Ostviertel-Blues: Göttingen Krimi
Von Wolf S. Dietrich
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Buchvorschau
Ostviertel-Blues - Wolf S. Dietrich
Wolf S. Dietrich
Ostviertel-Blues
Göttingen Krimi
Prolibris Verlag
Handlung und Figuren dieses Romans entspringen der Phantasie des Autors. Ebenso die Verquickung mit tatsächlichen Ereignissen. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt.
Nicht erfunden sind bekannte Persönlichkeiten, Personen der Zeitgeschichte, die im Roman erwähnt werden, sowie Institutionen, Straßen und Schauplätze in Göttingen.
Alle Rechte vorbehalten,
auch die des auszugsweisen Nachdrucks
und der fotomechanischen Wiedergabe
sowie der Einspeicherung und Verarbeitung
in elektronischen Systemen.
© Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2021
Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29
Titelbild: © Rolf Wagner
Schriften: Linux Libertine
E-Book: Prolibris Verlag
ISBN E-Book: 978-3-95475-237-9
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.
ISBN: 978-3-95475-227-0
www.prolibris-verlag.de
Der Autor
Wolf S. Dietrich studierte Germanistik und Theologie und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Göttingen. Dann war er Lehrer und Didaktischer Leiter einer Gesamtschule. Er lebt und arbeitet heute als freier Autor in Göttingen. »Ostviertel-Blues« ist sein zwanzigster Krimi im Prolibris Verlag und der neunte, der in Göttingen spielt. Der Autor ist Mitglied im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur.
1
2021
Die Flure zum alten Klassentrakt waren seltsam leer. Von den Wänden blätterte die Farbe, der Fußboden wirkte abgetreten und schmuddelig. Es roch nach feuchtem Mauerwerk und Verfall. Auf dem Weg zum Unterrichtsraum, in dem seine Schüler auf ihn warten sollten, schlug Ingo Steinberg ungewohnter Lärm entgegen. Nicht das Geschrei tobender Fünftklässler oder ausgelassener Mittelstufenschüler, sondern das Knirschen von Mauersteinen, Bersten von Gebälk und Poltern einstürzender Wände. Jetzt ist es so weit, dachte Ingo, der alte Klassentrakt stürzt ein. Er wollte seine Schritte beschleunigen, kam aber nicht voran. Wie in einem bösen Traum hinderte ihn eine unbekannte Macht, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Seine Beine waren wie gelähmt. Verzweifelt versuchte er, sich freizustrampeln.
Plötzlich streifte ihn ein kühler Luftzug und er wachte auf. Es war ein böser Traum gewesen. Die Bettdecke lag auf dem Boden. Nach einem Blick auf die Uhr rollte er sich von der Matratze. Eigentlich war es zu früh zum Aufstehen, aber für eine weitere Runde Schlaf zu spät. Obwohl die Sommerferien begonnen hatten, wartete im Oberstufenbüro noch Arbeit auf ihn. Immerhin konnte er sich den Tag weitgehend frei einteilen.
Der Albtraum hatte seinen Puls beschleunigt. Er trat ans Fenster, zog den Rollladen hoch. In dem Augenblick war der Lärm wieder da. Dazu kam ein dumpfes Motorengeräusch.
Ingo öffnete die Fensterflügel und beugte sich hinaus. In gut hundert Meter Entfernung standen ein paar Leute auf der Straße. Sie blickten alle in eine Richtung, zu einem Gebäude hinter altem Baumbestand. Einer aus der Gruppe gestikulierte mit heftigen Armbewegungen, schien etwas zu rufen. Er trug einen gestreiften Morgenmantel, sein weißer Haarschopf wehte im Wind. Es war Doktor Mandel, ein ehemaliger Kollege vom Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium, der Biologie und Chemie unterrichtet und sich seit seiner Pensionierung dem Umweltschutz verschrieben hatte. Hinter ihm verfolgten zwei Jungen in Schlafanzügen die Ereignisse. Ingo schätzte sie auf acht oder neun Jahre. Das mussten Mandels Enkelkinder sein. Die Zwillinge aus Schleswig-Holstein hatten offenbar schon länger Ferien und verbrachten die schulfreie Zeit bei ihrem Großvater. Für die Kinder war der Aufenthalt in Göttingen sicher spannend, denn Mandel liebte Exkursionen in die Natur und besaß eine erstaunliche Anzahl ausgestopfter Tierkörper.
