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8 Strandkrimis der Extraklasse im Paket Juli 2025
8 Strandkrimis der Extraklasse im Paket Juli 2025
8 Strandkrimis der Extraklasse im Paket Juli 2025
eBook1.626 Seiten17 Stunden

8 Strandkrimis der Extraklasse im Paket Juli 2025

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Über dieses E-Book

8 Strandkrimis der Extraklasse im Paket Juli 2025
von Alfred Bekker

Über diesen Band:

Diesr Band enthält folgende Krimis von Alfred Bekker:

Kommissar Jörgensen und das Hanseatische Totenbuch
Erstschlag Berlin
Stadt der Schweinehunde
Bube, Dame, Killer
Der Killer-Cop
Tuch und Tod
Der Armbrustmörder
Für den Mörder geht es um die Wurst

 

 

Kostler hörte quietschende Reifen und das Heranbrausen eines anderen Wagens.
Er drehte sich unwillkürlich dorthin um. Es war ein zweisitziger Sportwagen mit verdunkelten Scheiben, soviel sah er noch.
Alles Weitere dauerte nur Sekunden!
Eine der Scheiben ging ein Stück hinunter, etwas Längliches schob sich einige Zentimeter hindurch und dann blitzte es auf einmal.

SpracheDeutsch
HerausgeberAlfred Bekker
Erscheinungsdatum18. Juli 2025
ISBN9798231376865
8 Strandkrimis der Extraklasse im Paket Juli 2025
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    8 Strandkrimis der Extraklasse im Paket Juli 2025 - Alfred Bekker

    Kostler hörte quietschende Reifen und das Heranbrausen eines anderen Wagens.

    Er drehte sich unwillkürlich dorthin um. Es war ein zweisitziger Sportwagen mit verdunkelten Scheiben, soviel sah er noch.

    Alles Weitere dauerte nur Sekunden!

    Eine der Scheiben ging ein Stück hinunter, etwas Längliches schob sich einige Zentimeter hindurch und dann blitzte es auf einmal.

    Es war ein Mündungsfeuer ohne Schußgeräusch. Nur ein Klacken des Abzugs, das durch die Geräusche der Umgebung fast völlig verschluckt wurde.

    Und trotzdem war es ein Geräusch, das Larry Kostler das Blut in den Adern gefrieren ließ, denn er kannte es nur zu gut...

    Es war ein verdammt häßliches Geräusch, auch wenn es kaum zu hören war.

    Larry Kostler sah eine Kugel am Lack der Limousine kratzen, direkt vor seinen Augen, oben auf dem Dach.

    Und noch ehe er wirklich begriffen hatte, was vor sich ging, und daß der Fahrer des fremden Wagens es ganz offensichtlich auf sein Leben abgesehen hatte, wurde ein zweiter Schuß abgefeuert. Und ein Dritter und dann noch ein Vierter.

    Kostler sah den Chauffeur mit einem kleinen, runden Loch im Kopf auf dem Pflaster liegen.

    Die Augen starrten weit aufgerissen in den smogverhangenen Himmel. Er war tot.

    Kostler war wie gelähmt.

    ​Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker

    © Roman by Author

    © dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

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    Alles rund um Belletristik!

    Kommissar Jörgensen und das Hanseatische Totenbuch: Hamburg Krimi

    von ALFRED BEKKER

    Kapitel 1: Der Tod im Lesesaal

    Es war einer dieser seltenen Tage in Hamburg, an denen die Sonne durch die Wolken brach und die Alster im Licht glitzerte. Trotzdem hatte ich schon beim ersten Kaffee gespürt, dass irgendetwas nicht stimmte. Mein Kollege Roy Müller, dessen Büro ich mir im Polizeihauptpräsidium am Berliner Tor teilte, hatte das gleiche Gefühl. Er war heute ungewöhnlich still gewesen, und das bedeutete meistens, dass wir bald zu einem Tatort gerufen werden würden.

    Ich war gerade dabei, mir die dritte Tasse Kaffee einzuschenken – Filterkaffee, wie er in der Kripo üblich ist, stark und bitter – als das Telefon schrillte. Ich griff zum Hörer, noch bevor Roy reagieren konnte.

    „Jörgensen, Kripo Hamburg."

    „Uwe, wir haben einen Toten in der Staats- und Universitätsbibliothek. Wissenschaftler, Name: Dr. Christian Bertram. Sieht nach Vergiftung aus. Ihr beide fahrt hin. Ich will einen ersten Bericht bis Mittag." Die Stimme von Kriminaldirektor Jonathan Bock klang wie immer knapp und sachlich. Dann legte er auf.

    Roy sah mich an und zog eine Augenbraue hoch. „Bibliothek? Das ist mal was anderes."

    Ich nickte und stellte meine Tasse ab. „Komm, Roy. Lass uns den Literaten jagen."

    Wir nahmen unseren silbernen Passat, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, und fuhren die paar Minuten von der Innenstadt zur Grindelallee. Die Bibliothek lag wie ein schlafender Riese zwischen den alten Villen und modernen Institutsgebäuden. Draußen standen zwei Streifenwagen, und ein rot-weißes Flatterband sperrte den Haupteingang ab. Ein paar Studenten standen neugierig herum, einige mit Kaffeebechern, andere mit Fahrrädern. Hamburg eben.

    Wir zeigten unsere Dienstausweise und wurden von einer jungen Polizistin in den Lesesaal geführt. Der Raum war hoch, lichtdurchflutet, mit endlosen Bücherregalen und dem typischen Geruch von Papier, Staub und altem Holz. In der Mitte des Saals, zwischen zwei langen Tischen, lag der Tote. Ein Mann um die fünfzig, leicht ergraut, Brille, Tweedjacke. Um ihn herum standen die Spurensicherung und unser Forensiker, Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim.

    Förnheim trug wie immer einen makellosen weißen Kittel und blickte uns über den Rand seiner Designerbrille hinweg an, als wären wir zwei besonders dumme Schüler, die zu spät zum Unterricht kamen.

    „Na, die Herren Kommissare. Schön, dass Sie sich auch mal blicken lassen." Seine Stimme hatte diesen leicht näselnden Ton, der jedes Wort wie eine Beleidigung klingen ließ.

    Roy grinste nur. Er mochte Förnheim nicht besonders, aber er ließ sich von ihm auch nicht provozieren. Ich hingegen hatte mich mit der Zeit daran gewöhnt, dass der Mann uns alle für unfähig hielt.

    Ich beugte mich über den Toten. „Was haben wir?" 

    Förnheim seufzte theatralisch. „Dr. Christian Bertram, renommierter Chemiker und Dozent an der Universität Hamburg. Laut Ausweis. Todeszeitpunkt vor etwa zwei Stunden. Todesursache: höchstwahrscheinlich Vergiftung. Die Lippen sind blau, die Fingernägel verfärbt. Ich tippe auf ein Alkaloid, vielleicht Strychnin oder ein Derivat. Aber das wird die toxikologische Analyse zeigen. Sie können sich ja vorstellen, was das ist, Herr Kommissar, oder soll ich es Ihnen aufmalen?"

    Ich ignorierte den Seitenhieb. „Wie wurde das Gift verabreicht?"

    „Das ist das Interessante. Förnheim deutete auf einen offenen Band, der neben dem Toten lag. „Das Opfer hat offenbar in diesem Buch gelesen. Es handelt sich um eine Erstausgabe von 'Die Chemie der Gifte' von 1923. Die Seiten sind mit einer Substanz präpariert, vermutlich das Gift. Beim Umblättern und Berühren der Seiten wurde es aufgenommen – wahrscheinlich über kleine Hautverletzungen oder durch das Berühren von Lippen oder Mund.

    Roy pfiff leise durch die Zähne. „Das ist ziemlich raffiniert."

    „Für Sie vielleicht, sagte Förnheim herablassend. „Für einen intelligenten Menschen ist das eine naheliegende Methode, wenn man Zugang zu seltenen Giften und ein wenig Fantasie hat.

    Ich wandte mich an einen der Spurensicherer. „Gibt es Zeugen?"

    „Eine Bibliothekarin hat den Toten gefunden. Sie ist im Nebenraum."

    Roy und ich wechselten einen Blick. „Komm, Roy. Reden wir mit ihr."

    Im kleinen Büro neben dem Lesesaal saß eine Frau mittleren Alters, blass, mit nervösen Händen. Sie stellte sich als Frau Dr. Julia Stein vor, zuständig für seltene Bücher.

    „Frau Dr. Stein, ich bin Kommissar Jörgensen, das ist mein Kollege Kommissar Müller. Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen."

    Sie nickte und blickte uns mit großen, erschrockenen Augen an.

    „Wann haben Sie Dr. Bertram zuletzt gesehen?"

    „Heute Morgen, gegen halb neun. Er war wie immer einer der ersten. Er hatte einen Termin, um das Buch einzusehen. Er war sehr stolz darauf, dass wir ihm die Erstausgabe anvertraut haben."

    „War er allein?"

    „Soweit ich weiß, ja. Ich habe ihm das Buch aus dem Tresor geholt und ihm an den Lesetisch gebracht. Dann bin ich wieder in mein Büro gegangen."

    Roy schaltete sich ein. „Gab es in letzter Zeit Streitigkeiten, Probleme?"

    Sie schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Dr. Bertram war sehr beliebt. Vielleicht ein bisschen eigen, aber freundlich."

    Ich musterte sie. „Wer hatte noch Zugang zu dem Buch?"

    Sie zögerte. „Eigentlich nur ich. Und Dr. Bertram. Aber..." Sie stockte.

    „Aber?"

    „Gestern Abend war ich noch kurz im Magazin, um das Buch zurückzulegen. Da war auch Herr Dr. Kröger, ein Kollege aus der Bibliotheksleitung. Er hat mich gefragt, ob er sich das Buch mal ansehen darf. Ich habe es ihm kurz gezeigt, aber er hat es nicht angefasst."

