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Nachbarn der Lykier: Solymer, Rhodier, Milyer, Kabaler und Karer

Nachbarn der Lykier: Solymer, Rhodier, Milyer, Kabaler und Karer* Diether Schürr Die literarische Existenz der Lykier beginnt mit Homer, der sie in das große Bild vom Krieg um Troja einfügte. Lange vor diesem Krieg läßt er den griechischen Helden Bellerophontes für den lykischen König gegen die „weitberühmten Solymer“ kämpfen und nach ihm seinen lykischen Sohn Isandros (Z 184 und 203f.). In diesem Krieg selbst läßt Homer den lykischen König Sarpedon gegen Tlepolemos, den König der Rhodier, kämpfen (E 628ff.). So sind also auch schon Nachbarn der Lykier präsent. Die tatsächliche Existenz der Lykier läßt sich jedoch kaum vor der Perserherrschaft ab der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. fassen: mit der Entwicklung einer eigenständigen Kultur, besonders eigenartigen Grabmälern, aber auch einer eigenen Schrift und Münzprägung. Diese lykische Kultur füllte nicht den ganzen Raum der späteren römischen Provinz Lycia, die im Westen noch Kaunos (Marek 2011) einschloß, im Norden die Kabalis und Milyas und auch die Ostküste der Halbinsel bis knapp vor Attaleia (heute Antalya) umfaßte. Der Rest war von verschiedenen und nicht näher bekannten Völkerschaften besiedelt, bevor sie alle zusammen mit den Lykiern hellenisiert wurden. Vor Ankunft der Griechen wurde jedoch die ganze Südküste Kleinasiens von Völkern eingenommen, die wahrscheinlich alle verwandte Sprachen hatten, die wie das Hethitische zum anatolischen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie zählten, von den Luwiern im Osten bis zu den Karern im Westen (es ist falsch, alle südanatolischen Sprachen ‚Luwisch‘ zu nennen, und der zusammenfassende Begriff ‚Luwic‘, den H. C. Melchert prägte, kann leicht mit Luwisch verwechselt werden). Daher hatten die meisten Nachbarn der Lykier eine wohl mehr oder weniger ähnliche Sprache, aber der Mangel an nichtgriechischen Inschriften steht ihrer Kenntnis im Wege, mit Ausnahme des Karischen. Es gibt nur Toponyme und Personennamen in griechischen Inschriften und Texten als Quelle für den Charakter dieser Sprachen und ihrer Beziehung zum Lykischen. Außerdem spiegelt sich in der Verbreitung von Personennamen wie Artimes (wohl persisch), Hermaios (griechisch), Trokondas, Moles and A/Ermasta die Ausbreitung der Pisider von Termessos aus die Küste hinab und auch zu den Städten nördlich von Limyra und Rhodiapolis: Arykanda, Idebessos, Akalissos und Korma (es ist nicht klar, ob sie genuin lykisch waren), und im 3. Jh. oder um 200 v. Chr. auch westwärts in die Kabalis und sogar bis Ostkarien (Hall-Coulton 1990: 136 and 149, Rousset 2010: 30f., Balzat 2014: 263f., 266 und 273f., vgl. auch Corsten 2013 und Coulton 2013, besonders die Karte S. 98). Diese späteren Verschiebungen erschweren die Erfassung der Situation, wie sie vorher bestanden hatte. Leicht überarbeitete Übersetzung von Diether Schürr, Likyalıların Komşuları: Solymler, Rodoslular, Milyaslılar, Kabalialılar ve Karialılar / Neighbours of the Lycians: Solymoi, Rhodians, Milyai, Kabaleis and Carians. In: Havva İşkan – Erkan Dündar (Hgg.): Lukka’dan Likya’ya. Sarpedon ve Aziz Nikolaos’un Ülkesi / From Lukka to Lycia. The Land of Sarpedon and St. Nicholas (Yapı Kredi Yayınları Anadolu Uygarlıkları Serisi 5). İstanbul 2016, 100-109. Nurtürkische Version in der reduzierten Neuausgabe 2020. * Abb.1. Die Karte in Coulton 2013, 98: Völker nördlich der Lykier. Blau Kabaler, braun Milyer, rot Pisider, grün Likyer. Es gibt einige altphrygische Inschriften in der Ebene von Elmalı (in einem einzigen Grab, Varınlıoğlu 1992), aber sie dürften eine kurze Episode anzeigen, weil es keine Belege für eine dauerhafte Anwesenheit von Phrygern gibt, die eine nicht-anatolische indogermanische Sprache hatten, ähnlich dem Griechischen. Abb.2. Die altphrygische Inschrift Ates auf einem kleinen Silberkessel von Bayındır, Tumulus D (Varınlıoğlu 1992, 12 Fig.1., Zeichnung von M. Sarley). Strabo (13.4.17) berichtet, daß die Kibyraten Abkömmlinge der Lyder seien und daß Lydisch eine der von ihnen gebrauchten Sprachen wäre. Aber bis jetzt gibt es keinen sprachlichen Beleg für die Anwesenheit von Lydern – deren Sprache auch zum anatolischen Zweig des Indogermanischen zählt – bei Kibyra. Nur einige archäologische Funde scheinen Verbindungen mit Lydien anzuzeigen, z. B. ein Löwenrelief (6. Jh. v. Chr.), dessen nächstes Vergleichsstück sich in Sardes findet (Hülden 2012). Abb.3. Löwenrelief neben einem Felsgrab (bei Alanköy). Aber kehren wir zu den Nachbarvölkern zurück, die in der Ilias genannt werden. Daß es die Solymer wirklich gab, ist nicht sicher. Coulton 2008 nahm an, daß die späteren Erwähnungen nur literarische Reminiszenzen seien. Aber ich denke, daß es nicht notwendig ist, so skeptisch zu sein. In der Odyssee (ε 283) werden die Solyma-Berge erwähnt, und Strabo spricht ohne den bei ihm üblichen Bezug auf Homer von den Solyma-Bergen über Phaselis (14.3.9) und erwähnt auch Solymos als Name des Gipfels über Termessos (13.4.16). Das legt nahe, daß die Bergnamen zuerst da waren und der Völkername von ihnen abgeleitet wurde. Daher ist es nicht plausibel, die Solymer (wie bei Herodot I 173) mit den Milyern gleichzusetzen. Wenn Strabo (13.4.17) angibt, daß in Kibyra vier Sprache gebraucht würden, nämlich Pisidisch, Solymisch, Griechisch und Lydisch, dann wird mit ‘Solymisch’ wohl die eigentliche Sprache der Kabaler gemeint sein. Es wäre verführerisch, den Namen des Gipfels Solymos, die Solyma-Berge und Solymoi mit hethitisch sullē- ‚arrogant werden‘ und sullatar ‚Geschwollensein, Aufgeblasenheit‘ (mit deutsch schwellen verwandt, siehe Melchert 2005) zu erklären, und dann könnte auch lykisch hlm͂mi (mit *s > h) entsprechen. Das ergäbe eine Bedeutung, die nicht nur für ein Volk, sondern vielleicht auch für Berge passen würde. Die Sprache der Ostküste vor Ankunft der Griechen und viel später auch der Pisider könnte dem Lykischen sehr ähnlich gewesen sein. Zum Beispiel scheint der Lautwandel Cw > Cb, der dem Lykischen und dem Karischen gemeinsam ist, im Osten fast bis Attaleia zu reichen: Tra/ebenna wie Trebendai in Zentrallykien, der Berg Tarbelos bei Kaunos und lykisch trbbeli/trbbala dürften mit hethitisch und luwisch tāru- ‚Holz‘ zu erklären sein (Schürr 2006: 117ff.). Und Kelbessos, ein Peripolion von Termessos, kann mit hethitisch hallu- ‚tief‘ erklärt werden wie die Quelle Kalbios irgendwo in Lykien, der Fluß Kalbis bei Kaunos und Kalbissos bei Labraunda mitten in Karien (Schürr 2003); es ist allerdings