Pfälzer Auslese: Kriminalroman
Von Susanne Seider
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Über dieses E-Book
Obwohl Kira wenig Lust auf Mord und Drama hat, entflammt ihre Neugierde, als sie entdeckt, dass die beiden Toten ein düsteres Kapitel aus ihrer Jugend teilen.
Kira lässt keinen Trick aus, um Hauptkommissar Steinbach von der Kripo vor ihren Karren zu spannen und den Todesfällen auf den Grund zu gehen. Doch sie ahnt nicht, dass das Geheimnis der Toten lebensgefährlich ist.
Susanne Seider
Susanne Seider wurde 1975 im südbadischen Emmendingen geboren und verbrachte dort ihre Schulzeit. Nach dem Abitur arbeitete die Autorin in Südafrika und den USA und fand schließlich als Flugbegleiterin einer internationalen Fluggesellschaft ihren Traumberuf, in dem sie bis heute arbeitet. Neben zahlreichen Kurzgeschichten für Frauenzeitschriften erschienen von der Autorin im Lauf der Jahre mehrere Romane. Susanne Seider lebt mit ihrer Familie im grenznahen Frankreich.
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Pfälzer Auslese - Susanne Seider
1. Kapitel
Olivia
Olivia Jacob war hochbegabt, Pastorin einer wachsenden Gemeinde und hatte einigen Menschen zu einem persönlichen Durchbruch verholfen. Obwohl sie sich ihre Stärken wie ein Mantra pausenlos ins Gedächtnis rief, fand sie seit Wochen kaum Ruhe. Genauer gesagt, seit sich eine Frau aus ihrer Kirche die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Heute gelang es ihr nicht einmal, einzunicken. Das Kissen war zu warm, Tobias’ Worte hallten in ihrem Kopf. Annas Suizid betrifft uns beide, dich und mich, hatte er mit eindringlicher Stimme eine Sprachnachricht geschickt. Olivia hatte ihn später zurückgerufen. Er wollte nicht sagen, worum es ging, und sie war zu erschöpft gewesen, um Tobias’ Wunsch nach einem sofortigen Treffen nachzukommen. Ihre Augen waren verquollen vom Weinen und niemand sollte sie so sehen, besonders nicht jemand aus ihrer Gemeinde. Vielleicht hatten seine Worte ihr auch Angst eingejagt.
Annas Suizid betrifft uns beide.
Olivias Glieder kribbelten und sie lauschte dem gleichmäßigen Atem ihres Ehemanns, der sich neben ihr auf der Matratze eingerollt hatte. Tom schien eingeschlafen zu sein, also gab Olivia dem Drang ihres Körpers nach und drehte sich auf die andere Seite. Der Lattenrost unter ihr ächzte und sofort regte sich Tom. Sein Arm wanderte von hinten über ihre Taille und seine Hand legte sich auf ihren Bauch.
„Kannst du nicht schlafen?", flüsterte er und rückte näher zu ihr heran.
Olivia brummelte etwas, von dem sie hoffte, dass es wie ein Laut aus dem Halbschlaf klang. Toms Brust schmiegte sich fester an ihren Rücken, seine Wärme trieb ihr augenblicklich den Schweiß aus den Poren. Sie zwang sich, ruhig zu atmen und bewegungslos liegen zu bleiben. Ihr Blick huschte zu dem Wecker auf ihrem Nachttisch. 2:37 Uhr. Er würde erst in vier Stunden klingeln. Sie hatte Tobias angeboten, ihn gleich früh um acht Uhr in der Kirche zu treffen, und er hatte zugestimmt. Nun bereute sie, dass sie die Verabredung nicht sofort hinter sich gebracht hatte.
Tom hielt sie umschlungen, die von ihm ausgehende Hitze hüllte sie ein wie eine kratzige Decke. Vorsichtig schob sie seinen Arm von ihrem Körper.
„Was ist?", fragte Tom.
