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Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Unfallvermeidung bei Kraftfahrzeugen, insbesondere zur Verwendung in einem Fahrerassistenzsystem, nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 sowie eine entsprechende Vorrichtung nach dem Oberbegriff des Anspruchs 11.
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Die Teilnahme am Straßenverkehr birgt erhebliche Risiken, was sich in der seit 1970 stetig steigenden Zahl von Unfällen manifestiert. Die Zahl der Verletzten zeigt einen dazu qualitativ ähnlichen Verlauf. Allerdings hat die Entwicklung der aktiven und passiven Fahrzeugsicherheit in den letzten Jahrzehnten einen beträchtlichen Anstieg der Verkehrssicherheit bewirkt, so dass die Zahl der bei Unfällen getöteten Personen von 1970 bis 2002 trotz einer Verdreifachung des Fahrzeugbestandes um 68% zurückging.
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Maßgeblich hierfür ist die Steigerung der Fahrzeugsicherheit, die man auf diesem Gebiet unterteilt in aktive Sicherheit, d.h., alle Maßnahmen, um Unfälle zu vermeiden, und passive Sicherheit, d.h., alle Maßnahmen, um Unfallfolgen zu vermindern. Die Verbesserung der passiven Sicherheit begann mit der Entwicklung der Sicherheitsfahrgastzelle und führte über die Einführung von Verbundglas, Knautschzonen, Airbags, Seitenaufprallschutz und Gurtstraffern usw., zu dem heutigen hohen Standard hinsichtlich der passiven Sicherheit. Allerdings werden passive Sicherheitssysteme zukünftig nur noch einen verhältnismäßig geringen Beitrag zur Fahrzeugsicherheit leisten können, so dass sich der Schwerpunkt nunmehr der aktiven Sicherheit, d.h., der Vermeidung von Unfällen, zuwendet.
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Mit zunehmender Integration der Elektronik in dem Kraftfahrzeugsektor seit den 70iger Jahren wurden daher zur Erhöhung der aktiven Sicherheit des Fahrzeugs aktive Sicherheitssysteme, wie das Antiblockiersystem, die Antischlupfregelung, der elektronische Bremskraftverstärker usw., eingeführt. Da eine Untersuchung der Ursachen von Kraftfahrzeugunfällen belegt, dass in über 90% aller Fälle menschliches Versagen zu einem Unfall führt, werden Fahrerassistenzsysteme entwickelt, die in Zukunft bis hin zu einem elektronischen Copiloten führen können. Derartige Fahrerassistenzsysteme bzw. der elektronische Copilot warnt in kritischen Situationen den Fahrer und/oder übernimmt autonom vorgegebene Fahrzeugführungsaufgaben zur Vermeidung von Kraftfahrzeugunfällen.
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Den aktiven Systemen, wie ABS, ASR, elektronischer Bremskraftverstärker, elektronisches Stabilitätsprogramm usw., ist gemeinsam, dass sie die Aktivierung durch den Fahrzeugführer bedürfen, um wirksam zu werden. Betrachtet man die Unfallursachen auf Autobahnen, so werden ein Großteil der Unfälle unmittelbar bzw. mittelbar durch den Fahrzeugführer verursacht. Ein ähnliches Bild ergibt sich für das Unfallgeschehen auf Bundesstraßen und Landstraßen. Hervorgerufen wird das Erscheinungsbild unter anderem durch die zunehmende Verkehrsdichte und weitere Faktoren, welche zu einer steigenden Belastung der Kraftfahrzeugführer führen. Darüber hinaus verleitet ein eingeführtes Sicherheitssystem manche Kraftfahrer aus falschem Verständnis zu einer riskanteren Fahrweise.
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Aus diesen Gründen erscheint es notwendig, den Fahrer aktiv zu unterstützen und damit zu entlasten, also Fahrerassistenzsysteme bis hin zu einem elektronischen Copiloten zu verwenden, wobei der virtuelle Beifahrers in kritischen Situationen warnt und/oder autonom bestimmte Fahrzeugführungsaufgaben übernimmt.
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Ein derartiges Kollisionsvermeidungssystem, hier als ACA (Advanced Collision Avoidance System) bezeichnet, müsste den folgenden Anforderungen genügen:
- - Zur Informationsgewinnung wird ein Fahrumgebungserfassungssystem eingesetzt, das mittels einer Datenfusion aus den Sensordaten ein konsistentes digitales Lagebild erzeugt.
