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Warngau

Streit um Flüchtlingsunterkunft Mobilisierung für den "großen Knall"

Stand: 15.04.2024 17:48 Uhr

Eine geplante Unterkunft mit bis zu 500 Menschen sorgt im oberbayerischen Dorf Warngau für Unruhe. Der zuständige Landrat wird ausgebuht, eine Bürgerversammlung eskaliert - wie konnte es soweit kommen?

Von Anne Grandjean und Markus Pohl, RBB

Im oberbayerischen Warngau, nicht weit vom Tegernsee entfernt, ist die Idylle derzeit empfindlich gestört. In der 3900-Einwohner-Gemeinde soll eine Asylunterkunft für bis zu 500 Menschen eingerichtet werden - so plant es das Landratsamt des Kreises Miesbach, zu dem Warngau gehört.

Bei einer Bürgerversammlung Anfang Februar kommt es im Gasthof "Zur Post" zu tumultartigen Szenen: Etwa 400 Menschen quetschen sich in den überfüllten Veranstaltungssaal, vor der Tür verfolgen noch einmal so viele über Lautsprecher das Geschehen.

Pfiffe für den Landrat

"Es war von Anfang an emotional geladen“, sagt Landrat Olaf von Löwis (CSU) im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste. Er war dort, um das Vorhaben zu erklären. Bereits als er auf die Bühne tritt, wird er ausgebuht.

Dann liest von Löwis Fragen der Bevölkerung vor: "Kann ausgeschlossen werden, dass junge Männer die umliegenden Spielplätze und Badegelegenheiten aufsuchen?" Von Löwis kommentiert das sichtlich entrüstet: "Bei den Menschen handelt es sich nicht um Verbrecher." Auf diese Aussage folgen lautstarke Buhrufe und Pfiffe.

Auch als er sich später auf die im Grundgesetz verankerte Würde des Menschen beruft, gibt es Buh-Rufe. Die Security, so berichtet von Löwis später in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz", habe ihn nach der Veranstaltung über den "Hintereingang aus dem Saal geführt" und in ein Polizeiauto gesetzt.

Mehrere Traktoren sollen sich dem Polizeiauto bedrohlich in den Weg gestellt haben, die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Nötigung.

Mobilisierung gegen Flüchtlingspolitik

Dass es im Ort Protest geben würde, war absehbar. Zur Wahrheit gehört aber: Weit über den Ort hinaus wurde zu einer Art Abrechnung über die Flüchtlingspolitik mobilisiert. In der Whatsapp-Gruppe "Miesbach im Widerstand" etwa riefen Aktivisten dazu auf, nach Warngau zu kommen.

"Das muss medienwirksam sein, da darf nichts mehr vorwärts und rückwärts gehen", heißt es in einer Sprachnachricht. Ein anderer schreibt, es helfe "nur noch der große Knall."

Im Vorfeld der Bürgerversammlung tauchten in der Umgebung großflächige Plakate auf: Ein überfülltes Schiff mit Flüchtlingen rast darauf durch das Ortsschild von Warngau. "Nein zur Asyl-Massenunterkunft", steht daneben.

Bei der Veranstaltung selbst eröffnet eine Frau die Fragerunde, die sich unter großem Applaus mit den Worten vorstellt: "Alexandra Motschmann, die Basis, WerteUnion und AfD." Zu Kontraste sagt Motschmann, die für die Querdenker-Partei "Die Basis" für den Bundestag kandidiert hatte, sie habe damit sagen wollen, es gehe um die Menschen, nicht um Parteien. Tatsächlich wirkt ihre Ansprache wie die Eröffnung eines Tribunals durch Parteien vom rechten Rand.

Aufgeheizte Stimmung

Einer, der die Stimmung dann besonders anheizt, ist Lorenz M. Den Landrat schreit er an, er müsse "den Arsch in der Hose haben" und der Landesregierung sagen: "So machen wir nicht mehr weiter!" M., der viel Applaus erhält, trägt bei der Bürgerversammlung einen Pullover des bekannten Neonazi-Kampfsport-Events "Kampf der Nibelungen".

Mehrfach hat er in der Vergangenheit an Aufmärschen der rechtsextremen Szene teilgenommen. Kontraste liegt ein Foto vor, das M. 2019 bei einer Demonstration mit einem Transparent der Partei "Die Rechte" zeigt. "Freiheit für Ursula Haverbeck" steht darauf - eine verurteilte Holocaust-Leugnerin.

M. wohnt 15 Autominuten von Warngau entfernt. Auf Kontraste-Anfrage schreibt er: "Zu meiner Vergangenheit werde ich mich hier nicht äußern, da dies nichts mit dem Thema der Bürgerversammlung zu tun hat."

Mitten im Publikum saß auch der AfD-Landtagsabgeordnete Andreas Winhart. Er war eigens aus Bad Aibling angereist. Winhart hatte 2018 für einen Eklat gesorgt, als er vor der Ausbreitung von Krankheiten durch Geflüchtete warnte. Er würde sich so nicht mehr äußern, sagt Winhart heute. Von der Bürgerversammlung in Warngau postete er ein Selfie mit Parteifreunden auf X. Das Ganze unter der Überschrift: "AfD wirkt."

Landrat spricht von einer Notlösung

Doch unabhängig von der Instrumentalisierung durch Rechtsaußen: Landrat von Löwis gesteht zu, dass es "nicht ideal" sei, ein Containerdorf für 500 Flüchtlinge im kleinen Warngau zu errichten. Es sei eine Notlösung auf Zeit. Momentan sind die Geflüchteten in drei Turnhallen im Landkreis untergebracht.

Die Zustände dort sind miserabel, und die Hallen werden dringend für den Sport gebraucht. Das Gelände in Warngau sei im Moment das einzig geeignete, auf das er Zugriff habe, sagt von Löwis.

Im Ort sorgen sich nun viele, was da auf sie zukommt. "Als Mama hat man Angst", sagt etwa die Schreibwarenhändlerin Cornelia Kranz. 80 Prozent der Flüchtlinge, die kommen sollen, seien Männer - so hat es der Landrat angekündigt.

Kranz hat eine 14-jährige Tochter. "Ich möchte nicht mehr, dass sie dann abends allein am Bahnhof auf den Zug wartet", sagt Kranz. Mit 500 Geflüchteten sei das kleine Warngau schlichtweg überfordert.

Menschen bilden einen Stuhlkreis.

Treffen der Initiative "Warngau ist menschlich" - das "Beste aus der Situation" machen.

Sorge um teure Autos

Ähnlich sieht das Sportwagenhändler Peter Oblak, der sein Geschäft in Sichtweite der geplanten Unterkunft hat. Er sorgt sich zudem vor Sachbeschädigungen an seinen teuren Autos, darunter viele der Marke Porsche: "Man will ja keinem was unterstellen, aber wer haftet hier?"

Selbst jene, die sich für die Flüchtlinge einsetzen wollen, sehen die Pläne kritisch. "Es gibt, glaube ich, kaum jemanden im Dorf, der sagt: 'Hurra, das ist eine ganz tolle Idee, an diesem Standort 500 Menschen unterzubringen'", sagt Lena Prieger. Sie hat mit einigen anderen nach der Bürgerversammlung die Initiative "Warngau ist menschlich" gegründet. Es müsse nun ohne Hetze und Aggression darüber geredet werden, wie man das Beste aus der Situation machen könne.