    Ich machte mir eine mentale Notiz, mit Dr. Kröger zu sprechen.

    „Ist Ihnen sonst irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?"

    Sie schüttelte erneut den Kopf, dann fiel ihr etwas ein. „Doch, da war noch etwas. Als ich heute Morgen das Magazin aufgeschlossen habe, lag eine kleine Buddha-Statue auf dem Boden. Sie war zerbrochen, als wäre sie gefallen. Ich habe sie aufgesammelt und auf meinen Schreibtisch gelegt."

    „Wo ist die Statue jetzt?"

    Sie deutete auf eine Schublade. Ich zog sie heraus und betrachtete das Objekt. Es war etwa zwanzig Zentimeter hoch, aus schwerem Messing, der Kopf abgebrochen. Im Inneren war ein kleines, leeres Fach zu erkennen.

    Roy pfiff erneut. „Versteckfach. Vielleicht war da etwas drin?"

    Ich nickte. „Wir nehmen die Statue mit."

    Wir verabschiedeten uns von Dr. Stein und gingen zurück in den Lesesaal. Förnheim war noch immer damit beschäftigt, den Tatort zu analysieren, und warf uns einen missbilligenden Blick zu, als wir die Statue einpackten.

    „Das ist ein Beweisstück, meine Herren. Gehen Sie vorsichtig damit um. Nicht, dass Sie noch etwas zerstören."

    Ich ignorierte ihn und wandte mich an Roy. „Wir müssen mit diesem Dr. Kröger sprechen. Und wir sollten Bertrams Büro an der Uni durchsuchen."

    Roy nickte. „Und was ist mit der Statue?"

    „Die geben wir Förnheim. Vielleicht findet er Spuren."

    Wir verließen die Bibliothek und fuhren zur Universität. Das Hauptgebäude am Von-Melle-Park war ein wuchtiger Klotz aus rotem Backstein, typisch für Hamburg. Die Gänge rochen nach Putzmittel und Kaffee, und überall hingen Plakate für Vorträge und Seminare.

    *

    Bertrams Büro lag im dritten Stock, mit Blick auf den Campus. Ein Kollege ließ uns ein, nachdem wir uns ausgewiesen hatten. Der Raum war ordentlich, fast steril. Bücherregale, ein Schreibtisch, ein Laptop, ein paar Fachzeitschriften. Keine persönlichen Fotos, keine Pflanzen. Nur ein Bild von Fritz Haber an der Wand, dem berühmten Chemiker.

    Roy durchsuchte die Schubladen, während ich den Computer einschaltete. Das Passwort war schnell geknackt – Bertram hatte es auf einem Post-it unter der Tastatur kleben. „Gifte1923". Ich musste schmunzeln.

    Die E-Mails waren unspektakulär. Ein paar Anfragen von Studenten, Korrespondenz mit Kollegen. Aber dann stieß ich auf eine Nachricht von gestern Abend, Absender anonym: „Sie wissen zu viel. Lassen Sie die Finger davon."

    Ich zeigte sie Roy. „Das sieht nach einer Warnung aus."

    „Oder einer Drohung", meinte er.

    Wir nahmen den Laptop mit und verließen das Büro. Draußen rief mich Bock an.

    „Uwe, was gibt’s Neues?"

    Ich fasste kurz zusammen. Bock brummte. „Gut. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Und schicken Sie die Statue und das Buch sofort ins Labor."

    Zurück im Präsidium übergaben wir Förnheim die Statue und das Buch. Er nahm sie mit spitzen Fingern entgegen, als hätte er Angst, sich an unserer Dummheit zu infizieren.

    „Ich werde sehen, was ich finden kann. Erwarten Sie aber keine Wunder von mir, wenn Sie schon alles angefasst haben."

    Roy verdrehte die Augen, aber ich sagte nichts. Es war besser, Förnheim einfach machen zu lassen.

    Im Büro setzten wir uns an unsere Schreibtische. Roy tippte einen ersten Bericht, während ich die Unterlagen zu Bertram durchging. Er war ein angesehener Wissenschaftler, spezialisiert auf Toxikologie. In letzter Zeit hatte er an einem Projekt gearbeitet, das sich mit seltenen Giften befasste – in Zusammenarbeit mit einem privaten Forschungslabor in der HafenCity.

    Ich rief Dr. Gerold Wildenbacher an, unseren Pathologen. Er war gerade dabei, Bertram zu obduzieren.

    „Uwe, der Mann ist tot, daran besteht kein Zweifel. Die Zunge ist geschwollen, die Schleimhäute verätzt. Ich schätze, das Gift war ziemlich stark. Ich schicke euch den toxikologischen Bericht, sobald ich mehr weiß."

    „Danke, Gerold. War sonst noch was?"

    „Ja, das Opfer hatte eine kleine Wunde am rechten Zeigefinger. Sieht aus, als hätte er sich an Papier geschnitten. Da ist das Gift wohl reingekommen."

    Ich bedankte mich und legte auf. Roy sah mich an. „Was meinst du, steckt dahinter?"

    Ich lehnte mich zurück. „Jemand wollte Bertram zum Schweigen bringen. Vielleicht wegen seiner Forschung. Und dann die Buddha-Statue – da war bestimmt etwas drin, das jetzt fehlt."

    Roy nickte. „Und die Warnung per E-Mail. Das ist kein Zufall."

    Ich dachte an die Buddha-Statue. In Hamburg gibt es viele Geschichten über geheime Zirkel und Organisationen, die seit Jahrhunderten im Verborgenen agieren. Die Stadt ist alt, voller dunkler Ecken und vergessener Keller. Ich hatte schon öfter von einer Gruppe gehört, die sich „Die Hanseatische Gesellschaft" nannte – angeblich ein Geheimbund, der im Hintergrund die Fäden zog.

    Ich schob den Gedanken beiseite. Noch war es zu früh für Verschwörungstheorien. Aber irgendetwas an diesem Fall roch nach mehr als nur einem Mord aus Eifersucht oder Habgier.

    Am Nachmittag kam Förnheim in unser Büro, die Statue in der Hand. Er sah aus, als hätte er einen besonders schlechten Witz gehört.

    „Die Statue ist alt, vermutlich aus dem frühen 20. Jahrhundert. Im Inneren gibt es ein Fach, das Spuren von Papierfasern und Klebstoff aufweist. Offenbar war dort ein Dokument oder ein kleiner Gegenstand versteckt. Leider ist alles weg. Keine Fingerabdrücke, außer von Ihnen, Herr Jörgensen."

    Ich ignorierte den Seitenhieb. „Und das Buch?"

    „Das Gift ist ein hochpotentes Alkaloid, eine Abwandlung von Strychnin, aber mit einer modifizierten Molekülstruktur. Das ist nichts, was man im Baumarkt bekommt. Das hat ein Profi gemacht."

    Roy runzelte die Stirn. „Ein Wissenschaftler also. Oder jemand mit Zugang zu einem Labor."

    Förnheim nickte gönnerhaft. „Sehr gut, Herr Müller. Sie überraschen mich."

    Ich bedankte mich bei Förnheim und wandte mich an Roy. „Wir müssen mit diesem Labor in der HafenCity sprechen. Und mit Dr. Kröger."

    Roy nickte. „Und was ist mit der Hanseatischen Gesellschaft?"

    Ich sah ihn an. „Du glaubst an diese Geschichten?"

    Er zuckte mit den Schultern. „In Hamburg ist alles möglich."

    Ich lächelte. Er hatte Recht. In dieser Stadt verschwimmen die Grenzen zwischen Legende und Realität oft schneller, als man denkt.

    Am Abend, als ich nach Hause fuhr, lag Nebel über der Elbe. Die Lichter der Hafenkräne glühten wie gespenstische Augen im Dunst. Ich dachte an Bertram, an das Gift, an die zerbrochene Buddha-Statue. Und an die E-Mail, die warnte: „Sie wissen zu viel."

    Ich hatte das Gefühl, dass wir gerade erst an der Oberfläche eines Abgrunds kratzten, der tiefer war, als wir uns vorstellen konnten.

    Und ich wusste: Dieser Fall würde uns noch lange beschäftigen.

    Kapitel 2: Schatten über der HafenCity

    Die Nacht hatte mir wenig Schlaf gegönnt. Immer wieder war ich aufgewacht, hatte an den toten Wissenschaftler gedacht, an das Gift, das Buch, die Buddha-Statue mit dem leeren Versteck. Und an die E-Mail, die mehr als nur eine Warnung gewesen war – sie war ein Versprechen. Ein Versprechen, dass dieser Fall kein gewöhnlicher Mord war.

    Am nächsten Morgen war Hamburg wieder grau. Die Wolken hingen tief, und ein feiner Nieselregen zog über die Stadt. Ich war früh im Präsidium, zu früh für meinen Geschmack, aber der Fall ließ mich nicht los. Roy kam kurz nach mir, mit zwei Bechern Kaffee und seinem typischen Grinsen, das heute allerdings etwas schmaler ausfiel.

    „Moin, Uwe. Hast du auch so beschissen geschlafen?"

    Ich nahm den Kaffee dankbar entgegen. „Vergiss es. Ich hab die halbe Nacht über diesen Fall nachgedacht."

    Roy setzte sich, schob mir einen Ausdruck rüber. „Die toxikologische Analyse von Förnheim. Das Gift war tatsächlich eine modifizierte Form von Strychnin, wie er vermutet hat. Extrem potent, kaum nachweisbar. Das ist nichts für Hobbychemiker."

    Ich nickte. „Das heißt, wir suchen jemanden mit Zugang zu hochspezialisierten Chemikalien. Und das Labor in der HafenCity ist unser nächster Halt."

    Roy scrollte auf seinem Handy. „Ich hab schon angerufen. Dr. Anna Lüders, die Laborleiterin, erwartet uns. Sie klang nicht begeistert, aber das ist ja normal, wenn die Polizei anruft."

    Ich grinste. „Dann los. Vielleicht finden wir da den nächsten Puzzlestein."