- - Im Fall einer drohenden Kollision soll das System autonom im Sinne eines Notsystems zum letztmöglichen Zeitpunkt eingreifen, falls der Fahrer nicht auf geeignete Weise reagiert.
- - Der Eingriff soll so erfolgen, dass ein Unfall fahrphysikalisch gerade noch ausgeschlossen werden kann.
- - Die Eingriffe werden durch Brems- und/oder Ausweichmanöver realisiert, bei denen die Eingriffe Lenken und Bremsen gleichzeitig stattfinden können. Dabei bleiben aus Sicherheitsaspekten fahrzeuginterne Funktionen, wie ABS oder ESP, weiter dominant.
- - Ereignisse, wie das Abkommen von der Fahrbahn oder Folgekollisionen müssen bei einem ACA-Manöver ausgeschlossen werden und
- - vorzugsweise endet der ACA-Eingriff mit dem Fahrzeugstillstand.
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Die Druckschrift
DE 102 57 842 A1 beschreibt ein Verfahren zur Bestimmung einer Unfallgefahr eines ersten Objekts mit wenigstens einem zweiten Objekt, wobei eine Kollisions- und Gefährdungswahrscheinlichkeit des wenigstens einen Objekts in einem vorgegebenen Gebiet um das erste Objekt bestimmt werden. Dabei werden die Kollisions- und Gefährdungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von Bewegungen und Objektklassen des ersten und des wenigstens zweiten Objekts bestimmt. Zur Bestimmung des Gebiets, welches für die Bestimmung der Kollisionswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen ist, wird das eigene Objekt, also das Egofahrzeug, mit dem weiteren Objekt gefaltet, so dass im Koordinatensystem des eigenen Objekts das gesuchte Gebiet entsteht.
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Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Kollisionsvermeidung und eine entsprechende Vorrichtung mit den vorgenannten Eigenschaften zu schaffen.
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Diese Aufgabe wird durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 und durch eine Vorrichtung mit den Merkmalen des Anspruchs 11 gelöst. Bevorzugte Ausführungsformen der Erfindung sind Gegenstand der Unteransprüche.
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Das erfindungsgemäße Verfahren zur Unfallvermeidung von Kraftfahrzeugen weist die folgenden Schritte auf:
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Es wird mittels eines Fahrumgebungserfassungssystems, d.h., einer geeigneten Sensorik, ein digitales Lagebild der Fahrzeugumgebung erstellt.
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Jedem erfassten Objekt und dem Fahrzeug wird ein Dynamikmodell zugeordnet, so dass sich ein sogenanntes Umfeld-Modell ergibt, wobei in diesem Zusammenhang Objekte andere Fahrzeuge in der Fahrzeugumgebung sind, die sich relativ zu dem Fahrzeug auf einer Fahrbahn bewegen. Fahrbahn ist in diesem Umgebungsmodell eine Autobahn oder eine Bundes- bzw. Landstraße.
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Dieses Umfeld-Modell umfasst ein Koordinatensystem, das fahrbahnfest ist und sich mit dem Fahrzeug mitbewegt.
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Es wird eine Kollisionserkennung unter Verwendung des Umfeld-Modelles durchgeführt, wobei die erfassten Objekte auf mögliche Kollisionen mit dem Fahrzeug hin untersucht werden. Dabei werden Fahrzeug und erfasste Objekte mittels einer vorzugsweise planaren geometrischen Struktur beschrieben, wobei die geometrische Form der Fahrzeuge und der Objekte durch Quader realisiert wird. Anhand der geometrischen Struktur werden die Größen Kollisionszeit und Kollisionsort ermittelt, die zu einer Größe Ablage λ verknüpft werden. Die Größe Ablage ist hierbei im wesentlichen eine Größe, die die Kollisionssituation wiedergibt, wobei die dimensionslose Größe λ die Entfernung eines Punktes von der Mittenlinie der Objekthinterkante im wesentlichen darstellt. Da die zur Ermittlung der Ablage Ä verwendeten Größen Kollisionszeit und Kollisionsort aufgrund der Messungen der Sensorik mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind, wird aus der Unsicherheit der Ablage λ eine Kollisionswahrscheinlichkeit pkol ermittelt.
