Ulrich Seidl

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Ulrich Seidl (2022)

Ulrich Seidl (* 24. November 1952 in Wien) ist ein österreichischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent.

Ulrich Seidl wuchs im niederösterreichischen Horn in einer streng religiösen katholischen Ärztefamilie auf.[1][2] Sein erster Langfilm war der Dokumentarfilm Good News, den er sieben Jahre nach seinem Abgang von der Wiener Filmakademie realisierte. Er stellt die Lebensbereiche der Menschen, die Zeitungen verkaufen, denen gegenüber, die sie lesen.

Models stellt den Alltag zweitklassiger österreichischer Models dar, die zwischen Club, Wohnung und Katalog-Shooting versuchen, ein Leben voller Glamour zu führen und mit betonter Oberflächlichkeit und Kokainkonsum auf sexistische Fotografen und enttäuschende Beziehungen reagieren. In Slowenien wurde der drastische Film beschlagnahmt. Tierische Liebe porträtiert Tierfreunde, die mit ihren Haustieren seltsam intime emotionale Beziehungen pflegen. 2001 veröffentlichte er mit Hundstage seinen ersten Spielfilm, in dem auch Profidarsteller zum Einsatz kommen. Er wurde in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet und erzielte international rund 250.000 Kinobesuche.[3]

Ulrich Seidl hat seit Jahren ein enges Verhältnis zum Filmclub Drosendorf und einen Zweitwohnsitz in Drosendorf. Die Premiere von Hundstage fand im Filmclub statt.[4]

2003 gründete er gemeinsam mit Veronika Franz die Ulrich Seidl Film Produktion. Regisseurin und Drehbuchautorin Veronika Franz begleitet seit 1997 alle Filme von Ulrich Seidl als langjährige künstlerische Kollaborateurin. Sie schrieb mit ihm u. a. die Drehbücher zu Hundstage (2001), Import Export (2007) und Paradies-Trilogie (2012/13). Nach Import Export (2007), dem ersten Film den Seidl mit der eigenen Produktionsfirma hergestellt hat, entstand seine erfolgreiche und preisgekrönte Paradies-Trilogie (2012/2013), deren Filme in den Wettbewerben von Cannes, Venedig und Berlin ihre Uraufführungen feierten. Der erste Teil Paradies: Liebe seiner Paradies-Trilogie, erzählt von drei Frauen einer Familie, die getrennt voneinander ihren Urlaub verbringen. Die weiteren Teile handeln von einer missionierenden Katholikin (Paradies: Glaube) und einer Jugendlichen in einem Diät-Camp (Paradies: Hoffnung). In Paradies: Liebe ist Margarethe Tiesel als Sextouristin zu sehen, die von Österreich nach Kenia reist, um dort von jungen schwarzen Männern Liebe zu erfahren. Für diesen Film erhielt Seidl 2012 seine zweite Einladung in den Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes.[5] Bei der Verleihung des Österreichischen Filmpreises wurde er als beste Filmproduktion sowie in den Kategorien Regie und Darstellerin (Margarethe Tiesel) ausgezeichnet. Im selben Jahr wurde Seidl für den zweiten Teil seiner Trilogie, Paradies: Glaube, in den Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Venedig eingeladen. Der Film handelt von einer alleinstehenden Frau Maria Hofstätter, die in ihrem Urlaub mit einer „Wandermuttergottes-Statue“ von Haus zu Haus geht, um Österreich katholischer zu machen. Zu Hause entwickelt sich ein Kleinkrieg um Ehe und Religion, als ihr auf einen Rollstuhl angewiesener Ehemann, ein ägyptischer Moslem, nach Jahren der Abwesenheit wieder zu ihr zurückkehrt.[6] Der letzte Trilogie-Teil Paradies: Hoffnung erhielt eine Einladung in den Wettbewerb der 63. Internationalen Filmfestspiele Berlin.

