Mörderischer Sturm: Ein Cornwall-Krimi
Von Ralf Göhrig
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Ralf Göhrig
Ralf Göhrig wurde 1967 in Eberbach am Neckar geboren. Seit rund dreißig Jahren lebt und arbeitet der anglophile Förster in Jestetten am Hochrhein. Seine literarischen Spuren hat er in forsthistorischen Betrachtungen, sowie vereinsgeschichtlichen Rückblicken hinterlassen. Seit 1995 ist er Autor für die Jestetter Ortschronik, seit 2019 hauptverantwortlicher Chronist der Gemeinde. Daneben arbeitet Göhrig als freier Mitarbeiter beim Südkurier. Im Jahre 2011 legte er mit "Kopflos in Cornwall" seinen ersten Kriminalroman vor. Es folgten "Mörderischer Sturm", "Jerusalem", "Schatten folgen dem Licht", "Der Cornwall-Ripper", "Sendeschluss in Edinburgh", "Verlorene Seelen", "Dämonen", die Erzählungen "Geschenk des Himmels" und "Lotty" sowie der Gedichtband "Purpurne Zeit". Ralf Göhrig ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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Mörderischer Sturm - Ralf Göhrig
Kapitel 1 – Sonntag, 08.11.2009, Nachmittag
Die Novembersonne hatte noch einmal alle Kraft aufgeboten, die Wolken durchbrochen und den grauen, nassen Nebel aufgezehrt. Lediglich der kalte Wind lieferte den Beweis, dass die warme Jahreszeit endgültig vorüber war. Heftige Böen fegten übers Meer und prallten gegen die felsige Küste. Die Ruinen von Tintagel Castle, dem mutmaßlichen Geburtsort von König Artus, kauerten auf der felsigen Halbinsel, die sich seit Jahrtausenden trotzig Meer und Stürmen entgegenstellte. Zahllose Möwen unternahmen waghalsige Flugversuche und offenbarten ihr akrobatisches Können. Dennoch hatten sie mit den Böen zu kämpfen und fanden ihre Landeplätze in den schroffen Felsen meist erst nach etlichen Versuchen. Trotz des verhältnismäßig guten Wetters hatten es nur wenige Besucher gewagt, den unwirtlichen Berg zu besteigen. Einige wenige standen vor Merlins Cave, einer eigentlich unbedeutenden Brandungshöhle, wie es sie zu Tausenden am Meer gibt. Aber in Tintagel hat alles eine besondere Bedeutung.
Tintagel Castle lag in einem warmen Licht unter blauem Himmel, der lediglich von ein paar weißgrauen Wolken durchzogen war. Wie jeden Sonntag hatte Harold Fletcher im Besucherzentrum der Burg eine Tasse Kaffee getrunken und den Sportteil der Sunday Times gelesen. Danach machte er sich auf, die vielen steilen Treppenstufen hinaufzusteigen. Er blieb mehrfach stehen, einerseits um sich eine Atempause zu gönnen, andererseits, um die Naturgewalten auf sich wirken zu lassen. Fletcher genoss es, die Intensität des Meeres zu spüren, den salzigen Geschmack der Luft, den Wind in seinen Haaren. Und er liebte diesen Felsen. Vor 35 Jahren hatte es ihn eher zufällig nach Cornwall verschlagen. Er hatte erfahren, dass in Bodmin ein Rechtsanwalt sich zur Ruhe setzen und seine Anwaltskanzlei verkaufen wollte. Jung und voller Tatendrang, sah er diese Gelegenheit als Chance seines Lebens, und er nutzte sie. „Besser ein kleiner Herr auf dem Lande als ein großer Knecht in der Stadt, war einer der Standardsätze seines Juraprofessors. Fletcher hatte diese Worte beherzigt und war gut damit gefahren. Denn er hatte sich auf dem Land mehr als etabliert. Das Anwaltsbüro „Fletcher, Fletcher & Harris
hatte sich weit über die Grenzen von Cornwall hinaus einen guten Namen gemacht.