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Hat die Kollisionserkennung ergeben, dass eine Kollision mit einem der detektierten Objekte bevorsteht, so wird eine Kollisionsvermeidung geplant. Bei einer bevorstehenden Kollision ist folglich die Kollisionswahrscheinlichkeit pkol hoch, d.h. 1 bzw. annähernd 1. Das Manöver zur Kollisionsvermeidung ist ein in dem fahrphysikalischen Grenzbereich angesiedeltes Notmanöver, wobei als Manöver ein reines Bremsen oder ein linkes oder rechtes Ausweichen einschließlich Bremsen, jeweils auf einer prädizierten Trajektorie, möglich ist. Dabei hat der Bremsvorgang Priorität vor den beiden Ausweichmanövern. Eine der Gründe dafür besteht darin, dass für linke bzw. rechte Ausweichmanöver ausreichend Platz und Sicherheit vorhanden sein muss, da einerseits ein Abkommen des Fahrzeugs von der Fahrbahn vermieden werden muss, und andererseits die Gefährdung beispielsweise von Gegenverkehr ausgeschlossen werden muss. Insbesondere endet das Notmanöver mit dem Stillstand des Fahrzeugs.
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Nach der Auswahl des geplanten Notmanövers bewirkt das erfindungsgemäße Verfahren dessen Durchführung.
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Vorzugsweise ist das Koordinatensystem des Umfeld-Modells, in welchem die Fahrbahn sowie das betrachtete Fahrzeug beschrieben wird, in der Mitte des Fahrstreifens des Fahrzeuges angeordnet und bewegt sich mit dem betrachteten Fahrzeug mit.
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Vorzugsweise werden insbesondere planare Rechtecke verwendet, da es bei der Kollisionsbetrachtung in dem erfindungsgemäßen Verfahren auf die Fahrzeughöhe im wesentlichen nicht ankommt. Für jedes Objekt wird vorzugsweise ein eigenes körperfestes Koordinatensystem vorgesehen.
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Unter der Annahme der Quaderform liegt eine Kollision dann vor, wenn es zu einer Berührung einer Fahrzeugecke mit einer Objektkante bzw. einer Fahrzeugkante und einer Objektecke kommt.
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Hinsichtlich der Zustandsgrößen des Umfeld-Modells wird vorzugsweise davon ausgegangen, dass die Zustandsgrößen eine übliche Normalverteilung aufweisen.
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Vorzugsweise wird aus den Umfeld-Modell-Größen Kollisionszeit und Kollisionswahrscheinlichkeit dasjenige Objekt ermittelt, mit dem gesichert ein Zusammenstoß erfolgen wird, wodurch die Situation abgedeckt wird, in der die Sensorik der Umfelderkennung mehrere Objekte ermittelt hat.
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Vorzugsweise werden während des Notmanövers vorrangig die Querkräfte bedient, um im physikalischen Grenzzustand ein Ausbrechen des Fahrzeugs zu verhindern. Das verbleibende Potential kann dann für die Längsverzögerung eingesetzt werden.
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Vorzugsweise wird im Falle eines linken bzw. rechten Ausweichmanövers unter Vorgabe eines definierten Querbeschleunigungsprofils eine stetige Ausweichtrajektorie berechnet, bei der das Überschreiten einer maximal zulässigen Querbeschleunigung nicht zulässig ist. Insbesondere wird die Ausweichtrajektorie so berechnet, dass sie einen seitlichen Versatz des Fahrzeugs aufweist, mit anderen Worten, das Fahrzeug wird seitlich des auszuweichenden Objekts versetzt.
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Vorzugsweise erfolgt eine segmentweise Anhebung der Längsverzögerung entlang der Ausweichtrakektorie, wobei vorzugsweise drei Segmente eingesetzt werden, nämlich ein erstes Segment, das sich vom Startpunkt des Ausweichmanövers bis zum Wendepunkt der Ausweichtrajektorie erstreckt, ein zweites Segment, das sich vom Wendepunkt bis zum Erreichen der seitlichen Ausweichbreite erstreckt, und ein drittes Segment, das sich vom Erreichen der Ausweichbreite bis zum Stillstand erstreckt.
