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3 2 0 2 Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte Band 99 Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte Band 99 Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte Band 99 Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt herausgegeben von Harald Meller Halle (Saale) 2o23 Die Beiträge dieses Bandes wurden einem Peer-Review-Verfahren unterzogen. Die Gutachtertätigkeit übernahmen folgende Fachkollegen: Dr. Daniel Berger, Prof. US Dr. hab. Felix Biermann, PD Dr. Nikolaus Boroffka, Dr. Oliver Dietrich, Dr. Stefan Krabath, Dr. Christof Krauskopf, Mechthild Meinike, Prof. Dr. Ernst Pernicka, Dr. Reinhard Schmitt, Dr. Torsten Schunke, Dr.-Ing. Sebastian Storz Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de/ abrufbar. ISSN oo75-2932 ISBN 978-3-948618-63-6 E-ISSN Lektorat Technische Bearbeitung Englische Übersetzung bzw. Lektorat Gesamtredaktion 2626-4234 Andrea Welk Anna Engel, Anne Gottstein David Tucker Monika Schlenker Für den Inhalt der Arbeiten sind die Autoren eigenverantwortlich. Open Access © Papier Satzschrift Design Layout und Satz Gesamtherstellung Dieser Band steht auch im Internet zur Verfügung: https://www. propylaeum.de/publizieren/propylaeum-ejournals/propylaeumejournals-a-z/ und https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index. php/jsmv/index. Die Online-Ausgabe des Bandes wird unter der Creative Commons-Lizenz 4.o (CC BY-NC-ND 4.o) geführt. Die elektronische Langzeitarchivierung erfolgt durch die Universitätsbibliothek Heidelberg. 2o23 by Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie SachsenAnhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale). Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Arto Satin FF Celeste Carolyn Steinbeck • Berlin Anna Engel, Anne Gottstein Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG • Calbe Inhalt 9 Harald Meller und Alfred Reichenberger In memoriam Prof. Dr. Wolfhard Schlosser (21. Juni 194o – 14. Juli 2o22) 15 Rosemarie Leineweber Zum Gedenken an Dr. phil. Rudolf Laser (26. Oktober 1928 – 6. August 2o21) 31 Dieter Kaufmann Zum Gedenken an PhDr. Marie Zápotocká CSc. (6. Juni 1931 – 3o. Oktober 2o21) 41 Achim Leube und Felix Biermann Zum Gedenken an Prof. Dr. phil. sc. Bruno Krüger (16. April 1926 – 7. November 2o22) 49 Wolfgang Bernhardt und Thomas Weber Dipl.-Bibl. Armin Rudolph (17. September 1958 – 7. März 2o23) Archäologe, Bodendenkmalpfleger, Historiker und Freund 63 Jan-Heinrich Bunnefeld und Alfred Reichenberger Einige Gedanken zu Paul Gleirschers Artikel »Die Himmelsscheibe von Nebra: Zum Stand der Deutung und Datierung eines schillernden Ritualgeräts« 77 Michael Schefzik und Torsten Schunke Ein Trensenknebelpaar aus einem Pferdebrandgrab der Lausitzer Kultur bei Prettin, Lkr. Wittenberg – eine neue Variante mittel- bis jungbronzezeitlicher Pferdetrensen 129 Sebastian Brendel Das Zepter in die Hand nehmen – neue Untersuchungen an der bronzezeitlichen »Keule« von Thale 153 Florian Michel Ein jungbronze- und früheisenzeitlicher Salinenbetrieb aus Halle (Saale) 277 Donat Wehner und Claudia Schaller An der Grenze des karolingischen Imperiums. Das Kastell contra Magadaburg und die Ausgrabung in der Breiten Straße 34/35 in Biederitz, Lkr. Jerichower Land 343 Holger Grönwald und Mikko Heikkinen Impuls und Spaten. Ausloten, was in der Memorialkirche der Ottonen in Memleben möglich ist 365 Arnold Muhl