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Mainkurtod: Ein Frankfurt-Krimi
Mainkurtod: Ein Frankfurt-Krimi
Mainkurtod: Ein Frankfurt-Krimi
eBook281 Seiten3 Stunden

Mainkurtod: Ein Frankfurt-Krimi

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Über dieses E-Book

Es hätte ein Traumjob sein können: die Stelle als Maklerin in Frankfurt, eine Kollegin, mit der sie sich auf Anhieb versteht. Doch dann erfährt Marlene von der Ermordung und dem mysteriösen Verschwinden ihrer Vorgängerinnen. Kurz darauf findet sie sich selbst eingesperrt in einem stockfinsteren Raum wieder, ohne Erinnerung an die letzten Tage. Damit nicht genug: Zu ihrem Entsetzen entdeckt sie in einer Tonne eine Leiche – und ist sich sicher: Sie wird die nächste sein.. Was ist faul bei Immobilien Richter? Wer hat es auf die Maklerinnen abgesehen? Marlene muss sich erinnern. Denn zum Entkommen bleibt ihr nicht mehr viel Zeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag edition krimi
Erscheinungsdatum1. Sept. 2019
ISBN9783946734246
Mainkurtod: Ein Frankfurt-Krimi

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    Buchvorschau

    Mainkurtod - Franziska Franz

    1

    Gefangen

    Ich zitterte am ganzen Leib. Zum Glück war ich endlich wach. Dieser grausame Traum, er war vorbei. So beklemmend das Gefühl war, das er hinterlassen hatte, an den Traum selbst konnte ich mich nicht mehr erinnern.

    Mein Gott war mir kalt.

    Mein Kopf schmerzte erbärmlich und nicht nur der Kopf, der ganze Körper. Ich war völlig verkrampft. Ich blinzelte. Es war stockfinster, scheinbar mitten in der Nacht.

    Schlaf bloß nicht wieder ein, Marlene.

    Ich wollte nach dem Lichtschalter tasten, aber ich hatte große Mühe, mich zu bewegen – und dieser grauen­volle Kopfschmerz!

    Was hast du denn gestern bloß getan, dass du so leidest?

    Ich zermarterte mir den Kopf, doch es gelang mir einfach nicht, mich daran zu erinnern. Ich nahm all meine Kraft zusammen und versuchte, mich aufzusetzen, doch es wollte mir nicht gelingen. Verdammt, ich war völlig bewegungsunfähig.

    Ich zitterte jetzt noch stärker. Panik machte sich in mir breit. Warum konnte ich mich denn nicht bewegen?

    Du schläfst immer noch. Werde wach, Marlene, es ist nichts weiter als ein Albtraum.

    Ich riss die Augen auf und schloss sie wieder, kniff sie fest zusammen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass ich wach war, so etwas konnte man nicht träumen, oder doch? Beinahe wünschte ich mir den Schlaf zurück, denn sonst musste ich mir jetzt ernsthaft Sorgen über meinen körperlichen Zustand machen. Ich fror so furchtbar. Meine Decke musste runtergefallen sein, das war wohl auch der Grund für die Steifheit meiner Glieder. Ich musste mich unbedingt zudecken.

    Wieder versuchte ich mich aufzurichten, doch fehlte mir immer noch die Kraft dazu. Ich schaute zum Fenster. Merkwürdig, nicht der geringste Lichtschein war auszumachen. Dabei stand nicht weit vom Haus entfernt eine Straßenlaterne. Wie oft hatte ich mich schon darüber geärgert, denn obwohl ich schwere Vorhänge besaß, ließ sich nicht vermeiden, dass Licht ins Zimmer fiel. Doch wieso jetzt nicht, war das Licht ausgefallen? Dazu diese unnatürliche Stille. Ich hörte weder ein Auto, noch die Straßenbahn, die direkt vor meinem Haus entlang fuhr.

    So etwas kann vorkommen. Es ist mitten in der Nacht, da fährt die Straßenbahn nicht. Beruhige dich und versuche dich jetzt zu konzentrieren.

    Mein Rücken schmerzte als läge er auf Beton. Ich wollte mich umdrehen, ich hatte eindeutig zu lange in dieser Position gelegen. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte mit aller Kraft meinen Arm zu bewegen und da, ganz plötzlich, zuckte meine Hand. Gott sei Dank! Ich war offenbar nicht gelähmt. Konnte so etwas überhaupt geschehen, dass man ganz plötzlich über Nacht gelähmt war? Gab es eine solche Krankheit? Es muss ein Nervenleiden sein, das mich befallen hatte. Klar, das konnte schon möglich sein. Ein infiziertes Insekt vielleicht, es gab heutzutage so viele neue Insekten, wer weiß, was sie alles übertragen konnten. Solange es nur bitte eine vorübergehende Erscheinung war.

