Sedentaria
Die Einteilung der Lebewesen in Systematiken ist kontinuierlicher Gegenstand der Forschung. So existieren neben- und nacheinander verschiedene systematische Klassifikationen. Das hier behandelte Taxon ist durch neue Forschungen obsolet geworden oder ist aus anderen Gründen nicht Teil der in der deutschsprachigen Wikipedia dargestellten Systematik.
Sedentaria (die „im Sitzen Arbeitenden“ [Neutrum] von lateinisch sedēre „sitzen“) ist der Name eines traditionellen Taxons innerhalb der Ringelwurm-Klasse der Vielborster (Polychaeta), in dem sessile und halbsessile Formen, darunter die Röhrenwürmer, den als Errantia bezeichneten frei beweglichen Borstenwürmern gegenübergestellt wurden und das auf Jean-Baptiste de Lamarck zurückgeht.
Merkmale
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Gegensatz zu den Errantia haben die Sedentaria keine an rasche oder kräftige Fortbewegung angepassten Parapodien, so dass diesen jegliche Aciculae (Innenskelettborsten) fehlen. Viele Arten bauen sich Wohnröhren und haben ausgedehnte Tentakelkränze, was ihnen ein sessiles Leben als Filtrierer ermöglicht. Andere Arten graben sich dagegen Tunnel ins Sediment und leben als Substratfresser.
Sedentaria als obsoletes Taxon
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Verschiedene phylogenetische Untersuchungen seit den 1960er, insbesondere aber in den 1990er Jahren auf anatomischer und molekulargenetischer Grundlage ergaben, dass die Sedentaria keine monophyletische Gruppe seien und deshalb aus kladistischer Sicht aufgelöst werden müssten. Bereits Rodney Phillips Dales lehnte 1962 in seiner Systematik, welche die inneren Organe wie etwa die Strukturen der Nephridien als Grundlage hatte, die Einteilung in Errantia und Sedentaria ab. Nach der Systematik von Rouse & Fauchald 1998 sind zwar die ehemaligen Errantia im neuen Taxon Aciculata – Ringelwürmer, deren Parapodien ein Innenskelett aus Aciculae mit ansetzenden kräftigen Muskeln haben und dadurch hoch beweglich sind – zusammengefasst, doch sind die Sedentaria heterogen und müssen auf zwei Verwandtschaftsgruppen verteilt werden: die Canalipalpata – Ringelwürmer mit mindestens einem Paar Palpen, an denen Wimpernrinnen zum Transport mikroskopischer Nahrungspartikel verlaufen –, zu denen die typischen sedentären Röhrenwürmer mit ihren ausgedehnten Tentakelkronen gehören, und die Scolecida, die weder Antennen noch Palpen haben und sich meist grabend im Sediment aufhalten, also überwiegend begrenzt mobil sind. Sowohl die Aciculata als auch die Canalipalpata besitzen ein Paar Palpen, was als Autapomorphie eines neu aufgestellten Taxons, der Palpata, gilt. Damit bilden die Sedentaria nach dieser Systematik keine natürliche Gruppe und sind obsolet.
Sedentaria in neuen Systematiken
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Allerdings wird in jüngeren phylogenetischen Analysen auf molekulargenetischer Grundlage wieder auf die Sedentaria als Klade Bezug genommen, die nicht nur sedentäre Polychaeten – also die traditionellen Sedentaria –, sondern auch Gruppen einschließt, die bisher nicht als Vielborster, ja nicht einmal Ringelwürmer galten und zahlreiche frei lebende Formen umfassen. Bei Andrade und anderen (2015) und ebenso auch bei Parry und anderen (2016) sind sowohl die Igelwürmer (Echiura) als auch die Gürtelwürmer (Clitellata) mit den Wenigborstern und Egeln mit in die Sedentaria eingeschlossen, wenn auch im Übrigen die beiden Stammbäume voneinander abweichen.
Kladogramm nach Andrade et al. 2015:
Sedentaria |
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Kladogramm nach Parry et al. 2016:
Sedentaria |
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Kladogramm nach Struck et al. 2015 sowie Weigert & Bleidorn 2016:
Sedentaria |
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Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Stanley J. Edmonds: Fauna of Australia, Volume 4A. Polychaetes & Allies. The Southern Synthesis 4. Commonwealth of Australia, 2000. Class Polychaeta. S. 67, Classification of the Annelida and Polychaeta: Introduction.
- Jean-Baptiste de Lamarck: Histoire naturelle des Animaux sans Vertèbres, préséntant les caractères généraux et particuliers de ces animaux, leur distribution, leurs classes, leurs familles, leurs genres, et la citation des principales espèces qui s'y rapportent; precedes d'une Introduction offrant la determination des caracteres essentiels de l`Animal, sa distinction du vegetal et desautres corps naturels, enfin, l'Exposition des Principes fondamentaux de la Zoologie. Deterville, Paris 1818.
- Rodney Phillips Dales (1962): The polychaete stomatodeum and the inter-relationship of the families of the Polychaeta. Proceedings of the Zoological Society of London 139, S. 389–428.
- Gregory W. Rouse, Kristian Fauchald (1998): Recent views on the status, delineation, and classification of the Annelida. (PDF; 959 kB). American Zoologist. 38 (6), S. 953–964. doi:10.1093/icb/38.6.953
- Luke A. Parry, Gregory D. Edgecombe, Danny Eibye-Jacobsen, Jakob Vinther (2016): The impact of fossil data on annelid phylogeny inferred from discrete morphological characters. The Royal Society Publishing 2016. DOI: 10.1098/rspb.2016.1378
- Sónia C. S. Andrade, Marta Novo, Gisele Yukimi Kawauchi, Katrine Worsaae, Fredrik Pleijel, Gonzalo Giribet, Gregory W. Rouse (2015): Articulating “Archiannelids”: Phylogenomics and Annelid Relationships, with Emphasis on Meiofaunal Taxa. Molecular Biology and Evolution 32 (11), S. 2860–2875.
- Torsten Hugo Struck, Anja Golombek, Anne Weigert, Franziska Anni Franke, Wilfried Westheide, Günter Purschke, Christoph Bleidorn, Kenneth Michael Halanych (2015): The Evolution of Annelids Reveals Two Adaptive Routes to the Interstitial Realm Current Biology. Current Biology 25 (15), S. 1993–1999. DOI: 10.1016/j.cub.2015.06.007
- Anne Weigert, Christoph Bleidorn (2016), Current status of annelid phylogeny. Organisms Diversity and Evolution 16 (2), S. 345–362. DOI: 10.1007/s13127-016-0265-7