Baltisches aus der Börde. Eine exotische Hufeisenfibel im Nahbereich eines Fernweges 377 Holger Rode Neue Untersuchungen zum Westbau der Klosterkirche in Goseck, Burgenlandkreis 443 Felix Biermann Ein mittelalterlicher Limosiner Kruzifixus aus Helfta (Mansfelder Land) 475 Felix Biermann Botschaften aus Burgverliesen – spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Ritzzeichnungen in Questenberg (Harz) und Greiffenberg (Uckermark) 533 Ralf Kluttig-Altmann Röhren- und Gefäßgewölbe bei Keramikbrennöfen und ihre Parallelen in der Großarchitektur. Ausgrabungsfunde aus Bad Schmiedeberg (Lkr. Wittenberg) in Sachsen-Anhalt als Auslöser einer archäologisch-architekturgeschichtlichen Spurensuche Rezensionen 625 M. G. Knight: Fragments of the Bronze Age: The Destruction and Deposition of Metalwork in South-West Britain and its Wider Context (Jan-Heinrich Bunnefeld) 631 Sławomir Wadyl (Hrsg.): Ciepłe. Elitarna nekropola wczesnośredniowieczna na Pomorzu Wschodnim und Dariusz Poliński (Hrsg.): Wczesnośredniowieczne i nowożytne cmentarzysko w Pniu / Early medieval and early modern burial site in Pień (Felix Biermann) 637 Erwin Cziesla: Drei Holzkeller aus der Mitte des 15. Jahrhunderts in der Schlosskirchstraße von Cottbus (Felix Biermann) Beiträge Zum Gedenken an Prof. Dr. phil. sc. Bruno Krüger (19. April 1926 – 7. November 2o22) Ac h i m L e u be u n d Fe l i x Bi e r m a n n Bruno Krüger im Jahre 1962. Bruno Krüger hat die prähistorische Forschung in Ostdeutschland bzw. in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik maßgeblich geprägt. Geboren am 19. April 1926 im polnischen Fabianowo bei Posen (Poznań) als Sohn eines Metallgießers, siedelte die Familie wenige Jahre später in die damals zum Deutschen Reich gehörende brandenburgische Neumark um. Hier besuchte Bruno Krüger von 1932 bis 194o die Schule in Költschen (Kołczyn) bei Zielenzig (Sulęcin). Dem folgten eine Bankfachlehre, die er 1943 mit Erfolg abschloss, und ein einjähriger »Reichsarbeitsdienst«. 1944 wurde der junge Mann zur Kriegsmarine eingezogen. Er war u. a. als Funker und Flaksoldat auf einem Küstenwachbzw. Minensuchboot im Hafen von Bodø (Nordland, Norwegen) eingesetzt. Dabei erlebte er mehrfache Angriffe durch Jagdbomber mit vielen toten Kameraden, was ihn noch Jahre nach Kriegsende traumatisch belastete. Bruno Krüger selbst wurde verwundet und geriet mit 19 Jahren zu Kriegsende in französische Gefangenschaft. Danach blieb er bis November 1948 in der kleinen Ortschaft Les Trillers – heute Region Auvergne-Rhône-Alpes –, wo er als Werkzeugeinrichter in einer Eisenwarenfabrik tätig war. Seine dort erworbenen französischen Sprachkenntnisse ermöglichten ihm später, enge wissenschaftliche Kontakte insbesondere zu vietnamesischen Archäologen zu pflegen. Bruno Krügers Rückkehr nach Deutschland führte ihn 1948 in die Sowjetische Besatzungszone. Der Vater war im September 1945 in russischer Gefangenschaft verstorben, J a h r e s s c h r i f t f ü r m i t t e l d e u t s c h e Vo r g e s c h i c h t e / B a n d 9 9 / 2 o 23 / o n l i n e - Au s g a b e u n t e r C C B Y- N C - N D 4 . o (h t t p s: // j o u r n a l s .u b .u n i - h e i d e l b e r g . d e / i n d e x . p h p/ j s m v/ i n d e x ) 42 ACHIM LEUBE UND FELIX BIER M ANN Mutter und Schwester hatten sich in Jüterbog auf dem Niederen Fläming niedergelassen. Der Heimkehrer wurde nach Besuch des Lehrerseminars in Ludwigsfelde-Birkengrund bis Ende 1949 als »Neulehrer« für das Fach Geschichte ausgebildet und konnte dabei auch das Abitur nachholen. Zwischen 1948 und 1952 war er als Lehrer tätig. 