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Leichen lügen nicht: Fälle und Fakten aus der Gerichtsmedizin
Leichen lügen nicht: Fälle und Fakten aus der Gerichtsmedizin
Leichen lügen nicht: Fälle und Fakten aus der Gerichtsmedizin
eBook311 Seiten3 Stunden

Leichen lügen nicht: Fälle und Fakten aus der Gerichtsmedizin

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Über dieses E-Book

 Leichen lügen nicht. Aber sie verraten alles. 
   
 Ein Sturz entpuppt sich als Mord. Ein rätselhafter Suizid war in Wahrheit ein Gewaltverbrechen. Ein vermeintlicher Unfall erzählt bei genauem Hinsehen eine ganz andere Geschichte. 
 Walter Rabl, einer der renommiertesten Gerichtsmediziner Österreichs, öffnet die Tür zu einer Welt, in der Blut spricht, Knochen Hinweise liefern und kleinste Spuren über Schuld und Unschuld entscheiden. Er berichtet von spannenden Fällen, in denen Todesursachen entschlüsselt, Identitäten geklärt, Täter überführt – und Unschuldige entlastet werden. 
   
 Wussten Sie ... 
 • wie man einen perfekt getarnten Mord erkennt? 
 • warum Erfrorene oft halb bekleidet sind? 
 • was Blutspuren über den Tathergang verraten? 
 • was im Körper beim Ertrinken geschieht? 
   
 Spurensuche, Kriminalistik und Wissenschaft – erschütternde Tatsachen packend wie ein Thriller! 
SpracheDeutsch
HerausgeberCarl Ueberreuter Verlag GmbH
Erscheinungsdatum17. Sept. 2025
ISBN9783800080908
Leichen lügen nicht: Fälle und Fakten aus der Gerichtsmedizin
Autor

Walter Rabl

Univ.-Prof. Dr. Walter Rabl, MME (Bern) lebt in Tirol und blickt auf eine mehr als 40-jährige Karriere in der Gerichtsmedizin zurück. Nach dem Medizinstudium in Innsbruck arbeitete er unter anderem an der Gerichtsmedizin in St. Gallen, und habilitierte sich 1998 in Innsbruck, wo er in den Bereichen Morphologie, biologische Spuren, DNA, Toxikologie und klinische Gerichtsmedizin tätig und sehr häufig als gerichtlicher Sachverständiger im Einsatz war. Bis zu seiner Pensionierung Ende 2024 war er stellvertretender Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck und 20 Jahre lang Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin (ÖGGM). 

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    Buchvorschau

    Leichen lügen nicht - Walter Rabl

    Vorwort

    Der junge Mann blutet und ist aufgebracht, er berichtet den Polizisten von einem Angriff. Vor einem Lokal bei den Innsbrucker Viaduktbögen sei er brutal niedergestochen worden, von einem anderen Mann, mit dem es zuvor Streit gegeben hatte. Zwei Stichwunden am Oberschenkel, ein klarer Fall – sollte man meinen. Als die Exekutive den jungen Mann zur Untersuchung und Sicherung der Spuren in die Gerichtsmedizin bringt, fällt gleich etwas auf: Das Verletzungsbild besteht aus zwei exakt parallelen Stichkanälen, gleich tief und sauber gesetzt.

    Eine solche Verletzung entsteht nicht bei einem Gerangel oder einer wilden Schlägerei. Sie entsteht, wenn man ruhig sitzt, geplant vorgeht – und sich selbst verletzt. Der junge Mann hat sich das Messer ins Bein gerammt, um einen unliebsamen Rivalen verleumden zu können, die Geschichte vom Angriff ist frei erfunden. Aus dem Opfer wird ein Täter, aus dem Mordversuch eine Verleumdung.

    Fünf Stockwerke, kein Abschiedsbrief, keine Erklärung. Eine Frau liegt tot auf dem Gehsteig, offenbar ist sie gesprungen. Die Kommission aus Polizeiärztin, Kriminalisten und Polizeijuristen ist sich einig. Das ist ein Suizid, kein Anlass zur Obduktion. Eine Staatsanwältin wird stutzig: Warum sollte sich eine lebenslustige Frau, erfolgreich, beliebt, voller Pläne, keine Anzeichen für psychische Erkrankungen, in die Tiefe stürzen?