Die Ursache des Krachs schien von einem Grundstück zu kommen, das Mandels Haus gegenüber lag. Schwer vorstellbar, dass dort ein Bagger oder eine Baumaschine im Einsatz war, denn dort stand eine Jugendstilvilla, die zwar derzeit nicht bewohnt war, aber – wie die meisten benachbarten Häuser aus den zwanziger Jahren – vermutlich unter Denkmalschutz stand.
Innerlich erleichtert, dass nicht der alte Klassentrakt seiner Schule zusammenbrach, gleichzeitig beunruhigt über die Vorstellung, eins der alten Gebäude an seiner Straße könnte gerade einem Abrissbagger zum Opfer fallen, beschloss Ingo, der Sache auf den Grund zu gehen. Er schlüpfte in Jeans und T-Shirt, steckte Schlüssel und Smartphone ein und lief die Straße hinauf – auf die kleine Gruppe um seinen alten Kollegen zu.
Als er sie erreichte, verebbte der Lärm. Ein paar Sekunden noch grummelte der Motor der Maschine, dann trat Stille ein. Die Köpfe der Menschen wandten sich kurz dem Ankömmling zu, dann richteten sie ihr Interesse auf den Mann im grauen Overall, der aus dem Bagger kletterte.
»Unerhört!«, rief Doktor Mandel und deutete mit heftigen Bewegungen auf die beschädigte Fensterfront des halbrunden Vorbaus. »Schauen Sie sich das an!« Sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet. »Die wollen die Rodenstein-Villa abreißen.«
Die Umstehenden nickten und gaben Kommentare ab. »Ein Verbrechen!«, empörte sich eine ältere Dame. »Nicht auszudenken, wenn die hier neu bauen.«
»Genau!«, bestätigte ein bärtiger junger Mann. »Hochpreisige Eigentumswohnungen für die Rendite von Investoren. Davon wären wir alle betroffen. Mehr Verkehr, mehr Krach, mehr Dreck.«
»So ist es!«, rief Doktor Mandel. »Darum muss das sofort aufhören.« Er stürmte auf den Baggerführer zu. »Haben Sie eine Abrissgenehmigung? Sie können doch so ein stadtbildprägendes Haus nicht einfach plattmachen. Es handelt sich hier um ein schützenswertes städtebauliches Objekt …« Er brach ab und wedelte hilflos mit den Händen. Wahrscheinlich ahnt er, dachte Ingo, dass der Arbeiter ihn nicht verstand.
Der Mann breitete die Arme aus und hob die Schultern. »Auftrag von Chef. Mein Job.« Er tippte auf seine Armbanduhr. »Muss drei Tage fertig.«
Mandel wandte sich an Ingo. »Hat die Stadt nicht eine Erhaltungssatzung beschlossen, damit nicht noch einmal so etwas passiert wie vor ein paar Jahren am Friedländer Weg und in der Keplerstraße? Als die Eigentümer einfach eine Gründerzeit-Villa und ein über hundert Jahre altes Mehrfamilienhaus abgerissen haben. Stadtbaurat Dienberg hat seinerzeit den Abbruch am Friedländer Weg zwar gestoppt, aber die Arbeiten waren schon so weit fortgeschritten, dass die Villa nicht mehr zu retten war. Wenn ich mich recht erinnere, wurde danach ein Beschluss gefasst, mit dem der Abriss von Gebäuden unter Genehmigungsvorbehalt gestellt werden kann.«
»Ja, ich glaube auch.« Ingo zog sein Smartphone aus der Tasche. »Wie der Stand genau ist, weiß ich nicht. Aber ich kenne jemanden, der bestimmt gern herausfindet, ob die Rodenstein-Villa unter die neuen Regeln fällt oder unter Denkmalschutz steht und wer hinter dem Auftrag für den Abriss steckt.«
Er machte ein paar Schritte zur Seite. Die Uhrzeit auf dem Smartphone zeigte ihm, dass er kaum damit rechnen konnte, Anna schon zu erreichen. Sie fuhr erst gegen neun Uhr in die Redaktion und war selten vor acht Uhr auf den Beinen. Vor allem, wenn es am Vorabend spät geworden war. Seine Freundin war gestern nicht mehr zu ihm gekommen, weil sie ins Rathaus musste, um über eine Sitzung des Stadtrats zu berichten.