1952 nahm er jedoch ein Studium der Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin auf, wo der Hallenser Prähistoriker K.-H. Otto 1953 zunächst eine Lehrbefugnis für Ur- und Frühgeschichte erhielt und im Folgejahr dann ein Institut für Ur- und Frühgeschichte neu begründen konnte. Ab 1953 wandte sich Bruno Krüger ganz diesem Fach zu. Das Studium der allgemeinen Geschichte währte zwei Semester, jenes der Alten sowie Ur- und Frühgeschichte sechs. Bald erhielt Bruno Krüger eine Stelle als wissenschaftlicher Hilfsassistent. Das Institut für Ur- und Frühgeschichte musste ganz neu aufgebaut werden, da die Lehrmaterialien in den Kriegswirren vernichtet bzw. nach Salem am Bodensee ausgelagert worden waren. Otto und seine Mitarbeiter – also auch Bruno Krüger – bemühten sich daher um erste Fachliteratur und eine bescheidene, meist aus Gipsen bestehende archäologische Sammlung. Die Studenten nahmen spätestens seit 1953 an archäologischen Grabungen in Berlin teil – unter G. Dorka im Westteil z. B. auf einer mesolithischen Fundstätte in Tegel, am bronzezeitlichen Opferbrunnen von Berlin-Lichterfelde und auf einer kaiserzeitlichen Siedlung in Schöneberg, unter E. Reinbacher in Ostberlin an mittelalterlichen Fundstätten im Stadtzentrum. Dazu kamen Einsätze bei Notbergungen der brandenburgischen Bodendenkmalpfleger K. Hohmann im Teltow sowie J. Hutloff und R. Hoffmann am Potsdamer Schloss. 1956 schloss Bruno Krüger das Studium der Ur- und Frühgeschichte mit einer Diplomarbeit über »Archäologische Quellen zur Frage der ›slawischen‹ Kietze in der ehemaligen Mark Brandenburg« ab. Seine 1962 veröffentlichte Promotion betraf dieselbe, räumlich erweiterte Thematik (Krüger 1962). Zeitig war Bruno Krüger in die SED eingetreten, wohl in der Hoffnung, dass in der DDR ein friedliebendes und besseres Deutschland aufgebaut werde. Nach einer Absolventenförderung des Instituts für Vor- und Frühgeschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW) erhielt er 1957 dort eine wissenschaftliche Assistenz bei W. Unverzagt, der 1962–1965 eine Position als Oberassistent folgte. Sein gesamtes wissenschaftliches Leben verbrachte er an der DAW. Deren Auflösung nach der Wende empfand er als überaus schmerzlich. An der DAW wurde Bruno Krüger die Bodendenkmalpflege Ostberlins und die Betreuung der Bibliothek des Instituts für Vor- und Frühgeschichte übertragen. Er führte kleinere Notgrabungen am Mühlendamm, am Molkenmarkt, am Fischmarkt und längere Zeit im Hohen Steinweg 15 als örtlicher Grabungsleiter durch. Gleiches galt seit 1955 für die Ausgrabungen der slawischen Burg auf der Schlossinsel in Berlin-Köpenick. 1961 erforschte er das Altstadtgebiet von Berlin-Cölln, wobei er älteste Siedlungshorizonte aus dem 13. Jh. aufdeckte (vgl. u. a. Krüger 196o; Krüger 1962a). Mit dem Ende der Institutsdirektion Unverzagts wurde Bruno Krüger 1965 seitens des neuen Vorstands, K.