    Die Juristin besteht auf einer gerichtsmedizinischen Untersuchung und die fördert eindeutige Befunde zutage: Einblutungen in den Augenbindehäuten, das sind typische Zeichen für eine Gewalteinwirkung gegen den Hals, Zupack-Halteverletzungen an den Armen. Die weiteren Ermittlungen können letztendlich nachweisen, dass sie der Ehemann gewürgt und dann von der Terrasse gestoßen hat. Beinahe wäre ein Mord als Selbstmord zu den Akten gelegt und der Täter nie verurteilt worden.

    Solche Wendungen erleben wir in der Gerichtsmedizin regelmäßig. Oft liegen die Fakten ganz anders, als sie zunächst erscheinen. Genau das macht dieses Fach so faszinierend. Hier geht es um mehr als medizinische Befunde, es geht um Gerechtigkeit. Mit wissenschaftlichen Methoden unterstützen Gerichtsmedizinerinnen und Gerichtsmediziner die Wahrheitsfindung und die Durchsetzung des Rechts. Sie liefern Fakten und Grundlagen dafür, Unschuldige zu schützen und Schuldige zu überführen. Und dafür, die wahren Abläufe zu entschlüsseln, auch wenn auf den ersten Blick alles ganz anders zu sein scheint.

    In diesem Buch laden wir Sie ein, die Arbeit der Gerichtsmedizin aus nächster Nähe kennenzulernen. Wir, das sind Walter Rabl, Gerichtsmediziner mit mehr als vier Jahrzehnten Berufserfahrung, bis zu seiner Pensionierung Ende 2024 stellvertretender Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck und 20 Jahre lang Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin, und Birgit Kofler-Bettschart, Autorin und Herausgeberin des Blogs Medical Murder Mystery.

    Die Perspektive dieses Buches ist die des Experten, die Fakten und Fälle werden aus Sicht des Gerichtsmediziners erzählt. In gemeinsamer Arbeit ist ein Buch entstanden, das Fachwissen, Erfahrung und Freude am Erzählen verbindet und das Leserinnen und Leser mitnimmt in eine Welt, über die viele nur vage oder falsche Vorstellungen haben und die für Wahrheit und Gerechtigkeit unverzichtbar ist.

    Die Gerichtsmedizin ist ein kleines, aber nicht zu unterschätzendes medizinisches Fach, sie ist eine entscheidende Stütze der Rechtsstaatlichkeit. Ihre Aufgabe ist keineswegs nur die Untersuchung der Toten. Gerichtsmedizinerinnen und Gerichtsmediziner analysieren auch die Verletzungen bei Lebenden, untersuchen Gifte und DNA-Spuren, besuchen Tatorte und präsentieren ihre Gutachten vor Gericht, unterrichten Studierende und forschen. In diesem Buch zeigen wir Ihnen, was die Gerichtsmedizin wirklich leistet – und warum es gefährlich ist, wenn sie nicht ausreichend mit Ressourcen ausgestattet ist.

    Wie erkennt man einen gut getarnten Mord? Warum sind Erfrorene oft halb ausgezogen? Was verraten Blutspuren über den Tathergang? Mit diesem Buch führen wir Sie in die Welt hinter den Kulissen von Filmen, Serien und Kriminalromanen. In eine Welt, in der kein Detail unbedeutend ist und die Wahrheit oft im Verborgenen liegt. Anhand von wahren Fällen erklären wir die wissenschaftlichen Methoden der Gerichtsmedizin und räumen mit gängigen Mythen auf.

    Wir nehmen Sie mit zu aufsehenerregenden Mordfällen, beinahe unentdeckt gebliebenen Verbrechen, zu rätselhaften Unfällen und erschütternden Fällen von Gewalt. Sie erfahren, wie die Gerichtsmedizin falsche Beschuldigungen verhindert oder Todesursachen richtigstellt. Wir nehmen sie mit in eine Welt, in der Leichen nicht lügen und manchmal mehr sagen, als man gedacht hätte.