Olivia setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. „Schlaf weiter, ich muss nur etwas trinken."
„Geht es dir nicht gut?" Er hatte den Kopf angehoben und blinzelte im hereinscheinenden Licht der Straßenlaterne.
„Doch. Bitte schlaf." Olivia erhob sich und tappte aus dem Zimmer. In der Küche holte sie ein Glas aus dem Schrank, füllte es mit Leitungswasser, setzte sich damit an den Tisch und schwenkte es gedankenverloren hin und her. Der Pfalzblitz lag aufgeschlagen vor ihr. Mehrere Male hatte sie das Schmierblatt wegwerfen wollen, doch aus irgendeinem Grund brachte sie es nicht übers Herz. War es Annas ebenmäßiges Gesicht mit den melancholischen Augen und den kastanienbraunen Haaren, das ihr entgegensah? Daran musste es liegen, denn den Text kannte Olivia längst auswendig.
Erfolgreiche Maklerin aus Landau/Pfalz begeht blutigen Selbstmord!
Neben Datum und Uhrzeit des Geschehens wurde viel zu detailliert beschrieben, wie Anna von ihrer Putzfrau mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne gefunden worden war. Die letzten Sätze des Artikels hatten sich wie ein Brandmal in Olivias Seele gefressen:
Anna R. war aktives Mitglied in der evangelischen Freikirche CGF, die sich mehrmals wöchentlich in der Kirche von Leinsweiler trifft. Leitende Pastorin der CGF ist die stadtbekannte Olivia Jacob, die gerne von der Presse als Engel der Südpfalz tituliert wird. Unweigerlich fragt man sich, warum niemand dort merkte, wie es um die Seele von Anna R. stand. Pastorin Olivia Jacob hat dafür eine knappe Erklärung: „Ich kann nicht in jeden unserer Besucher hineinsehen."
Olivia umklammerte das Wasserglas, ohne daraus zu trinken. Unter Tränen hatte sie diesen Satz zu dem Reporter mit dem Pferdeschwanz gesagt. Doch so, wie der es formuliert hatte, kam es schnippisch rüber. Gleichgültig.
Nein. Sie wollte den dunklen Gedanken keinen Raum geben. Entschlossen stand sie auf und kramte aus dem Garderobenschrank das Vokabelheft unter Mützen und Handschuhen hervor, dort, wo niemand etwas Persönliches vermuten würde. Mit dem Heft setzte sie sich wieder an den Tisch und schlug es auf. Alle Seiten waren durch einen senkrechten Strich in der Mitte getrennt. Doch Olivia lernte keine Vokabeln. Stattdessen nutzte sie die beiden Spalten für Lüge und Leben. Sie kannte die Dualität des Daseins, wusste, dass es für jeden Menschen zwei Geschichten gab, die sein Leben beschrieben. Eine Geschichte, die Gestalt annahm, wenn man den destruktiven Gedanken glaubte, und eine völlig andere, die auf der heilsamen Kraft der Wahrheit beruhte.
Ich bin überfordert, schrieb sie in die linke Spalte, über der das Wort Lüge stand. Ich bin eine Versagerin, weil ich keine Ahnung hatte, dass Anna Probleme hat. Die Menschen lachen mich aus, sie lesen den Pfalzblitz und denken, dass ich eine unfähige Pastorin bin. Ich werde auch Tobias nicht helfen können. Er wird enttäuscht sein und der Gemeinde den Rücken kehren. Toms Erinnerung daran, wie ich ihn gerettet habe, wird verblassen, er wird erkennen, dass er mir längst überlegen ist und dass unsere Ehe ihm nichts mehr geben kann. Ich bin nutzlos. Eine Last. Eine Verliererin.
Tränen liefen ihre Wangen herunter, doch Olivia wusste, dass dies ein gutes Zeichen war. Sie erkannte bereits die Lüge in den Worten und das schaffte Erleichterung.