Der Film Im Keller zeigt neben anderen Szenen Männer, die sich in einem mit Nazi-Devotionalien gespickten Keller in Marz treffen, und löste den Rücktritt von zwei der Gefilmten als Gemeinderatsmandatare der ÖVP aus.[7]

2014 produzierte Seidl mit der Ulrich Seidl Filmproduktion den Horrorfilm Ich seh Ich seh,[8] in dem die Zwillinge Elias Schwarz und Lukas Schwarz die Hauptrollen übernahmen.[9] Regie führte das österreichische Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala. Ich seh Ich seh (2014, Goodnight Mommy), der bei den Filmfestspielen von Venedig seine Uraufführung feierte, wurde als österreichischer Beitrag zum Auslands-Oscar gesandt. Ein US-Remake des Films ist im Entstehen, produziert von der Produktionsfirma Animal Kingdom („It Follows“, „It Comes at Night“.)

Im Jahr 2022 erhielt Seidl für seinen Spielfilm Rimini eine Einladung in den Wettbewerb der 72. Berlinale.[10] 2024 wurde er in der Jury des 72. Internationalen Filmfestivals von San Sebastian berufen.[11]

Logo von Seidls Produktionsfirma

Seidls filmischer Stil erinnert oft an TV-Doku-Dramen. Dabei soll ein inszeniertes (Laien-)Schauspiel wie die dokumentierte Realität wirken, doch ist er in langen und distanzierten Einstellungen weit poetischer und zurückhaltender.[12] Seidl arbeitet mit formal zum Teil verstörenden Mitteln – lange, starre Einstellungen, harte Schnitte, Distanz.

Vielen gilt er als Extremfilmer, weil er „mit radikaler Aufgeschlossenheit […] die Einsamen und Hässlichen, die Außenseiter und Deformierten der Gesellschaft“ porträtiert.[1]

Anfang September 2022 veröffentlichte Der Spiegel einen Bericht, laut dem bei den Dreharbeiten in Rumänien zu Seidls Film Sparta einige minderjährige Laiendarsteller „offenbar ausgenutzt“ worden seien.[13] Die Eltern der Kinder seien nicht darüber informiert worden, dass es in dem Film u. a. um Pädophilie gehe, so die Vorwürfe. Weitere Vorwürfe betrafen Nacktheit, Gewalt und zu lange Arbeitszeiten.[14] Seidl widersprach noch am selben Tag dem Artikel, in dem „unzutreffende Darstellungen, Gerüchte oder aus dem Kontext gerissene Vorkommnisse … zu einem in keiner Weise den Tatsachen entsprechenden Zerrbild montiert“ würden; dies könne er nicht unwidersprochen stehen lassen.[15] Die Uraufführung von Sparta beim Toronto International Film Festival wurde nach Bekanntwerden der Vorwürfe abgesagt.[16] Mitte September 2022 erhoben Mitarbeiter des Films weitere Vorwürfe im Wiener Falter. In Österreich werde der Film erstmals im Rahmen der 60. Viennale Ende Oktober zu sehen sein.[17] Der österreichische Verband Filmregie hat in einer Erklärung Anfang Oktober 2022 kritisiert, die Berichterstattung der Medien habe einer Vorverurteilung Seidls Vorschub geleistet.[18]

→ siehe: Sparta / Vorwürfe über Ausbeutung von Kindern

Seidl war mit der Drehbuchautorin Veronika Franz liiert.[19] Seidls Neffe ist Severin Fiala.[20]