Trotzdem wählte er jetzt ihre Nummer, vielleicht war sie ja doch schon wach. Während er auf das Rufzeichen wartete, beobachtete er aus den Augenwinkeln, wie Doktor Mandel und seine Unterstützer auf den Baggerführer einredeten. Der hob immer wieder die Schultern. Natürlich war der Mann nicht dafür verantwortlich, dass die Firma, für die er arbeitete, ein Haus abreißen sollte. Wer den Auftrag aufgegeben hatte, würde Anna herausfinden. Unbewusst huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Seine Freundin würde sich des Falles nur allzu gern annehmen und mit Leidenschaft recherchieren.
Anna meldete sich nicht. Also schlief sie noch. Ingo beendete den Ruf und steckte das Smartphone ein. Inzwischen hatte sich die Diskussion auf der Straße gelegt. Einige der Anwohner strebten ihren Häusern zu, Doktor Mandel redete noch immer auf den Baggerführer ein, sprach aber leiser und war hörbar um einen vertraulichen Ton bemüht. Die Züge des Arbeiters entspannten sich, und als Ingo zu den Männern trat, wühlte er in seinen Taschen, zog eine Visitenkarte hervor, die er offensichtlich schon länger dort aufbewahrt hatte, und drückte sie Mandel in die Hand. »Ist Nummer von Chef. Kommt acht Uhr Büro. Ich jetzt Frühstückspause.« Er stiefelte zurück zu seinem Bagger, erklomm die Kabine und nahm einen abgenutzten Rucksack heraus.
Der pensionierte Oberstudienrat warf einen Blick auf die Karte, dann kann er auf Ingo zu und hielt sie ihm unter die Nase. »Wollen Sie …?«
Ingo zog sein Smartphone wieder hervor. »Ich schicke eine Aufnahme an meine Freundin. Anna ist Redakteurin beim Tageblatt, sie kümmert sich bestimmt gern darum.« Er fotografierte die Visitenkarte. »Wahrscheinlich möchte sie auch mit Ihnen sprechen. Wäre das in Ordnung?«
»Selbstverständlich.« Mandel strahlte. »Frau Lehnhoff, nicht wahr? Sehr gern sogar. Ich hoffe, die Presse ist auf unserer Seite.« Erst jetzt schien er seine Enkel zu bemerken. »Was macht ihr denn hier?«, rief er und wedelte mit den Armen. »Rein mit euch! Aber dalli!« Die Jungen gehorchten zögernd. Mandel wandte sich wieder an Ingo. »Inzwischen informiere ich Polizei und Ordnungsamt. Und versuche, die Baudezernentin zu erreichen. Vielleicht machen Sie noch ein Foto von der Rodenstein-Villa mit den Beschädigungen durch den Abrissbagger.«
»Gute Idee.« Ingo nickte. »Dann muss ich mich leider verabschieden. Im CFG wartet Arbeit.« Er wollte sich zum Gehen wenden. Doch Mandel hielt ihn noch auf.
»Ich hab’ ja immer gern unterrichtet«. »Aber jetzt bin froh, dass ich nicht mehr in die Schule muss. Sie sind nicht zu beneiden. Das Hin und Her bei der Bekämpfung des Coronavirus bringt sicher vieles durcheinander.«
Ingo hob eine Hand, erwiderte jedoch nichts mehr und beschleunigte seinen Schritt. Trotz der frühen Stunde wollte er keine Zeit verlieren. Er könnte die Gelegenheit nutzen, in Ruhe zu frühstücken, zog es aber vor, eine Stunde vor Unterrichtsbeginn im Oberstufenbüro zu sein, um noch ein paar Dinge zu erledigen. Mandel lag mit seiner Vermutung nicht falsch. Der Organisationsaufwand hatte drastisch zugenommen.