    Jetzt ganz ruhig bleiben, tief atmen, Marlene, versuch es nochmal.

    Ich nahm einen feuchten, modrigen, ja widerlichen Geruch wahr. Diesen Geruch kannte ich nicht. Und schon gar nicht aus meiner Wohnung. Was hatte das nur alles zu bedeuten?

    Vor lauter Angst begann ich zu schwitzen. Auf meiner Stirn bildete sich kalter Schweiß.

    Steh sofort auf!

    Dieses Mal schob sich mein Arm Zentimeter für Zentimeter zur Seite. Mit einem leichten Ruck landete er neben meiner Hüfte. Meine Finger machten zaghafte Tastbewegungen. Es fühlte sich merkwürdig an. Ich erschrak zutiefst. Ich fühlte kalten Stein unter mir. Ich lag eindeutig nicht auf meinem Bett, sondern auf Beton.

    Tränen stiegen mir in die Augen.

    Was ist mit dir passiert, warum erinnerst du dich denn nicht?

    Angestrengt dachte ich darüber nach, was gestern, was vorgestern gewesen war. Ich wusste es nicht. Ich erinnerte mich einfach nicht. Dieser Kopfschmerz, wenn doch nur dieser heftige Kopfschmerz vergehen würde! Ich versuchte, mich mit der rechten Hand hochzustemmen, doch ich war zu schwer dazu, wenn nicht endlich auch die linke Hand mithalf.

    Ich begann zu weinen. Nein, bitte, keine Zeit, sich gehen zu lassen.

    Reiß dich zusammen und steh endlich auf!

    Erneut stemmte ich mich mit aller Kraft auf den rechten Arm und konnte meinen Rumpf nun leicht anheben. Erleichtert rollte ich ein Stück zur Seite.

    Jetzt stieß es mir bitter auf, als hätte ich Medikamente genommen. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen und zog meine Knie an, schlang meine Arme darum, und mit einem kräftigen Ruck zog ich mich hoch. Jetzt war ich völlig kraftlos, doch wenigstens saß ich nun.

    Ich lauschte angestrengt. Es blieb totenstill. Wo war ich bloß und wie zum Teufel war ich hier hergekommen?

    „Hallo? Hallo, hört mich jemand?", rief ich mit krächzender Stimme.

    „Hallo?" Ich versuchte es lauter.

    Dreh dich um und kriech zur Tür, irgendwo wird ja wohl eine Tür sein.

    Mühevoll drehte ich mich, begann vorwärts zu robben. Zentimeter für Zentimeter. Ich ertastete die Wand, kroch weiter, Stück für Stück. Nichts stand im Weg, an dem ich mich hätte verletzen können, nicht mein Schreibtisch, an dessen Bein ich mich so oft gestoßen hatte, nicht einmal ein Regal. Dieser Raum schien absolut leer zu sein. Spätestens jetzt gestand ich mir endgültig ein, dass ich nicht zuhause war, dies war kein Traum sondern ein realer Albtraum. Mit der linken Hand ertastete ich die Wand. Plötzlich entdeckte ich – eine Eisentür?

    Ich war so matt, dass ich eine Pause einlegen musste. Ich lehnte mich gegen die Wand, umfasste mit beiden Händen meinen hämmernden Schädel und atmete schwer. Ich musste ruhig werden. Ich schloss die Augen und versuchte, die Angst in den Griff zu bekommen, denn sie verstärkten den Schmerz. Als das Hämmern ein wenig nachließ, versuchte ich mich erneut zu erinnern.

    Gestern. War ich nicht gestern Abend verabredet gewesen – mit Anja? Ich begann, vorsichtig meine Schläfen zu massieren. Nein, es war anders. Anja war nicht da gewesen. Meine Freundin Anja hatte sich seit längerer Zeit nicht gemeldet. War es nicht so? Erinnerungsfetzen schossen wie Blitze in mein Gedächtnis. Ich machte mir Sorgen um sie. Stimmte das oder bildete ich mir das ein? Ich konnte nicht weiterdenken, mir war speiübel. Ich war kurz davor, mich zu übergeben. Oh nein, bitte nicht, mein Kopf würde platzen. Ich glitt an der Wand herab und legte mich flach auf den kalten Boden.