unklar, was in Kelbessos und Kalbissos ‚tief‘ sein könnte. Der Name des Städtchens Typallia hat ein Gegenstück in lykisch tupelija- (TL 44b, 38 und 39 bei Kalinka 1901), das eine Person bezeichnen dürfte, gehörte aber in der Kaiserzeit zu Termessos. Endlich verbindet auch eine kuriose Geschichte, die Plutarch bewahrt hat (De defectu oraculorum 21), die legendären Solymer mit den Lykiern: Drei Archegeten der Solymer wurden von dem Gott Kronos getötet und zu Fluchgöttern der Lykier. Der Name des dritten, Trosobios, erscheint auch in einer Grabinschrift von Limyra (TL 111 in Kalinka 1901): Der Erbauer ist kumaza Trzzuba[hi, ‚Priester des Trzzuba‘, und im Fall einer nicht erlaubten Beisetzung soll eine Buße an Trzzubi gezahlt werden. Es könnte kein Zufall sein, daß dieser Gott nur in dieser ostlykischen Stadt belegt ist. Aber der spätere Personenname Arsadapeimis, ‚von Arsada gegeben‘, in der westlykischen Stadt Sidyma könnte auf den ersten Gott bei Plutarch zurückgehen, falls sein Name in Arsa<d>os zu berichtigen wäre (Schürr 2019, 9 Anm. 107). Sicherlich wichtiger als die Solymer und alle anderen Nachbarn waren jedoch die griechischen, genauer dorischen Rhodier, die Städte im Osten der lykischen Halbinsel gründeten: Phaselis nach der Überlieferung 690 v. Chr. (im Kampf gegen die Solymer, wie die lindische Tempelchronik berichtet), Rhodiapolis, wie sein Name zeigt, und nach griechischen Autoren auch Korydalla und Gagai. Es dürfte genügen, hier en passant zu erwähnen, daß es nördlich von Phaselis einige kleine griechische Ortschaften mit den gleichen Namen wie Städte und eine Insel der nördlichen Äolis gab, nämlich Thebe, Lyrnessos and Tenedos, was ihre Gründung durch Äoler verrät (siehe Adak 2007). Die Lykier übernahmen die Schrift offenbar schon im 6. Jh. von Rhodos (mit einigen Zusätzen), zusammen mit dem Wort sttala in dorischer Form für Stelen, die als Schriftträger fungierten, und wohl auch das Verb stta-, ‚stehen‘ (Schürr 2014b). Im Laufe des 5. Jhs. wurden Rhodiapolis, Korydalla und Gagai von Lykiern übernommen (Adak 2007: 43 und Adak 2013: 66), wie Münzen mit lykischen Legenden (Gaχe ca. 430-420 v. Chr. für Gagai und Wedrẽi wohl für Rhodiapolis) und einige wenige lykische Inschriften zeigen. Dagegen ist „a surprising and indeed unique document attesting Rhodian activity in Lycia in the 460s“ eine lykische Münze mit einem neuen Revers, das die griechische Legende ΡΟΔΙΟΝ hat (Gen. Pl.; Spier 1987: 36 und Pl.VII, 18). Die Rhodier benützten die Insel Megiste (heute Kastellorizo) vor Antiphellos als Zwischenstation, und in hellenistischer Zeit ist der Einfluß von Rhodos auf Antiphellos augenfällig: Inschriften erwähnen die Bewirtung im Hierothyteion als eine Ehrung, die sonst nur auf Rhodos selbst belegt ist (Robert 1939, Zimmermann 1993: 119f. und eine noch nicht publizierte Inschrift auf einer Statuenbasis vor einem Gebäude, das dieses Hierothyteion sein könnte). Daß der Einfluß von Rhodos aber noch vor die Übernahme der Schrift zurückreicht, illustriert Importkeramik. Zu Füßen der Mutterstadt Phellos im Hinterland gibt es einen Tumulus mit fast 20 m Durchmesser, der sicher ein frühes Königsgrab darstellt. In einer durch Raubgräber aufgedeckten Nebenkammer wurden unter anderem Scherben eines rhodischen Reliefgefäßes