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Das Verhältnis von Mensch und Maschine im Werk Heinrich Hausers

von Mirjam Schubert (Autor:in)
©2021 Dissertation 290 Seiten

Zusammenfassung

Diese Monografie ist die erste umfassende literaturwissenschaftliche Analyse des Gesamtwerks des Schriftstellers, Journalisten, Fotografen und Dokumentarfilmers Heinrich Hauser (1901−1955). Im Fokus steht eine für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts typische Schlüsselfrage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Die Autorin beleuchtet das künstlerische Schaffen Hausers vor dem Hintergrund seiner ideen- und kulturgeschichtlichen Provenienz und zeigt, wie Hauser in seinen Werken den allgemeinen Krisendiskurs der Moderne aufgreift. Darüber hinaus liefert die Publikation einen kritischen Einblick in die Biografie eines Vertreters des Literatursystems der Weimarer Republik, der NS-Zeit und des Exils, der sich einer vereinfachenden Kategorisierung der Literaturgeschichte entzieht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Mensch und Maschine. Eine erste Annäherung
  • 1.2 Zur Forschungslage
  • 1.3 Die untersuchten Werke Heinrich Hausers: ein chronologischer Überblick
  • 2. Heinrich Hauser: Sein Leben und Arbeiten im zeit-​ und literaturgeschichtlichen Kontext
  • 2.1 1901–​1929: Krieg, Krisen und Karriere
  • 2.2 1929–​1933: Möglichkeiten des multimedialen Arbeitens: Schreiben, Fotografieren und Filmen
  • 2.3 1933–​1939: Zäsuren, Brüche und Emigration
  • Exkurs: Heinrich Hauser im Fokus der Institutionen der NS-​Kulturpolitik
  • 2.4 1939–​1951: Schreiben in den USA und wieder in Deutschland
  • 3. Maschinen in Hausers Werk: Begriffsannäherung und quantitativer Überblick
  • 4. Das Verhältnis von Mensch und Maschine in Hausers Werk: Ausprägungen einer Beziehung
  • 4.1 Die Maschine als Mittel zum Zweck
  • 4.1.1 Arbeiten mit Maschinen: Veränderung, Rationalisierung und Rhythmus
  • 4.1.2 Fortbewegen mit der Maschine: Freiheit, Unterwegssein und Flucht
  • 4.2 Die Maschine als Kunstwerk
  • 4.2.1 „Vom Auge her“: Reflexionen der Erzählstimmen über ihr visuelles Erleben
  • 4.2.2 Sehweisen des Reporters: Erleben aus Nähe und Distanz
  • 4.2.3 Wie eine Inszenierung, wie Magie, wie ein Märchen: Beschreiben des Erlebens anhand von Analogien
  • 4.2.4 „Nichts ist vollkommener und schöner“: Die optischen Qualitäten der Maschine
  • Exkurs: Fotografien jenseits des visuellen Rauschs
  • 4.3 Die Maschine als Stimulus
  • 4.3.1 „Herrgott, was kann das quälen“: Angst, Qual und Hass
  • 4.3.2 „Ich fange an, ihn zu lieben“: Stolz, Liebe und Bewunderung
  • 4.3.3 „Die Intensität, mit der er sich […] den Rhythmus der Explosionen vorstellte, verwandelte sich in Gefühl“: Extreme Nähe und Emotionen
  • 4.3.4 „Mensch und Maschine sind eins“: Einssein mit der Maschine
  • 4.4 Die Maschine als Kreatur
  • 4.4.1 Wie ein Tier, ein Mensch, ein Wesen: Verlebendigung von Maschinen durch Analogien und Metaphern
  • 4.4.2 Leib und Seele, Geburt und Tod: Erleben der Maschine als eigenständige Lebensform
  • 4.4.3 Autonom, überlegen und bedrohlich: Erleben der Maschine als handelndes Wesen
  • Exkurs: „Die Saurier unserer Zeit“ –​ Maschinen im Film Weltstadt in Flegeljahren
  • 4.4.4 Die Vollendung und Zerstörung der lebendigen Maschine: Gigant Hirn
  • 4.5 Mensch ohne Maschine
  • 5. Heinrich Hausers „sechster Sinn“ für Maschinen
  • 6. Literatur
  • 6.1 Primärliteratur
  • 6.2 Sekundärliteratur
  • Reihenübersicht

