Niney the Observer

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Winston „Niney“ Holness, besser bekannt als Niney the Observer, OD (* 7. Dezember 1944 in Montego Bay als George Winston Boswell) ist ein jamaikanischer Sänger und Musikproduzent in den Bereichen Reggae, Dub und Dancehall. Niney arbeitete mit den Künstlern Max Romeo, Dennis Brown und Dennis Alcapone sowie mit den Musikproduzenten Bunny Lee, Lee Perry, Joe Gibbs, King Tubby und Joseph Hoo Kim zusammen.

Winston wurde als George Winston Boswell geboren. Seine Eltern trennten sich jedoch während seiner Kindheit und die Mutter heiratete erneut; fortan trug der Sohn den Familiennamen des neuen Ehemanns: Holness. Da Winston durch einen Sägeunfall einen Daumen verloren hatte, verpasste ihm sein Umfeld den Spitznamen „Ninefinger“ bzw. „Niney“ (Neuner).[1] Während seiner Tätigkeit für Joe Gibbs nannte er sich „Destroyer“. In Anlehnung an „Scratch the Upsetter“ (Lee Perry) wählte Holness dann den Künstlernamen „Niney the Observer“.[2]

Bereits während seiner Schulzeit gründete Winston eine kleine Band. Nach Beendigung der Schule im Jahr 1966 zog Holness zu einer Tante nach Kingston und befreundete sich mit Derrick Morgan, der ihn mit seinem Schwager Bunny Lee bekannt machte.[3] Durch den Kontakt zu Lee Perry und Linford Anderson alias „Andy Capp“ wurde er an die Arbeit im Tonstudio herangeführt. Bald machte sich Holness als Produzent selbständig und mietete sich über Nacht ein Tonstudio, um Instrumentaltracks zu produzieren, die er anderen Produzenten zur weiteren Verwendung anbieten konnte.[4]

Von Ende 1969 bis Anfang 1970 trat er die Nachfolge von Perry als Toningenieur bei Joe Gibbs an. Für Gibbs produzierte er unter anderem Love of the Common People in der Version von Nicky Thomas und Money in My Pocket von Dennis Brown.[5] Parallel arbeitete er weiter für Bunny Lee. Nach Streitigkeiten mit Gibbs und Lee gründete er sein eigenes Label und produzierte die Single Mr. Brown / Bawling for Merci für Dennis Alcapone.

Mit dem Rhythmusgitarristen Hux Brown und dem Leadgitarristen Earl „Chinna“ Smith und Lloyd Charmers am Mikrofon entstand im Herbst 1970 die sehr erfolgreiche Single Blood and Fire, die 1971 als ‘Jamaican Song of the Year’ ausgezeichnet wurde.[6] Das Geld zur Produktion der Single lieh ihm der Musikproduzent Clancy Eccles.[7] PJ Harvey verwendete 2011 ein Sample daraus in ihrem Song Written on the Forehead.[8] Bei Erscheinen der Single kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit Bob Marley, in deren Folge Niney ins Krankenhaus eingeliefert wurde.[9][10]

Um 1970 wandte sich Niney dem Rastafarianismus zu und wohnte eine Zeitlang mit Max Romeo zusammen, der ebenfalls überzeugter Rastafari ist.[11] Im Jahr 1972 nahmen Romeo, Holness und Perry als Maxie, Niney & Scratch den gemeinsamen Track Babylose Burning (auch: Babylon’s Burning) auf.[12] Bekannt ist der Song vor allem für Romeos Eingangszeile: „Not even the dog that piss against the walls of Babylon shall escape Jah wrath.“ Der Satz geht auf ein Bibelzitat aus dem ersten Buch Samuel 25:22 zurück: „Gott soll mich strafen, wenn er von allen seinen Leuten morgen früh noch einen hat, der an die Wand pinkelt!“

In den 1970er Jahren arbeitete Niney mit den Deejays I-Roy, Big Youth und Dillinger. In den frühen 1980er Jahren produzierte er digitale Dancehall-Tracks für das Channel One Studio der Hoo-Kim-Brüder. Nach 30 Jahren Abwesenheit mit längeren Aufenthalten in New York City und London kehrte Niney nach Jamaika zurück und gründete sein Observer Sound Box-Aufnahmestudio.[13] Im Jahr 2019 nahm er seine musikalische Karriere als Sänger nach einer 50-jährigen Pause wieder auf.[14]

Aufgrund seines Charakters und seines besonderen körperlichen Merkmals wurde Niney immer wieder zur Zielscheibe von Disstracks und Spottliedern. In Mr. Chatterbox (1970), der einzigen gemeinsamen Produktion von Bunny Lee mit Bob Marley & The Wailers, wird Niney als nichtsnutziger Schwätzer dargestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben („Always carry news all over the place, Mr. Chatterbox, you are a big disgrace!“). Mr. Chatterbox ist eine Neuinterpretation des Ska-Songs Mr. Talkative, den die Wailers bereits 1965 für Coxsone Dodd aufgenommen hatten.[15]