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Die erfindungsgemäße Vorrichtung zur Durchführung des im vorangegangenen beschriebenen Verfahrens umfasst eine Umfeld-Sensorik, einen Umfeld-Server, d.h., einen entsprechenden Rechner, und ein Fahrerassistenzsystem. Insbesondere kann die Umfeld-Sensorik einen Fernbereichsradar, einen Laserscanner und ein Videosystem sowie die Fahrzeugsensorik umfassen.
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Eine bevorzugte Ausführungsform der Erfindung wird nachfolgend anhand der Figuren erläutert.
- 1 zeigt die Architektur der Umfeldwahrnehmung in schematischer Darstellung,
- 2a bis d zeigt vier Kollisionsmöglichkeiten in schematischer Darstellung,
- 3 zeigt die Definition der Ablage sowie die Definition des Kollisionsintervalls,
- 4 zeigt in schematischer Darstellung ein Ausweichmanöver,
- 5 zeigt die Kopplung von Querbeschleunigung und Lenkverzögerung, und
- 6a, b zeigt Messdaten eines Ausweichmanövers.
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1 zeigt die Architektur der Umfeldwahrnehmung, bestehend aus verschiedenen Sensoren und dem Umfeld-Server. In einer bevorzugten Ausführungsform basiert die Umfeldwahrnehmung auf einem 77 GHz Fernbereichsradar, einem Laserscanner, einem Mono-Visionsystem sowie der Fahrzeugsensorik. Deren Messdaten werden vorverarbeitet und gelangen asynchron über ein CAN-Netzwerk zum Umfeld-Server, wie dies in 1 dargestellt ist. Die eingehenden Informationen werden dort zunächst zeitlich richtig sortiert und anschließend über Sensor-Modelle, wie das dargestellte Radar-Modell, Video-Modell und Laser-Modell, einer ereignisgesteuerten Sensordaten-Fusion zugeführt. Nach jeder neuen Messung erfolgt die Fusion der Daten mit Hilfe eines adaptiven, erweiterten Kalmanfilters. Ergebnis ist das Umfeld-Modell 1, welches die Fahrzeuge und die Fahrbahn der lokalen Verkehrssituation enthält.
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In der darauf aufbauenden Klassifikation werden die erfassten Objekte hinsichtlich ihrer Bewegung klassifiziert, um ihre Dynamik optimal und wirklichkeitsnah zu beschreiben. Zu diesem Zweck wird jedem Objekt jeweils ein Dynamik-Modell zugeordnet, das beispielsweise stationär oder bewegt sein kann. Mittels statistischer Tests wird die aktuelle Klassifizierung laufend überprüft und bei Bedarf ein Modellwechsel durchgeführt. Das nun klassifizierte Umfeld-Modell wird anschließend an die Fahrerapplikation 2 übergeben und dort weiter verarbeitet.
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Basis der Fahrbahnbeschreibung des Umfeld-Modells ist das in der Mitte des eigenen Fahrstreifens befindliche, fahrbahnfeste, aber mit dem eigenen Fahrzeug mitbewegte Koordinatensystem. Die anderen Fahrstreifen schließen sich hierin an und besitzen den gleichen Verlauf.
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In der bevorzugten Ausführungsform werden das Fahrzeug und die Objekte, d.h., die anderen Fahrzeuge, im Umfeld-Modell als Quader modelliert, deren Lage relativ zum Fahrbahn-Koordinatensystem festgelegt ist. Dazu besitzen sie jeweils ein eigenes körperfestes Koordinatensystem. Neben dieser geometrischen Beschreibung verfügen beide je nach Dynamik-Modell über charakteristische kinematische Eigenschaften.
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In Verbindung mit den bekannten und feststehenden technischen Daten des Fahrzeugs stellt das beschriebene Umfeld-Modell die verfügbare Datenbasis für das Kollisionsvermeidungssystem dar.
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Wenn ein Kollisionsvermeidungsmanöver ausgeführt werden soll, gibt das System entsprechende Stell- und Regelgrößen an die Brems- und Lenk-Aktorik weiter, die das zu realisierende Manöver umsetzt. Das Manöver endet vorzugsweise mit dem Fahrzeugstillstand, so dass der Fahrer nach einer angemessenen Zeitspanne die Fahrzeugführung sicher übernehmen kann.