Die Situation stellt eine Herausforderung dar, der ich mich stelle, schrieb sie in die rechte Spalte, welche die Überschrift Leben trug. Annas Tod ist für uns alle schrecklich, doch hätte Anna Hilfe gewollt, hätte sie darum gebeten. Ich bin für jeden da, der um Unterstützung bittet. Die Artikel aus dem Pfalzblitz haben keine Macht, denn ich weigere mich, diese zerstörerischen Worte anzunehmen. Ich werde Tobias mit Liebe und Verständnis begegnen und das wird ihn stärken. Ich werde mich inmitten des Sturms für Zuversicht und Leben entscheiden und Tom wird stolz auf mich sein. Ich bin ein Segen für ihn und die Gemeinde.
Befriedigt las Olivia die Zeilen erneut, wischte sich die Tränen von der Wange und lehnte sich zurück. Ja, diese zwei Seiten des Daseins waren real und sie spürte bereits die Kraft, die von der Geschichte des Lebens ausging. Es war ihre Entscheidung, welchen Weg sie einschlagen würde.
Plötzlich freute sie sich auf das Gespräch mit Tobias. Seit Monaten besuchte er die Gemeinde, beriet als Arzt die Menschen bei ihren Wehwehchen und leitete zwei Gruppen, in denen er die Teilnehmer ermutigte, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen. Tobias hatte denselben Herzschlag wie Olivia und sie fühlte sich geehrt, dass er Rat von ihr wollte.
Annas Suizid betrifft uns beide, dich und mich, hallte es in ihrem Kopf. Weil wir beide mit Anna befreundet waren, antwortete sie sich selbst.
Die folgende Stunde saß Olivia still am Tisch und gab sich der gewonnenen Zuversicht hin. Als die Wanduhr zeigte, dass es fünf Uhr war, hielt sie es nicht mehr aus, stand auf und schlich in den Flur. Dort hatte sie Jeans und Shirt bereitgelegt, um Tom nicht zu wecken. Leise zog sie sich an, schlüpfte in ihre Sneakers, griff ihre Handtasche und verließ die Wohnung. Die Fahrt von Landau nach Leinsweiler dauerte keine zwanzig Minuten und am Horizont sah sie bereits den hellen Streifen, mit dem sich die aufgehende Sonne ankündigte. Die enge Kirchgasse mit ihren Pflastersteinen war leer. Natürlich war sie das. Hier in Leinsweiler gab es keine Clubs, nur unzählige Weingüter, die spätestens um Mitternacht die Tore schlossen. Olivia verriegelte den Wagen, stieg die steilen Stufen hinauf bis in den Garten der Kirche und blieb einen Moment unter der hohen Linde stehen. Was für ein Segen, dass die Landeskirche Mitglieder verlor. Nur einmal im Monat fand hier ein regulärer Gottesdienst statt und man hatte ihr erlaubt, die Kirche für ihre Versammlungen zu nutzen. Wir dienen demselben Gott, hatte der alte Pastor lächelnd zu Olivia gesagt. Sie legte den Kopf in den Nacken und sog die Luft ein, die nach der feuchten Erde des Spätsommers duftete. Tobias würde erst um acht Uhr kommen, sie hatte genug Zeit, um hier aufzutanken. Der Wind raschelte im Laub der alten Linde und strich durch ihre Haare. Dieser Ort war dem Leben geweiht, das hatte sie vom ersten Moment an gespürt.
Langsam ging sie die letzten Meter und holte den Eisenschlüssel aus dem Fach unter den Fake-Steinen. Es schepperte, als sie ihn ins Schloss schob und versuchte, ihn zu drehen. Er klemmte mal wieder. Sie rüttelte am Knauf, zog den Schlüssel raus und steckte ihn erneut in den Schlitz. Schob ihn hin und her, bis er sich endlich umdrehen ließ. Die Tür knarrte, als sie aufschwang.
Olivias Blick fiel auf Tobias und sie erstarrte.
