicht eines Vaters über seinen Sohn" untersucht Bodmer die Wirkungen, welche die schriftlich
geschilderten Symptome des Schmerz-Affekts auf ihn als Leser haben, In expliziter Analogie zur Deutung von KrankheitssymptomenIII versucht Bodmer zu
Idären, welche Form von "Symptomata" Mfektregungen am Körper hinterlassen
und wie "die eigene Form des Ausdrucks, oder die Figur, nothwendig daraus habe
entstehen müssen" ,112 Dabei überträgt Bodmer die semiotischen Prinzipien der
Deutung von Affektausdrücken am Körper auf die Deutung jener Affekte, die
durch sprachliche Zeichenkörper ausgedrückt und ausgelöst werden, Das heißt,
sein Gedichtkommentar wird zu einem Symptomkommentar, I13 Mit diesem Symptomkommentar wird ein quasi-theatraler Rahmen etabliert, innerhalb dessen die
sprachlichen Symptome inszeniert und die beim Rezipienten ausgelösten perlokutionären Effekte benannt werden,
Die poetologischen Konsequenzen, welche die Verknüpfung der produktionsästhetischen Frage nach der Mfekrdarstellung mit der rezeptionsästhetischen Frage
nach der Affekterzeugung hat, werden im Werther am äußeren und am inneren
Rand vorgeführt, Die Briefe treten als sprachliche Symptome "seelischer Vorgänge
und Zustände"1l4 auf, die Einlassungen des Herausgebers im letzten Viertel des
107
108
109
110
111
Ebd,
Campe: Affekt und Ausdruck, S, 27,
Vgl. Fischer-Lichte: "Der Körper als Zeichen und als Erfahrung", S, 58,
Vgl. de Kerckhove: Schriftgeburten, S, 82
VgI. Bodmer: Critische Betrachtungen, S, 322, wo es heißt: "symptomata sind nichts andres als
die verschiedenen Würckungen der Leidenschaft, welche durch die Menge solcher Umstände,
die ihr von der Phantasie vorgeleget werden, fortgeführt wird, Sie heissen so, wegen der Gleichheit mit denen Zufällen in Kranckheiten, die im Griechischen diesen Nahmen führen",
112 Ebd, S, 315,
113 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß Bodmer selbst det Verfasser des
"Trauergedichts eines Vaters über seinen Sohn" ist, das heißt, Bodmers Symptomkommentar ist
auch ein Selbstkommentar.
114 Flaschka: Goethes, Werther', S, 194,
254
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES jUNGENWERTHERS
Romans als Symptomkommentare. Die Empfindsamkeit, die in den Briefen Wel'thers symptomatisch zum Ausdruck kommt, soll durch eine empathische Lektürehaltung des Lesers nachempfunden werden.
Vom äußeren Rand her betrachtet, kann man sagen: Die Leiden des jungen Wfrthers legen es darauf an, beim extradiegetischen Leser ein einfühlendes Verständnis
für die perlokutionären Effekte zu wecken, die durch die Kopplung von schwärmerischer Lektüre und schwärmerischer Naturwahrnehmung bei Werther ausgelöst
werden. Durch den Appell zum einfühlenden Verständnis gerät der Leser freilich
selbst in die Gefahr, von der Krankheit Werthers - seiner schwärmerischen Rahmenkonfusion - angesteckt zu werden l15 ; So reicht die Anteilnahme an Werthers
Schicksal - glaubt man zeitgenössischen Berichten - bis zur imitatio des Selbstmordes. 116 Als Reaktion darauf setzte Goethe in der zweiten Auflage von 1775 vor
den zweiten Band den Vorspruch:
Du beweinst, du liebst ihn, liebe Seele,
Rettest sein Gedächtnis von der Schmach;
Sieh, dir winkt sein Geist aus seiner Höhle:
Sei ein Mann, und folge mir nicht nach. ll ?
Dieser paratextuelle Vierzeiler kann als direktiver Sprechakt gewertet werden 11 8,
der darauf abzielt, die perlokutionären Effekte der einfühlenden Romanlektüre zu
lenken. Die Instruktion "Sei ein Mann, und folge mir nicht nach" stellt ldar, daß
die in der Vorbemerkung gemachte Aufforderung zum einfühlenden Verstehen von
Werthers Lebensweg keine Aufforderung zur imitatio dieses Lebensweges im
primären Rahmen der realen Lebenswelt des Lesers ist. Fiktionstheoretisch von Interesse ist dabei der Umstand, daß die Instruktion des Lesers einerseits auf dem Ti..
telblatt - hors livre - als ernsthafter direktiver Sprechakt erfolgt. Andererseits wird
die Instruktion "Sei ein Mann, und folge mir nicht nach" als wörtliches Zitat einer
fiktiven Figur vorgestellt, die ihre Leseanweisung zudem als Wink eines Geistes aus
dem Totenreich gibt. Was primafacie als Versuch gedeutet werden kann, dem realen Leser die Ebenendifferenzierung zu erleichtern und ihn davon abzuhalten, die
Geschichte Werthers auf die eigene Lebensgeschichte zu übertragen, erweist sich
auf den zweiten Blick als Verstärkung der schwärmerischen Rahmenkonfusion.
Dergestalt etabliert der redaktionelle Vorspruch eine "zone intermediaire"119, eine
Zone performativer Überblendungen, in der die "Technik der Doppelrahmung"120
angeführt, aber nicht ausgeführt wird.
Vom inneren Rand her betrachtet, besteht die Pointe des Wl:rther darin, daß die
Konsequenzen der Kopplung von schwärmerischer Lektüre und schwärmerischer
115
116
117
118
119
120
Zur Wirkungsgeschichte der Leiden des jungen Werthers vgl Flaschka: Goethes, Werther', S. 246 ff.
VgJ. Mattenldott: "Die Leiden des jungen Werthers", S. 96.
VgJ. WiethölteriBrecht: "Kommentar", S. 917.
VgJ. Mattenklott: "Die Leiden des jungen Werthers", S. 58.
Compagnon: La Seconde main, S. 328.
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 178.
6.4 KONZEPTE DES SCHREIBENS U. LESENS IN DEN LEIDEN DESjUNGENWERTHERS
255
Naturwahrnehmung - die "Würckungen der Leidenschaft" 121 - als psychologische
Krankheitsgeschichte vorgeführt werden. Die nachgelassenen Briefe fungieren
dabei als pathologische schriftliche Symptome 122 , anhand deren sich die ,innere
Geschichte' Werthers rekonstruieren läßt. 123 Dadurch erfüllen die Leiden des jungen Werthers eine Forderung, die Blanckenburg in seinem zeitgleich erschienenen
Versuch über den Roman formuliert. 124
6.4.3 Der Werther als Darstellung der ,inneren Geschichte'
Für Blanckenburg besteht "das Wesentliche und Eigenthümliche" 125 der Gattung
Roman in der Möglichkeit, die "inme Geschichte des Menschen"126 darzustellen.
Mit der Differenzierung zwischen der äußeren und der inneren Geschichte stellt
sich das Problem der psychologischen Motivation der Handlung. Blancl<enburg
geht es nicht um die Darstellung der "exkarnativen ~este"127 ein.es nach Auß.en
verlagerten written to the moment, das zum Symptom e1l1er dramauschen SchreIbsituation wird, in der "the hearts of the writers must be supposed to be wholly
engaged in their subjects"128, sondern um die Erzähl~ng der psychologisc~e~ U:sachen für dieses Engagement, also um jene VorgeschIChte der ,Herzensschl'lft , die
im Briefroman unerzählt bleibt. Aus diesem Grund zieht Blancl<enburg den Entwicldungsroman dem Briefroman vor. 129
.
..
Das Erzählen der äußeren Geschichte kann zwar dIe BegebenheIt beZIehungsweise das Ereignis einfangen, gibt dem Leser mit der Erzählung aber nur "die Oberfläche das Äußere der geschehenen Dinge" zu sehen. 130 Erst wenn die Schilderung
desse~, was geschah, von der Frage "wie hat sich das zutragen können?" begleitet
wird lassen sich die wahren Beweggründe für die Handlung begreifbar machen.
Dab~i zielt die poetische Nachahmung darauf ab, die kausale Verlmüpfung von innerer Motivation und äußerer Handlung darzustellen. "Das Inme und das Aeußere
des Menschen hängt so genau zusammen, daß wir schlechterdings jenes kennen
müssen, wenn wir uns die Erscheinungen in diesem, und die ganzen Aeußerungen
des Menschen erldären und begreiflich machen wollen". 131
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
Bodmer: Critische Betrachtungen, S. 322.
VgJ. Meyer-Kalkus: "Werthers Krankheit zum Tode", S. 82.
VgJ. Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe, S. 70.
VgJ. Flaschka: Goethes, Werther', S. 181. Nach Flaschka versteht Blanckenburg den Werther "a!s
ein durchaus progressives Muster, in dem die von ihm ausgesprochenen neuen romantheoretIschen Prinzipien schon teilweise ihre praktische Umsetzung erfahren haben" (ebd.).
Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 392.
Ebd., S. 391.
VgJ. Assmann: "Exkarnation", S. 135.
Richardson: Clarissa, S. 35.
Ebd., S. 398, 411. Erwähnt wird neben Richardsons Clarissa auch Rousseaus Nouvelle Htflolse.
VgJ. hierzu auch Buddecke: C. M Wielands EntwicklungsbegrijJ, S. 159.
B1anckenburg: Versuch über den Roman, S. 259.
Ebd., S. 263.
256
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES jUNGhW WERTHERS
Da für Blanckenburg die innere Geschichte im Zentrum des Interesses steht,
kann die Funktion des Dichters nicht mehr wie bei Bodmer und Breitinger mit
der eines "Original-Historicus" verglichen werden, der als Augenzeuge Anteil an
den Begebenheiten hat. 132 Der Dichter der inneren Geschichte wird vielmehr Zu
einem Latenzbeobachter 133 , dessen Aufgabe darin besteht, die Frage, wie sich die
Geschichte hat zutragen können, auch dann zu stellen, wenn er der "Augenzeuge[...] eines Vorfalls" ist. 134 Insofern es nie die "äußeren Umstände" eines Menschen sind, die ihn dazu bewegen, eine Sache zu tun, stellt sich die Frage, welche
Instanz für die Kopplung von äußerer Handlung und innerer Motivation verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang bringt Blanckenburg den Begriff des "Mediums" ins Spiel, "durch das die Person, oder die Begebenheit, hindurch gehen
müsse, um irgend eine Wirkung auf eine andre zu machen. Dies Medium ist das
Herz, die ganze Geistes- und Gemüthsverfassung der Person, auf welche gewirkt
wird". 135
Das ,Medium HerZ' ist nicht mehr die unbekannte Ursache einer genuin indexikalischen ,Herzensschrift', sondern das Herz wird als Quelle möglicher Ursachen
zum zentralen Bezugspunkt des Entwicldungsromans: Das Herz wird zum Modulationsmedium, das jede "wirklich werdende Begebenheit" in ein doppeltes Verhältnis setzt: Die Bewegung des Herzens ist "Wirkung vorhergegangener", aber
auch "Ursache folgender Begebenheiten". 136 Das ,Medium HerZ' transformiert also
die Ursachen, die auf es einwirken, in psychologische Handlungsmotivationen.
Psychologie ist demnach Kausalität, die von Herzen kommt.
Daß das ,Medium HerZ' in den Leiden des jungen Werthers eine zentrale Stellung
einnimmt, läßt sich nicht nur an den editorialen Symptomkommentaren im Berichtteil des Romans ablesen, die deutlich machen, daß "der Blick auf Seele und
HerZ" zur "Lieblingsperspektive des Herausgebers" gehört l37, sondern auch an den
eindeutigen Aussagen Werthers im Briefteil. So schreibt Wenher im Brief vom 9.
Mai, er schätze sein Herz mehr als seinen Verstand, denn es sei "ganz allein die
Quelle von allem [...], aller Kraft, aller Seligkeit und alles Elendes" (117, S. 155).
Wenher endet den Brief mit dem Ausruf: "Ach, was ich weiß, kann jeder wissen _
mein Herz hab ich allein" (ebd.). Dadurch wird das Herz zum "Zentrum der Individualität" erldän 138 , wobei die Art und Weise, wie sich das Individuum den Regungen seines Herzens gegenüber verhält, zum Bestimmungsgrund seines
Charakters wird. So schreibt Blanckenburg in seiner Rezension des Werther: "Es ist
Charakterzug von Wenhern, sich seinem Herzen so oft zu überlassen, als er nur
kann". 139 Mehr noch: Wenher wird als Mann dargestellt, "der nichts war und seyn
132
133
134
135
136
137
138
139
VgI. Bodmer/Breitinger: Die Discourse der Mahlern, V. Discours, E 2 (S. 36).
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 140.
Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 260.
Ebd.
Ebd., S. 261.
Flaschka: Goethes, Werther; S. 194. VgI. hierzu den Beginn des Berichtteils im Werther, S. 199 f.
Engel: Der Roman der Goethezeit, S. 207.
Blanckenburg: Über Romane, S. 41.
6.4 KONZEPTE DES SCHREIBENS U. LESENS IN DEN LEIDENDESjUNGENWERTHERS
257
sollte, als Gefühl" .140 Zugleich betont Blanckenburg die "Gefährlichkeit des
blühenden Frühlings fürs Herz".141
Ein Grund, warum dem Gefühl im Werther eine solch zentrale Stellung eingeräumt wird, besteht darin, daß das Gefühl der genuine Index für die im Menschen
zum Ausdruck kommende Natur ist. Diese aus der empi1:istischen Aufldärungstradition stammende These 142 wird vom Sturm und Drang 1m Kontext der Sprachtheorie und der Geniedebatte radikalisiert. Besondere Bedeutung gewinnen dabei
Herders "Abhandlung über den Ursprung der Sprache", Lavaters Aussichten in die
Ewigkeit sowie Youngs Conjectures on Original Composition.
6.4.4 Der Werther im Kontext der Sprachtheorien Herders und Lavaters
Herder entwirft in seiner "Abhandlung über den Ursprung der Sprache" die
Grundzüge einer "Sprache der Natur" .143 Danach äußert der natürliche Mensch
die Leidenschaften seiner Seele" durch "Geschrei", "Töne", "wilde, unartikulierte
La~~e".144 Zugleich hat der Mensch aus der "Hand der Natur" das Gesetz mitbekommen: ",Empfinde nicht für dich allein: sondern dein Gefühl töne!'" Dieses Gesetz impliziert, daß die Empfindungen "von allen wie von einem ~itfühlend
vernommen"145 werden können. Aus diesem Sprachursprungsmodell z1eht Herder
drei Konsequenzen, welche die Poetik der Empfindsamkeit radikalisieren. Erstens
geht Herder davon aus, daß sich die "Sprachen ~es Ursp~ungs"146. durch ~hre genuin indexikalische Tonalität 147 und ihre rhetonsche Wuksamke1t ausze1chnen:
Die Wurzeln der "einfachsten, würksamsten, frühesten Verben" sind "Ausrüfe der
Natur" .148 Zweitens führt er die Poesie auf die Sprache der Natur zurück, wenn er
behauptet: "Denn was war diese erste Sprache als eine Sarn:mlu~g von Elementen der
Poesie?" 149 Drittens vertritt Herder die Auffassung, daß s1ch d1e Sprache der Natur
als Sprache der ~mpfindung n~cht .im Me~ium der rep1:äsenta~ive.nSp~achl~oder
Vernunft - und msbesondere 1l1cht 1m Medmm der Schnft - mme1len laßt.
Für diese dritte Konsequenz bietet Herder zwei alternative Begründungen an, ei~e
mediale und eine metaphysische. Die mediale Begründung geht davon aus, daß d1e
Sprache der Natur "sehr einfach" ist. Wenn nun die Töne dieser natürlichen Sprac~e
"artikuliert und als Interjektionen aufs Papier hinbuchstabiert werden, so haben d1e
140
141
142
143
144
145
146
147
Ebd., S. 27.
Ebd.
VgI. Hume: Bnquiry Concerning Human Understanding, S. 48 (§ 39).
Herder: "Abhandlung über den Ursprung der Sprache", S. 5.
Ebd., S. 3.
Ebd., S. 4.
Ebd., S. 6.
VgI. Peirce: Collected Papers, 2.254, wo Peirce als Beispiel für ein Qualisign den Ton einer Stimme
nennt.
148 Herder: "Abhandlung übel' den Ursprung der Sprache", S. 7.
149 Ebd., S. 35.
150 Vgl. Abbott: "The Semiotics ofYoung Wenher", S. 45.
258
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
entgegengesetztesten Empfindungen fast einen Ausdruck. Das matte Ach ist sowohl
Laut der zerschmelzenden Liebe als der sinkenden Verzweiflung; das feurige 0 sowohl Ausbruch der plötzlichen Freude als der auffahrenden Wut [... ]".151
Das Manko semantischer Mehrfachkodierungen entschuldigt Herder mit der
rhetorischen Replik: "allein sind denn diese Laute da, um als Interjektionen aufs
Papier gemalt zu werden?"15 2 Nicht nur die Einfachheit der natürlichen Sprache,
auch ihre Lebendigkeit verhindert, daß sie sich im Medium der Schrift mitteilen
läßt: "Je lebendiger nun eine Sprache ist, je weniger man daran gedacht hat, sie in
Buchstaben zu fassen, je ursprünglicher sie zum vollen, unausgesonderten Laute
der Natur hinaufsteigt, desto minder ist sie auch schreibbar" .153
Die Sprache der Natur läßt sich nur singen - etwa in Form von Volksliedern beziehungsweise von Liedern, die sich als Volkslieder ausgeben wie Macphersons Ossian. 154 Zugleich wird der Rekurs auf die Lebendigkeit auch zur Vorlage für die
metaphysisch überhöhte Begründung der Unfaßbarkeit der "Laute der Natur" im
Medium der Schrift: "Es war Odem Gottes, wehende Luft, die das Ohr aufhaschete, und die toten Buchstaben, die sie hinmaleten, waren nur der Leichnam, der
lesend mit Lebensgeist beseelet werden mußte! [...] Was ist unschreibbarer als die
unartikulierten Töne der Natur?"155
151
152
153
154
Herder: "Abhandlung über den Ursprung der Sprache", S. 5 f.
Ebd.
Ebd., S. 8.
So geht Herder in seiner im gleichen Jahr entstandenen Abhandlung "Von deutscher Art und
Kunst" ausführlich auf "Ossian und die Lieder alter Völker" ein. "Wissen Sie also", schreibt er
dort, "daß je wilder, d. i. je lebendiger, je freiwirkender ein Volk ist (denn mehr heißt dies Wott
doch nicht!), desto wilder, d. i. desto lebendiger, freier, sinnlicher, lyrisch handelnder müssen
auch, wenn es Lieder hat, seine Lieder sein! Je entfernter von künstlicher, wissenschaftlicher Denkart, Sprache und Letternart das Volk ist: desto weniger müssen auch seine Lieder fürs Papier gemacht, und tote Lettern Verse sein" (Herder: "Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und
die Lieder alter Völker", S. 9). Paradigmatisch hierfür sind die 1765 erschienen Works ofOssian,
Son ofFingal- angeblich handelt es sich um ein Ancient Epic Poem des alten gälischen Sängers
Fingal, niedergeschrieben von seinem Sohn Ossian und übersetzt von Macpherson. Tatsächlich
stammen die Works ofOssian großenteils von Macpherson, der sich in seinem "Advertisement"
geschickt als Herausgeber-Übersetzer in Szene setzt, wenn er, auf sich selbst in der dritten Person referierend, den folgenden Publikationsbericht liefert: "Some men of genius, whom he has
the honom 1'0 number among his friends, advised hirn to publish proposals for printing by subscription the whole Originals, as a bettel' way of satisfying the public concerning the authenticity of the poems, than depositing the manuscript copies in any public library. This he did; but
no subscribers appearing, he takes it for the judgement of the public that neither the one nor the
other is necessary. However, there is a design on foot 1'0 print the Originals, as soon as the transIator shall have time 1'0 transcribe them for the press; and if this publication shall not take place,
copies will then be deposited in one of the public libraries, to prevent so ancient a montuuenr oE
genius from being lost" (Macpherson, Ossian, A2). Offenbar scheinen sowohl Herder als auch
Goethe von der Authentizität des Ossian überzeugt gewesen zu sein. So feiert Herder die Works
ofOssian nicht nm als "episches Original", sondern verteidigt ausdrüddich deren "Wahrheit und
Authentizität" (Herder: "Auszug aus einem BriefWechsel über Ossian und die Lieder alter Völker", S. 2). Zu dem mit Erscheinen der Works ofOssian ausgebrochenen Streit um deren ,Echtheit' vgl. Wuthenow: "Die erfolgreichste Fälschung: Macphersons ,Ossian''', S. 187 fE.
155 Herder: "Abhandlung über den Ursprung der Sprache", S. 9.
6.4 KONZEPTE DES SCHREIBENS U. LESENS IN DEN LEIDEN DESJUNGENWERTHERS
259
Hier werden die Hypothesen über den natürlichen Ursprung der Sprache mit
dem biblischen Schöpfungsmythos verknüpft und liefern damit die Prämissen für
eine pietistisch-schwärmerische Sprachauffassung, wie sie auch Lavatel' in seinen
Aussichten in die Ewigkeit formuliert. 156 Nach Lavatel' zeichnet sich das Verhältnis
der "izigen Sprache" zu der künftigen, "himmlischen" durch das gleiche repräsentative Ungenügen aus, das Herder zwischen der geschriebenen und der natürlichen
Sprache feststellt. 157 Zugleich. rekurrieren Lavaters Spe~mla:ionen ~ber .die künftige Sprache im Himmel auf ewe Sprachursprungstheone, die ganz Im S1l1ne Herders ist. "Alle willkürliche Sprachen", so Lavatel', "scheinen Abarten, Verdrehungen,
Verstümmelungen einer ersten Natursprache zu seyn" .158 Diese erste Natursprache
hat gestischen Charakter, und obgleich die gegenwärtige Sprache nur eine Degenerationsform dieser ursprünglichen, natürlichen Sprache ist, besteht sie residual
in der Physiognomie fort. In den Gesichtszügen findet die natürliche Sprache der
Empfindung ihren genuin indexikalischen, gestischen ~usdru~k. Der!3estalt werden die Hypothesen über die erste Natursprache zu Prämissen ewer gleichermaßen
anthropologischen wie metaphysischen Argumentation. Die Schnittstelle zwi~ch~n
beiden Argumentationen ist die Empfindung, also das Gefühl. Das Gefühl Ist Jedoch nicht nur das Verbindungsglied zwischen der einstigen Sprache der Natur
und der künftigen Sprache des Himmels, sondern es hat auch eine kommunikative Funktion hier und jetzt. So schreibt Lavatel' in seiner "Predigt über das Buch
Jonas" - eben jener Predigt, auf die der Herausgeber des Werther in seiner fünften
und letzten Fußnote (W; S. 67) verweist: "Ich mögte nicht nur Worte über Euch
ausgießen, die keine Kraft hätten; ich mögte aus meinem Herzen an Eure Herzen
reden, durch Empfindung Empfindung erwecken". 159
Hier skizziert Lavatel' in einem Satz genau jenes empfindsame Sprachkonzept,
das die Leiden des jungen Werthers durchzieht. Mehr noch: Lavatel' entfaltet ein
Konzept wirkungsmächtigen Sprechens, das auf seinen Gegenstand (die göttliche
Güte) mit dem Effekt verweist, daß "unser Herz dadurch zu einer lebendigen, fro· d" 160 D'lese Ieb en d'Ige
hen, dankbaren Empfindung erweckt un d entzün d et wir.
Empfindung beglaubigt als perlokutionärer Effekt des Verstehens die semantische
Bedeutung der geäußerten Worte. Anders gewendet: Die durch die geäußerten
156 Im 16. Brief _ dem einzigen, über den sich Goethe in seiner Rezension der Aussichten in die Ewigkeit positiv äußert _ schreibt Lavatel': "Lassen Sie mich ein wenig von unserer Sprache im Himmel stammeln; stammeln, sag' ich - denn unaussprechlich verschieden von unserer izigen Sprache
muß unsere himmlische seyn. Willkürliche Töne, die mit dem, was sie vorstellen sollen, in keiner natürlichen unmittelbaren Verbindung stehen, scheinen offenbar ein so unvollkommnes zufälliges, unbestimmtes Mittel zu seyn, unsere Gedanken und Empfindungen andern
mitzutheilen, daß ich mir schlechterdings nicht vorstellen kann, daß diese in jenem Lande der
Wahrheit noch sollen statt haben können" (Lavatel': Aussichten in die Ewigkeit, S. 51).
157 Vgl. Abbott: "The Semiotics ofYoung Werther", S. 49: "In both Herder's and Lavater's systems,
the move from namral, unarticulated language to the arbitrary language of culmre means a definite loss".
158 Lavatel': Aussichten in die Ewigkeit, S. 57.
159 Lavater: "Predigten über das Buch Jonas", S. 16.
160 Ebd.
i
.1
260
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDENDESJUNGEN WERTHERS
6.4 KONZEPTE DES SCHREIBENS U. LESENS IN DEN LEIDEN DESJUNGEN WERTHERS
261
Worte erweckten Empfindungen sind Spiegelungen der in den Worten schlum_
mernden Bedeutungen. Das heißt zum einen: Verstehen wird zu einem ,semanti.
sehen Erweckungserlebnis'. Zum anderen erfährt mit dieser rezeptionsästhetischen
Pointe das überwunden geglaubte "Denken durch Ähnlichkeit"161 seine Wieder.
geburt: Im Zeitalter der Empfindsamkeit wird das Denken durch Ähnlichkeit als
Ideal ,sympathetischen Verstehens' in den Rahmen eines rationalen Repräsentati.
onsmodells ,hineinkopiert'.
In den Leiden des jungen Werthers überlagern sich die bislang skizzierten Aspekte.
Werther folgt Lavaters Idee einer Kommunikation von Herz zu Herz: Er möchte
"durch Empfindung Empfindung erwecken"162, wobei er "nur die ähnliche Erfahrung als Reaktionsinstanz" anerkennt. 163 Werthers Idealbild des Verstehens ist, daß
"bey - oh! - bey der Stelle eines lieben Buches [...] mein Herz und Lottens in einem
zusammentreffen" (111'; S. 157). Die Vollzugsweisen dieser sympathetischen Kommunikation sind zum einen gefühlte Lektüreeindrücke, zum anderen gefühlte Worte
d·le ,,- 0 h"
! - von Herzen kommen. Bei Lottes Ausruf ,,- Klopstocld _ce (TI?, S. 53)'
interferieren beide Modi. Das angesichts eines Gewitterregens geäußerte ,,- Klopstock! _ce verweist nicht nur metonymisch aufKlopstocks Gedicht "Frühlingsfeyer",
in dem eine Gewitterstimmung beschrieben wird, sondern Lottes Ausruf bezeichnet
eine doppelte Analogie perlokutionärer Effekte l64 : Die Wahrnehmung des Gewitters
und die Erinnerung an die Lel<türe von Klopstocks Gedicht lösen bei Lotte analoge
"emotionale Interpretanten" aus. 165 Dialogisch verdoppelt wird diese Analogie dadurch, daß Lottes Ausruf auch Werther in einem "Strome von Empfindungen" versinken läßt (111'; S. 55). Daß Werther fühlend versteht, was Lotte mit ,,- Klopstock!
_ce meint, wird zum genuinen Index dafür, daß beider Herzen "sympathetisch" (TI!;
S. 157) schlagen. Entscheidend für das dabei zum Ausdruck kommende schwärmerische Ideal ,sympathetischen Verstehens' ist, daß die repräsentative Äquivalenz der
logischen Interpretanten von einer Analogie emotionaler Interpretanten überlagert
wird: Im schwärmerischen Diskurs gründet das ,Denken durch Ähnlichkeit' auf
einem gemeinschaftlichen, aber gleichwohl exldusiven ,Fühlen der Ähnlichkeit'.
Nicht nur Lavaters Idee einer sympathetischen Kommunikation von Herz zu
Herz, auch Herders Skepsis gegenüber der Schrift als Ausdrucksmedium lebendigen Sprechens hinterläßt im Werther ihre Spuren. Dies zeigt sich insbesondere
daran, daß in Werthers Briefen unaufhörlich mündliche Rede als wörtliches Zitat
hilleillkopiert wird. Dadurch entsteht eine Form konzeptioneller Mündlichkeit,
die durch eine im Akt des Zitierens vollzogene mediale Modulation determiniert
ist: eine Modulation, mit der die Lebendigkeit mündlicher Rede trotz des Medienwechsels bewahrt bleiben soll. 166 So berichtet Werther im Brief vom 10. September in Form eines wörtlichen Zitats von Lottes Zwiegespräch mit ihrer toten
Mutter: "O! die Gestalt meiner Mutter schwebt immer um mich, wenn ich am stillen Abend unter ihren Kindern, unter meinen Kindern sitze und sie um mich versammelt sind, wie sie um sie versammelt waren" (TI?, S. 119).
Hier wird Lottes mündliche Rede von Werther Wort für Wort im Rallmen eines
Briefs schriftlich zitiert. Genaugenommen handelt es sich sogar um das Zitat eines
Zitats, denn Lotte berichtet Werther über ihr Zwiegespräch in Form eines Selbstzitats. "Könntest du unsere Eintracht sehen, liebe Heilige!", so Werther an Wilhe1m,
Lüttes Rede mit der toten Mutter schriftlich wiederholend, "du würdest mit dem
heißesten Danke den Gott verherrlichen, den du mit den letzten, bittersten Tränen
um die Wohlfahrt deiner Kinder batest" (TI?, S. 119). Im folgenden Satz kommentiert Werther dann sein wörtliches Zitat von Lottes mündlicher Rede folgendermaßen: "Sie sagte das! 0 Wilhelm, wer kann wiederholen, was sie sagte! Wie kann der
kalte tote Buchstabe diese himmlische Blüthe des Geistes darstellen!" (TI?, S. 119)
Die von Werther behauptete Nicht-Wiederholbarkeit der Rede Lottes ist unter
semantischen Gesichtspunkten als offensichtlicher performativer Widerspruch zu
werten, da Werther ja gerade alles, was Lotte ihm erzählt hat - einschließlich d~s
Gesprächs mit der toten Mutter - wörtlich zitiert h~t. Der Topos der. Unsagbal:ke~t
wird in actu, nämlich im Akt des Zitierens, dementiert. Nur unter el11em semlOtisehen Gesichtspunkt wird die These von der Nicht-Wiederholbarkeit plausibel,
nämlich dann, wenn man die tonale Qualität des "tote[n] Buchstabe[ns]" der "phänomenalen Fluidität"167 der menschlichen Stimme gegenüberstellt, die aufgrund
ihrer Lebendigkeit einzig in der Lage ist, der "himmlischen Blüthe des Geistes" zum
Ausdruck zu verhelfen. Insofern sich die These der Nicht-Wiederholbarkeit auf die
mediale Differenz zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit bezieht, kommt damit
nicht nur Lavaters metaphysische Sprachtheorie - insbesondere seine Unterscheidung zwischen irdischer und himmlischer Sprache - ins Spiel, sondern auch Youngs
poetologische Unterscheidung zwischen originaler und kopierter Schrift.
Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 98.
Lavatel': "Predigten über das Buch Jonas", S. 16.
Waniek: "Werther lesen und Werther als Leser", S. 58.
Zur Bewertung des Ausrufs "Klopstock!" vgl. Alewyn: J(fopstock!", S. 357, KittleI': "Autorschaft
und Liebe", S. 144, sowie Binczek: "Medien- und Kommunikationstheorie", S. 157, wo Binczek
die exclamatio als metasprachliche Geste deutet, "die eine spezifische, hier mit dem Namen des
Dichters Friedrich Gott/ieb Klopstock verbundene Erfahrung hervorruft, die die Kommunikationspartner einander wechselseitig zlll'echnen".
165 Vgl. hierzu die meines Erachtens für eine semiotische Analyse empfindsamer Zeichenverwendung äußerst relevante Peircesche Unterscheidung zwischen emotionalen, energetischen und logischen Interpretanten. Nach Peil'ce ist der erste "significare effect of a sigll [...] a feeling pl'Oduced
by it" (Peirce: Collected Papers, 5.475).
6.45 Der Werther im Kontext von Youngs Conjectures on Original Composition
161
162
163
164
Während die Schrift bei Herder und Lavatel' als Totengräberin der lebendigen
Sprachäußerung diskreditiert wird, eröffnen Youngs Conjectures on Original 0m position 168 - 30 Jahre vor Kant - die Möglichkeit, die Schrift als Ausdrucksmedmm
c'
166 Vgl. hierzu Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr, S. 321.
167 Krämer: "Sprache - Stimme - Schrift", S. 43. Vgl. auch Wellbery: "Morphisms of the Phantasmatic Body", S. 205, der von einer "interference of orality and writing" spricht.
168 Erschienen 1759, ins Deutsche übersetzt 1760 unter dem Titel Gedanken über die Original-Werke.
il
i
262
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
eines in der Natur verwurzelten Original-Genies zu begreifen. 169 Nach Young h
der Geist des Genies die Kraft eines "immerwährenden Frühling[s]", und die Ol~~
ginale, die das Genie hervorbringt, sind "die schönsten Blumen dieses Frühlings".l7° Nachahmungen wachsen dagegen "geschwinder", bringen dafÜr abe'
".nur mattere Blumen" hervor. 171 Hier wird ein Natura-naturans-Prinzip fOl'lnu~
hert, das durch das ~riginal-Gen!e voll~oge? wird, sobald es s.ei~ Werk auf die gleiche wunderbare Welse hervorbnngt wIe dIe Natur. Das Onglllal hat "etwas Von
der Natur der Pflanzen an sich", denn "es schießt selbst aus der belebenden Wurzel des Genies auf; es wächset selbst, es wird nicht durch die Kunst getrieben". 172
Die Natur wird der Kunst, das schnelle Wachstum dem natürlichen Wachstum
das Eigene-Wurzeln-haben der künstlichen Verpflanzung gegenübergestellt: "Fe1'l~
von diesem blühenden Frühlinge ist der Nachahmer, der die Lorbeerzweige nUr
verpflanzet, welche oft bey dieser Versetzung eingehen, oder doch allezeit in einem
fremden Boden schwächer fortkommen". 173
Die Besonderheit des Youngschen Geniekonzepts besteht nun darin, daß die Argumentation hinsichtlich der auktorialen Originalität auf die individuelle Originalität aller Menschen angewandt wird. Nicht nur das poetische Individuum,
sondern jedes Individuum hat die Möglichkeit zu wählen, ob es sich zu "den
Sphären der Freyheit aufschwingen" oder aber "in den sanften Fesseln einer leichten Nachahmung bleiben" möchte 174 , denn die Natur bringt alle Menschen als originale, unverwechselbare Einzelwesen auf die Welt:
~icht zwey G~sichter, nicht zwo Seelen sind einander vollkommen ähnlich; alle tragen
vIelmehr das SIchtbare Unterscheidungszeichen det Natur an sich. Da wir nun als Originale gebohren werden, wie kömmt es doch, daß wir als Copien sterben? Die Nachahmung, der Affe, der sich immer darain mischet, sobald wir zu den Jahren der
Indiscretion (erlauben Sie mir dieses Wort) gelangen, ergreifet die Feder und streichet
das Unterscheidungszeichen der Natur aus, zerstört ihr schönes Vorhaben, und vernichtet die ganze Individualität der Seele. 175
169 VgI. Blamberger: Das Geheimnis des Schöpfirischen oder: Ingenium est ineffibile?, S. 72, der in
Youngs Conjectures eine radikale, in Kants Kritik der Urteilskraft dagegen eine gemäßigte Genieästhetik erkennt. Während Kant versucht, "die Konflikte zwischen schöpferischem Eigensinn
und Gemeinsinn zu beseitigen" (ebd.) und als Erkennungszeichen des Genies "die Wirkung seines Werkes" setzt (ebd., S. 67), hat das kreative Subjekt bei Young für seine Schaffenstätigkeit
"keine andere Voraussetzung als seine Eigentümlichkeit": Es hat "das ,Unterscheidungs-Zeichen
der Natur' zu erkennen und auszudrücken" (ebd., S. 71). Insofern ist für Youngs Konzept "authentischer und autonomer Kreativität [00'] die Geste des SelbstschöpfertLuns" wichtiger "als das
geschaffene Werk" (ebd., S. 72).
170 Young: Gedanken über die Original- Werke, S. 15.
171 Ebd.
172 Ebd., S. 17.
173 Ebd., S. 16.
174 Ebd., S. 22.
175 Ebd., S. 40.
6.4 KONZEPTE DES SCHREIBENS U. LESENS IN DEN LEIDEN DESJUNGENWERTHERS
263
Interpretiert man diese Stelle unter semiotischen Gesichtspunkten, so muß das
sichtbare Unterscheidungszeichen der Natur" als genuiner Index gewertet werden,
der im Kontext der Kultur zu einem degenerierten Index moduliert wird. Die doppelte Indexikalität des "Unterscheidungszeichens" verweist auf das Verhältnis von
Original und Kopie, das durch eine Replikationsregel bestimmt wird, die ebenfalls
eine Modulation erfährt: Der Mensch, der als ,originaler Type' geboren wurde,
stirbt als ,kopiertes Token' seiner selbst. Die These, daß wir als Kopien sterben,
wird von Young mit dem Bild des Affen verknüpft, der die Feder ergreift, um das
originale "Unterscheidungszeichen der Natur" zu überschreiben. Damit wird die
nachahmende Schrift - also das abschreibende Zitieren anderer Autoren - als Ursache für den Verlust an natürlicher Originalität und Authentizität benannt.
Mit seinem Bild vom verpflanzten Lorbeerzweig, der im "fremden Boden
schwächer fortkomm[t] "176, erweitert Young die platonische Metapher des
"Buchstabengärtchens". Im Phaidros spricht Sokrates vom "Spiel der Schrift", das
zwar zur Poesie, nicht aber zur Philosophie als Wissenschaft des Gerechten, des
Schönen und des Guten taugt. Schreiben heißt, mit Tinte und Feder "Reden aussäen, die doch nicht imstande sind, sich selbst durch das Wort zu helfen". Der
,Garten der Schrift' ist ein Ziergärtchen, in dem die Samen in acht Tagen wachsen, aber keine Frucht bringen. Wem "ernstlich" daran gelegen ist, Frucht zu
bringen, der wird dagegen "in Anwendung der Kunst des Landbaus an den passenden Ort säen und dann zufrieden sein [... J, wenn das, was er gesät hat, im
achten Monat zur völligen Reife kommt". Nur das mündliche Gespräch eröffnet
die Möglichkeit, in die Seele des anderen Reden zu pflanzen, "die sich selbst und
dem Pflanzenden helfen können und nicht unfruchtbar sind, sondern Samen tragen" .177
Young nimmt in seinen Conjectures eine höchst bemerkenswerte Umwertung
von Platons Schriftbild vor. An die Stelle einer generellen Abwertung der Schrift
tritt die Abwertung eines bestimmten, nichtauthentischen Modus des Schreibens,
der nicht mehr in der Natur verwurzelt ist. Dabei antizipiert die Natur- und
Pflanzenmetaphorik, die Young zur Differenzierung von Original und Kopie verwendet, sowohl Austins Rede von der "parasitären Auszehrung" (etiolation) 178 zitierter Äußerungen als auch Derridas Modell der "zitationellen Aufpfropfung"
(greffe citationelle).179 Das Bild vom abschreibenden Zitieren als Verpflanzen eines
Lorbeerzweigs, der im "fremden Boden schwächer fortkomm[t]"180, steht in
funktionaler Analogie zu Austins Metapher der etiolation und zu Derridas Modell der greffe. Das tertium comparationis ist dabei in allen drei Fällen die Wachstumskraft. Der Lorbeerzweig als Metonymie für den Ruhm des Original-Autors
176 Ebd. S. 16.
177 Platon: Phaidros, 276b-277a.
178 VgI. Austin: How to Do Things with WOrds, S. 22. Der Ausdruck "to etiolate" bedeutet, etwas
durch Lichtmangel zu bleichen, etwas zu "vergeilen" und dadurch zu "schwächen". Die Vergeilung führt dazu, daß die ,ins Kraut geschossene' Pflanze keine Frucht mehr trägt.
179 Derdda: "Signatur Ereignis Kontext", S. 32, im Original: S. 381.
180 Young: Gedanken über die Original- Werke, S. 16.
6.4 KONZEPTE DES SCHREIBENS U, LESENS IN DEN LEIDEN DESjUNGENWERTHERS
264
wird durch das Verpflanzen geschwächt, weil er keine kraftspendenden Wurzel
ha.t,. sondern bloß ein ,Steckling' ist. Diese Art des Verpflanzens stellt eine pr~
mltlve Vorform der Aufpfropfung als Veredelung einer im Boden verwurzelt
en
,Unterlage' dar. 181
YOU1:gS Engführung von Kopierverfa~r~n und Individualität bezieht sich jedoch lllcht nur auf das Erzeugen von ongmalen Werken, sondern auch auf das
Zuschreibungsverhältnis, das aus dem originalen Erzeugen abgeleitet werden
kann. Dabei wird die physiognomische Argumentation, der zufolge das originale
Gesicht das "Unterscheidungszeichen der Natur" an sich trägt, auf das Werk de
Original-Genies übertragen, das die Verkörperung genialer Individualität ist~
"Seine Werke werden stets ein unterscheidendes Merkmal an sich tragen! Ihm al~
lein wird das Eigenthum darüber zugehören; und nur dieses Eigenthum kann allein den edeln Titul des Autors geben" .182 Das Eigentumsrecht am Werk wird an
ein "unterscheidendes Merkmal" gekoppelt, welche das Werk vom Original-Scribenten als seinem ursächlichen Erzeuger ,geerbt' hat. Dadurch steht das "unterscheidende Merkmal" in funktionaler Analogie zu dem oben erwähnten
"Unterscheidungszeichen der Natur": Es markiert als genuiner Index, der von
einem degenerierten Index überlagert wird, die Differenz zwischen der individuellen Existenzweise des Original-Scribenten und der "copierte[n] Existenzweise"183 des Nachahmers. Der "Titul des Autors" fungiert dabei als autoreflexiver
degenerierter Index einer Aussagefunktion, die keine anderen Originale kopiert,
sondern selbst einen Anfang setzt und dadurch ein geistiges Erstgeburtsrecht geltend macht.
Hier kommen mit der Differenzierung zwischen Original und Kopie zwei verschiedene Möglichkeiten ins Spiel, um Natürlichkeit und Schriftlichkeil' miteinander ins Verhältnis zu bringen: Der "Feder eines Original-Scribenten", die einen
"blühenden Frühling hervorbringt"184, wird die Feder des nachahmenden Affen
gegenübergestellt, der "das Unterscheidungszeichen der Natur aus[streicht]",185
Der Mfe ist die Personifikation eines aufpfropfenden Schreibverfahrens, das dem
Schreibenden auf eine Art und Weise die Feder führt, sodaß seine natürliche Originalität in eine kopierende und kopierte Existenzweise moduliert wird, welche "die
ganze Individualität der Seele" vernichtet, 186 Während die kopierte und kopierende
Existenzweise dem Individuum durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
vorgeschrieben wird, muß sich eine Existenzweise, die original sein will, ihrer
natürlichen Wurzeln bewußt bleiben.
181
182
183
184
185
186
265
6, VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
Vgl. Allen: Pfropfen und Beschneiden, S. 62.
Young: Gedanken über die Original- Werke, S. 48 f.
Luhmann: "Individuum, Individualität, Individ,lalismus", S. 221.
Young: Gedanken über die Original- Werke, S. 16.
Ebd., S, 40.
Ebd,
6.4.6 Der Werther als Darstellung einer kopierten und
kopierenden Existenzweise
Vor dem Hintergrund der Youngschen Genieästhetik läßt sich feststellen, daß im
Werther nicht nur die "Gefahrlichkeit des blühenden Fr~hlings fürs H~rz"187 ".o~·führt wird, sondern auch das Scheitern Werthers, mIt der "Feder emes Ongl188
~:I_Scribenten" einen "blühenden Frühling" h.ervorzubringen. Für d~eses
Scheitern gibt es zwei Gründe. Erstens entpuppt SICh Werthers Leben ~ls ko.plerte
Existenzweise: Ein Leben, das sich als "Zitat von Ang~lesenem":89 a~ lIt~ransche?
Helden orientiert: Homers Odyssee, McPhersons Osszan und dIe Bzbel liefern die
'ntertextuell en Folien für Werthers schwärmerische Sicht der Welt und vor allem
~ür seine Selbstwahrnehmung: "Als Homerischer Ulyß beginnend und als Ossianischel' Barde endend, immer raschelt das Papier seiner Lektüren neben Werthers
Leiden" .190 Dabei identifiziert er sich so stark mit den literarischen Vorlagen, "daß
I ' " 191 S
h
·
die Grenzen zwischen Ge Iesenem un d E1genem versc lWlmmen .
0 ste t
Werthers Geschichte exemplarisch für ein Leben, "das Supplement zum Lesen
bleibt und übers Lesen nicht hinauskommt". 192 Sogar sein Selbstmord, die au·
thentische Geste par excellence - orientiert sich an einer intertextuellen Vorlage:
Emilia Galotti lag auf dem Pulte aufgeschlagen" (W; S. 265) - nur zu offen~ichtlich ist Werthers Selbstmord als Zitat von Emilias Opfertod markiert. So besehen erweist sich Werthers Leben als eine kopierte Existenzweise, die er "bis in
den Tod hinein führt" .193 Zugleich bestätigt er damit Youngs These, daß wir "als
' ster b"
Originale ge b 0 h ren wer d en " ,ab er aIs" C
op1en
en . 194
Der zweite Grund für Werthers Scheitern besteht darin, daß Werthers künstlerischer Anspruch, als Original-Scribent einen blühenden Frühling hervorzubringen, von seinen empfindsamen ,,~riginal impres~ions"195 ~~nes realite~. bl.ühen~en
Frühlings annulliert wird. Das "Wlmmeln der ldemen Welt auf der FruhlIngswlese
löst in Werther einen Gemütszustand aus, den er enthusiastisch als "süßen Frühlingsmorgen" begrüßt, der ihn aber zugleich daran hin~ert, kün~tlerisch, produktiv zu werden. So heißt es im Brief vom 10. Mai: "Ich bm glücklich, mem Bester,
so ganz in dem Gefühle vom ruhigen Daseyn versunken, daß. meine Ku~st d~ru~
tel' leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen StrIch, und bm llle em
größerer Mahler gewesen alsin diesen Augenblicken" (W; S. 15).
Werther spielt hier die rezeptionsästhetische Originalität des ,Selbstfühlens'
gegen die produktionsästhetische Originalität des ,Selbstschaffens' aus. Er erldärt
187 Ebd.
188 Young: Gedanken über die Original-Werke, S. 16,
189 Schlaffer: "Exoterik und Esoterik", S. 216.
190 Mattenldott: "Die Leiden des jungen Werthers", S, 78; vgl. auch ebd., S. 83,
191 Pütz: "Werthers Leiden an der Literatur", S. 60.
192 Haverkamp: "Illusion und Empathie", S. 255,
193 El'hart: "Beziehungsexpel'imente. Goethes Werther und Wielands Musarion", S. 359.
.'
' ,
194 Young: Gedanken über die Original-Werke, S, 40.
195 Vgl. Hume: Treatise ofHuman Nature, Bd. 1, S. 318, sOWIe Lobslen: Kunst der ASSOZiatIOn, S. 25.
266
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DESJUNGEN WERTHERS
die perlokutionären Effekte seiner schwärmerischen Naturwahrnehmung zu poetischen Erzeugnissen l96 , die er höher bewertet als alle möglichen Produkte seines
künstlerischen Schaffens. Zugleich - und hier liegt die eigentliche Ursache für
Werthers künstlerisches Scheitern - wird seine schwärmerische Wahrnehmung der
Natur immer auch von dem Wunsch begleitet, die perlokutionären Effekte diesel'
Naturwahrnehmung authentisch zu Papier zu bringen: "Ach könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papiere das einhauchen, was so voll, so wann in
dir lebt, daß es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des
unendlichen Gottes!" (W; S. 15).
Hier wird zum einen die Nachahmung der Natur als ,doppelte Spiegelung' beschrieben, bei der die Seele zum Medium authentischen Ausdrucks fungiert. Zum
anderen drückt sich in der Unmöglichkeit, auf diese Weise zu einem authentischen
Ausdruck zu gelangen, eine "Radikalisierung seiner subjektiven Ansprüche"197 bei
gleichzeitigem "Unvermögen zu ästhetisch angemessener Repräsentation" aus.198
Indem Werther das Konzept einer medial vermittelten, authentischen SchreibSzene durch die Utopie einer ursprünglich-unmittelbaren göttlichen Schöpfungs_
Szene substituiert, wird Authentizität zu einem durch Kunst nicht mehl'
einzulösendes Phantasma. Dies zeigt sich ex negativo daran, daß Werthers utopisches Authentizitätskonzept im Gegensatz zu Youngs Modell des Original-Set'ibenten auf die Feder verzichtet. Der göttliche Schöpfer bedarf keiner exkarnativen
Geste, mittels deren er das Papier beschreibt, sondern inkarniert seine Gedanken
dem Papier durch einen Akt des Einhauchens. 199
Allerdings wird das damit implizierte Konzept einer "semiotischen Annihilierung"200 der authentischen Schrift dadurch konterkariert, daß Werther zwei
Briefe später zur medialen Metapher der ,reinen Abschrift' zurückkehrt: "Ich
habe heute eine Szene gehabt, die, rein abgeschrieben, die schönste Idylle von
der Welt gäbe" (W; S. 33), läßt er seinen Freund Wilhe1m im Brief vom 30. May
wissen. Hier wird der authentische Schreibakt als Akt originalgetreuen Kopierens vorgestellt.
196 Vgl. Engel: Der Roman der Goethezeit, S. 207, sowie Erhart: "Beziehungsexperimente", S. 337.
197 Scherpe: Werther und Wertherwirkung, S. 71.
198 Mattenldott: "Die Leiden des jungen Werthers", S. 65. Auch die Thematik der "Briefe aus der
Schweiz" dreht sich um das "paradoxe Verhältnis zwischen der Wirklichkeit und ihren Repräsentationen" (vgl. WiethölteriBrecht: "Kommentar zu ,Briefe aus der Schweiz. Erste Abteilung"',
S. 1113). So heißt es im ersten Brief: "Diese herrliche Gegenwart regt mein Innerstes auf, fordert mich zur Tätigkeit auf, und was kann ich tun, was tue ich! Da setz' ich mich hin und
schreibe und beschreibe. So geht denn hin ihr Beschreibungen! betrUgt meinen Freund, macht
ihn glauben, daß ich etwas tue, daß er etwas sieht und liest. -" (Goethe: "Briefe aus der Schweiz",
S.594).
199 Eine Utopie, die in die gleiche Richtung zieh, entwirft - freilich ohne Rekurs auf den Schöpfungsmythos - der Maler Conti in Lessings Emilia Galotti: "Ha! daß wir nicht unmittelbar mit
den Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wie viel
geht da verloren!" (Lessing, Emilia Galotti, in: ders.: Werke, Bd. 2, S. 133 f.).
200 Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr, S. 321.
6.4 KONZEPTE DES SCHREIBENS U. LESENS IN DEN LEIDEN DESjUNGENWERTHERS
267
Eine dritte Variante bietet Werther schließlich im Brief vom 22. May an, wenn
er die Unabhängigkeit des großen Künstlers von allen Konventionen proklamiert: ,,[...] dagegen wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das
wahre Gefühl von Natur und den wahren Ausdruck derselben zerstören! Sag' du:
Das ist zu hart! sie schränkt nur ein, beschneidet die geilen Reben' etc. - Guter
Freund, soll ich dir ein Gleichnis geben? Es ist damit wie mit der Liebe" (W;
S. 29). Authentizität bedeutet hier: Freiheit von allen Regeln, Verschwendung
aller Kräfte. Dabei wird mit der Metapher von den "geilen Reben" nicht nur die
beschneidende Gewalt der Konvention in direkte Opposition zu den ungehinderten Wachstumskräften der Natur gesetzt, sondern dieser Opposition ist schon
der Grund für Werthers Scheiterns in der Kunst und in der Liebe eingeschrieben: Das ungehinderte, unbeschnittene Wachstum der Pflanze hat unweigerlich
eine etiolation, eine Auszehrung der Kräfte zur Konsequenz: Die "vergeilte"
pflanze vergeudet ihre überschüssige Kraft: Sie schießt ins Kraut, trägt aber keine
Fruch1'.20 1
Mit Blick auf die schwärmerische Kopplung von Genie und Natur ist zu fragen,
welche diskursive Funktion die häufige Elwähnung von Gärten, Bäumen, Blumen
und Blättern im werther hat. Insbesondere ist zu fragen, inwieweit diese Natur-Semantik für die genieästhetische Differenzierung zwischen Original und Kopie respektive zwischen Schreiben und Abschreiben relevant ist.
Forget unternimmt in seinem polemischen Aufsatz "Aus der Seele geschrie(b)en?" den -letztlich fragwürdigen - Versuch, die verschiedenen GartenSzenen im werther aufPlatons Metapher vom "Garten der Schrift" zu beziehen. 202
Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Brief vom 28. August zu. In diesem Brief
spricht Werther zum einen metaphorisch von den "Blüthen des Lebens", die vorübergehen, "ohne eine Spur hinter sich zu lassen" und ohne Frucht anzusetzen ,,[...] wie wenige dieser Früchte werden reif!" (W; S. 111 f.) -, zum anderen berichtet er davon, wie er "oft auf den Obstbäumen in Lottens Baumstück" sitzt und
"die Birnen aus dem Gipfel" holt (W; S. 112). Der erfolglose Liebhaber und unfruchtbare Künstler wird wenigstens in Lottes Garten zu einem ,Fruchtbringer' .
Forget geht noch einen Schritt weiter: Er setzt mit Blick auf Platons "Garten der
Schrift" die Birnen in Analogie zu den Buchstaben der Schrift, wenn er behauptet:
"Die reifen Früchte (die gute Schrift) haben schon immer den richtigen Adressaten gefunden".203 Doch so wie es keinen Garten ohne Gärtner gibt, so gibt es keinen ,Garten der Schrift' ohne Schreiber.
Im Brief vom 30. November berichtet Werther, ihm sei der ehemalige Schreiber von Lottes Vater begegnet. Dieser Schreiber ist aufgrund seiner Liebe zu Lotte
201 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen scheint es mir bemerkenswert zu sein, daß Werther
in seinem letzten Brief an Lotte - einen Tag vor seinem Tod - eine Formulierung wähh, die darauf hindeuten könnte, daß er sich in der Rolle einer ausgezehrten "geilen Rebe" sieht. Werther
schreibt: "Stehe ich nicht da in meiner ganzen Kraft, und morgen liege ich ausgestreckt und
schlaff am Boden" ("IV, S. 249).
202 Vgl. FOl'get: "Aus der Seele geschrie(b)en?", S. 137 f.
203 FOl'get: "Aus der Seele geschrie(b)en?", S. 139.
268
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
verrückt geworden und macht sich nun im Winter auf die Suche nach Blun
(TI?; S. 187). Diese winterliche Blumensuche ist nicht nur pathologisch, sond:~n,
auch poetologisch signifikant: Folgt man Youngs naturverbundener Originall·t.~n
atstropl'1c, so h at d er Geist des Genies die Kraft eines "immerwährenden Frühling[s]", und die Originale, die das Genie hervorbringt, sind "die schönste
" 204 D'lese BI umen Im
. ~Inter
.
·
F:u"hl'll1gs..
BI umen dleses
finden zu wollen ist je-n
doch ebe!lso aussichtslos wie der Versuch, dem Papier, ohne es zu beschreiben, die
perlokutIOnären Effekte einer schwärmerischen Naturwahrnehmung einzuhau_
c~en. So wird der schwach~innige Schreiber als Personifikation des erfolglosen
Llebha~ers und des vergebltchen Bemühens um Authentizität und Originalität
zum Spiegel für Werthers Scheitern. Dabei kommt meines Erachtens auch dem
Umstand Bedeutung zu, daß der Blumensucher als Schreiber in der Amtsstube
von Lottes Vater die Funktion eines Greffier innehatte: Als Schreiber eines Amtmanns kopierte und registrierte er Schriftstücke. 205 Dieses kopierende Abschreiben von Schriftstücken steht nun in einem Spannungsverhältnis zu Werthers
offensichtlich von Young beeinflußtel', Auffassung, originale Kunstwerke ließel~
sich durch eine reine Abschrift der Natur hervorbringen. Im Rahmen dieses poetologischen .Konzepts wird das Originalgenie zu einem Gre.ffier: zu einem kopierenden Kalltgraphen der Natur.
In diesem Zusammenhang ist auch die Mehrdeutigkeit der Ausdrücke "Blatt",
"Blätter" und "Blättchen" signifikant. Der Ausdruck "Blatt" steht für das Papier,
auf dem geschrieben wird. So heißt es im Brief vom 19. April: "Danke für deine
bei~en Briefe. Ich antwortete nicht, weil ich dieses Blatt liegen ließ, bis mein Abschied vom Hofe da wäre" (TI?; S. 149). Der Pluralausdruck "Blätter" bleibt im
Werther dagegen ausschließlich für eine Verwendungsweise mit pflanzlichen Konnotationen reserviert. So ist an vier Stellen von den Blättern der Bäume die Rede
- zweimal davon in übertragener Bedeutung. Im ersten Fall beschreibt sich Wert..
her als Baum im Herbst, dessen Blätter gelb werden (TI?; S. 161).206 Der diminutive Ausdruck "Blättchen" kommt nur zweimal im editorialen Berichtteil gegen
Ende des Romans vor. So wenn der Herausgeber zu Beginn des Berichtteils ankündigt, daß er selbst "das kleinste aufgefundene Blättchen" (TI?; S. 199) präsentieren
werde.
Dabei fällt auf, daß das Verhältnis des Herausgebers zu Werthers Briefen eine
Spiegelung des Verhältnisses zwischen Werther und dem Garten des Grafen von
M. ist, den er in seinem ersten Brief an Wilhelm erwähnt. In diesem, von einem
"fühlende[n] HerZ" (TI?; S. 13) angelegten Garten beweint Werther "den Abgeschiedenen" und schließt mit der Ankündigung: "Bald werde ich Herr vom Garten seyn; der Gärtner ist mir zugethan" (TI?; S. 15). So wie Werther hofft, "Herr
204 Young: Gedanken über die Original- Werke, S. 15.
205 Vgl. Diderot/d'Alembert (Hg.): Encyclopedie, Band 7 (1757), Stichworte "Greffe" und "Greffier", S. 924.
206 Im .zweiten Fall ~andelt es sich um ein Zitat aus dem Ossian, in dem Daura ldagt: ,,[...] die Zeit
me1l1es Welkens 1st nalle, nahe der Sturm, der meine Blätter herabstört" (117, S. 245).
6.4 KONZEPTE DES SCHREIBENS U. LESENS IN DEN LEIDEN DESjUNGENWERTHERS
269
vom Garten" des abgeschiedenen Grafen von M. zu werden, so wird der Herauseber zum Herrn der von "dem Abscheidenden hinterlaßnen Briefe" und "Blätt~hen" (TI?; S. 199).207 Die metaphysische Rede vom ,toten Buchstaben' der Schrift
erfährt hier eine Modulation: Sie wird als hinterlassene Schrift eines Toten zum Testament, und der Herausgeber wird zum Testamentsvollstrecker. 208
Daß es im Werther maßgeblich auch um diese testimoniale Funktion der Schrift
eht, wird daran deutlich, daß Werther in seinem ersten Brief nicht nur vom Gar~en des Grafen M. berichtet, sondern auch von einer Erbschaftsangelegenheit.
Werther verhandelt mit seiner Tante über die Bedingungen, unter denen sie bereit
ist, einen zurückgehaltenen Erbteil "herauszugeben" (TI?; S. 13). Mit dieser Erbschaftsangelegenheit kommt ein Problem ins Spiel, das im Zuge der gesellschaftlichen Entwicldung des 18. Jahrhunderts zentrale Bedeutung erlangt: das Problem
der Vaterschaft. Im Zuge der Transformationsprozesse von der stratifikatorischen
zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft209 kommt es zu einer "Vervielfältigung"210 der Vaterfunktionen. Das heißt, das Prinzip der Vaterschaft wird auf
verschiedene Funktionsträger übertragen, der Vater wird nicht mehr primär als patriarchalischer Erzeuger wahrgenommen, sondern als "Kulturalisationsinstanz", als
"spiritueller Adoptivvater".211 Im Werther wird das Problem des Vaters ex negativo
thematisiert, nämlich durch die im ganzen Roman zu beobachtende "Aussparung
der Vaterrolle".212 Zum einen inszeniert sich der vaterlose Werther abwechselnd als
verlorenen Sohn und als leidenden Christus. 213 Zum anderen tritt der Herausgeber nicht nur als Testamentsvollstrecker der hinterlassenen Briefe, sondern auch als
Adoptivvater der vaterlos gewordenen Schrift Werthers auf. Die mit der funktio207
208
209
210
Vgl. Forget: "Aus der Seele geschrie(b)en?", S. 173
Vgl. Siegert: Relais. Geschicke der Literatur als Epoche der Post. 1751-1913, S. 47.
Vgl. Luhmann: "Individuum, Individualität, Individualismus", S. 163.
...
Lenzen: Vaterschaft. Vom Patriarchat zur Alimentation, S. 175. Nach Lenzen läßt Sich un Zeitalter des Absolutismus ein grundlegender Wandel der ,Vaterfunktion' beobachten. An die Stelle
der göttlichen Vaterkompetenz tritt der absolute Herrscher als Repräsentant des Staates, dem das
Individuum seine natürlichen Rechte - mit Ausnahme des Rechts auf Selbsterhaltung - abgetreten hat. Diese "Abtretung von Vaterfunktionen an den absoluten Herrscher" läßt ,vaterschaft'
ab der Mitte des 18. Jahrhunderts "zum Bestandteil der Konkursmasse des Absolutismus" werden (Lenzen: Vaterschaft. Vom Patriarchat zur Alimentation, S. 175). Das hat zur Folge, daß die
Vaterfunktion auf neue ,Eigentümer' übergeht. Die Annahme, man könne Rechte abtreten, impliziert, daß man die Freiheit hat, nach eigenem Belieben mit diesen Rechten zu verfahren. Hieraus erwächst die Idee eines Gesellschaftsvertrages, bei dem beide Vertragspartner Rechte und
Pflichten haben (Vgl. Luhmann: "Individuum, Individualität, Individualismus", S. 172 f.). Für
Locke wird die Idee des Gesellschaftsvertrages zur Basis der individuellen Freiheit der Bürger,
deren Freiheit insbesondere darin besteht, über ihr Eigentum verfügen zu dürfen (Locke: Zwei
Abhandlungen über die Regierung, S. 219). Diese bürgerliche Freiheit darf, so Locke, auch von
einem absoluten Herrscher nicht in Frage gestellt werden. Dieser Enrwicklungsstl'ang von der
"Lockeschen Infragestellung hereditärer Herrschaft" zur Rousseauschen Idee des contrat social
und der Souveränität des Volkes hat nicht nur eine Demokratisierung, sondern auch eine "VervieiHiltigung der Vaterschaft" zur Folge (Lenzen: Vaterschaft, S. 175).
211 Vgl. Meyer-Kalkus: "Werthers Krankheit zum Tode", S. 114.
212 Jauß: Ästhetische Erfthrung und literarische Hermeneutik, S. 640.
213 Vgl. ebd.
270
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
6.5 "DER HERAUSGEBER AN DEN LESER"
nalen Differenzierung der Gesellschaft einhergehende "Vervielfältigung" der Vaterfunktion wird an den diskursiven Rändern des werther als funktionale Differenzierung der Rolle des Autors und der Rolle des Herausgebers thematisiert.
Genau dies geschieht im letzten Viertel des werther, im sogenannten Berichtteil.
6.5 "Der Herausgeber an den Leser"
Die in der Überschrift "Der Herausgeber an den Leser" zum Ausdruck kommende
Adressierung ist ein degenerierter Index für eine explizite Leseransprache, sie hat
aber auch den Charakter eines genuinen Index: Die Überschrift wird zum sprachlichen Symptom eines grundlegenden Wechsels des diskursiven Inszenierungsver_
fahrens: Der Herausgeber bewegt sich aus dem editorialen Raum des Fußnotenkommentars heraus und tritt nun im Rahmen des Haupttextes als maßgebliches
Subjekt der Aussage auf: Er wird zu einem "Herausgeber-Erzähler"214, der sich "die
Möglichkeiten eines vermittelnden, überlegenen Erzählers zunutze [macht]".215
Dabei schreibt sich der Herausgeber "mehr und mehr in die Geschichte ein".216
Anders als im Agathon ist der Herausgeber am Ende des werther nicht nur eine
quasi-auktoriale, sondern eine narrative Aussageinstanz: Im letzten Viertel des
ther läßt sich die Geburt des fiktiven, auktorialen Erzählers aus dem Geist der fingierten Herausgeberschaft beobachten. In der Fassung von 1774 schreibt der Herausgeber: "Die ausführliche Geschichte der lezten merkwürdigen Tage unsers
Freundes zu liefern, seh ich mich genöthiget seine Briefe durch Erzählung zu unterbrechen, wozu ich den Stof aus dem Munde Lottens, Albertens, seines Bedienten, und anderer Zeugen gesammlet habe" ('Iv, S. 198).
In der Fassung von 1787 heißt es dagegen an der gleichen Stelle sehr viel ausführlicher 217 :
wer-
214
215
216
217
Voßkamp: "Dialogische Vergegenwärtigung beim Schreiben und Lesen", S. 94.
Ebd.
Nelles: "Werthers Herausgeber", S. 34.
Vgl. hierzu Schlaffer: "Leiden des jungen Werthers", S. 846, dem zufolge der Herausgeber-Bericht in der zweiten Fassung die "intensivste Überarbeitung" erfährt, um die "Verwandlung des
Herausgebers in einen Erzähler" (ebd.) deutlicher zu Tage treten zu lassen. Mit Blick auf die Differenzen zwischen dem Herausgeberbericht in der Fassung von 1774 und 1787 behauptet
Flaschka, in der Erstfassung erfolge das Eingreifen des "ungedrängt und freiwillig" (Flaschka:
Goethes, Werther', S. 190), in der Zweitfassung sei seine Mitarbeit dagegen der Tatsache geschuldet, daß es nicht mehr genug "eigenhändige Zeugnisse" gebe. Nach Flaschka ist die "Eingangsperspektive, notgedrungen eingreifen zu müssen, ein bislang kaum gesehener Zug a1l1
Herausgeberbericht des ,Weimarer Werther'" (ebd.). Ob die Pointe des überarbeiteten Herausgeberberichts jedoch tatsächlich darin liegt, daß aus der ,Möglichkeit zum Eingreifen' eine ,Notwendigkeit zum Eingreifen' wird, scheint mir fraglich. Meines Erachtens gibt es auch in der
Erstfassung keine Alternative zur Notwendigkeit eines editorialen Eingriffs.
271
Wie sehr wünscht' ich daß uns von den letzten merkwürdigen Tagen unsers Freundes
so viel eigenhändige Zeugnisse übrig geblieben wären, daß ich nicht nöthig hätte, die
Folge seiner hinterlaßnen Briefe durch Erzählung zu unterbrechen. Ich habe mir angelegen seyn lassen, genaue Nachrichten aus dem Munde derer zu sammeln, die von seiner Geschichte wohl unterrichtet seyn konnten; sie ist einfach und es kommen alle
Erzählungen davon bis auf wenige Kleinigkeiten miteinander überein; nur über die Sinnesarten der handlenden Personen sind die Meinungen verschieden und die Urtheile
getheilt.
Was bleibt uns übrig, als dasjenige, was wir mit wiederholtel' Mühe erfahren können, gewissenhaft zu erzählen, die von dem Abscheidenden hinterlaßnen Briefe einzuschalten und das kleinste aufgefundene Blättchen nicht gering zu achten; zumal da es
so schwer ist, die eigensten, wahren Triebfedern auch nur einer einzelnen Handlung zu
entdecken, wenn sie unter Menschen vorgeht, die nicht gemeiner Art sind. (W; S. 199).
Während der fingierte Herausgeber des Briefteils Werthers Briefe als äußerliche,
,monumentale Textzeugen' zitiert218 , verwandelt sich der fingierte Herausgeber im
Berichtteil zu einem fiktiven Herausgeber-Erzähler219 , der anhand der wenigen
hinterlassenen, "eigenhändigen Zeugnisse" die Geschichte Werthers erschließt und
seine Konjekturen den Lesern als Erzählung präsentiert. Die hinterlassenen Briefe
und Blättchen werden zwar auch als ,monumentale Textzeugen' vorgeführt, aber
sie werden zugleich narrativ in Dienst genommen: Der Herausgeberkommentar
wird zm Rahmenerzählung, die eingerahmten Briefe und Blättchen werden zu
sprachlichen Symptomen. Dabei verbindet der Herausgeber die editoriale Funktion eines zitierenden Arrangeurs von bereits Geschriebenem mit der narrativen
Funktion eines poetischen Geschichtsschreibers, der seine Informationen am Ort
des Geschehens sammelt.
Der Wechsel vom fingierten Herausgeber zum fiktiven Herausgeber-Erzähler
wird durch einen Mangel an authentischen, "eigenhändigen Zeugnissen" ('Iv,
S. 199) motiviert. Dabei fällt auf, daß dies die einzige Gelegenheit ist, bei welcher
der Herausgeber auf den semiotisch-mediologischen Aspekt der Skription zu sprechen kommt. 22o Die durch den Mangel an authentischen Schriftstücken entste218 Der Begriff des ,Textzeugen' bezeichnet in der Editionswissenschaft eine Handschrift, die nicht
das Original des Autors ist, sondern dieses Original durch Abschrift bezeugt (vgl. Plachta: EditionswissenschaJt, S. 141). Bei den Briefen Werthers handelt es sich meines Erachtens ebenfalls
nur um ,Textzeugen', da sie ja nicht als Faksimile der "eigenhändigen Zeugnisse", sondern drucktechnisch moduliert präsentiert werden. Eine Modulation, die, wie sich im Briefteil zeigt, dem
Herausgeber jede Möglichkeit zum zensierenden Eingreifen läßt.
219 Vgl. Ansorge: Art und Funktion der Vorrede im Roman, S. 53, der den Wechsel von der fingierten Herausgeber-Rolle zur fiktiven Herausgeber-Figur als entscheidenden Wendepunkt in der
Geschichte der Herausgeberfiktion begreift. Allerdings datiert Ansorge diesen Wendepunkt auf
das Jahr 1778, also vier Jahre nach dem Erscheinen des Werther. Zum Beleg dafür, daß zu dieser
Zeit die "Herausgeber-Rolle, die fingiert ist, in die Herausgeber-Figur, die fiktiv ist und in die
Welt des Romans gehört, überwechselt", führt er J. M. Millers Vorrede zum "BriefWechsel dreyer
Alcademischer Freunde" an. Meines Erachtens kann man diesen Funkrionswandel jedoch bereits
im Übergang vom Briefteil zum Berichtteil des Werther feststellen.
220 Vgl. Nelles: "Werthers Herausgeber", S. 26.
272
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
hende systematische Leerstelle wird durch den Herausgeber geschlossen, der Zu diesem Zweck Ohren- und Augenzeugen befragt. Damit erweitert sich der Aufgaben_
bereich des Herausgebers entscheidend: Er ist nicht mehr nur konsignativer
Sammler und Versammler von "eigenhändigen Zeugnissen", die er dem dankbaren
Publikum vorlegt, sondern er ist nun ein Sammler von mündlichen Nachrichten
mit denen die Beobachtungen von Augenzeugen wiedergeben werden. Das Sam~
meln dieser Zeugnisse findet am Ort des Geschehens statt und ist existentiell mit
jenen Ereignissen verknüpft, die in den Briefen und Blättchen mitgeteilt werden.
Das heißt: Der Herausgeber-Erzähler hat es nun nicht mehr nur mit Dokumenten
zu tun, die Ereignisse symbolisch repräsentieren und, sofern sie sich einer Schreibweise written to the moment verdanken, als genuine Indices auf den Moment der
Niederschrift verweisen; vielmehr wird der Herausgeber-Erzähler selbst Teil eines
genuin indexikalischen Verweisungszusammenhangs, da er sich an den On des Geschehens begibt und vor Ort Zeugen befragt, die durch ihre Augenzeugenschaft existentiell mit den mitgeteilten Ereignissen in Verbindung stehen. Dadurch erfahrtdie inszenierte genuine Indexikalität, durch die das poetische Konzept des written
to the moment umgesetzt wird, eine Modulation: Nicht mehr nur der Briefschreiber
ist existentiell mit den Ereignissen verbunden, sondern auch der Herausgeber, da er
die "hinterlaßnen Briefe" und "aufgefundenen Blättchen" um am Ort des Geschehens gesammelte "genaue Nachrichten" ergänzt, die er selbst zusammenschreibt.
Der Herausgeber ist nicht mehr bloß ein "Critischer Historicus", der die schriftlichen Hinterlassenschaften Werthers "zusammenlesen muß"221, sondern er wird,
indem er sich nach Wahlheim begibt, um Zeugenaussagen zu sammeln, zu einer
neuen Art von "Original-Historicus", der an den Begebenheiten, von denen er erzählt, zwar nicht "selbst Anteil" hat 222 , aber selbst Anteil nimmt. Die Funktion
Herausgeber umfaßt nicht mehr nur das zusammenlesende Sammeln und Versammeln von bereits Geschriebenem, sondern auch das Zusammenschreiben von
fremden Erfahrungsberichten und eigenen, kommentierenden Urteilen. Während
jedoch der "Original-Historicus" als Augenzeuge über die von ihm wahrgenommenen genuinen Indices einen direkten sinnlichen Zugang zu den Ereignissen hat,
ist der Herausgeber-Erzähler des "Werther ein ,sekundärer Augenzeuge', der an dem
von ihm mit einem Pseudonym versehenen ,wirldichen Ort' des Geschehens nachträglich "genaue Nachrichten" aus dem Munde derer sammelt, die von Werthers
Geschichte "wohl unterrichtet seyn konnten" (TI?; S. 199). Die Leistung des Herausgeber-Erzählers besteht darin, die mündlich übermittelten Augenzeugenberichte
in eine schriftliche Erzählung zu transkribieren, in die er die wenigen "hinterlaßnen Briefe" und "Ideinen Blättchen" einschaltet.
Erst dadurch, daß der Herausgeber auch zum Erzähler wird, kommt neben
Werthers "monoperspektivischer" Sicht eine "zweite Perspektive" ins Spiel, die
mit dem "Wechsel von Briefform zu Berichtform" eingeführt wird. 223 Auch wenn
221 Vgl. BodmeriBreitinger: Die Discourse der Mahlern, V. Discours, E 2 (S. 36).
222 Ebd.
223 Vgl. Buhr: "Die Leiden des jungen Wenhers und der Roman des Sturm und Drang", S. 229,
sowie Nelles: "Wenhers Herausgeber", S. 32.
6.5 "DER HERAUSGEBER AN DEN LESER"
273
der Herausgeber-Erzähler selbst kein Augenzeuge der Geschichte des armen Werthers ist: Er wird zu einem Sammler von Augenzeugenberichten, denen gegenüber er eine perspektivenvergleichende und kohährenzstiftende Funktion ausübt.
So stellt er fest: "es kommen alle Erzählungen davon bis auf wenige Kleinigkeiten
miteinander überein" (TI?; S. 199). Dieses ,Übereinkommen' der verschiedenen
Augenzeugenberichte verdankt sich dem Umstand, daß der editoriale Akt des Zusammenschreibens zugleich ein Akt der Perspektivierung ist: Die Kohärenz zwischen den verschiedenen Erzählungen wird dadurch hergestellt, daß der
Herausgeber für sich die auktoriale Zentralperspektive reldamiert. Nur dadurch
kann der Herausgeber zu einem auktorialen Erzähler der inneren Geschichte
Werthers werden.
6.5.1 Der Herausgeber-Erzähler des Werther als Geschichtsschreiber und Dichter
In diesem Zusammenhang läßt sich feststellen, daß auch im letzten Viertel des
Werther zwei Authentizitätsbegriffe miteinander konkurrieren: Zum einen tritt der
Herausgeber nach wie vor als "Critischer Historicus" auf, der die von ihm gesammelten Dokumente ,originalgetreu' zitiert. Als "Critischer Historicus" hat der Herausgeber zwar direkten Zugang zu den Textmonumenten, aber er hat keinen direkten Zugang zur Erfahrungswelt, auf die in den Schriftstücken referiert wird.
Zum anderen kommt im letzten Viertel des Werther ein neuer Begriff dokumentarischer Authentizität ins Spiel224 , der auf der Umwertung des Konzepts des "Original-Historicus" gründet. Indem der Herausgeber-Erzähler nicht nur "eigenhändige Zeugnisse" Werthers, sondern auch Augenzeugenberichte anderer am
Geschehen beteiligter Personen sammelt, wird er zu einem ,sekundären Augenzeugen'. An die Stelle der originalgetreu zitierten Schriftstücke treten die "original
impressions"225 der Augenzeugen. Das heißt, der Herausgeber gibt nicht mehr nur
authentische und originale Schriftstücke, sondern auch authentische und originale
Wahrnehmungseindrücke heraus. Die genuine Indexikalität der Nachrichten aus
dem Mund der Augenzeugen tritt damit in Konkurrenz zur genuinen Indexikalität
der eigenhändigen Zeugnisse Werthers. Zugleich wird hier eine mediale Poi~~e offenbar: So wie Werther die von ihm selbst wahrgenommenen mündlichen Außerungen Lottes in den schriftlichen Rahmen seiner Briefe hineinkopiert, so kopiert
der Herausgeber die von ihm gesammelten, mündlichen Zeugenaussagen über
Werthers letzte Tage in einen schriftlichen, narrativen Rahmen. Dabei ist der Herausgeber-Erzähler jedoch nicht auf die Rolle eines ,sekundären Augenzeugen' beschränkt, sondern übernimmt auch die Rolle eines ,imaginären Augenzeugen', der
die innere Geschichte Werthers konjektural rekonstruiert: Er schließt von den
äußeren Symptomen zurück auf die "wahren Triebfedern" ("IV, S. 199) für Werthers Verhalten.
224 Flaschka: Goethes, Werther', S. 191.
225 Vgl. Hume: Treatise ofHuman Nature, Bd. 1, S. 318.
274
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DESJUNGEN WERTHERS
~iese im letzt~.n Teil ~es ~rther ~n Szene gesetzte konjektUrale Erzählweise des
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so "Gestalt und Anordnung"231 gibt. Um arrangierend die "gehörige Verbindun "
zwischen d~n Mat~rialien herzustellen, muß der Dichter als Iduger Stratege ha~
deln, der seme AbSIchten so koordiniert und konditioniert, daß er sie "im rechten
Maaß, am rechten Ort"232 mit den "in Händen habenden Materialien und Mitt~ln erreichen kann"233, und er muß "diese Mittel so modeln, so anordnen, daß er
dIese Absicht gewiß erreicht".234 Die Aufgabe des Dichters besteht mithin darin
die editoriale Tätigkeit der Selektion und der Disposition des Materials mit de::
auktorialen Zielsetzung zu koppeln. Eben diese Aufgabe übernimmt der Herausgeber-Erzähler im letzten Teil des Werther.
00
00
00
226 Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 263.
227 Ebd., S. 379.
228 Ebd., S. 345. Hier zeigt sich freilich auch das Problem des Charakters. Dieser konnte seine erzähllogische Funktion nur solange problemlos erfüllen, "wie er einfach als Fixum gesetzt wurde"
(vgl. Berrhol~: Fiktion un~ ~e!deutigkeit, S. 154). Sobald er als "Ergebnis von notwendigen intel'l:e~l En':":'lc1dun?en sklzzlerr wurde, verlor er seine Konstanz" (ebd.). Die Folge ist, daß die
IndlvldualJslerung Jeden Allgemeinheitsanspruch untergräbt, weshalb das Konzept des Agathon
n~ch Berrhold "zwischen Vorbildfunktion und Individualgeschiehte, zwischen Statik und Entwlcldung, zwischen Bewährungs- und Bildungsroman" schwankt (ebd., S. 155),
229 Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 379 f.
230 Ebd.
231 Ebd., S. 248.
232 Ebd.
233 Ebd., S. 249,
234 Ebd. Gleiches gilt übrigens auch für die Konstruktion der Geschichte: "Die Wahl und Anord.
nung der Beg~benl~e~tel~ ist hier der Hauptzweck des Dichters. Ohne diese Anordnung kann das
Resultat, das 1st, dIejenIge Begebenheit nicht wirldieh werden, die der Zweck des Romans ist"
(ebd, S. 255).
6.5 "DER HERAUSGEBER AN DEN LESER"
275
D' ser Herausgeber-Erzähler zeichnet sich dadurch aus, daß er nicht nur als "ge. lehafter Geschichtsschreiber", sondern auch als "Schöpfer" agiert 235 , der anWIssen
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Der "einfache Bericht" wird von einem f,lerausg.eber gelief~.rt, "der .sICh auf dIe
dienende Rolle beschränkt"240, der auktonal-allwlssende Erzahler weIß sogar von
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Werthers heimlichem Zähneknirschen zu erzählen. 241
Als Resultat dieser Operation erfährt der Herausgeber neben semer "In.stltutlOnalisierung als Erzählinstanz"242, eine Auktorialisierung: Er nimmt über ~eme Herausgeberfunktion hinaus Aufgaben wahr, "die gemeinhein einen auktonale~. oder
personalen Erzähler auszeichnen".243 So ist die Instanz ~es He:ausg~ber-Erzahl.ers
auch tiber jene Details der inneren Geschichte Werthers mf~rmlert,. dIe dur~h keme
Zeugenaussagen und durch keine Einfühlung rekonstr~lerbar smd: ,,~eme Gedanken fielen auch unterwegs auf diesen Gegenstand. Ja, Ja, sagte er zu SIch selbst,
mit heimlichem Zähneknirschen: das ist der vertraute, freundliche, zärtliche an
allem theilnehmende Umgang, die ruhige dauernde Treue!" ('Iv, S: 201). ~er Hinweis auf das heimliche Zähneknirschen" ist ebenso wie die wörtlIche WIedergabe
von Werthe;~ Selbstgespräch ein Indiz dafür, daß hier eine Instanz erzählt, die la00
00
235
236
237
238
239
240
241
242
243
Vgl. Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 379 f.
Müller-Salget: "Zur Struktur von Goethes ,Werrher''', S. 542.
Wiethälter/Brecht: "Kommentar", S. 924.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
VgI. Flaschka: Goethes, Werther', S. 193.
Nelles: "Werrhers Herausgeber", S. 33.
Ebd.
276
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DESJUNGEN WERTHERS
tent den Anspruch auf Allwissenheit erhebt 244 : eine Instanz, die sich keineswe
mit der Rolle eines gewissenhaften Geschichtsschreibers der äußeren Geschich~s
begnügt, sondern sich auch rur die Erzählung der inneren Geschichte Werthers z ~
·u
stan d'Ig erld ärt.
6.5 "DER HERAUSGEBER AN DEN LESER"
277
den in der Erstausgabe von 1774 durch ein Sternchen am Anfang und einen Doppelbalken am Ende gerahmt247 :
U
Narratologisch betrachtet, wird aus dem extradiegetisch-heterodiegetischen Berausgeber des Briefteils im Berichtteil eine extradiegetisch-homodiegetische Instal
die ~~s teils extern foka.lisierter, teils nullfokalisierter Erzähler auftritt. Das hei~~:
der Ube~·gang.vom.fi.ngierten HeI:ausgeber zum fiktiven Herausgeber-Erzähler wird
durch dIe gieichzeltlge ModulatIon von Erzählebene und Erzählperspektive bewirkt. Dadurch wandelt sich auch die Rolle des Lesers: Der Herausgeber-Erzähle'
überläßt die Deutung der schriftlichen Symptome nicht mehr dem Leser, sonder 1
erzählt die innere Geschichte Werthers als fortlaufenden Symptomkommentar, de~
den Zusammenhang von Ursache und Wirkung rekonstruiert.
