Norbert Andersch
Norbert Andersch is a neurologist and psychiatrist with a special interest in psychopathology, neuro-traumatology, biosemiotics, neurosemiotics and the concept of schizophrenia. He has practiced in both specialities as a clinician for more than three decades in Germany and England, holding a Consultant post with South London & Maudsley NHS Foundation Trust (King’s Health Partners) until his retirement in 2016. He has been studying the impact of symbol-formation on the make-up of consciousness and Ernst Cassirer's symbol theory in connection to mental illness at the Warburg Library (University of London) and the Mayer-Gross Library (Institute of Psychiatry/London). He is Member of the Royal College of Psychiatrists and its Philosophy Special Interest Group. At present he is lecturer in psychopathology at the Sigmund Freud PrivatUniversität (SFU -Berlin/Vienna/Paris)
Website: www.Neurosemiotics.com
E-mail: norbert.andersch@yahoo.de
Website: www.Neurosemiotics.com
E-mail: norbert.andersch@yahoo.de
less
InterestsView All (74)
Uploads
Vor fast 100 Jahren positionierte sich die deutsch-amerikanische Philosophin Susanne K. Langer - auch für heutige Verhältnisse - sehr forsch und selbstbewusst in der Domäne männlicher Bewusstseinsforschung. In diesem Beitrag möchte ich sie und ihre bislang noch wenig bekannte Bewusstseinstheorie vorstellen. Insbesondere ihr dreibändiges Hauptwerk “Mind: An Essay on Human Feeling” (1967, 1972, 1982), das bis heute aus dem amerikanischen Original leider nicht ins Deutsche oder andere Sprachen übersetzt ist. Was Susanne Langer auszeichnet, ist ihre gedankliche Nähe zu vielen Gestalttheoretikern, sowie die überragende Bedeutung, die sie der Symbolisierung in der menschlichen Bewusstseinsbildung zuschreibt. Dabei liegt ihr Focus auf den frühen, vorsprachlichen Gestaltungsebenen von Symbolen als lebendigen Spannungsträgern. Langer postuliert, dass Formsuche, Gestaltbildung und alle Entwicklungsschritte der Symbolisierung immer ein komplementäres Moment ausdrücken; eine Polarität, einen Dualismus: “eine Verbindung von Form, Ereignis und Sein von geradezu dialektischem Charakter” (Schultz, 2000, 53).
Ich möchte die Bedeutung ihrer Überlegungen für das Verständnis psychischer Störungen aufzeigen und auf eine anhaltende, durch sie aber neuerlich aktualisierte Diskussion verweisen, die versucht, das komplexe Verhältnis von Bildproduktion, Gestalt und Symbol zu erhellen und auf sicherere Grundlagen zu stellen.