    Wir fuhren durch den morgendlichen Verkehr, vorbei an der Speicherstadt, deren rote Backsteinfassaden im Nebel verschwanden, und weiter in die HafenCity. Hier war Hamburg jung, modern, fast mondän – Glas, Stahl, teure Wohnungen mit Blick auf die Elbe. Aber unter der Oberfläche brodelte es, wie überall in dieser Stadt.

    Das Labor lag in einem unscheinbaren Gebäude in einer Seitenstraße, zwischen einem Architekturbüro und einem hippen Café. Dr. Anna Lüders empfing uns im Foyer. Sie war eine Frau Anfang vierzig, schlank, mit streng zurückgebundenem Haar und einem kühlen, analytischen Blick.

    „Guten Morgen, meine Herren. Sie wollten mit mir über Dr. Bertram sprechen?"

    Ich zeigte meinen Ausweis. „Kommissar Jörgensen, das ist mein Kollege Kommissar Müller. Dr. Bertram hat in letzter Zeit mit Ihnen zusammengearbeitet?"

    Sie nickte knapp. „Er war ein exzellenter Wissenschaftler. Wir haben gemeinsam an einem Forschungsprojekt gearbeitet, das sich mit der Detektion und Neutralisierung seltener Gifte beschäftigt. Bertram war sehr engagiert, manchmal vielleicht zu engagiert."

    Roy schaltete sich ein. „Was meinen Sie damit?"

    Dr. Lüders zögerte, dann zuckte sie mit den Schultern. „Er hat sich in den letzten Wochen verändert. War nervös, manchmal fahrig. Er hat öfter gefragt, ob wir unsere Daten ausreichend schützen. Ich dachte erst, er hätte Angst vor Industriespionage."

    Ich notierte mir das. „Gab es Streitigkeiten im Team?"

    „Nicht direkt. Aber Bertram hat in den letzten Tagen mehrfach angedeutet, dass er einer großen Sache auf der Spur sei. Er hat aber nie gesagt, was genau er meint. Nur, dass es gefährlich sei."

    Roy und ich tauschten einen Blick. „Hatte er Feinde?"

    Sie schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Aber er hat sich mit Dr. Kröger gestritten, dem Leiter der Bibliothek. Es ging um den Zugang zu bestimmten alten Dokumenten."

    Ich spürte, wie sich ein weiteres Puzzlestück bewegte. „Wissen Sie, um was für Dokumente es ging?"

    „Nein. Aber Bertram war besessen davon, in alten Archiven nach Hinweisen auf historische Gifte zu suchen. Er glaubte, dass es in Hamburg eine geheime Tradition der Giftmischerei gab, die bis ins Mittelalter zurückreicht."

    Roy grinste schief. „Das klingt nach einem Krimi."

    Dr. Lüders lächelte dünn. „Für Bertram war es todernst."

    Wir verabschiedeten uns und baten um eine Liste aller Mitarbeiter, die Zugang zu den gefährlichen Chemikalien hatten. Auf dem Weg zum Auto sagte Roy: „Was hältst du von Lüders?"

    „Sie weiß mehr, als sie sagt. Aber sie ist Wissenschaftlerin, keine Mörderin. Ich glaube, sie hat Angst, dass der Mord einen Skandal für das Labor bedeutet."

    Roy nickte. „Und Kröger?"

    „Der steht als Nächster auf unserer Liste."

    Wir fuhren zurück zur Staatsbibliothek. Diesmal empfing uns Dr. Kröger persönlich. Ein Mann Mitte fünfzig, gepflegt, mit einer Vorliebe für teure Anzüge und einer Aura von Überheblichkeit, die fast an Förnheim heranreichte.

    „Meine Herren, ich habe wenig Zeit. Was kann ich für Sie tun?"

    Ich ließ mich nicht einschüchtern. „Dr. Kröger, Sie hatten gestern Abend Kontakt zu dem Buch, das heute Morgen vergiftet war. Können Sie das erklären?"

    Er hob die Augenbrauen. „Ich habe das Buch nicht angefasst. Frau Dr. Stein hat es mir lediglich gezeigt. Ich habe es nicht einmal berührt."

    Roy hakte nach. „Gab es Streit zwischen Ihnen und Dr. Bertram?"

    Kröger lächelte dünn. „Wissenschaftliche Meinungsverschiedenheiten, mehr nicht. Bertram war ein brillanter Kopf, aber manchmal etwas... exzentrisch. Er hat sich in den letzten Wochen merkwürdig benommen. Paranoid, fast schon."

    Ich lehnte mich vor. „Wissen Sie, was in der Buddha-Statue war?"

    Kröger schüttelte den Kopf. „Nein. Die Statue stand seit Jahren im Magazin. Ich wusste nicht einmal, dass sie ein Versteck enthält."

    Ich beobachtete ihn genau, aber seine Miene blieb undurchdringlich.

    „Haben Sie eine Ahnung, wer das Gift in das Buch gebracht haben könnte?"

    Er zuckte mit den Schultern. „Jeder mit Zugang zum Magazin. Aber das sind nur ein paar Mitarbeiter. Und Sie sollten wissen, dass Bertram in den letzten Tagen mehrfach darauf bestanden hat, das Magazin selbst zu betreten. Er war der Meinung, dass jemand hinter ihm her ist."

    Roy und ich verabschiedeten uns. Draußen vor der Bibliothek blieb ich stehen und sah auf die regennassen Straßen.

    „Was meinst du, Roy?"

    Er zuckte mit den Schultern. „Kröger ist aalglatt. Aber ob er ein Mörder ist? Keine Ahnung. Vielleicht will uns jemand anderes auf eine falsche Fährte locken."

    Ich nickte. „Wir brauchen mehr Informationen. Und wir müssen herausfinden, was in der Buddha-Statue war."

    Zurück im Präsidium wartete schon eine Überraschung auf uns. Förnheim stand in unserem Büro, die Hände verschränkt, das Gesicht zu einer Maske aus Überlegenheit verzogen.

    „Ich habe mir die Statue noch einmal angesehen. Es gibt Reste von Papierfasern und winzige Goldpartikel. Offenbar war ein Dokument darin versteckt, vielleicht ein Pergament mit Goldschrift. Leider ist es verschwunden."

    Roy schnaubte. „Und wie alt war das Papier?"

    Förnheim lächelte dünn. „Sehr alt. Mindestens aus dem 19. Jahrhundert, vielleicht älter. Aber das ist nicht alles."

    Er zog ein kleines Tütchen aus der Tasche. Darin lag ein winziger, goldener Schlüssel.

    „Den habe ich im Sockel der Statue gefunden. Gut versteckt. Sie hätten ihn vermutlich übersehen."

    Ich nahm den Schlüssel und betrachtete ihn. Er war filigran gearbeitet, mit einem seltsamen Symbol am Griff – ein stilisierter Hanseatenstern, wie man ihn manchmal auf alten Hamburger Münzen sieht.

    Roy pfiff leise. „Was öffnet der?"

    Ich schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Aber ich wette, das ist der nächste Hinweis."

    Förnheim räusperte sich. „Ich würde Ihnen raten, vorsichtig zu sein. In Hamburg gibt es Dinge, die besser verborgen bleiben."

    Ich sah ihn überrascht an. „Was meinen Sie damit?"

    Er lächelte nur und verließ das Büro.

    Roy sah ihm nach. „Der Typ ist unheimlich."

    Ich nickte. „Aber er weiß mehr, als er zugibt."

    Wir setzten uns an unsere Schreibtische. Ich legte den Schlüssel vor mich und starrte ihn an. Das Symbol ließ mich nicht los. Ich erinnerte mich an eine Geschichte, die ich vor Jahren von einem alten Hamburger Polizisten gehört hatte – über die Hanseatische Gesellschaft, einen Geheimbund, der angeblich seit Jahrhunderten im Verborgenen agierte. Angeblich hatten sie ihre Finger in allen großen Skandalen der Stadtgeschichte, von der Choleraepidemie bis zum großen Brand.

    Ich schüttelte den Kopf. „Roy, wir müssen rausfinden, was dieses Symbol bedeutet."

    Roy tippte schon auf seinem Laptop. „Ich checke mal die Datenbank nach ähnlichen Symbolen."

    Ich griff zum Telefon und rief Dr. Wildenbacher an. Er war gerade dabei, die toxikologischen Ergebnisse zu überprüfen.

    „Uwe, das Gift war wirklich exotisch. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Aber ich habe noch etwas gefunden: Unter Bertrams Fingernägeln waren winzige Reste von Goldfolie. Vielleicht von einem alten Dokument?"

    Ich bedankte mich und legte auf. Roy sah auf.

    „Ich habe was gefunden. Das Symbol ist tatsächlich der Hanseatenstern. Es gibt Berichte, dass er auf alten Tresoren und Schließfächern in der Speicherstadt zu finden ist."

    Ich sprang auf. „Dann fahren wir hin."

    Die Speicherstadt lag wie ein Labyrinth aus Backstein und Wasser inmitten der Stadt. Die Kanäle waren heute grau und träge, die alten Lagerhäuser wirkten wie stumme Zeugen vergangener Zeiten. Wir parkten an der Poggenmühle und gingen zu Fuß weiter. Roy hatte eine Liste mit alten Tresoren, die noch nicht modernisiert worden waren.

    Nach einer halben Stunde fanden wir, was wir suchten: In den Katakomben eines alten Kontorhauses, hinter einer schweren Stahltür, war ein Tresor mit genau dem Symbol unseres Schlüssels.

    Ich steckte den Schlüssel ins Schloss. Er passte. Mit einem leisen Klicken öffnete sich die Tür. Drinnen lag ein alter, ledergebundener Foliant, versiegelt mit rotem Wachs.

    Roy pfiff anerkennend. „Das sieht nach einem Schatz aus."

    Ich zog das Buch vorsichtig heraus. Das Siegel trug das gleiche Symbol wie der Schlüssel. Ich brach es und schlug das Buch auf.