Die Transformation des narrativen Verfahrens vollzieht sich vor dem Hintergrund einer Rahmenkonfusion, die ähnlich paradox ist wie die in Rousseaus
"Preface" zur Nouvelle HrJloise aufgeworfene Frage: Portrait oder Tableau d'imagi245
nation. Im Werther wird die Relation von Portrait und Tableau d'imagination auf
das Ve~'hältnis Vo? äußerer Geschichte und innerer Geschichte projiziert: Dabei wird
zum eInen deutlIch, daß das Seelenportrait Werthers ohne die Imagination des
Herausgeber-Erzählers gar nicht möglich wäre und daß insofern das Tableau d'imagination die Voraussetzung des Portraits ist. Zum anderen dementiert der Heraus~e~er-Er:ähl~r d ,s vr:erther implizit die These Bodmers, daß nur derjenige
"Ongmal-HIstoncus sem könne, der als physisch Anwesender "Antheil" an den
erzählten Begebenheiten gehabt hat. Der Herausgeber-Erzähler des Werther beweist
dagegen, daß es ihm auch ohne unmittelbare Wahrnehmung gelingt, mit Hilfe seiner einfühlenden Anteilnahme und im Rückgriff auf die Erfahrungsberichte anderer, die "wahren Triebfedern" Werthers plausibel zu rekonstruieren. Das heißt,
die Empathie ist für den Herausgeber Teil einer Authentizitätsstrategie, die den mo.
n:Ime~tale~ Man?el an "ei~enhändigen Zeugnissen" erzählerisch behebt. Zugleich
WIrd dIe PrasentatlOn der "eIgenhändigen Zeugnisse" durch eine "Doppelrahmung"
246
bestimInt , welche sowohl auf der typographischen als auch auf der perspektivischen Ebene sichtbar wird.
7
Darauf schrieb er wahrscheinlich folgenden Absatz seines letzten Briefes an Lotten:
*
Du erwartest mich nicht! du glaubsr, ich würde gehorchen, und erst Weihnachtsabend
dich wiedersehn. 0 Lotte! Heut oder nie mehr. Weihnachtsabend hältst du dieses Papier in deiner Hand, zitterst und benetztest es mit deinen lieben Thränen. Ich will, ich
muß! 0 wie wohl ist es mir, daß ich entschlossen bin!
~::::===::::::::=:=~::::===
Während der Balken an den unteren Rand eines Bilderrahmens erinnert248 , mit
dem die Original-Aussagen Werthers von der Erzählung des Herausgebers getrennt
werden, handelt es sich bei den Sternchen zu Beginn um ein Replica-Token des
gleichen Typs, der im Briefromanteil dazu verwendet wird, um die Briefe Werthers
voneinander zu trennen und um die Fußnoten anzuzeigen. Das typographische
Sternchen übernimmt in den Leiden des jungen Werthers mithin eine doppelte Rahmungsfunktion: Es markiert den Verweis auf die Fußnoten des Herausgebers am
unteren Rand des Textes, und es markiert den Beginn eines angeführten Schriftstücks aus Werthers Feder. Bemerkenswerterweise läßt sich in der Ausgabe von
1787 eine Modifikation der typographischen Konventionen beobachten249 : Im
Briefteil und im Berichtteil fallen die Sternchen weg. Das Ende jedes Briefs wird
im Briefteil durch einen fast seitenbreiten Querstrich und im Berichtteil durch
einen Querbalken markiert. Dagegen werden die im Berichtteil eingeschalteten
Briefe und Blättchen ebenso wie die Übersetzung der Gesänge Ossians durchweg
in Anführungszeichen gesetzt. 250 Damit werden die "eigenhändigen Zeugnisse"
Werthers zu Textzeugen, die der Herausgeber-Erzähler herbeizitiert, um sie mit seinen Symptomkommentaren zu rahmen.
Mit der expliziten typographischen Rahmung der letzten Briefe, Blättchen und
Zettelchen geht eine implizite perspektivische Neurahmung einher: Der Herausgeber präsentiert alle angeführten "eigenhändigen Zeugnisse" mit Blick auf die
"stringente Finalität des Geschehens"25I, nämlich als schriftliche Symptome für die
6.5.2 Die editoriale Rahmung der Zitate im Werther
Mit Blick auf die typographische Rahmung läßt sich in der Erstausgabe der Leiden
des jungen Werthers von 1774 eine Besonderheit beim Anführen jener Briefe und
Blättchen erkennen, die der Herausgeber gesammelt hat, um die "letzten merk.
würdigen Tage" Werthers zu rekonstruieren. Die eingeschalteten Schriftstücke wer244 Vgl. Schlaffer: "Leiden des jungen Werthers", S. 847.
245 Rousseau: Nouvelle Hl!loi'se, S. 8, sowie de Man: "Allegory Oulie)", S. 196.
246 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 177.
247 Vgl. Faksimiledruck der Ausgabe der Leiden des jungen Werthers in der Weygandschen Buchhandlung von 1774, S. 189. In der Frankfurter Ausgabe: S. 227. AufAnfUhrungszeichen am Anfang und Ende wurde in diesem Fall bewußt verzichtet.
248 Vgl. Goethe: Dichtung und Wahrheit, S. 587.
249 Vgl. Goethe: Die Leiden des jungen Werthers. Aechte vermehrte Auflage, Leipzig in der Weygandsehen Buchhandlung 1787, S. 234.
250 Hier läßt sich auch eine Differenz zwischen dem Druck von 1787 und seiner Wiedergabe im
Paralleldruck der Frankfurter Ausgabe feststellen: Im Paralleldruck fehlen im Berichtteil durchgängig die Anführungszeichen als Rahmung der Briefe und Zettelchen Werthers. Lediglich die
Übersetzung der Gesänge Ossians steht in Anfühl'Ungszeichen.
251 Engel: Der Roman der Goethezeit, S. 111.
278
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS
Unvermeidlichkeit von Werthers Ende. 252 In seinen Kommentaren verweb d .
Herausgeber die editorischen Konjekturen über die Datierung der zitierten~.. ~l
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llglnaI- D0 1mmente mJt psyc ooglsc en Konjekturen über die innere Gesch' h
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wert crs. 0 el t es lln Kommentar des Herausgeber-Erzählers zu Werthers Versuch, Albert und den Amtmann dazu zu bringen den Bauernburschen d .
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Lle e gemordet hatte, fliehen zu lassen:
Werther wurde überstimmt und mit einem entsetzlichen Leiden machte er sich auf d
Weg, nachdem ihm der Amtmann einigemal gesagt hatte: Nein, er ist nicht zu ret e~l
Wie sehr ihm diese Worte aufgefallen seyn müssen, sehn wir aus einem Zettelchen tedn.
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d,und das gewiß an dem nämlichen Tage geschrieben
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worden:
"Du bist nicht zu retten Unglücklicher! Ich sehe wohl daß wir nicht zu retten sind" (TI?:
S.207).
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Ähnl~ch ~ie ~as oben erwähnte "wahrscheinlich" (w, S. 227) verweist das "gewiß"
a~f dIe hIstOrISche. Aufgabe. des Hera~sgebers, die chronologische Folge der Ereigl1lsse zu rekonstrUleren beZIehungsweIse zu erschließen. Das "gewiß" drückt keine
~ewißheit a:ls ~, im Gege.nteil: es verdeutlicht, daß die Datierung der "eigenhändI?en ~eugnlsse au~KonJel<t~ren des Herausgebers beruht. Dabei konkurriert die
,~lstonsche ~u~gabe des Datlerens der Schriftstücke mit der narrativen Aufgabe,
dIese als schnftllche Symptome einer inneren Geschichte ,zum Sprechen' zu brin..
gen. So heißt es im Anschluß an die oben zitierte Stelle:
[...J und wen~: gleich bey mehrere~ Nachdenken se.inem Scharfsinne nicht entging,
daß beyde Manner Recht haben mochten, so war es Ihm doch als ob er seinem innersten ~aseyn entsagen müßte, wenn er es geschehen, wenn er es zugeben sollte.
Em Blättchen, das sich darauf bezieht, das vielleicht sein ganzes Verhältniß zu Albert
ausdrückt, finden wir unter seinen Papieren.
"Was hilft es, daß ich mirs sage und wieder sage, er ist brav und gut, aber es zerreißt mir
mein inneres Eingeweide; ich kann nicht gerecht seyn" (TI?; S. 207 f.).
Das zitierte "Blättchen" bringt das Verhältnis zwischen Werther und Albert nur
d~rch die Rahmung des .Herausgebers zum Ausdruck: Der Herausgeber ist derjenIge, der das Zettelchen m den Kontext der Mordgeschichte rückt. Das heißt, der
Herausgeber ,macht' das Zettelchen erst durch seinen Kommentar zum schriftlichen Symptom eines inneren Zustands - der symptomatische Charakter des Zet252 Nach Flaschka wird der Tod Werthers "als Zielpunkt für das Arrangement der Briefe vorausgesetzt. Was der Herausgeber gesammelt hat, ist erst unter seiner Hand in eine überlegte Ordnung
gebracht worden. Aus dieser Perspektive ist der Herausgeber neben seiner immanenten Rollenv.~elfalt als Editor und auß~n~tehender~rstleser der Briefe, als Redakteur und Kompilator, als Erzahler und Seelenfreund die 111S Werk e111gebrachte Kunstidee des sich gegenüber der ,Geschichte'
verleugnenden Autors" (Flaschka: Goethes, Werther " S. 196).
6.5 "DER HERAUSGEBER AN DEN LESER"
279
telehens verdankt sich mithin einem editorialen, deklarativen Sprechal<:t: Dabei bedient sich der Herausgeber-Erzähler einer Geste, die, kommentierend und autore{lexiv zugleich, die Perspektive vorschreibt, von der aus die Briefe als
symptomatische Zeugnisse' zu verstehen sind: "Von seiner Verworrenheit, Leidenschaft, von seinem rastlosen Treiben und Streben, von seiner Lebensmüde sind
einige hinterlaßne Briefe die stärksten Zeugnisse, die wir hier einrücken wollen"
(W; S. 211).
Der Herausgeber-Erzähler verknüpft hier explizit die typographische Rahmung
der Briefe als monumentale Textzeugen mit ihrer perspektivischen Rahmung als
sprachliche Sympt~me. Di.e Formulierung ~,~ie wir h~er. einrückel: wollen" ist .die
äußerliche BeschreIbung elller Geste des Zltlerens, dIe III Form ellles degenenerten Index auf die angeführten Schriftmonumente verweist. Das "Einrücken" der
Briefe ist gleichsam das Vorführen der Prämissen, aus denen der Herausgeber als
Symptomdeuter Schlüsse über das Zustandekommen der inneren Motivation für
Werthers Selbstmord ziehen kann. 253 Die Strategie des Herausgebers besteht darin,
aus der Deutung der sich in den Briefen und Blättchen ausdrückenden äußeren
Symptome Hypothesen über die innere Geschichte Werthers abzuleiten, welche
ihrerseits zur Grundlage seines Rahmenkommentars werden. Dies verdeutlicht die
folgende Stelle, wo es heißt: "Seine Zweifel, sein Streit mit sich selbst, blicken aus
einem Zettelchen hervor, das wahrscheinlich ein angefangener Brief an Wilhelm
ist, und ohne Datum unter seinen Papieren gefunden worden ist" (w, S. 215 f.).
Hier wird deutlich, daß das beschriebene Zettelchen als quasi-physiognomisches
Ausdrucksmedium gefaßt wird, an dem sich wie an einem Gesichtsausdruck Symptome eines seelischen Zustands zeigen. So wird das undatierte Fragment zu einem
Anzeichen dafür, daß Werther im Begriff steht, den Entschluß zum Selbstmord zu
fassen. Tatsächlich gewinnt dieses Zettelchen seine symptomatische Aussagekraft
jedoch nur durch eine Konjektur des Herausgebers, der das Zettelchen zwischen
den Brief vom 14. Dezember und den Brief vom 20. Dezember schiebt. Damit
suggeriert er einen Entwicklungsprozeß der inneren Motivation Werthers, der vom
anfanglichen Zweifel zum endgültigen Entschluß reicht. 254 Offensichtlich liegt
253 Dies wird in der Fassung von 1787 deutlich, wo die beiden Briefe vom 12. und 14. Dezember
in den Berichtteil ,eingerückt' werden. Dabei handelt es sich um die gleichen Briefe, die in der
Fassung von 1774 vor der Ansprache des Herausgebers an den Leser stehen und damit das Ende
des reinen "Briefteils" markieren. Die Verschiebung der beiden Briefe bedeutet eine diskursive
Neurahmung, denn anders als in der ersten Fassung werden die zitierten Briefe in der zweiten
Fassung von den Kommentaren des Herausgebers eingeschlossen. Diese Kommentare erst erldären die beiden Briefe zum aussagekräftigen sprachlichen Symptom für Werthers Entschluß,
die Welt zu verlassen. Das berühmte Ende des Briefs vom 14. Dezember "Mir wäre besser ich
ginge" (117, S. 215) gibt dem Herausgeber die Gelegenheit zu der Feststellung: "Der Entschluß
die Welt zu verlassen hatte in dieser Zeit, unter solchen Umständen in Werthers Seele immer
mehr Kraft gewonnen" (ebd.). Dieser Herausgeberkommentar ist eine interpretierende Schlußfolgerung, die konjektural aus der Äußerung "Mir wäre besser ich ginge" gezogen wird.
254 Vgl. Nelles: "Werthers Herausgeber", S. 27, der feststellt: "Einzig die Spekulation des Herausgebers darüber, welche Passagen eines Briefes zu welchem Zeitpunkt geschrieben worden sind,
bestimmt, an welcher Stelle diese gedruckt werden".
280
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDEN DES,jUNGEN WERTHERS
dem Herausgeber dabei weniger daran, ein "gewissenhafter Geschichtsschreiber"
zu sein, als vielmehr mit Hilfe des von ihm edierten Materials eine "stringente Fi~
nalität des Geschehens" herzustellen. 255 So wenn er schreibt: "Endlich ward er mit
dem traurigen Gedanken immer mehr verwandt und befreundet und sein Vorsatz
fest und unwiderruflich, wovon folgender zweydeutige Brief, den er an seinel
Freund schrieb, ein Zeugniß ablegt" (1-\7, S. 217).
1
Der immer mit Blick aufWerthers Ende erfolgende finalisierende Symptolh_
kommentar des Herausgeber-Erzählers offenbart, in welchem Maße dieser ein Erzähler ist, der "das Ganze dieses einzeln Menschen übersieht".256 Dieses "GanZe"
ist der Rahmen, in dem jedes Schriftstück angeführt wird. Dabei überläßt der Herausgeber die Deutung der Briefe nicht dem Leser, sondern schreibt diesem genau_
den Deutungsrahmen vor, in dem das angeführte Schriftstück signifikant ist. Insofern hat jeder dieser Herausgeberkommentare den Charakter eines ldeinen Vorworts, das jeweils als direktiver Sprechakt ,monumentale Leseanweisungen' gibt.
Die Rekonstruktion der inneren Geschichte durch die Deutung äußerer sprach.
licher Symptome findet ihren Höhepunkt in der Rekonstruktion der verschiede_
nen Schreibsituationen, in denen Werthers letzter Brief an Lotte entsteht: "Montags früh, den ein und zwanzigsten December schrieb er folgenden Brief an Lotten,
den man nach seinem Tode versiegelt auf seinem Schreibtische gefunden und ihr
überbracht hat, und den ich Absatzweise hier einrücken will, so wie aus den Umständen erhellet, daß er ihn geschrieben habe" (1-\7, 5. 223).
Dieses ,Absatzweise-Einrücken' der Passagen des letzten Briefes, die zu verschiedenen Zeitpunkten geschrieben werden, dauert vom 21. Dezember morgens
("Es ist beschlossen, Lotte, ich will sterben") bis zum 22. Dezember nachts ("Lotte
lebe wohl! Leb wohl!"). Unterbrochen wird Werthers absatzweises writing to the
moment durch seinen letzten Besuch bei Lotte, bei dem er seine - vom Herausgeber ebenfalls eingerückte - Übersetzung der Gesänge Ossians vorträgt, sowie durch
letzte kurze Briefe an Wilhelm und Albert - darunter das "offene Zettelchen", in
dem er um die Pistolen bittet (1-\7, S. 253). Der letzte Brief an Lotten hat somit zum
einen den Charakter eines Tagebuchs, zum anderen den Charakter eines Testaments. Er enthält Werthers letzte Botschaften an Lotte, die sie jedoch erst nach seinem Tod empfangen soll.257
Damit sind wir abschließend noch einmal bei der Rolle des Herausgebers als
Testamentsvollstrecker angelangt. Eine Auffälligkeit der in den Leiden des jungen
Werthers in Szene gesetzten Herausgeberfiktion besteht darin, daß weder in der Vorbemerkung am Anfang noch im Berichtteil am Ende eine Auffindungsgeschichte
erzählt wird. Es bleibt offen, von wem der Herausgeber die Briefe und Blättchen
255 Engel: Der Roman der Goethezeit, S. 111. Die finale, auktoriale Intentionalität betrifft dabei nicht
nur das Problem des Romanschlusses, sondern auch den "allgemeinen Endzweck" allen Dichtens, nämlich "durch das Vergnügen zu unterrichten" (Blanckenburg: Versuch über den Roman,
S.249).
256 Blanckenburg: Versuch über den Roman, S. 379.
257 Vgl. Siegert; Relais. Geschicke der Literatur als Epoche der Post. 1751-1913, S. 46, der feststellt:
"Postlagernd an die Nachwelt geschickte Briefe sind Testamente".
6.5 "DER HERAUSGEBER AN DEN LESER"
281
rhalten hat 258 und von wem der Herausgeber als ,Testamentsvollstrecker' einge:etzt worden ist. Wiethölter und Brecht vertreten in ihrem Kommentar die Auffassung, daß Wilhelm nicht nur der Freund Werthers, sondern auch der Herauseber seiner hinterlassenen Briefe sei. So schreiben sie, daß "der Herausgeber
gegenüber seinem verstorbenen Freund die Rolle eines versierten Diagnostikers"
?'bernimmt. 259 Für die Annahme einer solchen "Personalunion" finden sich aller~ings, wie Nelles zu Recht bemerkt: "keinerlei Belege".~60 Umg?kehrt lassen sich
sogar zwei TextsteIlen ausmachen, die nahelegen, daß Wllhelm mcht "Freund und
Herausgeber"26l zugleich ist. Im Kommentar zu Werthers Brief vom 20. Dezember schreibt der Herausgeber-Erzähler: "An demselben Tage als Werther den zuletzt eingeschalteten Brief an seinen Freund geschrieben, es war Sonntag vor Weihnachten, kam er Abends zu Lotten und fand sie allein (1-\7, S. 219).
Zwar wäre es durchaus denkbar, daß Wilhelm als Herausgeber und Freund an
dieser Stelle von sich selbst in der dritten Person als dem Adressaten eines an ihn
gerichteten Briefs spricht. Er würde sich d.a~it selbst in ~einer Funkti~n als Freund
kennzeichnen, ohne aber dem Leser expltzlt Gelegenheit zu geben, e1l1en Zusammenhang zwischen der Rolle als Freund und der Funktion Herausgeber herzustellen. Eine zweite Stelle läßt jedoch ernsthafte Zweifel an der Möglichkeit einer
Personalunion' von Wilhelm und dem Herausgeber-Erzähler auflmmmen. In sei;ler vorletzten Einlassung schreibt der Herausgeber-Erzähler über Werther: "Er
kramte den Abend noch viel in seinen Papieren, zerriß vieles und warf es in den
Ofen, versiegelte einige Päcke mit den Adressen an Wilhelm. Sie enthielten kleine
Aufsätze, abgerissene Gedanken, deren ich verschiedene gesehen habe" (1-\7, S. 261).
Wäre Wilhelm der Herausgeber, so müßte er in diesem Falle in zwei direkt aufeinander folgenden Sätzen einmal mit seinem Vornamen und einmal mit "ich" auf
sich Bezug nehmen oder doch zumindest "an den Freund" sagen. Dies würde. eine~
äußerst inkonsistenten Gebrauch von Eigennamen und Personalpronomenlmpltzieren. Inkonsistent wäre dann auch der Satz "deren ich verschiedene gesehen
habe", denn Wilhelm muß als Adressat alle kleinen Aufsätze und abgerissenen Gedanken gesehen haben. Folglich kann Wilhelm nicht der Herausgeber der Briefe
Werthers sein. 262
258
259
260
261
262
Nelles: "Werthers Herausgeber", S. 5.
WiethölteriBrecht: "Kommentar", S. 924.
Nelles: "Werthers Herausgeber", S. 15.
WiethölteriBrecht: "Kommentar", S. 943.
Allerdings ließe sich die These vertreten, daß es zwei Herausgeberinstanzen gegeben hat - Wilhelm als erster Herausgeber und eine anonyme, überpersönliche Instanz als zweiter Herausgeber.
Dann hätte Wilhelm eine ,Vorauswahl' der Schriftstücke, die dem Herausgeber vorliegen, getroffen.
282
6. VOM HERAUSGEBER ZUM ERZÄHLER: DIE LEIDENDESJUNGEN WERTHERS
6.6 Zusammenfassung
Halten wir fest: Die Leiden des jungen 'Werthers zeichnen sich dadurch aus, daß die
Funktion Herausgeber und die Funktion Autor in neuartiger Weise interferieren,
Der Herausgeber tritt nicht nur als Quasi-Autor, er tritt auch als Erzähler auf. Dieser Herausgeber-Erzähler verknüpft die Funktion des editorialen Arrangeurs mit
der des auktorialen Narrators, Auch im Kontext der Debatte um das Verhältnis Von
Dichter und Geschichtsschreiber nehmen die Leiden des jungen 'Werthers eine signifikante Alczentverschiebung vor: Der Herausgeber-Erzähler wird zu einem "Original Historicus", der nicht mehr als Augenzeuge eines Geschehens auftritt, an dem
er selbst Anteil hat, sondern an dem er als ,sekundärer Augenzeuge' einfühlend An.
teil nimmt. Aus dieser einfühlenden Anteilnahme leitet sich ein neu begründeter
Geltungsanspruch der Authentizität und der Originalität her - eine These, die sich
mit Blick auf die letzte Szene des Werther plausibilisieren läßt, in welcher der Herausgeber-Erzähler beschreibt, wie der Amtmann und seine Söhne von Werther Ab.
schied nehmen: "Der Alte folgte der Leiche und die Söhne, Albert vermocht's
nicht. Man fürchtete für Lottens Leben, Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher
hat ihn begleitet" (W'; S. 267),
Der Herausgeber-Erzähler fungiert hier nicht als ,Arrangeur' und ,Eintücker'
von Original-Schriftstücken, die er zitierend vorlegt, er erschließt auch nicht die
innere Geschichte der Protagonisten, sondern er absorbiert Wahrnehmungsproto_
kolle von Augenzeugen und transformiert sie zu einer auktorialen Erzählung, Die
Wiedergabe der fremden Augenzeugenberichte durch den Herausgeber läßt ver.
gessen, daß dieser nur der ,sekundäre Augenzeuge' des Geschehens ist. Vielmehr
tritt der Herausgeber an dieser Stelle als Erzähler auf, der sich als ,imaginärer Augenzeuge' fremde Wahrnehmungseindrücke angeeignet hat.
Diese Appropriation der Wahrnehmung ist die Voraussetzung für die Geburt
des auktorialen Erzählers. Dabei wird der Herausgeber-Erzähler zugleich zu einer
Instanz moduliert, die einer von Werther in seinem Brief vom 30, Mai skizzierten
Poetik des Kopierens zu folgen scheint: Die Schilderung von Werthers Beerdigung
macht den Eindruck, als sei sie eine Szene, die "rein abgeschrieben" (W'; S. 33)
wurde. Tatsächlich ist sie das auch - allerdings nicht von der Natur, sondern von
einem Brief Kestners an Goethe, in dem dieser den Tod Jerusalems schildert - ein
Brief, der wie der 'Werther mit dem lakonischen Satz endet: ,,[...] kein Geistlicher
hat ihn begleitet".263
263 Vgl. Wiethölter/Brechr: "Kommentar", S. 915, sowie Duncan, ",Emilia Galatti lag auf dem Pulr
aufgeschlagen': Werther als (Mis-)Reader", S. 42. Noch in anderer Hinsicht kopiert Goethe Kestner: Womöglich stammt der Begriff des "Webens", der "bis ins Spätwerk für Dichten [steht]"
(Marrenldott: "Die Leiden des jungen Werthers", S. 62) ebenfalls aus einem Brief, den Kesrner
Ende September oder Anfang Oktober 1774 an Goethe geschrieben hat, und zwar nachdem er
ein Vorabexemplar des Werther empfangen und gelesen hat, Dort heißt es: "Ihr habr zwar in jede
Person etwas Fremdes gewebt, oder mehrere in eine geschmolzen. Das liess' ich schon gehen,
Aber wenn Ihr bei dem Verweben und Zusammenschmelzen Euer Herz ein wenig mit rathen
6.6 ZUSAMMENFASSUNG
283
Damit gerät nun abschließend auch der l:eale Autor ~oethe in den Blick. Im
Werther vollzieht sich nicht nur die ~~dulat1on des fi~.gIer:en H~rausgebers ZU1~
auktorialen Erzähler, sondern am BeIspIel des 'Werther laßt sIch z~Igen, daß Autolh ft immer auch als Selbstherausgeberschaft zu gelten hat. In Dzchtung und Wahrsca
vJ:h'
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cllreibt Goethe er habe Die Leiden des jungen lwert
ers 111 VIer
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irgend vorher wäre zu Papier gebracht gewesen".26 . Eine Behauptung, er man ~lt
Skepsis begegnen darf, auch wenn fest~teht, daß ~le D,ruckfassung des 'Werther 111'halb weniger Wochen entstanden 1St, Allerd111gs hefert Goethes Behauptung
n,er bemerkenswerte Vorlage für die folgenden Sätze, die sich auf das fertige Mael11ekript des 'Werthersbeziehen: "Da ich dieses WerId'
, I'1Ch unbewußt, ernem
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ern ZIem
nus htwandler ähnlich geschrieben hatte, so verwun d erte lC
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als ich es nun durchgrng, um daran etwas zu andern und zu essel11.
.
Im redigierenden ,Ändern' und ,Bessern' verhält sich Goethe zu dem von Ihm
, mlich unbewußt' Geschriebenen wie ein Editor. Das heißt, dem unbewußt
,Zle
G oeth e g~gen:
-< Itor
schreibenden Autor Goethe steht der bewußt re d"Igleren d e Ed'
über, dessen Verwunderung zum Indiz einer Art ,Selbstaufflndungsgeschlc1~te
wird. Goethe inszeniert sich in Dichtung und Wahrheit als Selbstherausgeber. E111e
These, die dadurch gestützt wird, daß es auf dem Titelblatt d,er Erstausg~be von
Wilhelm Meisters Lehrjahre - dem ersten Beispiel für durchgängIges, auktonales Erzählen - heißt:
Wilhe1m Meisters Lehrjahre.
Ein Roman,
Herausgegeben von Goethe. 2GG
Diese Interferenz von Autorschaft und Selbstherausgeberschaft hat, cv:ie s~ch zeigen
wird auch für die Poetik der Romantik maßgebliche Bedeutung: Sle dIent dazu,
das Verhältnis von Kunst und Natur in ein neues Verhältnis zu bringen,
lassen so würden die wirldichen Personen, von denen Ihr Züge enrlehner, nicht dab~i so prosrituiert'sein. Ihr wollret nach der Natur zeichnen, um Wahrheir in das Gemälde zu brmgen; und
doch habr Ihr so viel Widersprechendes zusammengesetzt, dass Ihr gerade Euren Zwe~k verfehlt
habr" (zir. nach Gräf: Goethe über seine Dichtungen, S. ~08 f., Fn.). Kestner~ ~eschre1bung .von
Goethes poerischem Verfahren wird von Goethe aufgegnffen, wenn.er de.m pil{/ert~~l Kestne1 ~m
21, 11. 1774 antwortet: ",Werther' mtlSS - muss sein! - Ihr fühlt thn n~cht, Ihr f~hl,~ n~r mtch
und Euch, und was Ihr angeklebt heisst - und trutz Euch - und andern et~gewoben 1st .(Zlt..nach
Gräf: Goethe über seine Dichtungen, S, 518), Bemerke~swerterweise spr~,cht Kesr~ler m semem
Brief an keiner Stelle vom "Anldeben", sondern er spncht vom "weben respektive vom "Verweben" und "Zusammenschmelzen". Goethe eignet sich offensichrlieh Kestners Wortw~hl, an
und wendet sie gegen den von Kestner gar nicht vorgebrachren Vorwurf des ,Angeldebtsems .
264 Goethe: Dichtung und Wahrheit, S. 587.
265 Ebd.
266 Berlin bey Johann Friedrich Unger 1795,
7. BRENTANOS GODWI IM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
7.1 Das Verhältnis von Autor und Kunstwerk im Kontext
frühromantischer Poetik
1
"W[as] ist ein Autor?" fragt Novalis rund 270 Jahre vor Foucault in Das Allgemeine
Brouillon, um mit der tautologisch anmutenden Antwort aufzuwarten: "D[er ]
Autor muß den Zweck haben Autor zu seyn".2 Zugleich stellt Novalis aber auch
fest, daß der Autor auch einenftemden Zweck hat: "Diesem Zwecke gemäß bildet
er sich eineAutor(Künstler)Natur, aus". 3 Diese beiden Aussagen widersprechen sich
nur scheinbar: In beiden Fällen geht es um Autorschaft als selbstkonstimtiven Akt,
das heißt um die Autopoiesis der Autor(Künstler)Natur als Ermöglichungsgrund für
das Kunstwerk, das "aus künstl[icher] Namr"4 entsteht. Unldar bleibt indes, wie
diese ,künstliche Natur' vor dem Hintergrund der romantischen Poetik zu bestimmen ist und welches Verhältnis zwischen der künstlichen Natur des Produkts
und der Künstler-Natur des produzierenden Subjekts besteht.
Nun kann das Verhältnis von Autor und Kunstwerk im Kontext der romantischen Poetik nicht unabhängig von den Prämissen der Subjektphilosophie Fichtes
betrachtet werden. Fichte problematisiert das transzendentale Reflexionsmodell
Kants, das davon ausgeht, das Selbstbewußtsein des Subjekts könne in der Rückwendung auf sich Kenntnis von sich als Subjekt erhalten. Allerdings kann das Subjekt nur dann von sich selbst Kenntnis haben, wenn es mit dem, was es selbst meint,
schon vertraut ist. 5 Doch wie gelangt das Subjekt zu dieser Selbsterkenntnis? Fichtes Antwort lautet: Das Ich bringt sich durch die "absolute Thätigkeit"6 eines
selbstkonstitutiven Al<:tes hervor: ,,[D]as Ich ist, weil es sich setzt, und setzt sich, weil
es ist".7 Aufgrund dieser "ersten ursprünglichen Handlung des Ich"8 erlangt das Ich
Bewußtsein, und zwar auch Bewußtsein von sich selbst. Damit impliziert die "absolute Thätigkeit des Ich" eine zugleich autopoetische und autoreflexive Bewegung;
Das Ich bringt sich selbst nicht nur als sein eigener Autor hervor, sondern es beNovalis: Schriften, Bd. 3, S. 365. Offensichtlich kannte Foucault nicht nur Novalis, sondern auch
das Allgemeine Brouillon, wie seine "Inuoduction" in Binswangers Le Rgve et l'existence (Traum und
Existenz) 1954 belegt (vgl. Foucault: Dits et Ecrits. Schriften, Bd. 1, S. 133).
2
3
4
5
6
7
8
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Vgl. Franie ,,,Intellektuale Anschauung"', S. 114.
Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 127.
Ebd., S. 133 f.
Ebd., S. 107.
286
7.1 AUTOR UND KUNSTWERK IM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
7. ßRENTANOS GODWJIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
obachtet sich bei dieser "absoluten Thätigkeit", das heißt es wird mit dem
. h en Al<t d er SeIbst1mnStltutlOn
. . zu e111em
.
poetlsc
Selbstbeobachter zweiter Ordnauto_
Di.e von Schle~el und N.o."alis maßgeblich geprägte Kunstauffassung der l~~
mantik verdankt sich der kntlschen Auseinandersetzung mit den Folgeprobi
· aus F'lCh tes Tllese vom sich selbst setzenden Subjekt erwachsen. Für Novalis
eInen
d ~e
.'
die ,,~rsprüI:,glic~e Thätigk~it" des Ich .die "Z;~eignung".9 Indem das Ich Alne d~~
"Z~el~nun~ be.z~ehung~we~se der ,:~elgn~lllg vollzi~ht, folgt. es einem subjektiven
"PunClp
der
" VerelgenthumlIchung ,das 111 dem ReiZ des Geistes gründet ») zu. ab..
'
sorbleren . Den Geist "reizt das Fremdartige. Verwandlung des Fremden in ein E' _
nes. Zueignung ist also das unaufhörliche Geschäft des Geistes".l1 Diese Auffass zg
ung
. h 1 A .. .
Ia"ß I' SIC.
a s ntlZlpatlOn von Kristevas Konzept einer intertextuellen productiVite
lesen, d~e auf der "absorption et transformation" fremder Texte fußt. 12 Insofern kann
man mit Laußmann die These vertreten, die romantische Ästhetik sei maßgebl' CI
durch ein "Verfahren der intertextuellen Zueignung und Entäußerung der frem I 1
. h"
.h
d
(en
Zelc
en ausgezelc net, wo urch "das schreibende Ich als Arrangeur des Textes in
Zentrum des Darstellungsinteresses"13 rückt. Dies bedeutet aber auch: Das schrei~
bend.e Ich üb~rnimmt als absorbierender und transformierender Arrangeur des Text~s die Funktlon Herausgeber. Im Folgenden möchte ich nach den Konsequenzen
dieser Auffassung für das Konzept der Autorschaft fragen, das in Brentanos ROInan
Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter. Ein verwilderter Roman von Maria in Szene
gesetzt wird. Insbesondere gilt es zu klären, was das "von Maria" zu bedeuten hat.
Werfen wir zunächst noch einmal einen Blick auf die romantische Poetik: Novalis' Gedanke vom Kunstwerk als künstlicher Natur und von der künstlerischen
Tätigkeit als Verwandlung des Fremden in ein Eignes findet sich in modifizierter
Form auch bei Schlegel. In seinem "Gespräch über die Poesie" behauptet Schlegel,
der "Anfang aller Poesie" bestehe darin, "die Gesetze der vernünftig denkenden
Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Fantasie, in das
ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen [... J". 14 In diesem ursprünglichen Chaos schimmert "die alte Natur und Kraft durch" 15, denn die Poesie ist laut Schlegel "so tief in dem Menschen gewurzelt, daß sie auch unter den
ungünstigsten Umständen immer noch zu Zeiten wild wächst". 16 Vor dem Hinter~rund dieser Prämissen fordert Schlegel eine Heue Mythologie, deren Aufgabe
dann bestehen soll, "aus der tiefsten Tiefe des Geistes" das "künstlichste aller
Kunstwerke" hervorzubringen: ein Kunstwerk, das als "neues Bette und Gefäß für
den alten ewigen Urquell der Poesie"17 die Urwüchsigkeit der Poesie in einem
9 Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 274.
10 Ebd.
11 Ebd., S. 646.
12 Kristeva: SemeiiJtike - Recherches pour une semanalyse, S. 146.
13 Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 31.
14 Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 319.
15 Ebd.
16 Ebd., S. 331.
17 Ebd., S. 312.
287
sdichen Rahmen zur Erscheinung bringt. Mit diesem poetischen Rahmungs-
U
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n d T7 L:" d P . . ,
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11 dl'e alte Natur un l,,-ralt er oesle 111 e111e neue, <unst IC le atur ver-
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delt werden, wobei diese Verwandlung auch bel Schlegel der 111tertextuellen
~;amik von "absorption et transforma~ion"18folgt: Schlegel sieht das K~nstwerk
.. nlich als "Gewebe", in dem alles "BeZiehung und Verwandlung, angebIldet und
:~~gebildet" ist l9 , ja das "Anbilden und Umbilden" wird zum "eigentümliche[n]
Verfahren"20, zur "Methode" der !leuen Mythologie..
.
Vor dem Hintergrund dieser Uberlegungen lassen Sich zwei Hypothesen auflien. Die erste Hypothese greift die Rede vom "eigentümlichen Verfahren" des
ste
'd'111
Anbildens" und der "ursprünglichen Tätigl'''d
<eil' er" An'
eignung"ES
au. 0 wir
Brentanos Godwi das eigentümliche romantische Ve~fahren des Anbildens und An. nens als Übersetzung" bezeichnet. 21 Neben der Ubersetzung aus fremden Spraelg"
. . "
1
hen - man denke an das Schlegel-Tlecksche Projekt der Ubersetzung Sha <espeares
~ kann sich der Begriff der Übersetzung auch auf die intermediale Transformatio.n
22
von Zeichensystemen, etwa die Auflösung von Bildern in Sprache , und auf die
editoriale Tätigkeit beziehen. Ein sprech~~des Bei~piel hierfür ist d~e von ~rnim
und Brentano besorgte Sammlung und Uberarbeltung von Volksliedern 111 Des
Knaben Wunderhorn. Die beiden Herausgeber praktizierten ein editorisches Verfahren das sich nicht mit der Transkription in die Schriftsprache begnügt, sondern
eine s~hr weitreichende "literarische Stilisierung"23 des Ausgangsmaterials vornimmt. Das gemeinsame Merkmal dieser drei Modi der Übersetzung ist, d~ß ihne?
jeweils eine eigentümliche Bewegung ziti~render Aufpfr~pfung ~u~runde liegt, mit
der das Original in einen neuen sprachlichen, respektlve se!:ll1otlschen, Kontext
manövriert wird. Dabei strebt die Übersetzung nicht die "Ähnlichkeit mit dem
Original" an, sondern nimmt eine modulierende "Wandlung ~nd Erne~erung des
Lebendigen"24 VOr, durch die sich das Original ändert. In gleICher Welse legt das
Konzept einer anbildenden und umbildenden Heuen Mythologie nahe, daß die "alte
Natur und Kraft" der Poesie mit einer neu ins Werk zu setzenden "Kraft zum
Bruch"25 interagiert. Hier wäre zu fragen, ob sich die künstliche Natur des Kunstwerks nicht auch der Dynamik jener greffe citationelle verdankt26 , die Derrida in
"Signatur Ereignis Kontext" ins Spiel bringt.
Mit der zweiten Hypothese rückt das Verhältnis von Autorschaft und Herausgeberschaft in den Blick: Da es sich bei den Verfahren des An- ~nd ymbilde?s
ebenso wie bei der Tätigkeit der Zu- und Aneignung um Strategien e111er "redlsKristeva: Semeißtike - Recherches pour une semanalyse, S. 146.
Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 318.
Ebd.
Brentano: Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter. Ein verwilderter Roman von Maria, S. 294. Im
folgenden wird der Godwi mit der Sigle G im Text zitiert.
22 Vgl. Pfotenhauer: Sprachbilder, S. 71 f., sowie SchuHer: Romanschlüsse in der Romantik, S. 148.
23 Vgl. Feilchenfeld: "Vorwort" zu Des Knaben Wunderhorn, S. 11.
24 Benjamin: "Die Aufgabe des Übersetzers", S. 53.
25 Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 27.
26 Ebd., S. 32.
18
19
20
21
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288
7. BRENTANOS GODWIIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
tributiven Textverarbeitung"27 handelt, läßt sich die Auffassung plausibilisie .
daß Novalis und Schlegel die Poiesis als Akt begreifen, der zwischen dem Ideal e~en,.
ursprünglich-setzenden, auktorialen Tätigkeit und der Realität einer nachträgrl~el
umbildenden, editorialen Tätigkeit oszilliert. Diese ,editoriale Autorschaft' IC~· d et d'le G este abSOl' b'lerenden Zitierens mit der autoreflexiven Geste veld
b In
es
Sich-Selbst-Zitierens.
Auch wenn Schlegel im Athenäumsfragment 366 - ganz im Sinne der Kant'schen Genieästhetip8 - das Genie als "organische[n] Geist"29 bestimmt, stellt I.
unmittelbar anschließend im Athenäumsfragment 367 fest, "der wahre Autor" sol~l
"auch Fabrikant sein", ja er solle "sein ganzes Leben dem Geschäft widmen, liter ~
rische Materie in Formen zu bilden".30 In die gleiche Richtung weist Novalis da.
'
l'h
,ei
ne b
ender Ul11versa poetlsc en Behauptung "Genie ist zu allem nötig"31 die The
vertritt, Autorschaft ziele darauf ab, "die Materialien der Schrift"32 zu scheiden u;~
zu läutern. Um diesen Läuterungsprozeß einzuleiten, muß der Autor zu einem
Leser seiner eigenen Schrift werden: "Durch unpartheyisches Wiederlesen seines
Buchs kann der Autor sein Buch selbst läutern". 33 Dies bedeutet aber nichts and~res, als daß der Autor die Funktion eines Herausgebers zu übernehmen hat, der
die ursprünglichen Produkte seines Genies im Rahmen einer (selbst)kritischen Relektüre ,umbildend' überarbeitet. Diese Schlußfolgerung läßt sich noch zuspitzen
wenn man Novalis' Behauptung in Betracht zieht, der "wahre Leser" müsse der er~
weiterte Autor" sein34 , der als "höhere Instanz [...] die Sache von der niedern'Instanz schon vorbereitet erhält". 35 Die Antwort auf die Frage, welche Folgen es hat,
wenn der Autor als "wahrer Leser" und "erweiterter Autor" seiner eigenen Texte
auftritt, lautet auch hier: Der erweiterte Autor wird zum Selbstherausgeber, der in
dieser Funktion die höhere Instanz des Lesers mit der niederen Instanz des Autors
verldammert. Dadurch werden Lesen und Schreiben im Rahmen eines editorialen
Dispositivs miteinander gekoppelt36 , ja die Akte des Lesens und Schreibens interagieren in einer "Endlosschleife reziproker Hervorbringungen".37
Eine theoretisch-poetologische Auseinandersetzung mit den Thesen der Frühromantiker ist in vielen der um 1800 entstehenden Werke festzustellen. Neben den
eigenen Romanprojekten von Schlegel und Novalis ist hier vor allem Brentanos
27 Kristeva: "Der geschlossene Text", S. 194.
28 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, S. 241, wo es heißt: "Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt".
29 Schlegel: "Fragmente" [366], S. 232.
30 Schlegel: "Fragmente" [367], S. 232. Vgl. Michel: "Selbständigkeit und Publikumsvorstellung des
Autors", S. 11 f.
31 Schlegel: "Fragmente" [283], S. 213.
32 Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 470.
33 Ebd.
34 Ebd. Damit nimmt Novalis in gewisser Hinsicht die zentrale These von Barthes vorweg, daß die
Geburt des Lesers allfKosten des Autors erfolgt (vgl. Barthes: "La mort de l'auteur", S. 67).
35 Ebd.
36 Kittler: Aufichreibesysteme 180011900, S. 115.
37 Wiethälter: "Ursprünglicher Gedanken Refrain - Wiederholung", S. 603.
7.l AUTOR UND KUNSTWERK IM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
289
Godwi zu nennen, der die poetologischen Forderungen der Frü~romantiker iro-
. h in Szene setzt. 38 Gleiches läßt sich von Jean Pauls Leben Ftbels und E. T. A.
SC
nl
•
Boffmanns Lebens-Ansichten des Katers Murr sagen. Die
g~na~nten drel' ~~r Ice werden im folgenden im Fok.us des ~n:eres~es stehen, wobei .es In erster ~1111e darUl~
hen wird herauszuarbeiten, Wie 111 diesen Romanen die WechselWirkung ZWIgel en Akten des Schreibens und Lesens einerseits sowie zwischen Autorschaft und
~~rausgeberschaftandererseits dargestellt wird. Zuvor sollen jedoch noch einige
Besonderheiten der romantischen Poetik beleuchtet werden.
7.2 Die poetische Performanz
der ,romantischen Universalpoesie'
Neben der Interferenz von Autorschaft und Herausgeberschaft zeichnet sich die romantische Poetik dadurch aus, daß sie die performativen Rahmenbedingung der
Verkörperung und der Inszenierung nicht nur reflektiert, sondern ironisch ,mitdarstellt'. Dies wird in den programmatischen Athenäumsfragmenten 116 und 238
explizit und implizit deutlich gemacht.
.
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. "
Im Athenäumsfragment 116 fordert Schlegel e111e "progresslve Ul11versalpoesle ,
deren Bestimmung es sei, "alle getrennte[n] Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik i~ Berüh~'ung zu setzen":39
Mit diesem Programm einer alle Gattungen und Denksttle vermischenden PoeSie,
40
das Schlegel ansatzweise in Goethes Wilhelm Meister realisiert findet , stellt sich
fast zwangläufig die Frage nach den performativen Rahmenbedingungen. Bemerkenswerterweise koppelt Schlegel die programmatische Behauptung, die Universalpoesie sei "der höchsten und der allseitigsten Bildung fähig"41, an ein bestimmtes
Darstellungsverfahren: "[I] ndem sie jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten sein
soll, alle Teile ähnlich organisiert"42, gehorcht die Universalpoesie einem metony43
mischen Prinzip, das eine parergonale Rahmung des Ganzen vornimmt , da es zugleich "von innen heraus" und "von außen hinein"44 wirkt. Zugleich wird dieses
metonymische Prinzip zur Voraussetzung einer bestimmten Form poetischer Performanz: Die poetische Politik, die sich am diagrammatischen Arrangement der
Teile indexikalisch zeigt, soll eine Selbstdarstellung des Gesamtkonzepts sein.
38 Vgl. Bellmann: "Kommentar" zum Godwi, S. 600, sowie Schulz: Clemens Brentano, S. 67.
39 Schlegel: "Fragmente" [116], S. 182.
40 Vgl. Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 346.
41 Schlegel: "Fragmente" [116], S. 182.
42 Ebd.
43 Vgl. Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S. 74.
44 Schlegel: "Fragmente" [116], S. 182.
290
7. BRENTANOS GODWI IM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
Dies gilt auch für das Konzept des Athenäumsfragments 116: Es setzt fd
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sc~ri~t VO~l ~ichtes W,issenschajislehre"45, ,:obei es se~bst als universalpoetisc~~~
Pelfolmattv In Erschemung tntt: ,,[...] allem durch seme Form kommt das I)'
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emer Demontage der WIssenschaft
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01gal11S1ett smd, eme "Absage an den Gedanken emer dIe Welt konstituierend
ab so1u l'en Setzung "47 d ar. UmIese
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emes autore eXlven ( egenenerten) Indexes, der dIe Aufmerksamkeit auf di '
'derh olte[n] Wiederholung"48 lenkt. Was heißt das?elte.
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Das Athenäumsfragment 116 beginnt - ganz im Stil Fichtes - mit einer the '_
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u, er aupt, ' le, pr~grammattsch mIt dem Satz begründet wird: ,,[...] denn in
emem geWIssen Smn 1st oder soll alle Poesie romantisch sein".51 Offensichtlich nehmen der erste und der letzte Satz des Fragments wechselseitig aufeinander Bezl!
ohn,e daß sich feststellen ließe, "wer wen zuerst zitiert",52 Das heißt, sie bilden eit~~
Kreisstruktur.
Die im letzen Satz stehende Formulierung "ist oder soll" verweist metonymisch
darauf, ?aß d~r sprech~lm,heoretische,Status des Fragments merkwürdig ambivalen,t bleIbt, ?le :ermemtllch konstattven Feststellungen des Fragments sind zugleIch als dtrekttve Forderungen zu werten 53, in denen kein Sein, sondern ein
?rogr~mm~tisches Soll:n zum ~usdruck kommt, Zugleich spiegelt sich in der Dis~unktt?n ,,1st ,ode~ soll auch em fundamentales Begründungsproblem der SubJektphtlosophle FIchtes. Das Ich wird von Fichte nämlich nicht nur als absolutes
Subject" gefaßt, dessen Sein darin besteht, "dass es sich selbst als seyend setzt"54,
sondern der. Akt d~r Se~bst-Setzung wird als performativer Akt vollzogen, der den
Charakter emer Dlrekttve hat: ,,[Djas Ich soll sich setzen, als anschauend", 55 Wenn
45 Wiethölter: "Ursprünglicher Gedanken Refrain - Wiederholung", S, 604,
46 Ebd" S, 607, .
47 Ebd.
48 Ebd,
49 Schlegel: "Fragmente" [116], S, 182.
50 Ebd" S. 183.
51 Ebd,
52 W!eth~lter: "U~sprünglicher Gedanken Refrain - Wiederholung", S, 606,
53 Mit Bhck auf die Searlesche Reformulierung von Austins Sprechakttheorie (aber auch Austins eigene Revision seiner Ausgangsprämissen) kann man die scharfe Entgegenserzung von Konstativa
und Performativa als Unterschied zwischen zwei unterschiedlich gerichteten illokutionären Kräften deuten (vgl. Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S, 153, sowie Searle: "Eine Taxonomie illolentionärer Akte", S, 18),
54 Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 97,
55 Ebd" S, 229,
7.2 DIE POETISCHE PERFORMANZ DER ,ROMANTISCHEN UNIVERSALPOESIE'
291
II el in seinen Fragmenten zum "Geist der Fichtischen Wissenschaftslehre" soSCllleguf den Unterschied als auch auf die Gleichwertigkeit beider Grundsätze hinwo ,1 56
a dann läßt dies nur einen Schluß zu, näm 1ich daß d'le D"ISJunl'
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11" als KonJ'unktion zu deuten ist. Demnac 1st le erste ursprung IC e
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r dlung des Setzens des Ich durch steh selbst
als voraussetzungs ose, "a soI"an
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11
lure Handlung"58 aufzufassen, di~ !mnstattv fest~ustellen un~ ~e~:IOrmat~v zu vo , I e111'st Entscheidend ist dabeI Jedoch, daß dIe Performatlvltat des steh Setzens
:zte1
' Regeln
.
, ht im .Rahmen vorausgesetzter konventtoneller
stattfin det 59 ,son d'
e1l1
11l1~st rahmenkonstitutiv ist. Das heißt, die Selbstkonstitution des Ich vollzieht sich
sei Akt unbezüglich performativen Setzens" .60 Dieses Setzen ist als "bloßes Hanaeln"
s gerade
"
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' "61 , d enn d'le "setzend e H an dl ung
"kein HandeI
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Bewuß
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des leh" ist "keme Re eXlOn ,~on ,ern" ro.d
uctlO~l
.."
Mit dieser Behauptung ergIbt SIch allerdmgs em neues Problem, namltch dIe
zur reflexiven
Frage, Wl'e das Ich mit dem Akt der Autonoiesis
r
"Kenntnis
,seiner Selbst,
Iso zur Selbsterkenntnis gelangen kann. DIe RefleXIOn des performatlVen Setz?ns
~"hrt - dieses Problem räumt auch Fichte ein - in einen cireulus vitiosus, der steh
us der Unterscheidung zwischen einem denkenden Ich und einem "im Denken
d~sselben gedachten Ich"63 ergibt. Das denkende Subjekt wir~ in: Ral1men ~es SichSelbst-Denkens zu einem Objekt seines Denkens, so daß wtr "ms unendltche fort
, neues Bewusstseyn "b r~uch en: 64 .
für jedes Bewusstseyn em
'
, Während sich Fichte an dem Problem abarbeltet, WIe dIe Spaltung des Ich m
ein subjektiv denkendes und ein objektiv gedachtes durch das K~nzept ,abso~uten
Wissens' wieder "zur Einheit verschmilzt"65, sprengt der romanttsche RefleXIOnsbegriff diesen "identitätsphilosophischen Rahmen";66 Der romantische Rekurs a~f
die Spaltung des Ich betont die "gesetzte Differenz" und "sperrt sich gegen, dIe
bl'Uchlose Vereinnahmung" durch den Gedanken einer Verschmelzung zu emer
organische[n] Einheit".67 So stellt Schlegel fest, daß das Selbstbewußtsein einer
::grenzenlosen Reflexion" fähig ist, die potentiell "bis ins unendliche" fortges~tzt
werden kann. Mehr noch, der selbstreflexive Akt, mit dem das denkende Ich SIch
56 Vgl. Schlegel: "Geist der Fichtischen Wissenschaftslehre> S, 35, NI', 176: "Das ~ch,~etzt sich nicht
weil es sich setzt sondern weil es sich setzen soll; das ist elll sehr großer Unterschied , Im Fragment
NI', 193 heißt e~ dann: "Das Ich setzt sich selbst und das Ich soll sich setzen sind wohl mit nichten
abgeleitete Sätze aus einem höhern; einer ist so hoch als der andre; auch sind es zwei Grundsätze,
nicht einer, Wechselgrundsatz, -" (ebd" S, 36)
57 Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S, 107,
58 Ebd., S, 187.
59 Vgl. Hamacher: "Der ausgesetzte Satz", S, 206,
60 Ebd" S, 207,
61 Ebd.
62 Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S, 230,
63 Fichte: "Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschafrslehre", S, 526.
64 Ebd,
65 Fichte: Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem jahre 1801, S, 24,
66 Menninghaus: Unendliche Verdopplung, S. 89,
67 Fichte: Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem jahre 1801, S, 10,
292
7. BRENTANOS GODWIIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
auf sich selbst bezieht, führt auch dazu, daß dieses "sich in sich selbst
verdoppel[t] ".68
Der grundlegenden Paradoxie der Subjektphilosophie, daß zur "Einheit de
Bewußtseyns" notwendiger Weise "ein zweyfaches" gehört69 , versuchen die Frtihro~
mantiker nicht mit der Logik, sondern mit der Zeit beizukommen. Das dedouble_
ment des Ich in ein denkendes und ein gedachtes Ich ist nicht nur als systematisch
Verdopplung in Ich und Nicht-Ich zu begreifen, sondern als "unendliche Ver~
dopplung"70, die eine grundsätzliche "Dynamisierung und Verzeitlichung"71 des
selbstkonstitutiven Bewußtseinsprozesses bewirkt. Menninghaus sieht in diesel'
Historisierung der Reflexionsproblematik eine funktionale Analogie zu Derridas
Begriff der difftrance. 72 In beiden Fällen handelt es sich um einen Differellzierungsprozeß, der das Wiederherstellen von Identitätsbeziehungen unendlich aufschiebr73, wobei das Reflektierende mit dem Reflektierten im Rahmen einer beide
Pole verknüpfenden "Handlung des Brechens"74 hervorgebracht wird,75 Selbstbewußtsein entsteht demnach nicht durch einen einmaligen Akt der Selbstkonstitution, sondern durch "eine Permanenz des Setzens, des Wechsels, der Thätigkeit, der
producirenden Handlung"76, also im Zuge eines historischen Prozesses.
Das Wissen um das Selbst ist nicht mehr Selbstbewußtsein, es ist Selbstbewußtwerden. Es gibt, wie Schlegel feststellt, "nur Werden, kein Sein"77, denn auch
das Wissen ist wesentlich als "genetisch" zu begreifen. 78 Durch diese Dynamisierung des Selbst und des Wissens vom Selbst erhält die "absolute Thätigkeit" Fichtes eine Umwertung: Bei Novalis tritt an die Stelle der absoluten Setzung "das
freywillige Entsagen des Absoluten", das eine "unendliche freye Tätigkeit in uns"
entstehenläßt,79 Eben dies ist "das Einzig mögliche Absolute, was uns gegeben werden kann und was wir nur durch unsre Unvermögenheil' ein Absolutes zu erreichen und zu erkennen, finden". 80 In die gleiche Richtung weist Schlegel, wenn er
von der "Unvollkommenheit des Ichs"81 spricht - ein Ich, das um sich als "abgeleitetes" von einem "ursprünglichen Ich" weiß, ohne daß es jemals zu diesel'
Schlegel: Philosophische Vorlesungen, S. 325.
Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 197.
Menninghaus: Unendliche Verdopplung, S. 25.
Koselleck: "Das achtzehnte Jahrhundert als Beginn der Neuzeit", S. 280. Vgl. hierzu auch Fran!<:
Das Problem der Zeit in der deutschen Romantik, S. 19.
72 Vgl. Derrida: Grammatologie, S. 92 f., 481 f., sowie ders.: "Die differance", S. 31 ff.
73 Vgl. Menninghaus: Unendliche Verdopplung, S. 77, aber auch Hamacher: "Der ausgesetzte Satz",
S.209.
74 Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 213.
75 Vgl. Menninghaus: Unendliche Verdopplung, S. 26, 123.
76 Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 247.
77 Schlegel: Philosophische Vorlesungen, S. 349.
78 Ebd. Vgl. Pethes: ",In jenem elastischen Medium'. Der Topos ,Prozessualität' in der Rhetorik der
Wissenschaften seit 1800 (Novalis, Goethe, Bernard)", S. 136 ff.
79 Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 269 f.
80 Ebd.
81 Schlegel: Philosophische Vorlesungen, S. 352.
68
69
70
71
7.2 DIE POETISCHE PERFORMANZ DER ,ROMANTISCHEN UNIVERSALPOESIE'
293
Quelle und Wurzel der Ichheit"82 zurücldcehren kann. Dadurch gewinnt die un" ldliche Verdopplung des Selbstbewußtseins zirkulären Charakter: "Die Form
~[es] cyklischen Denkens ist d[ie] Materie d[es] Begriffs vom Ich - der cyldischen
. " 83
PraxiS.
. '
. .
Das Athenäumsfragment 116 setzt dieses zyldlsche Denken performativ 111
Szene, wobei die zyldische Struktur des Fragments zugleich die "Mittlerfunktion
der Einbildungskraft"84 reflektiert. Wenn Schlegel fordert, die "poetische Reflexion" solle "zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden [...] in der Mitte
schweben"85, dann nimmt er auf Echtes Funktionsbestimmung der produktiven
Einbildungskraft Bezug: Nach Fichte setzt das Vermögen der Einbildungskraft
zum Behuf einer Bestimmung des Subjects eine unendliche Grenze, als Product
;einer ins unendliche gehenden Thätigkeit"86, und versucht, "diese Thätigkeit sich
zuzus chreiben".87 Dabei erweist sich die durch die Einbildungskraft gesetzte, "unendliche Grenze" als "fließende Randung"88, denn die Einbildungskraft setzt "keine
feste Grenze", sie "hat selbst keinen festen Standpunct".89 Vielmehr ist sie ein Vermägen, "das zwisch~n Besti~mung und ~ich.t-B~sti~mu~g,zwischen End.lichem
und Unendlichem 111 der Mitte schwebt 90, Ja sie bnngt Ihr produkt "gleIChsam
während ihres Schwebens, und durch ihr Schweben hervor".91 Schlegel deutet dieses Schweben im Sinne einer "poetischen Reflexion", die in dem dargestellten Produkt den Prozeß der Darstellung sichtbar macht und sich durch dieses
Mit-Darstellen "immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von
Spiegeln vervielfachen" kann. 92 Dadurch wird aus der universalpoetischen Reflexion ein "unendlicher Kommentar zu einem unendlichen Projekt" .93
Die im Athenäumsfragment 116 zum Ausdruck kommende autoreflexive Wendung auf die eigenen Verkörperungs- und Inszenierungsbedingungen bezeichnet
Schlegel im Athenäumsfragment 238 als "Transzendentalpoesie" .94 In Analogie zur
tl'anszendentalphilosophischen Wendung des Denkens auf sich selbst stellt die
Transzendentalpoesie "das Produzierende mit dem Produkt dar [...]".95 Das heißt,
sie setzt sich als "Poesie der Poesie" in Szene, die "in jeder ihrer Darstellungen sich
82 Ebd.
83 Schlegel: "Geist der Fichtischen Wissenschaftslehre", S. 35, Nr. 177.
84 Wiethölter: "Ursprünglicher Gedanken Refrain - Wiederholung", S. 605.
85 Schlegel, "Ftagmente" [116], S. 182.
86 Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 216.
8? Ebd.
88 Derrida: Prejuges, S. 77. Zum Verhältnis zwischen dem Setzen der Grenzlinie und der damit induzierten Verdopplung vgl. Hamacher: "Der ausgesetzte Satz", S. 202.
89 Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 216.
90 Ebd., S. 233.
91 Ebd., S. 217.
92 Schlegel: "Fragmente" [116], S. 182. Novalis behauptet hingegen, das Ich produziere als "productive Imaginationskraft" das, "wozwischen geschwebt wird" (Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 266).
93 Hamacher: "Der ausgesetzte Satz", S. 202.
94 Schlegel: "Fragmente" [238], S. 204.
95 Ehd.
7.2 DIE POETISCHE PERFORMANZ DER ,ROMANTISCHEN UNIVERSALPOESIE'
294
295
7. BRENTANOS GODWIlM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
nd erhöhen dadurch die "Aufmerksamkeit für Rahmungen".107 Dabei kann die
selbst mit darstell[t]".96 Die Folge dieser "schönen Selbstbespiegelung"97 ist d
"das Gesagte und der Akt des Sagens selbst"98 zugleich präsentiert werden G' aß
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pemng vorfuhrt, was auf der semanttschen Ebene gesagt wird. Das poetisch P .
formativ folgt damit der gleichen Textstrategie, die Derrida in La verite enp
et. BI'tc<:
1 au f d'te FtgUt'
. des "cercle en abyme" skizziert· Es beschreibt Ut1 meznture
mtt
. "
Ouve.
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ment etrculatre au moment meme Olt il decrit un mouvement circulaire" 99 D
h.et'ß t, der sem~ntische Sit~n ~er Beschreibung des Ausdrucks ,Kreis' wird. durchU
eme performattve Geste, dte emen Kreis beschreibt, potenziert.
Genau ~ies läßt si~h am .Athenäumsfragments 116 beobachten: Das zyldische
Denken wtrd durch em zyldtsches Arrangement der Zeichen vorgeführt und an d
Modell der unendlichen Selbstbespiegelung gekoppelt. Die dadurch entsteh das
.
d
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Ftgur er mIse en a 'Yme at die Form einer auroreflexiven wiederholten Wiederholung - und eben diese Figur hat in der Romantik Hochkonjunktur, wie Dällenbachs wegwe~sende Studie Le recit speculaire belegt. tOO Dällenbach faßt die mise
en abyme als Sptegelung auf, die sich einer "duplication interieUt'e"tOt verdanl t
wobei das Eingeschlossene (enclave) eine Relation der similitude avec l'ceuvre qut/
· tt02 U1:terhool
'
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' en abmye korrespondiert mit dera
con t len
a t. D'tese B
esttmmung
er mIse
programmattschen Forderung der Universalpoesie, daß im Rahmen einer Gesamtkomposition "alle Teile ähnlich organisiert" und in einer "endlosen Reihe von
Spiegeln"103 vervielfacht werden sollen.
Zugleich erhält der Begriff der Rahmenreflexion eine neue Bedeutung: Aus Dällenbachs Analyse läßt sich der Schluß ziehen, daß es eine autoreflexive Form der
mise en abyme gibt, welche die Prinzipien der Gesamtkomposition von innen her
spiegelt l04 und eine "Doppelrahmung"I05 erzeugt. Am offensichtlichsten tritt diese
bei Phänomenen wie dem Buch im Buch, dem Stück im Stück oder dem Bild im
Bild in Erscheinung: Die Doppelrahmung entsteht, weil die Akte der Aufpfropfung al~ selbstbezügliche Geste des Zitierens und Hineinkopierens vollzogen werden. Dtese Selbstzitate stellen "in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit dar[]"lo6
~
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
Ebd.
Ebd.
FranlG Einfilhrung in diefrühromantische Asthetik, S. 364.
Derrida: La verite en peinture, S. 29.
So ~~kel11:t !?ällenbach die. Figur der mise en abyme in Schlegels Athenäumsfragment 116, in Novahs Heznrlch von 0fterdzngen, Brentanos Godwi (vgl. Dällenbach: Le recit speculaire, S. 222,
118) .sowie in den Werken Jean Pauls und E. T. A. Hoffmanns (S. 52 f., 80 f.).
Dällenbach: Le recit speculaire, S. 22.
Ebd., S. 18.
Schlegel: "Fragmente" [116], S. 182. Dällenbach beschreibt die Spiegelung der mise en abyme
fast gleichlautend als "miroir d'un miroir [00'] multiplier al'infini ses reflets" (Dällenbach: Le recit
speculaire, S. 81).
Vgl. Dällenbach: Le rtfcit speculaire, S. 65.
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 178.
Schlegel: "Fragmente" [238], S. 204.
~elbstdarstellung entweder im Rahmen der poetischen Performanz erfolgen oder
ber durch eine inszenierte "Konfusion"lo8 von Rahmen. Derartige "Rahmen-
~rilche"109 lenken als mise en abyme die Aufmerksamkeit auf die Bedingung der
diskursiven Rahmung. Dadurch wird die mise en abyme zu einer metafiktionalen
mise en abyme transcendentale.
1lO
Findet im Rahmen der autoreflexiven Bezugnahme auf die Prinzipien der Gesamtkomposition in erster Linie eine "immanente Selbstbetrachtung oder Selbstbespiegelung" 111 stat~, so ~mpliz~ert die mit de~' mise en abym~ transcendenta~e ins "Ye~'k
gesetzte MetafiktlOnahtät "eme Transzendterung des filmonalen Status 112, dte m
eine metapoetische Reflexion mündet. Der Ort dieser gleichermaßen metafiktionalen wie metapoetischen Reflexion ist jedoch nicht mehr unbedingt der äußere
paratextuelle Rand des Textes; vielmehr werden die "Inkonsistenzen des narrativen
Rahm "113 häufig kommentarlos an der Struktur des Gesamttextes vorgeführt:
ens
sei es in Form von "narrativen Metalepsen"114, sei es in Form von ironisch inszenierten performativen Widersprüchen. Das wichtigste Symptom für derartige Formen "erzählstrukturell vermittelte[r] Metafiktionalität" ist eine "Verdopplung bzw.
Vervielfachung der fiktionalen Ebenen".115 Dieses "dedoublement constitutif"116
ist die Voraussetzung der romantischen Ironie.
7.3 Die romantische Ironie als dedoublement und greffe
Die ursprüngliche Kraft des Sich-selbst-setzenden-Setzens wird im Rahmen der
frilhromantischen Poetik zur Inszenierung einer doppelten semantischen Bewegung: "Sinn" ist nach Schlegel "dividierter Geist", der zwischen "Selbstschöpfung
and Selbstvernichtung"117 oszilliert und in einen Zustand der "Selbstbeschränkl1ng"118 münden soll. Die Bewegung von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung
erweist sich aber auch als der "wichtigste Punkt in der Behandlung der Ironie in
107 Lulunann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 415.
108 Ebd.
109 Vgl. Gaffman: Rahmen-Analyse, S. 537.
110 Dällenbach: Le rtfcit speculaire, S. 131 f.
111 Frank: Narrative Gedankenspiele, S. 51.
112 Ebd. Vgl. auch Wolf: Asthetische Illusion und Illusionsdurchbrechung in der Erzählkunst, S. 226 f.
113 Vgl. Martfnez-Bonati: ,Don Quixote' and the Poetics ofthe Novel, S. 69.
114
115
116
117
118
Genette: Die Erzählung, S. 168.
FranlG Narrative Gedankenspiele, S. 60.
Dällenbach: Le rtfcit speculaire, S. 81.
Schlegel: "Kritische Fragmente" [28], S. 149.
Ebd. Vgl. auch Schlegel: "Kritische Fragmente" [37], S. 151.
296
7. BRENTANOS GODWI IM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
den Athenäums-Fragmenten", 119 Während die Selbstschöpfung als Akt der setze _
den Autopoiesis gedeutet werden kann, impliziert die Selbstvernichtung ein zers n.
zendes dMoublement, das ironisch in Dienst genommen werden kann,
et
Dem Wesen dieser ironischen Verdopplungcgeht de Man in "Die Rhetorik d '
Zeitlichkeit" nach120, wenn er auf Baudelaires Bestimmung des Komischen als eh e~
Operation rekurriert, die es dem Subjekt der Aussage und dem Rezipienten erm;e~
licht, "sich alsbald zu verdoppeln und den Phänomenen seines Selbst als interessel~_
ser Beobachter beizuwohnen",121 Die daraus resultierende "Multiplikation d
Ich s"122 Imp
' I"IZlert ell1e
, BeZle
'hung sowohl'
' " als auch "zwies
"ll1ner11 alb d es Bewußtsell1s
schen zwei Ichs"123 - eine Beziehung, die Menschen dergestalt in "selbstbeobach_
tende Einheiten" transformiert, daß diese in der Lage sind, "sich selbst (und damit
auch andere) als Beobachter zu beobachten", 124 Entscheidend ist jedoch, daß diese
sich selbst beobachtenden Beobachter keinen transzendentalen Standpunkt außerhalb des Geschehens einnehmen können, denn ,,[s]ie sind beteiligt als Beobachter,
die beobachten, wie sie ihre Beteiligung beobachten", 125 Die Möglichkeit, einen
t:anszende~talen Standpun~t einzunehmen, wird durch die Dynamik eines potentiell unendlichen, autorefleXlven dMoublement zersetzt, Dieser Prozeß der zersetzen_
den Verdopplung ermöglicht eine ironische Selbstbeobachtung zweiter Ordnung, die
in direkter Analogie zur "poetischen Reflexion" Schlegels steht: Die Akte, mit denen
sich die Beobachter beim Beobachten selbst beobachten, erzeugen den gleichen Effekt wie die im Athenäumsfragment 116 erwähnte "endloseD Reihe von Spiegeln",126
Dabei erweist sich die romantische Ironie nicht nur als "endloser Prozeß, der zu keiner Synthese führt"127, sondern die romantische Ironie dient der "Darstellung eines
,schwebenden' Selbstverhältnisses"128: Damit die Ironie als Ironie verstanden werden
kann, muß ein semantischer "Szenenwechsel"129 von der fremdreferentiellen Ebene
der "Information" zur selbstreferentiellen Ebene der "Mitteilung" vollzogen werden,l3O Dieser semantische Szenenwechsel läßt sich als interpretative Aufpfropfung
fassen, welche die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf die "Botschaft selbst"131 lenkt.
Die Ironie ist jedoch nicht nur Selbstbeobachtung zweiter Ordnung, sondern
auch Selbstdarstellung des Konzepts, Die romantische Kunst findet "in der Ironie
ein Medium ihrer Selbstrepräsentation"l32, ja, die Ironie ist das "deiktische Prin119 Behler: Frühromantik, S, 251.
120 De Man: "Die Rhetorik der Zeitlichkeit", S. 109.
121 Baudelaire: "Vom Wesen des Lachens", S. 292
122 De Man: "Die Rhetorik der Zeitlichkeit" S. 109.
123 Ebd.
124 Luhmann: "Die Form der Schrift", S. 366.
125 Ebd.
126 Schlegel: "Kritische Fragmente" [116], S. 182.
127 De Man: "Die Rhetorik der Zeitlichkeit" S. 118.
128 Luhmann: Die Kunst der Gesellschqft, S. 459.
129 VgI. Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S. 43 f.
130 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S, 459.
131 VgI. ]akobson: "Linguistik und Poetik", S. 92.
132 Strohschneider-Kohrs: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, S. 234.
7.3 DIE ROMANTISCHE IRONIE ALS DEDOUBLEMENTUND GREFFE
297
, "133 das sowohl auf das Konzept der Universalpoesie als auch auf die perforZIP'
"mit
denen d'leses,-onzept
17
'Rahmen d es l"
' h, en
ativen Akte verweIst,
Im
mnstlensc
~haffensprozessesausgeführt ~ird, Ironie al~ Medium der Sel?strepräsent~tlon
Ei giert einerseits als autoreflexIver (degenenerter) Index der eIgenen Verkorpe"
' a1sMe d'lUm d er
.un gs- und Inszenierungsbedingungen, An d ererselts
IstI
rome
run
dl'
hl
'''134
d
h
'ß sIe
. .1St el1lll1sze"
Selbstrepräsentation "epideixis d[er] Unen IC (elt
,as eIl',
'ertel' genuiner Index für die grundsätzliche Begrenztheit künstlerischer "DarZwar werden dies.e
das
ironischer
Zersetzung", doch muß man neben dIeser selbstvernlChtenden IronIe erster Ordung eine höhere Ironie zweiter Ordnung annehmen l36 , die an der zersetzten Dar~ltellungsform die "absolute Form" zum Vorsc~ein bri~gt,137 So besehen v~rweist
die romantische Ironie als "permanente NegatIOn poetischer Formen auf dIe Idee
der Poesie" .1 38 Sie ist mehr als eine Darstellungsjorm, sie ist eine Vollzugsjorm, der
ein "Schein von Selbstvernichtung"l39 eignet,
.,
Die romantische Ironie ist aber auch Vollzugsform el1ler gleIchermaßen rahmensetzenden und rahmenzersetzenden Aufpfropfungsbewegung: Ausgehend von
Schlegels Bestimmung der progressiveI: Universalpoesie ~ls "Spiegel.kabinett der
Vervielfältigung", betrachtet Wellbery dIe von der romantischen Irome vollzogene
Verdopplung unter semiotisch-dekonstruktivistischen Vorzeichen, wenn er behauptet, "daß der Schlegelsche Ironiebegriff die Dynamik des gesamten Textualitätssystems in sich aufnimmt und (das ist das entscheidende) wiederholt" ,140 Die
"Bedingung der Möglichkeit von Ironie" ist die "Zitie.rbarkeit bzw, Wi~derholb~r
keil' des Buchstabens" ,141 Dabei rekurriert Wellbery mcht nur auf Demdas Begnff
der Iterabilite, sondern auch auf Sperbers und Wilsons Echotheorie der Ironie,
Sperber und Wilson vertreten im Anschluß an Grice die Auffassung, Ironie sei
eine Form des "echotischen Erwähnens" (echoic mentioning) 142, bei welcher der ver-
~~llungsformen",135
Darstellungs~ormen
"O~fer
133 Ebd. VgI. Hamacher: "Der ausgesetzte Sarz", S. 232, der noch einen Schrirr weirer geht, wenn
er behauptet, in der romantischen Literatur solle "nichts als das Zeigen sich zeigen" (ebd.).
134 Schlegel: Philosophische Lehrjahre, S. 128.
135 VgI. Benjamin: Der Begriffder Kunstkritik in der deutschen Romantik, S, 86.
.
.
136 Diese Kennzeichnung trifft auch für die "Ironie der Ironie" zu, die Schlegel in "Über die Unverständlichkeit" beschreibt (S, 369).
137 VgI. Benjamin: Der Begriffder Kunstkritik in der deutschen Romantik, S. 86.
138 Schuller: Romanschlüsse in der Romantik, S, 36.
139 Schlegel: "Fragmente" [305], S. 217,
.
140 Wellbery: "Rhetorik und Literatur", S. 172; vgI. auch Wiethälter: "Ursprünghcher Gedanken
Refrain - Wiederholung", S. 613, die darüber hinaus eine Verbindung zwischen dem zyldischen
Denken und der Ironie herstellt.
141 Ebd,
142 Sperber/Wilson: "Irony and the Use-Mention Distinction", S, 555. Diese Echos "are meant t?
indicate that the preceding utterance has been heard and understood, and 1'0 express the hearer s
immediate reaction to it" (S. 557). Ironie wird also als Echo beziehungsweise als imaginäre Replik auf eine vorangegangene Äußerung aufgefaßt - wobei es sich aber auch um eine "ima~inäre
Äußerung" handeln kann, dann nämlich, wenn man sich nur auf eine "selbst g~dach~e" Außerung handelt, auf die man "selbst zitierend" Bezug nimmt. Nach Sperber und Wl1son s1l1d es vor
allem die Wortwahl des Sprechers, der Ton seiner Äußerung, und der unmittelbare Kontext der
298
7. BRENTANOS GODWJIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
wendete Ausdruck seine illokutionäre Kraft verliert und zu einer konversationell
~'1'!"plikatur wird. 143 Danach ist eine ironisc~e Äußerung nicht der ~usdruck ein:~
Uberzeugung, ?ondern der Ausdruck einer Überzeugung über eine Außerung. Wer
eine ironische Außerung macht, "is expressing a beliefABOUT his utterance, rather than by ME:~NS of it".l44 Diese semantische Differenz macht die ironische
Einstellung des Außern~~n aus und erklärt zugleich das Phänomen der ironischen
Distanz. Die ironische Außerung ist ein kommentierendes Selbstzitat ohne All~~hrungszeichen - eine "citation sans guillemets" .145 Mehr noch: Die ironische
Außerung verdankt sich der Interferenz von modulierender und interpretativer
Aufpfropfung. Zum einen erfährt der propositionale Gehalt der Satzbedeutung
durch die ironische Einstellung des Sprechers einen Rahmenwechsel. Zum anderen muß dieser semantische Rahmenwechsel vom Rezipienten im Zuge einer interpretativen Aufpfropfung als solcher erkannt werden.
Nach Sperber und Wilson wird die ironische Äußerungsbedeutung aus der Relation zwischen Satzbedeutung und Kontext erschlossen l46 , wobei auch die tonale
Qualität der Mitteilung relevante semio~~sche Hinweise liefern kann. 147 In jedem
Fall setzt das Verstehen einer ironischen Außerung eine Aufmerksamkeitsverschie_
bung von der linguistischen Ebene konventionaler zur semiotischen Ebene indexikalischer Bedeutung voraus. Ironie ist ein perlokutionärer Effekt, auf Grund
dessen der Interpret der Äußerung eine "signifikante Struktur" unterstellt. 148 Die
Ironie verdankt sich keiner kodierten Semantik, sondern einer interpretativen Hypothese, die der Rezipient beim Versuch, die intentionale Haltung des Sprechers
zu verstehen, aufstellt. Der Sprecher wiederum versucht deutlich zu machen, daß
er den Satz, den er äußert, nicht als seine eigene Meinung äußert, sondern als Echo
einer fremden Meinung. Um dies zu signalisieren, versucht er den von ihm echotisch erwähnten Satz als "ludicrously inappropriate or irrelevant"149 zu charakterisieren. Mit anderen Worten: Die relationale Irrelevanz der Äußerung wird zu einem
143
144
145
146
147
148
149
Äußerung, welche indexikalischen Charakter haben. Ton und Wortwohl "playa part in indica.
ting his own attitude to the proposition mentioned" (ebd.). Dabei indiziert der ironische Ton
das Gegenteil dessen, was propositional repräsentiert wird. Freud vertritt die gängige Auffassung,
Ironie bestehe darin, "das Gegenteil von dem, was man dem anderen mitzuteilen beabsichtigt,
auszusagen, diesem aber den Widerspruch dadurch zu ersparen, daß man im Tonfall, in den be.
gleitenden Gesten, in Ideinen stilistischen Anzeichen - wenn es sich um schriftliche Darstellung
handelt - zu verstehen gibt, man meine selbst das Gegenteil der Aussage" (Freud: Der Witz und
seine Beziehung zum Unbewußten, S. 163). Der ironische Ton weisr auf einen performativen Wi.
derspruch hin, ja er scheint ihn in einem gewissen Grade selbst zu erzeugen. Der "ironische Ton"
löst bestimmre Assoziationen aus, die nicht zum propositianalen Gehalt oder der iIIokutionären
Rolle der Äußerung unter den gegebenen Umständen passen wollen. VgI. hierzu Wirth: Diskul'.
sive Dummheit, S. 267 ff.
Grice: "Logik und Konversation", S. 255 ff.
Sperber/Wilson: "Irony and the Use-Mention Distinction", S. 554.
Barthes: "De I'ceuvre au texte", S. 73.
VgI. Sperber/Wilson: "Irony and the Use-Mention Distinction", S. 559.
VgI. Peirce: Collected Papers, 5.568.
VgI. Derrida: Grammatologie, S. 273.
Sperber/Wilson: "Ironyand the Use-Mention Distinction", S. 559.
299
7.3 DIE ROMANTISCHE IRONIE ALS DEDOUBLEMENTUND GREFFE
,Ironiesignal" .150 Aus der Perspekti;e des Rezipie~lten sind "Ironiesignale" genau
~ie "Fiktionssignale"151 Resultate emer hypo~hetl.schen ~atenzbeo~achtun~. Al~S
der Perspektive des Produz~nten grün~et der.~ronlsche .;Vle .der filmo~ale Diskurs
' Geste eines SelbstzItats: In belden Fallen verhalt Sich der Produzent geaU f der
.
d
"bel' den von ihm geäußerten Sätzen, als ob er die Außerung von Jeman anwörtlich zitiert. 152 Der iro.nische wie
Disku:s
.
h'n
el'nem
Verfahren
das
mit
dem
SelbstzItat
eme
Selbstdlstanzlerung
mit 1
,
..
. 1 vor.
t Dadurch wird das in allen geistigen wie poetlschen Prozessen WH (same
nimm.
Princip der Vereigenthümlichung" 153, das Frem cles abSOl' b'leren d'm E'tgnes ver~andeltI54, ironisch markiert und reflektiert..
...
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der fiktlOnale und der lromsche D.1S. T7
text der romantischen Universalpoesie in dreierlei
Hinsicht interfene1"-011
. . ,h
1{Urs 1m
. . Erstens behauptet die romantische Ironie als Irome zweiter Ordnung ,,1 ren
~eln . 11alen Charakter'
indem sie die fortwährende Unmöglichkeit zum Ausdruck
11 <tlO
. .
.
155 Z .
t
die
Welt
der
Fiktion
m11 der Wlrkltchen Welt zu versohnen .
weltens
:
bnng,
l'
hat die romantische Ironie die Funktion, den diskursiven Bruch zu mal' neren,
d 'ch den die Trennung zwischen dem "wirldichen Schriftsteller" und dem "fik. d'le.ur len Sprecher" vollzogen wird l56 , wobei sie deutlich mach t, d aß d'le mit
tlOna
.
.
.
d
h
"
d
fil'
em diskursiven Bruch einhergehende "MultlpltkatlOn es Ic s em " 1mven Ich"
. ld'lCh en I ch zuruc1(IU
C:ooh rt "157
sdes Autors den Weg verstellt, d
er "zu '
semem WH
. Drit.tens führt die romantische Ironie ostentativ die Aneignun~s- un~ Tran~for~atlrfahren vor denen sich der Text verdankt: Verfahren, die alle m der 11eratlVen
ons ve
,
'11'
Dynamik der greffe citati.o~elle gründen: Diese Aufpfropfungsbeweg~nl? ?S~l lert
nicht nur zwischen der zltlerenden Anelgnung fremder Rede und der zltlerenden
Reflexion eigener Rede, sondern auch zwischen selbstschöpferischer Rahmensetzung und selbstvernichtender Rahmenzersetzung. Diese doppelte Doppelbewegung
. aIs
a t sie
verleiht der Aufpfropfung die ironische "Form d es Parad o~en "158 un.d looß
interpretative Aufpfropfung zu einer Vollzugsform romantlscher Irome werden.
00
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der.fikti~nale
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0 0 "
00
150
151
152
153
154
155
156
157
158
VgI. Warning: "Ironiesignale und ironische Solidarisierung", S. 420.
VgI. Weinrich: "Fiktionssignale", S. 525.
VgI. Martinez-Bonati: "Die logische Struktur der Dichtung", S. 188.
NovaIis: Schriften, Bd. 2, S. 274.
Ebd., S. 646.
De Man: "Die Rhetorik der Zeitlichkeit", S. 116.
Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1020.
De Man: "Die Rhetorik der Zeitlichkeit", S. 117.
Schlegel: "Kritische Fragmente" [48], S. 153.
300
7. ßRENTANOS GODWIIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
7.4 GODWI ALS VERKÖRPERUNG DES KONZEPTS FRÜHROMANTISCHER POETIK
7.4 Brentanos Godwi als Verkörperung des Konzepts
frühromantischer Poetik
Vor
dieser
Überlegungen soll im folgenden Brentanos erster l 111cl
. .demRHintergrund
J
•
e1l1Z1ger oman Goawz untersucht werden. Ein Roman, der ungeachtet der 11
tiven Beurteilung seiner literarischen Qualität durch die zeitgenössische Kritileg~
a
"hochgradig reflektiertes Kunstwerk" gelten darf, "das eine eigene Poetik des ~
mans und einen eigenen Kunstgriff entwirft" .159 Mit dem Godwi unternilll11~t
Brentano den Versuch, das von Schlegel formulierte Programm einer progressiv
Un1Versa
·
I
. b'
d'
en
16
161 poeSie" IS an le Grenze des Absurden" 0 in die poetische Tat UlllZ _
setzen. Dies geschieht durchaus mit kritisch-ironischer Absicht: der Godwi spi ~
mit der "Form des Paradoxen" im klaren Bewußtsein "des unendlich volle t
eh "162 d d'
. S'
aos
,as leses d'IS1mrslve
pieI erzeugt. Zugleich erweist sich der Godwi au e11I
a~s Exemplifikation von Novalis' These, das "Geschäft des Geistes" sei die abso~'~
bierende "Verwandlung des Fremden in ein Eignes".163
k
7.4.1 Inhaltliche und strukturelle Einflüsse auf den Godwi
Neben d~n s~hr deutli~h~n Anspielungen auf die theoretischen Schriften Schlegels
machen sich Im Go1wz E1l1flüsse von Schlegels Lucinde, Tiecks William LoweIl, ]ean
Pauls Hep'e;~: sowie Go.e:hes .Ror;nanen W'erther und Wilhe~m Meisters Lehrjahre
bemerkbaI.
U?schw.el Ist die ~Igur des Werdo Senne als Intertextueller Bezug
a~f den.Harf~er Im Wzlhelm Mezster zu erkennen. 165 Wichtiger als die inhaltliche
Dlr;nenslOn dieser Be~ugnahme. si?d deren strukturelle und poetologische Implikationen: ~o werden Im Godwz die Konsequenzen aus Goethes, Tiecks und ]ean
Pauls Au~.e111~ndersetzung mit der Briefromanpoetik gezogen. Auch die Frage, wie
das Verhaltnls von Autorschaft und Herausgeberschaft zu bestimmen sei, erhält
eine neue, ironische Antwort.