Keywords: SK Langer, Gestalt, Symbolization, Feeling. Die verborgene Macht der Symbole "(Das) Grundbedürfnis", so SK Langer (1965/1942, 49), "das ohne Zweifel nur beim Menschen in Erscheinung tritt, ist das Bedürfnis des Symbolisierens. Die Bildung von Symbolen ist eine ebenso ursprüngliche Tätigkeit des Menschen wie Essen, Schauen oder Sichbewegen. Sie ist der fundamentale, niemals stillstehende Prozess des Geistes. Zuweilen sind wir seiner gewahr, zuweilen sehen wir nur die Resultate und merken dann, dass Erfahrungen unser Gehirn durchlaufen haben und dort verarbeitet worden sind." Als epigenetische Regeln werden jene interaktiven, mentalen und biologischen Fortschritte bezeichnet, die alleine dem Menschen das Potential darstellender Bildhaftigkeit wie auch der Sprache ermöglichen; die ihn-anders als den Rest der Tierwelt-unwiderruflich zum "animal symbolicum" machen, wie es der Philosoph Ernst Cassirer ausdrückte. Ich beziehe mich in diesem Beitrag vor allem auf bildbasierte Symbolvorgänge, die in der menschlichen Frühzeit, im Traum und in der Imagination, später in der Malerei, aber auch in Skulptur, Musik und Tanz-oft schon vor der elaborierten Sprachentwicklung und parallel zu ihr-eine exzeptionelle Rolle spielen. Sie transportieren transkulturell universale Beziehungssetzungen, Zeitabläufe, Perspektive und Zukunftsorientiertheit, die den Blick auf die individuell einzigartige Verfasstheit menschlicher Welterzeugung öffnen. Die entscheidend revolutionären Veränderungen dieser, historisch schwer zu fassenden, Übergangsperiode vom Tier zum Menschen mögen sich-extrem langsam-über hunderttausende von Jahren vollzogen haben. Beginnend mit einem Vorbewusstsein, einem noch triebgesteuert, frühen Herausspringen (und wieder Verblassen) von Formereignissen, noch unkoordiniert, noch ungeordnete Akzentuierungen, doch schon nahe an der Grenze zwischen "natürlichem" Ausdruckserleben und ersten Formen geistiger Gestaltung. (Schwemmer, 1997, 77) "Das Auftreten von Symbolen in der menschlichen Stammesgeschichte"-so Brady Wagoner (2008, 469)-"hat unwiderbringbar die Kette zerbrochen, die
Die Klassifikationssysteme ICD und DSM sind außerstande, die Komplexität menschlicher Interaktion zu erfassen. Sie sind „blind“ in Bezug auf menschliche Bedeutungsgebung, Intentionalität und Gruppenresonanz, den ständigen Wech- sel von Sinnebenen und Verhaltensmustern. Der Aufschwung bio-, neuro- und psychosemiotischer Forschung der letzten Jahre ist am psychiatrischen Diskurs bisher vorbeigegangen.
Diese Forschungen betonen, dass alle Lebensprozesse – jenseits ihrer chemi- schen Struktur und physikalischen Existenz – von Zeichen- und Signalprozessen geleitet und bestimmt sind. Diskutiert werden derzeit vorrangig Konzepte, wie die Biologie des menschlichen Gehirns über Musterbildung, Gesetze komple- mentärer Komplexität, Gestalt- oder Symbolvorgänge mit der Außenwelt vernetzt ist. Wie eine seit Mitte des 19. Jahrhunderts aktive und reichhaltige Symbolforschung seit den 1930er Jah- ren komplett aus dem psychiatrischen Diskurs verschwinden konnte, bleibt rätselhaft. Sie kann einen wichtigen Beitrag zur Reformulierung einer in die Sackgasse geratenen theoretischen Psy- chopathologie leisten.
As a republican, democrat and being married to a Jewish wife he was arrested immediately after the "Anschluss" of Austria to the German "Reich". He was released from the concentration camp six weeks later only due to the frantic efforts of his wife and with help from Norwegian diplo- mats. In 1939 he fled to the US where his previously successful career comes to a sudden halt. This paper looks at Bühler's merits as a researcher and thinker trying to find a narrative which may help connect his very dif- ferent performances in Europe and in exile in the US.
Keywords: Karl Bühler, Language Theory, Organon-Model, Representa- tional Function of Language, Symbolisation.
Zusammenfassung: Karl Bühler (1879–1963) verfasste innerhalb weniger Jahre wegweisende Studien auf den Gebieten der Denk- und Willens-, der Gestalt-, Kinder- und Tiefenpsychologie. Seine Forschungen zur Systema- tisierung der Sprach- und Ausdrucksphänomene machte ihn bis zum Ende der 1920er-Jahre zu „dem“ europaweit renommiertesten Spezialisten in Psychologie und Sprachforschung. Seine Publikationen (u. a. Die Krise der Psychologie, 1927 und seine Sprachtheorie, 1934) erregten international Aufsehen und übten einen erheblichen Einfluss auf die Theoriebildung von Philosophen, Gestaltpsychologen und Verhaltensforschern aus.