-H. Otto, die Funktion eines wissenschaftlichen Arbeitsleiters übertragen, und zwar für die 1969–1977 als »Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Europa (Germanenforschung)« bezeichnete Abteilung. Gleichzeitig wurde er Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität. Im Jahre 1969 schloss er die Promotion B mit »Forschungen zu slawisch-germanischen Beziehungen im 5. bis 7. Jahrhundert« als Dr. sc. ab. Dem folgte 1977 die Ernennung zum Professor an der DAW. Zugleich übernahm der For- J a h r e s s c h r i f t f ü r m i t t e l d e u t s c h e Vo r g e s c h i c h t e / B a n d 9 9 / 2 o 23 Z U M G E D E N K E N A N P R O F . D R . P H I L . S C . B R U N O K R Ü G E R ( 1 9 . A P R I L 1 9 2 6 – 7. N O V E M B E R 2 O 2 2 ) scher nach dem gesundheitlich bedingten Rücktritt Ottos die Leitung des Bereichs Ur- und Frühgeschichte am Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie der DAW. Diese Aufgabe nahm Bruno Krüger bis zu seiner Berentung 1991 wahr, bestätigt 199o durch eine Stimmenmehrheit bei den ersten freien Institutswahlen. Er war unter den Kollegen sehr beliebt und Ansprechpartner für jedwede Probleme (vgl. Leube 2o1o, 15o–153). Bruno Krüger war Mitglied mehrerer nationaler und internationaler Beiräte und Fachausschüsse, u. a. im »Conseil Permanent« und im »Comité d’Honneur« der »Union Internationale des Sciences Préhistoriques et Protohistoriques«. Im April 1982 erhielt er den Orden »Banner der Arbeit« Stufe III, und 1987 wurde ihm die Ehre eines Fernsehporträts im Westdeutschen Rundfunk zuteil. Seit 1966 gab er die »Zeitschrift für Archäologie« heraus, die 1994 eingestellt wurde. Schon 1979 hatte Bruno Krüger im ersten Band einer nie vollendeten, auf zwölf Teile berechneten Gesamtdarstellung der deutschen Geschichte, die bis in die DDR-Gegenwart reichen sollte, die Römische Kaiser- und frühe Völkerwanderungszeit vorgestellt (Krüger 1979). Die Autoren des Werkes folgten dabei einer marxistischen Geschichtsauffassung, die eine gesetzmäßige Entwicklung von der Urgesellschaft bis zum Kommunismus vertrat. Einen breiten Anteil nahmen in Krügers Beitrag die Wechselwirkungen zum römischen Imperium seit dem 1. Jh. v. Chr. ein, die der Verfasser im Titel als »Zusammenstoß der germanischen Gentilgesellschaft mit der römischen Sklavereigesellschaft« charakterisierte. Allerdings hielt er sich in der Beschreibung der sozialökonomischen Verhältnisse recht eng an die antiken Beschreibungen. Grund und Boden waren zu dieser Zeit – so belegen es die Volksrechte – noch im Besitz des Stammes oder der Gemeinde. Entstehender Bodenbesitz an Hofstellen und Ackerparzellen deutete aber auf erblichen Besitz und wurde von Bruno Krüger als »Sondereigentum einzelner Familien« interpretiert. Die gesellschaftliche Entwicklungsstufe der Germanen bezeichnete er – L. H. Morgan und F. Engels folgend – als »militärische Demokratie« und als Zerfallsstadium der Gentilordnung. Eine vertiefte und erweiterte Darstellung der Geschichte und Kultur jener Jahrhunderte erschien 1976 von einem Autorenkollektiv unter Leitung Bruno Krügers, die zu dessen herausragenden wissenschaftlichen Leistungen zählt: der erste Teil des Handbuchs »Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa«. Die fünfte und letzte Auflage kam 1988 heraus. Der Wissenschaftler hatte hier u. a. die Entstehung von Stammesverbänden sowie deren Anteil im Ethnogenese-Prozess des deutschen Volkes darzustellen. Dieser Zusammenhang wird heute vielfach kritisch oder sogar als »wissenschaftlich haltlos« betrachtet (Uelsberg/Wemhoff 2o2o, 14). Wie sich Bruno Krüger zur heute umstrittenen Verwendung des Begriffs »Germanen« stellte, bleibt unbekannt. Das Handbuch wurde von 31 Haupt- und 19 Co-Autoren verfasst. Krüger organisierte als »Leiter des Autorenkollektivs« die Zusammenarbeit der