Die Zweiteilung des Godwi entspricht der Struktur des W'erther: Der Briefteil
wird von einem Berichtteil abgelöst. Der erste Teil präsentiert sich als Briefsammlung, die größtenteils aus einem Briefwechsel zwischen Godwi und seinem Freund
159 Scharnowski: Ein wildes gestaltloses Lied, S. 13.
160 Wiese: "Brentanos ,Godwi"', S. 247, sowie Bellmann : "Kommentar zu Godwi", S. 600.
161 Allerdings sah auch Schlegel das Experiment des Godwi als gescheitert an, wie das beriihmte, von
CaroIine Schlegel überlieferte Distichon vom Dezember 1801 belegt: "Hundert Prügel vorn
A[rsch] - die wären Dir redlich zu gönnen, Fr[iedrich] Schl[egel] bezeugts andre Vortreffliche
auch" (Vg.I Behler: "Zur Entstehung und Wirkung des Textes", S. 557). '
162 Schlegel: "Ideen" [69], S. 263.
163 Ebd., S. 646.
164 Wiese: "Brentanos ,Godwi'. Analyse eines ,romantischen Romans''', S. 191.
165 Dies wurde bereits in der ersten Rezension festgestellt (vgl. Bellmann: "Lesarten und Erläuterungen", S. 598).
301
Römer besteht. In diesem Briefteil wird ein Netz von geheimnisvollen Beziehungen zwischen zahlreichen Personen angedeutet. Im zweiten Band berichtet der
Autor-Herausgeber Maria, wie er zu Godwi reist, um dessen Lebensgeschichte aus
erster Hand, nämlich von ihm selbst, zu erfahren. Ebenfalls stl'ukturbestimmend
für den Godwi ist eine andere Form der Zweiteilung, die sich an Goethes Wilhelm
Meisters Lehrjahren beobachten läßt. Schlegel zufolge ist dieser Roman "zweimal
gemacht, in zwei schöpfe~:isc~en M~menten, .aus.zwei l~een"166: Die eine Idee ist
die des "Künstlerromans , die zweite Idee die e1l1er "Bddungslehre der Lebenskunst", die zum "Genius des Ganzen" wird. 167 Dieses konzeptuelle dedoublement
wirft die Frage nach der Kohärenz des Textes auf: eine Frage, mit der sich Schlegel
eingehend in seinem "Brief über den Roman" befaßt. Im Gegensatz zu leserorientierten Ansätzen, denen zufolge die Kohärenz des Textes im Spannungsfeld "seiner
linearen Manifestation und seiner Interpretation"168 steht, vertritt Schlegel eine
idealistische Kohärenztheorie. Was den Roman "zum Ganzen, zum Werk" macht,
ist nicht der "dramatische Zusammenhang der Geschichte" oder die "Einheit des
Buchstabens" 169, sondern "die Beziehung der ganzen Komposition auf eine höhere
Einheit, als jene Einheit des Buchstabens, über die er sich oft wegsetzt und wegsetzen darf'.170 Diese höhere Einheit bezeichnet Schlegel wahlweise als "geistigen
Zentralpunkt" und als "Band der Ideen".171 Die höhere Einheit ist jedoch nicht als
Perspektive der Überschau"l72 zu denken, sondern als Rahmen, innerhalb dessen
heterogene Elemente und Formen "gemischt" auftreten können. So schreibt Schlegel im "Brief über den Roman": ,,[...] ich kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzählung, Gesang und andern Formen".l73 Die höhere
Einheit wird offensichtlich durch die universalpoetische Umsetzung der Idee eines
meIer les ecritures"174 hergestellt, wobei mit dem Mischen der Schriften das Problem der Rahmung der Schriften virulent wird. Dies zeigt sich, angesichts zahlreicher Liedeinlagen, an der Rahmenkonstruktion sowohl des Wilhelm Meister wie
des Godwi.
Noch in einer weiteren Hinsicht folgt Brentanos Godwi einer strukturbestimmenden Idee, die von Schlegel stammt. Gemeint ist die Idee vom Roman als Darstellung einer "künstlich geordnete[n] Verwirrung", die durch einen "wunderbare[n] ewige[n] Wechsel von Enthusiasmus und Ironie" in Szene gesetzt wird, "der
selbst in denldeinsten Gliedern des Ganzenlebt".175 Schlegels Lucinde kann als erster (Selbst-)Versuch gelten, dieses Programm umzusetzen. So schreibt ]ulius in sei166 Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 346.
167 Ebd.
168 Eco: Die Grenzen der Interpretation, S. 51. Man denke aber auch an NovaIis' These vom Leser als
"erweiterten Autor" (NovaIis: Schriften, Bd. 2, S. 470).
169 Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 336.
170 Ebd.
171 Ebd
172 Vgl. Stierle: "Geschichte als Exemplum - Exemplum als Geschichte", S. 355.
173 Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 336.
174 Vgl. Barthes: "La mort de I'auteur", S. 65.
175 Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 319.
302
7. BRENTANOS GODWI IM KONTEXT FRüHROMANTISCHER POETIK
nem ersten Brief: "Für mich und für diese Schrift, für meine Liebe zu ihr und Co'.
'h B'ld
. . h'
b I .
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I re I ung ll1 SIC ,Ist a er cell1 Zweck zweckmäßiger, als der, daß ich gleich
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. und durch die Tat behaupte".
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176
DIe Behauptung durch die Tat ist die Verkörperung dieses Konzepts im Text. D b .
wird die auf der Textoberfläche vorgeführte reizende Verwirrung zum inszenie~ el
g~~lllin~I~7;ndex myth?lo.gisc~er Schaffenskra~t, di~ "immer ~och zu Zeiten Wi~~
wachst.
Im Godwz wIrd dIeses Programm IronIsch reflektIert und moduli .
. .h
U
. I
.
eH,
wIe SIC am ntertlte - "ell1 verwilderter Roman" _ ablesen läßt. 178
Tatsächlich wird an der Konstruktion des Godwi eine Erzählbewegung sichtb .
"die keiner von außen auferlegten Ordnung zu gehorchen scheint". 179 Großem ~;'
wird diese Verwilderung der Struktur in der Godwi- Forschung als Form perspell ~
.. h b h
"
ec
tIVlsc ge roc enen Erzählens" begriffen. 180 Allerdings steht eine umfassende Untersuchung zum Perspektivismus des Godwi noch aus. Insbesondere bleibt z
zeigen, inwiefern der Perspektivismus des Godwi als "bewußt durchgeführtes Prin~
. "181 .
.
P '1 "182
h
z.~p. ell1er "r?n:anl~man~nten O~tI ~
angese en werden kann. Eine grunds~tzltche SchwIerIgkelt bereltet dabeI dIe Vieldeutigkeit des Begriffs der PerspektIve.
7.4.2 Die Thematisierung von Perspektive und Rahmen im Godwi
Unter ei~~m narratologiscl:en Ge~ichtspunkt muß es bei einer Untersuchung zum
PerspektIvIsmus des Godwz um dIe Erzählperspektive gehen, die auf den "Alu des
Erzählens" und das "Verhältnis von Erzähler und Erzähltem"183 abhebt. Dabei ist
nicht I:ur der Aspekt der Ebenendifferenzierung und der diskursiven Rahmungs~
s.tr.ateglen .zu berüclcsich~igen, so~dern auch der Aspekt der "Fokalisierung". Fokaltslerung Im narratologlschen Sll1ne antwortet auf die Frage "Wer sieht?" und
".Wieviel wird .gesehen?"184, das heißt, sie ist als erzählte Perspektivik eine sprachlIche Mod~latlOn von Wahrnehmungsperspelctiven. Der Fokus ist der sprachlich
gefaßte optIsche Brennpunkt, mit dem die Aufmerksamkeit wie mit einem Perspectiv" auf einen bestimmten faktualen oder fiktionalen Weltausschnitt a~sge176 Schlegel: Lucinde, S. 9.
177 Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 331.
178 Doch auch in der Widmung an die "liebliche Minna" finden sich die entscheidenden SchIUsse!wörter. Dort ist sowohl von "wilde[r] Natur" (S. 13) als auch von "holde[r] Verwirrung" (ebd.)
die Rede.
179 Grob: Die verwilderte Rede in Brentanos, Godwi' und L. Sternes, Tristram Shandy; S. 91.
180 Regener: "Arabesker Godwi: Immanente Kunsrtheorie und Gestaltreflexion in Brentanos
Roman", S. 597. Vgl. auch Böckmann: "Die romantische Poesie Brentanos und ihre Grundlagen bei Friedrich Schlegel und Tieck", S. 134 ff.
181 Meixner: "Denkstein und Bildersaal in Clemens Brentanos ,Godwi"', S. 440.
182 Scharnowski: Ein wildes gestaltloses Lied, S. 13.
183 Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 134 f.
184 Ebd.
7.4 GODWI ALS VERKÖRPERUNG DES KONZEPTS FRüHROMANTISCHER POETIK
303
.' htet wird. Im Rückgriff auf diese Unterscheidung ist nun zu überlegen, was "perktivisch gebrochenes Erzählen"185 mit Blick auf die Verwilderung der Struktur
~pe Godwi heißen kann. Eine besondere Form des Perspektivenproblems begegnet
uns im ersten Band des Godwi: Das Aufeinandertreffen der Briefe von Godwi,
~~mer, Molly, Jost und Joduno, Otilie und Antonio ist eine Inszenierung von Po. '1 186
IyperspelctIVI c.
.
.
. .
....
.
Im ersten Band WIrd dIe hzstozre wIe ll1 Jedem BrIefroman erst "von BrIef zu
Brief" hergestellt, da der "Blick der Briefschreiber" und der Leser "fragmenta~·.isch"
bleibt. 187 Das "Ganze der Handlung" kann nur "aus der Perspektive der ~berhau" erkannt werden 188 ; eine Perspektive, die der erste Band des Godwz dem
jedoch verweigert. Vielmehr stellt das
des .Godw,i die
Möglichkeit einer überschauenden, übergeordneten Ell1heltsst1ft~ng l.n gleIcher
Weise in Frage, wie es Hume in seinem Treatise 0/Human Nature mlt Bltck auf das
menschliche Bewußtsein macht. Hume beschreibt das Bewußtsein als "bundle or
collection of different perceptions", das nicht in der Lage ist, "to run the several
different perceptions into one".189 Auch der Briefroman ist als kolligierende, konsignative Sammlung von Wahrnehmungsperspektiven aufzufassen, die zu keiner
übergeordneten Einheit zu bringen sind. Vielmehr erscheint der Briefwechsel a~s
Kranz von Fragmenten"190 beziehungsweise als assoziative Verkettung von Zel~hen, durch die eine "Folge von Augenblicken"191 dargestellt wird. Diese verketteten Zeichen lassen sich auf keine vereinheitlichende Zentralperspektive beziehen,
sondern gehen fließend ineinander über. Dies zeigt sich bereits im ersten Brief, der
die Assoziationen als parergonales Rahmungsprinzip etabliert: ein Prinzip, das "im
Inneren" des Wahrnehmungs- und Denkverfahrens mitwirkt. 192 In seinem Brief
an Römer berichtet Godwi von seinem Besuch auf Schloß Eichenwehen. Joduno
HC
~eser
Perspekt~ven~efü?e
185 Regener: "Arabesker Godwi: Immanente Kunsrtheorie und Gestaltreflexion in Brentanos Roman", S. 597.
186 Vgl. Moravetz: Formen der Rezeptionslenkung im Briefroman des 18. J~hrkunder:s, S. ~5, sowie
Mandelkow: "Der deutsche Briefroman. Zum Problem der Polyperspektlve 1m EpIschen , S. 201.
187 Scharnowski: Ein wildes gestaltloses Lied, S. 28.
188 Vgl. Stierle: "Geschichte als Exemplum - Exemplum als Geschichte", S. 355.
189 Hume: Treatise ofHuman Nature, Bd. 1, S. 540.
190 Schlegel: "Fragmente" [77], S. 176. Vgl hierzu auch Bohrer: Der romantische Brief S. 214: Nach
Bohrer ist der romantische Brief, im Gegensatz zum dialogischen Brief des 18. Jahrhunderts, das
Medium "monologische[r] Konstrukte eines Ichs", "das keine eigentlich keine Antwort mehr ermöglicht" (ebd.). Dadurch wird im romantischen Brief die kommunikativ-dialogische Funktion
in eine "Spiegelfunktion der eigenen Subjektivität" transformiert (S. 47). Vgl. auch Schwarz:
",Brieftheorie' der Romantik", S. 230: "Vom spezifisch romantischen Brief zu sprechen, wäre im
Sinne der romantischen Kunsrtheorie unkorrekt; durch die angestrebte Auflösung der Gartungen sind auch die mit ihnen verbundenen speziellen Theorien im mehrfachen Sinne ,aufgehoben' in einer ,universellen' Theorie. Die konstruktiven Merkmale des Briefs sind ebensosehr
Bestandteile aller romantischen ,Gartungen'. Damit ist in dieser Epoche die ,Brieftheorie' ganz
eng an die Kunsttheorie herangerUckt" .
191 Mennemeier: "Rückblick auf Brentanos ,Godwi'. Ein Roman ,ohne Tendenz''', S. 25. Staiger
spricht gar von einer ",reißende[n] Folge von einzelnen Da'" (Staiger: Die Zeit als Einbildungskraft des Dichters, S. 70).
192 Derrida: Die wahrheit in der Malerei, S. 74.
304
7.4 GODWI ALS VERKÖRPERUNG DES KONZEPTS FRÜHROMANTISCHER POETIK
7, BRENTANOS GODWI IM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
hat Godwi nicht nur ein "Blatt Postpapier" aufs Schreibpult gelegt - es handelt . I
offensichtlich um jenes Blatt, auf dem Godwi seinem Freund Römer den vo:te~
genden Briefschreibt -, sondern auch eine Rose, die bei Godwi im Akt des 5eh .l~
A' .
.
lel.
R '1
b ens e1l1e
elle von ssozlatlOnen auslöst. GOdWIS Gastzimmer ist d'
Ahnengalerie derer von Eichenwehen, als deren jüngste Nachfahrin er Joduno ~~
kennt. Auf diesem Bild hat Joduno eine Rose in der Hand. Die Ähnlichkeitsas~l_
ziation zwische~l der Wa.hrnehl~ung"d~.rR~se im Bild und der Wahrn~hmungd~r
Rose "neben mir auf me1l1em Tische lost e1l1e doppelte RahmenreflexlOn aus. Di
erste
betrifft die "medialen Rahmenbedingungen". So bemerkt Godwi'. " ['" ] Wel1ne
.
Ich der Maler gewesen w~re, so hätte ich der.Mutte~' eine Spindel in die Hand gegeben, und der Tochter e1l1 Buch, um anzuzeIgen, wie Flachs Leinwand, Leinwand
Lumpen, und Lumpen Bücher werden" (G, S. 19).
Die Wahrnehmung der Ahnenreihe von Rittern und Jägern wird offenbar von
der Idee einer Genealogie des Papiers überblendet. Die Bildbetrachtung löst also
eine Assoziati.onskette aus, die in die Reflexion der materialen Rahmenbedingun_
gen des Schreibens mündet. Die zweite Rahmenreflexion betrifft die Differenz zwischen der Rose im Rahmen des Gemäldes und der Rose im Rahmen der
LebensweIl':
Die Rose vor mir sieht mich so freundlich an, - 0 du verfluchtes Tischbein! Der Tisch
hat Beine, die sich mit meinen leichten Füßen gar nicht vertragen. - Sonderbar, kaum
spreche ich dieses Wort mit Schmerz und Unwillen aus, so bin ich auch schon wieder
mit ihm versöhnt. Unter dem Gemälde des freundlichen Mädchens steht: Tischbein
pinxit. Doch was soll das! (C,S. 19).
Godwis Schmerzerlebnis stellt eine Relation zwischen der Bezeichnung des schmerzerzeugenden Objekts im Rahmen der Lebenswelt und dem Eigennamen des bi!derzeugenden Malers am Rahmen des Gemäldes her. Diese Homonymie führt zu
einer Rahmenreflexion, die einer ironischen Rahmenkonfusion geschuldet ist. 193
Auch auf der Ebene des Erzähldiskurses kommt das Problem des Rahmens und
der Rahmenkonfusion ins Spiel. Die "vermeintlich chaotische Struktur des Romans" kann zum einen als "Reflexion des Erzählens in der Erzählung" 194 gedeutet
werden, zum anderen erzeugen die metaleptischen Verschachtelungen des Romans
"ein höchstes Maß an romantischer Ironie".195 Dabei zeigt sich, daß die Vollzugsform romantischer Ironie nicht auf die Darstellung von "Modulationen" und
193 Überboten wird dieses Ensemble aus Rahmenreflexion und Rahmenkonfusion dadurch, daß
Godwi am Ende seines Briefs überlegt, ob die von ihm geschilderte Schreib-Szene womöglich
von Joduno bewußt inszeniert wurde: "Ich hatte bey Tische gesagt, daß ich noch schreiben wollte,
Joduno hatte einstweilen alles dazu auf den Tisch gelegt, selbst den Stuhl hingerückt. Neben das
Papier hatte sie die schöne Rose hingelegt - hat sie den Tisch wohl auch vor ihr Bild hingerückt?"
(S. 31), Die Frage ist also, ob die von Joduno vorgenommene perspektivische Ausrichtung des
Schreibpults auf ihr eigenes Porträt nicht die gesamte Situation moduliert, sie in einen Theaterrahmen verwandelt.
194 Reifenberg: Die ,schöne Ordnung' in Clemens Brentanos Godwi und Ponce de Leon, S. 92.
195 Meixner: "Denkstein und Bildersaal in Clemens Brentanos ,Godwi"', S. 441.
305
Übergängen" beschränkt bleibt.. I96 Viel~ehr findet .die. romantische Ironie im
'(;odwi ihren Ausdruck gerade dann, daß die textkonstItutiven .Akte der Aufpf~:op
f im Spannungsfeld von Selbstschöpfung und SelbstverllIchtung ausgefuhrt
;~~'~en: Jede Aufpfropfung impliziert nicht nur die doppelte Geste der Rahmenset:z;ung, sondern auch der Rahmenzersetzung.
.
Hieran schließt sich die Frage nach der Rolle des paratextuellen Rahme~s Im
Godwi an. Insbes~ndere ist. zu Idäre~, o~ das Vorwort .au~h unter de~ VorzeiChen
d . UniversalpoesIe noch die FunktlOn e1l1es "Perspectlvs hat, "dadurch man den
er en Plan und den Werth eines Buches übersehen könnte" .197 Diese Frage wird
ganz
.
.
dadurch virulent, daß Schlegel 1m Name~ der r~mantlschen Kunst "Noten, <Vorrede,> Personalitäten, IIIusi?nskünst~lelen lt den Namen ~nd der An?nym... )"198 ablehnt, während Im Godwt den belden Vorreden e1l1e entscheidende
b' . d d
P
Itat
I
Funktion bei der Darstellung des Gesamtkonzepts zu <:am.mt. ~a el WU'. as" erectiv" eine Metapher des Romantischen: "Das Romantische Ist also em Perspecoder vielmehr die Farbe des Glases und die Bestimmung des Gegenstandes
tlV
. h ts d'leser 1l1trl
" 1{aten Ausgangsdurch die Form des Glases" (G, S. 289 ) . Angeslc
konstellation erweist sich das Verhältnis zwischen der Vorrede zum ersten und der
Vorrede zum zweiten Band des Godwi als ironische Replik auf Schleg~ls ~blehnen~e
Haltung. Mehr noch, das Verhältnis zwischen beiden Vorreden erweist SiCh als "dle
Wurzel und das Quadrat"199 des ganzen Buches.
(rr:
sf
7.4.3 Die Vorreden zum ersten und zum zweiten Band des Godwi
M"
. h der Bk'
In der Vorrede zum ersten Band wen det SIC
I tlve A
utor"
ana "200 - a"h nlieh apodiktisch wie der Vorredenverfasser des Werther - mit den folgenden Worten an den Leser:
I
Du wirst mir darum wohlwollen, lieber Leser, daß ich mich mit diesem Buche, das nur
zu sehr mehr von mir als sich selbst durchdrungen ist, gleichsam selbst vernichte, um
schneller zur Macht der Objekrivität zu gelangen, und von meinem Punkte aus zu thun,
was ich vermag. Es ist mir schon itzt ein inniger Genuß, alle Mängel, die ich vor 2 Jahren hatte, zu übersehen; sie alle zu verbessern, dazu müßte ich auf der letzten Höhe stehen, die ewig vor uns flieht (C, S. 16).
Strohschneider-Kohrs: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, S. 235.
Artikel "Vorrede" in: Zedlers Universallexikon (1746), S. 1073 f.
Schlegel: Kritische Schriften und Fragmente, S, 205.
,
Schlegel: "K.ritische Fragmente" [8], S. 148. Vgl. hierzu auch Novalis, de,r behal~?tet',Tltei und
Vorrede seien "physiognomisch lesbar", weshalb die ldügeren Autoren die ,,:errat,henschen Inhaltsanzeigen" wegließen - auch deshalb, "weil eine gllte Vorrede schwerer. Ist, wie ~~s Buch,denn, wie der junge, revolutionaire Lessing [gemeint ist Schlegel- U. W.] sl~h ~usd~uckt, so Ist
die Vorrede Wurzel und Quadrat des Buchs zugleich, und ich füge hinzu, mlthl1111lchts anders
als die ächte Rezension desselben" (Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 663),
200 Daß es sich bei "Maria" nicht nur um ein Pseudonym Brentanos handelt, sondern um den
Namen einer fiktiven Instanz, kann erst im folgenden gezeigt werden.
196
197
198
199
:I
306
7. BRENTANOS GODWIIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
Mit dieser Passage macht der Vorredenverfasser zum einen deutlich, daß er nie!
in der La&~ ist, aus der Perspektive der Vorrede und mit der Vorrede als "Persp l~
tiv" eine Ubersicht über "den ganzen Plan und den Werth des Buches"201 Zu ~~_
winnen. Zum anderen erhebt er den Anspruch, als Autor des Haupttextes z
ll
gelten. Unldar bleibt indes, worin die festgestellte Selbstvernichtung besteht d.
, le
der Dichter Maria "mit diesem Buche" erfahren wird. Immerhin gibt er zu verste_
hen, daß die Selbstvernichtung ein dynamischer Prozeß ist, der darauf abzielt, die
"Macht der Objektivität" freizusetzen. Faßt man die "Macht der Objektivität" als
"Objektivität der Kunst", so betrifft sie die Eigengesetzlichkeit der Kunst. Nach
Schlegel wird das Kunstwerk "durch Gesetze innrer Möglichkeit beschränkt"202, das
heißt, daß es "sich selbst nicht widersprechen" darf, sondern "durchgängig mit sich
übereinstimmen''203 muß. Die "Macht der Objektivität" kann aber auch als Ko~~
sequenz einer auto reflexiven Bezugnahme gedeutet werden, durch die sich das Subjekt selbst zum Objekt, nämlich zum Gegenstand seines Denkens, macht. Im
Rahmen sprachlicher Kunstwerke erfolgt diese objektivierende Bezugnahme in
Form des Selbstzitats, des Selbstkommentars oder der Selbstironie. In all diesen
Fällen wird die eigene Rede durch den Vollzug eines autoreflexiven performativen .
Akts zur Objekt-Sprache moduliert.
Wie die Selbstvernichtung Marias mit dem Umstand zusammenhängt, daß das
Buch "mehr von mir als sich selbst durchdrungen ist", wird erst im Rahmen der
Vorrede zum zweiten Band Idar. Diese setzt nicht nur eine "völlige Umstruktude_
rung der Erzählperspektive''204 ins Werk, sondern aus der Perspektive des zweiten
Bandes wird die Darstellungsform des ersten Bandes "als verfehlt eddärt"205, da im
Rahmen der Briefromanpoetik das Kunstwerk "zum Naturwerk ernieddg[t]"
206
Aus der rückblickenden Perspektive des zweiten Teils wird die Selbstverwird.
nichtung Marias durch die Objektivierung all jener Fehler vollzogen, die dieser im
ersten Teil begangen und großzügig übersehen hat. Darüber hinaus wird die Vorrede zum zweiten Band zur zone intermediaire einer "künstlerischen Reflexion''207,
die im Zuge ihrer ironischen "Selbstbespiegelung"208 postfistum eine modulierende
Neurahmung des ersten Bandes vornimmt: Die Vorrede zum zweiten Band vernichtet die in der Vorrede zum ersten Band erzeugte Illusion, daß es sich bei dem
Briefwechsel um einen Roman von Maria handelt. Während Maria in der Vorrede
zum ersten Band als Autor auftritt, wartet er in der Vorrede zum zweiten Band mit
dem Bekenntnis auf, daß er bloß die Funktion eines Herausgebers hatte 209 - eine
Artikel "Vorrede" in: Zedlers Universallexikon (1746), S. 1073 f.
Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie, S. 292.
Ebd.
Reifenberg: Die ,schöne Ordnung' in Clemens Brentanos Godwi und Ponce de Leon, S. 94.
Schuller: Romanschlüsse in der Romantik, S. 120.
Schlegel: Kritische Schriften und Fragmente, S. 205.
Schlegel: "Fragmente" [238], S. 204.
Ebd.
209 Damit wird auch ldar, daß der Name ,Maria' zwei Funktionen hat: Einerseits ist er als Pseudonym Brentanos dessen "zweiter Autorname" (Lejeune: "Der autobiographische Pakt", S. 228)
- allerdings nicht in dem von Prass behaupteten Sinne, daß Brenrano "die Publikation seiner
201
202
203
204
205
206
207
208
7.4 GODWI ALS VERKÖRPERUNG DES KONZEPTS FRÜHROMANTISCHER POETIK
307
Fun ktion,
die der fiktive Herausgeber Maria jedoch "ungeschickt" verrichtet hat,
. C mit
• d em M"
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. er selbst einräumt: "Ich h a b e l'd
el er d'lese Bnere
e1l1Igen vermlSC
WIe
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d'
B
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C
nd hoffe einige Entschuldigung, wenn ic erzä e, WIe IC 1 zu lesen neren geU
)
kommen
bin " ( G, S.253.
Damit gerät Marias diskursive Funktion ins Schweben: Seine entblößende
S Ibstanzeige"210 impliziert, daß er fremdes Geschriebenes mit Eigenem konta;~~liert und so die Funktion Herausgeber mit der Funktion Autor vermis~ht hat.
Die mit der Vorrede zum zweiten Band ins Werk gesetzte Hera~sg.eberfiktIOn ~e
mentiert damit die mit der Vorrede zum ersten Band erzeugte FIktIOn von Manas
. Autorschaft durch eine Auffindungsgeschichte. Gleichsam als Nachwort zum erten Band erfahren wir nun, daß der elternlose Maria als Lehrling des Kaufmanns
~ömer von diesem ein "Päckchen Briefe" zur Bearbeitung bekommen hatte, um
'hn von seiner Leidenschaft für Römers Tochter abzulenken.In seiner Vorrede zum
~weiten Band zitiert Maria nachträglich Römers Editionsauftrag für die im ersten
Band präsentierten Briefe:
Mein lieber Maria, dies ist ein Briefwechsel zwischen sehr edlen und intressanten Menschen, er enthält auch einen Teil meiner Lebensgeschichte; lesen Sie ihn durch, ich
glaube, die Geschichte die:er Menschen wird ~ie über !hr~, i~ Ver~lältnisse mit jener
noch sehr einfache, Gescluchte trösten. Zu gleIcher Zelt bitte Ich Sie, den Versuch zu
machen, diese Briefe nach dem Faden, den ich Ihnen geben will, zu reihen, und hie und
da zu ändern, damit mehr Einheit hinein kömmt. Ich denke das Ganze herauszugeben,
und habe die Erlaubnis der vorkommenden Personen dazu (C, S. 254).
Diese Auffindungs- und Überlieferungsgeschichte offenbart, daß Maria keineswegs
der Autor des ersten Bandes ist, ja daß er nicht einmal die Rolle eines Herausgebers für sich reldamieren kann, sondern lediglich die eines editorialen Hilfsarbeiters. Nicht er, sondern Herr Römer gedenkt "das Ganze herauszugeben". Ein
Hinweis auf den editorialen "Faden", den Römer Maria gegeben haben will, fehlt
freilich.
Dennoch lassen sich ex negativo einige Feststellungen treffen, die Aufschluß darüber geben, warum Herr Römer, als er von Maria den ersten Band erhält, über dessen "ungeschickte Behandlung" (G, S. 254) aufgebracht ist. Erstens: Der gewählte
Titel: "Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter. Ein verwilderter Roman von
Maria" verrät, daß sich Maria trotz der subalternen Rolle, die ihm von Römer vorTexte unter dem Namen ihm nahestehender Frauen" vornehme (Prass: Falschnamenmünzer,
S. 50). Vielmehr handelt es sich bei dem Pseudonym ,Maria' um eine Prenonym, wie der Brief
vom 27, März 1800 an den Verleger Wilhelm Rein belegt: "So geben sie diesem ersten Stük, den
allgemeinen Titel Satiren, und poetische Spiele von Maria, (dies ist mein zweiter Taufname, und
meine zukünftige Signatur) [...]" (vgl. Bellmann: "Kommentar zu Godwi", S. 627). Zum anderen wird der Name ,Maria' mit der Vorrede zum zweiten Band des Godwi aber auch zum Namen
der fiktiven Instanz des Herausgeber-Erzählers, Mit der Vorrede zum zweiten Band vollzieht sich
mithin die Modulation des fingierten Autor-Herausgebers zum fiktiven Herausgeber-Erzähler,
210 Iser: Der Akt des Lesens, S. 136.
'I
I
308
7. BRENTANOS GODWlIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
geschrieben ist, den Roman aneignet, Diese im Titel ein Roman von Maria
Ausdruck kommende appropriative Geste impliziert, daß Maria die Bri [' ~un)
" semen eIgenen
,
eIe .llIcht
nur mIt
Gedan1(en vermischt hat, sondern daß er als Arrange
d en Anspruch au f Autorschaft reklamIert.
" Zweitens: Wenn Maria seinem AtutIauch
.
geber Römer nicht das Manuskript, sondern den gedruckten Band überrei\tlagist dies ein Symptom dafür, daß Maria - darin dem Beispiel Wielands bei de~' ~ s~
ausgabe von La Roches Fräulein von Sternheim folgend 211 _ auch beim Voll
deiAlets d er P u bI1(atlOn
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elgenmäch tig gehandelt hat, Drittens: Der Untertitzug
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. . Roman von M a1'1a
," 1egt nah e, d aß d er erste Band - el1tgegen de .],
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er 1'1ell'omanpoetl ( - ohne Authentizitätsfiktion auskommen soll d
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zltatsn Won setzt erst mit em ZWeIten Band des Godwi ein, der zusätzlich d D
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en ntertlte tragt: "Herausgegeben von den Freunden des Verstorbenen ml't Na h 'I
.
,
c l'lC 1ten, von semem Leben, seinen Arbeiten und seinem Tode" (G, S. 239).
, Hier koml,ut es zu einer ?emerkenswerten Überblendung: Noch bevor Maria
un Rah~.el~ emer SelbstanzeIge offenbart, daß er nicht der Autor, sondern bloß der
unzuverlasslge Herausgeber des ersten Bandes ist, wird er durch den Untertitel d
.
Bdb'
es
z~elten an es erelts zum Protagonisten einer Herausgeberfiktion erldärt, Mit
dIesem doppelten deldarativen Akt wird ein modulierender Szenenwechsel vor enommen, durch den die Vorrede zum zweiten Band die Funktion eines romal~i
schen Perspektivs erhält, das "alles in anderer Beleuchtung"213 zeigt. Der zweite
Band d~s Godwi erscheint nicht nur als "Versuch einer Ordnung des ersten Teils"214
respektive "als Text aus Vorgeschichten"215, in denen die Lebensumstände und Verwandtschaftsbeziehungen der Figuren des ersten Teils aufgedeckt werden, sondern
e~: stellt eine, diskursi~e Transformation Marias dar, der von einem Subjekt des Erzahlens ~u eme~ Objekt de~ Erzählens wird, Diese Objektivierung geht Hand in
Hand mIt Manas Selbstvernichtung, nämlich seinem Tod als Autor.
Auch unter dem Aspekt der Relation von Erzählzeit und erzählter Zeit vollzieht
sic~ mit der.Vorrede zum zweiten Band ein bemerkenswerter Perspektivenwechsel:
Wahrend dIe Vorrede zum ersten Band eine nachzeitige Vorrede ist, datiert mit
"Juni 1800", also zwei Jahre nach dem in der Vorrede erwähnten Entstehen des Buches, muß es sich bei der Vorrede zum zweiten Band um eine Vorrede handeln, die,
211 VgI. Wieland: "Vorwort" zu La Roches Geschichte des Fräuleins von Sternheim, S. 5, sowie Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit, S. 197 f.
212
I~sofe:'n ist :Vieses A\lf~assung kr~tisch zu hinterfragen, daß mit Marias Eingeständnis, er habe
die Bnefe.mlt dem sell1lgen vermischt, der BriefWechsel "ins unverbindlich Poetische gerückt"
werde (WIese: "Brentanos ,Godwi"', S. 193), Dies habe zur Folge, daß "der Wahrheitsgehalt der
Briefe vom Autor selbst" ironisiert werde (ebd.). Die gleiche Fehleinschätzung nimmt meines EI'achtens auch Scharnowski vor, wenn sie behauptet, die Vorrede zum zweiten Band habe die
Funktion, den Briefromanteil im nachhinein "seiner vermeintlichen Authentizität [zu] beraub[en], als interessierte Fiktion, ja als Geschichtsklitterung [zu] bezeichne[n]" (Scharnowski:
Ein wildes gestaltloses Lied, S. 109).
213 Meixner: "Denkstein und Bildersaal in Clemens Brentanos ,Godwi''', S. 440 f,
214 Braun: Divergentes Bewusstsein, S. 233.
215 Ebd.
7. 4 GODWI ALS VERKÖRPERUNG DES KONZEPTS FRÜHROMANTISCHER POETIK
309
der gängigen Praxis, vor dem Haupttext geschrieben wurde, den sie einentgege11
,
d'
, Dies läßt sich daraus folgern, daß Ma1'1a, der Verfasser der Vorre e zum zwel!eltet.
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d und des zweiten Bandes selbst, stil' 1', evor er en zweIten an een en
ten Ban
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Dergestalt wird dIe davor gesch1'1ebene Vorrede der Emsatzpun et Jener aukann,'lligen Gleichzeitigkeit des Erzählens,·d urc11 d'le SIC
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' Ban d d es
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. "216 stattGodwi
auszeichnet: ein Erzählen, das gleIchsam
"vor d en Augen d es LeselS
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' d zum b eeiCh ze1t1g
' es performative Vorfü h ren d er GI'
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nden Suukturmerkmal des zweiten Bandes, Penormatlv 1st zum eInen Ie
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Modulation des Erzähltextes in eine "Erzählbühne
"au er le I:ts.te ung es
Performativ 1st zum anRomans in actu vor den Augen des Lesers aufgeführt wad,
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. ierens von Godwis Lebenserzählung, Dabei werden mcht nur die Schrelb- un
lang
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I"uc1(~n "218 von
Editions-Szenen
dargestellt, sondern auc h d as IrOl1lSC
Marias Versuch, die Autorfunkti?n zu erfüll,en. M,it der E~nführung Ma1'1as als ~ch~
Erzähler des zweiten Bandes Wiederholt SIch sem ScheItern als Autor auf e,lner
uen Ebene fiktiver Wirldichkeit"219 - einer Ebene, "die vom Romanschreiben
"ne delI' und das Vorhergehende als einen Roman im Roman umschl'Ie·ß l' ".220 D'le
h
an
'hd
' der
AusgangsAusgangssituation
des zweiten Band,es des ?o~wz. entspnc
l' amlt
situation der zweiten Hälfte des zweIten Terls 1m Werther: Aus Mangel an Q~elle.n
b ibt sich Maria - wie schon der Herausgeber-Erzähler des Werther - 111 dIe
u~~nittelbare Nähe des Protagonisten, um Schriftstücke, mündliche Berichte und
eigene Wahrnehmungseindrücke.zu s~mr.neln, Anders jedoch als d.er Erzähler-Her~
ausgebe I' des Werther hat es Marla mIt e111em.lebe~den ~rotagol11sten zu tun, dei
als Augenzeuge seiner eigenen LebensgeschIchte 111 DIenst genommen werden
kann:
Unmutig über mein Unglück, und ohne alle Quellen zu ~er ,:eite~:n Fortsetzung des
Buchs zu der ich mich doch durch den ersten Band verbmdhch fuhle, - unternahm
ich es 'Herrn Godwi von dem ich wußte, daß er sich auf seinem Gute aufhielt, aufzusuche~, wo möglich ~eine Freundschaft zu gewinnen, und mein?n zweit~n.Tei.1 mit seiner Hülfe auszuschreiben; und der zweite Teil ist die treue Geschichte, WIe Ich Ihn fand,
und was mir mit ihm begegnete (C, S. 255),
Während die Vorrede zum zweiten Band die Auffindungsgeschichte der im ersten
Band präsentierten Briefe erzählt, ist der zweite Band di~ "treue Ges~hichte", wie
der Protagonist selbst aufgefunden wird, damit er über se111 Leben ber~chten kan~,
Godwi wird zum "Original-Historicus" seiner eigenen Lebensgeschrchte, 11.ana
fungiert als dessen mitschreibender Greffier, Zugleich steht Maria jedoch welter216
217
218
219
220
Kerr: Godwi. Ein Kapitel deutscher Romantik, S. 77.
VgI. Strohschneider-Kohrs: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, S. 343.
VgI. Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S. 36.
.
Reifenberg: Die ,schöne Ordnung' in Clemens Brentanos Godwi undPonce de Leon, S. 94,
Ebd,
310
7, BRENTANOS GODWIIM KONTEXT FRüHROMANTISCHER POETIK
hin, wie schon im ersten Band, im Spannungsverhältnis von Autorschaft u d B
ausgeberschaft:
n er-
7.5 IRONISCHE METALEPSE ALS VOLLZUGSFORM STRUKTURELLER VERWILDERUNG
311
7.5 Die ironische Metalepse
als Vollzugsform struktureller Verwilderung
"Dies war also der Godwi, von dem ich so viel geschrieben habe _ es l'st'
,
"
I
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, e 1 l 1 e eIgne A f.
Id arung,
wenn so p ötzltch die Wirldichkeit vor das Ideal tritt,
1I Ich hatte mir ihn ganz anders vorgestellt,
Ich fürchtete mich etwas vor ihm, denn es gehört eine große Seelenruh d
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1m wa ne a t, a s labe er alles das erfunden, Gut, daß er nichts dav 11
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[,..J" (G, S, 265),
0 zu Wissen schien
Die Tatsache, d~ß sich Maria selbst als Autor beschreibt, der seinen Erzähl
stand "unschenm herausgiebt", impliziert eine bemerkenswerte Koppl gegenung
Autorschaft und Herausgeberschaft: Autorschaft wird hier als For'm d 'H
Von
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ersc a t vorgestellt. Im Verlauf des zweiten Teils bestätigt sich dr'ese Th
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ese - wenng erc 1 unter umge (ehrten Vorzerchen: Nun wird Mada zu einem Er' "lI
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o wrs, er m semer "fragmentanschen Fortsetzung" die letzten A"uß '
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~ras ,~e r 0 er w~111~er "unsche111rt herausgrebt". Der Einsatzpunkt für diese ObJektlvrerung Manas rst das achtzehnte Kapitel des zweiten Bandes IJ r' . k
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auc Jene aute ms Sprel, dre das Requisit für Marias Transformatr'on r'rl r'
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ezug au Homer und Ossran stattfindende mythologische Stilisierung Mari '
as Ist
der Auftakt für dessen Selbstvernichtung.
Dabei kOl:UTIt es z~ einer Interferenz zweier Entwicldungen: Der Dichter Maria
verwandelt srch von ernem auktorialen Erzähler zu einem diskursiv funktr'on 1
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zu einemErzählobJ'elrt . Dr' ese Ob'Je1ntvre' ,
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d' emem ErzählsubJ'elu
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rung ar~as rst re Folge emes Perspektivenwechsels, der sich am narrativen Rahen v?llzre,h~. Währen~ Marias ?bjel~t!vieru~g ~ine ,Intradiegetisierung' nach sich
z~eht, rmp!rzrert God,;rs ,Extr~dregetlsrerung eme Emanzipation von der diskursr~en Rahrm~~gsfunktlOn ~anas, ,Marias Verstummen ist gewissermaßen "die Bedmgung dafur, daß Godwr zu semer Erzählstimme findet" 222 Mr't d
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er "an en
eser a ressrerte? N~chricht (G, S, 472 f,) über die zunehmende Krankheit sei~~s Freundes Mana wrrd Godwi zu~ sou;,eränen exrradiegetischen Subjekt des Erz~hle~s, das ~ls Selbstherausgeber semer ergen,en Geschichte auftritt. Begleitet wird
dreser modulrerende Rahmenwechsel durch eme metaleptische Rahmenkonfusion,
n:
221 Banhes: "La monde !'auteur", S, 64.
222 Vgl. Scharnowski: Ein wildes gestaltloses Lied, S, 178.
Die metaleptische Rahmenkonfusion stellt als besondere Form der r::ise en abyme
eine strukturelle Verwilderung des Diskurses dar: Sie inszeniert den "Ubergang von
einer narrativen Ebene zur anderen"223, so daß "Binnen- und Rahmenerzählung
einander wechselseitig enthalten"224: Entweder dringt der extradiegetische Erzähler
ins intradiegetische Universum ein, oder aber eine Figur der intradiegetischen
Ebene tritt am extradiegetischen Rand auf. 225 Im zweiten Band des Godwi werden
beide Formen der metaleptischen Rahmenkonfusion simultan vorgeführt. In dem
Maße, in dem Maria intradiegetisiert wird, erfährt Godwi seine Extradiegetisierung.
Nachdem Godwi Maria lobend bescheinigt hat, er verfüge über die Gabe, "das
Verwirrteste entwirren zu können", und ihm daher auch zutraut, als Biograph die
Geschichte seines Lebens "zu entwickeln", überreicht ihm Maria den ersten, verdorbenen Band, Godwi reagiert überrascht: "Was ist das? sagte er, schlug das Buch
auf, las das Lied: ,Und es schien das tiefbetrübte usw.', sah mich an, blätterte weiter - Römer - Godwi - Otilie - Joduno - und lief mit dem Buche davon" (G,
5,341).
Godwi wird durch die Lektüre des Buches, das sein Leben in Briefen darzustellen versucht, zu einem metafiktionalen Selbstbeobachter zweiter Ordnung, der
nicht nur sein dargestelltes Leben, sondern auch das Darstellungsverfahren seiner
Lebensgeschichte reflektiert. Nachdem Godwi beschlossen hat: "wir wollen den
zweiten Band miteinander machen", nimmt Godwi zunächst einen referentiellen
Abgleich seiner ,realen Lebenswelt' mit der von Maria ,erdichteten Romanwelt' vor:
"Dies ist der Teich, in den ich Seite 266 im ersten Band falle" (G, S. 345). Diese
Referentialisierung des Romangeschehens wird durch auf Extratextuelles - "dies ist
der Teich" - und aufIntratextuelles - "Seite 266 im ersten Band" - verweisende
Indices vollzogen. Die Bezugnahme Godwis auf das im ersten Band Geschriebene
leitet den Übergang der Kommentarfunktion von Maria auf Godwi ein. Dieser
Übergang wird durch eine Reihe von metaleptischen Rahmenkonfusionen be~
schleunigt, im Zuge derer Godwi als intradiegetisch-homodiegetische Instanz das
Darstellungs- und Rahmungsverfahrens der extradiegetisch-heterodiegetischen Instanz Maria kommentiert und durch seinen Kommentar objektiviert.
Diese metaleptische Rahmenkonfusion dient einer Reflexion "des eigenen fiktionalen Status"226, wobei sich Godwi paradoxerweise sowohl auf die Geltungsansprüche der Authentizitätsfiktion als auch auf die Geltungsansprüche des
Fiktionsvertrages beruft, Wenn Godwi gegen Ende des zweiten Teils behauptet,
Maria habe nur den Brief des Malers Francesko Fiormonti "unverfälscht" gelassen
223 Genette: Die Erzählung, S. 167,
224 Martinez/Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, S, 79,
225 Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 167.
226 Hutcheons: Narcissistic Narrative, S. xii.
312
7, BRENTANOS GODWIIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
(G, S. 433), so folgt daraus, daß er alle anderen Briefe für verfälscht hält. 227 M"
der Differenzierung zwischen ,unverfälschten' und ,verfälschten' Briefen 1
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das Kriterium der Authentizität ins Spiel - begleitet vom Kriterium histo~~tnltnt
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lIsc leI'
~a1r edltd' SOGste~ t"G(odwi fe st, Maria habe ihn "ziemlich getroffen, weniger Grilen un en reIs G, S. 3 46). Während die Formulierung ,ziemlich getr fI"t ,
'I~P 1"~Z1ert, daß es ~IC
. 1: b'
'I' un d d~l~ Greis um Personen handelt, die wirklich
0 Jen
el C?tl,le
eXIstiert haben, dIe sIch mlth111 portraltlerenlassen, wird diese Berufung auf d'
Korre~po,ndenz mit der Wirklich,keit sogleich dadurch wieder dementiert, da~
Godwl dIe Personen des ersten TeIls als Spielfiguren eine!' Narration thematl' , ,
· M'
d le,
arla sc h'
eIn b ar nach BeI'le b en umgestalten kann: "Es muß Ihnen vor SIelt,
dem
zwelten Bande sehr gebangt haben, denn wo sollten Sie mit Otilien, mit d .
"mIr
lb
' ", sagt Godwi, zu Marla,
" der Ihm zur Antwort gibt:eIn
Al ten, mIt
se SI' 1
llnaus
7.5 IRONISCHE METALEPSE ALS VOLLZUGSFORM STRUKTURELLER VERWILDERUNG
1
Warlich ich ko~l1te nur denk~n, da~ ich den zweiren nie schreiben würde, weil ich den
ersten nur schneb wegen meIner LIebe zu Herrn Römers Tochter und mußte I' h 'I
'
,
c l1n
schreIben,
nun so Ich danke, Sie hätten mich und die ganze Gesellschaft wohl vom Blitze erschl en
ag
lassen,
Ungefahr so etwas, denn Sie muten mir doch nicht zu, daß ich Ihnen Otilien hätte
zum Weibe geben sollen , Nein, soviel nicht - aber ich hätte mich wenigstens umbringen müssen, weil sie mich
I1Icht nehmen wollte oder konnte - einen anderen Ausweg wüßte ich nicht [.. ,] (G,
S, 346 f.),
it:
227 Da die Ei,ngrif~e Mal:ias den ersren Teil durch keine ediroriale Indices angezeigt werden, bleibt
un!dar, WIe W~lt Mana bel der Verfälschung der Briefe des ersten Teils gegangen ist. Aus den HinweIsen <?odwls k~~n geschlossen ~erden, daß ~s s!ch dabei unrer anderem um die gereimten Dialoge ZWIschen TJlle und Godwl handelr, dIe Im Rahmen von Godwis Briefen an Römer
vorkommen, Auch bei der berühmren ,Kußepisode' (G, S. 21 f,) liegt möglicherweise ein ver~älschender Eingriff Marias vor, Godwi behauptet in einem Brief an Römer, daß sich Molly von
Ihm einen Kuß "rauben" ließ, nachdem sie ihm widerstrebend befohlen hat, daß er sie verlassen
soll. Römer deutet den Kuß in seinem Anrwortschreiben an Godwi als performativen Widerspruch: Ihm zufolge fordert Molly "durch das Peuer eben dieses Kusses dich auf. das Gebäude
iI:rer ganzen Weisheir zu zertrümmern" (G, S, 33), Molly dagegen schildert die ,Kußepisode' in
ell1er ganz anderen Chronologie, Danach ist der Kuß, den Godwi ihr raubt, der Grund dafül;
daß sie ihl~ befiehlt ,,:vegzurei~en" (G, S. 100), Ist der Kuß in der Darstellung Godwis ein Kuß
des AbschIeds, der bel Molly emen ambivalenren perlokutionären Effekt auslöst so ist der Kuß
in Mollys Darstellung die Ursache dafür, daß sie Godwis Abreise befiehlt, Offensichtlich besteht
hinsic~:tlich der zeitlichen und kausalen Relation der res factae keine Übereinstimmung, Umso
me?r u~errascht,,~aß trot.z al,ler perspektivischen Differenzen die Schilderung der ,inneren GeschIchte der Betelhgten bIS hm zur Worrwahl auf merkwürdige Weise koinzidieren, Römer deutet den Kuß als indirekten Appell an Godwi, "das Gebäude ihrer ganzen Weisheit zu
zenrümmern" (G, S, 33), Molly spricht in ihrem Brief an Werdo Senne davon, daß der geraubte
Kuß, "den ganzen stolzen Tempel meiner Weisheit zusammengestürzt" hatte (G, S, 100), Unldar
bleibt, wie diese Koinzidenz zu deuten ist: Handelt es sich um die Darstellung eines ,diskursiven
Zufalls' oder zeigt sich hier der Eingriff eines Editors, der die Szene so umschreibt daß mehr
'
"
Einheit hinein kömmt" (G, S. 254),
_
________ f
313
Mit dieser Passage gerät die in der Vorr,ed~ zun: zweiten Band einge,führte Her~us
berfiktion ins Wanken, denn Godwl dIskutIert aus der Perspektive des zweIten
~ 'I mit dem ,Autor' des ersten Bands die narrativen Alternativen eines Erzählu~l St'sllms, dem er selbst angehörte. 228 Diese gleichermaßen, metafiktionale
wie meDlve
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läßt
nur
einen
Schluß
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't'ative
Diskussion
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Briefteil des Godwi und bei dem titelgebenden ProtagonIsten um e111 Produkt er
Einbildungskraft Marias handelt.
,
.
Damit wird ein performativer Selbstwiderspruch ZWischen der SelbstbeschreIbung Marias in der Vorrede zum zweiten Band und den !mplika~uren seiner m~fiktionalen Diskussion mit Godwi in Szene gesetzt, der 111 funlmonaler Analogie
ta jenen Widersprüchen steht, die uns bei Rousseau und Wieland begegneten,
A~ICh die von Rousseau in der "Preface" aufgeworfene Frage Portrait oder 'J!tblea~
d'imagination findet im Godwi eine modulierte Neuauflage: Handelt es sl~h bel
Godwi und Ottilie um Personen, die porträtiert werden sollen, dann kann dIe Gestaltung ihrer Geschichte nicht willkürlich erfolgen. Umgekehrt impliziert Marias
Argumentation ("Sie muten mir doch nicht zu, da~ ich Ihnen ?tili~n hätte zum
Weibe geben sollen"), daß sich seine Darstellung ~Ich: an. der historischen ~ahr
heil', sondern an einer rein narrativen Dramaturgie Orientiert, deren teleologIsche
Ausrichtung in der Vorrede zum zweiten Teil explizit gemacht wird; so beginnt
Maria mit der exclamatio: "Wo will es am Ende hinaus!" (G, S. 253).
Dieser am Anfang stehende Bezug auf das Ende bringt, darin dem Beispiel des
Athenäumsfragments 116 folgend, eine besondere Form "cyldischen Denkens"229
ins Spiel: Eine Erörterung alternativer narrat~ver Möglic~keiten,.die sich jedo~h im
Kreise dreht, So wenn Godwi erldärt: ,,[...] Ich hätte mICh wel1lgstens umbnngen
müssen, weil sie mich nicht nehmen wollte oder konnte - einen anderen Ausweg
wüßte ich nicht" (G, S. 346), Diese metanarrative Reflexion dynamisiert das Handlungsgefüge "von innen heraus"23o, indem sie die grundsätzliche Kontingenz der
narrativen Setzung feststellt - eine Modifikation der einmal vorgenommenen
narrativen Setzungen ist allerdings nicht möglich: Die Reflexion narrativer Alternativen endet nämlich mit einer quasi-transzendentalen Begründung der Alternativlosigkeit der gesetzten Narration: "Es würde sicher zu einen: solchen
ehrenrührigen Komplott gekommen sein, hätte mir der Buchdrucker l1lcht so zugesetzt, daß ich nicht Zeit hatte, sie zu verführen" (G, S. 346 f.).
Die plausible Motivation der histoire wird dem pragmatischen Druck ~eopfert" den
der drängende Buchdrucker als Rahmungsin,stanz erzeugt. Dadurch ,l1lmmt, dIeser
vom äußersten Rand des Diskurses her auf die Gestaltung der GeschIChte Emfluß,
Dergestalt wirken die pragmatischen Rahmenbedingungen des Al(ts der Publikation
"parergonal" im Inneren des narrativen Verfahrens mit. 231 Zugleich wird deutlich,
daß die Erörterung narrativer Alternativen den metanarrativen, poetologischen Zweck
228
229
230
231
Vgl. Schuller: Romanschlüsse in der Romantik, S, 118,
Schlegel: "Geist der Pichtischen Wissenschaftslehre", S. 35, Nr, 177,
Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S, 40 I,
Derrida: Die Wahrheit in der Malerei, S, 84,
314
7. BRENTANOS GODWlIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
hat, daraufhinzuweisen, daß das Kunstwerk ein "Gewebe" aus "Beziehung und Ver232
wandlung" ist. Während der erste Hinweis Godwis - "Dies ist der Teich, in den
ich auf Seite 266 im ersten Bande falle" - noch als Abgleich von bloß brieflich gege_
bener, mittelbarer Information und unmittelbarer Augenzeugenschaft gewertet Werden kann, durch die Maria in den Stand eines "Original-Historicus" versetzt wird
hinterfragt Godwi zwei Seiten später Marias intertextuelle Strategie der Absorptiot~
und Transformation: "Und was wollten Sie Seite 281 mit den stillen Lichtern? Sie
wollten doch nicht etwa dem Mädchen eine neue Mythologie geben?" (G, S. 347),
Die Anspielung auf Schlegels Neue Mythologie gibt Anlaß zu einer poetologi_
schen Digression Marias über das "goldene Zeitalter", in dem "nichts mehr kann
gewußt werden", da einerseits "das Wissen das Leben selbst ist" und da wir ande.
rerseits "keine Einheit mehr denken können" (ebd.). Daraufllin bringt Godwi er~
neut das Darstellungsproblem zur Sprache - diesmal jedoch nicht in Form einer
Metalepse, sondern in Form eines direktiven Sprechakts. Godwi gibt Maria explizite Instruktionen, wie die Ereignisse im zweiten Band dargestellt werden sollen:
Er nahm mehrere Papiere aus dem Schreibpulte, und sagte: diese Papiere enthalten die
Geschichre meines Vaters in Bruchstücken, wie auch die meiner Mutter und das meiste der ]ugendgeschichte des Alten und Mollys, von Kordelien nichts, auch von mir
nichts; aus allem diesem nun müssen Sie Ihren zweiten Band zusammenschreiben und
mir vorlesen, von den Nebenpersonen des ersten Bandes dürfen Sie nicht viel sagen,
weil sie bald abtraten. Das Uebrige meines Lebens, bis jetzt, will ich Ihnen dann erzählen (G, S. 348).
Maria hat hier nicht nur die Rolle eines Geschichtsschreibers, sondern die eines zusammenschreibenden Arrangeurs bruchstückhafter Originalpapiere. Dabei fungiert
Maria auch als Transcripteur, der im Rahmen seiner editorialen Tätigkeit mediale
Modulationen vornimmt. Marias "pouvoir [...] de meIer les ecritures"233 bezieht
sich offensichtlich auch auf Geschriebenes, das vorgelesen wird: "Ich dankte ihm
für seine Güte, und versprach ihm es so gut zu machen, als ich könnte; dann las er
mir hintereinander die Aufsätze vor, und ich bildete daraus, was die Leser nun
hören werden" (G, S. 348).
Das für die natürliche Rhetorik des Briefromans so typische Hineinkopieren von
,konzeptioneller Mündlichkeit' in den medialen Rahmen der Schrift wird hier ironisch ad absurdum geführt: Die mündlichen Äußerungen, die Maria im Rahmen
seiner Transkriptionsfunktion verschriftlicht, sind zuvor bereits als Aufsätze niedergeschrieben worden. Zu einer medialen Rahmenkonfusion kommt es dadurch, daß
das Gehörte dem Leser im Medium der Schrift als imaginär Vorgelesenes präsentiert wird. Im Rahmen dieser ironischen Inszenierung von Intermedialität wechseln
sich ,mündliche' Erzählsequenzen mit Passagen ab, die als schriftliche Zitate und
Kommentare ausgewiesen sind. Auch diese schriftlichen Passagen erleben jedoch
eine mündliche Rücldmpplung, da Maria Godwi die Resultate seines Zusammen232 Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 318.
233 Banhes: "La mon de l'auteur", S. 65.
7.5 IRONISCHE METALEPSE ALS VOLLZUGSFORM STRUKTURELLER VERWILDERUNG 315
. 'b ns vorliest, um das Geschriebene als Vorgelesenes durch Godwi authentifie
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u lassen, Dabei übenllmmt Marta l11C l' nur te un «'(on emes zusammenzteren z
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der das Gelesene und Gehorte ongma getreu ztttert, son ern
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.. ntiert die Originaldokumente als medtale Monumente, te tm
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Editions-Szene zur Aufführung gelangen sollen, So enc tel' ana:
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Ich las diesem vor, was ich schrieb, und er gab mir einige Blättei: seines Vat~rs, die er in
der Zeit seines Lebens bei Wellner, und auch an jene~ Aben~ l1lede~·ge.schneb,en hatte:
. könnten eigentlich alle an diesem Abend, geschneben sem, weil sich an Ihm. alles
Sie
Ite was er damals empfand. Diese Blätter sind lauter Bruchstücke von Ennnesamme ,
d d'
. S 1 l'
rungen aus seinem Leben, die ihm zu Empfindungen wurden, u~. .ie sem, 0 1~1 11storisch selbst nicht genau kannte, - Ich setze davon das Merkv:urdigste hiehei, u~
seine Geschichte aus seinen Empfindungen den Lesern ve,rmutllCh zu ma.chen. - Es
wird ihnen um so leichter werden, dieses zu tun, als es s.ehr viele Menschen gle~t, denen
alles leicht und das Bedürfnis dringend war. Ich lasse diese Fragmente ohnget:ihr so folgen, wie sie mir in der Zeit gefolgt zu sein scheinen - (G, S, 413 f,),
Die Fragmente von Godwis Vater, bei denen es sich im Sinne der Briefro~anpoe'1 Richardsons um Schriftstücke written to the moment handelt, werden tm Rahn { von Maria editorialer Organisationsfunktion in eine chronologische Ordnung
m~~ cht. Zugleich zeigen der Wechsel der grammatischen Zeit vom Präterit~~ ins
~e:"~;ns _ Ich setze davon das Merkwürdigste hieher" - und die in dieser Außera vorkommenden
"
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d es
rung
Indexicals "davon" un d "h'teh er '" ewe Viergegenwar;/gun.g
Erzählens an. Die Vorlage für dieses Erzählen "vor den Augen des Lesers 234 ltefert
Jean Pauls Hesperus.
7.6 Der Godwi im Spannungsfeld von written to the moment
und editing to the moment
7.6.1 Ansätze einer Modulation des written to the moment im Hesperus
Jean Paul nimmt mit seinem Hesperus die frühromantische Bestimmung des
Roman als "eine Art von Brief" vorweg235 , und zwar in jener in der Vo:schule der
Asthetik behaupteten Form, daß "überhaupt die..B~che: ,~l~r größer~ Bnefe.an d~s
Publikum sind", die um jene "angenehme Nachlassrgkett nngen, "dre man wlder-
234 Kerr: Godwi. Ein Kapitel deutscher Romantik, S. 77.
..
235 Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. v. Ernst Behler u, a., Bd. 18, MUl1chel1 u. a.
1963, S. 494, Nr. 222.
il
316
7. BRENTANOS GODWIIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
neren Briefen so achtet und genießt".236 Nach Pankow ist der Hesheru .
,
b d
d"
'l'
S eIner der
ersten e ~uten en Bnefromane, "der dIe Funktion der Briefform nicht mehl'
Uf
den narratIven Innenraum begrenzt".237 Im Hesperus gibt es keine scharfe TI,a
nung ~ehr ~wischen dem ","!",extinnenI:~um"und dem "nichtbrieflichen Rahl11~~~~
sondem deI Hesperus markIert den "Ubergang vom gerahmten Brieflmrp
,
Utn
Roman, der selbst als Brieffiguriert".238 Man kann noch einen Schritt weite~S zh
. llesperus
LI
d'Ie PoetIk
" des wrttten to the moment vom T,
r ge .eIl
un d f;estste11en, d aß 1m
nenraum auf den Rahmen projiziert wird. Inszeniert wird nicht mehr da eXt1~l
. d '1 r h
.
s gel1t1111
I~ eXI<a ISC .~ wrttten .to the ~oment eines existentiell mit den berichteten Erei_
nIssen verknupften Bnefschrelbers, sondern der Moment des editorialen Z
g
'b
- usatnmensc.h rei ens. Der als "Leben~beschreiber" beauftragte "Jean Paul" hat die
FunktlOn: als "SupernumeraI:lmpist der Natur"239 eine Geschichte gleichsam itn
Moment Ihrer Entstehung mIt- und abzuschreiben.
Da an der ~.esc~ichte und ihrer Entwicldung "das Schicksal selber noch" arbeitet, werde, .so. k~?dIgt d~r Auftra?geb~r Knef.dem Biographen Jean Paul an, von del11
Hun~ ::SPltZI.US , der dIe. FunktIon e111es Bnefträgers hat, "ein Glied nach dem andern . ub~rmI~telt, ,,~o WIe es ~on der Drechselbank der Zeit abfalle" (H, S. 509).
DamIt WIrd dIe Poet~k des wrttten to .the moment auf die performativen und parerogalen Rahmungsbed111gungen des DIskurses überu'agen: Das written to the m
. d' . d"
h
oment
WIr 111 e111 e ttt~g to t. ~ moment mo~uliert..Die Augenblickshaftigkeit des editing to
the m~ment b~t1'1fft gleichennaßen dIe poetIschen Rahmungsbedingungen und die
postalIschen ~bertr~gun~sbeding~ngen. Der Leser erlebt den Entstehungsprozeß
des Werks kapitelweise mIt. Zum e111en werden ihm die vom Spitz "Spitzius" übertragenen Hundspostbriefe präsentiert, zum anderen erhält er ein Protokoll der Umstä~de, ~nter denen d.ie Hundspost eingetroffen ist. Die "Erzählfigur Jean Paul"
erganzt Ihr~ "re~roduzI~rende Tätigkeit" als Kopist mit "eigenständigen Zugaben",
wodurch e111. "WIderstreItendes Nebeneinander von Zufall und Einfall"240 entsteht.
Erb deutet dIes als Versuch Jean Pauls, sich "von der Herausgeberfunktion im enge. S'111n zu I""
d
d avon aus, daß die Funktion des Ich-Erren
osen .241 M'II
1 er ge h tagegen
zählers ."au~ den dürr~n Par.t des Herausgebers und Chronisten"242 übertragen wird.
Offenslchtllc~ changIert dIe Herausgeberrolle zwischen der Funktion eines kopierenden SchreIbers und der Funktion eines autonomen Autors. 243 Zum vermittelnden Moment zwischen beiden Funktionen wird das Verfahren der Aufpfropfung.
Jean Paul: Vorschule der Asthetik, S. 406 f.
Pankow: Brieflichkeit, S. 124.
Ebd., S. 127.
Jean Paul: !!esperus, S. 1232. Im folgenden wird der Hesperus mit der Sigle H im Text zitiert.
Erb: Schretb-Arbeit, S. 48.
Ebd., S. 47.
Miller: "Di: Rol!en des Erzählers", S. 89. Vgl. hierzu Nienhaus: "Der Erzähler als Held", der die
Thes~ v:rtntt, dIe "U~wandlu~)g des freisc.hwebenden Erzähler-Ichs zur Erzählfigur" habe "die
Integ~atlOn der Rolle e~nes fiktiven Autors 111 den Roman zur Folge" (S. 57).
243 D~ber kommt auch, "':Ie Pf~:~nhauer be~erkt, ?as im Rahmen des "Papiernen" gegebene "Versprechen deI Unsterbhchkelt des Autors 111S SpIel (Pfotenhauer: "Bilderfluch und Bilderflut: zu
Jean Pauls ,Hesperus''', S. 21).
236
237
238
239
240
241
242
7.6 DER GODWIIM SPANNUNGSFELD VON WRiTTENTO THE MOMENT ...
317
Die narrative Funktion des editorialen "Lebensbeschreibers" Jean Paul besteht
darin, die von einem anonymen "Original-Historicus" als Au.genzeugen verfaßten
d vom posthund Spitzius übertragenen Dokumente "zu e111em Roman zu verll~eln" (H, S. 509).244 Dieses "Veredeln" ist im zweifachen Sinne als modulierende
~ufpfropfung zu verstehen. Zum einen beschränkt sich die diskursive Funktion
Jean Pauls auf die eines Kopisten, der nur das abschreibt, "was mir der Hund gebracht" (H, S. 689). Zum anderen wird dieser Hund explizit mit Pegasus verglichen (H, S. 509), das heißt, der Mythos dichterischer Phantasie wird durch einen
Briefträger in Hundegestalt verkörpert, der dem Lebensbeschreiber Jean Paul historische Berichte überbringt. Bei ihrer Bearbeitung ist Jean Paul jedoch nicht an
das Kriterium ,historischer Wahrheit' gebunden, denn er hat die biographische
Auftragsarbeit unter der Bedingung übernommen, "daß darin die Wahrheit nur
meine Gesellschaftdame, aber nicht meine Führerin sei" (ebd.).
Die Hundspostbriefe dienen Jean Paulnicht nur als ,Vorlage', sondern als ,Unterlage', die der Erzählung "so viel Nahrungssaft zutragen" soll (ebd.), .daß ~ie aufpfropfende Veredelung zum Roman werden kann. Dadurch findet e111 didoublement des written to the moment statt - einmal das written to the moment des
Verfassers der Hundspostbriefe, der als reiner Geschichtsschreiber die histoire liefert, zum anderen das written to the moment des aufpfropfend-veredelnden Poeten,
der als Erzähler-Herausgeber nicht nur die stilistische, sondern auch die diskursive
Ordnungsmacht hat. Diese Regiefunktion des Erzähler-Herausgebers ist jedoch
keine freie "pouvoir [...] de meier les ecritures"245 oder eine bloß assoziative "power
244 Zugleich erweist sich der Hesperus auch als Produkt realer intertextueller Aufpfropfungen, denn
er verwertet Motive von Robinson Crusoe, Gullivers' Travels und des Werther. Bereits in der Vorrede zum Hesperus wird das berühmte Herausgebervorwort des Werther parodiert, wenn es heißt:
"Komm, liebe müde Seele, die du etwas zu vergessen hast, entweder einen trüben Tag oder ein
überwölktes Jahr, oder einen Menschen, der dich kränkt, oder einen, der dich liebt, oder eine
entlaubte Jllgend, oder ein ganzes schweres Leben" (H, S. 487 f.). Während der Herausgeber des
Werther als Consignateur versammelt, was er von der "Geschichte des armen Werther" hat auffinden können und die Tröstllngsfunktion an die Authentizität der Briefe koppelt, argumentiert
der Vorredenverfasser des Hesperus genau umgekehrt: ,,[...] komm in meinen Abendstern und erquicke dich mit seinem Ideinen Schimmer, aber schließe, wenn dir die poetische Täuschung
flüchtige süße Schmerzen gibt, daraus: ,vielleicht ist das auch eine, was mir die längern tiefem
macht'" (ebd.). Während im Werther dem Leser durch die vermeintliche Authentizität des Präsentierten Trost versprochen wird, soll die Tröstllngsfunktion des Hesperus offenbar gerade im
Durchschauen der Fiktion als Fiktion, also im Erkennen der Fiktion als non-deceptive pretending
liegen. Auch das Ende des Hesperus spielt auf den Werther an. Da nach dem 44. Kapitel die
Hundspost ausbleibt, der Posthund also offensichtlich "von diesem gelehrten Werke die Hand
oder pfote abgezogen" hat, beschließt der ,Lebensbeschreiber' Jean Paul das Schlußkapitel selbst
zu schreiben. In diesem Moment trifft jedoch - welch ein Zufall! - Dr. Fenk ein und nennt dem
Erzähler-Herausgeber Jean Paul den bis dahin unbekannten Ort des Geschehens:"Nun aber
denke man sich mein staunendes Händezusammenschlagen, als der Doktor mir das Ländchen
nannte, wo die ganze Geschichte vorging: *** heißet wirldich das Ländchen. ,Ich solle nur hin,'
sagt' er, ,so könnt' ich das 45ste Schwanz-Kapitel aus der Quelle schöpfen [.. .]'" (H, S. 1218 f.).
Dieses ,Aus-der-Quelle-schöpfen' steht in direkter Analogie zu jener entscheidenden SteHe im
Werther, wo der Herausgeber zum auktorialen Erzähler wird und vorführt, was er "aus dem
Munde Lottens, Albertens, seines Bedienten, und anderer Zeugen gesammlet [hat]" (W; S. 198).
245 Barthes: "La mort de l'auteur", S. 65.
318
7. BRENTANOS GODWIIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
7.6 DER GODWIIM SPANNUNGSFELD VON WRITTEN TO THE MOMENT ...
.. "246
. WIr
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Rahmenbedingun
247
postalischer Ubertragung determiniert. Die editoriale Regiefunktion wird ge~
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an d en ZWISC len en beiden Momenten des SchreIbens hegenden moment 0/tr.
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Insofern das Eintreffen der Briefe in den Mittelpunkt rückt, dreht der Resp
die zentrale Verschiebung, durch die das briefpoetische written to the momente~us
18 .. Jahrhunderts bestimmt war, zurück. 248 Fokussierte die Briefromanpoetik d::
wrztten to the moment den Moment des Schreibens, der in der Monumentalität d
Briefs als genuiner Index gespeichert ist, so erhält im Hesperus wieder der für d~s
antike Brieftheorie entscheidende Moment des Briefempfangs zentrale Bedelll~
t un g. 249 D er H.esperus u
.. b erwm
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. Indexikalität
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xierte written to the moment im Ausgang von Richardson und entwirft statt dess"·· .... ,._.. ;
eine Poetik ~es editing to the m0r;'ent: eine Poetil~, .die ihre veredelnden Aufpfro;~
fungen unmittelbar nach dem Emtreffen der 01'1g111aldokumente vornimmt.
7.6.2 Das editing to the moment und die Digression
Der Wechsel in den Modus der Mündlichkeit geht Hand in Hand mit einer Beh1eunigung des Diskurses. Godwi möchte "die fatalen Geschichten" seines Let~ns "schnell" zu Ende erzählen, damit er und Maria eine "lebendige" Geschichte
des eigenen Lebens anfangen können" (C, S. 421). Dies ist die Prämisse, unter
der das editing to the moment von nun an bis zum einunddreißigsten Kapitel steht
_ der zentrale Gesichtspunkt ist eine narrative Teleologie, die zum Ende kommen
wilL Allerdings wird die narrative Teleologie des Zum-Ende-Kommen-Wollens
durch den Anspruch auf Unendlichkeit perpetuiert, der durch die progressive Universalpoesie erhoben wird. Im Codwi findet diese Aporie ihren Ausdruck in der digressiven Dynamik endlosen Dazuschreibens, das die Poetik des written to the
moment mit der des editing to the moment koppelt. Nach der Entdeckung, daß
.. Römer das Kind von Molly und Godwi Senior ist, findet der zweite Band sein
ebenso vorläufiges wie willkürliches Ende: "Nun geht es zu Ende, unterbrach sich
Godwi freudig" (C, S. 437) und schielet kurz darauf alle dramatis personae des ersten Teils im Rahmen einer finalen narrativen Metalepse nach Italien. Dabei werden die reisenden Zugvögel aus Marais eigenen Jugenderinnerungen (vgl. C,
S. 361) zum Bildspender der Schlußszene:
als wildes Aufpfropfungsverfahren
Wie der Lebensbeschreiber im Hesperus, so rekurriert auch Maria bei seiner Lebens.
beschreibung Godwis auf das aufpfropfende Verfahren des editing to the moment.
Dabei beschränken sich die Veredelungen auf das zitierende Zusammenschreibeü
u~d sul~zessive Aneinan~err~ihen des Materials in der kontingenten Reihenfolge
semes Emtreffens. Allerdmgs 1st festzustellen, daß Maria seine editoriale Regie- und
Organisationsfunktion in der "fragmentarischen Fortsetzung" des Romans zuneh.
end verl~ert.. Statt des~en übernimmt Godwi mit der Funktion Herausgeber auch
dIe OrgalllsatlOnsfunktlOn von Maria.
Der ganze zweite Teil steht unter dem Vorzeichen einer assoziativen Narration
in deren Rahmen "produzierende narrative Akte"250 und reproduzierende zitatio~
nelle Alete als progressive poetische Momente verkettet werden. Das heißt, die zeit.
liche Folge von produzierenden und reproduzierenden Aluen ist das einzige
Ordnungskriterium dieses verwilderten Diskurses. Das Verfahren des editing to the
moment umfaßt dabei nicht nur die performative Rahmung schriftlicher Dokumente, sondern auch die mündlicher Erzählungen: "Gott sey Dank, sagte ich zu
Godwi, nun bin ich mit den Papieren fertig, und es ist nun die Reihe an Ihnen zu
erzählen, was Sie wissen" (C, 5.420).
An der Spitze flog Eusebio, hinter ihm Franzesko und Otilie, und hinter diesen mein
Vater nebst dem alten Joseph, in ihrer Mitte aber MoHy von Hodefield, so piramidalisch, wie die Störche fliegen - adieu -.
GIUcldiche Reise, sagte ich, kommt um Gotteswillen nicht wieder -! (C, S. 438).
n:
246 Hume: Enquiry Concerning Human Understanding, S. 47 (§ 39).
247 Vgl.. Sieg~~·t: Relais. Geschicke der Literatur als Epoche der Post, S. 30, wo das Problem der performauven Ubertragungsbedingungen der Schrift "von Poststarion zu Poststarion" aufgeworfen
wird.
248 Vgl. hierzu auch Birus: "Systemarische Verschiebung der Erzählperspekrive in Jean Pauls früher
Prosa", S. 91.
249 Vgl. Vosskamp: "Dialogische Vergegenwärrigung beim Schreiben und Lesen", S. 81.
250 Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 16.
319
~"
!
".
Der Topos der Italienreise ist nicht nur Anspielung auf Wilhelm Meisters Lehrjahre,
sondern die "Schwingen" der Zugvögel verweisen auch auf das Schweben "zwisehen dem Dargestellten und dem Darstellenden"251, durch das die poetische Reflexion ausgezeichnet ist. Die Freude über das Ende der Geschichte währt nur kurz.
Zwar stellt Maria fest: "Nun sind wir mit dem verzweifelten zweiten Bande fertig",
doch Godwi fährt mit seiner Erzählung fort: "Eins noch habe ich vergessen, hob
er zu meinem Schrecken wieder an, ich muß noch einiges erzählen, was ich auf
meinem Gute fand" (C, S. 438). Das Erschrecken vor der Dynamik des endlosen
Dazu- und Weitererzählens ist das entscheidende Motiv dieser Passage, denn auch
nachdem Godwi erldärt: "Nun sind wir endlich fertig" (C, S. 439), erfährt dieser
deldarative Aln im nächsten Moment sein Dementi: Weder der zweite Teil noch
das einunddreißigste Kapitel ist tatsächlich beendet, vielmehr geht das einunddreißigste Kapitel nach dem Zwischentitel "Fragmentarische Fortsetzung dieses Romans während der letzten Krankheit des Verfassers, theils von ihm selbst, theils von
seinem Freunde" (C, S. 441) weiter. Dergestalt wird das endlose Weitererzählen zu
einem performativen Widerspruch jedes teleologischen Versuchs, dem Erzähldiskurs deldarativ ein Ende zu bereiten. Der Umstand, daß dem Diskurs kein Ende
gesetzt werden kann, deutet auf eine Inszenierung der Erzählung als "Product
[]einer ins unendliche gehenden Thätigkeit"252 hin. Diese ins unendliche gehende
251 Schlegel: "Fragmenre" [116], S. 182.
252 Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 216.
320
7. BRENTANOS GODWI IM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
7.6 DER GODWIIM SPANNUNGSFELD VON WRiTTEN TO THE MOMENT.,.
Tätigkeit folgt der nicht still zu stellenden Dynamik der Digression: eine D
amik, die es unmöglich macht, einen "festen Standpunct"253 oder einen üb
nen Gesichtspunkt einzunehmen,
el ege-
,t
Vor dem Hintergrund der Dynamik der Digression erfährt Schlegels Thes d'
Kraft der Poesie sei "so tief in dem Menschen gewurzelt, daß sie auch unte~'d le
ungünstigsten
Umständen immer noch zu Zeiten wild wächst"254 , eine l'r'o nlSC
. helle
,
Inszel1lerung auf der Ebene der Verkörperung, Bereits bei Sterne wird die D' ,
, aIs Form d'lSl
'
SlOn
curSlver
Verwl'lderung ausgezeichnet: Nachdem Tristram SI 19resd
"
d as poetische Konzept semer Autobiographie als Wechselspiel von "digressivenlanyd
progressiven Bewegungen"255 beschrieben hat, heißt es zu Beginn des sechsten ~1_
ches rückblickend: "What a wilderness has it been",256 Die Digressionspoetik Ste~
nes führt di~ ilden Abschweifungen der Assoziation vor, welche die "unlimited
power of mlXlng, compounding, seperating, and dividing"257 von Ideen hervor_
bringt,
:v
In gleicher Weise versuchen Schlegels Lucinde und Brentanos Godwi ihre ass _
ziative Wildheit auf der linearen Ebene des Diskurses als "künstlich geordnete Ve~"
wirrung"258 zur Schau zu stellen. Damit wird die digressive Unordnung der
"Gesamtstruktur"~59 auf glei:he Weise zur Selbstdarstellung des universalpoeti_
schen Konzepts WIe das zyklrsche Arrangement des Athenäumsfragments 116
Auch die digressive Unordnung des Diskurses wird zu einer Kritik der idealisti~
schen These einer selbstkonstitutiven "absoluten Thätigkeit"260 des Ich. Aus der
Sicht der Empiristen läßt sich das menschliche Bewußtsein zwar als "a kind of theatre" begreifen, in dessen Rahmen eine "indefinite variety of postures and situati..
ons "261 zusammenassozllert
wer d en 1<:ann, d oc h ver h in d ert die Dynamik der
assoziativen Gedankenfolge zugleich, daß das Bewußtsein zu einer perspektivierenden Einheitsstiftung in der Lage wäre. 262 Das heißt, gerade die unbegrenzte
Macht assoziativer Verknüpfungsmöglichkeiten, die im menschlichen Bewußtsein
herrscht, untergräbt die Möglichkeit einer einheitlichen Perspektivierung. Mit dieser Unmöglichkeit einer einheitlichen Perspektivierung gewinnt die objektive Mann,igfa~tigl~eit an Denkinhalten die Oberhand über das subjektive Vermögen eines
emheltsstlftenden Ich denke: Das Schweben der produktiven Einbildungskraft wird
253
254
255
256
257
258
259
260
261
262
Ebd.
Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S, 331.
Srerne: Leben und Meinungen von Tristram Shandy, S, 84,
Sterne: The Lije and Opinions ofTristram Shandy, S, 397, VgL Grob: Die verwilderte Rede, S. 7.
Hume: Enquiry Concerning Human Understanding, S, 47 (§ 39). VgL auch Lobsien, der mit Blick
auf den Tristram Shandy feststellt, es gehe dort um die Frage, "wie die pure, sinnlose zeitliche
Sukzession von Wörtern, Gedanken, Ereignissen umgeformt werden kann in eine Assoziationsfolge; wie die Kontingenz der Fakten dadurch, daß sie auf assoziative Prozesse zurückgeführt wird,
sieh in einer Form von Sinn zu zeigen vermag" (Lobsien: Kunst der Assoziation, S. 44),
Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S, 319,
VgL Nünning: "Renaissance eines anthropologisierten Passepartouts", S. 19.
Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 127,
Hume: Treatise ofHuman Nature, Bd, 1, S. 534,
VgL Hume: Treatise ofHuman Nature, Bd, 1, S, 540.
321
.
permanenten Abschweifen, Dergestalt läßt sich mit der Digressionspoeernelll
zu, S 'les die Grundprämisse
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C
D euvon
Flc tes Sub'I
Je <tp h'l
1osopI'
Ile unter·1 auren:
'Ab schwel'fiung, so
,uk teH lla"mlich die absolute Thätigkeit des Ich" a1s d'19resslve
'tet m a n "
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, 'I' daraus weder ein Sich-selbst-setzendes Setzen noch em Entgegensetzen,
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san dern arische' Das Ich erfahrt emen
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Bruch, e111e partage, ver oppe l' SlC urc
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Bruch in ein denkendes und gedachtes Ich und macht SlC urc leses uedIesen
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J bl ment zum Gegenstand emes potentle en osen 19resslven e SI' mmmenaOU. der
e den Vorgang der Bewuß twer d ung aIs" B"u h nene E'Cle1"
<I' vor fi"uh rt, 263
tal~' Godwi wird indes nicht nur Fichtes Subjektphilosophie, sondern auch SchleIl~niversalpoesie ironisch in Szene gesetzt: Die Doppelbewegung von Selbstgel~' fung und Selbstvernichtung findet unter den Bedingungen einer verwilderten
soop
. Eh'
1ft itationelle statt, die als digressive Wucherung d es DIS. Icurses 111
rsc eInung
~e ~~ Anstatt Schlegels Forderung zu folgen, die "alte Natur und Kraft"265 der Poetl1tt,
, he E'111.
Wurzel einer Heuen Mythologie werden zu 1assen, d"le eme neue orgalllsc
SIe zur
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d'I l' ,
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führt der Godwi die Konsequenzen e111er ra 1<a lSlerten u pIroPhelt' herstellt
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Ei C fi "266
fungsdynamik vor, im Rahmen deren "der Schößlmg S,lC se SI' au gepIrop l'
'd Im Godwi fungieren die immer neu dazugeschnebenen Textfragmente als
WIr .
d
. I"
" b'Id
Pfropfreiser, die "in ihrer Zusammensetzung das Ganze2ts E~gen mrpers 1 en, so
daß am Ende ein "Baum ohne Wurzel" herauskommt. 7 DIese Form der EntwureIung nivelliert auf eigentümliche Weise die Differenz zwischen dem Rahmen und
zd Gerahmten. Dies impliziert eine Abwertung der dispositiven Funktion des Vorern
h
fl"
worts, ja des Paratextes überhaupt, denn der Paratext setzt ei?e Ra menre" eXlO~.111s
Werk, die gegen die "epische Historische Form der romantischen Kunst verstoßt,
268
. d'ng []"
da sie das Kunsrwerk "zum NaturwerI<ernle
l' .
7.7 Die Dynamik der Digression
und das Problem der Perspektive
Das Modell einer von außen an den gerahmten Text herangetragenen Rahmenreflexion wird im Godwi durch das Modell einer im Innern des Verfahrens der Textkonstitution wirksamen Aufpfropfungsdynamik perpetuiert, die sich dadurch
auszeichnet, künstliche Natur zu sein und künstliche Verwirrung zu stiften. Ange263
264
265
266
267
268
Derrida: "Die zweifache Seance", S. 334,
Vgl. Derrida: "BucheAußerhalb. Vorreden/Vorworte", S. 35.
Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 319.
Derrida: "Die zweifache Seance", S, 403.
Ebd,
Schlegel: Kritische Schriften und Fragmente, S, 205,
322
7. BRENTANOS GODWIJM KONTEXT FRüHROMANTISCHER POETIK
sichts der wild dazuschreibenden, digressiven Dynamik des Textes verliert d .
, F"unI'
' perspecuv
, " zu sem,,,
, dadurch man den ganzen Planel Pa-.
ratext seme
<uon, em"
den Werth eines Buches übersehen könnte".269 Mit der digressiven Verwild ,lInd
' ' he Ubersicht
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' so ICl
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. perspe1<tlVISC
des DIS' 1mrses 1st
nicht mehr möglicl elV'lI ng
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me h I' wir le esamtstru <tur es Textes zur Verkörperung eines dirigie'1, dleiC "270
d . h'
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un mlt m zum "wahren Vorwort"27I, das heißt die dispositive F I'
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Uon es vorworts WH' an le ll'lgleren e Dynamik des Textes delegiert di lIn
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nur" d as Z le es anzen esummt, sondern "auch die Richtung der Laufbah "
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welche "die einzelnen Teile lenkt und ordnet".272 Im Godwi ist dieses Z' I d ,
, 111' kl ar erk enn b ar: Die
" dll'lglerende
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, des Textes steht "l'n le' es
G anzen "lllC
DynamIk
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' h tel' Gd'
' R h einreise, die ihn zu einem Lustschloß fr hlln,
D ort b enc
0 WI von semer
'
de,ssen La~e und Architel<t~r er ausgiebig beschreibt (G, S. 493 f.). Völlig Ul:V:I:~
mlttelt heIßt es dann auf emmal: "Auf dem höchsten Punkte des Schlosses SI' h
ein Belvedere, und ein gutes Perspektiv273 , für die, welche das ganze Buch niel l'
verstehen" (G, S, 494).