Die Leitung der Deutschen Psychologischen Gesellschaft legte er – selbst verheiratet mit einer Jüdin – aus Protest gegen die Diskriminierung jüdischer Mitglieder 1933 nieder. 1938 wurde er sofort nach dem „An- schluss“ Österreichs von der Gestapo interniert und nach sechs Wochen Haft und Zwangspensionierung ins Exil gezwungen. Über Norwegen er- reichte er 1939 die USA, wo seine vorher glänzende Karriere in erstaunli- cher Weise abbricht. Der Beitrag nimmt neben Karl Bühlers Verdiensten, seinen weiterhin virulenten wissenschaftlichen Anregungen und seinem Vermächtnis auch die Exilsituation und seine Arbeit in Amerika in den Fo- kus.
Schlüsselwörter: Karl Bühler, Sprachtheorie, Organon-Modell, Modell selbstregulierender Systeme, Symbolfeld der Sprache.
Vor fast 100 Jahren positionierte sich die deutsch-amerikanische Philosophin Susanne K. Langer - auch für heutige Verhältnisse - sehr forsch und selbstbewusst in der Domäne männlicher Bewusstseinsforschung. In diesem Beitrag möchte ich sie und ihre bislang noch wenig bekannte Bewusstseinstheorie vorstellen. Insbesondere ihr dreibändiges Hauptwerk “Mind: An Essay on Human Feeling” (1967, 1972, 1982), das bis heute aus dem amerikanischen Original leider nicht ins Deutsche oder andere Sprachen übersetzt ist. Was Susanne Langer auszeichnet, ist ihre gedankliche Nähe zu vielen Gestalttheoretikern, sowie die überragende Bedeutung, die sie der Symbolisierung in der menschlichen Bewusstseinsbildung zuschreibt. Dabei liegt ihr Focus auf den frühen, vorsprachlichen Gestaltungsebenen von Symbolen als lebendigen Spannungsträgern. Langer postuliert, dass Formsuche, Gestaltbildung und alle Entwicklungsschritte der Symbolisierung immer ein komplementäres Moment ausdrücken; eine Polarität, einen Dualismus: “eine Verbindung von Form, Ereignis und Sein von geradezu dialektischem Charakter” (Schultz, 2000, 53).
Ich möchte die Bedeutung ihrer Überlegungen für das Verständnis psychischer Störungen aufzeigen und auf eine anhaltende, durch sie aber neuerlich aktualisierte Diskussion verweisen, die versucht, das komplexe Verhältnis von Bildproduktion, Gestalt und Symbol zu erhellen und auf sicherere Grundlagen zu stellen.