    Walter Rabl & Birgit Kofler-Bettschart Innsbruck/Wien, im Juni 2025

    Wie es wirklich ist

    Verbreitete Mythen über Todesfälle und die Gerichtsmedizin

    Seit mehr als zwei Jahrzehnten erforscht die US-amerikanische Rechtswissenschaft ein sehr spezielles Phänomen, den sogenannten „CSI-Effekt". Dabei geht es um die Frage, ob und in welcher Weise Fernsehkrimis oder Streaming-Serien über Wissenschaftler aus verschiedenen Gebieten der Forensik bei Gerichtsverhandlungen das Entscheidungsverhalten von Geschworenen beeinflussen. Manche Forscher gehen davon aus, dass die Laienrichterinnen und -richter unter dem Eindruck von CSI Miami, CSI Vegas und ähnlichen Serien absolut präzise und unwiderlegbare wissenschaftliche Beweise erwarten.

    Ob es hierzulande einen vergleichbaren „SOKO-Effekt" geben könnte, ist meines Wissens bisher unerforscht. Fest steht jedenfalls, dass viele Menschen die Arbeit der Gerichtsmedizin vor allem aus den unzähligen Krimis kennen, die in Buchhandlungen ganze Regalwände füllen und in enormer Vielfalt im Kino, Fernsehen oder auf Online-Portalen zu finden sind.

    In dieser Welt der Romane, Serien und Filme wird die Gerichtsmedizin manchmal authentisch, immer wieder aber auch verzerrt dargestellt. Es gibt eine ganze Menge von Mythen, Irrtümern und falschen Vorstellungen über uns Gerichtsmedizinerinnen und -mediziner, über unseren Arbeitsalltag und unsere Methoden, aber auch über Todesarten und ihre physiologischen Hintergründe.

    „Die Kommissare sollen bitte in die Pathologie kommen"

    Eine verbreitete Verwirrung betrifft schon einmal die Unterscheidung zwischen Pathologie und Gerichtsmedizin – oder Rechtsmedizin, wie unser medizinisches Fach in Deutschland und der Schweiz heißt. „Die Kommissare sollen bitte in die Pathologie kommen", sagt da die Sekretärin gerne einmal im Fernsehkrimi. Das könnte auf einem einfachen Übersetzungsfehler beruhen. In vielen englischsprachigen Ländern heißt die medizinische Ausbildung, die unserer Gerichtsmedizin entspricht, „forensic pathology und diese „forensische Pathologie ist eine Spezialisierung innerhalb des Fachs Pathologie.

    Im deutschsprachigen Raum sind Pathologie und Gerichtsmedizin zwei eigenständige medizinische Fächer mit unterschiedlichen Aufgabengebieten und unterschiedlichen Facharztausbildungen. Die Pathologie ist die Lehre von den Krankheiten, ihrer Entstehung, ihrer Verläufe und ihrer Folgen. Wenn jemand krank ist und im Spital verstirbt, ist die Erforschung der Todesursache in der Regel ein Fall für die Pathologie. Pathologinnen und Pathologen überprüfen auch klinische Diagnosen. Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit ist die mikroskopische Untersuchung von Gewebe, das bei Operationen entfernt wird. Damit können sie bei einer Tumoroperation zum Beispiel feststellen, ob ein ausreichend großes Areal entfernt wurde, ob ein Tumor gut- oder bösartig ist oder um welche Tumorart es sich genau handelt, damit eine zielgerichtete Therapie eingeleitet werden kann.

    Die Gerichtsmedizin hat ganz andere, sehr vielfältige Aufgaben. Unsere Expertise kommt ins Spiel, wenn rechtliche Fragen mithilfe von medizinischen, histologischen, chemisch-toxikologischen oder molekularbiologischen Erkenntnissen beantwortet werden sollen. Wir sind für die Untersuchung fremdverschuldeter Todesfälle, für Fälle von plötzlichem Tod unklarer oder eindeutig nicht-natürlicher Ursache oder ärztliche Fehlbehandlungen mit Todesfolge zuständig.

    Wir sollen die Todesursache entschlüsseln, aber auch die Identität von Verstorbenen klären, den Zeitraum des Todeseintritts feststellen, den genauen Hergang einer Gewalttat oder einen möglichen Alkohol-, Medikamenten- oder Drogeneinfluss klären.

    Mit der Pathologie gemeinsam hat die Gerichtsmedizin, dass entgegen weit verbreiteten Vorstellungen beide Fächer nicht nur mit den Toten arbeiten, sondern sehr viel häufiger mit Lebenden.

