25%
der ambulanten männlichen
Patienten konsultieren den Allgemeinarzt wegen Prostatitis, 5 bis
9% der Patienten von Fachärzten
für Urologie
erscheinen dort aus diesem Grund. Nach der Zahl der ambulanten Behandlungsfälle bei
einem Urologen steht Prostatitis sogar an erster Stelle vor den
beiden anderen führenden Prostataerkrankungen,
der gutartigen Prostatahyperplasie (BHP, benign prostatic hyperplasia)
und dem Prostatakarzinom. Es wird von einigen Urologen geschätzt, dass
35-50% aller Männer
mindestens einmal in ihrem Leben von dieser Krankheit betroffen
werden. In den USA treten etwa 2 Millionen Prostatitisfälle pro
Jahr auf (J. Curtis Nickel: Prostatitis: The last frontier. World
J. Surg. 24, 1197-1199, (2000); S. Lenk: Diagnostik der chronischen
Prostatitis. Urologe (A) 40, 9-11, (2001). Mc Nauphton Collins et
al.: How common is prostatitis? A national survey of physician visits.
Jnl. Urol. 159, 1224-1228 (1998)).
Im
Gegensatz zu BHP, an der vorwiegend ältere Männer leiden, tritt die Prostatitis
in allen Altersklassen auf. Ursache und Pathogenese ihrer verschiedenen
Formen sind mit Ausnahme der relativ selten auftretenden akuten
(Typ I) oder chronischen (Typ II) bakteriellen Prostatitis noch
nicht genau bekannt. Das größte Problem
stellt die chronische abakterielle Prostatitis (Typ III) dar (chronic
pelvic pain syndrome). Sie kann entzündlich bedingt (III a) oder
nichtentzündlich
(III b) sein. Die asymptomatische Prostatitis (Typ IV), die als
Zufallsbefund entdeckt werden kann, spielt wegen ihrer Symtomfreiheit
therapeutisch keine Rolle. (S. Lenk (2001), s. o.)
Während für die Prostatitiden
Typ I und II befriedigende Behandlungsstrategien vorliegen, gibt
es für die
Prostatitis III in ihren beiden Formen kein zufrieden stellendes
Behandlungsmanagement (J. Curtis Nickel (2000), s. o.)
Das
Muster der verschiedenen Symptome bei Prostatitis wird als Prostatitissyndrom
bezeichnet. Patienten mit chronisch verlaufenden Prostatitisformen
erleiden eine erhebliche Minderung der Lebensqualität. Zu den
häufigsten
Beschwerden gehören
Schmerzen und Missempfindungen im Genital- und Anorektalbereich, Störungen von
Libido, Erektion und Ejakulation, Miktionsstörungen, myalgiforme Beschwerden.
Die Beschwerden können
so erheblich sein, dass sie selbst zu Suizidalität führen können (S. Lenk (2001), s. o.).
Die
bekannten Therapien des Prostatitissyndroms sind gegen Entzündungen,
anatomische Veränderungen
(Vergrößerung),
symptomatisch z.B. gegen Schmerzen gerichtet, oder haben zum Ziel,
die Durchblutung der Prostata und die Entleerung der Blase zu verbessern.
Die bei der Therapie der Prostatitis eingesetzten Präparate gehören zur
Klasse der Antibiotika, der alpha-Rezeptorenblocker, zu Muskelrelaxantien,
Antiphlogistika oder Phytotherapeutika. Auch Analgetika und Anticholinergika
werden verwendet. Schließlich
kommen auch psychosomatische oder physikalische Therapien, letztendlich
auch chirurgische Verfahren zum Einsatz (Wagenlehner und Naber:
Therapie des Prostatasyndroms. Urologe (A) 40: 24-28 (2001)). In
vielen Fällen liefert
diese Therapie jedoch keine zufrieden stellenden Ergebnisse, die
Rate der erfolgreichen Behandlungen der beiden am häufigsten
auftretenden Formen (Typen III a und b) bleibt gering (Special Report
on Prostatitis Initiatives and Future Research. Rev. Urol. 2(3):
158-166 (2000)).
Aufgabe
der vorliegenden Erfindung ist es, ein Verfahren zur wirksamen Behandlung
und Differentialdiagnose der Prostatitiden bereitzustellen. Dazu
soll eine Substanzklasse eingesetzt werden, die nach bisherigem
Stand der Technik nicht in Erwägung
gezogen wurde, und deren Wirkmechanismus für die Behandlung der Prostatitiden
neuartig ist.