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1. Einleitung

1.1 Mensch und Maschine. Eine erste Annäherung

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das Thema der fortschreitenden Technisierung des menschlichen Lebens allgegenwärtig. Ob in der Zeitung, im Radio, im Fernsehen und erst recht im Internet: Es vergeht kaum ein Tag, an dem in den Medien nicht eruiert wird, was in Zeiten von ‚Industrie 4.0‘, Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz, Pflegerobotern und autonom fahrenden Autos Maschinen mit Menschen machen und umgekehrt. Diese Fragen sind nicht neu, sondern beschäftigen die Menschen, seitdem es Maschinen gibt. Besonders für die Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts gilt die Auseinandersetzung mit Technik und Maschinen als zeittypisch. Bekannte Beispiele dafür sind beispielsweise Fritz Langs Film Metropolis, Charlie Chaplins Film Modern Times, Karel Čapeks Theaterstück R. U. R., aus dem der Begriff des ‚Roboters‘ stammt, oder die Darstellung von Maschinen und Technik in der Malerei eines Franz Radziwil.

Ein Autor, dessen Gesamtwerk von den mit Technisierung verbundenen Fragestellungen durchdrungen ist, ist Heinrich Hauser. Er gilt der Literaturgeschichtsschreibung als ein typischer Vertreter der Literatur der Zwanzigerjahre, der sich in seinem künstlerischen Schaffen wie kaum ein zweiter mit zentralen Fragen des technischen Fortschritts und des Verhältnisses zwischen Mensch und Maschine auseinandergesetzt hat. Heinrich Hauser war gewiss nicht der erste Schriftsteller, der sich mit der Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Maschine auseinandersetzte. In seinem Werk erreicht die Auseinandersetzung mit diesen Fragen eine Verdichtung und Relevanz, die es lohnenswert erscheinen lässt, genauer hinzusehen.

Hausers Werk, zu dem neben literarischen und journalistischen Texten auch fotografische Arbeiten und Stummfilme zählen, bildet den zentralen Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Das Vorhaben dieser Studie ist es, mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine einen inhaltlichen Aspekt herauszugreifen, der Hausers gesamtes Werk dominiert und der mithin geeignet ist, sich einen Zugang zum Verständnis seiner reichhaltigen literarischen und journalistischen Produktion zu verschaffen. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, welche Muster der menschlichen Erfahrungen mit Technik und Maschinen sich in Hausers Werk finden lassen. Darüber hinaus soll eruiert werden, wie die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Maschine in den Texten reflektiert und typisiert werden. Es soll ferner gezeigt werden, wie Hausers diesbezügliche ←9 | 10→Positionierungen in ihrem Entstehungskontext einzuordnen sind, also in welchen zeittypischen kulturellen, historischen und sozialen Bezugsfeldern die in den Texten vorgefundenen Reflexionen und Typisierungen gelesen und verstanden werden können. Geleitet wird dieser methodische Zugriff von der heuristischen Annahme, dass sich in der Darstellung des Verhältnisses von Mensch und Maschine wichtige soziale und kulturelle Phänomene offenbaren, die weit über Hausers Werk hinausweisen und einen panoramaartigen Blick auf die Zeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ermöglichen.

In dieser Studie sollen sowohl Hausers fiktionale als auch seine faktualen Werke in den Blick genommen, vergleichend analysiert und im Hinblick auf die Darstellungen des Mensch-Maschine-Verhältnisses genauer beschrieben werden. Damit leistet diese Studie Pionierarbeit, denn bislang gibt es weder zu Hausers Gesamtwerk noch zu den darin aufgeworfenen zentralen Fragen und Themenbereichen eine zusammenhängende und tatsächlich aufschlussreiche literaturwissenschaftliche Untersuchung.