Harold Fletcher wohnte seit drei Jahrzehnten in einem kleinen Häuschen am nördlichen Stadtrand von Camelford. Von hier waren es nur ein paar Kilometer ins mystisch verklärte Tintagel mit seiner mittelalterlichen Burg. Und diese hatte es Fletcher angetan. Nicht dass er dem touristisch geprägten Artusfieber verfallen wäre – er liebte das tosende Meer und den einsamen Felsen mit seiner Burg, der diesen Gewalten trotzte. Und so hatte es sich Fletcher zur Gewohnheit gemacht, jeden Sonntag nach dem Mittagessen nach Tintagel zu fahren, den steilen Weg zum Besucherzentrum fast unten am Meer hinunterzulaufen und dort einen Kaffee zu trinken, um anschließend den Felsen zu erklimmen und die gewaltige Natur zu genießen. Schwer atmend erreichte er das Ende der Steintreppe und lief unter dem rudimentären Torbogen hindurch. Fletcher zog den Mantelkragen hoch und ließ seinen Blick nach rechts über die Mauerreste hinweg zum offenen Meer schweifen. Hinter ihm, am gegenüberliegenden Hügel, duckten sich die grauen Häuser des Dorfes Tintagel schon fast ehrfürchtig im Angesicht der Burg. Der Wind zerrte jetzt heftig an seinen immer noch üppigen, inzwischen jedoch schlohweißen Haaren. Dennoch entschloss er sich, weiter nach oben zu steigen und das Felsplateau zu umrunden. Der kalte Wind machte es ihm schwer zu atmen, und Fletcher erinnerte sich an seinen ersten Besuch dieser Burg. Das war vor fast fünfzig Jahren gewesen. Irgendwann in den Sommerferien hatte er sich mit einem Schulfreund ein Bahnticket gekauft und war von seinem Heimatort Bangor in Wales nach Wadebridge, das seinerzeit noch über einen Bahnanschluss verfügte, gefahren. Zu Fuß durchstreiften die beiden das Bodmin Moor und gelangten irgendwann in das sagenumwobene Tintagel. Unterwegs hatten sie zwei Mädchen kennengelernt, die ebenfalls ihre Ferien in Cornwall verbrachten. Die eine war blond – er konnte sich nicht mehr an ihren Namen erinnern –, doch die andere, dunkelhaarig, geheimnisvoll, mit grünen, katzenhaften Augen – er sah sie plötzlich genau vor sich in ihrem langen, schwarzen Umhang – hatte es ihm angetan. Melinda hatte sie sich genannt. Fletcher wusste nicht, ob es ihr richtiger Name gewesen war, es hatte auch keine Bedeutung für ihn. Er war damals einfach zu schüchtern gewesen, zu unerfahren, zu naiv ... Dennoch, er war zusammen mit dieser Melinda auf diesen Pfaden gelaufen, hatte sich mit ihr über die Geschichte der Burg unterhalten, die Normannen, die sie gebaut hatten, und über König Artus. Und genau wie damals hatte er plötzlich das Gefühl, hinter diesem Mädchen steckte in Wirklichkeit Morgaine le Fay, Artus’ rätselhafte Halbschwester. Harold Fletcher schob diesen Gedanken zur Seite. Melinda war einfach ein gleichaltriges, aber damals eben für ihn ein unerreichbares Mädchen. Gleichzeitig galt sie ihm lange Jahre als Inbegriff der vollkommenen Frau und stand dadurch dauerhaften Beziehungen im Wege. Vielleicht war er wegen Melinda nach Cornwall gekommen, um sie zu suchen. Er wusste es nicht und lehnte sich gegen die immer stärker aufbrechenden Erinnerungen auf. „So ein Blödsinn", sagte er zu sich selbst. Doch im Innern wusste er, dass es genau so war. Immerhin hatte er nach wenigen Jahren im äußersten Südwesten sein kornisches Mädchen gefunden – Annie Penhaligon aus Truro. Die beiden hatten geheiratet und ein Jahr später wurde ihr Sohn Mark geboren. Bei der Geburt des Jungen starb Annie und Harold kniete sich noch tiefer in seine Arbeit. Und seit dieser Zeit hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, jeden Sonntag Tintagel Castle zu besuchen.