Zur
Lösung
dieser Aufgabe schlägt
die Erfindung in erster Linie ein Verfahren mit den im Anspruch
1 genannten Merkmalen vor. Weiterbildungen des Verfahrens sowie
pharmakologische Zusammensetzungen sind Gegenstand der übrigen abhängigen und
unabhängigen
Ansprüche
2 bis 23, deren Wortlaut durch Bezugnahme zum Inhalt der Beschreibung
gemacht wird.
Das
oben genannte Ziel wird gemäß der Erfindung
durch einen Behandlungsansatz erreicht, bei dem mukolytisch wirkende
Substanzen angewendet werden. Unter mukolytisch wirkenden Substanzen,
kurz Mukolytika, werden hier und im Folgenden solche Wirkstoffe
verstanden, welche die physikalisch-chemischen Eigenschaften des
Sekrets der Prostata verändern,
ihre Entfernung aus der Prostata erleichtern bzw. beschleunigen
oder die Sekretbildung beeinflussen können.
Die
Prostata ist eine zusammengesetzte Drüse, die ihr Sekret bei der
Ejakulation in die Harnröhre
abgibt und dem Samen beimischt. Histologisch finden sich im Lumen
der Prostatadrüsen
eingedickte, geschichtete Sekretmassen (Prostatasteine, Concretio
prostatica).
Die
hier vorgeschlagene Behandlung hat zum Ziel, die Viskosität des Prostatasekrets
zu verringern. Dadurch kann der Abfluss dieses Sekrets verbessert
werden. Außerdem
soll erreicht werden, dass sich Prostatasteine nicht bilden bzw.
möglichst
auflösen.
Beides wirkt sich in verschiedener Hinsicht günstig aus. Erstens nehmen die
Spannung und der damit verbundene Spannungsschmerz ab. Zweitens
schwillt die Prostata ab, wodurch drittens ihre Durchblutung erhöht wird,
was viertens die Entleerung der Blase erleichtert. Die verbesserte
Durchblutung führt
fünftens
zu einem verbesserten Zugang von Antibiotika zu entzündetem Gewebe.
Erfindungsgemäß können alle
mukolytisch wirkende Substanzen sowie Kombinationen davon für die Behandlung
der Prostatitis eingesetzt werden. Von vielen Thiolen, zu denen
auch Cystein zählt,
ist beispielsweise bekannt, dass sie mukolytische Eigenschaften
aufweisen. Besonders gut geeignet sind gemäß der Erfindung solche Cystein-Derivate,
die neben der mukolytischen auch entzündungshemmende Eigenschaften aufweisen.
Zu solchen gehört
in erster Linie Acetylcystein (N-acetyl-L-cystein, ACC). Diese Substanz
wird beim Menschen zur schleimlösenden
Therapie bei akuten und chronischen Erkrankungen der Bronchien angewendet.
Acetylcystein entfaltet seine mukolytische Wirkung auch auf Sekretansammlugen
in den Nebenhöhlen
und im Mittelohr. Die antiphlogistische Wirkung von ACC stellt einen
weiteren Vorteil für
die Anwendung dieser Substanz in der Urologie dar.
Der
Wirkungsmechanismus von Acetylcystein basiert auf einer Reduktion
der Disulfidbindungen zwischen Glykoproteinen durch seine freien
Sulfhydrilgruppen. Dadurch werden Glykoproteine depolymerisiert, und
die Viskosität
des Schleims z.B. im Sputum herabgesetzt. Aufgrund seiner antioxidativen
Eigenschaften wirkt Acetylcystein darüber hinaus lokal entzündungshemmend
(D. C. Plumb: Veterinary Drug Handbook. Pharma Vet Publishing, White
Bear Lake, USA (1999)).
Zu
weiteren Vorteilen von Acetylcystein, die seinen Einsatz bei der
Behandlung von Prostatitis begünstigen,
zählen
geringe Nebenwirkungen, was durch eine jahrelange Verwendung auf
anderen Indikationsgebieten vielfach bestätigt wurde.
Anstelle
von ACC können
auch Salze dieses Wirkstoffs, wie beispielsweise N-acetylcystein-L-lysinat, oder seine
Thioester, von denen einige mukolytisch und entzündungshemmend wirken (s. z.B.
EP0052910 ), oder seine weiteren
Derivate zur Anwendung gelangen. Auch andere Thiole, wie Mercaptoethansulfonsäure, Tiopronin
oder Methylcystein oder ihre Derivate können erfindungsgemäß eingesetzt
werden.