Dem heutigen Lesepublikum sind Heinrich Hauser und sein Werk so gut wie unbekannt. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren war er indes eine bedeutende Journalistenpersönlichkeit und als Träger des Gerhart Hauptmann-Preises eine literarische Nachwuchshoffnung der Weimarer Republik. Sein Werk ist umfangreich und vielfältig. Zwischen 1925 und 1955 schrieb er Romane, Erzählungen, Reportagen, Feuilletons und Werbeschriften für die Industrie. Er übersetzte Werke englischsprachiger Autoren ins Deutsche und verfasste in der Zeit seines Exils kenntnisreiche Auseinandersetzungen mit der politischen und gesellschaftlichen Lage in Deutschland und in den USA auf Englisch. Er fotografierte und bebilderte viele seiner Reportagen selbst mit eigenen Fotografien, außerdem drehte er in den Zwanziger- und Dreißigerjahren mehrere Dokumentarfilme.1 Hausers Werke sind heute nur noch schwer verfügbar: Es existiert keine Gesamtausgabe. Seine Bücher sind vom literarischen Markt fast verschwunden, mit Ausnahme seines Romans Donner überm Meer, seines Reportagebuchs Das Schwarze Revier und der autobiografischen Erzählung Zwischen zwei Welten, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts neu aufgelegt wurden. Die beiden Dokumentarfilme Windjammer und Janmaaten sowie Weltstadt in Flegeljahren werden hin und wieder in thematisch passenden Reihen im Programmkino gezeigt. Kopien dieser Filme sind auf dem freien Markt nicht erhältlich. Zudem existiert kein ←10 | 11→geordneter Nachlass. Mit Ausnahme des 2012 posthum erschienen Romans Zwischen zwei Welten gibt es keinerlei Manuskripte oder Typoskripte seiner Werke. Von seinen Briefen sind nur sehr wenige erhalten. Diese Arbeit möchte das Werk – und hier insbesondere die Texte Hausers, ohne die Fotografien und die Filme vollkommen außen vor zu lassen – in den Mittelpunkt stellen und der interessierten Öffentlichkeit zugänglicher machen. Eine kurze Vorstellung der Werke im Anschluss an den Forschungsüberblick in diesem Kapitel erleichtert die inhaltliche Orientierung.

Der sozial- und kulturgeschichtliche Hintergrund von Hausers Schaffen ist unerlässliche Grundlage für die Einordnung und Deutung seines Gesamtwerks. Um vor der eigentlichen Untersuchung einen entsprechenden Bezugsrahmen abzustecken, sollen zunächst im zweiten Kapitel Hausers Leben und die Entstehung seiner Werke im historischen Kontext im Überblick dargestellt werden.2 Bei der Analyse und Interpretation der Werke werde ich indes – anders als dies in verschiedenen Aufsätzen zu Hauser der Fall ist – den realen Autor und den Erzähler bzw. berichtenden Reporter aus heuristischen Gründen voneinander trennen. Während dies für die Erzähltexte aus literaturwissenschaftlicher Perspektive unmittelbar evident erscheint und unstrittig sein dürfte, ist dieser Ansatz für die Untersuchung von faktualen Texten erklärungsbedürftig. Die Distanz zwischen dem realen Journalisten und der Reporterfigur in den Reportagetexten fällt textartspezifisch zwar nach den Produktions- und Rezeptionsbedingungen dieser Textart notwendigerweise gering aus. Dennoch scheint nach der ersten Durchsicht von Hausers journalistischem Werk vieles dafür zu sprechen, dass der Autor auch die Perspektive des Reporters bewusst künstlerisch ausgestaltet und in Abhängigkeit vom jeweiligen Publikationskontext, dem Auftraggeber oder dem erwarteten Lesepublikum ‚konstruiert‘. Es gilt, deutlich zu machen, wo und inwiefern die Aussagen der faktualen Erzählinstanzen sich möglicherweise von den Haltungen und Meinungen des realen Autors unterscheiden und aus welchen Gründen dies in den entsprechenden Texten geschieht.

Nach der Präsentation der vorliegenden Forschungsbeiträge zu Hausers Werk und einer konzisen Darstellung des historischen und biografischen Kontextes wende ich mich in Kapitel 3 dann der Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Maschine in den Texten, Fotografien und Filmen zu. Unbestritten ist unter ←11 | 12→Expertinnen und Experten, dass Maschinen in den Werken Hausers eine große Rolle spielen. Um diesen, vermutlich auf flüchtigen Lektüren von Einzeltexten fußenden Allgemeinbefund erstmals empirisch zu untermauern, möchte ich anhand der Ergebnisse einer kleinen quantitativen Voruntersuchung verdeutlichen, welche Arten von Maschinen in welchem Ausmaß in Hausers Texten vorkommen (Kapitel 3). Auf Basis der Ergebnisse dieser quantitativen Voruntersuchung zum Vorkommen von Maschinen, werden dann die in Hausers Werk vorgefundenen Formen der Beziehung zwischen Mensch und Maschine beschrieben, analysiert und kategorisiert. Sie lassen sich grob vier grundlegenden inhaltlichen Beziehungskategorien – ich möchte sie im Folgenden ‚Ausprägungen‘ nennen – zuordnen: die Maschine als funktionales Mittel, als Gegenstand visueller, ästhetischer Erfahrung, als Stimulus für äußere und innere Empfindungen und als eigenständige Kreatur. Diese vier Ausprägungen und ihre kulturellen und sozialen Kontextualisierungen bilden den Kern der vorliegenden Untersuchung.