    Mehr als Tatort und Seziersaal

    Geht es nach vielen Krimis, ist das Zeitmanagement für Gerichtsmedizinerinnen und Gerichtsmediziner recht einfach: Etwa 30 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringen sie am Tatort, die restlichen 70 Prozent am Seziertisch. Das reale Leben ist doch etwas vielschichtiger und abwechslungsreicher. Die Arbeit im Seziersaal macht im Schnitt nur etwa fünf Prozent unserer Arbeitszeit aus. Am Tatort sind wir ziemlich selten anzutreffen: In Tirol und Vorarlberg zum Beispiel werden wir nur zehn- bis 15-mal jährlich an einen Leichenfundort gerufen, das sind etwa 0,01 Prozent unserer Arbeitszeit.

    Das schon deshalb, weil es in Österreich gar nicht so viele Gewalttaten mit Todesfolge gibt, wie man als abgebrühter Krimifan meinen könnte. 76 Anzeigen wegen Mordes weist die Kriminalstatistik des Innenministeriums für 2024 aus, laut Statistik Austria gab es 2023 90 Verurteilungen wegen Mordes. In Tirol und Vorarlberg wird bei etwa zehn Tötungsdelikten im Jahr eine gerichtsmedizinische Obduktion beauftragt. Andere Todesfälle mit Verdacht auf Fremdverschulden sind natürlich viel häufiger, von solchen sind einige Hundert pro Jahr im Seziersaal der Innsbrucker Gerichtsmedizin zu bearbeiten.

    Einen großen Teil ihrer Arbeitszeit verbringen Gerichtsmedizinerinnen und -mediziner am Schreibtisch: mit dem Bearbeiten von Obduktionsgutachten, mit molekularbiologischen oder toxikologischen Prüfberichten, mit dem Verfassen von Verletzungsgutachten und dem Vorbereiten von Gerichtsverhandlungen oder Vorträgen. Dazu kommen Vorlesungen, Praktika und Seminare, die wir abhalten, Untersuchungen von Menschen mit verdächtigen Verletzungen in verschiedenen Kliniken, Kontrolluntersuchungen in der eigenen Ordination der Gerichtsmedizin und die Teilnahme an jeder Menge von Forschungsprojekten.

    Wir arbeiten viel mit Lebenden

    Es sei nicht jeder und jedem gegeben, in diesem Beruf zu arbeiten, höre ich als Gerichtsmediziner oft. Immer nur mit Leichen arbeiten, das wäre doch schwierig. Tatsächlich arbeiten wir häufiger mit Lebenden als mit Toten. Die Gerichtsmedizin Innsbruck als größtes gerichtsmedizinisches Institut in Österreich führt pro Jahr etwa 600 bis 650 Obduktionen durch. Dem gegenüber stehen etwa 1000 Gerichtsgutachten pro Jahr und rund 4500 toxikologische Fälle, das sind unter anderem Alkohol- und Drogenuntersuchungen aus Verkehrskontrollen oder Verkehrsunfällen, Proben aus Intensivstationen oder verdächtige Substanzen, die von der Polizei übermittelt werden. Im Rahmen von DNA-Analysen werden in Innsbruck für ganz Österreich mehr als 10.000 Spuren pro Jahr untersucht. Obduktionen machen also nur einen kleinen Prozentsatz der Aufträge aus, die die Gerichtsmedizin von verschiedenen Stellen und Behörden erhält.

    Mit den Lebenden und für die Lebenden werden wir zum Beispiel tätig, wenn wir rekonstruieren, wie es zu einer Verletzung gekommen ist, wie gravierend sie ist und welche Folgen sie hat. Das kann auch im Zusammenhang mit Versicherungsleistungen relevant sein. Oder wenn wir verdächtige Verletzungen untersuchen, die häusliche Gewalt nahelegen, besonders auch Kindesmisshandlungen. Auch bei Sexualdelikten kommt uns eine wichtige Aufgabe zu, was die Beweissicherung und die Diagnose typischer Verletzungsmuster betrifft.

    An der Gerichtsmedizin Innsbruck werden pro Jahr auch mehrere Hundert Vaterschafts-Feststellungen gemacht. Besonders oft arbeiten wir mit Lebenden, wenn es um toxikologische Untersuchungen geht – zum Beispiel um die Fragestellung, ob bei einem Unfall oder einem gewalttätigen Angriff Alkohol oder Drogen im Spiel waren. Gerichtsmedizinerinnen und -mediziner werden von den Strafverfolgungsbehörden aber auch als objektive Instanz zu Fragen der Verhandlungsfähigkeit oder Vollzugstauglichkeit beigezogen. Zum Beispiel ist ein Angeklagter, der eine schwere Herzerkrankung hat, nicht verhandlungsfähig oder eine verurteilte Täterin mit einem Tumorleiden im Endstadium muss ihre Haftstrafe nicht antreten.