Links von ihr befand sich die Empore unter der Kirchendecke. Man hatte ihr erzählt, dass diese Empore einst die ganze Wand eingenommen hatte, doch irgendwann hatte ein leidenschaftlicher Musiker der Kirche eine kleine Orgel gestiftet, die nun weiter hinten stand. Dafür hatte man die Empore verkleinert.
Olivia wunderte sich, warum sie ausgerechnet in diesem Moment darüber nachdachte. Vielleicht, weil der Gedanke einfacher zu ertragen war als das, was sie sah. Ihr wurde übel. Sie wollte schreien, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Sie blinzelte in der Hoffnung, dass ihr übermüdeter Verstand ihr einen Streich spielte. Doch Tobias hing immer noch da. Ein hellblauer Strick hatte sich in die Haut seines Halses geschnitten, eine Farbe, die in diesem Zusammenhang obszön schien. Wie eine Puppe baumelte Tobias vom hölzernen Geländer der Empore. Sein weißes Gesicht sah aus, als wäre es aus Wachs.
Ein Windstoß drückte Olivia gegen die Tür und fuhr in die Kirche hinein. Als Tobias’ Körper sanft hin und her schaukelte, wich die Starre aus ihrer Kehle und Olivia begann zu schreien.
2. Kapitel
Kira
Kira atmete tief ein und aus, der Druck auf den Scheitel schmerzte und die Sicht verschwamm vor ihren Augen. Noch dreiundzwanzig Sekunden bis zu ihrem persönlichen Kopfstand-Rekord, vierundzwanzig, um einen Fortschritt zu machen. Ein Schatten tauchte vor ihr auf. Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig …
„Liewer Himmel, Fraa Lilie’feld, Sie sinn aber gelengisch." Irmgard Nagel trug trotz der Wärme Filzpantoffeln über grünen Wollstrümpfen, mehr konnte Kira von ihrer Vermieterin nicht erkennen.
… siebenundzwanzig …
„Bassen Se uff Ihr’n Rigge uff, domit derf mer net schbasse."
„Nicht … jetzt …", presste Kira hervor.
… dreißig …
„Ihrn Sohnemann und de Gadde sin do, Fraa Lilie’feld."
Der Gatte?
Ein Blitz raste durch Kiras Brust. So schnell es ihr dröhnender Kopf erlaubte, ließ sie ihre Beine zurück auf die Matte sinken. Auf allen vieren drehte sie sich um, richtete langsam den Oberkörper auf und starrte die magere Dame mit den abstehenden, grauen Haaren entsetzt an. „Wer ist da?"
Irmgard Nagel wischte sich die Hände an ihrer bunten Schürze ab. „Isch hab ihne gsaad, dass se draus waade solle, isch häb jo net gewollt, dass Se vor Schreck umfalln. Isch hab die Männer schun vom Fenschter aus gsehe."
„Bitte langsam, Frau Nagel. Kira stand auf. Mittlerweile verstand sie das meiste von Frau Nagels Worten, doch gerade war sie überfordert. „Mein Sohn ist hier mit einem anderen Mann?
Die Dame nickte eifrig. „Er hot gesaat, dass er Ehr Gadde isch."
Kira schnaubte. „Mein Gatte ist beim Tauchen in Australien mit seiner jungen Geliebten."
„Isch hob dodemix nix zu do, Fraa Lilie’feld." Mit eingezogenem Kopf verschwand die Vermieterin in ihrem Haus und ließ Kira im Hof zurück, der durch eine moosbewachsene Mauer von der Straße getrennt war. Kira holte tief Luft, straffte die Schultern, ging barfuß über die spitzen Steine und öffnete das Tor. Das Erste, das sie entdeckte, war der breite Rücken ihres Ehemannes.
Verdammt.
Langsam drehte sich Jan zu ihr um. Ein scheues Lächeln umspielte seinen Mund, jenes schiefe Grinsen, das einen scharfen Kontrast zu seinen forschen Augen bildete und gerade deshalb unwiderstehlich war.