In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts sind Mechanisierung und Technisierung, Maschinen und Technik im Leben der Menschen bereits allgegenwärtig und beeinflussen den Lebens- und Arbeitsalltag der Menschen spürbar, was sowohl Begeisterung, als auch Beunruhigung und Irritationen auslöst. Wir befinden uns in der „Zeit der Vollmechanisierung“.3 Bahnbrechende technische Erfindungen sind in den Zwanzigerjahren nur noch selten zu verzeichnen. Die meisten epochalen Entwicklungen auf dem Gebiet der Technik – wie die Erfindung von Elektro- und Benzinmotoren oder von Leichtmetallen und Kunststoffen – haben bereits vor dem Ersten Weltkrieg stattgefunden. Sie zeichneten sich dadurch aus, dass sie die bislang vorherrschenden technischen Errungenschaften ←12 | 13→wie Dampfmaschine und Dampflokomotive und die dabei dominierenden Materialien wie Kohle und Stahl in Frage stellten.4

Erst nach dem Ersten Weltkrieg werden diese technischen Entwicklungen allerdings – zumindest im deutschen Sprachraum – für die Menschen praktisch nutzbar gemacht. 1927 beschreibt der Ingenieur Werner Lindner in der Zeitschrift Uhu eindrücklich, welche Folgen die weite Verbreitung von Maschinen und Technik auf das Leben haben:

Das weite Reich der Maschinen- und Werkbauten übt in der Fülle und Einprägsamkeit seiner Gestaltungsformen einen so starken Einfluß auf uns aus wie nie zuvor. Automobil, Motorpflug und Bohrtürme haben selbst so stille Gegenden wie die Lüneburger Heide erobert; in bisher einsame Bergeslandschaften [sic!] fügen sich Staubecken, Kraftwerke und Stromleitungen ein. Noch in tiefste Einsamkeit dringt das Surren des Flugzeugs.5

Grundlegend für Hausers Zugriff auf Maschinen und Technik ist, was er in dem schmalen Reclamband Friede mit Maschinen aus dem Jahr 1928 bereits auf der ersten Seite als Richtschnur festhält:

Wir wollen zeigen, daß der feindliche Gegensatz Mensch-Maschine im Grunde ein künstlich konstruierter Gegensatz ist, eine Fiktion. (FM 3)

Hauser möchte seinen Lesern Maschinen näherbringen und ihre Funktionsweise auf einfache Art und Weise verständlich machen. Maschinen erscheinen ihm kompliziert, und er findet es gerade deswegen wichtig, diese seinen Lesern zu vermitteln.6 Hausers Anliegen ist es, die Maschinen für seine Mitmenschen im wahrsten Sinne des Wortes verstehbar zu machen. Er verfolgt mit seinem Essayband den eindeutigen Zweck, „zwischen dem untechnischen Menschen und der Maschine eine Verständigung anzubahnen“ (FM 3). Bezeichnend ist, dass Hauser sich nicht als Experte und Fachmann, sondern als interessierter Laie präsentiert. Seine Motivation, zwischen Mensch und Maschine „eine Verständigung ←13 | 14→anzubahnen“ (FM 3) hängt mit der Sorge zusammen, dass die Funktionsweisen von Maschinen den Menschen immer fremder werden und diese sich damit in eine gefährliche Abhängigkeit begeben könnten:

Wir haben uns daran gewöhnt, daß ein Auto eben fährt, daß ein Staubsauger saugt, daß eine Weckeruhr weckt. Wir haben uns an die Dienste von tausend Dingen gewöhnt, ohne ihre Funktion zu verstehen. Das ist nicht gut, es kann zu unerwünschten Folgen führen: zu einer Oligarchie der Fachleute oder zu einer Art Maschinenrevolution […]. (FM 3 f.)

Für Hauser sind Maschinen im Alltag der Menschen angekommen und zu selbstverständlichen Bestandteilen der Wirklichkeit geworden. Hausers Zeitgenosse Frank Matzke beschreibt es für seine Generation folgendermaßen: „Uns ist die Technik weder ein Wunder noch ein Dämon, sondern eine Selbstverständlichkeit.“7 Vieles scheint dafür zu sprechen, dass Hauser sowohl mit seinem literarischen als auch mit seinem journalistischen Schaffen gerade gegen diese vermeintliche Selbstverständlichkeit der Technik anzuschreiben versucht. Mit welchen künstlerischen Mitteln er dabei vorgeht und an welche zeittypischen Diskussionen er sich damit anschließt, soll mit Hilfe der vorliegenden Untersuchung beschrieben werden.