    Die Seiten waren voll mit handschriftlichen Notizen, Formeln, Zeichnungen von Pflanzen und Fläschchen. Auf der ersten Seite stand in alter Schrift: „Das Buch der Hanseatischen Gesellschaft. Geheimnisse der Gifte, 1789."

    Roy starrte mich an. „Das ist... unglaublich."

    Ich blätterte weiter. Die Rezepte waren detailliert, die Warnungen eindringlich. Und am Ende des Buches fand sich eine Liste von Namen – darunter auch Dr. Christian Bertram.

    Ich schluckte. „Bertram hat dieses Buch gesucht. Und jemand wollte verhindern, dass er es findet."

    Roy nickte langsam. „Oder jemand wollte verhindern, dass er es benutzt."

    Wir schlossen den Tresor wieder und nahmen das Buch mit. Draußen vor dem Kontorhaus blieb ich stehen und sah auf die graue Stadt.

    „Roy, das ist größer, als wir dachten. Viel größer."

    Er nickte. „Und gefährlicher."

    Ich spürte, wie sich ein Knoten in meinem Magen zusammenzog. Wir waren mitten in eine Verschwörung geraten, die bis in die dunkelsten Winkel Hamburgs reichte. Und ich wusste: Wir hatten gerade erst angefangen, die Schatten zu durchdringen.

    Kapitel 3: Die Schatten der Gesellschaft

    Hamburgs Speicherstadt wirkte im Regen wie ein Ort aus einer anderen Zeit. Die Backsteinfassaden glänzten nass, die Kanäle waren dunkel wie Tinte, und der Nebel, der aus der Elbe kroch, verschluckte die Geräusche der Stadt. Roy und ich standen noch immer vor dem alten Kontorhaus, das Buch der Hanseatischen Gesellschaft fest in meinen Händen. Es fühlte sich schwer an, nicht nur wegen des Leders und Papiers, sondern wegen der Geschichte, die darin verborgen lag.

    Wir gingen zurück zum Passat. Roy war ungewöhnlich still, sein Blick wanderte immer wieder zu dem Folianten in meinem Arm.

    „Uwe, wenn das hier rauskommt..." Er ließ den Satz offen.

    Ich wusste, was er meinte. Ein Buch voller Giftrezepte, Namen von Wissenschaftlern, die angeblich Teil eines Geheimbundes waren – das war Dynamit. Nicht nur für die Polizei, sondern für ganz Hamburg.

    Ich legte das Buch vorsichtig auf den Rücksitz und startete den Motor. „Wir sagen erst mal niemandem was. Nicht mal Bock. Das hier ist zu heiß."

    Roy nickte. „Und was machen wir jetzt?"

    „Wir fahren ins Präsidium. Ich will wissen, wer sonst noch auf dieser Liste steht. Und wir müssen rausfinden, was Bertram wirklich wusste."

    Der Verkehr war zäh, die Straßen voller Taxis, Lieferwagen und Radfahrer, die sich durch den Nieselregen kämpften. Ich ließ den Wagen am Berliner Tor in der Tiefgarage stehen. Das Polizeihauptpräsidium war wie immer ein Ameisenhaufen – Kollegen in Uniform, Zivilbeamte, ein paar Verdächtige, die aneinandergekettet auf den Fluren saßen. Wir schoben uns durch die Menge, das Buch in einer Aktentasche versteckt.

    Im Büro angekommen, schloss ich die Tür ab und legte den Folianten auf den Tisch. Roy zog die Jalousien zu. Ich schlug das Buch auf, blätterte vorsichtig durch die Seiten. Die Handschrift war alt, aber lesbar. Die ersten Kapitel handelten von der Kunst der Giftmischerei, von Pflanzen, Pilzen, Mineralien. Dann folgten Listen – Namen, Daten, Orte.

    Roy beugte sich über meine Schulter. „Gib mal her... Hier, sieh mal. Das ist doch der Name von diesem alten Professor, der vor Jahren spurlos verschwunden ist. Und da – das ist Bertram. Und noch ein paar andere Namen, die ich kenne."

    Ich las die Liste. Neben Bertram standen Namen, die mir nichts sagten, aber auch einige, die mir sofort auffielen: Dr. Gerold Wildenbacher, unser Pathologe. Und – ich musste zweimal hinschauen – Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim.

    Roy stieß die Luft aus. „Unsere eigenen Leute?"

    Ich schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein. Oder... vielleicht doch. Vielleicht sind sie nur Nachfahren, oder sie wissen gar nicht, dass ihre Namen in diesem Buch stehen."

    Roy runzelte die Stirn. „Oder sie wissen es sehr wohl."

    Ich schloss das Buch. „Wir müssen vorsichtig sein. Wenn das hier stimmt, dann ist die Hanseatische Gesellschaft nicht nur eine Legende. Dann gibt es sie wirklich. Und sie ist mitten unter uns."

    Ein Klopfen an der Tür ließ uns zusammenzucken. Ich schob das Buch hastig in die Schublade meines Schreibtischs, schloss ab. Roy öffnete.

    Kriminaldirektor Bock stand im Flur, ein Aktenstapel unter dem Arm, die Stirn in Falten gelegt.

    „Jörgensen, Müller. Was gibt es Neues?"

    Ich zwang mich zur Ruhe. „Wir haben mit Dr. Lüders gesprochen. Bertram war offenbar an etwas Großem dran. Er hat in alten Archiven geforscht, sich mit historischen Giften beschäftigt. Und er hatte Angst."

    Bock nickte. „Ich habe die ersten Ergebnisse von Wildenbacher. Das Gift war tatsächlich extrem selten. Und es gibt Hinweise, dass Bertram in den letzten Tagen beobachtet wurde. Vielleicht von jemandem aus seinem Umfeld."

    Roy fragte: „Gibt es Verdächtige?"

    Bock schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Aber ich will, dass Sie beide weiter dranbleiben. Und halten Sie mich auf dem Laufenden. Keine Alleingänge, verstanden?"

    Wir nickten. Bock war ein guter Chef, aber manchmal war es besser, ihm nicht alles zu erzählen. Noch nicht.

    Als er gegangen war, holte ich das Buch wieder hervor. „Wir müssen mit Wildenbacher reden. Und mit Förnheim. Aber vorsichtig."

    Roy nickte. „Und was ist mit der Buddha-Statue?"

    „Vielleicht war das Buch mal darin versteckt. Oder ein Hinweis darauf. Jemand hat es rausgenommen, bevor wir kamen."

    Ich blätterte noch einmal durch die letzten Seiten. Dort, in feiner Schrift, stand ein Satz, der mir eine Gänsehaut jagte: „Wer das Wissen der Gesellschaft missbraucht, wird durch das Gift gerichtet."

    Roy las mit. „Das klingt wie eine Drohung. Vielleicht hat Bertram etwas gefunden, was er nicht finden sollte."

    Ich nickte. „Und jemand hat ihn dafür getötet."

    Wir beschlossen, zuerst mit Wildenbacher zu sprechen. Er war im Keller, in der Pathologie, wie immer. Der Raum roch nach Desinfektionsmitteln und etwas anderem, das ich nie genau identifizieren konnte – vielleicht der Geruch des Todes selbst.

    Wildenbacher stand über einem Seziertisch, die Ärmel hochgekrempelt, ein blutiges Skalpell in der Hand. Er grinste, als er uns sah.

    „Na, Jungs. Wollt ihr wieder was wissen, was euch die Uni nicht beibringt?"

    Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Wir haben ein paar Fragen zu Bertram. Sie kannten ihn, oder?"

    Wildenbacher zuckte mit den Schultern. „Vom Sehen. Hat ab und zu Leichen zur Analyse gebracht. War ein kluger Kopf, aber ein bisschen zu neugierig für meinen Geschmack."

    Roy fragte: „Wussten Sie, dass er an alten Giftrezepten gearbeitet hat?"

    Wildenbacher grinste schief. „In Hamburg gibt’s viele alte Geschichten. Aber die meisten sind Quatsch. Ich halte mich an die Fakten."

    Ich beobachtete ihn genau. „Ihr Name steht auf einer Liste, die wir gefunden haben. Eine Liste von Wissenschaftlern, die angeblich Teil einer geheimen Gesellschaft sind."

    Er lachte laut. „Ach, jetzt kommt ihr mit Verschwörungstheorien? Ich bin Pathologe, kein Hexenmeister. Und wenn mein Name irgendwo steht, dann ist das Zufall. Oder ein schlechter Witz."

    Ich ließ nicht locker. „Wissen Sie, was die Hanseatische Gesellschaft ist?"

    Er wurde ernst. „Hab ich mal gehört. Alte Geschichten. Aber ich hab genug mit den Toten zu tun. Für Geheimbünde hab ich keine Zeit."

    Ich glaubte ihm nicht ganz, aber ich wusste, dass wir nicht weiterkommen würden. Wir verabschiedeten uns und gingen zurück zum Fahrstuhl.

    Roy flüsterte: „Er lügt."

    Ich nickte. „Oder er weiß wirklich nichts. Aber sein Name steht in dem Buch. Das ist kein Zufall."

    Wir fuhren in den dritten Stock, wo Förnheim sein Labor hatte. Er war wie immer allein, beugte sich über ein Mikroskop, als wir eintraten.

    „Ah, die Herren Kommissare. Schon wieder auf der Suche nach Erleuchtung?"

    Ich zeigte ihm das Buch. „Kennen Sie das?"

    Er sah es kaum an. „Ein altes Buch. Wahrscheinlich voller Unsinn."

    Roy hielt ihm die Seite mit seinem Namen hin. „Ihr Name steht hier. Erklären Sie das."

    Förnheim lächelte dünn. „Mein Urgroßvater war Mitglied in allerlei obskuren Zirkeln. Vielleicht ist das ein Familienstück. Aber ich halte nichts von solchen Legenden. Wissenschaft ist keine Magie."