„Ich fasse es nicht!, stieß sie hervor. „Du wagst es, hier aufzukreuzen?
Jan sah schuldbewusst aus. „Bitte gib mir nur einen Moment, Kira."
Sebastian tauchte hinter seinem Vater auf. „Ich habe ihm gesagt, dass es keine gute Idee ist."
In Kiras Seele kämpften abgrundtiefe Wut auf ihren Mann, der sie im Frühsommer Hals über Kopf verlassen hatte, und brennende Neugier, warum er wieder in Deutschland war. „Hat dir deine silikongestopfte Studentin schon den Laufpass gegeben?" Der perfekte Satz, um beiden Emotionen gerecht zu werden.
„Können wir kurz reden?"
Kira umklammerte die Türklinke. „Ich bin beschäftigt."
„Deine Vermieterin meinte, du stehst auf dem Kopf." Jan klang schnippisch.
„Ich mache Yoga. War es das, worüber du sprechen wolltest?"
„Nein. Jan starrte kurz auf den Boden, bevor er sie wieder ansah. „Sebastian hat mir von dem Mord in Leinsweiler erzählt. Auch, dass du dich bei der Suche nach dem Täter beteiligt hast und beinahe gestorben wärst. Ich habe mir Sorgen gemacht.
Sie sah zu Sebastian, der mit den Daumen in den Gesäßtaschen hinter Jan stand und in Richtung der Weinberge sah.
„Das ist fünf Wochen her und seither genieße ich die Ruhe. Kein Grund zur Sorge."
Jan rieb mit der Hand über seinen Unterarm. „Morgen ist dein Geburtstag. Und ich dachte, wir drei …"
„Es gibt kein wir drei mehr. Sebastian möchte mich morgen Mittag besuchen und am Abend habe ich ein paar Frauen aus dem Dorf eingeladen. Was dich angeht, spielt mein Geburtstag keine Rolle."
Sebastian drehte sich zu Kira. „Herrje, Mom, er meint es nett. Wollen wir nicht gemeinsam essen gehen?"
„Nein. Sie sah wieder zu Jan. „Was immer du tust, lass unseren Sohn aus der Sache.
„Hey, das ist auf meinem Mist gewachsen", wandte Sebastian ein. „Er wollte allein kommen."
Jan nickte erleichtert. Hinter ihm fuhr ein grüner Kombi langsam vorbei, bremste und kam im Rückwärtsgang zurück. „Ich wollte wirklich mit dir allein reden. Sag mir, wann und wo, und ich werde da sein." Der Wagen kam direkt vor dem Tor zum Halten.
Eine zierliche Frau Mitte dreißig mit blondem Pferdeschwanz stieg aus. „Sind Sie Kira Lilienfeld?"
„Das bin ich." Am liebsten hätte sie der Besucherin einen roten Teppich ausgerollt, so dankbar war sie für die Ablenkung. Irgendwoher kannte sie dieses Gesicht. Bestimmt war sie Teil des Leinsweiler Frauenchors, den Kira zweimal besucht hatte.
Die Frau sah von Sebastian zu Jan. „Ich kann später noch mal kommen."
„Nein. Kira lächelte. „Die beiden wollten gerade gehen.
Sie warf einen entschuldigenden Blick zu ihrem Sohn. „Wir sehen uns morgen?"
„Klar." Sebastian grinste.
„Und wann können wir reden?", fragte Jan.
„Jetzt nicht, gab Kira zurück und schob ihren Ehemann zur Seite. „Kommen Sie rein
, sagte sie zu der Frau.
Jan stieß lautstark die Luft aus und wandte sich schließlich um. Kira bedeutete der Frau mit der Hand, den Hof zu betreten, und schloss von innen die Tür.
„Entschuldigen Sie meinen überraschenden Besuch." Die Frau rümpfte verlegen die winzige Stupsnase, die von Sommersprossen übersät war.