1.2 Zur Forschungslage

Nur wenige Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler haben sich bis heute mit Heinrich Hauser und seinem Werk befasst. Nach einem ersten Schwung von Mitte der Siebzigerjahre bis Anfang der Achtzigerjahre ebbte das Interesse an Hauser zunächst wieder ab. Seit der Jahrtausendwende ist eine erneute Zunahme an Untersuchungen von Hausers Werken in wissenschaftlichen Publikationen feststellbar, allerdings eher sporadisch und meist vereinzelt und partiell auf einige wenige Werke fokussiert. Das Reportagebuch Schwarzes Revier ist ein häufiger Gegenstand der Studien, vielleicht auch deswegen, weil es 2010 vom Weidle-Verlag anlässlich einer Ausstellung von Hausers Fotografien in Essen in einer bibliophilen Ausgabe neu aufgelegt worden ist.

Die einzige ausführliche Studie zu Heinrich Hauser ist Grith Graebners Monographie Heinrich Hauser. Leben und Werk. Eine kritisch-biographische Werk-Bibliographie.8 Graebner bietet eine mit viel Hingabe und Genauigkeit erarbeitete Biografie Heinrich Hausers und gibt einen Überblick über sein ←14 | 15→filmisches, journalistisches und literarisches Gesamtwerk. Die Arbeit enthält zudem ein informatives, ausführliches Werkverzeichnis und eine ausführliche Bibliographie. Weniger erhellend fallen dagegen die Ergebnisse der literaturwissenschaftlichen Untersuchung der Werke Hausers aus, bei der Graebner Aspekte der Technik und des Reisens, Fragen zu seinem Frauenbild, zu seinen – wie sie sich ausdrückt – „poetisch-sensiblen Seiten“ und zur Verortung des Gesamtwerks in der „männlichen Literatur“ der Neuen Sachlichkeit in den Blick nimmt.9 Eine kultur- und sozialhistorische Kontextualisierung der Texte Hausers, deren Einordnung und Interpretation im Hinblick auf zeitgenössische gesellschaftliche, kulturelle und politische Diskurse wird nicht geleistet. Wie Graebner selbst bekennt, hat ihr Wissen über Hausers Biografie ihre literaturwissenschaftlichen Analysen stark beeinflusst.10 Dies führt unter anderem dazu, dass Graebner häufig die Erzählinstanzen in Hausers Romanen mit dem realen Autor gleichsetzt und sie fiktive Inhalte und Schilderungen der Hauserschen Texte mit faktischen Aspekten aus Hausers Biografie verschränkt.

Wie Graebner sieht auch Gregor Streim in Hausers künstlerischem Schaffen Verbindungslinien zwischen Biografie und Werk. Nach Streims Eindruck entsteht die Authentizität, für die Hauser von seinen zeitgenössischen Rezensenten gelobt wird, dadurch, dass in seinen Erzählungen und Romanen „autobiographische[] Erfahrung“ eingegangen sei.11 Streim ist davon überzeugt, dass Hauser absichtlich sein Leben und Werk miteinander verwoben habe und diese daher in der Analyse nur schwer zu trennen seien.12

Der Biografie Hausers widmen sich fast alle Arbeiten, zumindest in Grundzügen – allerdings tragen nur wenige tatsächlich neue Erkenntnisse zu Hausers Leben und Wirken zusammen. Einen Grundstein für die Beschäftigung mit Hausers Leben legte Helen Adolf mit ihrem Beitrag in dem Band Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933 aus dem Jahr 1989.13 Adolf schildert vor allem ←15 | 16→Hausers beruflichen Werdegang. Eine Ergänzung dazu bietet Walter Delabar in Zur Besinnung gekommen. Heinrich Hauser als Autor des Eugen Diederichs Verlag, indem er eine kleine, aber werkgeschichtlich signifikante Episode in Hausers Leben beleuchtet: Hausers Verlagswechsel vom S. Fischer Verlag hin zu Eugen Diederichs.14 Delabar untersucht und zeigt die Implikationen dieses Wechsels für Hausers Schreiben und die Veröffentlichungen seiner Werke. Almut Todorow ergänzt in ihrer Studie zum Feuilleton der Frankfurter Zeitung Hausers Biografie um Informationen zu seinem Wirken bei der Zeitung als Mitglied des Redaktionskreises und als freier Mitarbeiter.15