    Konzentriere dich auf deine Atmung. Langsam ein- und ausatmen.

    Ich musste wohl vor Erschöpfung eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, fühlte ich mich ein wenig besser. Mein Kopf schmerzte immer noch, er drohte aber nicht länger zu explodieren. Erneut setzte ich mich auf. Da war diese Eisentür. Sicher sinnlos, doch ich musste nach der Klinke suchen. Mit einigem Kraftaufwand erhob ich mich. Zittrig stand ich auf meinen Beinen, doch hatte ich es endlich geschafft – ich stand. Mit den Fingern ertastete ich die Tür. Allerdings gab es weder einen Griff, noch einen Knauf – nichts. Ich stemmte mich mit aller Kraft gegen die Tür. Wie bereits erwartet bewegte sie sich nicht. Ein Schluchzer löste sich aus meiner Kehle. Ich biss die Zähne zusammen. Es musste doch eine Lösung geben. Ich schob mich an der Wand entlang, versuchte mir vorzustellen, wie groß dieser Raum sein mochte, aber wegen der völligen Finsternis fiel mir dies schwer. Ich musste ihn mit den Füßen abmessen. Ich schob mich also zurück zur Tür. Von dort aus waren es zwei Meter bis zur Ecke des Raums. Nun machte ich ungefähr einen Meter lange Schritte. Nach dreißig Schritten stieß ich mit dem Fuß gegen einen harten Gegenstand. Ich blieb wie erstarrt stehen. Wenn ich doch nur irgendetwas hätte sehen können! So finster stellte ich mir das Grab vor. Vorsichtig streckte ich den Arm aus und fühlte kaltes Metall. Der Gegenstand war rund und hoch und reichte mir fast bis zum Kinn. Eine riesige Tonne? Ich fuhr mit der Hand am Rand entlang. Die Tonne war verschlossen. Ich streckte den Arm aus, konnte jedoch den gegenüberliegenden Rand nicht erreichen. Also musste die Tonne einen Durchmesser von mindestens einem Meter haben oder mehr, so schätzte ich. Was mochte sich darin befinden? Ich trat dagegen. Sie war definitiv nicht leer. Ich schob mich am Rand der Tonne entlang und erreichte die Wand. Die Tonne stand also in der Ecke des Raumes. Demnach hatte ich von der Tür aus etwa zweiunddreißig Meter berechnet. Ich fragte mich, warum ich all das tat. Warum blieb ich nicht an der Tür sitzen und hoffte auf Hilfe? Ich schüttelte entschieden den Kopf. Darauf zu hoffen war sicher aussichtslos. Außerdem musste ich wohl jederzeit damit rechnen, dass derjenige, der mich hier eingesperrt hatte, wiederkam. Vielleicht fand sich hier ja doch noch irgendetwas Brauchbares, mit dem ich mich würde wehren oder verteidigen können. Also weiter.

    Ich hatte fünf große Schritte gemacht, da stieß ich gegen den nächsten Gegenstand. Wie ich sofort feststellte, handelte es sich wiederum um eine Tonne, möglicherweise identisch. Ich musste wohl in einer Art Lagerraum eingesperrt sein. Wieder fuhr ich mit der Hand am Rand entlang. Auch diese Tonne war verschlossen, doch der Deckel bewegte sich etwas. Mein Herz begann zu rasen, wenngleich ich nicht wusste, weshalb. Was würde es besser machen, wenn ich den Inhalt untersuchen würde? Wer weiß, vielleicht befanden sich sogar giftige Chemikalien darin. Plötzlich verspürte ich unbändigen Durst. Und wenn es nun Wasser war? Sogleich ekelte mich dieser Gedanke. Dann war es natürlich abgestandenes Brackwasser. Ich war jetzt so erschöpft, dass ich mich setzen musste. Ich ließ mich an der Wand hinuntergleiten und schlang die Arme um mich. Ich zitterte.

    Konzentriere dich, Marlene. Was ist gestern geschehen?

    Plötzlich erschienen erneut Bilder in meinem Kopf. Es hing alles irgendwie mit Anja zusammen. Wieder wollten mir die Gedanken nicht gehorchen.

    Was ist geschehen, Marlene? Erinnere dich doch!

    Ich kniff die Augen zusammen. Da war diese Verabredung gewesen: War es nicht Clemens, den ich hatte treffen wollen? Alles verschwamm vor meinen Augen, noch bevor ich in der Lage war, es deutlich zu sehen. Es hatte keinen Zweck. Mein Kopf verweigerte mir einfach seinen Dienst.