    Ich legte das Buch auf den Tisch. „Bertram wurde ermordet, weil er etwas wusste. Vielleicht über diese Gesellschaft."

    Förnheim zuckte die Schultern. „Bertram war ein Träumer. Er hat überall Verschwörungen gesehen. Aber manchmal... Er hielt inne, sah uns an. „Manchmal gibt es Dinge, die besser im Dunkeln bleiben. Glauben Sie mir, Kommissar: Wer zu tief gräbt, findet nicht immer Gold.

    Ich nahm das Buch wieder an mich. „Wir werden trotzdem weitergraben."

    Förnheim lächelte. „Das dachte ich mir."

    Zurück im Büro war es schon Nachmittag. Roy ließ sich in seinen Stuhl fallen. „Wir drehen uns im Kreis. Alle wissen etwas, aber keiner sagt die Wahrheit."

    Ich nickte. „Wir brauchen einen neuen Ansatz. Vielleicht gibt es jemanden, der mehr weiß. Jemanden, der nicht auf der Liste steht."

    Ich dachte an Dr. Julia Stein, die Bibliothekarin. Sie hatte das Buch zuletzt gesehen, die Buddha-Statue gefunden. Und sie war die Einzige, die nicht in irgendeiner Weise mit der Wissenschaftsszene verbandelt war.

    Ich griff zum Telefon. „Frau Dr. Stein? Jörgensen hier. Wir müssten Sie noch einmal sprechen. Es ist wichtig."

    Sie war einverstanden, uns am Abend in der Bibliothek zu treffen. Als wir dort ankamen, war es schon dunkel. Die Halle war leer, nur das Licht über dem Empfangstresen brannte. Dr. Stein wartete auf uns, die Hände nervös ineinander verschränkt.

    „Was gibt es, Herr Kommissar?"

    Ich zeigte ihr das Buch. „Kennen Sie das?"

    Sie sah es an, dann schüttelte sie den Kopf. „Nein. Aber ich habe von der Hanseatischen Gesellschaft gehört. Mein Großvater hat mir Geschichten erzählt. Über einen Geheimbund, der Hamburg kontrolliert. Aber das waren nur Märchen."

    Roy fragte: „Wissen Sie, wer Zugang zur Buddha-Statue hatte?"

    Sie überlegte. „Eigentlich nur ich. Aber..." Sie zögerte.

    „Aber?"

    „Vor ein paar Tagen war ein Mann hier, den ich nicht kannte. Er hat nach alten Dokumenten gefragt, nach geheimen Archiven. Ich habe ihn abgewiesen, aber er war sehr beharrlich. Groß, schlank, teurer Mantel, auffälliger Akzent. Französischer, glaube ich."

    Ich notierte mir die Beschreibung. „Haben Sie einen Namen?"

    Sie schüttelte den Kopf. „Er wollte anonym bleiben. Aber er hat gesagt, er sucht nach dem ‚Schlüssel zur Gesellschaft‘."

    Roy sah mich an. „Der goldene Schlüssel."

    Ich spürte, wie sich die Puzzleteile langsam zusammenfügten. „Wenn dieser Mann das Buch gesucht hat, dann ist er vielleicht auch der Mörder."

    Dr. Stein nickte langsam. „Er war sehr nervös. Und er hat immer wieder gefragt, ob wir wertvolle Gegenstände aufbewahren. Vielleicht hat er die Statue durchsucht."

    Wir verabschiedeten uns und gingen hinaus in die Nacht. Der Regen hatte aufgehört, aber der Nebel war dichter geworden. Die Lichter der Stadt verschwammen zu verschwommenen Punkten im Dunst.

    Roy sagte leise: „Ein Fremder, der nach dem Schlüssel sucht. Ein Geheimbund, der seine Geheimnisse schützt. Und ein Wissenschaftler, der zu viel wusste."

    Ich nickte. „Wir müssen diesen Mann finden. Und wir müssen das Buch schützen. Wenn es in die falschen Hände gerät..."

    Ich ließ den Satz offen. Wir gingen zurück zum Auto, das Buch sicher verstaut. Ich wusste, dass wir beobachtet wurden – von den Schatten der Stadt, von den Geistern der Vergangenheit. Und vielleicht auch von der Hanseatischen Gesellschaft selbst.

    Als ich später in meiner Wohnung am Rande von Ottensen saß, das Buch auf dem Tisch, den goldenen Schlüssel daneben, wurde mir klar, wie tief wir schon drinsteckten. Ich dachte an Bertram, an seinen Tod, an die Warnung in der E-Mail. Und ich wusste: Wir waren nicht mehr nur Ermittler. Wir waren Teil eines Spiels, das viel älter war als wir.

    Draußen heulte ein Schiffshorn über die Elbe. Ich schloss die Augen und schwor mir, die Wahrheit zu finden – egal, wie gefährlich sie war.

    Kapitel 4: Das Vermächtnis der Hanse

    Der Morgen nach unserem Besuch bei Dr. Stein begann mit einem Anruf, der mich aus dem Schlaf riss. Ich hatte das Buch der Hanseatischen Gesellschaft in meiner Wohnung versteckt, in einer alten Kiste unter dem Bett, eingewickelt in eine Wolldecke. Trotzdem schlief ich unruhig, als würde das Wissen darin durch die Dielen sickern und mir Alpträume schicken.

    Das Handy vibrierte auf dem Nachttisch. Ich griff verschlafen danach. Roys Stimme klang am anderen Ende ungewöhnlich angespannt.

    „Uwe, du musst sofort ins Präsidium kommen. Es gab einen Einbruch im Labor. Förnheim ist außer sich. Und Bock will dich sprechen."

    Ich war sofort hellwach. „Was wurde gestohlen?"

    „Das Gift, das bei Bertram gefunden wurde. Die Probe ist weg. Und jemand hat Förnheim eine Nachricht hinterlassen. In Goldschrift."

    Ich warf mich in meine Klamotten, schnappte mir das Buch und den Schlüssel, die ich in meinen Rucksack stopfte, und rannte zur S-Bahn. Während der Fahrt über die Elbbrücken, vorbei an den Kränen des Hafens, versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Wer immer hinter dem Mord an Bertram steckte, war jetzt einen Schritt weiter. Sie hatten das Gift – und vielleicht wussten sie auch, dass wir das Buch hatten.

    Im Präsidium herrschte Chaos. Die Spurensicherung war im Labor, Förnheim stand mit hochrotem Kopf im Flur und schimpfte auf alles und jeden. Als er mich sah, stürmte er auf mich zu.

    „Jörgensen! Sie sind verantwortlich für diese Farce! Sie und Ihr Kollege schleppen Beweise durch die halbe Stadt, und jetzt ist das Einzige, was uns weitergebracht hätte, verschwunden!"

    Ich blieb ruhig. „Was genau ist passiert?"

    „Jemand hat sich heute Nacht Zugang zum Labor verschafft. Die Tür war nicht aufgebrochen, sondern sauber geöffnet – mit einem Spezialschlüssel, wie ihn nur wenige Leute haben. Die Giftprobe ist weg, und auf meinem Schreibtisch lag dieser Zettel."

    Er reichte mir ein Stück dickes Papier. Die Schrift war altmodisch, mit goldener Tinte geschrieben:

    „Das Wissen gehört der Gesellschaft. Wer es stiehlt, wird gerichtet."

    Roy kam dazu, blass und mit dunklen Ringen unter den Augen. „Die Überwachungskameras wurden ausgeschaltet. Jemand wusste genau, was er tat."

    Ich sah Förnheim an. „Wer hat noch einen Schlüssel zu Ihrem Labor?"

    Er zählte auf: „Ich, mein Assistent, Dr. Lüders vom HafenCity-Labor – für Notfälle –, und... Er stockte. „Und Wildenbacher. Für toxikologische Notfallanalysen.

    Roy und ich sahen uns an. „Wir sollten mit beiden reden."

    Förnheim schnaubte. „Viel Glück. Ich bin sicher, Sie werden wieder nichts finden."

    Wir ließen ihn stehen und gingen zu Bocks Büro. Der Kriminaldirektor war heute noch angespannter als sonst. Er trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch, als wir eintraten.

    „Setzen Sie sich. Was zum Teufel ist hier los, Jörgensen? Erst ein Mord, dann verschwindet ein Beweisstück, und jetzt diese Drohung. Ich will Ergebnisse – und zwar schnell!"

    Ich erzählte ihm von dem Buch, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Bock runzelte die Stirn, als ich das Wort „Geheimgesellschaft" erwähnte.

    „Sie meinen, das hat alles mit dieser Hanseatischen Gesellschaft zu tun? Das klingt nach einer Räuberpistole."

    „Vielleicht. Aber zu viele Zufälle, Chef. Bertram war auf der Spur eines alten Geheimnisses. Jetzt ist er tot, das Gift ist weg, und jemand droht uns."

    Bock seufzte. „Gut. Aber bleiben Sie auf dem Teppich. Und bringen Sie mir endlich einen Verdächtigen."

    Wir verließen das Büro. Roy sah mich an. „Was jetzt?"

    Ich zog das Buch aus dem Rucksack. „Wir müssen rausfinden, was Bertram wusste, das ihn das Leben gekostet hat. Und wir müssen diesen Fremden finden, den Dr. Stein beschrieben hat."

    Roy nickte. „Und Wildenbacher?"

    „Den nehmen wir uns jetzt vor."

    Wir fanden Wildenbacher in der Pathologie, wie immer mit hochgekrempelten Ärmeln und einem Kaffeebecher in der Hand. Er wirkte heute noch ruppiger als sonst.

    „Was wollt ihr? Ich hab zu tun."

    Ich zeigte ihm den Zettel mit der Goldschrift. „Kennen Sie das?"

    Er las, verzog das Gesicht. „Klingt nach Theater. Was soll das sein?"

    „Das lag heute Nacht im Labor, nachdem das Gift verschwunden ist. Sie haben einen Schlüssel zum Labor, oder?"