Unter anderem im Rahmen von Neu- oder Wiederveröffentlichungen von Hausers Texten und Fotografien sind kürzere Arbeiten zu Hausers Leben und Werk erschienen, die seine Biografie und einzelne Aspekte seines Werks in den Blick nehmen. Zu nennen sind hier Walter Delabars Nachwort zur Neuveröffentlichung von Hausers Roman Donner überm Meer, Andreas Rossmanns Nachwort zu Schwarzes Revier, Sigrid Schneiders knapper Beitrag zu einem Band mit Fotografien, so wie Johannes Werner, der mit seiner Arbeit Einer, der nirgends blieb, schlaglichtartig Hausers Biografie und einzelne seiner Werke vorstellt und dabei auch auf Hausers Technikfaszination und Technikskepsis eingeht. Tim Kangro präsentiert Hauser als einen „vergessenen Autor“ in einer kurzen Studie zum Verhältnis von Fiktion, Autobiografie und Reportage in Hausers Werk und nimmt hier ansatzweise Hausers Auseinandersetzung mit Maschinen und Technik in den Blick.16 Er attestiert ←16 | 17→Hausers Werken eine „wegweisende[] Modernität“ und lobt die Frische und das Unverbrauchte seiner Realitätsschreibungen.17

Einer der ersten, die nicht nur Hausers Biografie, sondern auch sein Werk untersuchen, ist Helmuth Lethen.18 Ihn interessiert vor allem, wie Hausers Werk politisch-literaturgeschichtlich einzuordnen ist. Lethen analysiert Hausers Reportagen aus einer industrie- und kapitalismuskritischen Position und ordnet Hauser dem sogenannten „Weißen Sozialismus“ zu. Darunter ist eine politische Haltung zu verstehen, die sich dem Nationalsozialismus nicht entgegensetzte und sich zudem nicht mit linken Strömungen solidarisierte. Für Lethen ist Hauser ein bürgerlicher Vertreter einer nationalkonservativ-technokratischen Richtung der Neuen Sachlichkeit, der sich vor allem für den perfekten Funktionszusammenhang von Maschinen interessiere, mit den Unternehmern sympathisiere, die Arbeiterschicht vernachlässige und „das Bild der liberalen Gestalt von Technokratie“ zeichne.19

Dieser Interpretationsansatz prägt den Großteil der nachfolgenden Studien. Einige der Beiträge – insbesondere aus den Siebzigerjahren, aber auch aus den Jahren danach – untersuchen Hausers Werk auf Basis sehr enger theoretischer, manchmal auch ideologischer Prämissen. Die Verfasserinnen und Verfasser lesen Hausers Texte voreingenommen und häufig wertend.20 Im Großen und Ganzen untersuchen und analysieren sie meist einzelne, manchmal einige wenige Reportagen und Sachbücher Hausers. Dabei ist der Umgang mit Technik und Maschinen in Hausers Werk ein thematisches Feld, das in vielen Studien gestreift wird. Die Autorinnen und Autoren konzentrieren sich vor allem auf Hausers faktuale Texte. Friede mit Maschinen und Schwarzes Revier sind Werke, die oft in den Blick genommen werden, aber auch Hausers Opel-Trilogie oder ←17 | 18→die Reisereportage Feldwege nach Chicago sind Gegenstände literaturwissenschaftlicher Untersuchungen.21 Dabei kommen die Autoren häufig zu dem Schluss, dass Hausers Interesse, Sympathie und Leidenschaft mehr der Welt der ←18 | 19→Technik und Maschinen als der Welt der Menschen gelte.22 Ein Vorwurf an Hauser lautet, dass dieser Maschinen und Technik ästhetisiere oder sogar erotisiere und auf diese Weise (auch) Produktwerbung betreibe, was als propagandistisch, zumindest aber als Ausdruck einer unkritisch-schwärmerischen Haltung gegenüber der Industrialisierung gewertet wird.23 In ihrer Studie zur Literatur über Städtereisen aus der Weimarer Republik gelangt Anke Gleber zu einem vergleichbaren Urteil und Matthias Uecker bemängelt in seiner Arbeit zu Heinrich Hausers Industriereportagen dessen „Technikapologetik“ und eine fehlende gesellschaftlich-politische Auseinandersetzung.24

Viele Autorinnen und Autoren fragen nach Hausers Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus. Simon Huber sieht in der Reportage Ein Mann lernt fliegen einen „Synchronisationsversuch mit dem herrschenden Regime“, Ute Gerhard erkennt in Hausers Texten (zumindest zeitweise) ein doppeltes Einverständnis: sowohl mit der Moderne, als auch mit dem Nationalsozialismus.25 ←19 | 20→Gregor Streim ordnet Hauser ideologisch-literaturgeschichtlich einem „reaktionären Modernismus“ zu.26 In einem weiteren Beitrag untersucht Streim, wie sich in Hausers Reisereportagen Technikfaszination und Nationalismus verbinden.27 Insgesamt zeigt sich in den Studien, dass Hauser nicht eindeutig einem politischen Lager zugeordnet werden kann.