Archäologen, Althistoriker, Mediävisten, Philologen, Rechtshistoriker, Ethnografen und Naturwissenschaftler. Er betrachtete sich dabei stets als Primus inter Pares. Zu seinem Stil gehörte, Inhalt und Diktion mancher Kapitel in der Autorenrunde stundenlang zu diskutieren. Dabei ging es um Datierungsfragen, um die Interpretation römischer Sachbegriffe oder um die ethnische Deutung, die Schlacht im Teutoburger Wald u. Ä. Es waren freundschaftliche Gespräche, wie Bruno Krüger stets verbindlich und entgegenkommend war. Ihm oblag auch die Koordinierung der wissenschaftlichen Einrichtungen in der DDR und in der Bundesrepublik, die Fundgegenstände und Fotos zur Verfügung stellten. Für damalige Verhältnisse war die J a h r e s s c h r i f t f ü r m i t t e l d e u t s c h e Vo r g e s c h i c h t e / B a n d 9 9 / 2 o 23 43 44 ACHIM LEUBE UND FELIX BIER M ANN Bebilderung überaus stattlich. Es gab eine Fülle von Rezensionen – zuweilen kritisch, meist aber anerkennend. Der österreichische Althistoriker H. Wolfram (1999, 121) meinte zu diesem Werk, bei gewissen Abstrichen müsse man »ehrlich gestehen, daß es in deutscher Sprache keine diesem zweibändigen Handbuch vergleichbare moderne Arbeit gibt«. Der Beginn der Arbeit an beiden Bänden setzte im Jahre 1966 ein, zunächst unter der Ägide von K.-H. Otto. Mit der Akademie-Reform 1968 erfolgten Änderungen. Otto gab seine Leitungstätigkeit auf und übertrug Bruno Krüger die gesamte Verantwortung. Otto nahm an den wissenschaftlichen Sitzungen in Berlin fortan kaum noch teil. Er trug das sicher strittige Kapitel »Zur Forschungsgeschichte« bei, das auch auf die Beiträge zur Urund Frühgeschichte von K. Marx und F. Engels Bezug nahm. Das Grundprinzip gab Bruno Krüger in der Einleitung zu Band 1 vor. Er sah zwar einen engen Zusammenhang zwischen der germanischen und der deutschen Geschichte, erkannte aber auch das seit dem 19. Jh. »verzerrte Germanenbild, eine Art germanischer Mythos, den später der deutsche Faschismus zu einer der Grundlagen seiner Ideologie machte«. Daraus ergab sich für »die historisch-archäologische Forschung in der Deutschen Demokratischen Republik [… der] Auftrag und die Verpflichtung, die inneren Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der genannten Geschichtsepoche zu untersuchen und darzustellen«, und zwar »ausgehend von den Grundsätzen und Normen der sozialistischen Gesellschaft und aufbauend auf den Forschungen der Klassiker des Marxismus« (Krüger 1976, 9–1o). Breit angelegt waren in Band 1 jene Kapitel, die sich mit der Vorrömischen Eisenzeit (Jastorf-Kultur) bzw. Latènezeit beschäftigten. Das Arbeitsgebiet war das Territorium der beiden deutschen Staaten. Allerdings kam es kurz vor der Drucklegung zu einer politisch motivierten Änderung, indem aus dem ursprünglichen Titel »Die Germanen in Deutschland« die inhaltlich unzutreffende Benennung »Die Germanen […] in Mitteleuropa« wurde. Das Wort »Deutschland« sollte nicht mehr erscheinen. Besonders stark war Bruno Krüger mit sechs Aufsätzen im Band 2 von 1983 vertreten (Krüger 1983). Damals hatte er sich verstärkt den »dark ages« des 5./6. Jhs. zugewandt, um die Kontaktphase zwischen germanischer und slawischer Besiedlung in Mitteleuropa zu erkunden. Überhaupt war Band 2 schwieriger zu gestalten, da erhebliche Teile der germanischen Siedlungsgebiete des 3.