    Er zuckte die Schultern. „Hab ich. Aber ich war die ganze Nacht hier unten. Fragt die Putzfrau, die hat mich gesehen."

    Roy fragte: „Kennen Sie jemanden mit Zugang zu Goldtinte?"

    Wildenbacher grinste schief. „Vielleicht den Weihnachtsmann. Oder einen Antiquar. Ich hab keine Ahnung."

    Ich beobachtete ihn. Er wirkte ehrlich – oder war ein verdammt guter Lügner. „Haben Sie Bertram in den letzten Tagen gesehen?"

    Er schüttelte den Kopf. „Nicht mehr als sonst. Der Mann war nervös, hat dauernd irgendwas gemurmelt von ‚alten Mächten‘ und ‚Gefahr‘. Ich hab ihn nicht ernst genommen."

    Wir verabschiedeten uns. Draußen im Flur sagte Roy leise: „Der war’s nicht. Aber er weiß mehr, als er sagt."

    Ich nickte. „Und was ist mit Dr. Lüders?"

    Roy hatte sie bereits angerufen. Sie war bereit, uns im Labor in der HafenCity zu empfangen.

    Das Labor lag wie beim letzten Mal ruhig in einer Seitenstraße. Dr. Lüders empfing uns mit verschränkten Armen. Sie wirkte noch kälter als sonst.

    „Was gibt es diesmal?"

    Ich zeigte ihr den Zettel. „Kennen Sie diese Handschrift?"

    Sie warf einen Blick darauf, schüttelte den Kopf. „Nie gesehen. Aber Goldtinte ist teuer. Die bekommt man nicht im Schreibwarenladen. Eher bei Antiquaren oder in Künstlerbedarfsläden."

    Roy fragte: „Waren Sie letzte Nacht im Präsidium?"

    Sie schüttelte den Kopf. „Ich war zu Hause. Mein Mann kann das bestätigen."

    Ich überlegte. „Kennen Sie jemanden, der Zugang zu alten Handschriften oder seltenen Tinten hat?"

    Sie dachte nach. „Vielleicht Professor Leclerc. Er ist Experte für alte Manuskripte an der Uni. Franzose, lebt seit Jahren in Hamburg."

    Roy und ich sahen uns an. „Groß, schlank, teurer Mantel, französischer Akzent?"

    Sie nickte. „Das klingt nach ihm."

    Wir bedankten uns und fuhren zur Universität. Professor Leclercs Büro lag im obersten Stock des Altbaus am Von-Melle-Park. Die Flure rochen nach Papier und Kaffee, überall stapelten sich Bücher.

    Leclerc war ein Mann um die fünfzig, elegant gekleidet, mit silbernen Haaren und einem scharfen Blick. Er begrüßte uns höflich, aber reserviert.

    „Messieurs, was kann ich für Sie tun?"

    Ich zeigte ihm den Zettel. „Kennen Sie diese Schrift?"

    Er lächelte dünn. „Das ist meine Handschrift. Aber ich habe diesen Zettel nicht geschrieben."

    Roy fragte: „Wo waren Sie letzte Nacht?"

    „Zu Hause. Meine Frau kann das bestätigen."

    Ich ließ nicht locker. „Sie haben vor ein paar Tagen in der Bibliothek nach alten Dokumenten gefragt. Nach dem ‚Schlüssel zur Gesellschaft‘."

    Er sah mich überrascht an, dann lachte er leise. „Ich bin Historiker. Ich interessiere mich für Legenden. Die Hanseatische Gesellschaft ist eine faszinierende Geschichte."

    „Und Sie haben nach der Buddha-Statue gefragt."

    Er zuckte die Schultern. „Ich habe davon gelesen. Sie soll ein Geheimfach enthalten. Aber ich habe sie nie gesehen."

    Ich beobachtete ihn genau. „Wissen Sie, dass Bertram tot ist?"

    Er wurde ernst. „Ja. Ich habe es heute Morgen erfahren. Ein großer Verlust für die Wissenschaft."

    Roy fragte: „Haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?"

    Leclerc nickte. „Wir haben uns über alte Manuskripte ausgetauscht. Bertram war besessen von der Idee, dass es in Hamburg eine geheime Tradition der Giftmischerei gibt. Er hat mich gebeten, nach Hinweisen in alten Dokumenten zu suchen."

    Ich zog das Buch aus dem Rucksack, zeigte ihm das Siegel. „Kennen Sie das?"

    Seine Augen weiteten sich. „Das ist... unglaublich. Das Siegel der Hanseatischen Gesellschaft. Ich habe es nur auf alten Zeichnungen gesehen."

    Ich schlug das Buch auf. Leclerc beugte sich vor, las einige Zeilen. „Das ist ein Schatz. Ein Beweis, dass die Gesellschaft wirklich existiert hat."

    Ich fragte: „Könnte jemand aus Ihrem Umfeld an das Gift gekommen sein?"

    Er schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Aber... Er zögerte. „Es gibt eine kleine Gruppe von Sammlern in Hamburg, die sich für solche Dinge interessieren. Sie nennen sich ‚Die Wächter der Hanse‘. Sie treffen sich manchmal in der Speicherstadt.

    Roy notierte sich den Namen. „Kennen Sie Mitglieder?"

    Leclerc nickte. „Einige. Dr. Kröger aus der Bibliothek gehört dazu. Und ein gewisser Herr von Alvensleben, ein reicher Kaufmann."

    Ich schloss das Buch. „Wir müssen mit Kröger sprechen. Und mit diesem von Alvensleben."

    Leclerc sagte leise: „Seien Sie vorsichtig, Messieurs. Diese Leute nehmen ihre Geheimnisse sehr ernst."

    Zurück im Präsidium recherchierten wir zu von Alvensleben. Er war ein bekannter Name in Hamburg, Besitzer mehrerer Immobilien in der Speicherstadt, Mitglied zahlreicher exklusiver Clubs. Wir vereinbarten einen Termin in seinem Büro am Sandtorkai.

    Das Gebäude war modern, mit Blick auf die Elbe. Von Alvensleben empfing uns in einem Büro voller Kunst und Antiquitäten. Er war ein Mann um die sechzig, mit scharf geschnittenen Zügen und einem Lächeln, das nie die Augen erreichte.

    „Was kann ich für die Polizei tun?"

    Ich zeigte ihm das Siegel des Buches. „Kennen Sie das?"

    Er betrachtete es lange. „Das ist das alte Siegel der Hanseatischen Gesellschaft. Ein Relikt aus einer anderen Zeit."

    Roy fragte: „Sind Sie Mitglied bei den ‚Wächtern der Hanse‘?"

    Er lächelte. „Ich bin Sammler. Und ich interessiere mich für Geschichte. Aber ich bin kein Verschwörer, falls Sie das meinen."

    Ich zeigte ihm den goldenen Schlüssel. „Wissen Sie, was dieser Schlüssel öffnet?"

    Er nahm ihn, drehte ihn in den Fingern. „Das ist ein Tresorschlüssel. Wahrscheinlich für einen der alten Safes in der Speicherstadt. Es gibt nur noch wenige davon."

    Ich fragte: „Wissen Sie, wer Bertram getötet haben könnte?"

    Sein Blick wurde hart. „Bertram war zu neugierig. Er hat Fragen gestellt, die besser unbeantwortet bleiben. Manche Leute glauben, dass das Wissen der Vergangenheit gefährlich ist."

    Roy fragte: „Haben Sie das Gift aus dem Labor gestohlen?"

    Von Alvensleben lachte leise. „Ich habe meine eigenen Quellen. Ich brauche kein Gift aus einem Polizeilabor."

    Ich spürte, dass wir an eine Wand gestoßen waren. Von Alvensleben wusste mehr, als er sagte. Aber er war zu klug, um sich in die Karten schauen zu lassen.

    Wir verabschiedeten uns. Draußen auf der Straße sagte Roy: „Der steckt da tief drin."

    Ich nickte. „Aber er ist nicht der Mörder. Er zieht die Fäden im Hintergrund."

    Roy fragte: „Was jetzt?"

    Ich dachte nach. „Wir müssen die ‚Wächter der Hanse‘ finden. Und wir müssen das Buch sichern. Solange es existiert, sind wir in Gefahr."

    Roy nickte. „Und was ist mit dem Gift?"

    Ich sah auf die Elbe hinaus, wo die Schiffe langsam durch den Nebel glitten. „Jemand will die Vergangenheit wieder lebendig machen. Mit allen Mitteln."

    Ich wusste, dass die nächste Nacht unruhig werden würde. Die Schatten der Hanse lagen schwer über Hamburg. Und wir waren mittendrin.

    Kapitel 5: Die Jagd durch die Speicherstadt

    Der Tag war noch jung, doch in Hamburg lag bereits ein schwerer Dunst über den Kanälen der Speicherstadt. Die Sonne kämpfte sich vergeblich durch die dicken Wolken, und das Wasser unter den Brücken schimmerte bleigrau. Ich stand am Fenster unseres Büros im Polizeihauptpräsidium, den Blick auf die regennassen Straßen gerichtet, und ließ die Ereignisse der letzten Stunden Revue passieren. Das gestohlene Gift, die Drohung in Goldschrift, die Hinweise auf die „Wächter der Hanse" – alles fühlte sich an wie ein Netz, das sich immer enger um uns zog.  

    Roy saß am Schreibtisch, den Laptop vor sich, und tippte eifrig. Er hatte sich in den letzten Tagen zum Experten für die dunklen Ecken der Hamburger Geschichte entwickelt. Ich hörte das leise Klackern der Tasten, während ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen.

    „Uwe, hör mal, sagte Roy plötzlich und drehte den Bildschirm zu mir. „Ich hab was gefunden. Es gibt tatsächlich eine Art Geheimbund, der sich selbst die ‚Wächter der Hanse‘ nennt. Keine offizielle Organisation, aber immer wieder tauchen die gleichen Namen auf: von Alvensleben, Kröger, ein paar andere reiche Kaufleute und Wissenschaftler. Sie treffen sich angeblich in einem alten Kontorhaus in der Speicherstadt – Hausnummer 17, Brooktorkai.