Er bereitete ein schnelles Frühstück vor, startete die Kaffeemaschine und ging ins Bad. Während das Wasser der Dusche auf seine Haut prasselte, kehrten seine Gedanken zu dem Traum zurück, der ihn aufwachen lassen hatte. Wieder einmal hatten sich Szenen und Geräusche, die nicht zusammengehörten, miteinander verbunden. Der Lärm des Abrissbaggers musste die Bilder aus seinem Schulalltag heraufbeschworen haben. Sie waren alles andere als traumhaft, entsprachen der bitteren Realität. Länger als fünfzehn Jahre wartete das Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium auf die überfällige Sanierung. Politiker aller Parteien hielten wohlfeile Reden über die Bedeutung von Bildung, verschoben aber überfällige Sanierungen von Jahr zu Jahr. Seit Beginn der Pandemie musste in den maroden Räumen im lange schon baufälligen Teil des Schulgebäudes wieder regelmäßig unterrichtet werden. Schichtunterricht mit aufgeteilten Klassen und Lerngruppen forderte seinen Tribut. Nur ein geringer Anteil der Unterrichtsinhalte konnte digital übermittelt werden. Es fehlte an geeigneten Computern, an Software und informationstechnischer Infrastruktur. Wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen war Ingo bisher nur mit Hilfe privater Notebooks und Tablets halbwegs erfolgreich durch die Krise gekommen. Auch die notwendigen Programme hatte er aus der eigenen Tasche bezahlt.
Die Klänge von Edward Griegs »Morgenstimmung« rissen ihn aus seinen Gedanken. Die Melodie hatte er Annas Handynummer als Klingelton zugeordnet. Er stellte das Wasser ab, stieg aus der Dusche und schnappte sich ein Handtuch. Während er mit einer Hand Gesicht und Haare trocknete, griff er mit der anderen nach dem Smartphone und meldete sich. »Guten Morgen, Liebste. Hast du gut geschlafen?«
»Ist bei dir alles in Ordnung?« Anna klang aufgeregt. »Du hast versucht, mich anzurufen. Ist was passiert?«
»Nein. Ja.« Ingo genoss kurz die Sorge um ihn, die er aus ihren Fragen und ihrem Tonfall heraushörte. »Nein«, wiederholte er, »es ist nichts passiert. Jedenfalls mir nicht. Ja, es geht mir gut. Aber hier scheint sich etwas zu ereignen, das dich interessieren dürfte. An einer der schönen alten Villen des Ostviertels arbeitet ein Abrissbagger. Die Leute hier sind ziemlich entsetzt und empört. Ich auch. Mein ehemaliger Kollege Mandel wird sich mit der Stadt in Verbindung setzen. Aber ob die eingreift, bevor es zu spät ist, weiß man nicht. Öffentlicher Druck könnte helfen.«
»Und für den soll ich sorgen?«, fragte Anna.