des 7./6. Jhs. v. Chr. gefunden. Und in Tlos wurde sogar eine kleine mykenische Scherbe der Phase Späthelladisch III C (nach 1200 v. Chr.) gefunden (Işın et al. 2015, 154 und 194 Resim 6, Num. 3), die nach Auskunft von Penelope Mountjoy rhodischer Herkunft ist oder rhodische Keramik nachahmt. Was alles von dem starken und stetigen griechischen Einfluß auf die sich entwickelnde lykische Kultur durch die Rhodier vermittelt wurde, läßt sich kaum sagen. Andere Nachbarn der Lykier weren erst später erwähnt. Die Milyer sind zuerst bei Herodot belegt (I 173 früher Solymer genannt, III 90 zwischen Lykiern und Pamphylern und VII 77) und die Kabaler ebenso (III 90 Lasonier, Kabaler nach den Lydern, aber VII 77 Kabeler, „die Meioner [d. h. Lyder] sind und Lasonier genannt werden“, unter dem gleichen Kommandanten wie die Milyer). Die Milyer sind die Bevölkerung der Milyas, d. h. der Ebene von Elmalı und ihrer Verlängerung nach Norden. Die Kabaler sind die Bevölkerung der Kabalis oder Kabalia nördlich vom Xanthostal. Dieser Name könnte leicht Hapalla fortsetzen, in hethitischen Quellen ein Land im Westen Anatoliens, aber es ist auf keinen Fall möglich, Hapalla in dieser Gegend anzusetzen. Der Umlaut a > e vor i ist einer der sprachlichen Merkmale, die sich längs der Südküste Kleinasiens ausbreiteten, wohl von Ost nach West. So ist das Wort für ‚Vater’ luwisch tadis, später in Personennamen der griechischen Inschriften Kilikiens Tedi-, lykisch tedi und karisch ted. Ein bereits vor ca. 1200 v. Chr. in Hattusa keilschriftlich und hieroglyphen-luwisch (als LUNA-FRATER2, d. h. ‚der Mondgott soll wie ein Bruder sein‘ o. ä.) belegter Personenname erscheint mit Umlaut als Erm͂menẽni in Limyra (TL 121 in Kalinka 1901) und später in griechischen Inschriften als Ermenen(n)is und Ermenenios. In der Kabalis, der Milyas und einmal auch im Gebiet von Termessos finden wir jedoch Armananis und Armonanis sowie Ermananis in Arykanda (ein Fremder, Iplikçioğlu et al. 2008). Diese Belege ohne Umlaut veranschaulichen den sprachlichen Konservatismus des nicht-lykischen Hinterlandes (Schürr 2019, 9). Lykischer Einfluß in Nordlykien kann mit einem noch lebendigen Ortsnamen und einem Theonym veranschaulicht werden. Der Stadiamus Patarensis hat gezeigt, daß es einen Ort namens Trimilin[d]/a/ zwischen Balboura und Kibyra gab (Şahin 2014: 202ff.), der als Tremeely bei Spratt – Forbes 1847: I 266 wiederkehrt und heute Dirmil heißt, allerdings leider amtlich in Altınyayla umbenannt, wie so viele Orte, die keinen durchsichtig türkischen Namen haben. Der Name kann auf Trm͂milijẽti in Lykisch B (der lykischen Dichtersprache) zurückgehen (TL 44d, 57 in Kalinka 1901, siehe Schürr 2009: 113), wohl ‚Termilerplatz‘ bedeutend. Das könnte also so etwas wie ein Vorposten der Trm͂mili oder Lykier in der Kabalis gewesen sein. Der ‚Reitergott‘ Kakasbos ist in der Kaiserzeit durch viele Reliefs in Nordlykien und auch an der Ostküste bezeugt (siehe die Verbreitungskarte bei Coulton 2012: 146 Fig. 6.20), und alle Reliefs, die in Telmessos (heute Fethiye) gesehen wurden oder verwahrt werden, stammen wahrscheinlich aus Nordlykien (Delemen 1999: 35ff and Coulton 2012: 149ff.). Abb.4. Kakasbos-Relief im Museum von Fethiye: KAKACBΩ EYXHN ΠETPAIOC (Photo D. Schürr 2019) So scheint Kakasbos ein