    Ich trat näher und betrachtete die Liste. „Das ist unsere nächste Adresse. Vielleicht finden wir dort Antworten – oder zumindest jemanden, der uns weiterbringt."

    Roy nickte. „Und was machen wir mit dem Buch?"

    Ich griff in meine Tasche und holte den Folianten hervor. „Das bleibt vorerst bei mir. Ich will nicht riskieren, dass es noch jemandem in die Hände fällt."

    Wir informierten Bock kurz, dass wir eine neue Spur verfolgten, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Er brummte nur etwas von „Vorsicht und „keine Alleingänge, dann waren wir schon unterwegs.

    Der Regen hatte nachgelassen, als wir an der Speicherstadt ankamen. Die alten Lagerhäuser wirkten wie Festungen, die ihre Geheimnisse seit Jahrhunderten bewahrten. Das Kontorhaus 17 lag etwas abseits, ein unscheinbarer Backsteinbau mit schweren Holztüren und eisernen Fenstergittern. Über der Tür prangte ein verwittertes Schild: „Handelskontor Alvensleben & Partner".

    Wir klingelten. Nach einer Weile öffnete ein älterer Mann in Anzug und Weste, der uns mit misstrauischem Blick musterte.

    „Polizei. Kommissare Jörgensen und Müller. Wir möchten mit Herrn von Alvensleben sprechen."

    Der Mann nickte knapp und bat uns herein. Das Foyer war kühl und roch nach altem Holz und Leder. An den Wänden hingen Gemälde von Segelschiffen und Stadtansichten aus dem 19. Jahrhundert. Der Mann führte uns in einen Salon, wo von Alvensleben bereits wartete – diesmal nicht allein. Neben ihm saßen Dr. Kröger, die Bibliothekarin Dr. Stein und ein weiterer Mann, den ich als Professor Leclerc erkannte.

    Von Alvensleben begrüßte uns mit einem höflichen, aber distanzierten Lächeln. „Willkommen, meine Herren. Ich hatte fast schon mit Ihrem Besuch gerechnet. Nehmen Sie Platz."

    Wir setzten uns. Die Atmosphäre war gespannt, fast feindselig. Ich spürte, dass hier mehr auf dem Spiel stand als nur ein paar alte Bücher.

    „Sie wollen sicher wissen, was es mit den ‚Wächtern der Hanse‘ auf sich hat, begann von Alvensleben. „Nun, wir sind ein Kreis von Menschen, die sich der Bewahrung der Geschichte Hamburgs verschrieben haben. Das ist alles.

    Ich lächelte dünn. „Und das Gift? Der Mord an Dr. Bertram? Die Drohungen? Sind das auch Teil Ihrer Geschichtsbewahrung?"

    Von Alvensleben blieb ruhig. „Wir haben mit dem Mord nichts zu tun. Im Gegenteil – Bertram war einer von uns. Er hat geforscht, gesammelt, bewahrt. Aber er hat sich Feinde gemacht. Es gibt Kräfte in dieser Stadt, die nicht wollen, dass bestimmte Dinge ans Licht kommen."

    Kröger schaltete sich ein, die Stimme zittrig vor Nervosität. „Bertram hat zu tief gegraben. Er hat versucht, das Buch der Gesellschaft zu öffnen – das Buch, das Sie jetzt besitzen, Herr Kommissar. Er glaubte, darin den Schlüssel zu einem alten Geheimnis zu finden. Aber das Buch ist gefährlich. Es hat schon früher Tote gefordert."

    Ich zog das Buch aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Alle Augen richteten sich darauf. „Was genau ist das Geheimnis?"

    Leclerc beugte sich vor, die Stimme leise. „Das Buch enthält nicht nur Giftrezepte. Es enthält Hinweise auf ein altes Lager – einen Ort, an dem im 18. Jahrhundert die Hanseatische Gesellschaft ihre gefährlichsten Substanzen versteckt hat. Gifte, die ganze Städte hätten vernichten können. Bertram war überzeugt, dass jemand versucht, dieses Lager zu finden."

    Dr. Stein meldete sich zaghaft zu Wort. „In den letzten Wochen habe ich immer wieder fremde Gesichter in der Bibliothek gesehen. Männer, die sich für alte Pläne der Speicherstadt interessierten. Einer von ihnen war dieser Franzose, von dem ich Ihnen erzählt habe. Aber es gab noch einen anderen – einen jungen Mann mit auffälligen Tätowierungen. Ich habe ihn einmal dabei erwischt, wie er alte Akten fotografiert hat."

    Roy notierte sich die Beschreibung. „Könnten Sie ihn wiedererkennen?"

    Sie nickte. „Ganz sicher."

    Von Alvensleben sah mich ernst an. „Sie müssen verstehen, Kommissar: Wenn das Lager gefunden wird, ist nicht nur Hamburg in Gefahr. Die Rezepte im Buch sind der Schlüssel. Wer sie entschlüsselt, kann das Lager öffnen – und das Gift freisetzen."

    Ich spürte, wie sich ein Knoten in meinem Magen zusammenzog. „Und jemand hat bereits das Gift aus dem Labor gestohlen. Das heißt, er ist auf dem richtigen Weg."

    Leclerc nickte. „Wir müssen das Lager finden, bevor es jemand anderes tut. Das Buch enthält Hinweise – aber sie sind verschlüsselt. Nur wer den Code kennt, kann sie lesen."

    Ich schlug das Buch auf, blätterte zu den letzten Seiten. Dort war eine Zeichnung – ein alter Grundriss der Speicherstadt, mit kryptischen Zeichen und Zahlen versehen. Daneben eine Liste von Symbolen, die ich nicht entziffern konnte.

    Roy beugte sich vor. „Das sieht aus wie ein Rätsel. Vielleicht Koordinaten?"

    Leclerc nahm ein Blatt Papier und begann, die Zeichen zu kopieren. „Ich kenne jemanden, der uns helfen kann. Einen alten Freund, Professor für Kryptografie an der TU. Er ist diskret – und er schuldet mir einen Gefallen."

    Von Alvensleben stand auf. „Sie müssen sich beeilen. Wenn der Dieb das Lager vor uns findet, ist es zu spät."

    Wir verabschiedeten uns und verließen das Kontorhaus. Draußen regnete es wieder, feiner Niesel, der alles in einen grauen Schleier hüllte.

    „Was meinst du, Uwe?", fragte Roy, als wir zum Auto gingen.

    „Ich glaube, wir haben es mit etwas zu tun, das größer ist als alles, was wir bisher erlebt haben. Wir müssen das Lager finden – und das Buch schützen. Und wir müssen diesen tätowierten Mann finden. Er ist der Schlüssel."

    Zurück im Präsidium machten wir uns an die Arbeit. Roy recherchierte in den Datenbanken nach Männern mit auffälligen Tätowierungen, die in den letzten Wochen in der Nähe der Bibliothek oder der Speicherstadt aufgefallen waren. Ich nahm mir das Buch vor, verglich die Zeichnungen mit alten Plänen der Speicherstadt, die ich aus dem Archiv besorgte.

    Nach einer Stunde kam Roy mit einer Liste von drei Verdächtigen zurück. Einer davon, ein gewisser Lars Kessler, war vorbestraft wegen Einbruchs und Diebstahls, hatte aber in den letzten Monaten keinen festen Wohnsitz. Auffällig: Er war mehrfach in der Nähe der Speicherstadt gesehen worden, zuletzt vor zwei Tagen.

    „Das ist unser Mann, sagte Roy. „Wir sollten ihn suchen.

    Ich nickte. „Und ich will mit Leclercs Freund sprechen. Vielleicht kann er das Rätsel im Buch knacken."

    Wir riefen Leclerc an, der uns die Adresse des Kryptografie-Professors gab: Dr. Hans-Peter Wrede, ein Spezialist für alte Codes und Chiffren. Er wohnte in einem unscheinbaren Altbau in Eimsbüttel.

    Wrede war ein kleiner, drahtiger Mann mit wirrem Haar und einer Brille, die ständig von der Nase zu rutschen drohte. Er begrüßte uns freundlich, aber neugierig.

    „Was kann ich für die Polizei tun?"

    Ich zeigte ihm die Seite mit den Symbolen. „Können Sie das entschlüsseln?"

    Er setzte sich an seinen Schreibtisch, zog ein Notizbuch hervor und begann zu rechnen, zu vergleichen, zu murmeln. Nach einer halben Stunde hatte er eine erste Theorie.

    „Das ist ein Zahlencode, kombiniert mit alten Hanseatischen Symbolen. Die Zahlen stehen für bestimmte Lagerhäuser, die Symbole für geheime Zugänge. Ich brauche etwas Zeit, aber ich kann Ihnen in ein paar Stunden mehr sagen."

    Wir bedankten uns und ließen ihm das Buch da. Zurück im Präsidium rief mich Bock ins Büro.

    „Jörgensen, was gibt’s Neues?"

    Ich fasste zusammen, was wir wussten: das Buch, das Lager, die Wächter der Hanse, den tätowierten Verdächtigen. Bock hörte aufmerksam zu, dann nickte er.

    „Sie haben freie Hand, Jörgensen. Aber passen Sie auf. Wenn das rauskommt, haben wir die Presse am Hals – und vielleicht noch Schlimmeres."

    Ich versprach, vorsichtig zu sein.

    Am Abend meldete sich Wrede. „Ich habe den Code geknackt. Die Zahlen und Symbole führen zu einem bestimmten Lagerhaus – Nummer 43 am Brooktorkai. Es gibt einen Geheimgang, der nur mit einem speziellen Schlüssel geöffnet werden kann. Haben Sie so einen Schlüssel?"

    Ich griff in die Tasche und holte den goldenen Schlüssel hervor. „Ich glaube, der hier passt."

