Stichometrie
Stichometrie ist die moderne Bezeichnung (aus griech. stichos = Zeile und metrein = messen, zählen) für die Zeilenzählung literarischer Texte in antiken Handschriften.
Formen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Während in der Dichtung jeder Vers stichometrisch einer Zeile entspricht, wird in Prosatexten die »Normalzeile« der Länge eines epischen Hexameters (in der Frühphase 15, später 16 Silben oder rund 35 Buchstaben) angeglichen. Literarisch bezeugt sind stichometrische Angaben seit dem 4. Jh. v. Chr. In Rollen und Kodizes handschriftlich überliefert sind zwei Arten der Stichometrie: 1. Randzählung (Marginalstichometrie). Bei dieser häufigsten Methode wird jede hundertste Zeile am linken Rand der Papyrusrolle mit einem griechischen Buchstaben (A = 1 bzw. 100 bis Ω = 24 bzw. 2400) oder auch lediglich mit einem Strich gekennzeichnet. 2. Summenzählung (Totalstichometrie). Bei diesem Verfahren wird am Ende der Rolle die Gesamtzahl der Zeilen angegeben. Die Gesamtzeilenzahl war in der Antike Bestandteil der bibliographischen Beschreibung eines Werkes; auch in den Pinakes des Kallimachos, dem Katalog der Bibliothek von Alexandria, war sie den einzelnen Titeln beigefügt.
Zweck
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Stichometrie reicht bis in die griechische Antike zurück. Die stichometrischen Angaben erfüllen im Buchwesen der Antike einen mehrfachen Zweck. 1. Garantie der Vollständigkeit eines abgeschriebenen Textes für Bibliothekare, Buchhändler und Leser; infolge der besseren Vergleichbarkeit der Kopien auch Schutz vor Fälschungen. 2. Grundlage für die Berechnung des Schreiberlohns und des Buchpreises (das Preisedikt des römischen Kaisers Diokletian vom Jahr 306 n. Chr. legt Höchstpreise für Schreiberarbeit pro 100 Zeilen Text fest). 3. Die Kenntnis des Textumfangs ermöglicht dem Abschreiber die Wahl einer passenden Papyrusrolle. 4. In der Antike noch selten und nur in wenigen Fällen nachweisbar: genaue Stellenangabe bei Bezugnahme auf andere Werke (z. B. im Cicero-Kommentar des Asconius). 5. Offenbar gab es auch Texte, die von vornherein stichometrisch geplant wurden, indem für den Gesamttext ebenso wie für seine Teile der genaue Umfang festgelegt und dann bei der Abfassung des Textes auch eingehalten wurde. Auch Vorgaben dazu, welche Art von Text welchen Umfang haben sollte, sind bekannt.
Stichometrie und Kolometrie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Neben der Stichometrie hat sich als weiteres Verfahren der Textanalyse die Kolometrie entwickelt. In beiden Fällen geht es um Zerlegung von Texten in kleinere Einheiten, allerdings nach unterschiedlichen Kriterien und Zielsetzungen. Vergleiche dazu den Artikel Kolometrie.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Hrsg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 11. Metzler, Stuttgart und Weimar 2002, ISBN 3-476-01470-3.
- Friedrich Gustav Lang: Schreiben nach Mass. Zur Stichometrie in der antiken Literatur. In: Novum Testamentum, Vol. 41, Fasc. 1, 1999, S. 40–57.
- Friedrich Gustav Lang: Ebenmass im Epheserbrief: Stichometrische Kompositionsanalyse. In: Novum Testamentum, Vol. 46, Fasc. 2, 2004, S. 143–163.
- Kurt Ohly: Stichometrische Untersuchungen. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1928. Harrassowitz, Wiesbaden 1968 (Zentralblatt für Bibliothekswesen/Beiheft; 16)
- Adam Pawłowski: Prolegomena to the History of Corpus and Quantitative Linguistics. Greek Antiquity. In: Glottotheory 1, 2008, S. 48–54.
- Friedrich Ritschl: Disputationis de stichometria deque Heliodoro supplementum, Bonnae 1840.
- Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur (= Kröners Taschenausgabe. Band 231). 8., verbesserte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2001, ISBN 3-520-23108-5.
- Konrat Ziegler, Walther Sontheimer und Hans Gärtner (Hrsg.): Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden. Bd. 5. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1979.
- James Rendel Harris, Stichometry (London 1893).