CH
D~r Hinweis auf das ?ute Perspektiv ev?,ziert das Modell einer überlegenen Per-
s~ektlVe, v~n de~
aus. em ~er~tehe~ld~r "Uberblic~"~74 übe~ das Ganze möglich
WIrd. ~ugl~lch WIrd dI~ Moglichkelt emes perspektlVlschen Uberblicks jedoch dadurch Irolllsch demenuert, daß der Hinweis auf das gute Perspektiv von einer Jnetaleptisc~en Ra,hme?konfusio? begleitet wird: Godwi bezieht das gute Perspektiv,
das dem mtradiegeuschen Ulllversum angehört, auf die Rezeptionssituation eines
extradiegetischen Lesers. Diese ironische Metalepse steht für eine gleichermaßen
perspektivische wie digressive Verwilderung des Diskurses. Zum einen tritt das im
Haup~text aufgestellte gute Perspektiv in Konkurrenz zu der perspektivierenden
FunktIOn des Vorworts. Zum anderen ist angesichts einer nicht stillzustellenden
digre~siven Dynamik wed~r aus der Perspektive des Haupttextes noch aus der Perspekuve des Vorworts ein Uberblick über den Plan und den Wert des Ganzen möglich. Dergestalt macht das unentwegte digressive Dazuschreiben als im Rahmen
und am Rahmen des Textes wirksame Aufpfropfungsbewegung jeden Versuch
zunichte, einen "festen Standpunct"275 einzunehmen. Trotz dieser Abwertung des
Paratextes zugunsten dessen, was sich am Text zeigt, sind die Paratexte des Godwi
nich~ funktionsl~s - an ihnen zeigen sich nicht nur ebenfalls die Spuren der digresslVen DynamIk der Aufpfropfung, sondern sie sind Zonen performativer Überblendungen und perspektivischer Übergänge,
Artikel "Vorrede" in: Zedlers Universallexikon (1746), S. 1073 f.
Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie, S, 232,
Vgl. DelTida: "Hors livre, Pn!faces", S, 22,
Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie, S, 232,
Bemerkenswerterweise wird hier ,Perpektiv' nicht mehr mit ,c' geschrieben (vgl. auch die Frankfurter Ausgabe, S, 544),
274 Vgl. Grenzmann: "Clemens Brentanos ,Godwi''', S, 257
275 Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S, 216,
269
270
271
272
273
7.7 DIE DYNAMIK DER DIGRESSION UND DAS PROBLEM DER PERSPEKTIVE
323
7.7,1 Perspektivische Übergänge in Text und Paratext des Godwi
"1' man die Auffassung Mardnez-Bonatis, daß jeder fiktionale Erzähldiskurs
El'weltel
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U'
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, F' eines Selbstzitats hat27 ,im Sinne der progressIVen lllvers poeSie, mundie olm
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h'ZChte des Agathon und der Leiden des jungen Werthers au er oppe1ten Ge~te von
sc I " lei' Verneinung und fiktiver Allographie gründeten, schweben die AusaU <totla
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' tanzen des Godwi zwischen auktorialer Bejahung, fil<tlver
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Alrtorial 277 Jede dieser Positionen erfährt je oc 1 an emem estlmmten
fiI<tlvem '.
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l' 1
des
Romans ein ironisches Dementi. Das Schweben ZWischen au <tona er
punI<1'
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Bejahung, fiktiver Allographie und fiktivem <~ona Imp lZlert zwei orme~l es
Pel'spektivenwechsels: Maria, der zunächst vorgibt, der Autor des ers~en T~Ils zu
,
'bt sich zu Beginn des zweiten Bands als Instanz zu erkennen, die ZWischen
sel11, gl
b
'b h 'b 'I
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Autor und der Funktion Herausgeber schwe 1': Mana esc rel l' SIC 1
der u
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als Autor, der den Protagonisten des Romans"unschelllel:t l~rausgl"
t. Gd'
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damit als Objekt eines Diskurses vorgestellt, der als ed~tonale Prasentatlon emes
Briefwechsels und als auktorialer Erzähldiskurs ge~ten wIll.
",
Die Selbstbeschreibung Marias als unzuverläSSiger Hera~sgeber WH'? 1m zwelTeil von Godwi dementiert, wenn dieser im Rahmen semer narratlven Metaf:;se Maria als Autor des ersten Teils ansp,richt,
d ß ich die narrativen Rollen von Mana und Godwl Jewel s ms egentel velk:hr:n. Maria erfährt eine Transformation vom auktori~len Erzä,hlsubjekt z~~ aktorialen Erzählobjekt, während sich Godwi vom aktonalen Objekt des ~rzahle~ls
zu einem auktorialen Subjekt des Erzählens verwandelt. Am El~de des zwelt~n TetIs
ist Godwi derjenige, der die letzten Lebensä~ßerungen ~anas "unsch~lllrt herausgiebt". Der zwischen bejahendem Auktonal und fiktlv~r Allograp~le sch,:ebende Dichter Maria erlebt mit seiner Verwandlung zum Objekt des Erzählens eme
Intradiegetisierung. Umgekehrt impliziert Godwis Mod,ulatio!l zu~ Subjekt des
Erzählens dessen Extradiegetisierung, Der Chiasmus aus mtradlegetlSlerender Objektivierung und subjektivierender Ex:radiegetisierung kann nicht nur als stru~~tu~
relle Verwilderung der Erzählperspektlven gedeutet werden, sondern. als Manover
einer zyldischen diskursiven Praxis 278 , die im Spannung~feld;,on Subjekt und Ob~
jekt steht: Maria, der Herausgeber-Autor des ersten TeIls, wud zum Herau~ge~e
benen des zweiten Teils, während Godwi, der Herausgegebene des ersten TeIls, 1m
zweiten Teil als Herausgeber-Autor reüssiert, Godwi ,erbt' Marias editoriale Rahmungsfunktion. So teilt Godwi in sei~ler "1\n de~ Leser" adressierten Nachricht
angesichts der zunehmenden Kranlmelt Manas mit:
•
Zugleic?,zeig~lsi:h imGzweite~ Tei~,
276 Vgl. Mardnez-Bonati: "Die logische Struktur der Dichtllllg", S, 188,
277 Vgl. Genette: Paratexte, S, 267,
278 Vgl. Schlegel: "Geist der Fichtischen Wissenschaftslehre", S, 35, Nr, 177,
324
7.7 DIE DYNAMIK DER DIGRESSION UND DAS PROBLEM DER PERSPEKTIVE
7. BRENTANOS GODWJIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
Er schrieb mir gestern mit 1}änen Folgendes an die Schiefertafel die neb
.
' er SIC
. h d eutI'Ich machen kann, und ich kann nich'' umhl' enIh
semen1 Bette
h"angt, d
amn
, SelU
, Charakter hier ans Licht ' stellt [nes
tel'Ien, wel'I'lChfi"hl'
u e, Wie sehr SIch
] Z nenlll'
I' ltzu_.
,lCh den Lesel', d'le D arsteII ung meines Lebens zu entschuldigell l'cll bl'1.." 'I ug eIe!lItte
b'
d P bl'l
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1 nlC lt geüb
as u. I eum zu treten, und es verhindert mich auch der A 'ltel'l d 'I
.t, Vor
F. d
I"
'ru
, en lc 1 an n .
teun e ne lme, an großerer Aufmerksamkeit auf meinen Stil _ God '(G S lelnelll
,
Wt" 472[,),
Die Ansprache "AI? den Leser" kann als strukturelle Anspielung auf die Ans r
d,es Herausgebers Im ~rther verstanden werden, In beiden Fällen wird n a~he
e~n gn~ndlegender diskursiver Perspektivenwechsel vollzogen: Im ~rtherk~~~h,ch
SIch mIt Ansprache des fiktiv allographen Herausgebers an daß dl"
cllgt
d'le R 11'
l'
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eser nun au 1
0 e ellles au <tonalen Erzählers übernehmen wird Im Gd'
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A l '
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nsprac le an den Leser Marias endgültige ObJ'ektivierung vorberel'tet "I er
Gd'
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' 1en Instanz wird, die für sich sowohl die F 1 ',. waA
ll'end
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a s auc 1 le un tlon Herausgeber in Anspruch nimmt, Dabei 1
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commt •odwls
Ignatur ,ellle eson ere Bedeutung zu: Sie markiert als Spur einen dopp 1 Al
der E t
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e ten et
, n eIgnung un. nelgnung: e111 Akt, mit dem Godwi an die diskursI' S 11.'
M
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anas tntt un amlt elllen grundlegenden Perspektivenwechsel vollzl' 1 D'
p. l '
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e lt, leser
erspe wv~nwec se vo zle t ~Ich III mehreren Schritten, also im Übergang:
Zu Begl11n der "Fragmentanschen Fortsetzung" im 32 Kapitel llat M" . h
d' F 1 ' "
.'"
aHa noc
I~ un won el11es Scrtpteur respektive Transscripteur, der das von Godwi Erzählte
~It- und zU,sammenschreibt (G, S, 450), Am Ende des 33, Kapitels verliert Mada
dle,se Funlw~n, wenn es heißt: "Godwi besuchte mich heute abend, er hatte se;bs~
weiter
und
cl'
Z geschneben,
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, las mir vor' wie folgt . _ce (G,S. 466) ,Gd"
0 WI Ist von lesem eltP.unkt an ~Icht mehr der mündliche Erzähler seiner Lebensgeschichte
sondern eIn A~toblOgrap~l, ~er Selbstgeschriebenes vorliest, Maria fungiert nu;
n~ch als arrangIerender edttonaler ,Einrücker' des von Godwi Geschriebenen, aber
mcht ~ehr als .,Zusamme~schre~ber'. Nach der Ansprache an den Leser übernimmt
~odwI auch dIese letzte dlsk~ll'slve Funktion Marias, wie der Umstand belegt, daß
er ~as, was der au~grund selller Zungenentzündung verstummte Maria auf die
SchIefertafel geschneben hat" als wörtli,che Figurenrede in Anführungszeichen setzt
(vgl. G, S. 4~7), D.adurch WIrd Godwl zum Herausgeber der letzten Lebensäußerunge~ .M.~nas" die er durch Schilderungen seiner Krankengeschichte rahmt.
Godwl erzah~t mcht ~ur als Au~obiogra?h die Geschichte seines eigenen Lebens zu
Ende, sondern er erzahlt zugleIch als BIOgraph die Geschichte von Marias Lebensend,~' Durch den n~enden Tod des Autors wird Godwi zum Herausgeber der letzen Außerungen Manas und zum Selbstherausgeber seiner eigenen Geschichte,
F
7.7.2 Die performative Rahmungsfunktion der Fußnoten
I?ie Funktion Selbstherausgeber schließt die paratextuelle Kommentarfunktion mit
e,lll, ~o stammt die Fußnote zu Violettes Lied "Zu Bacherach am Rheine" offenslcht!Jch von Godwi , Als Anm
, / Lore
", erkung zu d er Z el'I e" \Tcon d em d"
rel Ritterstem:
Lay / Lore Lay / Lore Lay hest man: "Bei Bacherach steht dieser Felsen, Lore Lay
325
anll t , alle vorbeifahrenden Schiffer rufen ihn an, und freuen sich des vielfachen
~~~lO'S" (G, S, 490), Diese Erldärung liefert nicht nur eine Zusatzinformation zum
Vi 'ständnis des Gedichts, sondern kann auch als Verkörperung einer Tendenz zur
/~radiegetisierung Godwis gedeutet werden, der nun offensichtlich auch den
~nd des Textes verei~lnahmt un~ alle mit, der Funktion Herausge?er VerbU1?~en KommentarfunktIOnen überl11mmt. DIe paratextuelle InterventIOn Godwls Ist
~\er nicht nur als degenerierter Index zu deuten, sondern vor allem als inszenier-
: genuiner Index dafür, daß ein Perspektivenwechsel stattgefunden hat, im Zuge
~essen die Rahmungsfunktion an Godwi übergegangen ist.
An dieser Stelle seien kurz die übrigen Fußnoten im Godwi erwähnt: Die einzige Fußnote im ,ersten Band is~ eine ira,nis,che D~rs,tellu~g der performat~v~n, RahlUungsfunktion 111 drucktechmscher HlllslCht, SIe Ist mIt "Anmerk. des 1l'1'ltlerten
Setzers" signiert (G, S. 58)279 und deutet die Möglichkeit an, daß der Name des
Schriftstellers La Fontaine Gegenstand einer Anspielung geworden ist, Mit dieser
Fußnote taucht am extradiegetischen Rand des Diskurses eine Instanz auf, die insofern eine quasi-transzendentale Stellung für sich in Anspruch nehmen kann, als
ihre setzende Tätigkeit die Bedingung der Möglichkeit für die Existenz des Buches
ist. Im Godwi setzt sich der "irritierte Setzer" selbst als Instanz, die "zur Macht der
Objektivität zu gelangen" sucht (G, S, 16): Er objektiviert den Text, indem er ihn
kommentiert, und er setzt sich selbst als Instanz, die berechtigt ist, ihrer subjektiven Irritation Ausdruck zu verleihen, Dieses sich Setzen des Setzers als setzend
bewirkt eine ironische Rahmenkonfusion: Der Setzer sorgt durch seine Selbstbeschreibung als "irritierter Setzer" dafür, daß die performativen Rahmenbedingungen für Selbstbeschreibungen "irritierbar bleiben und von innen heraus dynamisch
werden" ,280
Von den sechs Fußnoten im zweiten Band sind die erste und die fünfte intratextuelle Verweise auf den ersten Band28I, wobei offen bleibt, ob sie von Maria oder von
Godwi stammen, Einiges spricht dafür, daß sie von Godwi stammen, der im Rahmen des Haupttextes durchweg diejenige Instanz ist, die auf Stellen des ersten Bandes Bezug nimmt (vgl. u, a. G, S, 396), Bei der Fußnote zu Violettes Lied "Zu
Bacherach am Rlleine" (G, S. 490) besteht kein Zweifel daran, daß sie von Godwi
verfaßt wurde, da Maria zu diesem Zeitpunkt seine Kommentarfunktion bereits nicht
mehr wahrnehmen kann, Auch die Fußnote zu dem Gedicht "Abend" (G, S. 399 f.)
ist Godwi zuzuschreiben, da dieser offensichtlich der Übersetzer des Gedichts ist. 282
Dagegen stammt die Fußnote, die im Rahmen der "Fortsetzung der Geschichte der
279 In der Fußnote heißt es: "Soll doch wohl nicht eine Anzüglichkeit auf den französischen Schriftsteller La Fontaine sein? Anmerk. des irritierten Setzers,"
280 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S, 401.
281 Die erste Fußnote lautet: "Siehe den ersten Band, pag,178, wo MoHy von dieser Kordelia
schreibt" (S, 296), Auch die fünfte und letzte Fußnote Marias hat die Erwähnung Kordelias im
Text Zl\m Anlaß, Sie besteht in einem sehr unbestimmten "Siehe erster Band" (G, S, 426),
282· Die Passage, aus der dies geschlossen werden kann, ist jedoch nicht eindeutig: Kurz nachdem
Maria berichtet, wie ihm Godwi ein Gedicht von Franzesko mitgeteilt hat, wechselt die grammatische Zeit vom Präteritum in das Präsens: "Es ist italiänisch, und in diesel' Sprache widdich
voll Wärme, doch gleicht es seiner Schwester, dem Gemälde, bei weitem nicht; ich habe es den
326
7.7 DIE DYNAMIK DER DIGRESSION UND DAS PROBLEM DER PERSPEKTIVE
7. BRENTANOS GODWJIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
beiden Schwestern" (G, S, 408 ff.) vorkommt, höchstwalmcheinlich Von M .. "8
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' Z usc1lrel'b ung an Mana
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el~an er urc esen w~ .en".1:1aria sd:reibt ~n der Fußnote: "Ich besitze durch die
Gute des Herrn GOdWl Jetzt dIese PapIere, dIe nichts anders als das selbstgescl ..
bene Tagebuch dieses höchst interessanten Menschen enthalten. Er lebte in de ~Ie
fzehnten Jahrhunderte, und ich bin willens, sobald ich Muße habe, dem pubnl~k 111dieses interessante Manuscript mitzutheilen. Maria" (G, S. 297).
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Abgesehen von der Vorrede zum ersten Band ist dies das einzige Mal, daß M ..
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0 WZ eme von 1 m ver a te Au erung unterschreibt. In der Vorrede z u .
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sten Band unterschreibt Maria als Autor eines Paratextes, der behauptet, i:f~~:--genden auch als Autor des Haupttextes aufzutreten. In der Fußnote zum zw '
Ban"d u~tersc h rel'b t M ana
' d agegen als Autor eines Paratextes, der ankündigt,eltell
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er l~unftlg als ~erausgeber a~ftreten wolle. Insofern steht die signierte Fußnote im
ZeIchen des Ubergangs zWIschen Autorschaft und Herausgeberschaft. Zugl 'I
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ste t anas slg111erte u note in diskursiver Konkurrenz zu Godwis signierter Leseransprache (vgl. G, S. 473). Godwis Unterschrift erscheint als Dedaration d'I
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ance . ,mlt er er sIch von der dIskursIven Rahmungsfunktion Marias
befreIt. ZugleIch wartet Godwi mit einem Editionsprojekt auf, mit dem er in Konk~rrenz ~u ~arias Vorhaben tritt, dem Pu~likum "dies~s interess~nte Manuscript
mltzuthellen (G, S. 297): Nach der Nachncht von Manas Tod WIrd der Leser VOll
Godwi nicht nur über ~ie Identität vo~ ~n~onciata u~d Kordelia in Kenntnis ges~tzt, son~ern au~h daruber, daß GOdWl dIe m AnnonClatas Stube gefundenen "PapIere von Ihrer eIgenen Hand [00'] in einer weniger traurigen Zeit [00'] bekannt zu
~achen': gedenkt (vgl. G, S. 508). Auch im Rahmen dieses angekündigten EditlOnsproJekts kommt Godwi die Funktion einer extradiegetischen Instanz zu das
~eißt die im zweiten Band zu beob~chtende Tendenz zur Extradiegetisierung ~ird
uber den realen Rand des Romandiskurses hinaus sogar noch auf imaginäre Projekte ausgedehnt.
I·
!
folgenden Morgen zu übersetzen gesucht, aber es war durch die Eigentümlichkeit seines Ausdrucks
e~enso sch,:"e~" als das Gemälde zu kopieren sein würde. Diese Übersetzung füge ich hier bei und,
bItte, daß SIe Immer Ihre Augen auf das Bild wenden, während Sie sie lesen" (G, S. 398). Die Aufforderung, das Bild anzusehen, während das Gedicht gelesen wird, kann nur von Godwi an Maria
ger~c.h~et sein. Folglich muß die Fußnote zu dem Gedicht: "Ich konnte das schöne Tonspiel des
Itahal1lschen von amare und amaro nicht anders geben" (G, S. 400) von Godwi stammen.
283 Die Un.si,~l~erheit der Herk.unft dieser Fußnote ergibt sieh daraus, daß einerseits die Erwähnung
"Godwls Im Haupttext mIt der Fußnote "Der Vater des Unsrigen" (G, S. 411) versehen ist, was
auf Mar~a als Fußnotenset~er hindeutet - andererseits beginnt Maria das nächste Kapitel mit dem
ostentatlv redundanten Hmweis: "Der Godwi, den ich hier nannte, ist unsers Godwis Vater" (G,
S. 413), Unldar bleibt, ob aus dieser Redundanz irgend eine Schlußfolgerung gezogen werden
kann, womöglich die, daß die Fußnote gar nicht von Maria, sondern von Godwi junior stammt,
der mit .dem "Unsri!3en" eine editoriale Selbst-Allographisiel'Ung vollzieht. Diese Annahme ist jedoch rem hypothetlsch. Man könnte auch die These vertreten, es handele sich in den fraglichen
Fällen um ,herrenlose Fußnoten'.
284 Vgl. Derrida: "Declarations d'Independance", S. 16,
327
7.7.3 Die performative Rahmungsfunktion von Winkelmanns "Nachrichten"
- D'
gilt auch hinsichtlich der "Nachrichten von den Lebensumständen des ver-
1~~enen Maria, Mitgetheilt von einem Zurückgebliebenen", die von Brentanos
~:eund Stephan Augus~ Winkelmann stamm?n.28~ ~ieses merkwürdige Na~hwort
otenziert nicht nur dIe Tendenz zur Extradlegetlslerung, sondern es f~ngl~~'t als
~elbstdarstellung eines Konzepts, ~as den Paratext zur Zon~ perfo.rmau:er ?berblendungen und perspektivischer Ubergänge erldärt. ObgleIch es SIch bel Wmkelanns Nachwort um einen anonymen allographen Paratext handelt, befindet es
l~ch im Übergang zwischen verneinendem Auktorial und fiktivem Allograph. WinsIllmann gibt vor, als namenloser ,zurückgebliebener' Freund Briefe des verstorbe1~~n Maria herauszugeben, ergänzt durch eine Reihe von"traurigen Gedichten", die
zum Teil von Winkelmann, zum Teil von anderen Freunden Brentanos verfaßt
wurden286 und als Epitaphe an den Dichter Maria adressiert sind.
Bemerkenswerterweise hat Winkelmann in seinem Nachwort eine diskursive Position, die zwischen verschiedenen Erscheinungsformen der Funktion Autor und der
Funktion Herausgeber schwebt: Winkelmann ist der anonyme Autor eines Paratextes in dem von ihm verfaßte Gedichte vorkommen, deren Autorschaft er jedoch verneint. Insofern tritt er als fingierter Herausgeber auf. Da Winkelmann in sein
Nachwort Texte anderer Freunde integriert, hat er aber auch die Funktion eines realen Herausgebers. Da Winkelmanns Nachwort der Nachruf auf den fiktiven Autor
Maria ist287 , den er vorgibt, selbst gekannt zu haben, übernimmt Winkelmann darüber hinaus die Rolle eines fiktiven Herausgebers. Winkelmann setzt sich als zweiter
Biograph Marias in Szene, der das ,wüste Ende'288 des zweiten Bandes abzumildern
sucht, indem er eine zweite, gewissermaßen ,extra-extradiegetische', editoriale Rahmung vornimmt, Dadurch tritt er in Konkurrenz zu Godwi: Dessen Mitteilung vom
Tod Marias, deren Lakonik unschwer als Anspielung aufWerthers Ende zu erkennen ist289 , wird durch die "Nachrichten" Winkelmanns überboten29o , der schreibt:
285 Vgl. Bellmann: "Lesarten und Erläuterungen. Entstehung", S. 553.
286 VgI. ebd., S. 602, wo sich Achim von Arnims ungedruckter Beitrag zum Godwi findet.
287 Bellmann vertritt dagegen die Ansicht, daß es sich bei dem im Nachwort erwähnten Dichter
Maria um einen Dichter handelt, der nicht mit dem Dichter Maria des zweiten Bandes idenrisch
ist (Bellmann: "Lesarten und Erläuterungen", S, 593 f., 780).
288 In einem Brief an Savignyvom 5. August 1801 schreibt Brentano über das Ende des Godwi: "[,,.]
es ist wüst, wüst" (zit. nach Bellmann: "Lesarten und Erläuterungen", S. 594). Vgl. hierzu auch
SchulleI', der zufolge das wüste Ende "die Demontage seiner selbst ist, Hier ist die Form des
frühromantischen Romans an ihren Nullpunkt gekommen und als solcher dargestellt" (Schuller: Romanschlüsse in der Romantik, S. 153).
289 "Maria ist heute morgen gestorben; er wollte einige Minuten vor seinem Tode, da er sich sehr
heiter fühlte, noch auf der Laute spielen, aber seine Krankheit, die, wie ich erzählt habe eine Zungenenrzündung war, war in eine Herzenrzündung übergegangen, der Schmerz ergriff ihn plötzlich sehr heftig, er ließ die Laute fallen, und sie zerbrach an der Erde. - Er starb in meinen
Armen, wir haben viel an ihm verloren. In der letzten Zeit las er meistens in Tiecks Schriften"
(G, S. 507 f.).
290 Wie schon Godwis Bericht, so erweist sich auch Winkelmanns Nachruf als Parodie der dürren
Protokollsätze am Ende des Werther, wenn er schreibt: "Von seinem Tode laßt mich schweigen,
328
7. BRENTANOS GODWIIM KONTEXT FRÜHROMANTISCHER POETIK
7.8 ZUSAMMENFASSUNG
"Von seiner Krankheit hab ich nichts zu sagen. Seine Liebe war sein Leben .
Krankheit und sein Tod. Bis in dem letzten Augenblick war er tätig _ wir In' sel ne
ß
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Utel\
se~.ner B~gler e zu lesen und zu sC~reJben auf d~n Befehl des Arztes nachgeben. EI'
wurd~ mcht sterben, be~aup.tete dieser, wenn er.lmm.er fortschriebe" (G, S. 516),
W111kelmann deutet 111 dieser Passage zum e111en Jene Szene um, in welchet d .
Ar~t Maria rät, "nicht soviel schreiben: sonst sey se~ne Mühe umsonst" (G, S. 464 f.)~
Während der Arzt den Akt des Schreibens unterb111den möchte, damit Maria ni I
stirbt, behauptet Winkelmann nicht nur, der Arzt habe Maria erlaubt zu lesen 1c ~
zu schreiben, damit er sterben könne, sondern das Ende der progressiven Akte ~1
Fortschreibens sei sozusagen die ,Bedingung der Möglichkeit' für Marias Tod. Zu es
anderen impliziert Winkelmann in der angeführten Passage, er sei Augenzeuge dl11
Arztbesuchs gewesen. Das heißt, Winkelmann schreibt sich nachträglich eine Roli~ - ais Akteur im intradiegetischen Universum des Romans zu, und er versucht si
die ~rzä.hlhoheit über Marias En~e anzue~gnen. Diese parat~xtuel~e Metaleps~ gi~~._ ....
felt In e111er doppelten Geste, mit der W111kelmann zum e111en sich selbst in eine
fiktive Herausgeberfigur moduliert, zum anderen den realen Autor Brentano als
besten Freund Marias ins diskursive Spiel bringt, wenn er behauptet, das Geheimnis um Marias unglücldiche Liebe schlafe "in deiner Brust, Clemens Brentano! Du
hattest Maria's ganzes Vertrauen" (G, S. 512). Die Pointe der "Nachrichten" besteht jedoch nicht nur in dieser ironischen Metalepse, die den Bruch zwischen
wirklichem Schriftsteller und fiktivem Sprecher markiert, sondern auch in der Tatsache, daß Brentano als realer Autor des Godwi zugleich der reale Herausgebet von
Winkelmanns Nachwort ist: Dadurch erfährt der fiktive Herausgeber Winkelmann
seine diskursive Objektivierung als faktisch Herausgegebener.
· I 111
. Bewegung" aus.
292
Zwecke gemäß bildet er seine Autornatur als" Su bJe<t
l~se:wegung, in der sich das Autor-Subjekt befindet, ist die Beweg~,ng der AufDfl~ cung die als greffecitationelle dem "eigentümliche[n] Verfahren 293 des AnrapI' und
, Umbilden~, aber auch der "ursprung
" I'ICh en Th'"atlg1(eil'
. "294 d el. Z u- u nd
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bildens
Aneignung zugrunde hegt.
Mit Blick auf den Godwi als literarische Verk~rperung .zentr~l~r T~es~n der ro. hen Poetik hat sich mithin gezeigt, daß dIe auktonale Tatlgkelt mcht ohne
mantlS C
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Tätigkeit gedacht werden kann. Faßt man le au (tona e atlg (elt
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d~; editoriale Tätigkeit als "freywillige Entsa~u~lg des Ab~olute~" in Szene gesetzt.
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Aufpfropfungsbewegung vollzieht. Diese These wEft mcht nur au Brentanos
Godwi, sondern auch auf die Romane Jean Pauls zu.
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7.8 Zusammenfassung
Winkelmanns Nachwort fügt sich in ein poetologisches Konzept, das im Zeichen
einer radikalen Dynamisierung des Verhältnisses von Autorschaft und Herausgeberschaft steht: Im Godwi wir~ das Verhältnis von Autorschaft und Herausgeberschaft auf allen Ebenen als im Ubergang befindlich dargestellt. Maria tritt als fiktiver
Autor und als fiktiver Herausgeber auf, Godwi als fiktive Figur, die zum Autor und
zum Herausgeber ihrer eigenen Geschichte wird, Winkelmann als fingierter Herausgeber, der sich im Nachwort als Figur des vorangegangenen Haupttextes fiktionalisiert. Auf die Frage: "W[as] ist ein Autor?"291 kann man daher nur die
Antwort geben: Der Autor muß den Zweck haben, in Bewegung zu bleiben, und
Ich habe ihn nicht sterben sehen" (G, S. 517). Vgl. im -werther: "Von Albens Bestürzung,
Lottens Jammer laßt mich nichts sagen" (W; S. 265).
291 Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 365.
VOll
329
292 Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, S. 57 f.
293 Schlegel: "Gespräch übel' die Poesie", S. 318.
294 Novalis: Schriften, Bd. 2,. S. 274.
295 Ebd., S. 270.
8. JEAN
PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
!:
8.1 Die Funktion des Vorworts in den Werken Jean Pauls
Die Spuren, die der Autor als Selbstherausgeber und als diskursives "Subjekt in Bewegung"! hinterläßt, werden an den Rändern der Romane Jean Pauls sichtbar. Im
folgenden sollen drei dieser Romane - Hesperus, Siebenkäs und Leben Fibels - näher
untersucht werden, wobei das Hauptaugenmerk auf dem Zusammenspiel zweier
prozesse liegen wird: dem Prozeß der partage und dem Prozeß der greffe. Zugleich
wird bei Jean Paul auf vielerlei Art und Weise die Behauptung Foucaults veranschaulicht, daß es "ganz falsch" sei, "den Autor beim wirldichen Schriftsteller oder
beim fiktionalen Sprecher [zu] suchen", da die Autor-Funktion "gerade in der Spaltung (partage) selbst"2 zum Ausdruck kommt. Bei Jean Paul wird auf allen Ebenen
des Diskurses eine "Poetik der verdoppelten Erzählinstanzen"3 in Szene gesetzt,
deren Resultat Ego-Pluralität ist. 4 Dies gilt auch für die maßgebliche Aussageinstanz ,Jean PauI' selbst: Die in "vielfältigen Rollenspielen" verstrickten "geschriebenen Ichs Jean Pauls" befinden sich, wie Wölfel bemerkt, in einer "unendlichen
Bewegung zu seinem Selbst": dem "Schreib-Ich Friedrich Richter".5
Die Voraussetzung dieser unendlichen Bewegung ist ein "dedoublement constitutif". 6 Ihre Folge ist, daß sich das gespaltene Autor-Subjekt ,Jean Paul' permanent im Übergang "zwischen seiner realen und seiner imaginären ,Existenzweise"'7
befindet. Dies wird dadurch ironisch gebrochen, daß Jean Paul "die Verbindung
8
von Realwelt und Erzählbühne selber zum Thema seines Erzählens" macht. Mehr
noch: Indem er die Aufmerksamkeit vom Werk als Schreib-Produkt zum Werk als
Schreib-Prozeß lenkt und damit die performativen Rahmenbedingungen der Werk1
2
3
4
5
6
7
8
Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes, S. 57 f.
Foucalllt: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1020.
Lachmann: Gedächtnis und Literatur, S. 466.
So schreibt etwa KommereIl: "welch unaussprechlicher Zustand, welche Unordnung riß da zwischen Ich, Werk und Leser ein, so daß der Verfasser immer wieder nötig hat zu sagen: ich bin ich!
Seht, so bin ich! Also tut in seinen Vorreden Jean Paul" (KommereIl: Jean Paul, S. 159).
Wölfel: "Die Unlust zu fabulieren", S. 57 f. In die gleiche Richtung zielt Pott, wenn er feststellt:
"Das Autor-Ich findet zu sich im alter ego der Schriftperson" (Pott: Neue Theorie des Romans,
S. 141). Dieses ,alter ego' kann man mit Lindner als "subversiven" Autor bezeichnen, der freilich
stets an den Generalautor ,Jean Paul' zurückgebunden bleibt (Lindner: ,,}ean Paul oder der ,auktorial subversive' Autor", S. 29 f.).
Dällenbach: Le recit speculaire, S. 81.
Lindner: "Jean Paul oder der ,auktorial subversive' Autor", S. 29. Vgl. auch Nienhaus: "Der Erzähler als Held", S. 58.
Strohschneider-Kohrs: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, S. 347.
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'I
332
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
genese .reflektiert9, nimmt Jean Paul eine mediale Modulation d . U '
vor: Se111e Romane sind ein "Schreib-Theater"l0 in d
K
el I?lversalpoesie
S~hrift reflektiert" ,:ir~,II Dabei verlegt Jean Pa~II diee~;, e ~::~~v~e und ganz als
d111gungen der Schnft 111 den szenischen Raillnell d S hg'b "12 n.KonteXtbe_
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es c rel ens ' e1l1 R I
B:.~1l1c ~~ nur Ihe S~hrelb-Szenen, sondern auch die Editions-Szene;l bet "~flltne~l,
u ne leser Sc relb- und Editions-Szenen ist das Vorwort
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Vorrede und Anmerkung sind, so Walter Rehm unu"b .' hb
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lllC< 19ur 111 ean Pauls gesamter Autorschaft" 13 '
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e tller sogar behaupten, Jean Pauls Romane zeichneten sich ja l~an .<ann mIt Ehrenzel_
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lIch ve.rwandelt sich der "Vorwortakt"18 in d
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e stzwec< WH' ,ZU einem selbstgefälligen Abb'ld"
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Dieses am Rahmen des Text~~ und l'm R h
dl pselner eIgenen Verfahren".19
amen es aratextes entE I
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a tete "SpIe en·
sch e Selbstbewußtsein"2o ist jedoch no h I ' I d' fi'" .
nalisierung des Vorworts, Vielmehr vel~ei:~ln. ~ l~ ~l ~111e ~enerelle Entfllnktio_
mllngsfunktion nicht mehr in erster Liniesl~U1~~udie ~ß dIe p'ar~~~xtllelle RahS~re~hakte?, sondern durch eine iterative Aufpfropfung ~llokut.llona~~ Kraft :on
dIe e111e "flIeßende Randung"21 ins Werk setzt D b . ,s ynal~l1 <vo ,zogen WIrd,
der Reflexion, der Duplikation und der Aufpfi'op~u~lg~~erfen~rendl~ dDdynamik
kursive Bruch zwischen Vor .
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Jener "l~rart zum Bruch"23, welche der D namik d .
nen und der "preface incessante"24 im B y
el Aufpfrop,fung 1m Allgemei"llnüberwindbare Abgrund"25 z ' h ~sonderen ~ugrunde hegt. Der scheinbar
durch das digressive WachstumW~sc ~~ 1O1~wor~ un Werk wir~ freilich nicht nur
gleich auch eine Art diskursiver
T:~sc~~:~~;!s~~t~~~~eCmheeln·tt;
vdlel~~hr fidndet zu,
e er vorre e "wan-
9 Erb: Schreib-Arbeit, S, 96.
10 Neumann: "Der Anfang vom Ende", S. 488,
11 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 461.
12 Vgl. Campe: "Die Schreibszene. Schreiben", S. 764.
13 Rehm: "Jean Pauls vergnügtes Notenleben", S. 251.
14 Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede S 17
15 Ebd., S. 158.
,. .
16 Ebd,
17 Ebd.
18 Genette: Paratexte, S. 279.
19 Ebd.
20 Ebd.
21 Derrida: Prejuges, S, 77.
22 Novalis: Schriften, Bd. 2, S, 213.
23 Denida: ,:Signatur Ereignis Kontext", S. 27.
24 Vgl. Dernda: "Hors livre. Prefaces", S. 57.
25 Ansorge: Art und Funktion der Vorrede im Roman, S, 17.
8.1
I
I
.j
I
I
I
i
DIE FUNKTION DES VORWORTS IN DEN WERKEN ]EAN PAULS
333
dem ins Werk"26, umgekehrt werden in die Vorrede epische Elemente "eingefUhrt",27 Dieses Einführen verbindet die ökonomische Dynamik des Imports mit
der aufpfropfenden Dynamik der "Insertion". Die "Insertion" bezeichnet ein olmlierendes Aufpfropfungsverfahren, bei dem der Reiser unter die Rinde des Stammes geschoben wird28 , das heißt die "Insertion" ist das Modell einer aufpfropfenden Modulation des Rahmens. 29
Mit der Aufllebung der Grenzen zwischen Werk und Vorrede wird die Frage aufgeworfen, inwiefern sich überhaupt noch klären läßt, "ob das Vorwort für den
Haupttext, oder der Haupttext für das Vorwort geschrieben wurde"30: eine Frage,
die angesichts der "Vorrede zum zweiten, dritten und vierten Bändchen" des Sie. benkäs virulent wird, wenn der Vorredenverfasser feststellt: "Es hat mich oft verdrUßlich gemacht, daß ich jeder Vorrede, die ich schreibe, ein Buch anhängen muß
als Allonge eines Wechselbriefes, als Beilage sub litt, A-Z. "31
Mit diesem Assertiv wird nicht nur die Vorrede explizit ins Zentrum des Interesses gerückt, sondern sie impliziert auch das Konzept einer Vorrede, die "größer als
das Buch ist"32; Das Buch ist nur noch ein Anhang, ein Supplement der Vorrede,
Dadurch gewinnt die Vorrede eine neue Qualität: Sie ist als "integrierte Vorrede"33
ein Teil des Werk-Ganzen und kann gleichzeitig den Status einer "selbständigen Vorrede" reldamieren, die sich selbst genug ist. Selbständigkeit bedeutet mtn nicht mehr,
daß sich das Vorwort außerhalb des Werks befindet, sondern daß es als Vorwort-inBewegung der Selbstdarstellung eines Konzepts dient, dem zufolge das Werk nicht
als fertiges Produkt, sondern als Entstehungsprozeß - als Prozeß der partage, der Reflexion der partage und der Überwindung der partage durch die greffe - in Szene gesetzt wird. 34 So besehen werden die Vorreden Jean Pauls zu Spuren einer Universalpoesie, die nicht nur "alle Teile ähnlich organisiert"35, sondern parergonal "von innen
heraus" und "von außen hinein"36 wirkt. Dies zeigt sich sowohl an den Vorreden zum
Siebenkäs als auch an den Vorreden zur zweiten Auflage des Hesperus.
EhrenzelIer: Studien zur Romanvorrede, S, 158,
Ebd.
VgJ. Allen: Pfropfen und Beschneiden, S. 72 f.
So rekurriert Derrida auf das Modell der Insertion, um zu erldären, wie das Konzept der Theatralität in den Rahmen des Buchs hineinkopiert wird: "Insertion schreiben, ein Wort, das hier mit all
seiner Energie und gemäß all seinen Möglichkeiten (,Hineinsetzen, Einen Pfropfreis unter die
Rinde einführen (inserer) [".n operiert, um den Einbruch des Theaters ins Buch, der Verräumlichung in die Innerlichkeit zu markieren [".]" (Derrida: Dissemination, S. 263).
30 De Man: "Allegory Qulie)", S. 205.
31 Jean Paul: Siebenkäs, S. 145.
32 Denida: "Hors livre. Prefaces", S. 73.
33 Weber: Die poetologische Selbstreflexion im deutschen Roman des 18, Jahrhunderts, S. 20,
34 VgI. Pankow: Brieflichkeit, S. 127, der mit Blick auf die Vorworte des Hesperus feststellt, deren
Bedeutung erschließe sich erst dann, wenn man in Rechnung ziehe, "daß sie vom Autor als integraler Teil des Romans konzipiert waren" (ebd.). Dabei "verdoppelt und reflektiert" die Transformation der Vorrede in einen Teil des Romans "die Transformation des Buches in einen Brief und
vice versa" (ebd.),
35 Schlegel: "Fragmente" [116], S. 182,
36 Ebd,
26
27
28
29
334
8. JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
8.2 Die Vorrede zum Siebenkäs
Die auf 1795 datierte und von ,jean Paul Friedr. Richter'37 unterschriebene Vi .
rede zum 5iebenkäs erfüllt auf eigentümliche Weise sowohl die Forderung Les . 01.
d"
Slngs,
eIne Vorre e solle "mchts enthalten, als dIe Geschichte des Buchs"38, als auch d'
Ford~rung ~chlegels, eine "g~lte Vorrede" habe "Wurzel" und "Quadrat" zugleic~e
39
zu sem. DIe Vorrede zum 5tebenkäs enthält nämlich nicht nur die Geschichte d 1
Buchs, dem sie vorangestellt ist, sie berichtet auch von ihrer eigenen Entsteh e~
ul
geschicht~. Dabei erweist sic~ die autoreflexive "Selbstbespiegelung"40 des ~~:._
wortakts, 1m Rahmen derer dIe Entstehungsgeschichte der Vorrede erzählt w'-d
11 ,
zugleich als autopoetischer Akt.
Das Modell dieser Interferenz autoreflexiver und autopoetischer Akte ist der D
d
on
.
. d
Qutxote,
In essen Vorre e der Erzähler-Herausgeber schreibt: ,,[...] ob mich des
B.uches Ausarbeitung wohl einige Mühe kostete, ich doch die für die größeste halte
dIese Vorrede zu machen, die du jetzt liesest".41 Die Rettung naht in Gestalt eine~
verständigen Freundes, "der ins Zimmer tritt und, [...] als er mich so nachdenkend
sah, :nich um die Ursache fragte, und ohne sie ihm zu verhehlen, sagte ich ihm,
daß Ich auf den Prolog sönne, den ich zur Geschichte des Don Quixote zu schreiben habe".42
Der Dialog, der sich im folgenden zwischen dem Erzähler-Herausgeber und seinem Freund über die Konventionen und Verfahren des Vel-fassens von Vorreden
entspinnt, wird vom Erzähler-Herausgeber nachträglich aufgeschrieben und zum
Prolog erldärt. Dergestalt werden die autoreflexiven Sprechakte des Vorredenvel'fassers, mit denen er über die Schwierigkeiten ldagt, eine Vorrede zu schreiben, zu
autopoetischen Akten, durch die eine Vorrede erzeugt wird. Einer ähnlichen Strategie folgt der Vorredenverfasser des 5iebenkäs mit seiner "Vorrede, womit ich den
Kaufuerrn Jakob Oehrmann einschläfern mußte, weil ich seiner Tochter die Hundposttage und gegenwärtige Blumenstücke etc. etc. erzählen wollte" (5, S. 15).
Die Vorrede zum 5iebenkäs zeichnet sich durch ihre merkwürdige Vermitt43
lungsfunktion aus ; Sie vermittelt zwischen zwei Werken, dem bereits veröffent37 Die Signatur ist im Original ebenfalls kursiviert, was darauf schließen läßt, daß sie als handschriftliche Signatur in Erscheinung treten will. Couturier zufolge wurden ,,!talics [".] abundantly
used, both to distinguish proper names from common nouns and to simulate handwriting" (vgl.
Couturier: Textual Communication, S. 54).
38 Lessing: Fabeln, in: ders.: werke, Bd. 5, S. 354.
39 Vgl. Schlegel: "Kritische Fragmente" [8], S. 148.
40 Vgl. Genette: Paratexte, S. 279 f.
41 Cervantes: Don Quixote, S. 8.
42 Ebd.
43 Steppacher: "Rednerpein und Mordgelüst", S. 169. Dabei folgt Steppacller bemerkenswerterweise
weitgehend Ehrenzellers Auffassung von der sachlichen Funktion der Vorrede, wenn sie schreibt:
"Die Vermittlung von Information (zu Werk, Leserschaft, Wirkung etc) war eins I' Funktion der
Vorrede. Dem steht die Gestaltung von Sinn in der Vorrede des Siebenkäs gegenüber" (S. 160).
Analog dazu vertritt Dangel-Pelloquin die Ansicht, die Vorrede des Siebenkäs sei "eine andere Textsorte als die des Hesperus", da sie keine "poetologische Reflexion", sondern ein "Miniroman" ist
8.2 DIE VORREDE ZUM SIEBENRÄS
335
. 1 Roman Hesperus und dem nachfolgenden Roman 5iebenkäs: Da beide Ro\loten. Rahmen der Vorrede vom Vorre d envenasser
C
"
dl'lCh nach erza"hl t wermun
man e 1m
.
.,
hl al
/
erweist sich die Vorrede als dIskurSIver ZWIschenraum, der sowo
s ergonates
de 1
: , I1dsland _ als Niemandsland zwischen zwei Werken - und als Zone perforNle11la '
. Vorrede hat aber auch noch
. , Überblendungen gedeutet werden kann. DIe
matlVel
.
.h
d
.
.
. . I' anderen Hinsicht eine Vermittlungsfunknon: In 1 r wer en zweI rezepnve
In e111e
1
d ,VI ,I
'
Einstellungen gegenüber dem vorangegangenen und dem nachfo gen en :vel <: VOlJakob
gesteIlt .· die eine wird durch den ignoranten Vater
.
" Oehrmann, dIe andere
.
h
seine
interessierte
Tochter
Johanna
Paulme
verkorpert.
dUIC
' er am" h eI.
t, lwie
Die Vorrede beginnt damit, daß der Vorredenverfasser erza." h
l' en Weihnachtsabend 1794 [...] aus der Verlaghandlung belder Werk~ und aus
~g -1'n in der Stadt Scheerau ankam" (5, S. 15). Beide Werke befinden Sich zu der
Z~~tl,zwischen den Jahren', über welche die Vorrede berichtet, in medialen Modul . nsprozessen. Das Manuskript des Hesperus wurde vom Vorredenverfasser "nach
;~~in begleitet" (5, S. 23) und befindet sich d?rt im Druck. 44 ~as .Manuskript des
Siebenkäs ist offensichtlich noch gar nicht ferttg, es befindet SIch tm Entstehen. So
wird im Rahmen der Vorrede explizit fest~estellt, daß am letzt~n Abend des Jahres
1794 einige Teile des 5iebenkäs, nämlich d.le Bl~menstücke, ~lt denen d~; ~oman
in seiner ersten Fassung einsetzt, "noch mcht emmal zu PapIer gebracht smd (5,
5.29).
'b k'"
.
Die Tatsache, daß sich sowohl der Hesperus als auch der 5te en äs m emem 1~determinierten Zustand befinden, wird in der Vorrede dadurc~ gespiegelt, da~ s~e
sich als Zone performativer Überblendungen zwischen mündlt~hen u.~d schnftllehen Verkörperungsformen erweist. Obwohl die Vorrede zum 5tebenkas dem Leser
als geschriebene und gedruckte vorliegt,. wird sie im ,sze~isch~n Rahm~n ~er ,:"orrede als noch nicht geschriebene, mündltche ,Vorrede p.ras~ntlert .. DabeI ~elgt SIch,
daß die autopoetische Dynamik des Vorwortakts konsntunv an eme ~edlale Konkurrenzsituation gekoppelt ist: 45 Der Vorredenverfasser erzeugt sel~e Vorrede,
indem er die Gründe erzählt, warum er "damals keinen Gedanken an eme Vorrede
hatte" (5, S. 15). Diese Gründe betreffen die medialen und performativen Rahmenbedingungen der Vorrede selbst, denn die "mündlichen Vorreden" (5, S. 15)
von Oehrmanns Tochter nehmen dem Vorredenverfasser Jean Paul zunächst den
diskursiven Raum, in dem er seine Vorrede ins Werk setzen kann. Dies hat insofern mediale Implikationen als Mündlichkeit mit dem Auftreten von Oehrmanns
Tochter zum beherrschenden medialen Rahmungsprinzip der Vorrede wird.
(Dangel-Pelloquin: Eigensinnige Geschöpfe, S. 175). Im G~gensatz zu St~ppacher gehl' ~angel-~el
loquin davon aus, daß auch die Vorrede zum Siebenkäs "Ihrer konventionellen Funktion als B1l1degIied zwischen werkexternem und -internem Bereich gerecht [wird]" (ebd.).
.
44 Vgl. Neumann: "Der Anfang vom Ende", S. 483. Allerdings muß der Lesart Neumanns wld~r
sprachen werden, Jean Paul trage "seine beiden eben geschriebenen Romane Hesperu: und Sze~
benkäs ein Druck-Werk und ein Schreib-Werk, unrer dem Arm [...]" (ebd.), da an kemer SteIle
davon 'die Rede ist, daß er ein gedrucktes Exemplar des Hesperus mit nach Scheerau bringt.
45 Dangel-Pelloquin: Eigensinnige Geschöpfe, S. 177.
336
8. JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
Da ihr der Vater keine Zeit zum Lesen läßt, sieht sich ]ean Paul veranlaßt, der
Tochter "alles zu erzählen, was ich der Welt erzähle durch den Preßbengel" (8
S. 19). Das heißt, die ganze Vorwort-Szene steht im Zeichen einer medialen Mo~
dulation, im Zuge derer ]ean Paul das von ihm Geschriebene mündlich nacher_
zählt. Mehr noch: In der "wachen Tochter" des schläfrigen Kaufmanns trifft ]ean
Paul seine "Namenbase]ohanne Pauline" (5, S. 19). Diese Namenbase stellt ein geschlechtlich moduliertes dedoublement des Pseudonyms ,]ean Paul' dar und steht_
hier zeigt sich der Einfluß des Don Quixote - in einer dialogischen Relation zum
Vorredenverfasser. Im Rahmen dieser dialogischen Relation verkörpert ]ean Paul
die Funktion Autor, ]ohanna Pauline die Funktion Leserin. Dergestalt wird die Begegnung "zwischen Mann und Frau im Zeichen des Lesens"46 zugleich ZUm Ausgangspunkt einer Allegorie des Lesens, die verschiedene Aspekte literarischer
Kommunikation vor Augen führt.
Eine besondere Funktion kommt hierbei der in vielerlei Hinsicht als "poetologische Schlüsselszene" zu deutenden 47 Passage zu, in der ]ohanna Pauline den Erzähler auffordert, ihr den Hesperus zu erzählen: "Die gute Pauline, die heute so gern
die Historie hören wollte, die ich in Handschrift nach Berlin begleitet hatte, legte
mir langsam folgende Buchstaben aus dem Hemde-Schriftkasten einzeln in der
Hand herum: erzahlen, d. h. ich sollte dieser guten Hemd-Setzerin die Hundposttage heute erzdhlen" (5, S. 23).
Diese "Szeneeines Zeichentauschs"48 ist nicht nur in narratologischer, SOndern
auch in mediologischer Hinsicht bemerkenswert. Die typographisch hervorgehobene Letternfolge ,erzahlen' wird vom Erzähler als Direktive zum Erzählen, genauer
gesagt, zum Nacherzählen aufgefaßt. Zugleich kommt in dem "Lapsus des um zwei
Pünktchen verkürzten Schriftzeichens"49 der Grundkonflikt des gesamten Romans
zur Sprache, nämlich der von "Schrift und Geld".5o Doch auch mit Blick auf den
in der Vorrede in Szene gesetzten medialen Rahmenwechsel erweist sich diese Passage als Kulminationspunkt.
Während Dangel-Pelloquin das "unbeholfen hingesetzte[...] ,erzahlen"'51 als
Beleg dafür wertet, daß die Vorrede zum 5iebenkds weibliche Mündlichkeit gegen
männliche Schriftlichkeit ausspielt 52 , erweist sich die Stelle bei genauem Hinsehen
als latente Permutation der Ausgangsprämissen: ]ohanna Pauline, die im Vorzimmer des väterlichen Schreib-Komptoirs als mündliche Vorrednerin für schriftliche
Weihnachtsalmanache auftritt, verstummt zwar, sobald sie sich mit ]ean Paul im
Schreib-Komptoir des Vaters befindet, kommt dafür jedoch mit Hilfe ihres "Let46 Ebd., S. 176.
47 Vgl. u. a. Prass: Falschnamenmünzer, S. 64; Steppacher: "Rednerpein und Mordgelüst", S. 162;
Dangel-Pelloquin: Eigensinnige Geschöpfe, S. 177.
48 Prass: Falschnamenmünzer, S. 64.
49 Vgl. Dangel-Pelloquin: Eigensinnige Geschöpfe, S. 176
50 Prass: Falschnamenmünzer, S. 64 ff.
51 Dangel-Pelloquin: Eigensinnige Geschöpfe, S. 177.
52 Vgl. Dangel-Pelloquin: ,,,Ein vornehmer HelT schreibt mich auf", S. 89: "Die Begründung fUr das
Ausbleiben der männlichen Vorrede ist die weibliche, beide scheinen sich gegenseitig auszUschließen" .
8.2 DIE VORREDE ZUM SIEBENKÄS
337
r'~'er
1'11kästchens" (5, S. 21) schriftlich zu Wort. Genaugenommen ist ]ohanna Paue sogar die einzige, die sich im Rahmen der Vorrede schriftlich äußert und mit
Äußerung den Akt der Narration in Gang bringt. ]ohanna Pauline fordert
~en Vorredenverfasser mit ihrer schriftlichen Einwortdirektive dazu auf, einen bereits geschriebenen Roman, de~' sich ,im Dr~ck' befi?det, mündlich nachzuer"hlen. Dieser Aspekt der medIalen ModulatIOn betnfft aber auch das Vorwort
::lbst: Dieses ist - darin der Vorredenfiktion des Don Quixote folgend - ein
lachträglich verschriftlichter mündlicher Diskurs. Das heißt, das Vorwort verdankt
~ich einem medial modulierten Al<t des Selbstzitats.
Ostentativ wird auf die Kopplung von medialer Modulation und Selbstzitat am
. Ende der Vorrede zum ersten Bändchen verwiesen, wenn der Vorredenverfasser mit
der mündlichen Erzählung der Blumenstücke des 5iebenkds beginnen will, die er
zu diesem Zeitpunkt "noch nicht einmal zu Papier gebracht" hat, die er aber, so
sein an ]ohanna Pauline adressiertes Versprechen, im Zuge seiner Vor-Erzählung
leicht heute zu Ende führ[t]" (5, S. 29). Die mündliche Vor-Erzählung hat somit
den Charakter einer nachträglich verschriftlichten narration to the moment, wobei
umgekehrt der Alu der mündlichen Narration durch die schriftlichen verba dicendi
Ich fing also folgendergestalt an" (5, S. 29) initialisiert wird. Dieser Ankündigung
~ines wörtlichen Zitats mündlicher Erzählerrede folgt jedoch sogleich eine dementierende und kommentierende ,Nachschrift':
N.S. Es wäre jedoch lächerlich, wenn ich die ganzen Blumen- und Dornenstücke, da sie
schon sogleich im Buche selber auftreten, wieder in die Vorrede wollte hereindrucken lassen. Aber zu Ende dieses Buchs will ich das Ende der Vorrede und dieses h1. Abends beifügen und mich dann an das zweite Bändchen machen, damit es zu Ostern zu haben ist.
Hof, den 7. Nov. 1795.
Jean Paul Friedr. Richter (S, S. 29)
Im Anschluß an diese Nachschrift lassen sich vier Feststellungen treffen: Erstens ist
die Nachschrift der Selbstkommentar eines auktorialen Erzählers, der als Selbstherausgeber auf eine ,monumentale Leerstelle' im Vorwort hinweist, die er durch
eihen editorialen Eingriff selbst verursacht hat. Da diese monumentale Leerstelle
durch das direkt anschließende "Buche selber" geschlossen wird, übernimmt die
Nachschrift als autoreflexiver editorialer Index eine Brückenfunktion: Zum einen
vermittelt die Nachschrift in spezifischer Weise zwischen dem Vorwort und dem
Haupttext; zum anderen verweist sie in Form einer negativen Geste auf die dedoublierende Dynamik der greffe citationelle.
Zweitens wird deutlich, daß die iterative Dynamik der Aufpfropfung an die replizierende Dynamik der medialen Modulation gekoppelt ist: Die mündliche
Nacherzählung von bereits Geschriebenem - ebenso wie die instantane mündliche
ErZählung von noch nicht Geschriebenem, das nachträglich verschriftlicht wird _
sind zitathafte Aufpfropfungen, die im Rahmen von medialen Modulationen stattfinden. Das erste Bändchen des 5iebenkds, das ]ean Paul mündlich erzählt, wird in
338
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
8.3 DAS VORWORT ALS ZONE DER REFLEXION MEDIALER ÜBERBLENDUNGEN
den Rahmen einer ebenfalls mündlich erzählenden Vorrede eingefül '
.
d'
.
.
llttlert un lllsenert. SImultan mit dem zitathaften Rahmenwechsel wird ein
ler Rahmenwechsel vollzogen. Dadurch erweist sich die Vorrede mit BI' j
Vi j"
b d'
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er wrperungs e lllgungen a s Zone perfonnativer Überblendungen und
'
ler Modulationen.
medIa,
339
Ich griffs von neuem an und begann seufzend dergestalt: "Hr. Gerichtprinzipal, berlinische Lettern dieser Art wird meine Wenigkeit nun auch durch ihr neuestes Werk in
Bewegung setzen, und auf solche feine Hemden, wenn sie der Holländer als Posthadern
unter sich gehabt, werden meine Posttage gesetzt wie jetzo die Namen von Ihren drei
}Im. Söhnen. [.. ,J" (5, S. 24).
Drittens inszeniert die Nachschrift hinsichtlich der medialen VieI'j ", .
·
.
'.
WlpeIllngsb
d 1l1gungen
e111en performatlVen WIderspruch: Obwohl 'ean Paul Frz' d R' h eDer assoziative Sprung von den Lettern aus dem "Hemde-Schriftkasten" ]ohanna
.
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Nll'fi b
VI
e r. zc te '
In se1l1er ac lSC 11'1 t ehauptet, er verzichte darauf seine mündliclle E. "hl r.
Paulines zu den Lettern der Berliner Druckerei erfolgt vor dem Hintergrund einer
. d' Vi .. d [ h .
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IZa tl11
,,111 Ie Olle e ...] ere1l1drucken [zu] lassen , tut er genau das: DUI' 1 d'
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, Bewegung versetzten Schrift: Bewegliche Lettern sind die medientechnische
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Cl Ieall
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ge mn Igte ortsetzung er Vorrede am Ende des ersten Bandes wiI'd d' Vi < i
- Pbinte der Gutenbergschen Drucldmnst und die Voraussetzung dafür, daß dieses
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Ie OlTed
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zum szenlSC len Rallmen des ersten Bändchens. Das heißt, die Vorrede i t . . e
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_Reproduktionsverfahren ökonomisch erfolgreich wur~e.56 So ~etI'a~~t~t, verwei"
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s In eIne . --~
sehr offensIchtlIchen SInne "größer als das Buch".53 Dabei wird nie! t
h. dIll. ~-- .- - --sen die in Bewegung versetzten Lettern als "typographlsches DISpOSItIV 57 auf das
Vi
. d K
1 me 1 as
orwort In as onzept des Gesamttextes integriert, sondern umgekehrt: D' Vi .
ökonomische Dispositiv des Buchdrucks und des Buchmarkts. Doch auch die beweglichen Lettern, mit denen ]ohanna Pauline ihre Direktive an ]ean Paul schreibt,
red~ des 5!~benkäs bildet de? Rahmen, in den das .erste Bändchen des 5ieben~äsf~~
tegllert wud. Das Vorwort 1st das Konzept und dIe performative Selbstdarstell
- - .1
warten mit einer impliziten medialen Pointe auf: ]ohanna Pauline ,schreibt' zwar
des Konzepts.
llllg
. '.
. mit Lettern, die in funktionaler Analogie zu den beweglichen Lettern des Buch-
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Viertens läßt sich im Siebenkäs neben der performativen Rahlnung d 1 . .
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urc 1 e1l1en
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typograp h Isch hervorgehobenen Paratext beobachten, daß Druckschrift als
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gonales Rahmungsprinzip thematisiert wird. 54 Damit rücken die perfo1'1naPt~IeIRamen
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bed'lllgungen me d'la1er Modulationen in den Fokus des Interesses. lVeu
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8.3 Das Vorwort als Zone der Reflexion
medialer Überblendungen
00
drucks stehen, doch sie bewegt diese Lettern mit der Hand und in die Hand: Ihre
Botschaft erweist sich mithin als performative Überblendung der Verkörperungsbedingungen von Handschrift und Druckschrift. Das bedeutet aber auch: Die
Geste der Skription, die ]ohanna Pauline vollzieht, indem sie ]ean Paul die beweglichen Lettern in die Hand legt, reflektiert eben jenes indeterminierte mediale
Übergangsstadium, in dem sich de~ Hesperus gerade befindet: ein Zustand des
Übergangs, nämlich der medialen Uberblendung von Handschrift und Druckschrift. 58
mann behauptet, erscheint mir zweifelhaft (Neumann: "Der Anfang vom Ende", S. 483). Gegen
diese These spricht, daß Jean Paul gegen Ende der Vorrede "meinen Herrn Verleger in Berlin" erwähnt (5, S. 136).
56
Vgl. Hanebutt-Benz: "Gurenbergs Erfindungen. Die technischen Aspekte des Druckens mit vielI n d er Viorre d e zum ersten B än d ch en de S' b k" . d
. d H d' A
"
l'
.
" s ze en ~s WIr unter er an erne nafachen Lettern auf der Buchdruckerpresse , S. 159 ff,
ogle zWIschen dem Letternkastchen und dem 1m Druck befindlichen Roman
57 Wehde: Typographische Kultur, S. 14.
Hesperus hergestellt. Vorbereitet wird diese Analogie dadurch daß der Vorred 1~ ......•
Mit dem Hinweis auf das ökonomische Dispositiv des Buchmarkts wird noch einmal die Frage nach
verfasser das Einnähen der Namen von Paulin B "'d . . d '. H
d
1 AleI~~~_~~~. --~~_ ..". der Bedeutung der Direktive erzahlen, aber auch nach dem vermeintlichen "Lapsus des um zwei
p'ünICl'Chen veHürzten
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(D ange I-PeII oqum:
' E'zgensmmge
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des Abdruckens" (5 S 22)
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1'1 tzelc lens aurgeWOl'len
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h ''''b U
. Ib , .
un SIe se st a s" em -Setzenn (5, S. 23) beS. 176). Handelt es sich dabei tatsächlich um einen ,Lapsus', also um einen Schreibfehler Paulisc leI t." nmltte ar nachdem der Vorredenverfasser ]ohanna Paulines Direktive
nes? Haben sich in dem Letternkasten überhaupt jemals Schriftzeichen mit ,Pünktchen' befunzum Erzahlen erhalten hat, wendet er sich an ihren Vater, den er hier als potendden? Beide Fragen sind meines Erachrens zu verneinen, Wenn Pauline in die Hemden ihrer Brüder
ellen Subskribenten, ja, womöglich als künftigen Verleger anspricht55:
"die ganzen Namen" (5, S. 22) abdruckt, dann liefert ihr der Nachn~me ,Oehr~ann' das Modell
dafür, wie man auch ohne Schriftzeichen mit ,Pünktchen' Umlaute bJldet, nämhch dmch das Anfügen des Buchstaben ,e', So betrachtet sind nicht nur Schriftzeichen mit ,Pünktchen' überflüssig
53 Derdda: "Hors livre. Prefaces", S. 73.
- auch die Annahme, Johanna Pauline sei nicht in der Lage, einen Umlaut zu bilden, ist angesichts
54 VgI. ~utt-~ofoth: "Te~t l,esen - :rext sehen: Edition und Typographie", S. 4 f.
des umlautenden Familiennamens unplausibel. Plausibler scheint es, die Letternfolge erzahlen als
55 Un~da1 bleibt, .ob es bel semen belden Besuchen tatsächlich nur darum geht, Oehrmann zum Kauf
Symptom
eines Mangels zu deuten: eines Mangels an Lettern des Typs ,e' im Repertoire des LetbeZiehungsweise zur Subskription eines Exemplar des Hesperus und des 5iebenkäs zu ermuntern,
te1'11kastens.
Das würde bedeuten, daß die Analogiebeziehung zwischen Schrift und Geld bezieoder ~b Oel:,rman?.i n größerem Maßstab als Geldgeber am Akt der Publikation des Hesperus und
hungsweise
zwischen
Narration und Ökonomie (Pross: Falschnamenmünzer, S. 65) ausgerechnet
des 5tebenkas be1'e1hgt werden 8011- immerhin ist Oehrmann offensichtlich Verleger von Weihdurch
eine
Ökonomie
des Mangels an Lettern konstituiert wird. Die Erzählung speist sich sozunachtsalmanachen, Ob Oehrmann deshalb aber auch der (fiktive) Verleger Jean Pauls ist, wie Neusagen aus einem Mangel an Buchstaben.
340
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
8.3 DAS VORWORT ALS ZONE DER REFLEXION MEDIALER ÜBERBLENDUNGEN
8,3.1 Namentausch und Doppelgängermotiv im 5iebenkäs
Iterabilität zurückverweisen, sei es als Regel der Signifikation, sei es als Regel der
Mit dem Letternkästchen kommt das Motiv des Tauschs, des Namentaus h
..
' Spte,
. 1 Wienn stc
' h PauI'111e daran macht, in die Hemdc sund
d es D oppe1gangers
111S
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Bru.. d er" d'te ganzen N amen abzu d rucken" (5, S. 22), so tut sie dies, Um dieen
B tlrer
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Iegen un d zu verh'111d ern d aß dte
' Hemden der Brüdet' , eSttz_
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werd en. Sprachphtlosophtsch betrachtet, etabliert der eingenähte Name ein ' d'
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Eigennamen, einem Hemd nde tn
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rager es em es, er zug etc der Träger des Eigennamens ist Das Mol" dem
' a ber auch der Ausgangspunkt der Romanintrige:
' Die BlV es
Namentauschs tst
freunde Leibgeber und Siebenkäs, die sich von Natur aus zum Verwechselnl~~len~
· h seh,en, verI'teren unter anderem durch den "Tausch-Handel" (5, S, 77)60a ln·'
1.tc
thren Eigennamen die Möglichkeit, ihre Identität zu beweisen, Dies hat hand cmIt
"I
'1· T7
C
leste
o mnomtsc le l,,"onsequenzen lür Siebenkäs, vormalig Leibgeber denn der b ..
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A
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I'
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gensc e nwa t etm tcher verweigert ihm die Auszahlung seines Erbes.
Zugleich kommt mit Leibgeber und Siebenkäs das Motiv der Doppelgäl . '
, S' 1 D' b 'd
d
1getet
111S p'te: te :} en Fr~un e werden als Spiegelbilder "einer in zwei Körper eingepfa~rten Seele ~eschneben (5, S, 39).6t Dem Doppelgängermotiv kommt aber
auch m narratologtscher Hinsicht eine besondere Bedeutung zu. 62 Narratolo ' I
. I"
d'
gtsCl
b -h
ettac tet, imp tztert te Darstellung von Doppelung und Spaltung eine "Poetik
d~r verdoppelten Erzählinsta~zen"63, die in einem Verhältnis wechselseitiger iromsche~ Brechun~en ste,hen, Die Darstellung des dedoublement der Erzählinstanzen
re~ektlert zum e111en dte Rah~enbedingungen der replikativen Verkörperung von
Ze~chen. Zum an?er~n setzt ste ?en Proz,eß der partage in Szene, der die Spaltung
zwtsc~en dem ,wtrldtchen Schnftsteller und dem ,fiktiven Sprecher' vollzieht.
~ler~111?s blei.bt eS,nicht bei ~iner einmaligen Spaltung, sondern die partage pflanzt
steh .tm 111tradtegettschen Umversum fort und führt sowohl mit Blick auf die Aussage111stanzen als auch mit Blick auf die dramatis figurae zu einer duplication in, .
"64 d' l '
teneure
, te a s mtse en ab'Yme den Charakter einer "unendlichen "Verdopplung"65
annehmen kann. Die Vollzugsformen interner Verdopplungen und unendlicher
Verdopplun?en werden im Zwielicht performativer Überblendungen und medialer ModulatIOnen präsentiert, die ihrerseits auf die Wirksamkeit des Gesetzes der
59 Vgl. Kripke: Name und Notwendigkeit, S. 59,
60 Vgl. Prass: Falschnamenmünzer, S, 79.
61 Kurz. darauf heißr es: ,,[...] wie Freundinnen gern einerlei Kleider, so rrugen ihre Seelen ganz den
pOh~.lschen Rock und den Morgenanzug des Lebens, ich meine zwei Körper von einerlei Aufschlagen, Farben, Knopflöchern, Besatz und Zuschnitt: beide hatten denselben Blitz der Augen,
dasselbe erdfarbige Gesicht, dieselbe Länge, Magerheit und alles" (5, S. 40).
62 So stellt Renate Lachmann in Ged~chtnis und Literatur fest: "Die Literatur, die Doppelung und
Spaltung sowohl gestaltet als auch mterpretiert, ist auf eine Weise davon erfaßt, daß ihre Verfahren und Repräsentationsstrukturen im Zwielicht erscheinen" (Lachmann: Gedächtnis und literatur, S, 466),
63 Ebd.
64 Dällenbach: Le recit speculaire, S. 22.
65 Menninghaus: Unendliche Verdopplung, S, 25,
341
.
, ,
Replikation.
,
, . ..
Betrachtet man dte Iterabtlttat als elll parergonales Rahmungspnnztp, das alle
t'otischen Prozesse determiniert, so erscheint das Doppelgängermotiv als ironiselU
"
d
'
che Reflexion der Verkörperungsbedlllgungen
dteses
Gesetzes: Entwe er erscIl~int
~ rabilität als "infinite Wiederholungsgeste"66, das heißt, als Vollzugsform elller
;e1S Unendliche fortmultiplizierten Doppelgängerschaft"67, oder aber Iterabilität
"t: rd als Prozeß der "Spaltung"68 dargestellt: ein Prozeß, der zum einen die These
W n der Unteilbarkeit des Individuums mit einem performativen Dementi beant:ortet69 ; ein Prozeß aber auch, der die mediale Differenz zwischen Original und
Kopie in Frag~ stellt,
, . .
.."
Dies zeigt steh besonders deutltch tm Falle der Doppelgangeret von Letbgeber und
Siebenkäs, die, ohne miteinander verwandt zu sein, als körperliche Kopien gebore~
werden, Durch diese Bestimmung wird Youngs These auf den Kopf gestellt, daß wu'
als Originale geboren werden und als Ko~ien sterben müssen.?o ,Leibg~ber un,d Siebenkäs werden dagegen nicht nur als Kopten geboren, sondern ste foreteren die von
Young beschriebene Tendenz zut' Nachahmung, im Zuge deren die individuierenden
Unterscheidungszeichen der Natur" gestrichen werden.?! Wenn von Siebenkäs be~:ichtet wird, daß er "sein Kennzeichen, das ihn von jenem absondern konnte, geschickt wegradiert und weggeätzt hatte" (5, S. 40), nämlich ein "pyramidalisches
Muttermal neben dem linken Ohr" (5, S, 40)72, dann bedeutet' dies, daß er das Unterscheidungszeichen der Natur, das die körperliche Differenz zwischen ihm und
Leibgeber markiert, durch einen bewußten Akt streicht, Der Wunsch, sich äußerlich
noch ähnlicher zu werden, der zunächst im Entfernen des Muttermals zum Ausdruck
kommt, wird durch den Wunsch potenziert, die Namen zu tauschen:
Halb aus Freundschaft, halb aus Neigung zu tollen Szenen, die ihre Verwechslung im
gemeinen Leben gab, wollten sie ihre algebraische Gleichung nO,ch w~iter forts~tzen.
sie wollten nämlich einerlei Vor- und Zunamen führen, Aber sIe geneten damber 1ll
einen schmeichelnden Hader: jeder wollte der Namenvetter des andern werden, bis sie
den Hader endlich dadurch schlichteten, daß beide die eingetauschten Namen behielten (5, S, 40),73
66 Lachmann: Gedächtnis und Literatur, S, 477,
67 Ebd.
68 Ebd,
69 So deutet Pross die "systematische Verdoppelung der auktorialen Identität" als Zeichen für das
"Unbehagen am ambivalenren Medium Schrift" (Prass: Falschnamenmünzer, S, 50),
70 Young: Gedanken über die Original- werke, S, 40.
71 Ebd,
72 Weiter heißt es an der gleichen Stelle: ,,[...] wie Freundinnen gern einerlei Kleider, so trugen ihre
Seelen ganz den polnischen Rock und den Morgenanzug des Le~ens, i~h meine zwei Körper v~n
einerlei Aufschlägen, Farben, Knopflöchern, Besatz und Zuschllltt: belde hatten denselben Bhtz
der Augen, dasselbe erdfarbige Gesicht, dieselbe Länge, Magerheit und alles" (ebd,),
73 Durzak vertritt dagegen die Auffassung, diese Stelle belege die Gültigkeit des Einheitsbegriffs, "in
dem Siebenkäs und Leibgeber von Jean Paul zusammengedacht werden" (Durzak: "Siebenkäs und
Leibgeber: Die Personenkonstellation als Gestaltungsprinzip in Jean Pauls Roman Siebenkäs",
S, 132),
342
.1
8. JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
Da sie sowohl ihren Nachnamen, den Namen des Vaters, als auch ihren ind' 'd
ellen Taufnamen austauschen, stellen sie ihre "transworld identification"74 I~Dl~.
"
D ab el' blel'b I' zu L
ZUI I IS-'
pOSltlOn,
l1'agen, ob'
dIeser Namentausch tatsächlich als bed'
, , '11 san1"
"
l01h.
ches Fehlverh a1ten gegen d'le Junstlsc
etlOnlerte ,Ordnung der Nam '''75
' d
~
~
we,rten 1st, enn ,genau~,eno~n:en liegt das "bedrohliche Fehlverhalten" nicht bei
LeIbgeber und Slebenkas, dIe SIch der Ordnung der Namen unterwerfel 'd
"h
' beglaubigen lassen, Vielmehr offenbart eb
1, In el11
SIe
1 ren N amentausch
notanell
'
11'lcl1~S
1 Fel
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I ~stanDz em
' bed roll
11~er~alten, dIe als Hüter der Ordnung der Namen
auf.
tritt. er A nwa I' B alse HeImltcher, der zugleich als Vormund des vorm I'
Lel'b ge b'
,
S'le b el:1"
'
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' Anerkennung des ein
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eIS un d'Jetzl~en,
<as Ei-ungl~rt,
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tauschten Namens mit elller Dlllte geschneben, welche von selber wieder d pg
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" (5" S 56) , u~ d
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a·
p,lel
a 1',
as verwa tete
Erbe e
behalten zu
können, Das
eInzIge Wort, das III dem notanellen Anerkennungsschreiben überhaupt
I
' S' b 1'"
noe 1
ste111', 1st" le en <asen~ N~me vO,n Slebe,nkäsens Hand" (5, S, 56), da Siebenkäs
den Akt der Unterschr~ft 111cht mit der TInte des Notars vollzogen hat. Durch das
F~hl~n d~s K~ntextes, III d:em der ~amentausch festgestellt und anerkannt wird,
elwelst SIch dIe Unterschnft von Slebenkäs als funktionslos: Dies verweist n' I
fd' , , ' h
L
lCU
nur au le JUl'lStlSC -perlOrmativen Rahmenbedingungen authentischen Schrei.
ben~ und Un~erschreibens~6,sondern a,uch auf die Relevanz der medial-perfor.
matlven Verkorperungsbedlllgungen: DIe beglaubigende Kraft der authemiscl
Sch 1'1'Ei'
.
'11
d'
1
len
-I' 1St eXlstentle an le materia e Beschaffenheit ihres Verkörperungsllledi_
ums gekoppelt.
Darüber .hinaus zeigt sich, daß die Unterschrift als iterierbare Schrift im Spannungsfeld elller doppelten Indexikalität steht: Die Signatur bezeugt als genuiner
Index, .daß der Ynterschreibende selbst unterschrieben hat. 77 Zugleich referiert der
geschnebene EIgenname als degenerierter Index auf ein selbst unterschreibendes
Individuum. Dies erzeugt eine bestimmte Form poetischer Performanz: Die Geste
der Skription ,macht' im Akt des Unterschreibens das, was sie schreibt: Sie verweist
simultan auf den eigenen Nauten und auf das eigenhändige Schreiben des eigenen
74 Kripke: Name und Notwendigkeit, S. 23.
75 Pr,oss:, Falschnamenmünzer, S, 56, mit Hinweis aufWaltz: Ordnung der Namen, S. 90 ff.
76 DIe stgnature authentique muß im Rahmen einer offiziellen und öffentlichen Institution vor den
Augen eines autorisierten Notars, performativ vollzogen werden (vgl. Diderot/d'Alemb:rt (Hg.):
Encyclopedie, Bd, 15 (1765), S, 187, Artikel "Signature"). Zugleich beglaubigt der authentifizierend~ Notar als Auge~zeuge der Unterschreib-Szene die Eigenhändigkeit der Unterschrift mit seiner eIgenen Unterschnft. Dergestalt gründet Authentizität auf einem doppelten performativen Akt
des Unterschreibens. Essentielle Gelingensbedingung für Authentizität ist dabei aber nicht nur die
~ig~nh~ndigkeit des Unterschreibenden, sondern die Aufrichtigkeit der Person, die im Namen der
InstltutlOnelien Ordnung den Alet der Beglaubigung vollzieht. Im Siebenkäs wird die Idee einer
a~tl~entischen Schrift vom institutionellen Rahmen her in Frage gestellt. Heimlicher beutet die
ell1zlge Möglichkeit der Unaufrichtigkeit aus, die sich ihm als Notar bietet _ durch die Verwendung einer sich selbst löschenden Tinte löscht er nicht nur die Feststellung des zu beglaubigenden
Sachverh~lts, s~ndern auch sieh selbst als institutionelle Instanz der Beglaubigung,
77 Vg,l. D~rnd~: ~tgneponge, S. 46 f.: "[,,.] s'engage 11 allthemiBer (si c'est possible) qu'il est bien celui
qUI ecnt: VOICl mon nom, je me refere 11 moi-meme, tel qu' on me nomme, et je le fais, donc, en
1nan nOlu".
8.3 DAS VORWORT ALS ZONE DER REFLEXION MEDIALER ÜBERBLENDUNGEN
343
Namens. Allerdings ist d~e l!nterschrift nicht nur als genuiner Il:dex einer einmali en Geste der (Sub- )SknptlOI~ zu werten, ~ondern auch als ge,numer In~ex ,d.~r aUg einen Iterabilität der Schnft. Durch dIese doppelte genullle Indexlkahtat der
~l~erschrift erfährt das unterschreibende Subjekt in der "Szene der Schrift"78 eine
:~iotische partage: Ausgerechnet da, wo das Subjekt vermeinte, mit dem eigenf~· digen Schreiben seines eigenen Namens ganz bei sich zu sein, gerät es als unla~~eichnendes Subjekt "in einen Abstand zu sich selbst",79 Dieser Abstand ist der
~:lterschrift durch die Regel der Replikation, das heißt durch die Differenz zwihen Type und Token ,eingeschrieben', und zwar so, daß der zwischen der aUge~l~einen Iterabilität der Schrift und der Singularität des einmal Geschri~benen
changierende semiotische Status der Unterschrift das Problem der Identltät des
Signierenden aufwirf1'.80
8.3.2 Das Problem der doppelten Unterschrift
am paratextuellen Rahmen des Siebenkäs
Das Problem der Identität - und mit ihm das Problem des eigenen Namens und
der Unterschrift - erweist sich als ein "Grundmotiv"81 Jean Paulschen Schreibens.
So stellt sich das Problem der Unterschrift im 5iebenkäs nicht nur am inneren Rand
des intradiegetischen Universums, nämlich im Kontext des Namentauschs von Siebenkäs und Leibgeber, sondern auch am äußeren Rand des Diskurses, sobald nämlich die extradiegetische Instanz Jean Paul Fr. Richter die Szene der Schrift, das
heißt die Szene der Vorschrift, betritt. Mehr noch: das intradiegetische dedoublement von Leibgeber und Siebenl<äs spiegelt als mise en abyme vom inneren Rand
hel' das extradiegetische dedoublement, das Jean Paul Fr. Richter im Rahmen der
Vorrede zum Zweiten, Dritten und Vierten Bändchen" erfährt. Dort tritt Jean
Paul Fr. Richter als Subjekt einer Szene des Unterschreibens auf, die sowohl den
78 Derrida: "Limited Inc abc.. ,", S. 95,
79 Ebd.
80 Verstärkt wird dieses Identitätsproblem, wie Derrida in Die Schrift und die Diffirenz ausführt, vor
dem Hintergrund von Freuds Wunderblockmodell (vgl. Derrida: Die Schrift und die Diffirenz,
S, 344 f., sowie Freud: "Notiz über den ,Wunderblock"', S, 366 f,). Das schreibende Subjekt löst
sich im Rahmen des Wunderblocks auf, weil es nicht mehl' als ursprüngliche Einheit in Erscheinung tritt, sondern als "ein System von Beziehungen zwischen den Schichten" (Derrida: Die Schrift
und die Diffirenz, S. 344 f.). Das Subjekt als ursprüngliche Einheit bleibt dagegen "unauffindbar"
(ebd,) Die These von der Unauffindbarkeit des Subjekts wird im Siebenkäs exemplifiziert: Die Frage
nach der Identität von Siebenkäs muß unbeantwortet bleiben, weil die sich selbst löschende Tinte
eben jenen Kontext löscht, in dem das Subjekt in der Szene der Unterschrift· als mit sich selbst identisches anerkannt wurde. Die Unterschrift von Siebenkäs erweist sich mithin als paradoxale Spur
des Verschwindens: Sie verweist als einzig übriggebliebene Schriftspur auf jenen gelöschten Kontext,
der ihre Originalität und Authentizität beglaubigt hätte. Bemerkenswerterweise gibt es auch für
das Sichtbarmachen der Spur des Verschwitldens im Siebenkäs ein Pendant, nämlich die "mit dem
Iltispinsel auf die Papiertapete" gemalte "unsichtbare WandBbel", die nur bei Wärme sichtbar wird
und den Anwalt als Betrüger decouvrieren soll (S, s, 65).
81 Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, S, 189.
344
8. ]EAN PAUL; DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
Charakter eines "Schreib-Theaters"82 als auch eines "Theater des Selbst" hat83 . J
Paul Fr. Richter schreibt sich als ein Anderer 84 , das heißt als allographe In' ean
. Vorrede.
stanz,
selb st e111e
Dieser Akt des Sich-selbst-Vor-Schreibens als ein Anderer spitzt die in der Vo"
rede zum ersten Bändchen vorgeführte Strategie der Autopoiesis des Paratext t
An die Stelle der dialogischen Relation zwischen dem Vorredenverfasser un~s Zl.l:
· nun e111
. D'IaIog des Vorre denverfassers mit sich selbst. Die Visei_.
ner N amen base trttt
au~.setzung hier~ür ist ei~ dedoub:~ment, das it.n Rallmen der "Vorrede Zllm ZWeit~I~:
Dutten und V~erten Bandchen 'perform~tIv als Akt der Selbstverdopplung und
Selbstspaltung 111 Szene gesetzt wIrd. So teilt der Vorredenverfasser mit: Ich I
.h
'
d
"
aSSe
IeiC
t me111 Wesen 0 er Substratum in zwei Personen zerfallen in den Blulu
' e u ·..
maIer und '
111 den ·
Vorbenchtmacher" (5, S. 146).
Dieses dedoublement in den Verfasser des Haupttextes und den Verfasser des Vi '.
berichts wird durch ein zweites dedoublement potenziert, denn der Verfasser des ~:"
benkäs läßt sich vom "Verfasser des Hesperus" (5, S. 146) eine "sehr lesenswerte"
Vorrede schreiben, die mit einer doppelten Unterschrift schließt:
Schlüßlich munter' ich, obwohl als der unansehnlichste Klubbist und Stimmgeber d
Pl lblikums, den Hrn. Verfasser zu mehren Setzlingen und Infanten dieses Gelichte~S
auf, mit dem Wunsche, daß die Lesewelt mit derselben Nachsicht, wie ich, über da:
Werkchen richte. Hof im Voigtlande, den 5. Jun. 1796.
]ean Paul Fr. Richter
*
Soweit geht die Vorrede meines Freundes. Im Grunde ists freilich lächerlich; aber auch
meine Vorrede muß ordentlich beschlossen werden, und dann kann ich mich leider wieder nicht anders unterschreiben, als mein obiger Robinsonscher Freitag und Namenvetter tat, nämlich: Hof im Voigtlande, den 5. Jun. 1796.
]ean Paul Fr. Richter (S, S. 151)
Hier stellt sich die Frage, welchen diskursiven Sinn diese partage des Vorredenverfassers und seiner Unterschriften hat: eine Frage, die das Problem des Autornamens
berührt.