Fletcher hatte inzwischen das nordwestliche Ende des Plateaus erreicht und blickte hinauf zur tief stehenden Sonne, die sich anschickte, schon bald im Meer zu versinken. Er spürte abermals, wie eine ungewohnte Sentimentalität in ihm emporstieg. Gewohnt, jederzeit Herr über seine Gefühle zu sein, fühlte Fletcher sich zunehmend unwohl. All die Jahre hatte er die Natur genossen und sich bestenfalls von den zahlreichen Warnschildern an den Klippen beeindrucken lassen. Was war heute nur los mit ihm? Er fragte sich, ob er plötzlich alt und wehmütig wurde. Mit den Händen streifte Fletcher über sein Gesicht, als ob er dadurch seine Gedanken wegwischen könnte. Dann machte er sich auf den Rückweg, denn er wollte rechtzeitig am Ausgang sein. Im Winterhalbjahr war die Ruine nur bis sechzehn Uhr geöffnet. Raschen Schrittes überquerte er das Plateau, um nochmals kurz bei dem Tiefbrunnen stehen zu bleiben. Weiter kam er nicht mehr, denn kurze Zeit später war Harold Fletcher tot.
Kapitel 2 - Sonntag, 08.11.2009, Vormittag
Bob Hamilton war zusammen mit Rebecca Wynham für ein paar Tage nach St. Mary’s geflogen, der Hauptinsel der Scilly-Inseln. Die beiden wollten das letzte Aufbäumen des Sommers nutzen, bevor das südwestliche England in einem Konglomerat aus Nebel, Regen und Stürmen versank, aus dem es erst in ein paar Monaten wieder ein Entrinnen gab. Hamilton war noch nie auf den Scillies gewesen, Rebecca hingegen war ein regelmäßiger Gast auf dem Stückchen Südsee im nördlichen Atlantik. Ihre Tante betrieb in Hugh Town ein Bed & Breakfast, in dem die beiden jetzt zu Gast waren.
„Stammen die Wynhams nicht ursprünglich aus Kent?"
„Wie kommst du jetzt darauf?"
„Deine Tante Peggy ist doch die Schwester deines Vaters. Wie kommt sie hier auf die Inseln?"
„Du kannst Fragen stellen! Aus welchem Grund ziehen Menschen irgendwo hin?"
„Wieso beantwortest du meine Fragen immer mit einer Gegenfrage?"
„Tu ich das?", antwortete Rebecca grinsend.
„Also ich nehme einmal an, der Arbeit wegen, kann es sonst noch einen Grund geben?"
„Genau den. Tante Peggy lernte Onkel John vor fast vierzig Jahren bei einem Konzert von Uriah Heep kennen. Ist doch cool! Und bald zog es sie hierher auf die Inseln."
„Dann ist die Gute eine richtige Rockerbraut?"
„Hm, ich weiß nicht so richtig. Aber es ist schon so, die Revolutions- und Blumenkindergeneration befindet sich inzwischen im Rentenalter. Kann man sich heute kaum mehr vorstellen, dass all die gesetzten 60- bis 70-Jährigen diejenigen waren, die damals diese wilden Zeiten erlebt haben. Aber Menschen verändern sich eben. Die größten Rowdys in meiner Teenagerclique sind heute die größten Langweiler."
„Das bedeutet im Umkehrschluss, dass du damals eher still und schüchtern warst."
„Willst du damit sagen, dass ich ein Rowdy bin?" Rebecca kniff die Augenbrauen zusammen und warf einen scharfen, nicht ganz ernst gemeinten Blick in Hamiltons Richtung.
„Jedenfalls bist du nicht gerade auf den Mund gefallen und ziemlich vorlaut im Umgang mit Vorgesetzten."
„Du bist nicht mein Vorgesetzter. Eigentlich habe ich als Pressesprecherin außer dem Chief Constable gar keinen Vorgesetzten. Aber das solltest du als Chef der Kriminalpolizei eigentlich wissen."
Rebecca drehte sich um und blickte aus dem Fenster über die Bucht und das Meer bis hinüber nach Tresco, wo sie heute noch hin wollten, um die großartigen Gärten und die Abtei zu besuchen. Hamilton trat hinter sie und legte seine Arme um ihre Hüften, küsste ihren Hals und roch an ihren rotblonden Haaren. Rebecca drückte ihren Kopf an seine Schulter und sagte fast beiläufig: „Ich finde es unglaublich schön, mit dir auf St. Mary’s zu sein. Für mich sind die Scillies fast wie ein zweites Zuhause. Da meine Eltern so gut wie nie Ferien machten – ‚Ein Pfarrer kann doch nicht in Urlaub gehen’, sagte mein Vater immer – war ich regelmäßig bei Tante Peggy und Onkel John. Zusammen mit meinen Cousinen Linda und Prue waren wir ein richtiges Dream Team."