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Die logische Abfolge von Maßnahmen, ausgehend von einer Verkehrssituation bis hin zum eigentlichen ACA-Manöver wird in die Phasen Kollisionserkennung, Planung der Kollisionsvermeidung und anschließende Ausführung des Notmanövers aufgeteilt.
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Wie im Vorangegangenen bereits erwähnt, bedarf es eines einheitlichen Bezugssystems, um die relevanten Objekte und das Fahrzeug miteinander in Beziehung zu setzen. Wobei hier das Fahrbahn-Koordinatensystem verwendet wird, das sich mit dem Fahrzeug mitbewegt. Da die Bewegungen von Fahrzeugen und Objekten im jeweiligen eigenen Koordinatensystem beschrieben werden, müssen die Ortsvektoren der Koordinatensystemursprünge vom Fahrzeug bzw. Objekt entsprechend transformiert werden.
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Bei den Fahrzeugen und den Objekten handelt es sich um starre Körper, die hier speziell in Rechteckform als geometrische Form wiedergegeben werden. Dadurch lassen sie sich durch vier Ecken bzw. vier Kanten in ihrer Ausdehnung eindeutig beschreiben. Wenn es nun zu einer Kollision kommen soll, müssten sich die beiden Rechtecke in irgendeiner Art „berühren“. Im Normalfall trifft eine Fahrzeugecke eine Objektkante oder umgekehrt. Es bleiben damit im wesentlichen die in der 2 dargestellten Kollisionsmöglichkeiten, um die hier nicht aufgeführten vektoralgebraischen Kollisionsgleichungen näherungsweise zu lösen.
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2 zeigt die vier zu lösenden Kollisionskombinationen, nämlich in 2a linke Vorderfahrzeugecke - Objekthinterkante, 2b Fahrzeugfront - hintere linke Objektecke, in 2c vordere rechte Fahrzeugecke - linke Objektseite, und in 2d rechte Fahrzeugseite - vordere linke Objektecke.
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Aus den Einschränkungen auf die vier Kollisionsmöglichkeiten ergibt sich eine näherungsweise Lösung der Kollisionsgleichungen, so dass sich ein Kollisionszeitpunkt und ein Kollisionsort durch die iterative Lösung bestimmen lässt.
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Dazu wird für alle Objekte der minimale Abstand von Fahrzeug- und Objektursprung berechnet. Damit überhaupt eine Kollision denkbar ist, muss diese einen vorgegebenen Grenzabstand unterschreiten, der so groß gewählt sein sollte, dass es auf keinen Fall zu einer Berührung der beiden Kontrahenten kommen kann. Auf diese Weise können Objekte, mit denen es nicht zu einer Kollision kommen kann, herausgefiltert werden, die daher nicht mehr beachtet zu werden brauchen.
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Aus dem Kollisionszeitpunkt und Kollisionsort wird eine Größe λ bestimmt, die als Ablage bezeichnet wird. Mit dieser Ablage λ lässt sich ein beliebiger Punkt auf der Objekthinterkante beschreiben. Damit definiert λ die Entfernung eines Punktes von der Mittenlinie der zugeordneten Kante und sein Wertebereich zwischen zwei Ecken der Objekthinterkante liegt im Intervall [-1,1].
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Die Situation ist in 3 dargestellt, die eine Kollision im Sinne der 2a genauer darstellt. Die linke vordere Ecke eines Fahrzeugs 3 kollidiert mit der hinteren Kante eines Objekts 4, wobei sich durch die Rechnung die dargestellte Ablage λ als normierter Abstand der linken vorderen Ecke von der Mittenachse des Objekts 4 darstellt. Aufgrund der Unsicherheit in den Messwerten ist die Ablage λ mit einem Fehler behaftet, wobei angenommen wird, dass die Messfehler normal verteilt sind.