    Klinische Medizinerinnen und Mediziner fragen sich vor allem, wie sie eine Verletzung bestmöglich behandeln können. Wir fragen, wie sie entstanden ist. Dabei geht es nicht nur darum, Verursacher zu belasten. Sondern wir können unter Umständen so zur Vermeidung künftiger Risiken beitragen. Ein gutes Beispiel dafür: Als die mechanischen Reanimationshilfen eingeführt wurden, also Geräte, mit denen man bei der Wiederbelebung eine automatische Herzdruckmassage durchführen kann, waren anfangs Brustbeinbrüche, die wiederum zu Herz- und Lungenverletzungen führten, eine häufige Komplikation. Wir haben dieses Phänomen an der Gerichtsmedizin Innsbruck eingehend untersucht und konnten wichtige Beiträge dazu liefern, die Konstruktion dieser Geräte zu verbessern und damit solche gefährlichen Verletzungen zu vermeiden.

    Es gibt noch andere Beispiele für die Arbeit der Gerichtsmedizin im Dienste der Lebenden. In manchen Fällen entdecken wir zum Beispiel bei einer Obduktion eine Krankheit mit einer genetischen Komponente, zum Beispiel eine familiär gehäuft auftretende Herzmuskelverdickung, die hypertrophe Kardiomyopathie. So wie bei einem scheinbar gesunden 11-Jährigen, der beim Schwimmen plötzlich untergegangen und ertrunken ist. In seinem Fall konnten so die Geschwister des Buben gezielt untersucht und rechtzeitig behandelt – und damit vor einem ähnlichen plötzlichen Herztod geschützt werden.

    Apropos Angehörige: Ein aus gerichtsmedizinischer Sicht eigentlich einfacher Fall, der mir aber dennoch immer im Gedächtnis bleiben wird, ist der eines jungen Mannes, der während einer Reise nach Asien unter unklaren Umständen zu Tode gekommen war. Er war in einem Hotelzimmer tot und bereits fäulnisverändert aufgefunden worden. Die Eltern waren völlig verzweifelt, weil sie von den Behörden vor Ort keine konkreten Auskünfte über die Todesursache bekamen und Gericht und Polizei keine weiteren Untersuchungen durchführten. Nach der Überführung des Leichnams beantragte die Familie eine Privatobduktion, bei der sich eine Medikamentenüberdosierung als Todesursache herausstellte.

    Die Eltern des jungen Mannes sind mir heute noch dafür dankbar, dass ich ihnen Klarheit verschafft habe. Dieses Beispiel macht deutlich, wie wichtig für Angehörige die konkrete Klärung der Todesursache eines Familienmitglieds ist. Dadurch wird die weitere Trauerarbeit oft erst möglich.

    Leichen als Beweismittel

    Viele Menschen stellen es sich schlimm vor, einen toten Körper zu sezieren. Und in manchen Krimis – ob Bücher, Serien oder Filme – versetzen sich die Gerichtsmediziner geradezu in die Opfer hinein, die sie obduzieren, sehen sie vor sich, wie sie als Lebende waren.

    Sicherlich bekommt man in unserem Beruf ein spezielles – eigentlich ein natürlicheres – Verhältnis zum Tod und zum Sterben. Aber eine emotionale Beziehung zu „unseren Leichen, wie das in solchen Darstellungen suggeriert wird, bauen wir nicht auf. Das dürfen wir auch nicht, denn unsere Aufgabe ist es, objektive Befunde zu erheben und nicht durch Emotionen beeinflusst zu sein. Wenn ein Leichnam vor uns im Seziersaal liegt, ist all das, was einmal den Menschen ausgemacht hat, nicht mehr vorhanden. Er ist ein Beweismittel, dessen Untersuchung uns viele Aufschlüsse geben kann und das rechtlich als „Sache qualifiziert wird. So sehr wir das nüchtern und vorurteilslos sehen müssen, so sehr sind ein angemessener Respekt vor den Verstorbenen und eine adäquate ethische Grundhaltung immer wichtig.