„Das kann ich mir illustriert vorstellen. Prue im Teenageralter – mein Gott, die armen Eltern. Sie ist doch noch heute nur beschränkt gesellschaftsfähig."
„Ich habe dir doch gesagt, Menschen ändern sich. Früher war Linda echt ausgeflippt. Und so schlimm ist Prue nun auch wieder nicht. Gut, man sollte gut ausgeschlafen sein, wenn man auf sie trifft. Da sie jedoch in London lebt, ist die Gefahr für uns nicht so groß, ihr ständig über den Weg zu laufen."
„Es riecht schon nach gebratenem Speck. Ich glaube, es ist Zeit, unter die Dusche zu gehen und den neuen Tag zu beginnen."
„Ich komme mit, die Dusche ist groß genug für uns beide", meinte Rebecca augenzwinkernd.
Eine halbe Stunde später saßen sie am Frühstückstisch vor einem Teller mit Speck, Tomaten und Champignons. Außer den beiden war nur noch ein älteres Ehepaar im Speisesaal. Hamilton meinte einen Yorkshire-Dialekt zu hören. Der Raum war eine Mischung aus Museum, Rumpelkammer und Wohnraum – nicht unüblich für England. An den Wänden hingen unzählige Fotografien mit kleineren und größeren Booten sowie Straßenansichten von Hugh Town, mutmaßlich aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg. Eine scheußliche rotgelb gestreifte Tapete, die sich an den Rändern zur Decke teilweise ablöste, und der überdimensionierte Kronleuchter waren für den hässlichen Touch verantwortlich. Die Eichenholztische und die modernen Stahlrohrstühle mit den dunklen Lederbezügen dagegen ein ästhetisches Highlight. Die großen, nach Westen gerichteten Fenster gaben den Blick auf das Star Castle frei, das auf einem Hügel westlich der Stadt thronte. In einer Vitrine hinter dem Kamin standen zahlreiche Pokale, die Onkel John offenbar im Laufe seiner Karriere als Dartspieler errungen hatte. Auf der Vitrine stand eine Porzellanvase, die das Konterfei der verstorbenen Queen Mum zierte. Der blutrote Teppichboden, der mit Sicherheit Heerscharen von Milben und ähnlichem Kleingetier eine Wohnstätte bot, befand sich nach Aussagen von Rebecca schon immer in diesem Raum. Neben der Tür war ein länglicher Tisch aufgebaut, der außer einer schier unermesslichen Vielfalt an Cerealien frisch gepresste Säfte und diverse Sorten an Joghurt zur Auswahl bot.
„Ich verstehe nicht, wie du nach diesem Berg Speck noch den Fisch essen kannst", meinte Rebecca, als Tante Peggy einen Teller mit einem großen Stück geräuchertem Schellfisch vor Hamilton stellte.
„Der Schellfisch ist ein Magerfisch mit weniger als einem Prozent Fett und einem hohen Anteil an Mineralien wie Natrium, Kalium und Magnesium", antwortete er belehrend.
„Das mag ja sein, aber so wie ich dich kenne, wirst du anschließend noch jede Menge Toast verzehren."
„Wir haben schließlich einen langen Tag vor uns und ich muss meine Energiereserven auftanken", gab Hamilton zu wissen und zog lächelnd seine rechte Augenbraue nach oben.
Inzwischen waren noch zwei Gäste im Speisesaal aufgetaucht, ein junges Pärchen von vielleicht Anfang zwanzig. Die beiden setzten sich an den Tisch neben Bob und Rebecca. Sie kannten sich offensichtlich noch nicht lange, denn sie redeten ohne Punkt und Komma. Eigentlich redete nur das Mädchen und er starrte sie an, als wäre sie das achte Weltwunder. Der junge Mann trug eine blaue Jeans und einen dunkelgrünen Pullover. Das Mädchen eine schwarze Bluse, einen kurzen, dunkelblauen Rock und darunter eine schwarze, hauchdünne Leggins. Außerdem tippelte ein alter Mann im Jogginganzug, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und dünnen, weißen Haaren ans Büffet. Er war gut und gerne neunzig Jahre alt, schaufelte einen Berg Cornflakes auf einen Teller und setzte sich an den nächsten Tisch.