Keywords: SK Langer, Gestalt, Symbolization, Feeling. Die verborgene Macht der Symbole "(Das) Grundbedürfnis", so SK Langer (1965/1942, 49), "das ohne Zweifel nur beim Menschen in Erscheinung tritt, ist das Bedürfnis des Symbolisierens. Die Bildung von Symbolen ist eine ebenso ursprüngliche Tätigkeit des Menschen wie Essen, Schauen oder Sichbewegen. Sie ist der fundamentale, niemals stillstehende Prozess des Geistes. Zuweilen sind wir seiner gewahr, zuweilen sehen wir nur die Resultate und merken dann, dass Erfahrungen unser Gehirn durchlaufen haben und dort verarbeitet worden sind." Als epigenetische Regeln werden jene interaktiven, mentalen und biologischen Fortschritte bezeichnet, die alleine dem Menschen das Potential darstellender Bildhaftigkeit wie auch der Sprache ermöglichen; die ihn-anders als den Rest der Tierwelt-unwiderruflich zum "animal symbolicum" machen, wie es der Philosoph Ernst Cassirer ausdrückte. Ich beziehe mich in diesem Beitrag vor allem auf bildbasierte Symbolvorgänge, die in der menschlichen Frühzeit, im Traum und in der Imagination, später in der Malerei, aber auch in Skulptur, Musik und Tanz-oft schon vor der elaborierten Sprachentwicklung und parallel zu ihr-eine exzeptionelle Rolle spielen. Sie transportieren transkulturell universale Beziehungssetzungen, Zeitabläufe, Perspektive und Zukunftsorientiertheit, die den Blick auf die individuell einzigartige Verfasstheit menschlicher Welterzeugung öffnen. Die entscheidend revolutionären Veränderungen dieser, historisch schwer zu fassenden, Übergangsperiode vom Tier zum Menschen mögen sich-extrem langsam-über hunderttausende von Jahren vollzogen haben. Beginnend mit einem Vorbewusstsein, einem noch triebgesteuert, frühen Herausspringen (und wieder Verblassen) von Formereignissen, noch unkoordiniert, noch ungeordnete Akzentuierungen, doch schon nahe an der Grenze zwischen "natürlichem" Ausdruckserleben und ersten Formen geistiger Gestaltung. (Schwemmer, 1997, 77) "Das Auftreten von Symbolen in der menschlichen Stammesgeschichte"-so Brady Wagoner (2008, 469)-"hat unwiderbringbar die Kette zerbrochen, die
Die Klassifikationssysteme ICD und DSM sind außerstande, die Komplexität menschlicher Interaktion zu erfassen. Sie sind „blind“ in Bezug auf menschliche Bedeutungsgebung, Intentionalität und Gruppenresonanz, den ständigen Wech- sel von Sinnebenen und Verhaltensmustern. Der Aufschwung bio-, neuro- und psychosemiotischer Forschung der letzten Jahre ist am psychiatrischen Diskurs bisher vorbeigegangen.
Diese Forschungen betonen, dass alle Lebensprozesse – jenseits ihrer chemi- schen Struktur und physikalischen Existenz – von Zeichen- und Signalprozessen geleitet und bestimmt sind. Diskutiert werden derzeit vorrangig Konzepte, wie die Biologie des menschlichen Gehirns über Musterbildung, Gesetze komple- mentärer Komplexität, Gestalt- oder Symbolvorgänge mit der Außenwelt vernetzt ist. Wie eine seit Mitte des 19. Jahrhunderts aktive und reichhaltige Symbolforschung seit den 1930er Jah- ren komplett aus dem psychiatrischen Diskurs verschwinden konnte, bleibt rätselhaft. Sie kann einen wichtigen Beitrag zur Reformulierung einer in die Sackgasse geratenen theoretischen Psy- chopathologie leisten.
As a republican, democrat and being married to a Jewish wife he was arrested immediately after the "Anschluss" of Austria to the German "Reich". He was released from the concentration camp six weeks later only due to the frantic efforts of his wife and with help from Norwegian diplo- mats. In 1939 he fled to the US where his previously successful career comes to a sudden halt. This paper looks at Bühler's merits as a researcher and thinker trying to find a narrative which may help connect his very dif- ferent performances in Europe and in exile in the US.
Keywords: Karl Bühler, Language Theory, Organon-Model, Representa- tional Function of Language, Symbolisation.
Zusammenfassung: Karl Bühler (1879–1963) verfasste innerhalb weniger Jahre wegweisende Studien auf den Gebieten der Denk- und Willens-, der Gestalt-, Kinder- und Tiefenpsychologie. Seine Forschungen zur Systema- tisierung der Sprach- und Ausdrucksphänomene machte ihn bis zum Ende der 1920er-Jahre zu „dem“ europaweit renommiertesten Spezialisten in Psychologie und Sprachforschung. Seine Publikationen (u. a. Die Krise der Psychologie, 1927 und seine Sprachtheorie, 1934) erregten international Aufsehen und übten einen erheblichen Einfluss auf die Theoriebildung von Philosophen, Gestaltpsychologen und Verhaltensforschern aus.