Wie bereits eingangs erwähnt, grenzt Foucault in "Was ist ein Autor?" die Funk.
tion des Autornamens von der Funktion von anderen Eigennamen ab, indem er
auf die sprachphilosophische Differenzierung zwischen Bezeichnung (designation)
und Beschreibung (description) verweist. Dabei möchte Foucault offensichtlich die
deskriptive Funktion von Namen auf Kosten ihrer designativen Funktion stark machen. Eben hierauf zielt seine Behauptung ab, der Eigenname und mit ihm der Autorname sei "mehr als ein Finger, der auf jemanden zeigt", er sei "in gewisser Weise
82 Neumann: "Der Anfang vom Ende", S. 488.
83 Ebd., S. 493.
84 VgI. Pott: Neue Theorie des Romans, S, 121.
8.3 DAS VORWORT ALS ZONE DER REFLEXJON MEDIALER ÜBERBLENDUNGEN
345
[...J gleichbedeutend mi~ einer B~schreibu~g".85 Die Differe~~ zwische~ Eigenaen und Autornamen wIrd erst mIt der BestImmung der Umstande deutlIch, unter
tu
. geWIsser
.
1.VT·"
.
denen Eigenname und Autoname ,,111
welse gI'
elcI1 b ed euten d'
S111 d mIt
. leI' kennzeichnenden Beschreibung. Bei seiner Behandlung des Problems von
~~tornamen schließt Foucault expliz~t an Searles ~nalyse .des Eigennamen an8~,
die ihrerseits auf Frege zurückgeht. DIe These, d~ß Jeder Eigen~1alne ~owohl ~eslative als auch deskriptive Funktion hat, besagt 111 Freges Term111ologIe, daß Jeder
gn
.
. Bed~u~~ng, son dern auc.h S'111n h at. Unter S'111~
Name
nicht nur e111e
referentIelle
rsteht Frege die "Art des Gegebense111s .87 So nehmen dIe Namen ,Abendstern
ve d Morgenstern' aus verschiedenen Blickwinkeln auf ihr Referenzobjekt, die
~n~s, Bezug. Die Möglichkeit, daß der Sinn bei gleichbleibender Bedeutung difbrieren kann, spielt für Foucaults Auffassung von der Funktion von Autornamen
~ne entscheidende Rolle, denn die Pointe seiner Argumentation besteht darin, daß
~er Autornamen einen anderen Sinn hat als ein gewöhnlicher E~genname.. .
Vor diesem Hintergrund muß nun gefragt werden: Welchen S111n haben dIe belden Unterschriften am Ende der "Vorrede zum Zweiten, Dritten und Vierten Bändchen"? Nicht nur, daß dem Roman Hesperus das von Frege aufgeworfene
Namensproblem gleichsam in den Titel eingeschrieben ist, auch die Unterschrift des
Verfassers des Hesperus verhält sich zu der Unterschrift des Verfassers des Siebenkäs
wie Abendstern zu Morgenstern: Beide Namen haben die gleiche Bedeutung. Sie referieren auf den realen Autor Johannes Paul Friedrich Richter, der jedoch in der Szene
der Schriften ]ean Pauls letziich "unauffindbar" bleibt. 88 Entscheidend ist jedoch,
daß der Autorname ,]ean Paul Fr. Richter' als Unterschrift, die vom Verfasser des Hesperus stammt, einen anderen Sinn hat als der A~torn~me.,]ean Paul FI:. Richter' als
Unterschrift des Verfassers des Siebenkäs. Das heIßt, dIe DIfferenz des SU111S der Unterschrift von ,]ean Paul Fr. Richter' einerseits und ,]ean Paul Fr. Richter' andererseits
resultiert aus den verschiedenen Zuschreibungsbeziehungen, in denen die Namen als
Autornamen stehen. Dergestalt verkörpert das dedoublement der Unterschriften die
Pointe der Funktion Autor, die sich" gerade in der Spaltung (partage) selbst"89 vollzieht: mit der partage wird der Eigennamen des Autors in einen Klassennamen moduliert, unter den "eine gewisse Zahl von Texten"90 zusammengefaßt werden kann.
8.3.3 Das Problem des Autornamens ,]ean Paul'
Ungeklärt bleibt die Frage nach dem ,wahren Namen' des Autors, denn ganz im
Gegensatz zu der von Foucault behaupteten "Unerträglichkeit literarischer Anonymität"91 für das Publikum ,um 1800' scheint für die Autoren ,um 1800' Ano85
86
87
88
89
90
91
Vgl. FOllCault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1012.
Ebd.
Frege: "Übel' Sinn und Bedeutung", S. 41.
Vgl. Derrida: Die Schrift und die Differenz, S. 344 f.
Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1020.
Ebd., S. 1014.
Ebd., S. 1017,
346
8. JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
nymität durchaus noch der Regelfall zu sein. Dies belegt Herders Argumentat'
· An onymle,
. d'le er III
. semen"
.
Bneren
. [' zur Belör
[' d erung d er Humanität"IOn
gegen d le
al
"große Göttin des Marktes" brandmarkt. Während sich Herder als Vertreter d ~
Onymie ausweist, wenn er die Maxime aufstellt: "Wer zum Publikum spricht, spre~
ehe als ein Teil des Publikums, also öffentlich, mit seinem Namen "92, scheint ]ea~
Paul das Rech:.auf teilbweise Anonymität des Autors zu verteidigen, wenn er in der
VOrschule der Asthetik ehauptet, "vollständige Anonymität" bleibe, "solange tnal
1
existiert, wegen der Individuation fast unmöglich". 93
Angesichts der Unmöglichkeit vollständiger Anonymität bleibt nur die Möglichkeit unvollständiger Anonymität, nämlich der Pseudonymität, die es dem Autor
erlaubt, einen "zweiten Autornamen "94 anzunehmen. Auch beim Autornatnell
,Jean Paul' handelt es sich um einen zweiten, angenommenen Autornamen: Del','---- "
zweite Autorname ,]ean Paul' ist eine Modulation der ersten beiden Vornamen von
]ohannes Paul Friedrich Richter und wird zu Beginn des Leben des QuintusFixlein
als "halbe[s] Anonymat" bezeichnet95 : "Hier lässet der Verfasser, aus Achtung für
die Rechte eines Billetts, seine halbe Anonymität fahren und unterschreibt sich ZUlll
ersten Male mit seinem ganzen wahren Namen. Hof im Voigtland, den 29. ]un.
1795. ]ean Paul Friedrich Richter".96
Bemerkenswert ist hierbei zum einen der Umstand, daß die vermeintliche Entdeckung des wahren Namens im Leben des Quintus Fixlein das einzige Mal ist, in
dem der dritte Vorname ,Friedrich' ausgeschrieben wird. Zum anderen bleibt zu
fragen, ob es sich bei dem Namen der Unterschrift ,]ean Paul Friedrich Richter'
tatsächlich um den "ganzen wahren Namen" des realen Autors handelt, da der
Name ,]ean Paul Friedrich Richter' offensichtlich ein Kompositum aus dem Pseudonym ,]ean Pau!' und der zweiten Hälfte des bürgerlichen Eigennamens des realen
Autors ,]ohannes Paul Friedrich Richter' ist. Der Verfasser ergänzt also die halbe
Anonymität des Pseudonyms ]ean Paul durch die halbe Onymität seines bürgerlichen Eigennamens. Das heißt, der ganze wahre Name, mit dem das oben zitierte
Billett unterzeichnet ist, stellt einen Namen im Übergang zwischen Eigennamen
und zweitem Autornamen dar. Eben dadurch wird der ganze wahre Name als Zusammensetzung von zwei halben Namen zum genuinen Index der partage zwischen
dem realen und dem fiktiven Autor.
Nicht der ganze wahre, sondern der halbe falsche Name ,Jean Paul' steht ~..",. __o~·' ·i
äußeren Rand des Textes: Er kommt auf dem Haupttitelblatt und dem Buchdeckel als zweiter Autorname des realen Autors und im Rahmen des Textes, im
intradiegetischen Universum der histoire, als Name einer fiktiven Aussageinstanz
92
93
94
95
Herder: "Briefe zur Beförderung der Humanität", S. 314 fE
]ean Paul: Vorschule der Asthetik, S. 449 ff.
Lejeune: "Der autobiographische Pakt", S. 228.
Dabei verfahrt ]ean Paul ähnlich wie Brentano, der seinen "zweiten Taufnamen" Maria als "klinf-.
tige Signatur", das heißt als prenonymes Pseudonym wählt (vgl. Bellmann: "Kommentar zu
Godwi", S. 627), damit jedoch nicht nur den realen Autor maskiert, sondern eine fiktive Autorinstanz erfindet.
96 ]ean Paul: Leben des Quintus Fixlein, S. 13.
8.3 DAS VORWORT ALS ZONE DER REFLEXION MEDIALER ÜBERBLENDUNGEN
347
.
Spiel .97 Im Raum dazwischen, den Vorreden, unterzeichnet ,,]ean Paul Fr.
Ri hter".
~as Verhältnis zwischen dem Pseudonym ,]ean Paul' und ~er Signatur: ]ean Paul
, Richter'98 läßt sich in Form einer spekulativen Genealogie rekonstrUieren: DaPr. I leitet sich das Pseudonym ,]ean Paul' aus einer doppelten Namensmodulal~acll1 her: Der erste Schritt ist die Transformation des bürgerlichen Eigenamens
nO
I Fne
. dnc
. h R'ICh ter.'
] oIlan nes Paul Friedrich Richter' in den Namen ,]ean Pau
b
.
.
b i wird der erste Vorname ,]ohannes' ins Französische ü ersetzt. In elllem zwela Sechritt werden die ersten beiden Vornamen ,]ean Pau!' von dem restlichen
ten
.
] P I' d
Namen abgetrennt. Hieraus entsteht der kürzere zwelte
A~torname ,ean au '. er
Autor auf dem TltelI geno mmener Name der Kennzeichnung der FunktIOn
asan
.
,..
. .A
blatt dient. Dagegen ist der Name ,]ean Paul Fr. Richter als langerer zweltel utorname zu werten - nicht jedoch als ,wahrer Name' des realen.Autors.
Halten wir fest: Die diskursive Funktion des längeren zweiten Au:orna.J.Uens
als Zone performanver Uber],ean Paul Fr. Richter' besteht darin, im Vorwort
.
ß
.
d ..
blendungen auf den Prozeß der partage als elllem Proze. zu verwelsen, el Im
S allllungsfeld von unendlicher Verdopplung und unendltcher Aufspaltung ~teht.
Eben hierin liegt meines Erachtens der Sinn des dedoublement der ,unterschnften,
das in der "Vorrede zum Zweiten, Dritten und Vierten Bändchen" m Szene gesetzt
wird. Mit der partage der Aussageinstanzen und dem dedoublement d~r Unterhriften kommt das Problem der Identität ins Spiel: Betrachtet man dieses Pro~~em im Kontext der Subjektproblematik im Ausgang von Fichte, ~o b~finde.t si~h
das Ich in der ständigen Gefahr, sich mit jedem Akt des Denk~ns III em s~bJektlv
denkendes und ein objektiv gedachtes aufzuspalten, so daß es "lllS unendltche fort
für jedes Bewusstseyn ein neues Bewusstseyn:: braucht. 9.9 Die ~arau.s resultierend:
Paradoxie, daß zur "Einheit des Bewußtseyns notwendlgerwelse "em zweyfac~es
gehört lOO , wird im Siebenkäs durch die ~weifac~e Unte.rschrift ,]ean Paul Fr. Richter' performativ verkörpert. Hieran schlteßen .sICh zwel Beo~achtUl:.gen an.
Erstens: Da sowohl das Verhältnis von Lelbgeber und Slebenkas als auch das
Verhältnis zwischen den beiden Unterschriften ,]ean Paul Fr. Richter' der Logik d~s
dedoublement gehorchen, läßt sich ein parer?ona~~s mIse en. abym.e feststelle~: Die
im Rahmen des Textes geschilderte körperltche Ahnltchkeltsbezl~hl!-.ng ~wlsc~en
Leibgeber und Siebenkäs wird im Rahmen des Paratextes durch dle Ahnltchkeltsl11S
D
97 Vgl. Pott: Neue Theorie des Romans, S. 121, sowie Weingättner: "... bist daß der TOd :uch sc~eidet':
S. 29, der, durchaus in Übereinstimmung mit der Auffassung von Martlnez-Bonatl schrel.bt, bel
,]ean Paul' handle es sich um eine Autorfig)Jl', "die einen Ich-Etzählet auftreten läßt Ul:d dle.Vorrede mit dem Namen des realen Autors unterschreibt" (ebd.). Der Auffassung, daß es Sich bel den
fraglichen Unterschriften um den Namen des realen Autors handelt, muß freilich widersprochen
werden.
. Z.
98 Sofern die Unterschrift im Text kursiviert wat, wird diese Kursivierung im folgenden UD Itat
übernommen, da sie ,Handschriftlichkeit' signalisiert (vgl. Couturier: Textual Communication,
S.54).
99 Fichte: "Vetsuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre", S. 526.
100 Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 197.
348
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
8.3 DAS VORWORT ALS ZONE DER REFLEXION MEDIALER ÜBERBLENDUNGEN
beziehung zwischen den Zeichenkörpern der beiden Unterschriften ,]ean P
R·IC h
. It.
tel'' gesp1ege
all
1F
t.
Zweitens: ]ean Paul Fr. Richter, der signierende Verfasser des Siebenkäs b . I
.
' . .
, eZle It
Sich auf ]ean P~ul Fr. Richter: den ~lg111erenden Vel:f~sser des Hesperus, indem er
dessen Vorrede Im Rahmen se1l1er eigenen Vorrede ZItiert. Dadurch wird die Vi .
d
·
D ntten
.
re e zum Z Welten,
un d V'lerten Bän d ch en " zur Selbstdarstellung " . 01. dessen Rahmen das gespaltene AutorsubJ'eln cleines
Konzepts von Autorschaft, In
.I
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1I1e}
e1l1en g elc lerma en autoreflexIven und autopoetIschen Akt des Selbstzitats v ._
läufig wieder ,mit sich eins wird'. Das heißt, das Problem des Selbstbewußtseins o~
zweifaches Bewußtsein von sich selbst wird durch das dedoublement der V01Tecl:l~
und der Vorredenverfasser vorgeführt: Der "identitätsphilosophische Rahmen"lol
ird
Zwar zunächst gesprengt, erfährt jedoch durch die doppelte Geste des SelbstzItats und der Selbstherausgabe eine Neurahmung. Das exemplifiziert insbesondere
die Vorrede zur zweiten Auflage des Hesperus.
v:
8.3.4 Die Vorrede als Selbstdarstellung des Konzepts der Vorrede zum Hesperus
In der Vorrede zur zweiten Auflage des Hesperus (1797) präsentiert der Vorreden_
verfasser dem Leser keine fertige Vorrede, sondern das Konzept einer Vorrede, das
von einer Vorrede, die im Entstehen begriffen ist, gerahmt wird: "Noch hab' ich
von dieser Vorrede weiter nichts zustande gebracht als einen leidlichen Entwurf.
den hier der Leser ungeschminkt bekommen soll" (H, S. 480). Diesen "leidliche~
Entwurf' führt der Vorredenverfasser im folgenden als Selbstzitat vor, das durch
seine Selbstkommentare gerahmt wird. Dabei läßt sich beobachten, daß das Prinl02
zip des writing to the moment mit dem Prinzip des editing to the moment kurzgeschlossen wird, wenn es heißt:
Und nun wird es Zeit sein, daß ich dem Leser einen solchen Entwurfwirldich darbiete,
welches diesesmal der Entwurf der gegenwärtigen Vorrede selber ist. Er ist überschrieben:
Architektonik und Bauholz für die Vorrede zur zweiten Auflage des Hesperus (H,
S. 480 f.).
Die Dynamik dieser Vorrede ist einer doppelten performativen Geste geschuldet: Einerseits wird der bereits geschriebene Entwurf]ean Pauls durch einen Akt
des Zitierens angeführt und darbietend vorgeführt, andererseits wird das Dargebotene im Rahmen einer Schreib-Szene kommentiert, die zugleich als EditionsSzene zu deuten ist: Der Vorredenverfasser, der seinen eigenen Entwurf zur
Vorrede kommentiert, verknüpft nicht nur das Prinzip des writing to the moment
mit dem Prinzip des editing to the moment, sondern vollzieht eine ,Selbstallogra101 Menninghaus: Unendliche Verdopplung, S. 89.
102 Vgl. Heilmann: Die Krise der Aufklärung als Krise des Erzählens, S. 176 Ef.
349
· Ing' , I'n deren Verlauf sich der'
Vorredenverfasser
Ilien
. . spaltet und verdoppelt: in
p. 1en vorzeitigen Verfasser und e1l1en gegenwartIgen Kommentator des EnteIl f:s. Dabei ist die zeitliche Distanz zwischen Entwurf und Kommentar zuwur
"Letztes
I . I der Grund für die Selbstentfremdung des" Vorredenverfassers:
g elc 1
h . b
d "
"ersteh' I'ch selber nicht , weil der Entwurf schon Im Winter gesc ne en wur e
(N, S. 481).
"
.
Die Selbstentfremdung des aufgespaltenen Autorsubjekts Wird durch die dopI Geste des Sich-selbst-Zitierens und Sich-selbst-Herausgebens überbrückt.
pe te
.
.
d
I Al
Mithin wird der Al(t der Selbstherausgabe zu e1l1em ~u~sl-tral:szen e~ta en u,
d . die Einheit des Bewußtseins zwar nicht mehr aprzort, aber Immerh1l1 aposter. "103
. er .sichert. Das bedeutet aber nichts an deres, aIs daß d'le"a bso Iute Th'"atIgI(eil'
tort
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eines mit sich selbst identischen Subjekts durch ie e Itona e ätIg (eil' e1l1es 111 SIC
gespaltenen Subjekts abgelöst wird.
' .
.
Indes wird der Alu der Selbstherausgabe 111cht nur zu e1l1em Alu der Konstitution des (gespaltenen) Subjekts, er wird auch zu einem Akt der K.onstitution.der
Vorrede zur zweiten Auflage des Hesperus. Dieser doppelte autopoetische Al(t zelcht sich dadurch aus, daß der Entwurf der Vorrede konstitutive direktive Sprechne enthält, wie die Vorrede geschrieben werden soll: ",Mach e sie
. ab er 1(llrz [...] ,ce
akte
(N, S. 481) heißt es an einer Stelle des Entwurfs un~ an ei~er a?der~n: ,,,Web es
ein'" (H, S. 482). Bemerkenswerterweise werden diese Direktiven Jedoch zum
größten Teil gar nicht ausgeführt, sondern lediglic!l im Rahmen ~er Vorre~e l~om
mentiert. Die ironische Pointe dieser KonfiguratIOn besteht dann, daß sie e1l1en
Widerspruch in Szene setzt, der zugleich als Vollzugsform poetischer Per~ormanz
gewertet werden kann: Obwohl die direktiven ~prechakte ~es Entw~rfs ~1Cht a~s
geführt werden, erzeugt der Kommentar der nicht ausgefuhrten Direktiven e1l1e
Vorrede. Das heißt, der autoreflexive Selbstkommentar des Entwurfs der Vorrede
ist zugleich der autopoetische Alu ihrer Verkörperung.
Im Rahmen seiner Vorrede zur zweiten Auflage des Hesperus geht der Vorredenverfasser auch auf die Besonderheiten ein, die eine Vorrede zur zweiten Auflage
auszeichnen:
,,[...] Man erwartet von einer Vorrede zur zweiten Auflage eine kleine Produktenkarte
oder ein Ernteregister alles des Nachflors, der die zweite über die erste erhebt: gib ihnen
das Register!"
.
Gern! - Erstlich hab' ich verbessert alle Druckfehler - dann alle SchreIbfehler - dann
viele Dissonanzen der Sprache - auch Wort- und Sachschnitzer genug; die Einfälle ~ber
und die poetischen Tulpen hab' ich selten ausgerissen. Ich sah, wenn ichs täte, so blIebe
vom Buche (weil ich die ganze Manier ausstriche) nicht viel mehr in der Welt als der
Einband und das Druckfehler-Verzeichnis (H, S. 483).
Im Anschluß an diese Passage lassen sich vier grundlegende Feststellungen treffen:
Erstens bezieht sich das Vorwort zur zweiten Auflage eines Buchs nicht nur auf den
nachfolgenden Haupttext, wie das Vorwort zur ersten Auflage des Buchs, sondern
103 Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 127.
350
8. JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
es bezieht sich auf die Buchform des Gesamttextes. 104 Zweitens nimmt d' 'r
,
A fl
'
1e V01'l'ecle
zur zweiten u age e111es Buches als Protokoll der Verbesserungen und Ver" .
rUl1gen gegen~"bder d,erdersten Au fl age zugIelc
'h'
e111e digres~ive Neurahmung desande"
Gesamttextes VOl, a sie essen Grenzen nach außen verschiebt 105 Drittens ' ,
"
.
zeigt Sich
an d er zweiten Auflage e111es Buchs explizit, daß Autorschaft als Selbsth '
1::
. V'1ertens d re h l' Sich
' Im
, Vorfeld einer zweiten Aufletausge_
bersc1lall'
zu verste h'en Ist,
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age as
Verhältnis von Handschrift und Typographie um,
Bei der ersten Auflage eines Buchs geht die handschriftliche Manuskriptfass
der gedruckten Buchfassung voran. Dagegen existiert bei der Überarbeitl udng.
,
Au fl age b'"
C
' .
etsten
etelts e111e Druc1(fassung,
111 welche die Verbesserungenll1g
I clet
schriftlich eingefügt werden. Dadurch wird Handschrift im Kontext von Dl,an "
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C
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sch 1'1'f1l' aUlgrun
rer 'Immer sch on implizierten Nachzeitigkeit zu einem tuC(.
d'
ri 1~n Vier1"
'ß d'le au Ietoriale Druckschrift der ersten
e 11'0Aa
~~1e~udngsme..d'blUm . D ~s h eil',
u age WH' el eren U erarbeltung durch eine editoriale Handschrift überlagert, und zwar auch dann, wenn der Autor sein eigener Herausgeber ist, 106 D'
k 'd' I
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lese
mer w~r Ige nterlerenz von Druckschrift und Handschrift wird in der Vorrede
zur zW~iten Aufla?e des I!esperus exponiert, wenn es heißt: "Übrigens erlebt mein
Wer~dem schwerltch so viele gedruckte Auflagen, als ich davon in meiner Stube eschnebene verbesserte veranstalte" (H, S, 483).
g
Im weiteren Verlauf differenziert der Vorredenverfasser Jean Paul Fr. Richter z "
"
WI
schen versch'led
enen Formen
der Uberarbeitung, nämlich der quasi-editorialen
Korrektur d~s Textes und seiner quasi-auktorialen Umarbeitungen. Um diese Differenz plausibel zu machen, rekurriert der Vorredenverfasser zum einen auf textile
M.etaphel:?, wenn er den Text als "Gestrick" (H, S. 484) bezeichnet, zum anderen
Wird der Uberarbeitungsprozeß mit der Operation der Aufpfropfung verglichen:
"Überhaupt" (verfolgt der Entwurf) "nimm lieber das historische Okuliermesser als das
kritische Jätemesser in die Hand!"
Eben sagt' ich, daß ichs getan (H, 5. 485).
Die Metapher des historischen Okuliermessers steht für eine Beschneidung des bestehenden Texte~,. um diesem anschließend neue Textteile aufzupfropfen 107, die
Metapher des kntischen Jätemessers steht dagegen für ein ersatzloses Wegschnei104 !?arüber hinaus bezieht sich di,e Vorrede zur zweiten Auflage eines Buches auch auf die Rezept1~n der ersten Auflage, VgL hierzu Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, 5, 175: "Wie einer
mit dem Leser stehen mächte, erfährt man aus der Vorrede zur ersten, wie einer wirldich mit dem
Leser steht, aus der zur zweiten Auflage".
105 VgI. hierzu Geulen/GässIing: "standhafte Zuschauer ästhetischer Leiden ': die feststellen die Vorrede zur zweiten Auflage ent~alte ~lIes, "was den komplexen Begriff der Digression a~smacht"
(5. ~6), Zum Pr~blen~ der DigreSSIOn vgI. auch Bosse: Theorie und Praxis bei ]ean Paul, 5. 110,
sowie Casey: "DigreSSIOn for Future Instalments", 5. 870,
106 VgI. Erb: Schreib-Arbeit, 5. 78,
107 Das Okulieren ist eine besondere Form der Aufpfropfung, bei der unter die Rinde einer Pflanze
ein knospender Reis eingefügt wird, der ,augenfärmig' zLlgeschnitten ist (vgI. Allen: Pftopftn und
Beschneiden, 5. 72 f.),
8.3 DAS VORWORT ALS ZONE DER REFLEXION MEDIALER üBERBLENDUNGEN
351
108 Bemerkenswerterweise wird die Direktive, das historische Olmliermesser
.
. Band zu nehmen, bereits dadurch befolgt, daß das Vorwort permanent semen
ZUI urf kommentiert, d enn wahwelse
l ' Iassen SIC
. h entwed er d'le zitierten
,.
Passagen
Eutw
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109
d Entwurfs oder aber d1e Kommentare er ltate a s nsertlOnen
au f'Classen.
~:durch wird die Vorrede zur zweiten Auflage des. HesjJerus zu eine~' SelbstdarstelISt e111 autoreflexIver und auto1uug des Konzepts der Vorrede: Der Vorwortakt
. ,
d en un d
tischer Akt, dessen Verkörperungs b ed'111gungen von d er Iteneren
h~:rierenden Dynamik der Aufpfropfung vorgeschrieb.en werden: ,verkörperungsbedingungen, die im szenischen Rahmen der Vorschnft den szelllschen Rahmen
der Vorschrift thematisieren.
cl eU.
8.3.5 Die Vorrede als Ort der Reflexion der Funktion Selbstherausgeber
Das in der Vorrede zur zweiten Auflage des Hesperus vorgeführte Konzept einer auf[ropfenden Überarbeitung und Selbstherausgeberschaft erhält in der Vorr~de zur
~weiten Auflage des Siebenkds (1817) einen resignierten Nachruf, wo es heißt:
Was hilft es mir, daß ich diese neue Auflage des 5iebenkäs mit den größten Vergrößerungen und Verbesserungen, die nur in meiner Gewalt standen, aus?estattet,~erau~
gebe? [...] 50 erinnert sich der Verfasser di~ses noch recl~t g~lt, daß ,er Sich z. B. uber dl,e
zweite Auflage seines Hesperus gemacht mit der Baumsäge In der lInken Hand und mit
dem Okuliermesser in der rechten und damit außerordentlich gearbeitet am Werke;
aber vergeblich sah er auf weitläufige Anzeigen davon in gelehrten und ungelehrten
Blättern auf (5,5. 11).
Bemerkenswert an dieser Reflexion über den Sinn der "Vergrößerungen und Verbesserungen" von bereits veröffentlichten Werken ist zum eil~e.n, da~ bereits mit
dem ersten Satz Autorschaft als Selbstherausgeberschaft thematiSiert Wird. Zum anderen werden "Baumsäge" und "Okuliermesser" zu metaphorischen Requisiten,
die der Beschreibung jener editorialen Tätigkeit dienen, die im Rahmen auktorialer Selbstherausgeberschaft zu verrichten sind. Dabei kommt dem Modell der Aufpfropfung eine vermittelnde Funktion zu.
.
Da der Pfropfreis dem Stamm durch ein künstliches Verfahren aufgesetzt WIrd,
damit die natürlichen Wundheilungskräfte eine neue Einheit stiften können,
kommt es zu einer Interferenz von künstlichen Prozeduren und natürlichen Prozessen, die als besondere Form der Adoption gefaßt werden kann: Der Reis muß
von seiner Unterlage, dem Stamm, auf den er gepfropft wurde, angenommen
werden. Vor dem Hintergrund dieser Überlegung läßt sich das Modell der Aufpfropfung an das Modell der Adoptivvaterschaft koppeln: Beide dienen der Beschreibung verschiedener Aspekte der Funktion Herausgeber - aber auch der
Funktion Selbstherausgeber. Der Herausgeber nimmt als Adoptivvater der Buch108 Vgl. Geulen/Gässling: "Standhafte Zuschauer ästhetischer Leiden ': 5, 19,
109 Vgl. Derrida: "Die zweifache 5eance", 5, 263.
352
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
staben bereits Geschriebenes an. und unterzieht es nachträglich einem p, ß .
' ' et tranSlOrmatIOn
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"110,er
d gleIchermaßen
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"absOlptton
als editoriale Prod10ze
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<tIVltät
I Vi 11 zugslOrm IskurslVer Aufpfropfungen gedeutet werden kann. A
un d aso
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dazu verfährt der Selbstherausgeber, der sich als Autor wie ein Herausgeb . nfad~g
von 1'h m se Ibst erzeugten Schriften bezieht und die Szene der Schrifit als el fiaufi le
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der Adopttvvater
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betritt.
Diese aufpfropfende Adoption des eigenen Textes läßt sich in lean P I V·
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re d e zur zweIten Au age des Siebenkäs auf zwei Ebenen beobachten' Zllm'
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lese orre e das Pro,tokoll etnes real vollzogenen Uberarbeitungsprozesses, D '
Vorredenverfas~er weIst auf die "kritische Ausleerung von allen Genitiv-End..;':
oder aber auf dIe Umstellung der "Blumenstücke" als Resultate einer edit "I
' '.. h'tn, d'le vom rea1en Autor des Siebenkäs ausgeführt wurd ouaDen
P1'0d u IUlVltat
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el t, er 1~~Te enverfasser lllmmt ~ls realer Selbstherausgeber auf die erste Auflage Bezug,
Zum anderen lassen SIch an der Vorrede zur zweiten Auflage I '
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nselttonen von 1Utonsparttkeln beobachten112, die einepartaO'e des Vorl'edenv 'f:
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tn etnen realen und etne~ fikttonalen Selbstherausgeber auslöst: Da der Vorreden_
verfasser behauptet, er seI selbst an den fiktiven Schauplatz des Geschehen
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s gereIst
un d h abe mtt der Hauptfigur bnefllch kommunIZIert, setzt er sich im Rah
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' Meta1epse "113 als fiktionalisierter Selbstherausgeber einer tnen
etner
"narratlven
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schichte in Szene, die er als Auror erfunden hat. Dadurch werden die Diffel' e
' h d P k'
enzen
ZWISC en er un t~on ~uror und der Punktion Herausgeber durch die Punktion
Selbstherausgeber lllvelhert,
~ährend,~ich der V01:redenv~rf~sser ~s fiktionalisierter Selbstherausgeber in die
von Ihm erzahlte GeschIchte htnetnbeglbt, weist der Vorredenverfasser als realer
Selbstherausgeber auf die realen Differenzen zwischen der ersten und der zweiten
A~flage hin, Dabei stellt er eine Korrelation zwischen dem Aufwand der Überm'.
bettung und den Verkörperungsbedingungen dieses Überarbeirungsprozesses her
wenn es heißt:
'
8.3 DAS VORWORT ALS ZONE DER REFLEXION MEDIALER ÜBERBLENDUNGEN
353
halbe und ganze totgemachte Seiten, so daß man erstaunt. Der entferntere Kunstrichter freilich müßte, da er vielleicht ebenso ungern als der benachbarte Berlins mit Korrektors-SchiffZiehen Blatt für Blatt beider Auflagen gegeneinander abwägt, sich damit
begnügen, daß er die Bände von beiden in zwei Gewürzkrämerschalen legte und dann
zusähe; er wird aber finden, wie sehr die neue Auflage die alte überwiegt (5, S, 14),
Das Gewicht der Tintenspuren in der Druckfassung der ersten Auflage wird zum
genuinen In~ex für..d~n ~ufwand, den der reale Selbsthe~'ausge~er beim Vollzug
seiner editonalen Tattgkelt erbracht hat: 114 Es kommt mIt der Uberlagerung der
auktorialen "Druckerschwärze" der ersten Auflage durch die editoriale "Dintenschwärze" im Vorfeld der zweiten Auflage nicht nur die Materialität der Schrift,
~;ndern auch das Motiv der löschenden Tinte ins Spiel. Wenn sich am Gewicht
der Tintenspuren ermessen lassen soll, in welchem Umfang Teile der ersten Passung gelöscht wurden, so wird die qualitative ergonale Differenz zwischen den beiden Auflagen als quantifizierbare parergonale Differenz medialer Materialität
präsentiert.
Vor dem Hintergrund dieser verschiedenen Aspekte ist die Behauptung des Vorredenverfassers und Selbstherausgebers, er habe das "gedruckte Exemplar der alten
Auflage" mit seinen Streichungen in einer "Realschulbuchhandlung" hinterlegt,
nicht nur eine Anspielung auf das "Advertisement" zu Beginn von Macphersons
Ossian" 5, sondern mit dieser Behauptung wird der "szenische Rahmen des Schreibens"116 als Zone performativer und parergonaler Überblendungen zwischen
Dwckschrift und Handschrift thematisiert: Ein Thema, das auch im Zentrum von
Jean Pauls Roman Leben Fibels steht, in dem die mediale Modulation der Handschrift in die Druckschrift explizit als modulierende Aufpfropfung in Szene gesetzt
wird.
Da aber nichts ver~,rüß!icherist als das Gegeneinanderhalten des alten Buchs gegen das
so hab Ich, In der Realschulbuchhandlung das gedruckte Exemplar der alten
Auflage llledergelegt, l1l welchem die ganze mit Dit1tenschwärze verbesserte Druckerschwärze, nämlich alle durchstrichenen Stellen leicht auf einmal zu übersehen sind, ~ft~~"-'"
verbessert~:
110 Kristeva: Semeiotik!! - Recherches pour une semanalyse, s, 146,
111 Hierbei nimmt die Fußnote des Vorredenverfassers von 1817 in der Vorrede von 1795 eine Sonderstellung ein (vgl. S, S. 26), Diese Fußnote der zweiten Auflage kommentiert das in der Vorrede zur ersten Auflage vorgestellte Konzept des Romans, das jedoch durch die Umstellung des
Blumenstücks nun obsolet geworden ist.
112 :,[.. ,] seit der er~ten A~sgabe h~tt' ich das Glück, teils den Schauplatz Kuhschnappel selber (wie
111 Jean Pauls Bnefen langst benchtet worden) zu besuchen und zu besehen teils durch den Briefwechsel mit. dem Helden selber ungedruckte Familienbegebenheiten zu ~ewinnen, zu welchen
wohl auf ke1l1em andern Wege zu gelangen war, wenn man sie nichr geradezu erdichten wollte.
Sogar neue Leibgeberiana hab' ich erbeutet, die mich jetzo unsäglich erfreuen da ich sie mitteilen kann" (5, S. 12),
'
113 Genette: Die Erzählung, S, 168.
114 ZU!' Deutung dieser Passage vgl. Erb: Schreib-Arbeit, S, 97, dem zufolge der Hinweis auf die ausgelegte Korrekwrfassung beim Siebenkäs - ebenso wie die überarbeitete Ausgabe des Hesperusden Zweck hat, "die künstlerische Arbeit von ihrem Kern hel' vorzustellen" (ebd,). Allerdings läßt
Erb weitgehend unberücksichtigt, daß die künstlerische Arbeit, wie sie in den korrigierten und
überarbeiteten Fassungen zum Ausdruck kommt, im Wesentlichen editoriale Tätigkeit ist. Pross
sieht die in der Vorrede zur zweiten Auflage des Siebenkäs gegebene Anweisung, zwischen der
alten und der neuen Auflage zu vergleichen, dagegen in erster Linie vor dem Hintergrund der
Logik der Duplikation, wenn sie schreibt, dem Text sei "ein eigentümliches Widerspiel von Identität und Differieren von sich selbst als Programm ein[geschriebenl" (Pross: Falschnamenmünzer,
S,82),
115 Vgl. Macpherson: Ossian, A2, wo der Übersetzer berichtet, man habe ihm geraten, "as a bettel'
way ofsatisfying the public concerning the authenticity of the poems", die Originale drucken zu
lassen, "than depositing the manuscript copies in any public library",
116 Vgl. Campe: "Die Schreibszene. Schreiben", S, 764,
354
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTI-IERAUSGEBER
8.4 Die Schreib-Szene als Druck-Szene: Leben Fibels
Leben Fibels ist ein Roman, in dem das romantische Programm der Tral1 d
'h t nur als "Selbstbespiegelung der Schrift und der Schriften"117.
SZen en ' niC
taIpoesie
löst wird; vielmehr führt Leben Fibels die Übergänge zwischen Aleten des SCll1' ?b1nge'
elens
Aleten d es Druckens und Al,ten des Edlerens
vor: Leben Fibels ist ein Transz d '
t aI10man,
·
d er d'Ie me d'IaIen M 0 d uIatlOnen
'
"
d'Ie SiC
' h1m
'"
tIlematlslert,
Uberganen en-.
schen Schreib-Szene, Druck-Szene und Editions-Szene vollziehen.
g ZW1Der szenische Rahmen des Druckens wird durch einen Imperativ determi ' ,
' me d'IaIe M 0 d uIatlOn
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, die
, Druckschrift initialisienn1elt,
d er d Ie
er'Han d sch'
1'1ft 111
D'
I?ruck-S~~ne beginnt m~: dem di~'ektiven Sprechakt ,imprimatur!': der im Ral~tne~~
e111er EditlOn~-Sz~ne ?eaußert ;Vlrd. ,Da der Ak~ des Druckens e111 Teilaspekt des
Alets. d~I: P:l~lrkatI,On 1St, der se111erselts durch dIe bewußte Entscheidung des Autors 111ltlaltslert wIrd, das Buch drucken zu lassen 118, und da diese Entscheidl
' RaIlInen der FunIWon
' Herausgeber - respektive der Funktion Selbstherausl11g
1m
eber - überno~men wird, fungiert die Editions-Szene als Klammer zwischen d~m
Al<t des SchreIbens und dem Alet des Druckens, Ihre Verkörperung findet diese editori~le Kla~m~rfunktion i? der}orm des gedru,ckten B~ch~ als "Prinzip einei'
gewIssen E111helt des SchreIbens 119 und der "strIkten UnIfizIerung von Papierstößen", 120 Auch wenn Foucault behauptet, das Buch gebe sich "vergeblich als ein
Gegenstand, den man in der Hand hat", da seine Einheit "variabel und relativ"
sei 121, bleibt die einheitsstiftende Funktion des Buchs unbestritten. Mit anderen
Worten, das Buch wird als Verkörperung einer einheitsstiftenden editorialen Klammerfunktion selbst zur Klammer, So schreibt Goethe in Dichtung und Wahrheit im
Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des "Werther: "Das nunmehr fertige Ma..
nuskript lag im Konzept, mit wenigen Korrekturen und Abänderungen, vor mir,
Es ward sogleich geheftet: denn der Band dient der Schrift ungefahr wie der Rahmen einem Bilde: man sieht viel eher, ob sie denn auch in sich wirldich bestehe",122
Betrachtet man das Buch als Rahmen der Schrift, so verändert sich damit auch die
Funktion der Vorrede: Die Vorrede ist nicht mehr nur ein Hinweis auf das Konzepl
des Buchs, sondern auch, ja, vor allem, ein Hinweis auf die medialen Rahmenbedingungen des Buchs als Druckwerk. Lessings Forderung, die Vorrede solle "nichts
enthalten, als die Geschichte des Buchs"123, betrifft mithin auch die Geschichte all
jen~r medialen Modulationen, die es als Schriftmonument auf dem Weg zur PublikatIon erfährt. Das heißt, die Vorrede steht im Spannungsfeld der konzeptionellen
und der medialen Entstehungsgeschichte des Buchs, dem sie vorsteht.
117 Schmitz-Emans: "Das Leben Fibels als Transzendentalroman: Eine Studie zu Jean Pauls poetischen Reflexionen über Sprache und Schrift", S. 159.
118 Vgl. Cervenka: "Textologie und Semiotik", S, 145,
119 Foucault: "Was ist ein Autor?", S. 21.
120 Kittler: Aufichreibesysteme 180011900, S, 127,
121 Foucault: Archäologie des Wissens, S. 36,
122 Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und V0:thrheit, S. 587,
123 Lessing: Fabeln, in: ders.: 1Verke, Bd, 5, S. 354.
8.4 DIE SCHREIB-SZENE ALS DRUCK-SZENE: LEBEN F1BELS
355
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Der Vorredenverfasser wartet mit einer GeschIchte des Buchs auf, Ie aus , en
" den unter denen die Manuskriptfragmente aufgefunden wurden, das rahtan
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f:1~r;issenschaft"entdeckt, die ,;~ämtlich (zufolge des Tit~~blatt~s) von einem.
~T 'f: er' Ilamens Fibel geschrieben wurden (F, S, 373), Daruber h111aus habe er
vel ass
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' Band- lind Buchschalen" (F, S. 374) einer 40- bän d'Igen B'10graph'Ie F'b
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deren Inhalt J' edoch größtenteils als Makulatur ver <au t 0 er 111 negsgelUn en,
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wirren verloren gegangen sei. Immerhin befinden s~c 1 1m ersten an noc "anderthalb Ruinen Blätter" sowie das Titelblatt: "Cuneuse und sonderbare Lebens~
Historie des berühmten Herrn GotthelfFibel, ,verfassern des neuen ~arkgra~u~ter,
p," 1ischen Voigtländischen und Kur-SächsIschen Abc-Buchs, mIt sonderbalem
p;:~~ zusa~mengetragen und ans Licht, ges,tellt von J~acl~~m Pelz" (F, S, 374).
Nachdem der Vorredenverfasser dem JüdIschen PapIerhandleI' "um den t,adenreis" die Erlaubnis abgekauft hat, "alles Gedruckte aus den Werken ausz~zIehe?,
~ämlich auszureißen" (F, S, 375), verwandelt sich di? Auffindungsgeschlchte 111
eine programmatische Vorschau auf das performatIv~ und ~arergonale R~h
mungsprinzip des nachfolgenden Buchs: Jean Paul Fr, Richter WIll ~us den SChl.lftl' hen Überresten die Lebensbeschreibung Fibels zusammenschreIben, wobeI es
s~~h erldärtermaßen um eine Lebensbeschreibung handelt, "die aus ausge~ogen~n
Blättern ausgezogen" ist (F, S, 375). Diese Lebensbeschreib~n? ~~~daI~I<t,sICh mIthin einer absorbierenden und transformierenden producttvtte ,dIe I~ S?annungsfeld der archivischen Funktion de~ Exzer?ierens 126 und der edlt~nale~
Funktion des Zitierens steht: Beiden FunktIonen hegen Verfahren des ,AuszIehens
124 Genaugenammen handelt es sich um eine appellative Antonomasie, bei d~r die Bezeichn~n~ der
GaItung durch den Eigennamen eines ihrer typischen Vertreter ersetzr wrrd (y~1. Lau~berg, El~
mente der literarischen Rhetorik, § 204 ff,) Die nahelie~ende ~rkläl'llng, d~ß es srch ber dem ~er
fasser der bienrodischen Fibel" um den "Konrektor Brenrod handelt, wrrd dagegen verworfen,
Statl dess~'n erwähnt der Herausgeber die Gewohnheit, raffaelische Gemälde "Raffaele" zu nennen (S, 370) und den Namen des Autors zur Bezeichnung eines Buches ~u verwender:, So habe
man, weiß der Herausgeber aus eigener Erfahl'llng zu beri:hten, das ~are!!:buch ~es ~(rr~he~rats
Seiler nur "den Seiler" genannt, was dazu führt, daß angesrcht~ des ler~haftIgen S~:lels ,~(el11el bel'e der'
gedl'ucl
grer'fien Imnnte, "
w
'te Seiler am Leben sein und el11en GeIst haben kanne (S.370).
125 Kristeva: Semei&tike - Recherches pour une semanalyse, S. 146.
. . ' ..
126 Vgl. Müller: "Mehrfache Kodiel'llng bei Jean Paul", S, 96, sowie Schestag; "Blblrographle fur Jean
Paul", S, 507.
r
356
8, ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
8.4 DIE SCHREIB-SZENE ALS DRUCK-SZENE: LEBEN FIBELS
zugrunde, die der Vorredenverfasser von Leben Fibels mit der Dynam 'k d
reißens von beschriebe~.en Blättern aus dem ~ahmen des Buchs gleichs~tzt (: usS. 375). Dergestalt erhalt der Akt des Ausreißens als Voraussetzung d . b g .F,
. dA"
el a sorbl
Ien en nelgnung von Schnftmonumenten zum einen die Dignität ein d' .eles "Princip der Vereigenthümlichung"127 zu sein. Zum anderen 'gibt e, ~ol'la
Roman Leben Fibels offen als Kunstprodukt zu erkennen das nI'cht au dSICKder
'"
s er rat!
.
d es Gemes
hervorgegangen, sondern äußerlich zusammengetragen" ist. 128
l'
1
8.4.1 Leben Fibels als Buch von der Schrift und als Buch vom Druck
Den Charakter eines medialen Transzendentalromans erhält Leben Fibels d d . h
daß die Entstehungsgeschichte der Bienrodischen Abc-Fibel erzählt wird da. UdlC ,
I Alb '
, Ie eIn
.
Roman zn
toto asn lang elgefügt ist. Da die Abc-Fibel "Millionen Leser nieht
bloß gefunden, sondern vorher ~azu gemacht [hat]" (F, S. 369), gewinnt sie quasit.ransz~n~~ntale Bedeutung: DIe ~(enntnis des Abcs ist die Bedingung der Mö _
lIchkeit fur alles Lesen und SchreIben. Demgemäß wird sie wahlweise I B gh
der B"ucher "(F, S. 427) oder als "wahre Wissenschaftslehre jeder Wissensch
a s" Uc
fI
lehre" (F, S. 489) bezeichnet.
a ts. Die F~rmul~erung "wahre Wissenschaftslehre j.eder .Wi~senschaftslehre" spielt
mcht nUI auf FlChtes Hauptwerk an, sondern etablIert ell1e Intertextuelle Fall'
.
d .hd
. h
e, VOI
~r SIC as poetlsc e Konzept, von Leben Fibels abhebt: ein Konzept, dem es UIn
dIe ~arstellung der per~orma:lven Verkörperungsbedingungen des Geistes geht.
DabeI verkehrt Leben Flbels Flchtes Feststellung ins Gegenteil, die Wissenschaftslehre ~ei "v?n. der Art, dass sie durch den blassen Buchstaben gar nicht, sondern
dass SIe ledlglI~h durch d~n Geist sich ~itt~eilen lässt".129 Diese Abwertung des
Buchstaben~ ~Iederholt FIchte auch mIt BlIck auf poetische Mitteilungen, wenn
er den "G~Ist des Kunstwerks streng von den "zufälligen Gestalten" des Aus~rucksmedlUms - dem "Körper" oder dem "Buchstaben" - trennt. 130 Schließlich
1St die Marginalisierung des Verkörperungsmediums aber auch für Fichtes Beweis
der ynr~chtmäßigke~t des Büchernachdrucks" von zentraler Bedeutung. D:s "Körperllch~ des Bu:~s 1st "das be~ruckte Papier"13I: Es betrifft alle Aspekte der per~orma~Iven Verko.rperungsbedll1gungen und replikativen VervielfältigungsmöglIchkeIten. Auf dIesen Aspekt beschränkt sich das Copyright. Die körperlichen
beziehungsweise materiellen Aspekte des Buchexemplars können durch den Kaufakt an einen neuen Besitzer übertragen werden. Was sich dagegen niemand zueignen" kann, d~s ist das "Geistige" des Buchs, genauer gesagt die "Form" der'Gedanken, also dIe "Ideenverbindung, in der, und die Zeichen, mit denen sie
127 Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 274.
128 Hege!: Vorlesungen über die Asthetik, S. 382.
129 Fichte: Grundl~ge der gesammten Wissenschaftslehre, S. 284. Zum Einfluß von Fichte auflean Paul
v?1. Chan~berlall1: "Alphabet und Erzählung in der Clavis Fichtiana und im Leben Fibe!s", S. 77.
130 Fichte: "Über Geist und Buchstab in der Philosophie", S. 294.
131 Fichte: "Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks", S. 225.
357
. etragen werden". 132 An dieser geistigen Form, die das Produkt seiner assoziaV.Olg
en power of mixing"133 ist, behält der Autor selbst nach dem Verkauf des But1v
'
h umsrech l'" . 134 Auch
1 s "sein natürliches, angeborenes, unzuveräussern d
es Elgent
oe 'p'aul beschäftigt sich mit dem Problem des unerlaubten Büchernachdrucks:
.
d
JSean nterscheidet er in einer Abhandlung gegen den Nachdruck ZWIschen
em vera ullen Nachdruck" und dem erlaubten "Nachahmen" .135 Der Nachdruck wird
"
.
.
bote
gefaßt, sondern als KopIe von bereIts
dabei nicht als Nachahmung von Gedachtem
.
. ..
Gedrucktem: "Es gibt also nur Nach drucIcer d. er Druc I~er"136
Alle drei genannten Themen - das Verhältms von GeIst und Buchstabe, dIe Kor'lichkeit des Buchs und das Problem des Büchernachdrucks - werden in Leben
~~~els parodistisch verarbeitet. Das Verhäl.tnis vo~ Geist u~.d Buchst~be b~trifft in
'ster Linie die Darstellungsform von WIssen. FIchte erwagt daher ll1 semer Abfl ndlung Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters - offensichtlich in ironischer
~~sicht - die Möglichkeit, "die Wissenschaften nach der Folge der Buchstaben im
Alphabete vorzutragen" .137 Eben dieses Konzept der. Wissen~repräsentation wird
in Leben Fibels in die poetische Tat umgesetzt: Da dIe Abc-FIbel alle Buchstaben
durch Merkverse vorstellt, die auf unterschiedlichste Wissensgebiete Bezug nehmen, wird sie nicht nur als "wahre Wissenschaftslehre jeder Wissenschaftslehre",
sondern als "Fibelsche Enzyldopädie" bezeichnet (F, S. 491).138 Zur Begründung
stellt Jean Paul fest:
Dieses Werk nun, das mit den Elementen aller Wissenschaften, nämlich mit dem Abcdef etc. etc zugleich eine kurze Religionslehre, gereimte Dichtkunst, bunte Tier- und
Menschenstücke und ldeines Still-Leben dazu, eine flüchtige Handwerks-Geschichte
darbringt, hat gleichwohl einen Verfasser, den in det deutschen Nation kein Mensch
namentlich kennt, ausgenommen ich (F, S. 369).
Die "Fibelische Enzyldopädie" parodiert die Enzyklopädie Diderots und d'Alemberts l39 , sie parodiert aber vot allem das von Novalis entworfene Projekt einer "ächten Enzyldopädistik"140, dem Jean Paul das Konzept einer "poetischen Enzyldopädie"141 entgegenstellt. Abgesehen davon, daß Novalis im Allgemeinen Broullion
unter dem Stichwort "Enc[ydopaedistik]" das "Abcbuch" als "bes[ondere] Elemen132
133
134
135
136
137
138
Ebd., S. 227.
Hume: Enquiry Concerning Human Understanding, S. 47 (§ 39).
Fichte: "Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks", S. 233.
Jean Paul: "Sieben letzte oder Nachworte gegen den Nachdruck", S. 88.
Ebd.
Fichte: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, S. 73.
Vgl. hierzu Sinn: Jean Faul: Hinführung zu einer Semiologie der Wissenschaft, S. 240, der die These
vertritt, Jean Pauls "Semiologie der Wissenschaft" verlaufe "in der Kombination heterogener Elemente aus allen Wissenschaften analog zu Fichtes Wissenschaftslehre" .
139 Zum Verhältnis der Abc-Fibel und der Encyclopedie vgl. Fürnkäs: "Aufldärung und A1phabetisierung: Jean Pauls ,Leben FibeIs"', S. 65.
140 Novalis an Friedrich Schlegel, 7. November 1798, in: Novalis: WErke, Bd. 4, S. 263.
141 Jean Paul: Vorschule der Asthetik, S. 249.
358
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
8.4 DIE SCHREIB-SZENE ALS DRUCK-SZENE: LEBENFIBELS
tarwissenschaft"142 erwähnt, zeichnet sich die "ächte Enzyklopädistik" für N I'
durch eine radikale "Verzeitlichung"143 aus: Sie soll in der "Beobachtung derov
Z.a,rs
energie der Seele und des Körpers" bestehen 144 und sich bei der Darstellung ~t
Wissens am "Lebensproceß"145 orientieren. Genau das ,macht' Leben Fibels: Indeles
der Entstehungsprozeß der Abc-Fibel in Parallele zum Lebensprozeß ihres
sers Fibel gesetzt wird, erfährt die alphabetische Ordnung des fertigen Werks durch
die
seiner
Dies gilt
auch für dIe GeschIchte des Buchs: Fibels Lebensgesclllchte verlauft parallel Zu der
Entstehungsgeschichte der von ihm verfaßten Fibel. Leben Fibels erzählt die Geschichte der im Anhang abgedruckten Fibel als Vorgeschichte ihrer drucktechniOschen Verkörperung. Dadurch wird der Prozeß des Buchwerdens als Prozeß des Ge~
drucktwerdens geschildert.
Vert;'l~
re~rod~ktive E~'zählung
V~rgeschichte eine."Verzeitl.~chung".
Diesem Akt des Gedrucktwerdens kommt im Leben Fibels zentrale BedeUtung
zu. Das belegt jene Anekdote in der "Vor-Geschichte", in welcher ]ean Paul Fr.
Richter, der Vorredenverfasser und zweite Biograph, mit Blick auf Fibel schreibt:
"Es gibt glückliche Menschen - z. B. ihn selber -, welchen ein Buch mehr ein
Mensch ist als ein Mensch ein Buch, und welche in der Wahrheit den Irrtum des
Franzosen Mr, Martin nachtun, der in seinem Verzeichnis der Bibliothek des Mr.
de Bose das Wort gedruckt als einen Schriftsteller Unter dem Titel Mr. Gedruckt
an- und fortführt" CF, S, 389).
Diese Passage ist als Selbstdarstellung des gesamten Romankonzepts zu deuten:
Genau wie der Verfasser ,Fibel' verdankt der Verfasser ,Gedruckt' seine Existenz
einem metonymischen misreading, das hier durch die Vertal1schung von appositiver Kennzeichnung und Eigennamen zustande kommt. Zugleich impliziert diese
Vertauschung ein Konzept, das Autorschaft konstitutiv an das Gedrucktwerden
koppelt. Gemäß Furetieres Dictionaire universeI kann der Begriff des "Auteur" nur
für diejenigen verwendet werden, deren Werke in gedruckter Form zirkulieren,
also für jene, "qui en ont fait imprimer".146 Der "Scribe" wird dagegen ohne Rekurs auf die Drucldegung als Kopist, das heißt als "Greffier" beschrieben. 147 Dieses Verhältnis zwischen kopierendem Schreiber und druckendem Autor wird in
Leben Fibels in Szene gesetzt: Leben Fibels erzählt die Geschichte der medialen Modulation von Handschrift in Druckschrift als Vorgeschichte von Autorschaft,
wobei das "Medium der Schrift" selbst zur Botschaft wird l48: Ganz im Sinne des
"Letterismus" liegt der Fokus in Leben Fibels auf dem "aUtotelischen Charakter"
des Alphabets und der Buchstaben vor jeder Funktionalisierung als Ausdrucks142 Novalis: Schriften, Bd. 3, S. 257.
143 Koselleck: "Das acluzehnre Jahrhundert als Beginn der Neuzeit", S. 280.
144 Novalis: Srhriften, Bd. 3, S. 272.
145 Ebd., S. 334.
146 Furetiere: Dirtionaire universeI, Arrikel "auteur".
147 Ebd., Artikel "scribe". Vgl. auch Charrier: "Figures de l'auteur", der soweit geht, zu behaupten,
die Funktion Autor sei "pleinement inscrite al'interieur de la CUlture imprimee" (S. 59).
148 Vgl. Grimminger: "Aufstand der Dinge und der Schreibweisen. Über Literatur und Kultur der
Moderne", S. 23.
359
.
149 Das heißt der Buchstabe als "inscription du corps dan~ un esp~ce ~y_
edlUm
.
,
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er uch stab en "iSS i'n deil Blick . In Leben Fibels wird
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raphisc e n an igung
. .
gd' Schi'eib-Arbeit am Manuskript nicht als geistige,
erEn s ". h I:' 1 i't"i57
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Tätigkeit"l56
vorgeführt, die
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mr'p er iC e reigllls altig ze
auszeichnet.
sl~nh
~
8.4.2 Der Traum vom Schreiben und der Körper der Schrift
Die mediale Modulation von Han~sc~~ft:~~~~~~~~~tg~~:~~ed~~:7:~~~i~~~~~
Mitte~punkt
~Oi~~~~~~:
derdei:s:n,
al; Geschichte seines Gedrucktwerdens. Bereits
den die Genese er Utorsc a t
d S hr ibens und der Geste des
der junge Fibel ist gleicher~naß.ehn von der ~es~in~: v~n ~arthes _ ausschließlich
Druckens fasziniert, wobeI es i m -:- ganz im 158.
um das intransitive ,Daß' des Schreibens geht .
. . f:" rs-Tochter als Namen-Setzerin auf Wäsche druckte,
Die
womit dIe Palte
d' d' H d. und er sah lange einem durchs
h erstenILettern,
h' Inkunabeln erstaunen 111 le an,
.
D'
na m er a s wa le
d
h d "
. r _ Kattunmanufaktur arbeItete. le
Dorf gehenden Drucker dursten
,
h eine gelelu'te Feder wünschte, weil
Anekdote ist bekannt, daß er schon Junget, a el SIC
n~~
~I;n e~n.e
. Neo-Abece d"
"s . 25 Dies führt, wie Prass.. feststellt,
·149 Lachmann: "Em
auus,
S 88)zu einer "Verabsolurierung der Schrift in ihrer Marerialirät" (Prass: Falsrhnamenmunzer,.
.
150 Barthes: "Erre ou A la lettre", S. 1229.
151
152
153
154
155
KotzingeriRippl: "Einleitung", S. 16. .
I L b Fibels'" S.226.
Simon: Allegorie und Erzählstruktur m Jean Pau s, e en "s 1'59
Schmit;~Emans: "Das Leben Fibels ~Is !ranszendentalraman,. .
Vgl. Lachmann: "Ein Neo-Abecedanus , S. 27.
Ebd.
156 Vgl Erb: Schreib-Arbeit, S. 13.
G d I 11.'" S 84 sowie Barrhes: "V;'l157 Sri~gelin; ",Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren e an ce , . ,
l'iarion sur l'ecriture", S. 82 f.
158 Barthes: "Schriftsteller und Schreiber", S. 50.
360
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
8.4 DIE SCHREIB-SZENE ALS DRUCK-SZENE: LEBEN FIBELS
er so oft gelesen, daß aus einer gelehrten Feder so manches Bllcll getlo
'
M'ß
"d'
d
ssen, 1ll U
•.
I .~erstan nls aus em Schwanze eines Stars, den Siegwart für einen elehr e llgell1
erklart hatte, mehrere Federn ausgezogen (F, S. 389).159
g
ten Vogel
6
ie
dbas rrt:isreadingdes Partizips "gedruckt" als Eigenname offenbart der l' cll'
au e, eme ,gelehrte Feder' stamme von einem gelehrten Vogel' .
an 1ehe
isches Mißverständnis 16o , das von seinem VateI' 'dem Vi 1 11' eSI~l metollym_
•
'T'
<,
oge ste er Iegw'
.
emer .l1'acht Prügel belohnt wird. Die Annahme eine gelehrte F d"
alt, !nIl'
.
11
Vi l'
" e el stall1me
ell:~m.'ge e uten oge, steht in merkwürdiger Korrespondenz zu Fib 1 .; VOll
Inltlatlonstraum: "Alle Vögel seines Vaters - träull1te er _ flatterten U1 s ~Pßatere!n
geneinand' fI· fi
. l' .
d
1 stle ell ge
,
eI, p 1O~ ten SIC 1 meman er und wuchsen endlich zu einem Hahn .DeI Hahn fuhr mIt d:m Kopfe zwischen Fibels Schenkel, und dieser muß e e1l1.
J
t~~~~).Haise
davonrelten, mit dem Gesichte gegen den Schwanz
gekehr~~ (~~
Der Fibels~he Trau~hahn verdankt sich einer imaginären Pfropfun . R
men deren dIe Mannlgfaltig~{eit väterlicher Vögel konjektural zu ei;~I~r: ah~anz~n zusammengesetzt WIrd. Neben seiner intradiegetischen Motivieru~lIen
FIbel Ist kurz zuvor am zerbrochenen Fenster seines ehemaligen Schulh
gbeigegangen, das mit der Darstellung eines Abc-Hahns" veI'klebt
.auses V~l"
. 1 Fb 1 1 J '
"
wal - erwel
SIC 1 I es. raum als lnterte.xtuelle Transformation jenes Berufungstraums der Os~
fenbarung, m dem der SchreIber Johannes eine mächtige Stl'Iume" h" d'
'hf.' h
,VT
d
. h
"
ort, Ie zu I 1ll
SPllC 1':" was U SIe st, das schreibe in ein Buch" 161 Dem 1 . h
DIr 1
d' B h 'b
.
g elC en U Uus 10 gt
Ie esc rel ung von Fibels Flugtraum:
Da rief Helfen eine Stimme mehr aus dem Himmel als aus der Hahn-Gurgel z . S'
ab,. St~dent, und ziehe aus eine Schwanzfeder dem Hahn und setzte damit auf d~~ B:I:~~
deI Buchel', voll al~er matres et patres lectionis, das Werk, das der größte Geist studieren m~ß, schon eh. er nur fünf Jahre alt wird, kurz das tüchtigste Werk mit dem län"
sten TItel, das so viele Menschen aus Kürze bloß das Abc-B . h
d .
dg
Ab d fi h '1
uc nennen, a sie es as
hec~b e~ gel ~I telemenopequeresesthetheuvauweixypsilonzet_Buch nennen könnten'
sc 1'e1 e erg elClen, mein Fibel, und die Welt liest' (F, S. 427).
'
159 Hier handelt es sieh offensichtlich um eine Wiederaufnahme des M t'
d Vi d
S'eb kä
d'
. "
0 IVS aus er orre ezum
160
en .s, wo le "gIlte Pau~1l1e mit.ihrem "Hemde-Schriftkasten" hantiert (Vgl. S, S. 23).
~nau~~,~esagt,~~~e1t es Sich um die Inrerferenz eines synekdochischen und eines metonymisc el~ I v.erstan 11Isses: Da der ,gelehrte Vogel' Fibels Vater gehört, wird die s nekdochische
~e1~~01~ z~,schen ,gele~rter Feder' ~ars) und ,gelehrtem Vogel' (totum) ihrerseits ~urch eine BeItz hesltzelbMetonym,e gerahmr. Die ausgezogene Feder des Vogels verweist in diesem Zusammen ang a er auch als genuiner Index darauf, daß Fibel die väterliche Dis osition einer
"anbetende[n]
p h'ISCIle D'IS.,
, .d dHochachtung
. I d . , für
. Geschriebenes"
" (F S. 399) geel'bt ha.t D'lese psyc
position W~I UIC 1 as JUristische PerformatIv der testamentaria dispositio (vgl Stichwort TestamentarllChe Verordnung" in: Zedlers Universal-Lexicon Bd 42 S 1326)'
, I"·
welcher der Vater diS h'
366 h Ib
'
. ,.
gesplege t, mIt
. e non Jene
a en Souverains vererbt. Diese hatte Fibels Vater vom
Landesvater als F11lderlohn für einen wenvollen Ring erhalten der ihm h'
hl' ß . h d
Kreis - von einem Vogel, einem diebischen Papagei zugetrage'n wI1I.de -Daler'~tc I~el t SViIC ,~r
h
.d
I
"
'
. s va er lCle ermo~(en f a~ w~eT:erulm constltut,lve Bedeutung für Fibels Autorschaft, denn es ermöglicht ihm den
I au e11lel
asc lendruckerel.
161 Vgl. Offinbarungdesjohannes 1,10; 1, 11.
d
361
Hier kommt noch ein weiterer Aspekt ins Spiel: Fibels ,Ausziehen' der imaginären
Hahnenfeder steht in einer homonymen Beziehung zum exzerpierenden und zitierenden Ausziehen aus den Papieren, die Jean Paul vom Judenchristen Judas erworben hat. Da das Exzerpieren und Zitieren als Akt des Ausreißens vollzogen
wird, impliziert das Ausziehen in beiden Fällen eine "körperliche Ereignishaftigkeit"162, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Akt des Schreibens
steht: Mit dem Ausreißen und der sich anschließenden Transformation der Hahnenfeder zur Schreibfeder wird die Dynamik der Aufpfropfung auf die performative Geste des Schreibens übertragen. Fibels Traum pflanzt gewissermaßen seiner
künftigen Schreibarbeit die Logik der Greife ein: So wie Fibels Traum vom Schreiben das Produkt einer imaginären, intra- und intertextuellen greife citationelle ist,
sO werden alle seine künftigen Schreibakte der Logik der greife citationelle gehorchen. Dabei kommt mit der körperlichen Ereignishaftigkeit, die dem Ausziehen
eignet, noch ein zweiter körperlicher Aspekt ins Spiel, nämlich die mediale Körperlichkeit der Schrift. So heißt es übel' Fibel:
Sogar das Körperliche bei seinem geistigen Erzeugen kehrte sich zu seinen Freuden um,
z. B. er schnitt in ruhigen Muße-Stunden mehrere Federn voraus, um sie im Feuer bei
der Hand zu haben - er deckte Dintenfaß und Dintentopf vor allem Staube zu, was so
viele von uns versäumen, so wie das Abwischen der Federn nach dem Schreiben! - Ja war
er nicht sein eigener Dinten-Koch (und dadurch hofft' er, nicht mit Unrecht, sein Goldkoch zu werden) und setzte, sobald es regnete oder schneite, die beste Dinte im Dorfe
an und prüfte die Schwärze von Stunde zu Stunde, um leserlicher aufzutreten? (F, .431).
Diese Schreib-Szene thematisiert die Vorgeschichte der Geste des Schreibens, nämlich das Herstellen jenes Materials, mit dem Schrift verkörpert wird: Tinte. Tinte
dient der Verkörperung eines graphischen Types, der als "Konfiguration graphischer Merlanale" zu fassen ist. 163 Diese Konfiguration von Merkmalen wird jedoch
erst mit der materialen Verkörperung des typographischen Schriftzeichens als Replica-Token sichtbar. Diese materiale Qualität des Token bezeichnet Peirce als
"Tone" und führt als Beispiel die Farbe Rot oder den Ton einer Stimme an. 164
Bezogen auf den Buchdruck sind Tone die "spezifisch materiellen Eigenschaften
typographischer Zeichenmittel".165 In Leben Fibels erfahren die tonalen Eigen162 Stingelin: ",Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken"', S. 84.
163 Coulmas: Ober Schrift, S. 135.
164 Peirce: Collected Papers, 2.254. Obwohl Tone keine formale, identitätsstiftende Relevanz für die
replikativen Verkörperungsbedingungen des Schriftzeichens haben, sind sie die materiale Bedingung der Möglichkeit dafür, daß die Replica-Token in Erscheinung treten können. Insofern
haben all jene Kräfre und Substanzen, die den performativen Akt der Verkörperung ermöglichen,
eine parergonale Rahmungsfunktion. Dies gilt in besonderem Maße für die Tinte, denn sie wirkt
von einem bestimmten Außen her im Inneren des Schreibverfahrens mit: Das ,bestimmte Außen'
ist der Akt der Skription, das Innere des Verfahrens ist die Replikationsregel, dem der Prozeß der
Verkörperung des Schriftzeichens gehorcht.
165 Wehde: 1j;pographische Kultur, S. 66. Die tonalen Aspekte umfassen nach Wehde "das Auftragen
von Druckfarbe auf eine Druckform (Druckstock) und den Abdruck, d. h. die Übertragung der
Druckfarbe auf eine andere Trägersubstanz, den Bedruckstoff (Papier). Die Materialität eines
362
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
schaften der Tinte eine phänomenale Aufwertung. So heißt es über den jun
Fibel: "Er schrieb das ldeine Abc in schöner Kanzleischrift, ohne einen Buchsta~en
auszustreichen, geschweige ein Wort, lustig und ungestört herab. Zwischen all~
schwarze Buchstaben steckte er rote auf, um allgemeine Aufmerksamkeit zu err _
gen" (F, 428 f.).
e
Fibels schriftstellerische Originalität reduziert sich also auf seine kalligraphischel
Fertigkeiten und die Wahl der Farbe der Tinte (F, S. 429).166 Bemerkenswerter~
weise spielt die Tinte aber auch noch in anderer Hinsicht eine entscheidende RolleIhre tonale Funktion als Verkörperungsmedium ermöglicht einen fließenden Obel'~
gang zwischen Handschrift in Druckschrift. Einen Tag vor seinem 16. GebUrtstag,
an dem Fibel von der Erbschaft seines Vaters eine "Taschendruclcerei" kauft, wird
die mediale Differenz zwischen Handschrift und Druckschrift durch die folgende
Beschreibung des zweiten Biographen ]ean Paul nivelliert:
Es muß zu seinem Freudenhimmel noch eingerechnet werden, daß er nicht nur mit
Fraktur und Kanzleischrift - die so nahe an Druckschrift grenzt -, sondern auch mit
Dime schrieb, welche Gutenberg anfangs (nach Schröckh) gebrauchte statt der
Druckerschwärze. Helf sah sich schon halb gedruckt; sah er sich um, so war er ganz gedruckt, falls im Wandschränkchen etwas war (F, S. 430).
Der Hinweis, daß die Kanzleischrift "so nahe an Druckschrift grenzt", negiert die
mediale Differenz zwischen Kalligraphie und Typographie dadurch, daß eine graphische Nähe zwischen Kanzleischrift und Druckschrift behauptet wird. Tatsächlich
läßt sich in den Anfängen der Geschichte des Buchdrucks eine Tendenz zur Nachahmung der Schreibschrift im Rallmen der typographischen Gestaltung der Lettern
beobachten 167: Zu Beginn des Buchdrucks wurde, wie Morison feststellt, das
Drucken als "armer Verwandter des Schreibens" deldassiert. 168 Auch in Leben FibeLr
8.4 DIE SCHREIB-SZENE ALS DRUCK-SZENE: LEBEN FIBELS
363
. ·d die Nähe zwischen Handschrift und Druckschrift hervorgehoben, während die
n die insbesondere die Vervielfältigungstechniken betreffen, ausgeblendet
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mit einem Sch1'1ftsteller
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fi"lIt Fibel trotz dieses Mißverständnisses das dem Vater gegebene Versp~'echen: Er
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Fibel die performativen Schreibbedin~unge? de~ emvant mit enen "es e~rzvazn
erwechselt, wird er zu einer PersonifikatIOn Jenes "Bastard-Typus zWischen
und Schreiber 170, den Barthes in "Der
des Autors"..als "modernen Scripteur" bezeichnet. 171 Dabei tritt Fibel jedoch l11cht als Totengraber ~er Idee
vom Autor auf, sondern er verhilft einer Idee von Autorschaft zur ~ebur.t, die konstitutiv an das Gedrucktwerden des Geschriebenen gekoppelt ISt. Mit anderen
Worten: durch den Al<:t des Druckens wird der Scripteur in einen Auteur transformierr.
~chriftsteller
~od
Druckbuchstabens erweist sieh damit als zusammengesetzt aus Druckfarbe und Trägersubstanz"
(ebd.).
8.4.3 Die Geburt des Autors mit dem Akt des Druckens
166 Vgl. hierzu die interessante Parallele in Echtes Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums
über dieJi'anzösische Revolution, wo es heißt, man solle die Geschichte aus den Händen der "ewigen Kinder" nehmen, "deren höchste Schöpfungskraft nie über das Nachmachen hinausgeht",
und der Pflege des "wahren Philosophen" übergeben, "damit er durch sie euch in dem Alphabete, das ihr lernen sollt, einige Buchstaben roth färbe, auf dass ihr sie so lange an der Farbe
kennt, bis ihr sie an ihren inneren Charakreren werdet kennen lernen" (Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über dieJi'anzösische Revolution, S. 67 ff.).
167 In diesem Zusammenhang darf auf den Umstand verwiesen werden, daß sieh der reale Autor
]ean Paul nicht nur leidenschafrlieh für alles interessierte, was mit dem Thema Buch zusammenhängt (vgl. Rehm: ,,]ean Pauls vergnügtes Notenleben", S. 256), sondern auch auf die Entwicldung seiner eigenen Schrift, der sogenannten ,Jean Paul Fraktur', drängte (Soffle: ,,]ean Pauls
Verhältnis zum BLICh", S. 376).
Die mediale Modulation der Schreib-Szene in eine Druck-Szene wird am Tag von
FibeIs Hochzeit vollzogen. Während der Hochzeitsfeier meldet der Wi~tssohn d~s
Gasthauses einen wildfremden Herrn Magister Pelz an" (S. 455 f.). Dieser Magister Pelz wil:ci in zweifacher Hinsicht zur Schlüsselfigur für FibeIs Autorschaf~: Erstens transformiert er als Drucker den ,Schreiber Fibel' in den ,Autor Fibel',
Zweitens transformiert er als Biograph den ,Autor Fibel' in den ,berühmten Autor
Fibel'.
168 Vgl. hierzu Morison: Schrift, Inschrift, Druck, S. 5. Mir Blick auf Morison läßt sich darüber hinaus die These vertreten, daß Leben Fibels eine äußerst kenntnisreiche Geschichte des Buchdrucks
impliziert - und zwar insofern, als der Buchdruck in Parallele zum Holzschnitt geserzt wird. Fibel
verfaßt nicht nur Merkverse, sondern fertigr Holzschnitte an (F, S. 491). Nach Morison kann
man "unmöglich die Verbindung von Druck und Holzschnitt außer acht lassen. Der Druck von
Büchern mag gelegentlich dem Schreiber gefolgt sein. Abel: daran kann kein Zw~jfe~ best~hen,
daß er dem Drucker von Bildern gefolgt ist; oder, um es e1l1facher zu sagen: dei DllIckel von
Texten ist dem Drucker von Bilddrucken gefolgt" (Morison: Schrift; Inschrift, Druck, S. 16).
169 Banhes: "Schriftsteller und Schreiber", S. 52.
170 Ebd.
171 Barthes: "La mon de I'auteur", S. 64.
364
8. JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
Pelz, ein Vetter)enes .Bu~hdruckers, der Fibel die Taschenpresse verkaufte (v I
F, S. 456), stellt SIch mIt eInem Probebogen vor. Auch wenn die Möglichke' g:
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"mit der Tat an" (F, S. 456). Die Formulierung ,Mann von Wort' hat hier eine Jtc 1
pelte Bedeutung - sie bezeichnet nicht nur den Mann, der sein Wort hält, sond~~~
auch den homme de lettre im technischen Sinne. Bei Pelz interferieren die ill I
tionären Erfüllungsbeding:rngen des kommissiv gegebenen Worts mit seiner I~o~~~
p~tenz, ~o~·te drucktechms.ch zu.verkörper~. Genaugenommen beginnt Pelz auch
mcht mIt eIner, sondern mIt dreI Taten: DIe erste Tat besteht im demonstrativ
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vorzeIgen emes ereIts ge ruCUen Muster-Bogens. Damit stellt sich Pelz als 'emand vor, der die Technik der Replikation beherrscht. Die zweite Tat ist die Bi~t
um das Manuskript, das er mit den Worten "Ausbund von einem habilen Autorl~
(F, S. 458) zu einem druckwürdigen Manuskript erldärt. Die dritte Tat besteht h~
Drucken selbst. Nachdem Pelz "die erste Seite des neuen Werks als geschickter Setzer gesetzt" und "als geschickter Drucker abgedruckt" hat, kann er sie "dem Verf~sser als geschicktem Korrektor darreichen" (F, S. 460). An dieser Stelle meldet
SIch der Herausgeber-Erzähler ]ean Paul zu Wort, um in einer exldamativen Geste
auf die Verbindung von Gedrucktwerden und Autorwerden hinzuweisen: "Deine
erste Druckseite, mein Fibel? Diesen Konfekt-Teller der Schriftstellerei [...] bekamst
du in die Hand? Und mit welchen Empfindungen? Sprich, angehender Autor des
künftigen Werks!" (F, S. 461).
Sobald Fibel seine erste Druckseite in die Hand bekommt, wird er von ]ean Paul
zum angehenden Autor des "künftigen Werks" erklärt. Das heißt, mit der medialen Modulation der Handschrift zur Druckschrift vollzieht sich Fibels Transformation vom Scripteur zum Auteur. Abgeschlossen wird dieser Transformationsprozeß dadurch, daß die gedruckten Seiten zum Buch gebunden werden.
Bemerkenswenerweise führt der Buchdruck im Leben Fibels nicht unmittelbar
dazu, daß die Zahl der gedruckten Exemplare die Zahl der Abschriften übersteigt
- im Gegenteil: Helf besitzt bereits "vier oder fünf sauber geschriebne Manuskripte" seines "Werkes", das, "gegen die Gefahr des Verlustes [...] nicht oft genug
abzuschreiben [war]" (F, S. 457 f.). Da Magister Pelz den Rat gibt, zunächst nur
drei Abc-Bücher "für die jungen drei Herren Markgräfchen ad usum Delphini" (F,
S. 464) herzustellen und mit dieser Dedikationsgeste um das markgri:itliche Druckprivileg für Abc-Fibeln nachzusuchen, bleibt die Zahl der gedruckten Exemplare
sogar hinter der Zahl der abgeschriebenen zurück. Während sich der Buchdruck
mit Blick auf die Quantität der hergestellten Replica-Token zunächst als "armer
Verwandter" 172 des Abschreibens erweist, rückt die tonale Qualität der hergestellten Exemplare in den Fokus des Interesses.
Pelz gibt den Rat, den Chrysographen Pompier anzustellen, der die Abc-Bücher
"nett einbindet und außen auf der Schale alles vergoldet, sowohl die Buchstaben
als den Deckel und Schnitt" (F, S. 464). Die Strategie des Magister Pelz zielt dar172 Vgl. Morison: Schrift, Inschrift, Druck, S, 5.
8.4 DIE SCHREIB-SZENE ALS DRUCK.SZENE: LEBEN FIBELS
365
f b mit Hilfe einiger weniger Prachtexemplare das markgrätliche Druckprivi-
~u ~s 'exldusives Copyright zu erhalten. HieI: wird zum einen deutlich, daß der ~t
dg Druckens nicht nur durch einen techmschen, sondern vor all:m auch .durc~l
.esen institutionellen Rahmen determiniert wird, der als ökonomIsches DISpOSIel1l
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Die technisch hergestellten Replica-Token werden durch dIe nac trag 1C e ehandlung mit der Hand veredelt - und geadelt.
8.5 Prinzipien der Texterzeugung in Leben Fibels:
Drucken, Pfropfen, Adoptieren
Gemäß der Kopplung von Gedrucktwerden und Autorwerden erfolg.t die Genese
n Fibels Autorschaft im Vollzug einer medialen Modulation, nämlIch dadurch,
~~ß das von ihm zunächst nur abgeschriebene Abc schließlich auch abgedruckt
wird. Freilich dient das Gedrucktwerden nur im technischen Sinne der ?enes: der
Autorschaft - erst das Beschriebenwerden durch Pelz macht aus FIbel emen
berühmten Autor im emphatischen Sinne. So schlägt Magister Pelz nach dem gelungenen Einwerben des Druckprivilegs und dem anschl~eßenden massenh:rten
Druck des Abc-Buchs vor: "Herr, Sie sollten etwas von SIch drucken lass.en (F,
S. 483). Mit "etwas von sich drucken lassen" ist kein zw~ites Werk von FIbel gemeint sondern ein Werk über Fibel: Die Autorschaft, dIe durch das Gedrucktwerde~ konstituiert wurde, soll nun durch eine vielbändige Biographie glorifizi~r,~
werden, weshalb Magister Pelz die Gründung einer "biograph~schen. AkademIe
anregt, die jede Lebensäußerung Fibels protokollieren so1l173: Em ProJekt, das un173 Analog (wenn auch spiegelverkehn) zum Godwi, wo d~r Pr?tagon~sr ~einen Bi?graphen.ermunten, "schnell" sein vergangenes Leben zu erzählen, damIt belde "mIr emander e:ne besseie l~ben
dige des eigenen Lebens anfangen können'.' (V?1. G, S.. 421), m.acht MagIster Pelz semem
Protagonisten den Vorschlag: ",[.,,] Setzten WIr beide nUl~, Ich un? SIe, Ihr Leben lange genug s~
miteinander fort: so kann Ihr lebendiges Leben so stark ms GeWIcht fallen als Faßmanns Qualtanten-Gespräche im Reiche der Toten und Ihre Biographica Fibeliana so vielbändig werden als
die Biographia britannica, ob diese gleich aus mehreren Le~en besteht'" (P, S. 485). ~s ents:.~~t
der Plan einer biographischen Akademie, deren Zweck es 1st, "das Lebe~ unseiS se!Igen PlasIdenten und Mitglieds allmählich zusammenzutragen" (P, S. 4870: wobeI s?wohl dIe druckenden als auch die lebensbeschreibenden Operationen von Pelz eme deutlIche Tendenz .zum
Parasitären erkennen lassen: Pelz lebt als Drucker wie als Biograph von dem geerbten Geld Fibeis.
366
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
schwer als Parodie auf die biographische Monumentalisierung Kants und Schill '
zu erkennen ist. 174 Indessen will Magister Pelz nicht nur Fibels vergangenes Leb eis
sondern auch sein gegenwärtiges Leben beschreiben und "wöchentlich abdruck~~:;
(F, S. 483). Diese Lebensbeschreibung in actu ist nicht nur eine ironische Zus .
zung der Poetik des written to the moment, die der Briefroman propagiert, sonll,t. ver1"
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werdens: Infolgedessen wünscht sich Fibel, daß er "ganz leibhaftig in Druck herauskäme" (F, S. 483). Dieses "leibhaftig in Druck herauskommen" verknüpft zu
einen den Akt des Druckens mit dem Akt des Herausgebens l75 und verweist zuln
anderen durch das Adjektiv ,leibhaftig' auch auf jenen Verlust an Körperlichke:
den der Akt des Druckens impliziert. Geht man davon aus, daß Autorschaft di~
Konsequenz einer bewußten Entscheidung zum Akt des Druckens ist, so steht Inan
vor der paradoxen Situation, daß de~' körperliche Aspekt des Schreibens ausgerechnet durch den Akt der drucktechl1lschen Verkörperung nivelliert wird. Der Akt
d~s Druckens löscht "den körperlichen Anteil des Autors völlig aus". 176 Daher ist
die drucktechnische Modulation der Schrift als "Prozeß der Entkörpedichung"177
zu f~ssen, i~ deren Zentrum eine enteignende "Geste der Externalisierung" 178 steht.
E1I1 zweiter Aspekt betrifft das Verhältnis von Produktion und Reproduktion
beziehungsweise von Original und Kopie. Dabei erscheinen die Akte, mit denen
ein Original erzeugt wird, und die Akte, mit denen Kopien hergestellt werden, als
gleichwertige performative Akte des ,Machens' .179 Leben Fibels entfaltet ein Konzept von Autorschaft, das mit Hilfe des Gedrucktwerdens und des Beschriebenwerd~ns k~pi~rende Schreiber in original,e S.~hrifts.teller transformiert: ein Konzept,
das die Pramlssen der Youngschen Gel1le-Asthetlk auf den Kopf stellt: Während
Young behauptet, daß wir als Originale geboren werden und als Kopien sterbenlSO,
174 Vgl. Braun: Divergentes Bewusstsein, S. 388. Auch Jean Paul bezeichnet Leben Fibels in einem
Brief an Christian Ürro als "Satire auf die Lebensbeschreiber Kants" (Jean Paul: Brieft, Bd.5,
S,218),
175 So heißt es an gleicher Stelle: "Ja nicht einmal bloß unter einem Dache sollte der Heldensänger
mit seinem Helden sich aufhaIren, sondern sogar unter einer Hirnschale, wodurch, da nur einer
darunter Platz hat, natürlich der Held und sein Sänger in eins zusammenfallen und mireinander
das herausgeben, was man eine Selbsdebensbeschreibung, Autobiographie, Confessions u. s, w.
nennt" (S. 516).
176 Erb: Schreib-Arbeit, S. 85.
177 Ebd.
178 Assmann: "Exkarnation", S. 135. Positiv gewendet, erscheint das Nivellieren der Körperlichkeit
als "Brorverwandlung ins Göttliche" (Jean Paul: Vorschule der Asthetik, S. 43). Das heißr, die mediale Modularion der Handschrift in Druckschrift und der dabei implizierte deklarative Akt des
imprimatur! wird als Alet der Transsubstantiation gefaßt (vgl. hierzu auch Kaiser: ]ean Paullesen,
S,246).
179 Dies wird deutlich, wenn Magister Pelz, Fibels erster Biograph, feststellt: "Er hat das Abcbuch
gemacht" (F, S, 489). Dieses ,Machen' ist gleichermaßen als ,Erfinden' und als ,Druckenlassen'
interprerierbar.
180 Vgl. YOlU1g: Gedanken über die Original- werke, S. 40. Eine deutliche Anspielung aufYoung läßt
sich in der Anmerkung des Herausgeber-Erzählers Jean Paul erkennen, der feststellt: "Auch gibts
noch keine Mode zu sterben, jeder stirbt originell" (S. 409).