„Sie ahnen nicht, wie gelegen Sie mir kommen. Sie reichte ihr die Hand. „Kira Lilienfeld.
„Olivia Jacob. Der Händedruck war ein wenig zu fest. „Nennen Sie mich Olivia.
Kira nickte und führte Olivia zu der Sitzgarnitur unter der Kastanie. „Kann ich Ihnen einen Kaffee oder Tee bringen?"
„Nein, ich möchte nichts trinken." Olivia nahm Platz und faltete die Hände auf dem Schoß. Eine feingliedrige Uhr am Handgelenk war ihr einziger Schmuck und passte nicht zu den Turnschuhen und den verwaschenen Jeans.
Kira setzte sich neben sie. „Sie singen auch im Chor, oder?"
„Im Chor? Sie blinzelte verwirrt. „Nein. Ich bin hier, weil ich in der Zeitung von Ihrem Mitwirken beim Mordfall Arely Alves gelesen habe. Haben Sie von den beiden Selbstmorden in der Umgebung gehört?
Kira dachte an den Artikel in der Rheinpfalz, der hiesigen Tageszeitung, der vor einigen Tagen eine Doppelseite eingenommen hatte. „Sie sprechen von dem Arzt, der sich in der Kirche erhängt hat?" Diese Kirche befand sich nur eine Straße entfernt von Kiras Wohnung und ihr war beim Lesen ein Schauer durch die Wirbelsäule geflossen.
„Ja. Tobias Simmet. Und die Maklerin Anna Rastätter, die sich vor zehn Tagen in Landau die Pulsadern aufgeschnitten hat."
„Über diese Maklerin weiß ich nichts."
„Ich bin leitende Pastorin einer freien evangelischen Gemeinde hier in Leinsweiler. Und beide Tote waren aktive Mitglieder meiner Kirche."
„Das tut mir leid, gab Kira bestürzt zurück. „Aber wie kann ich Ihnen helfen?
„Ich glaube nicht, dass es sich bei Anna und Tobias um Selbstmord handelt." Olivia senkte den Blick und rieb die Finger auf ihrem Schoß gegeneinander.
Kira lehnte sich nach vorne. „Sie sind der Meinung, dass es Mord war?"
„Ja."
„Haben Sie das der Polizei gesagt?"
„Natürlich. Aber man hat mir nicht geglaubt." Ein Anflug von Zorn huschte über ihr Gesicht.
„Und da dachten Sie, dass ich der Sache nachgehe?"
„Ich hoffe, dass Sie es tun."
„Ich bin keine Privatdetektivin." Tatsächlich hatte sie sich in die Ermittlungen beim Mord an Arely in die Rolle einer solchen gedrängt, doch das schien eine Ewigkeit her. Ebenso wie ihr Leben als Kommissarin und alles andere, das nicht nach Entspannung klang.
„Ich weiß. Olivias Stirn glänzte, obwohl die Temperatur im Schatten der Kastanie angenehm war. „Aber Sie sind bei der Kriminalpolizei.
„Ich befinde mich in einer Sabbatzeit. Sechs Monate, die eigentlich dafür gedacht waren, um ihre Ehe zu retten. Geplant war eine mehrere Wochen dauernde Wanderung entlang der Pazifikküste von Nordkalifornien bis Kanada. Kurz vor Antritt der Reise hatte Jan ihr eröffnet, dass er sich verliebt hatte und mit seiner neuen Flamme nach Australien fliegen würde. Und so hatte Kira kurz entschlossen das gemeinsame Haus in Bielefeld verlassen, um sich für eine Weile im südpfälzischen Leinsweiler einzuquartieren. Hier gab es viel Sonne, gute Weine, und dazu war sie in der Nähe ihres Sohnes, der in Karlsruhe studierte. „Die Kripo weiß genau, wann sie einen Tod als Suizid einstuft. Wie kommen Sie darauf, dem zu misstrauen?