Die Leitung der Deutschen Psychologischen Gesellschaft legte er – selbst verheiratet mit einer Jüdin – aus Protest gegen die Diskriminierung jüdischer Mitglieder 1933 nieder. 1938 wurde er sofort nach dem „An- schluss“ Österreichs von der Gestapo interniert und nach sechs Wochen Haft und Zwangspensionierung ins Exil gezwungen. Über Norwegen er- reichte er 1939 die USA, wo seine vorher glänzende Karriere in erstaunli- cher Weise abbricht. Der Beitrag nimmt neben Karl Bühlers Verdiensten, seinen weiterhin virulenten wissenschaftlichen Anregungen und seinem Vermächtnis auch die Exilsituation und seine Arbeit in Amerika in den Fo- kus.
Schlüsselwörter: Karl Bühler, Sprachtheorie, Organon-Modell, Modell selbstregulierender Systeme, Symbolfeld der Sprache.
Eine solche grundsätzliche Sicht auf die symbolische Ausrichtung der menschliche Welt sollte auch für das Denken über psychische Erkrankungen nutzbar gemacht werden; darum geht es in diesem Buch.
April 18.-20., 2018
The massive surge of scientific efforts in biosemiotics, neurosemiotics and psychosemiotics has past by most of the psychiatric establishment and its research units. Semiotic research claims that all life - beyond its physical and chemical remits - is guided and determined by sign and signal-processes. Semiotic research had one historical stronghold in the Soviet-Union and Russia, in the Baltic States and Scandinavia and has gained momentum in recent years through cooperation with biology, philosophy, linguistics and anthropology. It is now presenting concepts how the human biological brain may be linked to the outside world by re-framing the problem via pattern-building, laws of complementarity, gestalt and symbol-processes.
Schriftenreihe der DGGN 24 (2018)
N. Andersch

Keywords: Alfred Lorenzer, Sigmund Freud, Ernst Cassirer, Psychopa- thology, Symbol Theory
Zusammenfassung: In den frühen 60er Jahren des letzten Jahrhunderts re- belliert nur eine kleine Minderheit engagierter Ärzte gegen die verordnete Friedhofsruhe im psychiatrischen und psychopathologischen Diskurs: ge- gen die Dogmen Jaspers’scher Phänomenologie und Freud’scher Sym- bolexegese, gegen die Verleugnung psychiatrischer Untaten im Faschis- mus und gegen einen Mainstream, der das behandelbare „Individuum“ komplett aus gesellschaftlichen Zusammenhängen isoliert. Neben Erich Wulff, Hanscarl Leuner und Alexander Mitscherlich zählt dazu Ende der 50er Jahre auch Alfred Lorenzer. Promoviert bei Ernst Kretschmer 1954 und psychiatrischer Oberarzt seiner Klinik, wendet sich Lorenzer der Psychoanalyse zu, weil „die Psychiatrie so gänzlich ratlos den grossen Traumen jener Zeit gegenüberstand“, wie er später sagt. Lorenzer wech- selt zu Alexander Mitscherlichs psychosomatischer Klinik nach Heidel- berg und folgt diesem 1963 ans Sigmund-Freud-Institut nach Frankfurt. Weitab von seiner früheren Kliniktätigkeit, aber nahe am Puls einer auf- kommenden Studentenrevolte, veröffentlicht er zwei, seinerzeit vielgele- sene Bücher: „Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs“ und „Sprachzerstörung und Rekonstruktion“. Lorenzer sucht damit, wie sei- nerzeit Wilhelm Reich, einen Brückenschlag zwischen Marxismus und Psychoanalyse. In der Debatte um die Binnenstruktur von Psychosen wandert er auf dem schmalen Grat zwischen den scheinbar konträren Symboltheorien von Ernst Cassirer und Sigmund Freud. Erst retrospektiv entpuppt sich Lorenzers Theorie entwicklungsgeleiteter, symbolischer In- teraktionsformen als reale Möglichkeit, einem mittlerweile erstarrten Psy- chopathologiediskurs zu entkommen. Seinerzeit im soziologischen und psychoanalytischen Kontext viel beachtet, ignorierte die klinische Psychi- atrie Lorenzers Überlegungen vollständig. Mit dem zunehmenden Ge- wicht semiotisch-symbolischer Erklärungsmuster für psychotische Stö- rungen gewinnen sie heute eine neue Aktualität, auf deren Potential der Beitrag hinweisen möchte.