„Das ist Mr Howard, ein ehemaliger Meereskundler. Seit seiner Pensionierung, und das muss schon bald dreißig Jahre her sein, kommt er in jedem Winterhalbjahr nach St. Mary’s und wohnt bei Tante Peggy. Den Sommer verbringt er irgendwo im Norden und im Winter stiefelt er den ganzen Tag am Strand entlang. Ein komischer Kauz, redet mit niemanden außer mit Tante Peggy und Onkel John, und mit denen auch nur das Notwendigste."
„Er kennt dich also schon ewig."
„Ja, aber seit dieser Zeit ignoriert er mich hartnäckig."
Hamilton goss sich seine dritte Tasse Tee ein und war froh, den Alltag hinter sich gelassen zu haben.
Die vergangenen Wochen waren ziemlich nervenaufreibend gewesen. Zu seinem Leidwesen bekam er von der praktischen Polizeiarbeit kaum etwas mit. Stattdessen musste er sich mit Polizeiverordnungen, Personalengpässen und einer neuen Chefin herumärgern, die ihm, mehr als ihm lieb war, auf die Finger schaute. Nach der Pensionierung des alten Norman Holt war die Stelle des Assistant Chief Constables für Eingriff und Verbrechen über ein Jahr lang unbesetzt geblieben. Im Frühsommer trat, für alle überraschend, Carol Clough diesen Posten an und versuchte, sich rasch in die komplexe und vielfältige Materie einzufinden.
Hamilton konnte die mit Anfang vierzig etwa gleichaltrige Carol eigentlich gut leiden, hatte jedoch einige Schwierigkeiten mit ihrem Ehrgeiz, der sie offensichtlich in diese Position gebracht hatte. Hamilton war mit zweiundvierzig Jahren jedoch auch noch recht jung für den Rang eines Detective Chief Superintendent und Chefs der Kriminalpolizei von Devon und Cornwall. Doch ihn hatten weniger sein Ehrgeiz als vielmehr Glück, die richtigen Beziehungen und seine zwar unorthodoxen, aber sehr erfolgreichen Methoden dorthin gebracht. Und im Grunde seines Herzens waren ihm Menschen mit übersteigertem Ehrgeiz zuwider.
So hatte er in den vergangenen Monaten versucht, sich mit seiner ambitionierten Chefin zu arrangieren und war zu einem für ihn ganz logischen Schluss gekommen: Entweder würde die gute Carol bald die Karriereleiter weiter hinaufstolpern und er hatte sie vom Hals, oder er würde bald einen Weg finden müssen, der ihm die gleichen Freiräume eröffnen würde, wie er sie unter Norman Holt gehabt hatte.
Der vergangene Sommer war jedenfalls gar nicht nach dem Geschmack von Hamilton gewesen. Am liebsten war er nämlich mitten im Geschehen und ließ sich bei administrativen Dingen von seinem Freund und Stellvertreter Detective Superintendent Steve Parker den Rücken frei halten. Dieser Sommer jedoch war geprägt gewesen von endlosen Sitzungen mit der Polizeispitze von Devon und Cornwall. Gewohnt, in der alltäglichen Arbeit als ranghöchster Beamter jederzeit das Geschehen zu bestimmen, musste er sich nun unterordnen.
Hamilton hatte schon seit jeher ein ambivalentes Verhältnis zu Autoritäten im Allgemeinen und zu direkten Vorgesetzten im Besonderen. Daher hatte er im Laufe seiner Polizeikarriere immer versucht, sich ein eigenes Biotop zu schaffen, in dem er möglichst ungestört agieren konnte. Und ein solches hatte er eigentlich auch in Middlemoor, dem Hauptquartier der Polizeibehörde von Devon und Cornwall im Osten Exeters. Er konnte sich auf seine Mitarbeiter verlassen und seine Arbeit einteilen, wie er wollte – vorausgesetzt, der zuständige Assistant Chief Constable ließ ihn an der langen Leine. Und das würde, wenn sich die Carol Clough endlich eingearbeitet hatte, von selbst der Fall sein, denn dann gebe es genügend alltägliche Kleinigkeiten, die ihre Aufmerksamkeit voll in Anspruch nehmen.
Rebecca riss ihn aus seinen Gedanken: „Wann genau fährt das Boot rüber nach Tresco?"
„In einer halben Stunde. Es sollte reichen, zehn Minuten vor Abfahrt loszulaufen."