In dem Track Cow Thief Skank von 1973 machten Charlie Ace und Lee Perry ihren Freund und Kollegen als Kuhdieb lächerlich, der durch den Viehdiebstahl einen Finger verliert. Thematisiert wird auch, dass er gern Mokassins trägt. Für die Musikgeschichte bedeutsam ist der Cow Thief Skank jedoch, weil Perry an dessen Anfang erstmals ein Sample verwendete (This Old Town von den Staple Singers).[16][17] In dem Song Nine Finger Jerry Lewis von 1975 machen sich Jimmy & Glen über Niney the Observer lustig.[18]

Produktionen (Auswahl)

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  • 1970: Love of the Common People von Nicky Thomas (Trojan)
  • 1970: Mr. Brown / Bawling for Merci von Dennis Alcapone & Lizzy (Destroyer)
  • 1971: Blood and Fire (Observer Records)
  • 1972: Babylose Burning von Maxie, Niney & Scratch (Upsetter Records)
  • 1974: Cassandra von Dennis Brown (Observer)
  • 1974: Half Way up the Stairs von Delroy Wilson (Observer/Dip/Dixieland)
  • 1975: Dubbing with the Observer von den Observer All Stars & King Tubby (Trojan)
  • 1976: Sledge Hammer Dub in the Street of Jamaica (Observer)
  • 1977: Slave Master von Gregory Isaacs (The Thing/Third World)
  • 1990: Observer Station (Heartbeat Records)
  • 2002: At King Tubby’s – Dub Plate Specials 1973–1975 (Jamaican Recordings)
  • 2005: Blood & Fire – Hit Sounds from the Observer Station 1970–1978 (Trojan)
  • 2009: Roots with Quality (17 North Parade)
  • I Am the Gorgon: Bunny ‚Striker‘ Lee and the Roots of Reggae. Regie: Diggory Kenrick, 2013.
  • David Katz: People Funny Boy. The Genius of Lee „Scratch“ Perry. London 2021.
  • David Katz: Solid Foundation: An Oral History of Reggae. Hachette UK, 2024.
  • John Masouri: Wailing Blues: The Story of Bob Marley's Wailers. Omnibus Press, 2009.
  • David V. Moskowitz: Caribbean Popular Music: An Encyclopedia of Reggae, Mento, Ska, Rock Steady, and Dancehall. Bloomsbury Publishing USA, 2005, S. 139.

Musikbeispiele

Einzelnachweise

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  1. Niney the Observer bei Trojan Records.
  2. Angus Taylor: Interview: Niney the Observer (Part 1) bei United Reggae vom 12. Oktober 2013.
  3. David Katz: Niney the Observer’s lucky 13: The greatest tracks of an unsung reggae hero In: Factmag (englisch).
  4. Tony Rounce: Niney the Observer bei Trojan Records.
  5. Angus Taylor: Interview: Niney the Observer (Part 1) bei United Reggae vom 12. Oktober 2013.
  6. Tony Rounce: Niney the Observer bei Trojan Records.
  7. Clancy Eccles bei Trojan Records.
  8. PJ Harvey’s Written on the Forehead sample of Niney the Observer’s Blood and Fire bei Whosampled.com.
  9. Angus Taylor: Interview: Niney the Observer (Part 1) bei United Reggae vom 12. Oktober 2013.
  10. Claudia Gardner: ‘Mr. Chatterbox,’ Bob Marley’s Diss Track Against Niney the Observer, Released To Streaming For First Time In: Dancehallmag vom 7. Februar 2024.
  11. David Katz: Niney the Observer’s lucky 13: The greatest tracks of an unsung reggae hero In: Factmag (englisch).
  12. Babylose Burning bei Discogs.
  13. David Katz: Niney the Observer’s lucky 13: The greatest tracks of an unsung reggae hero In: Factmag (englisch).
  14. Howard Campbell: Reggae Singer Winston “Niney” Holness’ Reviving his Career bei South Florida Caribbean News vom 9. März 2019.
  15. Claudia Gardner: ‘Mr. Chatterbox,’ Bob Marley’s Diss Track Against Niney the Observer, Released To Streaming For First Time In: Dancehallmag vom 7. Februar 2024.
  16. David Katz: People Funny Boy. The Genius of Lee „Scratch“ Perry. London 2021 (englisch).
  17. Charlie Ace & The Upsetters: Cow Thief Skank auf YouTube
  18. Jimmy & Glen: Nine Finger Jerry Lewis auf YouTube