„Ich war diejenige, die Tobias gefunden hat. Normalerweise schließe ich jeden Tag um acht Uhr die Kirche auf, doch an diesem Morgen war ich früher dran. Als ich ankam, war die Tür verschlossen, ich erinnere mich, wie das Schloss geklemmt hat. Und als ich eintrat, habe ich ihn gesehen. Olivia hielt inne und kratzte sich fest am Arm. „Er baumelte tot an der Empore. Und ich habe so laut geschrien, dass die ganze Nachbarschaft wach wurde. Ja, ich hatte einen Nervenzusammenbruch. Trotzdem bin ich sicher, dass die Kirche abgeschlossen war. Hätte sich Tobias dort erhängt, dann …
Olivias Augen wurden feucht und sie sah hinauf zu dem Baumwipfel.
„Dann wäre die Tür offen gewesen, beendete Kira den Satz. „Haben Sie das der Kripo gesagt?
„Natürlich! Aber man hat mich nicht ernst genommen. Für die Polizei bin ich nur eine Frau, die unter Schock stand."
„Wer hat einen Schlüssel zu der Kirche?"
„Der Schlüssel liegt versteckt in einem hohlen Stein. Theoretisch kommt jeder an ihn heran, denn die Kirche soll für alle offen sein."
„Tobias könnte also selbst aufgeschlossen haben?", hakte Kira nach.
„Das wäre möglich. Aber wer hat dann wieder zugeschlossen und den Schlüssel zurück an seinen Platz gelegt? Außerdem sind weder Tobias noch Anna der Typ für Selbstmord. Beide waren beruflich erfolgreich, ehrenamtlich engagiert und bei allen beliebt. Jemand wie sie begeht keinen Suizid, schon gar nicht unabhängig voneinander innerhalb weniger Tage."
Kira lehnte sich angespannt zurück. Die Angst im Blick der jungen Pastorin war greifbar und sie ahnte, dass die Fragen, die nach einer solchen Tat die Angehörigen quälten, auch Olivia als Gemeindeleiterin belasteten. Was die Frau brauchte, war jemand von der Kripo, der ihr versichern konnte, dass kein Mörder in den Reihen ihrer Kirche herumlief. „Sie sagten, dass Sie bereits bei der Polizei waren?"
„Ja. Aber dieser Kommissar hat nichts unternommen. Es ist derjenige, mit dem Sie im Mordfall Arely zusammengearbeitet haben."
„Hauptkommissar Steinbach?" Kira zog die Augenbrauen hoch.
„Genau der. Ich war auf dem Präsidium, er hat versprochen, sich darum zu kümmern. Zwei Tage später rief irgendeine Sekretärin bei mir an und sagte, dass es keine Hinweise auf Fremdeinwirken gibt." Olivia schüttelte frustriert den Kopf.
„Es ist nicht die Kripo, die solche Entscheidungen trifft, sondern die Staatsanwaltschaft", erklärte Kira und fragte sich, warum sie Steinbach verteidigte. Fachlich mochte er nichts falsch gemacht haben, aber Olivia mit dem kurzen Anruf einer Fremden abzuspeisen sah ihm ähnlich.
„Wie auch immer, ich glaube nicht an Suizid. Daher brauche ich Ihre Hilfe. Olivia richtete sich auf. „Sie könnten nachforschen, ob es jemanden gibt, der weiß, warum Tobias mich vor seinem Tod sprechen wollte. Ich würde es selbst tun, aber ich bin stadtbekannt.
„Ist Ihre Kirche so groß, dass man Sie in der ganzen Umgebung kennt?"
Olivia schnaubte. „Nein, doch die Presse hat es geschafft, mich weit über Leinsweiler hinaus berühmt zu machen."
„Warum …" Kira unterbrach ihren Satz, denn in diesem Moment wusste sie, woher sie Olivia kannte. „Sie sprechen vom Pfalzblitz, oder?"
„Ich hätte nicht gedacht, dass Sie dieses Schmierblatt lesen", gab Olivia bitter zurück.
