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Die Herren Belohner

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Die Herren Belohner
Untertitel:
aus: Lerne lachen ohne zu weinen, S. 102-104
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1932 (EA 1931)
Verlag: Ernst Rowohlt
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Die Weltbühne, 31. März 1931
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Bearbeitungsstand
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[102]
Die Herren Belohner

Der Staatsanwalt Rombrecht hat in einem Mordprozeß (Ulbrich) gesagt:

„Die Angeklagte Neumann hat trotz ihres körperlichen Zustandes (sie ist in andern Umständen) sich tapfer während der ganzen Verhandlung gehalten. Das muß mildernd belohnt werden.“

Ist denn kein Justizminister da, der diese Staatsanwälte und Richter auf das erste und oberste Gesetz jeder Verhandlungsführung aufmerksam macht: es gibt keinen Paragraphen im Strafrecht, der gutes Verhalten vor Gericht vorschreibt! Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn der Tatbestand für eine Bestrafung gesetzlich bestimmt [103] ist. Was bilden sich denn diese größenwahnsinnigen Funktionäre ein?

Belohnen …? Rombrecht hat nichts zu belohnen. Das Gericht ist dazu da, um mit seinem Urteil die Gesellschaft vor Rechtsbrechern zu schützen – weiter nichts. Das elende und schmachvolle Spiel, das jedesmal anhebt, wenn um das Strafmaß gefeilscht wird, kennt zweierlei Gewichte: schwarze und weiße. Diese mildern, jene verschärfen das Strafmaß.

Aber ich verpflichte mich, jedem Angeklagten beizubringen, in zwei Strafverhandlungen vor verschiedenen Richtern (ohne Ungebühr vor Gericht und ohne doppelten Boden), das eine Mal so aufzutreten, daß die Richter sagen: „Na … es muß dem Angeklagten strafmildernd zugute gehalten werden …“ und das andre Mal so, daß er die dickste Strafe aufgebrummt bekommt, die möglich ist. Wie man das macht? Es ist sehr einfach – so grauenerregend einfach wie die Psychologie der Unabsetzbaren. Denn auf diese Psychologie kommt es viel mehr an als auf die der Verbrecher. Über diese wird zu viel geschrieben – über jene zu wenig.

Wie es also mein Schüler machen soll? Ich ließe ihn den Soldaten markieren, das nützt immer: den strammen Soldaten. Nicht übertrieben, aber doch mit den Händen an der seelischen Hosennaht –, die gibts eigentlich nicht, in Moabit gibt es sie. Immer: „Jawohl, Herr Vorsitzender!“ „Nein, Herr Vorsitzender!“ Und immer antworten: kurz, damit die Herren nicht so lange sitzen müssen, einfach, damit das Gesagte nachher als Belastung dienen kann, und simpel, damit die Akademiker ihre Überlegung fühlen. Und keine langen Verteidigungen. Und eine Spur unterwürfig, aber nicht zu sehr. Und immer dem vorgesetzten Richter ins Auge sehn. Und nicht um Mitleid flennen, sondern etwa wie der Sohn jenes bebarteten Oberlehrers bei Curt Goetz: „Ich habe eine Strafe verdient und bitte um [104] eine gehörige solche.“ Dann wird mein Schüler so etwas Ähnliches wie Gnade finden. Denn diese Richter bilden sich wirklich ein, über dem Angeklagten zu stehn, der ihnen da vorgeworfen wird; ein frostiges Hohngelächter würde erschallen, wenn man ihnen das ausreden wollte. Unheilbar.

Und das andre Mal ließe ich meinen Schüler widersprechen, nicht frech, aber fest. Von allen Möglichkeiten der Verteidigung müßte er Gebrauch machen, ruhig, aber durchaus gegen den ewig redenden Richter. Und dann werde ich den Schüler wohl lange Jahre nicht mehr wiedersehn.

Wer sich dem Gericht unterwirft, ist ein guter Angeklagter. Wer aber Widerstand leistet, in der Form, in der Sache, im nicht genügenden Geständnis oder gar politisch: der ist ein böser Angeklagter.

Reue, Reue … Man klappe die Hirnschale eines mittlern Staatsanwalts auf, die irgendeines kleinen Landgerichtsdirektors, und man wird darin Anschauungen über Seelenkunde finden, die museal sind. Nein: die nie gut gewesen sind. Man muß wissen, was darüber an Universitäten gelehrt wird, und in welche Kollegs Juristen zu gehen pflegen, und man weiß genug. Nicht, als ob sie sich von falschen Krokodilstränen erweichen ließen, so dumm sind sie wieder nicht. Aber was sie da pro reo und contra reum in die Wagschale legen, das ist lächerlich. Und ungehörig.

Niemand hat den Staatsanwalt gefragt, was er über das Verhalten des Angeklagten vor Gericht denkt. Straftaten soll der Richter aburteilen, und wenn er sich schon an den Täter macht: dann müßte er ihn zuvor verstehn. Aber davon kann bei dieser Praxis keine Rede sein.

Man lehre die Richter und die Staatsanwälte die Grundbegriffe des Strafrechts, wenn sie schon keine Seelenkunde betreiben.