»Von sollen kann keine Rede sein«, erwiderte Ingo. »Das ist natürlich deine Entscheidung. Aber ich kann mir vorstellen, dass der – möglicherweise illegale – Abriss einer Ostviertel-Villa bei euch in der Redaktion auf Interesse stößt.«
»Allerdings.« Anna holte hörbar Luft. »Ich versuche, einen Fotografen hinzuschicken und komme so bald wie möglich. Kannst du mir die genaue Adresse der Villa und die Kontaktdaten deines ehemaligen Kollegen aufs Handy senden?«
»Klar«, bestätigte Ingo. »Mach ich. Dazu kriegst du zwei Fotos. Von der Villa und von einer Visitenkarte, die zu dem Abrissunternehmen gehört. Aber nur, wenn du mir sagst, wann wir uns sehen. Heute Abend?«
»Das ist Erpressung. Aber gut. Ich komme gegen achtzehn Uhr. Wenn in der Redaktion nichts mehr anliegt. Und wenn du kochst. Mindestens drei Gänge.«
»Okay, das lässt sich einrichten. Bis dahin!«
***
Gewöhnlich brauchte Anna Lehnhoff morgens eine Weile, um in Schwung zu kommen. Aber jetzt war sie hellwach. Der Schreck des frühen Anrufs und Ingos Information hatten ihren Herzschlag beschleunigt und ihren Kreislauf angeregt. In Gedanken stellte sie eine Liste derjenigen zusammen, die sie anrufen musste. Die Redaktion, um mitzuteilen, dass sie später kommen würde. Einen Fotografen, der den begonnenen Abriss dokumentieren musste. Und jemanden beim Bauverwaltungsamt der Stadt. Die Baudezernentin persönlich zu erreichen, würde schwierig sein. Aber versuchen musste sie es. Wenn es sich bei Ingos Beobachtung tatsächlich um einen illegalen Abriss handelte, war sie einem Skandal auf der Spur. Dann würde sie auch den Oberbürgermeister zu einer Stellungnahme auffordern. Die Vorstellung, mit einem Artikel ordentlich Staub aufzuwirbeln, beflügelte sie. In Gedanken formulierte sie schon Schlagzeilen: Im Ostviertel sind die Plattmacher zurück. Ihr Chef würde damit vielleicht nicht einverstanden sein. Dann eben: Abriss empört Anwohner. Zur Not mit Fragezeichen: Illegale Baumaßnahme im Ostviertel?
Das Ergebnis der morgendlichen Prozedur im Badezimmer stellte Anna selten zufrieden. Ihr Spiegelbild offenbarte unerbittlich, wie sie sich vom Aussehen früherer Jahre entfernte. Sie war keine zwanzig mehr, auch keine dreißig, nicht einmal mehr vierzig. Unaufhaltsam vermehrten sich Falten und Fältchen ebenso wie Anzeichen schwächelnden Bindegewebes. Auch die Waage signalisierte selten ein Minus, meistens bewegten sich die Zahlen nach oben. Wahrscheinlich war es ein Fehler gewesen, sich von Ingo ein Menü zu wünschen. Wenn er kochte, fiel es ihr schwer, ihren Appetit zu zügeln, allzu verführerisch waren die Gerichte, die er zubereitete. Auch wenn Ingo stets beteuerte, wie formvollendet ihre Figur sei und wie dankbar sie für ihre glatte Haut sein könne, war Anna mit ihrem Äußeren oft nicht einverstanden. Früher war sie regelmäßig mit einer Freundin gelaufen. Aber seit häufiges Joggen zu Schmerzen in den Knien geführt und ihre Ärztin entzündliche Veränderungen im Ansatz der Patellasehnen diagnostiziert hatte, hatte sie diese Art der sportlichen Betätigung aufgegeben. Vielleicht sollte sie sich eine neue Sportart aussuchen, um zumindest den Trend zu mehr Kilos zu stoppen.
Heute blieb für solche Überlegungen keine Zeit. In aller Eile erledigte sie die unvermeidlichen Verrichtungen und beeilte sich mit dem Frühstück.
Während sie heißen Kaffee schlürfte, googelte sie mit dem Tablet-PC nach dem Namen, den Ingo ihr zusammen mit der Adresse des Abrissunternehmens geschickt hatte. Rodenstein. Es gab einen Immobilienmakler mit dem Namen. Außerdem stieß sie auf eine Physiotherapeutin und auf eine Sängerin, deren Wikipedia-Eintrag sie faszinierte. Barbara Rodenstein war eine deutsche Sängerin. In Ostpreußen geboren, kurz nach Kriegsende als Kind mit ihrer Mutter nach einer abenteuerlichen Flucht in Friedland angekommen und in Göttingen aufgewachsen. Sie hatte das Hainberg-Gymnasium besucht, nach dem Abitur Musik studiert und ihre Karriere als Sängerin erst nach dem Tod ihres Mannes begonnen. Mit Jazz hatte sie angefangen und sich später ganz dem Blues gewidmet. In der Zeit ihrer großen Erfolge war sie als »deutsche Billie Holiday« bezeichnet worden.