8.5 PRINZIPIEN DER TEXTERZEUGUNG IN LEBEN FIBELS
367
ird im Leben Fibels vorgeführt, daß es auch möglich ist, als Kopist geboren zu
.den und als Original-Genie weiterzuleben - vorausgesetzt, man wird gedruckt
we~ glorifiziert. Um diese kopierende Existenzweise darzustellen, rekurriert Jean
~~ul explizit auf das Modell der Aufpfropfung, w~bei die Aufp~r.opfung ~n Leben
Fibels nicht nur zum Modell für die Akte des Kopierens und Zltlerens Wird, sondern auch, ja vor allem, ein Modell für den Akt des Druckens.
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8.5.1 Aufpfropfung und Adoption auf der Ebene der histoire
Als metaphorisches Motiv taucht die Aufpfropfung bereits im ersten Kapitel von
Leben Fibels auf, wo berichtet wird, wie der Protagonist "fußhohe Bäumchen
aus[zog], um sie einige Schritte davon wieder elend einzupflanzen zu einem .Gärtchen" (F, S. 379). Wie bereits erwähnt, dient die Metapher des Verpflanzens 111 der
Ästhetik des 18. Jahrhunderts zur Bezeichnung kraftlosen Nachahmens: Fibel ist
der Prototyp jenes von Young kritisierten, "Nachahmer[s], der die Lorbeerzweige
nur verpflanzet, welche oft bey dieser Versetzung eingehen, oder doch allezeit in
einem fremden Boden schwächer fortkommen".lsl Die Tatsache, daß der verpflanzte Lorbeerz:veig "s.chwäch~r fo~·tkommt",. deutet dara~~in, daß Young,~~~
Zitieren genau wie Austln als etzolatzon, das heißt als "parasItare Auszehrung
der Sprache versteht. Mit dieser etiolation kommen jene ",überschießende[n]' Energien" des Zeichens ins Spiel l83 , die dem körperlichen "excess of~lttera~ce"IS4.ge
schuldet sind: Zugleich stellt sich die Frage nach den MöglIchkeiten, diese
überschießenden Kräfte zu kanalisieren. In diesem Zusammenhang kommt die
Prozedur der Aufpfropfung ins Spiel.
In Leben Fibels läßt sich das Wirken der Aufpfropfungsdynamik auf allen Ebenen und bei allen Instanzen beobachten: Fibels kopierendes Abschreiben auf der
Ebene der histoire erweist sich ebenso als Aufpfropfung wie das editoriale Zusammenschreiben Jean Pauls auf der Ebene des discours: "Ecrire veut dire greffer. C' est
le m~me mot"185, lautet das Motto. Dabei kommt Magister Pelz eine Schlüsselfunktion zu: Er wird nachgerade zur Allegorie der Aufpfropfung, denn sein Name
ist Programm: "Pelzen" ist, wie man im ,,20. oder Pelz-Kapitel" erfährt, ein Synonym für das Verfahren der Aufpfropfung im botanischen Sinne. 186 Dort liest man:
"Dieses ganze Kapitel wurde in einem Impf- oder Pelzgarten im Grase gefunden
und schien zum Verbinden der Pelz-Wunden gedient zu haben, was einer leicht
fein-allegorisch deuten könnte, wenn er denn wollte" (F, S. 464).
181
182
183
184
185
186
Young: Gedanken über die Original- Werke,S, 16,
Vgl. Austin: How to Do Things with Words, S. 22.
KorzingerlRippl: "Einleitung", S. 16.
FeIman: The LiterarySpeech Act, S. 112.
Derrida: "La double Seance", S. 431.
Vgl. Zedlers Universallexikon, Bd. 27, S. 220, Stichwort "Pelzen", das auf das Stichwort :,Baumpfropffen" (Bd. 3, S. 762) verweist. Daß ,Pelzen' gleichbedeutend ist mit Aufpfropfen, wll'd auch
im Anmerkungsteil zu Leben Fibels erwähnt (vgl. Werke, Bd, 12, S. 1276).
368
8. JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
8.5 PRINZIPIEN DER TEXTERZEUGUNG IN LEBEN FIBELS
Sowohl in fein-allegorischer als auch in medientechnischer Hinsicht erweist . I
Pelz als Regisseur modulierender Aufpfropfungen. 187 Seine Aufgabe besteht I ~IC)
lich darin, Fibel anzuleiten, wie der Akt des Druckens als AufPftopfimg vollz~aJn
werden kann. Eben dies ist die mediale und zugleich diskursive Pointe von L ~en
n
Fibels. So fällt am Ende des Romans "helles Licht rückwärts" (F, S. 478) auf d~e
dei: Vorrede erwähnten 135 Bände des Fibel zugeschriebenen CEuvres. Fibel el~
steigerte "Bücher jedes Bands und Fachs und Idioms, welche auf den Titelblättern
ohne Namen der Verfasser waren; in diese Blätter druckte er nun seinen Namen
geschickt ein, daß das Werk gut für eines von ihm selber zu nehmen war" (~
S.478).
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Das aufpfropfende Einschreiben von Wortketten in andere Kontexte 188 wird
zum Eindrucken des eigenen Namens in anonyme Werke. Dabei impliziert da
Eindrucken des eigenen Namens ein Zuschreiben des Werks. Das heißt, die Trans~
formation.Zl~m Autor wir? hier nicht mehr als mediale Modulation der eigenen
Han~schnft In Druckschnft dargestellt, sondern als aufpfropfende Aneignungsge_
ste, dIe nachträglich den eigenen Namen auf das Titelblatt dazu druckt. Dadurch
,;ir? der Akt der Au~pfro~fungVO~l einer perform~tiven Schreibgeste zu einem jurIStIschen PerformatIv: MIt dem Emdrucken des eigenen Namens werden die anon~men Werke adoptiert. So heißt es von Fibel, daß er mit dem Akt aufpfropfenden
EmdnIckens "Fündlinge von höchst gottlosem und unzüchtigem Inhalt [...] unwissend an Kindes Statt annahm" (F, S. 478 f). Die Kopplung von Autorschaft an
das Gedrucktwerden erfährt hier eine signifikante Erweiterung um den Aspekt der
Adoption von bereits Gedrucktem. Die Verknüpfung von Aufpfropfung und Adoption nivelliert die Differenz zwischen Autorschaft und Herausgeberschaft, ja Autorschaft wird zu einer Vollzugsform von Herausgeberschaft. Unmittelbar nach der
gerade zitierten Passage heißt es nämlich: "Die schwersten Werke war er imstande
herauszugeben, sobald er sich bei Pelzen erkundigt hatte, in welcher Sprache sie geschrieben waren, damit er das Einzudruckende ,von Fibel der Sprache angemessen
ausdrückte" (F, S. 478 f.)
Das Eindrucken von Possesivpronomen und Eigennamen radikalisiert die
These, daß Autorschaft an das Gedrucktwerden geknüpft ist: Der leere Raum auf
dem Titelblatt des anonymen Werks wird durch eine Geste aufpfropfenden Eindruckens, die eine adoptierende Aneignungsgeste ist, in einen auktorialen Raum
transformiert. Das heißt, nicht mehr nur der Herausgeber, sondern auch der Autor
tritt als Adoptivvater der Schrift auf. Zugleich führt die von Fibel vollzogene Aneignungsgeste die konstitutive Kopplung von Autorwerden und Gedrucktwerden
ad absurdum: Da Fibel seinen Namen immer nur in ein einzelnes Exemplar eindruckt, hat der Akt des Eindruckens lediglich den Status einer einmaligen Unter-
369
chrift. Daß sowohl Fibel als auch sein zweiter Biograph Jean Paul diesen mißglücksen Akt auktorialer Aneignung als gelungenen Akt deuten, belegt, daß sie offen~ichdich eines Geistes Kind sind.
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187 Antizipiert wird die Funktion von Pelz als Aufpfropfer durch die Art, wie er in den narrativen
Diskurs eingeführt wird: Bezeichnenderweise wird der "wildfremde" Pelz durch den Wirtssohn
angemeldet (F, S. 455). Das Verhältnis von Winspflanze und Pfropfreis wird hier durch das Verhältnis von Wirtssohn und Magisrer Pelz verdoppelt. Zugleich kommt durch die Tarsache, daß
es sich um den Wirtssohn handelt, das Thema ,Fortpflanzung' ins Spiel.
188 Vgl. Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 27.
8.5.2 Pfropfen und Kleben auf der Ebene des discours
Analog zu Fibel, der sich anonyme Schriften durch das aufpfropfen~e Ei.ndruck~n
seines Namens aneignet, verfährt der Herausgeber Jean Paul, der dIe mIttlerweIle
Makulatur gewordene Biographie Fibels neu zusammenschreibt und unter seinem
Namen herausgibt. Dadurch wird die Dynamik der Aufpfropfung gewissermaßen
von der Ebene der histoire auf die Ebene des discours projiziert und don als Texterzeugungsverfahren vorgeführt. Mit dem von Jean Paul vollzogenen Akt des Ausreißens im Laden des Papierhändlers Judas (vgl. F, S. 375) wird der erste Schritt
der Aufpfropfung, nämlich der rabiate "Bruch mit dem Kontext"189 als erster Akt
einer Editions-Szene vorgeführt. Zugleich erweist sich das Ausreißens als nachträgliche Geste, die jenen Zustand disseminativer Zerstreuung spiegelt und vollendet,
in dem sich die 40-bändige Biographie Fibels zu diesem Zeitpunkt befindet. Französische "Marodeurs" hatten, so berichtet der Papierhändler Judas, auf ihrem Rückzug die Lebensbeschreibung Fibels "zerschnitten und aus dem Fenster fliegen
lassen" (F, S. 374), woraufuin die "guten Heiligenguter" die "übriggebliebenen
Quellen" auflasen und "zu Papierfenstern, Feldscheuen und zu allem" machten (F,
S. 375). Angesichts dieser zerstreuten Quellenlage beschließt Jean Paul, nach Heiligengut zu reisen, um dort als Sammler monumentaler Schriftspuren noch so viele
"historische Quellen" aufzutreiben,
als etwa nötig wären, um aus allen biograpischen Papierschnitzeln geschickt jenen Luftballon zusammenzuleimen, welcher, sobald ich mein Feuer dazufüge, aufgeblasen und
rund genug wird, um den unten darangehängten Helden Fibel (in Paris stieg zuerst nur
ein Hahn gleich dem bekannten Fibelhahn empor) von der Erde in die Höhe und in
den Himmel zu tragen (F, S. 375).
Gemäß der Logik der Greife folgt dem ersten Akt der Auflösung des Syntagmas als
zweiter Akt die Wiedereinschreibung in ein neues Syntagma. Das Vorspiel für diesen zweiten Akt der Editions-Szene ist das Zusammenlesen der ,jliegende[n] Blätter fibelschen Lebens" (F, S. 376) durch die heiligenguter Dorfjugend. Da die
"trefflichen barfüßigen Sammler" (ebd.) weder lesen noch schreiben können, ist
das Zusammenlesen nicht als Lektüre oder als "Relektüre"190 zu verstehen, sondern
als körperlicher Akt der Kollektion und der Konsignation von "zerstreueten Quellen" (ebd.).191 Damit beschreibt der Biograph Jean Paul in seiner "Vor-Geschichte"
189 Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S, 27.
190 Vgl. Kittler: Aufichreibesysteme 180011900, S. 118.
191 Vgl. Derrida: Dem Archiv verschrieben, S. 12 f. Vgl. auch Schestag: "Bibliographie für Jean Pau!",
S.507,
370
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
ein aufpfropfendes Texterzeugungsverfahren, das offensichtlich "nicht aus der Kr fi
des Genies hervorgegangen, sondern äußerlich zusammengetragen" ist, In
at
Auf die monumentalen Spuren des Ausreißens und Zusammentragens VerWe'_
sen die Kapirelüberschriften, die den Herkunftsort oder die Funktion der Mak 1_
latur im Alltagsleben beschreiben. So dienten die Papiere des "Laternenkapitel~l«
als Windschutz (F, S. 486) und die "Herings-Papiere" zum Einwickeln von Fisch
(F, S, 388), während die "Judas-Kapitel" die vom Herausgeber beim Papierhänd_
ler Judas entdeckten und ausgezogenen Reste der 40bändigen Biographie bezeich_
nen. Dergestalt referieren die Kapitelüberschriften als degenerierte Indices auf d'
genuin indexikalischen Spuren ein.er .A~fpfropfungsbewegun?, der die Textfra~~
mente un.~erworfen waren, bevor sie In Ihr neues Syntagma e111geschrieben Wurden, Die Außerlichkeit der editorialen Rahmungsakte am extradiegetischen Rand
des Diskurses wird dabei in Form einer mise en abyme vom intradiegetischen Rand
her gespiegelt: Das im Rahmen der histoire geschilderte Lektüreverfahren des Protagonisten Fibel spiegelt die Akte konsignativen Zusammenlesens, für die der Herausgeber die Dorfjugend engagiert. Fibel liest alles, "was er poetisches, juristisches,
chemisches Gedrucktes aus dem Gewürzladen, seiner Lese-Bibliothek," (F, S, 388)
in die Hände bekommt. 193 Mit anderen Worten: Fibels Lektüre sind Makulatl11'blätter, die keinem Verfasser zugeschrieben werden können:
Nicht für jeden Gelehrten ist ungeachtet ihres kleinen Laden-Preises Makulatur eine
Lektüre; aus Mangel an Titelblättern, und weil sie, wie das Epos, bald mitten, bald hinten anfängt, kann der Mann nichts daraus zitieren und saugt sich elend voll Kenntnisse,
ohne imstand zu sein, nur einen Tropfen wieder aus sich zu drücken mit beigefügtem
Zitat; und doch bekommt er nur einen Namen durch Namen (F, S. 388).
Dieses vom jungen Fibel praktizierte aneignende Verfahren des Zusammenlesens
wird durch das vom alten Fibel praktizierte aneignende Verfahren der aufpfropfenden Adoption anonymer Werke überboten. Zusammengenommen spiegeln
beide Verfahren die aufpfropfende Textverarbeitungsstrategie des zweiten Biographen Jean Paul: Dieser unterwirft die von Magister Pelz verfaßte, durch die Marodeurs in ,fliegende Blätter' und den Papierhändler Judas in Makulatur verwandelte
erste Biographie Fibels einer "geste archa'ique du decouper-coller" 194: Die aufpfropfende Einschreibung erfolgt im Rahmen einer re-arrangierenden editorialen
Collage: als Zusammenleimen. 195 Dabei koppelt das auf der Ebene des discours in
192 HegeI: Vorlesungen über die listhetik, S. 382,
193 Dabei ist entscheidend, daß es sich nicht einfach um Geschriebenes, sondern um Gedrucktes
handelt. So heißt es kurz darauf: "Was der angehende Gelehrte Fibel vom obigen Verfasset Gedruckt auftreiben konnte, damit verstärkte er seine Büchersammlung [...]" (F, S. 389).
194 Compagnon: La Seconde main, S. 17.
195 Das Zusammenleimen ist nichr nur in einem wörtlichen, sondern auch in einem doppelten metaphorischen Sinne zu verstehen: Zum einen steht das Zusammenleimen in funktionaler Analogie zum Verkleben der sogenannten ,Pelzwunden' mit PfropfWachs. Zum anderen ist der Leim,
mit dem ]ean Paul die ,biographischen Papierschnitzel' geschickt zusammenleimt, seine Tinte,
die er beim Zusammenschreiben der Fragmente verwendet.
8.5 PRINZIPIEN DER TEXTERZEUGUNG IN LEBEN FIBELS
371
gesetzte aufpfropfende Texterzeugungsverfahren die syntagmatische Logik
Szene
. der paradigmatischen
..
'1 d es ExzerP.lerens,
.
W'le d as H'
d s Arrangierens mit
Logi<:
~re 1" n von Textteilen aus seinem Syntagma kann das Exzerpieren als erster Schntt
allS ase
.
b' k'
D'
..
. el. Pfropf-Prozedur gefaßt werden, Das Exzerpieren eWlr t e111e" IssoZlatlon
ell1
1
196
b' d' d'
..
S h rntstuc
.c: .. 1<:e aus I'h rem
der. SChrift zu Schrift-Stüc <:en" ,wo elle Issozuerten c'b'Bdf"
, el'ligen thematischen Kontext herausgelöst werden, um sie el e ar 111 e111en
JeW ren diskurSiven
.
.
"
197 Das h'ß
' '
Zusammenhang e111zufugen.
el t, dem exzerplerenan de
,
c d ' 198
den Auszug folgt e111e aufpfroplen e InsertIOn,
8.5.3 Editing to the moment als Inszenierungsform monumentaler Bruchstücke
B . n Re-fu'1'angement der dissoziierten Schriftstücke folgt der Biograph in Leben
eil ls - wie schon der Herausgeber-Erzähler im Hesperus - dem P'
. des ed'ttF:b
nnzlp
.t eto the moment. Die damit einhergehenden Probleme reflektiert Jean Paul im
~!schluß an die von ihm wörtlich zitierte Lobrede des Magister Pelz auf Fibel:
Ich kann mich hier sehr leicht lächerlich machen, wenn ich nicht verständig verfahre.
Setz' ich nämlich die Pelzischen Sitzungen her, so bring' ich das aus ihnen ausgehobene Leben zum zweiten Male und fange mitten im Buche wieder beim Anfange des
Lebens an. Med ich die Sitzungen aus, so fehlt gerade der Teil des Fibelsehen
Lebens, der in die Vorlesungen hineinfallt, und es wird das ganze Werk ein Wrack
(F, S, 493).
Die durch den Biographen Jean Paul hervorgebrachte diskursive Ordnung tritt h.ier
in Konkurrenz zu jener Ordnung, die der treue Herausgeber als Dokumentat.or 111S
Werk setzen müßte. Das editoriale Dispositiv des Auswählens und Arranglerens
steht nicht mehr unter dem Vorzeichen originalgetreuen Zitierens, sondern folgt
der ökonomischen Maxime, die Schriftstücke nur noch auszugsweise zu präsen-
196 Müller: "Mehrfache Kodierung", S. 77.
197 Dabei hat die aufpfropfende Insertion assoziativen Charakter. So stellt Müller in sein~r au~fü.hr
lichen Untersuchung von ]ean Pauls exzerpierendem Schreibverfahren f~st: "Der ~lssozlatlO,~
folgt eine erste Assoziation der Schrift-Stücke" (Müller: "Mehr~~che. Kod.lerung .be~ ]ean Paul ,
S. 78). Bei diesen Assoziationen handelt es sich nach Müller um AhnhchkeltsassoZiationen. Unter
Bezug auf Foucault, der im Don Quixote die "Suche nach Ähnlichkeiten" als Prinzip erkennt, das
dt1l'ch das Auffinden der "geringsten Analogien" die "eingeschläferte[n] Zeichen" aufWeckt,
"damit sie erneut zu sprechen beginnen" (Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 78), sch:eibt Müller: ,,]ean Paul war immer ein großer Sucher nach Ähnlichkeire~l; ~ein musivischer ~~I1 s~tzt g~
radeZiI methodisch die exzerpierten Schrift-Stücke nach dem Pnnzlp der .entfernte~ Ahnll~hkelt
zusammen" (Müller: "Mehrfache Kodierung bei]ean Paul", S. 87). Schmldt-Han111sa vertritt ~a
gegen die Ansicht, ]ean Pau! interessiere sich nicht für eine "systematische ~l':assung von WISsen", seine Exzerpiertechnik bestehe vielmehr "in der radi1~alen ~ekonte~tuallsler:lI1g von Date2
und in der Auflösung der hierarchischen Strukturen des Wissens (Schmldt-Han111sa: "Lesalten ,
S.39).
198 Vgl. Derrida: "Die zweifache Seance", S. 263.
372
8. JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELßSTI-IERAUSGEBER
8.5 PRINZIPIEN DER TEXTERZEUGUNG IN LEBENFIBELS
tieren, um wiederholende Verdopplungen zu vermeiden. 199 Zugleich mach .
am Ende von Leben Fibels - wie am Ende des Werther und des Hesperus _ ein ~Ich
gel an Quellen bemerkbar. So muß der Biograph im "Nicht Judas, sondern JanPauls~Kapitel" mitteilen: "Verdrüßlich und fast grimmig hab' ich das Kapitel an
eine Zahl überschrieben; denn seit Wochen lauft nichts mehr von den DorflJ 0 )ne
.
d. h h
.1 .
.
h
ungen
em, Ulhl lC. se eAmic 1 mItte? im Budc e u,nd im Dorfe mit leeren Händen festsit_
zen,o ne emen usweg zu emem or entlIehen Ausgang" (F, S. 522).
Das Ende von Leben Fibels impliziert eine Radikalisierung der Poetik des d'
ing to the moment: Es wird zu einer in actu erzählten Auffindungsgeschicht:
letzten Papierfetzen, die der zweite Biograph ]ean Paul quasi als "Original-B' er
.. " f den" A'b'
..
11CUS au
trItten " (F, S. 523) der Bewohner HeilIgenguts
entdeckt. IstoAn.d~rs als der Herausgeber-Erzäl~le~ im Werther ve~zichtet ]ean Paul jedoch darauf,-l
dIe ,monumentalen Leerstellen dieser Fragmente in den Rahmen seiner Erzähl
zu
it1 t
'
..
. seme
. 11rouval
"11en m
. I'h rer ,monumentalen Zerung
,
egneren,
son d ern prasent1ert
rissenheit'2oo: Jeder Papierfetzen wird als eigenes "Kapitelchen" angeführt und i
durch Leerzeile und Sternchen vom nächsten bruchstückhaften Kapitelchen g;~
trennt (vgl. F, S. 525): Das erste berichtet vom Tod der Mutter Fibels, das zweite
vom Tod des Buchbinders Pompier, das dritte von der Abreise des Buchdrucker
Fuhrmann, das vierte deutet "gewaltige Änderungen" an, das fünfte berichtet VOi~
Abgang des Magister Pelz. In diesen fünf letzten Kapitelchen tritt ]ean Paul in ins~esamt.dre.i Klammerbemerkungen auf. Zwei dieser drei Klammerbemerkungen
sm~ editonale Sympt~mkon:mentare, die sich auf die Bruchstellen der Fragmente
beZiehen. So ~as zweite Kapitelchen, das den Tod des Buchbinders Pompier Ver.
meld.et und mit dem ~albsatz endet: ,,[...] wer aber seinen Lebensfaden abgerissen
... (hier war dem Kapitelchen das Ende abgerissen)" (F, S. 525).
. Daß das Fragn:e?t nach dem Wort ,abgerissen' abreißt, ist als Vollzugsform poetischer Performativität zu werten: Der Text führt auf der Ebene der performativen
Verkörperung den propositionalen Gehalt des Wortes ,abreißen' vor und läßt diesen Riß durch den autoreflexiven editorialen Index "hier war dem Kapitelchen das
Ende abgerissen" feststellen. Auch die Klammerbemerkung am Ende des vierten
t
li
(t
199 Genau dieses Problem rauchI' auch am Ende der Vorrede zum ersren Band des Siebenkäs auf (vgl.
S, S. S.29). In Leben Fibels verweisr die Reflexion des Herausgeber-Erzählers jedoch nicht nur
das durch originalgetreues Zitieren entsrehende Problem eines diskursiven dedoublements, sondern auch die damit einhergehende Regression des Erzählverfahrens: "Ich habe nur schlechte
Freud am vorigen Absatze; denn ich sehe ja, daß ich immer mehl' den Lebensbeschreiber der Lebensbeschreiber mache und mehr unvermerkt durch die Sitzungen mich in die schon erzählten
Kapitel zurückwerfe. Es muß aber doch fortgefahren werden" (F, S. 499). Um überhaupt fonfahren zu können, fertigt Jean Paul die Vorträge von Pelz radikal ab: Er liefert nur noch ein Protokollon der Vomagstitel, ohne die Vorträge zu präsentieren. Der zweite Biograph Jean Paul hat
es "anstelle einer wohlgeordneten Rücldtopplung mit einer Verdopplung zu tun: indem er erzählen muß, was die biographische Akademie über die Biographie Fibels herausfindet, wird er
selbst zum ,Lebensbeschreiber' der ,Lebensbeschreiber'" (Simon: "A1legorie und Erzählstl'llktllr
in Jean Pauls Leben Fibels", S, 227). Zugleich nimmt der zweite Biograph als ,Lebensbeschreibel'
der Lebensbesclueiber' ironisch auf den romantischen Anspruch einer ,Poesie der Poesie' Bezug,
200 Vgl. Pross: Falschnamenmünzer, S. 103,
373
1< pitelchens, das nur aus einem halben Satz besteht, verweist als editorialer Index
af eine umfassende ,monumentale Leerstelle'. So stellt die Klammerbemerkung
(F, S. 525). Im fünften "Abtritts- und Abgangs-Kaitel" wird schließlich berichtet, wie der "übriggebliebene Magister Pelz" die letzP n Seiten der ersten Biographie Fibels setzt und druckt, bevor er die Druck-Szene
te it unbestimmtem Ziel verläßt: "Pelz, bisheriger Redakteur des lebensbeschrei~nden Gelehrtenvereins geht eben auch fort und druckts nur vorher" (F, S. 525).
Abgesehen von der en passant vorgenommenen medialen Modulation des writing to the moment z~m printing to the m0m.ent schreibt der ano?yme Verfasser - vermutlich ist es MagIster Pelz selbst, der semen Abgang als fiktIv allographe Instanz
in Szene setzt - in diesem letzten Fragment der ersten Biographie Fibels dem Verfasser einer künftigen, zweiten Biographie Fibels vor, in welcher Form die editodal e Tätigkeiten zu vollziehen ist:"Vielleicht in spätern Zeiten treten hohe
_ Biographen auf, welche unsere Spreu zu Weizen sichten. (Ich]. P. Richter gestehe
unverhohlen, daß mir diese Abtritts-Stelle eine gute Idee von mir gegeben.)" (F,
S.526).
Diese abschließende Bemerkung ist als quasi-testamentarische Verfügung zu
lesen, die sich an eine Gruppe von noch unbekannten Biographen richtet, deren
diskursive Funktion sich offensichtlich im Übergang von der Funktion Herausgeber zur Funktion Autor befindet: Zwar impliziert das Sichten der Spreu die
editoriale Tätigkeit der Überarbeitung, doch das Sichten der Spreu "zu Weizen"
.suggeriert eine auktoriale Modulation des Deutungsrahmens mit Hilfe eines deldarativen Sprechakts: Die biographische Spreu soll zu biographischem Weizen
erklärt werden. Die anschließende Klammerbemerkung von ,]. P. Richter' belegt,
daß sich der zweite Biograph primär als Autor und nicht als Herausgeber versteht, und das, obwohl er sich im Rahmen seiner Selbstkommentare immer wieder als Instanz beschreibt, die eine konsignierende, arrangierende, mithin
editoriale Tätigkeit ausübt. Das heißt, mit der Umdeutung der biographischen
Spreu zu Weizen geht eine Umdeutung des biographischen Herausgebers zum
Autor einher.
In die gleiche Richtung zielt die Fußnote im ,,2. Nach-Kapitel": Nachdem ]ean
Paul entdeckt hat, daß Fibel- inzwischen 125jährig - noch lebt, sich aber nunmehr aus Bescheidenheit der "Bienenroder" nennt (F, S. 534), kommt er auf seinen eigenen Namen zu sprechen und stellt fest, er habe sich "selber, aber freilich
als angehender Autor und mithin aus Demut, ins Französische verdeutscht" (F,
S. 535). Das Wort ,selber' wird durch eine Fußnote kommentiert, in der es heißt:
"Verfasser dieses heißt ursprünglich]ohann Paul Friedrich Richter." (F, S. 535).
Hier gibt der zweite Biograph, der sieh auf dem Titelblatt mit seinem zweiten
Namen ,]ean Paul' nennt, im Rahmen einer Fußnote seinen ersten, bürgerlichen
Namen bekannt und liefert dem Leser damit eine An Modulationsmanual, mit
dem sieh der Übergang vom ursprünglichen Namen ]ohann Paul Friedrich Richter zu dem kürzeren zweiten Autornamen ,]ean Paul', wie er auf dem Titelblatt
steht, sowie dem längeren zweiten Autornamen ]ean Paul Fr. Richter, wie er am
Ende der Vorrede und der Vor-Geschichte steht, nachvollziehbar macht. Die Nen-
~~idar fest: "Hier fehlt alles"
374
8.6 ZUSAMMENFASSUNG
8, JEAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
nung des bürgerlichen Eigennames in der Fußnote wird zur Signatur201 d'
"transworld identification"202 dient, da sie den "Verfasser dieses" über de~ ~f
1 ~el'
nalen Rahmen des Textes
hinaus
identifizierbar
macht
Indessen
ve1'we1'
d
'
.
st er<r10Ei
genname d es Autors 11lcht nur auf den realen Träger dieses Namens ' sond'
e1n allelau fd en Prozeß der partage, der zum dedoublement zwischen dem Eigenna
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1e enen Verkorperungsformen des Autornamensgeführt hat D '
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au pHop1en en 0 u atton verdankt: Der 1ns Französische übersetzte Vi '
, 'd
'
Ol11a11le
WH zum zwelten Autornamen, der dem ,ursprünglichen' bürgerlichen N h
C
ce'
ac namen aUfgep1roprt 1St.
375
bels erfährt dieser Topos eine grundlegende Modulation: Jean Paul tritt als Adoptivvater von Bruchstücken eines Werks auf, das er nicht nur editorial re-arrangiert,
sondern sich im Rahmen seines editorialen Re-Arrangements auktorial aneignet.
Dergestalt wird in Leben Fibels Autorschaft als Selbstherausgeberschaft und als aufpfropfende Adoption ins Werk gesetzt, wobei sich die Differenz zwischen Herausgeberschaft u?d -,!-uto~'schaft auf e~nen margi~alen editorialen Index r~duziett,
nämlich auf d1e hmwe1sende Funkttonsbeschrelbung ,herausgegeben von,
Bemerkenswerterweise fehlt dieser editoriale Index auf dem Titelblatt von Leben
Fibels - und dieses Fehlen wird zum genuinen Index dafür, daß sich der Editeur
Jean Paul in den Auteur Jean Paul transformiert hat. Während Jean Paul am Ende
seiner "Vor-Geschichte" als Herausgeber bekennt, daß er das Ganze beinahe als "eigenes Gemächt" ausgegeben hätte, hat er sich das Ganze bereits vor Beginn der
Vor-Geschichte" als Autor angeeignet, nämlich auf dem Titelblatt, wo es heißt:
"
8.6 Zusammenfassung
Halt,en wir fest: Die L~gik de~' Greffe ~st in Leben Fibels allgegenwärtig. Analog zu
denu-r: Rahmen der B10graph1e gesch1lderten aneignenden Aufpfropfungen Fibels
st,ellt slch am Rahmen des Diskurses die Frage der Zuschreibung. Jean Paul ethebt
11lcht ?ur Anspruch auf die Funktion eines zusammenschreibenden und zusammenle1mende,n Herausgebers, so~dern er steht in Versuchung, die Geste aufpftop.,
fender ~doptton als Geste auktonaler Aneignung zu vollziehen. So bekennt er am
Ende semer Vorrede, er bereue es beinahe, "daß ich nicht das Ganze für mein eigene,s c,;emächt ausgegeben; denn ich fragte mich: welcher kann mich denn einen
P.lag1ar1us (Gedanken-Dieb oder Geistes-Räuber) schelten, da kein Beiträger nicht
emm.allesen kann - - ~eschweige schreiben, ich meine meine Jungen" (F, S, 377),
H1er erkennt man emen nur mühsam niedergekämpften Wunsch nach Werkh~rrschaf t "203 ,er
d semen
'
" Mit
Ausdruck in der Formulierung ,Gemächt' findet,
d1eser Fo.rmulierung kommt nämlich die für die Genie-Ästhetik des 18. Jahrhunderts typ1sche Zeug~ngsm.etaPfchorik - und damit der Zeugungsakt als körperlicher
Akt par excellence - ms SP1el20 I: Der Autor ist det Vater seines Werks, In Leben Fi201
202
203
204
Vgl. auch Pross: Falschnamenmünzer, S. 96.
Kripke: Name und Notwendigkeit, S. 23.
Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft, S. 10.
Vgl. hierzu die Definition von ,Gemächt' in: Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 10, S, 767:
:,Gel~ächt. Eigentlich wird unter diesen Worten nichts anders, als der Hoden-Sack verstanden,
111 weltläuffigerm Verstande aber begreiffet es alle und jede Behältnisse derer Hoden". Zur Zeugungsmetaphorik bei ]ean Paul vgl. Neumann: "Der Anfang vom Ende", S. 476, sowie Pross:
Falschnamenmünzer, S., 99" Zum Problem der "Übertragungskausalität" beim Akt der Zeugung
vgl. ~(oschorke: "Insemll1atl~n, Empfängnislehre, Rhetorik und christliche Verkündigung", S, 92,
In diesem Zusammenhang Ist bemerkenswert, daß die poetische Funktion der Geschlechtsorgane nicht auf die Macht des ,Gemächts' beschränkt bleibt. So spricht ]ean Paul auch von des
"Autors Gehirn-Uterus" (F, S. 367) und zeichnet damit das Gehrin als "intellektuale Gebär-
Leben Fibels
des Verfassers
der Bienrodischen Fibel
Von Jean Paul
Wie bei Fibel, der auf das Titelblatt anonymer Werke "von Fibel" eindruckt, verdankt sich die Autorschaft des Herausgebers Jean Paul einer Geste aufpfropfenden
Einschreibens. Diese These gilt allerdings nur mit einer Einschränkung: Da die Zuschreibung ,von Jean Paul' als synekdochische Verkürzung der Funktionsbeschreibung ,herausgegeben von Jean Paul' zu lesen ist, wird Jean Pauls Autorschaft
dadurch konstituiert, daß das Performativ der Zuschreibung nicht korrekt vollzogen wird: Die performative Geste der Einschreibung wird unvollständig vollzogen.
Jean Pauls Autorschaft gründet mithin, so könnte man folgern, nicht nur auf dem
Gedrucktwerden, sondern auf einem ostentativen Nichtgedrucktwerden der Funktionsbeschreibung ,herausgegeben'. Jean Pauls Transformation vom Editeur zum
Auteur verdankt sich so betrachtet einer systematischen Leerstelle auf dem Titelblatt.
Die Interferenz der Funktion Autor und der Funktion Herausgeber zeigt sich in
Leben Fibels aber auch noch an einer anderen Stelle, nämlich an der Kontiguität
der von Jean Paul Fr. Richter re-arrangierten Lebensgeschichte Fibels und dem
"Werk selber", der Abc-Fibel, die Jean Paul "diesem Büchlein als Anhang beigefügt
[hat]" (F, S. 369), Das Werk ist als Supplement der genuine Index dafür, daß Jean
Paul eine editoriale Klammerfunktion hat: Seine Geschichte von Fibels Leben erzählt die Entstehungsgeschichte des beigefügten Buchs. Dabei erhält die ,monumentale Tatsache', daß Fibels Werk in toto im Anhang abgedruckt ist, eine doppelte
Bedeutung: Zum einen macht der angehängte Abdruck aus Jean Paul einen ,Nachdrucker', denn die Fibel ist nicht nur ein wörtliches Zitat, sondern eine typogramutter des Mannes" aus (vgl. Koschorke: "Insemination. EmpHingnislehre, Rhetorik und christliche Verkündigung", S, 93)
376
8. ]EAN PAUL: DER AUTOR ALS SELBSTHERAUSGEBER
phische K?pie des W~rks selber. Zum anderen spitzt das Ensemble von Fibe
bensgeschichte und semem Werk die von de Man und Derrida autl
.e
Is Le1 T I 001
.
gewOltenen Fr
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. 1ac em ver 1a tnlS von Haupttext und Vorwort zu. In Leben Fibels ge amcht darum, zu entscheiden, ob der Haupttext für das 1 TOl'
,
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'd 205 d
v' wott gesc r'le b
wu~ e 0 er ob das Vorwort größer ist als das Buch206 ; Da das Vorwort d. en
schlch.te des Buchs enthalten soll,207 und da der Haupttext von Leben Fi le G~
der angehängten Abc-Fibel erzählt, wird der Haupttext zum
die
der 1m.Anhang abgedruckten Abc-Fibel. Dabei ist der Herausgeber-Bi ,~lWOl't
Paul mcht nur der editoriale Arrangeur biographischer Fragmel1t d' 0~lap.1 Jean
d
.
d
e, le el Zltlerel1d
un exzerpIeren zusammenschreibt, sondern auch diejenige editoriale 11 t
d.
veranlaßt hat, daß die Biographie Fibels und das Buch Fibels zusammen a~ adn~, lle
werden.
ge lUe <t
Ges~hlchte
9.
~e~s
9.1 Exposition des Fragehorizonts
"Keinem Buche ist ein Vorwort nötiger, als gegenwärtigem", beginnt das "Vorwort
des Herausgebers" der Lebens-Ansichten des Katers Murr nebstfragmentarischer Biographie des Kapellmeisters ]ohannes Kreisler in zufiilligen Makulaturblättern, "da es,
wird nicht erldärt, auf welche wunderliche Weise es sich zusammengefügt hat, als
ein zusammengewürfeltes Durcheinander erscheinen dürfte. Daher bittet der Her1
ausgeber den günstigen Leser, wirldich zu lesen, nämlich dies Vorwort".
Dieser Appell an den Leser, das Vorwort "wirklich zu lesen", verweist ostentativ auf die Funktion des Vorwortverfassers, den Leser über "die Ordnung und
die Disposition" des Haupttextes zu unterrichten. 2 Das Vorwort der LebensAnsichten des Katers Murr wird seiner Instruktionsfunktion dadurch gerecht, daß
es die Geschichte des Buchs 3 als Geschichte eines ,editorialen Fehlschlags' erzählt:
Es handelt sich um ein Buch, in dem der Herausgeber als Verursacher einer
strukturbestimmenden Rahmenkonfusion auftritt, denn das Durcheinander der
Autobiographie Murrs und der Biographie Kreislers ist das Resultat seiner
editorialen Unzuverlässigkeit. Der Herausgeber ist offenbar unfähig, das "Prinzip einer gewissen Einheit des Schreibens"4 zur Anwendung zu bringen; die Folge
ist ein "arabeske[s] Spiel mit der ,Funktion Autor'''5 - und der Funktion Herausgeber.
Die Lebens-Ansichten stellen mehr noch als Jean Pauls Leben Fibels einen Versuch dar, den "entscheidenden Alezent des Werkes vom Inhalt in die Struktur, die
Kompositionsweise zu verlagern".6 Das "gefährliche [...] Spiel mit der Form"7 wird
zur "signifikanten Struktur"8 des Romans - der Schlüssel zum Verständnis des Romans liegt nämlich darin, die Unordnung der Mitteilung als Disposition des Textes zu begreifen. 9 Dies verlangt vom Leser eine Aufmerksamkeitsverschiebung im
1
2
3
4
5
6
205 De Man: "Allegory Qulie)", S. 205.
206 Derrida: "Hors livre. Prefaces", S. 73.
207 Lessing: Fabeln, in: ders.: werke, Bd. 5, S. 354.
DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
7
8
9
Hoffmann: Lebens-Ansichten des Katers Murr, S. 11. Im Folgenden mit det Sigle M im Text zitiert.
Vgl. Diderot/d'Alembert: Encyclopedie, Bd. 13 (1765), Stichwort "Preface", S. 280.
Vgl. Lessing: Fabeln, in: ders.: werke, Bd. 5, S. 354.
Foucault: "Was ist ein Autor?", S. 21 f.
Schäfer: Ohne Anftng- ohne Ende, S. 72. Dieses Spiel mit der Funktion Autor ist zugleich als "Spiel
mit der Herausgeberfiktion" (Momberger: Sonne und Punsch, S. 135) und als gefährliches "Spiel
mit der Form" anzusehen (Müller: Das Kreislerbuch, S. XLI).
Steinecke: "E. T. A. Hoffmanns ,Kater Murt'. Zur Modernität eines ,romantischen' Romans",
S.286.
Müller: Das Kreislerbuch, S. XLI.
Derrida: Grammatologie, S. 273.
Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 963.
378
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9.1 EXPOSITION DES FRAGEHORIZONTS
Sinne einer interpretativen Aufpfropfung lo : Nicht mehr das, was der Text sagt s
dem das, was sich an der Struktur des Textes zeigt, liefert die entscheidenden'B~11. rur
['.. d'le angemessene M 0 d uIatlOn
' d es DeutungsraIlmens.
ltlwelse
Bereits der "barocke Titel"ll erweist sich als Protokollon und als Selbstdarstel_
lung des Konzepts: Er zeigt an, daß sich die heterogenen "Papierstöße", aus dene
der Roman zusammengemischt wurde, einer "strikten Unifizierung"12 entziehe 11
Die Konjunktion "nebst" impliziert, "daß hier ein Nebeneinander zweier Wert·
b
. d" 13, em"
.
DoppeIroman "b'
'.
<e
ge oten WIr
eZleI11ll1gswelse
eIn Roman, der durch eine
14
spezifische "Doppelstl'uktur" ausgezeichnet ist. Die Tatsache, daß der erste Teil
des Titels - Lebens-Ansichten des Katers Murr - in größerer Schrifttype geschrieben
ist als der nachfolgende Teil - nebstfragmentarischer Biographie des Kapellmeiste~
]ohannes Kreisler in zufiilligen Makulaturblättern - fungiert als typographischer Bi11~
weis darauf, daß die Lebensansichten des Katers als Haupttext zu werten sind 15
die fragmentarische Biographie des Kapellmeisters dagegen als quasi-digressive:
Supplement. Im Verlauf des Romans wird sich dann freilich herausstellen, daß der
Kreisler-Teil den Murr-Teil an Umfang und an Vielschichtigkeit bei weitem übertrifft. Nicht nur in der Ausgangskonstellation, auch in der Verschiebung der Dominante offenbart sich "ironischer Gehalt". 16
Die Konjunktion "nebst" ist aber auch das ProtokolIon einer strukturbestim_
menden Rahmenkonfusion: Es verweist als degenierter Index auf ein "zusammen_
gewürfeltes Durcheinander" (M, S. 11), das zugleich der inszenierte genuine Index
17
für einen Fehlschlag beim Vollzug der editorialen Tätigkeit ist. 18 Das heißt, das
assoziative Nebeneinander der beiden Romantitel ist die Selbstdarstellung eines
10 Vgl. hierzu die Behauptung Swales', daß Hoffmanns Kater Murr einen "dekonstruktivistisch angehauchten Lesevorgang von uns verlangt" (Swales: ",Die Reproduktionskraft der Eidexen''', S. 48).
11 Laußmann: Das Gespräch der Zeichen. Studien zur Intertextualität im werk E T. A. Hoffinanns,
S. 145.
12 KittleI': Aufichreibesysteme 180011900, S. 127.
13 Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 958.
14 Schäfer: Ohne Anftng- ohne Ende, S. 135.
15 Vgl. Nutt-Kofoth: "Text lesen - Text sehen: Edition und Typographie", S. 4.
16 Meyer: Das Zitat in der Erzählkunst, S. 115. Der ironische Widerspruch besteht nach Meyer darin,
daß sich das "Unwesentliche und Banale [...] fest und breit im Leben auf[pflanzt]", mehr noch,
sich "in lückenloser Selbstdarstellung" verherrlicht. Das "wesentliche Menschentum" dagegen "ist
unstet und flüchtig, es wird an den Rand gedrängt, und nur durch den Zufall eines possierlichen
Versehens erhalten wir von ihm fragmentarische Kunde" (ebd).
17 Zum Begriff des ,Fehlschlags' vgl. Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S. 39. Danach sind Fehlschläge (miscarriages) als Fehlausführungen (misexecutions) beziehungsweise Nichtausführungen
(non-executions) zu wenen, bei denen die Handlung dadurch "verdorben" wird, daß sie "durch
einen Fehler getrübt wird oder eine Lücke bleibt" (ebd.). Indem die Ausführung der performativen Handlung "verpfuscht" (mujfj wird, handelt man sich "mehr oder weniger gräßliche Konsequenzen" ein (ebd.). Auch in den Lebens-Ansichten des Katers Murr hat die ,Buchverderberei' des
Herausgebers mehr oder weniger gräßliche Konsequenzen, die ironisch in Szene gesetzt werden.
18 Nach Laußmann fühn der Roman "die gescheiterte Disziplinierung eines Textes vor[...], der bereits im editorischen Vorfeld in eine Collage von Diskursen zerfällt" (Laußmann: Das Gespräch der
Zeichen, S. 162).
Konzepts, bei dem das Versagen des Herausgebers "zum fiktionsstiftenden Verfah'en"19 wird.
1 Sowohl die ,diskursive Diskontinuität'20 als auch die ,formale Originalität' der
Romanstl'uktur offenbaren "ein neuartiges Verhältnis zum Begriff der Fiktion als
literarischem Subdiskurs".2l Die Lebens-Ansichten führen an der Oberfläche des
Textes vor, daß die editoriale Instanz außerstande ist, die Heterogenität des Diskurses zu beherrschen: ein Effekt, der freilich beabsichtigt ist, weshalb die inszenierte Heterogenität des Diskurses zugleich das Grundprinzip der "integralen
Einheit"22 der Gesamtkomposition ist. Dadurch wird die "Problematik der Integration des Heterogenen [...] aufs Äußerste" zug~~pitzt.23 Dies gilt insbes~nde~'e
mit Blick auf den "spezifischen Fragmentcharakter des Romans: So lassen SIch dIe
.
" m SIC
. h vo II en detes F-<ragment "24 betrach ten,
Lebens-Anszc. hten zum emen
aIs "em
zum anderen stellt sich die editionsphilologische Frage, ob es sich bei diesem
Roman möglicherweise um ein unabgeschlossenes Projekt handelt 25 , da in der
Nachschrift des Herausgebers" zum zweiten Teil ein dritter Teil in Aussicht ge;tellt wird.
Doch auch die These vom Kater Murr als "vollendetem Fragment" wirft Fragen
auf - insbesondere die, durch welches Verfahren die integrale Einheitsstiftung zu
Wege gebracht wird. Meyer, PreisendallZ und Rotermund vertreten die Ansicht,
daß der Murr-Teil und der Kreisler-Teil "kontrapunktisch" aufeinander bezogen
26
sind , das heißt, daß der Roman durch ein musikalisches Prinzip der Stimmführung determiniert wird. So betrachtet, werden die Lebens-Ansichten des Katers
Murr zur performativen Verkörperung eines poetischen Prinzips, das hinter den
heterogensten Elementen" einen, wie es in den Fantasiestücken in Callots Manier
;;eißt, "inneren tiefen Zusammenhang"27 vermuten läßt. Neben diesem musikalischen Prinzip der Verbindung von heterogenen Elementen läßt sich jedoch noch
ein zweites Verfahren ausmachen, nämlich das der Aufpfropfung: Es handelt sich
19 Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 175.
20 Vgl. Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 34.
21 Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 40.
22 Rosen: E T. A. Hoffinanns "Kater Murr': S. 98.
23 Segebrecht: "Heterogenität und Integration bei E. T. A. Hoffmann", S. 392.
24 Singer: "Hoffmann. Kater Murr", S. 327. Vgl. auch Keil, der die "bemerkenswerte künstlerische
Geschlossenheit" der Erzählstränge betont (Keil: "Erzähltechnische Kunsrstücke in E. T. A. Hoffmanns Roman ,Lebensansichten des Katers Murr"', S. 51), oder Rosen, der behauptet, "daß die
beiden Geschichten keinesfalls vollendet werden können. Durch den Tod des Katers mußte seine
Lebensgeschichte unvollendet bleiben und von Kreislers Biographie ist nur noch ein Teil erhalten"
(Rosen: E T. A. Hoffmanns "Kater Murr': S. 13). Liebrand kommt zu dem gleichen Ergebnis, argumentien jedoch dezidiert narratologisch. Ihr zufolge ist der Rekurs auf die Ankündigung einer
Fortsetzung in der "Nachschrift des Herausgebers" deshalb nicht legitim, weil es sich um ein "romaninternes Versprechen" handelt (Liebrand: Aporie des Kunstmythos, S. 199).
25 Vgl. Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 912.
26 Vgl. Meyer: Das Zitat in der Erzählkunst, S. 134; Preisendanz: Humor als dichterische Einbildungskraft, S. 82 f.; Rotennund: "Musikalische und dichterische ,Arabeske' bei E. T. A. Hoffmann",
S.52.
27 Vgl. Hoffmann: Fantasiestücke, S. 56.
380
9, DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
bei den Lebens-Ansichten um einen "Text über die Schrift als allgemeine Ver d
'" 28 W'le m
. Jean PauIseen
L b Ft'b eLs erweIst
..
. den Lebens-A.
' e eIung.
SlCh'
dIe greffe m
sichten als Rahmungsprinzip: Komplementär zum Prinzip der Kontrapunl ~
organisiert die Aufpfropfung den Bruch zwischen den verschiedenen Aussag C~l C
· hen den verschIedenen
.
stanzen aIs Bruch ZWISC
Fragmenten, so daß "das Einzelelnal~ Einzelnes für sich bestehend, doch dem Ganzen sich anreiht".29 Vor dies~~e,
Hmtergrund möchte ich im folgenden das diskursive Zusammenspiel von parta ~
und greffe zu untersuchen.
g:
I.
9.2 Die Begründung für das ,verworrene Gemisch
fremdartiger Stoffe durcheinander'
Im Gegensatz zu den meisten Herausgeberfiktionen steht bei den Lebens-Ansich_
ten .des J(~ters Murr nicht die Aufft.ndun~sgeschichte, sondern die Publikationsge_
schichte 1m Vordergrund. Zu Begmn semes Vorworts berichtet der Herausgeber,
ein Freund, mit dem er "ein Herz und eine Seele ist" (M, S. 11), habe ihn gebeten,
für die Veröffentlichung der Autobiographie des Katers zu sorgen. Weiter heißt es:
"Der Herausgeber versprach, sein bestes zu tun für den schriftstellerischen Kollegen" (ebd.). Trotz seiner Verwunderung, daß es sich bei dem "schriftstellerischen
Kollegen" um einen Kater handelt, fühlt sich der Herausgeber an sein schnell gegebenes Publikationsversprechen gebunden: "das Wort war jedoch gegeben, und
da der Eingang der Historie ihm ziemlich gut stilisiert schien, so lief er sofort, mit
dem Manuskript in der Tasche, zu dem Herrn Dümmler Unter den Linden und
proponierte ihm den Verlag des Katerbuchs" (M, S. 11).
Erst nachdem er das Manuskript in den Druck gegeben hat und die ersten "Aushängebogen" zu Gesicht bekommt, bemerkt der Herausgeber, "daß Murrs Geschichte hin und wieder abbricht und dann fremde Einschiebsel vorkommen" (M,
S. 12). Dafür gibt er folgende Erldärung:
....
Nach sorgfältiger Nachforschung und Erkundigung erfuhr der Herausgeber endlich folgendes. Als der Kater Murr seine Lebensansichten schrieb, zerriß er ohne Umstände ein
gedrucktes Buch, das er bei seinem Herrn vorfand, und verbrauchte die Blätter harmlos teils zur Unterlage, teils zum Löschen. Diese Blätter blieben im Mal1Uskript und _
wurden, als zu demselben gehörig, aus Versehen mit abgedruckt! De- und wehmütig
muß nun der Herausgeber gestehen, daß das verworrene Gemisch fremdartiger Stoffe
durcheinander lediglich durch seinen Leichtsinn veranlaßt, da er das Manuskript des
Katers hätte genau durchgehen sollen, ehe er es zum Druck beförderte [...] (M, S. 12).
28 Vgl. Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 18.
29 Hoffmann: Fantasiestücke, S. 16.
9.2 DAS ,VERWORRENE GEMISCH FREMDARTIGER STOFFE DURCHEINANDER'
381
Diese ,Erldärung' d~s H~raus!?eb~rs ist Explan~ti~n u?d Deldaratiol~ zugleich. Sie
I at nicht nur das ZIel, dIe edltonale Unzuverlasslgkelt zu entschuldIgen, sondern
.1 t auch ein indirekter deklarativer Sprechakt: Die ,monumentale Tatsache', daß
~as Buch in seiner vorliegenden Form veröffentlicht wurde, erldärt das Nicht-Zusammengehörige für zusammengehörig. Zugleich sind die Erldärungen des Vorwortverfassers als indirekte direktive Sprechakte zu werten: Sie sind Anweisungen
an den Leser, den Roman als "vermeintlich ungeschicktes Arrangement zweier
Lebensgeschichten"30 aufzufassen; sie sind aber auch Anweisungen an den Herausgeber selbs~, den ."Perf?rmance-Al~tder Textwerdung'.'31 im Rahmen ein~.r kritischen ReflexlOn semes eIgenen Schelterns zu rekonstrUleren. Der Grund fur das
Durcheinander von handgeschriebener Autobiographie und gedruckter Biographie
ist der Leichtsinn des Herausgebers, der zunächst gar nicht bemerkt, daß es sich
bei den Papierstößen, die er zum Druck befördert, um ein "verworrenes Gemisch
fremdartiger Stoffe durcheinander" handelt. Dieses Nicht-Bemerken ist ein inszenierter genuiner Index dafür, daß der Herausgeber seine Funktion als erster Leser
nicht erfüllt hat. 32
Die Bemerkung des Herausgebers, daß ihm der "Eingang der Historie" des Katers Murr "ziemlich gut stilisiert schien" (M, S. 11), läßt darauf schließen, daß seine
Lektüre über diesen "Eingang der Historie" niemals hinausgekommen ist - ansonsten hätte er nach dem ersten abrupten Abbruch von Murrs Manuskript das "Durcheinander" mit der Biographie Kreislers bemerkt. Die späte Einsicht des Herausgebers,
er hätte das Manuskript "genau durchgehen sollen, bevor er es zum Druck beförderte" (M, S. 12), gibt in Form einer "narrativen Implikatur"33 zu verstehen, wie ungenau der Herausgeber das Manuskript ,deftcto' durchgegangen sein muß: Um die
mediale Differenz zwischen Murrs ,Handschrift' und Kreislers gedruckter Biographie
festzustellen, bedarf es nämlich keiner sonderlich genauen Lektüre, sondern einer typographischen Phänomenbetrachtung. Hieraus kann geschlossen werden, daß die
,Leichtsinnigkeit' des Herausgebers wörtlich zu nehmen ist, das heißt, daß es sich der
Herausgeber bei der Ausführung seiner editorialen Tätigkeit, und mithin beim Erflillen seines schnell gegebenen Versprechens, zu leicht gemacht hat.
Der fiktive Alct des Herausgebens zeichnet sich durch eine Aufwandsdifferenz
aus 34, die in einem performativen Widerspruch gründet. Allerdings ist die Frage,
worin dieser besteht, schwieriger zu beantworten, als es zunächst scheinen will.
Steinecke vertritt die Auffassung, daß die im Vorwort aufgestellte Behauptung des
Herausgebers, das "verworrene Gemisch fremdartiger Stoffe durcheinander" sei "lediglich durch seinen Leichtsinn veranlaßt" worden, "da er das Manuskript des Ka30 Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S, 145.
31 Gresillon: ,,,Critique genetique"', S. 23.
32 Die Lebens-Ansichten des Katers Murr sind so betrachtet weniger "Allegorien des Lesens und Schreibens" (Schäfer: Ohne Anftng- ohne Ende, S. 118) als vielmehr Allegorien des Nicht-Lesens.
33 Vgl. Henry: PretendingandMeaning, S. 107,
34 Zum Begriff der Aufwandsdifferenz vgl. Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten,
S. 182. Zum Begriff der perftrmativen Aujiuandsdijftrenz vgl. Winh: "Vorbemerkungen zu einer
perfonnativen Theorie des Komischen", S. 171 f.
382
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
~ers h~tte genau durchge~en sol.len, ehe er es zum Druck beförderte" (M, S, 11
Hn W1derspruch zu der d1skurslVen Tatsache steht, daß sich der Herausgeb .,),
Haupttext mit zahlreichen Zwischenbemerkungen und Fußnoten zu WOrt er In1
d 35 D'
' 1 '1Ch eme
'
1
et,
1es setzt "e1gent
genaue Le<:türe
voraus".3 6 Im AnschlußIne-j
Steinecke könnte man zu dem Schluß kommen, der in den Lebens-Ansichte a~
1<orperte
..
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W'd
n Vel-.
perrormatIve
1 erspruch bestehe darin, daß sich der Herausgeber in
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h'
.
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nem vorwort a s ,e1C tsmnlger erausge er eschreibt, im Haupttext J'edo hseII
.
,aIUI'b'1SC1ler H erausge b'
er auEi'
tntt. H'Inter dem WIderspruch
zwischen der ScIb a s
beschreibung des Herausgebers im Vorwort und dem, was er im Haupttext In e hS~. d . d h'
.
'd
' ac t,
WH' Je oc em zweIter WI erspruch offenbar, der noch tiefgreifender ist.
Gemäß der inneren Logik der Herausgeberfiktion sind die diversen editorial
Indices - der Titel, das Vorwort, die Markierung der Ränder, die Fußnoten _ e;:~
nach der Lektüre der "ersten Aushängebogen" entstanden. 37 Das bedeutet aber
daß der Herausgeber die Diskontinutität des Diskurses erst erkennt, nachdem d: , offensichtliche mediale Differenz zwischen der Handschrift des Katers und d I~
Druckschrift der Kreisler-Biographie durch den Druckakt nivelliert wurde. Die E~~
kenntnis der Diskontinuität muß mithin das Resultat einer "akribischen Lektür "
. 38 d' k
.I
I
d
.
e
sem , Ie onJe <:tura von en semantIschen Inkohärenzen des Textes auf die monumentalen Brüche des Manuskripts zurückschließt. 39 Hatte es sich der Herausgeber bei seiner ersten Lektüre zu leicht gemacht, so macht er es sich bei seiner
zweiten Lektüre zu schwer, Infolge dieser AufWandsdifferenz wandelt sich die
Funktio~ des Herausgebers: Er wird zu einem Editor zweiter Ordnung, der sich
selbst beIm Au~führen.- respektive Nicht-Ausführen - seiner editorialen Tätigkeit
beobachtet: Seme ZWe1te Lektüre protokolliert mit Hilfe editorialer Indices akribisch die Leichtsinnigkeit der ersten Lektüre. So schreibt der Herausgeber in seinem Vorwort: "Fürs erste wird der geneigte Leser sich leicht aus der Sache finden
können, wenn er die eingeklammerten Bemerkungen, Mak. BI. (Makulatur-Blatt)
und M f f (Murr fährt fort) gütigst beachten will" (M, S. 12).
,r
35 Vgl. auch Rosen: E. T. A. Hoffinanns "Kater Murr'; S. 30.
36 Steinecke: "Stellenkommentar", S. 996.
37 Vgl. Hoffmann: Lebens-Ansichten des Katers Murr, S. 12.
38 Zum Begriff der "akribischen Lektüre" vgl. Barthes: Die Lust am Text, S. 19.
39 Kofman übersieht diesen entscheidenden Punkt, wenn sie schreibt: "In Wirklichkeit sind die Kennzeichnungen des Herausgebers überflüssig: Kater- und Menschenschrift unterscheiden sich stark
genug, um auf den ersten Blick auseinandergehalten werden zu können" (Kofman: Schreiben wie
eine Katze, S. 68). Hier ist nicht nur zu fragen, was das für eine "Wirldichkeit" ist, welche die Kennzeichnungen des Herausgebers überflüssig zu machen scheint, sondern auch, wie Kater" und Menschenschrift noch zu unterscheiden sind, sobald sie als gedruckte Schrift vorliegen. Der Akt des
Druckens zeichnet sich ja gerade dadurch aus, daß die Differenz zwischen bedruckter Makulatur
und autobiographischer Skription nivelliert wird. Kofmanläßt sich offensichtlich nicht auf die in"
nere Logik der Publikationsgeschichte ein, der zufolge die Kennzeichnung von "Kater- und
Menschschrift" erst erfolgt, nachdem der Herausgeber die (gedruckten) Aushängebogen zu Gesicht
bekommen hat. Laußmann gibt einen Hinweis, um was für eine ,Wirldichkeit' es sich handeln
k.önnte, wenn sie schreibt, die "editoriale Akribie", die der Herausgeber nachträglich walten läßt,
ziele darauf ab, "das Erzählte in die Welt des Lesers zu integrieren" (Laußmann: Das Gespräch der
Zeichen, S. 147).
9.2 DAS ,VERWORRENE GEMISCH FREMDARTIGERSTOFFE DURCHEINANDER'
383
9.2.1 Die Funktion der editorialen Indices
In Analogie zu Foucaults These, ~aß der A~torn.ame "in gewisser Weise a~l. d~e
G· nze der Texte drängt, daß er SIe zuschneIdet, 1hren Kanten folgt, daß er 1hre
te
.
dß
. I
. h "40 . d H
S · Sweise offenbart oder welllgstens a er S1e (ennZe1C net ,trltt er erauselll
eber in den Lebens-Ansichten des Katers Murr als Instanz aUl,L'dere? Fun,I'
wo.n d'
an~l
~esteht, die Bruchstelle~ der inei~an~er gera~enen Texte na~h~rä~hch m1~ H11~e e,~1-
'ialer Indices zu mark1eren. W1e dIe renvots der Encyclopedze dIenen d1e edltoua.
..
Lebens~Ansichten der Leser Eiührung. All erd'mgs ze1gen
S1e
lllCht
Verbindungen (liaisons) zwischen verschiedenen
der
41 sondern markieren die diskursiven Bruchstellen zW1schen den versch1edenen
42 Während d'A1embert die Aufgabe d es Herausge b ers" h auptsac
an ,
.. hl'1Ch
Textteilen.
43
in einer geordneten Zusammenstellung des Materials" sieht , beläßt es der Hergeber der Lebens-Ansichten bei einer ungeordneten Zusammenstellung des Maaus
.
terials, das folglich als "verworrenes Gemisch fremdamger
Sto fJrle d u.rch'
ema~ d"
er
erscheint (M, S. 12). Offensichtlich befindet sich der Herausgeber m eben Jener
Klemme", die Diderot in seinem Artikel "Encyclopedie" erwähnt. Dort heißt es,
cl ß der Herausgeber bei seinen Versuchen der Kohärenzstiftung und der Leerstelle:ergänzung häufig "in eine Klemme gerät
deI: Sache.,
Zeit verlangt,
und der Notwendigkeit des schnellen Drucks, dIe 1hm keme Zelt laßt. So muß das
Werk verhunzt oder die Ordnung auf den Kopf gestellt werden".44
Genau diese pragmatische Mißlichkeit wird in den Lebens-Ansichten zum. poetischen Konzept: Es handelt sich um ein ostentativ ,verhunztes' Werk, das d1e auf
Kohärenz zielende Ordnung des Diskurses auf den Kopf stellt45 , dadurch jedoch
eine andere Ordnung des Diskurses und mithin eine a~dere Kohärenz ~tiftet. Die
Herausgeberfiktion dient dabei der Inszenieru~g ,~~s Ub~rgangs ~on eI?er er~ten
diskursiven Ebene, die "wesentlich Unordnung 1st , zu emer zwe1ten d1skurslven
Ebene, welche die Unordnung der ersten diskursiven Ebene protokolliert aber nicht
aufhebt. 47
Damit kommt ein zweiter Bezugspunkt ins Spiel: Nach d'Alembert ist es die
Aufgabe des Herausgebers, eine "geordnete Zusammenstellung des Materials" zu
Itot Indices in den
;:~
Zw~igen
zwi~c~en
Wissen~chaften
d.~e
40 Foucault: "Was ist ein Autor?", S. 17; Foucault: "Was ist ein Autor? (Vortrag)", S. 1014.
41 Vgl. d'Alembert: "Discours Preliminaire", S. 18.
. .
42 In diesem Zusammenhang scheint mir Liebrands These von großem Interesse zu sem, wonach dIe
Lebens-Ansichten des Katers Murr "zu einem Spielfeld von sich annihilierenden Verweisungszusammenhängen [werden], deren ,Zusammenschau' an den Leser delegiert wird" (Liebrand: Aporie des Kunstmythos, S. 194).
43 D'Alembert: Einleitung zur Enzyklopädie, S. 7.
44 Diderot: Artikel "Enzyldopädie", S. 412.
45 Mir Laußmann könnre man von einer "boykottierren Ordnung" des Diskurses sprechen (vgl.
Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 148).
46 lapp: "Der Orr des AurOl's in der Ordnung des Diskurses", S. 231.
.
47 Vgl. hierzu auch Orosz: Identität, Diffirenz, Ambivalenz, S. 192, für die der Herausgeber "als MI:verantwortlicher des Chaos und als nachträglicher ,Ordnungsschaffer' die Veranrworrung für dIe
Ordnung oder Unordnung des Erzählens/der Erzählung [rrägt]."
384
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9.2 DAS ,VERWORRENE GEMISCH FREMDARTIGER STOFFE DURCHEINANDER'
gewährleisten, und das heißt, die systematischen "Lücken" zwischen den versch' _
denen Artikeln auszufüllen. Hierbei legt d'Alembert großen Wert darauf, die V~~l'
den Herausgebern vorgenommenen Leerstellenergänzungen mit "Sternchen" Z
ll
kennzeichnen. 48 Das Setzen editorialer Indices ist die entscheidende performativ
Geste, mit der die Funktion Herausgeber sichtbar vollzogen wird. Auch in den L ~
bens-Ansichten wird durch das Setzen editorialer Indices die Funktion Herausgeb:
r
sichtbar gemacht. Allerdings überbrücken die editorialen Indices der Lebens-An_
sichten keine "systematischen Leerstellen"49, sondern kennzeichnen Bruchstellen
Die eingeldammerten Bemerkungen ,,(Mak. BI.)" und ,,(M f f)" verweisen nich~
nur als degenerierte Indices auf jene Al<te des Herausreißens, die der Kater ausge"
führt hat, sondern auch auf die vom Herausgeber nicht ausgeführten Al<te des Lesens: Die editorialen Indices markieren jene Brüche, die aufgrund der unzuverlässig'
ausgeführten editorialen Tätigkeit überhaupt erst entstanden sind: Sie werden zu
negativen Rahmungshinweisen. 5o Dabei interferiert die degenerierte Indexikalität
der Kennzeichnung mit der inszenierten genuinen Indexikalität der nicht geheil-ten diskursiven Bruchstellen. Die ,signifikante Struktur' der Lebens-Ansichten be"
steht darin, daß der Herausgeber seine Rahmungsfunktion zwar nicht ausführt,
ihm seine Unzuverlässigkeit jedoch die Möglichkeit eröffnet, sich unentwegt als
Rahmungsinstanz ins diskursive Spiel zu bringen.
tanz erwächst. 54 Zugleich verweisen die Erldärungen des unzuverlässigen Hers lsgebers _ insbesondere seine Behauptung, daß die beiden Manuskripte "aus
~ersehen" zusammen gedruckt worden sind - auf ein poetisches Konzept, das
die Gesamtstruktur des Textes im Rahmen einer "strategischen Funktion" organisiert55, nämlich als "Gesamtdispositiv" .56
Mit Iser kann man davon ausgehen, daß der Unzuverlässigkeit des Herausgebers eine strategische Absicht zugrunde liegt, "die sich auf die Steuerung des Lesers
durch den Text bezieht",57 Das heißt, die Unzuverlässigkeit des Herausgebers ist
Ausdruck eines editorialen Dispositivs, das den Leser dazu zwingt, Hypothesen
über die Strategie des Textes aufzustellen. 58 So besehen zielt der zu Beginn des Vorworts stehende Appell an den Leser, "wirldich zu lesen" (M, S. 11), auf dessen Bereitschaft ab, von der illokutionären Ebene zur indexikalischen Ebene des Textes
ulUzuschalten, also eine interpretative Aufpfropfung vorzunehmen. 59
Erst als Folge einer interpretativen Aufpfropfung kann der für die Gesamtstruktur des Romans maßgebliche performative Widerspruch offenbar werden, nämlich
daß der Herausgeber seinen editorialen Leichtsinn zwarprotokolliert, nicht aber kor-
385
54 Vgl. Rosen: E. T. A. Hoffmanns "Kater Murr'; S. 25, wo es mit Bezug auf eine der Anmerkungen
des Herausgebers heißt, es handele sich dabei um eine jener Stellen, "wo der Autor (,the silent invisible author') mit dem Leser direkt in geheime Verbindung tdtt, hinter dem Rücken des fingierten Herausgebers und des Ich-Erzählers" (ebd.). Diese Art der Indienstnalune des implied author
erscheint deswegen unplausibel, weil die entscheidende Frage unbeantwortet bleibt, wie es dem
9.2.2 Der unzuverlässige Herausgeber und die Frage nach dem implied author
"Autor" gelingen kann, im Rahmen der Anmerkung des Herausgebers - also mit der Stimme des fingierten Herausgebers und zugleich "hinter dem Rücken des fingierten Herausgebers" - mit dem
Die Unzuverlässigkeit des Herausgebers wirft die Frage auf, inwiefern in den LeLeser "direkt" in "geheime Verbindung" zu treten.
55 Vgl. Foucault: Dispositive der Macht, S. 120.
bens-Ansichten ein imp Iied author am Wer I<e ist. Wie bereits erwähnt, macht
56 Foucault: Der Wille zum Wissen, 116.
N ünning - vor dem Hintergrund von Genettes Ablehnung des Begriffs implied
57 Iser: "Die Appellstruktur der Texte", S. 252, En. 11.
author51 - den Vorschlag, den Begriff des implied author durch den der "Ge58 Vgl. Eco: Lector infabula, S. 77.
samtstruktur" zu ersetzen, worunter er die "Summe aller struktureller Kontrast59 Kofman deutet das "Vorwort des Herausgebers" dagegen als Beschwichtigung des "unschuldigen
und Korrespondenzbezüge"52 versteht. Ungeachtet seiner statischen KonnoüF
Lesers": "Er soll es ohne Mißtrauen kaufen, dieses Buch, das er zumindest noch nirgendwo gelesen" (Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 68), Überhaupt deutet Kofman die diskursive Funktionen besitzt der Begriff der ,Gesamtstruktur' für die Interpretation der Lebensdon des Herausgeber primär als Beschwichtigungsinstanz: "Mit der Absicht, den gutgläubigen
Ansichten eine gewisse Suggestivkraft, da in diesem Roman aus dem strukturellen
Leser zu ködern, verkündet der Herausgeber, daß die Lücken der Erzählung unwesentlich und zuKontrast zwischen den Paratexten, den einzelnen Fragmenten und dem Roman
fällig seien" (ebd., S. 92). Abgesehen davon, daß der Herausgeber in seinem Vorwort nicht von
als Ganzem die Frage nach einer "hinter der literarischen Szene"53 agierenden Iii~ ....._....,~~ ...~-" "Lücken", sondern von einem "vel'worrenen Gemisch" spricht, "verkündet" er an keiner Stelle,
daß diese Struktureigenschaft des Textes unwesentlich ist. Insgesamt müssen Kofmans Anmerkungen zur Herausgeberfiktion und dem Vorwortkomplex als unbefriedigend, ja als unzuverlässig
48 D'Alembert: Einleitung zur Enzyklopädie, S. 97 f.
bezeichnet werden, So wenn Kofman schreibt: "Daß der Herausgeber dem Buch Murrs nachträg49 Vgl. Iser: Der Akt des Lesens, S, 297.
lich ein Vorwort hinzufügt, heißt, daß er ihm sekundiert, denn entgegen dem Anschein entspricht
50 Doch auch als negative Rahmungshinweise erfüllen sie ihre Funktion als Zeichen der Ebenendifdieses Buch nicht den gewöhnlichen Normen: Diese Abweichung erschreckt den Herausgeber, der
ferenzierung, Nach Goffman liegt die Funktion der Abkürzung "Hrsg, ", mit der ein Herausgeber
um der Lesbarkeit willen versucht, sie zu kaschieren" (Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 59),
eine von ihm gesetzte Fußnote markiert, darin, diese Textteile "aus dem Rahmen des Verfassers
Kofmans Formulierung "entgegen dem Anschein" ignoriert die alles beherrschende Fragmentheraus [zu] nehmen und in einen anderen hinein [zu] stellen" (Goffman: Rahmen-Analyse, S. 253),
struktur, die von Anfang an ldar macht, daß dieses Buch nicht den gewöhnlichen Normen entGleiches gilt für Klammern, die anzeigen, "daß das Eingeschlossene nicht vom Verfasser des Hauptspricht. Auch die Charaktedsierung des Herausgebers als "erschreckte Instanz", welche die
textes gesagt ist" (ebd,).
Abweichung "um der Lesbarkeit willen" zu kaschieren suche, entbehrt jeglicher Textgrundlage,
51 Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 287 f.
Tatsächlich macht der Herausgeber ja genau das Gegenteil: Er markiert die ungewöhnliche Struk52 Nünning: "Renaissance eines anthropologisierten Passepartouts", S. 19.
tur des Romans mit editorialen Indices und hebt damit gerade das Ungewöhnliche dieser Struk53 Vgl. Barthes: "La mort de l'auteur", S. 64.
tur hervor,
386
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
rigiert, Was hindert den Herausgeber daran, die "fremden Einschiebsel" dI'e M
Lebensansichten unterbrechen, herau$zunehmen? Warum läßt er zu, daß 'die L bl11'I'S
Ansichten des Kat~rs Mu:r als Fehldruck reproduziert und publiziert werde;? ~~~
merkenswerterwelse weIst das Vorwort des Herausgebers bezüglich dieser F'
, systematIs~
, h e L?erste11:, au,f d'Ie d urC? den Leser ergänzt werden muß60: Da
ragen
e1l1e
deI'
Herausgeber e1l1erselts erldart, der gememsame Abdruck der beiden Texte sei
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egt,
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d da er an dererseIts
' 1(emen
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versehen " erw
Versuch unternimmt, das ver "aus.
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d
" Warrene GemlSC
er urc leman ergeratenen Manuskripte korrigierend aufzulö
drängt sich dem Leser der Verdacht auf, daß dem vermeintlichen ZufallsarraI~el~
ment die Strategie eines impliziten Herausgebers zugrunde liegt.
ge
9.2.3 Das Arrangement der Vorworte als Selbstdarstellung des Konzepts
Das "Geflecht der Vorreden"61 hat nicht nur die Funktion, den Leser "mit den
Spielebenen des Romans" bekannt zu machen und programmatisch die Selbstreflexion "als zentrales Merkmal des Erzählens"62 einzuführen, sondern die Strukrm
de.s v,orwort-Ensembles ist als Selbstdarstellung des Konzepts zu werten. Es beginl11'
mIt e1l1em "Vorwort des Herausgebers" (M, 5, 11-14), dem drei weitere Paratexte
folgen, nämlich erstens die "Vorrede des Autors" (M, 5, 15), das heißt die Vorrede
des fiktiven Autors Kater Murr; zweitens ein "Vorwort. Unterdrücktes des Autors"
(M, S. 16), das ebenfalls von Murr stammt, aber wegen seiner Unbescheidenheit
zensiert werden sollte; drittens folgt eine Nachschrift ("N. S. ") des Herausgebets
("d. H. "), in der dieser mit den Worten "Das ist zu arg! - Auch das Vorwort des
Autors, welches unterdrückt werden sollte, ist abgedruckt!" (M, 5, 17) die Eigenwilligkeit des anonymen Druckers feststellt.
Mit Blick auf die Nachschrift im Rallmen des Vorwort-Ensembles stellt sich die
Frage: Warum ist es dem Herausgeber nicht möglich, das unterdrückte Vorwort
~es Autors ~us der "endgültigen Ausgabe" herauszunehmen, wo es ihm doch möghch war, semen Kommentar zum unterdrückten Vorwort des Autors "in die endgültige Ausgabe einzubringen"?63 Liebrand kommt zu dem naheliegenden Schluß,
die Fiktion wolle "offenbar auf ihre Scheinhaftigkeit hin durchschaut werden".64
Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen und feststellen, daß das VorwortEnsemble als "anticipation discursive"65 den Charakter einer entblößenden "Selbst60 In eine ähnliche Richtung weist Rosens Beobachtung, daß Titel, Vorwort und Nachschrift des Herallsgebers so angelegr sind, "daß der Leser nur mit Schwierigkeit die wahre Absicht des Erzählers
erkennen kann" (Rosen: E. T. A. Hoffmanns "Kater Murr'~ S, 16),
61 Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 957.
62 Steinecke: "Stellenkommenrar", S, 997.
63 Liebrand: Aporie des Kunstrnythos, S, 203,
64 Ebd, Laußmann geht noch einen Schritt weiter und vertritt die Ansicht, das Ensemble der vier
einander widersprechenden Schwellentexte stelle "die Prologfunktion als solche in Frage" (Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 148).
65 Derrida: "Hors livre, Prefaces", S, 14,
9.2 DAS ,vERWORRENE GEMISCH FREMDARTIGER STOFFE DURCHEINANDER'
387
, "66 hat: Der im Vorwort-Ensemble in Szene gesetzte performative Wideranzeige
"
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zur Selbst arste11'
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Konzepts, das dem gesamten Roman zugrun eIegI'. ,
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Wesentliche Aspekte dieses Konzepts ,~estehen dal:1l1, d~ß, deI: Text deI aufe. e. nden Eigendynamik des Diskurses 68 und der Elgenwtlhgkelt des Druckers
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des Herausgebers abgedlUckte ,untel IUC <:te
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der anonyme Drucker ist die maßgebliche InstaI:z, d'Ie b'IS zu Ietz~ e1l1~
Eingreifen und Modifizieren des Textes besItzt. Dadurch wIrd dIe Instanz des
zum
Druckers zur anonymen Personifikation jenes überpersönI'I~h en "typograp h'I~Ch en
Dispositivs"7o, das im Rahmen der tech~ischen Repro~uktIonsverfa?ren glelcher:ßen für das Gelingen wie für das ScheItern der Verkorperungsbedmgungen verma
'I"
antwortlich
ist,71 Hier spielen zwei Gesichtspunkte mIt
lmem: ,
Erstens: Insofern der Drucker zugleich als Setzer fungiert, der dIe vom HerausebeI' zum Druck beförderte Vorlage druckfertig macht, ist er eine mediale Trans?ormationsinstanz, die nur aufgrund der von ihr veI:ursa~hten Satz- und
Druckfehler aus ihrer anonymen Existenzweise hinter der hteranschen Sz~ne hervortritt. Damit veranschaulichen die Lebens-Ansichten ~ie These ,B~chtI.n~, daß
[n]ur der Fehler individualisiert", denn das "einzige PrinZIp der Indrvlduahslerung
"der Erkenntnis, das der Ideahsmus
"
D hl "72
kennt, 1st der re
er.
, ,
Zweitens: Insofern der Druckakt die entscheidende mediale TransformatIOn IS.t,
die im Rahmen des Publikationsakts vollzogen wird73 , kommt dem Drucl~er dIe
Funktion zu die äußerste Rahmungsinstanz zu sein: eine Instanz, welche dIe Verkörperungsb~dingungen von einem bestimmten Außen her..an den Text heranträgt,
um ihn parergonal von innen her zu rahmen. Dadurch verfug.t der ,Dr~cker als Medienrechniker über eine nachgerade unbeschränkte Macht. DIes zergt slCh am Ende
des Herausgebervorworts.
66 Iser: "Akte des Fingierens", S, 136.
.
.,
'
67 Hier wäre zu überlegen, inwieweit das diagrammatische Arrangement als Implrzlter met~fiktlona
[er Kommentar zu werten ist (vgl. Wolf: )isthetische Illusion und Illusionsdurchbrechung zn der Erzählkunst, S, 260).
68 Japp: "Der Ort des Autors in der Ordnllng des Diskurses", S. 233.
69 Vgl. Barthes: "La mott de l'auteur", S. 65,
70 Wehde: 1j;pographische Kultur, S. 1 4 . .
.. "
.. . .
. .
71 BlInia schlägt hierfür den Begriff der "Schnftveranrwortllchkelt vor: ,,[.. ,] schIlftvelal1lw~Itlrch
ist, wer über Schriftzeichenfolgen entscheiden kann; in der fiktiven Welt der Lebens-j~.nsic~ren
sind es Setzer, Herausgeber; Murr und Verleger - von Kreislers Biographen dagegen wad mchts
erzählt" (Bunia: "Die Stimme der Typographie", S. 391),
72 Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs, S. 90.
. ' ."
73 Cervenka: "Textual Critieism and Semiotics", S. 62; dt.: "Textologie und SemiOtik, S. 144.
388
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
Nach dem "de- und wehmütigen" Eingeständnis seiner eigenen gravierend
Fehler bei der Herausgabe der Autobiographie Murrs setzt der Herausgeber Zu eine~
ironischen Attacke gegen die "gütigen Setzer" an, die durch "sogenannte Druc1e~
fehler" dem "Aufschwunge der Ideen" nachhelfen (M, S. 12). Dieser offene AI<'
1
griff des Herausgebers wird vom Drucker-Setzer performativ beantwottel': Geg
e
den Willen des Her~usgebel:s wird ~as unter~rückte Vorwort des Autors abg:~
druckt,74 Unldar bleibt dabei, wer die Kennzeichnung" Unterdrücktes des Autors"
vornimmt. Ist es der Drucker, der die Spuren seiner Eigenwilligkeit nicht nur durch
den performativen Akt der ungewollten Verkörperung, sondern auch noch mit
Hilfe quasi-editorialer Indices explizit macht? Oder ist es der Herausgeber, der hier
als akribischer Protokollant seiner eigenen Ohnmacht auftritt? In jedem Fall kann
man sagen: Die Lebens-Ansichten des Katers Murr thematisieren ex negativo die parergonale Kraft der Funktion Drucker durch eine Inszenierung editorialer Fehlschläge. Die Konsequenzen dieser Fehlschläge werden durch die Struktur des Textes
verkörpert. So ist die in der Nachschrift zum Vorwott - "das ist zu arg!" - zum Ausdruck kommende Ohnmacht des Herausgebers nicht nur ein Indiz für die Eigensinnigkeit der Technik, sondern auch ein Indiz dafür, daß es hinter der literarischen
Szene ein übergeordnetes, unsichtbares editoriales Dispositiv gibt. Dieses editoriale
Dispositiv sorgt mit einem gehörigen Maß an performativer Ironie dafür, daß die
Instanz des Druckers den unzuverlässigen Herausgeber in einen ohnmächtigen
Herausgeber transformiert.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welchen logischen Status die im
Rahmen des fiktiven Herausgeber-Vorworts angezeigten Druckfehler haben,75
Nach Steinecke handelt es sich um echte Satzfehler: Der Erstdruck des Romans
war "ungewöhnlich reich an Druckfehlern"76, wohl auch deshalb, weil Hoffmann
"viele Fahnen bei der großen Geschwindigkeit des Drucks nur flüchtig gelesen", ja
einen Teil der Fahnen "überhaupt nicht zu Gesicht bekommen" hat,77 So besehen,
wären die im Druckfehlerverzeichnis versammelten Fehlschläge echte Symptome
eines partiellen Scheiterns, an dem gleichermaßen der reale Drucker und der reale
Autor E. T. A. Hoffmann Schuld haben. Auffällig ist hierbei die Parallele zwischen
der realen und der im Rahmen des Herausgebervorworts erzählten fiktiven Publikationsgeschichte. Steinecke bemerkt, daß die Fehlerliste "nicht nur die Funktion
der Fehlerkorrektur hat", sondern die "Spannweite des Vorworts von derartigen
74 Hoffmann: Lebens-Ansichten des Katers Murr, S. 16. Kofman vertritt die These, daß die Veröffentlichung des unterdrückten Vorworts auf eine "List des Katers" zurückzuführen sei, dem es so gelinge, "der Zensur einen Strich durch die Rechnung zu machen" (Kofman: Schreiben wie eine Katze,
S. 116). In diesem Fall müßte der Kater jedoch zuerst den Drucker zu seinem Komplizen gemacht
haben. Insofern scheint mir die These eÜles ,eigenwilligen Druckers' ökonomischer und insofern
plausibler zu sein.
75 Hoffinann: Lebens-Ansichten des Katers Murr, S. 13. Zu Recht verweist Steinecke auf die Relevanz
dieses Fehlerverzeichnisses, auf das in den meisten Ausgaben nur pauschal verwiesen wird (Vgl.
Steinecke: "Stellenkommentar", S. 997).
'
76 Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 904.
77 Ebd. Das gilt nach Steinecke "mit Sicherheit für den ersten Teil des ersten Bandes, bei dem nur
Hitzig Korrektur gelesen hat" (ebd.).
9.2 DAS ,vERWORRENE GEMISCH FREMDARTIGER STOFFE DURCHEINANDER'
389
Realien bis zu fantastischen Erfindungen" darstellt,78 I:-lier wär~ zu ~berlegen, ob
wie der Hmwels auf "Herrn
cl inwiefern das Druckfehlerverzeichnis - ebenso ff
un
.
Dümmler"
(M, S. 11), den realen Verleger von Ho manns Roman - 'T"l
.lei emer
Strategie ist, die "Realitätsversatzstücke"79 in die Fikti?n zu integrieren sucht.