Streim ist einer der wenigen, die in ihren Untersuchungen mehrere Werke Hausers einbeziehen.28 In seiner Analyse von Hausers Werken untersucht er diese auf Polaritäten wie Technikbegeisterung versus Technikfurcht, Wildnis versus Großstadt, die Sehnsucht nach Gemeinschaft versus die Flucht in die Einsamkeit und kommt zu dem Schluss, dass Hauser diese vermeintlichen Gegensätze verknüpfen und verschmelzen will.29 Neben den genannten polaren Themenfeldern legt Streim einen Schwerpunkt seiner Analysen auf die Themenkomplexe Heimat, Heimatlosigkeit und Pionier- und Siedlertum. Er stellt Hauser etwa als einen Pionier und Siedler dar, der sich permanent danach sehnt, irgendwo eine Bleibe, ein Zuhause zu gründen.30 Viktor Otto untersucht ebenfalls die Aspekte des Pioniergeists und der Siedlungsbestrebungen bei Hauser in seiner Studie zu den Intellektuellen-Diskursen um die Moderne.31 Für Otto repräsentiert Hausers Thematisierung des „Vonvornbeginnens“ eine „Lebensform“, deren Schwerpunkt auf dem Werden und dem Neuentwickeln liegt und ←20 | 21→die im Pionier und Siedler ihre perfekte Verkörperung findet.32 Hauser ist für Otto ein „Neo-Barbar“, der sich insbesondere in seinen Reisereportagen auf die Suche nach Ländern und Menschen macht, die ein Pionier- und Siedlertum verwirklichen, das Hauser als beispielhaft und zukunftsweisend für Deutschland ansieht.33 Neben dem Pioner- und Siedlertum geht Otto in seiner Studie auf Hausers amerikanische Schriften ein, in denen er eine ideologische Neuausrichtung Hausers (Time was) und dessen politische Visionen für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg (The German talks back) erkennt.34

Otto widmet sich in seinen Analysen auch dem Themenkomplex von Mensch und Maschine bzw. Natur und Technik.35 Dabei untersucht er zunächst, wie Hauser in seinem Werk das „neusachliche Primat des Sehens“ verwirklicht und geht auf die visuellen Aspekte und Hausers fotografische Schreibweise ein.36 Er arbeitet heraus, welche stilistischen Elemente Hauser nutzt, um das fotografische Schreiben zu realisieren.37 Otto zeigt anhand von Feldwege nach Chicago, dass und wie Hauser Maschinen als eigenständige Wesen mit einer Seele darstellt. Da Otto in seiner Studie den Fokus auf die Amerikabilder in Hausers Werk legt, lässt er zu diesem Themenkomplex alle weiteren Werke Hausers außer Acht, wodurch die Analyse unvollständig bleibt.

Weiterführend ist Ottos Analyse der Stadt-Land-Dichotomie in Hausers Reportagebüchern, indem er Hausers Bestreben nachweist, die moderne dualistische Auffassung von Stadt und Land zu überwinden und Natur und Technik nicht als Gegensätze, sondern als zusammengehörig zu verstehen.38

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Wie Otto untersucht auch Sebastian Graeb-Könnecker in seiner Studie Hausers Opel-Trilogie im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen Technik und Natur bzw. Landschaft.39 Er kommt zu dem Schluss, Hausers Botschaft sei, dass in den modernen Autofabriken sich Mensch und Maschine im Einklang mit der Natur befänden und der Wandel der Technik und Industrie der Moderne sich in natürliche Lebensabläufe integrieren lasse.40 Das Zusammenspiel von Natur und Technik nimmt auch Martin Walter in den Blick. Er untersucht Beschreibungen industrieller Landschaften in englischen und deutschen Reiseberichten der Zwischenkriegszeit als „discursive fields“ und analysiert in diesem Zusammenhang Hausers Schwarzes Revier.41 Nach Walter werden im Rahmen dieses Diskurses ideologische Auseinandersetzungen um Zugehörigkeit, Fortschritt und soziale Ordnung verhandelt. Hauser nehme die industrielle Landschaft als Teil der natürlichen Landschaft wahr, deren Wachstum aber gelenkt werden müsse.42