    Wrede nickte. „Dann sollten Sie sich beeilen. Wenn jemand anders den Code auch geknackt hat, ist er vielleicht schon unterwegs."

    Ich rief Roy an. „Wir treffen uns am Lagerhaus 43. Nimm eine Weste mit – ich habe ein ungutes Gefühl."

    Es war bereits dunkel, als wir an der Speicherstadt ankamen. Das Lagerhaus lag verlassen am Kanal, die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Wir schlichen uns an der Rückseite entlang, fanden eine kleine Tür mit einem alten Schloss. Der Schlüssel passte.

    Drinnen war es stockfinster. Unsere Taschenlampen warfen lange Schatten an die Wände. Überall standen alte Kisten, verstaubte Fässer, Spinnweben. Ganz hinten führte eine schmale Treppe nach unten, in einen Keller, der nach feuchtem Stein und Moder roch.

    Wir hörten Stimmen. Leise, gedämpft. Jemand war vor uns hier.

    Langsam schlichen wir die Treppe hinab. Im Schein der Taschenlampe sah ich zwei Gestalten – einer davon war eindeutig Lars Kessler, der tätowierte Mann. Der andere war... Professor Leclerc.

    Roy flüsterte: „Was zum...?"

    Ich trat vor, die Waffe gezogen. „Polizei! Hände hoch!"

    Kessler fuhr herum, riss ein kleines Fläschchen aus der Tasche – das Gift aus dem Labor. Leclerc hob beschwichtigend die Hände.

    „Bitte, Kommissar. Sie verstehen nicht!"

    „Was verstehe ich nicht? Dass Sie mit Kessler zusammenarbeiten? Dass Sie das Gift stehlen?"

    Leclerc schüttelte den Kopf. „Ich wollte das Lager sichern! Kessler hat mich erpresst – er wusste, dass ich das Buch entschlüsseln kann. Er wollte das Gift verkaufen, an einen Sammler im Ausland. Ich habe versucht, ihn aufzuhalten."

    Kessler lachte leise. „Zu spät, Kommissar. Das Wissen der Hanse gehört jetzt mir."

    Ich trat näher, die Waffe auf ihn gerichtet. „Legen Sie das Fläschchen hin, Kessler. Sofort!"

    Er zögerte, dann ließ er das Gift fallen. Roy sprang vor, legte ihm Handschellen an.

    Leclerc sackte auf einen alten Stuhl. „Es tut mir leid. Ich wollte nur verhindern, dass das Wissen in die falschen Hände gerät."

    Ich nickte. „Das haben Sie jetzt. Aber Sie werden trotzdem eine Menge zu erklären haben."

    Wir sicherten das Lager, fanden mehrere alte Kisten mit Fläschchen, Dokumenten, Rezepten – ein Vermächtnis der Hanse, das jahrhundertelang verborgen geblieben war.

    Draußen vor dem Lagerhaus atmete ich tief durch. Die Nacht war still, der Regen hatte aufgehört. Roy sah mich an.

    „Was machen wir jetzt mit dem Buch?"

    Ich hielt es fest. „Wir bringen es ins Archiv. Und wir sorgen dafür, dass niemand mehr damit Unheil anrichten kann."

    Hamburg hatte seine Schatten behalten. Aber für einen Moment hatte das Licht gereicht, um sie zu vertreiben.

    Kapitel 6: Das letzte Siegel

    Hamburg, 6:12 Uhr. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch der Tag hatte bereits begonnen. Ich saß am Küchentisch meiner Wohnung in Ottensen, den Blick auf die noch dunkle Straße gerichtet, und trank meinen Kaffee. Die Ereignisse der letzten Nacht hingen mir schwer in den Knochen. Wir hatten das Lager der Hanse gefunden, das Gift gesichert, Kessler festgenommen und Leclerc zur Rede gestellt. Doch obwohl der Fall offiziell als gelöst galt, wusste ich, dass noch etwas fehlte.

    Das Buch der Hanseatischen Gesellschaft lag auf dem Tisch vor mir, eingewickelt in ein altes Handtuch. Ich hatte es nach der langen Nacht nicht ins Archiv gebracht, sondern mit nach Hause genommen. Es fühlte sich falsch an, es einfach abzugeben, als wäre damit alles vorbei. Zu viele Fragen waren offen: Wer hatte Bertram wirklich getötet? War Kessler nur ein Werkzeug? Und was war mit den „Wächtern der Hanse" – waren sie wirklich nur harmlose Bewahrer der Geschichte, oder steckte mehr dahinter?

    Mein Handy vibrierte. Roy.

    „Moin, Uwe. Kannst du nicht schlafen?"

    „Nicht wirklich. Und du?"

    „Ich sitz im Präsidium. Kessler redet nicht. Leclerc ist fix und fertig. Aber Bock will, dass wir heute alles abschließen. Er sagt, der Senator macht Druck."

    Ich seufzte. „Ich bring das Buch gleich vorbei. Wir müssen noch mal mit Leclerc sprechen. Und mit von Alvensleben. Ich glaube, die Geschichte ist noch nicht zu Ende."

    „Ich hol dich ab in zwanzig Minuten."

    Ich legte auf, zog mir meine Jacke über und steckte das Buch in meinen Rucksack. Draußen war die Luft feucht und kühl, die Straßen glänzten im Licht der Laternen. Hamburg schlief noch, aber ich spürte, dass der Tag etwas bringen würde, das alles verändern könnte.

    Roy wartete schon im Passat. Er sah müde aus, aber in seinen Augen brannte noch immer das Feuer des Ermittlers. Wir fuhren schweigend durch die leeren Straßen, vorbei an der Elbe, den Kränen, den ersten Pendlern auf Fahrrädern. Im Präsidium war es ruhig. Die Nachtschicht war gerade gegangen, die Frühschicht noch nicht ganz angekommen.

    Im Vernehmungsraum saß Leclerc, den Kopf in die Hände gestützt. Als wir eintraten, sah er auf – seine Augen waren gerötet, die Haare zerzaust.

    „Messieurs, ich habe alles gesagt. Ich wollte das Wissen bewahren, nicht zerstören."

    Ich setzte mich ihm gegenüber. „Professor, wir wissen, dass Sie Kessler helfen mussten. Aber Sie haben uns noch nicht alles erzählt. Wer hat Bertram wirklich getötet?"

    Er zögerte, dann schüttelte er den Kopf. „Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass Kessler nicht allein gehandelt hat. Er hat immer wieder von einem Auftraggeber gesprochen. Jemand, der mehr wollte als nur das Gift. Jemand, der das Vermächtnis der Hanse für seine eigenen Zwecke nutzen wollte."

    Roy lehnte sich vor. „Haben Sie einen Namen?"

    Leclerc schüttelte wieder den Kopf. „Nein. Aber ich habe eine Nachricht abgefangen, die Kessler bekommen hat. Sie war verschlüsselt, aber ich konnte einen Teil entziffern. Es ging um ein ‚letztes Siegel‘, das gebrochen werden sollte. Und um einen Ort: das Rathaus."

    Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Das Hamburger Rathaus war nicht nur ein Symbol der Stadt, sondern auch ein Ort voller Geschichte, voller Geheimnisse. Wenn das letzte Siegel dort war, dann war der Fall noch lange nicht vorbei.

    Wir ließen Leclerc zurück und gingen in unser Büro. Ich breitete das Buch auf dem Tisch aus, blätterte zu den letzten Seiten. Dort war tatsächlich ein Eintrag, den ich bisher übersehen hatte: eine Zeichnung des Rathauses, daneben ein hanseatisches Siegel – und ein lateinischer Satz: Ultimum sigillum aperiet veritatem.

    Roy übersetzte: „Das letzte Siegel wird die Wahrheit offenbaren."

    Ich sah ihn an. „Wir müssen ins Rathaus."

    Das Hamburger Rathaus ist ein Gebäude, das Respekt einflößt. Die Fassade aus Sandstein, die zahllosen Türmchen und Figuren, die schweren Bronzetüren – alles atmet Geschichte. Wir meldeten uns am Empfang, zeigten unsere Dienstausweise und baten um Zugang zu den Archiven im Keller. Nach einigem Hin und Her – und einem Anruf von Bock, der uns offiziell autorisierte – wurden wir von einem nervösen Hausmeister in den Keller geführt.

    Die Gänge waren niedrig, die Wände aus altem Backstein, überall roch es nach Staub und Moder. Der Hausmeister blieb an einer schweren Tür stehen.

    „Hier unten lagern die ältesten Akten der Stadt. Aber ich warne Sie, es ist ein Labyrinth. Verlaufen Sie sich nicht."

    Wir dankten ihm und traten ein. Im Licht unserer Taschenlampen sahen wir Regale voller Akten, Kisten, alte Möbel und Gemälde. Ich verglich die Zeichnung im Buch mit dem Grundriss des Kellers. Es gab eine Stelle, an der ein kleines hanseatisches Wappen in die Wand eingelassen war – genau wie im Buch.

    Roy tastete die Wand ab. „Hier, Uwe! Da ist eine Vertiefung."

    Ich zog den goldenen Schlüssel hervor, den wir im Sockel der Buddha-Statue gefunden hatten. Er passte perfekt in das Wappen. Mit einem leisen Klicken öffnete sich ein kleines Fach in der Wand. Darin lag eine Metallkapsel, versiegelt mit rotem Wachs und dem Siegel der Hanseatischen Gesellschaft.

    Ich zog sie vorsichtig heraus und brach das Siegel. In der Kapsel lag ein Pergament, eng beschrieben, und ein kleiner, silberner Schlüssel.

    Roy las laut vor: „‚Wer das Wissen der Hanse sucht, muss das letzte Siegel brechen. Doch nur der Reine im Herzen darf das Vermächtnis nutzen.‘"

    Ich betrachtete den silbernen Schlüssel. „Das ist kein normaler Schlüssel. Sieh mal, der Griff ist wie eine kleine Hansekogge geformt."

    Roy

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