nicht-lykischer Gott zu sein † . Die lykische Form seines Namens, Chaχakba, ist in der einzigen lykischen Inschrift der Ebene von Elmalı belegt (N 314a bei Neumann 1979), unter die Herrschaft des Dynasten Perikle datiert, der offenbar dieses Gebiet ebenso wie Zentral- und Westlykien erobert hatte. Chaχakba ist wohl mit † Sicherlich nicht „the protector of the Lycians“, wie Işık 2019, 60 behauptet, für den Kakasbos nicht nur „very common in Telmessos“ war, sondern durch Reliefs auch in Sidyma, Tlos, Arsada, Köristan und Patara belegt ist. Aber da dürfte überall die Keule fehlen wie bei dem Felsrelief von Patara S. 58 Abb. 4. hethitisch hatt-, hieroglyphen-luwisch hahata- ‚schlagen‘ zu erklären (Carruba 1979: 85 und Schürr 2003: 70 Anm.5) und zeigt dann den für Lykisch A typischen Lautwandel *tb > kb (im B-Lykischen ist tb bewahrt). Und die griechische Schreibung Kakasbos hat Sigma für lykisch k, was auch durch Tiseusembran für Tikeukẽprẽ in Tlos belegt ist (TL 25a in Kalinka 1901). Der Name des Gottes ist daher echt lykisch, und der keulenschwingende ‚Schläger‘ Kakasbos wurde mit Herakles gleichgesetzt, der ein charakteristisches Motiv der Münzen von Telmessos schon im 5. Jh. v. Chr. ist. So seltsam es ist, Kakasbos scheint also wirklich ein telmessischer Gott gewesen zu sein, der spätestens zur Zeit des Perikle nach Nordlykien gelangte und dort in der Kaiserzeit dann als keulenschwingender Reiter dargestellt wurde, aber in Telmessos selbst vergessen. Abb.5. Münze von Telmessos mit Athene, Herakles und unklarer lykischer Legende. Im Westen waren die Karer Nachbarn der Lykier. Ihre Inschriften zeigen, daß von allen geschriebenen anatolischen Sprachen Karisch der nächste Verwandte des Lykischen ist und Lykisch B noch etwas näherkommt (Schürr 2001: 113). Zum Beispiel entspricht karisch sb- ‚und‘ lykisch B sebe-, während das ‚normale‘ Lykische (A) nur se- hat. Aber die Karer schlugen einen ganz anderen Weg in ihrer kulturellen Entwicklung ein, besonders in der Grabkultur. Ihre Gräber sind in der Regel weniger aufwendig, und es gibt nur sehr wenige karische Grabinschriften (außerhalb Ägyptens, wo karische Söldner sich den ägyptischen Bräuchen anpaßten). Und diese zudem sind sehr verschieden von den lykischen. Die Expansion des dynastischen Lykiens über Telmessos hinaus in Karergebiet wird von zwei Münzen illustriert, auf denen neben einem lykischen Dynastennamen möglicherweise oder sicher auch karische Zeichen erscheinen: Die eine stammt von dem frühen Dynasten Kuprlli und die andere von dem späteren Dynasten Erbbina (M 54 and M 31 nach Konuk bei Adiego 2007: 491f. and 482). Daß die karische Münzelegende aτd / rbiñ (oder -ś?), ca. 450-400 v. Chr. datiert, den Namen Erbbinas enthält (Konuk 2009), ist fraglich. Außerdem gibt es Felsgräber des lykischen Typs noch in Krya auf der Westseite des Golfes von Telmessos, neben einem Tempelfassadengrab mit der östlichsten karischen Inschrift (C.Kr 1 in Adiego 2007, siehe Schürr 2013). Abb.6. Die karische Inschrift über der Tür, nach Kalinka 1901 (TL 151). Für die Vorgeschichte der sprachlichen Verhältnisse ist aufschlußreich, daß die karischen Inschriften von Kaunos (einschließlich der von Krya) das Zeichen <e> (das griechische Eta) nicht kennen und daher auch nicht den Umlaut a > e vor