For reference and citations please refer to the official publication. Thanks to Massimiliano Aragona, chief editor of Crossing Dialogues for permission to pre-print this article.
of origin. In 1934 Goldstein’s most famous book Der Aufbau des Organismus [The Organism] was published in the Netherlands (in German). It was translated and reedited in different languages and countries, but it was not until 2014 that a very first edition was published in his German homeland alongside his far-reaching theories. Goldstein’s close connection to his philosopher cousin Ernst Cassirer and his activities in the Berlin School of Gestalt Theory position him as an early pioneer in bio- and neurosemiotics. However, ongoing efforts to reshape the philosophical underpinnings of Goldstein’s oeuvre towards a Husserlian phenomenological
psychopathology undermine the most progressive aspects of his legacy.
Keywords: Kurt Goldstein, holism, psychopathology, Ernst Cassirer, Edmund Husserl
Zusammenfassung: „Deutschland weiß weniger über Kurt Goldstein und sein Vermächtnis, als es sollte“. So urteilt die renommierte amerikanische Medizinhistorikerin Anne Harrington ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des weltberühmten, aber bis vor kurzem in Deutschland ignorierten Neurologen. 80 Jahre nach der Publikation seines wichtigsten Buches „Der Aufbau des Organismus“ im holländischen Exil erschien 2014 erstmals eine deutsche (Neu)Ausgabe. Gleichzeitig hat eine Debatte um
Goldsteins philosophische und theoretische Zuordnung begonnen, die perspektivisch von Bedeutung ist. Goldsteins intensive Verbindung zu Gestalt- und Symboltheorie macht ihn nämlich zu einem echten Vorläufer von Bio- und Neurosemiotik; eine wegweisende Orientierung aus der
Sackgasse rein deskriptiver Psychopathologie. Der Versuch, seine Forschungsergebnisse als phänomenologische Psychopathologie Husserlscher Prägung zu vereinnahmen ignoriert aber gerade seine weitsichtigste Perspektive.
Schlüsselwörter: Kurt Goldstein, Ganzheitstheorie, Psychopathologie, Ernst Cassirer, Edmund Husserl
following the turn of the millennium and facing growing criticism the WHO and DSM Working Groups have realized "that there is a need to resolve or at least to face some fundamental questions…(on the) treatment or on a particular hypothesis about mental functioning" (Sartorius 2002:74/75). Fifteen years on, in the June 2018 Editorial of "World Psychiatry", its Editor Mario May concludes: "It is becoming increasingly evident that the usefulness of diagnostic categories in psychiatry has been overemphasized. These categories have been initially charged with implications in terms of pointing to a specific treatment and prospectively a specific etiology and/or pathogenesis […]The fact is, however, that these implications are less significant than originally believed and still assumed by most treatment guidelines. Up to now the first step (diagnosis) has received a lot of attention, […] whereas the second step (further characterization of the individual case) has been largely ignored […]. In addition […] to a given diagnosis […] we should start to promote the construction and validation of tools guiding the clinician systematically in the characterization of the individual case,…".
Having worked as neurologist and clinical psychiatrist for several decades my view is that a semiotic /symbolic approach to psychopathology could well turn out to be one of these tools.