„Meine Vermieterin legt ihn mir vor die Tür. Tatsächlich blätterte Kira gerne in der regionalen Zeitung, doch hatte sie keinen der Artikel gelesen. „Was schreibt man über Sie?
„In der letzten Ausgabe nannte man mich den Todesengel von Leinsweiler. Seit Tobias’ Tod kommen ständig Schaulustige in meine Gemeinde, weil sie wissen wollen, wie es in einer Kirche zugeht, wo sich die Menschen reihenweise das Leben nehmen und die Pastorin tatenlos zusieht."
„Das wurde so geschrieben?"
„Genau so, gab Olivia zurück. „Aber es geht nicht um mich, sondern um meine Kirche. Um die Menschen, die kommen, weil sie sich nach Stabilität sehnen. Viele von ihnen sind seelisch belastet. Ehemalige Alkoholiker, frisch geschiedene Eheleute, Menschen, denen niemand etwas zutraut und die bei uns eine Aufgabe finden. Unsere Besucher brauchen einen geschützten Raum, keine Reporter und erst recht keine Sensationstouristen.
Kira betrachtete die Frau, die mit ihrem blonden Pferdeschwanz und dem sportlichen Look so alltäglich und frisch wirkte, als machte sie Werbung für Biomüsli. „Wie gut kannten Sie die Toten?"
„Anna und Tobias waren Freunde von mir und meinem Mann. Wenn die beiden Probleme gehabt hätten, wüsste ich es. Olivia lehnte sich zurück. „Doch das Gegenteil war der Fall. Sie haben zu jenen Besuchern gehört, die anderen gedient haben.
„Menschen mit Depressionen verbergen oft ihr Leid", wandte Kira ein.
„Ich hätte es gemerkt, davon bin ich überzeugt."
Kira sog die Luft bis tief in den Bauchraum, so wie sie es im Yogakurs gelernt hatte. Während der letzten Wochen war sie zur Ruhe gekommen. Das Scheitern ihrer Ehe tat noch weh, doch gleichzeitig wuchs die Gewissheit, dass dieses Ende auch einen neuen Anfang beinhaltete. Sie war entschlossen, die restliche Sabbatzeit zu nutzen, um sich über ihre nächsten Schritte klar zu werden. „Ich kann Ihnen leider nicht helfen."
Olivia kratzte sich mit den Fingern am Handrücken, machte Anstalten, aufzustehen, und überlegte es sich doch anders. Schließlich griff sie in ihre Tasche, zog ein Handy hervor und tippte etwas auf das Display. „Tobias hat mich am Abend vor seinem Tod angerufen. Ich war unterwegs und konnte nicht abnehmen. Er hat mir dann eine Sprachnachricht geschickt." Sie legte das Telefon auf den Tisch. Aus dem Lautsprecher erklang eine hektische Männerstimme. Hier ist Tobias. Wir müssen uns treffen. Annas Selbstmord betrifft uns beide, dich und mich. Ruf mich so schnell wie möglich zurück. Eine kurze Pause. Ich war nicht ehrlich zu dir, Olivia, und das tut mir leid. Ich kann nur ahnen, wie es in dir aussieht. Bitte melde dich.
Kira starrte auf das Handy.
„Ich habe Tobias kurz darauf zurückgerufen, erklärte Olivia. „Er wollte mir nicht sagen, worum es geht, also habe ich ihm angeboten, mich am nächsten Morgen in der Kirche zu treffen.
„Was meint er damit, dass Annas Suizid Sie und ihn betrifft?"
Olivia presste die Knie zusammen. „Ich weiß es nicht. Aber Fakt ist, dass ich seit Annas Tod vom Pfalzblitz gejagt werde. Und es kommt mir so vor, als wollte mich jemand zerstören, indem er mich als unfähig darstellt, diese Kirche zu führen." Olivias Handrücken, den sie noch immer mit den Fingernägeln malträtierte, leuchtete rot. „Ich habe weder Theologie