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Die in
3 dargestellte Wert der Ablage λ besitzt hierbei den Charakter eines Erwartungswertes. Dieser Zustand der Kollisionspaarung ist solange gegeben, wie es zu einer ganz oder teilweise stattfindenden Überdeckung der gegenüberliegenden Kanten, hier Fahrzeugfront und Objekthinterkante, kommt. Das Ergebnis dieser Überlegungen bilden die gestrichelt dargestellten Positionen
3' und
3" des Fahrzeugs, zu denen jeweils ein linkes und ein rechtes λ, nämlich λ
L und λ
RS gehört. Aufgrund der Annahme, dass die Zustandsgröße des Umfeld-Modells als normal verteilt angenommen werden, ergeben sich neben den Erwartungswerten die zugehörigen Standardabweichungen. Dadurch lässt sich eine Kollisionswahrscheinlichkeit wie folgt ermitteln:
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Folglich liegt als dritte wesentliche Kenngröße neben der Kollisionszeit und dem Kollisionsort die Kollisionswahrscheinlichkeit vor. Aus den Größen Kollisionszeit und Kollisionswahrscheinlichkeit wird bestimmt, welches Objekt aus einer Mehrzahl von Objekten das kritischste ist, mit dem eine Kollision droht, so dass das ACA-System nur auf solche Ereignisse reagiert, bei denen ein Zusammenstoß hinreichend gesichert stattfinden wird.
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Wie bereits erwähnt, hat das zu planende Manöver der Kollisionsvermeidung den Charakter eines Notmanövers und ist im fahrphysikalischen Grenzbereich angesiedelt. Das bedeutet ein bestmögliches Ausschöpfen der verfügbaren Haftung für die Längs- und Querkräfte, ohne sie zu überschreiten. Die zugehörigen Kraftschlussbedingungen werden durch den sogenannten Kamm'schen Kreis beschrieben, der in der Realität die Form einer geschwindigkeitsabhängigen Ellipse mit der Stauchung κ besitzt. Da die Ellipse im Prinzip eine Ungleichung beinhaltet, muss festgelegt werden, welche der beiden Kräfte dominant sein soll.
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Als Notmanöver kommen drei Manöver in Frage, nämlich mit höchster Priorität das Bremsen entlang der prädizierten Trajektorie, ferner ein Ausweichmanöver nach links, bei dem das Fahrzeug mit einem vorgegebenen Abstand links des Objekts zum Stillstand kommt, sowie ein Ausweichen nach rechts, bei dem das Fahrzeug in analoger Weise rechts mit einer vorgegebenen Ausweichbreite zum Stehen kommt. Dargestellt ist das linke Ausweichmanöver in der 4, wobei 4 sowohl die prädizierte Bremstrajektorie 5 und die linke Ausweichtrajektorie 6 darstellt. Um linke und rechte Ausweichmanöver durchführen zu können, muss selbstverständlich noch untersucht werden, ob das Fahrzeug auf der Fahrbahn verbleibt, ob mit Gegenverkehr zu rechnen ist oder ob das Fahrzeug in einen Bereich einfährt, der von der Umfeld-Sensorik nicht wahrgenommen werden kann. Während das Fahrzeug beim Bremsen daher auf seine prädizierte Trajektorie 5 verbleibt, soll es beim Ausweichen zusätzlich um einen gewissen seitlichen Versatz nach links bzw. rechts geführt werden. Die Ausweichtrajektorie 6 soll dem Fahrzeug ein sicheres Passieren des Objekts ermöglichen, was in Verbindung mit der Parallelität von Lenken und Bremsen hohe Anforderungen an die Fahrdynamik stellt. Die Ausweichbreite hängt neben den geometrischen Abmessungen der Kollisionspartner in hohem Maße von der Kollisionskonstellation und damit auch von der Fahrbahnkrümmung ab. Zusätzlich gehen ein lateraler Sicherheitsabstand sowie die Relativbewegung des Objekts während der Vorbeifahrt in die Kalkulation mit ein. Aus Sicherheitsgründen muss dieser Zielzustand hergestellt sein, wenn an sich die Fahrzeugfront auf Höhe der zugewandten Objektkante befindet. Dies definiert den zeitlichen und räumlichen Auslösezustand.
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Wenn dieser Versatz hergestellt ist, muss er auf der sich anschließenden Teilstrecke gehalten werden. Aufgrund der Bewegungsanbindung an den Fahrbahnverlauf entspricht dieser Abschnitt einer in y-Richtung verschobenen Fahrbahn-Mittenlinie, linke bzw. rechte Hüllkurve genannt.
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Während des gesamten Prozesses soll das Fahrzeug parallel in Abstimmung mit dem auftretenden Querkraftbedarf verzögert werden. Hierbei fließen Fahrwiderstände in die Gesamtverzögerung ein. Das Manöver endet schließlich mit dem im Bild markierten Fahrzeugstillstand.