Durch diesen modulierenden Rahmenwechsel werden die echten Druckfehler zu
ographischen Akteuren, die im Rahmen der paratextuellen Selbstdarstellung des
~;nzepts eine zweite, fiktive Rolle übernehmen. Das Druckfeh~erv~rzeichnis hätte
'thin den Charakter eines nachträglich ins Werk gesetzten edltonalen Index, der
IU\schen genuiner Indexikalität und inszenierter genuiner Indexikalität changiert
zw cl zugleich als autoreflexive performative Geste auf das poetische Konzept des
un
..
"80'
Romans als eme "Poetik der Druckfehler verweist.
9.2.4 Das Vorwort als zone intermediaire
zwischen fingiertem und fiktivem Herausgeber
Gleichgültig, welche poetische Relevanz das Druckfehlerverzeichnis besitzt: ?as
Einfügen von Realitätsversatzstücken läßt das Vorwort des Herausgebel:~ zu emer
zone intermediaire"81 werden, das heißt zu einer Zone performativer Uberblendungen. Mit Genette kann man festhalten, daß das H~rausgebervor~ort der. Lebens-Ansichten zwischen auktorialer Verneinung und fiktiver Allographle changiert:
Das verneinende auktoriale Vorwort tritt als allographes Vorwort auf, weil der mit
"E. T. A.Hoffmann"82 signierende Vorredenverfasser durch den Titel "Vorwort des
78 Steinecke: "Stellenkommentar", S. 998.
. . '
79 Liebrand: Aporie des Kunstmythos, S. 203. Dagegen argumentiert Bn11la, daß die Errata nur 111 der
Erstauflage der Lebens-Ansichten "in die Fiktion eingespeist" wurden, während die Tatsache, "daß
sie in späteren Ausgaben im weiteren Text korrigiert vorliegen und von dem Abdruckt der alte,n
Tabelle abgesehen wird, bezeugt, wie wenig sie als Tei!, des T:xtes a~erk.annt werden, obzwar. s~,e
ihm und seiner fiktiven Welt ausdrücldich angehören (Bu11la: "Die Stimme der Typographie ,
S.390).
.
.
.
80 Steinecke: Stellenkommentar", S. 998. Die These vom Druckfehlerverzelch11ls als autoreflexiver
performati~er Geste läßt sich durch den Hinweis auf die Fehler im Fe~le~ver~eichnis plausibilisieren. So finden sich, wie Steinecke in seinem Kommentar feststellt, die fur die S. 160 vermerkten
Fehler bereits auf S. 150 und der für S. 166 vermerkte Fehler steht in Zeile 6 von unten, nicht von
oben (ebd.). Indessen ist letztlich nicht zu entscheiden, ob es sich bei diesen Fehlern des Fehlerverzeichnisses um unfreiwillige, ,echte' Fehler handelt oder aber umftussetes signific~tives, um Fehler also, die absichtlich gemacht worden sind. Ein Argument für die These, da~ es Sich um ftussetr!s
significatives handelt, könnte die Tatsache sein, daß auch die Fußnote des fingierten Herausgebers
Hoffmann, mit der er im Rahmen seines Vorworts auf die vom realen Autor Hoffmann verfaßte
Erzählung Das Fräulein von Scuderi verweist,. fehlerhaft ~~t. Dies~ Erzä~llung ist ni~ht: wi? die Fußnote vermerkt, als "Taschenbuch zum geselligen Vergnugen bel Gledltsch, 1820 elschl~nen (M,
S. 13), sondern bei Wilmans in Frankfurt, im "Taschenbuch für das Jahr 1820. Der Liebe und
Freundschaft gewidmet" (Steinecke: "Stellenkommentar", S. 997).
81 Compagnon: La Seconde main, S. 328.
. ,
82 Die Tatsache, daß die Signatur im Original kursiviert ist, lä~t darauf schließen, d.aß ~Ie als handschriftliche SignatUr in Erscheinung treten will (vgl. Coutuner: Textual Communzcatton, S. 54).
390
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
Herausgebers" die Autorschaft für die beiden miteinander vermischten Hauptt
leugnet. Die Autorschaft für die Autobiographie wird dem fiktiven Autor Mu ..exte
1:: 1::..
. b en, d'le Autorsc1lall'
gesc1lne
mr d'le B'10graph'le d es Kape11'
meIsters KreisleI' e'11 znIne1l1
anonymen Verfasser, der ebenfalls den Status eines fiktiven Autors hat. Zu hi .
f~'ag~n bleibt jedoch d.er Status .des Vorwortverfassers, der mit "E. T. A. Hoffin~:~~
slglllert. Handelt es sIch ~m elllen fingierten Herausgeber, der seine reale Autor_
schaft leugnet, oder um elllen fiktiven Herausgeber, der wie in den Romanen ]ean
Pauls als Namensvetter des realen Autors auftritt?83
Die Forschungsliteratur ist sich uneins. Segebrecht bezeichnet E. T. A. Hoffmann
als "wahr~n Herausgeber", der sich "bekannterweise bereits in der Titelei des Werkes als DIchter selbst, als E. T. A. Hoffmann, zu erkennen [gibt]".84 Preisend
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Figur H.offman.n"87 am Werk und begründet dies mit dem narratologischen Al'gnment, ellle GleIchsetzung des Herausgebers mit dem "historisch bezeugten Autor"
sei erzähltheoretisch nicht möglich. Hieraus folgt für ihn, daß der Herausgeber al
fiktionale Figur gesehen werden [muß]".88 Auch Laußmann und Schäfer sprechel~
von einem "fiktiven Herausgeber"89 beziehungsweise von der "fiktiven Rolle des
Herausgebers".90 Dabei geht Schäfer davon aus, "daß Hoffmann als Autor hinter
der von ihm selbst gewählten, fiktiven Rolle des Herausgebers verschwindet".91 Deshalb stellt sich für sie im Anschluß an Foucault die Aufgabe, jene "Leerstellen"n
ausfindig zu machen, an denen der verschwundene Autor seine Funktionen ausübt.
Laußmann dagegen behauptet, daß der Verfasser des Herausgebervorworts den
Leser "durch seine Signatur [...] auf Hoffmann als Teil seiner eigenen Lebenswelt
verweist" .93 Allerdings bleibt Laußmann die Antwort schuldig, wie dieser Verweis
des fiktionalen Herausgebers auf den realen Autor funktionieren soll.
Geht man davon aus, daß das Vorwort "selbstverständlich bereits zur fiktionalen Ebene"94 gehört, und folgt zugleich Mardnez-Bonatis These, daß "all fictional
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
Vgl. Lejeune: "Der autobiographische Pakt", S. 226.
Segebrecht: Autobiographie und Dichtung, S. 215.
Preisendanz: Humor als dichterische Einbildungskraft, S. 82 f.
Singer: "Hoffmann. Kater Murr", S. 303.
Steinecke:"Stellenkommentar", S. 996.
Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 954. Hierzu haben, wie
Steinecke an gleicher Stelle bemerkt, die biographischen Gemeinsamkeiten zwischen dem Herausgeber und dem Autor Hoffmann geführt (u. a. die Verfasserschaft von Werken wie der Nachtstücke oder Das Fräulein von Scuderz).
Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 175.
Schäfer: Ohne Anftng- ohne Ende, S. 69.
Ebd. Anstatt der naheliegenden These nachzugehen, daß die Leerstelle durch den Herausgeber
markiert wird, geht Schäfer davon aus, daß die "arabeske Romantechnik" des Katers Murr vorgibt,
"diese Leerstelle mit zwei Autoren gefüllt zu haben" (ebd.), nämlich dem Kater Murr als Verfasser
seiner eigenen Autobiographie und dem anonymen Verfasser von Kreislers Biographie.
Ebd.
Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 147.
Steinecke: "Stellenkommentar", S. 995.
9.2 DAS .VERWORRENE GEMISCH FREMDARTIGER STOFFE DURCHEINANDER'
391
discourse is fictive authentic discourse of a purely imaginary speaker"95, so kann es
ich bei der Unterschrift "E. T. A.Hoffinann" nur um die Signatur eines fingierten
Herausgebers handeln, der mit dem Namen des realen Autors unterschreibt. 96 Zuleich vollzieht sich im Verlauf des Vorworts jedoch auch eine Modulation des fin~ierten Herausgebers in..einen fiktiven Heraus~eber. Das Vorwort des Herausgebers
ist somit als Zone des Ubergangs anzusehen, III welcher der Name des realen Autors in den Namen eines fiktiven Herausgebers "transfiguriert"97 wird: E. T. A.
Hoffmann macht sich "zu seinem eigenen Doppelgänger"98, indem er die Rolle
eines fingierten Herausgebers übernimmt und damit seine reale Autorschaft in eine
dezentrierte Position"99 manövriert. Diesem ersten Akt derpartage folgt ein zwei;er: Der fingierte Herausgeber wird in eine fiktive Herausgeber-Figur transfiguriert.
Die Unterschrift "E. T. A. Hoffinann" am Ende des Vorworts markiert den Sc~luß
punkt dieser transfigurierenden Fiktionalisierung. Vorbereitet wird dieser Ubergang vom Fingierten zum Fiktiven dadurch, daß Aussagen mit unterschiedlichem
logischen Status vermischt werden: Aussagei: mit e~nd~utig fiktional~mStat~s, e.twa
der Bericht des Herausgebers, er wolle für dIe PubltkatlOn der AutoblOgraphle ellles
Katers Sorge tragen, ja, er habe diesen sogar "persönlich kennengelernt" (M, S. 14),
wechseln sich mit Aussagen ab, die auf Realitäten verweisen, so der Name des Verlegers Dümmler loo , das Druckfehlerverzeichnis und die Datierung am Ende des
Vorworts. IOI Gerade weil diese Realitätsversatzstücke nicht im fiktionalen Kontext
aufgehen, dienen sie dazu, den Prozeß der transfigurierenden Fiktionalisierung
sichtbar zu machen. 102
95 Martlnez-Bonati: "On Fictional Discourse", S. 69.
96 Vgl. hierzu auch Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 57.
97 Ebd., S. 71.Vgl. hierzu die Auffassungen von Steinecke und Rosen, wonach die Figuren Murr,
Kreisler und Meister Abraham "Spiegelbilder Hoffmanns oder einzelner Züge seines Ichs"
(Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 932) respektive "Projektionen verschiedener Bewußtseinsstadien des Autors" sind (Rosen: E. T. A. Hoffmanns "Kater Murr';
S. 97). Zur Kritik dieser Auffassung vgl. Diebitz: "Versuch über die integrale Einheit der LebensAnsichten des Katers Murr", S. 32).
98 Momberger: Sonne und Punsch, S. 134.
99 Ebd.
100 In diesem Zusammenhang ist auf die Merkwürdigkeit hinzuweisen, daß wenige Wochen vor Erscheinen des ersten Bandes im Dezember 1819 bei Ferdinand Dümmler in den Originalien aus
dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie (hg. v. Georg Lotz, 3. Jg (1819), Heft 10
u. 11, NI'. 127-131), ein umfangreicher Auszug als Vorabdruck erschien, und zwar unter dem
Titel "Gefühle des Daseyns, die Monate der Jugend. Fragment von C. [I] T. A. Hoffmann, wobei
der Herausgeber in der Fußnote mitteilt, daß der erste Band zu Weihnachten bei G. [!] Dümmler in Berlin erscheinen werde (vgl. Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 903). Handelt es sich hierbei ebenfalls um "Fiktionalisierungen"? Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich um einen zufalligen Doppelfehler handelt, erscheint mir recht gering.
101 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 908 f.
102 Bemerkenswerterweise wird die Tendenz zur transfigurierenden Fiktionalisierung durch eine
merkwürdige Form durchsichtiger Authentizitätsfiktion irritiert. So verweist der Herausgeber am
Ende der Vorrede auf die (von E. T. A. Hoffman entworfene) Vignette des Katers Murr "auf dem
Umschlage dieses Buches" und bemerkt zugleich, dieser sei "frappant getroffen" (M, S. 14).
392
9. DER UNZUVERlÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9,3 DIE STRUKTURBESTIMMENDEN KONZEPTE DES GESAMTTEXTES
9.3 Die strukturbestimmenden Konzepte des Gesamttextes
9,3.1 Das Konzept der Kontrapunktik
Die "formale Geschlossenheit"103 der ersten beiden Teile ist das Hauptargument
für die Auffassung, daß es sich bei den Lebens-Ansichten des Katers Murr Um ein
"vollendetes Fragment" 104 handelt, das keine Fortsetzung erlaubt. Nun muß uns
zwar das ,Romanschlußproblem' nicht weiter beschäftigen, wohl aber die daran anknüpfenden strukturellen Beobachtungen und Rückschlüsse auf das poetische
Konzept, die dazu geführt haben, den "Fragmentcharakter" der Lebens-Ansichten
des Katers Murr als "notwendig und konstitutiv" anzusehen. 105 Analog zu Singer
argumentiert Liebrand, die Debatte um den ,guten' oder ,schlechten' Schluß setze
sich "über den vom Roman abgesteckten formalen Rahmen, über die Kreisstruk_
tur, hinweg". 106 Diese Kreisstruktur ist - neben den diskursiven Brüchen zwischen
Murr- und Kreisler-Teil - eine der markantesten und zugleich mysteriösesten
Struktunnerkmale der Lebens-Ansichten des Katers Murr.
In der Kreisstruktur realisiert sich das poetische Programm einer "Integration
der Teile zu einem Ganzen" bei gleichzeitiger Einsicht in die "Heterogenität der
Teile". 107 Dabei erweist sich die Kreisstruktur als parergonales Prinzip, das im Inneren des Verfahrens der Textorganisation mitwirkt, und zwar sowohl auf der
Ebene des discours als auch auf der Ebene der histoire. Die Lebens-Ansichten des Katers Murr sind ein Romangebilde, dessen "Doppelstruktur"108 die Murr-und die
Kreisler-Teile in eine Doppelbewegung versetzt. Der Text entwickelt als perpetuum,
mobile eine "Dynamik in zwei Richtungen: 109 Der Roman wird zur "Demonstration eines kreisförmigen Erzählmodells"llO, das sowohl an das musikalische Prinzip der "Kontrapunktik" als auch an Schlegels Konzept der Arabeske anschließbar
ist. 111
103
104
105
106
107
108
109
110
111
Damit versucht der Herausgeber, eine von Anfang an durchsichtige Fiktion mit einer nachträglichen Geste in eine Authentizitätsfiktion zu remodulieren. Die Bemerkung, der Kater sei "frappant
getroffen", impliziert nämlich, daß es sich um das Portrait einer realen Person handelt. Die Tatsache, daß diese Authentizitätsfiktion halbherzig - mit sehr geringem diskursivem Täuschungsaufwand - vorgebracht wird, fügt sich in das Gesamtbild des Vorwortdiskurses ein. Undurchsichtig
bleibt in diesem Zusammenhang der logische Sratus des "de- und wehmütigen" Geständnisses,
mit dem der Herausgeber sich für das von ihm verschuldete "verworrene Gemisch fremdartiger
Stoffe durcheinander" entschuldigt (M, S. 12). Obgleich es sich um das Geständnis einer Cl"" ••"",·~~".,~~"·····t--",,,
Instanz handelt, korrespondiert ihre Behauptung mit der Struktur des Gesamttextes. Es handelt
sich mithin um eine wahre Aussage im intrafiktionalen wie im extrafiktionalen Sinne.
Singer: "Hoffmann. Kater Murr", S. 325.
Ebd., S. 327.
Ebd" S. 325.
Liebrand: Aporie des Kunstmythos, S, 200.
Segebrecht: "Heterogenität und Integration bei E. T. A. Hoffmann", S. 382.
Schäfer: OhneAnfang-ohneEnde, S, 135.
Ebd" S. 118. Vgl. hierzu auch Singer: "Hoffmann. Kater Murr", S. 327: "Murrs Bericht endet,
wo der Roman beginnt, und Murrs Leben beginnt, wo der Roman endet. Wiederum runder.sich
ein Kreis".
Scher: ",Kater Murr' und ,Tristram Shandy', S. 164.
Vgl. Rotermund: "Musikalische und dichterische ,Arabeske' bei E. T. A. Hoffmann", S, 52.
393
Wie ist es aber, wenn nur Eurem schwachen Blick der innere tiefe Zusammen"1 ng)' edel' Beethovensch
' . entge h 1',?"112 ,WH'
. d'111 d er musl'I<:1'1leOletl"
en Komposlt!on
la
'I "gefragt, d'~e a.l
'
d ~r
sehen
Abhandlung "Beethovens Instrumenta1mUSI<:
s VIerte,
Kreisleriana Eingang in die Fantasiestücke gefunden hat. Als mUSIkalIsche ~r1l1::lien der Einheitsstiftung, die dem "beständigen Wechsel der Blas- und Salten1l1Ptrument" zugrunde liegen und das vermeintlich "Zerstückelte[] "113 zu einem
~anzen werden lassen, bestimmt Hoffmann die "aufeinander folgende Wiederhol· ng der Sätze und einzelner Aldmrde", die "kontrapunktische Behandlung" sowie
~ie beständigen Anspielungen auf das Hauptthema",l14 Der ,kontrapunktischen
Behandlung' kommt dabei eine besondere Rolle zu: Sie erweist sich als Rah.. I'ICh'1st. 115 D em "sc1lwa, , das nur emer
.
mungspnnzlp,
"Latenzb eo bach tung" zug~ng
ehen Blick" entgeht das Prinzip, das den inneren, tiefen Zusammenhang der
Komposition herstellt - allein der Wissende kann feststellen: "Welche wunderbare
1:
'11 h'ler wie
, d er zum G
kontrapunktische Verschlingungen ver1müpl~n
SIC
. ~~zen " '.116
Offensichtlich velwendet Hoffmann den Begnff des Kontrapunkts "welt uber seme
traditionelle Bedeutung hinaus"117, nämlich als Metapher für eine bestimmte Form
diskursiver Organisation. So kann die "kontrapunktische Verschlingung" als Modell für das "Zusammenspiel" der beiden Romanteile l18 gedeutet werden. 119
Die Kontrapunktik betrifft die Stimmführung im mehrstimmigen Satz: Sie ist
eine Kompositionstechnik, mit der verschiedene Stimmen arran~iert werden.
Dabei stellt die Kontrapunktik - ebenso wie die Aufpfropfung - eme For~ des
modulierenden Rahmenwechsels dar, Tatsächlich leitet sich Goffmans Begnff der
Modulation erldärtermaßen von der Musik her. 120 Die musikalische Modulation
ist ein Wechsel des tonalen Zentrums: Die Aldmrde, genauer gesagt deren Rolle als
Tonika, Subdominante und Dominante, werden uminterpretiert. So kann die Dominante durch die Modulation zur neuen Tonika werden und damit einen neuen
Hoffmann: Fantasiestücke, S. 56,
Ebd" S, 57 f.
Ebd,
Vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 140,
Hoffmann: Fantasiestücke, S, 58.
Rotermund: "Musikalische und dichterische ,Arabeske' bei E. T, A. Hoffmann", S. 51 f. Nach
Rotermund wäre die Bezeichnung "kontrapunktische Verschlingung" für die vorldassische Polyphonie "fast eine contradictio in adjecto" (ebd.),
118 Rotermund: "Musikalische und dichterische ,Arabeske' bei E. T. A. Hoffmann", S. 62.
119 Nach Preisendanz sind der Kreisler-Teil und der Murr-Teil "kontrapunktisch aufeinander bezogen" (Preisendanz: Humor als dichterische Einbildungsl?raft, S. 79). Ganz ähnlich heißt es, bei
Meyer, mit Bezug auf den doppelten Anfang der Lebens-Ansichten des Katers Murr: "Der DIChter der diese beiden Zitar-Themen kontrapunktisch ineinander ldingen ließ, war ein echter ,Musil:ant'!" (Meyer: Das Zitat in der Erzählkunst, S. 134). Laußmann geht noch einen Schtitt weit~r:
Ihr zufolge wird die Diskontinuität des Romans überhaupt erst "durch den Kontrapunkt der DISkurse erzählbar" (Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 149),
120 Ebd., wo es bei der Einführung des Begriffs der "Modulation" heißt: "Eine gewisse Analogie zur
Musik ist beabsichtigt".
112
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394
9. DER UNZUVERlÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
tonalen Kontext eröffnen. Der Bezugspunkt zwischen der Modulation als vertika_
les, paradigmatisches Prinzip der Harmonik und der Kontrapunktik als horizon_
tales, syntagmatisches Prinzip der Stimmführung ist die sogenannte "enhannoni_
sche Modulation". Diese nimmt mit Hilfe "enharmonischer Verwechslungen" eine
"funktionale Umdeutung des ganzen Aldmrds" vor. 121 Indem ein und derselbe Ton
im Rahmen von zwei verschiedenen Aldmrden darstellbar wird, ergeben sich neue
Möglichkeiten der Stimmführung, die im Rahmen des kontrapunktischen Verfahrens genutzt werden.
In den Lebens-Ansichten des Katers Murr wird auf das Prinzip der enhannoni_
schen Modulation angespielt, wenn Kreisler versucht, seine "Guitarre" zu stimmen,
was ihm nicht gelingen will, da diese keine Stimmung im Sinne des chromatisch_
enharmonischen Tonsystems zuläßt. 122 Kreisler droht der verstimmten Guita1'l'e,
ihr "neun tüchtige teutsche Meister auf den Hals" zu schicken: ,,[D]ie sollen dich
ausschelten, dich kirre machen mit enharmonischen Worten" (M, S. 60 f.).123 Mit
dieser Bemerkung wird das musikalische Prinzip der enharmonischen Modulation
als semantisches Prinzip initialisiert: Die ,enharmonischen Worte' können nämlich
als Worte verstanden werden, die in eine andere ,semantische Tonart' moduliert
werden. Das heißt, das Prinzip der enharmonischen Modulation wird als semantisches Prinzip in Dienst genommen, was eine "Mehrstimmigkeit" von Wortbedeutungen bewirkt: Die Wortbedeutung erfährt eine "Umdeutung im neUen
Kontext".124 Umgekehrt lösen die enharmonisch modulierten Wortbedeutungen
aber auch eine funktionale Umdeutung des neuen Kontextes aus, in den das Wort
eingeschrieben worden ist. Damit wird das musikalische Prinzip der enharmonischen Modulation nicht nur zu einem Modell, mit dem sich semantische Mehrstimmigkeit erzeugen läßt l25 , sondern es wird auch als besondere Form der
modulierenden Aufpfropfung verstehbar: Die funktionale Umdeutung der Töne
im Kontext eines Alili:ords steht in funktionaler Analogie zur aufpfropfenden Einschreibung von Wörtern in andere Syntagmen. 126 In den Lebens-Ansichten des Katers Murr wird dies an den verschiedenen Bedeutungen des Wortes ,Satz' deutlich:
121 Vgl. Michels: dtv-Atlas zur Musik, Bd. 1, S. 99.
122 Vgl. M, S. 60: "Eben hatte er die Guitarre ganz und gar umgestimmt, auf ungewöhnliche Weise,
und versuchte nun einige Aldmrde, dazwischen rufend: Wieder verfehlt - keine Reinheit _ bald
ein Komma zu tief, bald ein Komma zu hoch!"
123 Das ambivalente Verhälrnis Kreislers zum ,Mythos Musik' spiegelt sich in seiner Einstellung zum
Komponieren wieder. So wird in den Kreisleriana berichter, daß Kreisler die Niederschrift seiner
Komposirionen immer wieder zerstört (E. T. A. Hoffmann: Fantasiestücke, S. 33), worauf in den
Lebens-Ansichten Bezug genommen wird (S. 302). Die Verschriftlichung von Komposirionen haI'
in den Kreisleriana eine Doppelfunktion: Sie "beglaubigt und befestigt das Glück der gelungenen Eingebung" und treibt so "die Produktivität voran". Andererseits "zerstört sie aber auch die
Unmittelbarkeit der kreativen Erfahrung: Sie löst das Werk vom schöpferischen Subjekt und
überführt es in das Reich der toten Buchstaben und statischen Norierungen" (Lubkoll: Mythos
Musik, S. 265).
124 Bachrin: Die Asthetik des WOrtes, S. 352.
125 Vgl. Orosz: Identität, Diffirenz, Ambivalenz, S. 136.
126 Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 27 f.
9.3 DIE STRUKTURBESTIMMENDEN KONZEPTE DES GESAMTTEXTES
395
Je nach dem, ob es in seiner musikalischen, fh.ilosophis~hen oder physischen .Bedeutung gebraucht wird, löst das Wort ,Satz eme funktionale Un:deutung semes
emantischen Kontextes aus. Gleiches gilt für die Wörter ,ZerreIßen' und ,Aus~eißen', die nicht nur den Al<t des Herausreißens bezeichnen (M, S. 11), sondern
auch die innere "Zerrissenheit" Kreislers (M, S. 82) und seine Tendenz, "Reißaus"
zU nehmen (M, S. 133). Kreislers zerrissener Charakter wird wiederum dadurch
gespiegelt, daß seine Biographie als zerrissenes Buch präsentiert wird.
9.3.2 Das Konzept der Arabeske
Die Kopplung der Begriffe "Kontrapunktik" und "Verschlingung" wird in Hoffmanns Abhandlung "Beethovens Instrumentalmusik" durch ein Bild motiviert, das
auf den Gartenbau Bezug nimmt. Die "wundervollen Wendungen und Verschlingungen" der Klaviermusik Beethovens werden mit den von "wunderbaren Ge.
. h en Par1<s "127
wächsen und Blumen umfloch tenen Irrgängen emes
p h antastIsc
verglichen. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, die Formulierung ,kontrapunktische Verschlingung' als Vollzugsform eines arabesken Verknüpfungsverfahrens zu
begreifen. 128 Die poetologische Hintergrundannahme dieser Auffassung lautet, da.ß
Hoffmanns "arabeske Erzähltechnik" Schlegels Konzept der TranszendentalpoesIe
"
"in die poetische Praxis" umsetzt. 129
Schlegel bezeichnet in seinem "Gespräch über die Poesie" die Arabeske als "eme
ganz bestimmte und wesentliche Form oder Äußerungsart der Poesie"130, wobei er
eine Verbindung zwischen dem mythologischen "Kunstwerk der Natur" und dem
"großen Witz der romantischen Poesie" herstellt, ~er "in ~er Kon~.truktion des
Ganzen sich zeigt". 131 Mythologie und Arabeske zeichnen sich als "Außerungsart
der Poesie" gleichermaßen durch eine "künstlich geordnete Verwirrung", eine "reizende Symmetrie von Widersprüchen" sowie einen "wunderbare[n] ewige[n]
Wechsel von Enthusiasmus und Ironie" aus. 132 Die zuletzt genannte Bestimmung
ist die Voraussetzung für einen arabesken Humor 133 , der sich der Interferenz zweier
genetischer, den natürlichen Lauf der Gedanken determinierender Gesetze ver.. b erspnngen
.
. d as G egentel'1"134 , zum an d eren d as
m
dankt. Das ist zum einen das "U
"Gesetz des Kreislaufi oder der Rückkehr zu dem Ursprung" .135 Damit wird das araHoffmann: Fantasiestücke, S. 59.
Vgl. Rotermund: "Musikalische und dichterische ,Arabeske' bei E. T. A. Hoffmann", S. 52.
Schäfer: Ohne Anfing - ohne Ende, S. 70.
Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 331.
Ebd., S. 318.
Ebd., S. 319.
Vgl. Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 330 f.: "Sie fühlen es sel~st, daß Ihr Erg~tzen ~n
Sternes Humor rein war [...]. Fragen Sie sich nun selbst, ob Ihr Genuß mcht verwandt mit demJenigen war, den wir oft bei Betrachtung der witzigen Spielgemälde empfanden, die man Arabesken nennt".
134 Schlegel: "Philosophische Vorlesungen", S. 293.
135 Ebd., S. 294.
127
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130
131
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133
396
397
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9.3 DIE STRUKTURBESTIMMENDEN KONZEPTE DES GESAMTTEXTES
beske Spiel der Formen um die Dimension des assoziativen Spiels der Ideen erweitert. Die ornamentale, amimetische Verfahrenstechnik der Arabeske gibt die
Einheit des Gegenstandes "zugunsten der Demonstration der Assoziationskraft
selbst [auf]". 136 Dadurch erweist sich die Arabeske in der Literatur als eine Art Lizenz zur Abschweifung, die in die "digressive Verschlingung" 137 verschiedener Texte
und Künste mündet.
Der arabeske Humor wird in den Lebens-Ansichten des Katers Murr sowohl auf
der Ebene der histoire als auch auf der Ebene des discours dargestellt: Der zerrissene
Charakter des Kapellmeisters Kreisler befindet sich im ständigen Wechsel zwischen
Enthusiasmus für die wahre Kunst (M, S. 133) und "herzzerschneidende[r] Ironie"
(M, S. 77) für die verlogenen Konventionen der Gesellschaft. Kreislers wechselhafter Charakter zeichnet sich durch ein plötzliches Überspringen in das Gegenteil aus und erscheint entweder als "Todessprung von einem Extrem zum anderen"
(M, S. 155) oder als "springende[r] Humor" (M, S. 156). Diese sprunghaften
Wechsel stehen ihrerseits in einem Spannungsverhältnis zu dem merkwürdigen
,Kreiseln', das Kreislers Lebensweg bestimmt und das er selbst mit der Bedeutung
seines Namens verknüpft, wie einem Dialog mit der Rätin Benzon zu entnehmen
ist: "Sie können nicht wegkommen von dem Worte Kreis, und der Himmel gebe,
daß Sie denn gleich an die wunderbaren Kreise denken mögen, in denen sich unser
ganzes Sein bewegt, und aus denen wir nicht herauskommen können, wir mögen
es anstellen, wie wir wollen. In diesen Kreisen kreiselt sich der Kreisler [...]" (M,
S.78).
Auf der Ebene des disco urs wird das Kreiseln Kreislers durch die kreisförmige
Organisation des Textes gespiegelt. Dies manifestiert sich programmatisch im ersten Fragment des Kreisler-Teils: Der Kreisler-Teil beginnt mit einer Episode, die
chronologisch betrachtet den Abschluß des Kreisler-Teils bildet. 138 Das diskursive
Arrangement verkörpert und inszeniert also das "Gesetz des Kreislaufi oder der Rückkehr zu dem Ursprung"139, welches das Grundgesetz der arabesken Verschlingung,
aber auch der mise en abyme ist. 140
ist insofern "ein Spiegel des Inhalts"141, als sie auf der performativen Ebene das
macht, was Kreisler auf der semantischen Ebene propositional über den Sinn seines Namens sagt. 142 Indem der Diskurs dergestalt als poetisches Performativ einen
Kreis "beschreibt"143, folgt er der gleichen zirkulären Dynamik wie das Athenäumsfragment 116 144 und wird zum "cercle en abyme".145
Derridas zunächst paradoxal erscheinende Beschreibung des "cercle en abyme"
als Konfiguration, bei der "le plus petit cercle doit inscrire en lui la figure du plus
grand"146, läßt sich mit Hilfe Dällenbachs ausführlicher Analyse der mise en abyme
plausibilisieren. Der Gedanke, daß der ldeinste Kreis die Figur des größten in sich
einschreiben muß, deckt sich mit Dällenbachs Definition der mise en abyme reJleXif147 Dällenbach unterscheidet zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Rahmenreflexion, die sich um das Verhältnis von recit-cadre und recit insere dreht. So
erwähnt er neben dem Werk im Werk die Quasi-Homonymie zwischen dem realen Autor und dem erzählten Autor, aber auch die Reprise von einem oder mehreren symptomatischen Ausdrücken der Rahmenerzählung im Inneren des
gerahmten, "reflektierenden" Teils. 148 Der entscheidende Punkt ist in all diesen
Fällen, daß die mise en abyme den Rahmen und die Rahmungsbedingungen von
innen her reflektiert. Im Gerahmten spiegelt sich der Rahmen. Dergestalt wird die
mise en abyme zu einer parergonalen Rahmenreflexion, die den Hinweis auf das
Ral1mungsprinzip durch einen sprunghaften Rahmenwechsel- etwa in Form einer
"narrativen Metalepse" - in Szene setzt. 149
In den Lebens-Ansichten läßt sich beobachten, daß das "kreisförmige Erzählmodell"150 das Grundgesetz einer "arabesker Erzähltechnik"151 verkörpert. Die arabeske Verschlingung und das ihr zugrundeliegende "Gesetz des Kreislaufi oder der
Rückkehr zu dem Ursprung"152 wird als diskontinuierliches Durcheinander und als
verschlungenes "Ineinander"153 dargestellt. Nicht nur der Anfang des Kreisler-Teils
stellt in chronologischer Hinsicht dessen Ende dar - auch das Ende des Murr-Teils
verweist auf den Anfang des Kreisler-Teils zurück. 154 Diese Verschlingung offen-
9.3.3 Das Konzept der mise en abyme
In den Lebens-Ansichten des Katers Murr interferieren mise en abyme und poetische
Performanz auf eigentümliche Weise. Die Gesamtstruktur des Romans belegt die
von Derrida und Dällenbach vorgetragene These, daß die mise en abyme die äußere
Struktur von innen her spiegelt. Die kreisförmige Organisation des Kreisler-Teils
136 Pfotenhauer: "Bild, Bildung, Einbildung", S. 52.
137 Ebd.
138 Vgl. Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 151, sowie Schäfer: Ohne Anfimg - ohne Ende,
S. 129 f.
139 Schlegel: "Philosophische Vorlesungen", S. 294.
140 Vgl. hierzu Schäfer: Ohne Anfang- ohne Ende, S. 105, wo es heißt: Die Arabeske "kennt keinen
versöhnlichen Schluß", sondern nur ein "in-der-Schwebe-Lassen".
141 Steinecke: "Nachwort", S. 515.
142 Vgl. hierzu Kremer: E. T. A. Hoffinann. Erzählungen und Romane, S. 215.
143 Vgl. Derrida: La veritt en peinture, S. 29, wo Derrida schreibt: "le decrire se depla<;:ant lui-meme
dans son sens".
144 Vgl. hierzu Wiethölter: "Ursprünglicher Gedanken Refrain - Wiederholung", S. 607.
145 Derrida: La verite en peinture, S. 29.
146 Ebd., S. 32.
147 Vgl. Dällenbach: Le recit speculaire, S. 65.
148 Ebd.
149 Genette: Die Erzählung, S. 168. Die Metalepse kann dabei auch "als ein Durchbrechen von ,Rahmen'" erfolgen (Schmitz-Emans: "Der durchbrochene Rahmen", S. 78).
150 Scher: ",Kater Murr' und ,Tristram Shandy', S. 164.
151 Schäfer: Ohne Anfang- ohne Ende, S. 70.
152 Schlegel: "Philosophische Vorlesungen", S. 294.
153 Orosz: Identität, Diffirenz, Ambivalenz, S. 194.
154 Damit folgen die Lebens-Ansichten Kremer zufolge einer karnevalesken Logik, der zufolge "Jedes
Ende [...] ein neuer Anfang [ist]" (vgl. Bachin: Literatur und Karneval, S. 68, und Kremer:
E. T. A. Hoffinann. Erzählungen und Romane, S. 222).
398
9. DER UNZUVERlÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9.3 DIE STRUKTURBESTIMMENDEN KONZEPTE DES GESAMTTEXTES
399
I,
bart einen nicht aufZulösenden Widerspruch, der auf eine arabeske Verschlingu
ng
hinweist: Im vorletzten Satz der letzten Episode des Murr-Teils wird der im erst
Kreisler-Fragment in actu geschilderte Umstand, daß Meister Abraham verreis~~
muß, als bereits vollzogen beschrieben. ISS Dies deutet darauf hin, daß dieser Vorletzte (ebenso wie der letzte) Satz zu einem Zeitpunkt geschrieben wurde, der nach
der Abreise von Meister Abraham liegt, also nach den im ersten Kreisler-Fragment
geschilderten Ereignissen verfaßt worden ist. Dergestalt wird die arabeske Verschlingung als performativer Widerspruch in Szene gesetzt, der auf der Ebene der
Verkörperungs- und Rahmenbedingungen für Konfusion sorgt. 156
Diese Rahmenkonfusion bringt die Chronologie der Ereignisse auf der Ebene der
histoire in Konkurrenz zur "cyldischen Praxis"157 ihrer Präsentation auf der Ebene des
discours. Gemäß der Manuskript- und Fragmentfiktion muß die Kreislerbiographie
bereits zu jenem Zeitpunkt als gedrucktes Buch vorliegen, zu dem Murr seine Autobiographie schreibt, damit ihm die gleichsam to the moment herausgerissenen Blätter
zur "Unterlage" und zum "Löschen" dienen können (M, S. 12). Die Rahmenkonfu_
sion besteht nun darin, daß im ersten Kreisler-Fragment das Ereignis der Übergabe
des Katers an KreisleI' beschrieben wird und daß dieses Ereignis - im Gegensatz zu
der restlichen Handlung des Kreisler-Teils - nach den Ereignissen des Murr-Teils
spielt. ISS Stellt sich die Frage: Wie kann das erste Kreisler-Fragment als Teil eines bereits gedruckten Buches das Ende der Murrhandlung ~ Murrs Übergabe an KreisleI'
~ darstellen? Anders gefragt: Wie kann das erste Kreisler-Fragment, in dem das Ende
des Murr-Teils beschrieben wird, vor dem Beginn der Niederschrift des Murr-Teils
bereits gedruckt vorliegen? Die Antwort kann nur lauten: gar nicht!
Neben der kreiselnden Organisation des Kreisler-Teils und seiner arabesken Verschlingungen mit dem Murr-Teil läßt sich ein ironisches "dedoublement constitutif"159 beobachten: Das Werk ist "ein zwiefaches, doppeltes".16o Die Lebens-Ansichten erweisen sich als intertextuelle Replik nicht nur auf Goethes Wilhelm
Meister, sondern auch auf Schlegels Auseinandersetzung mit diesem Roman. Im
"Gespräch über Poesie" heißt es mit Blick auf den Wilhelm Meister, daß dieses "unteilbare Werk" in gewissem Sinn "zweimal gemacht" sei - "in zwei schöpferischen
Momenten, aus zwei Ideen".161 Die erste Idee ist die des "Künstlerromans", die
zweite, umfassendere, die einer "Bildungslehre der Lebenshll1st".162 Diese "auffal155 "Mein Meister mußte verreisen und fand es für gut, mich auf die Zeit seinem Freunde, dem Kapellmeister Johannes KreisleI' in die Kost zu geben" (M, S. 436).
156 Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 415.
157 Schlegel: "Geist der Fichtischen Wissenschaftslehre", S. 35, NI'. 177.
158 Vgl. hierzu auch Raff, der darauf hinweist, "daß sich die Fiktion des Biographen als unhaltbare
Fiktion erweist, da auf Grund der Angaben der ,Blätter' und des Katers eine Kreis1el'-Biographie
nicht abgeschlossen sein kann, also auch nicht als Buch vorhanden sein kann" (Raff: !eh-Bewußtsein und Wirklichkeitsauffassung bei E. T: A. Hoffinanns, S. 114).
159 Dällenbach: Le recit speculaire, S. 81.
160 Schlegel: "Gespräch über die Poesie", S. 346.
161 Ebd.
162 Ebd. Zum Aspekt des Künsrlerromans vgl. Granzow: Künstler und Gesdlschaft im Roman der
Goethezeit, S. 147.
lende Duplizität"163 ist auch an der Doppelstruktur der Lebens-Ansichten des Katers Murr festzustellen.
.
.
Geht es im Wilhelm Meister um die Darstellung der EntwIcklung e1l1es "unbefiederten Kaufmannssohns"164 zu einem vollkommenen Individuum, so wird
in den Lebens-Ansichten die philiströse Selbstbeschreibung eines (naturgemäß)
leichfalls ,unbefiederten' Katzenjünglings präsentiert, der sich - dies erinnert an
!eben Fibels - unentwegt mit "fremden Federn" (M, S. 428) schmückt. Bemerkenswerterweise erfolgt die Selbstbeschreibung des philisterhaften Künstlers Murr
zU einer Zeit, als der wahrhafte Künstler KreisleI' abwesend ist. Anwesend ist lediglich Kreislers symbolischer Platzhalter, n~mlich s~iI:e Bi~graphie, die von .M.U1T
als Unterlage seiner aufpfropfenden AutobIOgraphIe In DIenst genommen wIrd.
Die Differenz zwischen Wilhelm Meister und den Lebens-Ansichten besteht darin,
daß in letzteren die ,auffallende Duplizität' als Aufpfropfungsbewegung in Szene
gesetzt wird: als Akt des Zerreißens und des Vermischens von bereits Geschriebenem.
9.4 Beobachtungen zur ,penetranten Intertextualität'
der Lebens-Ansichten
Die Lebens-Ansichten des Katers Murr präsentieren sich als ein "intertextuelle[s] Beziehungsgeflecht"165, in dessen Rahmen Zitate nicht nur "eine wesentliche Funktion innerhalb der Gesamtstruktur des Werkes" haben, sondern Zeugnisse einer
"Erzählweise des Zitierens" sind, die "ganze Erzähltraditionen integriert".l66 Damit
ist die Gattungstradition autobiographischen und biographischen Schreibens
ebenso angesprochen wie die des Bildungs- und Erziehungsromans, aber auch die
Tradition des humoristischen Romans. I67 Insofern sind die Lebens-Ansichten des
163
164
165
166
Ebd,
Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 10.
Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 939.
Ebd., S. 941. Neben der doppelten intertexruellen Bezugnahme auf Sterne (Lift and Opinion 0/
Tristram Shandy sowie Sentimental }ourney) und den zahlreichen expliziten Verweisen auf Shakespeare stehen die Lebens-Ansichten des Katers Murr in einer Traditionslinie, die mit Cervan~es'
Don Quixote beginnt (einem der Lieblingsbücher Hoffmanns) und über Rousseaus ConftsslOns
bis zu Tieclcs Gestieftlter Kater sowie den Romanen Jean Pauls (insbesondere Leben Fibels) reicht.
Nach Steinecke spielen die Romane Jean Pauls für Hoffmann auch deshalb eine wichtige Rolle,
weil sie als Vorlage für "das Jonglieren mit Vorworten, die Erfindung von Entstehungsgeschichren, die Autor-Eingriffe" dienen (S. 952 f.).
167 Vgl. ebd., S. 939, sowie Diebitz: "Versuch über die integrale Einheit der Lebens-Ansichten des Katers Murr", S, 31.
400
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
Katers Murr als "Metatext über das Schreiben"I68 und als "Intertext par ex I
" d et d'le E rza"hlwelse
. d es Z..
ce-.
Ien ce "169 zu d euten. D aru"b er h'maus grun
lt1erens ab
auch in der romantischen Tendenz zur absorbierenden "Verwandlung des Fremd el
. emzgnes
. E'
" .170 D as "sch'b
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les a l' SIC m en e ens- nszc ten 111C l' nur lür d en fiktiven Herausgeber, sondern vor allem für die Schreibweisen des Katers und des anonym
7' I
.
d"le msgesamt von e111er
. "geradezu penetranten Interen
·
Ilen T
B10grap
l'\.relS
ers zeIgen,
textualität"l72 durchdrungen sind.
9.4.1 Die Schreibweise des Katers
Die Lebensgeschichte des Katers ist "eine Wiederholung dessen, was er in den
Büchern gelesen hat" 173, ja das Schreiben seiner eigenen Geschichte scheint der einzige Lebenszweck des Katers zu sein, der sich damit als emphatischer Autor im Sinne
von Novalis entpuppt. 174 Da jedoch sein "Leben der Literatur aufgepfropft ist"175
entzieht sich der Kater paradoxerweise gerade mit seinem autobiographische~
Schreiben jedes Eigenleben. Die Iterabilität der Schrift substituiert die Individualität des Subjekts. Der Anspruch auf originale Autorschaft wird durch das Verfahren kopierender Aufpfropfung konterkariert. 176 Wie in Jean Pauls Leben Fibels
erweisen sich Murrs "eigne Gedanken", die der ihm "inwohnende Genius gebar"
(M, S. 43), als Kopien, die aus fremden Federn und von fremden Vätern stammen.
Wie Fibel wird Murr zur parodistischen Verkörperung der "Geburt der Kunst aus
dem Geist des Kopierens"l77 und ist somit die Personifikation des modernen
"Schriftsteller-Schreibers"178: Murr ist Schriftsteller (ecrivain), insofern er den autobiographischen Akt des Schreibens selbstbezüglich vollzieht, und er ist Schreiber
Schäfer: Ohne Anfimg- ohne Ende, S. 78.
Laußmann: Das Gesprach der Zeichen, S. 149.
Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 646.
Ebd.
Swales: ",Die Reproduktionskraft der Eidexen"', S. 50.
Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 108.
Vgl. Novalis: Schriften, Bd. 3, S. 365: "D[er] Autor muß den Zweck haben Autor zu seyn".
Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 109.
Vgl. Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 21, die davon spricht, daß der Kater Murr dem Gestieftlten Kater "aufgepfropft" sei.
177 Swales: ",Die Reproduktionskraft der Eidexen"', S. 53.
178 Barthes: "Schriftsteller und Schreiber", S. 52. Dabei wird im Roman gleichermaßen die "Schriftsteller"-Seite und die "Schreiber"-Seite thematisiert. So, wenn MUl'l's Mutter Mina ihren Sprößling davor warnt, seine Schreibkünste offen zu zeigen: "Sowie Meister Abraham erfährt, daß du
schreiben kannst, lieber Murr, macht er dich zu seinem Kopisten, und als Schuldigkeit wird von
dir gefordert, was du jetzt nur aus eigenem Antriebe zu deiner Lust tust" (M, S. 56). Daß diese
Warnung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt sich spätestens dann, wenn Meister Abraham mit
dem Gedanken spielt, den schreibenden Kater als Sensation in Dienst zu nehmen: "Überdem",
so Abraham, "erspart' ich mir einen Schreiber!" (M, S. 117).
168
169
170
171
172
173
174
175
176
9.4 BEOBACHTUNGEN ZUR ,PENETRANTEN INTERTEXTUALITÄT'
401
(ecrivant), da er bereits Vorhandenes ab- und zusammenschreibt. Murrs ecriture ist
keine "eigene Rede"179, sondern das Resultat einer intertextuellen productivitel80 ,
die sich ganz der ,Macht des Mischens' fremder Schreibweisen überläßt.
Wie Fibel deutet Murr den Akt des Schreibens als Geste der Skription, das heißt
als Geste, mit der man "ein Schreibwerkzeug ergreift" und den "muskulären Akt
des Schreibens" ausführt. 181 Aufgrund der "Unmöglichkeit, die Feder, den Stift so
zu halten wie mein Meister", sieht sich der Kater indessen genötigt, "eine andere,
dem Bau meines rechten Pfötchens angemessene Schreibart [zu] erfinden" (M,
S. 43).182 Die Geste der Skription wird zur griffure. Dabei unterliegt die Autobiogriffure183 des Katers einer doppelten Interferenz, nämlich der von graphie und grif
fure 184 einerseits ~nd der von griffe und der gr~ffe ande~·ers~its. ~obald M~r,l;
schreiben lernt, wll'd er zum Plagiator, der "aus semer Schnft eme Zltatenschnft
macht. 185 Eine innere Verarbeitung der zitierten Texte findet nicht statt. Der Herausgeber legt dieses Verfahren "unangemessener Diskursaneignung" 186 bloß, indem
er mit seinen Fußnoten und Klammerbemerkungen die Aufmerksamkeit immer
wieder auf das Aufgepfropftsein von Murrs Schreibweise lenkt: Durch die wiederholten editorialen Indices auf Murrs plagiierende greffe citationelle dementiert er
dessen Anspruch auf auktoriale Vaterschaft.
9.4.2 Die Schreibweise des Biographen
Auch die Erzählung des anonymen Biographen speist sich aus unterschiedlichen
Quellen. Er übernimmt die Rolle eines "critischen Historicus"187, dessen Funktion
im Nachschreiben und Zusammenschreiben schriftlicher und mündlicher Quellen besteht. So stützt er sich zum einen auf die Mitteilungen eines ebenfalls anonymen "Historiographen des Irenäusschen Hauses, dem ich dies nachschreibe" (M,
S. 49), zum anderen stehen dem "unglücklichen Erzähler", wie er sich selbst be179 Barthes: "Schriftsteller und Schreiber", S. 46.
180 Kristeva: SemeiOtik,! - Recherches pour une semanalyse, S. 146.
181 Barthes: "Variation sur l'ecriture", S. 1535, zit. nach Stingelin: ",Unser Schreibzeug arbeitet mit
an unseren Gedanken"', S. 82 f.
182 So gelingt es dem Kater beim Eintunken ins Tintenfaß zunächst nicht, "das Pfötchen zu schonen". Daher, so Murr, "konnte es nicht fehlen, daß die ersten Schriftzüge, mehr mit der Pfote
als mit der Feder gezeichnet, etwas groß und breit gerieten. Unverständige mochten daher meine
ersten Manuskripte beinahe nur für mit Tinte beflecktes Papier ansehen" (M, S. 43 f.)
183 Vgl. Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 53. AutobiogriffUre lautet der Originaltitel von Kofmans Buch.
184 Die Vieldeutigkeit des Ausdrucks grifft wird in der Übersetzung durch "Kralle, Griffel, Namenszug, Signatur, Stempel, Prägung, Schreibzusammenhang" wiedergegeben (vgl. die Anmerkung des Übersetzers zu Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 48, Fn.).
185 Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 105. Allerdings scheint mir Kofmans weiterführende These,
daß der Kater damit den "Zitatcharakterjeder [Hervorhebung von mir - U. W.] Schrift hervorkehrt" (ebd.), nicht haltbar.
186 Laußmann: Das Gesprach der Zeichen, S. 175.
187 Vgl. BodmeriBreitinger: Die Discourse der Mahlern, Erster Theil, V. Discours, EI, S. 34.
402
9.4 BEOBACHTUNGEN ZUR ,PENETRANTEN INTERTEXTUALITÄT'
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
schreibt, "nur mündlich, Brockenweis mitgeteilte Nachrichten zu Gebote [ ] d'
"', le
er, um nicht das Ganze aus dem Gedächtnisse zu verlieren, sogleich verarbeite
muß" (M, S. 58). Wie in Jean Pauls Hesperus tritt der Biograph zugleich als El~~
zähler und als Herausgeber der Lebensbeschreibung auf. 188
Seine Funktion als Herausgeber macht der anonyme Biograph im Rahmen einer
Selbstbeschreibung explizit, wenn er bemerkt, es sei "für den Herausgeber diesel'
Blätter das angenehmste Ereignis von der Welt, daß er das ganze merkwürdige Gespräch Kreislers mit dem kleinen Geheimen Rat brühwarm wieder erfuhr" (M
S. 125). Die Prädikation ,brühwarm' ist ein Indiz dafür, daß hier auf die Poetik de~
written to the moment rekurriert wird. 189 Darüber hinaus belegt die Tatsache, daß
der Biograph die mitgeteilte Nachricht "sogleich verarbeiten muß" (M, S. 58), daß
das written to the moment - wie im Hesperus und im Leben Fibels - an ein rahmenkonstituierendes editing to the moment gekoppelt ist. Dieses editing to the momentwird vom Herausgeber-Biographen als Entschuldigung dafür angeführt, daß
in seiner Lebensbeschreibung l<:reislers keine "schöne chronologische Ordnung"
(ebd.) aufkommen könne. Zugleich geht die Entschuldigung für das "rhapsodische
Wesen des Ganzen" (ebd.) mit dem Versprechen einher, dem Leser "noch vor dem
Schlusse des Buchs" zu erklären, ,,[w]ie es eigentlich mit der Mitteilung diesel'
Nachrichten herging" (ebd.). Diese Erldärung, die übrigens nie geliefert wird, soll
den "lieben Leser" zu der Einsicht führen, "daß trotz des Anscheins der Abgerissenheit doch ein fester durchlaufender Faden alle Teile zusammenhalte" (ebd.). Die
,Abgerissenheit', auf die der Herausgeber-Biograph hier verweist, kann sich natürlich noch nicht auf jene Diskurssprünge beziehen, welche durch die Akte des
Reißens hervorgerufen werden, sondern meint offensichtlich Zeitsprünge, die das
editing to the moment dem Erzähldiskurs aufnötigt. Aus Angst, "das Ganze aus dem
Gedächtnis zu verlieren" (ebd.), werden die mitgeteilten Nachrichten verarbeitet,
ohne daß der Herausgeber-Biograph einen Überblick über "das Ganze" gewinnen
kann.
Wie in Brel1tanos Godwi und Jean Pauls Leben Fibels fehlt dem HerausgeberBiographen ein überlegener Standpunkt - er ist der Kontingenz der eintreffenden
biographischen Bruchstücke ohnmächtig ausgeliefert. 190 In Folge dessen bekommt
die Biographie l<:reislers eine digressive Dynamik, die als Vollzugsform der "Disse188 Vgl. hierzu Neumann: Unterwegs zu den Inseln des Scheins, S. 288.
189 Gleiches gilt für Formulierungen wie: "Eben in diesem Augenblick ist nichts anders zu erzählen,
als [...]" (S. 58) oder: "In diesem Augenblick ärgert sich gegenwärtiger Biograph über alle Maßen"
(S. 138), die mit überdeutlichen Indices für ,Gegenwärtigkeit' aufWarten.
190 Nach Laußmann stellen die Lebens-Ansichten des Katers Murr eine "kreative Replik" auf das maßgebliche Diskursprinzip von Brentanos Godwi dar, nämlich die "künstlerische Verwilderung" und
die "Idee der ,unbeholfene(n) Buchverderberei'" (Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 43).
Neumann deutet das Konstitutionsprinzip des Katers Murr als Referenz auf Jean Pauls Leben
Fibels. Während sich bei Jean Paul die "gesammelten Schnitzel" jedoch noch zu einer "kontinuierlichen Erzählung" zusammenfügen (Neumann: Unterwegs zu den Inseln des Scheins, S. 274),
wird bei Hoffmann mit Hilfe der Fragmentfiktion das "geschlossene Erzähluniversum [...] aufgebrochen und in Frage gestellt" (Steinecke: "Zu Textanordnung, Texrgestalt und Kommentarlage", S. 953).
403
'nation" aufzufassen ist. I9I Die digressive Dynamik wird zu einem parergonalen
.
b' l'
A ß h l'
. I
Rahmungsverfahren, das von e111em
0 Je <:l'lven u en er ~on~111gen~ 1m n~er~n
des Texterzeugungsverfahrens als Prinzip der Zerstreuung mItWIrkt. DIeses PrInZIp
d r Zerstreuung ist der Grund für die Lückenhaftigkeit und Inkohärenz der
~rockenweis" eingehenden Nachrichten und die Ursache für die Angst des Bio~raphen, "das Ganze aus dem Ged~chtnis zu :~rlie~'en" (A!: S. ~8~. Daß s~ch d~e
digressive Dynamikder Lebens-Anstchte~dabeI 111 dI.e Tradm.onsl111Ie der DIgreSSIonspoetik Sternes stellt, belegt der Beg111n des zwelte~ Kreisler-Fragments: ,,- ~
ichts verdrießlicher für einen Historiographen oder BIOgraphen, als wenn er, WIe
nuf einem wilden Füllen reitend, hin und her sprengen muß über Stock und Stein,
~iber Äcker und Wiesen, immer nach gebahnten Wegen trachtend, niemals sie erreichend" (M, S. 58).
Sowohl die Abweichung vom ,gebahnten Weg' als auch das ,wilde Füllen' sind
Metaphern für die digressiven deviations I92 und Jrisks. I93 Anders als in Sternes Tristram Shandy, wo die "Abschweifungskultur"194 als kontingentes, subjektives Texrerzeugungsverfahren gefeiert wird, hofft der Erzähler in den Lebens-Ansichten, daß
er nicht noch mehr querfeldein springen muß, als es bis jetzt schon geschehen"
(/;, S. 205). Dabei wird angesichts der zerstreut eintreffenden Nachrichten sowohl
die objektive Macht der Kontingenz als auch die subjektive diskursive Ohnmacht
des Herausgeber-Biographen dokumentiert, die ihren Ausdruck in der folgenden
Bemerkung findet: "Der Biograph erschrickt abermals über das total Abrupte der
Nachrichten, aus denen er gegenwärtige Geschichte zusammenstoppeln muß" (M,
S.229).
Das ,total Abrupte' bezieht sich auf den Moment, in dem die Nachrichten eintreffen; das Prädikat ,zusammenstoppeln' beschreibt die Art, wie das editing to the
moment vollzogen wird, nämlich als editoriale Tätigkeit, die der Lückenhaftigkeit
und der Inkohärenz der ,Brockenweis' mitgeteilten Nachrichten ohnmächtig gegenübersteht. Bemerkenswert ist angesichts dieser Konstellation die ungebl'Ochene
Kohärenz-Zuversicht des Herausgeber-Biographen, der den Leser "tl'Otz des Anscheins der Abgerissenheit" zu der Meinung ermutigt, daß "ein fester durchlaufender Faden alle Teile zusammenhalte" (M, S. 58) und im weiteren Verlauf seiner
zerstreuten Erzählung sogar ein explizites Kohärenz-Versprechen abgibt: ,,[...] gedulde dich, günstiger Leser, noch ein wenig, bemeldeter Biograph setzt seinen
)UI
191 Derrida: "Buch-Ausserhalb. Vorreden/Vorworte", S. 35.
192 Bei Sterne heißt es: "Could a historiographel' drive on his history, as a muleteer drives on his
mule, -straight forward; [...] he will have fifty deviations from a straight line to make with this 01'
that party as he goes along, which he can no way avoid" (Sterne: The Lift and Opinions ofTri-
stram Shandy, S. 64).
193 Vgl. Sterne: The Lift and Opinions ofTristram Shandy, S. 232: "Now don't le~ Satan, my ~ear ?irl,
in this chapter, take advantage of any one spot of rising-ground to get astrlde of YOllt' Im~g1l1a
tion, if you can any ways help it; 01' if he is so nimble as to slip on,. -let me be~ of'y0u,.like an
unback'd filly, to frisk it, to squirt it, to jump it, to real' it, to bound lt, - and to l<lck lt, wlth lon.g
kicks and short kieles, tilllike Tickletoby's mare, you break astrap 01' a crupper, and throw 11lS
worship into the dirt. - You need not kill him".
194 Sterne: Leben und Meinungen von Tristram Shandy, S. 83.
404
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9.4 BEOBACHTUNGEN ZUR ,PENETRANTEN INTERTEXTUALITÄT'
405
Schreibedaumen zum Pfande, daß noch vor dem Schluß des Buchs auch dieses Gebender Arrangeur der Logik der greffe citationelle gehorcht. Dieser aufpfropfende
heimnis an den Tag kommen soll. -" (M, S. 229).
Erzähldiskurs des ersten Herausgebers wird seinerseits zur ,Unterlage' einer zweiWie kann der Biograph solch einen Einsatz wagen, nachdem er gerade noch vor
ten Aufpfropfungsoperation, die Kater Murr beim Schreiben seiner Autobiogradem ,total Abrupten der Nachrichten' erschrocken war? Immerhin zeigt sich an
phie vollzieht, ~ndem er d~s Tr~germe~ium des frel~den bi~graphisch~n E~'zähl
dem Wechsel zwischen dem Erschrocken-Sein vor dem Abrupten und der durch
diskurses zerreIßt und mIt semem eIgenen autoblOgraphischen Erzahldlskurs
nichts motivierten Kohärenz-Zuversicht, daß die Instanz des Herausgeber-Biogra_
vermischt.
phen auf Inkonsistenz angelegt ist.
Dies wird besonders in jener Passage deutlich, in der Meister Abraham den Brief
Kreislers ungeöffnet läßt. Dies löst zuerst einen valorisierenden Kommentar, so9.4.3 Das ,Ineinander' der Texte
dann eine autobiographische Digression des Biographen aus: "Diese Gewohnheit
des Meisters ist zu verwerfen" (M, S. 269), heißt es zunächst - kurz darauffolgt
Die Pointe der aufpfropfenden "Erzählweise des Zitierens"198, die in den Lebenseine Digression übel' die "ganz eigene Lust einen Brief zu empfangen", in der sieh
Ansichten des Katers Murr in Szene gesetzt wird, liegt nicht in der Feststellung, daß
der Biograph daran zurückerinnert, "als er einst auf der Universität mit dem sehnder Text ein "mosa'ique de eitations"199 ist, sondern in der Art der performativen
lichsten Schmerz lange vergebens auf einen Brief von einer geliebten Person g(Jund parergonalen Rahmung. Dies geschieht zum einen durch den editorialen Rahwartet hatte [...]" (M, S. 269 f). Diese anekdotische Digression des Herausgeber_
mendiskurs des fiktiven Herausgebers, der von Außen her metatextuell auf den
Biographen endet mit einer überraschenden Entschuldigung der "verwerflichen
Kreisler-Teil und den Murr-Teil Bezug nimmt, zum anderen durch eine bestimmte
Gewohnheit" Meister Abrahams, empfangene Briefe zunächst ungeöffnet zu lasForm wechselseitiger, innerer Rahmung von Kreisler- und Murr-Teil.
sen und sich so - zumindest für eine gewisse Zeit - den Zwängen des "postalischen
Der fiktive Herausgeber erfüllt seine Kommentarfunktion, indem er mit FußDispositivs"195 zu entziehen: Der Biograph gesteht nämlich, daß ihnt selbst die
noten und Klammerbemerkungen in den Kreisler- und den Murr-Teil eingreift,
gleiche Gewohnheit "anldebt" (M, S. 270). Mehr noch, er beweist mit einem Male
wobei die Anmerkungen zum Murr-Teil weit umfangreicher sind. Die Anmersehr nachdrücklich seine diskursive Macht, wenn er den Lesern den Inhalt des
kungen zum Kreisler-Teil erfolgen bis auf eine Ausnahme als Fußnoten. 2oo Die
Briefs mitteilt, den Meister Abraham in seinem Schreibpult verschlossen hat:
,,- Hat aber nun auch Meister Abraham des Kapellmeisters Brief verschlossen in
198 Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S, 941.
seinen Schreibepult oder Schreibtischkasten, und ist er auch spazieren gegangen in
199 Kristeva: Semeiotikt! - Recherches pour une semanalyse, S. 146.
den Park, doch soll der geneigte Leser den Inhalt sogleich buchstäblich erfahren. _
200 Der einzige Herausgeberkommentar, der nicht als Fußnote, sondern im Text gegeben ist, hat eine
besondere Funktion. Nachdem die Erzählung des vorletzten Kreisler-Fragments abrupt abbricht,
]ohannes Kreisler hatte folgendes geschrieben: [...]" (M, S. 270).
meldet sich der Herausgeber nach einem Gedankenstrich zu Wort: ,,- Hier hat, wie der HerausHier vollzieht der Biograph einen Rahmenwechsel von der Rolle eines ohngeber es dem geneigten Leser bemerldich machen muß, der Kater wieder ein paar Makulaturmächtigen Herausgebers zur Rolle eines allwissenden auktorialen Erzählers, der
blätter ganz. weggerissen, wodurch in dieser Geschichte voller Lücken wiederum eine Lücke
sich einen narrativen Zugang zum verschlossenen Schreibpult Meister Abrahams
entstanden. Nach der Seitenzahl fehlen aber nur acht Kolumnen, die eben nichts besonders
verschafft. Indem der Herausgeber-Biograph vorführt, daß er seine InformationsWichtiges enthalten zu haben scheinen, da das Folgende sich im ganzen noch so ziemlich an das
Vorhergegangene reiht. Also weiter heißt es [...]" (M, S, 405), Durch die ,monumentale Leerstelle'
politik nach Belieben ändern und souverän zwischen einer extern fokalisierten und,
wird das Prinzip der Fragmentarisierung, das an den äußeren Rändern der Kreislerfragmente
einer nullfokalisierten Perspektive umschalten kann196, wird er in diesel' Passage zu'
.
wirksam ist als mise en abyme, von innen her gespiegelt. Die Formulierung, es handle sich bei der
einem "auktorialen Medium"197: Seine diskursive Funktion befindet sich im Übel'~~'~"'~ -'-"-"",
Biographie Kreislers um eine "Geschichte voller Lücken", ist als Selbstdarstellung des poetischen
gang zwischen Herausgeberfiktion und auktorialer Erzählhaltung.
Romankonzepts zu werten, das gerade nicht darauf abzielt, "jede chronologische Ordnung" aufHalten wir fest: Der Biograph übernimmt mit Blick auf die Herausgeberfiktion
zuheben (Kofman: Schreiben wie eine Katze, S, 59), sondern die chronologische Ordnung der
Biographie Kreislers mit der chronologischen Ordnung der Autobiographie Murrs arabesk mitdes Gesamttextes die Rolle eines ersten Herausgebers, der als zusammenschrei195 Vgl. Binczek: "Medien- und Kommunikationstheorie", S, 165.
196 Das biographische Zusammenschreiben der Nachrichten über Kreislers Leben ist eine extern fokalisierte Heterodiegese, da der Herausgeber-Biograph nicht an der von ihm erzählten Geschichte
als Figur beteiligt ist und nur das berichten kann, was ihm "brühwarm" zugetragen wird, Die~e
externe Fokalisiemng der Erzählung des Herausgeber-Biographen wird von einer intern fokaltsierten, digressiven Autodiegese begleitet und durch den proleptischen Blick in den ungeöffneten Brief zu einer nullfokalisierten, auktorialen Perspektive moduliert.
197 StanzeI: Typische Formen, S, 16,
einander zu verschlingen. Wenn der Biograph behauptet, daß sich der nachfolgende Text "im
ganzen noch so ziemlich an das Vorhergegangene reiht", so ist dies eine Aussage, die auch auf die
Abfolge der Kreisler-Fragmente im Rahmen der ,Gesamtstruktur' zutrifft. Dabei wird deutlich,
daß in dieser Geschichte voller Lücken" die Alue des Reißens keine ,totale Inkohärenz' erzeugen, sondern i~diglich jene ,monumentalen Leerstellen' hervorbringen, die benötigt werden, um
die Autobiographie Murrs "hin und wieder" (M, S, 457 f.) in die ,Gesamtstruktur' einschieben
zu können. Dies hat bemerkenswerterweise schon der vielgescholtene Hans von Müller erkannt,
wenn er schreibt: "Wir sollen also, so scheint es, nur Fragmente von Fragmenten erhalten, Aber
es scheint nur so: in Wirldichkeit stimmen die Fragmente des Buches, die der Kater conservirt,
fast überein mit den Fragmenten der Handlung, die der Biograph erf<ihn, so daß von dessen sup-
406
9. DER UNZUVERlÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
Kommentare zum Murr-Teil werden dagegen bis auf eine Ausnahme als Kl
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te auf Murrs Praxis des Zitierens Bezug nehmen. AuffallJg 1st, daß keme der Fußnoten des Kreisler-Teils eine Signatur aufweist wäht· d
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. . Fu ß note des Murr-Teils - ein intertextueller Hinweis auf Shakespe
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wze es uc geß t- mIt" . . H. unterzeichnet (M, S. 199). Auch die Kla _
merbemerkungen im Murr-.Teil sind eindeutig als Äußerungen der fiktiven Insta~z
des Herausgebers gekennzelchnet. 202
Die zweite, im Inneren des Verfahrens mitwirkende Form der Rahmung ist w .
weniger offensichtlich als die von außen her rahmenden Fußnoten und I<lamm:~~
bemerkungen des fiktiven Herausgebers. Die "doppelte Schrift"203, die durch die
"doppelte Biographie" ins Werk gesetzt wird, ist als "duplication interieure"204 z
begreifen, die in eine wechselseitige Spiegelung der beiden Romanteile münde~
Das maßgebliche Strukturprinzip des Werkes besteht darin, daß das "Ineinander';
von Kreisler- und Murr-Teil als "auf sich selbst bezogene"205 Intertextualität Vorgeführt wird. Diese Formulierung deutet bereits an, daß es sich bei dem ,Ineinander' ~er beiden Teile um eine pseudo-intertextuelle Relation handelt. Die ,doppelte
Schnft' des Romans läßt die Teile als "gegenseitige Parodie"20G und als "doppelten
Kommentar"207 aufeinander Bezug nehmen.
In diesem Zusammenhang kommt dem doppelten Anfang der Lebens-Ansichten
des Katers Murr eine besondere Bedeutung zu: Sowohl der Anfang von Murrs Autobiographie als auch das zuerst präsentierte Makulaturblatt aus Kreislers Biograp~niertem. Buche nur einzelne Sätze und Satztheile fehlen" (MülleI':
201
202
203
204
205
206
207
Das Kreislerbuch, S. XLIII).
DIeser me1l1es Erachtens vollkommen zutreffenden Beschre"ibung folgt dann der oft zitierte valorisierende Kommentar: "Es ist ein Zeichen des technischen Dilettantismus, den Hoffmann
auch als Dichter nie ganz verlor, daß er zu zwei solchen Fiktionen greift, wähtend eine genügt
hätte" (ebd.). Dieser negativen Einschätzung ist natürlich - gerade auch mit Blick auf das oben
entfaltete Konzept der duplication interieure - vehement zu widersprechen.
Die erste Fußnote des Herausgebers zum Kreisler-Teil liefert historische Hintergrundinformationen zur "Wetterharfe" (M, S. 183). Die zweite Fußnote reicht die Stellenangabe in den Fantasiestüc!een nach, auf die der ,erste Herausgeber' reichlich unpräzise mit "Irgendwo heißt es vom
Kapellmeister Johannes KreisleI''' verweist (M, S. 302). Die letzten beiden Fußnoten des Kreisler-Teils liefern ebenfalls Belegstellen, und zwar den Namen des von KreisleI' erwähnten "Komponisten" und des von ihm geschaffenen "geistlichen Werks" (S. 445).
Die erste Klammerbemerkung, die sich auf Murrs Indienstnahme von Shakespeares Wie es Euch
gefällt bezieht, beginnt mit dem kursivierten Rahmungshinweis: ,,(Randglosse des Herausgebers
[".])" (S. 292). Die zweite Klammerbemerkung, die Murrs plagiierende Bezugnahme auf Peter
Schlemihls wundersame Geschichte aufdeckt, ist mit ,,(Anmerkung des Herausgebers [".])" (S. 361)
markiert: Die dritte und letzte, in der die Möglichkeit angedeutet wird, Murr habe die Biographie Kreislers als ,intertextuelle Inspirationsquelle' genutzt, setzt mit der verkürzten Varia11l'e
"(Anmerk. des Herausgeb. [".])" ein (S. 428).
Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 18.
Dällenbach: Le dcit speculaire, S. 22.
ürosz: Identität, Diffirenz, Ambivalenz, S. 194.
Ebd., S. 192
Liebrand: Aporie des Kunstmythos, S. 194.
9.4 BEOBACHTUNGEN ZUR ,PENETRANTEN INTERTEXTUALITÄT
407
phie führen das Zusammenspiel des musikalischen Prinzips der "funktionalen Umdeutung"20B und des diskursiven Prinzips der modulierenden Aufpfropfung vor.
Diese Interferenz von enharmonischer Modulation und modulierender Aufpfropfung zeigt sich bereits im zweiten Satz von Murrs Autobiographie: "Es ist doch
etwas Schönes, Herrliches, Erhabenes um das Leben! - ,0 du süße Gewohnheit
des Daseins!' ruft jener niederländische Held in der Tragödie aus" (M, S. 18).
Dieses Zitat aus Goethes Egmont stellt eine intertextuelle Bezugnahme dar, die
eine funktionale Umdeutung erfährt. Während Egmonts Worte der Erkenntnis
Ausdruck verleihen, daß er bald sterben muß, wird die zitierte Äußerung in ihrem
neuen Kontext zum Ausdruck "naiver Lebensfreude".209 Auch der Kreisler-Teil beginnt mit einer intertextuellen Bezugnahme, die einer funktionalen Umdeutung
unterworfen wird: " (Mak. Bl.) - - und erinnern Sie sich, gnädigster Herr, denn
nicht des großen Sturms, der dem Advokaten, als er zur Nachtzeit über den Pontneuf wandelte, den Hut vom Kopfe herunter in die Seine warf? - Ähnliches steht
im Rabelais [...]" (M, S. 23 f.).
Drei Mal wiederholt Meister Abraham im weiteren den Satz: "Es weht ein großer
Wind, mein Herr", der auf die in Sternes Sentimental Journey vorkommende Episode "The Fragment" anspielt. 2IO Meister Abraham unterwirft diese intertextuelle
Bezugnahme einer funktionalen Umdeutung, indem er sie als Entschuldigung für
das mißglückte Hoffest zu Ehren des Namenstages der Fürstin in Dienst nimmt:
,,[...] was war an allem Unheil schuld, als der Sturm" (M, S. 25). Allerdings entgeht
dem bornierten Fürsten die Pointe dieser modulierenden Aufpfropfung, da er den
2lI
literarischen Prätext nicht kennt, auf den Meister Abraham anspielt.
Der inter208 Vgl. Michels: dtv-Atlas zur Musik, Bd. 1, S. 99.
209 Sreinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 942. Vgl. hierzu auch Meyer,
der eben diesen Umstand feststellt, wenn er schreibt: "Nicht der Wortlaut als solcher, der sich ja
gleichbleibt, sondern nur der Kontext ist ausschlaggebend für den gemeinten Sinn" (Meyer: Das
Zitat in der Erzählkunst, S. 115 f.).
210 In "The Fragment" berichtet Yorrick, wie ihm sein Diener La Fleur während seines Pariser Aufenthalts ein Stück Butter bringt, das in ein beschriebenes "sheet of waste paper" eingewickelt ist.
Im Rallmen eines konjizierenden Symptomkommentars, der sich sowohl auf stilistische wie auf
kalligraphische Indizien stützt, kommt Yorrick ZU folgendem Schluß: ,,11' was in the old French
ofRabelais's time, and for ought I know might have been wrote by him - it was moreover in a
Gothic letter, and thaI' so faded and gone off by damps and length of time, it cost me infinite
trouble to make any thing of it" (Sterne: ASentimental Journey through France and Italy,
S. 101 ff.). Das Rabelais zugeschriebene "Fragment" erzählt die Geschichte eines Notars, der eine
,stürmische' Frau hat. Um dem häuslichen "hurricane" zu entfliehen, spaziert der Notar bei
Nacht durch die Stadt, gerät dabei jedoch in einen"ill wind", der ihm auf der pont neu/den Hut
vom Kopf weht. Auf seinem weiteren Weg hört er zufällig, daß ein Sterbender nach einem Notar
verlangt, um sein Testament aufzusetzen. Der Notarerldärt sich hierzu bereit. Als BezalTlung für
seine Mühen bietet ihm der Sterbende seine Lebensgeschichte an: "the history of myself'. Unglücklicherweise bricht die Geschichte genau an der Stelle ab, an der der Sterbende beginnt, "to
dictate his story in these words -". Statt eines wörtlichen Zitats folgt ein Gedankenstrich und
Yorriclcs Frage: ,,- And where is the rest of it, La Fleur?" (ebd., S. 103 ff.).
211 Hier wird das Prinzip der "enharmonischen Verwechslung" in Form einer doppelten Falschaussage vorgeführt. Die falsche Zuschreibung, die Meister Abrahams vornimmt, wenn er behauptet: "Ähnliches steht im Rabelais", wirkt wie ein Generalschlüssel, der die nächste Falschaus-
408
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
textuelle Verweis auf den Text "The Fragment" läßt diesen nicht nur zur "sinnstif_
tenden Folie"212, sondern auch zum konzeptstiftenden Prätext werden. 213 Die
Lebens-Ansichten des Katers Murr spiegeln nämlich die "entscheidende Strukturei_
gentümlichkeit" von "The Fragment" wider 214 : Der abrupte Einsatz des ersten
Kreisler-Fragments ist eine strukturelle Spiegelung des Abbruchs von "The Fragment".215 Die Anspielung auf diesen Text dient mithin der Selbstdarstellung des
Konzepts: Die Lebens-Ansichten verdanken ihre eigentümliche Struktur einer fragmentarisierenden Geste des Herausreißens von Blättern aus einem bereits gedruckten Buch. Durch diese "archaische Geste"216 des Ausreißens wird ein
Hypertext im Sinne Genettes hergestellt.
Der Begriff der Hypertextualität bezeichnet nach Genette die parodierende Beziehung zwischen einem späteren Text B (Hypertext) und einem früheren Text A
(Hypotext), wobei "Text B Text A auf eine Art überlagert, die nicht die des Kommentars ist".217 Bemerkenswerterweise ist im französischen Original nicht VOn
"überlagern", sondern von "se greffe" die Rede. 218 Das heißt, Genette begreift die
hypertextuelle Bezugnahme als Aufpfropfung. Zugleich weist Genette daraufhin,
für die Transformation eines Textes in einen Hypertext könne "ein einfacher und
mechanischer Eingriff ausreichen (im Extremfall das Herausreißen einiger Seiten
sage bewirkt; "Den Pontneuf kenne ich allerdings", erwidert der Fürst, aber "[d]en Advokaten
Rabe/ais habe ich niemals gesehen" (S. 24). Während Meister Abraham die von Sterne stammende, fiktive Zuschreibung an Rabelais falsch deutet, moduliert der Fürst den Namen des vermeintlichen Autors der Episode zum Namen des Protagonisten der Episode.
212 Schäfer: Ohne Anftng- ohne Ende, S. 119.
213 Eine zweite Anspielung, die ebenfalls eine "leitmotivische Funktion" hat (vgl. Kremer: E. T. A.
Hoffmann. Erzählungen und Romane, S. 206), ist die auf Shlikespeares The Tempest: Meister Abraham spielt auf Prosperos an, wenn er den Fürsten mit Blick auf den "großen Sturm" fragt:
"Kann ich den Elementen gebieten?" (M, S. 25).
214 Steinecke; "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 942.
215 Dies gilt auch für die implizite Herausgeberfiktion, die in "The Fragment" dadurch gegeben ist,
daß es sich um ein zuHillig gefundenes Makulaturblatt handelt, das vom Erzähler im Rahmen
seiner Reisebesclueiblll1g herausgeben und kommentiert wird. Dabei veranlaßt die umständlichenthusiastische Beschreibung des pont neu/Yorrick bemerkenswerterweise zu einem eingesdlObenen, editorialen Symptomkommentar, der typographisch durch Kursivierung hervorgehoben
ist: "By this, it seems, as if the author 0/ the fragment had not been a Frenchman". Das heißt, die
konjekturale Ausgangstheorie, das Fragment stamme von Rabelais, wird im Rahmen des Fragments durch eine editoriale Intervention dementiert. Dies bedeutet mit Blick auf Meister Abrahams Bemerkung; "Ähnliches steht im Rabelais", daß er eine doppelte Falschaussage macht. Er
nimmt nicht nur eine falsche Zuschreibung vor, weil die Episode, auf die er intertextuell verweist, nicht ,im Rabelais' steht, sondern auch, weil aus der Episode hervorgeht, daß sie nicht von
Rabelais stammt. Durch diese Rahmenkonfusion wird die Zuschreibungsfunktion als solche thematisiert.
216 Compagnon: La Seconde main, S. 17.
217 Genette; Palimpseste, S. 15.
218 Die Passage lautet im Original: "J'entends par la toute relation unissant un texte B (que j'appelerai hypertexte) a lln texte anterieur A (que j'appelerai, bien sur, hypotext) sur lequel il se greffe
d'une maniere qui n'est pas celle du commentaire. Comme onle voit a la metaphore se greffe et
a la determination negative, cette definition est toute provisoire" (Genette; Palimpsestes, S. 11 f.).
9.4 BEOBACHTUNGEN ZUR ,PENETRANTEN INTERTEXTUALITÄT
409
[...])".219 Genau das macht Murr: Er reißt bedruckte Blätter aus einem anderen
Buch heraus, verwendet sie als ,Unterlage' für sein autobiographisches Schreiben
und transformiert dadurch Kreislers Biographie in einen Hypotext, in eine ,Unterlage', auf die er sein Manuskript hypertexruell aufpfropft. 220 Dabei läßt sich zwischen zwei Modi der Aufpfropfung unterscheiden, einer semantischen und einer
medialen: Hypertextualität im Sinne Genettes entsteht durch semantische respektive stilistische Aufpfropfungen, im Rahmen deren die Vorlage parodistisch transformiert wird. 221 So nimmt Murr semantische hypertextuelle Aufpfropfungen vor,
wenn er intertextuell auf fremde Texte Bezug nimmt, die er parodistisch transformiert und in seine Autobiographie integriert. Das ,Ineinander' von Murr- und
Kreisler-Teil verdankt sich dagegen einer anderen An der Greffi, nämlich einer medialen hypertextuellen Aufpfropfung. Abgesehen davon, daß mit dem Zerreißen
des Buches die "materielle Seite der Kunstschöpfung"222 und die Materialität der
angrenzenden Texte ins diskursive Spiel kommt, verkörpert der Riß die Möglichkeit zum "Bruch mit dem Kontext"223: Er wird zum inszenierten genuinen Index
einer Aufpfropfungsbewegung. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei der Umstand, daß der Akt des Reißens nur deshalb als erster Akt einer Aufpfropfungsbewegung in Erscheinung treten kann, weil er im Druck konserviert wird. Das heißt,
die mediale hypertextuelle Aufpfropfung gründet in einem Zusammendrucken von
heterogenen Elementen, die im Rahmen des Druckmediums auf die "überrad er KonventIOnen
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(ten
Zie Ien. 224
219 Genette: Palimpseste, S. 16.
220 Vgl. hierzu auch Schäfer, die mit Blick auf die von Murr praktizierten intertextuellen Aneignungsstrategien darauf hinweist, daß Kristevas Beschreibung des literarischen Produktionsprozesses als Absorption und Transformation "nicht als eine reibungslose Einbettung des fremden
Textes in einen neuen Kontext" aufgefaßt werden darf, "sondern daß fremdes Textmaterial durch
Neukontextualisierung umgeschrieben wird. Dieses Umschreiben kann sogar so weit gehen, daß
der fremde Text zerstört und völlig geändert zusammengesetzt wird. Diese Transformation fremder und eigener Texte im Akt der Zerstörung und neuer Zusammensetzung beschreibt exaln die
von Hoffman dargestellte Vorgehensweise des Katers Murr in seinem literarischen Produktionsprozeß" (Schäfer: Ohne Anftng- ohne Ende, S. 75).
221 Vgl. Genette; Palimpseste, S. 32 ff.
222 Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 32.
223 Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 27.
224 Boltel'; "Das Internet in der Geschichte der Technologien des Schreibens", S. 46.
410
I
'
9.5 DIE IMPLIZITE DRUCK-SZENE DER LEBENS-ANSICHTEN
9.5 Die implizite Druck-Szene der Lebens-Ansichten:
Makulaturblätter als Löschpapier
ddt, dann hat dieses Replica-Token den Status eines "single event"230 - genau wie
ein handgeschriebenes Manuskript. Mit anderen Worten, Kreislers Biographie befindet sich nicht nur in einem indeterminierten Zustand zwischen Gedrucktsein
und Noch-Nicht-Veröffentlicht-Sein, sondern auch in einem indeterminierten Zustand zwischen druckschriftlichen und handschriftlichen Verkörperungsbedingungen: Sie hat als Druckschrift de.n Ch~ra~<ter :iner Handschri~t. . .
.
In diesem Zusammenhang verdIent die 1m Tltel gegebene Pradlkatlon ,,111 zufälligen Makulaturblättern" einige Aufmerksamkeit. Diese Formulierung wirft
nämlich zwei Fragen auf. Erstens: Worin besteht das Zufällige dieser Makulaturblätter? Zweitens: Wodurch werden die Makulaturblätter zu Makulaturblättern?
Das Zufällige der Makulaturblätter besteht offensichtlich darin, daß sich der Kater
ausgerechnet Kreislers Biographie zum Zerreißen ausgesucht hat. Doch auch dem
Akt des Reißens eignet etwas Zufälliges, da mit dem Herausreißen der Blätter der
Umfang der jeweiligen Kreisler-Fragmente determiniert wird. Meines Erachtens
gibt es eine Verbindung zwischen den ,zufälligen' Akten des Reißens und der Klassifizierung der herausgerissenen Blätter als Makulatur. Bei der Makulatur handelt
es sich um ,,[i]n der Druckerey bedrucktes Papier", das "entweder verdorben" ist
oder "keinen Abgang findet, und anders nicht, als zum einwickeln, oder einpacken
dienet".231 Doch wieso sollte es sich bei der gedruckten und gebundenden Biographie Kreislers um Makulatur handeln, wo dieses Buch doch "höchstwahrscheinlich gar nicht in den Buchhandel" gelangt ist, ja womöglich nur als
Einzelexemplar existiert? Dies läßt meines Erachtens nur einen Schluß zu, nämlich
daß die Kreisler-Biographie durch die zufälligen Akte des Zerreißens und durch
die Verwendung der herausgerissenen Seiten als Löschpapier überhaupt erst in Makulatur transformiert wird.