Ein
weiterer Mechanismus zur Verringerung der Sekretviskosität in der
Prostata kann erfindungsgemäß auf einer
Förderung
der Bildung von niederviskösem
Schleim basieren. Ein Beispiel für
eine Substanz mit derartigem Wirkmechanismus ist Carbocistein (S(Carboxymethyl)-L-Cystein),
der keine Thiolgruppe besitzt und somit nicht direkt mit den Schleimmolekülen reagieren
kann. Es wird angenommen, dass diese Substanz intrazellulär in die
Schleimsynthese eingreift und dabei die Bildung von niederviskösem Schleim
fördert. Gleichzeitig
wird die Synthese von hochviskösem
Schleim unterdrückt.
Auch Derivate dieser Substanz können verwendet
werden. Von einigen dieser Derivate ist bekannt, dass sie neben
mukolytischen auch schmerzlindernde, entzündungshemmende und fiebersenkende
Eigenschaften aufweisen (s. z.B.
US4559360 ),
die für die
Behandlung der Prostatitis von Vorteil wären.
In
einer alternativen Ausführung
werden Mukolytika enthaltende Zusammensetzungen in Kombination mit
Antibiotika eingesetzt. Diese können
in einem Präparat
oder aber getrennt dem Patienten verabreicht werden. Dabei ist zu
berücksichtigen,
dass einige Antibiotika wegen möglicher
Wechselwirkungen mit ACC getrennt und zeitverschoben verabreicht
werden sollen. Zu den Antibiotika, die keine Wechselwirkungen mit
ACC aufweisen und somit gleichzeitig mit ACC verabreicht werden
dürfen,
gehören
beispielsweise Amoxicillin, Erythromycin und Thiamphenicol.
Die
Mukolytika enthaltenden Präparate
können
ferner mindestens einen pharmakologisch unbedenklichen Träger- und/oder
Hilfsstoff umfassen.
Die
Verabreichung von Mukolytika erfolgt bevorzugt oral in einer therapeutisch
wirksamen Dosis und geeigneten Formulierung. Zur oralen Applikation
eignet sich insbesondere ACC, das in Form von Kapseln, Brause- oder
Lutschtabletten oder Säften
bereits in anderen Indikationsgebieten erfolgreich eingesetzt wird. Andere
Verabreichungsformen sind aber auch denkbar.
Nach
dem bislang gängigen
Behandlungsschema werden bei Prostatabeschwerden zunächst unterschiedliche
Laborparameter zur Erkennung eines möglichen Prostatakarzinoms bestimmt.
Einer der wichtigsten Parameter ist die Konzentration des so genannten
prostataspezifischen Antigens (PSA). Ein erhöhter Wert muss aber nicht immer
das Vorliegen eines Prostatakarzinoms bedeuten, da auch eine Entzündung der
Prostata sowie deren Vergrößerung zu
erhöhten
PSA-Werten führen
können
(H.-J. Luboldt und H. Rübben:
PSA – Früherkennung
des Prostatakarzinoms. Urologe (A) 39: 22-26 (2000)). Deshalb wird üblicherweise,
vor allem wenn es gelingt, Entzündungserreger
nachzuweisen, zunächst
eine Therapie mit Antibiotika versucht. Sinken die PSA-Werte daraufhin
ab, so spricht dies dafür,
dass eine Entzündung
Ursache des Anstiegs war, also kein Prostatakarzinom vorliegt. Häufig lässt sich
der PSA-Wert aber durch Antibiotika nicht oder nicht erheblich beeinflussen.
Dann ist bisher der nächste
notwendige diagnostische Schritt die (Mehrfach) – Stanzbiopsie. Im entnommenen
Gewebe lässt
sich bösartiges
Gewebe erkennen und damit die Diagnose spezifizieren. Trotz konstant
hoher PSA Werte lässt
sich aber häufig
kein Prostatakarzinom histologisch verifizieren, eine Krebstherapie z.B.
durch Operation, ist dann nicht angezeigt. Diese therapieresistenten
Fälle stellen
ein häufiges Problem
in der urologischen Praxis dar.
Unter
Berücksichtigung
des geschilderten Sachverhalts werden folgende neue Behandlungsansätze vorgeschlagen:
- 1) In der ersten Ausführungsform wird bei erhöhten PSA-Werten
zunächst
wie bisher mittels Antibiotika versucht, eine mögliche bakterielle Entzündung zum
Abklingen zu bringen. Bleiben Beschwerden und PSA-Wert hoch, so
wird zunächst
nicht wie bisher eine Stanzbiopsie durchgeführt, um karzinomatöses Geschehen
zu verifizieren oder auszuschließen. Vielmehr werden Mukolytika,
die sehr schnell wirken (1-2 Tage), angewendet. Normalisiert sich
der PSA-Wert und
klingen die Beschwerden ab, so war die Behandlung erfolgreich, eine
Stanzbiopsie erübrigt
sich. In diesem Fall verhelfen die Mukolytika vor allem durch Rückstau bedingte
schmerzhafte und entzündliche
Prozesse günstig
zu beeinflussen oder sogar zu beheben. Bleiben Beschwerden und der
PSA-Wert trotz der Applikation von Antibiotika und Mukolytika hoch,
so muss erst jetzt mittels Stanzbiopsie geklärt werden, ob möglicherweise
ein Prostatakarzinom vorliegt.