Im Telefonbuch fand Anna den Namen unter der Ostviertel-Adresse. Versuchsweise wählte sie die Nummer. Der Rufton war zu hören, aber niemand meldete sich. Laut Wikipedia war die Sängerin 83 Jahre alt, ein Todestag war nicht angegeben. Wenn sie nicht mehr in ihrer Villa wohnte, lebte sie vielleicht bei einem ihrer Kinder. Oder in einem Altersheim. Google fand Berichte aus dem Göttinger Tageblatt über Konzerte im Alten Rathaus, in der Stadthalle und im Deutschen Theater. Die Artikel waren alle vor Annas Zeit im GT erschienen. Der letzte stammte aus dem Jahr 1992. Ehrung für Barbara Rodenstein im Alten Rathaus, lautete die Überschrift. Oberbürgermeister Rainer Kallmann überreicht Ehrenmedaille der Stadt an Göttinger Sängerin hieß es unter einem Schwarzweiß-Foto.
Anna suchte nach dem Kürzel des Kollegen, der den Bericht verfasst hatte. JoH. Joachim Hausmann, ein ehemaliger Kollege, der ihr in der Anfangszeit oft geholfen hatte. Inzwischen war er im Ruhestand. Er würde mehr über Barbara Rodenstein wissen. Das Gefühl, einen Ansatzpunkt für ihre Recherchen gefunden zu haben, beflügelte Anna.
***
»Dürfen wir nachher draußen spielen, Opa?« Zwei große dunkle Augenpaare sahen Günter Mandel erwartungsvoll an. Für Kinder – davon war er überzeugt – gab es nichts Besseres als draußen herumzutoben. Dennoch zögerte er. Ihm war klar, was die Jungen nach draußen zog. Gewiss nicht die frische Luft. Eher der Bagger auf dem gegenüberliegenden Grundstück. »Bitte, bitte, Opa«, schoben Ben und Leon nach. Mit sicherem Instinkt hatten sie den richtigen Ton getroffen. Nicht allzu bettelnd, nicht fordernd, nicht mit dem Anspruch auf Erfüllung aller Wünsche, den Kinder nach Mandels Beobachtung oft an den Tag legten. Aber voller Liebenswürdigkeit und kindlicher Hoffnung. Er zögerte noch ein wenig mit der Antwort, um deutlich zu machen, dass seine Zustimmung nicht selbstverständlich war. »Also gut«, gab er schließlich nach. »Aber ihr bleibt auf dem Grundstück. Verstanden? Und zum Mittagessen sitzt ihr pünktlich und mit gewaschenen Händen am Tisch.«
»Klar!« Die Zwillinge warfen sich einen Blick zu und sprangen auf. »Cool! Danke, Opa!« Eilig verließen sie den Raum. Günter Mandel schoss der Gedanke durch den Kopf, dass die Jungen etwas im Schilde führten. Sie hatten sich noch nie für eine Erlaubnis bedankt. Doch der vage Eindruck, nachhaken zu müssen, wurde rasch von der Empörung über das Ereignis mit der Rodenstein-Villa verdrängt. Und von der Frage, wen er zuerst anrufen sollte und mit welchen Argumenten er seine Gesprächspartner von der Notwendigkeit überzeugen konnte, den Abriss zu stoppen.
***
»Opa erlaubt das nie«, hatte Leon angenommen, kaum dass sie sich gewaschen und die Zähne geputzt hatten. Ohne dass sie darüber ein Wort verloren hatten, waren sie sich einig, dem Abrissbagger bei seiner Arbeit zuzusehen. Jedoch nicht, wie Opa angeordnet hatte, von seinem Garten aus. Normalerweise gab es hier genug zu entdecken. Das alte Haus war riesig. Viel zu groß für eine Person, wie ihre Eltern immer wieder betonten. Die Kellerräume, ein Anbau und ein Gartenhaus boten reichlich Verstecke, Gerätschaften und Geheimnisse, die es zu erkunden galt. Aber heute war kein normaler Tag.