Mit Blick auf die Refunktionalisierung als Löschpapier ist auf den Umstand einzugehen, daß es sich bei diesem Löschpapier um bedruckte Seiten handelt, die zum
Löschen handschriftlicher Aufzeichnungen verwendet werden. Das heißt, das
Löschblatt ist nicht mehr nur als "Nebenschauplatz des Schreibens"232 anzusehen,
sondern das Schreiben mit Löschblättern stellt eine Praxis dar, "die im Akt des Löschens, der Absorption zwei getrennte, gleichwohl spiegelverkehrt korrespondierende Schriften produziert".233 Nun wird in den Lebens-Ansichten des Katers Murr
aber nicht au/Löschblätter geschrieben, wie fälschlicherweise immer wieder behauptet wird234 , sondern die herausgerissenen Seiten aus Kreislers gedruckter Bio-
In den Lebens-Ansichten des Katers Murr ist der "Bruch mit dem Prinzip der Linearität auf der Ebene der Typographie"225 das vielleicht markanteste Struktu1'ln_
erkmal: ein Bruch, der nicht allein "mittels typographischer Dispositive die
Linearität eines Buches sprengt"226, sondern der dadurch "die Grenzen des Druckmediums"227 explizit und implizit in Szene setzt: Explizit durch die Interventio_
nen des Druckers, der seine Machtposition dadurch demonstriert, daß er das vom
Herausgeber unterdrückte Vorwort eigenwillig mit abdruckt (vgl. M, S. 17). Implizit durch den merkwürdigen Status, den Kreislers Biographie besitzt. Im Vorwort wird sie als "gedrucktes Buch" beschrieben, das jedoch "höchst wahrscheinlich
gar nicht in den Buchhandel gekommen [sei], da niemand auch nur das mindeste
davon weiß" (M, S. 12). Das heißt, Kreislers Biographie wurde zwar gedruckt und
als Buch gebunden, aber nicht veröffentlicht. Diese Konstellation läßt nicht nur
auf einen Bruch zwischen dem Publikationsakt und dem Druckakt schließen228
sondern impliziert auch einen performativen Widerspruch auf der Ebene der Ver~
körperungsbedingungen, der die Grenzen des Druckmediums thematisiert.
Die Tatsache, daß das Buch "höchst wahrscheinlich" gar nicht in den Buchhandel gekommen ist, "da niemand auch nur das mindeste davon weiß" (ebd.),
legt die Vermutung nahe, daß es sich bei dem von Murr zerrissenen Buch - Kreislers Biographie - um das einzige Exemplar handelt. Die Möglichkeit, daß es sich
um das letzte Exemplar handelt, scheidet aus, da das Buch in diesem Fall ja in den
Buchhandel gekommen wäre und man etwas davon wüßte. Weitaus plausibler er.
scheint dagegen die Hypothese, daß es sich um das erste Exemplar - eine Art Vorabdruck also - handeln könnte. 229 In diesem Fall wäre es allerdings etwas
verwunderlich, daß dieser Vorabdruck als gebundenes Buch vorliegt. Womöglich
geht es aber genau darum, Kreislers Biographie diesen etwas verwunderlichen semiotisch-performativen Status anzutragen. Als gedrucktes Buch ist die KreislerBiographie als Replica-Token eines auf technische Reproduzierbarkeit angelegten
Druckvorgangs zu betrachten. Wenn es sich jedoch um das einzige Exemplar han-
Kremer: E. T. A. Hoffinann. Erzählungen und Romane, S. 213.
Bunia: "Die Srimme der Typographie", S. 374.
Boher: "Das Internet in der Geschichte der Teclll1ologien des Schreibens", S. 45.
Merkwürdigerweise wurde diesem Problem in der Forschungsliteratur bislang kaum Aufmetksamkeit geschenkt, ja, mitunter wurde der semiotisch-performative Status der Kreisler-Biographie sogar fehlgelesen. So schreibt Laußmann, in den Lebens-Ansichten des Katers Murr werde
"die ungedruckte Biographie eines romanrischen Künstlers auf skurrile Weise gerettet" (Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 32). Dabei heißt es im Vorwort des Herausgebers ausdrücklich, daß es sich bei der Biographie Kreislers um ein "gedrucktes Buch" handelt (Vgl. M, S. 12).
229 Die dritte Möglichkeit wäre, daß es Kopien des Buches gibt, die sich an einem zwischen der
Druckerei und dem Buchhandel liegenden Ort befinden. Auch in diesem Fall hätte das vom
Kater zerrissene Buch den Status, das erste Exemplar zu sein.
225
226
227
228
411
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
230
231
232
233
234
Peirce: Collected Papers, 4.537.
Zedlers Universal-Lexicon, Artikel "Mackeltur", S. 95.
Giuriato: "Löschblatt", S. 561.
Ebd., S. 567.
Vgl. Laußmann: Das Gespräch der Zeichen, S. 165, wo sie behauptet, der "Überschreibungsvorgang" perpetuiere "die fiktive Zerstörung einer Biographie". Dies impliziert, der Kater Murr überschreibe die Biographie von Kreisler, was jedoch nicht der Fall ist. Die Biographie wird nur als
Unterlage und zum Löschen, nicht jedoch als Schreibpapier verwendet. Der gleiche IrrtLUll findet sich immer wieder in der Forschungsliteratur. So bei Orosz, die den ganzen Roman als
"Palimpsest sowohl im konkreten als auch im übertragenen Sinne" bezeichnet (Orosz: Identität;
Diffirenz, Ambivalenz, S. 194), aber auch bei Liebi'and, die behauptet, daß der Kater Murr "seine
412
II!
9. DER UNZWElUÄSSIGE HERAUSGEßERDES KATER MURR
graphie werden als Löschblätter verwendet. Die Pointe dieser Konstellation ist e'
mise ~n abyme mediale, die das Prinzip der arabesken Verschlingung auf das ~~~~
hältnls von Handschrift und Druckschrift projiziert. 235 Durch den Akt des L~
schens werden Druck- und Handschrift in ein Verhältnis der "duplicat'
• -<.
"236'
d
h I ..
.
IOn
Interieure .' Ja, ~r w~c s.e se1t1genSplegelung gebracht: Murrs handgeschrie_
bene ~u~oblOgraphle WIrd In: Akt des Lösehens auf die zum Löschpapier U11lfunktlonlerten gedruckten Selten aus der Biographie Kreislers gespiegelt. 237 D
as
Resultat dieser Spiegelung ist ein duplizierender Abdruck, der den Charakter ein
g.enuinen Index hat und zugleich in einer metaphorischen Analogie zum redupl~~
ZIerenden Akt des Druckens steht: Die gedruckte Seite ist der Abdruck einer Vorlage, nämlich der sogenannten ,Druckform', deren Verhältnis zum Gedrucktel
durch ihre Spiegelverkehrung ausgezeichnet ist. Die Druckform verhält sich all
spiegelverkehrter Typ zu den drucktechnisch durch sie erzeugten Replica- Token~
Im Akt des Druckens wird mithin eine doppelte Spiegelung von der handschrift_
lichen Druckvorlage zur Druckform und von der Druckform zum Druckerzeug_
nis vorgenommen. 238 Doch auch der Abdruck der feuchten Tinte eines
handgeschriebenen Textes auf das Löschpapier erfolgt spiegelverkehrt. Das heißt
das Löschpapier wird zum Trägermedium der Spiegelschrift einer handgeschriebe~
nen Vorlage: Der Akt des Ablösehens ist mithin als Akt zu werten, mit dem sich
Murrs handschriftliche Autobiogriffure der gedruckten Biographie Kreislers aufpfropfend ,eindruckt'.
Diese implizite Druck-Szene, die lediglich hYP9thetisch erschlossen werden
kann, ist Teil der fiktiven Vor-Geschichte des Romans. Sie findet statt, bevor jene
Lebensgeschichte auf Lmterlegte Makulaturblätter schreibt und mit diesen ,ablöscht'" (Liebrand:
Aporie des Kunstmythos, S. 195). Immerhin interpretiert Liebrand MutTS ecriture nicht nur als
235
236
237
238
Vorgang der Überschreibung, sondern auch als Vorgang der Aufpfropfung: "Murrs Text, der
einem zweiten Text ,aufgepfropft', als Umkehrtext auf den Text der Makulaturblätter geschrieben ist, gründet materialiter und erzähltechnisch auf Literatur" (ebd.), Eine andere Variante der
Fehllektüre der Schreib-Szene im Kater Murr offenbart sich bei Kayser, der behauptet, der Herausgeber habe nicht bemerkt, "daß der Kater sein Leben auf Seiten schrieb, deren Rückseiten ein
(fingierter) Biograph zur Lebensbeschreibung Kreislers benutzt hatte ..." (Kayser: Das sprachliche Kunstwerk, S. 202 f.). Hier liegt offensichtlich eine interpretative Überblendung mit der in
der Kreisleriana geschilderten Schreibweise Kreislers vor. Nach seinem Verschwinden entdecken
die Freunde, daßsich "auf den weißen Rückseiten mehrerer Notenblätter ldeine, größtenteils humoristische Aufsatze, in günstigen Augenblicken mit Bleistift schnell hingeworfen, befanden"
(Hoffmann: Fantasiestücke, S. 34).
VgL Oesterle: "Arabeske, Schrift und Poesie in E. T. A. Hoffmanns Kunstmärchen ,Der goldene
Topf", S. 72 f., sowie Bunia: "Die Stimme der Typographie", S. 380.
Dällenbach: Le recit speculaire, S, 22.
Insofern dokumentieren die Seiten aus der Kreisler-Biographie tatsächlich so erwas wie eine "doppelte Schrift" (vgL Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 18).
So besehen sreht der Akt des Druckens in unmitrelbarem Zusammenhang mit Novalis' Überlegungen zur "doppelten Reflexion": Die Verkehrung, die durch eine Spiegelung erfolgt, kann
durch eine zweite, auf die erste bezogene, Spiegelung revidiert werden. Dergestalt wender die ;,reflektierte Reflexion [...] die Verkehrung der Verhältnisse wieder Lun und stellI' so die Ordnung
wied~~' her, die ihnen vor der ersten Spiegelung zukam" (Frank: EinjUhrung in die ftühromantische Asthetik, S. 254),
9.5 DIE IMPLIZITE DRUCK-SZENE DER LEBENS-ANSICHTEN
413
Akte des unzuverlässigen Herausgebens und des eigenwilligen Zusammendruckens
vollzogen werden, die für die Lebens-Ansichten suukturbestimmend sind. Dabei
wird die implizite Druck-Szene durch eine implizite Schreib-Szene ergänzt. Der
Kater Murr verwendet Kreislers Biographie nämlich nicht nur "teils zur Unterlage,
teils zum löschen" (M, S. 12), er verwendet sich auch als ,intertextuelle Inspirationsquelle' . Im letzten der insgesamt 17 Murr-Teile ergeht sieh der Kater in kunsttheoretischen Reflexionen, die den fiktiven Herausgeber zum wiederholten Mal zu
einer Anmerkung über die kopierende Schreibweise des Katers veranlassen. Hatte
der Herausgeber bereits vorher Murrs parodistische Bezugnahme auf Shakespeares
Wie es euch gefällt (M, S. 291) und Chamissos Peter Schlemihl (M, S. 361) erwähnt,
so moniert die letzte Anmerkung des Herausgebers eine quasi-intertextuelle Bezugnahme auf Äußerungen und Beschreibungen der fiktiven Figur Kreisler:
(Anmerk. des Herausgeb.: - Mu1'1', es tut mir leid, daß du dich so oft mit fremden Federn
schmückst. Du wirst, wie ich mit Recht befürchten muß, dadurch bei den geneigten
Lesern merldich verlieren. - Kommen alle diese Betrachtungen, mit denen du dich so
brüstest, nicht geradehin aus dem Munde des Kapellmeisters Johannes Kreisler, und ist
es überhaupt möglich, daß du solche Lebensweisheit sammeln konntest, um eines
menschlichen Schriftstellers Gemüt, das wunderlichste Ding auf Erden, so tief zu
durchschauen?) (M, S. 428).239
Es gibt nur zwei Quellen, aus denen der Kater die "Betrachtungen" des Kapellmeisters Kreisler kennen kann: entweder die in den Fantasiestücken enthaltenen
"Kreisleriana" oder die dem Kater als "Unterlage" dienenden Malmlaturblätter aus
Kreislers Biographie. Die zweite Möglichkeit ist die im wahrsten Sinne des Wortes ,näherliegende': In diesem Fall hätte Murr Kreislers Biographie nicht nur als
Schreib unterlage, sondern auch als Schreib vorlage verwendet. 240 Er hätte, mit an239 Hier liel~e sieh überlegen, ob die Bemerkung des Herausgebers, daß sich Murr "so oft mit fremden Federn" (M, S. 428) schmückt, einen Interferenzpunkt von medialer und semantischer hypertextueller Aufpfropfungsdynamik markiert. Diese Formulierung verweist nämlich zurück auf
das ironische Lob der genialen Druckfehler im "Vorwort des Herausgebers", dem die Bemerkung
folgt: "Jedem jedoch das Seine! Wedel' der Kater Murr, noch der unbekannte Biograph des Kapellmeisters Kreisler soll sich mit fremden Federn schmücken [.,,]" (M, S, 13). Die "fremden Federn" bezeichnen zu Beginn jene Druckfehler, mit denen die "gütigen Setzer" den Autoren "bei
dem Aufschwunge der Ideen nachhelfen" (M, S. 12). Im oben angeführten Kommentar des Herausgebers beziehen sich die "fremden Federn" indessen auf jene "Betrachtungen" Kreislers, die
von Murr als fiktiver Intertext in Dienst genommen, nämlich abgeschrieben werden. Der Ausdruck "mit fremden Federn" erfahrt mithin im Verlauf des Romans eine "funktionale UmdeutLlng".
240 Vgl. hierzu den ausführlichen Nachweis der "Spiegelungen" zwischen dem Murr-Teil und dem
Kreisler-Teil, den Steinecke vornimmt (Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentadage", S. 964). Um nur zwei Beispiele herauszugreifen: Nachdem im siebten Kreisler-Fragment berichtet wurde, daß Julia mit Kreisler "das schöne Duett versuchen" will (M, S, 151),
fordert Murr seine Geliebte Miesmies im zehnten Murr-Teil auf; "Laß uns ein ldeines Duett versuchen" (M, S, 220). Ebendort wird vom Duellgegner Murrs gesagt, daß er "eine reiche fremde
Uniform trug", die wegen bewiesener Tapferkeit mit Orden geschmückt war (M, S, 223), nachdem im neunten Kreisler-Fragment sowohl Prinz Hektars Uniform als auch seine Tapferkeit
414
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9.6 LITERARISCHE UND LEBENSWELTLICHE FIKTIONALISIERUNG
deren Worten, von seinem Löschpapier abgeschrieben und so das Prinzip der wech..
selseitigen Spiegelung mit dem Prinzip der greffe citationelle gekoppelt. In diesem
Fall wäre das Löschpapier nicht länger "simples Produktionsmateria1"241, sondern
literarische Vorlage, und es wäre nicht mehr nur Trägennedium, auf dem ein handschriftlicher Autograph spiegelbildlich abgedruckt wird; vielmehr würde Murrs Alltobiographie zum quasi-intertextuellen Spiegel ihres Löschpapiers.
Namen einer von ihm erfundenen fiktiven Figur signiert. In diesem Fall kann man
eine Tendenz zur transfigurierenden Fiktionalisierung feststellen, die keine literarisierende, sondern eine lebensweltliche Fiktionalisierung ist. Bei der literarisierenden Fiktionalisierung werden ,Realitätsversatzstücke' in einen fiktionalen Rahmen
manövriert, bei der lebensweltlichen Fiktionalisierung werden dagegen ,Fiktionalitätsversatzstücke' in den "primären Rahmen"246 der Lebenswelt integriert. Dabei
kommt es zu Interaktionen zwischen beiden Rekontextualisierungsbewegungen,
wie die "Nachschrift des Herausgebers" am Ende des zweiten Bands der Lebens-Ansichten belegt:
9.6 Autorschaft im Spannungsfeld von literarischer
und lebensweldicher Fiktionalisierung
Abschließend muß auf ein Phänomen hingewiesen werden, das auf eigentümliche
Weise die question du liminaire242 zwischen realer Autorschaft und fiktiver Herausgeberschaft aufWirft. Die oben festgestellte Tendenz zur transfigurierenden Fiktionalisierung erfährt in den Lebens-Ansichten des Katers Murr dadurch eine
Irritation, daß der reale Autor E. T. A. Hoffmann nicht nur einige seiner Werke
mit dem Namen der von ihm erfundenen, fiktive!:. Figuren Kreisler und Murr signiert hat, sondern Hoffmann war sogar "in der Offentliehkeil' wiederholt unter
dem Namen seines Kapellmeisters aufgetreten, hatte von sich als ,Kreisler' gesprochen, Erzählungen und Privatbriefe mit diesem Namen unterschrieben".243 Aufgrund dieser Interferenz der "lebensweltliche[n] Konstruktion"244 Hoffmann und
der fiktionalen Konstruktion Kreisler konnten zeitgenössische Leser die Ankündigung einer Biographie Kreislers durchaus auch als Ankündigung einer Autobiographie Hoffmanns auffassen. 245
Wurde bisher nur die Frage gestellt, was es bedeutet, wenn eine offensichtlich
fiktive Instanz im Rahmen und am Rahmen eines Werks mit dem Namen des realen Autors unterschreibt, so wirft die gerade geschilderte Praxis Hoffmanns die
Frage auf, was es bedeutet, wenn ein realer Autor ,im wirldichen Leben' mit dem
241
242
243
244
245
erwähnt wurde. Vgl. auch Neumann, der bezüglich der zahlreichen, sowohl im Murr- als auch
im Kreisler-Teil verteilten Ohrfeigen schreibt: "Das Murr- und das Kreisler-Buch beziehen sich
in vielfachen Spiegelungen aufeinander" (Neumann: Unterwegs zu den Inseln des Scheins, S. 283).
Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 62.
Derrida: "Hors livre. Pl-efaces", S. 24.
Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 927. Dabei verweist
Steinecke auf eine weitere, auffallige Parallele zwischen der Vita des realen Autors Hoffmann und
der von ihm erfundenen, fiktiven Figur Kreisler, die darin besteht, "daß Kreisler als Verfasser
mehrerer Kompositionen genannt wird, die wir als Werke Hoffmanns kennen" (S. 929).
Vgl. Jannidis: "Zwischen Autor und Erzähler", S. 540.
Zugleich finden sich aber auch Identifikationspunkre zwischen Hoffmann und dem Kater Murr.
So unterschreibt Hoffmann das Sonnett "An ]ohanna am 2' März 1820" mit "Murr. Etudiant en
beiles lettres et chanteur tres renommtf" (Hoffmann: werke 1820-1821, S. 817).
415
Am Schluß des zweiten Bandes ist der Herausgeber genötigt, den geneigten Lesern eine
sehr betrübte Nachricht mitzuteilen. - Den ldugen, wohlunterrichteten philosophischen, dichterischen Kater Murr hat der bittre Tod dahin gerafft mitten in seiner schönen Laufbahn. Er schied in der Nacht vom neunundzwanzigsten bis zum dreißigsten
November nach kurzen, aber schweren Leiden mit der Ruhe und Fassung eines Weisen
dahin (M, S. 457).
Tatsächlich starb in der Nacht zum 29. auf den 30. November 1821, just zu der
Zeit, in der Hoffmann am Schluß der Lebens-Ansichten des Katers Murr arbeitete,
Hoffmanns eigener, geliebter Kater namens Mur?47; ein Ereignis, das Hoffmann
durch Todesanzeigen in der Zeitung und in Briefen an seine Freunde bekanntgab. 248 Bemerkenswert ist dabei weniger, daß der Tod des realen Katers im Rahmen der Lebens-Ansichten in modulierter Form, nämlich als Tod des Autors Murr
auftaucht; bemerkenswert ist vielmehr, daß Hoffmann den realen Kater Murr vor
seinem Tod in mehreren Briefen als Autor beschrieben hat. So erwähnt Hoffmann
246 Vgl. Goffman: Rahmen-Analyse, S. 35.
247 Vgl Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 910. Unldar bleibt dabei
freilich, ob die in der Forschungsliteratur vertretene These zur Namenswahl des literarischen Katers Murr auch auf den "wirldichen Kater" Anwendung finder. Steinecke, Scher und Pfotenhauer
weisen darauf hin, daß der Name "Murr" von dem Augsburger Gelehrten Christian Gotdieb von
Murr (1733'-1811) stammen könnte. Dieser wird als Verfasser der Chirographa personarum celebrium in der "Vor-Geschichte" zu Jean Pauls Leben Fibels erwähnt - übrigens in unmittelbarem Kontext einer Katze. Steinecke vertritt nicht nur die Hypothese, daß der Gelehrte Murr zum
Namenspatron von Hoffmanns Kater geworden sein könnte, sondern verweist auf den biographischen Umstand, daß sich der "gönnerhafte Pudel Ponto" gleichfalls auf eine Verbindung zu
Jean Paul hindeuten könnte, denn: "Dieser besaß einen Pudel gleichen Namens" (Steinecke: "Zu
Textanordl1lwg, Textgestalt und Kommentarlage", S. 933, sowie Scher: ",Kater Murr' und ,Tristram Shandy"', S. 170). Pfotenhauer kommt mit Blick auf die arabeske Rahmung der Titelvignetten auf Murr zu sprechen. Pfotenhauer zufolge könnten die Ziegenböcke und der
sternengekrönte Fettwanst ihr Vorbild in den herculanischen Verzierungen haben, "wie sie jener
Kupferstecher wiedergibt, der sie in Deutschland vor allem bekannt macht und der den Namen
von Hoffmanns literarischen Kater trägt: Christoph Gotdieb Murr" (Pfotenhauer: "Bild, Bildung, Einbildung", S. 51).
248 In der wahrscheinlich frühsten dieser Todesanzeigen heißt es: "In der Nacht zum 29' bis zum 30
9br [I] verschied nach kurzem aber schwerem Leiden zu einem beßren Leben mein teUl'er Zögling der Kater Murr" (Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 936,
sowie Faksimile nach S. 944).
416
9. DER UNZUVERlÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9,7 NACHSCHRIFT ZUR "NACHSCHRIFT"
in einem Brief an Friedrich Speyer vom 1. 5. 1820 den neben ihm liegenden
"höchst weisen und tiefsinnigen Kater Murr", der sich "den außerordentlichsten
Gedanken und Fantasien zu überlassen scheint, denn er spinnt erldecldich! - Ein
wirklicher Kater von großer Schönheit (er ist auf dem Umschlage seines Buchs frappant getroffen) und noch größerem Verstande, den ich auferzogen, gab mir nehmlich Anlaß zu dem skurrilen Scherz, der das eigentlich sehr etnste Buch
durchflicht".249
9.7 Nachschrift zur "Nachschrift"
Die Tatsache, daß Hoffmann hier - offensichtlich zitiert er denletzren Satz des
Herausgebervorworts der Lebens-Ansichten des Katers Murr - in einem außer-li_
terarischen Kontext einen Bezug zwischen dem ,wirklichen Kater' und der Umschlagzeichnung ,seines' Buches herstellt, impliziert eine lebensweltliche Fiktionalisiserung, die durch eine rigid designation 250 initiiert wird. Hoffmann stellt ,im
wirklichen Leben' eine referentielle Relation zwischen dem Eigennamen ,Murr',
dem ,wirldichen Kater' als Referenzobjekt und dem Porträt dieses Referenzobjekts
her. Mehr noch: Indem Hoffmann - in Abweichung von der Formulierung in den
Lebens-Ansichten - schreibt, der Kater sei auf dem Umschlag ,seines' Buches frappant getroffen, stellt er ein Zuschreibungsverhältnis zwischen dem ,wirldichen
Kater' Murr und Murrs fiktiver Autobiographie her.
Hoffmann geht bei seiner lebensweltlichen Fiktionalisierung sogar noch einen
Schritt weiter: In einem offenen Brief an den Herausgeber der Zeitschrift "Der Zuschauer" vom 2.1.1821 beschreibt sich Hoffmann außerhalbdes fiktiven Romankontextes als Herausgeber der "Papiere des Katers":
Erfahren Sie, daß ich eben in diesem Augenblick mit einer literarischen Arbeit beschäftigt bin, die die mühsamste zu nennen, die es nur geben mag. Ich bin nämlich eben
jetzt darüber her, die Papiere des Katers Murr in Ordnung zu bringen, um den zweiten
und dritten Teil seiner merkwürdigen Lebensansichten herausgeben zu können. Der
Gute schreibt zwar eine passable, leserliche Pfote, indessen kann er von gewissen Gewohnheiten nicht ablassen, die auf manche Stelle in seinen Manuskripten ein schwer
zu durchdringendes Dunkel werfen. 2St
Diese Konstellation wirft zwei Fragen auf, nämlich zum einen, ob sich hier der reale
Autor Hoffmann in einem außer-literarischen Kontext als fingierter Herausgeber
eines fiktiven Autors ausgibt, der ein ,wirklicher Kater' ist? Und zum anderen, ob
die Behauptung, Hoffmann bringe ,die Papiere des Katers Murr in Ordnung', so
offensichtlich unglaubwürdig ist, daß man die Ansicht vertreten muß, der reale
Autor Hoffmann setze sich ,im wirklichen Leben' als fiktiver Herausgeber in
252
Szene.
Das Resultat ist in jedem Fall eine Konfusion von Rahmen und damit
eine erhöhte Aufmerksamkeit für Rahmungen.
249 Zit. nach Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 935,
250 Vgl. Kripke: Name und Notwendigkeit, S. 59.
251 Hoffmann: "Schreiben an den Herausgeber", S. 570.
252 Auch dieser Briefläßt keinen Zweifel, daß der "wirldiehe Kater" als Autor angesehen werden soll:
"[,,,] eben sitzt er am Ofen mit dicht zugekniffenen Augen und spinnt. - Gott weiß über welchem netten Werk er brütet" (Hoffmann: "Schreiben an den Herausgeber", S. 571),
417
Mit der "Nachschrift des Herausgebers" endet der zweite Teil des Romans. Nachdem der fiktive Herausgeber den Tod des fiktiven Autors Murr festgestellt und die
Unabgeschlossenheit seiner Autobiographie beklagt hat, berichtet er abschließend
von den "nachgelassenen Papieren des verewigten Katers" sowie den übriggebliebenen Teilen der Kreisler-Biographie. Im letzten Absatz entwirft der fiktive Herausgeber schließlich den Plan für einen dritten Band:
Schlimm ist es, daß der Verblichene seine Lebensansichten nicht geendet hat, die also
Fragment bleiben müssen. Dagegen haben sich in den nachgelassenen Papieren des verewigten Katers noch so manche Reflexionen und Bemerkungen gefunden, die er in der
Zeit aufgeschrieben zu haben scheint, als er sich bei dem Kapellmeister KreisleI' befand.
Ferner war aber auch noch ein guter Teil des von dem Kater zerrissenen Buchs vorhanden, welches Kreislers Biographie enthält.
Der Herausgeber findet es daher der Sache nicht unangemessen, wenn er in einem
dritten Bande, der zur Ostermesse erscheinen soll, dies von Kreislers Biographie noch
Vorgefundene den geneigten Lesern mitteilt und nur hin und wieder an schicklichen
Stellen das einschiebt, was von jenen Bemerkungen und Reflexionen des Katers der weitem Mitteilung wert erscheint (M, S. 457 f.).
Mit dem letzten Satz kündigt der Herausgeber eine Modulation des fingierten Zufalls in ein intentionales poetisches Konzept an, das sich der Montage bedient. 253
Allerdings ist zu fragen, ob die für den dritten Band in Aussicht gestellte Verfahrensweise nicht bereits in den ersten beiden Teilen des Romans praktiziert worden
ist. Obwohl Titel und Vorwort des Romans nahelegen, die Lebensansichten des
Katers seien die Hauptsache und die Kreisler-Fragmente lediglich "fremde Einschiebsel" (M, S. 12), läßt die Tatsache, daß die Kreisler-Teile fast zwei Drittel des
Gesamttextes ausmachen, darauf schließen, daß das implizite poetische Konzept
der ersten beiden Teile des Romans dem Kreisler-Teil die dominante Rolle zubilligt. Die "Nachschrift des Herausgebers" kündigt also für den dritten Teil des Romans ein Konzept an, das in den ersten beiden Teilen bereits aus- und vorgeführt
wurde. 254 Wie bei einer enharmonischen Modulation nimmt der letzte Satz der
253 Segebrecht: "Heterogenität und Integration bei E. 1~ A. Hoffmann", S. 394, Zur Frage, ob es
sieh dabei tatsächlich um eine Montagetechnik handelt oder doch eher um eine avancierte Form
der Collage, vgl. Möbius: Montage und Collage, S. 41.
254 Was der Kater Murr der Fiktion nach "absichts- und willenlos" tat, indem er die Biographie
Kreislers zerriß, will der Herausgeber nun "mit künstlerischen Absichten fortsetzen" (Segebrecht:
"Heterogenität und Integration bei E. T, A. Hoffmann", S. 395). Während Segebrecht die
Ankündigung eines dritten Teils als "in die Zukunft projizierte Möglichkeit" deutet, um das Heterogene wieder "in das Ganze eines Kunstzusammenhangs zu integrieren" (ebd., S, 394), betont
Steinecke, der letzte Satz enthülle "die Montage der Biographien als künstlerische Absicht"
(Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentarlage", S. 962 f.) und rücke zugleich
noch einmal die Stl'llktur des Romans "in den Mittelpunkt des Interesses" (ebd., S. 963). Damit
legt Steinecke nahe, daß der letzte Satz womöglich gar keine "in die Zukunft projizierte Mög-
418
9. DER UNZUVERlÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
9.7 NACHSCHRIFT ZUR "NACHSCHRIFT"
Nachschrift eine funktionale Umdeutung vor und verschiebt nachträglich die Dominante: Der digressive Kreisler-Teil ist demnach als Hauptsache, der Murr-Teil
dagegen als eingeschobene Digression anzusehen. 255 50 besehen ist der letzte Satz
der Nachschrift nicht die prospektive Beschreibung des Konzepts für den dritten
Teil des Romans, sondern macht retrospektiv das poetische Konzept der ersten beiden Bände explizit. 256
In der Nachschrift läßt sich noch eine zweite Merkwürdigkeit beobachten:
offensichtlich hat sich die Beziehung des Herausgebers zu Murr zwischen dem
"Vorwort des Herausgebers" und der "Nachschrift des Herausgebers" grundlegend
gewandelt. 257 Die im Vorwort erzählte Publikationsgeschichte macht deutlich, daß
der Herausgeber den Kater zunächst gar nicht kennt. Vielmehr wurde der
Herausgeber von einem Freund, mit dem er "ein Herz und eine Seele ist"
(M, 5. 11)258, um die Veröffentlichung der Lebens-Ansichten des Katers Murr gebeten. Erst am Ende des Vorworts berichtet der Herausgeber, er habe den Kater in-zwischen persönlich kennengelernt und "als Mann von angenehmen milden Sitten
gefunden" (M, 5. 14). Diese freundlich-distanzierte Beschreibung steht in einem
deutlichen Kontrast zu dem in der Nachschrift vorgetragenen Bekenntnis: ,,[I]ch
hab Dich lieb gehabt und lieber als manchen" (M, 5. 457). Die emotionale Modulation der Einstellung des Herausgebers zu Murr wird nicht weiter begründet,
sie bildet eine systematische Leerstelle des Romans. Dies könnte als Indiz dafür gewertet werden, daß der Herausgeber "keine in sich konsistente Figur" ist 259 ; es
könnte jedoch auch ein impliziter Hinweis darauf sein, daß der Herausgeber bei
Murrs Tod - nach Abraham und Kreisler - dessen dritter Herr war. Diese Hypothese ist nicht zuletzt deshalb plausibel, weil der fiktive Herausgeber nach dem Tod
des Katers offensichtlich unmittelbaren und ungehinderten Zugang zu dessen
nachgelassenen Papieren hat, ja diese bereits zu kennen scheint. 260
lichkeit" eines dritten Romanteils ist, sondern eine rückblickende Beschreibung des poetischen
Konzepts der bereits geschriebenen ersten beiden Romanteile. Eine Konldusion, die Steinecke
freilich nicht explizit zieht. Statt dessen stellt er fest, der letzte Satz eröffne die "überraschende
Perspektive", daß der Herausgeber auch nach dem Tod des Katers, ohne jede "äußere ,Notwendigkeit''', "weiterhin zwischen Kreisler- und Murr-Teilen abwechseln will" (Steinecke: "Nachwort", S. 513). Dieser in die Zukunft weisenden proleptischen Deutung des letzten Satzes folgt
allerdings unmittelbar eine rückblickende analeptische Deutung, wenn Steinecke schreibt:
"Damit verkündet der Herausgeber seine volle SOllVeränität in der Auswahl und Anordnung der
Texte und seiner Eigenverantwortung für den ,vandalischen Akt' des Katers" (ebd.). Die in
Steineckes Deutung zum Ausdruck kommende Unentschiedenheit zwischen einer proleptischen
und einer analeptischen Deutung ist darauf zurückzuführen, daß der letzte Satz tatsächlich beide
Deutungsmöglichkeiten zuläßt. Das heißt, die "Nachschrift des Herausgebers" steht im Zeichen
der "Aufrechterhaltung der Ambivalenz" (Orosz: Identität, Dijfirenz, Ambivalenz, S. 193).
255 Ein Plausibilisierungsgrund für diese Deutung des letzten Satzes ist die Tatsache, daß der Kreislers Biographie bereits im Vorwort als "Unterlage" beschrieben wird (vgl. M, S. 12). Gemäß der
Logik der Aufpfropfung hat die ,Unterlage' im wahrsten Sinne des Wortes eine ,grundlegende'
Funktion.
256 Die poetische Relevanz des letzten Satzes steht in einem Spannungsverhältnis zu der editionsphilologischen Frage, wie der dritte Band, wäre er denn tatsächlich geschrieben worden, ausgesehen hätte. Angesichts der "fonuale[nl Geschlossenheit der Dichtung" sieht Singer "den
Fragmentcharaleter" der "Murr-Kreisler-Dichtung" als "notwendig und konstitutiv" an (Singer:
"Hoffmann. Kater Mmr", S. 325). Aus dieser poetischen Argumentation zieht er den Schluß,
daß Hoffmann nicht ernsthaft an eine Fortsetzung des. Romans gedacht hätte. Liebrand macht
geltend, daß der Rekurs auf das "romaninterne ,Versprechen' der Fortsetzung" nicht legitim sei,
"handelt es sich bei der ,Nachschrift des Herausgebers' doch um einen integralen Teil der Erzählfunktion" (Liebrand: Aporie des Kunstmythos, S. 199). Ähnlich argumentiert Rosen, wenn er
mit Blick auf die Unzuverlässigkeit des Herausgebers dazu rät, eine skeptische Haltung gegenüber der Ankündigung eines dritten Bandes einzunehmen (vgl. Rosen: E. T. A. Hoffinanns "Kater
Murr'; S. 13). Der These Singers, die Lebens-Ansichten des Katers Murr seien in der vorliegenden
Form als "vollendetes Fragment" (Singer: "Hoffmann. Kater Murr", S. 327) zu betrachten, hält
Steinecke entgegen: "Für den Kennel' von Hoffmanns Arbeitsweise ist es durchaus nichts Ungewöhnliches, daß seine Versprechungen der Arbeit am Manuskript oft deutlich vorausgingen, daß
er aber auch die für ihn so wesentliche gedanldiche Vorarbeit schon als Teil des Arbeitsprozess:s
betrachtete und ausgab" (Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentadage ,
S.912).
257 Vgl. hierzu auch Rosen: E. T. A. Hoffinanns "Kater Murr'; S. 14.
419
9.8. Zusammenfassung
Die Lebens-Ansichten des Katers Murr machen nicht nur "die Zusammenhanglosigkeit selbst auf erregende Weise zum Gegenstand der Dichtung"261, sie führen
auch vor, daß das Gedrucktsein als mediales Gattungsmerkmal des Romans anzusehen ist. 262 In beiden Fällen spielt die Dynamik der Aufpfropfung eine entschei258 Offen bleibt, ob es sich bei diesem Freund um Meister Abraham handelt, oder um den Herausgeber selbst (Steinecke: "Zu Textanordnung, Textgestalt und Kommentadage", S. 931, sowie Segebrecht: Autobiographie und Dichtung, S. 214). Die zweite These wird dmch ein Indiz gestützt,
das außerhalb der Lebens-Ansichten des Katers Murr liegt. In dem "Brief des Kapellmeisters Johannes Kreisler" schreibr Kreisler an "einen Freund, mir dem er ein Herz und eine Seele ist" (vgl.
E. T. A. Hoffmann: Sämtliche werke, Bd. 3, S. 660, Zeile 9 0. Mirgeteilt wird der Briefvon seinem Empfänger, E. T. A. Hoffmann. Das heißt, E. T. A. Hoffmann tritt in dieser Konstellation
als Insranz auf, die einen Briefveröffentlichr, der von einer Figur sta\umt, die er selbsr erfunden
hat. Dies exemplifiziert auf anschauliche Weise die These von Martlnez-Bonati, wonach der
Autor die fiktive Rede seiner Figuren zitiert (Martlnez-Bonati: "Die logische Struktur der Dichtung", S. 188). Zugleich paßr die Tatsache, daß der reale Autor durch diese Konstellation eine
Fiktionalisierung erlebt, zu der am Vorwort und der Nachschrift beobachreren Tendenz in den
Lebens-Ansichten des Katers Murr. Dies plausibilisiert meines Erachtens die Schlußfolgerung, daß
es sich bei dem Freund des Herausgebers um Kreisler handelt.
259 Liebrand: Aporie des Kunstmythos, S. 203.
260 Zugleich kann sich diese These auf die Bemerkung des Herausgebers stützen, die von ihm gefundenen "Reflexionen und Betrachtungen" des Katers seien vermutlich "in der Zeir aufgeschrieben [...l, als er sich bei dem Kapellmeister Kreisler befand" (M, S. 457). Dies impliziert,
daß der Kater Murr zum Zeitpunkt seines Todes nicht mehr beim Kapellmeister Kreisler ist.
261 Müller-Seidel: "Nachwort" zu den Lebens-Ansichten des Katers Murr, S. 681.
262 Helbig: "Der Rezipient als Cybernaut", S. 81.
420
9. DER UNZUVERLÄSSIGE HERAUSGEBER DES KATER MURR
dende Rolle. Wie im Leben Fibels wird in den Lebens-Ansichten des Katers Murr das
Herausreißen von Gedrucktem durch eine Editions-Szene kontextualisiert, die dei
Akt des Reißens zum ersten Akt einer Operation der Aufpfropfung macht. Mi~
dem Ah des Reißens wird nicht nur auf einen äußeren Zustand "disseminativer
Zerstreuung"263 verwiesen, sondern mit dem Vollzug dieses Aletes wird dieser Zu.
stand allererst hergestellt. Dadurch wird der Akt des Reißens zum Auslöser ver.
schiedener "Szenerien des ,Rahmens'''264, die der Logik der partage und der greffe
gehorchen. So lassen sich alle bisherigen Kennzeichnungen der spezifischen Textualität der Lebens-Ansichten - sei es als "arabeskes Spiel"265 oder als kontrapunk_
tisches "Zusammenspiel" der beiden Romanteile 266, sei es als mise en abyme oder
als "doppelte Schrift"267 - auf das Modell der Aufpfropfung beziehen.
Das Ausreißen von Blättern aus der Kreislet'-Biographie ist der erste, das verse.
hentliche Zusammendrucken der zweite Akt einer Aufpfropfungsbewegung, die
maßgeblich durch die Unzuverlässigkeit des Herausgebers und die Eigenwilligkeit
des Druckers determiniert wird. Der anonyme Drucker ist diejenige Instanz, die
für die Verkörperung der Aufpfropfungen sorgt und deren Vollzug kommentierend
begleitet. Dies belegen nicht zuletzt die Rahmungshinweise "Randglosse des Herausgebers" (M, S. 292), "Anmerkung des Herausgebers" (M, S. 361) und ,,Anmerk.
des Herausgeb." (M, S. 428), die nur vom Drucker stammen können. Mit dem
Hinweis "Randglosse des Herausgebers" markiert der Drucker den Ort der handschriftlichen Einschreibungen des Herausgebers in der Vorstufe des vorliegenden
Drucktextes. Der anonyme Drucker übernimmt somit die Funktion eines impliziten Herausgebers, der den "Performance-Alet der Textwerdung"268 typographisch
dokumentiert und zugleich - als Agent eines übermächtig in die Gesamtstruktur
des Textes hineinwirkenden typographischen Dispositivs - immer das letzte Wort
behält. Dergestalt nehmen die Lebens-Ansichten des Katers Murr "auf überraschende
Weise Probleme des modernen Romans vorweg", und zwar nicht nur, weil die
"Frage der Zusammenhanglosigkeit unlösbar mit der Romanform verknüpft
[wird]"269, sondern auch, ja vor allem, weil die Romanform mit der Frage nach der
Technik ihrer Verkörperung verknüpft wird. Die Eigenwilligkeit des anonymen
Druckers ist ein indexikalischer und autoreflexiver Verweis auf die technischen
Rahmenbedingung des Textes; die scheinbare Zusammenhanglosigkeit der beiden
ineinander geratenen Teile ist eine Vorform moderner Montagetechniken.270
263
264
265
266
267
268
269
270
VgI. Derrida: La Dissemination, S. 57.
Schmitz-Emans: "Der durchbrochene Rahmen", S. 75.
Schäfer: Ohne Anfimg- ohne Ende, S. 70.
Rotermund: "Musikalische und dichterische ,Arabeske' bei E. T. A. Hoffmann", S. 62.
Kofman: Schreiben wie eine Katze, S. 18.
Gresillon: ,,,Critique genetique"', S. 23.
Müller-Seidel: "Nachwort" zu den Lebens-Ansichten des Katers Murr, S. 681.
VgI. Möbius: Montage und Collage, S. 47, der mit Blick auf die Struktur des Kater Murr feststellt
"Noch bevor die Montage entsteht, bringen in dem Fall die Künste aus eigener Kraft, ohne
Fremdmaterialien, Vorformen der Montage hervor". Unklar bleibt indessen, ob es sich hierbei
um eine Vorform der ,Montage' oder der ,Collage' handelt (vgI. Hage: Collagen in der deutschen
Literatur, S. 19).
9.8 ZUSAMMENFASSUNG
421
Auch wenn die Fragmente nur die Fiktion eines verworrenen Gemischs ,fremdartiger Stoffe durcheinander' sind, wird diese fiktive Fremdartigkeit durch den
Akt des Reißens ostentativ in Szene gesetzt. Potenziert wird dieser indexikalische
Verweis im Zuge jener avantgardistischen Montageverfahren zu Beginn des 20.
Jahrhunderts, die es darauf anlegen, die "innerästhetische Kapitulation der Kunst
vor dem ihr Heterogenen"271 vorzuführen und so "in der Entfaltung von Kunst
dem Sinn sichtbare Narben"272 zu schlagen. Faßt man diese Montageverfahren "als
Aktion gegen die erschlichene organische Einheit"273, dann zeigt sich mit ihrem
Vollzug nicht nur die "hervorkehrende Disparatheit der Teile"274, die den Gedanken der Einheit desavouiert, sondern auch, daß die Montage ein Formprinzip ist,
das Einheit "wieder bewirkt".275 Allerdings wird im Rahmen dieser montierten
Einheit immer wieder die Heterogenität der Teile und deren "Aufgepfropftsein"276
zum Thema.
271
272
273
274
275
Adorno: A'sthetische Theorie, S. 232 f.
Ebd.
Ebd., S. 233.
Ebd., S. 231 f.
Ebd.
276 VgI. Bergson: Das Lachen, S. 41, der aus dem Gefühl des "Aufgepfropftseins" einen Begriff des
Komischen ableitet, der auf einer Interferenz zwischen der "Illusion von wirldichem Leben" und
dem "deutlichen Eindruck von mechanischer Einwirkung" beruht (ebd., S. 52).
10. AUSBLICK
10.1 Nach der Herausgeberfiktion
Mit den Lebens-Ansichten des Kater Murr erlebt die Herausgeberfiktion ihren Höhepunkt - nach 1820 verliert sie zunehmend an Bedeutung: Zwar gibt es auch weiterhin Werke mit Herausgeberfiktion, doch handelt es sich durchweg um Anleihen
bei bereits erprobten Formen fingierter oder fiktiver Herausgeberschaft. 1 Die poetologischen Innovationen sind in anderen Bereichen zu verzeichnen: bei den auktorialen und personalen Erzählformen sowie dem Verfahren der Montage. Vor dem
Hintergrund dieser Entwicldung stellt sich zum einen die Frage, wie der Bedeutllngsverlust der Herausgeberfiktion zu erklären ist, zum anderen die, wie das Verhältnis von Autorschaft und Herausgeberschaft beschaffen ist, nachdem die
Herausgeberfiktion nicht mehr das maßgebliche Rahmungsverfahren des fiktionalen Diskurses darstellt.
Folgt man der These, der Roman des 18. Jahrhunderts forciere eine Form der
Selbstbeobachtung, deren Effekt eine Präzisierung des "Fiktivitätsbewußtseins"2
ist, so läßt sich die erste Frage dahingehend beantworten, daß diese Entwicklung
offensichtlich ,um 1800' ihren Abschluß findet. Der Roman muß sich nicht mehr
mit Hilfe einer Authentizitätsfiktion als ,wahre Geschichte' tarnen, sondern findet
als poetisch wahre Fiktion und als Spiel mit der Form Anerkennung. Parallel zum
"Entformungsprozeß"3 der Vorrede läßt sich eine Entfunktionalisierung der Herausgeberfiktion konstatieren: In der Romantik weicht die fingierte Herausgeberschaft einer Spielform der Herausgeberfiktion, die der ironischen "SelbstbespiegeParadigmatisch hierfür ist Immermanns 1838 erschienener Roman Münchhausen, dessen Protagonist ein "pervertierter KreisleI''' ist: eine "Fortsetzung, aber auch das Zerrbild des romantischen
Sonderlings" (Meyer: Der Typus des Sonderlings in der deutschen Literatur, S. 113). Dies gilt auch
für die Herausgeberfiktion, im Rahmen deren das in den Lebens-Ansichten des Katers Murr implizit zutage tretende Konkurrenzverhälmis zwischen Herausgeber und Drucker explizit in Szene gesetzt wird, nämlich als Disput zwischen Herausgeber und Buchbinder. Nachdem sich der
Herausgeber beim Buchbinder über dessen "Streiche" beschwert hat, antwortet dieser: "Ew. Wohlgeboren haben mir schmerzliche Vorwürfe gemacht, die ich so nicht auf mir sitzen lassen kann.
Ich bin lange genug im Geschäft, und weiß, was es damit auf sich hat. Heutzutage muß, wenn der
Autor sich verpudelt hat, ein ordentlicher Buchbinder ein bißchen auf das Verständnis wirken,
durch Winke auf den Rückentiteln, oder, wo sie sonst sich anbringen lassen" (Immermann: Münchhausen, S. 51). Es entspinnt sich ein weitläufiger Dialog zwischen Buchbinder und Herausgeber,
an dessen Ende der Buchbinder den Vorschlag macht: "Lassen Sie unsern Briefwechsel im ersten
Buche mit abdrucken; der hilft ihm auf' (ebd., S. 55).
2 Berthold: Fiktion und Vieldeutigkeit, S. 123.
3 Ehrenzeller: Studien zur Romanvorrede, S. 158.
424
425
10. AUSBLICK
10.1 NACH DERHERAUSGEBERFIKTION
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MarIC1~rung
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nach-romanus.che Rom~nautor kann es sIch erlauben, auf die paratextuelle Rahmung des fiktIOnalen DIskurses ganz zu verzichten; "weil er weiß, daß der Leser
das Ganze des Systems aus der literarischen Tradition kennt".8 Noch bevor sich der
m~derne Roman d~s 20, Jahrhunderts daran macht, "die letzten Spuren der narraUven Ins,tanz zu ulgen"9, gerät im 19. Jahrhundert die Instanz des fiktiven Herausgebers In Auflösung. Dieser Prozeß setzt mit Wilhelm Meisters Lehry·ah.. '
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eg eltet von Bnefromanen ohne Herausgeberfiktion wie Tiecles Will'
Love!!, Manuskriptfiktionen ohne Herausgeber wie Hölderlins Hyperion_F;a~
menten und gipfelt in Goethes Wahlverwandtschaften - einem auktorialen Rom:~
der, a~ders als die Lehrjahre, ohne den Untertitel: "Herausgegeben von Goethe"10
ersche1l1t.
Wilhelm .Meisters Wanderjahre, Goethes Altersroman, 1821 zeitgleich mit den
Lebens-Anstchten ~es K~~ers Murr publiziert, führen die Entwicklung der zunehmenden Entfunkuonahslerung der Herausgeberfiktion anschaulich vor. Die wa derjahre schreiten die romanpoetologische "zone intermediaire"ll zwischen d;r
H~t.·~usgeber~l~tionu?d de,n verschiedenen E~nstellungen und Fokalisierungen des
Erzählens ~b. ~ab,el verzl~ht~t der Roman 111 geradezu auffälliger Weise auf eine
Instanz, "dIe das 111 Jeder H1I1slcht heterogene Material durchgängig verantworten
und perspektivieren würde"13, ja die Wanderjahre erweisen sich nicht nur als
"Roman des Nebeneinander"14 verschiedener Erzählformen, sondern als Roman
der sich durch eine "wesentliche Führungslosigkeit"15 auszeichnet: Die zusam~
meng?s.~el~ten Briefe, ~ovellen und Reflexionen scheinen gleichermaßen von der
Autorltat Ihres auktonalen Vaters und ihres editorialen Adoptivvaters getrennt zu
sein. Infolgedessen oszillieren die Wanderjahre zwischen Residualformen fiktiver
Herausgeberschaft und auktorialer Selbstherausgeberschaft.
Wie in den Lebens-Ansichten des Katers Murr wird in den Wanderjahren die ,organische Einheit' des Romans in Frage gestellt - allerdings nicht mehr nur als gefährliches "Spiel mit der Form"16 an der Oberfläche des Diskurses, sondern als
grundsätzlicher performativer Fehlschlag jenes editorialen Dispositivs, das auch im
primären Rahmen der realen Werkgenese für die Ordnung des Diskurses zu sorgen hat. So stellt der Redaktor in der "Zwischenrede" fest:
4 Genette: Paratexte, S. 279 f.
5 Vgl. Martlnez-Bonati: "On Fictional Discourse", S. 65 f.
6 Vgl. Goffman: Rahmen-Analyse, S. 253
7 Barthes: "De l'ceuvre au texte", S. 73.
8 Martinez-Bonati: "Die logische Struktur der Dichtung", S. 198.
9 Genette: Die Erzählung, S. 123,
10 Berlin bey Johann Friedrich Unger 1795,
11 Compagnon: La Seconde main, S. 328.
12 Vgl. Neumann: "Struktur und Gehalt", S. 964.
13 Wiethälter: "... was nicht entschieden werden kann, bleibt im Schweben", S. 168.
14 Maierhofer:, Wilhelm Me~ters Wanderjahre' und der Roman des Nebeneinander, S. 137.
15 ygl. Derrida: "Signature Evenement Contexte", S. 276, wo von einer "derive essentielle" die Rede
1St.
Daß eine gewisse Lücke, vielleicht in kurzem fühlbar, im Ganzen hie und da bemerklich und doch nicht zu vermeiden sein werde, sprechen wir lieber selbst aus, ohne Furcht
den Genuß unserer Leser dadurch zu kränken. Bei der gegenwärtigen, zwar mit Vorbedacht und Mut unternommenen Redaktion stoßen wir doch auf alle die Unbequemlichkeiten, welche die Herausgabe dieser Bändchen seit zwanzig Jahren verspäteten. I?
Mit dieser Bemerkung erldärt der Redaktor zum einen die fühlbare Lückenhaftigkeil' des Werks zum Programm, zum anderen beschreibt er als fiktive Instanz die
Probleme des realen Autors Goethe bei der ,Herausgabe' des Werks. Das heißt, der
Ausdruck ,Herausgabe' ist hier als Funktionsbeschreibung der fiktiven Instanz des
Redaktors im Rahmen der Archiv- und Herausgeberfiktion deutbar I8 , sie ist aber
auch eine Funktionsbeschreibung des Autors Goethe im primären Rahmen der
langwierigen Werkgenese der Wanderjahre,
In diesem Zusammenhang muß auf zwei weitere Punkte verwiesen werden, die
im Rahmen der Interferenz von Autorschaft und Herausgeberschaft eine Akzentverschiebung bewirken, Anders als im Werther, wo der Herausgeber den Lesern verspricht, alles vorzulegen, was er auffinden konnte, beschreibt sich der Redaktor der
Wanderjahre als eine Instanz, die für die Selektion des Materials zuständig ist:
"Denn wir haben die bedenldiche Aufgabe zu lösen, aus den mannigfaltigsten Papieren das Werteste und Wichtigste auszusuchen" .19
Bemerkenswert ist dabei zum einen die Selbstbeschreibung des Redaktors als
editoriales Dispositiv: Die Aufgabe des Redaktors, aus der Mannigfaltigkeit von
Papieren das Wichtigste auszusuchen und so der Fülle an Material Herr zu werden, antizipiert Booths Bestimmung des implied author, der als "core of norms and
16 Müller: Das Kreislerbuch, S. XLI.
17 Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, S. 127. Diese "Zwischenrede" fehlt in der Fassung von
1829. Zwar gibt es auch dort eine "Zwischenrede", doch befindet sie sich an anderer Stelle und
setzt einen anderen inhaltlichen Akzent, denn es heißt dort: "Hier aber finden wir uns in dem Falle,
dem Leser eine Pause und zwar von einigen Jahren anzukündigen, weshalb wir gern, wäre es mit
der typographischen Einrichtung zu verknüpfen gewesen, an dieser Stelle einen Band abgeschlossen hätten. Doch wird ja wohl auch der Raum zwischen zwei Kapiteln genügen, um sich über das
Maß gedachter Zeit hinwegzusetzen, da wir längst gewohnt sind, zwischen dem Sinken und Steigen des Vorhangs in unserer persönlichen Gegenwart dergleichen geschehen zu lassen" (ebd.,
S.515).
18 Vgl. Neuhaus: "Die Archivfiktion in Wilhelm Meisters Wanderjahren", S. 25.
19 Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, S. 127.
426
10. AUSBLICK
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. "20 rur
le tru1(t~r d es G esamttextes verantwortlich ist. Goethes Redaktor
cI~01ces
tritt so besehen als explIzite Vorform des implied author auf. Bemerkenswert .
d~bei freilich a~ch, daß es sich bei der Mannigfaltigkeit von Papieren um ein d~~
mIsch fremdartIger Stoffe handeln soll, die einen unterschiedlichen logischen Status . h~ben: "Sogar. fehlt es nicht an Heften der wirldichen Welt gewidmet,
statistischen, tech111schen und sonst realen Inhalts. Diese als ungehörig abZuson_
dern fällt schwer, da Leben und Neigung, Erkenntnis und Leidenschaft, sich Wl _
..
d'
In
db
er ar vere111lgen
,Im engsten Bun d e mit einander fortschreiten".21
Das Archiv des Redaktors vereinigt literarische und nicht-literarische Texte miteinander und folgt - dies belegt das führungslos anmutende Arrangement des Gesamttex~es :- als mise .en abyme)ener d~sseminativen Dynamik der Zerstreuung22 ,
dl!1:ch dIe s~ch Makal'len~ Ar~hlv auszelchnet. Angela, die Verwalterin des Archivs,
bel'lchtet, Sle lese Mal<:al'len 111 schlaflosen Nächten manchmal ein Blatt ihres Archivs vor, "bei welcher Gelegenheit denn wieder auf eine merkwürdige Weise taus~nd Einzelnheiten hervorspringen, eben als wenn eine Masse Quecksilber fällt und
slch nach allen Seiten hin in die vielfachsten unzähligen Kügelchen zerteilt".23 Dieses quecksilberhafte Sich-Zerteilen ist nicht nur Metapher für die disseminative
Dynamik einer infiniten Semiose, bei der "one sign gives birth 1'0 another"24, vielmehr kündigt sich hier bereits jene Diffusion der Perspektiven an, die für Kunst
und Literatur um 1900 bestimmend sein wird.
1902 läßt Hofmannsthai Lord Chandos in einem fiktiven Brief an Bacon die
~ründ~ schildern, warum er "gänzlich"25 auf literarische Betätigung verzichtet.
E111er dleser Gründe besteht darin, daß Chandos im Zuge einer Selbstbeobachtung
feststellt, er fühle sich gezwungen, alle Dinge wie unter einem Vergrößerungsglas
"in ein~r .unheimlichen Nähe zu sehen".26 Diese Einstellung mündet in eine Fragmental'lSlerung der Wahrnehmung, die für die Kunst des 20. Jahrhunderts bezeichnend ist: "Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts
mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen".27
Die Konsequenz dieser Fragmentarisierung der Wahrnehmung ist die Negation
der ~öglichkeit, Wirldichkeit unter ein kohärentes begriffliches Konzept zu subsumleren. Im Anschluß daran stellt sich die Frage, was dies für das Verhältnis von
Autorschaft und Herausgeberschaft bedeutet.
20 Booth: The Rhetoric 0/Fiction, S. 74.
21 Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, S. 127.
22 Vgl. Derrida: Dem Archiv verschrieben, S. 26.
23 Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre, S. 388.
24 Peirce: Collected Papers, 2.229.
25 HofmannsthaI: "Ein Brief', S. 461.
26 Ebd., S. 466.
27 Ebd.
10.2 DER AUTOR ALS HERAUSGEBER UM 1900
427
10.2 Der Autor als Herausgeber um 1900
Es ist ein Gemeinplatz der Kunst- und Literaturwissenschaft, daß die Kunst um
1900 "neue Formen von Autorschaft"28 entwickelt: Formen, die das Ergebnis von
Collage- und Montagetechniken sind. 29 So vertritt Ingold die Auffassung, der
Autor verwandele sich im 20. Jahrhundert in einen "Meta-Autor, der vorwiegend
mit Versatzstücken und Zitaten"30, also mit "Vorfabrikaten"31 operiert. Die Funktion dieses ,Meta-Autors' besteht darin, "zwischen Vorlagen jeglicher Art neue Beziehungen herzustellen und auf solche Weise auch neue, von individuellem
Kunstwollen unabhängige Strukturbildungen zu ermöglichen".32 Die Prototypen
dieser Art von ,moderner' Autorschaft sind der Filmregisseur, der Photomonteur,
der Verfertiger von Bild- und Textcollagen - sie alle verwirldichen ",authentisches'
Schöpfertum einzig im sekundären Akt der Nachschöpfung, das heißt des Arrangierens und Inszenierens".33
In den Interpretationen des zweiten Teils dieser Arbeit wurde gezeigt, daß auch
die Literatur um 1800 dem Herstellen neuer Beziehungen, dem Zitieren, Arrangieren und Inszenieren eine entscheidende Rolle beim Vollzug der poiesis zuweist.
Zu fragen bleibt also, worin die Differenz zwischen den Inszenierungsbedingungen um 1800 und den Inszenierungsbedingungen um 1900 besteht und inwiefern
sie das Verhältnis von Autorschaft und Herausgeberschaft von Relevanz ist.
Nach Ingold zeichnen sich die Autorschaftskonzepte des 20. Jahrhunderts durch
drei Eigenschaften aus: erstens verzichten sie "auf individuelle Autorität und Originalität"34, zweitens entfaltet sich im Rahmen dieses Autorschaftskonzepts die
"strukturbildende Eigendynamik sprachlicher oder bildnerischer Prozesse"35 autopoetisch, drittens ist der Autor "an der eigentlichen Werkentstehung nur noch
durch operative Beihilfe - nämlich durch Auswahl, Aufarbeitung, Assortierung und
Montage des vorgegebenen Materials - beteiligt".36
All dies deutet darauf hin, daß der ,moderne Autor' um 1900 in der Funktion
Herausgeber aufgeht, ja daß er gewissermaßen in einem editorialen Dispositiv "hinter der Szene" verschwindet. 37 Allerdings läßt sich bei der Selbstbeschreibung mo28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
Wetze!: "Autor/Künstler", S. 485 f.
Vgl. Möbius: Montage und Collage, S. 123 ff.
Ingold: Der Autor am TI7erk, S. 347.
Ebd.
Ebd.
Ebd., S. 346. Eisenstein etwa zieht für das mise en scene des Films die Konsequenz aus der von HofmannsthaI konstatierten Fragmentarisierung der Wahrnehmung, wenn er schreibt, die Montage
folge dem Konzept einer "differenziert empfundenen lll1d zerlegten ,organischen' Welt, die dann
wieder zu einer mathematisch fehlerfrei wirkenden Vorrichtung: zur Maschine, zusammengefügt
wird" (Eisenstein: "Die ungeahnte Naht", S. 18).
Ingold: Der Autor am TI7erk, S. 347.
Ebd.
Ebd.
Vgl. Barthes: "La mort de l'auteur", S. 64.
428
10. AUSBLICK
demer Autorschaft eine Merkwürdigkeit feststellen, die das "Fortleben des Autors
[...] listenreich sichert"38: Während der Autor um 1800 seine Autorschaft verneint
indem er sich als Herausgeber ausgibt, agiert der Autor um 1900 als selegierend~
und arrangierende editoriale Instanz, die für ihre Tätigkeit den Anspruch aufAutorschaft reldamiert.39
Autorschaft um 1800 wird entweder als fiktive Herausgeberschaft oder als fiktive Selbstherausgeberschaft in Szene gesetzt. In neiden Fällen läßt sich eine Tendenz zur Allographisierung ausmachen, bei der man das, was man selbst
geschrieben hat, als Geschriebenes eines fiktiven Anderen ausgibt. Um 1900 dagegen ist das Andere, das man herausgibt, tatsächlich Fremdmaterial: Die Mol1tagen und ready-mades greifen auf Geschriebenes und Gemachtes von Anderen
zurück. Die Authentizität des Kunstwerks beruht also auf der Eigenhändigkeit anderer, seine Originalität liegt in der Art, wie das Fremdmaterial selegiert und arrangiert wird. Dabei lassen sich unterschiedliche Strategien ausmachen, wie mit
"Kleister und Schere"40 Werke montiert werden.
Grundsätzlich ist zwischen Verfahren der verdeckten und der demonstrativen
Montage zu unterscheiden. 41 Sowohl die verdeckten als auch die demonstrativen
Techniken der Montage sind Vollzugsform eines intertextuellen Prozesses der Absorption und Transformation 42 , bei dem alle Register der greffi citationelle gezogen
werden: von der Anspielung über das wörtliche Zitat bis hin zur Montage von
"Wirldichkeitsfetzen".43
Thomas Mann kann als Exponent einer verdeckten Zitat- und Montagetechnik
gelten - so bezeichnet er sein Verfahren im Typhus-Kapitel der Buddenbrooks als
"eine Art von höherem Abschreiben".44 Mit dem Abschreiben erfolgt freilich eine
Modulation des Fremdmaterials. So stellt Mann in Die Entstehung des Doktor Faustus fest, das Zitat sei "Wirldichkeit, die sich in Fiktion verwandelt, Fiktion, die das
Wirldiche absorbiert, eine eigentümlich träumerische und reizvolle Vermischung
der Sphären".45 Daß Mann davon spricht, im Zuge der ,Vermischung der Sphären'
werde Wirldichkeit ,in Fiktion verwandelt', macht deutlich, daß er das Zitieren als
verdeckten Aneignungsprozeß versteht, in dessen Rahmen das Fremdmaterial fiktionalisiert wird. Im Gegensatz dazu verweisen demonstrative Zitat- und Mol1tagetechniken, wie sie von Karl Kraus, aber auch von den Dadaisten eingesetzt
wurden, ostentativ auf die Heterogenität und Alterität des Fremdmaterials.
38 FOllCaulr: "Was ist ein Autor?", S. 13.
39 Vgl. Möbius, der feststellt: "Alle Künstler-Monteure sahen sich in der Alternative, als Ingenieure
oder als Künstler verstanden zu werden. Nach der programmatisch betonten Anfangszeit entschieden sie sich, soweit es zu überblicken ist, durchgängig für den Künstler" (Möbius: Montage
und Collage, S. 455).
40 Lessing: "Briefe, die neueste Literatur betreffend", in: ders.: werke, Bd. 5, S. 71.
41 Vgl. Möbius: Montage und Collage, S. 15 f.
42 Kristeva: Semeiotike - Recherehes pour une semanalyse, S. 146.
43 Muschg: "Nachwort des Herausgebers" zu Döblin: Berlin Alexanderplatz, S. 419.
44 Mann: Brieft 1937-1947, S. 470. Vgl. Auch Grawe: ",Eine Art von höherem Abschreiben"',
S.116.
45 Mann: "Die Entstehung des Doktor Faustlls. Roman eines Romans", S. 151.
10.2 DER AUTOR ALS HERAUSGEBER UM 1900
429
Kraus, der Herausgeber der Fackel und ab 1911 deren einziger Autor, vollzieht
seine Sprach- und Kulturkritik mit Hilfe des Zitats und der Zitatmontage: "Das
Zitieren ist nicht nur die stärkste stilistische Leistung der Fackel, sondern auch die
größte Arbeit. Ich wende an diese Zitate mehr geistige Mühe als die Autoren an
die Originale".46 Diese geistige Mühe besteht darin, mit degenerierten Indices auf
das im Zitat gesagte "Unsäglichste"47 hinzuweisen. In seinen Zitatmontagen tritt
der Herausgeber-Autor Kraus als kommentierende Instanz nur mehr im ProtokolIon der Überschriften, in der tonalen Hervorhebung der Typographie und im dialogischen Zwischenraum der Zitate auf. Seine Funktion besteht erklärtermaßen
darin, "die Zeit in Anführungszeichen zu setzen und die Zitate selbst in Druck und
Klammern sich verzerren zu lassen".48 Die Prämisse dieses Zitierverfahrens ist, daß
bereits "das Umbetten eines fremden Satzes"49, also der Szenenwechsel, den der
Satz durch sein Zitiert-Werden im Rahmen der Fackel erfährt, eine entlarvende,
aufldärende Wirkung hat: Der Rahmenwechsel muß vom Leser im Zuge einer interpretativen Aufpfropfung mitvollzogen werden, die das in den Zitaten Gesagte
zu einem Symptom des herrschenden Zeitgeistes umwertet.
In eine andere Richtung zielt das Zitierverfahren der Dadaisten, über die Benjamin schreibt: "Sie montierten Stoffreste, Straßenbahnbilletts, Glasscherben,
Knöpfe, Streichhölzer und sagten damit: Ihr werdet mit der Wirldichkeit nicht
mehr fertig".50 Montage bedeutet also keineswegs nur, daß ein Ganzes "aus Realitätsfragmenten zusammengesetzt ist"51, sondern auch, daß sich diese ,Wirldichkeitsfetzen' nicht mehr bruchlos zu einem Ganzen zusammenfügen lassen. Im
literarischen Kontext wird nicht nur das Material als Material vorgezeigt und "seine
Vorprägung"52 deutlich gemacht; vielmehr wird in der demonstrativen Montage
das ,Aufgepfropft-Sein' des Materials in Szene gesetzt. So regt Tzara im berühmtesten seiner dadaistischen Manifeste an, einen Zeitungsartikel zu zerschneiden "Nehmt eine Zeitung. Nehmt Scheren"53 - und aus den Wörtern ein Zufallsgedicht zu erzeugen: "gebt sie in eine Tüte. Schüttelt leicht" .54 Dabei liegt die dadaistische Provokation in der Behauptung: "Das Gedicht wird Euch ähneln".55
Hier wird die "archaische Geste"56 des Ausschneidens und Zusammenklebens von
Geschriebenem zur Selbstdarstellung eines Konzepts, welches das Subjekt gerade
nicht mehr als "unendlich originelle[n] Schriftsteller" präsentiert57, sondern einen
46 Kraus: Die Fackel, Nr. 640-648, Januar 1924, S. 18.
47 Kraus: Die Fackel, Nr. 400-403, Sommer 1914, S. 46.
48 Ebd.
49 Hage: Collagen in der deutschen Literatur, S. 78.
50 Benjamin: "Bekränzter Eingang", S. 560.
51 Bürger: Theorie der Avantgarde, S. 97 f.
52 Scheffer: Anfinge der experimentellen Literatur, S. 41.
53 Tzara: Sieben Dada Maniftste, S. 90 f.
54 Ebd.
55 Ebd.
56 Ebd.; Compagnon: La Seconde main, S. 17.
57 Tzara: Sieben Dada Maniftste, S. 90 f.
430
10. AUSBLICK
Prozeß der Selektion porträtiert 58 , der von jedem ausgeführt werden kann. D
schöpferische Subjekt kommt nur mehr als Teil eines Selektionsprozesses ins Spi ~s
der d.urch ein .M~ment realer Kontingenz bestimmt wird. Dieses Moment real:;'
Kontmgenz tntt Im Arrangement auf zweifache Weise als "signifikante Struktur"59
zutage: Zum einen zeigt sich am Arrangement, daß das Material "so unwesentli I
[ist] wie ich selbst. Wesentlich ist das Formen".60 Zum anderen wird Wirldichk~i~
als k~n~ingente, ge~ui? ind~xikalische Spur. der par~age, nämlich als ,Herausgeris_
senes, ms Werk hmemkoplert. "In der DIchtung, so Schwitters, "werden die
Worte aus ihrem alten Zusammenhang gerissen, entformelt und in einen neuen
künstlerischen Zusammenhang gebracht, sie werden Form-Teile der Dichtung
weiter nichts".61
,
Das so ve.rstandene Verfahren der demonstrativen Montage ist eine Vollzugsform modulterender Aufpfropfung, die das rekontextualisierte Material in seinem
'H.erausgerissensein' aus dem alten Zusammenhang und in seinem ,Aufgepfropft_
Sem' auf den neuen, künstlerischen Zusammenhang vorführt. Damit diese doppelte. Geste als solche erkannt wird, muß der Leser eine interpretative Aufpfropfung
vollzJ~hen - er is.t auf~efordert, in der I~~l1lfrontation mit dem montierten Sprachmatenal selbst dIe "RIsse, Brüche und Ubergänge zu suchen". 62
Was in den "Wanderjahren nur als extreme Möglichkeit erwogen wurde, nämlich
aus Heften zu zitieren, die "der wirldichen Welt gewidmet [sind]"63, wird in den
Montageverfahren des 20. Jahrhunderts zum Grundprinzip des Montageverfahrens: das Hineinkopieren von Wirklichkeitsfetzen in den literarischen Rahmen.
I?ies g~schieht.in .Döb~ins Berlin Alexanderplatz - einem Roman, der paradigmatisch dIe Tech1llk ltteranscher Montage vorführt. 64 Benjamin beschreibt Berlin Alexanderplatz als ein Werk, bei dem die Montagetechnik eine besondere Funktion
erhält: "Die Montage sprengt den ,Roman', sprengt ihn im Aufbau wie auch stilistisch, und eröffnet neue, sehr epische Möglichkeiten".65
Die neuen, ,sehr epischen' Möglichkeiten sprengen den Rahmen des Romans
weil der Montage-Roman die "Unabhängigkeit des Textes vom Autor"66 demon~
striert. Diese Unabhängigkeitserklärung impliziert, daß sich der Text von der Autorität seines diskursiven Vaters als maßgeblicher Rahmungsinstanz trennt. Mehr noch:
In der Zitatmontage und dem literarischen ready-made kommt "ein Gefühl der Aus58 Die Auffassung, daß sich aus dem arrangierten Sprachmaterial ein Bild ergibt, vertritt auch Schwitters, wenn er in seiner Programmschrift "Merz" feststellt: "Ich habe Gedichte aus Worten und Sätzen so zusammenge!debt, daß die Anordnung rhythmisch eine Zeichnung ergibt. Ich habe
umgekehrt Bilder und Zeichnungen ge!debt, auf denen Sätze gelesen werden sollen. [..] Dieses geschah, um die Grenzen der Kunstarten zu verwischen" (Schwitters: "Merz", S. 7).
59 Derrida: Grammatologie, S. 273.
60 Schwitters: "Merz", S. 5.
61 Schwitters: Merz 1, zit. nach Scheffel': Anfänge der experimentellen Literatur, S. 41.
62 Scheffel': Anfänge der experimentellen Literatur, S. 62.
63 Ebd.
64 Stenze!: "Mit Kleister und Schere", S. 39.
65 Benjamin: "Krisis des Romans. Zu Döblins Berlin Alexanderplatz", S. 231 f.
66 Stenze!: "Mit Kleister und Schere", S. 40.
10.2 DER AUTOR ALS HERAUSGEBER UM 1900
431
geliefertheit an die bedrängenden Fremdkörper" zum Ausdruck: "Das fremde Wortmaterial läßt keinen Rahmen mehr zu. Es geht nicht in einer größeren Struktur auf,
sondern bildet, neu kombiniert und arrangiert, selbst die Struktur".67
Indem sich die Zitate "gegenseitig zum Kontext"68 werden, verschwindet der
Autor als Arrangeur weitgehend hinter der montierten Struktur. Umgekehrt wirkt
das zitierte Material so, als trete es "unmittelbar vor den Leser".69 Hieraus ergibt
sich ein neuer Realitäts- und Authentizitätseffekt: In dem Maße, in dem die Rahmung des Diskurses scheinbar durch die zitierten Materialien selbst ins Werk gesetzt wird, bekommen die Spuren der partage, die sich an den Wirldichkeitsfetzen
zeigen, den Charakter von Signaturen der Wirldichkeit. Diese signatures authentiques sind keine "Ersatz-Anzeichen"70, sondern werden als genuin indexikalische
,Ausrisse', die Anspruch auf "Wirldichkeitsechtheit"71 erheben, in den Rahmen der
Montage hineinkopiert.
Der Umstand, daß die "Vielzahl der sprachlichen Fremdmaterialien" dem Erzähler "einen Teil seiner Autorschaft" entzieht72 , wirft die Frage auf, in welcher
Form der Autor im Montage-Roman überhaupt noch zur Sprache kommt. Döblins Auffassung von Autorschaft offenbart in dieser Hinsicht eine interessante Ambivalenz: Einerseits sieht sich Döblin - wie Mann - als Instanz, deren Rolle sich
aufs Abschreiben beschränkt. 73 Um etwa den Lauf der Rhone zu schildern, schreibt
Döblin Geographieartikel ab und bekennt: "[00'] das ist alles so herrlich und seine
Mitteilung so episch, daß ich gänzlich überflüssig dabei bin",74 Andererseits beharrt Döblin auf seinem Anspruch, auch im Rahmen des Montage-Romans als
Autor zu Wort zu kommen: Seiner Meinung nach "darf', "soll" und "muß" der
Autor "im epischen Werk mitsprechen",75 Darüber hinaus hat er "zu zeigen und
zu beweisen, daß er ein Faktum und ein Stück Realität ist [00']' Selber Faktum sein
und sich Raum schaffen dafür in seinen Werken, das macht den guten Autor",76
Der Raum, den sich der ,gute Autor' in seinem Werk schafft, ist freilich in erster Linie ein editorialer: Es ist der Raum zwischen arrangierten Wirldichkeitsfetzen, an deren zerrissenen "Kanten"77 sich der Einbruch der Wirldichkeit ins Werk
zeigt. In der Inszenierung dieses Zwischenraums tritt der Autor-Herausgeber als
"Ich" und als "Tat"78 aus dem Arrangement hervor, indem er im Rahmen seiner
editorialen Tätigkeit die latenten "Produktionskräfte"79 der Sprache aktiviert. Der
67 Hage: Collagen in der deutschen Literatur, S. 72.
68 Möbius: Montage und Collage, S. 58.
69 Ebd.
70 Luhmann: "Die Form der Schrift", S. 365.
71 Stenze!: "Mir Kleister und Schere", S. 39 f.
72 Möbius: Montage und Collage, S. 454.
73 Vgl. Döblin: Aufiätze zur Literatur, S. 113 f.
74 Ebd., S. 114.
75 Ebd.
76 Ebd., S. 115.
77 Foucault: "Was ist ein Autor?", S. 17.
78 Döblin: Aufiätze zur Literatur, S. 245.
79 Ebd., S. 243.
, I
I
432
10. AUSBLICK
,gute Autor' zeigt sich darin, daß er als realer Herausgeber Wirldichkeitsfetzen zitierend arrangiert und als realer Autor eine Verbindung zu den Produktivkräften
der Sprache herstellt.
10.3 Der Ausblick im Rückblick
Halten wir abschließend fest: Der Fiktion der archaischen Geste des Reißens um
1800 steht um 1900 die Realität des Reißens als einer "empirischen Intervention"80
des Künstlers gegenüber. Der aus seinem alltäglichen Zusammenhang herausgerissene Wirldichkeitsfetzen wird einem literarischen Inszenierungszusammenhang
aufgepfropft, der diesen wiederum in seinem ,Aufgepfropft-Sein' präsentiert. Der
Ausriß verweist dabei nicht nur genuin indexikalisch auf seinen Ursprungskontext
zurück, sondern kann auch als degenerierter Index für sein eigenes ,Herausgerissensein' gedeutet werden. Dieses Herausgerissensein von Teilen steht für ein Kunstkonzept, das nicht mehr den Anspruch erhebt, eine organische Einheit zu stiften,
sondern das verwendete Material als Fremdkörper zu inszenieren, der sich der
bruchlosen Integration in den neuen Kontext widersetzt. Indem die moderne
Kunst die Brüchigkeit der "Veredelungsstellen"81 zur Schau stellt, verweist sie auf
das Risiko jeder greffe, deren "risque de rejet"82 darin liegt, daß der transplantierte
Teil vom Ganzen abgestoßen wird.
Die "Kraft zum Bruch"83, die das Verfahren der demonstrativen Montage auszeichnet, erweist sich so besehen als demonstrative Interferenz von Kräften - der
Kraft der Abstoßung von Fremdkörpern einerseits, der Kraft zur absorbierenden
"Verwandlung des Fremden in ein Eignes"84 andererseits. Durch diese Interferenz
wird die Montage zu einem editorialen Rahmungsverfahren, mit dem "das spezifische Material der Fragmente", aber auch "das Spezifische des aufnehmenden
Werkes"85 bewußt gemacht wird: Der Rezipient ist aufgefordert, interpretative Aufpfropfungen zu vollziehen und seine Aufmerksamkeit auf die Verkörperungs- und
Inszenierungsbedingungen des montierten Werks zu lenken.
Dies hat drei Konsequenzen. Erstens bewirken die demonstrativ vorgeführten
Bruchstellen eine "Entblößung des Kunstgriffs"86 der Montage: Das editoriale Dispositiv wird als technischer Rahmungsprozeß offenbar. Zweitens kommt mit der
80 Compagnon: La Seconde main, S. 17.
81 Vgl. Allen: Pftopfin und Beschneiden, S. 64.
82 Compagnon: La Seconde main, S. 31.
83 Derrida: "Signatur Ereignis Kontext", S. 27.
84 Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 646.
85 Möbius: Montage und Collage, S. 65.
86 Vgl. Eisenstein: "Die ungeahnte Nahr", S. 11.
10.3 DER AUSBLICK IM RÜCKBLICK
433
Montage der Aspekt der Intermedialität ins Spiel: sei es als Frage nach dem "konzeptionellen Miteinander"87, sei es als Beobachtung der "grundlegenden Differenzstruktur"88 der miteinander gekoppelten Medien. In beiden Fällen geht es um
die Bedingungen der "Inszenierung eines Fremdmediums in einem Werk".89 Drittens steht die PerfOrmance der Abstoßungskräfte in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis zu dem juristischen PerfOrmativ der Aneignung des Fremdmaterials. Der Künstler eignet sich die Fundstücke dadurch an, daß er sie neu benennt
und signiert. Seine auktoriale Tätigkeit besteht also darin, daß er die perfonnativen Gesten der Funktion Autor als Gesten emphatischer Autorschaft ausführt90,
obwohl er bloß die Funktion eines Herausgebers übernimmt. Während sich der
Autor um 1800 als Herausgeber eines Werks ausgibt, das er (zum größten Teil)
selbst geschrieben hat, betrachtet der Meta-Autor um 1900 das von ihm bloß bearbeitete Fremdmaterial als eigenes Werk. Zugespitzt formuliert: Um 1800 tritt der
Autor als fiktiver Herausgeber, um 1900 der faktische Herausgeber als Autor auf
Es gibt noch eine zweite Differenz, die für das Verhältnis von Autorschaft und
Herausgeberschaft von Relevanz ist: Der Vollzug des editorialen Dispositivs um
1900 impliziert eine neUe Einstellung zur Technik als einem poetischen Verfahren.
Das Prinzip der Montage zeichnet "Kunst als Fabrikation" aus 91 , indem es "mit
einer Methode, welche die Erkenntnistheorie die deiktische nennt"92, zeigt, daß
seine Teile künstlich zusammengesetzt sind. An dieser Künstlichkeit zeigt sich aber
auch der Einfluß der Technik. So kritisiert Benn das "Getue" in den Romanen: "als
ob es an sich weiterginge und etwas geschähe", nein, der Künstler ist es, "der weitermuß, sammelt, gruppiert".93 Indem die Aufmerksamkeit im Rahmen der Montageverfahren auf die Artifizialität des Kunstwerks gelenkr wird, rückt die Technik
in den Blick, die parergonal im Inneren dieses Verfahrens mitwirkt: "Die Technik
selbst ist das Problem und man soll sie ruhig bemerken".94
War die Herausgeberfiktion des 18. und 19. Jahrhunderts eine explizite Personifizierung der Funktion Herausgeber, so wird die Funktion Herausgeber im
modernen Roman zumeist nur noch "latent"95 ausgeführt. Gab die Herausgeber87 Müller: Intermedialität. Formen moderner kultureller Kommunikation, S. 31 f.
88 Spielmann: Intermedialität, S. 36. Vgl. auch Paech: "Intermedialität. Mediales Differenzial und
transformative Figuration", S. 16.
89 Wolf: "Intermedialität als neues Paradigma der Literaturwissenschaft?", S. 88. Siehe auch Wirth:
"Hypertextualität als Gegenstand einer ,intermedialen Literaturwissenschaft''', S. 416.
90 Berühmtes Beispiel hierfür ist Duchamps Fountain - ein von ihm datiertes und signiertes, industriell gefertigtes Pissoir. Die Pointe dieses Kunstwerks liegt nicht nur in dem deklarativen Alu, mit
dem es zum Kunstwerk erklärt wird, sondern auch in den Strategien, dieses Kunstwerk im Rahmen der ,Institution Kunst' zur Geltung zu bringen. Duchamp signierte sein ready-made mit dem
Namen "R. Murt", da er in der Kommission saß, die darüber entschied, ob die Fountain ausgestellt werden sollte. Obwohl sich die Kommission dagegen enrschied, wurde die Fountain zum Mythos des Konzepts des ready-made (vgl. Daniels: Duchamp und die anderen, S. 177 ff.).
91 Klotz: "Zitat und Montage in neuerer Lireratur und Kunst", S. 24.
92 Adorno: Asthetische Theorie, S. 232 f.
93 Benn: "Doppelleben", S. 2028 f.
94 Ebd., S. 2029.
95 Martlnez-Bonati: "Die logische Struktur der Dichtung", S. 198.
:1
434
10. AUSBLICK
fiktion als Prosopopoiia der Funktion Herausgeber nicht nur ein Gesicht, sondern
war "die Figur für die Frage ,wer spricht'?"96, so lassen die Zitat- und Montageverfahren des modernen Romans die Funktion Herausgeber als technisch gerahmtes, editoriales Dispositiv in Erscheinung treten. Der Realitätseffekt wird nicht nur
erzielt, indem die zitierten Wirldichkeitsfetzen selbst "zum Sprechen"97 gebracht
werden, sondern dadurch, daß die Montage ostentativ als über-individueller, technischer VOllzug in Szene gesetzt wird.
Dabei steht die Montagetechnik im Dienste einer diskursiven Strategie, welche
die Aufgabe einer "erhöhten Selbstbeobachtung in der Kunst"98 auf den Leser überträgt: Der Leser soll- irritiert durch die Technik der Montage - die Differenz zwischen Kunst und Leben, System und Umwelt, Fiktionalität und Faktualität im
Rahmen des Interpretationsprozesses reflektieren. Diese Irritation durch die Montagetechnik ist nicht mehr nur als metafiktionaler Kommentar der "Technik der
Doppelrahmung"99, sondern als metapoetischer Kommentar der Situation von
Autor und Leser im primären Rahmen einer technizistischen Lebenswelt zu verstehen: Die parergonale Rahmung des editorialen Dispositivs durch die Technik
setzt den Autor der Gefahr aus, nur noch als Variable und nicht mehr als Subjekt
der Funktion Autor zu agieren. Auch für den Leser ändern sich die Rahmenbedingungen: Er macht "den Produktionsprozeß mit dem Autor mit" 100, denn das Werk
wird ihm nicht mehr "fertig vorgelegt"; vielmehr erlebt der Leser die Entstehung
des Werks "in statu nascendi".101 Das heißt: Während die Literatur um 1800 die
Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion vorführte, impliziert die
Literatur um 1900 die Geburt des Lesers als Mit-Herausgeber.
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