–6. Jhs. in der Bundesrepublik lagen. Kaum ein DDR-Wissenschaftler erhielt Devisen und Genehmigungen für entsprechende Studienreisen. Das stand auch dem geplanten, jedoch nicht verwirklichten Teil 3 des Germanen-Handbuchs für den Zeitraum von 6oo bis 8oo n. Chr. entgegen. Parallel zu den Arbeiten an den beiden Germanen-Büchern setzte Bruno Krüger die Grabungstätigkeit fort. Dazu wählte er einen kaiser- und völkerwanderungszeitlichen Siedlungsplatz bei Waltersdorf im Teltow aus. Da zu dieser Zeit nur wenige Siedlungen des 5./6. Jhs. bekannt waren, empfahl sich dieser Ort mit dem Altfund einer späten Niemberger Fibel. Die 1968 begonnenen Grabungen strebten eine vollständige Freilegung an. Das gelang zwar nicht ganz, doch gehört das monografisch vorgelegte Forschungsprojekt (Krüger 1987) nach wie vor zu den großen Siedlungsgrabungen für die Kaiser- und frühe Völkerwanderungszeit in Brandenburg. Es gab dort mindestens 5o Grubenhäuser. Ihre Fülle und Pfostenkonstruktion sowie die geringe Größe und Form der ebenerdigen Pfostenhäuser deuten auf einen Wirtschaftsbereich hin, den technische Anlagen – meist Röst- oder Ausheizherde der Eisenmetallurgie – bestätigen. Zwei Konzentrationen solcher Befunde J a h r e s s c h r i f t f ü r m i t t e l d e u t s c h e Vo r g e s c h i c h t e / B a n d 9 9 / 2 o 23 Z U M G E D E N K E N A N P R O F . D R . P H I L . S C . B R U N O K R Ü G E R ( 1 9 . A P R I L 1 9 2 6 – 7. N O V E M B E R 2 O 2 2 ) wies er Arbeitskollektiven zu, »die noch nicht auf Loslösung von Spezialisten aus dem allgemeinen Wirtschaftsverband orientiert waren« (Krüger 1987, 87). Die in umfangreichem Schrifttum dokumentierten Forschungen zur germanischen Frühgeschichte lassen leicht übersehen, dass Bruno Krüger zunächst Mittelalterarchäologe war und sich insbesondere der slawisch-frühdeutschen Epoche Ostdeutschlands widmete. Einige seiner oben erwähnten Grabungen in Berlin, aber auch bescheidenere Feldforschungen und Auswertungsarbeiten an slawischen Siedlungen und Gräberfeldern etwa im brandenburgischen Schulzendorf oder im sächsischen Sausedlitz legte er in Kurzberichten zumindest ansatzweise vor (u. a. Krüger 196o; Krüger 1962a; Krüger 1966; Krüger 1969). Mit den 1962–1964 realisierten Forschungsgrabungen der DAW auf der frühslawischen Siedlung von Dessau-Mosigkau, die kurz darauf monografisch vorgelegt wurden (Krüger 1967), setzte er nicht nur Maßstäbe für die Untersuchung des offenen Siedlungswesens, sondern erschloss auch den bis heute wohl wichtigsten Siedlungsbefund für die frühslawische Epoche bzw. Prager Kultur in der weiten Region. Die nahezu vollständige Freilegung einer von über 4o rechteckigen Grubenhäusern mit Pfostenkonstruktionen und Öfen geprägten Siedlung aus früh- und mittelslawischer Zeit war nicht nur damals ein Novum, sondern ist seitdem kaum einmal wieder in ähnlicher Aussagekraft gelungen. Die Auswertung der umfangreichen Grabungsergebnisse war in Hinsicht auf die Vorlage der Haus- und Grubenbefunde sowie der bemerkenswerten Menge frühslawischer Keramik vorbildlich. Wegweisend erscheint die Einbeziehung archäometallurgischer, archäobotanischer und archäozoologischer Analysen. Es gibt verschiedene Diskussionen über die – wohl etwas zu früh angesetzte – Chronologie, die vermeintliche Verknüpfung germanischer und slawischer Kulturerscheinungen bei Hausbau und Tonware, über die Gliederung der Befunde in Phasen bzw. Häuserringe und die Deutung einzelner Befunde. Im Ganzen aber hat Krügers Interpretation dieses überaus wichtigen Fundkomplexes bis heute Bestand, was gerade angesichts