Starrer Gang

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Fahrrad mit starrem Gang.
Rennrad mit starrem Gang
Bahnrad mit starrem Gang

Der Begriff starrer Gang (auch „starre Nabe“, „Starrlauf“, "Steifnabe, "Ewigtreter" oder "Fixie" genannt) bezeichnet das Nichtvorhandensein eines Freilaufs an einem Fahrrad. Meist verfügen Fahrräder mit starrem Gang über keine Gangschaltung, dies ist aber nicht die definierende Eigenschaft.

Historisch waren die ersten, ab den 1860er Jahren verwendeten Tretkurbelfahrräder Fahrräder mit starrem Gang, um 1900 setzte sich der Freilauf rasch gegen die starre Nabe durch.

Im Radsport werden Fahrräder ohne Freilauf heute im Bahn- und Hallenradsport, verwendet. Straßenradrennfahrer setzen Räder mit starrem Gang fallweise beim Training ein.

Ab den 1980er Jahren hatten Fahrradkuriere in New York begonnen, Bahnfahrräder auf der Straße zu verwenden. Bilder und Videofilme von diesen Fahrten verbreiteten sich weltweit, das Fahren mit den als "Fixies" bezeichneten Rädern ohne Freilauf erlangte dadurch Kultstatus, die deutliche Mehrheit der Radfahrer verwendet aber weiterhin Fahrräder mit Freilaufnabe.

Nabenschaltung mit starrem Gang

Fahrräder mit starrem Antrieb werden üblicherweise als Eingangrad ohne Gangschaltung eingesetzt. Eine Kettenschaltung ist wegen des dafür nötigen federnden Kettenspanners nicht praktikabel. Nabenschaltungen verfügen üblicherweise entweder über eine Rücktrittbremse oder einen integrierten Freilauf. Speziell für Fahrräder mit starrem Antrieb wird die Nabenschaltung SunRace bzw. Sturmey-Archer S3X angeboten. In den 1950er Jahren war die 3-Gang-Nabenschaltung ASC ohne Freilauf erhältlich. Alternativ ist auch die Verwendung eines im Innenlager integrierten Getriebes möglich.[1] Fahrräder mit starrem Gang können nicht mit Rücktrittbremse ausgestattet werden.

Ausfallenden an einem Bahnrad. Die Achse kann waagerecht verschoben werden, die Kette wird über die Schrauben gespannt.

Da die Verwendung eines federnden Kettenspanners zu einem großen „Spiel“ im Antrieb und dem häufigen Abspringen der Kette führen würde, muss die Kettenspannung entweder durch Drehung eines exzentrisch gelagerten Innenlagers (überwiegend nur bei Tandems üblich) oder durch das Verschieben des Hinterrads in einem waagerechten oder schrägen Ausfallende eingestellt werden. Sportliche Fahrradrahmen zur Verwendung mit Kettenschaltung verfügen heute meist über senkrechte Ausfallenden und sind daher für einen starren Antrieb nicht geeignet.

Falls das Fahrrad nicht über zwei zusätzliche Handbremsen verfügt, ist die sorgfältige Einstellung der Kettenspannung sicherheitsrelevant. Denn sollte die Kette abspringen, so ist es nicht mehr möglich, das Fahrrad über die Antriebskurbeln abzubremsen. Üblicherweise bestehen am Kettenblatt leichte Abweichungen zum genauen Rundlauf. Dadurch ist es oft nicht möglich, eine Einstellung zu finden, bei welcher die Kette weder zu stark durchhängt, noch sich beim Drehen der Kurbeln an anderer Stelle verspannt. Falls das Kettenblatt nicht fest vernietet ist, empfiehlt es sich, die vier oder fünf Befestigungsbolzen des Kettenblatts etwas zu lösen und durch Spannen der Kette und anschließendes Drehen der Kurbeln herauszufinden, an welcher Stelle der Antrieb verspannt. An diesem Punkt kann durch leichte Schläge auf die Kette mit einem Schraubenschlüssel erreicht werden, dass sich das Kettenblatt leicht verschiebt. Nun dreht man die Kurbeln weiter, bis sich die Kette erneut spannt und fährt so fort, bis das Kettenblatt zentriert ist.[2]

Michauline aus dem Jahr 1869. Vor dem Lenker sind die Fußrasten zu erkennen.
Frühes Sicherheitsniederrad (1886) mit starrem Gang. Auch bei diesem Fahrrad wurden Fußrasten angebracht.

Bei den in den 1860er Jahren entwickelten ersten Tretkurbelrädern, den Michaulinen und den daraus weiter entwickelten Hochrädern waren die Antriebskurbeln fast ausnahmslos starr direkt mit dem Vorderrad verbunden. Auch zahlreiche andere vor 1900 verwendete Fahrradkonstruktionen hatten meist keinen Freilauf. Obwohl bereits 1869 der Freilauf für Fahrräder zum Patent angemeldet wurde[3] konnte sich dieser anfangs noch nicht durchsetzen. Um das Bergabfahren mit Fahrrädern ohne Freilauf zu erleichtern wurden schon Michaulinen mit Fußrasten ausgestattet. Die 1898 erfundene Rücktrittbremse hatte wesentlichen Anteil daran, dass sich der Freilauf um 1900 in kurzer Zeit durchgesetzt hat. Die Gangschaltung in der Hinterradnabe mit Freilauf wurde 1902 erfunden und fand ab 1924 nennenswerte Verbreitung. Die Eingangräder mit starrem Gang wurden für Alltagsräder hernach weniger nachgefragt. Im Rennsport blieb der starre Gang allerdings erhalten.