i. Damit unterbricht der Dialekt von Kaunos die Kette der Sprachen mit Umlaut längs der Küste und ist mit dem lykischen Hinterland verbunden. Daher war er ursprünglich wahrscheinlich weiter im Inland zuhause und ist dann am Indos entlang zur Küste vorgedrungen (Schürr 2010b: 198f. and 205). Abb.7. Die karisch-griechische Bilingue von Kaunos. Ein anderes Zeugnis der sprachlichen Vorgeschichte könnten die zwölf Ortsnamen mit dem indogermanischen Suffix *-went- darstellen, die das ‚Kadyanda-Cluster‘ bilden und die Grenzen zwischen Lykiern, Karern und Kabalern ignorieren (Schürr 2014: 758ff.). Dazu gehören die lykische Stadt Chadawãti – Kadyanda, die karische Stadt Kalynda, wahrscheinlich nahe Dalaman gelegen, deren Name auf hieroglyphen-luwisch REL-REL-luwa/i-tá = /Kwakwaluwanda/ vor 1200 v. Chr. zurückgehen könnte (siehe Schürr 2010a: 16 im Anschluß an Carruba) und in der Kabalis Oinoanda. Abb.8. „Die aliwanischen Männer (im) Land Nipira, Land Kwakwaluwanda, Land *511-sa5“ (Yalburt, Block 7 nach Poetto 1993, Tav. IX). Aber der ursprüngliche Name dieser Stadt, die von Pisidern gegründet wurde, war Termessos bei Oinoanda. Der lykische Name des eigentlichen Oinoanda irgendwo in der Nähe war wahrscheinlich Winbẽte (TL 26, 15 in Kalinka 1901), das so gut wie sicher in der ersten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. zum Gebiet von Tlos gehörte (Schürr 2009: 105ff.), vielleicht vorübergehend? Es ist zwar nicht möglich, Oinoanda mit einem der Wiyanawanda oder Winuanda gleichzusetzen, die in hethitischen Quellen belegt sind (Gander 2014: 378ff.), aber das ‚Kadyanda-Cluster‘ könnte trotzdem älter sein als die Herausbildung der lykischen Sprache und Kultur. Abb.9. Winbẽte in TL 26, 15. Soweit dieser sehr skizzen- und lückenhafte Versuch, die Nachbarvölker der Lykier und ihre Beziehungen zu den Lykiern vorzustellen. Die sprachliche Umgebung der Lykier bedarf weiterer Erforschung und wird aus Mangel an Sprachzeugnissen nie völlig durchsichtig werden. Nichtsdestotrotz ist es sehr naheliegend, daß die Bevölkerungen des Solyma-Gebirges an der Westküste sowie der Milyas und Kabalis im Hinterland Sprachen hatten, die sich vom Lykischen nicht mehr unterschieden als das Karische. Der Hauptunterschied dürfte der kulturelle gewesen sein‡. Für Hilfe der einen oder anderen Art danke ich Mustafa Adak, Jean-Sébastien Balzat, Thomas Corsten, Max Gander, Oliver Hülden, Koray Konuk, Christian Marek und Penelope Mountjoy. ‡ BIBLIOGRAPHIE Adak, M. 2007 “Die dorische und äolische Kolonisation des lykisch-pamphylischen Grenzraumes im Lichte der Epigraphik“, Ch. Schuler (ed.), Griechische Epigraphik in Lykien. Eine Zwischenbilanz, Akten des int. Kolloquiums München, 24.-26. Februar 2005 (= Ergänzungsbände zu den Tituli Asiae Minoris Nr.25, Denkschr. ÖAW, phil.-hist. Kl. 354), Wien: 41-49. Adak, M. 2013 “Names, Ethnicity and Acculturation in the Pamphylian-Lycian Borderland”, R. Parker (ed.), Personal Names in Ancient Anatolia (Proceedings of the British Academy 191), Oxford: 63-78. Adiego, I. J. 2007 The Carian Language, with an appendix by K. Konuk (Handbook of Oriental Studies. Section 1, The Near and Middle East 86), Leiden – Boston. Balzat, J.-S. 2014 “Names in EPM- in Southern Asia minor. 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