der vielen Umbrüche in den Interpretations- und Datierungsschemata der slawischen Archäologie seit den 199oer-Jahren als sehr bemerkenswert erscheint. Das lässt sich nicht in selbem Maße über die Untersuchungen und Thesen zu den Kietzen sagen (Krüger 1962). Zentrales Ergebnis der Lesefundaufnahmen und von insgesamt zwölf an verschiedenen Orten angelegten, jeweils 3 m² großen Sondagen war, dass die überwiegend im Bereich der alten Markgrafschaft Brandenburg verbreiteten Kietze fast nur blaugraue Kugeltopfware erbrächten. Einige Ausnahmen mit slawischen Keramikfunden hintanstellend, sei dieser Siedlungstyp somit erst nach der deutschen Ostsiedlung entstanden; zwar durchaus mit slawischen Bewohnern, auf die schriftliche Nachrichten hinwiesen, jedoch als Dienst- und Fischerorte bei Burgen der frühdeutschen, näherhin askanischen Landesorganisation. Älteren Überlegungen über frühere Wurzeln dieses Siedlungstyps und seine Relevanz für die mittelalterliche Urbanisierung erteilte Krüger eine Absage: »Die alte These vom slawischen Alter der Kietze […] kann vom archäologischen Material her nicht akzeptiert werden«, und »für die Entstehung der deutschen Stadt im 12. und 13. Jh. war der Kietz […] bedeutungslos« (Krüger 1962a, 135). Tatsächlich ist die Problematik bis heute nicht letztgültig geklärt. Da der Forscher jedoch die Beweiskraft seiner kleinen Sondagen und der bescheidenen Lesefundkomplexe überschätzte bzw. darauf sehr weitgehende Thesen aufbaute, konnten seine Forschungen die Diskussion um die slawenzeitlichen oder frühdeutschen Anfänge der Kietzsiedlungen bis heute nicht beenden. J a h r e s s c h r i f t f ü r m i t t e l d e u t s c h e Vo r g e s c h i c h t e / B a n d 9 9 / 2 o 23 45 46 ACHIM LEUBE UND FELIX BIER M ANN Sie erfuhren vielmehr wiederholt Kritik, insbesondere von landesgeschichtlicher Seite; beispielsweise sprach W. H. Fritze (2ooo, 41 Fn. 18o) von »Krügers verfehlter These von einer ausschließlich deutschen Wurzel der Kietzsiedlungen«. Immerhin besitzen wir mit dieser Doktorarbeit aber eine insgesamt solide Grundlage zur Benennung und Bewertung des Phänomens, die zudem eine methodisch fruchtbare und damals innovative Verknüpfung historischer und archäologischer Quellen darstellte. Der bedeutende Archäologe, dessen Leben fast ein Jahrhundert umfasste, hinterlässt uns ein beeindruckendes wissenschaftliches Werk, das mehr als 15o Aufsätze, Bücher, Gutachten und Rezensionen zählt. Noch 1999 und 2oo3 legte er Monografien über die Schlacht im Teutoburger Wald sowie über die germanische Geschichte, Kultur und Archäologie vor (Krüger 1999; Krüger 2oo3). Bruno Krüger verstarb am 7. November 2o22 im Alter von 96 Jahren in Tönning in Nordfriesland. Literaturverzeichnis Fritze 2ooo W. H. Fritze, Gründungsstadt Berlin. Die Anfänge von Berlin-Cölln als Forschungsproblem. Bearb., hrsg. u. durch einen Nachtrag ergänzt von W. Schich. Kl. Schriftenreihe Hist. Komm. Berlin 5 (Potsdam 2ooo). Krüger 196o B. Krüger, Zur Stadtkernforschung in Berlin-Cölln. Ausgr. u. Funde 5, 196o, 296–299. Krüger 1962 B. Krüger, Die Kietzsiedlungen im nördlichen Mitteleuropa. Beiträge der Archäologie zu ihrer Altersbestimmung und Wesensdeutung. Dt. Akad. Wiss. Berlin, Schr. Sekt. Vor- u. Frühgesch. 11 (Berlin 1962). Krüger 1962a B. Krüger, Ein Grabungsschnitt auf dem Fischmarkt in Berlin-Cölln. Ausgr. u. Funde 7, 1962, 137–142. Krüger 1966 B. Krüger, Frühslawische Grabfunde aus Sausedlitz, Kr. Delitzsch. Ausgr. u. Funde 11, 1966, 93–95. Krüger 1967 B. Krüger, Dessau-Mosigkau. Ein frühslawischer Siedlungsplatz im mittleren Elbegebiet. Dt. Akad. Wiss. Berlin, Schr. Sekt. Vor- u. Frühgesch. 