    Aus meiner Sicht ist die Arbeit des Gerichtsmediziners emotional weitaus weniger belastend als der Job der Polizistinnen und Polizisten, die am Tatort sind, die den Angehörigen von Opfern die Todesnachricht überbringen und mit ihnen auch weiter interagieren müssen. Und auch weniger belastend als zum Beispiel die Arbeit mit krebskranken Kindern, bei denen bekannt ist, wie schlecht ihre Prognose ist – eine Erfahrung, die ich während meiner Ausbildung gemacht habe.

    Aber natürlich gibt es Fälle, die uns auch nach Jahren der gerichtsmedizinischen Arbeit nicht kaltlassen können. Zum Beispiel wenn Kinder im Spiel sind. Es wäre auch schlimm, würde man abstumpfen und sich an all die Grausamkeiten gewöhnen. Die Fähigkeit zur objektiven Einschätzung allerdings darf dabei nie beeinträchtigt sein.

    „Der Tod ist zwischen 16.00 und 16.30 Uhr eingetreten."

    Um die Bestimmung der Todeszeit, besonders in Fällen eines Fremdverschuldens, ranken sich eine Menge Mythen. In Krimis sagt die Gerichtsmedizinerin am Tatort schon einmal: „Der Tod ist zwischen 16.00 und 16.30 Uhr eingetreten, Näheres nach der Obduktion."

    Mit einer solchen Präzision lässt sich der Todeszeitpunkt mit gerichtsmedizinischen Methoden leider nicht eingrenzen, so hilfreich das auch für die Ermittler wäre. Unsere Schätzungen haben im besten Fall eine Schwankungsbreite von zwei bis drei Stunden. Die dafür notwendigen Untersuchungen müssen ehestmöglich und noch am Auffindungsort vorgenommen werden, sonst wird das Ergebnis immer ungenauer.

    Für Schätzungen des Todeszeitpunkts spielen viele Faktoren eine Rolle: individuelle Merkmale des oder der Verstorbenen wie Körpergewicht oder Körpergröße, aber auch die Auffindesituation, die Bekleidung, die Umgebungstemperatur oder die Sonneneinstrahlung, die Frage, ob die Leiche zugedeckt war oder wie viel Feuchtigkeit und Wind sie ausgesetzt war.

    Eine der wichtigsten Methoden der Todeszeitschätzung ist die Messung der Kerntemperatur des Körpers, wobei diese immer in Relation zur Umgebungstemperatur und vielen anderen Parametern zu beurteilen ist. Unter normalen Bedingungen – sprich bei Zimmertemperatur – beginnt die Körperkerntemperatur etwa zwei bis drei Stunden nach dem Tod um rund ein Grad Celsius pro Stunde zu sinken. Wir verwenden ein Digitalthermometer und messen beim Lokalaugenschein üblicherweise mittels sogenannter „Stichinzision", einem kleinen Hautschnitt, die zentrale Temperatur direkt in der Leber.

    Immer wieder messen Notärztinnen und -ärzte am Fundort die Temperatur mit Infrarot-Thermometern am Innenohr. Das ist allerdings in mehrfacher Hinsicht problematisch. Der Kopf kühlt wesentlich schneller aus als der Rumpf und die Temperatur im Gehörgang wird stark von Wind, Wetter oder Schnee beeinflusst. Für die Todeszeitschätzung würde man mit dieser Methode also von einer zu niedrigen Temperatur ausgehen. Besonders gravierend: Bei einer Körpertemperatur weit unter 30 Grad gilt eine Reanimation als aussichtslos. Werden solche Werte aber nur im Ohr gemessen, etwa bei Lawinenopfern oder bei aus kaltem Wasser geretteten Personen, haben diese Menschen durchaus Überlebenschancen, weil ihre Kerntemperatur möglicherweise deutlich höher ist.

    Wir haben dieses Phänomen an der Gerichtsmedizin Innsbruck erforscht. Unter anderem habe ich im Selbstversuch parallel an beiden Ohren gemessen, wobei ich mir auf einer Seite einen Beutel mit Schnee aufgelegt habe. Im Gehörgang der gekühlten Seite ist die Temperatur rasch gesunken. Diese frostige Versuchsanordnung hat zwar wichtige Erkenntnisse gebracht, aber auch eine saftige Mittelohrentzündung. Doch das war es wert.

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