- 2) In der zweiten Ausführung
werden die Mukolytika gleichzeitig bzw. in geeigneter Weise zeitverschoben mit
Antibiotika verabreicht. Der Vorteil dieser Variante besteht darin,
dass durch die schleimlösende
Wirkung der Mukolytika die Gewebespannung der Prostata abnimmt und
deshalb ihre Durchblutung erhöht wird,
was die Entleerung der Blase verbessert. Wegen der verbesserten
Durchblutung können
Antibiotika besser an das entzündete
Gewebe gelangen.
- 3) In der dritten Ausführung
wird bei prostatischen Beschwerden zunächst grundsätzlich das mukolytische Präparat angewendet,
d.h. auch für
den Fall, dass der PSA-Wert nicht erhöht ist, oder er womöglich noch nicht
bestimmt wurde. Wegen der schnellen Wirkung der Mukolytika wird
dadurch innerhalb weniger Tage eine Differenzialdiagnose ermöglicht.
Im günstigen
Fall kommt es nach der Medikation zum Abklingen der Beschwerden.
Bei anhaltenden Beschwerden müssen
erst dann im nächsten
Schritt Antibiotika eingesetzt werden. Wegen geringer Nebenwirkungen
auch im Vergleich zu Antibiotika kann dieses Behandlungsschema gegebenenfalls
bevorzugt werden.
- 4) Bei den Patienten, bei denen die Mukolytika Behandlung sich
günstig
auswirkt, kann es bei beginnenden erneuten Beschwerden, oder auch
grundsätzlich
zur Prophylaxe vorteilhaft sein, in regelmäßigen sinnvollen Zeitabständen (z.B.
2-4 Mal im Monat) Mukolytika einzunehmen.
Der
hier vorgeschlagene Einsatz von Mukolytika beinhaltet somit die
Möglichkeit
einer schonenden, effizienten Behandlung der Prostatitis, die schon
nach kurzer Zeit zur wesentlichen Besserung oder gar zum gänzlichen
Abklingen der Beschwerden führen
kann. Außerdem
ergibt sich aus diesem Behandlungsansatz eine Differentialdiagnose.
Ausführungsbeispiel
Vergleichsstudie:
traditionelle Therapie versus Mukolytika Behandlung Der Patient,
68 Jahre alt, litt seit Jahren an Prostatitiden mit erheblichen
Beschwerden, wie sie oben beschrieben wurden. Ab Herbst 2002 lagen
die PSA-Werte bei etwa 10 ng/dl. Durch Anwendung verschiedener Antibiotika
ließ sich
dieser PSA-Wert nicht beeinflussen (s. Tabelle 1). Da auch das so
genannte freie PSA relativ niedrig war (ein weiterer Indikator für ein Prostatakarzinom),
wurden zunächst
in der Facharzt – Praxis,
nach einiger Zeit an einer Universitäts-Klinik Mehrfach-Stanzbiopsien
durchgeführt.
Die histologischen Befunde sprachen gegen ein Karzinom.
Entsprechend
dem bisher bekannten Behandlungsschema war der nächste empfohlene Schritt bei diesem
Patienten, dessen Beschwerden erheblich waren, eine transurethrale
Resektion der Prostata. Stattdessen wurde an diesem Patienten aber
der erfindungsgemäße Therapieansatz
nach dem in der Tabelle 1 beschriebenen Schema angewendet. Der Patient
schildert nach Einnahme von 2 × 600
mg Acetylcystein das Auftreten eines Wärmegefühls im Bereich der Prostata.
Nach einem Tag waren die Beschwerden deutlich reduziert, nach einem
weiteren Tag verschwunden. Seither ist der Patient weitgehend beschwerdefrei.
Gelegentliches Wiederkehren der Symptome (im Abstand von 2-4 Wochen)
hat sich mittels Einnahme von ACC bisher immer beherrschen lassen.
Der PSA-Wert ist seither über
Monate auf einen der Prostatagröße korrespondierenden
Wert (4,3 ng/ml, freies PSA 19 %) abgesunken (s. Tabelle 1).
Die
vorliegende Erfindung ist nicht auf die oben beschriebenen Anwendungsbeispiele
beschränkt. Vielmehr
sind viele Abwandlungen möglich,
die sich aus der medizinischen Praxis ergeben, und damit vom Umfang
dieser Erfindung erfasst sind.