Noch war das Grummeln des schweren Motors nicht wieder zu hören, noch bestand keine Eile, auf die andere Straßenseite zu kommen. Das Wummern der Maschine, das Bauch, Brust und Zwerchfell vibrieren ließ, war ein Erlebnis. Natürlich nur, wenn man sich in ihrer Nähe befand. Darum würden sie einen Weg finden müssen, sich über Opas Anordnung hinwegzusetzen. Außerdem war durch den Bagger bereits ein Loch in der Front der Villa entstanden. Wenn niemand in der Nähe war, konnten Ben und Leon durch die Lücke kriechen und ins Innere des Hauses vordringen. Die Villa Rodenstein war offensichtlich noch viel älter als die anderen Häuser in der Straße. Und mit ihren Türmen und Erkern sah sie aus wie ein Märchenschloss, in dem ein geheimnisvoller Herrscher regierte.
»Wir beobachten Opa«, schlug Ben vor. »Wenn er in sein Arbeitszimmer geht und seinen Computer einschaltet oder telefoniert, ist er erst mal beschäftigt und achtet nicht auf uns. Wir klettern über den Zaun zum Nachbargrundstück, gehen von dort auf die andere Straßenseite und schleichen uns wie Indianer zum Haus mit dem Bagger und verstecken uns. Es gibt da jede Menge Büsche, hinter denen uns keiner sieht.«
Leon klatschte begeistert in die Hände. »Cool! So machen wir’s. Wenn wir rechtzeitig zum Mittagessen am Tisch sitzen, merkt Opa nichts.« Er senkte die Stimme. »Ich bin Fliegender Stern.«
Ben überlegte kurz, ob er den Namen akzeptieren konnte. Schließlich nickte er. »Gut. Und ich Rasender Komet.«
Um ihrem Großvater zu zeigen, dass sie sich unter den Bäumen hinter seinem Haus in ein Indianerspiel vertiefen würden, begannen sie, ein Tipi aus Ästen und Zweigen zu bauen. Aus dem Keller schleppten sie eine Plane in den Garten, die Opa Günter schon im vergangenen Jahr für diesen Zweck zur Verfügung gestellt hatte. Während das Indianerzelt Gestalt annahm, behielten sie das Fenster des Arbeitszimmers im Auge. Anfangs zeigte sich der Großvater noch mit wohlwollendem Blick hinter der Scheibe, doch irgendwann wandte er seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu.
Ben und Leon verständigten sich ohne Worte auf den Start des Abenteuers. In geduckter Haltung schlichen sie zum Gartenzaun, kletterten an einer nicht einsehbaren Stelle rüber in den Nachbarsgarten und robbten dort zur Grundstücksgrenze in Richtung Straße. Ein unüberwindbarer schmiedeeiserner Zaun stoppte die indianischen Kundschafter. Sie mussten warten, bis sich ein elektrisches Rolltor öffnete, um einer Limousine den Weg freizugeben.
Auf der Straße fuhr kein Auto, Fußgänger waren auch nicht in der Nähe. Unbehelligt erreichten sie den Zaun zum Grundstück der Rodensteins. Die Zufahrt war weit geöffnet, dennoch kamen die Jungen nicht an ihr Ziel. In der Einfahrt hatte sich eine Gruppe von Erwachsenen versammelt, an denen sie nicht ungesehen hätten vorbeischleichen können.
»Rückzug?«, flüsterte Leon. Sein Bruder nickte. »Wir versuchen es später noch mal.« Er warf einen Blick zum Haus mit dem Rolltor. »Das Tor von Opas Nachbarn ist geschlossen. Fliegender Stern und Rasender Komet müssen einen anderen Weg nehmen. Howgh.«
Bevor die indianischen Kundschafter davonschlichen, warfen sie prüfende Blicke auf die Menschen,