    Dieser schreckliche Durst. Ich musste in die Tonne schauen. Vielleicht hatte ich Glück und es war Regenwasser darin. Ich schien verrückt zu werden, dass ich so etwas Unsinniges denken konnte. Wie sollte denn das Wasser da hineingekommen sein? Aber diese ganze Situation war so beängstigend, dass ich nicht anders konnte, als mich an einem kleinen Fünkchen Hoffnung festzuhalten.

    Der Deckel war verdammt schwer. Ich drückte und schob, bis er sich endlich ein Stückchen zur Seite bewegte. Ein grauenhaft stechender Geruch stieg mir in die Nase. Würgend wich ich zurück.

    Mach den Deckel zu, Marlene. Schnell!

    Stattdessen hielt ich mir die Nase zu und ging erneut zu der Tonne. Es war eindeutig fauliges Wasser darin. Was, wenn ich nur einen einzigen Schluck davon trinken würde? Ich hatte so schrecklichen Durst, so unfassbaren Durst! Wenigstens die Lippen benetzen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich nichts getrunken hatte, aber das ungute Gefühl, dass ich bald verdursten würde. Ich musste verrückt geworden sein, dass ich die Hand in diese ekelhaft stinkende Brühe steckte. Nein, das reichte jetzt. Gerade wollte ich sie angewidert herausziehen, als meine Finger etwas berührten. Ich schrie auf, sprang zurück. Was war das?

    2

    1. Juni 2016

    Geschafft. Endlich hatte ich meine Wohnung bezogen. Ich hatte Glück, denn eine Wohnung in zentraler Lage in Frankfurt war nicht leicht zu bekommen, wenn man nicht horrende Summen dafür ausgeben wollte. Und das wollte ich weder, noch konnte ich es. Ich war neu in dieser Stadt, der kleinsten Metropole der Welt, mit einem Flughafen, den man das Drehkreuz Europas nannte.

    Als Maklerin war ich vor einigen Monaten in eine winzige Wohnung in Frankfurt Bornheim gezogen. Sie war nicht nur sehr dunkel, sondern auch laut, denn die Wohnung lag direkt an der Wittelsbacherallee, einer vielbefahrenen Straße, dafür hatte ich eine Straßenbahnhaltestelle direkt vor der Haustür. Dennoch war die Wohnung im Osten von Frankfurt nicht optimal gelegen, wenn ich regelmäßig ins Zentrum fahren musste. Deshalb war für mich nun der geeignete Zeitpunkt gekommen, um im Süden Frankfurts eine Bleibe zu suchen. Schließlich hatte ich vor, in den nächsten Wochen eine Festanstellung im Maklerbüro Richter anzunehmen, einem renommierten Unternehmen wie man mir bestätigt hatte. Zwar war Herr Richter gerade im Urlaub, aber seine rechte Hand, Frau Malmann, hatte die Befugnis, neue Mitarbeiter einzustellen, und ich hoffte inständig, dass Herr Richter mich nicht ablehnen würde. Jedenfalls musste ich mich nun bewähren, dann konnte eigentlich alles gut werden.

    Für den Maklerberuf kam es natürlich auch auf die Optik an, wie ich wusste. Selten wurden unattraktive Maklerinnen eingestellt. Ich passte aber durchaus in den Standard, war groß, blond und schlank – ansehnlich, wie man mir oft sagte. Für die passenden Outfits musste ich noch ein wenig sparen, doch für den Anfang war ich gut genug angezogen, gab es in Frankfurt doch auch die Möglichkeit, sich mit einem kleineren Geldbeutel im Business Style einzukleiden. Und wenn ich erst ein paar Aufträge in der Tasche hätte, würde die Sache schon ganz anders aussehen.

    Der neue Job jedenfalls war die Gelegenheit, mein Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Gebürtig kam ich aus Westfalen. Schon als Kind war mir klar, dass ich nicht in der Provinz bleiben wollte. Ich musste raus aus der Enge der Kleinstadt. Nun war ich sechsundzwanzig, ein wunderbares Alter: ich hatte das ganze Leben noch vor mir. Und ich war verdammt neugierig darauf. Da ich momentan Single war, gab es nichts und niemanden, auf den ich Rücksicht zu nehmen brauchte.