„Da reichen fünf Minuten, die Anlegestelle ist doch gerade da unten."
„Was weißt du über die Inseln? Irgendwie doch ein besonderer Flecken Erde."
„Wohl wahr. Was willst du hören, die lange oder die kurze Version?"
„Die informative, bitte."
„Nun denn: Die Scilly Inseln liegen knapp dreißig Meilen südwestlich von Land’s End. Es gibt etwa fünfundfünfzig größere Inseln, wovon sechs bewohnt sind. Hier leben etwas mehr als zweitausend Menschen, die meisten auf St. Mary’s. Die Hälfte alleine hier in Hugh Town. Der Name bedeutet, wie nicht anders zu erwarten: Sonnige Inseln. Vor der letzten Eiszeit, als der Meeresspiegel deutlich tiefer lag, war das alles nur eine Insel, die von Cornwall her besiedelt wurde. Im 16. Jahrhundert wurden die Inseln Teil der Grafschaft Cornwall. Durch die geringen Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter von lediglich neun Grad Celsius können hier sehr viele subtropische Bäume und Pflanzen wachsen. Interessant ist der Umstand, dass die Scilly Inseln noch bis zum Jahr 1986 mit den Niederlanden im Kriegszustand waren. Während des Englischen Bürgerkrieges zogen sich die Royalisten auf die Inseln zurück. Aufgrund irgendwelcher Streitigkeiten mit den Holländern erklärten diese den Krieg. Da die englische Parlamentsarmee gleichzeitig jedoch die Inseln eroberte, zogen die Holländer unverrichteter Dinge wieder ab. Zufällig stieß ein Historiker in den 80er-Jahren des vergangen Jahrhunderts auf diese Fußnote der Weltgeschichte und auch die Botschaft der Niederlande in London bestätigte, dass sich Scilly noch offiziell mit den Niederlanden im Krieg befinde. Darauf hin unterzeichneten beide Seiten im April 1986 einen Friedensvertrag."
„Wenn nur alle Kriege so unblutig wären. Stell dir vor, im nächsten Jahr kommen unsere Truppen aus Afghanistan nach Hause, weil alle Beteiligten den Krieg dort vergessen haben."
„Schön wär’s. Ja, soviel zu den Scillies. Weitere Fragen?"
„Keine."
Die beiden beendeten das Frühstück und gingen zurück aufs Zimmer, um ihre Jacken und Rebeccas kleinen Tagesrucksack zu holen. Danach verabschiedeten sie sich artig von Tante Peggy und gingen hinunter zur Anlegestelle, wo das kleine Boot schon auf die Passagiere wartete.
„Heute wird ein super Tag, stellte Rebecca fest. „Es ist jetzt schon schön sonnig und fast wolkenlos. Wenn wir Glück haben, gibt es nicht einmal einen Schauer. Es soll bis zu fünfzehn Grad warm werden und der Wind hat uns ja noch nie gestört.
Hamilton und Rebecca standen an der Reling des schaukelnden Bootes, das inzwischen abgelegt hatte, und blickten auf die vom goldenen Herbstlicht der Sonne beschienene Insel. Nach der kurzen Überfahrt machten sich die beiden sofort über die Abbey Road auf den Weg nach Süden zu den Gärten. Hamilton konnte schnell feststellen, dass Tresco im Gegensatz zur Hauptinsel in erster Linie touristisch geprägt war. Die Insel lebte von den Touristen, die das ganze Jahr über hierher kamen, selbst im Winter, der hier trotz der Stürme bedeutend angenehmer war als anderswo in England.
Kapitel 3 – Montag, 09.11.2009, Morgen
„So ein beschissenes Wetter, als wollte die Welt untergehen", fluchte Detective Sergeant Susan McCoy, als sie in ihr Büro im Polizeihauptquartier Middlemoor stapfte.
„So schlimm wird es wohl nicht werden", meinte ihr Kollege John Clark, der schon vertieft an seinem Computer saß, ohne aufzuschauen.
„Das schöne Wetter hätte ruhig noch etwas andauern können. So ein extremer Wechsel ist doch nicht normal."