Ulrich Seidl bei der Premiere seines Films Import Export in Linz (2007)
Ulrich Seidl (Österreichischer Filmpreis 2013)
  • Corina Erk / Brad Prager (Hg.): Ulrich Seidl (= Film-Konzepte, Bd. 59). edition text+kritik, München 2020.
  • Stefan Grissemann: Sündenfall. Die Grenzüberschreitungen des Filmemachers Ulrich Seidl. Sonderzahl Verlagsgesellschaft, Wien 2007.
  • Florian Lamp: Die Wirklichkeit, nur stilisiert. Die Filme des Ulrich Seidl. Büchner-Verlag, Darmstadt 2009.
  • Jürgen Heizmann: „Blasphemie im Kino. Die Skandale um VIRIDIANA, DAS GESPENST und PARADIES: GLAUBE.“ In: „Gotteslästerung“ und Glaubenskrieg in der Literatur und in den Künsten. Hg. von Hans Richard Brittnacher u. Thomas Koebner. Marburg 2016, ISBN 978-3-89472-712-3, S. 138–161.
  • Artikel über Ulrich Seidl. In: Die Presse
Commons: Ulrich Seidl – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Martina Knoben: Verstörung ist auch eine Form der Berührung – Eine Expedition in die Welt des Ulrich Seidl. In: Süddeutsche Zeitung, 28. Juni 2010.
  2. Seidl, Ulrich Maria. In: Austria Forum. Abgerufen am 1. November 2022.
  3. lumiere.obs.coe.int Lumiere – Datenbank über Filmbesucherzahlen in Europa; abgerufen am 8. November 2007.
  4. Wenzel Müller: Das Wirtshaus-Kino. In: augustin.or.at, 10. April 2017.
  5. PARADIES: LIEBE Im Wettbewerb der 65. Filmfestspiele von Cannes bei ulrichseidl.com; abgerufen am 25. April 2012.
  6. PARADIES: Glaube im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig bei ulrichseidl.com, abgerufen am 29. Juli 2012.
  7. http://burgenland.orf.at/news/stories/2669952/ „Nazi-Keller“: Seidl beteuert Authentizität, ORF.at, 23. September 2014
  8. Ulrich Seidl Film Produktion | In Produktion | Ich seh Ich seh
  9. International Goodnight Mommy Trailer Will Give You Nightmares
  10. Berlinale 2022: Die Filme des Wettbewerbs. In: berlinale.de, 19. Januar 2022 (abgerufen am 19. Januar 2022).
  11. Manuel Meyer: Ulrich Seidl heuer in der Festivaljury von San Sebastian. In: apa.at. 17. September 2024, abgerufen am 17. September 2024.
  12. Weniger freundlich beschreibt Rüdiger Suchsland den Stil: Rassismus für die Gebildeten unter seinen Verächtern. Telepolis, 3. Januar 2013, Rezension.
  13. Lars-Olav Beier, Bartholomäus von Laffert, Pascale Müller und Delia Marinescu: »Nur noch ein bisschen, dann darfst du nach Hause gehen«. In: spiegel.de vom 2. September 2022.
  14. Kinderdarsteller ausgenützt? Ulrich Seidl äußert sich zu Vorwürfen, puls4.at, 2. September 2022, abgerufen am 3. September 2022
  15. SPARTA — Eine Stellungnahme von Ulrich Seidl zu SPIEGEL-Artikel. In: presseportal.de vom 2. September 2022.
  16. ORF at/Agenturen red: Nach Vorwürfen: Weltpremiere von Seidl-Film abgesagt. 9. September 2022, abgerufen am 9. September 2022.
  17. news.ORF.at. Abgerufen am 1. Oktober 2022.
  18. Filmverband kritisiert Umgang mit Regisseur Seidl, wdr.de, veröffentlicht und abgerufen am 4. Oktober 2022.
  19. alexandra.seibel: Seidl und Franz: Horror im Alltag, Hölle im Alltag. 27. August 2014, abgerufen am 2. September 2022.
  20. Marschall Clemens: Filmemacher Severin Fiala über seine Arbeit, die Filmakademie und «Onkel» Ulrich Seidl. In: augustin.or.at. 1. Juni 2011, abgerufen am 14. Februar 2020.
  21. Vgl. filmfonds-wien.at
  22. Priser Bergen International Film Festival (Memento vom 23. Februar 2013 im Webarchiv archive.today)
  23. Jürgen Haberleithner: Film als soziale Dimension: Luis García Berlanga und Ulrich Seidl als Exponenten sozialer Filmkultur. (PDF; 549 kB) Wien, September 2003; abgerufen am 28. Jänner 2012.
  24. Kulturpreise des Landes Niederösterreich 2005. APA-Meldung vom 24. November 2005, abgerufen am 28. November 2015.
  25. Gala: Ulrich Seidl mit Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. In: Der Standard, 8. September 2012; abgerufen am 22. Dezember 2012.
  26. ORF-Online: Ehrenzeichen an Regisseur Ulrich Seidl; abgerufen am 14. Nov. 2013
  27. Großer Diagonale-Preis des Landes Steiermark. Diagonale, abgerufen am 28. Juni 2022.
  28. Preisträger:innen 2024. In: oesterreichische-filmakademie.at. Abgerufen am 5. Juni 2024.