Im Zentrum von Ute Gerhards Studie stehen Wanderungs- und Fluchtbewegungen in der Weimarer Republik. In diesem Zusammenhang analysiert sie Hausers Werke Feldwege nach Chicago, Brackwasser und Donner überm Meer ebenfalls im Hinblick auf die Themenfelder Natur und Technik. Dabei arbeitet sie heraus, wie Hauser Landschaft und technische Moderne in Einklang zu bringen versucht und Subjektivität und Modernisierung synchronisieren will.43 ‚Natur und Technik‘ in Hausers Reisereportagen widmen sich noch weitere Studien, so beispielsweise Streim in seiner Untersuchung deutscher Reiseberichte aus den Dreißigerjahren.44 Streim analysiert neben Texten anderer Autoren Hausers Bericht Fahrten und Abenteuer mit dem Wohnwagen. Zentral in diesem Text sei das individuelle Reiseerlebnis und der private Wunsch nach Unabhängigkeit und Naturnähe. Gleichzeitig diene die Reise dazu, Deutschland als eine ←22 | 23→„im ‚Aufbruch‘ befindliche Nation“ zu erkunden.45 Hauser suche und finde auf dieser Reise „emblematische Bilder ‚organischer‘ Modernität“.46 Christopher Meid untersucht im Rahmen seiner Studie über Griechenland-Reiseberichte Hausers Reportagebuch Süd-Ost-Europa ist erwacht und erkennt in diesem Text das Bestreben, Natur und Technik miteinander zu versöhnen.47

In seiner Analyse der autobiografischen Reportage Ein Mann lernt fliegen stellt Huber die Frage, wie Hauser sich mit der Moderne und deren Herausforderungen auseinandersetzt.48 Er legt dar, wie der menschliche Körper in Hausers Text durch das Fliegen Freiheit und Distanz zur Alltagswelt erlangt. Die Möglichkeit zu fliegen belege Hausers grundsätzliche Annahme, dass es keinen Gegensatz zwischen Mensch und Maschine gebe.49 Mit dem Motiv des Piloten und des Fliegens in Hausers Roman Donner überm Meer befassen sich weitere Studien. Schütz analysiert Donner überm Meer im Rahmen seiner Studie Flieger – Helden der Neotonie, in der er anhand von Fliegerdarstellungen in der Literatur den Transformationsprozess des archaischen Heroen zu einem „modernen Helden mit Apostroph, Heldendarsteller, Heldenersatz oder fachmännischen Alltagshelden“ herausarbeitet.50 Für Schütz verkörpert der Flieger Fonck in Donner überm Meer die Wiederkehr des Archaischen durch die Technik. Fonck sei der Prototyp des transformierten, modernen Helden.51 In seinem Nachwort zur Neuauflage des Romans im Jahr 2001 fokussiert sich Walter Delabar auf die große Technikfaszination Hausers und betont die erzählerische Modernität des Textes.52 Die Erzählweise in Donner überm Meer nimmt auch Gerald Funk in seinem Beitrag Von Motoren und Menschen in den Blick.53 Der ←23 | 24→Roman zeige „das souverän ausgetragene Scheitern an der Fiktion“.54 Er zeichne sich vor allem durch Hausers Leidenschaft für das Sehen und seine Fähigkeit zur präzisen Beschreibung des Gesehenen aus.55

Details

Seiten
290
Erscheinungsjahr
2021
ISBN (PDF)
9783631844663
ISBN (ePUB)
9783631844670
ISBN (MOBI)
9783631844687
ISBN (Hardcover)
9783631821671
DOI
10.3726/b17941
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
Neue Sachlichkeit Moderne Weimarer Republik Nationalsozialismus Maschinenästhetik Science Fiction Sachliteratur Reportage Krisendiskurs Moderne Literatur und Technik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 290 S., 12 s/w Abb., 2 Tab.

Biographische Angaben

Mirjam Schubert (Autor:in)

Mirjam Schubert studierte Germanistik, Journalistik und Ethnologie an der Universität Hamburg und am Trinity College in Dublin. Sie war Stipendiatin am interdisziplinären DFG-Graduiertenkolleg „Kunst und Technik" und wurde an der Universität Hamburg promoviert. Dort arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Schreibzentrum.

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Titel: Das Verhältnis von Mensch und Maschine im Werk Heinrich Hausers