Susan zog ihre Jacke aus und hängte sie an den Kleiderständer. Dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch, der dem Clarks gegenüberstand. Ein dritter Schreibtisch stand an der Stirnseite der anderen Schreibtische: der Arbeitsplatz von Emma Hughes, die noch eine Woche lang auf Fortbildung irgendwo in East Anglia war. Das Büro war hell mit großen Fenstern, lindgrünen Wänden und einem Ahornfußboden ausgestattet.
„Ist Debbie schon da?", fragte Susan ihren Kollegen.
„Ma’am kommt erst gegen Mittag."
„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?"
„Ach nichts."
„Los, rück’ schon raus damit. Hattet ihr Streit?"
„Nein, eigentlich nicht, aber Ma’am ist mit meinen Leistungen der letzten Zeit nicht einverstanden. Ich sei unkonzentriert und meine Arbeit schlampig."
„Und? Bist du unkonzentriert?"
„Ich bin jetzt schon eine ganze Zeit lang hier und bislang waren alle zufrieden mit meiner Arbeit. Und jetzt kommt Debbie, nur weil sie zum Chief Inspector ernannt wurde und plötzlich meine Chefin ist, und sagt mir, ich arbeite schlampig. Jeder hat mal bessere und mal schlechtere Tage. Mein Gott. Ich mache meine Arbeit gewissenhaft."
„Hm, in den vergangenen Wochen hast du manchmal schon etwas abwesend gewirkt. Ist irgendetwas nicht in Ordnung mit dir?"
„Jetzt tu nicht so verständnisvoll. Ich weiß, dass auch du hinter meinem Rücken über das Muttersöhnchen lästerst. Und Trevor hält mich für schwul, nur weil ich keine Freundin habe."
„Trevor hält jeden für schwul, der nicht dreimal in einem Satz flucht und nicht mindestens zwei Bier zum Mittagessen trinkt."
„Ach, lass mich jetzt einfach arbeiten."
„Entschuldige bitte."
Susan schaltete ihren PC an und wunderte sich über die schlechte Laune ihres Kollegen, der zwar allgemein zurückhaltend, jedoch immer höflich und kollegial war.
Sie überprüfte ihre E-Mails und ärgerte sich über den Haufen Müll, den sie auf diese Weise bearbeiten musste. Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie Polizeiarbeit im 20. Jahrhundert ausgesehen haben könnte. Was hatten die Polizisten den ganzen Tag gemacht, so ganz ohne PC und Handy? Das ganze Leben musste doch ein komplett anderes gewesen sein. Susan McCoy, Anfang dreißig mit grünen, geheimnisvollen Augen, die brünetten Haare kurz geschnitten, war mit Begeisterung Polizistin. Sie arbeitete seit ein paar Jahren im Kriminalermittlungsteam von Middlemoor, das bei größeren Kriminalfällen die Beamten vor Ort unterstützte.
Die Polizeibehörde von Devon und Cornwall hatte drei dieser Teams, eines in Plymouth, eines in Newquay und eben eines in Middlemoor. Das Team in Middlemoor wurde von Chief Inspector Debbie Steer geführt und bestand neben Debbie aus sechs Detectives.
Der ganze Sommer war recht ruhig geblieben. Vor allem kleinere Betrugsfälle und ein paar Drogendelikte hatten das Alltagsgeschäft bestimmt. Susan hoffte auf einen großen Fall, der über die langweiligen Routinearbeiten hinausging und wieder einmal alle Fähigkeiten aus ihr herausholte, so wie vor zwei Jahren, als drei gepfählte Menschenköpfe in Ostcornwall gefunden worden waren. So schlimm die ganze Angelegenheit gewesen war, damals arbeitete das Team auf Hochtouren und konnte den Täter dingfest machen.
Doch was hatte sie im Moment zu bearbeiten? Vandalismus einer Jungenbande in Salcombe. Viel Papierkram, wenig konkrete Ergebnisse, und am Ende würde wohl überhaupt nichts dabei herauskommen. Die Hälfte der Jugendlichen war noch nicht strafmündig und für die andere Hälfte fand sich mit Sicherheit ein guter Anwalt, der dem Gericht schon erklären würde, warum die bedauernswerten jungen Menschen vom Pfad der Tugend abgekommen waren.
Gerade als sie, vom Zweifel am Sinn ihrer Tätigkeit geplagt, auf den Computermonitor starrte, klingelte das Telefon.
„DS McCoy."
„Guten Morgen, Susan, Parker hier. Ich glaube, es gibt Arbeit für uns. Vor ein paar