    Meine Eltern waren von meinem Berufswunsch nicht recht überzeugt gewesen. Unseriös fanden sie es. „Man braucht keinen Makler, der einem das Geld aus der Tasche zieht", sagte Vater einmal.

    Und dann ausgerechnet ein Pflaster wie Frankfurt. Schrecklich, wie konnte ihre Tochter nur die beschauliche Kleinstadt verlassen? Ich aber entschied aus dem Bauch heraus. Frankfurt war zwar eine Stadt der ewigen Baustellen und sie galt nicht gerade als schöne Stadt, doch entstanden hier ständig neue, interessante und luxuriöse Wohnkomplexe und nicht zuletzt Hilmar Hoffmann hatte die Stadt sein modernes Gesicht zu verdanken. Immobilien für die Upper Class gab es genug. Schließlich wollten die Banker ja auch gut leben.

    Ich schaute mich in meinen vier Wänden um. Eine kleine, aber feine Wohnung auf der Schweizer Straße unweit des Mainufers, erster Stock, unter mir bloß eine Parfümerie. Das Maklerbüro, besser gesagt Frau Malmann, war mir gleich nach meiner Einstellung behilflich gewesen und hatte prompt die ideale Wohnung für mich gefunden, in der ich mich wohlfühlen konnte. Sprach eindeutig dafür, dass sie ein Profi war. Dazu kam, dass ich es von dort aus nicht weit bis zu meinem Arbeitsplatz hatte.

    Jetzt galt es nur noch, hier heimisch zu werden und ein paar soziale Kontakte zu knüpfen. Doch die nächsten Abende würde ich allein damit verbringen meine Kisten auszupacken und meine Wohnung einigermaßen einzurichten.

    3

    11.März 2016

    Kaum hatte Viktor seinen Laptop hochgefahren, da kam schon das Geräusch, auf das er gehofft hatte, jenes Geräusch, dass eine Nachricht in seinem Facebook-Account ankündigte. Eine Nachricht oder eine Freundschaftsanfrage, eigentlich egal. Für ihn führte das eine zum anderen. Er mochte die Anonymität des Internets. Man konnte sich ungehemmt ausleben. Es gab genügend dumme Weiber, die sich auf einen Flirt im Internet einließen. Er hatte schon eine ansehnliche Anzahl an Frauen in seinem Account gesammelt. Da fiel die Auswahl schwer, und oft verbrachte er Stunden am Computer, in denen er sich mit einigen dieser „Freundinnen" austauschte. Ein großartiger Zeitvertreib, wie er fand, und seinem Selbstwertgefühl kam es zugute. Doch es hatte noch einen anderen Grund, weshalb er diesen Facebook-Account brauchte: Sein Chef schrieb ihm hier häufig.

    Selbstverständlich hatte er sein Profil ein wenig bearbeitet. Das war heutzutage im Internet ja alles kein Problem mehr; ein wenig Unschärfe hier, ein bisschen vollere Haare und das Gesicht etwas verschmälern, schon sah ihm ein recht attraktiver Mann entgegen, der dennoch irgendwie er selbst war.. Wenn er hier eines Tages wirklich die Frau seines Lebens kennenlernen sollte, würde es sich für ihn gelohnt haben.

    Er war noch keine vierzig Jahre alt, doch sein Haar lichtete sich bereits. Auch war er wesentlich zu kräftig und unsportlich, sodass seine Haut schlaff und schwammig wirkte. Aber er war groß und gab daher eine eindrucksvolle Erscheinung ab – so meinte er zumindest. Und nicht nur das, er war stark. Bevor er krank wurde, hatte er sich in so manchem Hinterhof mit ehemaligen Kollegen Boxkämpfe geliefert. Einmal war es schlecht ausgegangen. Nicht für ihn, sondern für den armen Kerl, der ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Viktor hatte ihm das Jochbein zertrümmert, das waren noch schöne Zeiten. Viktor selbst hatte nur eine Narbe davongetragen. Eine Narbe unter dem linken Auge und ein leichtes Nervenzucken.

    Er sah erneut auf den Bildschirm und grinste. Wieder eine Freundschaftsanfrage und täglich kamen einige neue hinzu. Was würde sein Boss nun dazu sagen?

    Er öffnete die neueste Nachricht: Hey Nick. Gerne würde ich mit dir befreundet sein. Ich habe gesehen, du wohnst auch in Frankfurt, das trifft sich gut, ich bin neu hier. Eigentlich bin ich Polin, doch bin ich in Deutschland aufgewachsen, und nun suche ich hier

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