22 (Berlin 1967). Krüger 1969 B. Krüger, Eine altslawische Siedlung von Schulzendorf, Kr. Königs Wusterhausen. Ausgr. u. Funde 14, 1969, 148–151. Krüger 1976 B. Krüger (Leiter des Autorenkollektivs), Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Ein Handbuch in zwei Bänden. I: Von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Veröff. Zentralinst. Alte Gesch. u. Arch. Akad. Wiss. DDR 4/1 (Berlin 1976). Krüger 1979 B. Krüger, Der Zusammenstoß der germanischen Gentilgesellschaft mit der römischen Sklavereigesellschaft und der Freiheitskampf der Germanen. Die Errichtung der Sklavereiordnung des Römischen Reiches an Rhein und Donau und der Beginn der Auflösung der Urgesellschaft bei den germanischen Stämmen (Ende des 1. Jahrhunderts v. u. Z. bis Ende des 2. Jahrhunderts u. Z.). In: J. Herrmann (Leiter des Autorenkollektivs), Deutsche Geschichte 1. Von den Anfängen bis zur Ausbildung des Feudalismus Mitte des 11. Jahrhunderts. Deutsche Geschichte in zwölf Bänden (Berlin 1979) 118–153. Krüger 1983 B. Krüger (Leiter des Autorenkollektivs), Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Ein Handbuch in zwei Bänden. II: Die Stämme und Stammesverbände in der Zeit vom 3. Jahrhundert bis zur Herausbildung der politischen Vorherrschaft der Franken. Veröff. Zentralinst. Alte Gesch. u. Arch. Akad. Wiss. DDR 4/2 (Berlin 1983). Krüger 1987 B. Krüger, Waltersdorf. Eine germanische Siedlung der Kaiser- und Völkerwanderungszeit im DahmeSpree-Gebiet. Schr. Ur- u. Frühgesch. 43 (Berlin 1987). Krüger 1999 B. Krüger, Die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 unserer Zeitrechnung. Beitr. Ur- u. Frühgesch. Mitteleuropa 18 (Langenweißbach 1999). Krüger 2oo3 B. Krüger, Die Germanen: Mythos, Geschichte, Kultur, Archäologie. Beitr. Ur- u. Frühgesch. Mitteleuropa 29 (Langenweißbach 2oo3). Leube 2o1o A. Leube, Prähistorie zwischen Kaiserreich und wiedervereinigtem Deutschland. 1oo Jahre Ur- und J a h r e s s c h r i f t f ü r m i t t e l d e u t s c h e Vo r g e s c h i c h t e / B a n d 9 9 / 2 o 23 Z U M G E D E N K E N A N P R O F . D R . P H I L . S C . B R U N O K R Ü G E R ( 1 9 . A P R I L 1 9 2 6 – 7. N O V E M B E R 2 O 2 2 ) Frühgeschichte an der Berliner Universität unter den Linden. Stud. Arch. Europa 1o (Bonn 2o1o). Uelsberg/Wemhoff 2o2o G. Uelsberg/M. Wemhoff (Hrsg.), Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme. Begleitbd. Aus- stellung Berlin 2o21–2o21, Bonn 2o21 (Darmstadt 2o2o). Wolfram 1999 H. Wolfram, Die Germanen 4 (München 1999). Open Access Dieser Artikel steht auch im Internet zur Verfügung: https://www.propylaeum.de/publizieren/propylaeumejournals/propylaeum-ejournals-a-z/. Die elektronische Langzeitarchivierung erfolgt durch die UB Heidelberg. Abbildungsnachweis Abb. S. 41 nach Leube 2o1o, 151 Abb. 67 Anschriften Prof. US Dr. hab. Felix Biermann Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Richard-Wagner-Str. 9 o6114 Halle (Saale) Deutschland fbiermann@lda.stk.sachsen-anhalt.de Prof. Dr. Achim Leube Fichtelbergstr. 3o 12685 Berlin Deutschland und Uniwersytet Szczeciński Instytut Historyczny ul. Krakowska 71–79 71- o17 Szczecin Polen J a h r e s s c h r i f t f ü r m i t t e l d e u t s c h e Vo r g e s c h i c h t e / B a n d 9 9 / 2 o 23 47