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Es wird daher ein definiertes Querbeschleunigungsprofil vorgegeben, d.h., es werden vorrangig die Querkräfte bedient und das verbleibende Potential des Kamm'schen Kreises bzw. der Kamm'schen Ellipse kann dann für die Längsverzögerung eingesetzt werden. Aufgrund des definierten Querbeschleunigungsprofils wird daraus die gesuchte Ausweichtrajektorie entwickelt, die einen stetigen Verlauf besitzen muss, um Lenkwinkelsprünge und damit Instabilitäten auszuschließen, eine maximale zulässige, geschwindigkeitsabhängige Beschleunigung nicht überschreiten darf und ein angenäherte zeitoptimales Verhalten besitzen muss.
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5 zeigt die Kopplung von Querbeschleunigung und Längsverzögerung, wobei die Ausweichtrajektorie in drei Segmenten eingeteilt ist, um eine geeignete Soll-Längsverzögerung, d.h., Bremsen, entlang der Trajektorie zu erzielen. Das erste Segment erstreckt sich vom Startpunkt des Manövers bis zum Wendepunkt der Ausweichtrajektorie.
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Infolge der Abbremsung verringert sich die Fahrzeuggeschwindigkeit ständig und somit auch die Lateralbeschleunigung im Segment 2, das vom Wendepunkt bis zum Erreichen der Ausweichbreite verläuft. Dies wiederum lässt ein Anheben der Soll-Längsverzögerung zu. Der letzte Abschnitt vom Erreichen des seitlichen Versatzes bis zum Fahrzeugstillstand dient allein zum Verzögern und entspricht der oben genannten Fahrt auf der Hüllkurve, wobei eine bahnkrümmungabhängige, meist geringe Querbeschleunigung zu beachten ist. Dabei bezeichnet I die Querbeschleunigung, II die maximale Querbeschleunigung, III die Soll-Längsverzögerung und IV die theoretische Längsverzögerung.
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Bevor es nun bei Überschreiten gewisser Grenzwerte beim Auslösen eines ACA-Manövers kommen kann, wird jeweils die Zulässigkeit aller Varianten geprüft, so dass allein das letztmögliche, zulässige Manöver zur Ausführung gelangt. Dazu gibt das Planungsmodul die benötigten Parameter an das Ausführungsmodul weiter, welches das Notmanöver durchführt.
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6 schließlich zeigt gemessene Werte für eine Kollisionszeit und Wahrscheinlichkeit für ein Ausweichmanöver. Wie aus dem linken Teil der 6 zu entnehmen ist, erfasst das ACA-System das Hindernis bei einer berechneten Kollisionszeit von 4,71 Sekunden, was einer Entfernung von ca. 82 m entspricht, falls das eigene Fahrzeug eine Eigengeschwindigkeit von 61,2 km/h aufweist und auf ein stehendes, 1,5 m breites Objekt im rechten Fahrstreifen einer zweispurigen Autobahn zufährt. Die sich anschließende, gleichförmige Annäherung führt nach 3,18 Sekunden zu einem Eingriff, welcher im Bild mit einem schwarzen Punkt hervorgehoben ist. Bis zur möglichen Kollision dauert es jetzt noch 1,72 Sekunden. Der weitere Verlauf ist aufgrund der Eingriffsphilosophie ohne Belang und daher verkürzt wiedergegeben.
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Die Kollisionswahrscheinlichkeit im rechten Teilbild liegt anfangs bei 0,17 und nimmt kontinuierlich zu. Falls das Objekt nach 2 Sekunden neben dem Radar auf dem Laserscanner erfasst wird, steigen die Werte rasch bis nahe 1. Zum Auslösezeitpunkt beträgt das Kollisionsrisiko 0,997.
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Der Entscheidungsalgorithmus wählt in diesem Falle Ausweichen nach links aus, da ein Ausweichen nach rechts aufgrund der rechten Fahrbahnbegrenzung unzulässig ist, und ein Bremsen 0,04 Sekunden vorher aktiv werden müsste. Die Auslösung erfolgt daher, wenn die Beteiligten nach 20,5 m von einander entfernt sind. Wegen der geringen Geschwindigkeit in Verbindung mit der Ausweichbreite von 3,31 m steht das Fahrzeug nach 28,6 m vor Abschluss des Ausweichvorganges.