Bis in die 1950er Jahre existierten Hinterradnaben, die auf der Bahn und der Straße benutzt werden konnten. Sie hatten auf einer Seite einen starren Gang und auf der anderen Seite einen 3-fach-Zahnkranz mit Freilauf. Auch die bis in die 1980er Jahre verwendeten Hinterradnaben konnten ohne große Mühe auf starren Gang umgerüstet werden, weil der Freilauf in den Zahnkranz integriert war. Der Zahnkranz mitsamt Freilauf konnte somit leicht gegen ein starres Ritzel ausgetauscht werden.

Mit dem Aufkommen des in die Nabe integrierten Freilaufs existiert diese einfache Möglichkeit nicht mehr. Weitere Verbesserungen an den Gangschaltungen, wie Indexschalthebel (1960er Jahre) und bessere Kettenschaltung (1980er Jahre) führten zu einem Aussterben des starren Gangs für Alltagsfahrräder. Der Gebrauch des starren Gangs auf der Straße war dann nur noch unter Verwendung der weiterhin produzierten Bahnrad-Naben möglich.

Unter Fahrradkurieren blieben Eingangräder mit starrem Gang erhalten, die damit auf Verschleißteile verzichten konnten. Diese führten Alleycat-Rennen auf der Straße durch, die ab 2000 in organisierten Veranstaltungen der Öffentlichkeit bekannt wurden. In der zweiten Hälfte der 2000er begannen Hersteller, aus dieser Subkultur entlehnte Technik für den Alltagsgebrauch zu produzieren, die allgemein als „Fixie“-Fahrräder bekannt wurden.[4]

Flip-Flop-Nabe

Mit einer Flip-Flop-Nabe kann zwischen starrem Gang und Freilauf gewechselt werden. Diese besitzt beidseitig jeweils ein Ritzel, welches einseitig starr und auf der anderen Seite über einen Freilauf mit der Nabe verbunden ist. Für den Wechsel zwischen starrem Gang und Freilauf muss das Hinterrad herausgenommen und umgedreht wieder eingesetzt werden. Alternativ kann an der speziellen Nabe „SRAM Torpedo-Singlespeed“ die Umschaltung zwischen Freilauf und starrem Gang mittels eines Schraubendrehers vorgenommen werden. Ein Umschalten während des Fahrens ist aus Sicherheitsgründen nicht vorgesehen.

In Deutschland ist strittig, ob der starre Gang selbst als Fahrradbremse gilt.[5][6] Nach der deutschen Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung müssen Fahrräder über zwei unabhängige Bremseinrichtungen verfügen.[7]

Im November 2017 wurde vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass der starre Gang nicht als Bremseinrichtung anzusehen ist. Daher entspricht ein Fahrrad, das neben dem starren Gang nur über eine eigenständige Vorderradbremse verfügt, nicht den Anforderungen der österreichischen Fahrradverordnung.[8]

Vor- und Nachteile

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Das Fahrrad kann über das Antriebssystem nicht nur beschleunigt, sondern auch verzögert werden.
  • Im Gegensatz zu Fahrrädern mit Rücktrittbremse setzt die Bremswirkung spielfrei ein, was die, besonders beim Einrad fahren oder im Kunstradsport erforderliche Kontrolle über das Fahrrad verbessert.
  • Rückwärtsfahren ist möglich.
  • Ausbalancieren im Stand ist einfacher als bei Fahrrädern mit Freilauf.
  • Geringere Anzahl an Bauteilen. Im Bahnradsport und anderen Bereichen, in denen keine starken Bremsen erforderlich sind, können neben dem Freilauf auch die Bremsbauteile entfallen.
  • Der Fahrer muss während der Fahrt immer mit treten (außer er nimmt die Füße von den Pedalen, was jedoch die Stabilität verschlechtert).
  • Beim Bergabfahren mit den Füßen auf den Pedalen ist die maximale Geschwindigkeit durch die Tretfrequenz eingeschränkt.
  • In Kurven kann nicht das innenseitige Pedal angehoben und in dieser Position gehalten werden. Dadurch ist die Schräglage in Kurven eingeschränkt. Beim Aufsitzen eines Pedals in einer Kurve besteht ein hohes Sturzrisiko.
  • Beim Überfahren von Hindernissen kann nicht eine günstige Pedalstellung eingenommen werden.
  • Gangschaltungen sind nur eingeschränkt möglich.
  • Erhöhte Unfall- und Verletzungsgefahr wenn sich ein Kleidungsstück in der Kette verfängt oder ein Defekt im Antriebssystem auftritt.
Commons: Fahrräder mit starrem Gang – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Sheldon Brown: Articles about Fixed Gear and Singlespeed Cycling and Equipment
  2. Sheldon Brown: Fixed Gear Bicycles for the Road, Abschnitt „Centering Chainwheels“
  3. Patent US88238A: Improvement in Velocipedes. Veröffentlicht am 23. März 1869, Erfinder: William van Andem.
  4. Andrew Edwards, Max Leonard: Fixed: Global Fixed-Gear Bike Culture. Laurence King Publishing, London 2009, ISBN 978-1-85669-645-6, S. 6.
  5. Zur rechtlichen Bewertung aus dem Blog eines Berliner Fahrradladens vom 6. August 2009
  6. Das Amtsgericht Bonn beurteilte 2009 in einem Fall den starren Gang als eine Bremse, vgl. Aktenzeichen: AG Bonn 337 Js 1152/09. Hierzu: Der Spiegel vom 6. August 2009
  7. § 65 Abs. 1 StVZO
  8. Österreichischer Verwaltungsgerichtshof – „Fixie“-Fahrrad nur mit „starrem Gang“ und Vorderbremse nach Fahrradverordnung unzulässig. Abgerufen am 4. Dezember 2017.